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German Pages [611] Year 2023
Vom Nutzen der Historie Festschrift für Hans-Christof Kraus zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von Martin Hille, Marc von Knorring und Desiderius Meier
Duncker & Humblot . Berlin
Vom Nutzen der Historie Festschrift für Hans-Christof Kraus
Vom Nutzen der Historie Festschrift für Hans-Christof Kraus zum 65. Geburtstag
Herausgegeben von Martin Hille, Marc von Knorring und Desiderius Meier
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany ISBN 978-3-428-18729-4 (Print) ISBN 978-3-428-58729-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Am 3. November 2023 feiert Professor Dr. Hans-Christof Kraus seinen 65. Geburtstag. Schüler, Freunde und Kollegen nehmen dies zum Anlass, den akademischen Lehrer, Förderer und Weggefährten mit der vorliegenden Festschrift zu ehren und so ihren Dank und ihre tiefe Verbundenheit mit ihm zu bekunden. Als hochgeachteter, engagierter Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator ist Hans-Christof Kraus in zahlreichen renommierten Forschungsgremien tätig, unter anderem als Ordentliches Mitglied und Abteilungsleiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, als Vorstandsmitglied der Preußischen Historischen Kommission, der Historischen Kommission zu Berlin und der Ranke-Gesellschaft, als Mitglied im Beirat der Prinz-Albert-Gesellschaft und der Otto-von-Bismarck-Stiftung sowie als Mitglied der Vereinigung für Verfassungsgeschichte. Professor Kraus hat über nahezu vier Jahrzehnte in den angesehensten Fachorganen publiziert, und er ist Mitherausgeber zahlreicher bedeutender geschichtswissenschaftlicher Reihen und Zeitschriften. Dabei zählt er zu den wenigen Gelehrten, die das Fach Neuere und Neueste Geschichte von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart in Forschung und Lehre vertreten. Weit gespannt sind auch die thematischen Schwerpunkte seiner Arbeit. Sie umfassen die Politische Geschichte Deutschlands und Großbritanniens (18.–20. Jahrhundert), die Geschichte Preußens, die Bildungsund Wissenschaftsgeschichte, die Politische Ideengeschichte der Neuzeit sowie die Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsgeschichte. Methodischen Neuerungen stand der Jubilar stets aufgeschlossen gegenüber, ohne den wechselnden Moden des Faches unkritisch hinterherzulaufen. „Alt“ bedeutet für ihn zu Recht nicht „überholt“, weshalb er immer dafür plädierte, die Rolle des Individuums in der Geschichte nicht aus dem Blick zu verlieren, den handelnden Menschen und seine Spielräume als geschichtliches movens wie als Träger historischer Verantwortung angemessen zu berücksichtigen. So hat er die historische Forschung durch eine Fülle wegweisender Publikationen bereichert, wovon das beeindruckende Schriftenverzeichnis zeugt, das diesem Band beigegeben ist. Mit seinen Presseveröffentlichungen zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Politik und Wissenschaft stellt Professor Kraus regelmäßig unter Beweis, dass die Geschichtswissenschaft keine „Elfenbeinturm“-Disziplin ist, sondern unverzichtbare Lehren für die Gegenwart bereithält. In Anlehnung an die Forschungsschwerpunkte des Jubilars gliedert sich die Festschrift in sechs Abteilungen. Die 31 Beiträge decken ein ebenso umfangreiches wie
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Vorwort
vielfältiges Spektrum bewährter und innovativer Zugriffe ab, wobei sie sowohl neue Forschungsperspektiven vertreten als auch Erkenntnisse präsentieren, die auf der Analyse bislang unberücksichtigter Quellen beruhen – ganz im Sinne von HansChristof Kraus. Aufrichtiger Dank gebührt dem Verlag Duncker & Humblot und seinem Geschäftsführer, Dr. Florian R. Simon. Herr Simon nahm den Band nicht nur in sein Programm auf, sondern sicherte auch in großzügiger Weise die Finanzierung. Als gleichermaßen angenehm und reibungslos erwies sich die Zusammenarbeit mit der Leiterin der Herstellung, Heike Frank. Den Beiträgern, die ihre Mitarbeit ohne Zögern zusagten, danken wir für die pünktliche Einreichung ihrer Aufsätze. Zu danken ist schließlich Cosima Bäumler, die das Schriftenverzeichnis redigierte. Passau, im Herbst 2023 Martin Hille
Marc von Knorring
Desiderius Meier
Inhaltsverzeichnis Geschichte der Geschichtswissenschaft Laura Pachtner „Vom unglücklichen Herzog Tassilo“: Tassilo III. in der bayerischen Geschichtsschreibung des 19./20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ulrike Höroldt Die Rolle der Oberpräsidenten der Preußischen Provinzen bei der Gründung der frühen Geschichtsvereine in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus Neitmann Die Wende der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung und ihre Folgen: Hermann Krabbos und Georg Winters „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause 1100 – 1323“ (1910 – 1955) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Uwe Walter Heer und Staat in der römischen Republik: ein unpublizierter Text von Alfred Heuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Historische Wahrnehmungen und Deutungen Bernhard Löffler Zitherspiel am Nil, Völkerschau daheim. Fernreisen, Kulturkontakt und Fremdwahrnehmung im 19. Jahrhundert an bayerischen Beispielen . . . . . . . . . . . . . . .
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Thomas Brechenmacher Fontanes jüdische Welt. Ein Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Marc von Knorring Das Preußenbild in Autobiographien der Weimarer Zeit. Anmerkungen zu Entstehung und Verfestigung eines Negativklischees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Benjamin Hasselhorn Der Kaiser gegen Hitler? Zur Geschichte eines gefälschten Interviews . . . . . . . 131
Geistes- und Ideengeschichte Horst Möller Intellektuelle in Deutschland und Frankreich – Analogien und Differenzen . . . . 149
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Inhaltsverzeichnis
Helmut Neuhaus Der Briefwechsel zwischen den Philosophen-Söhnen Immanuel und Karl Hegel 169 Cristiana Senigaglia Spengler, Weber und das Unbehagen der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Peter Hoeres Wer ist der Feind? Carl Schmitt als Historiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Martin Otto Juristen und „Rechtslehrer“ im „Handbuch der Grabstätten“. Der Jurist Joachim Aubert als Chronist kanonischer Vorstellungen von nationaler Berühmtheit . . . 213
Verfassung und politisches System in Theorie und Praxis Eckhard Jesse Vom Alten Reich bis zum vereinigten Europa: Systemwechsel im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Matthias Stickler Krönungen im Deutschland des 19. Jahrhunderts – Überlegungen zur Krise eines traditionsreichen Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Dominik Geppert Hans Delbrück und der Reichstag. Struktur, Praxis und Entwicklungschancen des Parlamentarismus im Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Frank-Lothar Kroll Monarchistische Planspiele in der frühen Bundesrepublik. Ein Briefwechsel aus den 1950er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Tilman Mayer Hat es in der Teilungsära Deutschlands so etwas wie eine Nationalbewegung gegeben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Christian Thies Radikale Demokratiekritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Politik und politische Kultur Wilhelm Brauneder Die erste österreichische und deutsche Eisenbahn von 1832 . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Hans-Werner Hahn Preußische Integrationspolitik und nationale Frage: Die Auseinandersetzungen zwischen Gustav von Diest und Karl Braun im annektierten Herzogtum Nassau 1866 – 1869 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Inhaltsverzeichnis
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Monika Wienfort Doppelte Identität als Monarchieproblem. Victoria Princess Royal von Großbritannien und Königin von Preußen in Briefen an ihre Mutter Queen Victoria in den 1860er und 1870er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Ulrich Lappenküper Georg von Schönerer und Otto von Bismarck. Im Banne des „nationalsten und grössten deutschen Staats- und Volksmanns“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Wolfram Pyta Reichskanzler Bethmann Hollweg als Vereinbarungspolitiker: Historisch-systematische Explorationen zur Kompromißkultur im Deutschen Reich . . . . . . . . . . 395 Martin Hille Nationalsozialistische Eroberungsstrategien auf dem Land: Das Beispiel Oberbayern 1920 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Große Politik – Krieg und Frieden Lothar Höbelt Die Habsburger und Peter der Große . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Ute Planert Eichenlaub und Lorbeerkranz: Ignaz Felner und der katholische Kriegsnationalismus in Vorderösterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Sven Prietzel Die napoleonischen Friedensschlüsse. Wegmarken zu einem europäischen Frieden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Andreas Rose „Russischer als die Russen“ – Sir Edward Greys Außenpolitik aus liberaler Sicht 489 Winfried Baumgart Die Erinnerungen des deutschen Offiziers Ernst Paraquin „Aus dem Orient 1917/18“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Rainer F. Schmidt Neue Erkenntnisse zum „morale bombing“ der Royal Air Force im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Wissenschaftliche Veröffentlichungen und Rezensionen von Hans-Christof Kraus
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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
Geschichte der Geschichtswissenschaft
„Vom unglücklichen Herzog Tassilo“: Tassilo III. in der bayerischen Geschichtsschreibung des 19./20. Jahrhunderts Von Laura Pachtner, München Die bayerische Geschichte beginnt mit Herzog Tassilo III. – oder vielmehr seinem Sturz im Jahr 788 durch seinen Vetter Karl den Großen. „Herzog Tassilos Glück und Ende“1 fehlen in keiner Darstellung der bayerischen Geschichte, die Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Das agilolfingische Herzogtum erscheint als erste staatliche Manifestation des heutigen Bayern, wobei auch die seit den späten Agilolfingern günstigere schriftliche Überlieferung an der Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert hier eine Rolle spielt.2 Die Sieger schreiben die Geschichte, so auch in diesem Konflikt Karl der Große, der bis in die heutige Zeit als erstaunliche Integrations- und Identifikationsfigur für die verschiedensten Zwecke fungiert.3 Doch aus bayerischer Perspektive ist gerade das Ende der agilolfingischen Herrschaft in der „Tragödie“ oder „Katastrophe von 788“4 unter Tassilo III. als „Kristallisationsfigur der Agilolfinger“ im Mittelpunkt.5 Hier lässt sich der Beginn eines Kontinuitätsstranges der bayerischen Geschichte ausmachen: die Auseinandersetzung zwischen Zentralgewalt und Stammesherrschaft bzw. regionaler Eigenständigkeit.6 Manche „sehen seit damals eine Konstante und ein Grundproblem bayerischer Politik, sehen bis heute diesen Konflikt nachwirken“.7 Für Entwicklung und Erhaltung jeglicher Identität ist die Wahrnehmung historischer Kontinuität entscheidend. Neben der relativen territorialen Stabilität wird im Falle Bayerns der stete Kampf um Ausbau, Wahrung oder Wiedererringung der Selb1
Lothar Kolmer, Machtspiele. Bayern im frühen Mittelalter, Regensburg 1990, S. 104. Peter Classen, Bayern und die politischen Mächte im Zeitalter Karls des Großen und Tassilos III., in: Die Anfänge des Klosters Kremsmünster, Linz 1978, S. 169 – 187, hier S. 169. 3 Vgl. Bernd Schneidmüller, Sehnsucht nach Karl dem Großen. Vom Nutzen eines toten Kaisers für die Nachgeborenen, in: GWU 51, 6/2000, S. 284 – 301, hier S. 286 – 290. 4 Die Bezeichnung „Katastrophe von 788“ taucht so erstmals bei Riezler auf und wurde nicht, wie Kolmer glaubt, von Kurt Reindel geprägt. Sigmund Riezler, Geschichte Baierns. Bd. 1 (bis 1180), Gotha 1880, S. 168; Kolmer, Machtspiele (Anm. 1), S. 110. 5 Christian Lohmer, Mythos Agilolfinger. Das Nachleben der Bayernherzöge in Mittelalter und Neuzeit, in: Lothar Kolmer/Christian Rohr (Hrsg.), Tassilo III. von Bayern. Großmacht und Ohnmacht im 8. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 191 – 210, hier S. 193. 6 So erstmals bei Sigmund Riezler, Geschichte Baierns. Bd. 1, erste Hälfte (bis 995), 2. Auflage Stuttgart/Gotha 1927, S. 324. 7 Kolmer, Machtspiele (Anm. 1), S. 111. 2
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Laura Pachtner
ständigkeit als historische Kontinuität wahrgenommen, die mit der agilolfingischen Herrschaft einsetzt und damit einen entscheidenden Faktor bildet.8 Dies betonte besonders Andreas Kraus, über zwei Jahrzehnte der Münchner Lehrstuhlinhaber für Bayerische Geschichte, der sich ausführlich mit der Thematik befasst hatte: Tassilos Darstellung sei ein Problem, „das bis zur Gegenwart die bayerischen Historiker erregt“, weil es nicht nur mit spärlichen und einseitigen Quellen größte Schwierigkeiten entgegensetze, „sondern auch heute und zu allen Zeiten zum Bekenntnis zwingt.“ Kein anderes Problem gewähre „so tiefe Einblicke in die Behandlung der Quellen und verrät so viel über den Standpunkt, auf welchem der Historiker selbst, ja sein ganzes Zeitalter steht“.9 So ließen sich am Fall Tassilo wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Einflüsse beispielhaft aufzeigen, da seit den Agilolfingern das Verhältnis der Stammesgewalt zur Zentralgewalt die Geschichte Bayerns bestimme, der Quellenmangel der Interpretation aber so viel Spielraum gewähre.10 Das Tassilo-Bild ist somit nicht nur rein historiographisch interessant. Seine Entwicklung und Veränderung im 19. und 20. Jahrhundert erscheinen geradezu als ein Paradethema des auch politisch bedeutsamen bayerischen Geschichtsbewusstseins. Zwar hat Tassilos „balladenhaftes Glück und Ende“ (Friedrich Prinz) keine literarischen Bearbeitungen von Rang hervorgebracht; auch gab es, wider Erwarten laut Peter Schmid, nicht wie bei Ludwig II. eine ausufernde populäre Stilisierung seines tragischen Schicksals.11 Tassilo bzw. sein Name leben jedoch in der Memoria der von ihm gegründeten Klöster, in der Namensgebung von Schulen und in örtlichen Vermarktungsstrategien weiter.12 Medial öffentlich herausragend ist auch der seit 8 So würde die Geschichte „des eigenen Staates und des Volkes, das diesem Land die Gestalt gegeben hat, in ungebrochener Kontinuität seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden, ganz anders als bei allen anderen deutschen Ländern, in besonderer Intensität als Wissen um die eigene Vergangenheit empfunden“ und stoße „damit in sonst nicht leicht anzurührende Tiefen seelischer Schichten“, Andreas Kraus, Die staatspolitische Bedeutung der bayerischen Geschichte, in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für bayerische Landesgeschichte, 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1998, S. 1 – 17, hier S. 16. 9 Andreas Kraus, Tassilo und Karl der Große in der bayerischen Geschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts, in: ders., Bayerische Geschichtswissenschaft in drei Jahrhunderten. Gesammelte Aufsätze, München 1979, S. 34 – 54, hier S. 36. 10 Andreas Kraus, Ein großes Jahrhundert bayerischer Geschichtsschreibung. Sigmund von Riezler und Michael Doeberl zum Gedächtnis, in: ders., Bayerische Geschichtswissenschaft in drei Jahrhunderten. Gesammelte Aufsätze, München 1979, S. 243 – 259, hier S. 252 f. 11 Friedrich Prinz, Die Geschichte Bayerns, München 1997, S. 45; Peter Schmid, Tassilo III. und Karl der Große zum Ende des Stammesherzogtums Bayern, Weltenburg 1988, S. 3. Tatsächlich gab es künstlerisch-literarische Versuche zur Thematik; so die Oper ,Tassilone‘ (1709) des italienischen Komponisten Agostini Steffani (1654 – 1728) oder 1835 ,Tassilo. Ein historisches Trauerspiel‘ von Carl Weichselbaumer (1791 – 1871), die jedoch schon von Zeitgenossen wenig geschätzt wurden. 12 Lohmer, Mythos (Anm. 5), S. 191 – 210; Fritz Markmiller, Herzog Tassilo und seine Pfalz Dingolfing, in: Baiernherzog Tassilo III. Dingolfing-Mattsee-Kremsmünster, Ausstellung Stiftsmuseum Mattsee, Museum Dingolfing Herzogsburg 2000/2001, Ausstellungskatalog bearb. v. Fritz Markmiller/Adolf Hahnl, Dingolfing 2000, S. 3 – 20, hier S.11 – 13. So gibt
Tassilo III. in der bayerischen Geschichtsschreibung
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2010 von der ,Süddeutschen Zeitung‘ alle zwei Jahre verliehene ,Tassilo-Kulturpreis‘.13 Daher soll die Thematik Tassilo als Ausdruck der spezifisch bayerischen Geschichtskultur im 19./20. Jahrhundert nachverfolgt werden. Der Einstieg liegt bei Lorenz von Westenrieder (1748 – 1829), der unter anderem durch die Beteiligung an der Kurfürstlich Baierischen Akademie der Wissenschaften durchaus als Begründer der modernen bayerischen Geschichtsschreibung gesehen werden kann.14 Grundlegende Werke der ersten Lehrstuhlinhaber für Bayerische Geschichte, Sigmund von Riezler (1843 – 1927) und Michael Doeberl (1861 – 1928), gehen dann dem nach 1945 grundlegenden ,Handbuch der Bayerischen Geschichte‘ voran. In der mittlerweile 3. überarbeiteten Auflage kommen die jüngsten und entscheidenden wissenschaftlichen Standpunkte hinzu, die vor allem dem quellenkritischen Ansatz Matthias Bechers folgen.15 Die Basis des Tassilo-Bildes war zunächst seine Darstellung in der mittelalterlichen und frühmodernen bayerischen Historiographie. Für die Jahre 741 bis 788 sind hier die so genannten fränkischen Reichsannalen entscheidend:16 Alle mittelalterlichen Geschichtsschreiber nutzten diese am fränkischen Hof zwischen 788 und 790 entstandene Hauptquelle über den Konflikt. Nach den Reichsannalen wurde Tassilo 748 von Pippin eingesetzt, habe 757 diesem und dessen Söhnen den Lehnseid geschworen, sei 763 fahnenflüchtig geworden und habe 781 Karl einen Treueid und 787 wiederholt den Lehnseid geschworen und gebrochen. 788 hätten ihn bayerische Adelige einer Verschwörung mit den Awaren, des Meineids und vieler anderer Vergehen bezichtigt und er sei von Karl daher zum Tode verurteilt, dann zu Klosterhaft begnadigt und abgesetzt worden.17 Nach den Reichsannalen habe der eidbrüchige es etwa ein Starkbier ,Tassilator‘, Tassilo-Wein sowie einen Orden für Geflügelzüchter. Die Realschule in Dingolfing und das Gymnasium in Simbach a. Inn tragen Tassilos Namen. 13 Vgl. URL: https://www.sueddeutsche.de/thema/Tassilo; zuletzt abgerufen am 17. 03. 2023. 14 Max Spindler sieht Westenrieder als größten bayerischen Geschichtsschreiber nach Aventin; Max Spindler, Von der bayerischen Geschichte, ihrer Erforschung, Darstellung und Pflege seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts, in: ders., Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayerischen Geschichte, hrsg. von Andreas Kraus, München 1966, S. 102 – 111, hier S.102 – 104. 15 Zur aktuellen Forschungslage vgl. Matthias Becher, Der Sturz Tassilos III. von Baiern. Ein Vierteljahrhundert Forschungsgeschichte, in: Egon Wamers (Hrsg.), Der Tassilo-LiutpircKelch im Stift Kremsmünster. Geschichte – Archäologie – Kunst (Schriftenreihe des archäologischen Museums Frankfurt 32), Regensburg 2019, S. 131 – 144. 16 Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen, Sigmaringen 1993, S. 21 – 24; vgl. Wilhelm Wattenbach/Wilhelm Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Bd. I: Die Vorzeit von den Anfängen bis zur Herrschaft der Karolinger, bearb. v. Wilhelm Levison, Weimar 1952; dies., Bd. II: Die Karolinger vom Anfang des 8. Jahrhunderts bis zum Tode Karls des Großen, bearb. v. Wilhelm Levison und Heinz Löwe, Weimar 1953. 17 Die Reichsannalen waren früher auch bekannt als Ältere Lorscher Annalen. Lange wurde eine Entstehung im Kloster Lorsch angenommen, doch schon Ranke vermutetete, das
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Herzog Tassilo also nur seine verdiente Strafe erhalten. In dieser Hinsicht sind sich Hermann von Niederaltaich im 13. Jahrhundert sowie Hans Ebran von Wildenberg, Andreas von Regensburg, Ulrich Fuetrer und Veit Arnpeck im 14. und 15. Jahrhundert einig. Auch spätere Geschichtsschreiber des 16. und 17. Jahrhunderts wie Markus Welser und Andreas Brunner folgten in Anlehnung an die frühmittelalterlichen Quellen diesem Urteil und lieferten damit das Vorbild für die barocke bayerische Geschichte Johann Vervauxs von 1662, der den Konflikt zwischen Karl und Tassilo als jesuitisches Moral-Drama Gut gegen Böse gestaltete.18 Einzig Johannes Thurmair (1477 – 1534), genannt Aventin, stellt eine gewisse Ausnahme dar. Seine Darstellung in den Annales ducum Boiariae entspricht der üblichen Sichtweise, doch in der ,Bayerischen Chronik‘ führt er zusätzlich als Grund für den Konflikt an, Tassilo sei Karl zu mächtig geworden. Dennoch hält auch er an der Schuld des letztlich eidbrüchigen Tassilo fest.19 Neben der einseitigen Quellenlage ist der genannte Karls-Mythos für diese Sichtweise verantwortlich. Dynastische Legitimationsversuche spielen hier eine entscheidende Rolle, denn wie viele Dynastien beriefen sich auch die Wittelsbacher auf eine Abstammung von Karl. Die rechtmäßige Absetzung Tassilos begründete damit auch die rechtmäßige Herrschaft der Wittelsbacher. Die Tendenz vor allem der frühmodernen Werke, wie der Geschichte Vervauxs, wird damit nachvollziehbar.20 Obwohl ein gewisses Bemühen um Quellentreue und wissenschaftlichen Anspruch nicht abzusprechen ist, bestand schlicht keine Motivation, Tassilo und Karl anders darzustellen, als wie üblich und von der Herrscherdynastie erwünscht. Allerdings findet sich seit dieser Zeit auch eine kirchlich-religiöse Memoria-Tradition Tassilos, dem besonders in Kremsmünster und Frauenchiemsee als Stifter gedacht wird. Auch in Volkssagen erscheint er in positivem Licht. Besonders bekannt ist die in der Tassilo-Gründung Polling zuerst im 13. Jahrhundert aufgezeichnete Sage, dass Karl in der Kirche des Klosters Lorsch ein von Engeln geleiteter, blinder alter Mann erschienen sei. Es stellt sich heraus, dass dies Tassilo ist, dessen Unschuld oder zumindest Erlösung damit klargestellt wird. Des Weiteren berufen sich mehr bayerische Klöster auf eine Gründung durch Tassilo, als er tatsächlich sicher gestiftet hat, und präsentieren dabei oft eine Version des populären Jagdwunders als Gründungsanlass.21 Christliche Frömmigkeit wurde also als einzig Positives den AgilolWerk sei am fränkischen Hof entstanden, was seit Giesebrecht als gesichert gilt, der bereits auf die stark offiziöse Tendenz des Werks hinweist. Vgl. Wilhelm Giesebrecht, Die fränkischen Königsannalen und ihr Ursprung, in: Münchener historisches Jahrbuch für 1865, hrsg. von der Historischen Classe der K. Akademie der Wissenschaft, München 1865, S. 187 – 238. 18 Kraus, Tassilo (Anm. 9), S. 36 – 47; Schmid, Tassilo III. (Anm. 11), S. 3 f. 19 Kraus, Tassilo (Anm. 9), S. 48 f.; Wattenbach/Levison, Geschichtsquellen Bd. II (Anm. 16), S. 191. 20 Schmid, Tassilo III. (Anm. 11), S. 3 f.; Kraus, Tassilo (Anm. 10), S. 43 – 47, 51 – 53. 21 Lohmer, Mythos (Anm. 5), S. 193 – 205. Vgl. Ludwig Holzfurtner, Gründung und Gründungsüberlieferung. Quellenkritische Studien zur Gründungsgeschichte der bayerischen Klöster der Agilolfingerzeit und ihrer hochmittelalterlichen Überlieferung, Kallmünz 1984.
Tassilo III. in der bayerischen Geschichtsschreibung
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fingern als „historischen Verlierern […] im Rennen um die genealogische pole-position“ zugestanden.22 Tatsächlich erscheinen die Agilolfinger und damit der Klostergründer und Sieger über die heidnischen Karantanen Tassilo, der von Jean Mabillon (1632 – 1707) als Seliger, wenn nicht Heiliger des Benediktinerordens eingestuft wurde, in der Gegenreformation neben Karl als Vertreter einer wahren Frömmigkeit.23 Dies ändert jedoch nichts an der im Gegensatz zu Karl prinzipiell negativen Bewertung Tassilos in der zeitgenössischen Historiographie. Lorenz von Westenrieder (1748 – 1829) schrieb zu einer Zeit, die mit Agonie und Ende des alten Reiches und nicht zuletzt der bayerischen Königswürde 1806 neue politische Rahmenbedingungen mit sich brachte. Nicht zufällig begann schon im späten 18. Jahrhundert ein Rückgriff auf die Agilolfinger, um die angestrebte bayerische Souveränität zu stützen.24 Gleichzeitig war 1759 mit der Edition bayerischer Geschichtsquellen in den Monumenta Boica begonnen worden. Die Veröffentlichung von Westenrieders ,Geschichte von Baiern, für die Jugend und das Volk‘ im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor muss vor diesem Hintergrund gesehen werden.25 Die Bemühungen des späteren Münchner Schulrats Westenrieder um eine breitenwirksame Volksbildung manifestierten sich in mehreren, teils ausdrücklich für Schulen, die Jugend und den einfachen Bürger verfassten Publikationen.26 Die Grundlage bildete die bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts einflussreiche ,Geschichte von S. 159 – 251; Peter Stockmeier, Tassilo III., Herzog von Bayern, in: Georg Schwaiger (Hrsg.), Bavaria Sancta. Zeugen christlichen Glaubens in Bayern, Bd. 3, Regensburg 1973, S. 48 – 66. 22 Lohmer, Mythos (Anm. 5), S. 197 f. 23 So ist Herzog Theodo (+717/718) auf der Fassade der Michaelskirche vertreten; ebd., S. 198, 201 – 203. 24 Andreas Kraus, Ein großes Jahrhundert bayerischer Geschichtsschreibung. Sigmund von Riezler und Michael Doeberl zum Gedächtnis, in: ders., Bayerische Geschichtswissenschaft in drei Jahrhunderten. Gesammelte Aufsätze, München 1979, S. 243 – 259, hier S. 253; ders., Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1983, S. 43. 25 Lorenz Westenrieder, Geschichte von Baiern, für die Jugend und das Volk. Auf höchsten Befehl Seiner kurfürstlichen Durchlaucht hrsg. von der baierischen Akademie der Wissenschaften, München 1785. Zu diesem Werk vgl. auch Andreas Kraus, Aus der Frühzeit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Lorenz Westenrieders ,Geschichte von Baiern für die Jugend und das Volk‘ (1785). Bayerische Akademie der Wissenschaften, PhilosophischHistorische Klasse, Sitzungsberichte 1993/Heft 1, München 1993. Westenrieders Bedeutung für die bayerische Historiographie betonen Spindler und Kraus deutlich; vgl. Spindler, Geschichte (Anm. 14), S.102 – 104; Kraus, Jahrhundert (Anm. 24), S. 245. 26 Michael Wittmann, Lorenz von Westenrieder als Schulbuchautor. Anmerkungen zu zwei kurzgefaßten historischen „Lehr- und Lesebüchern“ für bayerische und deutsche Geschichte aus dem Jahre 1798, in: ZBLG 37, 1974, S. 917 – 930, hier S. 917 – 921. Weitere entsprechende Werke: Lorenz Westenrieder, Geschichte von Baiern, zum Gebrauch des gemeinen Bürgers, und der bürgerlichen Schulen, München 1786; ders., Handbuch der baierischen Geschichte, Nürnberg 1820; ders., Abriss der baierischen Geschichte. Ein Lese- und Lehrbuch, München 1798; ders., Abriss der baierischen Geschichte. Ein Lese- und Lehrbuch, neue verbesserte Auflage München 1821/22. Zu Westenrieders historischen Werken siehe auch Rolf Wünnenberg, Lorenz von Westenrieder. Sein Leben, sein Werk und seine Zeit, Tutzing 1982, S. 107 – 115.
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Baiern‘ von 1785,27 deren Grundaussagen bezüglich Tassilo Westenrieder nicht mehr veränderte.28 Im Vorwort machte Westenrieder seinen wissenschaftlichen und didaktischen Anspruch deutlich: Die Forschungs- und Editionstätigkeit der Akademie erlaube nun, „das Dunkle in der vaterländischen Geschichte aufzuklären, das Wesentliche vom bloß Episodischen, das bloß Wahrscheinliche vom Zuverlässigen zu trennen“ und so Bruchstücke in „ein Ganzes, ein geordnetes Gebäude“ zu fügen. Ziel sei eine „vaterländische Geschichte zum Gebrauch der Jugend, und des Volkes“, die keine reine Lebensgeschichte der Fürsten als vielmehr Geschichte des Landes sein solle.29 Dabei konzentriere er sich auf das Wesentliche, wobei sein Werk als Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes verlässlich sei.30 Zudem habe er versucht, „diese Geschichte nicht allein zur Wissenschaft, sondern zur Angelegenheit des Publikums zu machen“.31 So würden Lehren und Rat für Gegenwart und Zukunft vermittelt: Die vaterländische Geschichte sei das beste Mittel „den Geist einer niedergeschlagnen Nation wieder aufzurichten, den Unterthanen eine zweckmäßige Denkungsart einzuflößen, und sie mit demjenigen Muth zu beleben, wobey man es unausstehlich findet, irgendwo zu unterliegen, und wobey man mit dem selbst gerechten Vertrauen erfüllt wird, alles, was man sieht, daß es andere geworden sind, werden zu können, und eines einsameren Wegs zu wandeln.“32 Westenrieder beanspruchte also eine wissenschaftlich fundierte Geschichte Bayerns, die der Aufklärung und vaterländischen Erziehung des Volkes dienen sollte. Schon in der Darstellung des Verhältnisses zwischen Franken und Bayern in der ersten Hälfte des 8. Jahrhundert wird dies deutlich, wenn er die Franken bezichtigt, sie hätten stets versucht, Bayern zur fränkischen Provinz zu machen.33 Pippin, durch Verrat „des fränkischen Throns bemächtigt, und sich König genannt“, habe den Tassilo „wider alles Recht, und wider alle Grundverfassung des baierischen Staates“ genötigt, 757 auf dem Reichstag zu Compiègne einen Treu- und Lehnseid zu schwö-
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Hubert Glaser vergleicht die Wirksamkeit von Westenrieders ,Geschichte von Baiern‘ mit Hubensteiners ,Bayerischer Geschichte‘. Hubert Glaser, Benno Hubensteiner + (Nachruf), in: HJb 107, 1987, S. 504 – 510, hier S. 506. 28 Bemerkenswert ist ein Detail im ,Abriss der baierischen Geschichte‘ von 1798 bzw. 1821/22, das sich in der ,Geschichte von Baiern‘ nicht findet, nämlich die erwähnte Meinung einiger Gelehrter, die Luitpoldinger und damit die Wittelsbacher würden von den Agilolfingern abstammen. Er gibt dies jedoch nicht explizit als seine Meinung an; vgl. Westenrieder, Abriss der baierischen Geschichte (Anm. 26), S. 124 f. (1798), S. 131 f. (1821/22). 29 Westenrieder, Geschichte (Anm. 25), Vorrede IV–VI. 30 Ebd., Vorrede VI f. 31 Ebd., Vorrede VIII f. 32 Ebd., Vorrede IX f. 33 Ebd., S. 89. Schon nach der ersten Entmachtung der Merowinger hätten sich die Baiern nicht mehr zur Unterordnung verpflichtet gefühlt und als Ziel die Befreiung vom „nachbarlichen Joch“ verfolgt; ebd., S. 94 – 96.
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ren.34 Die Heeresfolge gegen diejenigen, „welche der übermüthigen Macht, und Eroberungssucht der Franken Einhalt thun wollten“, habe die Franken noch gestärkt und die Bayern geschwächt. Daher habe Tassilo 763 das Heerlager verlassen und kam im „jugendlichen Stolz eines geprüften Helden nach seinem Vaterland Baiern zurück“, wo „Freudengeschrey“ ertönte „und ihm die Stände, von unzähligen Schaaren des Volks begleitet, entgegen giengen“. Er „habe den „abgenöthigten Eid für ungerecht und ungiltig“ und sich zum „freyen Herrn seiner Staaten [erklärt], wie es seine Vorältern, gemäß den ersten und wesentlichen Verträgen von jeher gewesen wären, und legte sich aus dem nämlichen Grund seiner geheiligten Rechte den Titul eines Königs bey“.35 Der entscheidende Punkt hier ist das Problem der Eidesleistung. Zwar folgt Westenrieder der Darstellung gemäß den Reichsannalen und zweifelt nicht daran, dass Tassilo Treue- und Lehnseide geschworen und auch nicht, dass er diese gebrochen hat. Er versieht dies aber mit moralischer Rechtfertigung unter Hinweis auf zweifelhafte Legitimation Pippins, uralte Freiheitsrechte der Bayern und gesetzlich verbriefte Herrschaftsrechte der Agilolfinger. Die Darstellung des Widersachers Tassilos bereitete Westenrieder einige Probleme, denn einerseits war Westenrieder ein großer Verehrer Karls wegen dessen Verdiensten um Kultur und Glauben, andererseits sollte Tassilo in positivem Licht erscheinen. Eine allgemeine Würdigung kombinierte er daher kritisch mit Karls bedauerlicher blinder Eroberungssucht. Überhaupt sei der Konflikt der Cousins und Jugendfreunde menschlich höchst tragisch und so malte er die Konfliktsituationen auch dramatisch aus, was wohl dem Lesepublikum geschuldet war.36 Zunächst habe sich Karl gegenüber Tassilo, der im Einklang mit den Ständen gut regiert habe und nur die „Grundfreyheiten, und die Unabhängigkeit der baierischen Oberherrschaft behauptete“, zurückgehalten, weil er noch nicht seine Übermacht für Recht habe ausgeben können. Später aber habe er seiner Gewaltpolitik nicht nur den Schein von Recht, sondern von Großmut und Milde gegeben.37 Die zeitgenössischen Bewertungen in Bezug auf die Angelegenheit Tassilos kritisierte Westenrieder scharf. Eroberer wie Karl würden „in ihrem Zeitalter fast immer bewundert, und gerechtfertigt, und die Welt läuft aus Schrecken, wie tolle Pferde, dem Sieger zu“. Der „Abgrund von Knechtschaft und Parteylichkeit […] der fränkischen Schriftsteller“ spotte jeder Beschreibung: „Man verkehrte die Namen und Bedeutungen der Dinge“ und habe „die Übermacht ein Recht, und den Sieg ein Urtheil Gottes“ ge34 Ebd., S. 105 f. Tatsächlich wäre dies das erste historisch bekannte Beispiel eines Vasalleneides eines Herzogs, auch wäre mit Tassilo erstmals ein bayrischer Herzog auf dem Hoftag erschienen; Becher, Eid (Anm. 16), S. 17. 35 Ebd., S. 106 f. Westenrieder vertritt hier die im 18. Jahrhundert verbreitete Meinung, Tassilo habe den Titel König getragen. Tatsächlich wird er in Urkunden und Synodenbeschlüssen mit Titeln und Wendungen bedacht, die königliche bzw. königsgleiche Stellung anzeigen, der Titel „rex“ selbst aber fehlt. Vgl. Lohmer, Mythos (Anm. 5), S. 198 f. 36 Ebd., S. 107 – 111, 117 – 121. Zu Westenrieders Karls-Verehrung vgl. Wittmann, Westenrieder (Anm. 26), S. 923. 37 Ebd., S. 111 f., 118. Gemeint ist die großzügig wirkende Umwandlung des Todesurteils.
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nannt, in der Folge habe man „jede gerechte Vertheidigung, womit Tassilo seine unstreitigen Landrechte suchte, seiner Seits eine strafbare Aufruhr, und einen Meineid, und hingegen die ungerechtesten Unterdrückungen des Karls einen seltenen, und unsterblichen Heldenmuth“ genannt. Dies sei von späteren Geschichtsschreibern „aus boshafter Trägheit des Herzens nachgeschrieben“ worden.38 Somit sei die spätere Beurteilung Karls und Tassilos nur von ihrem „Glück, und ihren Schicksalen“ bedingt: Was man bei Karl „hohen Regentensinn, Heldenmuth, und Beharrlichkeit“ nenne, sei bei Tassilo „strafbarer Hochmuth, Unruhe des Geistes, und unaufhörlicher Meineid“. Tassilos segensreiche Regierung dagegen sei unbestritten und er habe mehr noch als seine Vorfahren „durch kirchliche und politische Gesetze und Einrichtungen, menschlichere Sitten, und christliche Tugend und Frömmigkeit unter den Baiern“ verbreitet und durch die Christianisierung der Karantanen große Verdienste erworben.39 Das Bündnis mit den Awaren schließlich entschuldigt Westenrieder damit, dass Karl Tassilo geradezu in den Verrat getrieben habe, um ihn absetzen zu können. Arglose bayerische Grenzgrafen hätten dann ihren Herzog, der seine Bayern nicht in einem aussichtslosen Kampf habe opfern wollen, ans Messer geliefert. Karl habe beim Prozess 788 ein „Schauspiel grausamen Vergnügens“ mit der Festsetzung von Tassilos Frau und Kindern gemacht und Tassilo unter „Tyrannenlächeln“ zum Tode verurteilt, dann in scheinheiliger Großmut begnadigt.40 Tassilo habe sich fromm ergeben in sein Schicksal gefügt, während Karl nach Tyrannenart keine Ruhe gefunden und ihn noch einmal herbeigerufen habe. So sei Tassilo 794 in seiner Erniedrigung erhaben vor den Franken gestanden, die „ewige Zeugen des Unrechts seyn sollten, zwischen Zeiten und Zeiten“. Ohne Klage habe er auf die angestammten Rechte der Agilolfinger verzichtet und sei aus der Geschichte verschwunden, niemand wisse „seine geheiligte Ruhestätte“, noch die seiner Kinder: „Unter wehenden Schilfen, und dem Schutt gesunkener Gewölber ruhen sie, vom Auge Gottes bewacht.“41 Damit dreht Westenrieder die Rollenverteilung im Konflikt auch durch Kritik an den Quellen um und bezichtigt die Annalisten und späteren Geschichtsschreiber unterwürfiger Parteilichkeit. Die Verklärung des Büßers Tassilo entspricht dabei ganz der älteren klösterlichen Memoria und wurde durch Westenrieder tradiert. Mit der Betonung der Kulturleistungen Tassilos und der unlauteren Machenschaften Karls wird der bislang verräterische Tassilo zum unglücklichen Herzog stilisiert. Westenrieders gemäßigt aufgeklärte, patriotische Grundhaltung spiegelt sich so im Bild des guten Landesfürsten, der mit den Ständen regiert und sich um Bildung, Glaube und Kultur bemüht habe. Trotz manch falscher Angaben, wie Tassilos angeblicher Beteiligung am Langobardenfeldzug Karls 773/774,42 liegt in wissenschaftlichem An38
Ebd., S. 122 f. Ebd., S. 127 f. 40 Ebd., S. 123 – 126. 41 Ebd., S. 128 – 131. 42 Ebd., S. 117. Tassilo hat offenbar nicht am Krieg gegen seinen Schwiegervater Desiderius teilgenommen, aber auch nicht zu dessen Gunsten eingegriffen. 39
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spruch und kritischer Quellenbewertung bei zugleich eindeutig gesellschaftlich-politischer Wirkungsabsicht die Bedeutung Westenrieders. Seine Bewertung als bedeutendster bayerischer Geschichtsschreiber seit Aventin beruht auch auf seinem weit in das 19. Jahrhundert hinein wirkenden Einfluss, der in der weiten Verbreitung, didaktischen Zielsetzung und guten Lesbarkeit seiner Werke gründet.43 Erst Riezler löste mit einer neuen, in der Methodik wissenschaftlicheren Darstellung Westenrieder ab. Bezeichnenderweise bevorzugten patriotisch gesinnte Lokalhistoriker noch in den 1880er Jahren die Wertung Westenrieders, auch wenn sie Riezler in der wissenschaftlichen Analyse folgen mussten.44 Zwischen Westenrieders und Riezlers Darstellungen liegt fast ein ganzes Jahrhundert, in dem sich die Rahmenbedingungen stark verändert hatten. Trotz Förderung durch das Königshaus war die bayerische Geschichtswissenschaft durch das Vorherrschen kleindeutsch-liberal gesinnter Historiker in München ins Hintertreffen geraten. Die 1878 angedachte Einrichtung eines Lehrstuhls für bayerische Landesgeschichte scheiterte.45 Im gleichen Jahr erschien jedoch der erste Band von Riezlers ,Geschichte Baierns‘, der die Zeit vom Frühmittelalter bis 1180 behandelt. Die achtbändige, bis ins 18. Jahrhundert reichende Gesamtdarstellung mit akribischer Quellenforschung stellte die bayerische Historiographie auf eine neue Grundlage. Politisch war Riezler, erster Inhaber des 1898 begründeten Münchner Lehrstuhls für Bayerische Landesgeschichte, kein Vertreter eines Partikularismus, sondern sah die Reichsgründung als „Erfüllung auch der bayerischen Geschichte“ an.46 Doch betonte er, es zeige sich trotz der vermutlich freiwilligen Unterordnung im 6. Jahrhundert schon jener „Gegensatz zwischen der nationalen und der Stammes-Einheit, der vornehmlich die deutsche Geschichte bewegt, auch für die Baiern gleich beim Be43
Spindler, Geschichte (Anm. 14), S. 102 – 104; Kraus, Jahrhundert (Anm. 10), S. 245. Ein Beispiel für Westenrieders Wirksamkeit findet sich in „Geschichte der Stadt Dingolfing“ (1856) von Joseph Eberl, der völlig Westenrieder folgt, die Königserhebung 1806 als Wiedererlangung der entrissenen Souveränität interpretiert und zudem das fromme Ende und das unbekannte Grab Tassilos hervorhebt und dazu Westenrieder zitiert, Joseph Eberl, Geschichte der Stadt Dingolfing und ihrer Umgebung, Freising 1856, S. 39 f. 44 So der Lokalhistoriker Joseph Sixt, der zwar Riezler folgt, aber zu dessen Tassilo-Bild meinte, dies sei „das strengste Urtheil, das ein vaterländischer Geschichtsschreiber bisher über Thassilo II. fällte. Schuld und Unglück reichen sich die Hand, und die nie ersterbende Liebe für seine und des Volkes Freiheit lässt sein Fehlen in milderem Licht erscheinen; sein und seines Hauses erschütterndes Ende versöhnt die Welt mit ihm.“ Joseph Sixt, Der Amtsbezirk Dingolfing. Topographisch-historisch-ethnographisch-statistische Beschreibung. Beilage zur Isar-Zeitung 1883 – 1887, Dingolfing 1888, S. 191 – 193. 45 Katharina Weigand, Der Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte an der Universität München und sein erster Inhaber Sigmund von Riezler, in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für bayerische Landesgeschichte, 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1998, S. 307 – 350, hier S. 307 – 320; Spindler, Geschichte (Anm. 14), S. 109 – 112. 46 Karl-Ludwig Ay, Sigmund von Riezler – seine Geschichte Baierns als Dokument seiner Entwicklung, in: ZBLG 40, 1977, S. 501 – 514; Spindler, Geschichte (Anm. 14), S.112 f., Kraus, Jahrhundert (Anm. 10), S. 248 f., 251; Weigand, Lehrstuhl (Anm. 45), S. 327.
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ginne ihres Auftretens […], und im ganzen Verlauf ihrer Geschichte ist er für sie von der höchsten Bedeutung geblieben“.47 Tassilo habe seine Einsetzung allein Pippin zu verdanken und dieser habe ihm zwar die Anerkennung seiner Hoheit aufgezwungen, aber auch für die herzogliche Macht gesorgt, indem er ihre Befugnisse für geordnete Rechtspflege und kriegerische Zucht feststellte.48 Nachdem Tassilo zu Compiègne 757 die „dem Kinde auferlegte Abhängigkeit vom Frankenreiche als zu Recht bestehend“ anerkannt habe, sei er zwar „das Haupt der heimischen Rechtspflege und Verwaltung“ geworden, aber „in allen Dingen der äußeren Politik war Baiern eine fränkische Provinz wie vordem.“49 Für Riezler waren also die übergeordnete Stellung des Frankenreichs und die Eidesleistung völlig gerechtfertigt, ja positiv zu bewerten. 763 habe dann Tassilo zu einem günstigen Zeitpunkt in „offener Empörung“ das Heerlager verlassen und in der Folge habe sich Bayern, „dieses störrische Glied des Reiches“, achtzehn Jahre lang völliger Selbständigkeit erfreut, wobei „der herzoglichen Macht die strammen Gesetze zugute [kamen], durch welche Pippin die fränkische Monarchie zu stärken gedacht“. Als zutreffend bewertete Riezler den Vergleich mit der Abschüttelung des Jochs Napoleons durch die Mitglieder des Rheinbunds, die „sich nun durch ihn mit höherer Gewalt bekleidet sahen, als sie je vordem besessen. Nach dem Vorbild der Merowingerkönige nannte sich Tassilo vir inluster, seine Herrschaft heißt und ist regnare, und auf eigene Hand führt er Krieg mit den Nachbarn.“50 Die Assoziation der königsgleichen Stellung Tassilos mit der Souveränität des Königreichs Bayern kehrt hier unter anderen Vorzeichen wieder. Riezler lobt Tassilos Kultivierung und Urbarmachung des Landes durch Klostergründungen und insbesondere den christianisierenden und germanisierenden Vorstoß gegen die Karantanen, „denn hier galt der Gewinn nicht nur Baiern, sondern dem deutschen und christlichen Wesen, als deren siegreicher Vorkämpfer der bairische Stamm auftrat“. Auf die einzigartigen bayerischen Synoden als Beweis der Selbständigkeit wies er besonders hin.51 Nach Karls Siegen über die Sachsen seien die Bayern der einzige deutsche Stamm gewesen, „der seinem gewaltigen Weltreiche noch nicht eingefügt war. Seine Sonderstellung stimmte schlecht zu den Plänen des Königs“.52 Tassilo habe die jahrelang nicht beachteten Eide 781 erneuern und 47
Riezler, Geschichte Baierns (Anm. 4), S. 71 f. Vgl. Riezler, Geschichte Baierns (Anm. 4), S. 117: „Eine mächtige Monarchie macht an das kleinere Staatswesen, das in ihren Kreis tritt, strengere Forderungen geltend, ohne doch dessen heimische Institutionen gänzlich zu beseitigen oder sie durchaus nach fränkischem Schnitt umzuformiren.“ Der Bezug zur Reichsgründung ist unübersehbar. 49 Ebd., S. 152. 50 Ebd., S. 152 – 154. 51 Ebd., S. 154 – 158. Darüber hinaus zu Christentum, Kirche, Recht und Kultur ebd., S. 70 – 151. 52 Ebd., S. 163. Laut Kraus habe Riezler den Satz „Seine Sonderstellung stimmte schlecht zu den Plänen des Königs“ erst in der zweiten Auflage 1927 nach Erfahrung von Weltkrieg, Revolution und Weimarer Republik und als Zugeständnis an Doeberl eingefügt, was aber nicht stimmt, vgl. Kraus, Jahrhundert (Anm. 10), S. 254. 48
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787 schließlich in völliger Unterwerfung sich der „geschichtlichen Nothwendigkeit“ beugen müssen.53 Doch die Rechtmäßigkeit des Prozesses von 788 bezweifelte auch Riezler unter Hinweis auf Giesebrechts Einschätzung der Reichsannalen: „Für die letzte Katastrophe sind wir auf einseitige Berichte angewiesen, die dem Geschichtsschreiber nicht besser dienen als dem Richter.“ Diese wichtigste Quelle trüge „nicht nur gerade officiellen Character, sondern ist sogar wahrscheinlich in der besonderen Absicht verfasst, Karls Vorgehen gegen Tassilo zu rechtfertigen“. An Tassilos Bündnis mit dem „Erbfeind“, den Awaren, bestehe zwar kaum ein Zweifel.54 Aus Mangel an Beweisen habe man aber in „durchaus willkürlichem Verfahren“ auf den harisliz von 763 zurückgreifen müssen. Die Vorladung 794 zeige, dass Karl sich wohl nicht ganz im Recht gefühlt habe.55 Trotzdem ist Riezlers letzte Einschätzung vernichtend: Tassilos Verdienste lägen „in seinen Klostergründungen, Colonisationen und Siegen über die heidnischen Slaven. Dort mag er sich jene Überhebung der eigenen Kraft geholt haben, die ihm gegenüber den Franken zum Verderben ward.“ Innere Zwiespältigkeit habe kühnes Vorgehen mit Feinden Karls verhindert, der Widerstand sei zur Unzeit gekommen „und ruhmlos, vom Volke verlassen, befleckt mit dem Makel des Eidbrüchigen und dem Verdachte des Landesverraths verfällt er dem Untergang“.56 Vor dem Hintergrund von Riezlers zeitgebundener positiver Bewertung der Reichsgewalt erscheint Tassilo so nicht als Westenrieders unglücklicher Herzog, sondern als unfähiger und glückloser Herrscher, der sich der geschichtlichen Notwendigkeit der Reichsunterordnung beugen muss.57 Obwohl Riezler die Parteilichkeit der fränkischen Annalisten vor allem für den Prozess thematisierte, zweifelte er nicht so wie Westenrieder an deren grundsätzlich richtigen Wiedergabe der vorhergehenden Ereignisse. Einen entscheidenden Zusatz, der die Interpretation der bayerischen Geschichte bis heute bestimmt, machte Riezler in der zweiten, neu bearbeiteten Auflage von 1927: Tassilo sei eine typische Erscheinung „durch Züge, welche der ganzen bairischen Geschichte die charakteristische Färbung geben: das ununterbrochene Aufeinanderwirken von Kirche und Staat und den stätigen Gegensatz zwischen Stammesgefühl und Reichseinheit.“58 Diese Einordnung ist ebenso zeitgemäß angepasst an
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Ebd., S. 163 – 167. Ebd., S. 168 – 170. Anstifterin sei seine Frau, „Liutburg die Langobardin war sein böser Dämon.“ Ebd., S. 168. 55 Ebd., S. 169 – 171. 56 Ebd., S. 170 f. 57 Ay, Riezler (Anm. 46), S. 510 f.; vgl. insgesamt auch Riezlers ADB-Artikel: Sigmund von Riezler, Tassilo III., in: ADB (1894), Onlinefassung, URL: https://www.deutsche-biogra phie.de/pnd118801414.html; zuletzt abgerufen 17. 03. 2023. 58 Riezler, Geschichte Baierns (1927, Anm. 6), S. 324; Ay, Riezler (Anm. 46), S. 510 f. Dieser Zusatz ist laut Kraus Doeberls Einfluss sowie Riezlers traumatischen Erfahrungen in Weltkrieg, Revolution und Weimarer Republik geschuldet; Kraus, Jahrhundert (Anm. 10), S. 252 ff. 54
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die frühere Situation Bayerns wie für die in der Weimarer Republik neue Situation nach dem Ende sowohl des bayerischen Königtums wie des Deutschen Kaiserreichs. Mit dieser Situation war auch Riezlers Nachfolger Doeberl auf dem Lehrstuhl für Bayerische Geschichte konfrontiert. Ohne das Reich völlig abzulehnen, war Doeberl ein starker Verfechter der bayerischen Eigenrechte und scheute nicht, sich politisch zu äußern und zu engagieren.59 Doch nicht nur die persönliche Einstellung, sondern auch der zeithistorische politische Hintergrund unterscheidet Doeberls Darstellung von derjenigen Riezlers.60 Doeberl schrieb zudem seine erfolgreiche und auflagenstarke ,Entwickelungsgeschichte Baierns‘, darin Westenrieder ähnlich, auf offiziellen Auftrag. Der erste Band des Handbuchs mit breitenwirksamer Zielsetzung für den „Unterricht in der vaterländischen Geschichte“ erschien bereits 1906. Darin wollte er eine „Geschichte der deutschen Entwickelung auf dem Boden des engeren Vaterlandes“ darstellen, wozu „Bayern mit seiner 1400jährigen Kontinuität mehr als irgend ein anderer deutscher Staat geeignet“ sei.61 Auch Doeberl war es wichtig, zu betonen, dass die Unterordnung der Bayern wohl auf „friedlichem, vertragsmäßigem Wege“ geschehen sei. Das Herzogtum der Agilolfinger sah er im Gegensatz zu Riezler als „Modifikation eines vorfränkischen Volkskönigtums“ und nicht als fränkisch eingesetztes Amtsherzogtum.62 Zu Compiègne 757, wo er als erster bayerischer Herzog überhaupt erschienen sei, habe Tassilo „Vasall des Frankenkönigs“ werden müssen – laut den Reichsannalen, die später auch vom Prozess berichteten. Daher sei anzunehmen, „daß der offizielle Berichterstatter des tassilonischen Prozesses die Verpflichtungen Tassilos vom Jahr 757 möglichst groß darstellte um den Treubruch von 763 in möglichst schlimmem Lichte erscheinen zu lassen“.63 Damit wird bei Doeberl erstmals in einem großen Geschichtswerk die Frage aufgeworfen, ob Tassilo wirklich 757 zum Vasallen – ein außerhalb der wissenschaftlichen Terminologie zeitgenössisch durchaus negativ konnotierter Begriff64 – wurde. Dennoch weist er die Forschungsmeinung zurück, Tassilo habe 59 Kraus, Jahrhundert (Anm. 10), S. 252 f.; Max Spindler, Der bayerische Historiker Michael Doeberl 1861 – 1928, in: Ders., Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayerischen Geschichte, hg. von Andreas Kraus, München 1966, S. 118 – 126; Ferdinand Kramer, Der Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte von 1917 bis 1977, in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für bayerische Landesgeschichte, 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1998, S. 351 – 406, hier S. 360 f. 60 Vgl. Karl Möckl, Die Prinzregentenzeit. Gesellschaft und Politik während der Ära des Prinzregenten Luitpold in Bayern, München 1972, S. 352 – 364, 377 – 381. 61 Michael Doeberl, Entwickelungsgeschichte Bayerns Bd. I. Von den ältesten Zeiten bis zum westfälischen Frieden, 2. Auflage München 1908, Vorwort zur ersten Auflage 1903, III–V. Vgl. Kramer, Lehrstuhl (Anm. 59), S. 356 – 358. 62 Doeberl, Entwickelungsgeschichte (Anm. 61), S. 27 – 29. 63 Ebd., S. 33 f. 64 Hier wäre für negative Assoziationen auf die „Vasallenrede“ des Kronprinzen Ludwig zu verweisen, nach der die Bayern eben keine Vasallen des Kaisers seien; vgl. Möckl, Prinzregentenzeit (Anm. 60), S. 393 – 397.
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nur einen Treueid geschworen, „der erst durch spätere karolingische Umbildung der Berichte zum Vasalleneid stilisiert wurde“, wie man aus dem Charakter der Darstellung geschlossen habe. Er betont aber, die Vasallität von 757 habe keine weitergehenden Verpflichtungen außer Treue und Heerfolge mit sich gebracht und das Herzogtum Bayern auch nicht zum Lehen gemacht, jedoch Tassilo bindendem Recht unterworfen.65 Doeberl entschuldigt Tassilo nicht nur damit, dass dieser „und seine Bayern […] längst ungehalten [waren] über die Heeresfolge nach den entferntesten Gebieten des Frankenreichs; die militärische Aufgabe der Bayern lag auf einem anderen Schauplatze, im Südosten, gegenüber Slaven und Avaren. Es war ein ähnlicher Interessengegensatz wie nachmals zwischen Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen.“ Der günstige Zeitpunkt des Abfalls und die Verbindung mit den Langobarden habe Karl 769 zu einer „stillschweigenden Anerkennung der bayerischen Selbständigkeit“ gezwungen.66 Unter der „tüchtigen Regierung Tassilos“ habe das Land eine Blüte erreicht; „namentlich das kirchliche Leben und im Zusammenhang damit die Segnungen der Zivilisation erstarkten in dieser Zeit“.67 Durch Unterwerfung und Christianisierung Karantaniens „bereitete Tassilo gerade in dieser Zeit seiner Selbständigkeit den Boden vor für die schönste Aufgabe des bayerischen Stammes, seine kolonisierende und germanisierende Tätigkeit, und eröffnete damit dem bayerischen Stamme den geschichtlichen Weg nach Osten“.68 Überhaupt habe Tassilo Grundlagen in Kirche, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gelegt, die sich teils bis zur Gegenwart gehalten hätten.69 Zudem fragte Doeberl, „ob das Urteil über die Schuld Tassilos an seinem Verhängnis ein gerechtes ist“.70 Die faktische Unabhängigkeit seit 763 habe nur der besonderen Konstellation wegen bestehen können, da Bayern zu klein gewesen sei, um mit dem Franken zum Nachbarn, aber nicht zum Freund, selbständig zu bleiben. Karl sei nicht nur alten Traditionen „treu geblieben, in ihm hat – modern ausgedrückt – der karolingische Imperialismus seinen festesten und folgerichtigsten Vertreter gefun65 Ebd., S. 34. Zweifel am Charakter des Eides gab es auch zuvor, so bei Friedrich Eberl 1881: Der Annalist suche „mit Absicht die Verpflichtung Tassilos so groß als nur denkbar zu machen, um später den Wortbruch desselben um so empörender erscheinen lassen zu können“. Daher sei möglich, dass „in der näheren Beschreibung der Eidesleistung eine Umbildung des Aktes nach späterer karolingischer Zeit“ vorliege, was erlaube „Roth beizustimmen, der Tassilo hier blos einen Treueid schwören lässt“. Eberl glaubt jedoch wie Doeberl an eine Form des Vasalleneids; Friedrich Eberl, Studien zur Geschichte der zwei letzten Agilulfinger, in: Jahresbericht der königlichen Studienanstalt zu Neuburg a. d. D. 1880/81, Neuburg a. d. D. 1881, S. 1 – 67. S. 37 f. Vgl. Paul Roth, Geschichte des Beneficialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert, Erlangen 1850, S. 382. 66 Doeberl, Entwickelungsgeschichte (Anm. 61), S. 34 f. 67 Ebd., S. 35. 68 Ebd., S. 36. 69 Ebd., S. 71. 70 Ebd., S. 72.
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den“ und die Rückgewinnung Bayerns sei aus dieser Sicht berechtigt gewesen.71 Der Prozess 788 aber errege „die schwersten Bedenken. Nicht der Herzog erscheint als der Dränger, der durch sein Verhalten die Katastrophe heraufbeschwört, sondern der König, der den Herzog beseitigen will; die königlichen Vasallen in Bayern sind die Werkzeuge in fränkischen Diensten.“ Der Rückgriff auf den harisliz von 763 erhöhe noch den „Eindruck der Mache“.72 Obwohl sich Bayern selbst am Sturz ihres Herzogs beteiligt hätten, betont Doeberl die Memoria-Tradition im Volk und in den Klöstern.73 Tassilo verdiene „nicht weniger unsere Achtung als der Sachse Widukind“. Seine Unbeständigkeit sei „nicht einem schwankenden Charakter zuzuschreiben, sondern einer unseligen Verkettung der Verhältnisse“. Die historische Verurteilung gehe auf die Reichsannalen als „bestellte Arbeit“ zurück, welche „von Anfang bis zu Ende die Tendenz verfolgen die Handlungsweise des Frankenkönigs zu rechtfertigen“. Tassilo sei wohl nicht ganz unschuldig gewesen, aber „der letzte Grund seines Verhängnisses lag nicht in seiner Schuld, sondern in dem Bestand des bayerischen Herzogtums“. Sein Schicksal sei wirklich eine Tragödie, denn er sei nicht mangelnder Herrscherbefähigung erlegen, wie die Erfolge in der inneren Verwaltung und gegen die Slawen zeigten, sondern wie so viele „den Mitteln eines überlegenen Weltreiches, dem Willen einer alle Zeitgenossen überragenden und erdrückenden Persönlichkeit“, die noch „Spuren altgermanischer Barbarei“ zeige. Zwar habe Karl alle westgermanischen Stämme des späteren römisch-deutschen Reiches vereint, aber es habe noch keine Nationalitätsidee gegeben und Karl habe daher kein Nationalreich, sondern ein nur durch das Christentum verbundenes Weltreich geschaffen.74 Doeberl stellt das Tassilo-Bild teils auf neue Grundlagen, teils kehrt er auf alte Positionen zurück. Die von Westenrieder angestoßene Kritik der fränkischen Quellen führt er weiter und weist auch auf die Zweifel an den entscheidenden Eiden von 757 hin. Damit werden erstmals nicht nur der Prozess 788 in Frage gestellt, sondern auch die vorhergehenden Ereignisse. Während Doeberl wie Riezler den Konflikt zwischen Stammesherrschaft und Zentralgewalt als Grundlinie der bayerischen Geschichte interpretiert, relativiert er die Reichsidee, deren geschichtliche Notwendigkeit Riezler betont. Jedoch erscheint auch ihm die bayerische Selbständigkeit in den sich verfestigenden Machtstrukturen des Karolingerreiches nur mehr als glückliches Intermezzo. Eine persönliche Schuld an seinem Untergang kann Tassilo, der somit wieder zum unglücklichen Herzog wird, angesichts der Strukturen seiner Zeit nicht angelastet werden. Dagegen betont er Tassilos Verdienste um Christentum und deutsche Kultur und besonders die innere Entwicklung Bayerns. Diese Darstellung eines für die inneren Verhältnisse Bayerns segensreichen Herrschers, der so gut wie unverschuldet ein tragisches Ende nimmt, ähnelt dem Tassilo-Bild Westenrieders, auch wenn es ohne christliche Verklärung und Dramatisierung auskommt. Als positives Bild stellte 71
Ebd., S. 72 f. Ebd., S. 76. 73 Ebd., S. 77. 74 Ebd., S. 82. 72
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es ein Identifikationsangebot dar, das von den Bayern, die dem Deutschen Reich und später der Weimarer Republik skeptisch gegenüberstanden, wohl gerne angenommen wurde. Das von Spindler begründete ,Handbuch der bayerischen Geschichte‘, laut Kraus die nächste entscheidende Station der bayerischen Historiographie und aus Riezlers und Doeberls Werken hervorgegangen, besitzt doch eine andere Qualität als diese.75 Die Form des interdisziplinär angelegten Handbuchs mit Beiträgen von verschiedenen Experten ist nicht mit den älteren Gesamtdarstellungen zu vergleichen. Finden sich bei Riezler und Doeberl noch deutlich von persönlichen politischen Ansichten geprägte Urteile, so lässt sich dies für die von Kurt Reindel verfassten betreffenden Abschnitte in den ersten beiden Ausgaben des jeweils ersten Bands der Reihe Handbuch der bayerischen Geschichte (1967/1981) kaum sagen.76 Der zeithistorische Hintergrund hatte sich wiederum gewandelt: Obwohl der zentralistische Reichsgedanke durch das Dritte Reich diskreditiert worden war und gerade die Landesgeschichte nach 1945 als unverdächtige Heimatgeschichte einen Anknüpfungspunkt lieferte, bot die gefestigte Bundesrepublik bei allem bayerischen Eigenbewusstsein im Rahmen des Föderalismus nicht so großes Konfliktpotential. Nichtsdestotrotz manifestierte sich der auch durch Sonderbewusstsein beförderte Aufschwung der bayerischen Landesgeschichte in dem neuen, wegweisend wissenschaftlich und breit angelegten ,Handbuch der bayerischen Geschichte‘ Spindlers.77 In der ersten Ausgabe von 1967 folgt Reindel den Reichsannalen. Tassilo sei von Beginn an abhängig von Pippin gewesen. Nur in der Fußnote weist Reindel darauf hin, dass nicht sicher sei, ob es zu diesem Zeitpunkt schon eine lehensrechtliche Bindung gab. 757 habe Tassilo dann den Lehnseid geleistet. Dieser habe seine Herrschaft nicht begründet, die Abhängigkeit vom Frankenreich aber auf eine neue Grundlage gestellt. Hier folgt Reindel Doeberls Einschätzung, erwähnt jedoch nicht die schon einmal diskutierten Zweifel an der von den Reichsannalen behaupteten Qualität des-
75 Hier komme die „wissenschaftliche Tradition Riezlers wie Doeberls gleichermaßen zur Geltung“, Kraus, Jahrhundert (Anm. 10), S. 258 f. 76 Kurt Reindel, Politische Geschichte vom Ausgang des 6. Jahrhunderts bis zum Ausgang der Agilolfingerzeit, in: Max Spindler (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte Bd. I, München 1967, S. 114 – 133; ders., Politische Geschichte vom Ausgang des 6. Jahrhunderts bis zum Ausgang der Agilolfingerzeit, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte Bd. I, München 1981, S. 151 – 176. 77 Sein Konzept der unbelasteten Heimatgeschichte als Landesgeschichte stellte Spindler in einem Vortrag von 1946 dar; Max Spindler, Die Grundlagen der Kulturentwicklung in Bayern, in: ders., Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayerischen Geschichte, hrsg. von Andreas Kraus, München 1966, S. 3 – 23. Zu Spindlers geschichtspolitischen Ansätzen und seinem Selbstverständnis als Historiker vgl. Kramer, Lehrstuhl (Anm. 61), S. 382 – 390; Karl Böck, Der politische Auftrag des Historikers. Das historiographische Grundanliegen Max Spindlers, in: ZBLG 58, 1995, S. 3 – 10; Ulla-Britta Vollhardt, Staatliche Heimatpolitik und Heimatdiskurse in Bayern 1945 – 1970. Identitätsstiftung zwischen Tradition und Modernisierung, München 2008, S. 69 – 90.
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selben als vasallitischen Eides.78 763 habe Tassilo durch seinen Abzug das Lehensverhältnis einseitig gelöst.79 Dieses Herausstreben finde „Erklärung und Rechtfertigung darin, daß Bayern mit dem Westen und Norden kaum verbunden war“, da seine politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und kirchlich-missionarischen Interessen sowie „seine geschichtlichen Aufgaben im Süden und Osten lagen“. Dort sei mit dem Karantanensieg 772 ja auch eine wesentliche Erweiterung gelungen.80 Reindel sucht also wie seine Vorgänger nicht nur eine Erklärung, sondern eine Rechtfertigung des Eidbruchs, dessen Tatbestand er nicht anzweifelt. Als Erklärung dienen geographisch-machtpolitisch bedingte Eigeninteressen, die zwar verklärt werden, jedoch ohne dass nach Diskreditierung durch die NS-Ideologie noch von Germanisierung die Rede ist wie bei Riezler und Doeberl. Die Awaren hätten sich eher als Feinde der Franken denn der Bayern erwiesen und Tassilo sei es „offenbar sogar gelungen, auf dem Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit Karl dem Großen mit den Awaren ein Bündnis zu schließen“.81 Vom heidnischen oder slawischen Erbfeind ist nicht mehr die Rede, vielmehr wird das angebliche Bündnis als normales politisches Mittel dargestellt. Mit einem erneuten Lehnseid habe sich Tassilo 787 aber endgültig beugen müssen, „da sein Adel ihm die Gefolgschaft versagte, die vasallitische Bindung an den Frankenkönig also offenbar für höher erachtete als die landrechtliche an den Bayernherzog“. Nun sei Bayern „ein Lehen des fränkischen Königs“ gewesen.82 Nach der fränkischen Berichterstattung sei Tassilo 788 in allen erhobenen Anklagepunkten überführt worden, dennoch habe man für das Todesurteil auf die Heeresflucht 763 zurückgreifen müssen. Das Todesurteil habe zwingend ergehen müssen, um die gesetzlich verankerten Herrschaftsrechte der Agilolfinger aushebeln zu können, die Vollstreckung sei dagegen nicht mehr erforderlich gewesen.83 Hier weist Reindel implizit erstmals auf vermehrte Fragwürdigkeit der fränkischen Berichte hin, so den bereits 1928 vorgebrachten entscheidenden Hinweis Eugen Rosenstocks auf die unbedingte Erforderlichkeit eines Todesurteils, um die Herrschaft der Agilolfinger zu beenden.84 Die ebenfalls von Reindel verfassten Abschnitte in der Neubearbeitung von 1981 unterscheiden sich kaum. Zum Lehenseid 757 merkt er nun aber direkt an, dass dieser jüngst angezweifelt werde. Der Historiker Peter Classen nehme „mit guten Gründen“ eine echte vasallitische Bindung Tassilos erst 787 an, der Eid 757 sei „erst in der spä-
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Reindel, Politische Geschichte (1967, Anm. 78), S. 127. Ebd., S. 128. 80 Ebd., S. 129. 81 Ebd., S. 130. 82 Ebd., S. 132. 83 Ebd., S. 132 f. 84 Reindel weist darauf in der Fußnote hin, ebd. S. 133. Vgl. Eugen Rosenstock, Unser Volksname Deutsch und die Aufhebung des Herzogtums Bayern, in: Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde 29, 1928, S. 1 – 66, hier S. 33 – 35. 79
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teren Redaktion der Reichsannalen zum Lehenseid umstilisiert worden“.85 Die Rückkehr dieser schon im 19. Jahrhundert vertretenen Auffassung, die Doeberl zumindest noch diskutiert hatte, bildete nun eine neue Grundlage. Die Reichsannalen werden damit immer mehr in Zweifel gezogen und Tassilo mag vielleicht einen Eid gebrochen haben, regelrechter Vasall wäre er aber erst kurz vor seinem Sturz gewesen.86 Reindel stellt somit einen historischen Machtkampf dar, ohne dass eine Apologie des Reiches oder der bayerischen Sonderstellung erfolgt, wie sie bei allen Vorgängern zumindest anklingt. Für das Tassilo-Bild bedeutet dies in der ersten Auflage eine Tradierung der Ereignisse nach den Reichsannalen, allerdings neutral und nicht moralisch wertend. In der zweiten Auflage beginnt sich das Bild mit dem Hinweis auf durchaus nicht neue Zweifel zu wandeln. Eine durchgehend kritische Betrachtung der Reichsannalen hat schließlich 1993 Matthias Becher etabliert.87 Sein Vergleich dieser mit sämtlichen anderen Überlieferungen der Zeit führt über bestehende Zweifel an den Reichsannalen hinaus zu dem Schluss, dass alle Ereignisse, die nur in diesen erwähnt werden, nicht für die Ereignisgeschichtsschreibung zuverlässig seien. Die Einsetzung Tassilos durch Pippin 748, das Schwören jeglichen Eides 757 (nicht nur das angebliche Schwören des Lehnseides!) und auch ein harisliz 763 haben damit höchstwahrscheinlich niemals stattgefunden.88 Vielmehr habe man die Reichsannalen nach Karls Bedürfnissen konstruiert, wobei man „keinerlei Rücksicht auf reale Verhältnisse zu nehmen brauchte“.89 Somit wurde die Absetzung Tassilos im Nachhinein als Exempel statuiert, wie mit denjenigen verfahren würde, die sich ihrer Verpflichtung durch Treueidleistung widersetzen.90 Dieser klaren Einschätzung folgt auch Roman Deutinger in der dritten und jüngsten Auflage des ,Handbuchs der Bayerischen Geschichte‘ aus dem Jahr 2017: Auf85 Reindel, Politische Geschichte (1981, Anm. 76), S. 167. Reindel verweist in der Fußnote neben Classens Aufsatz von 1978 auf Lothar Kolmers damals noch nicht veröffentlichten ZBLG-Aufsatz; vgl. Peter Classen, Bayern und die politischen Mächte im Zeitalter Karls des Großen und Tassilos III., in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs, Erg.Band 2, 1978, S. 169 – 187; Lothar Kolmer, Zur Kommendation und Absetzung Tassilos III., in: ZBLG 43, 1980, S. 291 – 327, hier S. 292 – 306, 313 – 316. 86 Entscheidend ist Classens Einschätzung, dass nur durch Umstilisierung zum vasallitischen Lehnseid in erst seit den späten 780ern üblichen Formen das Verlassen des Heeres 763 als todeswürdiges Verbrechen habe gelten können. Rechtsgeschichtlich sei dies bedeutend, da so Tassilo erst 787 „als erster aus fürstlicher Stellung zum Verknechtungsritus der Vasallität herabsteigen“ musste; Classen, Bayern (Anm. 85), S. 181 – 184. 87 Becher, Eid (Anm. 16); ders., Sturz Tassilos (Anm. 15). 88 Becher, Eid (Anm. 16), S. 11 – 77. 89 Ebd., S. 77. 90 Ebd., S. 76 f. Diese Ansicht übernimmt Wilhelm Störmer in der populären Reihe ,Beck Wissen‘: In den Reichsannalen als „Anklagematerial“ würden „Verfassungselemente, die Karl mit seinen Ratgebern erst um 788 entwickelt hat, um sein Großreich zu festigen, rückwirkend auf den politischen Lebenslauf des jungen Tassilo angewendet“ und ob Tassilo 757 Vassalleneid und weitere Eide geleistet habe, sei höchst unwahrscheinlich; vgl. Wilhelm Störmer, Die Bajuwaren. Von der Völkerwanderung bis Tassilo III., München 2002, S. 92.
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grund der von fränkischer Seite verfassten Reichsannalen sei die historische Wirklichkeit „zweifellos vielschichtiger“ als mit der einseitigen und mangelnden Quellenlage nachvollziehbar; zudem habe Karl Tassilo „jahrelang gewähren lassen, ehe er gegen ihn vorging. Man wird die Schuld an dem Zerwürfnis also nicht allein bei Tassilo suchen dürfen“.91 Die in den Reichsannalen behauptete, durch Eid begründete vasallitische Abhängigkeit von Beginn an scheine sehr unwahrscheinlich, jedoch sei es 763 wohl zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Zerwürfnis mit Pippin gekommen.92 Die weitere Entwicklung hin zum Konflikt mit Karl sei unklar, „will man nicht wie die fränkischen Berichterstatter allein Tassilos schlechten Charakter dafür verantwortlich machen“.93 Im politischen „Schauprozess“ mit Klostereinweisung der gesamten Familie sei es um die „endgültige Abschaffung eines eigenständigen bayerischen Herzogtums“ gegangen.94 Erst durch nachdrückliches Hinterfragen der fränkischen Quellen im Lauf des 20. Jahrhunderts sei eine „abgewogenere Beurteilung“ erreicht worden: Tassilo sei „in erster Linie um die politische Autonomie seines Landes bemüht“ und fast so „selbständig […] wie kein anderer Bayernherzog vor ihm“ gewesen, bis er als letzter „Provinzfürst traditionellen Typs“ der karolingischen Herrschaftskonzeption zum Opfer gefallen sei.95 Mit dieser umfassend kritischen Einschätzung der Reichsannalen erscheinen Aussagen über konkrete Ereignisse fast unmöglich. Einzig sicher ist die schon damals nicht ganz rechtmäßig empfundene Absetzung des seit 787 durch Vasallität gebundenen bayerischen Herzogs, denn sonst wäre der erneute Verzicht Tassilos auf seine Rechte im Jahr 794 nicht nötig gewesen.96 Die Reichsannalen entsprachen jedenfalls einem Karls Herrschaft legitimierenden Geschichtsbewusstsein. Dass Tassilos Darstellung immer von zeitgebundenen Umständen und Interessen beeinflusst wird, überrascht nicht, denn schon die fränkische Quellenüberlieferung ist davon bestimmt. Die eigentliche Überraschung ist der kritische Ansatz und Einfluss des ersten großen Apologeten Lorenz von Westenrieder. Tassilo erscheint bei ihm als der ideale Landesfürst, der im Einklang mit seinem Volk segensreich regiert und als Opfer des gewalttätigen Frankenkönigs ein tragisches, aber frommes Ende findet. Dass Tassilo 91 Roman Deutinger, IV. Das Zeitalter der Agilolfinger f) Herzog Tassilo III., in: Alois Schmid (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, begr. von Max Spindler, Bd. 1 Das Alte Bayern 1. Teil Von der Vorgeschichte bis zum Hochmittelalter, München 2017, S. 162 – 169, hier S. 162 – 163. 92 Ebd., S. 164. 93 Ebd., S. 167. 94 Ebd., S. 168. 95 Ebd., S. 169. Neben Betonung der Zweifelhaftigkeit der Reichsannalen beendet Herwig Wolfram seine populäre Publikation mit der Feststellung, dank Tassilo habe „Bayern eine derart starke und dauerhafte Ordnung“ erhalten, dass „Land und Leute von seinem eigenen und dem Untergang seiner Familie nicht mehr beschädigt werden konnten. Dass er dies beispielhaft gegen eine expansive, ja aggressive Großmacht durchsetzte, sollte ihm die Nachwelt nicht nur in Bayern danken.“ Herwig Wolfram, Tassilo III. Höchster Fürst und niedrigster Mönch, Regensburg 2016, S. 132. 96 Deutinger, Tassilo (Anm. 91), S. 169.
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sich um Kultur, Glaube und Bildung bemüht und selbstbewusst, aber friedlich seine Interessen vertritt, lässt Westenrieders gemäßigt aufgeklärte, patriotische Haltung erkennen. Er festigte damit das schon in der Kloster-Memoria vorbereitete Bild des unglücklichen Herzogs. Durch seine deutliche Kritik an der fränkischen Überlieferung und seine zutreffende Einschätzung der späteren Bewertung Karls und Tassilos anhand dieser Überlieferung wies Westenrieder auch den Weg zur kritischen Forschung. Riezlers letztlich negative Darstellung Tassilos – kulturelle Leistungen und Slawenmission ausgenommen – beruht in erster Linie auf seiner positiven Einstellung zum Reichsgedanken, was grundsätzliche Kritik an Karls Vorgehen und damit auch der Quellenüberlieferung einschränkte, obwohl die etwa durch Giesebrecht angestoßene Quellenkritik die von Westenrieder noch recht allgemein vorgebrachten Zweifel an den Reichsannalen zu bestätigen begann. Doeberl dagegen nutzte die Fortschritte der Forschung für seine damit fundierte Darstellung des unglücklichen Herzogs in Westenrieder’scher Tradition. Dabei stellte er wie Riezler Christianisierung und Germanisierung heraus, wodurch die Verteidigung der nach Osten offenen Grenzen Bayerns und damit Deutschlands vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskurse ein weiteres Verdienst Tassilos wird.97 Zugleich begründete Doeberl eine zwischen bayerischem Patriotismus und Reichsloyalität kompromissbereite Sichtweise, die ein ursprüngliches Stammesherzogtum annimmt, aber völlige staatliche Eigenständigkeit zur Zeit der Franken anzweifelt.98 Die Interpretation von Tassilos Sturz als erstem Höhepunkt des Konflikts zwischen Reichs- und Stammesgewalt geht auf Doeberl und Riezler gleichermaßen zurück und hat sich als überaus einflussreich erwiesen. Spindlers geschichtspolitisches Konzept des Kulturstaats Bayern bot dann die ideale Folie, vor der das ältere Bild des unglücklichen Herzogs kombiniert mit der Interpretationslinie des ewigen Konflikts mit der Zentralgewalt erneut zur Wirkung kommen konnte. Die angeblich von den Agilolfingern ausgehende kulturelle Kontinuität konnte so als im Rahmen des Föderalismus bestehend verstanden werden. Größere staatliche Eigenständigkeit wurde durch die bayerischen Stammesherzöge zwar nicht legitimiert – hier stand das Wittelsbachische Königtum an erster Stelle – aber doch durch Verweis auf die uralten und damit eigentlichen Verhältnisse untermalt. Gerade die Niederlage des als friedlich dargestellten Klostergründers Tassilo bestätigte dabei das Motiv der kulturschaffenden, heimatverbundenen Bayern. Die Abwehr der Slawen und die Verbreitung des Christentums im Osten dagegen 97
Tassilos Sieg über die Slawen wird in Heinz Löwes von NS-Gedankengut beeinflusster Publikation betont, zudem seien die Bayern besonders wertvoll gewesen, da bei ihnen „das germanische Element am reinsten erhalten war“. Heinz Löwe, Die karolingische Reichgründung und der Südosten. Studien zum Werden des Deutschtums und seiner Auseinandersetzung mit Rom, Stuttgart 1937, S. 51, 71. 98 Gegen Annahme eines selbständigen Stammesherzogtums wandte sich wie Riezler Karl Bosl, der Tassilos Sturz konstatiert, aber wegen schlechter Quellenlage keine weitere Interpretation liefert. Karl Bosl, Geschichte Bayerns. Vorzeit und Mittelalter, München 195, S. 35 f., 46; ders., Bayerische Geschichte, München 1980, S. 37, 49.
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konnten, zumal im Kalten Krieg, wieder als historischer bayerischer Beitrag zur Sicherung der deutschen Grenzen verstanden werden. Die wissenschaftliche Kritik an den Reichsannalen hat zuletzt deren ganze Darstellung der Ereignisgeschichte vor 787 in Zweifel gezogen und bestätigt damit, was patriotisch motiviert schon immer vermittelt wurde: Tassilo war wohl in den allermeisten der Anklagepunkte von 788 unschuldig.99 Aktuell dürften vor allem die Kulturleistungen und Verdienste um Kirche und Bildung das heutige Tassilo-Bild bestimmen, wobei sein tragisches Ende weiter als emotionale Komponente wirksam bleibt. Tatsächlich lässt sich damit von einer Kontinuität der bayerischen Geschichte sprechen, neben ihrer gesellschaftlich-politischen Indienstnahme: Das Tassilo-Bild kann wegen fehlender Beschränkung durch gesicherte Quellenaussagen immer wieder an die Zeitumstände angepasst werden, Elemente können ergänzt, betont oder in den Hintergrund gestellt werden. Die Geschichte vom unglücklichen Herzog Tassilo wird somit auch so lange weiter differenziert erzählt werden, wie sie den Zweck der Identitätsstiftung erfüllen kann.
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Vgl. auch online den NDB-Artikel bzw. im Historischen Lexikon Bayern; Hubertus Seibert, Tassilo III., in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 792 – 794; URL: https://www. deutsche-biographie.de/pnd118801414.html; Matthias Becher, Sturz Herzog Tassilos, publiziert am 21. 11. 2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://historisches-lexikon-bay erns.de/Lexikon/Sturz_Herzog_Tassilos; abgerufen am 17. 03. 2023.
Die Rolle der Oberpräsidenten der Preußischen Provinzen bei der Gründung der frühen Geschichtsvereine in Preußen Von Ulrike Höroldt, Berlin Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress gründeten sich an verschiedenen Orten des deutschen Bundes historische Gesellschaften oder Vereine, die sich umfassend den durch Krieg und Säkularisation verstreuten Quellen der Region widmeten, Ausgrabungen vornahmen, Sammlungen anlegten und Publikationen herausgaben.1 Ihr Aufgabenspektrum und ihre regionale Vorortung2 brachten sie früh in Kontakt zu dem staatlichen Umfeld, in dem sie gegründet wurden, in Preußen also zum preußischen Staat3 und zu den ebenfalls erst nach dem Wiener Kongress entstandenen preußischen Provinzen.4 In der ersten Gründungsphase, also bis ca. 1825, finden sich entsprechende Vereine in vier Provinzen: in Schlesien (1818), Sachsen (1819), Pommern (1823/24) und
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Nach Angaben in der Literatur lassen sich bis 1844 auf dem Gebiet des Deutschen Bundes bereits 44 bzw. sogar 60 entsprechende Vereine nachweisen. – Aus der Fülle der Literatur zu den Geschichtsvereinen sei hier nur verwiesen auf Georg Kunz, Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 138), Göttingen 2000, zur Anzahl S. 59 mit Fußnote 59; Roland Gehrke, „Anregung und Erhaltung des Historischen Sinns“. Geschichts- und Altertumsvereine in Deutschland von den Anfängen bis 1945, in: Helge Jarecki/John Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren. 200 Jahre Gründung des Thüringisch-Sächsischen Altertumsverein, Halle 2022, S. 15 – 33. – Die Begriffe „Gesellschaft“ und „Verein“ werden in dieser Zeit zumeist synonym gebraucht, vgl. dazu Kunz, S. 57. 2 Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 1), S. 57 betont die autochtone regionale Orientierung dieser Vereine. 3 Vgl. Ulrike Höroldt, Das Verhältnis des Thüringisch-sächsischen Vereins zu „Preußen“ in den Anfangsjahren des Vereins, in: Jarecki/Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren (Anm. 1), S. 34 – 56, hier S. 34. 4 Von der Literatur zum Wiener Kongress und seinen Folgen für die territoriale Ausdehnung Preußens seien hier nur genannt: Ulrike Höroldt/Sven Papstmann (Hrsg.), 1815: Europäische Friedensordnung – Mitteldeutsche Neuordnung. Die Neuordnung auf dem Wiener Kongress und ihre Folgen für den mitteldeutschen Raum (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 11), Halle 2017; Thomas Becker/Dominik Geppert/Helmut Rönz (Hrsg.), Das Rheinland auf dem Weg nach Preußen 1815 – 1822 (Stadt und Gesellschaft 6), Köln 2019; Nils Jörn/Dirk Schleinert (Hrsg.), Vom Löwen zum Adler. Der Übergang Schwedisch-Pommerns an Preußen 1815 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Pommern V 52), Wien/Köln/Weimar 2019.
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Westfalen (1824/25). Erst deutlich später kam in den preußischen Kernlanden der 1836 gegründete „Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg“ hinzu.5 In den veröffentlichten Gründungsgeschichten der frühen Geschichtsvereine in Preußen wird die Rolle der Oberpräsidenten der jeweiligen Provinz bei der Gründung und Führung der Geschichtsvereine stark betont. So wird z. B. bei der Gründung der „Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde“ am 15. Juni 1824 in Stettin dem Oberpräsidenten der Provinz Pommern, Johann August Sack (1764 – 1831), allein die führende Rolle eines Gründers zugeschrieben.6 Auch in der Literatur ist diese Auffassung verbreitet. Roland Gehrke konstatiert, dass sich, wenn überhaupt, „in der soziokulturell von jeher stark fragmentierten Hohenzollernmonarchie die Oberpräsidien bzw. die provinzialen Selbstverwaltungsorgane auf der Ebene des historischen Vereinswesens“ engagiert hätten, nicht die Berliner Zentrale.7 Der folgende Beitrag will der Frage nachgehen, inwieweit diese Einschätzung der Rolle der Oberpräsidenten in allen Fällen den Tatsachen entspricht, und darüber hinaus nach den Motiven für das besondere Engagement dieser Gruppe von hohen Verwaltungsbeamten fragen. Agieren die Oberpräsidenten hier an dieser Stelle in erster Linie qua Amt und aufgrund ihrer Zuständigkeit für Kultur und Denkmalpflege, oder gab es auch darüberhinausgehende Interessen und Motive? Dabei ist zu berücksichtigten, dass die Forschungslage zur Gründung der Vereine recht unterschiedlich ist, was im Rahmen dieses Beitrages nicht ausgeglichen werden kann. Auch eine Einsicht in die archivalischen Quellen war nur im Einzelfall möglich. Das Amt des Oberpräsidenten, wie es sich nach 1815 im Kontext der territorialen Neugliederung Preußens mit der Errichtung eines einheitlichen Systems von zunächst zehn Provinzen ausbildete, stand an der Schnittstelle zwischen den Provinzen und der Zentrale. Zugleich Repräsentanten der Staatsregierung in der Provinz und Vertreter der Interessen der Provinz gegenüber der Staatsregierung, spielten die Oberpräsidenten eine wesentliche Rolle bei der Integration der Provinzen und deren einzelnen teilweise divergierenden Landesteilen in den preußischen Staat.8 5 Vgl. Johannes Schultze, Der Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick, in: FBPG 35, 1923, S. 1 – 20; Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 1), S. 58; S. 199 – 211. 6 Adalbert Holtz, 150 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, in: Baltische Studien, Neue Folge 60 (1974), S. 7 – 31, hier S. 7. 7 Gehrke, Anregung (Anm. 1), S. 22. 8 Vgl. Georg-Christoph von Unruh, Der preußische Oberpräsident – Entstehung, Stellung und Wandel eines Standesamtes, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815 – 1945 (Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1981, Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 15), Boppard am Rhein 1985, S. 17 – 31; zu den Oberpräsidenten als Gruppe Rüdiger Schütz, Die preußischen Oberpräsidenten von 1815 bis 1866, in: Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten, S. 33 – 81, jeweils mit Verweis auf die ältere Literatur; Gerd Heinrich, Acht Exzellenzen. Persönlichkeit und Leistung der Oberpräsidenten des Preußischen Staates um 1830 im Vergleich, in: Hans-Joachim Behr/Jürgen Kloosterhuis (Hrsg.), Ludwig Freiherr von Vincke, Ein westfälisches Profil zwischen Reform und Restauration
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In den Jahren nach 1815 war ihre Rolle noch nicht festgefügt und mithin Änderungen und Konflikten unterworfen, bei denen es neben der Abgrenzung des eigenen Zuständigkeitsbereichs gegenüber den Aufgaben der Regierungspräsidenten v. a. um die Frage des Grades der Eigenständigkeit gegenüber den Berliner Zentralbehörden ging.9 Die eigenen Aufgaben des Oberpräsidenten umfassten insbesondere Angelegenheiten, die die gesamte Provinz betrafen. Dazu gehörten auch kulturelle Angelegenheiten wie das Archivwesen und die Denkmalpflege.10 Dabei entwickelte sich insbesondere die Denkmalpflege in diesen Jahren in einem Wechselverhältnis zwischen privater Initiative und staatlichem Handeln.11 Hier lagen erste Anknüpfungspunkte zu den sich bildenden historischen Vereinen. Bei der Gründung des zeitlich ersten, nur kurzfristig existierenden „Vereins für schlesische Geschichte und Alterthümer“ in Breslau spielte nach bisheriger Kenntnis der schlesische Oberpräsident Friedrich Theodor (von) Merckel (1775 – 1846) jedoch keine wesentliche Rolle. Allerdings ist dieser Verein in seinem Wirken nicht mit den anderen Vereinen zu vergleichen, beschränkten sich seine Tätigkeiten doch weitgehend auf die Herausgabe und Verbreitung von Publikationen. Der Breslauer Verein hatte sich in den Jahren 1818 bis 1825 auf maßgebliche Initiative des aus Berlin stammenden Johann Gustav Gottlieb Büsching (1783 – 1829) gegründet, ging (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C Quellen und Forschungen aus den staatlichen Archiven Bd. 34), Münster 1994, S. 89 – 113. 9 Die damals amtierenden Oberpräsidenten definierten ihre Rolle deutlich unabhängiger als von den Ministerien gewollt. Schütz, Die preußischen Oberpräsidenten (Anm. 8) nennt es daher die „von Anbeginn an […] am stärksten umstrittene Instanz des preußischen Verwaltungsaufbaus“, vgl. S. 67, zu Rolle, Funktion und Selbstverständnis S. 66 – 76; vgl. dazu ferner von Unruh, Der preußische Oberpräsident (Anm. 8), S. 23 – 26. 10 Es waren die Oberpräsidenten, von denen Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750 – 1822) mit Erlass vom 22. Juni 1820 einen umfassenden Bericht über den Stand des Archivwesens in den jeweiligen Provinzen anforderte; ebenso waren sie die Adressaten der ersten Erlasse zum Schutze der geschichtlichen Monumente der Vorzeit; vgl. zum Archivwesen Reinhold Koser, Die Neuordnung des Preussischen Archivwesens durch den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg (Mitteilungen der K. Preussischen Archivverwaltung 7), Leipzig 1904, Nr. 9, S. 26 f.; Johanna Weiser, Geschichte der preußischen Archivverwaltung und ihrer Leiter. Von den Anfängen unter Staatskanzler von Hardenberg bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1945 (Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Beihefte 7), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 8 ff.; Ulrike Höroldt, Die Hinwendung zur Geschichte der Provinz als Quelle der Identität?, in: Höroldt/Papstmann (Hrsg.), 1815: Europäische Friedensordnung (Anm. 4), S. 247 – 284, hier S. 254 f. 11 Vgl. dazu die Forschungen von Peter Findeisen, Geschichte der Denkmalpflege Sachsen-Anhalt. Von den Anfängen bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, Berlin 1990, und Andreas Stahl, Zu den Anfängen der institutionellen und ehrenamtlichen Denkmalpflege in der Provinz Sachsen, in: Jarecki/Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren (Anm. 1), S. 57 – 88, hier S. 59; Andreas Stahl, Auf den Spuren der „Denkmale des vaterländischen Alterthums“. Die Anfänge der Denkmalpflege in unserer Region, in: Saale-Unstrut-Jahrbuch 3 [1998], S. 73 – 86, zu den Ausgrabungen 1817 Stahl, Anfänge, S. 57; Bettina Stoll-Tucker, Der Thüringisch-Sächsische Altertumsverein (ThSAV) – das Gründungskapital des heutigen Museums für Vorgeschichte in Halle (Saale), in Jarecki/Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren (Anm. 1), S. 115 – 134, v. a. S. 116 – 119.
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aber nach dessen krankheitsbedingtem Rückzug bereits Mitte der zwanziger Jahre wieder ein.12 Jedoch stand Büsching in seiner dienstlichen Eigenschaft als Regierungsbeauftragter für die durch die Säkularisation verwaisten Kunst- und Kulturgüter Schlesiens und erster Archivar des schlesischen Provinzialarchivs durchaus in Kontakt zu staatlichen Stellen, und damit auch zum Oberpräsidenten, der mit Verfügung vom 24. April 1818 eine Sammelstelle an der Universität einrichtete, deren Leitung Büsching übertragen wurde. Bei der Vereinsgründung spielten staatliche Stellen aber keine erkennbare Rolle, auch wenn das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, also das Kultusministerium, die Schriften des Vereins in mehreren Exemplaren subskribierte. Die Neugründung des „Vereins für die Geschichts- und Alterthumskunde Schlesiens“ im Jahre 1846, an der Oberpräsident Friedrich Theodor (von) Merckel13 in seiner amtlichen Eigenschaft beteiligt war, liegt außerhalb des hiesigen Betrachtungszeitraums. Ganz anders war die Lage bei dem am 20. Juli 1819 in Bilzingsleben im thüringischen Teil der neu gegründeten preußischen Provinz Sachsen gegründeten „Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums in Kunst und Geschichte“ (Unstrutbzw. Sachsenburger Verein). Auch dieser Verein hat nur sehr kurz als eigenständiger Verein existiert, da er bereits wenige Monate nach seiner Gründung mit dem am 3. Okt. 1819 auf Initiative des Naumburger Landrats Carl Peter Lepsius (1775 – 1853) gegründeten „Verein zur Erforschung der Vaterländischen Geschichte und Alterthümer“ (Naumburger bzw. Saaleverein) zum „Thüringisch-Sächsischen Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums und Erhaltung seiner Denkmale“ fusionierte; er ist für unsere Fragestellung aber sehr interessant. Die Gründung des Unstrutvereins bzw. aller drei Vereine ist dank der Forschungen von Frank Boblenz14 12 Das historische Vereinswesen und die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in Schlesien ist vergleichsweise gut erforscht, vgl. hierzu und zum Folgenden Hermann Markgraf, Der Verein für Geschichte und Altertum Schlesiens in den ersten 50 Jahren seines Bestehens, Breslau 1896, v. a. S. 5 – 11; Johannes Schellakowsky, „Soll Schlesien noch länger zurückbleiben?“ Zur Gründungsgeschichte und weiteren Entwicklung des Vereins für die Geschichte Schlesiens bis 1945, in: Johannes Schellakowski/Ulrich Schmilewski (Hrsg.), 150 Jahre Verein für die Geschichte Schlesiens, Würzburg 1996, S. 9 – 58 mit einem Rückblick auf die Entwicklung seit dem späten 18. Jahrhundert (S. 14 – 23), zu Büschings Verein S. 23 – 26; Norbert Kersken, Breslau als Zentrum landesgeschichtlicher Forschung: Der „Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens“, in: Joachim Bahlcke/Roland Gehrke (Hrsg.), Institutionen der Geschichtspflege und Geschichtsforschung in Schlesien, Köln/ Weimar/Wien 2017, S. 87 – 120. 13 Von Merckel war 1816 – 1820 und nochmals 1825 – 1845 Oberpräsident Schlesiens, vgl. Schütz, Die preußischen Oberpräsidenten (Anm. 8), S. 53, S. 63 f., S. 81; Heinrich, Acht Exzellenzen (Anm. 8), S. 100 f. 14 Leider sind die Forschungen von Frank Boblenz zur Vereinsgründung noch nicht zusammenhängend publiziert, daher muss man noch auf verschiedene verstreut erschienene Einzeldarstellungen zurückgreifen, vgl. Frank Boblenz, Der „Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums in Kunst und Geschichte“. Thüringens erster Geschichtsverein wurde 1819 in Bilzingsleben gegründet, in: Heimat Thüringen 18 (2011), S. 23 – 31; Frank Boblenz, Zur Gründung des Verein[s] zur Erforschung der vaterländischen Geschichte und Alterthümer am 3. Oktober 1819 auf Burg Saaleck als ein Vorläufer des Thüringisch-Sächsischen Vereins
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und der beiden Tagungen, die 2018 und 2019 in Schulpforta anlässlich des 200. Gründungsjubiläums des Thüringisch-Sächsischen Vereins stattfanden, vergleichsweise gut erforscht.15 Bei der Gründung des in Bilzingsleben gegründeten Vereins spielte der Oberpräsident der Provinz Sachsen, Friedrich von Bülow (1762 – 1827), nachgewiesener Weise eine zentrale Rolle, auch wenn die eigentliche Gründung auf die Initiative des Baubeamten August Adolph Bergner (1774/77 – 1828) aus Langendorf und des Landrats von Eckartsberga, Carl Christian Ludwig Friedrich Freiherr von Helmolt auf Bilzingsleben (um 1768 – 1847) zurückgeht.16 Bergner hatte bereits vor der Vereinsgründung 1817 mit bedeutenden Ausgrabungen auf der Schmücke, einem Höhenzug bei Gorsleben, begonnen und war damit in den Fokus des Oberpräsidenten gerückt, zu dessen Aufgaben die Denkmalpflege gehörte. Man kann davon ausgehen, dass seine Beteiligung an der Gründung des Vereins auf diese Kontakte zurückgeht. Anhand der einschlägigen Quellen im Bestand „Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen“ im Landesarchiv Sachsen-Anhalt sowie im Bestand „Thüringisch-Sächsischer Verein“ im Universitätsarchiv Halle und in einer Sammelakte im Stadtarchiv Naumburg17 lässt sich von Bülows Beteiligung an der Vereinsgründung und an der Zusammenlegung der beiden frühen Vereine gut nachvollziehen. Da dies bereits an anderer Stelle darstellt wurde, soll hier eine Zusammenfassung unter Einbeziehung einiger Ergänzungen genügen.18
für Geschichte und Altertumskunde, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 26 (2017), S. 387 – 428 sowie Frank Boblenz, „Das Ross vom Libanon“ und zwei unbekannte Ansichten von Schloß Beichlingen und Burg Rabeswalde aus den Jahren 1818/1819, in: Sömmerdaer Heimatheft Heft 13 (2011), S. 60. 15 Helge Jarecki/John Palatini, „Uns öffnen sich keine Pyramiden, kein Herkulanum und Pompeji ist uns verschüttet.“ Bericht über eine Tagung in Vorbereitung des 200. Gründungsjubiläums des Thüringisch-Sächsischen Altertumsvereins am 1. Dezember 2018 in Schulpforte, in: Sachsen-Anhalt Journal 1 (2019); ein Teil der Vorträge ist inzwischen gedruckt in: Helge Jarecki/John Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren. 200 Jahre Gründung des Thüringisch-Sächsischen Altertumsvereins (Anm. 1), Halle 2022. 16 Vgl. dazu Boblenz, Verein (Anm. 14), S. 26 – 29 mit Nachweis der älteren Literatur; Boblenz, Saaleck (Anm. 14), v. a. S. 388, S. 398. 17 Michael Ruprecht, Die schriftliche Überlieferung des Thüringisch-Sächsischen Geschichtsvereins im Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, in: Jarecki/Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren (Anm. 1), S. 89 – 104; zur Überlieferung im Stadtarchiv Naumburg vgl. Annegret Jungnickel/Helge Jarecki, Korrespondenz zur Gründung des Saalecker Vereins bzw. des Thüringisch-sächsischen Altertumsvereins (ThSAV) im Stadtarchiv Naumburg, in: Jarecki/Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren (Anm. 1), S. 105 – 114. – Stahl, Anfänge (Anm. 11), S. 77, weist auf eine weitere Überlieferung in der Abteilung Merseburg des Landesarchivs Sachsen-Anhalt hin, LASA, MER, Rep C 48 II, Nr. 4103. 18 Höroldt, Verhältnis (Anm. 3), v. a. S. 36 – 40; Höroldt, Hinwendung (Anm. 10), S. 268 f. – Von Bülows Rolle wird ebenfalls thematisiert z. B. bei Stahl, Anfänge (Anm. 11), S. 75 – 78; Jungnickel/Jarecki, Korrespondenz (Anm. 17), S. 109 – 111.
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Oberpräsident von Bülow gehörte nachweislich nicht nur zu den Gründungsmitgliedern des Unstrutvereins, die bei der Gründungsversammlung am 20. Juli 1819 auf Gut Bilzingsleben anwesend waren, sondern er war auch maßgeblich an der wenige Tage nach der Versammlung erfolgten Formulierung der Statuten beteiligt, wie aus einer Handakte des Vereinsmitglieds Carl Wilhelm Kirchheim (1794 – 1845) hervorgeht. Hierin befindet sich ein sehr umfänglicher und detaillierter Entwurf der Statuten, den von Bülow in den Abendstunden des 26. Juli 1819 diktiert hatte.19 Auch wenn er nicht das Amt eines Vereinsvorsitzenden übernahm, hat von Bülow auf die weitere Entwicklung des Vereins starken Einfluss gehabt, u. a. durch seine Kontakte zu dem Landrat Carl Peter Lepsius,20 dem Spiritus rector des zweiten, nur wenige Monate nach dem Bilzingslebener Verein gegründeten Vereins. Aus ihrem Briefwechsel und weiterem Schriftwechsel, aber auch aus dem 1. Jahresbericht des Vereins geht hervor, dass von Bülow, der über Bergner bereits im August 1819 von der zweiten Vereinsgründung erfahren hatte, sich dafür einsetzte, die beiden Vereine zu vereinigen, die eigentlichen Verhandlungen dazu aber Lepsius und Landrat Helmolt überließ. Die Korrespondenzen lassen ein hohes Interesse und auch eine große Sachkenntnis bei von Bülow erkennen, der u. a. auch weitere Vorschläge für die Struktur der Vereine, zu möglichen Forschungsaufgaben sowie zu weiteren wünschenswerten Mitgliedern mit seinen Korrespondenzpartnern diskutierte und sogar anbot, seine eigene kleine Sammlung deutscher Altertümer dem Verein zu überweisen. Dabei korrespondierte er insbesondere mit Lepsius durchaus auf Augenhöhe und nicht im Ton eines Vorgesetzen gegenüber einem unterstellten Beamten.21 Unter den Anwesenden der Gründungsversammlung des Saalecker Vereins am 3. Oktober 1819 auf Burg Saaleck wird von Bülow dann aber interessanterweise 19
Ruprecht, Überlieferung (Anm. 17), S. 98 mit Abdruck des Entwurfs aus UAHW, Rep. 17, Nr. 255, fol. 20r. – In einem Schreiben von Bergner an den Oberpräsidenten vom August 1819 ist allerdings davon die Rede, dass der Oberpräsident die Erstellung der „Constitution“ am 20. Juli 1819 in Bilzingsleben diesem übertragen hatte, vgl. Höroldt, Verhältnis (Anm. 3), S. 36. 20 Zu ihm jetzt: Helge Jarecki/Annegret Jungnickel, „Er war ein tiefer Brunnen für jede gesuchte Aufklärung“. Zum Leben und Wirken von Carl Peter Lepsius (1775 – 1853) – Ein Literaturbericht mit Ausblick auf archivalische Quellen, in: Jarecki/Palatini (Hrsg.), Graben, Sammeln, Publizieren (Anm. 1), S. 135 – 188. 21 Schreiben Bergners an von Bülow vom 26. Aug. 1819 (LASA, C 20 I, Ia, Nr. 2307, fol. 2 – 3v); Schreiben von Bülows an Lepsius vom 3. Okt. 1819 (UAHW, Rep. 17, Nr. 13, fol. 9 – 10); Schreiben von Bülows an Lepisus vom 24. Okt. 1819 (Stadtarchiv Naumburg, Sa 18, Bl. 41r); aus diesem Schreiben geht hervor, dass die eigentlichen Verhandlungen über die Fusion durch Lepsius und Helmolt geführt wurden, dazu die Zitate bei Jungnickel/Jarecki, Korrespondenz (Anm. 17), S. 109 – 111; Schreiben von Lepsius an den Oberpräsidenten vom 27. Nov. 1819 mit weitreichenden Überlegungen (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, C 20 I, Ia Nr. 2307, fol. 6v = Sa 187, Bl. 68r.) – Zu der Darstellung im ersten Jahresbericht des THSV vom 28. Jan. 1821 vgl. Boblenz, Saaleck (Anm. 14), S. 395 – 398, der die entsprechenden Passagen zitiert, zum Inhalt und zum Ton der Korrespondenzen Höroldt, Verhältnis (Anm. 3), S. 36 – 37; Höroldt, Hinwendung (Anm. 10), S. 268 f.
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nicht genannt,22 an dieser Vereinsgründung war er also persönlich offenbar nicht beteiligt. Auch unter den Stiftern und konstituierenden Mitgliedern des fusionierten Thüringisch-Sächsischen Vereins wird er nicht aufgeführt, sondern steht an erster Stelle der beigetretenen Mitglieder außerhalb Naumburgs.23 Daraus kann man folgern, dass sich von Bülow, nachdem er für den Bilzingslebener Verein durchaus als Gründungsmitglied oder auch Stifter erscheint, bei der Gründung des fusionierten Thüringisch-Sächsischen Vereins trotz seiner Rolle beim Zustandekommen der Vereinigung zurückgehalten hat und nicht so prominent in Erscheinung trat. Dies hängt möglicherweise mit anderweitigen dienstlichen Verpflichtungen zusammen,24 könnte aber auch Ausdruck seiner persönlichen Haltung sein. Friedrich Wilhelm August Werner von Bülow, ein Halbbruder des preußischen Ministers für Handel, Gewerbe- und Bauliche Angelegenheiten Hans von Bülow (1774 – 1825), stammte aus einem mecklenburgischen Adelsgeschlecht und war der Sohn des lüneburgischen Gutsbesitzers und Landschaftsdirektors Ernst von Bülow (1736 – 1802). Seine schulische und universitäre Ausbildung erhielt er an der Ritterakademie Lüneburg und der Universität Göttingen, wo er 1778 – 1782 Rechtswissenschaften studierte. Er war damit ein Vertreter der von Wolfgang Burgdorf sogenannten „Generation 1806“ der Staatsrechtler, die, so Burgdorf, nach dem Ende des Alten Reiches als Bildungselite nicht nur an der Entwicklung der Germanistik und der Historischen Rechtsschule, sondern auch bei der Gründung der Historischen Vereine maßgeblich mitwirkten.25 Allerdings hatte von Bülow zwar zahlreiche Verwaltungs- und Richterstellen durchlaufen, gehörte aber nicht zu den Reichstagsgesandten. Nach Stationen im hannoverschen Justizdienst kam von Bülow 1805 in preußische Dienste und war in der Zeit der Befreiungskriege in unterschiedlichen Funktionen und teilweise im Umfeld von Staatskanzler von Hardenberg tätig, schließlich 1814 – 16 als Generalsekretär des preußischen Generalgouvernements in Sachsen. Aus dieser Zeit dürften seine Kontakte in den und sein Interesse an dem thüringisch-kursächsischen Raum stammen. Nach 1815 war er maßgeblich an der Vorbereitung zur Bildung der preußischen Provinz Sachsen beteiligt, deren erster Oberpräsident er wurde. Von Bülow, der das Amt des Oberpräsidenten aller-
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Boblenz, Saaleck (Anm. 14), S. 411 f. Vgl. das bei Jarecki/Palatini abgedruckte Verzeichnis der Stifter und Mitglieder des Vereins für Erforschung des vaterländischen Altertums nach der Ordnung ihres Beitritts (Beiheft zum 1. Jahresbericht), Sammeln, Graben, Publizieren (wie Anm. 1), Anhang S. 203. 24 In dem Schreiben vom 3. Okt. 1819 an Lepsius (UAHW, Rep. 17, Nr. 13 fol. 10) drückt von Bülow sein Bedauern darüber aus, dass ihn eine längere amtlich bedingte Abwesenheit aus der Provinz Sachsen daran hindere, „in dem Constitutions- und Vereinigungswerke, so wie bey den Arbeiten der Gesellschaften so tätig zu sein, wie ich es wünsche“ vgl. Höroldt, Verhältnis (Anm. 3), S. 37 Anm. 12. 25 Wolfgang Burgdorf, Das Ende des Alten Reiches. Verlusterfahrungen und Kompensationsstrategien, in: Höroldt/Papstmann (Hrsg.), 1815: Europäische Friedensordnung (Anm. 4), S. 169 – 180, hier S. 176 – 178. 23
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dings nur bis 1821 innehatte, bevor er gesundheitsbedingt in den Ruhestand treten musste, war in preußischen Regierungskreisen gut vernetzt.26 Für die drei frühen historischen Vereine in der Provinz Sachsen lässt sich also tatsächlich eine erhebliche Beteiligung des Oberpräsidenten der Provinz bei der Gründung festhalten, die jedoch offenbar nicht rein dienstlicher Natur war, sondern sich auch aus einem tiefen und genuinen Interesse von Bülows an der Geschichte speiste. Darüber hinaus war sein Einfluss v. a. bei dem fusionierten Thüringisch-Sächsischen Verein trotz seiner teilweise bis ins Detail gehenden Einflussnahme eher informeller Natur. Bei der etwas späteren Gründung der „Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde“ am 15. Juni 1824 trat der Oberpräsident der Provinz Pommern, Johann August Sack (1764 – 1831) weit deutlicher auch in seiner amtlichen Funktion hervor. Wie bereits erwähnt, wurde ihm allein die führende Rolle eines Gründers oder Stifters zugeschrieben. Adalbert Holtz vermutet in seiner 1974 erschienenen Geschichte des Vereins, die frühe Gründung sei auf die engen Beziehungen des Oberpräsidenten Sack mit Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757 – 1831), der am 20. Januar 1819 die „Gesellschaft für ältere Deutsche Geschichtskunde“, die heutige MGH, gegründet hatte, zurückzuführen, ohne dies jedoch zu belegen.27 Nachweisbar ist dagegen, dass Sack in einem Schriftwechsel mit Staatsminister von Hardenberg über die Sicherung der Geschichtszeugnisse der Provinz bereits im Januar 1822 die Stiftung einer „Alterthumsgesellschaft für die dortige Provinz“ vorgeschlagen hat, die Hardenberg mit dem interessanten Verweis auf die „zu Breslau, Naumburg, Görlitz und in Westfalen bereits“ bestehenden Vereinigungen „mehrerer für die Sache erwärmter Männer“ begrüßte. Die Ausführungen zeigen, dass die frühen Vereinsgründungen im Staatskanzleramt in Berlin durchaus wahrgenommen und verfolgt wurden. Hardenberg überließ die weiteren Schritte dem Oberpräsidenten, stellte aber bereits jetzt die Bewilligung und ggf. auch eine finanzielle Unterstützung in Aussicht. Offenbar hatte Sack zudem angeregt, eine solche Gesellschaft auch auf Brandenburg auszudehnen, ein Gedanke, dem Hardenberg eher skeptisch gegenüberstand.28 Nach Roderich Schmidt hatte Sack ähnliche Überlegungen zur Gründung 26 Klaus Erich Pollmann: Die Konstituierung der Provinz Sachsen nach 1815, in: Höroldt/ Papstmann (Hrsg.), 1815 Europäische Friedensordnung (Anm. 4), S. 209 – 225, hier S. 213; Mathias Tullner, Bülow, Friedrich August Wilhelm Werner Graf von, in: Magdeburger Biografisches Lexikon (http://mbl.ub.ovgu.de/Biografien/0622.htm, 10. 3. 2023). 27 Holtz, Gesellschaft (Anm. 6), S. 7 – 31. – Zur Gründung der MGH vgl. Enno Bünz: Die Monumenta Germaniae Historica 1819 – 2019. Ein historischer Abriss, S. 1 – 37, in: 1819/ 2019 Mittelalter lesbar machen. Festschrift 200 Jahre Monumenta Germaniae Historica, München/Wiesbaden 2019. 28 Die Schreiben Hardenbergs vom 18. Dez. 1821 und 10. Febr. 1822 sind abgedruckt bei Holtz, Gesellschaft (Anm. 6), hier S. 26 f.; zur Gründung des Vereins vgl. ferner Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, in: Baltische Studien NF 86 (2000), S. 7 – 24, hier S. 9 mit Aufführung der älteren Literatur; Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, in: Roderich Schmidt (Hrsg.), Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse
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einer Altertumsgesellschaft bereits 1814 als Oberpräsident für die Rheinprovinzen angestellt.29 Am 15. Juni 1824, dem von Sack selbst ausgerufenen Ottofest, dem 700. Jahrestag der Einführung des Christentums in Pommern, wurde die „Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde“ in Stettin durch den Oberpräsidenten ins Leben gerufen. Er ernannte auch selbst die Mitglieder des Vorstandes (hier Ausschuss genannt) und erließ die ersten Statuten. Darin wird die Einrichtung von zwei Ausschüssen und zwei Sammelstellen festgeschrieben, von denen eine in Stettin und eine in Greifswald angesiedelt werden sollte. Die Geschäftsführung der Ausschüsse lag bei den Sekretären, denen der Oberpräsident qua Amt vorstand.30 Die erste Versammlung des neuen Vereins in Stettin fand erst ein Jahr später, am 15. Juni 1825, statt. Auch im ersten Jahresbericht des Vereins, in dem u. a. die Gründungsrede Sacks auf dieser Versammlung abgedruckt ist, wird dem Oberpräsidenten die maßgebliche Gründungsinitiative zugeschrieben.31 Ebenso geht die Protektion des Kronprinzen wohl auf Kontakte Sacks zurück, und er setzte sich auch für die baldige Schaffung eines Publikationsorgans ein. Nur am Rande wird dagegen in der Literatur auf die Rolle anderer Personen bei dieser Gründungsinitiative hingewiesen.32 Tatsächlich lässt sich das große Engagement Sacks ebenso wie seine weitreichenden Beziehungen in der archivischen Überlieferung nachweisen. So sandte er persönlich den ersten Jahresbericht an den König und berichtete in diesem Kontext, dass er dem Kronprinzen, der das Protektorat über den Verein übernommen hatte, mit der Einladung zur Generalversammlung, bei der dieser anwesend sein wolle, bereits ein Exemplar übergeben habe.33 Oberpräsident Johann August Sack (1764 – 1831) war ebenso wie von Bülow kein Altpreuße, sondern kam aus Kleve.34 Anders als von Bülow stammte Sack jedoch nicht aus dem Adel, sondern aus dem rheinischen Bürgertum. Ansonsten aber ähneln sich die Karrieremuster. Auch er studierte Rechts- und Kameralwissenschaften u. a. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern 5), 2. Auflage Köln/Weimar/ Wien 2009, S. 712 – 738. 29 Schmidt, Gesellschaft (Anm. 28), S. 9. 30 Schmidt, Gesellschaft (Anm. 28), S. 10. 31 Teilweise abgedruckt bei Holtz, Gesellschaft (Anm. 6), S. 7 f.; dazu Schmidt, Gesellschaft (Anm. 28), S. 9 – 10. 32 Schmidt, Gesellschaft (Anm. 28), S. 11 nennt die Gymnasialprofessoren des Stettiner Mariengymnasiums, u. a. Ludwig Giesebrecht, und Professoren der Greifswalder Universität, also die Personen, die dann auch die ersten Funktionen in dem neuen Verein übernahmen. 33 GStA PK, I. HA Rep. 89 Nr. 20015, fol. 1. 34 Vgl. zu Sack Schütz, Die preußischen Oberpräsidenten (Anm. 8), S. 36, S. 57; Johannes F. Weise, Johann August Sack (1764 – 1831) – Preußischer Oberpräsident am Rhein und in Pommern, in: Thomas Stamm-Kuhlmann (Hrsg.), Pommern im 19. Jahrhundert. Staatliche und gesellschaftliche Entwicklung in vergleichender Perspektive, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 77 – 89; Margret Wensky, Johann August Sack (1764 – 1831), Oberpräsident an Rhein und Oder – eine preußische Beamtenkarriere in Zeiten des Umbruchs, in: Becker/Geppert/Rönz (Hrsg.), Das Rheinland auf dem Weg nach Preußen 1815 – 1822 (Anm. 4), S. 169 – 193; Heinrich, Acht Exzellenzen (Anm. 8), S. 10 – 104.
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in Göttingen und durchlief dann die unteren Karrierestufen im Rheinland, bei denen er bereits in Kontakt zum Freiherrn vom Stein kam, mit dem er in den nächsten Jahren in engerem Kontakt stand. Während der Napoleonischen Kriege stieg er die Karriereleiter weiter hinauf und war ähnlich wie von Bülow an der Neuorganisation des Staates und der Bildung der Provinzen, in diesem Fall der rheinischen Provinzen, beteiligt. Nach einem Einsatz als Oberpräsident in der Provinz Niederrhein wurde er 1816 an die Spitze der Provinz Pommern versetzt, wo er erhebliche Aktivitäten entfaltete. Auch er war in Berlin gut vernetzt, geriet jedoch aufgrund seiner liberaleren Grundhaltung in Konflikte mit den konservativer werdenden Regierungskreisen, was seine Abberufung aus dem Rheinland bedingt hatte. Auch Sack hatte in Göttingen studiert und passt daher in das Bild der Generation 1806, er war ebenfalls kein Reichstagsgesandter. Bei beiden, von Bülow wie Sack, fällt auf, dass sie ein Engagement für die vaterländische Geschichte entwickelten, ihre Vereinsgründungen jedoch nicht in ihrer jeweiligen Heimatregion erfolgten, sondern in der Provinz oder einer der Provinzen, denen sie als Oberpräsidenten vorstanden. Bei Sack ist die dienstliche Rolle jedoch weit eindeutiger als bei von Bülow. Seine Motive lagen wohl hauptsächlich in seinem Engagement für die Entwicklung seiner Provinz, wozu neben einer Verbesserung der Bildung v. a. das Zusammenwachsen der divergierenden Landesteile und die Prosperität der Provinz gehörten.35 Untersuchungen der letzten Jahre, so von Heiko Beckmann,36 legen zudem nahe, dass die Wurzeln dieses pommerschen Vereins weiter zurückgingen, und in den frühen Jahren auch andere, aus dem Stadtbürgertum stammende Protagonisten eine Rolle spielten, v. a. aber, dass die ersten Anfänge nicht in Stettin, also dem altpommerschen Teil der Provinz, sondern im ehemals schwedischen neuvorpommerschen Teil in Greifswald ihren Ausgang nahmen. Dort hat es bereits weitentwickelte und mit dem Kultusministerium in Berlin und der Regierung in Stralsund abgestimmte Pläne für die Gründung eines Vereins für pommersche Altertumskunde gegeben, dessen Zielrichtung vor allem auf die Sammlung und Verwahrung von Altertümern in einem zu gründenden Museum ging. Dabei kam es aber offenbar zu Differenzen zwischen den beiden Gründern Karl Schildener (1777 – 1843) und Wilhelm Schilling (1790 – 1874). Nach einer Kontaktaufnahme eines der beiden Vereinsgründer, Schildeners, zum Oberpräsidenten, führte man die beiden Planungen zusammen. Nach Verhandlungen im Winter 1823/24 kam es dann zu der offiziellen Vereinsgründung mit den beiden Abteilungen in Stettin und in Greifswald, die in der Folgezeit recht unabhängig voneinander agierten. Die erste Zusammenkunft in Greifwald fand erst am 27. Februar 1826 statt; im Jahresbericht über die 1. Versammlung in Stettin wird erwähnt, dass die Greifswalder Mitglieder aufgefordert gewesen seien, sich am selben Tag zu konstituieren, was sich aber durch unvorhergesehene Schwierigkeiten 35
Schmidt, Gesellschaft (Anm. 28), S. 8 f. Heiko Beckmann, Der Verein vor dem Verein. Neues zur Gründungsgeschichte der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, in: Pommern, Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Jahrgang 2002, Heft 2, S. 17 – 19; zum Greifswalder Ausschuss vgl. auch Schmidt, Gesellschaft (Anm. 28), S. 13. 36
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verzögert habe.37 Heiko Beckmann spricht davon, dass eine „regional begrenzte bürgerlich-akademische Initiative“ von einer „überregional orientierten, preußisch-gouvernementalen Gründungsinitiative gehemmt und schließlich aufgesogen“ worden sei.38 Auch wenn der Gegensatz hier sehr krass formuliert ist, zeigen diese beiden Begriffe doch das Spannungsfeld auf, in dem sich unsere Vereinsgründungen bewegten. Ähnliches lässt sich für die Provinz Westfalen konstatieren. Auch hier gehen erste Bemühungen um die Gründung eines Geschichtsvereins bis in das Jahr 1819 oder sogar davor zurück, während die förmliche Gründung erst 1824 erfolgte. Auch hier gab es mit Paderborn und Münster in zwei verschiedenen Regionen der Provinz eigene und ähnlich wie in Pommern unterschiedlich gelagerte Bemühungen um die Gründung eines Geschichtsvereins.39 Des Weiteren stand in Westfalen, das als kirchliche geprägte Landschaft stark von der Säkularisation betroffen war, die Sicherung der infolge von Säkularisierung und Krieg verstreuten und stark gefährdeten archivalischen und bibliothekarischen Quellen der Klöster und Stifter, Institutionen und Vorgängerterritorien von Anfang an im Zentrum der Bemühungen, und schon früh wurde die Herausgabe eines westfälischen Urkundenbuchs angestrebt. Dies gilt insbesondere für den Paderborner Verein, während der Münsteraner Verein stärker als Unterstützung für ein dort entstehendes Museum gedacht war. In Paderborn steht am Anfang die Ausarbeitung eines „Plan der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde Westfalens“, durch Paul Wigand (1786 – 1866) und August von Haxthausen (1792 – 1866) bereits im Jahr 1819. Dieser Plan stand in Zusammenhang mit Kontakten Wigands zu der durch den Freiherrn vom Stein ins Leben gerufenen „Gesellschaft für ältere Deutsche Geschichtskunde“ und sah einen westfälischen Zweigverein dieser Gesellschaft vor. Wigand, der über seine Archivtätigkeit in Kontakt zu Oberpräsident Ludwig von Vincke (1774 – 1844) stand, legte diesem den Plan am 20. Dezem37
Bericht der 1. Versammlung abgedruckt bei Holtz, Gesellschaft (Anm. 6), S. 8. Beckmann, Verein (Anm. 36), S. 19. 39 Der westfälische Altertumsverein ist gut aufgearbeitet, vgl. dazu insbesondere die zahlreichen in der Jubiläumsschrift zum 150. Jubiläum, dem Band 124/125 der Westfälischen Zeitschrift 75, erschienenen Beiträge, darunter Klemens Honselmann/Alfred Hartlieb von Walther, Einhundertfünfzig Jahre Verein für die Geschichte und Altertumskunde Westfalens, S. I–XXXIV, v. a. S. I–IX mit Verweis auf die ältere Literatur; Klemens Honselmann, Die Mitglieder der Paderborner Abteilung und die Ehren- und korrespondierenden Mitlieder des Vereins in der Gründerzeit, S. 43 – 59; Hildegard Ditt, Zur Entwicklung der Sozialstruktur des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens – Abteilung Münster, S. 61 – 90; Hans Eichler, Das Museum vaterländischer Alterthümer zu Münster, S. 91 – 113; vgl. ferner Bernd Mütter, Die westfälische Landesgeschichtsforschung zwischen Aufklärung und Historismus und die Gründung des Altertumsvereins in Paderborn 1824, in: Westfälische Zeitschrift 133, 1983, S. 129 – 154; Bernd Mütter/Robert Meyer, Geschichtswissenschaft und historische Bildung: Zur Entwicklung der Geschichtsvereine in Westfalen während des 19. Jahrhunderts, in: Westfälische Forschungen 39/1989, S. 57 – 82, hier v. a. S. 60; und schließlich für unser Thema einschlägig: Manfred Wolf, Geschichtspflege und Identitätsstiftung. Provinzialarchiv und Altertumsverein als kulturpolitische Mittel der Integration der Provinz Westfalen, in: Behr/Kloosterhuis (Hrsg.), Ludwig Freiherr von Vincke (Anm. 8), S. 461 – 483. 38
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ber 1820 als Denkschrift vor und empfahl ihn der staatlichen Unterstützung.40 Als loser Verbund scheint dieser Verein tatsächlich bereits existiert zu haben, aber nicht als festgefügte Gesellschaft. Zur Gründung einer solchen kam es erst 1824 auf maßgebliche Initiative des Theologen und dann langjährigen Vereinsvorsitzenden Ignaz Theodor Liborius Meyer,41 der sich aber eher an dem Thüringisch-Sächsischen Verein und dem 1821 in Nassau gegründeten Geschichtsverein als an Steins Gesellschaft orientierte. Beiden gemeinsam war eine starke Ausrichtung auf aktiv mitwirkende Mitglieder, also solchen, die auch geschichtlich forschten. Auch Meyer bemühte sich um staatliche Billigung und Unterstützung und legte seine Pläne am 26. März 1823 sowohl der Regierung in Minden als auch dem Oberpräsidenten vor. Von Vincke erklärte sich bereit, dem Verein als Mitglied beizutreten. Den beigefügten Entwurf für künftige Statuten ließ er jedoch durch die Verwaltung prüfen. Die dadurch entstandene Verzögerung führte dazu, dass die Gründungsversammlung des „Vereins für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Westfalens“ erst am 19. Juli 1824 stattfinden konnte.42 Die Protagonisten dieser Bestrebungen in Paderborn entstammten dem Bildungsbürgertum sowie dem lokalen Adel und der katholischen Kirche, mit Paul Wigand und Ignaz Meyer waren zudem zwei profunde Geschichtsforscher und Archivkenner die Hauptakteure.43 Von Vincke hatte seine Teilnahme an der Gründungsversammlung zugesagt, war aber aufgrund einer anderweitigen dienstlichen Verpflichtung dann doch nicht anwesend.44 In Münster dagegen gingen die landesgeschichtlichen Bestrebungen nicht von Privatleuten aus dem Bildungsbürgertum aus, sondern von staatlicher Seite, und hier spielte Oberpräsident von Vincke in engem Zusammenwirken mit den Berliner Regierungsbehörden von Anbeginn an die maßgebliche Rolle. Von Vincke hatte sich schon früh intensiver mit dem Archivwesen und der Verwaltung der verstreuten Archivbestände in Westfalen befasst und stand dazu in dienstlichem Austausch sowohl zu Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein (1770 – 1840) als auch zu Staats-
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Die Gründungsdokumente sind in der Westfälischen Zeitschrift von 1974 veröffentlicht: [Klemens Honselmann, Hrsg.] Paul Wigand/August von Haxthausen, Dokumente zur Gründung des Vereins. Plan der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, in: Westfälische Forschungen 124/125, S. 29 – 41. 41 Ein Gutachten von Ignaz Meyer, Vorschläge zur Betreuung aufgehobener Klöster von 1816/17, ist ebenfalls in den Westfälischen Zeitschrift abgedruckt, hrsg. von W. Leesch, in: Westfälische Zeitschrift 124/125, 1974/1975, S. 1 – 8. Einem im Anhang abgedruckten Schreiben von Vinckes an die Regierung zu Minden vom 20. 9. 1817 ist zu entnehmen, dass Meyers Aktivitäten dem Oberpräsidenten bekannt waren (S. 8). 42 Die Gründungsgeschichte und die Rolle des Oberpräsidenten ist ausführlich und quellennah dargestellt bei Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), S. 476 – 478. 43 Vgl. auch die Liste der Gründungsmitglieder bei Honselmann, Mitglieder (Anm. 39), S. 47 – 49. Interessanterweise war auch Johann August Sack, der Oberpräsident von Pommern, seit 1828 Mitglied des westfälischen Vereins (S. 55). 44 Honselmann, Mitglieder (Anm. 39), S. 49; Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), S. 478.
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kanzler von Hardenberg.45 Altenstein, Hardenberg und von Vincke setzen sich ferner mit einigen anderen Anfang der 1820iger-Jahre für die Gründung eines Museums Vaterländischer Altertümer in Münster ein, dessen Trägerschaft durch das Kultusministerium dem Oberpräsidenten zugewiesen wurde. Dabei legte von Altenstein bereits mit Erlass vom 28. Juli 1818 diesem die Schaffung einer „Gesellschaft von Männern von Sinn und Verstand“ in Bezug auf die Sammlung der historischen und antiquarischen Denkmäler nahe. In einem Erlass vom 3. Dezember 1822 empfahl Altenstein erneut die Gründung eines dem Museum zuarbeitenden Vereins, interessanterweise mit Verweis auf den in Thüringen bereits bestehenden Verein, also den Thüringisch-Sächsischen Verein.46 Dieser Verein sollte dazu dienen, in der Bevölkerung das verschüttete Interesse an den Zeugnissen des Altertums anzuregen. Offenbar gab es in Münster anders als in Thüringen oder in Paderborn weniger genuines geschichtliches Interesse, und die Anzahl engagierter Personen hielt sich in Grenzen. Oberpräsident von Vincke griff den Vorschlag auf und orientierte sich dabei an dem bereits bestehenden Verein in Paderborn.47 In seiner im Amtsblatt der Regierung zu Münster erlassenen Bekanntmachung über die Eröffnung des Museums kündigte er an, dass sich „auch hier, unter meiner Theilnahme eine Gesellschaft für die Vaterländische Geschichtskunde als Zweig der in Paderborn errichteten, zu bilden im Begriffe ist“,48 und in der Folge veranlasste er den Münsteraner Schul- und Konsistorialrat Friedrich Kohlrausch (1780 – 1867), der auch dem Museum vorstand, zur Einberufung der Gründungsversammlung am 21. September 1825. Nach dieser Gründung des Schwestervereins in Münster übernahm Oberpräsident von Vincke ein gemeinsames Kuratorium für beide Vereine. Ähnlich wie Sack in Pommern stand er damit über den beiden Vorsitzenden, vertrat den Verein nach außen und war auch an der Ausbildung der nun gemeinsamen Statuten, die auf der Grundlage der in Paderborn bereits ausgearbeiteten Statuten entstanden, beteiligt. Er übernahm es auch, die Vereinsgründung beim Kultusministerium anzuzeigen und die Genehmigung des Königs zu erwirken. Die entsprechende Akte in der Überlieferung des Geheimen Zivilkabinetts49 wirft ein interessantes Schlaglicht auf das Verhältnis der beiden Vereine und von Vinckes Rolle. Auf dessen Bitte zeigte von Al45
Mütter/Meyer, Geschichtswissenschaft (Anm. 39), S. 62. – Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), S. 461 ff. weist darauf hin, dass Vincke sich wie Hardenberg in besonderer Weise für das Archivwesen interessierte, was damals eher ungewöhnlich war (S. 467). 46 Eichler, Museum (Anm. 39), S. 91 – In diesem Zusammenhang gehört ein Erlass von Vinckes im Amtsblatt der Regierung vom 7. Okt. 1820, in dem er die Lokalbehörden zur Inventarisierung der Altertümer aufforderte, mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Altertümer nicht aus der Provinz in ein Zentraldepot abwandern sollten (Abdruck S. 93 f.), sowie ein Schreiben von Vinckes in diesen Angelegenheiten, aus denen sein Interesse deutlich wird, Anlage A und B; Mütter/Meyer, Geschichtswissenschaft (Anm. 39), S. 62. 47 Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), S. 9. 48 Abgedruckt bei Eichler, Museum (Anm. 39), S. 112 f., Dokument C. 49 GStA PK, I. HA Rep. 89 (Geheimes Zivilkabinett), Nr. 20024, fol. 1 – 11; vgl. dazu Honselmann/von Walther, Einhundertfünfzig Jahre (Anm. 49, S. II). – Interessanterweise führte von Vincke anders als Sack die Korrespondenz mit dem königlichen Kabinett nicht selbst, sondern überließ sie dem Kultusminister.
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tenstein zunächst dem König am 11. Februar 1826 die Gründung des Paderborner Vereins an, unter Betonung der dort bereits seit langem bestehenden, aber bisher nicht gebündelten Bestrebungen, die jetzt in dem genannten Verein zusammengeführt würden. Er übersandte den Entwurf der Statuten und bemerkte, dass der Verein die „allerhöchste Bestätigung“ wünsche. Der Oberpräsident von Vincke, „dessen Gutachten ich darüber eingezogen habe, unterstützt dies Gesuch, wie er sich denn überhaupt für den Verein mit Recht lebhaft interessiert“. Er bat ferner um finanzielle Unterstützung in Höhe von 200 Talern und erläuterte, dass bereits Portofreiheit bis zu einer gewissen Höhe gewährt worden sei. Die Bewilligung des Königs wurde erteilt, interessanterweise aber mit einer Änderung der Statuten in Bezug auf die Bildung von Spezialvereinen, also Filialen oder Sektionen des Vereins an anderen Orten, die der König für überflüssig hielt. Daraufhin habe, wie von Altenstein im Schreiben an den König vom 31. August 1826 ausführt, von Vincke „vorzustellen sich für verpflichtet gehalten“, dass sich bereits in Münster ein Spezialverein in Verbindung mit dem Paderborner gegründet habe. Er, von Vincke, habe die königliche Bewilligung voraussetzend, das Kuratorium über beide Schwester-Vereine, das ihm angetragen worden sei, übernommen. Er habe keine Zurückweisung des Königs befürchtet, als „ihm die Bildung derselben für die Zwecke der Gesellschaft sehr erwünscht schiene“. Als Grund für die Bildung des Münsteraner Vereins führt er die Randlage Paderborns an, die es erforderlich mache, in Münster einen Zweigverein einzurichten, um die dortigen Geschichtsinteressierten zu erreichen. Interessant ist auch der Hinweis auf das Museum, zu dessen Unterstützung ein Münsteraner Verein wichtig sei, und zwar, um Privatsammler zu veranlassen, ihre Funde einzuliefern, die diese eher einem Verein als einem staatlichen Museum anvertrauen würden. Anders als der König sah der Oberpräsident keinen Nachteil in weiteren Filialen und wünschte sich eine Filiale in Arnsberg. Zusammengehalten würde das Ganze durch das bei ihm liegende Kuratorium.50 In der beigefügten Mitgliederliste des Münsteraner Vereins wird von Vincke als Kurator an erster Stelle genannt. Der König folgte von Vinckes Argumentation und genehmigte am 7. Januar 1827 die Statuten mit der Aufnahme des Münsteraner Vereins, aber unter Verbot weiterer Filialvereine, und gewährte dem Verein auch einen finanziellen Zuschuss, dem später auf Betreiben von Vinckes weitere Zuwendungen folgten. Dennoch entwickelte sich der Münsteraner Schwesterverein zunächst nicht so gut wie der in Paderborn. Er hatte zunächst nur eine recht begrenzte Mitgliederzahl und drohte trotz weiterer Bemühungen von Vinckes Ende der zwanziger Jahre bereits wieder einzugehen, wurde dann aber durch die Versetzung von Heinrich August Erhard (1793 – 1851), dem ersten Staatsarchivar in Müns-
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Hinzuweisen sei hier noch auf einen Verein für Geschichte und Altertumskunde in Minden, gegründet am 8. Febr. 1825 nicht als selbständiger Verein, sondern als Sektion der Westfälischen Gesellschaft für vaterländische Kultur, nachdem eine Kooperation mit Paderborn nicht zustande gekommen war, vgl. Mütter/Meyer, Geschichtswissenschaft (Anm. 39), S. 78.
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ter, wiederbelebt, wiederum nicht zuletzt dank energischer Intervention des Oberpräsidenten.51 Oberpräsident von Vincke hat sich für den westfälischen Verein von Anfang an und andauernd stark engagiert. In seiner Eigenschaft als Kurator verstand er sich deutlich stärker als von Bülow in der Provinz Sachsen und vielleicht sogar noch deutlicher als Sack in der Provinz Pommern auch nach außen als Vertreter des Vereins und nahm recht regelmäßig an Vereinsversammlungen teil.52 Dabei stand sein Engagement klar im Kontext seiner dienstlichen Aufgaben und stets in engem Zusammenhang mit seinen Planungen für die westfälischen Archive und Museen; insbesondere an den Plänen zur Schaffung eines westfälischen Urkundenbuchs nahm er lebhaften Anteil. Ähnlich wie bei Sack in Pommern stand dahinter der Wunsch, die Identität der Provinz zu stärken, also gewissermaßen ein „Westfalenbewusstsein“ zu entwickeln, das auch seinen persönlichen Vorstellungen entsprach.53 Anders als Sack und von Bülow stammte Ludwig von Vincke aus dem einheimischen Adel in der Provinz Westfalen und blieb nach einem Studium in Marburg Zeit seines Lebens seiner Heimatprovinz verhaftet. Nach 1815 war er für drei Jahrzehnte als Oberpräsident in Westfalen tätig und war damit einer der am längsten amtierenden Oberpräsidenten dieser Zeit.54 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Oberpräsidenten in den preußischen Provinzen bei der Gründung der frühen historischen Vereine tatsächlich, sieht man von der kurzzeitigen Gründung in Breslau ab, in allen Provinzen eine bedeutende Rolle gespielt haben, wenn auch in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Weise. Das lag zunächst einmal an dem Amt und den Aufgaben, die der Oberpräsident wahrzunehmen hatte. Dazu zählten sowohl die frühe Denkmalpflege als auch das Archivwesen in ihrer jeweiligen Provinz, denen sie sich, im nicht immer ganz konfliktfreien Zusammenspiel mit den Berliner Zentralbehörden, anzunehmen hatten. Diese beiden Bereiche wiederum waren infolge der Napoleonischen Kriege und insbesondere der Säkularisation von kirchlichen Institutionen großen Herausforderungen ausgesetzt. Jahrhundertlang von Kirchen, Klöstern und Stiften, aber auch von den früheren Herrschaften bewahrtes Kulturgut, oder in der Sprache der Zeit „Zeugnisse des vaterländischen Alterthums“, Bauten, Kunstwerke und anderes Interieur ebenso wie schriftliches Kulturgut war in Bewegung und damit auch in akute Gefahr geraten, verstreut oder vernichtet zu werden. Hinzu kamen die durch die Hinwendung zur Geschichte in dieser Zeit an vielen Orten häufig durch Privatleute be51
Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), S. 479. Honselmann, Mitglieder (Anm. 39), S. 45. 53 Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), S. 480 f. 54 Ludwig von Vincke gehört zu den am besten erforschten Personen in diesem Amt, vgl. Hans-Joachim Behr/Jürgen Kloosterhuis (Hrsg.) Ludwig Freiherr von Vincke, Ein westfälisches Profil zwischen Reform und Restauration (Anm. 8), darin der genannte Beitrag von Manfred Wolf (Anm. 39). Seine umfassenden Tagebücher liegen inzwischen weitgehend ediert vor; sie konnten hier nicht ausgewertet werden; vgl. zu ihm auch Schütz, Die preußischen Oberpräsidenten (Anm. 12), S. 61 – 62. 52
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gonnenen archäologischen Grabungen. Nicht von ungefähr fallen daher die ersten Bemühungen um eine staatliche Denkmalpflege ebenso in diese Zeit wie die ersten Bemühungen um eine einheitliche Archivstruktur. Bei einer näheren Betrachtung dieses gesamten Feldes wird deutlich, dass wir es hier mit einem spannungsreichen, aber auch konstruktiven Miteinander von lokalen, regionalen, provinzialen und zentralen Aktivitäten zu tun haben. In Berlin befassten sich sowohl das Staatskanzleramt mit Staatskanzler von Hardenberg als auch das Kultusministerium unter von Altenstein aktiv mit diesen Fragen. Beide korrespondierten dazu zum Teil intensiv mit den Oberpräsidenten als den zuständigen Beamten in den Provinzen, die dadurch wiederum durchaus auch Einfluss auf grundsätzliche Entscheidungen in diesen Feldern nehmen konnten, z. B. bei der Überwindung der Zentralisierungstendenzen im Archivwesen. Dabei wird sowohl im Kontext der Organisation der Archive als auch insbesondere im Kontext der Sammlung von historischen Sachzeugnissen und der Gründung von Museen die Schaffung von Historischen Vereinen bzw. in der Sprache der Zeit „Alterthumsgesellschaften“ angesprochen, da man sich von diesen sowohl organisatorisch als auch praktisch Unterstützung erhoffte. Deren Schaffung oder Förderung wurde als Sache der Oberpräsidenten angesehen, die als Bindeglied zwischen der Berliner Regierung und den Provinzen in dem noch ungefestigten bzw. uneinheitlichen Staat fungierten. Der von Gehrke eingangs zitierten Auffassung, nur die provinzialen Selbstverwaltungsorgane hätten sich auf der Ebene des historischen Vereinswesens engagiert, nicht die Berliner Zentrale, ist hier also nicht ganz zu folgen.55 Die Oberpräsidenten wiederum hatten ihrerseits ein eigenes Interesse an der Gründung derartiger Gesellschaften, zum einen zur Unterstützung der Arbeit der staatlich oft nur schwach ausgestatteten Archive und Museen, z. B. durch Anregung zur Einlieferung von privat gesichertem Material oder bei der Erarbeitung von Urkundenbüchern, zum anderen zur Förderung der provinziellen Identität. Diese Tendenzen waren in den Provinzen Pommern und Westfalen allerdings deutlich stärker ausgeprägt als in der Provinz Sachsen, wo sich die Ausbildung eines provinziellen Bewusstseins langsamer entwickelte als in anderen Provinzen. So hielt der dortige Verein auch deutlich länger an der Vorstellung fest, „Vaterländische Geschichte“ in einer übergeordneten Perspektive zu betreiben.56 Wohl auch deswegen stellt sich das Engagement des provinzsächsischen Oberpräsidenten von Bülow etwas anders dar als das seiner Kollegen in Pommern oder Westfalen. Seine Bemühungen stehen zwar auch deutlich in Zusammenhang mit seiner dienstlichen Funktion und der damit verbundenen Autorität; dennoch erscheint er in den Korrespondenzen auch als genuin geschichtsinteressierter Mann, dessen Engagement für den Verein sich m. E. nicht allein aus seiner dienstlichen Rolle speiste.57 Bei Sack in Pommern und von Vincke 55
Gehrke, Anregung (wie Anm. 1), S. 22. Höroldt, Hinwendung (Anm. 10), v. a. S. 282 – 284; Wolf, Geschichtspflege (Anm. 39), v. a. S. 480 – 482. 57 Stahl, Anfänge (Anm. 11), S. 75 f. betont dagegen eine direkte institutionelle Einflussnahme und eine Umsetzung von ministeriell gesetzten Schwerpunkten inhaltlich gouvernementale Handlungsweisen. 56
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in Westfalen tritt der dienstliche Aspekt stärker hervor. Als Juristen aus der Schule des älteren Reichsrechts brachten aber auch sie durchaus ein inhaltliches Verständnis mit.58 In mehreren Provinzen trafen sich die staatlichen Überlegungen mit bereits bestehenden „bürgerschaftlichen“ Initiativen, die zumeist durch geschichtsinteressierte Männer aus dem Bürgertum, vielfach aus der Beamtenschaft, betrieben wurden. Auffällig ist, dass aufgrund der zusammengesetzten Struktur der Provinzen derartige Initiativen v. a. in der Frühzeit, also zwischen 1815 und 1819, gleichzeitig an mehreren Orten in einer Provinz entstanden. In allen drei Provinzen entwickelten sich die stärkeren Initiativen und die frühesten Vereinsgründungen interessanterweise nicht in den altpreußischen Teilen oder den neuen preußischen Zentralorten der Provinz, sondern in den neu hinzugekommenen Landesteilen bzw. an der Peripherie, in der Provinz Sachsen im thüringisch-sächsischen Gebiet, in Pommern in Greifswald, in Westfalen in Paderborn. Auch diese Initiativen wurden gefördert, aber dabei auch eingehegt. Gerade in diesen Provinzen griff der Staat zudem dort, wo sich derartige Initiativen nicht von allein entwickelten, ein. Hier war es tatsächlich insbesondere der jeweilige Oberpräsident, der die Vereinsgründungen aktiv unter anderen durch die Übernahme des Vorsitzes oder eines über den Zweigvereinen stehenden Kuratoriums förderte und dominierte. Die Frage, inwieweit der preußische Staat solchen bürgerschaftlichen Vereinsgründungen gerade in den neu an Preußen gefallenen Landesteilen positiv oder doch eher misstrauisch gegenüberstand, wird in der Literatur unterschiedlich gesehen. Während auf der einen Seite die staatliche Kontrolle solcher Initiativen durch behördliche bzw. königliche Genehmigungen betont wird,59 wird von anderer Seite die Förderung gerade der landesgeschichtlich orientierten Vereine als Mittel zur Verhinderung regionaler Opposition hervorgehoben.60 Tatsächlich konnten sich die historischen, ebenso wie andere Vereine in Preußen nicht völlig unabhängig von staatlichen Genehmigungen entwickeln. Die Billigung der Vereinsgründung und der einzureichenden Statuten war bei den staatlichen Stellen einzuholen, und diese Angelegenheiten gingen nach Prüfung durch die Oberpräsidenten und die Regierungen bis an die monarchische Staatsspitze. Dies führte zu einem engen Beziehungsgeflecht zwischen bürgerschaftlichen Initiativen und staatlichen Stellen; Förderung und Instrumentalisierung stehen dabei nebeneinander. Die 58 Vgl. die biografischen Angaben zu den einzelnen Oberpräsidenten; ferner Schütz, Die preußischen Oberpräsidenten (Anm. 8), S. 52 – 58 (zur regionalen Herkunft), S. 58 – 66 (zur Laufbahn) und Tabellen S. 77 – 81. 59 So zuletzt noch Stahl, Anfänge (Anm. 11), S. 77, dagegen Höroldt, Verhältnis (Anm. 3), S. 36 f. 60 Mütter/Meyer, Geschichtswissenschaft (Anm. 39), S. 62; vgl. dazu auch Hans-Joachim Behr, Rheinland, Westfalen und Preußen in ihrem wechselseitigen Verhältnis 1815 – 1945, in: Westfälische Zeitschrift 133, 1983, S. 37 – 56, S. 39 zur Entdeckung der Landschaft als Kulturraum durch die Romantik, die integrierende Wirkung der Vereine und die Rolle der Oberpräsidenten, S. 40 f. – Gehrke, Anregung (Anm. 1), S. 22 betont, dass in der Frühzeit in Preußen und den norddeutschen Staaten der privatrechtliche Charakter der Vereine ohne weitere staatliche Auflagen respektiert worden sei.
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Jahre nach 1815 kann man als eine Zeit ansehen, in der der Kulturstaat sich im engen, aber keineswegs konfliktfreien Wechselspiel zwischen staatlichen und bürgerschaftlichen Initiativen entwickelte.61 Der Oberpräsident als Vertreter der Zentrale in der Provinz und als Vertreter der Provinz in Berlin stand dabei im Zentrum.
61 Vgl. dazu Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Acta Borussica. Neue Folge, 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat, Abt. I: Das Preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817 – 1934), Bd. 2.1: Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern Schule, Wissenschaft, Kirchen, Künste und Medizinalwesen. Darstellung, Berlin 2010, hier v. a. die Einleitung von Wolfgang Neugebauer, S. XIII–XXXIII, zum Vereinswesen S. XXXII.
Die Wende der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung und ihre Folgen: Hermann Krabbos und Georg Winters „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause 1100 – 1323“ (1910 – 1955) Von Klaus Neitmann, Potsdam/Berlin Die Geschichte der Geschichtswissenschaft ist ein traditionsreiches Thema innerhalb der deutschen Historikerzunft, und in den letzten Jahrzehnten hat sie sich zunehmender Aufmerksamkeit erfreut, die sich in starkem Maße auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik und die politischen Haltungen der Historiker unter besonderer Hervorhebung der NS-Zeit und der frühen Nachkriegszeit konzentriert hat. Ohne die Berechtigung dieser Fragestellung grundsätzlich leugnen zu wollen, erscheint sie zumindest in ihrer vielfach einseitigen Behandlung fragwürdig. Der Göttinger Alt- und Wissenschaftshistoriker Alfred Heuß hat stattdessen die Orientierung der historiographischen Untersuchungen „an der Leistungshöhe des geschichtswissenschaftlichen Bemühens“ und an der „inneren Form der Forschung und ihr[em] begriffliche[n] Rüstzeug“ angemahnt1 und seine Vorstellung in seinem Buch über „Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert“,2 einer glänzenden Analyse und faszinierenden Darstellung, umgesetzt. Der Göttinger Mediävist Hermann Heimpel hat „Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland“ gehandelt3 und dabei in einem ebenso großzügigen wie scharfsinnigen Rückblick herausgearbeitet, in welchen wechselnden institutionellen Formen Personen und Personengruppen seit dem 18. Jahrhundert die Vergangenheit programmatisch und methodisch untersucht haben. Unter Anlehnung an die damit bezeichneten Leitlinien habe ich in meinen eigenen Studien zur deutschen und zur brandenburgischpreußischen Landesgeschichtsforschung4 vorrangig zwei einander ergänzende Ge1 Alfred Heuß, Rez. Heinrich Ritter von Srbik: Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, 2 Bde., München/Salzburg 1950/51, in: ders., Gesammelte Schriften in 3 Bänden, Bd. III, Stuttgart 1995, S. 2616 – 2618, hier S. 2617 (zuerst 1953). 2 Ders., Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, Ndr. Stuttgart 1996. 3 Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland, in: Theodor Schieder (Hrsg.), Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1859 – 1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutschsprachigen Ländern (= Historische Zeitschrift 189 [1959]), München 1959, S. 139 – 222. 4 Die wichtigsten Beiträge in dem Sammelband: Klaus Neitmann, Land und Landeshistoriographie. Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen und deutschen Lan-
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sichtspunkte verfolgt. Zum einen bewegen mich die Entstehungsbedingungen der geschichtswissenschaftlichen Arbeit: Welche äußeren Voraussetzungen haben sie überhaupt erst ermöglicht, also: Wie wurde der Forschungsbetrieb seit dem frühen 19. Jahrhundert organisiert und finanziert? Zum anderen bewegen mich die wissenschaftlichen Konzeptionen zur Beschreibung vergangener Zeiten, die leitenden Fragestellungen der Historiker und deren Ursprünge, ihre thematischen Schwerpunkte und die von ihnen angewandten Methoden. Von solchen Überlegungen sind die folgenden Ausführungen zu dem zwischen 1910 und 1955 in zwölf Lieferungen erschienenen Werk von Hermann Krabbo und Georg Winter „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause 1100 – 1323“5 bestimmt. „Krabbo/ Winter“ (= KW), wie die Quellenedition gemeinhin abgekürzt zur schnellen Verständigung benannt wird, ist jedem brandenburgischen Landeshistoriker, zumindest den Mediävisten unter ihnen, wegen seiner häufigen Benutzung wohlbekannt. Aber daß diese Edition an einer „Wende der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung“ steht, dürfte nicht unbedingt eine allgemein verbreitete Einschätzung sein, und so soll im Folgenden belegt werden, daß die Askanierregesten nach Inhalt und Methode ebenso wie das Umfeld, das sie ursprünglich hervorbrachte, eine neue Epoche der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung heraufführten. Die moderne brandenburgische Historiographie wird von zwei Historiker-Archivaren und einer Organisation geschaffen: von Georg Wilhelm von Raumer und Adolph Friedrich Riedel sowie vom Verein für Geschichte der Mark Brandenburg.6 Raumer und Riedel standen in ihren seit 1830 veröffentlichten Arbeiten unter dem beherrschenden Eindruck, daß zu einer wohlbegründeten Erforschung der märkischen Geschichte zunächst das notwendige Quellenfundament erheblich verbreitert oder überhaupt erst geschaffen werden müsse. Denn die wenigen vornehmlich aus dem 18. Jahrhundert überkommenen Editionen reichten ihnen bei weitem nicht aus, die Vorgänge und Zustände der Mark von den slawischen Zeiten bis zu den Umbrüchen des frühen 19. Jahrhunderts umfassend unter Benutzung der im jeweiligen Geschehen entstandenen schriftlichen Zeugnisse zu schildern. Sie gingen infolgedessen daran, die Archive zu sichten und dortige Urkunden, Amtsbücher und Akten desgeschichtsforschung, hrsg. v. Hans-Christof Kraus u. Uwe Schaper, Berlin/Boston 2015. – Das Zustandekommen dieser Ausgabe war wesentlich Hans-Christof Kraus zu verdanken, umso lieber beteilige ich mich an der ihm gewidmeten Festschrift mit meinem damals anläßlich der öffentlichen Vorstellung des Buches gehaltenen, für den hiesigen Abdruck erheblich überarbeiteten Vortrag. 5 Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, bearb. v. Hermann Krabbo u. Georg Winter (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), 12 Lieferungen, München/Leipzig bzw. Berlin 1910 – 1955. – Jetzt im Internet zugänglich unter: https://digital.ub.uni-potsdam.de/content/titleinfo/63582 (Zugriff 14. Januar 2023). 6 Zum Folgenden vgl. Klaus Neitmann, Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830 – 1848, in: ders., Land und Landeshistoriographie (Anm. 4), S. 1 – 58 (zuerst 2010).
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zwecks allgemeiner Zugänglichkeit zu publizieren. Raumer7 beschränkte sich auf ausgewählte landesherrliche Überlieferungen, vornehmlich die der Kurmärkischen Lehnskanzlei, bezog aber neben Urkunden und Briefen auch das Amtsbuch ein und ergänzte die Textabdrucke unter dem Eindruck von Johann Friedrich Böhmers Regesta Imperii durch die chronologisch geordnete Zusammenstellung von urkundlichen und historiographischen Quellen. Riedel8 war demgegenüber bemüht, nicht nur die Überlieferung der landesherrlichen Zentrale, sondern vor allem die der einzelnen Stände in ihren regionalen und lokalen Wirkungsstätten zu ermitteln, und publizierte Quellen aus staatlichen, kommunalen, adligen und kirchlichen Beständen innerhalb wie auch außerhalb der Mark Brandenburg in möglichst großen Mengen. Am Ende von über dreißigjähriger Tätigkeit stand die monumentale Edition des „Codex diplomaticus Brandenburgensis“9 mit über 19.000 Urkunden und sonstigen Schriftzeugnissen vom 10. bis zum 17. Jahrhundert in 41 Bänden, der seine Unverzichtbarkeit bis in unsere Gegenwart nicht verloren hat. Freilich ist auch der Preis, um den ein solches Ergebnis aus subjektiven und objektiven Gründen erreicht wurde, seit langem unübersehbar: Riedel hat flüchtig gearbeitet,10 die Qualität seiner eigenen Abschriften und die seiner zahlreichen Helfer überall im Lande ist recht unterschiedlich und hat oft genug zu unvollständigen und korrupten Abdrucken geführt, zumal wegen des unzureichenden Ordnungs- und Erschließungszustandes der Archive vielfach nur spätere und schlechtere Überlieferungen zugrunde gelegt wurden, und an Kommentaren zur Beschreibung der Überlieferung und zum Verständnis ihrer Texte mangelte es fast gänzlich. Ebenso vermögen Raumers Editionen, gerade auch sein an sich neuartiges Regestenwerk,11 nicht zu befriedigen, wenn er widersprüchliche Quellenauszüge aneinanderreiht, ohne sich 7
Klaus Neitmann, Georg Wilhelm von Raumer (1800 – 1856). Preußischer Staatsarchivar und brandenburgischer Landeshistoriker, in: Friedrich Beck/Klaus Neitmann (Hrsg.), Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker (Brandenburgische Historische Studien, 16), Berlin-Brandenburg 2013, S. 40 – 49. 8 Wolfgang Ribbe, Adolf Friedrich Riedel (1809 – 1872). Preußischer Staatsarchivar, Landeshistoriker und Staatswissenschaftler, in: Beck/Neitmann (Hrsg.), Lebensbilder (Anm. 7), S. 50 – 57. 9 Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, hrsg. v. Adolph Friedrich Riedel, 41 Bde., Berlin 1838 – 1869. 10 Vgl. Krabbos mit bezeichnenden Beispielen belegte Urteile: Die Urkunde des Markgrafen Otto I. für die Bürger von Brandenburg vom Jahre 1170, in: 41.–42. Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg a. H., Brandenburg 1910, S. 1 – 25, hier S. 1 mit Anm. 1; Studien zur älteren Geschichte der Mark Brandenburg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (im Folgenden: FBPG) 26 (1913), S. 379 – 412, hier S. 407; Die Urkunde Markgraf Ottos V. von Brandenburg vom Jahre 1298 für die Stadt Berlin, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 37 (1920), S. 39 – 42, hier S. 39. – Die im Folgenden ohne Verfasserangabe genannten Titel stammen alle von Krabbo. 11 Georg Wilhelm von Raumer, Regesta Historiae Brandenburgensis. Chronologisch geordnete Auszüge aus allen Chroniken und Urkunden zur Geschichte der Mark Brandenburg, Bd. 1: bis zum Jahr 1200, Berlin 1836, Ndr. Hildesheim/New York 1975 (mehr nicht erschienen).
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um deren Erläuterung und Bewertung zu kümmern. Überhaupt blieben die Erfolge, die der 1837 auf Initiative Riedels gegründete Verein für Geschichte der Mark Brandenburg nach einem vielversprechenden Anfang erreichte, beschränkt, und er vermochte die Anforderungen, die Raumer 1832 programmatisch verkündet hatte, nämlich die thematisch weit ausgreifende, in Gemeinschaftsarbeit der Vereinsmitglieder angestrebte Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte, nicht zu erfüllen. Die aktiven Wissenschaftler trugen auf den regelmäßigen Versammlungen ihre Forschungserträge zu einem breiten landesgeschichtlichen und landeskundlichen Spektrum vor, der Verein bot Gelegenheit zur eingehenden Aussprache und gewährte einen Druckort in der eigenen Vereinszeitschrift, den „Märkischen Forschungen“. Aber nicht einmal deren regelmäßige Herausgabe sicherten seine schmalen Finanzen, die sich aus mäßigen Mitgliedsbeiträgen und gelegentlichen Zuschüssen der Krone und der Ministerien zu einzelnen Publikationen zusammensetzten. Aus seiner beschaulichen Ruhe wurde der Verein in den späteren 1880er Jahren herausgerissen,12 als der Nationalökonom Gustav Schmoller sein Wissenschaftsimperium aufzubauen begann, zentriert um das an der Preußischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte Großprojekt der „Acta Borussica“, mit dem Quellen zur inneren Verwaltung Preußens im 18. Jahrhundert herausgegeben wurden. Schmoller bezog auch den Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in seine Planungen zur Intensivierung der brandenburgisch-preußischen Geschichtsforschung ein und suchte dessen landesgeschichtliche Tätigkeit erheblich zu steigern, indem er sich um die Vermehrung der ihm zufließenden Gelder bemühte.13 Er wandte sich dabei an die für die Landesgeschichtsforschung zuständige öffentliche Stelle, den Brandenburgischen Provinzialverband, denn diesem war durch seine Rechtsgrundlage, die sog. Dotationsgesetze von 1875, die landschaftliche Kulturpflege übertragen worden, und er hatte aus diesem Grunde seit 1877 die Vereinszeitschrift gefördert, so daß seitdem mit seinem Zuschuß von 1.000,– Mark deren alljährliches Erscheinen gesichert war. Aber Schmoller strebte am Ende des Jahrhunderts nach mehr und nach Höherem, nämlich nach dem Vorbild der „Histori12 Zum Folgenden vgl. Klaus Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: ders., Land und Landeshistoriographie (Anm. 4), S. 59 – 136 (zuerst 2006), hier S. 61 – 79; Wolfgang Neugebauer, Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Großbetrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: Jürgen Kloosterhuis (Hrsg.), Archivarbeit für Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlass der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivischen Tradition (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 2), Berlin 2000, S. 261 – 301. 13 Zum Folgenden vgl. Klaus Neitmann, Geschichtsverein und Historische Kommission, Archivinventarisation und Landesgeschichtsforschung: die Metamorphose des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg um 1900. Eine kommentierte Quellenedition, in: HansChristof Kraus/Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Historiker und Archivar im Dienste Preußens. Festschrift für Jürgen Kloosterhuis, Berlin 2015, S. 527 – 554.
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schen Kommissionen“, die seit 1876 in anderen preußischen Provinzen und deutschen Bundesstaaten gegründet worden waren und die auf Grund ihrer Zusammensetzung aus kompetenten Fachwissenschaftlern das Ziel eines anspruchsvollen landesgeschichtlichen Forschungsprogramms verfolgten und dazu durch öffentliche und private Zuschüsse in die Lage versetzt wurden. In einer langen Denkschrift vom 1. Oktober 189814 setzte der Verein dem Provinzialverband auseinander, daß er entsprechend den andernorts in den Historischen Kommissionen erreichten wissenschaftlichen Standards über seine Zeitschrift hinaus verschiedene Vorhaben zur mittelalterlichen und neuzeitlichen märkischen Geschichte in Gang setzen und ihre Ergebnisse in einer eigenen Schriftenreihe publizieren wolle, sofern ihm der Provinzialverband dazu durch die Steigerung seiner jährlichen Förderung von bislang 1.000 Mark auf ca. 3.000 bis 5.000 Mark die materiellen Grundlagen verschaffe. In den Mittelpunkt wurden die Ermittlung und Inventarisierung des nicht-staatlichen Archivgutes in Kommunal- und Adelsarchiven sowie die Herausgabe von Quelleneditionen und Erarbeitung von Hilfsmitteln gerückt, mithin die historische Grundlagenforschung als zentrale Aufgabe betont. Daraufhin verstand sich der Provinzialverband ab 1899 zu einer jährlichen Bezuschussung von 2.500 Mark – er blieb damit zwar noch unter dem Minimalansatz des Antrages, aber er verhalf mit seiner Autorität dem Verein zur gleichzeitigen Erschließung weiterer Finanzquellen, indem Kommunen, Kreise und Städte sowie Adelsfamilien dafür gewonnen wurden, die Rolle eines Patrons für den Verein zu übernehmen und einen höheren jährlichen Förderbeitrag zu leisten. Schließlich erklärte sich die Preußische Archivverwaltung im Hinblick auf die angestrebte Archivpflege zur Bereitstellung einer bescheidenen Geldsumme von 750 Mark bereit. So erzielte der Verein seit der Jahrhundertwende durchschnittlich jährliche Einnahmen von ca. 7.000 bis 8.000 Mark und vermochte sich durch deren kluge Bewirtschaftung einen Reservefonds für vereinzelte gesteigerte Anforderungen zu schaffen, so daß der Ansatz von 1898 tatsächlich in die Tat umgesetzt werden konnte: Nicht bloß individuelle Forschungsbeiträge im Zeitschriftenformat wurden vorgelegt, sondern große Quelleneditionen und Monographien wurden im Rahmen einer weitausgreifenden Forschungsplanung beschlossen und zu verwirklichen getrachtet. Die erwähnte Denkschrift von 1898 hatte dem Provinzialverband kein konkretes, fest umrissenes Arbeitsprogramm vorgelegt, sondern durch die Aufzählung von angedeuteten Arbeitsfeldern die Weite und Größe der landesgeschichtlichen Aufgabe betont. Konkret wurde u. a. darauf verwiesen, daß Riedels Codex einer Verbesserung und Ergänzung bedürfe und Urkundeneditionen und Urkundenregesten für die bedeutenderen Städte, Klöster und Stifte unter Einbeziehung der Zeiten nach 1450/1500 erwünscht seien.15 Da die Bewilligungen des Provinzialverbandes gemäß seiner kulturpflegerischen Aufgabe grundsätzlich der Arbeit des Vereins 14
Abgedruckt ebd., S. 543 – 549. Ebd., S. 546. – Eine allerdings extrem knappe Übersicht über die Geschichte der im Folgenden behandelten Askanierregesten liefern Willy Hoppe/Johannes Schultze, in: Vorwort [zur 13. Lieferung von KW], S. V–VII. 15
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dienten, ohne daß er jemals die Auswahl von dessen Themen beeinflusst hätte, entschied dieser über die Inangriffnahme einzelner Projekte nach eigenem Ermessen. Entgegen der 1898 betonten jüngeren, frühneuzeitlichen Überlieferung bevorzugte er den auf den 11. Dezember 1901 datierten dreiseitigen Antrag des Berliner Mediävisten und Rechtshistorikers Karl Zeumer, Mitarbeiters der Monumenta Germaniae Historica (MGH) und außerordentlichen Professors an der FriedrichWilhelms-Universität, hervorgetreten durch zahlreichen Editionen zur mittelalterlichen Geschichte, insbesondere derjenigen von Urkunden zur Verfassungsgeschichte des Reiches:16 „Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg übernimmt die Herausgabe eines Werkes: Regesten der Markgrafen von Brandenburg mit einem Urkundenanhang“. Es sollte „enthalten: 1. den Anforderungen der wissenschaftlichen Diplomatik entsprechende Regesten der markgräflichen Urkunden und solcher Urkunden, welche für die Geschichte der Markgrafen der Mark, namentlich der Bildung ihres Territoriums, sowie ihrer politischen und wirtschaftlichen Verfassung von erheblicher Bedeutung sind. Die Urkundenregesten werden ergänzt durch aus anderen Quellen geschöpfte Nachrichten, welche das Itinerar und überhaupt die Geschichte der Fürsten sowie wichtige Ereignisse der Landesgeschichte betreffen. 2. die diplomatisch-kritische Ausgabe derjenigen in den Regesten aufgenommenen Urkunden, welche entweder durch ihren Inhalt von erheblicher Bedeutung für die Geschichte der Fürsten, des Territoriums und seiner Verfassung sind, oder welche, auch wenn ihnen diese Bedeutung nicht zukommt, noch gänzlich ungedruckt, oder aber besonders unzulänglich oder in sehr entlegenen Werken gedruckt sind. […] Das Werk wird zunächst beschränkt [!] auf die Markgrafen aus askanischem, wittelsbachischem und luxemburgischem Hause. Ein erster Teil, der die askanische Zeit umfaßt, soll zuerst in Angriff genommen werden; doch ist bei den Arbeiten für diesen Theil thunlichst zugleich auf die folgenden Theile Rücksicht zu nehmen, z. B. bei Benutzung auswärtiger Archive usw.“17
Das Zitat verdeutlicht einerseits, wie zupackend und konzentriert Zeumer die maßgeblichen Leitlinien des Quellenwerkes beschrieb, andererseits, wie er bar einer klaren und geprüften Vorstellung von dessen Dimensionen geradezu eine Lebens- oder gar Generationenaufgabe vergab. Aber er stand mit solchen großzügigen Perspektiven in der kaiserzeitlichen Blütephase monumentaler Quellenreihen nicht allein, wie etwa der Vergleich mit dem gleichzeitigen Vorhaben europäischen Formates eines Wissenschaftsgroßorganisators verdeutlicht: Paul Fridolin Kehr hätte sicherlich 1896 sein großes Regestenwerk zu den älteren Papsturkunden bis 1198 nicht auf den Weg gebracht, wenn er selbst und seine Finanziers den tatsächlichen Umfang in seinem vollen Ausmaß auch nur annäherungsweise erahnt 16
Fritz Kern, Karl Zeumer, in: Historische Zeitschrift 113 (1914), S. 540 – 553. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz [im Folgenden: GStA PK], BerlinDahlem, I. HA Rep. 224 E Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, Nr. 146 Bl. 110 – 111. 17
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hätten.18 So ist Zeumers Idee vom Verein angenommen worden in der Erwartung raschen Fortschritts und baldiger Vollendung, zumal für die Markgrafenregesten eine ganz neue Konstruktion gefunden wurde: Während die Bearbeiter und Autoren anderer geplanter Werke im Rahmen von deren Veröffentlichungen nur ein anerkennendes, geringfügiges Honorar erhielten, wurden die Markgrafenregesten in ihrem wissenschaftlichen Wert so hoch veranschlagt, daß der Verein sich in diesem einen Fall für einen Mitteleinsatz entschied, der die Anstellung einer vollen Arbeitskraft ermöglichte und dieser ein allerdings nur mäßiges Einkommen eines wissenschaftlichen Anfängers gewährte. Der „Ausschuß für Herausgabe der Regesten der Markgrafen von Brandenburg“, der aus dem erwähnten Karl Zeumer, dem Geheimen Staatsarchivar Anton Hegert19 und dem 1897 an die Friedrich-Wilhelms-Universität berufenen Professor für mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften Michael Tangl,20 also aus archivisch und hilfswissenschaftlich mit mittelalterlichen Quellen aufs engste vertrauten Vereinsmitgliedern bestand, schloß entsprechend dem ihm vom Vorstand erteilten Auftrag am 13. Mai 1902 mit dem ein Jahr zuvor promovierten TanglSchüler Hermann Krabbo einen förmlichen Arbeitsvertrag, in dem dieser sich dazu verpflichtete, sich unter Wohnsitznahme in Berlin oder einem Berliner Vorort und mit Anspruch auf sechswöchigen jährlichen Urlaub uneingeschränkt dem Regestenwerk zu widmen, gegen eine jährliche Bezahlung von 1.500 Mark im ersten Jahr und von 1.800 Mark ab dem 1. Oktober 1903, die damals dem Anfangsgehalt eines Berliner Mitarbeiters der Monumenta Germaniae Historica bzw. dessen beiden untersten Stufen entsprach und nicht als auskömmlich angesehen wurde.21 Frohgemut verkündete der Jahresbericht des Vereins im Januar 1903: „Da Herr Dr. Krabbo seine ganze Arbeitskraft in den Dienst des Vereins gestellt hat, ist ein schnelles Fortschreiten dieser Publikation zu erwarten“.22 Die Folgezeit sollte die Verantwortlichen davon überzeugen, daß sie einer grandiosen Fehleinschätzung unterlegen waren, weil sie Umfang und Komplexität der wissenschaftlichen Auf18 Rudolf Schieffer, Paul Fridolin Kehr, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Geisteswissenschaftler II (Berlinische Lebensbilder, 10), Berlin 2012, S. 127 – 146, hier S. 132 f. 19 Meta Kohnke, Anton Hegert (1842 – 1906), in: Beck/Neitmann (Hrsg.), Lebensbilder (Anm. 7), S. 58 – 62. 20 Andrea Rzihacek/Christoph Egger, Michael Tangl (1861 – 1921). Ein Österreicher in Berlin, in: Karl Hruza (Hrsg.), Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900 – 1945, Bd. 2, Wien/Köln/Weimar 2012, S. 23 – 84. 21 GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 197. – Zur Einschätzung der Bezahlung: Sechs Mitarbeiter der MGH baten 1903 um eine Gehaltserhöhung, da das Anfangsgehalt in Berlin jetzt 1500 Mark betrage und sie von dessen beiden ersten unteren Stufen von 1500 und 1800 Mark nicht leben könnten. Horst Fuhrmann, „Sind eben alles Menschen gewesen“. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert. Dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter, München 1996, S. 156 f. mit S. 184 f. Anm. 162. 22 FBPG 16 (1903), [Anhang mit eigener Seitenzählung:] Sitzungsberichte des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg [= SB], S. 67. Vgl. ferner die Angaben zum Vorhaben in: FBPG 15 (1902), SB S. 39 f.; FBPG 17 (1904), SB S. 89; FBPG 18 (1905), SB S. 7.
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gabe völlig unterschätzt hatten. Aber es bleibt festzuhalten, daß die neue Finanzverfassung des Vereins mit der Vermehrung seiner Mittel dazu genutzt wurde, zum ersten Mal überhaupt in der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung allein aus eigener Kraft ein langfristiges und zugleich quantitativ und qualitativ anspruchsvolles Großprojekt der historischen Grundlagenforschung auf den Weg zu bringen, auf der Grundlage einer von einem Fachausschuß entworfenen Konzeption, und zur Verwirklichung wurde ein wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt, der unter Anleitung und Begleitung des Ausschusses seiner Aufgabe nachging. Umfang, Qualität und Organisation der Quellenbearbeitung zeigen, daß der Verein mit seiner wissenschaftlichen Aktivität den Standard von Historischen Kommissionen erreicht hatte. Der ausgewählte Bearbeiter, Hermann Krabbo,23 am 23. Februar 1875 in Hamburg als Sohn eines dortigen Kaufmanns geboren, hatte das Fach Geschichte vornehmlich in Berlin seit 1897 studiert, war hier 1901 von Tangl mit einer Dissertation über „Die Besetzung der deutschen Bistümer unter der Regierung Kaiser Friedrichs II.“ promoviert worden – als sein erster Schüler mit einem seinem bevorzugten Forschungsfeld, der mittelalterlichen Papst- und Kaisergeschichte, zugehörigen Thema. Der gebürtige Klagenfurter Tangl war durch seine Ausbildung am Wiener Institut für österreichische Geschichtsforschung von seinen Lehrern Theodor von Sickel und Engelbert Mühlbacher mit ihren hilfswissenschaftlichen und diplomatischen Schwerpunkten entscheidend geprägt worden und war so mit der modernen kritischen Methode der Urkundenbearbeitung, die Sickel seit den 1860er Jahren vornehmlich in den Monumenta-Editionen der ottonischen Königsund Kaiserdiplome ausgebildet hatte,24 aufs engste vertraut. Daß Tangl seinem ältesten Schüler, mithin einer Nachwuchskraft, wegen seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit und zu seiner materiellen Absicherung die Regestenaufgabe verschaffte, sollte sich als glückliche Personalauswahl erweisen, wenn auch Krabbo eine längere Anlaufzeit benötigte, zumal er auf Tangls Empfehlung seine Universitätskarriere weiter verfolgte, sich 1905 in Berlin habilitierte und hier anschließend als Privatdozent wirkte, bis er 1913 als außerordentlicher Professor für Historische Hilfswissenschaften nach Leipzig berufen wurde. Nach seiner mehrjährigen Sammlung des Materials legte er dem letztverantwortlichen Ausschuß im Dezember 1906 die konzeptionellen Alternativen zur Herausgabe des Quellenstoffes dar:25 Er erwog erstens ein Urkundenbuch, also die mit den unzulänglichen Riedelschen Drucken und mit den Hunderten von neu aufgefundenen Urkunden begründete 23 Gustav Abb, Nachruf auf Hermann Krabbo, in: FBPG 41 (1928), S. 383 – 393 (mit Schriftenverzeichnis); [Otto] Tschirch, Hermann Krabbo, in: 58.–60. Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg (Havel), Brandenburg 1929, S. 143 f.; Werner Vogel, Hermann Krabbo (1875 – 1928). Brandenburgischer Landeshistoriker und Preußischer Staatsarchivar, in: Beck/Neitmann (Hrsg.), Lebensbilder (Anm. 7), S. 81 – 86 (mit Quellenund Literaturverzeichnis und Abb.). 24 Srbik, Geist und Geschichte (zitiert in Anm. 1), Bd. 1, S. 305 – 308, 312. 25 GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 146, Bl. 111.
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Neu- bzw. Erstedition der markgräflichen Urkunden nach den seit Sickel entwickelten Methoden der Diplomatik, womit erstmals von der deutschen Geschichtswissenschaft unter der Ebene der von den MGH veranstalteten Ausgabe der Königs- und Kaiserdiplome eine geschlossene Gruppe von Privaturkunden, hier der Urkunden eines Fürstengeschlechtes, publiziert würde. Krabbo erwog zweitens Urkundenregesten auf Grundlage des gedruckten Materials und mit Veröffentlichung des ungedruckten Materials, stellte dabei für die Auswahl des Stoffes zwei Modelle zur Diskussion, der Auswahl der Urkunden nach territorialer oder personaler Pertinenz – was weiter unten näher erörtert wird. Er stellte zwar dem Ausschuß die gleichzeitige oder aufeinander folgende Bearbeitung eines Urkundenbuches oder Regestenwerkes oder die Beschränkung auf einen Weg anheim, befürwortete jedoch mit Entschiedenheit die Auswahl der Urkunden nach personaler Pertinenz. In seinem Sinne entschied sich der Ausschuß für Markgrafenregesten der Askanierzeit, und gemäß dieser Festlegung begann jetzt Krabbos eigentliche Regestenarbeit, in der er von den Geheimen Staatsarchivaren, besonders Melle Klinkenborg, vielfach unterstützt wurde.26 Nachdem im Herbst 1908 der Druck eingeleitet worden war,27 erschienen ab 1910 im Verlag von Duncker & Humblot in Leipzig, der die Veröffentlichungsreihe des Vereins betreute, in schneller Folge bis 1914 die ersten vier Lieferungen im Umfang von 320 Seiten (Nr. 1 – 1251), die mit dem ersten Eintrag zu „um 1100“, dem vermutlichen Geburtsjahr Albrechts des Bären, einsetzten und bis zum Mai 1281 reichten. Das Werk wäre wahrscheinlich in derselben Geschwindigkeit fortgesetzt und abgeschlossen worden, wenn es nicht im Zeitalter der Weltkriege in die von ihnen und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen verursachten Turbulenzen des deutschen Wissenschaftsbetriebes hineingeraten und zudem noch durch mehrfachen Bearbeiterwechsel belastet worden wäre. Zuerst führte der Erste Weltkrieg eine mehrjährige Unterbrechung herbei, da Krabbo als Reserveoffizier nach schwerer Verwundung in der Marne-Schlacht im September 1914 in französische Kriegsgefangenschaft geriet28 und erst ab dem April 1918, nachdem er über die Schweiz nach Deutschland zurückgekehrt war, nochmals Militärdienst geleistet hatte und schließlich entsprechend seinem alten Wunsch mit Hilfe des Generaldirektors der Preußischen Staatsarchive Paul Fridolin Kehr in den Dienst des Preußischen Geheimen Staatsarchivs in Berlin eingetreten war, seine Arbeiten wieder aufnehmen konnte. Die Nachkriegszeit führte für die Askanierregesten ganz andere Rahmenbedingungen herauf, da sie materiell vom Verein wegen der von der allgemeinen ökonomischen Notlage und dem Rückgang seiner bisherigen Einnahmequellen bedingten drastischen Schmälerung seiner Mittel nicht mehr allein getragen werden konnten und umso mehr auf die Förderung durch Dritte angewiesen waren. Der Verein konzentrierte sich infolge seiner merklich eingeschränkten Möglichkeiten 26
Die Urkunde des Markgrafen Otto I. (Anm. 9), S. 2 Anm. 3. GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 199 Bl. 63 f. 28 Ebd., Bl. 117 – 119.
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auf zwei priorisierte Vorhaben, neben der jährlichen Herausgabe seiner Zeitschrift, der „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“,29 eben auf die Askanierregesten, und entwickelte einige Findigkeit zur Überwindung der finanziellen Engpässe, so daß die auf dem Höhepunkt der Inflationszeit im Oktober 1923 geäußerte Befürchtung, einen „Torso“ zu hinterlassen, sich nicht bewahrheitete. Die (von ihm mit geringeren Beträgen honorierte nebenamtliche) Weiterarbeit Krabbos war durch seine hauptamtliche Tätigkeit im Staatsarchiv gewährleistet. Der Druck seines Manuskriptes wurde außer mit eigenen Geldern von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften bezuschusst, nach einer Absprache mit dem Provinzialverband unter kostengünstigen Bedingungen, nämlich zum Selbstkostenpreis, in dessen Provinzialdruckerei in Strausberg durchgeführt und ab der siebten Lieferung im Selbstverlag des Vereins herausgebracht. So schritt die Veröffentlichung mit vier weiteren, den ebenfalls insgesamt 320 Seiten umfassenden, im Zweijahresabstand zwischen 1920 und 1926 erscheinenden Lieferungen 5 bis 8 (Nr. 1252 – 2333) wieder zügig voran30 und erreichte den Juni 1314, bis Krabbos schwere, im Dezember 1925 erstmals ausgebrochene Erkrankung, eine Gehirnentzündung, und sein nachfolgender Tod am 8. Juli 1928 eine erneute Unterbrechung verursachten. Es gelang dem Verein, im Todesjahr Krabbos mit dem Geheimen Staatsarchivar Georg Winter, dem letzten Tangl-Schüler, der mit einer Dissertation über die Ministerialität der askanischen Markgrafen promoviert worden war,31 erneut einen tatkräftigen Nachwuchshistoriker zu gewinnen, der innerhalb weniger Jahre, teilweise finanziell gefördert von der vermögenderen Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin,32 die Regestenarbeit beendete. Zunächst vollendete er die Regesten von Juni 1314 bis zum August 1319, dem Tode Woldemars, anschließend wandte er sich dem sog. Interregnum bis 1323 zu, der Zeit der ungeklärten Herrschaft über die Mark, für die er in deutlich geringerem Maße auf Vorarbeiten und Regesten Krabbos zurückgreifen konnte, plante aber von vornherein, die gesamten neun Jahre in einer Lieferung herauszubringen. Nachdem der Druck des im wesentlichen 1931 abgeschlossenen Manuskriptes entgegen der damals unter der Last der Weltwirtschaftskrise angemerkten Furcht doch nicht 29 Klaus Neitmann, Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“, in: ders., Land und Landeshistoriographie (Anm. 4), S. 171 – 244, bes. S. 171 – 188. 30 Brandenburgisches Landeshauptarchiv (im Folgenden: BLHA), Potsdam, Rep. 55 XI, Nr. 90 Bl. 1, 3, 5, 7, 12 – 15, 19, 25 – 27, 29, 35. – Zu den Zuschüssen der Notgemeinschaft von 1921 bis 1933 vgl. GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 151 Bl. 1 – 9, 11, 14 f., 21 f., 29 f., 35, 73 – 75, 97 – 104, 107 f. 31 Georg Winter, Die Ministerialität in Brandenburg. Untersuchungen zur Geschichte der Ministerialität und zum Sachsenspiegel (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), München 1922; Wilhelm Rohr, Nachruf auf Georg Winter, in: Der Archivar 14 (1961), Sp. 179 ff. 32 GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 205, Bl. 51, 70.
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merklich hatte hinausgeschoben werden müssen, wurden 1933 drei gezählte Lieferungen von über 340 Seiten Umfang für den Zeitraum vom Juni 1314 bis zum April 1323 (Nr. 2334 – 2947), also bis zur wittelsbachischen Lehnsvergabe der Mark Brandenburg, ausgegeben, in derselben Weise wie die vorhergehenden Lieferungen, also mit einem Zuschuß der Notgemeinschaft, mit Druck in der Provinzialdruckerei und Erscheinen im Selbstverlag des Vereins.33 Zu einem noch wesentlich längeren und schwierigeren Unterfangen wuchs sich in der Folgezeit, bedingt durch die Ungunst der Zeit- und Personalverhältnisse, der Abschluß des Werkes durch sein Gesamtregister aus, dessen Notwendigkeit der Verein entsprechend Winters Hinweis in seinen Anträgen an den Provinzialverband bereits seit 1929 herausgestrichen und dessen Inangriffnahme dann 1933 angekündigt hatte, dem sich Krabbo und Winter nicht schon parallel zur Regestenarbeit gewidmet hatten. Zu seiner Erarbeitung stand Winter auf Grund seines beruflichen Einsatzes im preußischen Archivdienst nicht mehr zur Verfügung, so daß die organisatorische Verantwortung dem damaligen Vereinsvorsitzenden Willy Hoppe, Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität,34 oblag. Seit 1935 werden in den Förderanträgen des Vereins an den Provinzialverband laufende Arbeiten am Register (ohne Namensnennung) erwähnt, sie scheinen aber nur schleppend vorangegangen zu sein. Denn erst 1938 wurde eine Honorarrate von 500 Mark gezahlt, erst im Januar 1939 mit einem neuen Bearbeiter, dem frisch promovierten HoppeSchüler Siegfried Schütz, eine Honorarvereinbarung geschlossen. Er erstellte, nach einem von ihm entworfenen Plan zügig voranschreitend, trotz seiner Einziehung zur Wehrmacht bis zu seinem Soldatentod im Rußlandfeldzug im Juli 1941 nahezu vollständig das Personen- und Ortsregister, während das Sachregister über Fragmente nicht hinauskam.35 Die Nachträge, Ergänzungen und Berichtigungen zu den Regesten wurden dann in zehnjähriger Arbeit von einem anderen Hoppe-Schüler, Fritz Kretzschmar, vielfach unterbrochen durch die Umstände der Kriegs- und Nachkriegszeit und durch Krankheit, unter Verwendung der vorliegenden Vorarbeiten Krabbos und Winters nahezu fertiggestellt. Nach Kretzschmars Tod im August 1953 vollendeten Hoppe und Johannes Schultze, die beiden nach 1945 übriggebliebenen Vorstandsmitglieder des Vereins, in ihrem Ruhestand sowohl Nachträge und Ergänzungen (Hoppe) als auch Register (Schultze) unter Hinzufügung von askanischen Stammtafeln (Hoppe), so daß die letzte, zwölfte Lieferung des gesamten Unternehmens im Umfang von 155 Seiten im Herbst 1955 dank eines Druckkostenzuschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft publiziert wurde. 33 GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 199 Bl. 203 f., 206, 211 f., 214, 217 f., 220, 222 – 224, 227 – 230, 232 f.; Nr. 205 Bl. 15; BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 90 Bl. 232 f. 34 Klaus Neitmann, Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: ders., Land und Landeshistoriographie (Anm. 4), S. 245 – 292. 35 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 90 Bl. 83, 92, 103, 110, 121, 126; GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 192, Bl. 36 – 38, 40 – 42, 61; Nr. 199 Bl. 233, 238, 247, 249, 254, 259, 262 f.; Hoppe/ Schultze, Vorwort (Anm. 14), S. VI–VII.
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45 Jahre nach der ersten Lieferung lag damit das Gesamtwerk mit insgesamt 2947 Regesten auf 2039 Seiten vor – sicherlich nicht in optimaler Form, wie Hoppe und Schultze selbst 1955 in ihrem Vorwort betonten, wenn man etwa an das angefangene, aber dann mangels Bearbeiter und Mittel aufgegebene Sachregister oder an die wegen verschiedener Beteiligter ungleichmäßigen Personen- und Ortsregister oder auch an die fehlenden Siegelbeschreibungen denkt. Aber es war doch trotz aller Wechsel der Bearbeiter und ihrer Arbeitsbedingungen sowie der Finanzierungsmodalitäten ein monumentales Opus erreicht worden. Worin besteht, wie nach einem solchen Urteil sogleich zu fragen ist, die herausragende Leistung Krabbos (und Winters)? Was zeichnet ihr Werk so sehr aus, daß ihm in der Geschichte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung ein Ehrenplatz, der Platz an einer gewichtigen Wende in ihrer Entwicklung eingeräumt werden kann?36 Krabbo äußerte sich über die Leitlinien seines Regestenwerkes selbst nur knapp, ging aber in der Auswahl und Abgrenzung seines Quellenstoffes von einer überzeugenden klaren Konzeption aus: „Die Regesten sind Fürsten-Regesten, nicht etwa Territorial-Regesten.“37 Er entschied sich, anders ausgedrückt, für eine personale und gegen eine territoriale Pertinenz, entschied sich unter Hinweis auf denkbare Vorbilder seines eigenen Vorhabens gegen ein territoriales Regestenwerk, in das alle in der Askanierzeit die Mark betreffenden Urkunden welcher Aussteller auch immer aufzunehmen wären, so wie es Otto Dobenecker in seinen „Regesta Thuringiae“ für Thüringen, für ein Stammesgebiet ohne politischen Mittelpunkt, in vorzüglicher Qualität erstellte. Er befürwortete stattdessen ein personales Regestenwerk, für das alle von den askanischen Markgrafen ausgestellten und die sie betreffenden oder erwähnenden Urkunden berücksichtigt wurden, nach dem Muster der Regesta Imperii, die die von den deutschen Königen und Kaiser ausgefertigten Urkunden zuzüglich der sie anführenden Urkunden und sonstigen Quellen, vornehmlich erzählenden Quellen erfaßten. Denn die unausgesetzten erheblichen Veränderungen der märkischen Grenzen in der gesamten Askanierzeit verboten es, wie ansonsten üblicherweise in den damaligen, an territorialer Pertinenz orientierten Urkundenbüchern wie etwa dem mecklenburgischen, dem pommerschen oder dem preußischen ein bestimmtes Herrschaftsgebiet mit relativ stabilen Grenzen zugrunde zu legen. Stattdessen wurden die Diplome der die märkische Herrschaftsbildung maßgeblich vorantreibenden Dynastie, d. h. aller ihrer 36
Vgl. die sehr knappen, aber förderlichen Bemerkungen von Abb, Nachruf (Anm. 16), S. 386 f., und weiterführend Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 61, Berlin 1977, S. 3 – 81, hier S. 38/40. 37 Zur Einführung, in: KW, 2. Lieferung, S. III (Sperrung in der Vorlage). – Eine umfassende Vorrede zu den Regesten wollte Krabbo erst nach Abschluß des ganzen Werkes verfassen und begnügte sich 1911 mit „einige[n] vorläufige[n] Bemerkungen über die Anlage der Arbeit“ auf einem der zweiten Lieferung lose beigehefteten zweiseitigen Blatt, die wegen seines vorzeitigen Todes seine einzigen Äußerungen zur grundsätzlichen Konzeption seines Projektes blieben, neben der oben bei Anm. 25 erwähnten Projektskizze, die auch für das Folgende herangezogen wird.
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Angehörigen, berücksichtigt, also sowohl diejenigen, die die regierenden askanischen Markgrafen, als auch diejenigen, die ihre Gattinnen, Witwen und Kinder selbst ausgestellt hatten oder in denen sie zumindest erwähnt worden waren und in denen sich ihr Wirken für den Aufbau und Ausbau der neuen Mark Brandenburg widerspiegelte. Krabbos eigentliches Ziel in der Bearbeitung des so eingegrenzten Quellenstoffes ergab sich unmittelbar aus der vorgefundenen Forschungslage. Vor allem Riedel, daneben Raumer und andere hatten in ihren Editionen auf Grund ihrer umfangreichen Ermittlungen den großen Teil der urkundlichen Quellen bereits zusammengetragen und ihren Wortlaut abgedruckt. Krabbo war selbstverständlich darum bemüht, den vorliegenden Fundus durch eigene ausgedehnte Recherchen in der Literatur und in den Archiven zu erweitern und zu ergänzen. Er war dabei insofern in begrenztem Maße erfolgreich, als er sowohl außerbrandenburgische Quellenzeugnisse wie etwa den Reinhardsbrunner Briefsteller aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts oder die gedruckten oder regestierten böhmischen und österreichischen Formelbücher bzw. Briefsammlungen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit ihren vielfach politisch aussagekräftigen Briefen für sein Regestenwerk auswertete38 als auch in seiner Nachsuche auf unbekannte und ungedruckte Dokumente in den Archiven stieß, ohne wegen fehlender Gelder die Möglichkeit zu großen Archivreisen und eigenen Recherchen in auswärtigen Archiven zu haben.39 Er stützte sich für die in Berlin verwahrten Markgrafenurkunden in 38 Der Reinhardsbrunner Briefsteller aus dem 12. Jahrhundert, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 31 (1906), S. 51 – 81; Die habsburgischen und die premyslidischen Formularbücher aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Quelle für die Geschichte der märkischen Askanier, in: FBPG 18 (1905), S. 123 – 149, dazu: Nachtrag, ebd., S. 361 – 363. 39 Vollständige Texteditionen ungedruckter oder ggf. unzulänglich gedruckter Urkunde gedachte Krabbo in fortlaufender Folge außerhalb seines Regestenwerkes zu publizieren. Erschienen sind nur zwei derartige Beiträge kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges: Ungedruckte Urkunden der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, hrsg. v. erläutert von H.K., Erste Folge, in: FBPG 25 (1913), S. 1 – 27; Zweite Folge, in: FBPG 27 (1914), S. 391 – 430; darin sind insgesamt 41 markgräfliche Urkunden aus dem Zeitraum 1225 – 1324, die vornehmlich den Beständen des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und des Hauptstaatsarchivs Dresden, mit einzelnen Stücken der Königlichen Bibliothek zu Berlin, den preußischen Staatsarchiven in Breslau, Hannover, Königsberg, Magdeburg und dem Königlichen Hausarchiv in München, den Stadtarchiven Spandau, Prenzlau und Lübeck sowie dem Deutschordenszentralarchiv entstammen, gedruckt, versehen mit der Identifikation der Personen und Orte und mit eingehenden sachlichen Erläuterungen. In einem Anhang lieferte Krabbo für eine der Urkunden ein Kabinettstück der Datierung, d. h. der Ermittlung der Jahreszahl unter Berücksichtigung der Titulatur und des Itinerars des Ausstellers, der Zeugenreihe und der allgemeinen politischen Lage, ebd. 2. Teil, S 424 – 430. Nach dem Ersten Weltkrieg verzichtete er auf die Fortsetzung seines Planes und beschränkte sich „unter den veränderten Verhältnissen der jetzigen Zeit“, d. h. wegen der von der finanziellen Notlage des Vereins erzwungenen Reduzierung des Umfanges der FBPG, darauf, seine Funde in seinen Regesten zu verzeichnen, ausgenommen eine wegen ihres hohen Alters (1201) edierte Urkunde: Eine unbekannte Originalurkunde Markgraf Ottos II. von Brandenburg für Kloster Lehnin, in: FBPG 35 (1923), S. 241 – 243, Zitat S. 241; vgl. KW, Nr. 514 und Nr. 514n (S. 891 f.). Vgl.
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originaler oder abschriftlicher Überlieferung auf Autopsie, er ließ sich mehrfach aus anderen Archiven Originale nach Berlin zur Augenscheinnahme ausleihen,40 ansonsten benutzte er die vorliegenden Drucke. Aber auf der Vermehrung des urkundlichen Quellenstoffs, denen noch die Inschriften zugesellt wurden,41 lag nicht sein Hauptaugenmerk, eher schon zur Verbreiterung seiner Quellenbasis auf die recht umfangreiche und vielfache Einbeziehung der die askanischen Markgrafen behandelnden oder berührenden erzählenden Quellen, der Annalen bzw. Chroniken, nicht nur der aus der Mark stammenden, allzu dürftigen Geschichtsschreiber, sondern vorrangig der außermärkischen Historiographen mit ihren Erwähnungen märkischer Herrscher und märkischer Vorgänge. Er nutzte die zeitgenössischen oder späteren mittelalterlichen historiographischen Werke zur Rekonstruktion markgräflichen Aufenthaltsorte und vor allem markgräflicher Handlungen und ihrer Motive, vertiefte dadurch über die urkundlichen Aussagen hinaus, die zumeist allzu sehr auf ihr jeweiliges individuelles Rechtsgeschäft beschränkt sind und eher ausnahmsweise politische Absichten erkennen lassen,42 die Beschreibung und Erkenntnis der politischen Abläufe. Krabbo übernahm damit das seit langem in den Regesta Imperii für die mittelalterliche Königs- und Kaisergeschichte geübte Verfahren, das Johann Friedrich Böhmer seit 1829 entwickelt und seine Nachfolger aus der Wiener hilfswissenschaftlichen Schule verfeinert und zur Reife gebracht hatten43 und das Raumer wenn auch unvollkommen in die brandenburgische Landesgeschichtsforschung eingeführt hatte: Es zielte darauf ab, die Nachrichten verschiedener Quellengattungen zusammenzuführen und sie jeweils gemäß der Chronologie in die Abfolge der Regesten einzuordnen. Trotz der gewichtigen ansehnlichen Erweiterung und Zusammenstellung des Quellenstoffs liegt die eigentliche, bahnbrechende Leistung Krabbos auf anderem Gebiet, auf dem einer weit ausgreifenden wie tief eindringenden Quellen- und Sachkritik. Sein erstes vorrangiges Ziel war die Quellenkritik, vornehmlich die urkundliche Quellenkritik, mit den Methoden, die die Diplomatik in den zwei vorangegangenen Generationen entwickelt, die er direkt von Michael Tangl und indirekt von Theodor von Sickel in sich aufgesogen hatte. Durch Prüfung äußerer wie innerer Merkmale, etwa durch Prüfung der Schrift, der Besiegelung, der Ausstelferner: Ein Verzeichnis von Urkunden des Prämonstratenserstifts Jerichow, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 59 (1924), S. 96 – 110. 40 Urkunden von Frankfurt/Oder oder aus Brandenburg/Havel – Originalurkunden ebenso wie Urkundenkopiare – ließ sich Krabbo ins Geheime Staatsarchiv ausleihen, reiste nicht in die dortigen Stadtarchive bzw. ins Domstiftsarchiv, siehe: Die Stadtgründungen der Markgrafen Johann I. und Otto III. von Brandenburg (1220 – 1267), in: Archiv für Urkundenforschung 4 (1912), S. 255 – 290, hier S. 277 Anm. 4; Die Urkunde der Markgrafen Otto IV. und Konrad von Brandenburg für das Domstift Brandenburg vom 26. Mai 1283, in: 36.–37. JahresBericht des Historischen Vereins zu Brandenburg a. d.H., Brandenburg 1906, S. 48 – 53, hier S. 49; Die Urkunde des Markgrafen Otto I. (Anm. 9), S. 2 f. 41 Vgl. z. B. KW, Nr. 773, 1073, 1076, 1266. 42 Ein bemerkenswertes Beispiel: KW, Nr. 1120. 43 Srbik, Geist und Geschichte (siehe in Anm. 1), Bd. 1, S. 236 f.
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lungsdaten und -orte im Rahmen des Itinerars des Ausstellers, des Diktatvergleichs und des zeitgemäßen Inhaltes, suchte er die Entstehungszeit und -umstände seiner Urkunden zu erhellen, etwa die ständig auftauchenden Datierungsprobleme zu lösen, das Verhältnis zweier leicht voneinander abweichender Ausfertigungen des gleichen markgräflichen Diploms durch die Deutung als Aussteller- und Empfängerausfertigung zu erläutern44 oder die Existenz von Doppel- und Mehrfachausfertigungen zu erklären.45 Die hochmittelalterliche Urkundenüberlieferung konfrontierte ihn unausweichlich wiederholt mit Echtheitsfragen, also mit Urkundenfälschungen und/oder Urkundenverfälschungen, die er in eingehenden, abgewogenen Erörterungen – entweder innerhalb seines Regestenwerkes oder für schwierige und bedeutsame Diplome in selbständigen Aufsätzen mit ausführlicher Begründung – nachzuweisen oder zu widerlegen vermochte, indem er äußere und innere Merkmale analysierte, also die Schrift und die Besiegelung ebenso wie den Sprachgebrauch der Urkunde im Hinblick auf ihre Zeitgemäßheit und mit Unterscheidung von Aussteller- und Empfängerausfertigungen analysierte und deren Zwecke zu klären beabsichtigte.46 Oder er trachtete umgekehrt die umstrittene, bezweifelte Echtheit einer Urkunde durch Untersuchung zuerst ihrer äußeren Merkmale, ihrer Schrift und ihres Siegels (mit Siegelbild und Siegelumschrift), unter Verzicht auf die (in frühaskanischer Zeit noch fehlende) Kanzleimäßigkeit, und dann ihrer inneren Merkmale, ihres Formulars, Schreibers und dessen aus seiner romanischen Herkunft abgeleiteten Gebrauchs verfassungsrechtlicher Begriffe, zu belegen.47 Oder er datierte eine nur abschriftlich überlieferte Markgrafenurkunde wegen ihrer offensichtlichen Unstimmigkeiten, darunter des unmöglichen Ausstellungsdatums, 44 Die Urkunde der Markgrafen Otto IV. und Konrad von Brandenburg (Anm. 31); siehe auch: KW, Nr. 1329. 45 Z. B. KW, Nr. 1107, 1303 (Datierungsfragen), 1138, 1142, 1143 (Mehrfachausfertigungen). 46 Der Aufsatz: Die Stadtgründungen (Anm. 39) zielt vorrangig nach einer Zusammenstellung der markgräflichen Stadtgründungen sowie der maßgeblichen Rechtsinhalte der überlieferten Stadtgründungsurkunden darauf ab, die beiden späteren, inhaltlich wie formal stark voneinander abweichenden Abschriften der Stadtgründungsurkunde von Frankfurt/Oder von 1253, nämlich das lateinische Transsumpt in der Originalurkunde Markgraf Hermanns von 1307 und die deutsche Übersetzung in einem Eintrag im markgräflichen Lehnskopiar von 1420, zu erläutern und zu deuten; im wesentlichen auf Grund innerer Merkmale, nämlich auf Grund des Vergleichs mit den sonst üblichen markgräflichen Vergünstigungen und auf Grund von Unstimmigkeiten und Widersprüchen in der lateinischen Fassung, erklärt Krabbo diese für eine wahrscheinlich 1307 entstandene Fälschung, deren Zwecke, nämlich die Beschreibung der seit 1253 eingetretenen Veränderungen und Erweiterungen der Gründungsprivilegien, überzeugend dargelegt wie auch die Entstehungsumstände der deutschen Fassung von 1420 erhellt werden; vgl. KW, Nr. 766. – Gleichartige Urkundenkritik: Die Urkunde Markgraf Ottos V. (Anm. 9); vgl. dazu KW, Nr. 1696. – Weitere Beispiele von Urkundenfälschungen: KW, Nr. 460, 498, 814, 1458, 1568, 1952. 47 Die Urkunde des Markgrafen Otto I. (Anm. 9); vgl. dazu KW, Nr. 398. Die Abhandlung überzeugt am meisten in ihrer Analyse der äußeren Merkmale, während die inhaltliche Erörterung der Rechtsbestimmungen unbefriedigend, das inhaltliche Kernstück, die Zollprivilegierung der Havelstadt, sogar von der Erörterung ausgeschlossen bleibt.
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an Hand der Titulatur, der drei genannten Aussteller und der Zeugenreihe neu.48 Die hilfswissenschaftliche Quellenkritik verhilft dem Forscher zu einer sicheren, verläßlichen Grundlage für die Beurteilung und Auswertung der Quellen, sie offenbart ihm gefälschte, verfälschte, fälschungsverdächtige Urkunden oder umgekehrt vertrauenswürdige Ausfertigungen und Abschriften, liefert ihm durch die Einschätzung des Quellenwertes das benötigte tragfähige Fundament für seine Quelleninterpretationen. Über die hilfswissenschaftliche Quellenkritik hinaus liegt der große Fortschritt von Krabbos Werk wohl noch mehr in der historischen Sachkritik. Diese Begrifflichkeit soll die zahllosen knapperen oder ausführlicheren inhaltlichen Erläuterungen zu den behandelten Beurkundungen und Vorgängen bezeichnen. Für eine Quellenbearbeitung selbstverständlich und für das erste Verständnis der Quellen unverzichtbar ist es, daß Personen und Orte identifiziert werden, eine Herausforderung, die Krabbo dank seines Interesses für Genealogie wie für historische Geographie vorzüglich bewältigte.49 Aber über diesen Ansatz ging er weit hinaus: Er räumte in seinen Regesten viel Platz der historischen Kommentierung des jeweiligen Sachverhaltes ein, er wollte durchgängig die Quellenaussagen nicht nur referieren, sondern durch ihre Einordnung in den größeren Zusammenhang erklären und deuten. Er beschränkte sich mithin nicht wie gemeinhin Regestenwerke auf die bloße Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes der Quelle, sondern arbeitete durch dessen scharfsinnige Analyse der künftigen Darstellung erheblich vor. Die vorkommenden Orte, Personen und Sachen werden mit einer Fülle von zusätzlichen Informationen angereichert, die in den Texten angesprochenen Themen werden so präzise beschrieben, daß dem Leser ein umfassender Einblick in den jeweiligen historischen Gegenstand geboten und ihm dessen Verständnis zumindest erheblich erleichtert wird. Am weitesten überstieg Krabbo die üblichen Schranken einer Quellenedition, wenn er mit seinen skizzenhaften Charakterisierungen der Markgrafen anläßlich ihres Todes ihre Tätigkeit und ihr Werk in den Grundzügen würdigte und die Bedeutung, die Erfolge oder Mißerfolge ihrer Politik beurteilte.50 Aus seiner unvergleichlichen Kenntnis des gesamten Quellenmaterials schöpften die großen, dem Regestenwerk parallel laufenden oder vorangehenden Aufsätze zur Askanierzeit. Die Studien zu bedeutenden Markgrafen wie Albrecht dem Bären, seinem Sohn und seinen Enkeln und dem letzten Askanier Woldemar, dem er anlässlich von dessen 600jährigem Todesjahr 1919 einen Aufsatz im Umfang einer 48
Studien zur älteren Geschichte der Mark Brandenburg, in: FBPG 26 (1913), S. 379 – 412, hier S. 406 – 411; vgl. dazu KW, Nr. 1955. 49 Seine Miszelle: Zweiraden, in: FBPG 38 (1926), S. 129 – 132, liefert ein mustergültiges Beispiel für die Bestimmung der Lage eines schon im 14. Jahrhundert wüst gefallenen Ortes auf Grund der Zusammenstellung und Auswertung der urkundlichen Zeugnisse und korrigierte seinen eigenen früheren Irrtum, vgl. KW, Nr. 1146. 50 Vgl. die knapperen oder längeren, ausnahmsweise sehr ausführlichen Herrscherskizzen in: KW, S. 1 f. (Albrecht der Bär), Nr. 453 (Otto I.), 528 (Otto II.), 575 (Albrecht II.), 928/946 (Johann I. und Otto III.), 953/962 (Johann III.), 1266 (Johann II.), 1910 (Konrad), 1965 (Johann IV.), 2105 (Otto IV.), 2745 (Woldemar – besonders beachtenswert).
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kleinen Monographie widmete, aber auch zu einem unbedeutenden Familienmitglied wie Heinrich I. „ohne Land“51 wurden begleitet von Untersuchungen zu einzelnen gewichtigen politik- und verfassungsgeschichtlichen Sachkomplexen.52 Diese Beiträge zeigen pointiert Krabbos Vorlieben und Stärken: Er bevorzugte neben der dynastischen Genealogie53 und der historischen Geographie die politische Ereignisgeschichte, arbeitete die wechselnden politische Situationen und Konstellationen zur Deutung ihres Ablaufes heraus und bezog allerdings zu ihrem Verständnis auch wirtschaftliche und soziale Vorgänge ein, so daß etwa seine Erklärung für den Zusammenbruch der askanischen Herrschaft nach Woldemars Tode mit ihrem Hinweis auf seine unzureichenden Finanzverhältnisse strukturelle Herrschaftsbedingungen beachtete. Wenn der Aufsatztitel verspricht, von einer Wende der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung zu handeln, spielt er auf zwei eng miteinander verwobene Vorgänge an: auf Organisation und Finanzierung des Regestenwerkes Krabbos/ Winters ebenso wie auf Gehalt und Rang der darin niedergelegten Forschungsleistung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beruhten die Ergebnisse, die im Zentrum der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung, dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, erzielt wurden, auf den Vorlieben, den Initiativen, der Arbeitskraft und dem Organisationsgeschick des einzelnen Forschers. Der Verein bot ihm auf seinen Versammlungen und in seiner Zeitschrift die Gelegenheit zur Präsentation seiner Untersuchungen, aber zu größeren und langfristigen Vorhaben fehlten die erforderlichen Mittel. In dieser Beziehung trat eine grundlegende Änderung 1898/99 ein, als der Verein den Brandenburgischen Provinzialverband wie brandenburgische Kommunen und Adelsfamilien dazu bewog, unter Berufung auf die gesetzliche Aufgabe der landschaftlichen Kulturpflege und auf historisches 51
Albrecht der Bär, in: FBPG 19 (1906), S. 371 – 390; Die Markgrafen Otto I., Otto II. und Albrecht II. von Brandenburg, in: FBPG 24 (1911), S. 323 – 370, Nachträge S. 567 f.; Markgraf Woldemar von Brandenburg. Zur 600jährigen Wiederkehr seines Todestages (am 14. August 1319), in: Brandenburgia 27/28 (1919), S. 41 – 97 (auch selbständig); Markgraf Heinrich I. ohne Land von Brandenburg, in: Otto Tschirch (Hrsg.), Festschrift zur Gedenkfeier des 50jährigen Bestehens [des Historischen Vereins Brandenburg (Havel)], Brandenburg 1918, S. 121 – 152. 52 Die Teilung der Mark Brandenburg durch die Markgrafen Johann I. und Otto III., in: 43. und 44. Jahresbericht des Historischen Vereins zu Brandenburg a. H., Brandenburg 1912, S. 77 – 97; Die Erwerbung der Oberlausitz durch die askanischen Markgrafen von Brandenburg, in: FPBG 31 (1919), S. 295 – 306; Die askanischen Markgrafen von Brandenburg als Kurfürsten, in: FBPG 36 (1924), S. 153 – 163; Der Übergang des Landes Stargard von Brandenburg auf Mecklenburg, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 91 (1927), S. 1 – 18. 53 Vgl. die Studien zu dem nur sehr schwach bezeugten und daher überhaupt erst in die fürstliche Generationenfolge einzuordnenden und in seiner politischen Stellung zu erhellenden Markgrafen Konrad II.: Studien (Anm. 39), hier Abschnitt „I. Markgraf Konrad II. von Brandenburg“ (S. 379 – 396); zum Geburtsjahr des Markgrafen Woldemar und zu den Gepflogenheiten zum Eintritt jüngerer Fürstensöhne in die Mitregierung: Das Geburtsjahr des Markgrafen Woldemar von Brandenburg, in: FBPG 26 (1913), S. 213 – 216.
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Bewußtsein immerhin so viel Gelder zu gewähren, daß zum ersten Mal die Aufstellung und Verwirklichung eines umfassenderen Programms mit einer größeren Anzahl von Einzeluntersuchungen organisatorisch wie finanziell gewährleistet wurde. Vertraute man in der Regel darauf, daß die Autoren ihr Werk in oder neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit gegen ein bescheidenes Honorar vollendeten, so wich man in einem Fall wegen der Bedeutung der Aufgabe von diesem Weg ab: Für die Bearbeitung der Askanierregesten stellte der Verein selbst einen eigenen hauptamtlichen Bearbeiter gegen Entlohnung seiner vollen Arbeitskraft ein. Die ausgewählte wissenschaftliche Nachwuchskraft war auf der Höhe der hilfswissenschaftlichen Urkunden- und Quellenbearbeitung und setzte die dort erreichten Standards in die Regestierung und Bewertung der hochmittelalterlichen märkischen Quellenüberlieferung um. Krabbo beschritt in seinen diplomatischen Arbeiten keine die historische Fachwelt aufrührenden neuen methodischen Wege der Hilfswissenschaften, aber er wandte die vorhandenen hohen Maßstäbe eindrucksvoll und bestens nachvollziehbar auf die nach seinem Ansatz ausgewählte Überlieferung an. Die erstmalige quellenkritische Bearbeitung der markgräflichen Urkunden schuf über die Riedelschen Textabdrucke hinaus erst eine methodisch gesicherte Quellengrundlage, die die Quellenauswertung von der Last allzu subjektiver Einschätzungen befreite. Das Ergebnis wurde auch dadurch erreicht, dass Krabbo die Askanierregesten zur Mitte seines wissenschaftlichen Lebenswerkes machte und dieses so von seltener Geschlossenheit ausgezeichnet ist. Seit Übernahme der Aufgabe kreisten alle seine sonstigen Arbeiten um sie, gingen aus ihr hervor oder führten zu ihr hin, seine ganze Kraft konzentrierte er auf die Regesten, so dass seine Nachfolger in die Lage versetzt wurden, auf seinen Vorarbeiten das Werk zu vollenden. Krabbos und Winters Askanierregesten sind ein vorbildliches, leuchtendes Beispiel dafür, daß historische Grundlagenforschung, in diesem Fall die kritische Durchleuchtung urkundlicher und erzählender Quellen, die Geschichtswissenschaft, in diesem Fall die brandenburgische Landesgeschichtsforschung, auf ein deutlich höheres Niveau wissenschaftlicher Erkenntnis hebt. Winfried Schich, der sich in den letzten Jahrzehnten am intensivsten mit der Askanierzeit beschäftigte, setzte dabei ganz andere inhaltliche Schwerpunkte als Hermann Krabbo, indem er die Besiedlung und den Landesausbau der hochmittelalterlichen Mark Brandenburg unter Aussparung der politischen Geschichte in den Mittelpunkt rückte,54 aber er stützte sich dabei in großem Ausmaß auf den von Krabbo/Winter vorzüglich aufbereiteten Quellenstoff und stellte damit unter Beweis, daß eine solche Quellenbearbeitung ganz unterschiedliche Fragestellungen in gebührendem Ausmaß zu fördern vermag. Gustav Abb hat in seinem Nachruf auf Hermann Krabbo dessen Lebensleistung trefflich beschrieben: „Seine Regesten haben der älteren brandenburgischen Ge-
54 Winfried Schich, Wirtschaft und Kulturlandschaft. Gesammelte Beiträge 1977 bis 1999 zur Geschichte der Zisterzienser und der „Germania Slavica“ (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 12), Berlin 2007.
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schichte ein festes Rückgrat gegeben; sie haben sie für immer über allen Dilettantismus hinaus zur Höhe eines exakten Forschungsgebietes erhoben“.55
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Abb, Nachruf (Anm. 16), S. 387; ähnlich Ribbe, Quellen (Anm. 28), S. 40.
Heer und Staat in der römischen Republik: ein unpublizierter Text von Alfred Heuß Von Uwe Walter, Bielefeld „Alle Staatsverfassung ist ursprünglich Kriegsverfassung, Heeresverfassung.“ Diese Generalisierung wollte Otto Hintze als „gesichertes Gesetz der vergleichenden Völkergeschichte“ etabliert wissen. In seinem berühmten Vortrag aus dem Jahr 1906 skizzierte er ein auch in der althistorischen Forschung lange gültiges Evolutionsmodell entlang der Expansion Roms. An der römischen Geschichte könne man „besonders deutlich sehen, wie Form und Umfang des Staatsgebiets die Wehrordnung und die Verfassung beeinflussen“1: Dem Stadtstaat habe die nach Grundbesitz gegliederte Bürgermiliz entsprochen; die Eroberungen in Italien seien von einer „systematischen Militärkolonisation“ begleitet gewesen, während im Hannibalkrieg (218–201 v. Chr.) „das alte Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht zu voller tatsächlicher Anwendung“ gelangte. Durch die Expansion über Italien hinaus sei das stehende Heer an die Stelle der Bürgermiliz getreten, und man habe Feldherren mit langem Kommando in ferne Provinzen entsenden müssen. Aufgrund der engen Verbindung dieser Befehlshaber mit ihren Truppen sei die republikanische Verfassung untergraben worden; am Ende habe „das stehende Heer in Rom den Monarchen geschaffen, wie anderswo der Monarch das stehende Heer“. Die Frage nach dem Verhältnis von Heeresverfassung und Staatsverfassung ist für Historiker aller Epochen einschlägig – und gewiß für Hans-Christof Kraus, der zu den Kennern von Person und Werk Hintzes zählt.2 Ihm einen bislang unpublizierten Text aus der Feder von Alfred Heuß zu dedizieren, liegt ebenfalls nahe, hat er doch als junger Student in Göttingen noch das Glück gehabt, den großen Althistoriker erleben und von ihm lernen zu dürfen, ein Erlebnis, von dem er gern berichtet, das ihm als einem in Bayern wirkenden Gelehrten aber auch einmal, wie er staunend erinnert, die kalte Schulter von einem Schüler des Heuß-Antipoden Hermann Bengtson eintrug.3 1 Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung. Vortrag gehalten in der Gehe-Stiftung am 17. Februar 1906, Dresden 1906, S. 7 f., dort auch die folgenden Zitate im Text. 2 S. nur: Hans-Christof Kraus, Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte – Otto Hintze und Fritz Hartung als Kritiker Carl Schmitts, in: Dietrich Murswiek/Ulrich Storost (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. FS für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, Berlin 2000, S. 637–671. 3 Zum Verhältnis von Heuß und Bengtson s. Stefan Rebenich, Die Deutschen und ihre Antike. Eine wechselvolle Beziehung, Stuttgart 2021, S. 338–356.
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Das am Ende des hier vorgelegten Aufsatzes abgedruckte Stück liegt in einem neun gezählte Seiten umfassenden Typoskript auf Durchschlagspapier vor. Ich habe es vor vielen Jahren aus der Hand von Jochen Bleicken erhalten, zusammen mit anderen Papieren von Alfred Heuß.4 Die handschriftliche Datierung (5.II.66) legt nahe, daß es sich um einen Vortragstext handelt. Eine Ortsangabe fehlt. Der Text findet sich nicht in den „Gesammelten Schriften“, er ist auch, soweit ich sehe, in kein anderes publiziertes Stück eingegangen. Es gibt wenige, inhaltlich nicht bedeutsame Streichungen, ferner – in Heuß’ charakteristischer, schwer lesbarer Handschrift – Korrekturen und Zusätze. Diese sind soweit möglich vermerkt; eine im technischen Sinn textkritische Edition erscheint mir nicht erforderlich. In runden Klammern ist die Zählung der Blätter angezeigt; die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Zählung. Dem Duktus nach richtete sich der Vortrag offenbar an ein breiteres, nicht fachwissenschaftliches Publikum; diesem wurde jedoch immerhin eine lateinische Wendung wie miles perpetuus zugemutet (S. 1), zugleich jedoch disciplina wie gegenüber Lateinunkundigen abgeleitet und erklärt (S. 3). Hier und da wird terminologisch aktualisiert, wenn etwa vom „kommandierenden General“ (S. 4) oder vom „einfachen Landser“ die Rede ist (S. 5). Der niedergelegte Text ist vergleichsweise kurz (knapp 24 000 Zeichen). Daß es sich um eine – für Heuß an sich typische – nachträgliche Verschriftlichung eines nach Stichworten frei gehaltenen Vortrags für eine spätere Publikation gehandelt haben könnte, erscheint unplausibel, da auf diese Weise entstandene Aufsätze meist einen erheblichen Umfang erreichten.5 Am ehesten dürfte es sich um einen Radiovortrag gehandelt haben: Hier stand die zur Verfügung stehende Zeit ehern fest und war der Vortragende daher gehalten, ein ausformuliertes Manuskript zugrundezulegen. Für die Zuschreibung spricht auch die handschriftliche Marginalie „Pause“ auf S. 9 vor dem letzten Absatz. Heuß hat in diesen Jahren mehrfach Beiträge für den Rundfunk verfaßt.6 4 Davon bereits publiziert: Uwe Walter, „Unser Altertum zu finden“. Alfred Heuß’ Kieler Antrittsvorlesung „Begriff und Gegenstand der Alten Geschichte“ von 1949 (Einführung, Edition), in: Klio 92 (2010), S. 462–489; Uwe Walter, Alfred Heuß und Theodor Mommsen – ein lebenslanger Dialog. Mit zwei Anhängen: 1. Ein unpublizierter Vortrag von Alfred Heuß über Theodor Mommsen – 2. Von Alfred Heuß vorgenommene Korrekturen zum letzten Mommsen-Aufsatz, in: Andreas Hartmann/Gregor Weber (Hrsg.), Zwischen Antike und Moderne. Festschrift für Jürgen Malitz zum 65. Geburtstag, Speyer 2012, S. 245–273. 5 Oder sich sogar zum Buch auswuchsen; vgl. Alfred Heuß, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, S. 1: „Da ich Vorträge im allgemeinen nicht Wort für Wort festzulegen pflege, mußte ein Manuskript erst angefertigt werden. Daraus ist dann schließlich dieses Buch geworden, welches mit dem Vortrag nur von ungefähr noch zu tun hat und selbst im Inhaltlichen mehr Berührungen als Übereinstimmungen aufweist.“ 6 „Die großen Geschichtsschreiber Roms“ (1968, gedruckt in Alfred Heuß, Gesammelte Schriften in drei Bänden, Stuttgart 1995, Bd. 2, S. 1455–1482) liegen dem Vf. als Typoskripte vor, teils mit der Kopfzeile „Internationale Rundfunk- und Fernsehuniversität“. Ein unvollständiger und undatierter Typoskriptdurchschlag eines Vortrags über Theodor Mommsen trägt einen Copyrightstempel des Deutschlandfunks. Es ist weitgehend identisch mit dem von mir publizierten Berliner Vortrag über Mommsen aus dem Jahr 1967; s. o. Anm. 4.
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In der Sache verdient das Stück auch deshalb Interesse, weil Heuß das Thema von Hause aus eher fernlag.7 Selbstverständlich hat er die Entwicklungen und Veränderungen des römischen Heerwesens von den Anfängen bis in die Spätantike an mehreren Stellen in der „Römischen Geschichte“ behandelt, angereichert mit Details in Sachen Organisation, Bewaffnung, Ausbildung und Taktik.8 Doch das militärische Feld als solches, als Gegenstand an und für sich, war gewiß nicht seine Sache. Schon den Studenten hatten die Bemühungen des langjährigen Leipziger Ordinarius Johannes Kromayer (1859–1934) um antike Schlachtfelder und -verläufe in keiner Weise gereizt.9 Und so zieht er auch in „Heer und Staat in der römischen Republik“ die großen Linien aus und ordnet den Gegenstand in die ,Tektonik‘ der sozialen sowie politischen Entwicklung der römischen Republik ein. Selbstverständlich kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, Heuß’ scharf konturierte Skizze mit der aktuellen Sicht auf den Gegenstand in der Forschung abzugleichen10 oder einen fortlaufenden Kommentar zu liefern. Vielmehr sollen einige Besonderheiten hervorgehoben werden, um unser Bild der Heuß’schen Art, Geschichte zu denken und zu schreiben,11 ein wenig zu bereichern. In der Hinführung (S. 1 f.) finden sich zwei miteinander verknüpfte Gedanken: Zum einen deduziert Heuß aus dem Hintze-Axiom drei Typen des Heerwesens, nämlich die Milizarmee, die professionelle Berufsarmee und – als implizite Synthese – die von Berufsoffizieren ausgebildeten und geführten Massenheere des 19. und 20. Jahrhunderts. Damit ist zugleich ein Rahmen der Möglichkeiten für die römische Entwicklung aufgespannt. Diese wiederum hält der Vortragende für auffällig: Das römische (Miliz-)Heer der Republik habe sich „gegen alle Wahrscheinlichkeit bewährt“ und stellte, „wie der ganze Werdegang der römischen Herrschaftsbildung, eine Paradoxie der Geschichte dar“, die „einer klaren, auf diesen Punkt zielenden Erhellung“ bedürfe (S. 2). Heuß knüpft hier an eine bereits in seiner Einleitung zum Rom-Band der Propyläen Weltgeschichte formulierte Forderung an, die ihn zeit seines Historikerlebens begleitete, jedoch im Betrieb der ,Zunft‘ ein Stück weit zum 7 Er war – wohl wegen einer beschränkten Diensttauglichkeit – erst im Spätsommer 1944 zur Wehrmacht eingezogen worden, aber nicht mehr zum Fronteinsatz gekommen; vgl. Alfred Heuß, De se ipse (1993), in: Gesammelte Schriften (Anm. 6), Bd. 1, S. 777–827, hier 809 und 811. 8 Vgl. Alfred Heuß, Römische Geschichte, 4. Aufl. Braunschweig 1976, S. 56 f. (Samnitenkriege), 160 f. (Marius), 411–413 (Soldatenkaiser), 442 (Diokletian/Konstantin), 484 f. („Barbarisierung“/Heermeister). 9 Vgl. Heuß, De se ipse (Anm. 7), S. 783. 10 Vgl. Uwe Walter, Staat und Heer. B. Römische Republik, in: Leonhard A. Burckhardt/ Michael A. Speidel (Hrsg.), Der Neue Pauly, Supplement 12: Militärgeschichte der griechisch-römischen Antike. Lexikon, Stuttgart/Weimar 2022, 1016–1020; Raimund Schulz, Feldherren, Krieger und Strategen. Krieg in der Antike von Achill bis Attila, Stuttgart 2011, S. 178–277; s. ferner die Beiträge in Paul Erdkamp (Hrsg.), A Companion to the Roman Army, Chichester 2007, S. 5–200. 11 Dazu die Literaturangaben bei Rebenich, Die Deutschen und ihre Antike (Anm. 3), S. 473 Anm. *.
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Außenseiter machte: Historische Reflexion dürfe das Gewordene niemals als selbstverständlich oder sogar folgerichtig betrachten; gerade die so vertraut erscheinende Geschichte Roms verlange wider jede banausische Selbstgenügsamkeit ein nachhaltiges Staunen.12 Das historisch Erklärungsbedürftige sieht Heuß in einer Verzögerung oder Ungleichzeitigkeit: Während das Milizheer zu Beginn ohne Alternative war, wollte man im Wettbewerb der italischen Staaten- und Stämmewelt ein konkurrenzfähiges Aufgebot aufbringen, ist Rom bei diesem Prinzip „sehr lange geblieben, länger als anderswo und als man auf Grund der kriegerischen Erfolge der Römer erwarten sollte“ (S. 3). Nur kurz bei Gründen für die ,Modernisierungsverweigerung‘ verweilend stellt Heuß sodann die viel wichtigere Frage, warum die Römer gegen die sehr viel ,zeitgemäßeren‘ Söldner- oder Quasi-Berufsheere von überdies strategisch und taktisch überlegenen Feldherrn wie Pyrrhos und Hannibal im 3. Jahrhundert am Ende siegen konnten und wie sie die ebenfalls ,modernen‘ Armeen der hellenistischen Könige im 2. Jahrhundert so überlegen zu zerschmettern vermochten. Die Probleme, die sich Karthago und die hellenistischen Herrscher mit ihrer Form der Heeresrekrutierung einhandelten – enorme Kosten, Disziplinprobleme u. a. m. – klammert Heuß zunächst aus, wohl um nicht den Faden zu verlieren. Seine gleichsam innerrömische Erklärung für die „erstaunlichen Leistungen“ der Milizlegionen ist schlagend und prägt deshalb bis heute das Bild der republikanischen Verfassung und der Nobilitätsherrschaft generell (S. 4): Es war die „Elastizität, mit der Rom diesen Heerestyp zu handhaben wusste. Es dehnte seinen Gebrauch so weit aus, daß sich das Ergebnis nicht sehr von dem möglichen Effekt eines Berufsheeres entfernte und dabei doch die eingewurzelte Verfassungsgrundlage erhalten blieb. Von ungefähr konnte diese Anpassungsfähigkeit nicht kommen, und sie hing auch tatsächlich mit einer besonderen Biegsamkeit der römischen Staatsordnung zusammen, Biegsamkeit gemessen an der Struktur eines Stadtstaates.“ Heuß verweist darauf, daß zwar „die bürgerliche Verfassung Roms bei ihrer Entwicklung ihren eigenen, von dem Kriegswesen unabhängigen Gesetzen folgte“ (S. 5), die Disziplin des Heeres und die geforderte Opferbereitschaft jedoch durch diesen Prozess in keiner Weise gelockert wurden. „Wie es“, so die schlagende Diagnose (S. 6), „im römischen Heer in dieser Hinsicht zuging, widersprach jedem Stil eines Milizheeres, nicht nur im Altertum, 12 Vgl. Alfred Heuß, Einleitung, in: Ders./Golo Mann (Hrsg.), Rom. Die römische Welt (Propyläen Weltgeschichte, 4), Frankfurt u. a. 1963, S. 13–26, hier 13 f.: Zumal bei der römischen Geschichte provoziere „nicht das Ungewohnte des eröffneten Panoramas weiterausgreifende Überlegungen. Es ist eher umgekehrt: gerade das uns Gewohnte enthält für den historischen Verstand die Aufforderung, es in seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen; denn kraft einer von alters her festgelegten Einstellung sind wir leicht versucht, an gewissen elementaren Tatsachen vorbeizudenken. Die römische Geschichte ist ihren Voraussetzungen und Anfängen nach nämlich keineswegs auf das von ihr Erreichte hin angelegt. Man hat sich vielmehr zu wundern, daß aus ihr überhaupt eine universale Größe wurde. Um Rom als universalhistorisches Phänomen zu begreifen, ist zuerst die Feststellung zu treffen, daß ihm die Bedingungen hierzu nicht in die Wiege gelegt waren.“
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sondern auch später. Es zeigte sich darin, wie die Römer die immanenten Grenzen einer Institution zu überspielen verstanden und ihr Leistungen abgewannen, die ,von Natur‘ in ihr nicht angelegt waren.“ Auch für diese Eigenheit, ja Einzigartigkeit führt Heuß Gründe an, zumal die konstant aristokratische Natur des politischen Systems sowie die historische Konstellation in der formativen Zeit des 5. und 4. Jahrhunderts: Beständig war Rom „auf allen Seiten von Feinden umgeben und hatte alle Hände voll zu tun, um sich zu behaupten“ (S. 6). Dann, in den Samnitenkriegen, lernten die Römer vom Gegner und formten ihre Armee zu einem Apparat, der mit den Sommeraufgeboten früherer Zeit nicht mehr viel zu tun hatte. Entscheidend aber waren die Faktoren Demographie und Finanzierung, und an dieser Stelle holt Heuß den Vergleich mit den größten Rivalen wenigstens andeutungsweise nach (S. 7 f.): Ausweitung des eigenen Bürgergebiets und Einbindung einstiger Gegner – das vielberufene italische Bundesgenossensystem – lieferten Rom in großer Zahl „kräftige, kriegstüchtige Männer und dabei billige Soldaten. Sie waren keine hochbezahlten Söldner, sondern ökonomisch gesehen immer noch echte Milizsoldaten. Die Überlegenheit Roms in seiner weltpolitischen Phase lag nicht zuletzt in der schier unerschöpflichen Regenerationsfähigkeit des römischen Heeres.“ Die Probe aufs Exempel macht eine klare, durch vergleichsweise knappe Sätze beinahe kantig wirkende Skizze des Hannibalkrieges, ohne jedes Kolorit, allein auf das Ziel des Gedankens ausgerichtet (S. 8). Nachdem Rom mit den Siegen über die hellenistischen Könige im 2. Jahrhundert endgültig die ,Bedrohungsschwelle‘ überschritten hatte, wäre es nicht mehr erforderlich gewesen, das Heer weiterzubilden. Dass dies trotzdem geschah, führt Heuß ausschließlich auf die nunmehr krisenhaften Prozesse in der römischen Sozialordnung und Innenpolitik zurück (S. 8 f.). Die entsprechende Faustskizze würde man heute sicher anders, differenzierter zeichnen, nicht zuletzt mit Blick auf die sogenannte Marianische Heeresreform, doch den römischen Legionär in Caesars Krieg in Gallien und in den sich bruchlos anschließenden Bürgerkriegen als „fürchterlichen Kampfspezialisten“ (S. 9) anzusprechen, trifft das Richtige. Der Vortrag schließt mit einem knappen Ausblick auf die Kaiserzeit, in der die von Augustus reformierte und in den Provinzen dislozierte Armee „ein wichtiger Faktor für die Romanisierung Europas“ sowie zum „unentbehrlichen Garanten des Reiches“ wurde, welches „das Heer der Republik einst heraufgeführt hatte“ (ebd.). „Heer und Staat in der römischen Republik“ läßt die Eigenheiten Heuß’scher Geschichtsschreibung klar hervortreten: Noch mehr als in den großen Darstellungen bleiben Dramatisierung und erzählerisches Kolorit außen vor. Ausgehend von Setzungen, die mit Idealtypen operieren (Milizheer, Berufsheer, moderne Synthese aus beiden), wird stattdessen das geschichtliche Problem so klar wie möglich herausgearbeitet und zugleich implizit als Teil einer Universalgeschichte ausgewiesen, die aus der Perspektive weberianischer Typologisierung gedacht ist, dabei aber das historisch Individuelle scharf zu fassen vermag. Historisches Denken erscheint auch hier als eine Operation aus dauernder intellektueller Anstrengung heraus. Vom
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Hörer oder Leser verlangt diese Art des Zugriffs „ein zielstrebiges und sachgemäßes Bemühen um die Geschichte, eine spezifische Energie des Denkens und des Wissens, eine ursprüngliche Gespanntheit auf die Menschheit in ihrer historischen Dimension“13. * [Alfred Heuß]
[handschriftlich: 5.II.6614] Heer und Staat in der römischen Republik
Heer und Staat sind aufeinander bezogen. Jeder Staat hat das Heer, das ihm gemäß ist, und jedes Heer ist an bestimmte Voraussetzungen sozialer und politischer Art gebunden. In der heute beliebten Terminologie ausgedrückt, sind Staat und Heer, zumal in ihrer Verknüpfung, soziologische und politologische Tatbestände. Da die Römer nun nach Ausweis ihrer Geschichte sich offenbar auf das Erobern verlegten und da selbiges ohne das dazu nötige Schwert nicht abgeht, liegt die Vermutung nahe, sie hätten von Anfang an ein besonders gutes Schwert besessen und ihr Staat wäre von Haus aus durch Besitz dieses vorzüglichen Instruments ausgezeichnet gewesen. Darin hätte dann die Befähigung Roms zu seinem Geschäfte gelegen, oder, um mit seinen Worten zu reden, zur Unterwerfung des sog. „Erdkreises“ und damit zur Gründung seines Weltreiches. Eine solche Vermutung ginge jedoch in die Irre. Wie so oft in der Geschichte trügt der Augenschein und sehen die Dinge bei schärferem Hinschauen anders aus, als man auf Grund eines kurzschlüssigen Pragmatismus annehmen möchte. Weder war das römische Heer ursprünglich eine technisch vollkommene Kriegsmaschine, noch war der römische Staat an sich besonders geeignet, eine solche zu schaffen. Er war es nicht mehr und nicht weniger als alle Staaten seines Typs. Ein technisch perfektioniertes Heer ist ein Heer militärischer Spezialisten, von Männern also, die sich berufsmäßig dem Kriegshandwerk widmen und den besten Teil ihres Lebens mit ihm zubringen. Sie treten deshalb in der Regel kraft Kontrakt in den Dienst, gegen Geldbezahlung, und sind dadurch nicht nur in der Lage, sich ausbilden zu lassen, sondern stehen danach jeden Augenblick zur Verfügung. In der modernen europäischen Geschichte wurde der absolute Staat der Schöpfer eines derartigen Heeres. Das von ihm verfolgte Prinzip wurde nach der Seite der qualifizierten 13
Heuß, Römische Geschichte (Anm. 8), S. XII. Der 5.2. dieses Jahres fiel auf einen Samstag; dieses Datum ist paläographisch wahrscheinlicher als der 5.11. (ebenfalls ein Samstag). – Streichungen im Typoskript in geschweiften, handschriftliche Ergänzungen in eckigen, grammatikalisch erforderliche in spitzen Klammern. Beibehalten ist die erratische Verwendung von -ß- bzw. -ss-. Die handschriftlichen Unterstreichungen sollten vermutlich stimmlich zu betonende Stellen im Vortrag markieren; sie sind hier weggelassen. 14
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Leistungsfähigkeit beibehalten von den Massenheeren der neusten Zeit. Hier ist zwar das Gros nicht mehr der miles perpetuus, aber die Trainierung des Volksheeres findet unter den gleichen Bedingungen statt, indem der Rekrut, seinen gewöhnlichen Lebensbedingungen für längere Zeit völlig entzogen, kaserniert und der militärischen Disziplin unterworfen wird. Lediglich Ausbildung und Führung liegt bekanntlich in den Händen von dauernd mit dieser Aufgabe Beauftragten. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß weder an der Wiege des römischen (2) Heerwesens ein Heer dieser Art stand, noch daß das römische Reich mit Hilfe eines solchen geschaffen wurde. Und dies, obgleich zur Zeit der römischen Welteroberung ein solches Heer eben dieser Welt durchaus bekannt war und auch seine technische Überlegenheit gegenüber dem römischen bewies. Das römische Heer hat sich also eigentlich gegen alle Wahrscheinlichkeit bewährt. Es stellt, wie der ganze Werdegang der römischen Herrschaftsbildung, eine Paradoxie der Geschichte dar und bedarf deshalb einer klaren, auf diesen Punkt zielenden Erhellung. Mit den Anfängen des römischen Staates wie des römischen Heeres verhält es sich wie überall im Kreis der mittelmeerischen, vor allem durch die Griechen repräsentierten Stadtstaaten. Ein städtisches Patriziat wurde im Gefolge eines ziemlich komplexen Demokratisierungsprozesses abgebaut. Das Endprodukt war nicht überall das gleiche, aber der Trend und die Beseitigung des Alten sämtlichen Auseinandersetzungen gemeinsam. Gemeinsam war auch die Umwandlung des Heerwesens. An die Stelle einer ritterlichen, vom Adel getragenen Kampfweise trat eine „bürgerliche“, welche auf der Dienstpflicht breiterer Schichten beruhte (die eben deswegen ihre politischen Ansprüche gut motivieren konnten). Man brauchte mehr Soldaten, nachdem einmal die Überlegenheit des Kampfes in geschlossenen Massen über den lockeren Einzelkampf von Mann zu Mann erkannt war. Diese Soldaten konnte der Adel nicht mehr liefern. Nur das zahlreichere Bürgertum war hierzu imstande. Dabei sind unter diesem in der Antike meistens Bauern zu verstehen. Dies ganz besonders im Rom des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts. Die wirklich armen Leute ohne Grundbesitz wurden von der neuen militärischen Dienstpflicht nicht erfasst, aus dem einfachen Grund, weil sie Waffen und Rüstung, die ursprünglich vom Kämpfer selbst gestellt werden mussten, nicht aufbringen konnten. Auch dieser Grundsatz war allgemein, wurde aber gerade von Rom mit besonderer Zähigkeit festgehalten. Die größere Wirksamkeit der neuen militärischen Ordnung beruhte nicht alleine auf dem Einsatz von mehr Menschen, sondern ebenso auf ihrer Organisation. Eines bedingte das andere. Größere Menschenmengen konnten nur deshalb herangezogen werden, weil sie besser oder zumindest anders als früher organisiert wurden, und der Vorteil einer besseren Organisation kam nur zum Vorschein, wenn mehr Menschen zur Verfügung standen. „Organisieren“ heißt in diesem Falle das Kooperieren zahlreicher Einzelner im geschlossenen Verband, (3) also das, was auch heute noch jeder Rekrut in den ersten Wochen auf dem Kasernenhof kennenlernt, wenn ihm das richtige Marschieren im Glied und anderes beigebracht wird. Freilich war man erst
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in den Anfängen dieser militärischen „Erfindung“ {und musste es selbstverständlich sein}. Ein kompliziertes Exerzieren im Zueinander detaillierter Einzelformationen verbot sich von selbst. Es war schon viel, wenn ein geschlossener, mehrgliedriger und rechteckiger Körper sich zusammenfand, in dieser Ordnung schnellen Schrittes voranlaufen konnte, ohne die Fühlung von Mann zu Mann zu verlieren, und vor allem in diesem Zusammenhang zu kämpfen verstand, dergestalt, daß keiner aus Angst die Reihen verliess und an die Stelle jedes Fallenden gleich der Hintermann trat. So etwas musste natürlich geübt, gelernt werden. Bezeichnenderweise prägten die Römer hierfür einen Signifikanten, einen heute noch geläufigen Begriff, den der „Disziplin“. Disziplina, vom Lateinischen Wort discere gleich lernen sich herleitend, wurde bezeichnenderweise im römischen Bewusstsein das Fundament des Heerwesens. Wir haben die Sache und das Wort von ihnen zu Beginn der Neuzeit übernommen. Trotzdem waren die technischen Möglichkeiten, jedenfalls zu Anfang, in Rom beschränkt. Der Waffendienst war eine Funktion des politischen Bürgerrechts und wurde deshalb als solcher nur im Bedarfsfall ausgeübt. Ihm sich berufsmäßig oder auch nur einer während zwei oder drei Jahre währenden Dienstzeit zu unterziehen, stand sowohl außerhalb aller damaligen Vorstellung – man hätte dergleichen für eine despotische Zumutung gehalten – und wäre auch aus sozialen und ökonomischen Gründen nicht möglich gewesen. Denkbar war nur das Milizsystem, das heißt militärische Übung ausschließlich neben dem Berufsleben, und Aushebung jeweils erst im Kriegsfall. In jener frühen Zeit hatten die Kriege den Vorzug, sehr kurz zu sein. Länger als einen Sommer hindurch gingen sie in der Regel nicht; selbst das war schon ziemlich viel. Den Winter über war ohnehin Ruhe. Auch das alte römische Heer war infolgedessen ein Milizheer, und man muß hinzusetzen, es ist dies im Prinzip sehr lange geblieben, länger als anderswo und als man auf Grund der kriegerischen Erfolge der Römer erwarten sollte. Das hat verschiedene Gründe, unter anderem auch den des bekannten Konservativismus, doch ist dieser, wenigstens zu einem erheblichen Teil, nun wieder eine Sammelbezeichnung für eine Anzahl individueller Motive. Denkt man an sie, so hat man sich auch das geradezu für eine Republik konstitutive Misstrauen gegen ein „entbürgerlichtes“ professionelles Heer vorzustellen. (4) Zu leicht ist ein solches imstande, in der Hand eines ehrgeizigen Feldherrn die Freiheit des Staates zu bedrohen. Wenn das römische Heer als Milizheer seine erstaunlichen Leistungen erbrachte, so liegt dies [an einem besonderen Umstand, nämlich] an der Elastizität, mit der Rom diesen Heerestyp zu handhaben wusste. Es dehnte seinen Gebrauch [nämlich] so weit aus, daß sich das Ergebnis nicht sehr von dem möglichen Effekt eines Berufsheeres entfernte und dabei doch die eingewurzelte Verfassungsgrundlage erhalten blieb. Von ungefähr konnte diese Anpassungsfähigkeit nicht kommen, und sie hing auch tatsächlich mit einer besonderen Biegsamkeit der römischen Staatsordnung zusammen, Biegsamkeit gemessen an der Struktur eines Stadtstaates.
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Wenn die römischen Soldaten keine Berufssoldaten waren, so traf das erst recht für die Offiziere und vor allem auch den kommandierenden General zu. Er war mit seinen Kollegen zusammen auch das politische Oberhaupt der Gemeinde. Als solches unterlagen die beiden Konsuln dem in der Antike weit verbreiteten und eigentlich überall im antiken Stadtstaat anzutreffenden Grundsatz der Annuität, d. h. dem Zwang zur alljährlichen Auswechslung. Die Römer waren in seiner Anwendung nicht gerade orthodox. Es kam schon vor, daß ein Konsul wiedergewählt wurde, aber niemals führte dies dahin, daß sich so etwas wie der Typus eines Berufsoffiziers oder eines Kommandeurs von spezifisch militärischem Zuschnitt bildete. Der General war immer zugleich Politiker und der verantwortliche Politiker zugleich Militär. Die römische Verfassung bot auch in späterer Zeit keinerlei Ansätze, das Kriegswesen in dem Sinne zu spezialisieren, daß ein Kommandeur ausschließlich auf den militärischen Bereich beschränkt worden wäre. Er hatte immer zugleich zivile Funktionen, in den früheren Epochen der römischen Geschichte in der Stadt Rom, später bei der Verwaltung der Provinzen als Gouverneur. Erst in der Spätantike ist diese Einheit von militärischer und ziviler Befugnis verlorengegangen, damals, als der römische Staat und das römische Reich auch sonst ihr Aussehen von Grund auf änderten. Aber auch diese Einheit der beiden Gewalten würde, so sehr sie eine Singularität der römischen Verfassung war, nicht ausreichen, die militärische Tüchtigkeit der Römer zu erklären. Man könnte aus ihr mit nicht minderem Recht die umgekehrte Konsequenz ableiten und vermuten, daß sie eher dazu neigten, das Leistungsniveau zu senken, da ja eine Vermischung der zwei Sphären in höherem Maß der zivilen als der militärischen zugute kommen konnte. Wenn diese Folgerung nicht gezogen wurde, lag dies an besonderen, aus der historischen Situation sich ergebenden Umständen. [Vergegenwärtigen wir sie nur kurz!] (5) In der frühen Republik, d. h. im 5. vorchristlichen Jahrhundert, als nach der Ablösung des Königtums der neue Freistaat, die res publica, seine Gestalt suchte, war das Interesse des römischen Bürgers bei der Wahl seiner höchsten Beamten, der sog. Magistrate, mit Vorzug auf deren militärische Aufgabe gelenkt. Diese Männer sollten vor allem imstande sein, Befehle zu geben (imperare), und die Vollmacht hierzu hieß dann eben auch „Kommando“ (imperium), ein Begriff, der im Gefolge hiervon den Römer in Verbindung mit den leitenden Magistraten derartig geläufig wurde, daß sie ihn zum Inbegriff der obrigkeitlichen Gewalt überhaupt erhoben. Seine Herkunft aus dem militärischen verlor damit gewiss ihre Bedeutung, und es wurde durch sie keineswegs verhindert, daß die bürgerliche Verfassung Roms bei ihrer Entwicklung ihren eigenen, von dem Kriegswesen unabhängigen Gesetzen folgte. Doch in dem Kommando selbst blieb von daher, ungeachtet dessen, daß ein „Bürger“ es handhabte, eine eigentümliche Härte, und niemals hörte das römische Bewusstsein auf, die beiden Bereiche, „zu Hause“ und „draußen im Felde“ (domi und militiae) mit äußerster Schärfe zu trennen. Während der römische Bürger in dem zweihundert Jahre lang dauernden Prozess innerer Auseinandersetzungen ein „freier“ Mann wurde, hörten seine Freiheitsgarantien schlagartig in dem
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Augenblick auf, als er sich draußen auf dem Marsfelde in Uniform einfand und auf dem Janiculus die rote Kriegsfahne aufgezogen wurde. Das römische Kommando war unerbittlich, die Strafgewalt des Offiziers unbegrenzt und der Gehorsam, der den Soldaten abgefordert wurde, schier absolut. Auf dieser Basis erfuhr der Begriff der Disziplin die besondere Zuspitzung, die wir ihm gewohnheitsmäßig zumessen, die ihm andererseits jedoch keineswegs auf Grund seines Begriffes innewohnt. Mit welcher „abstrakten“, unmenschlichen Sachlichkeit der römische Feldherr verfahren konnte, ist durch mannigfache Geschichten belegt. Am bekanntesten ist die von dem Vater, der als Befehlshaber seinen eigenen Sohn hinrichten lässt, weil er entgegen der Order sich auf einen Zweikampf mit dem feindlichen Feldherrn eingelassen hatte, wobei es keine Rolle spielte, daß er ihn besiegt und getötet hatte. Der einfache Landser bekam die Härte des Kommandos in der Unerbittlichkeit zu spüren, mit der ihm die {[täglichen]} Dienstleistungen abgefordert wurden, und zwar nicht nur im Kampf – das war selbstverständlich und galt schließlich für jeden anderen Soldaten auch – sondern vor- und hinterher, in der Arbeit des Alltags, beim Marschieren und Ertragen der Strapazen, selbst am Feierabend, wenn er todmüde noch schanzen musste, um eine gesicherte Lagerstatt zu erstellen. (6) Wie es im römischen Heer in dieser Hinsicht zuging, widersprach jedem Stil eines Milizheeres15, nicht nur im Altertum sondern auch später. Es zeigte sich darin, wie die Römer die immanenten Grenzen einer Institution zu überspielen verstanden und ihr Leistungen abgewannen, die „von Natur“ in ihr nicht angelegt waren. Man hat sich deshalb zu fragen, wodurch derartiger Außerordentlichkeit Vorschub geleistet wurde. Wir möchten hierfür zwei {Umstände} [Faktoren] in Anschlag bringen. Erstens einmal wurden Staat und Gesellschaft Roms nur in einem begrenzten Umfang demokratisiert. Trotz starker demokratischer Elemente war die Demokratisierung mehr formal als reell. In Wirklichkeit war die römische Republik eine Aristokratie. Die höheren römischen Offiziere waren Angehörige der oberen aristokratischen Schicht. Der einfache Mann empfand deshalb ihnen gegenüber nicht nur wie überall die Autorität der militärischen Hierarchie, sondern zugleich einen noch tiefer liegenden Respekt vor dem sozial höher Gestellten. Zweifellos war diese aus dem Gesellschaftsgefüge fliessende Observanz auch eine der Kräfte gewesen, welche dem römischen Heer als Institution seinen besonders strengen Stempel aufdrückte. Dazu tritt noch ein {occasioneller} [anderer, nur äußerer, aber sehr wichtiger] Umstand: Die frühe römische Republik (5. und Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr.), in welcher der Grundriss für die römische Staats- und Heeresverfassung gezogen wurde, bedeutete eine Zeit äußerer Bedrängnis. Rom war auf einmal auf allen Seiten von Feinden umgeben und hatte alle Hände voll zu tun, um sich zu behaupten. Zwangsläufig wurden dadurch nicht nur seine militärischen Kräfte stark angespannt, sondern ebenso seine Aufmerksamkeit auf eine wirksame Organisation 15 Über „widersprach jedem Stil“ hs. Zusatz „und hierauf kommt es vor allem an“, ohne Einfügemarkierung.
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seines Kriegswesens gerichtet. Das Heer wurde nicht nur vergrößert und im Verlauf eines Jahrhunderts sein Umfang verdoppelt, sondern auch in der Gestaltung seines Oberkommandos verschiedene Variationen durchgeführt. Es war gar nicht zu umgehen, daß hierbei, im Laufe dieser Beanspruchung, auch für eine erhöhte Stringenz des Gehorsams Sorge getragen wurde Rom stand damals noch vor der Unterwerfung Italiens. Diese vollzog sich während der zwei Generationen zwischen 340 und 270 v. Chr. Sie bedeuteten [für das römische Militärsystem] die Probe aufs Exempel. Erst in den unzähligen Kämpfen dieses Zeitraumes erwies das römische Heer diejenige Leistungsfähigkeit, welche es dazu befähigte, zuverlässiges Instrument der römischen Weltpolitik und Weltherrschaft zu werden. Es ging hierbei in der Hauptsache um zwei Eigentümlichkeiten, den dem Ansatz nach nicht neu, nun ihre wirkliche Ausbildung erfuhren und die entscheidende Durchschlagskraft entwickelten. (7) Als die Römer über ihre Heimatlandschaft Latium hinausgeführt wurden, weitete sich der Kriegsschauplatz in vorher nicht gekanntem Umfang. Am Ende umfasste er so gut wie ganz Italien (ohne die Poebene, die damals nicht dazugerechnet wurde). Zugleich hatten es die Römer teilweise mit äußerst hartnäckigen Gegnern zu tun, die sich nicht nur erst nach mehreren Kriegen geschlagen gaben, sondern auch dem einzelnen Krieg eine ungewohnt lange Dauer verliehen. So kämpften die Römer gegen die Samniten, ihren gefährlichen Feind in Italien, von 326 bis 290 v. Chr. beinahe Jahr für Jahr. Dabei handelte es sich natürlich nicht um eine totale Mobilmachung in unserem Sinne. Trotzdem steigerte die fortwährende Beanspruchung der Mannschaft ganz von selbst ihre technische Geschicklichkeit. Die Ansprüche an sie konnten und mussten wachsen, [dies auch] schon deshalb, weil der Feind mit einer den Römern nicht vertrauten Kampfweise dies erzwang. So musste das römische Heer in den samnitischen Bergen sich ganz umstellen. Mit der starren Schlachtreihe war es in diesem Gelände und bei einem Gegner, der überraschende und schnelle Überfälle liebte, nicht getan. Die Römer entwickelten daraufhin eine beweglichere Taktik, auf der begrenzten Manövrierfähigkeit einzelner Haufen innerhalb der Legion, den sog. Manipeln, beruhend. Derselbe Feind veranlasste sie [weiterhin] zur Übernahme seines Wurfspießes, des sog. pilum, das hinfort zu einer der charakteristischsten römischen Waffen wurde. Neben der taktischen Weiterbildung stand in jener Zeit die Entstehung eines größeren Rahmens für die römischen Streitkräfte. Als die Volkszahl Roms wuchs, konnte auch das Aufgebot erhöht werden. Es wurde von zwei auf vier Legionen verdoppelt. Neben diese Masse (etwa 20 – 24.000 Mann) trat aber noch eine andere, gleich starke, gestellt von den Bundesgenossen. Das war das Werk römischer Politik. Rom nutzte seine Siege über die italischen Völkerschaften nicht dazu aus, um sie dauernd Tribut zahlen zu lassen. Mit ihrer militärischen Kraft sollten sie Rom dienen, als sog. „Bundesgenossen“ auf der Basis gemeinsamer Solidarität. Das Oberkommando lag selbstverständlich bei Rom, aber auch die Organisation jener Bundeseinheiten wurde nach römischem Vorbild durchgeführt. Der Gewinn dieses
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föderativen Prinzips ist nicht zu unterschätzen. Rom trat in jeden Krieg mit einer Streitmacht, der nur wenige etwas Gleichwertiges an Umfang entgegenstellen konnten. Noch wichtiger war das Potential, das hinter diesem Aufgebot stand. Nicht mehr und nicht weniger als die männliche Bevölkerung von ganz Italien, einem für damalige Verhältnisse bevölkerten Land, war damit Rom als leicht nutzbare Reserve zur Verfügung gestellt, kräftige, kriegstüchtige Männer und dabei billige Soldaten. Sie waren keine hochbezahlten Söldner, sondern ökonomisch gesehen (8) immer noch echte Milizsoldaten. Die Überlegenheit Roms in seiner weltpolitischen Phase lag nicht zuletzt in der schier unerschöpflichen Regenerationsfähigkeit des römischen Heeres. [Und] Diese war, wie das ganze römische Heer, Ausfluß der römischen Verfassung, und der Ordnung römischer Herrschaft in Italien. Beide, römisches Heer und römischer Staat, erbrachten ihre Existenzprobe im Hannibalkrieg. Hier ging es bekanntlich um Leben und Tod. Das Heer, das Hannibal über die Alpen führte, von ihm und seinem Vater, zwei militärischen Genies, durch viele Jahre exerziert, war zweifellos allem, was die Römer unter Waffen rufen konnten, turmhoch überlegen. Zusammen mit seinem Feldherren musste es als unüberwindlich gelten. Es war es auch. Die vernichtenden römischen Niederlagen bewiesen es zur Genüge. Bei Cannae wollten die Römer durch zahlenmässige Übermacht siegen. Es wurde eine Katastrophe daraus. Nicht nur die Strategie Hannibals, sondern auch ebenso die von dieser geforderte Taktik führte sie herbei. Die Römer hatten wohl vieles gelernt, aber angesichts eines genialen Feldherrn und eines wirklichen Berufsheeres ergab sich ein komplettes militärisches Fiasko. Doch wurde kein politisches daraus, und, auf das Ende hin gesehen, schließlich auch kein militärisches. Für Rom arbeitete die Zeit, im wesentlichen ein politisches Faktum, und in dieser langen Zeit, in den fünfzehn Jahren nach Cannae, wurden die Heere, die Rom auf verschiedenen Kriegsschauplätzen unterhielt, ihrerseits nun zu Berufsarmeen und damit dem großen Gegner ebenbürtig. Als in dem Älteren Scipio nun auch [noch] auf römischer Seite ein durch lange Jahre und von früher Jugend an geübter und erfahrener Feldherr erstand, war auch der militärische Sieg über Hannibal in den Bereich des Möglichen gerückt. Bei Zama wurde er Wirklichkeit. Rom hatte damit bewiesen, daß es unter Umständen mit seinem Milizheer hochqualifizierten Berufssoldaten gewachsen war. Die gleiche Erfahrung machte es in den folgenden drei Jahrzehnten bei seiner Auseinandersetzung mit den Großstaaten des griechischen Ostens. Sie wurden auch militärisch, nicht nur politisch, das Opfer der römischen Überlegenheit. Rom war dadurch in kurzer Zeit zur Weltherrscherin geworden. Das römische Kriegsinstrument schien in seiner Vollkommenheit keiner Wandlung und Verbesserung mehr zu bedürfen. Wenn das römische Heer trotzdem weitergebildet wurde, so lag dies primär nicht an außenpolitischen Notwendigkeiten. Die treibende Kraft kam von der römischen Innenpolitik, oder, wenn man so will, von einer schweren sozialen Krise. Das römisch-italische Bauerntum, auf dem kraft urwüchsigen Verfassungsgrund- (9) satzes das römische Heer beruhte, ging zugrunde und war nicht mehr imstande, die
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Heereskader zu füllen. Infolgedessen mussten die bisher nicht wehrpflichtigen proletarischen Schichten herangezogen werden. Das römische Heer wurde so aus einem Grundbesitzer- zu einem Proletarierheer. Die Konsequenz davon war: im Gegensatz zum Bauern, auf den der Hof wartete und der deshalb möglichst bald entlassen zu werden wünschte, war der berufslose Proletariersoldat abkömmlich. Er hatte nichts zu versäumen, sondern nur [etwas] zu gewinnen. Er hatte seinen Unterhalt, während er unter Waffen stand, und keinen schlechten, denn die Römer siegten ja immer und mussten ja auch siegen. Vor allem aber winkte nach dem Dienst eine reiche Zivilversorgung, so wie sie nur eine Weltmacht zahlen konnte. So wurde in den Jahren nach der Reform des Marius Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. das römische Heer allmählich zu einer Armee von Berufssoldaten, d. h. zu einem technisch hochqualifizierten Heerkörper. Es kamen dann auch die großen Meister des Kriegshandwerks, um nach Marius das neue Heer taktisch zu vervollkommnen: Sulla, Pompeius, Caesar. Und es kamen auch eine Reihe langer Kriege, zumeist Bürgerkriege. In ihnen, im ersten Jahrhundert v. Chr. dröhnte „der ganze Erdkreis“ – wir würden heute die „Mittelmeerwelt“ sagen – von dem Schritt des römischen Legionärs, eines fürchterlichen Kampfspezialisten, wie die Kelten Galliens zu spüren bekamen, aber auch die römischen Soldaten selbst, wenn sie die Waffen gegeneinander kehrten. Erst mit der Eroberung Alexandriens nach der berühmten Schlacht bei Aktium im Jahre 31 v. Chr. ging das entsetzliche Gemetzel zu Ende, freilich mit ihr auch die römische Republik. Augustus demobilisierte die gewaltigen Heeresmassen – aber das neue Berufsheer lebte weiter. [Als solches wurde es jetzt erst richtig durchorganisiert und bewachte] von nun an als stehende Streitmacht die Grenzen des Reiches, nachdem sein Vorgänger in der Hand der großen Potentaten dem Kampf um dieses Reich gedient hatte. Zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre dauerte die Dienstzeit des Legionärs. Danach siedelte er sich mit der zum Schluß empfangenen Aussteuer irgendwo an, meistens da, wo er gedient hatte, also draußen an den Rändern des Imperiums. Das römische Heer wurde so ein wichtiger Faktor für die Romanisierung Europas, in verschiedener Hinsicht, aber nirgends so sichtbar wie hier, und das römische Heer der Kaiserzeit, Erbe einer langen und großen Geschichte, war jetzt zum unentbehrlichen Garanten des Reiches geworden, das das Heer der Republik einst heraufgeführt hatte.
Historische Wahrnehmungen und Deutungen
Zitherspiel am Nil, Völkerschau daheim. Fernreisen, Kulturkontakt und Fremdwahrnehmung im 19. Jahrhundert an bayerischen Beispielen Von Bernhard Löffler, Regensburg Fragen der Bildungs-, Wissenschafts- und Ideengeschichte besitzen im Werk des Jubilars Hans-Christof Kraus einen hohen Stellenwert. Sie sollen im folgenden Beitrag aufgenommen, allerdings in einer spezifischen Weise akzentuiert werden. Das Thema sind Bildungs- und Forschungsreisen des 19. Jahrhunderts, die von Bayern in die Welt hinaus führten. Im Mittelpunkt steht dabei ein exemplarischer und prominenter Fall einer längeren „Expedition“ nach Ägypten und in den Nahen Osten, der in den größeren Kontext eingeordnet und punktuell um andere Beispiele ergänzt wird. Neben Protagonisten, Ablauf und Profil der Reisen werden vor allem ihre zeitgenössische Vergegenwärtigung und ihre öffentlichen Rückwirkungen in der und auf die „Heimat“ thematisiert: Welche Erzählungen, Bilder, Eindrücke und Deutungen wurden über weite räumliche Entfernungen transportiert, in welchen Gütern, „Souvenirs“ und Sammlungen schlug sich das Fremde in Bayern nieder, welche Institutionalisierungen oder Musealisierungen fand es, wie wurde mit den Hinterlassenschaften umgegangen? In ihren grundsätzlichen Dimensionen sind diese Zusammenhänge eingebettet in mehrere Forschungsfelder: Zum einen werden Ausprägungen von Ideentransfers, Kulturkontakten und Interaktionen zwischen vermeintlich eng umgrenzten lokalen „Heimaten“ und entlegenen Weltzonen behandelt, oder mit den Worten Johannes Paulmanns: das „Verhältnis von Regionen und Globalisierungsprozessen“, die einschlägigen Institutionen, „Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen“ und nicht zuletzt die Inhalte, für die sie standen, ihre Folgen und Wirkungen. Das meint die Fremdwahrnehmungen, die man weitergab, und die Selbstbilder, die man ins Fremde projizierte, die eigendynamischen Anverwandlungen, performativen Aneignungen und wertenden, klassifizierenden, ordnenden Präsentationen von „Welt zuhause“, einschließlich ihrer kolonialistischen Vereinnahmung und dem Voyeurismus ihrer Zurschaustellung.1 Damit ist schon auf das zweite Bezugsfeld verwiesen: die Probleme des kolonialen Erbes, wie sie seit geraumer Zeit von den „postco1
Vgl. zu den Begrifflichkeiten Johannes Paulmann, Regionen und Welten. Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen seit dem 19. Jahrhundert, in: HZ 196 (2013), S. 660 – 699, Zitate S. 660, 667; ferner etwa Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 154 – 157, 166, u. ö.; Christoph Dipper/ Lutz Raphael, „Raum“ in der Europäischen Geschichte, in: JMEH 9 (2011), S. 27 – 41.
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lonial studies“ aufgeworfen und in Fragen nach Provenienzen, Restitutionen oder Grenzen des museal Zeigbaren erörtert werden.2 Schließlich sind mit beiden Aspekten – den Fragen transregionalen Austauschs wie denjenigen nach kolonialistischen Prägungen – spezifische Raumvorstellungen verbunden. So hat Edward Said in seinem bekannten Werk zum Orientalismus postuliert, mit der Aneignung des Orients im „Westen“ würden „imaginative Geographien“ geschaffen. Auch das passt gut für unseren Gegenstand: zum einen konkret-inhaltlich, weil Orientbilder eine wesentliche Rolle spielen, zum anderen prinzipiell-methodisch, weil mit den Reisen auch in unseren Fällen niemals nur reale Topografien verhandelt oder naturwissenschaftliche Artefakte transferiert wurden, sondern immer zugleich „Sehnsuchtslandschaften“ und „mental maps“, Klischees und Stereotype des Fremden etabliert wurden – sei es als ästhetisierende Idyllen, sei es in abwertender Intention.3 I. Am 20. Januar 1838 war es so weit. Die Chronik der Stadt München vermerkte für den Tag, „heute Vormittags 9 Uhr“ habe Herzog Maximilian in Bayern seine große „Reise nach dem Orient“ angetreten, getrieben von Jugend-Sehnsüchten, etwas ganz Ungewöhnliches und Neues kennenzulernen. Der Herzog hatte sich vorbereitet durch die Lektüre einschlägiger Reiseschriftsteller wie Jean-François Champollion („Briefe aus Ägypten und Nubien“), Hermann Fürst von Pückler-Muskau („Semilasso in Afrika“) oder Pater Maria Joseph von Geramb („Pilgerreise nach Jerusalem“), deren Werke auch mitgeführt wurden. Begleitet wurde er von seinem Adjutanten „Hofkavalier“ Ludwig von Heusler, den Freunden Freiherrn Friedrich Carl von Buseck und Hauptmann Theodor Hügler, seinem Leibarzt sowie zwei Künstlern, dem Genremaler Heinrich von Mayr und dem Zithervirtuosen Johann Petzmayer. Mayr sollte pittoreske Alltagsszenen oder bauliche Sehenswürdigkeiten festhalten. Seine „Malerischen Ansichten aus dem Orient“ erschienen 1839/40 gleichsam als visuelle Dokumentationen zum ebenfalls publizierten Reisetagebuch des Herzogs, das den Titel „Wanderung nach dem Orient“ trug. Dass auch ein Zitherspieler mitgenommen wurde, ist nur durch Max’ persönliche Passion zu erklären. Der 29-jährige Spross aus einer Wittelsbachischen Nebenlinie, Vater der berühmten Sisi, war
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Vgl. etwa Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage, München 2021; im Überblick Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 5. Aufl. Reinbek 2014, hier S. 184 – 237; oder Olaf Zimmermann/Theo Geißler (Hrsg.), Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen. Deutscher Kulturrat, Berlin 2019: online unter https://www.kulturrat.de/wpcontent/uploads/2020/01/AusPolitikUndKultur_Nr17.pdf (15. 1. 2023). 3 Edward D. Said, Orientalismus, 2. Aufl. Frankfurt am Main 2010, engl. Orig. 1978; ähnlich Derek Gregory, Geographical Imaginations, Cambridge/Oxford 1994; zum Kontext etwa Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München/Wien 2003, hier S. 154 – 166, 243 – 248, 282 – 291, u. ö.; Christoph Conrad (Hrsg.), Mental maps (GG 28, 2002, Heft 3), Göttingen 2002.
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ein begeisterter Musikant und selbst virtuoser Zitherspieler – Spitzname: „ZitherMaxl“.4 Die Reise verlief zunächst über die Alpen nach Venedig und Triest, dann per Schiff nach Alexandria. Von dort fuhr man den Nil aufwärts nach Kairo und über die beiden ersten Katarakte nach Oberägypten, besuchte hier Luxor, Karnak und Assuan und begab sich bis in den Sudan hinein nach Abu Simbel. Danach ging es zurück über die Wüste nach Palästina zu den heiligen Stätten, in den Libanon und nach Syrien, schließlich über die klassische italienische Bildungsroute Neapel, Rom, Florenz heim nach München, wo man Mitte September 1838 eintraf. Immerhin acht Monate also war die Männergruppe unterwegs. Der Charakter des Unternehmens changierte zwischen klassischer adeliger Grand Tour, Bildungs- bzw. Entdeckungsreise und Pilgerfahrt. Es kann uns in seinen verschiedenen Facetten als beispielhafter Spiegel für unterschiedliche Transfervorgänge dienen: für den Export von Bavarismen in die Ferne, für zeitgenössische Formen der Wahrnehmung des Fremden, für spezielle Disponierungen des Blicks, nicht zuletzt auch für das schwierige „Nachleben“ der Expedition in der Heimat, die spezifische Inbesitznahme und Zurschaustellung des „Anderen“ und „Sonderbaren“ in Bayern. Die Überlieferungen zeigen dabei mehrere Beobachtungsschichten und Wertungsperspektiven. Die erste Annäherung ist Bewunderung und Überwältigung, „so überraschend neu, so fremdartig und originell ist dieses majestätische Panorama“. Die Reisenden betraten eine „neue Welt mit den fremdartigsten Menschen von gemischter Gesichtsfarbe und in die eigenthümlichsten und buntesten Trachten gehüllt“. Aufgeregt-staunend beschrieben sie die verschiedenen Denkmäler und üppigen Naturszenerien, den Alltag in Gassen und auf Bazaren, die überbordenden Eindrücke ungewohnten Essens, exotischer Kleidung, unbekannter Sitten, Gepflogenheiten und Rituale. Sie wurden aufgesogen vom „Gepräge des Orients“, dem Duft des „herrlichen Citronen-Waldes“ und der Gewürze, des mächtigen Schauspiels der Nilkatarakte und „wahrhaft magischen Sonnenuntergänge“, wähnten sich in den „Sagen der Tausend und Einen Nacht“ oder einer „magischen Feenwelt“, begaben sich in den langsamen Rhythmus des „ächten orientalischen Lebens“, verbrachten Tage damit, „türkische Pfeife zu rauchen und Kaffee zu trinken“. Zugleich wurden freilich immer wieder auch die Irritationen durch das Fremde vermerkt: neben den Unannehmlichkeiten des ungewohnten heißen Klimas, von Ungeziefer, Schnakenstichen und schwer verdaulicher Kost vor allem die „zudringlichen Bettelkinder“, die „betäubende Musik“, der „unharmonische und taktlose Gesang“, der „unzüchtige 4
Malerische Ansichten aus dem Orient, gesammelt auf der Reise Sr. Hoheit des Herrn Herzog Maximilian in Bayern im Jahre MDCCCXXXVIII, hrsg. […] v. Heinrich von Mayr, München/Leipzig 1839/40; Wanderung nach dem Orient im Jahre 1838. Unternommen und skizzirt von dem Herzoge Maximilian in Bayern, München 1839. – Nunmehr alles gut dokumentiert in Isabel Grimm-Stadelmann/Alfred Grimm (Red.), Eine Zitherpartie auf dem Nil. Die Orientreise von Herzog Maximilian in Bayern und seine Orientalische Sammlung [Museum Kloster Banz], München 2009; vgl. auch Wolfgang Görl, Menschen als Mitbringsel, in: Süddeutsche Zeitung v. 10./11. 10. 2020, S. 74.
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Tanz“. Besonders scharf verurteilt und mit Schaudern betrachtet wurden Formen des „Aberglaubens“ und „frevelhaften Unsinns“, wie sie sich vornehmlich in den „seltsamsten Ceremonien der Derwische“ und deren „konvulsivischen Bewegungen“ zeigten. „Ich glaubte mich in ein Tollhaus versetzt, dergestalt brüllten, schrien und wirbelten sich diese bemitleidenswerthen Menschen vor mir im Kreise herum.“5 Unterlegt wurden die Schilderungen außerdem durch sozioethnologische Überlegungen und rassische Stereotypisierungen: „Die Nubier sind verläßiger und gesetzter als die Araber. […] Ein Hauptzug des nubischen Charakters ist, daß sie sich [anders als die Araber] des Diebstahls enthalten, so daß wir die Nacht unbesorgt ruhen konnten. […] Die Weiber unterscheiden sich wenig von den Araberinnen, blos daß sie noch häufiger als Jene Ringe in der Nase tragen. Des Nubiers Hautfarbe ist beinahe ganz schwarz. Die Form ihrer Gesichtszüge, namentlich ihre schwächlichere Bauart, nähert sich schon dem Neger-Geschlecht.“6 Durchgehend wird sehr deutlich gemacht, wo man bei aller Begeisterung über die ägyptischen oder sudanesischen Tempel, Pyramiden und Ruinenstädte die eigentlichen zivilisatorischen Referenzgrößen sah. Wohl übertreffe die ägyptische Baukunst an „kolossaler Größe“, am „Ehrfurcht gebietenden, grandiosen Styl“, am „frappanten Eindruck des […] fast übermenschlichen Kraftaufwands“ sogar das Griechische. Dieses stehe jedoch an Zierlichkeit und gediegenem Ebenmaß eindeutig darüber. Und frage man „nach der Art und Weise und nach den Beweggründen, welche die Werke beider Nationen schufen, so gewinnt jedenfalls die Kunst der Griechen oder Römer, die, selbst freie Männer, aus freiem Antrieb zur Ehre ihres Vaterlandes oder um dasselbe verdienter Männer, oder zur Anbetung der Götter ihre Tempel und Triumphbögen erhoben, während bei den alten Egyptiern mehr oder weniger Eitelkeit und der Despotismus ihrer Herrscher vorwaltete […].“7 Zum Ethnischen trat also Politkulturelles und verstärkte die zivilisatorische Distanz. Entsprechend positiv leuchtet die zweite Reiseetappe ins Heilige Land. In Jerusalem, Betlehem und Nazareth fänden sich „geweihte Erde“ und Stätten, angesichts derer sich „unser Aller tiefe Rührung bemächtigte“, „fromme Ehrfurcht“ und „geheiligte Stimmung“, die auf den Reiseetappen davor „lange […] nicht mehr empfunden“ worden seien. Man habe Mühe, „sich der Thränen zu erwehren“. In dieser Umgebung 5 Entsprechende Tagebucheinträge in Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), S. 121 f., 131 f., 137, 139, 144, 150, 155, 158, 160, 163, 167 f., 187, 221, 231, 234. – Fast wortgleich die Passagen bei Johann Baptist von Spix/Carl Friedrich Philipp von Martius, Reise in Brasilien in den Jahren 1817 bis 1820, 3 Bde., München 1823 – 1831, Neudruck in 3 Bden., Stuttgart 1966, hier Bd. I, S. 366 ff., 372 – 375; Bd. II, S. 818 ff.; Bd. III, S. 1265 – 1268 (über ekstatische „höllische“ Tänze und animalische Trinkgelage tätowierter „Wilder“ und nackter „Menschenfresser“ am Rande des Wahnsinns); dazu auch Markus Wesche, Zwei Bayern in Brasilien. Johann Baptist Spix und Carl Friedrich Martius auf Forschungsreise 1817 bis 1820, München 2020, S. 171 – 177. 6 Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), S. 172 f. – Auch hier wieder ganz ähnlich Spix/Martius, Reise in Brasilien (Anm. 5), Bd. I, S. 184 f., 370 f., 376 ff.; Bd. III, S. 1182 – 1189, 1310 – 1314, u. ö.; Wesche, Zwei Bayern (Anm. 5), S. 184 – 191. 7 Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), S. 208.
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erschienen nicht nur die „Sitten und Physiognomien“ mit „jüdischem Gepräge […] reiner und einfacher als Jene der Egyptier“ und erinnerten die „schönen Formen der weiblichen Gesichter an die Edlen Physiognomien der Römerinnen“. Der Rahmen wurde darüber hinaus auch räumlich-topographisch mit der Heimat verbunden bzw. bot Gelegenheit zur Projektion vertrauter Landschaften in die Fremde: Der Anblick Gazas und der „wahrhaft reizenden“ Gebirge Judäas erinnerte den Herzog „lebhaft an die schöne Gegend um Regensburg. Ich glaubte mich einen Augenblick im bayerischen Vaterlande, so wie überhaupt der Charakter des Ganzen mich an Gegenden Deutschlands mahnte. Ueberall zeigten sich Olivenbäume und wilde Feigen.“ Und beim See Genezareth fiel ihm als „trefflichster Vergleich“ der Genfer-See ein, „nur verherrlichter durch die magische Beleuchtung der Sonne Asiens“.8 Von Gaza und Genezareth, den Oliven und den Feigen nach Regensburg oder Genf – das waren bemerkenswerte Querverbindungen. Zu erklären sind sie nur als mentale Konstruktionen, die hier durch betont positive Einordnungen, durch religiöse Emphase oder das Empfinden kultureller Nähe begründet wurden. Bei der Betrachtung von Kairo oder des Nils überwogen andere Dispositive, solche der Fremdheit und der Alterität. Aber hier wie dort gilt grundsätzlich: Man sah und konnotierte, was man sehen und konnotieren wollte. Die Landschaften trug man gewissermaßen als vorgeformte Bilder im Kopf und projizierte sie dorthin, wo man sie haben mochte. Mitunter gelang es im Übrigen auch, Heimat in die Fluten des Nil zu transponieren. Allerdings bedurfte es dazu eines Kombinationsakts ganz eigener Art: des Zitherspiels vor orientalischer Kulisse. Der Kunsthistoriker Hyacinth Holland berichtet, die Zithern seien „am Fuße der Pyramiden“ erklungen, und „verdutzt horchte der alte Vater Nil auf die zu seinen Ehren benannten Walzer“. Tatsächlich gibt es einen von Petzmayer eigens komponierten „Nilfahrt-Walzer“. Zudem „zitterten die kunstvollen Weisen“ offenbar in gemeinsamen Auftritten des Herzogs mit Petzmayer „durch die vom träumerischen Mondlicht versilberten Tempelruinen von Luxor und Karnak“. Man habe sowohl „den beiden Memnon’s eine Serenade“ gebracht als auch „auf der Insel Philae und über den Katarakten“ gespielt; „selbst an der Grenze Nubiens äußerten die braunen Söhne der Wüste freudiges Erstaunen und Entzücken über das Spiel des ,deutschen Pascha‘ und seines Capellmeisters.“ Auch das war eine Form transkultureller Begegnung, bei der indes der Nil und die Pyramiden zur reinen Staffage wurden. Andere Hinterlassenschaft der Reisegruppe würde man heute als grobe Sachbeschädigung bezeichnen: Mehrmals ließ der Herzog in „Graffitis“ seinen Namenszug einmeißeln, etwa auf einer der Kolossalfiguren Ramses’ II. an der Fassade des Großen Tempels von Abu Simbel oder auf einer Granitsäule an der Grenze zwischen Afrika und Asien.9
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Ebd., S. 239, 241 f., 245, 248, 270, 272, 279. Holland zitiert nach ebd., S. 21, zu den herzoglichen Graffitis S. 36 ff.; Hyacinth Holland, Maximilian, Herzog in Baiern, in: ADB 52 (1906), S. 258 – 270, online unter: https:// www.deutsche-biographie.de/pnd118967592.html#adbcontent (16. 10. 2020). 9
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Den noch viel problematischeren Kulturkontakt allerdings stellte der Umgang mit Sklaven dar. Öfter besuchte die Reisegruppe Sklavenmärkte, in Alexandria, Kairo und bei Kena. Der Herzog bekundete dabei stets seine Abscheu. Er sei ein Gegner der Sklaverei. Es sei empörend zu sehen, „wie mehrere Hundert von Schwarzen aller Art auf der Erde umher kauern“ und „Menschen gleich dem Vieh verkauft“ würden. „Sie müßen beim Verkaufe ihre Zunge weisen; man untersucht die Zähne […] und befühlt sie, gleichwie es die Fleischer auf unsern Viehmärkten zu thun pflegen. Bei den Zähnen muß man genau acht haben, ob sie spitz oder stumpf geformt sind. Die Ersteren verrathen gewöhnlich einen schlimmen, die Letzteren ein guten Charakter.“ Das Zitat zeigt schon, dass der Betrachter die Szenerie bei aller Distanz doch mit „großem Interesse“ und Voyeurismus angeht, garniert mit pittoresken Genrebeschreibungen der bunten Bazare oder halbverfallenen Höfe und abermals kombiniert mit ethnosozialen Stereotypen: „Im ersten Augenblicke glaubte ich Affen vor mir zu sehen, denn mehrere von ihnen saßen zu oberst des Gemäuers und spielten zusammen unter den drolligsten Gebärden. Sie sind nicht sehr theuer. Die schönste Waare, die Georgierinnen und Cirkassierinnen, bekömmt man nicht zu sehen.“ Mehr noch, der Herzog hatte auch keine Bedenken, selbst Sklaven (vermutlich sudanesischer Herkunft) zu erstehen. Lakonisch notierte er hierzu: Auf dem großen Kairoer Sklavenmarkt „kaufte ich mehrere [vier] dieser Schwarzen, um sie mit nach Europa zu nehmen“. Und drei Wochen später schlug Maximilian nochmals zu: „Ich kaufte mir von einem arabischen Kaufmann einen wunderschönen kleinen Neger von neun Jahren, so hübsch, wie ich in ganz Kairo keinen gesehen, Namens Morgan. Er kostete nach unserm Gelde die geringe Summe von 72 Gulden.“10 Ziehen wir ein kurzes Zwischenfazit: Das ungläubige Staunen und die Irritation über das Fremde, die Beschreibung von Sehenswürdigkeiten, Naturschauspielen und Alltagsszenen waren durchgehend geprägt von eigenen Projektionen und Wertkategorien. Sie waren bestimmt vom „touristischen Blick“, wie er sich in der zeitgenössischen Mode der Orientreise spätestens seit Napoleons Ägyptenfeldzug, aber auch in vielen kunsthistorischen Bildungskategorien verfestigt hat und bereits in den mitgeführten Reiseführern kanonisiert war; von der griechisch-lateinisch geprägten Perspektive des kolonisierenden „weißen Mannes“, die als Referenzgröße von Kultur und Zivilisation galt, an der die indigenen Sitten stets gemessen und als „primitiver“ klassifiziert wurden, und die im Fall unserer bayerischen Reisegruppe noch eine spezifisch philhellinistische Note bekam; von christlichen Maßstäben, die die letzten Wahrheiten definierten und festlegten, was sicherer, vertrauter Glaube und was verunsichernder, abschreckender Aberglaube war. Das gab die Richtung vor, markierte, was man sah. Im Mittelpunkt standen weniger Neuentdeckungen, sondern weit mehr Affirmationen. Es wurde gesucht und aufgesucht, was man finden wollte und was
10 Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), S. 124, 162; ferner Görl, Menschen als Mitbringsel (Anm. 4).
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durch die bereits existierenden Reiseführer an Pittoreskem, Monumentalem, Bestaunenswertem und Irritierendem vorgegeben war.11 II. Herzog Max und seine Gefährten waren da Teil einer langen, in manchem bis weit ins 20. Jahrhundert währenden kolonialistischen Weltwahrnehmung. Sie unterschieden sich darin nicht von ihren Gewährsleuten Pückler-Muskau oder Geramb und auch nicht von anderen reisenden Zeitgenossen. Am wohl berühmtesten im bayerischen Kontext waren zwei Naturforscher, die zwischen 1817 und 1820 im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Brasilien unterwegs waren, der Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius und der Zoologe Johann Baptist von Spix. Bei ihnen und vielen anderen zeigte sich dieselbe ambivalente Kombination: Auf der einen Seite standen Distanzierung von den menschenverachtenden Praktiken, Schaudern und Mitleid, kombiniert mit patriarchalischen Fürsorgegefühlen und neugierigem Interesse an „Komischem“ (Pückler), Berührendem oder ästhetisch, bukolisch, heroisch Ansprechendem. Auf der anderen Seite bekommen wir Zerrbilder der „primitiven“ Wilden vermittelt, die in den Beschreibungen zwischen naturverbundener, naiv-fröhlicher, nackter Unschuld, fauler, unproduktiver Trägheit und gefährlicher, irrationaler, animalischer, dämonisch-roher Zügellosigkeit changieren, können wir oftmals schamlosen Voyeurismus und durchgehend ein zivilisatorisches Überlegenheitsgefühl ohne Selbstkritik greifen. So liest man bei Geramb und Pückler von der Frechheit „muthwilliger Negerknaben und Mädchen“ und von „Geschöpfen“, die „ihre erniedrigende Lage nicht fühlten“, weil sie „auf einer so niedrigen Stufe stehen, dass sie im Gegenteil froh sind, gekauft zu werden“. Spix und Martius betonten explizit die moralische Superiorität, „Würde und Hoheit“ der Europäer, die ihnen durch „die Herrlichkeit der Religion und ächte Wissenschaft“ zukämen und sie „aus höherer Humanität“ zu schützender Herrschaft über die Weltteile legitimierten. Denn in diesen sei „zügellose Vermessenheit an die Stelle der ersten Einfalt getreten“ und agierten teilweise „Menschenfresser“, die „keinen Begriff von Oberherrschaft“ kennten, in „roher bacchantischer Begierde“ lebten und ansonsten dem „lüderlichsten Nichtsthun ergeben“ seien. In diesem Zusammenhang billigten die beiden auch dem „grausamen und die Menschenrechte verletzenden Institut“ des „Sclavenhandels“ eine Notwendigkeit zu; nur so sei „jener erniedrigten, in ihrem Lande selbst verwahrlosten Raçe die erste Schule für Menschenbildung“ zu geben. Sie selbst bedienten sich für ihre Reisebedürfnisse diverser schwarzer Sklaven, „deren Einer 22 Dublonen kostet“ und deren
11 Zum „touristischen Blick“ methodisch einschlägig v. a. John Urry/Jonas Larsen, The Tourist Gaze 3.0, 3. Aufl. Los Angeles u. a. 2011; zu den Orientbildern Said, Orientalismus (Anm. 3).
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Anschaffung in einem Atemzug mit dem Ankauf von Maultieren genannt wird.12 Wie tief verwurzelt die rassischen Stereotypisierungen und letztlich auch die Überlegenheitsgefühle waren, zeigt das Beispiel einer weiteren Reisenden aus der Wittelsbacher Familie. Die Tochter des Prinzregenten Luitpold, Prinzessin Therese, die in den 1870er bis 1890er Jahren zahlreiche Reisen nach Afrika, Russland, in den Orient und nach Brasilien unternahm und die so zur respektierten Naturforscherin wurde, war zwar um Vieles zivilisationskritischer, reflektierter und empathischer im Umgang mit „den Fremden“. Aber auch sie sammelte ohne Bedenken „möglichst viel botanische, zoologische, anthropologische und ethnographische Gegenstände für die bayerischen Staatsmuseen“ und verbreitete das Bild primitiver Völker, denen die „europäische Kultur“ fehle, oder ergründete Charaktere aus biologisch-physiognomischen Klassifizierungen („niedriges Gesicht“, „breite Nasenflügel“, „affenartiges Gebaren“).13 In jedem Fall wirkten die Reisen und die mit ihnen einhergehenden Wertungen und Projektionen nach. Die Welt kam nach Bayern, das „Fremde“ wurde auf unterschiedlichen Wegen der „Heimat“ inkorporiert und dort zur Schau gestellt – in den Reisebeschreibungen, Tagebüchern und Forschungsberichten mitsamt der zahlreichen Bilder, Lithografien oder Stiche der sehr bewusst mitreisenden Maler vom Schlage eines Mayr, vornehmlich aber in musealen Sammlungen, die massenhaft fremde Güter in die Heimatländer transportierten. Im Falle Herzog Max’ war das sogar ganz leibhaftig zu verstehen. Der brachte nämlich auch seine menschlichen Erwerbungen als „Reisesouvenirs“ mit nach Bayern. Dort sorgten die fünf heidnischen „Mohrenknaben“, gestohlen aus „dem schwärzesten Afrika […] und durch Händler nach Cairo verschleppt“, wie es Hyacinth Holland formulierte, für erhebliches Aufsehen. Höhepunkt war die sog. „Mohrentaufe“ am Karsamstag des Jahres 1839 – ein Volksspektakel der endgültigen Einverleibung des Fremden. Der etwa 12-jährige Thinneh besaß die Patenschaft des Herzogs selbst und wurde auf den Namen Maximilian getauft. Ein anderer Knabe, der ca. 15-jährige Badià Akafètè Dallè, wurde nach seiner Patin Theodoline von Leuchtenberg zu Theodo, der 12-jährige Nubier Morgàn zu Alexander, die beiden anderen, Ghiàlo Djondan Arréh und Salim Kais Motekudù, zu Karl und Georg. Thinneh/Max verschenkte der Herzog an den Herren von Schloss Burgellern bei Bamberg, dem Familiensitz des Reisegefährten von Buseck. Dort arbeitete der Sklave als Gärtner, bis man ihm seinen Abschied gewährte und sich seine Spur verliert. Die übrigen vier erhielten vom Prinzenerzieher und Sprachforscher Karl Tutschek 12 Zitate Spix/Martius, Reise in Brasilien (Anm. 5), Bd. I, S. 118, 260, 289 (dort Zitat zum Sklavenkauf); Bd. III, S. 1242 f., 1247, 1265, 1268; gute Einordnung abermals bei Wesche, Zwei Bayern (Anm. 5), S. 171 – 223, speziell zum Umgang mit Sklaven S. 191 – 204. – Davor mit den Bemerkungen Gerambs und Pücklers Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), S. 147 ff. 13 Walther L. Bernecker, Auf der Suche nach selbstbestimmter Freiheit. Therese von Bayern als Wissenschaftlerin und Forschungsreisende durch Lateinamerika, in: ZBLG 84 (2021), S. 427 – 456, Zitate S. 441, 447 ff. (aus den Reisebeschreibungen der Prinzessin).
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Unterricht. Zugleich dienten sie ihm als Untersuchungsobjekte wie als Lehrer ihrer Sprachen. Nur mit ihrer Hilfe war es dem Linguisten möglich, ein erstes Lexikon der Oromo- bzw. Galla-Sprache samt Grammatik zu verfassen (1844/45 posthum erschienen) und sich selbst das Prestige eines Pioniers der afrikanischen Sprachforschung anzueignen. Der als besonders talentiert beschriebene Badià Akafètè Dallè/Theodo verstarb bereits im Mai 1841 nach kurzer Krankheit. Ghiàlo Djondan Arréh/Karl trat als Freiwilliger in die Bayerische Armee ein und diente später als Wachtmeister in einem Dillinger Chevauxleger-Regiment, wo er eines Tages verschwand, aber im Krieg 1870/71 plötzlich als Gefangener der Franzosen wieder auftauchte und als auffallender „schwarzer Spahi wie stolzer Fez- und Burnusträger mit echter Münchener Mundart“ beschrieben wurde. Morgàn/Alexander blieb offenbar zeitlebens der treueste Diener des Herzogs. Eine zeitgenössische Karikatur von Franz von Pocci zeigt ihn, wie er seinem Gebieter als „tabakfreudigem, trinkfestem Schnell-Compositeur“ eine Maß Bier reicht. Ein weiterer (sechster) Sklave namens Karl Abdallah wurde von Herzog Max noch nach seiner Rückkehr freigekauft und in die Obhut des Grafen Hugo Philipp Waldbott von Bassenheim gegeben. Jener Karl Abdallah war es auch, der am ehesten erahnen lässt, wie es bei all ihrer Zurschaustellung, Funktionalisierung, Domestizierung im Inneren der jungen Menschen aussah: Aus dem Jahr 1843 ist hier die Notiz überliefert, „der Herr Graf hat mir versprochen, mich wieder nach Aegypten zurückzuschicken, wenn ich erwachsen und gebildet bin und dann noch Lust habe. Ich träume oft von meiner Heimath, wer weiß, ob ich sie nicht einmal wiedersehe.“14 Herzog Maximilian brachte von seiner Tour überdies eine umfängliche orientalische Sammlung mit. Sie wurde seit 1839 in Räumen des Klosters Banz untergebracht. Der Herzog stand auch damit in einer längeren Tradition. Die Wittelsbacher waren passionierte Sammler, zu deren Portfolio seit dem 16. Jahrhundert die Einrichtung von Wunderkammern und Kuriosenkabinetten gehörte. Dabei ging es zunächst nicht um wissenschaftliche Systematik, sondern ums dilettierende Horten von allerlei Reisemitbringsel. Schon Pater Geramb hatte Anfang der 1830er Jahre notiert, „daß man, von einer Reise in Egypten zurückkehrend, sich nicht schicklich in Europa zeigen kann, ohne in der einen Hand eine Mumie und in der andern ein Krokodil zu haben“. Ein entsprechend buntes Durcheinander ist auch die Sammlung in Banz: mit Kunstgegenständen (Relieffragmenten, Fayencen, Schnitzereien, Schalen), diversen Naturalia (ausgestopften Vögeln, Mineralien und eben den konservierten Krokodilen) sowie vielen Exotica von Korbwaren und Fliegenwedeln über DamaszenerSäbel und Devotionalien aus Jerusalem bis hin zu einer kindhaft-weiblichen „Mumie aus den Katakomben des libyschen Gebirges“, dem Schädel angeblich eines ermordeten Derwischs und zwei besonders unappetitlichen Schrumpfköpfen,
14 Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), S. 46 – 58; Holland, Maximilian (Anm. 9).
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darunter dem eines ägyptischen Kindes.15 Diese Ausstellung ist bis in unsere Tage zu besichtigen, und das erscheint doch für sich bemerkenswert: Denn sie verfährt weithin in rein antiquarischer Weise, präsentiert eine Ansammlung von Kuriositäten und Gruselgegenständen aus der Warte des von seinen Absonderlichkeiten faszinierten weißen Sammlers – ziemlich unbeeindruckt vom aktuellen postkolonialen Diskurs und ohne Rücksicht auf den mittlerweile gewandelten und entsprechend 2013 auch museologisch normierten Umgang mit menschlichen Überresten. Manchen gilt sie daher als „Bayerns peinlichste Schau“.16 III. Lange Zeit und zumal im 19. Jahrhundert war eine solche Präsentation allerdings nichts Außergewöhnliches. Da genügt ein Blick auf die Völkerkundemuseen, die in vielen Städten gegründet wurden und es in ihrer Gesamtheit sogar in den Kanon der „Deutschen Erinnerungsorte“ geschafft haben. Ihre Schauen versuchten, Fremdheit in Objekten zu veranschaulichen, und erschlossen der Heimat die Welt in ähnlicher Weise wie das Banzer Kabinett. Sie alle wollten Faszinierendes, mitunter verstörend Irritierendes oder auch einfach antiquarisch Interessantes präsentieren, Sehnsüchte und Staunen hervorrufen. Obendrein waren sie Ergebnis naturforscherlicher Gelehrsamkeit und verbanden dies durchaus mit dem humanistischen Ethos, weltumspannende Zusammenhänge zu dokumentieren und Verständnis füreinander zu wecken. Auch im Münchener Fall war das so. Dort formulierte der Japanforscher Philipp Franz von Siebold, als er 1835 König Ludwig I. vom Bau eines Völkerkundemuseums überzeugen wollte, der Zweck eines ethnographischen Museums sei die „Verbreitung der Kenntnisse von Ländern und Völkern im allgemeinen“, sein Gegenstand „der Mensch im Sinn manchfaltiger Entwicklung unter fremden Zonen“; der Besucher solle sich mit der „fremden Außenseite“ seiner Mitmenschen vertraut machen und auf diese Weise zu gerechteren Urteilen gelangen; so werde man im Menschen exotischer Länder Eigenschaften entdecken, „um deretwillen wir ihn höher achten müssen, an seinen Sitten nicht mehr das fremde Gewand sehend, werden wir seine Gebräuche günstiger auslegen“. Siebolds Anlauf im Jahr 1835 scheiterte. Erst 1868 wurde das Münchner Völkerkundemuseum (als „Ethnographische Sammlung“) gegründet und war im Galeriegebäude der Hofgartenarkaden untergebracht; 1912 wurde es in Ethnographisches Museum, 1917 dann in Museum für Völkerkunde umbenannt; 1926 zog es in den alten Bau des Bayerischen Nationalmuseums an der Maximilianstraße.17 15 Grimm-Stadelmann/Grimm, Zitherpartie (Anm. 4), Zitat Geramb S. 15, ferner S. 59 – 98, 301 – 352 (mit Bildern zu den Exponaten, die bes. umstrittenen menschlichen Exponate auf S. 347 ff.). 16 Lutz Mükke, Bayerns peinlichste Schau, in: Süddeutsche Zeitung v. 23./24. 6. 2018, S. 75; Lutz Mükke, Zum Gruseln, in: Süddeutsche Zeitung v. 2./3. 11. 2019, S. 72. 17 Zum Museum Claudius Müller (Red.), Wittelsbach und Bayern. 400 Jahre Sammeln und Reisen. Außereuropäische Kulturen, München 1980, bes. S. 11 – 33, Zitate Siebold S. 19;
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Das Museum vereinte mehrere, in unterschiedlichen Entwicklungsschüben seit dem 16. Jahrhundert zusammengetragene Objekte aus Asien, Ozeanien, Afrika und Amerika. Einen zentralen Grundstock des Hauses bildete dabei eine umfängliche Sammlung, von deren Ursprung wir schon gehört haben, nämlich diejenige von Martius und Spix, erbeutet auf ihrer dreijährigen Brasilienexpedition. Unterstützt von König Max I. Joseph und versehen mit einem expliziten Forschungsauftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sollten sie auf dieser Reise alles beobachten und sammeln, „was über den Culturzustand und die Geschichte der Ureinwohner […] Licht verbreiten könnte oder sich auf die Topographie und Geographie jenes so wenig bekannten Landes bezieht“. Die beiden erfüllten ihre Aufgabe wahrlich. Sie brachten abertausende Insekten, eine ganze Menagerie von Affen, Papageien und Schildkröten, „mehrere Hundert der seltensten Scelette“ und mehr als 200.000 Pflanzenexemplare von 8.000 Arten mit nach München und darüber hinaus eben zahlreiche Alltags- und Ritualgegenstände, die in besagte Ethnographische Sammlung eingingen, ferner Sprachproben der indigenen Bevölkerung Amazoniens und (wie Herzog Max) auch einige menschliche Überreste. Darunter befanden sich „1 Secelett eines Indiers von der Nation der Camacans“, „1 Schädel einer jungen Indierin“ sowie „6 Schädel von Negern, einem eines Bengalesen“. Weitergetragen und flankiert wurde die museal-ethnographische Präsenz Brasiliens in Bayern obendrein in zahlreichen Publikationen. Neben einem monumentalen, 1823 – 31 erschienenen dreibändigen Reisebericht der beiden Forscher und den ausführlichen Tagebüchern bzw. Korrespondenzen Martius’ waren das vor allem zwei wissenschaftliche Großwerke zur Botanik, die „Historia naturalis palmarum“ (1823 – 53, u. a. mit 180 Bildtafeln zu Palmen) und die „Flora Brasiliensis“ (1840 – 1906, mit knapp 21.000 Seiten und über 3.800 Abbildungen).18 Die schon mehrfach angesprochene Ambivalenz wird auch in diesen völkerkundlichen Sammlungen, ihrer Genese und Wirkung deutlich: Wir haben Entdeckergeist und das Ethos, das „Wissen über fremde Völker in der Welt“ zu vermehren, dadurch die Perspektiven zu weiten und das Bild von den angeblich „primitiven Naturvölkern“ zu differenzieren oder zu revidieren. Zugleich sind die Museen immer Spiegel ihrer Protagonisten und Zeiten, abhängig von deren Bewertungskategorien: Was gesammelt und ausgestellt, wie das Material geordnet und klassifiziert, arrangiert und inszeniert, beschriftet und erklärt wurde – all das bestimmten die „weißen Männer“. Völkerkundemuseen waren also „Wissensinstitutionen“, die selbst die „regionalen Claudius Müller/Wolfgang Stein (Hrsg.), Exotische Welten. Aus den völkerkundlichen Sammlungen der Wittelsbacher 1806 – 1848, Dettelbach 2007, dort S. 17 f. ebenfalls zu Siebold; Wolfgang J. Smolka, Völkerkunde in München. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Entwicklungslinien ihrer Institutionalisierung (ca. 1850 – 1933), Berlin 1994, bes. S. 35 – 45, 92 ff.; Hans Voges, Das Völkerkundemuseum, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. I, München 2001, S. 305 – 321. 18 Spix/Martius, Reise in Brasilien (Anm. 5), z. B. Bd. III, S. 1305 ff., 1381 zum Tod der „Indianer“; ferner Wesche, Zwei Bayern (Anm. 5), bes. S. 148 – 151, 197 f., 302, 314, 365 (dort die Zitate aus Berichten von Spix/Martius 1817 – 21); Müller/Stein (Hrsg.), Exotische Welten (Anm. 17), S. 81 – 85, Zitat zur Akademie S. 82.
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Weltbeziehungen wesentlich formten“, konstituierten, konstruierten und mit ihren Sammlungen soziale Wertungen vermittelten, etwa ethnologische Einteilungen in Stämme mit „imaginierten Stammeseigenschaften“ vornahmen und die Position des Eigenen in der Welt definierten.19 Mittlerweile werden diese Wert- und Einordnungsprobleme und zumal der Umgang mit kolonialer „Raubkunst“ ganz anders und viel selbstkritischer reflektiert, gelten die Museen nicht zuletzt als „begehbare Schaufenster kolonialzeitlicher Aneignungspraktiken“. Ein Zeichen dafür ist auch die Umbenennung des Münchner Völkerkundemuseums: Es heißt seit 2014 Museum Fünf Kontinente und will damit deren gleichberechtigte Stellung zueinander kenntlich machen.20 IV. Mit dem forcierten Kolonialismus und der Kolonialbewegung seit den 1880er Jahren wurde der Handlungs- und Wahrnehmungsrahmen noch einmal neu vermessen. So erweiterten sich dadurch zum einen, ganz praktisch gesehen, die Sammlungsoptionen bzw. Erwerbsmöglichkeiten; sie ließen nicht wenige ethnographische Museen anschwellen „wie trächtige Flußpferde“ (Leo Frobenius). Allerdings war gerade das Münchner Völkerkundemuseum hier vergleichsweise zurückhaltend und stellte die Präsentation der deutschen Kolonien keineswegs ins Zentrum. Das änderte sich auch nicht, als an seiner Spitze der ehemalige Kolonialbeamte Max Buchner stand (Direktor 1887 – 1907), zeigte sich dieser den Kolonialunternehmen gegenüber persönlich doch recht skeptisch.21 Was sich aber unabhängig davon auch für München, Bayern oder das Münchner Völkerkundemuseum veränderte, das war der öffentliche Diskurs- und Resonanzraum für das Thema Kolonialismus. Auch in Bayern hatten sich über 70 Lokalorganisationen der „Deutschen Kolonialgesellschaft“ gegründet. Auf der akademischen Ebene kamen dazu die Diskussionen um Ansätze der Anthropogeographie (v. a. des in München rezipierten Friedrich Ratzel), also um die Frage nach den naturgesetzlichen Abhängigkeiten der Menschen und ihres Charakters von geographisch-räumlichen Bedingungen, und parallel um rassistisch-biologistische Erklärungsmuster. Damit wurde insgesamt der sozialen Wahrnehmung ethnographi-
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Paulmann, Regionen (Anm. 1), S. 672 – 682, Zitate S. 672, 674, 682; Müller/Stein (Hrsg.), Exotische Welten (Anm. 17), S. 53 – 66; Smolka, Völkerkunde (Anm. 17), S. 18 – 25, 45 ff., 296 – 305. 20 An der Universität Bayreuth, die einen Forschungsschwerpunkt auf den Afrikastudien hat, lautet das interkulturelle Credo: offener „Dialog mit dem globalen Süden“, nicht über ihn (Aviso 3/2017, S. 20 – 37); zur Diskussion um den Umgang mit Kunst aus den Kolonien exemplarisch die Titel in Anm. 2; Zitat bei Savoy, Afrikas Kampf (Anm. 2), S. 197. 21 Markus Seemann, Kolonialismus in der Heimat. Kolonialbewegung, Kolonialpolitik und Kolonialkultur in Bayern 1882 – 1943, Berlin 2011, S. 306 – 334, dort S. 324 das FrobeniusZitat; Smolka, Völkerkunde (Anm. 17), S. 141 – 146.
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scher Dokumentationen und Inszenierungen eine neue, hochexplosive Stoßrichtung verliehen.22 Der kolonialistische Blick der Bayern auf die Welt fand dabei noch weitere Ausdrucks- und Plattformen. Obwohl ein aktives kolonialpolitisches Engagement hier kein Massenphänomen war, hinterließ das Thema vielfältige Spuren. Es gab jetzt vermehrt öffentliche Stimmen, die den eigenen Raum im kolonialen Sinn deuteten und etwa, wie der Nationalökonom Moritz Julius Bonn in einem Festvortrag zur „Neugestaltung unserer kolonialen Aufgaben“ anlässlich des 90. Geburtstags Prinzregent Luitpolds im Jahr 1911, die Affinität zwischen Alpinismus und kolonialem Entdeckertum propagierten. Angesichts der „großzügigen Bergwelt“ besitze gerade die bayerische Bevölkerung ein tieferes Verständnis für die „Lockungen der mächtigen Natur, […] die koloniale Länder so verheißungsvoll gestaltet hat und [die sich] so schwer erobern lässt“. Tatsächlich sahen einige ihre Aufgabe im kolonisierenden Siedlungswerk in Afrika. Ein Beispiel sind die Gebrüder Georg und Otto Weilhammer aus Rottach am Tegernsee, die es Anfang des 20. Jahrhunderts ins ostafrikanische Hochland zog und deren Eindrücke in die Heimat rückgespiegelt wurden (z. B. in Zeitungsberichten über „unsere Tegernsee’r in Uhehe“). Sie transportierten aber auch Bayern nach Afrika und erinnerten da ein weiteres Mal an Herzog Max, wenn sie in der Ferne Spanferkel mit Selleriesalat aßen, Zither spielten und Tegernseer Jodler sangen. Und andersherum waren die Kolonien in vielen bayerischen Städten gegenwärtig: in den Kolonialwarengeschäften, in der Namensgebung von Straßen, Plätzen oder ganzen „Kolonialvierteln“ (wie in München-Trudering) oder in der Benennung von Gaststätten (vom „Klein Kamerun“ in Ochsenfurt bis zum „Gasthaus zur Kiautschau“ in München).23 Besonders populär und spektakulär waren schließlich sogenannte „Völkerschauen“. Es handelte sich dabei um Inszenierungen mit lebenden Menschen und Tieren exotischer, außereuropäischer Herkunft in Eingeborenenmodelldörfern, Zirkusdarstellungen oder „freak shows“. Zwischen 1870 und 1940 zählte man in Deutschland mehr als 300 solcher Menschengruppen aus aller Welt, die an unterschiedlichen Standorten täglich bis zu 60.000 Besucher anlockten. Auf dem Münchner Oktoberfest gab es beispielsweise schon 1876 Lappländer Polarmenschen, 1879 „Hagenbeck’s Nubierkarawane“, 1903 ein afrikanisches „Aschanti-Dorf“ mit Hammelschlachtung, und im Jubiläumsjahr 1910 war eine Völkerschau mit „Eingeborenen unserer Kolonie Samoa unter Führung des Häuptlings Fürst Tamasese“ die Sensation. Dort konnten gegen Eintrittsgeld 26 Samoaner bestaunt werden, die in einem Dorf in tropischer Landschaft „lebten“, mit kleinem See und künstlichem Wasserfall; die Männer führten Tauchkünste und Ringkämpfe vor, die „Dorfjungfrauen“ Tänze in Baströckchen, dazwischen wurden „auf glühenden Steinen“ Schweine nach sa22
117.
Seemann, Kolonialismus (Anm. 21), S. 13; Smolka, Völkerkunde (Anm. 17), S. 111 –
23 Seemann, Kolonialismus (Anm. 21), S. 383 – 402, 418 – 426, dort die Zitate S. 389, 391, 394, 419; ferner Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hrsg.), Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007, bes. S. 68 – 74, 293 – 299, 353 – 356.
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moanischem Rezept gebraten. Ein Prospekt pries die „Völkertruppe“ wegen der „schön gebauten Männer und Frauen und der allerliebsten Kleinen“. Tatsächlich war das Samoanerdorf ein Publikumsrenner. Auch Prinzregent Luitpold und sein Sohn Ludwig kamen, ließen sich vom Fürsten Tamasese mit einer Königsmatte und einem Fächer beschenken sowie die Tätowierungen der Samoaner erläutern und verliehen dem Fürstenpaar selbst eine Jubiläumsmedaille. Seit 1901 war der wichtigste Organisator dieser Münchner Schauen Carl Gabriel, der obendrein im Münchner Zentrum ein „Internationales Handels-Panoptikum“ mit ca. 2.000 Schauobjekten und teilweise ebenfalls lebenden „Völkerracentruppen“ betrieb. Seine Inszenierungen ließ er sich in der Regel von auswärtigen Unternehmern wie Carl Hagenbeck in Hamburg oder den Brüdern Marquardt zusammenstellen. Dort wurden die Menschengruppen gebucht, weitervermittelt und fanden sich nicht nur auf dem Münchner Oktoberfest, sondern auch im Volksgarten oder im Circus Krone, im Augsburger Schießgraben und auf vielen kleineren Jahrmärkten in der Provinz. Auch solche Schauen besaßen immer mehrere Facetten und Funktionen. Sie dienten als Instrumente der Selbstdefinition durch Abgrenzung, nicht selten mit rassischem oder kolonialistischem Grundtenor, dem Anspruch kultivierender Zähmung von Wilden und der Betonung klischeeartiger Differenzmerkmale. Zugleich appellierten sie aber auch an die Anziehungskraft faszinierender Fremdheit und Exotik, weckten Interesse am Anderen, regten die Phantasie an. Nicht zuletzt waren sie Teil einer neuen Unterhaltungsindustrie, die jedes und alles verkaufte, zumal wenn es sich in spektakulären Bildern einfangen ließ und die Sensationsgier der Menschen befriedigte. Die Übergänge waren dabei verstörend fließend: Die ausgestellten „Samoaner“ oder „Nubier“ standen in einer Reihe mit Abnormitäten wie der Frau ohne Unterleib, der hypnotisierenden „Miß Wahago“ oder der Pantherdame Usamba-Wamba, mit Fischverkauf und Ochsenbraterei, mit Varietés und „Malferteiners zoologischem Garten“. Allerdings ließ sich das auch kritisch-ironisch brechen: Eine Karikatur aus den „Fliegenden Blättern“ von 1885 verkehrte mit „Hagenbecks oberbayerischer Karawane in Nubien“ die Welt. In dem Bild waren es nun plötzlich die bayerischen Trachtler, Biertrinker und – ein weiteres Mal – die Zitherspieler, die eingesperrt waren und begafft wurden von Eintritt zahlenden Schwarzen. Bildunterschrift: „Man führt uns in neuerer Zeit fremde Völker zum Studium vor. Müsste es nicht von ungemein bildendem Einfluß auf die Wilden sein, die civilisirten Völker in der gleichen Weise kennen zu lernen?“24
24 Vgl. zum Themenkomplex mit Zitaten Bernhard Löffler, 1910: 100. Geburtstag des Oktoberfests – die Welt zu Gast in Deutschland, in: Andreas Fahrmeir (Hrsg.), Deutschland. Globalgeschichte einer Nation, München 2020, S. 479 – 483; allgemeiner Anne Dreesbach/ Helmut Zedelmaier (Hrsg.), „Gleich hinterm Hofbräuhaus waschechte Amazonen“. Exotik in München um 1900, München/Hamburg 2003, hier S. 9 – 33, 78 – 98; Stefanie Wolter, Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfänge des Massenkonsums, Frankfurt am Main/New York 2004, hier S. 139 ff. zur Karikatur in den „Fliegenden Blättern“.
Fontanes jüdische Welt. Ein Versuch* Von Thomas Brechenmacher, Potsdam I. Kontext Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 in der märkischen Garnisonsstadt Neuruppin geboren. Der Deutsche Bund war vier Jahre alt und erschien wenigen als die bestmögliche Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Alten Reiches und den Verheerungen der napoleonischen Expansion. An die Seite politischer traten soziale Krisen, hervorgerufen etwa durch die Hungerkatastrophen von 1816 und 1817. Als Erzfeinde und Sündenböcke wurden von radikalen Agitatoren der nationalen Bewegung nicht nur die Franzosen stigmatisiert, sondern auch die Juden: das berühmte Wartburgfest vom Oktober 1817 wird dadurch auch berüchtigt. Seit August des Fontane-Geburtsjahres 1819 breitete sich, ausgehend vom * Vortrag, gehalten am 4. Juni 2019 im Rahmen des Fontanejahrs in der Reihe „Geschichte im Schloß“ in Wolfenbüttel. Die essayistische Vortragsform wurde hier beibehalten. Für Literaturhinweise und vertiefende Überlegungen vgl. meine Beiträge „Judentum“, in: Rolf Parr/ Gabriele Radecke/Peer Trilcke/Julia Bertschik (Hrsg.), Fontane-Handbuch, Berlin 2023, S. 1200 – 1207; Fontanes jüdische Namen – Preziosa und Certifikate, Diskurse und Konnotationen, in: Peer Trilcke (Hrsg.), Fontanes Medien, Berlin/Boston 2022, S. 337 – 353. – Den Begriff des „Ressentiments“ führte Norbert Mecklenburg in die Fontane-Forschung ein. Von ihm stammen auch die nachdrücklichsten Zugriffe der jüngeren Zeit auf das Thema „Fontane, Juden und Antisemitismus“. Vgl. Norbert Mecklenburg, Der Meyerheim, Tiergartenjuden, Kommerzienrat Seligmann und die dritte Konfession. Antisemitische Impulse in literarischen Werken Theodor Fontanes, in: literaturkritik.de, Nr. 12, Dezember 2019, Schwerpunkt: 200. Geburtstag von Theodor Fontane. Essays (http://literaturkritik.de/public/druckfassung_ rez.php?rez_id=26266); Norbert Mecklenburg, Theodor Fontane. Realismus, Redevielfalt, Ressentiment, Stuttgart 2018. Darüber hinaus Norbert Mecklenburg, Einsichten und Blindheiten. Fragmente einer nichtkanonischen Fontane-Lektüre, in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.), Theodor Fontane (Sonderband Text + Kritik), München 1989, S. 148 – 162; Norbert Mecklenburg, Riskantes Spiel mit Namen. Fontanes „Cohn-Gedicht“, in: Helmut Scheuer (Hrsg.), Theodor Fontane. Gedichte und Interpretationen, Stuttgart 2000, S. 230 – 245. – Werke und Briefe Fontanes werden nachfolgend in der Regel zitiert nach der sog. „Hanser-Ausgabe“ der „Werke, Schriften und Briefe“, hrsg. von Walter Keitel/Helmuth Nürnberger, München 1969 – 1997; außerdem: Theodor Fontane, Briefe an Georg Friedlaender, hrsg. von Walter Hettche, Frankfurt a. M./Leipzig 1994; Briefe an seine Freunde (Briefe Theodor Fontanes. Zweite Sammlung), Bd. 2, hrsg. von Otto Pniower/Paul Schlenther, Berlin 31909; Emilie und Theodor Fontane, Der Ehebriefwechsel, hrsg. von Gotthard und Therese Erler, Bd. 3, Berlin 21998; Paul Meyer, Erinnerungen an Theodor Fontane [1936], in: Wolfgang Rasch/Christine Hehle (Hrsg.), „Erschrecken Sie nicht, ich bin es selbst“. Erinnerungen an Theodor Fontane, Berlin 2003, S. 232 – 251; Gustav Karpeles in Beilage „Der Gemeindebote“ zur Allgemeinen Zeitung des Judenthums, 30. 09. 1898.
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fränkischen Würzburg, eine Welle von gewaltsamen Übergriffen gegen Juden aus, zunächst über Süd- und Westdeutschland, dann auch in nördliche und östliche Richtung. Erst nachdem die Obrigkeiten militärisch gegen diese sogenannten „HepHep-Krawalle“ eingeschritten waren, kehrte etwas Ruhe ein; aber sozio-ökonomisch motivierte Ausschreitungen gegen Juden blieben in der gesamten vormärzlichen Zeit, gerade auch im unmittelbaren Vorfeld der Revolutionen von 1830 und 1848, ein Thema. Ihre Stellung in den deutschen Teilstaaten hatte sich seit dem Wiener Kongreß für die Juden enttäuschend gestaltet. Der Optimismus, mit dem viele von ihnen, ebenso wie nichtjüdische Reformer, die von Aufklärung und Bemühen um „bürgerliche Verbesserung“ der Juden geprägten Entwicklungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts begleitet hatten, war verpufft. Der Friedenskongreß hatte nicht zu einer umfassenden bürgerrechtlichen Gleichstellung der Juden geführt, ja nicht einmal zur vollen Bestätigung des in einzelnen Staaten von Napoleons Gnaden, insbesondere dem Königreich Westphalen, Erreichten. Die sogenannten „Emanzipationsedikte“ der Reformzeit, etwa in Baden (1809), Preußen (1812) und Bayern (1813) hatten den Juden zwar Staatsbürgerrechte in unterschiedlichem Maße zugeteilt; bei genauerer Betrachtung waren aber doch Einschränkungen auf so vielen Feldern geblieben, daß diese Edikte kaum mehr als freundliche Varianten einer Sondergesetzgebung waren. In dem westwärts vergrößerten Preußen galten nach 1815, neben dem Emanzipationsedikt von 1813 für die Stammprovinzen Brandenburg, Schlesien, Pommern, West- und Ostpreußen, gleichzeitig über zwanzig weitere Judenordnungen. Der Kampf um die rechtliche Gleichstellung ging weiter; er gewann an Dynamik unmittelbar vor und während der Revolution von 1848, scheiterte wiederum mit der gesamtdeutschen Verfassung der Paulskirche 1849, verlief aber dann während der 1850er und 1860er Jahre sukzessive in den einzelnen Staaten des Bundes erfolgreich, auch einer westeuropäischen Dynamik folgend. Im nationalstaatlich geeinten (Klein-)Deutschland war schließlich die volle staatsbürgerrechtliche Gleichstellung der Juden mit Verfassungsrang durch entsprechende Gesetze des Norddeutschen Bundes von 1869 und des Deutschen Reiches von 1871 erreicht und garantiert. Doch staatsbürgerrechtliche Gleichstellung oder „Emanzipation“ bedeutete noch keineswegs gesellschaftliche Akzeptanz, im Gegenteil, weite und wichtige Bereiche der Gesellschaft, des öffentlichen Dienstes, der Universität, des Militärs blieben Juden weiterhin faktisch verschlossen, besonders in Preußen. Seit der großen, „Gründerkrach“ genannten Konjunkturkrise von 1873 entflammte zudem eine bis dato kaum gekannte judenfeindliche Agitation, in der sozio-ökonomische, verschwörungsideologische, national-völkische und auch bereits biologistisch-rassistische Motive zu einer antisemitischen Melange neuer Art zusammenflossen. Zwar blieb diese Agitation in ihrem politischen Hauptziel, nämlich der Rücknahme der staatsbürgerrechtlichen Gleichstellung der Juden erfolglos, aber es gelang ihr doch, mit ihren Forderungen nach Exklusion und Desintegration über die kommenden
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Jahrzehnte hinweg die wichtigsten sozialen Milieus des Kaiserreichs zu durchdringen. Antisemitismus als „kultureller Code“ (S. Volkov) gehörte schließlich zum common sense der Eliten des Deutschen Kaiserreichs – und auch Fontane stand nicht außerhalb dieses common sense. Der Antisemitismus der späten 1870er, 1880er und 1890er Jahre, also der letzten Lebensjahrzehnte Fontanes wurde zusätzlich angeheizt durch große jüdische Migrationsbewegungen aus der preußischen Provinz Posen mit ihrem weit überproportionalen jüdischen Bevölkerungsanteil von etwa 6 % 1848 (40 % aller Juden Preußens lebten in dieser Provinz) und aus dem östlichen Europa. Diese wurden ihrerseits wiederum durch Pogrome im russischen Reich ausgelöst und spülten eine neue jüdische Bevölkerungsgruppe in die Städte des Deutschen Reichs, besonders auch nach Berlin. Die neue Gruppe, ob aus Posen oder von weiter östlich, unterschied sich von derjenigen der alteingesessenen, stark deutsch-akkulturierten Juden durch ihre abweichende, eben „ostjüdisch“ geprägte Kultur. Sie war in der überwiegenden Mehrheit arm, aber vielfach auch stark aufstiegsorientiert. Wenngleich die Migrationswellen der 1880er Jahre bei weitem nicht das Ausmaß erreichten, mit dem die Antisemiten propagandistisch agierten, stellten sie doch einen nahezu idealen Nährboden für deren stereotypisierende Verzerrungen dar. In Wirklichkeit stieg der Anteil der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich auch während der Zuwanderungsphasen des späteren 19. Jahrhunderts nie wesentlich über 1 Prozent an (1871: 512.000 = 1,2 %); er nahm sogar leicht ab. Freilich brachte der gesamtgesellschaftliche Urbanisierungprozeß Konzentrationen jüdischer Bevölkerung in bestimmten Städten mit sich. Für Fontanes Wahrnehmung spielte Berlin dabei natürlich die größte Rolle: 1871 lebten hier 36.000, 1910 144.000 Juden; das entsprach der allgemeinen Wachstumsdynamik der Stadt, denn der prozentuale Anteil änderte sich nicht; er lag konstant bei 4,3 %. Wenn Fontane 1893 Berlin eine „Judenstadt“ schimpfte (an Martha Fontane, 22. 08. 1893), lag er mit dieser Diagnose quantitativ ziemlich falsch. II. Grunddisposition Von den meisten dieser kurz referierten Ereignisse der allgemeinen deutschjüdischen Geschichte ist in Fontanes Werken, seinen Reportagen und Essays, seinen Reise- und Kriegsberichten, Wanderungen, Gedichten und Romanen direkt kaum etwas zu lesen, und in seinen privaten Niederschriften, den Briefen vor allem, nicht viel mehr. Fontane war auf manchen Gebieten – etwa dem der Kriegsberichterstattung – durchaus eine Art Chronist der Zeitgeschichte, auf dem jüdischen Gebiet aber gewiß nicht; er gestaltete auch in keinem seiner ausgearbeiteten und veröffentlichten Werke deutsch-jüdische Lebenswirklichkeit als Leitthema. Er unternahm zwar mehrere Anläufe, ein „jüdisches Thema“ ins Zentrum einer Arbeit zu stellen, sowohl novellistisch als auch essayistisch, aber er schloß sie nicht ab, hielt ihre Bewältigung für „zu schwierig“.
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Fast mag es paradox erscheinen, daß Fontane, dieser Meister „sozialer Romankunst“ (Walter Müller-Seidel), mit dem Judenthema nicht zurecht kam. Zur Paradoxie gehört auch, daß sich Urteile über Juden und „jüdische Verhältnisse“, in denen sich die Vorgänge der allgemeinen Geschichte brechen, bei ihm auf Schritt und Tritt finden, sich fast überall in seinen Werken auf ganz eigenwillige Weise niederschlagen. Fontane arbeitete sich phasenweise an dem Judenthema regelrecht ab, aber er bekam es als Ganzes für sich nicht in den Griff. Woran lag das? Meine Hypothese dazu lautet: es lag daran, daß er sich mit Juden und Judentum als solchen nie wirklich befaßte. Nirgends geht es ihm unmittelbar um Juden und Jüdisches, stets instrumentell und in bezug auf etwas anderes, nämlich auf den Ausschnitt der Gesellschaft, den er kannte, wahrnahm, problematisierte und in einer hohen Varianzbreite sezierte. Judentum ist für Fontane kein Phänomen an sich, sondern ein Komplikationselement des sozialen Kosmos, den er im Blick hatte und der sein eigentliches Thema war. Fontanes Jüdische Welt ist ein Sammelsurium des Hybriden; sie entsteht durch wache Beobachtung einerseits, durch Ressentiment andererseits. Beides wird in den Romanen und Novellen durch Reflexion ausbalanciert und durch die Mangel der für Fontane so typischen Diskursform gedreht. Wo die Reflexion wegfällt oder von vornherein fehlt, gewinnt das Ressentiment an Raum, und weniger charmante Facetten der Persönlichkeit Fontanes treten hervor. Ein Zugang zu Fontanes imaginärer „jüdischer Welt“ öffnet sich über die Frage, auf welche Weise Fontane denn mit Juden und Jüdischem in Berührung kam und mit welcher Sensorik er jüdische Wirklichkeit aufnahm. Beides führt zum Ergebnis seiner literarisch-künstlerischen Konstruktion, zur „Möblierung“ seiner „jüdischen Welt“, und schließlich zu einigen Überlegungen zu Fontanes „Antisemitismus“. In der Natur des Essays liegt es, dies alles nur anreißen zu können. III. Berührungspunkte Der deutsch-jüdische Redakteur Gustav Karpeles schrieb 1898 in seinem Nachruf auf Fontane in der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“, die persönlichen Beziehungen des Verstorbenen zum Judentum seien „ziemlich lose“ gewesen. Wenn er damit auf ein nur rudimentär vorhandenes echtes Interesse Fontanes am Judentum abzielte, traf er punktgenau. Fontane hatte keine wirkliche Beziehung zum „Judentum“ als Kultur, als Lebensweise, und noch weniger als Religion. Religion, übrigens auch christliche, bedeutete Fontane generell wenig, allenfalls als Funktion sozialer Wirklichkeit, oder – noch besser – sozialer Deformation. Der heranreifende Literat interessierte sich für Stoffe. Eine seiner frühesten Prosa-Arbeiten, die nachdichtende Übersetzung eines englischen Zeitromans „The Money-Lender“, entstanden zwischen 1843 und 1850, erzählt die Geschichte eines jüdischen Wucherers im England der 1820er Jahre. Weil er die von der Adelskaste aufgebauten sozialen Schranken nicht überwinden konnte, hat der Jude den Weg des ökonomischen Erfolgs gewählt, um die versnobten Adeligen von sich abhängig
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zu machen. Nach vielen Verwicklungen sieht er am Ende sein Unrecht aber doch ein, bereut und wird zum Wohltäter. Bereits in dieser Arbeit finden sich spätere Daueringredienzien der Gesellschaftskritik Fontanes im allgemeinen wie seiner „jüdischen Welt“ im speziellen: ein verkommener Adel und ein jüdischer Gewinnler, eine verhinderte Einheirat des Juden in die Adelswelt. Die „Schlechtigkeit“ des Juden ist aber Produkt seiner Umwelt; eine Wende zum Guten ist möglich. Die Figur des „jüdischen Geldverleihers“, später transformiert in diejenige des „jüdischen Bankiers“, entspricht beidem: sozialer Realität und Klischee; ihre literarische Gestaltung kann ins Stereotyp-Antijüdische kippen, muß aber nicht; hier ist einer der Punkte, an dem in Fontanes viel späteren großen Romanen und Novellen das Ressentiment durch die Reflexion austariert werden wird. Ein zweiter früher stofflicher Berührungspunkt entstammt ebenfalls dem angelsächsischen Umfeld. 1854 veröffentlichte Fontane in dem Jahrbuch des Rütli-Zirkels seine Übersetzung einer Ballade „The Jew’s Daughter“ aus Thomas Percys Sammlung alter englischer Gedichte. Als er diese Arbeit einige Jahre zuvor in dem Literatenzirkel „Tunnel über der Spree“ vorgetragen hatte, war das Echo zwiespältig gewesen. Nicht wenige Zuhörer, darunter sein enger Freund Bernhard von Lepel, hatten ihm von einer Veröffentlichung abgeraten, denn die Ballade sei unabhängig von ihrer dichterischen Qualität inhaltlich doch einigermaßen problematisch. Sie handelt vom Ritualmord an einem christlichen Knaben durch eine haßerfüllte Jüdin. Die Ritualmordfrage war noch Mitte der 1840er Jahre ein großes, europaweit diskutiertes Thema gewesen, und es dürfte auch Fontane klar gewesen sein, daß der reale Gehalt solcher Beschuldigungen gegen Null ging, während ihr antijudaistisches Aufwiegelungspotential als explosiv gelten durfte. Dies hielt ihn nicht davon ab, seine Übersetzung gegen den Rat der Freunde doch zu publizieren, wenngleich mit einer kommentierenden Anmerkung, er präsentiere das Gedicht nicht „um seines Inhalts willen, sondern trotz desselben […], überhaupt nur seiner poetischen Form und Darstellung halber.“ Er nahm es dann sogar noch in vier Auflagen seiner gesammelten Gedichte auf, und erst für die Neuausgabe von 1898 strich er es, auf insistierendes Anraten seines Freundes Paul Heyse und des schon erwähnten Gustav Karpeles hin. „1850“, so Fontane damals, „war das alles nicht so schlimm, heute liegt es anders.“ Eine Quelle für persönliche Begegnungen mit Juden waren Fontanes Reisen. In den Berichten und Darstellungen „von vor und nach der Reise“, in Briefen und Tagebüchern, kommt er immer wieder auf Erfahrungen und flüchtige Begegnungen mit Juden zu sprechen, besonders intensiv während der England-Aufenthalte in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre. Reisen war zu Fontanes Zeit keine reine Freude; die Verkehrsmittel waren unbequem, der Kontakt zu mehr oder weniger erwünschten Reisegenossen war oftmals eng und jedenfalls unvermeidlich. Für Fontane war Reisen hocherwünschter Ausbruch aus dem Alltagsleben, literarische Inspiration einerseits, beständiges Ärgernis andererseits. Aus der Distanz von fünfzig Jahren berichtet Fontane in seinem Erinnerungsbuch Von Zwanzig bis Dreißig von einer „schrecklichen Szene“ während der Fahrt zu seiner ersten großen England-
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Reise 1844: ein Advokat habe auf dem Flußdampfer von Magdeburg nach Hamburg einen älteren jüdischen Herrn belästigt. Fontane und sein Reisebegleiter seien „empört“ über dieses Verhalten gewesen. Fontane resümiert 1894: „Im ganzen existierte damals von dem, was man jetzt Antisemitismus nennt, kaum eine Spur; aber freilich, Einzelfällen, wie […] dem hier geschilderten, bin ich doch auch in meiner Jugend schon begegnet“ (Von Zwanzig bis Dreißig, Kap. 2). Diese Erinnerung an ein frühes Reiseerlebnis mit Juden zeigt Fontane wieder in der literarischreflektierten Form. Unkontrollierter geht es stets in seinen Briefen zu; abfällige Äußerungen über jüdische Kurgäste gehören zu den fast obligaten Bestandteilen seiner Berichte an Frau oder Tochter, etwa aus Norderney, 24. 07. 1880: „Gegessen habe ich an der Table d’hôte des Kurhauses eingekeilt in eine Sippe von 10 bis 12 Liegnitzer Juden beiderlei Geschlechts. Gräßlich!“ Im August 1893 identifiziert er jüdische Badegäste in Karlsbad anhand der Namen in der Gästeliste und beschwert sich über die „Kaftan-Juden mit der Hängelocke, die hier Weg und Steg unsicher machen“ (an Martha Fontane, 21. 08. 1893). Andererseits zeigt er sich nach einer in Begleitung von jüdischen Mitfahrern absolvierten „Wasserpartie nach Wannsee“ vom Esprit der „Judengesellschaft“ beeindruckt; so viel „Bildung, Angeregtheit, Interesse“ seien in „Christengesellschaften“ nicht leicht zu finden. Und er bekennt: „Unter Thränen wachse ich immer mehr aus meinem Antisemitismus heraus, nicht weil ich will, sondern weil ich muß“ (an Martha Fontane, 09. 06. 1890). Reisen führten zu flüchtigen Begegnungen mit Juden und zu Eindrücken, die das Ressentiment Fontanes eher bestätigten denn auflösten. Mitunter entstand aber auch mehr, wie etwa die Brieffreundschaft mit dem Amtsrichter Georg Friedlaender aus Schmiedeberg im Riesengebirge, dem wichtigsten Korrespondenzpartner seiner letzten 15 Lebensjahre. Bezeichnend für Fontanes Grundhaltung dem Jüdischen gegenüber ist, daß er diesen treuen Bewunderer, dessen Vorfahren bereits konvertiert waren, einem anderen Korrespondenzpartner gegenüber als „Stockjuden“ bezeichnete, „so sehr, daß seine feine und liebenswürdige Frau blutige Thränen weint, bloß weil ihr Mann die jüdische Gesinnung nicht los werden kann“ (an Friedrich Paulsen, 12. 05. 1898). Daß Jude immer Jude bleibe, war eine weitverbreitete Auffassung, nicht nur dezidierter Antisemiten; insofern fällt Fontane mit diesem harschen Urteil nicht aus dem Rahmen des in seiner Zeit Üblichen. Erstaunlich bleibt allenfalls, daß ihn die Vielzahl seiner jüdischen Bekannten, ja Freunde, mit denen und in deren Kreis auch intensiv über „jüdische Fragen“ diskutiert wurde, von solchen Urteilen offenbar niemals hat abbringen können. Der Kontakt zu Juden oder Zeitgenossen jüdischer Herkunft – zu Literaten, Journalisten, Wissenschaftlern, Verlegern, auch Juristen, indirekt (über seine Frau) sogar zu einem prominenten Bankier wie Gerson von Bleichroeder – war vielleicht der wichtigste Berührungspunkt Fontanes zu Juden und Judentum überhaupt, und mit Blick auf diese jüdischen Freunde und Bekannten hätte Fontane der Behauptung Karpeles’, er habe nur „ziemlich lose“ Beziehungen zum Judentum unterhalten, sicher engagiert widersprochen. Aber es waren eben tatsächlich Beziehungen zu Juden, nicht zum Ju-
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dentum. Neben Friedlaender seien nur zwei weitere Freunde genannt, um diese Problematik etwas zu verdeutlichen. Den aus Odessa stammenden Dichter russisch-jüdischer Herkunft Wilhelm Wolfsohn hatte Fontane Ende 1841 in Leipzig im Umkreis des „Herwegh-Clubs“ kennengelernt. Daraus entwickelte sich die erste große, sich auch in Briefen niederschlagende Freundschaft seines Lebens. Der angehende Literat Fontane war von der Weltläufigkeit und Bildung Wolfsohns angetan und erhoffte sich von dessen vielfältigen Verbindungen auch Nutzen für seine eigene literarische Karriere. Wolfsohn auf der anderen Seite erkannte Fontanes Talent und versuchte ihm nach Möglichkeit über existentiell schwierige Phasen hinwegzuhelfen. Trotz der innigen persönlichen Beziehung blieb aber doch ein geistiger Spalt zwischen beiden. Fontane fand keinen Zugang zu den Problemen, die Wolfsohn umtrieben: ganz in der Bewegung der jüdischen Aufklärung sozialisiert, strebte dieser nach Emanzipation und Gleichberechtigung im Zeichen eines universellen Literaten- und Gelehrtentums; Wolfsohn war ein Vermittler zwischen jüdischer, russischer und deutscher Kultur; Fontane, das zeigt der Briefwechsel mit dem bereits 1865, im Alter von nur 45 Jahren Verstorbenen, nahm diese Fäden nicht auf, öffnete sich all diesen Themen nicht; er ging seinen eigenen Weg. Auch im Verhältnis zu Moritz Lazarus finden sich Charakteristika dieser Art. Fontane und der Begründer der Wissenschaft von der Völkerpsychologie Lazarus kannten sich seit Beginn der 1850er Jahre aus den Literatenzirkeln „Tunnel über der Spree“ und „Rütli“; in der Folge entwickelte sich fast eine innige Beziehung, die später getrübt wurde durch private Unbill im Freundeskreis. Lazarus war ein gesetzestreu lebender Jude und eine vernehmbare Stimme im Kampf gegen den Antisemitismus und in der Debatte um die nationale Integration und Gleichstellung der Juden einerseits, um geistige und kulturelle Erneuerung des Judentums andererseits, also alles andere als ein Verfechter assimilatorischer Ideen. Seine Bekanntschaft mit Adolphe Crémieux, dem französisch-jüdischen Politiker und kurzzeitigen Justizminister, ermöglichte 1870 die Befreiung Fontanes aus französischer Gefangenschaft, in die der Kriegsberichterstatter durch Leichtsinn geraten war. Auch wenn Fontane 1873 in Berlin zu den Hörern von Lazarus’ Vorlesung über Völkerpsychologie gehörte, trug dies doch nicht zu einem größeren Verständnis des jüdischen Standpunkts bei, zumal nicht in der Frage der nationalen Zugehörigkeit. Diese war, anders als für Lazarus, für Fontane (wenn überhaupt) nur unter möglichster Assimilation der Juden zu erreichen: „Haben wir einen christlichen Staat, so hab ich recht, haben wir blos einen ,Staat‘, so hat Lazarus Recht. Und da kein Mensch recht weiß, ob wir in einem ,Staat‘ oder in einem ,christlichen Staat‘ leben, so kann der Streit nicht recht entschieden werden“ (an Bernhard von Lepel, 20. 04. 1881). Das letzte wichtige Berührungsfeld zwischen Fontane und Judentum hängt stark mit demjenigen der jüdischen Bekannten und Freunde zusammen: das spezifische Berliner Milieu, in dessen seit der Reichsgründung aufblühenden Kultur- und Wirtschaftsleben Juden eine bedeutende Rolle spielten. Fontane kannte und rezi-
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pierte dieses jüdische Leben in der Hauptstadt, andere Facetten hingegen weniger; im Fontanestil wäre vielleicht zu sagen: er kannte Hausvogteiplatz, Börse und Tiergarten, weniger aber das Scheunenviertel. – Stete Quelle seiner Information zu all seinen Interessen, auch zu „jüdischen Fragen“, war die Zeitungslektüre, die Fontane seit seinen Tagen als Apothekengehilfe extensiv betrieb und die ihn mit Stoffen zu literarischer Gestaltung mannigfach versorgte. Beruflich und durch zahlreiche persönliche Netzwerke war er besonders der konservativen „Kreuzzeitung“ und der etwas liberaleren „Vossischen Zeitung“ verbunden. Nachrichten über „jüdische Verhältnisse“ und die Debatten darüber bezog er immer wieder aus diesen Zeitungen, so etwa – auf dem Höhepunkt des „Berliner Antisemitismusstreits“ – am 1. Dezember 1880 einen Bericht der Kreuzzeitung über einen Juden, der öffentliches Aufsehen erregt hatte, weil er in der Friedrichstraße seinen Hund spazieren führte, den er ostentativ mit dem Namen „Stoecker“ rief. Die Benennung eines Hundes nach dem bekannten Hofprediger und antijüdischen Agitator Adolf Stoecker provozierte in Fontane einen seiner heftigsten brieflichen Ausbrüche gegen die „Frechheit“ der Juden, die sich nur „in Folge deutscher Langmuth und Schwäche“ so habe „anhäufen können“ (an Mathilde von Rohr, 01. 12. 1880). IV. Sensorik Sowohl Fontanes unbedarfter Vortrag seiner „Judenballade“ im „Tunnel“ als auch der nicht immer sensible Umgang mit seinen jüdischen Freunden – beispielhaft erläutert an Friedlaender, Wolfsohn und Lazarus –, weisen darauf hin, daß sein Empathievermögen gegenüber den Problemen der Juden in der nichtjüdischchristlichen Mehrheitsumgebung eher schwach ausgeprägt war. Auf das diffamatorische Potential seiner Balladenadaption Die Jüdin mußte er (mehrfach) erst mit Nachdruck hingewiesen werden. Zu dieser Episode gibt es eine auffallende Parallele noch aus seinen letzten Lebensjahren: das anläßlich seines 75. Geburtstages entstandene sog. „Cohn-Gedicht“. Darin gibt Fontane seiner Enttäuschung Ausdruck, daß keiner der Adeligen, als deren Dichter er sich eigentlich verstanden habe, ihm zum Geburtstag gratulierte, kein Jagow, Lochow, Stechow, kein Itzenplitz, kein Ribbeck, kein Arnim. „Aber die zum Jubeltag kamen“, fährt er fort, „das waren doch sehr, sehr andere Namen“; auch „ohne Furcht und Tadel, / Aber fast schon von prähistorischem Adel“, nämlich Leute auf -berg und -heim („in ganzen Massen“), Meyers (in Bataillonen), Pollacks („die noch östlicher wohnen“), und „alle Patriarchen“: Abraham, Isaak, Israel. „Was sollen mir da noch die Itzenplitze!“ Das Gedicht läuft auf einen stoßseufzerartig artikulierten jüdischen Familiennamen zu: „Jedem [von diesen] bin ich was gewesen, / Alle haben sie mich gelesen, / Alle kannten mich lange schon, / Und das ist die Hauptsache …, ,kommen Sie, Cohn‘“. Auch dieses Gedicht stieß beim Vortrag im Freundeskreis auf ein geteiltes Echo. Fontanes Rechtsberater Paul Meyer wies ihn auf die Möglichkeit hin, daß es als „Herabsetzung der Juden“ gelesen werden und eine „schwere Kränkung vieler Verehrer zur Folge haben“ könne, und riet von einer Veröffentlichung ab. Anders als
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im Fall der „Judenballade“ vierzig Jahre früher, zeigte sich Fontane gleich einsichtig und verzichtete auf die Publikation. Hier wie dort konnte die Einsicht aber seine grundsätzlich etwas hermetischegomane Grunddisposition nicht ändern: beide Gedichte fand er dichterisch überzeugend, und das ging in jedem Falle vor. Daß er wegen eines nonchalanten Namensscherzes über einen „Cohn“ in einer seiner Theaterkritiken per Leserbrief den Rüffel eines echten Herrn Cohn hatte einstecken müssen, hielt ihn ebenfalls nicht davon ab, den antijüdisch belasteten Namen „Cohn“ zur Klimax seines Gedichts werden zu lassen. Wenn er damit eine Abfälligkeit gegenüber Juden vielleicht nicht intendierte, nahm er doch in Kauf, daß seine Leser eine Abfälligkeit trotzdem hineinlasen. Insofern war dieses „Spiel mit Namen“ zumindest „riskant“ (Mecklenburg 2000) Fontanes Sensorik für spezifische jüdische Befindlichkeiten, speziell für das innere Unglück vieler Juden, die – trotz der erreichten staatsbürgerrechtlichen Gleichberechtigung – unter der verweigerten Integration litten, war wenig ausgeprägt. Im Grunde nahm er Juden nur in zweierlei Hinsicht wahr: als Gebildete, Kultivierte, Intellektuelle, deren Urteil er als „satisfaktionsfähig“ durchaus zu schätzen wußte, v. a. weil sie sein literarisches Genie würdigten – siehe „CohnGedicht“ – und als ökonomische Aufsteiger von etwas zweifelhaftem, „neureichen“ Benehmen. Als solche, d. h., als neue Elite, treten sie in Konkurrenz zu einer alten, die sich (zumindest für den späteren Fontane) eindeutig auf dem absteigenden Ast befand: die Gruppe des märkischen Adels, aus der sich das politische, soziale, militärische Schlüsselpersonal des preußischen Staates und der Gesellschaft unter den beiden Wilhelms rekrutierte. Diese Kaste hielt er zunehmend für verkrustet, bigott, dümmlich und nicht mehr innovationsfähig. „Die Adelsfrage! Wir sind in allem einig; es giebt entzückende Einzelexemplare […]. Aber der ,Junker‘, unser eigentlichster Adelstypus, ist ungenießbar geworden […]. Ihre Vaterlandsliebe ist eine schändliche Phrase, sie haben davon weniger als andre, sie kennen nur sich und ihren Vortheil und je eher mit ihnen aufgeräumt wird, desto besser. Der xbeinige Cohn, der sich ein Rittergut kauft, fängt an, mir lieber zu werden als irgendein Lüderitz oder Itzenplitz, weil Cohn die Zeit begreift und alles thut, was die Zeit verlangt, während Lüderitz an der Lokomotive zobbt und ,brr‘ sagt und sich einbildet, sie werde stillstehen wie sein Ackergaul.“ (an Friedlaender, 14. Mai 1894).
Wie auch im „Cohn-Gedicht“ wird hier der Gegensatz zum Adel nicht ohne antijüdisches Stereotyp aufgebaut (der x-beinige Cohn). Die von ihm wahrgenommene „Judenherrschaft“ ist ihm unangenehm; andererseits hält er die „Adelsherrschaft“ für noch schlimmer: „Um 6 Uhr drüben in der ,Gesellschaft der Freunde‘, also so jüdisch wie möglich. Immer wieder erschrecke ich vor der totalen ,Verjüdelung‘ der sogenannten ,heiligsten Güter der Nation‘, um dann im selben Augenblick ein Dankgebet zu sprechen, daß die Juden überhaupt da sind. Wie sähe es aus, wenn die Pflege der ,heiligsten Güter‘ auf den Adel deutscher Nation angewiesen wäre. Fuchsjagd, getünchte Kirche, Sonntagnachmittagspredigt und jeu.“ (An Martha Fontane, 20. 03. 1898).
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In seiner Beurteilung dieser Konstellation schwankt Fontane zwischen resignativem Sich-Fügen und heftigster antijüdischer Aversion. Man müsse einsehen, schreibt er Anfang 1890, „daß uns alle Freiheit und feinere Kultur, wenigstens hier in Berlin, vorwiegend durch die reiche Judenschaft vermittelt wird. Es ist eine Tatsache, der man sich schließlich unterwerfen muß und als Kunst- und Literaturmensch (weil man sonst gar nicht existieren könnte) mit Freudigkeit“ (an Ehepaar Guttmann, 25. 01. 1890). Friedlaender gegenüber bekennt er am 9. November 1892: „Die Judenfeindschaft ist, von allem Moralischen abgesehen ein Unsinn, sie ist einfach undurchführbar.“ Andererseits hat er sich bereits viel früher zu Ausbrüchen wie diesem (berüchtigten) hinreißen lassen: „Ich bin von Kindesbeinen an ein Judenfreund gewesen und habe persönlich nur Gutes von den Juden erfahren, – dennoch hab’ ich so sehr das Gefühl ihrer Schuld, ihres grenzenlosen Übermuths, daß ich ihnen eine ernste Niederlage nicht blos gönne, sondern wünsche. Und das steht mir fest, wenn sie sie jetzt nicht erleiden und sich auch nicht ändern, so bricht in Zeiten, die wir beide freilich nicht mehr erleben werden, eine schwere Heimsuchung über sie herein.“ (an Mathilde von Rohr, 01. 12. 1880; Anlaß dieses Ausbruchs: der Hund „Stoecker“).
Demgegenüber klingt es wie eine Mahnung zur Selbstdisziplin, wenn er im September 1885 an seine Frau schreibt: „Was Du über die Juden schreibst, ist richtig, man muß aber doch sehr aufpassen und vieles, was nicht sehr nett ist, mit in den Kauf nehmen. Aber freilich, wo müßte man das nicht. Und in bezug auf einen selbst wird es wohl ebenso liegen“ (an Emilie, 13. 09. 1885) Diese Briefstellen, zu denen viele hinzuzufügen wären, lesen sich wie ein Stakkato unterschiedlichster, einander aufs äußerste entgegengesetzter Impressionen, Stimmungsbilder zu einer immergleichen Wahrnehmung von Juden und Judentum im Rahmen eines bestimmten Blicks Fontanes auf die ihn unmittelbar umgebende Gesellschaft. Hingegen ist seine Sensorik für religiöses Judentum, für jüdisches Denken, jüdische Kultur, aber auch für die von seinem Wahrnehmungsraster abweichenden unteren jüdischen Bevölkerungsschichten, für Armut und soziales Elend, nur sehr rudimentär ausgeprägt.
V. Möblierung Fontanes „jüdische Welt“ (und das mag für andere seiner Welten auch gelten) besteht aus zwei Abteilungen: einer mit Wildwuchs und dunklen Ecken und einer sauber aufgeräumten, mit Bedacht möblierten. Dieser aufgeräumte Teil war für die Öffentlichkeit bestimmt, der andere eher nicht. D. h.: In merkwürdigem Kontrast zum Wildwuchs der ungeschützten Äußerungen in Briefen und Tagebüchern steht die maßvolle und subtil austarierte diskursive Darstellung von Juden im erzählerischen Werk. Als Erklärung dieser Diskrepanz zwischen beiden Abteilungen hat die FontaneForschung die Hypothese angeboten, Fontane habe seinen Antisemitismus in den
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Romanen bewußt zurückgenommen, ja gar verborgen, um seine vielen jüdischen Leser und auch seine jüdischen Verleger nicht zu verärgern. Das ist für einen Künstler vom Rang Fontanes aber doch zu simpel. Er mag im persönlichen Umgang impulsiv, stimmungsabhängig, nörglerisch, auch ungerecht gewesen sein; aber im Anspruch gegenüber seinen Produkten war er unbestechlich. Das künstlerische Grundrezept seiner Romane aber ist dasjenige der Diskursivität, des Nicht-Festlegens von Situationen zugunsten deren Umkreisung durch den Dialog; jedem Ja steht ein Aber entgegen. Diesem Prinzip mußte sich sogar das Ego des Verfassers unterwerfen, mit der Folge, daß jedes Ressentiment – auch das Anti-Jüdische gespiegelt und eingefangen wird durch diskursive Reflexion. Die in den Romanen angerissenen jüdischen Themen entsprechen dem durch Fontanes Sensorik gefilterten Wahrnehmungsspektrum: absteigender Adel, aufsteigendes (geldadeliges) Judentum; Möglichkeiten der Beziehungen zwischen jüdischer und nichtjüdischer Sphäre, alles eingebettet in das große Thema „Alt und Neu“. Dies ließe sich zeigen an den jüdischen Figuren und Konstellationen in den Poggenpuhls, in Mathilde Möhring, in L’Adultera, im Stechlin und in weiteren, auch nicht bis zur Veröffentlichung gediehenen Arbeiten. Exemplarisch läßt sich Fontanes Technik ganz kurz erläutern anhand der Ebba von Rosenberg aus dem 1891 erschienenen Roman Unwiederbringlich. Der verheiratete, nicht mehr ganz junge schleswigsche Graf Holk wird an den dänischen Hof nach Kopenhagen berufen, um dort seine Kammerherren-Dienstpflicht abzuleisten. Hier erliegt er der Anziehungskraft der süffisanten Hofdame Ebba von Rosenberg. Während des ersten Dialogs der beiden (Kap. 13) knüpft sich die spätere Beziehung leise an, bezeichnenderweise über einen Namensdiskurs. „Romantik“ ist schnell ein Thema zwischen beiden, und Holk wirft ein, besonders Ebbas Name sei mit einem Ereignis verflochten, „das wohl eine Ballade verdient hätte.“ – Ebba: „Bezieht es sich auf Ebba? Nun, das würde sich hören lassen, das ginge; denn schließlich laufen alle Balladen auf etwas Ebba hinaus. Ebba ist Eva, wie Sie wissen, und bekanntlich gibt es nichts Romantisches ohne den Apfel.“ Holk verneint; er habe sich gar nicht auf den Vor-, sondern auf den Familiennamen bezogen. Es folgt ein Verwechslungsspiel, das mit der Doppeldeutigkeit des Namens „Rosenberg“ arbeitet. Holk, der ein Faible für Genealogie hat, ist der festen Überzeugung, Ebba müsse selbstverständlich einer der berühmten RosenbergAdelsfamilien entstammen, am besten den böhmischen Rosenberg-Gruszcynskis, zur Not auch den schlesischen Rosenberg-Lipinskis. Jetzt muß Ebba verneinen. „Zu meinem Bedauern auch das nicht. Freilich, wenn ich Lipinski mit Lipesohn übersetzen darf […], so würde sich, von dem in dieser Form auftretenden Namen aus, vielleicht eine Brücke zu mir und meiner Familie herüber schlagen lassen. Ich bin nämlich eine Rosenberg-Meyer oder richtiger eine Meyer-Rosenberg, Enkeltochter des in der schwedischen Geschichte wohlbekannten Meyer-Rosenberg, Lieblingsund Leibjuden König Gustavs III.“
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Ebba von Rosenberg wird namenstechnisch durch einen Bezug auf schwedische Geschichte gleich doppelt in ihrer Herkunft verankert; etwas später ist zu erfahren, daß es neben dem legendären (aber fiktiven) Hofjuden Meyer-Rosenberg in Schweden auch eine halbwegs berühmte Ebba gab: Ebba Brahe, eine Jugendgeliebte König Gustav Adolfs II. Gleichwohl haftet dem Namen etwas untergründig Ambivalentes an, von dem aus, wie stets bei Fontane, natürlich ein Licht auf die Persönlichkeit der Namensträgerin fällt. Ebba – eine Ableitungsform von Eva –, der Apfel: die Verführerin, Meyer-Rosenberg: die jüdische Herkunft. Holk „schrak denn auch ein wenig zusammen“. Ebba, wohl von Holks Schreck herausgefordert, „fuhr in einem affektiert ruhigen Tone fort: ,Enkeltochter Meyer-Rosenbergs, den König Gustav später unter dem Namen eines Baron Rosenberg nobilitierte, Baron Rosenberg von Filehne, welchem preußisch-polnischen Ort wir entstammen. Es war der Sitz unserer Familie durch mehrere Jahrhunderte hin.‘“ „Baron Rosenberg“ bedient punktgenau den Adelshochmut des „krassen Aristokraten“ Holk – der übrigens wie im gesamten Roman auch in diesem ersten Dialog mit Ebba nicht besonders helle wegkommt – , doch der Nachtrag „von Filehne“ setzt gleich darauf eine besondere Spitze, weniger gegen Ebbas Herkunft als gegen Holks Dünkel. Denn dieser „Sitz unserer Familie durch mehrere Jahrhunderte hin“, die Kreishauptstadt Filehne im Regierungsbezirk Bromberg, Westpreußen, war Teil der Provinz Posen, des Teils Preußens mit der höchsten jüdischen Bevölkerungsdichte. Ebba von Rosenberg ist daher die Enkelin wahrscheinlich eines jüdischen Handelsmannes aus Posen, der am schwedischen Hof zu Ruhm, Anerkennung und schließlich zu einem Adelstitel gelangt war. Fontane läßt sie damit einem sozial nicht besonders angesehenen jüdischen Milieu entstammen. Zu seiner Wahrnehmung paßt freilich, daß er dieses jüdische Händlermilieu stets im Zusammenhang mit „Karriere“ sieht: bei Rosenberg aus Filehne ist es sogar eine exzellente „Hofjudenkarriere“, die dahin führt, daß seine Enkelin als dänische Hofdame mit Judentum längst nichts mehr zu tun hatte. Oder doch? Warum sonst diese umständliche ihr von Fontane angedichtete Geschichte? Sie schärft das Profil der literarischen Gestalt und setzt andererseits ihr Potential als verführerische Frau in ein besonderes Licht. Dieses Verführerische, der Reiz, den Ebba auf Holk ausübt, entsteht größtenteils durch ihren besonderen Esprit (auch „jüdisch“?), der Holk ganz und gar fehlt und seiner pietistisch-frommen Gattin Christine ebenso. Ebba ist eine Gegenfigur zur Holk-/Christine-Welt. Das Jüdisch-Schillernde gehört zum Spektrum dieser Gegenfigur, ohne daß es Fontane aber ins platte Klischee abgleiten ließe. Ebba rettet jedenfalls die Schrecksituation, die durch „Rosenberg von Filehne“ noch verlängert wird. „Sie dürfen mich aber darum nicht aufgeben. Über all das ist Gras gewachsen, und mein Vater verheiratete sich bereits mit einer Wrangel, noch dazu in Paris, wo ich auch geboren bin.“ Man hört Holk förmlich aufatmen; Ebba war zum guten Schluß dann doch wenigstens mütterlicherseits eine schwedische Hochadelige. So erholte sich Holk „von dem ersten Schreck, den ihm der schwedische Rosenberg mit seinem unheimlichen Epitheton ornans eingejagt hatte, nicht
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nur rasch […], sondern [fand] es sogar höchst pikant […], diese doch in der Mehrzahl der Fälle nicht leicht genug zu nehmende Frage“ – nämlich die aristokratisch-genealogische – „von einer augenscheinlich so klugen Person auch wirklich leicht behandelt zu sehen.“ Es ist nicht einfach zu entscheiden, was in dieser Szene mit größerer Ironie behandelt wird, das „unheimliche“ Jüdische oder das „krass“ Aristokratische. Ebba ist das, übrigens höchst gelungene, Produkt einer Verbindung von Judentum und Adel (bezeichnenderweise nicht märkischem Adel); in ihr zeigt Fontane, daß die Allianz Jüdisch-Nichtjüdisch sogar funktionieren kann, was er in anderen Werken, etwa den Poggenpuhls oder dem unveröffentlichten Storch von Adebar in Frage stellt. Natürlich funktioniert auch die jüdisch-nichtjüdische Ebba-Vergangenheit nur unter bestimmten Voraussetzungen: der Hofjude schloß bereits zu einem Adelstitel auf, und irgendwann zwischen ihm und Ebbas Vater wuchs „Gras“ über die Sache, d. h., wurde das Judentum ad acta gelegt. Ebba selbst trägt aber trotz allem noch etwas nicht genau bestimmbar „Jüdisches“ zwischen Eros und Esprit mit sich herum; sie ist „mehr eine Rosenberg als eine Ebba“ (und offensichtlich nicht die Spur einer „Wrangel“), und genau dem kann offenbar der ausgewachsene Mann Holk nicht widerstehen. Wer ist in dieser Konstellation die fragwürdigere Gestalt? Das lassen wir offen und kehren zu Fontanes gut möbliertem Teil seiner jüdischen Romanwelt zurück. Sie zeichnet sich aus durch die differenzierte Darstellung jüdischer Figuren innerhalb der jeweiligen Erzähllogiken. Ein opportunistisches Verbergen vermeintlich „eigentlicher“ (nämlich: „antisemitischer“) Ansichten des Autors hätte die Qualität dieser Logiken durch ein außerhalb ihrer Eigengesetzlichkeit liegendes Moment zerstört. Insofern ist die Darstellung des Jüdischen in den Romanen Ergebnis des künstlerischen Gesetzes, unter das Fontane sein Romanschaffen stellt und dem er sich selbst auch unterordnet. Das künstlerische Gesetz ist Regulativ auch seiner eigenen, unzulänglichen Persönlichkeit. VI. Antisemitismus Außer Frage steht, daß Fontane ein kräftiges antijüdisches Ressentiment pflegte, das im Alter noch stärker wurde. Daß er dieses Ressentiment nicht überwand, hat mit der spezifischen Art seiner Wahrnehmung zu tun, die sich dem Thema „Judentum“ in seiner ganzen Komplexität nie öffnete. Das Anwachsen des Ressentiments im Alter hängt mit seinem insgesamt zunehmenden Pessimismus zusammen, der auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens mit bitterstem Sarkasmus übergoß. Das Alte stieß ihn zunehmend ab und das Neue überzeugte ihn nicht. Insgesamt teilte Fontane sicherlich jenen weit verbreiteten Antisemitismus – ob man ihn nun „bürgerlichen Antisemitismus“ (Michael Fleischer) oder „Alltagsantisemitismus“ (Bernd Balzer) nennt –, der wie ein „kultureller Code“ die Zeit des Kaiserreichs durchzog. Er selbst betitelte sich durchaus als „antisemitisch“, stellte
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diese Haltung gleichzeitig aber auch in Frage: er wachse aus seinem Antisemitismus heraus, „nicht weil ich will, sondern weil ich muß“ – „ich bin nicht eigentlich ein Philosemit“, aber … – die Judenfeindschaft sei ein „Unsinn“ – ein Sieg der „antisemitischen Bewegung“ sei eigentlich unmöglich, etc. – d. h.: Bei vernünftiger Erwägung könne man nicht Antisemit sein. Er hielt aber mit Antisemitismen trotzdem nicht hinter dem Berge, bis zum Schluß, ja am Schluß so ungehemmt, daß er auch Reime fabrizierte, die nicht anders als Verrat an seiner eigenen künstlerischen Wahrhaftigkeit interpretiert werden können: „Die Meyerheims – man verstehe mich recht – Die Meyerheims sind ein Weltgeschlecht, Sie sitzen im Süden, sie sitzen im Norden, Ums goldne Kalb sie tanzen und morden, Name gleichgültig, ist Rauch und Schall! Wohl, wohl, der ,Meyerheim‘ sitzt überall.“
Sieht man genauer hin, stellt sich der Fontanesche Antisemitismus als eine Mischung aus sozio-ökonomischen, nationalen und verschwörungsideologischen Komponenten dar. Auch wenn sich vereinzelt Aspekte beimischen, die als „rassistisch“ bezeichnet werden könnten („jüdisches Aussehen“, Überlegenheit des „Christlich-Germanischen“ gegenüber dem „Jüdisch-Orientalischen“), liegt diese Melange doch näher bei dem Antisemitismus der Stoeckerschen Prägung, dessen Kernverdikt lautete: die Juden werden ökonomisch übermächtig und sie sind dabei überheblich und frech. Fontane folgte insofern Stoecker, als er sich der Forderung anschloß, „die Juden“ sollten „ein klein wenig bescheidener werden“, sonst drohe ihnen ein großes Unglück. Der zweiten Kernforderung Stoeckers, aber auch Treitschkes, die Juden müßten sich durch Assimilation (also durch die möglichst vollständige Aufgabe ihrer Eigenkultur) selbst auflösen, folgte Fontane im Laufe der Zeit immer weniger. Verfocht er noch in den 1850er Jahren die Auffassung, die „Judenfrage“ könne durch Akkulturation (= Anpassung) gelöst werden, rückte er davon immer mehr ab und hielt alle Vereinigungsbemühungen schließlich für fehlgeschlagen. Die Vereinigung der Sphären „jüdisch“ und „nichtjüdisch“ – ein immer wiederkehrendes und in unterschiedlichen Varianten in seinen Romanen durchgespieltes Thema – erachtete er am Ende voller Pessimismus als unmöglich, wie er überhaupt gegen die „Vermanschung“ der Gesellschaft war. Allen großen utopischen Entwürfen stand er mit Skepsis gegenüber; dazu gehörte auch Lessings Ringparabel: „Das Unheil, das Lessing mit seiner Geschichte von den drei Ringen angerichtet hat“, schrieb er am 12. August 1883 an seine Frau, sei „kolossal“. Fontane sah diese Utopie im Zusammenhang mit anderen. Der Einzelne könne sich an solchen „in den Himmel hineinstrampeln“ und das sei auch bewundernswert. Aber für das „praktische Leben“, für den „Alltagsgebrauch“ sei dies alles untauglich. Bei all dem sollte nicht außer Acht geraten, daß Fontane den harschen Antisemitismus niemals nach außen trug; Äußerungen der zitierten Art waren und blieben privat; sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Sicherlich fielen in den
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Diskursen seiner Romane auch abfällige Worte gegen Juden und deren angebliches oder vornehmliches Verhalten. Dabei sollte aber stets beachtet werden, wer jeweils spricht – es spricht nicht immer die Stimme des Autors – und wie die Kritik im Diskurs ihrerseits aufgenommen und wiederum gebrochen wird. Fontanes „Antisemitismus“ hob sich inhaltlich vielleicht nicht besonders vom „normalen Antisemitismus“ des Kaiserreichs ab, aber die Art und Weise, wie er ihn künstlerisch, nämlich durch Reflexion, „bewältigte“, ist doch einzigartig und unterscheidet sich sehr von anderen Techniken der Darstellung von Juden, wie sie etwa bei Gustav Freytag oder Wilhelm Raabe zu finden sind. Fontane wußte um sein Ressentiment; er blieb auch beim Ressentiment, besonders in den leidenschaftlichen „Schimpfbriefen“ seiner späteren Zeit, er wußte aber auch, daß es besser wäre, dieses Ressentiment nicht zu haben. In seiner künstlerischen Arbeit siegte das Ressentiment nur an ganz wenigen Stellen über ihn. Auch das Meyerheim-Gedicht blieb wohlweislich unveröffentlicht, bis es sein Sohn Friedrich viel später ans Licht zog, um sich und seinen Vater den Nationalsozialisten anzudienen. Das ist aber ein anderes Thema. Fontane fing sein antijüdisches Ressentiment in seiner Romankunst auf, die – um mit Norbert Mecklenburg (1989) zu schließen – „bis heute so bewundernswert“ ist, weil sie über Positionen, die der Autor bezogen hat, und über Grenzen, die ihm gezogen waren, „objektiv“ hinauskommt.
Das Preußenbild in Autobiographien der Weimarer Zeit. Anmerkungen zu Entstehung und Verfestigung eines Negativklischees Von Marc von Knorring, Passau I. „Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört.“1 Mit diesem vielzitierten, in eine amtliche Verfügung gekleideten Verdikt bewiesen die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs am 25. Februar 1947 einmal mehr ihre Kenntnislosigkeit in Bezug auf die deutsche und preußische Geschichte. Offenkundig waren auch sie der Propaganda der Nationalsozialisten auf den Leim gegangen, die ihr Regime und ihren „Führer“ Adolf Hitler bis zuletzt gezielt als Nachfolger vor allem Friedrichs des Großen und Bismarcks inszeniert und dadurch bereits ältere Klischees nach Kräften bedient hatten: den „Militarismus, […] die wirklichen oder vermeintlichen Demokratiedefizite, die Obrigkeitshörigkeit und die Untertanenmentalität“ in Preußen – das freilich schon um 1933 de facto beseitigt worden war, so dass nicht einmal in staatsrechtlicher Hinsicht von einer „Tradition“ die Rede sein konnte.2 1
Kontrollratsgesetz Nr. 46 betreffend die Auflösung Preußens vom 25. Februar 1947 (gemäß Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 14, S. 262), hier zitiert nach Gilbert H. Gornig, Territoriale Entwicklung und Untergang Preußens. Eine historisch-völkerrechtliche Untersuchung (Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, 31), Köln 2000, S. 289 f., 333; vgl. etwa auch Horst Möller, Das demokratische Preußen, in: Otto Büsch (Hrsg.), Das Preußenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 50), Berlin/New York 1981, S. 231 – 245, hier 232. 2 Hans-Christof Kraus, Zur Einführung, in: ders. (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945 (FBPG N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, S. 7 – 16 (das Zitat S. 12); vgl. Horst Möller, Preußen von 1918 bis 1947: Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Handbuch der preußischen Geschichte. Bd. 3: Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der preußischen Geschichte, Berlin 2001, S. 149 – 316, hier 310; Möller, Das demokratische Preußen (Anm. 1), S. 232 f.; Gornig, Territoriale Entwicklung (Anm. 1), S. 259 – 261; Golo Mann, Das Ende Preußens, in: Otto Büsch/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte 1648 – 1947. Eine Anthologie, Bd. 1 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 52/1), Berlin/New York 1981, S. 243 – 261, hier 259 f.; Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600 – 1947, 2. Aufl. München 2008, S. 761.
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Natürlich hätte man es besser wissen können. Nur allzu leicht war für den aufmerksamen Beobachter der Missbrauch, die konstruierte, vordergründige Aneignung „Preußens“ durch das NS-Regime als Mittel zum Zweck erkennbar,3 zumal sich Hitler und Co. nicht einmal darauf konzentrierten, sondern ihre Ideen von Germanentum, Volk und Raum klar in den Vordergrund stellten.4 Überdies hatte sich Preußen in der Weimarer Zeit regelrecht zu einem demokratischen Musterland entwickelt, waren seine Spitzenbeamten und -politiker mit Erfolg bemüht, die tradierten Tugenden, die den Staat einst groß gemacht hatten, für den Auf- und Ausbau der neuen Republik zu nutzen.5 Dem gegenüber stand jedoch auf alliierter Seite „eine beeindruckende intellektuelle Tradition der Preußenfeindlichkeit […], die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zurückreichte“:6 „Man weiß inzwischen sehr genau, dass der Kampf gegen den vermeintlich ,barbarischen‘ preußischen Militarismus ein Hauptmotiv der von den Alliierten gegen die Mittelmächte inszenierten und mit der Kriegsdauer an Intensität stetig zunehmenden Propaganda“ war, wobei das hier evozierte Negativbild auch nach dem Friedensdiktat von Versailles zumal von französischer und britischer Seite weiter gepflegt wurde.7 Ganz so einfach verliefen die ideologischen Frontlinien allerdings nicht, gab es doch zahlreiche vermeintliche Gewährsleute im Deutschen Reich und in Preußen selbst, auf die man sich hierbei berufen konnte. Tiefsitzende Ressentiments waren bereits lange vor 1914 in den west- und süddeutschen Bundesstaaten, von Katholiken, linksliberalen und sozialdemokratischen Politikern und Gelehrten geäußert worden – von Persönlichkeiten, die „ganz oder teilweise von höheren oder gar führenden staatlichen und kommunalen Ämtern ausgeschlossen“ oder „aus unterschiedlichen Gründen politisch benachteiligt waren“, sich als Opfer einer „auf lokale und konfessionelle Besonderheiten lange Zeit kaum Rücksicht nehmenden demonstrativen Personalpolitik“ des preußischen Staates oder generell eines „als militaristisch empfundenen, einseitig ostelbisch orientierten Preußentum[s]“ sahen.8 3 Vgl. neben den oben zitierten Werken auch Hans-Christof Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? Zur Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Fritz Hartung über den preußisch-deutschen Konstitutionalismus (1934/35), in: JGMOD 45 (1999), S. 275 – 310, bes. 284. 4 Frank-Lothar Kroll, Preußenbild und Preußenforschung im Dritten Reich, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (FBPG N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, S. 305 – 327, passim. 5 Möller, Das demokratische Preußen (Anm. 1), passim; vgl. Mann, Das Ende (Anm. 2), S. 257 ff.; Gornig, Territoriale Entwicklung (Anm. 1), S. 259; Möller, Preußen (Anm. 2), S. 254. 6 Clark, Preußen (Anm. 2), S. 761 ff. (das Zitat S. 761). 7 Hans-Christof Kraus, „Preußen“ als politische Chiffre. Zum Preußenbild der Konservativen Revolution, in: Michael C. Bienert/Lars Lüdicke (Hrsg.), Preußen zwischen Demokratie und Diktatur. Der Freistaat, das Ende der Weimarer Republik und die Errichtung der NSHerrschaft, 1932 – 1934 (Zeitgeschichte im Fokus, 5), Berlin 2018, S. 221 – 240, hier 223; vgl. auch Hartwin Spenkuch, Preußen – eine besondere Geschichte. Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648 – 1947, Göttingen 2019, S. 397 – 399. 8 Möller, Das demokratische Preußen (Anm. 1), S. 234 f.; vgl. Kraus, Zur Einführung (Anm. 2), S. 12 f.; Ludwig Richter, „Der Nachteil liegt hier im System“. Preußen und das
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Als sie 1918/19 endlich an die Schaltstellen der Macht gelangten oder zumindest gänzlich frei agieren konnten, wie etwa der Sozialdemokrat und spätere preußische Ministerpräsident Otto Braun, der Zentrumsmann, Kölner Oberbürgermeister und spätere Präsident des preußischen Staatsrats Konrad Adenauer oder der Rechtsgelehrte und „Vater“ der Weimarer Verfassung Hugo Preuß, war es diese „Erfahrung der offenkundigen Schattenseiten Preußens […], die den Blick auf seine früheren Vorzüge verstellte“ und sie dazu bewog, ihre verzerrte Sicht auf das Preußen der Kaiserzeit bis weit in die 1920er Jahre hinein immer wieder zu reproduzieren und öffentlich kundzutun, teilweise in kaum verhohlener Übereinstimmung mit den Diffamierungen seitens der Siegermächte.9 Mäßigende oder differenzierende Stimmen, womöglich gar gegenläufige, teils freilich auch in umgekehrter Richtung überzeichnende Plädoyers vor allem aus den Reihen deutscher Historiker und Intellektueller traten demgegenüber in den Hintergrund.10 II. Geschichtsbilder und -debatten wurden in der Öffentlichkeit der Weimarer Zeit jedoch nicht nur durch Verlautbarungen von Politikern und Gelehrten bestimmt und geprägt, sondern in hohem Maße auch durch die immense Zahl der nach dem Zusammenbruch der Monarchie veröffentlichten Lebenserinnerungen von Autoren, die allen Schichten der Bevölkerung entstammten.11 Urteilten auch sie über Preußen, und wenn ja, mit welchem Tenor und aus welchen Motiven bzw. vor welchem persönlichen Hintergrund? Grundlage für die im Folgenden versuchte Annäherung an dieses bislang von der Forschung vernachlässigte Thema ist ein Korpus von 141 Autobiographien und Memoiren aus der Zeit zwischen 1918 und 1939, das die ganze Breite der damaligen Gesellschaft abbildet. Es wurde – in anderem Zusammenhang – unter der Prämisse Reich zwischen 1918 und 1925, in: Bärbel Holtz/Hartwin Spenkuch (Hrsg.), Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung – Verwaltung – politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade (Berichte und Abhandlungen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Sonderband 7), Berlin 2001, S. 397 – 428, hier 399; Spenkuch, Preußen (Anm. 7), S. 374 – 381. 9 Möller, Das demokratische Preußen (Anm. 1), S. 233; siehe hierzu vor allem Möller, Preußen (Anm. 2), S. 175, 179, 181, 236, 254, 262; Richter, „Der Nachteil liegt hier im System“ (Anm. 8), S. 399 ff. 10 Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980, S. 273 ff.; vgl. Hans-Christof Kraus, Preußen als Lebensthema Friedrich Meineckes – Geschichtsschreibung und politische Reflexion, in: Neugebauer (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ (Anm. 4), S. 269 – 304, hier 290 ff.; Marc von Knorring, Erich Marcks und sein Bild der preußischen Geschichte, in: Kraus (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ (Anm. 2), S. 101 – 117; aufschlussreich außerdem Kraus, „Preußen“ (Anm. 7), S. 224 ff. 11 Hierzu wie zum Folgenden Marc von Knorring, Die Wilhelminische Zeit in der Diskussion. Autobiographische Epochencharakterisierungen 1918 – 1939 und ihr zeitgenössischer Kontext (Historische Mitteilungen, Beihefte 88), Stuttgart 2014, S. 1 ff.
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gebildet, dass die Wilhelminische Zeit, also die 1890 einsetzende Epoche, jeweils besonders im Fokus steht.12 Dem hier angestrebten Erkenntnisgewinn ist dies nur förderlich – sind es doch eben die Jahre und Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg, die das Bild der oben zitierten und anderer Preußenverächter grundgelegt oder zumindest gefestigt haben dürften. Überdies bietet die Einbeziehung von Lebenserinnerungen, die nach 1933 publiziert wurden, aufschlussreiche Vergleichsmöglichkeiten. Unter diesen 141 Autobiographien und Memoiren befinden sich 106 aus der Weimarer Zeit, von denen wiederum 37 eine kürzere oder längere Charakterisierung Preußens bzw. des „typisch Preußischen“ beinhalten, also immerhin ein gutes Drittel. Die große Mehrheit, 25 an der Zahl, äußert sich ausschließlich oder doch weit überwiegend im oben erwähnten Sinn. Da wären zunächst als bekannte und weniger bekannte sozialdemokratische Politiker der frühe Weimarer Regierungschef Philipp Scheidemann13, der Wahlsachse und zeitweilige Reichswehrminister Gustav Noske14 sowie der Sozialhygieniker Alfred Grotjahn15 (einige Jahre MdR), die zum Teil noch die Sozialistengesetze erlebt hatten; heute eher unbekannte Marxisten namens Bruno Wille16 (ein zeitweise inhaftierter freireligiöser Lehrer und naturalistischer Schriftsteller) und Bruno H. Bürgel17 (zunächst Fabrikarbeiter, dann LaienAstronom); die linksliberalen, politisch aktiven Persönlichkeiten Otto Baumgarten18 (ein Theologe) und Johannes Tews19 (ein Pädagoge); individuell-linke Autoren wie 12 Ebd., S. 30 ff. Die hier verfolgten Fragestellungen werden dort nicht behandelt. Der vorliegende Beitrag schöpft mithin zwar aus den Erträgen der seinerzeitigen Quellenauswertung, stellt aber eine neue Untersuchung an. Die Ergebnisse der o. a. Studie, vor allem das überwiegend negativ gefärbte Bild der Wilhelminischen Zeit in den Lebenserinnerungen, machen die hier angestellten Betrachtungen keineswegs überflüssig, da Preußen und Deutschland von den Autobiographen in der Regel nicht in eins gesetzt werden – vgl. die weiteren Ausführungen. 13 1865 – 1939; Manfred Kittel, Scheidemann, Philipp, in: Neue Deutsche Biographie, hrsg. v. d. Hist. Kommission bei der Bayer. Akademie d. Wissenschaften, Berlin 1953 ff. [NDB], hier Bd. 22 (2005), S. 630 f. – Die Angaben zu regionaler Zuordnung, Konfession, beruflichen Stationen und weiteren persönlichen Merkmalen, die im Folgenden vor allem bei denjenigen Autoren zu finden sind, die ein oder mehrere der oben genannten Dispositionen für „Preußenfeindlichkeit“ aufweisen, beruhen sowohl auf den Informationen der zitierten Lexikonartikel als auch auf den Ausführungen in den jeweiligen Lebenserinnerungen, die weiter unten angemerkt werden. 14 1868 – 1946; Wolfgang Wette, Noske, Gustav, in: NDB 19 (1999), S. 347 f. 15 1869 – 1931; Bruno Harms, Grotjahn, Alfred, in: NDB 7 (1966), S. 169. 16 1860 – 1928; Guido Heinrich/Gunter Schandera, Magdeburger Biographisches Lexikon. 19. und 20. Jahrhundert. Biographisches Lexikon für die Landeshauptstadt Magdeburg und die Landkreise Bördekreis, Jerichower Land, Ohrekreis und Schönebeck, Magdeburg 2002, S. 804 f. 17 1875 – 1948; Karl Richter, Bürgel, Bruno, in: NDB 2 (1955), S. 743 f. 18 1858 – 1934, Universitätsprofessor, Mitbegründer und zeitweiliger Vorsitzender des Evangelisch-sozialen Kongresses, nach 1918 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP); Walter Buff, Baumgarten, Otto, in: NDB 1 (1953), S. 659 f. 19 1860 – 1937; Andreas Pehnke (Hrsg.), Johannes Tews (1860 – 1937). Vom 15-jährigen Dorfschullehrer zum Repräsentanten des Deutschen Lehrervereins. Studien über den liberalen
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der einstige General und nachmalige Pazifist Paul von Schoenaich20 und die aus britischem Adel stammende, unglücklich nach Deutschland verheiratete, sozialreformerisch tätige Fürstin Daisy von Pless21; mit Adam Stegerwald22 ein katholischer Gewerkschafter und Zentrumspolitiker, der 1917/18 noch im Preußischen Herrenhaus saß (nachdem er als Süddeutscher in jungen Jahren nach Köln gegangen war); schließlich mit Eduard Engel23 und Otto Körner24 zwei politisch und auch sonst nicht klar einzuordnende Autoren. Diese Autobiographen werfen der preußischen Regierung und Verwaltung die Etablierung einer „Polizeiherrschaft“ sowie die „grausame“ Unterdrückung von Arbeitern, Sozialdemokraten und (nationalen) Minderheiten vor.25 Sie sehen dabei ein „System des Militarismus“ am Werk (in Form „des Durchdringens der inneren Politik mit militärischen Zwangsmaßnahmen“), „wie ihn der preußische Obrigkeitsstaat […] in Reinkultur gezüchtet“ habe, und beklagen außerdem eine „Verherrlichung des Krieges“ in den Schulen,26 welche überdies auf allen Ebenen rückständig Bildungspolitiker, Sozialpädagogen, Erwachsenenbildner und Kämpfer gegen den Antisemitismus, Markkleeberg 2011, passim. 20 1866 – 1954 (eigentlich: von Hoverbeck), nach 1918 Mitglied der DDP und der Deutschen Friedensgesellschaft, der er seit 1929 auch vorstand; Martin Jung, Hoverbeck, Paul Freiherr von, in: NDB 23 (2007), S. 381 f. 21 1873 – 1943; Gudrun Wedel, Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon, Köln u. a. 2010, S. 648; John W. Koch, Daisy von Pless. Fürstliche Rebellin, Frankfurt am Main/Berlin 1991. 22 1874 – 1945; Rudolf Morsey, Adam Stegerwald (1874 – 1945), in: ders. (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts, Bd. 1, Mainz 1973, S. 206 – 219; Bernd Haunfelder, Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871 – 1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien (Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 4), Düsseldorf 1999, S. 361 f. 23 1851 – 1938, zunächst Schreiber bzw. Stenograph im preußischen Landtag und im Reichstag (hier bis 1904 auch Vorstand des Büros), dann hauptsächlich Sprach- und Literaturwissenschaftler (Sprachkritiker) sowie Publizist, politisch konservativ und ein klarer Gegner von Sozialdemokraten und Kommunisten, zugleich aber dezidiert international gesonnen; Ruth Schmidt-Wiegand, Engel, Eduard, in: NDB 4 (1959), S. 499 f.; Hans Morgenstern, Jüdisches biographisches Lexikon. Eine Sammlung von bedeutenden Persönlichkeiten jüdischer Herkunft ab 1800, Wien u. a. 2009, S. 199. 24 1858 – 1935, Mediziner, Universitätsprofessor; Jost Benedum, Körner, Otto, in: NDB 12 (1980), S. 388 f. 25 Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten. Erster Band, Dresden 1928, S. 98 f., 197 – 199 (die Zitate S. 99, 199); vgl. Otto Baumgarten, Meine Lebensgeschichte, Tübingen 1929, S. 140; Gustav Noske, Noske (Wie ich wurde. Selbstbiographien volkstümlicher Persönlichkeiten), Berlin 1919, S. 25; Bruno Wille, Aus Traum und Kampf. Mein 60jähriges Leben (Wie ich wurde. Selbstbiographien volkstümlicher Persönlichkeiten), 3. Aufl. Berlin 1920, S. 30; Bruno H. Bürgel, Vom Arbeiter zum Astronomen. Die Lebensgeschichte eines Arbeiters, Berlin 1922, S. 114; Paul von Schoenaich, Mein Damaskus. Erlebnisse und Bekenntnisse, Berlin 1926, S. 67 f. 26 Alfred Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes. Erinnerungen eines sozialistischen Arztes, Berlin 1932, S. 45, 155 (Zitate); vgl. Daisy Fürstin von Pless, Tanz auf dem Vulkan. Erinnerungen an Deutschlands und Englands Schicksalswende, 2 Bde., Dresden 1929, hier I, S. 183;
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gewesen seien – entsprechend einer generell fortschrittsfeindlichen „Kulturpolitik des preußischen Staates“.27 Verantwortlich für die Misere des „preußischen Absolutismus“28 seien die rückwärtsgewandten, unfähigen und beschränkten „Junker“ gewesen, die ihre „Herrschaft“ obendrein auf das ganze Reich ausgedehnt hätten, wenngleich man sie nicht überall besonders gemocht habe:29 „Die Deutschen und besonders die Preußen waren glücklich, beherrscht und in strenger Rangordnung gehalten zu werden, und begrüßten es mit Befriedigung, wenn sie viel Gelegenheit hatten, Absätze zusammenzuklappen und Hände zu küssen.“30 Eine zweite Gruppe von Persönlichkeiten äußert sich ähnlich, allerdings weniger drastisch bzw. konzilianter. Dazu zählen die von negativen Erfahrungen mit der preußischen Verwaltung geprägte Lehrerin, Frauenrechtlerin und linksliberale Politikerin Helene Lange31, der bayerisch-katholische „Kathedersozialist“ Lujo Brentano32 und der Polizeikommissar Hans von Tresckow33, der sich aus beruflichem Erleben zum Aktivisten gegen den „Homosexuellen-Paragraphen“ (175 StGB) und dessen Durchsetzung gewandelt hatte; der ebenfalls eher im linken Spektrum zu verortende freireligiöse Schriftsteller, Philosoph und Kulturpsychologe Oscar A. H. Schmitz34, ein Hesse und Wahlmünchner (seit 1907 freilich in Berlin lebend), der als Modernist, Freigeist und radikaler Individualist unter den Verhältnissen der Vorkriegszeit gelitten hatte; Emil Fehling35, Freimaurer, eher liberaler Vertreter Lübecks im Bundesrat und späterer Oberbürgermeister der Hansestadt; die beruflich enttäuschten und erkennbar vor diesem Hintergrund urteilenden Staatsbeamten Eugen von Jagemann
Schoenaich, Mein Damaskus (Anm. 25), S. 133; Otto Körner, Erinnerungen eines deutschen Arztes und Hochschullehrers. 1858 – 1914, München/Wiesbaden 1920, S. 111. 27 Baumgarten, Meine Lebensgeschichte (Anm. 25), S. 155 (Zitat), 168, 203; vgl. Johannes Tews, Aus Arbeit und Leben. Erinnerungen und Rückblicke, Berlin/Leipzig 1921, S. 141, 148. 28 Grotjahn, Erlebtes (Anm. 26), S. 103. 29 Scheidemann, Memoiren (Anm. 25), S. 98, 188 (Zitate); Eduard Engel, Menschen und Dinge. Aus einem Leben, Leipzig 1929, S. 201 f., 291; Tews, Aus Arbeit und Leben (Anm. 27), S. 141, 167; Pless, Tanz (Anm. 26), I, S. 132, 351; Schoenaich, Mein Damaskus (Anm. 25), S. 78; Adam Stegerwald: Aus meinem Leben, Berlin 1924, S. 21. 30 Pless, Tanz (Anm. 26), I, S. 359 f. 31 1848 – 1930, Mitglied der Freisinnigen Vereinigung bzw. Volkspartei, später der DDP; Herrmann A. L. Degener, Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen, IX. Ausgabe, Berlin 1928, S. 1698; Christl Wickert, Lange, Helene, in: NDB 13 (1982), S. 559 f. 32 1844 – 1931, Universitätsprofessor (Nationalökonom) und Mitbegründer des Vereins für Sozialpolitik, widmete sich in seinen Forschungen vorrangig den Problemen der Arbeiterschaft; Friedrich Zahn, Brentano, Lujo, in: NDB 2 (1955), S. 596 f. 33 1864 – 1934; Jens Doberl, Hans von Tresckow, in: Archiv für Polizeigeschichte 10/2 (1999), S. 47 – 52. 34 1873 – 1931; Carl-Ludwig Reichert, Schmitz, Oscar A. H., in: NDB 23 (2007), S. 254 f. 35 1847 – 1927, hatte Lübeck 1918 reibungslos in die Republik überführt; Ahasver von Brandt, Fehling, Ferdinand, in: NDB 5 (1961), S. 46 f.
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(ein Badener)36 und Wilhelm Hoff37, beide katholisch, sowie der gleichermaßen frustrierte ehemalige Diplomat Anton von Monts de Mazin38 ; schließlich mit dem Theologieprofessor Adolf von Schlatter39 (ein Schweizer, zuletzt an der Uni Tübingen tätig), dem Kunsthistoriker und Galeriedirektor Karl Woermann40 (ein Hamburger Wahlsachse), den Literaten Heinrich Spiero41 und Adolf von Wilke42 sowie der Hoferzieherin Anna Wagemann43 einige im hier verfolgten Zusammenhang eher konturlose Zeitgenossen, die ihre Kritikpunkte anhand unterschiedlicher Beispiele illustrieren, wobei sich allerdings nur bei Wagemann ein direkter Bezug zur beruflichen Sphäre findet. Im Kern bescheinigen diese Autoren Preußen einen autoritären Grundzug, versinnbildlicht etwa durch die sichtbare Dominanz „der Soldaten und Beamten“ auf allen Ebenen, sowie obrigkeitliches Denken in Staat und Gesellschaft bei nachlassender Qualität der Führungsschichten;44 eine allzu zögerliche, womöglich gar bewusst verschleppte Umsetzung von Reformen bzw. Modernisierungsschritten etwa im Bildungs-, Agrar- oder Verkehrswesen, zurückgeführt auf die angebliche „Allmacht des konservativen Geistes im alten Preußen“;45 schließlich ein allerdings nicht überall unwillkommenes Dominanzstreben Preußens im Reich.46 36 1849 – 1926, als badischer Gesandter im Bundesrat 1898 auf Betreiben des seinerzeitigen Außenstaatssekretärs Bernhard von Bülow geschasst; Albert Krebs, Jagemann, Eugen von, in: NDB 10 (1974), S. 293 f. 37 1851 – 1940, seine Pläne für eine Vereinheitlichung des Eisenbahnwesens im Reich waren am Widerstand innerhalb der preußischen Verwaltung gescheitert; Wilhelm Schulte, Westfälische Köpfe. 300 Lebensbilder bedeutender Westfalen, 3., erg. Aufl. Münster 1984, S. 120 f. 38 1852 – 1930, hatte als Gesandter und Botschafter des Reichs auf diversen Posten seine Ansichten mehrfach nicht durchsetzen können; Herrmann A. L. Degener, Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen, V. Ausgabe, Leipzig 1911, S. 977. 39 1852 – 1938; Werner Neuer, Schlatter, Adolf von, in: NDB 23 (2007), S. 27 f. 40 1844 – 1933; Peter Betthausen/Peter H. Feist/Christiane Fork, Metzler Kunsthistorikerlexikon. Zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten, Stuttgart/ Weimar 1999, S. 488 – 490. 41 1876 – 1947; Walther Killy, Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 11, Gütersloh 1991, S. 108; Morgenstern, Jüdisches biographisches Lexikon (Anm. 23), S. 771. 42 1867 – 1934; Degener, Wer ist’s? (Anm. 31), S. 1698. 43 1855 – 1938; Wedel, Autobiographien von Frauen (Anm. 21), S. 894 f. 44 Heinrich Spiero, Schicksal und Anteil. Ein Lebensweg in deutscher Wendezeit, Berlin 1929, S. 87 (Zitat); Hans von Tresckow, Von Fürsten und anderen Sterblichen. Erinnerungen eines Kriminalkommissars, Berlin 1922, S. 33, 48; Eugen von Jagemann, Fünfundsiebzig Jahre des Erlebens und Erfahrens (1849 – 1924), Heidelberg 1925, S. 136 f.; Adolf von Schlatter, Erlebtes, 2. Aufl. Berlin 1924, S. 14; Anton von Monts de Mazin, Erinnerungen und Gedanken des Botschafters Anton Graf Monts, hrsg. v. Karl Friedrich Nowak und Friedrich Thimme, Berlin 1932, S. 150; Oskar A. H. Schmitz, Ergo sum. Jahre des Reifens, München 1927, S. 41; Adolf von Wilke, Alt-Berliner Erinnerungen, Berlin 1930, S. 179. 45 Helene Lange, Lebenserinnerungen, Berlin 1930, S. 211 f. (Zitat), 245 f.; Lujo Brentano, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands, Jena 1931, S. 175 – 177; Wilhelm Hoff, Erinnerungen aus Leben und Arbeit, Berlin 1931, S. 55, 128, 150 ff.; Karl
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Solche und ähnliche Einlassungen finden sich darüber hinaus bei fünf weiteren Autobiographen, die aber gleichermaßen positive Seiten Preußens anführen und damit eher ausgewogen argumentieren. Kritik und Lob kommen dabei in drei Fällen gar von rechts: von Otto Lubarsch47, seines Zeichens Medizinprofessor, aktiv in Alldeutschem Verband und Deutschnationaler Volkspartei sowie scharfer Antirepublikaner; vom Hessen Heinrich Claß48, einem völkischen, später nationalsozialistischen Politiker und Publizisten; schließlich vom weithin bekannten süddeutsch-katholischen Schriftsteller Ludwig Thoma49, einem vom Linksliberalen zum Völkisch-Nationalen gewandelten Kritiker der Zeitläufte; hinzu treten Adolf Wermuth50, früherer Staatssekretär des Reichsschatzamts und bis 1920 Oberbürgermeister von Berlin, und die Schriftstellerin Elisabeth (Lita) zu Putlitz51. Lubarsch kennzeichnet die preußische Verwaltung als wissenschaftsfeindlich und die Beamtenschaft als zunehmend bildungsfern, stellt dieser jedoch das geistig interessierte und geschulte Offizierskorps gegenüber und bescheinigt dem Staat ein durchaus weitsichtiges Regiment im Osten.52 Claß dagegen wirft der preußischen Führung eine deutlich zu lasche Politik gegenüber der polnischen Minderheit vor, charakterisiert daneben aber Regierung und Krone als nach innen integrativ und – dezidiert entgegen anderslautenden Behauptungen – nach außen friedliebend.53 Thoma wiederum hält einer dekadenten Wilhelminischen Zeit den Spiegel des alten „Potsdaminismus“ vor, „unter dem ich mir die glücklichste Verbindung von Klugheit und festem Willen vorstelle, die aus einem armen kleinen Lande einen mächtigen Staat geschaffen hat.“54 Lob und Kritik aus seinem beruflichen Erleben heraus verteilt indessen Adolf Wermuth: Während er die über den Bundesrat ausgeübte preußische Dominanz im Reich ebenso wie einen angeblichen Reformstau, besonders mit Blick auf das Dreiklassenwahlrecht, als problematisch beschreibt, schildert er die Beamtenschaft als umfassend kompetent und die Feste am HohenzollernWoermann, Lebenserinnerungen eines Achtzigjährigen, Bd. 2, Leipzig 1924, S. 235; Anna Wagemann, Prinzessin Feodora. Erinnerungen an den Augustenburger und den Preußischen Hof. Aus dem bunten Bilderbuch meines Lebens, Berlin 1932, S. 146 f. 46 Brentano, Mein Leben (Anm. 45), S. 281 f.; Emil Fehling, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Aktenstücke, Lübeck u. a. 1929, S. 114 f. 47 1860 – 1933; Manfred Skopec, Lubarsch, Otto, in: NDB 15 (1987), S. 261 f.; Morgenstern, Jüdisches biographisches Lexikon (Anm. 23), S. 525. 48 1868 – 1953; Werner Conze, Claß, Heinrich, in: NDB 3 (1957), S. 263. 49 1867 – 1921; Killy, Literatur Lexikon (Anm. 41), S. 338 f.; Richard Lemp, Ludwig Thoma. Bilder, Dokumente, Materialien zu Leben und Werk, München 1984, S. 15 ff. 50 1855 – 1927; Kurt G. Jeserich/Helmut Neuhaus, Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648 – 1945, Stuttgart 1991, S. 260 – 264. 51 1862 – 1931; Wedel, Autobiographien von Frauen (Anm. 21), S. 666 f. 52 Otto Lubarsch, Ein bewegtes Gelehrtenleben. Erinnerungen und Erlebnisse, Kämpfe und Gedanken, Berlin 1931, S. 112, 141 f., 146 f., 196. 53 Heinrich Claß, Wider den Strom. Vom Werden und Wachsen der nationalen Opposition im alten Reich, Leipzig 1932, S. 42 f., 46, 59, 86, 268 f. 54 Ludwig Thoma, Erinnerungen, München 1919, S. 255 f.
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hof als vorbildlich.55 Putlitz schließlich charakterisiert Berlin zwar als „die steife preußische Hauptstadt“, benennt jedoch Veranstaltungen wie Militärparaden, Hoffeste u. ä. ausdrücklich als Gegenbeispiele.56 Tatsächlich bieten diese Autoren schon angesichts der unter ihnen festzustellenden Widersprüche kein einheitliches Bild, werden die von ihnen positiv dargestellten Aspekte so – bei einem etwaigen Vergleich – in ihrer Wirkung neutralisiert. Und da sie in ihren Lebenserinnerungen eben auch einige Aspekte des Negativklischees „Preußen“ reproduzieren, wie sie zuhauf bei den Autobiographen der beiden ersten Gruppen zu finden sind, ist davon auszugehen, dass ihre Schilderungen im Ganzen kaum geeignet waren, etwas gegen den Eindruck zu bewirken, der durch die Lektüre der ungleich zahlreicheren oben zitierten Erinnerungswerke entstehen konnte. Ähnliches gilt freilich aufgrund ihrer ebenfalls vergleichsweise geringen Zahl für sieben Stimmen, die sich schließlich uneingeschränkt positiv oder zumindest wohlwollend über Preußen äußern. Durch eine konservative oder patriotische Haltung zeichnen sich dabei die Universitätsprofessoren Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff57 (Klassische Philologie), Wilhelm Wien58 (ein Physiker, der zuletzt in Gießen und Würzburg gelehrt hatte) und Johannes Reinke59 (Biologe, Mitglied des Herrenhauses) aus; dasselbe gilt für den ehemaligen Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Georg Michaelis60, bei dem ebenso wie bei Reinke noch langjähriger beruflicher Erfolg als denkbarer Einflussfaktor hinzukommt, welcher wiederum beim Kommunalbeamten Ernst Bansi61 als einziges Merkmal hervorsticht; eine enge berufliche Bindung an Land oder Krone kennzeichnen darüber hinaus den ehemaligen Hofprediger der kaiserlichen Familie Ernst von Dryander62 und den in Sachen Arbeiterschutz engagierten hohen Gewerbeaufsichtsbeamten Karl Bittmann63 (ungeachtet seines zwischenzeitlichen Wechsels in den badischen Staatsdienst).
55
299.
Adolf Wermuth, Ein Beamtenleben. Erinnerungen, Berlin 1922, S. 199, 208 f., 262, 289,
56 Lita zu Putlitz, Aus dem Bildersaal meines Lebens. 1862 – 1931, Leipzig 1931, S. 141 – 144 (das Zitat S. 142). 57 1848 – 1931; Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie. 2., überarb. u. erw. Ausgabe, Bd. 10, München 2008, S. 623 f. 58 1864 – 1928; Eduard Rüchardt, Wilhelm Wien, in: Ulrich Thürauf/Monika Stoermer (Hrsg.), Geist und Gestalt. Biographische Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vornehmlich im zweiten Jahrhundert ihres Bestehens. Bd. 2: Naturwissenschaften, München 1959, S. 114 – 117. 59 1849 – 1931; Friedrich Wilhelm Bautz/Traugott Bautz (Hrsg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. VII, Nordhausen 1994, S. 1559 – 1561. 60 1857 – 1936, in den ersten Jahren der Weimarer Republik für die Deutschnationale Volkspartei tätig; Rudolf Morsey, Michaelis, Georg, in: NDB 17 (1994), S. 432 – 434. 61 1878 – 1940; Degener, Wer ist’s? (Anm. 31), S. 58. 62 1843 – 1922; Erich Beyreuther, Dryander, Ernst von, in: NDB 4 (1959), S. 141 f. 63 1851 – 1936; Walter Waffenschmidt, Bittmann, Carl, in: NDB 2 (1955), S. 280.
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Marc von Knorring
Diese Autoren betonen etwa die Kompetenz der Abgeordneten besonders des preußischen Herrenhauses: „Schwerlich gab es in irgend einem Staat ein Parlament, in dem hervorragende Intelligenz, Bildung, Geist, staatsmännische Erfahrung und unparteiliche Staatsgesinnung sich in gleichem Maße verbunden hätten“;64 sie heben die fachlichen Fähigkeiten, das eigenständige Denken und die Königstreue der Führungsschichten hervor,65 die beispielhafte Finanzverwaltung und Haushaltsplanung sowie die Kulturpolitik des preußischen Staates,66 schließlich die Vorbildlichkeit des ungezwungenen Hofwesens.67 Außerdem findet sich auch hier eine energische Stellungnahme gegen Behauptungen über „die angebliche Unterdrückung der Polen im preußischen Staate“.68 Gerade, wenn man diese letzte Gruppe in die Betrachtung einbezieht, mit den anderen vergleicht und den einen oder anderen unklaren Fall beiseite lässt, wird die herausragende Bedeutung der politischen Grundhaltung und – gegebenenfalls in Kombination damit – der individuellen Lebenserfahrungen für das Preußenbild der Autobiographen deutlich. Die Konfession fällt dagegen in ihrer Bedeutung ab, Katholiken sind unter den Preußenkritikern unterrepräsentiert. Außerpreußische Autoren finden sich in allen Kategorien und sind überdies unter den negativen Stimmen klar in der Minderheit. Dass die beiden letztgenannten Kriterien einen zusätzlichen Einfluss auf das Preußenbild haben können, aber nicht müssen bzw. dessen Richtung nicht unbedingt prädestinieren, zeigt ein Vergleich etwa zwischen Stegerwald, Thoma und Jagemann. Nur der Vollständigkeit halber sei hier der leicht nachzuvollziehende Umstand hinzugefügt, dass die generationelle Verteilung der Autoren und die Streuung der Erscheinungsjahre ihrer Lebenserinnerungen keine nennenswerten Auffälligkeiten zeigen.69 III. Etwas überspitzt und glättend könnte man resümieren: Wer schon im Kaiserreich politisch links stand, sich persönlich benachteiligt fühlte oder beruflich enttäuscht 64 Ernst von Dryander, Erinnerungen aus meinem Leben, Bielefeld/Leipzig 1922, S. 251 f. (Zitat); Johannes Reinke, Mein Tagewerk, Freiburg i. Br. 1925, S. 246 ff. 65 Karl Bittmann, Werken und Wirken. Erinnerungen aus Industrie und Staatsdienst, 2 Bde., Karlsruhe 1924/25, I, S. 168, und II, S. 10; Wilhelm Wien, Ein Rückblick, in: Wilhelm Wien. Aus dem Leben und Wirken eines Physikers. Mit persönlichen Erinnerungen von E. v. Drygalski u. a., hrsg. v. Karl Wien, Leipzig 1930, S. 1 – 50, hier 20. 66 Ernst Bansi, Mein Leben. Der Erinnerungen II. Teil, Quedlinburg 1931, S. 41 f.; Georg Michaelis, Für Staat und Volk. Eine Lebensgeschichte, Berlin 1922, S. 253 – 256; Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen 1848 – 1914. 2., erg. Aufl. Leipzig 1928, S. 281. 67 Reinke, Mein Tagewerk (Anm. 64), S. 255, 258; Dryander, Erinnerungen (Anm. 64), S. 192. 68 Reinke, Mein Tagewerk (Anm. 64), S. 255. 69 Vgl. die Angaben zu den Lebensdaten der Autobiographen und den Erscheinungsjahren ihrer Publikationen in den obigen Anmerkungen.
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worden war, verbreitete in seinen Memoiren ein negatives Preußenbild. Die politische Komponente – im weiteren Sinne – schwindet freilich etwas in ihrer Bedeutung, zieht man aus den Reihen derjenigen 69 Autobiographen, denen Preußen nach 1918 keine Silbe wert war, diejenigen heran, die etwa als linksorientierte Politiker, Frauenrechtler oder Gewerkschafter a priori ebenfalls Grund gehabt hätten, Beschwerde zu erheben, dies aber nicht taten.70 Überdies finden sich zahlreiche Autoren im Gesamtkorpus, die nationalliberal oder konservativ eingestellt waren oder beruflichen Erfolg (gehabt) hatten, das Thema „Preußen“ jedoch nicht berühren.71 Noch einmal zugespitzt: Es spricht alles dafür, dass sich in der Weimarer Zeit vor allem die persönlich enttäuschten und frustrierten Autobiographen an Preußen abarbeiteten, für die große Mehrheit aber kein Problem „Preußen“ existierte bzw. von Interesse war. Und nach 1933? Nur ein Sechstel der Autobiographen, die ihre Werke in der NSZeit veröffentlichten (6 von 35), widmet sich auch Preußen. Negativ oder sehr kritisch urteilen der seit 1930 in Brüssel lebende, seit 1933 in Deutschland mit einem Publikationsverbot belegte Gesellschaftskritiker Carl Sternheim72, der linksorientierte Journalist und Pazifist Hellmut von Gerlach73, der sich 1933 vor seiner drohenden Verhaftung nach Österreich hatte retten können, sowie der gleich Sternheim ursprünglich jüdische, in jungen Jahren konvertierte Kunsthistoriker Werner Weisbach74, der seine Berliner Professur 1933 verloren hatte und seit 1935 in Basel lebte.75 Hier liegt natürlich nahe, dass alle drei sich angesichts ihrer bösen Erfahrungen mit dem NS-Regime auch wegen dessen Preußenpropaganda einschlägig äußern. Kritisch betrachtet darüber hinaus der Katholik, ehemals hochrangige Politiker, Militär und nationalpolnische Aktivist Bogdan von Hutten-Czapski76 die preußische Beamtenschaft, die Polenpolitik Berlins sowie das Dreiklassenwahlrecht, 70
Vgl. Knorring, Die Wilhelminische Zeit (Anm. 11), S. 320 ff., 340 ff. zu den Lebensdaten und Erinnerungswerken von Franz Behrens, Adam Josef Cüppers, Johannes Giesberts, Hedwig Heyl, Heinrich Imbusch, Heinrich Lange, Ludwig von Payer, Alice Salomon, Hetta von Treuberg und Josef Wiedeberg. 71 S. ebd., passim. 72 1878 – 1942; Wilhelm Emrich (Hrsg.), Carl Sternheim Gesamtwerk. Bd. 10/2: Nachträge. Anmerkungen zu den Bänden 1 bis 9. Lebenschronik, Neuwied/Darmstadt 1976, S. 1091 ff. 73 1866 – 1935; Adrien Robinet de Clery, Gerlach, Hellmut Georg von, in: NDB 6 (1964), S. 301 f. 74 1873 – 1953; Betthausen/Feist/Fork, Metzler Kunsthistorikerlexikon (Anm. 40), S. 458 – 461. 75 Carl Sternheim, Vorkriegseuropa im Gleichnis meines Lebens, Amsterdam 1936, S. 24, 31 – 35, 47 – 49, 51, 163; Hellmut von Gerlach, Von rechts nach links, hrsg. v. Emil Ludwig, Zürich 1937 (ND Hildesheim 1978), S. 81 f., 91, 95, 141; Werner Weisbach, „Und alles ist zerstoben“. Erinnerungen aus der Jahrhundertwende, Wien/Leipzig/Zürich 1937, S. 132. 76 1851 – 1937, u. a. Mitglied des Herrenhauses, Sekretär des Reichskanzlers Hohenlohe und Schlosshauptmann von Posen, im Ersten Weltkrieg engagierter Befürworter eines eigenständigen Königreichs Polen; Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie (Anm. 57), Bd. 5, München 2006, S. 222.
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spricht gar diffus von den „Gefahren des preußischen Deutschlands“77 – eine absolute Ausnahme unter den nach 1933 im Reich schreibenden und publizierenden Autobiographen. Gertrud Bäumer78 dagegen, ehemals Lehrerin, Publizistin, Funktionärin innerhalb der Frauenbewegung, liberale Politikerin im Reichstag und bis 1933 Ministerialrätin im Reichsinnenministerium, urteilt abwägend,79 wobei sie sich freilich auf unverdächtige Fragen des Mädchenschulwesens beschränkt. Gänzlich positiv, aber ebenfalls nur über einen Teilaspekt preußischer Geschichte, die Wissenschaftspolitik, schreibt allein der Universitätsprofessor Eugen Korschelt80 (ein Tiermediziner).81 Zahlreiche NS-affine oder an der NS-Herrschaft auf die eine oder andere Weise beteiligte Autoren der Zeit nach 1933 verzichten indessen auf jeglichen Preußenbezug.82 IV. Das Thema interessierte also offenbar auch nach der „Machtergreifung“ nicht übermäßig – NS-Preußenpropaganda und vermeintliche Traditionslinien hin oder her. Seine Behandlung wurzelte nach wie vor im persönlichen Erleben, gegebenenfalls Erleiden der Autobiographen. In der Weimarer Zeit waren es, aufs Ganze gesehen, knapp 25 % gewesen, die sich als Preußenkritiker positioniert hatten, immerhin eine klare Mehrheit unter denen, die sich überhaupt einschlägig äußerten. Sie trugen mit ihren Publikationen dazu bei, das öffentlich von einschlägiger Seite immer wieder kolportierte Negativklischee aufrechtzuerhalten und zu verstärken, was den Preußenfeinden im Innern und auch im Äußern, die gegebenenfalls danach suchten, nicht entgangen sein dürfte, zumal, wenn Prominenz im Spiel war wie bei Scheidemann, Pless, Lange und anderen Autoren – ihre Einlassungen kamen dem Urteil der Alliierten nur entgegen. Nach 1945 wurde das verzerrte Bild Preußens dann von den hiesigen Historikern mehrheitlich übernommen und gepflegt, was nicht unwesentlich 77 Bogdan von Hutten-Czapski, Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft, 2 Bde., Berlin 1936, I, S. 191, 318, 365 f., 413, 415, 504 f., 507 f., 557 (Zitat), und II, S. 17 f., 25, 32, 36. 78 1873 – 1954, u. a. Mitglied in Freisinniger Vereinigung und Fortschrittlicher Volkspartei, DDP und Deutscher Staatspartei, 1919 – 1932 Mitglied des Reichstags, seit 1920 zugleich Ministerialrätin; Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek 1990, S. 294 f.; Wedel, Autobiographien von Frauen (Anm. 21), S. 65 ff. 79 Gertrud Bäumer, Lebensweg durch eine Zeitenwende, Tübingen 1933, S. 149, 210 f., 217 f. 80 1858 – 1964; Ilse Jahn/Rolf Löther/Konrad Senglaub (Hrsg.), Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien, Jena 1982, S. 692 f. 81 Eugen Korschelt, Das Haus an der Minne. Erinnerungen aus einem langen Leben, Marburg 1939, S. 142. 82 Vgl. Knorring, Die Wilhelminische Zeit (Anm. 11), S. 320 ff., 340 ff. zu den Lebensdaten und Erinnerungswerken von Charlotte von Hadeln, Eugen Kühnemann, Rudolf Paulsen, Wilhelm von Scholz, Bogislav von Selchow und Hermann Stehr.
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zur Entfremdung vieler Deutscher von ihrer Geschichte beitrug und die Möglichkeiten positiver Bezugnahmen auf die Vergangenheit stark einschränkte.83 Man kann nicht sagen, dass sich dies grundlegend geändert hat, obwohl die historische Forschung – zumindest die ernstzunehmende, nicht mit Ressentiments behaftete – seit langem ein differenziertes Preußenbild zeichnet, die alten Vorurteile als unhaltbar erwiesen hat und dagegen, wie schon einige der oben zitierten Autobiographen, wesentliche positive Aspekte betont, nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit und Fortschrittlichkeit des preußischen Staates und seiner Gesellschaft.84 Heute liegt es freilich in erster Linie an weiten Teilen von Politik und Medien, dass überkommene Fehlurteile in der Öffentlichkeit nicht nur am Leben erhalten, sondern wiederbelebt werden. Die Vorgeschichte der „Auflösung“ Preußens per Dekret der Siegermächte im Jahr 1947 lehrt indessen: Grundständige historische Bildung tut not, denn historisches Wissen schützt vor Irrtümern und davor, noch fast acht Jahrzehnte nach dem Ende des „Dritten Reichs“ auf NS-Geschichtsmythen hereinzufallen.
83 Kraus, Zur Einführung (Anm. 2), S. 12 ff.; vgl. Kraus, Preußen als Lebensthema (Anm. 10), S. 297 ff. 84 Vgl. die eingangs zitierte Literatur sowie die einschlägigen Hinweise bei Hans-Christof Kraus, Neue und alte Perspektiven auf das Kaiserreich. Zu einigen neuen Publikationen zur deutschen Geschichte 1871 – 1918, in: Historisches Jahrbuch 142 (2022), S. 463 – 477.
Der Kaiser gegen Hitler? Zur Geschichte eines gefälschten Interviews Von Benjamin Hasselhorn, Würzburg I. Ein unbekanntes Interview? Wenn man den englischsprachigen Wikipedia-Eintrag über Wilhelm II. öffnet, stößt man auf ein überraschendes Zitat aus einem Interview, das der exilierte Kaiser im Dezember 1938 einer US-amerikanischen Zeitschrift gegeben haben soll. Darin erklärt Wilhelm II. in deutlichen Worten seine Abneigung gegen Adolf Hitler. Wer der Quellenangabe folgt, findet den Scan eines Artikels aus dem Magazin „Ken“ vom 15. Dezember 1938.1 Der dort nicht namentlich genannte Autor behauptet darin, Wilhelm II. Ende September 1938 in Doorn besucht zu haben, wo dieser ganz offen seinem Abscheu über Hitler Luft gemacht habe: Was er von Hitler halte? „Nichts!“ Dann folgt ein Monolog des Kaisers, der im Wikipedia-Eintrag leicht gekürzt wiedergegeben wird: „,There’s a man alone, without family, without children, without God. Why should he be human? Oh, without a doubt, he’s sincere: but this very excessive sincerity keeps him apart, out of touch, with men and realities … He builds legions, but he doesn’t build a nation. A nation is created by families, a religion, traditions: it is made up out of the hearts of mothers, the wisdom of fathers, the joy and the exuberance of children … Over there’ (here the good arm rose, pointing over Holland toward the Third Reich) ,an all-swallowing State, disdainful of human dignities and the ancient structure of race, sets itself up in place of everything else. And the man who, alone, incorporates in himself this whole State, has neither a God to honor nor a dynasty to conserve nor a past to consult …‘ And the circle of those surrounding him? ,For a few months I was inclined to believe in National Socialism. I thought of it as a necessary fever. And I was gratified to see that there were, associated with it for a time, some of the wisest and most outstanding Germans. But these, one by one, he has got rid of or even killed … Papen, Schleicher, Neurath – and even Blomberg. He has left nothing but a bunch of shirted gangsters!‘ The Emperor held his silence for a long moment before resuming his monologue: ,This man could bring home victories to our people each year, without bringing them either glory or (danger). But of our Germany, which was a nation of poets and musicians, of artists
1 http://www.oldmagazinearticles.com/pdf/Kaiser_Wm_and_Hitler.pdf (letzter Aufruf: 03. 09. 2022).
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and soldiers, he has made a nation of hysterics and hermits, engulfed in a mob and led by a thousand liars or fanatics …‘“2.
Wäre das Interview echt, würde dies eine Sensation für die Forschung über Wilhelm II. bedeuten. Denn eine öffentliche Äußerung des Kaisers gegen das NS-Regime oder gar Hitler persönlich war bislang nicht bekannt. Für die laufende Debatte über das Verhältnis des Kaisers zum Nationalsozialismus wäre eine solche Quelle von entscheidender Bedeutung. Es ist nämlich in der Forschung nach wie vor umstritten, wie ideologische Nähe und Distanz Wilhelms II. zum Nationalsozialismus zu gewichten sind. Sylvia Andler etwa geht davon aus, „daß Wilhelm II., ganz im Gegensatz zum Beispiel zu seinem Sohn August Wilhelm und dessen Sohn, den Nationalsozialisten und ihrer Gesinnung in der Regel sehr kritisch gegenüberstand, sie sogar ablehnte.“3 Auch Eberhard Straub attestiert dem Kaiser ideologische, vor allem religiös motivierte „Vorbehalte“4 gegenüber den Nationalsozialisten, wenn auch sein Verhältnis zur NSDAP „ambivalent“5 geblieben sei. Frank-Lothar Kroll warnt davor, aus der kurzzeitigen Bereitschaft des Kaisers zur „Kooperation mit Repräsentanten des ,Dritten Reiches‘“ auf „das Vorhandensein weitgehender ideologischer Übereinstimmungen mit den Absichten Hitlers zu schließen“ und verweist auf die „fundamentalen Qualitätsunterschiede zwischen der – erst nach seinem Sturz tendenziell aufkeimenden – Judenfeindschaft des Ex-Kaisers einerseits und dem kollektiven Rassen- und Vernichtungsantisemitismus des Nationalsozialismus andererseits.“6 Christopher Clark geht davon aus, dass Wilhelms „Haltung gegenüber der NS-Bewegung in erster Linie von Misstrauen und Feindseligkeit geprägt“7 gewesen sei. Und auch Jacco Pekelder, Joep Schenk und Cornelis van der Bas sind der Auffassung, die zeitweiligen Kooperationsversuche seien vor allem durch „Opportunismus“ zu erklären und nicht mit einer etwaigen „Identifikation mit dem Programm des Nationalsozialismus“; zwar habe Wilhelm II. „eine Reihe von Feindbildern“ mit Hitler geteilt, aber eben auch grundsätzlich ideologische „Vorbehalte“ gehabt.8 John Röhl dagegen geht von einer weitgehenden Kongruenz zwischen der ideologisch-politischen Haltung Wilhelms II. und dem Nationalsozialismus aus. Zwar sei der Kaiser 2
The Kaiser on Hitler, in: Ken vom 15. (?) Dezember 1938, S. 17: http://www.oldmagazine articles.com/what_did_Kaiser_Wilhem_think_about_Hitler-pdf. Gekürzt wiedergegeben in: https://en.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II,_German_Emperor (letzter Aufruf: 26. 09. 2022). 3 Sylvia Andler, „…ein neues Deutsches Reich unter mir erobern.“ Politische Verbindungen und Verbündete des Kaisers im Exil, in: Hans Wilderotter/Klaus-D. Pohl (Hrsg.), Der letzte Kaiser. Wilhelm II. im Exil, Gütersloh/München 1991, S. 143 – 149, hier S. 146. 4 Eberhard Straub, Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit. Die Erfindung des Reiches aus dem Geiste der Moderne, Berlin 2008, S. 339. 5 Ebd., S. 337. 6 Frank-Lothar Kroll, Wilhelm II. (1888 – 1918), in: ders. (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 22009, S. 290 – 310, hier S. 308. 7 Christopher Clark, Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008, S. 326. 8 Jacco Pekelder/Joep Schenk/Cornelis van der Bas, Der Kaiser und das „Dritte Reich“. Die Hohenzollern zwischen Restauration und Nationalsozialismus, Göttingen 2021, S. 37.
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irritiert worden durch die Weigerung Hitlers, die Monarchie wieder einzuführen und durch die antisemitischen Pogrome im November 1938, aber das sei jeweils nur von kurzer Dauer gewesen.9 Ähnlich sieht es der DDR-Historiker Willibald Gutsche, für den das „gespaltene Verhältnis des Exkaisers zu den Nationalsozialisten […] auch auf der Affinität zwischen seinem Weltbild und deren ideologischen Positionen“10 beruhte. Weniger umstritten ist die Beurteilung der konkreten politischen Optionen, die der Kaiser erwog. Hier dürfte weitgehende Einigkeit darüber bestehen, dass Wilhelm II. den Aufstieg des Nationalsozialismus seit dem „Erdrutschsieg“ bei den Reichstagswahlen im September 1930 eher begrüßte als ablehnte, zeitweise eine Restauration der Monarchie mit Hilfe der Nationalsozialisten erhoffte und auch von den anfänglichen „Erfolgen“ Hitlers angetan war, aber zugleich – privat – seine eigene ideologische Distanz betonte. Zum inneren Bruch mit der NSDAP kam es infolge der Reichstagsrede Hitlers vom 23. März 1933, in der dieser die Idee einer monarchischen Restauration „zur Zeit als indiskutabel“11 bezeichnete; spätestens nach der Anordnung Hitlers, die Feierlichkeiten anlässlich des 75. Kaisergeburtstages am 27. Januar 1934 aufzulösen beziehungsweise nach den Morden im Zusammenhang mit dem sogenannten „Röhm-Putsch“ Ende Juni 1934 war dieser Bruch besiegelt.12 Für die Zeit danach ist umstritten, ob die feindselige Haltung Wilhelms II. gegenüber Hitler bestehen blieb – dafür sprechen einige Tagebuchaufzeichnungen Sigurd von Ilsemanns, des letzten Adjutanten des Kaisers –, oder ob Wilhelm sich aufgrund der außenpolitischen „Erfolge“ Hitlers diesem wieder annäherte, wie John Röhl mit Verweis auf Briefe der „Kaiserin“ Hermine, aber auch des Kaisers selbst, meint.13 Ebenso umstritten ist die Gewichtung und Interpretation der privaten antisemitischen Äußerungen Wilhelms II. einerseits, der ebenfalls privaten Äußerungen, in denen Wilhelm die antisemitischen Pogrome vom 9. November 1938 ablehnte, sie als „Gangstertum“ bezeichnete und meinte, „da müssen die alten Offiziere und alle anständigen Deutschen protestieren“14, andererseits.15 Ähnliches gilt für das Glück9
John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900 – 1941, München 32018, S. 1302 – 1323. 10 Willibald Gutsche, Ein Kaiser im Exil. Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. in Holland. Eine kritische Biographie, Marburg 1991, S. 189. 11 Verhandlungen des Reichstages. Stenographische Berichte (Reichstagsprotokolle), Bd. 457, VIII. Wahlperiode 1933, Berlin 1934, S. 27. 12 Pekelder/Schenk/van der Bas, Der Kaiser und das „Dritte Reich“ (Anm. 8), S. 30 – 36; Clark, Wilhelm II. (Anm. 7), S. 330 – 332; Benjamin Hasselhorn, Politische Theologie Wilhelms II. (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 44), Berlin 2012, S. 263. 13 Sigurd von Ilsemann, Der Kaiser in Holland. Aufzeichnungen des letzten Flügeladjutanten Kaiser Wilhelms II., hrsg. von Harald von Koenigswald, Bd. 2: Monarchie und Nationalsozialismus 1924 – 1941, München 1968, S. 286 – 288, 331, 334; in diesem Sinne auch Clark, Wilhelm II. (Anm. 7), S. 331 – 332. Dagegen Röhl, Der Weg in den Abgrund (Anm. 9), S. 1314 – 1316. 14 Ilsemann, Der Kaiser in Holland, Bd. 2 (Anm. 13), S. 313 und 314.
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wunschtelegramm, das der Kaiser am 17. Juni 1940 anlässlich der militärischen Siege der Wehrmacht an Hitler sandte und bei dem umstritten ist, inwiefern dieses Ausdruck ehrlicher Freude war, der Sorge vor Repressalien entsprang oder in Wahrheit subtile Kritik enthielt.16 Ein Interview Wilhelms II. vom September 1938, in dem dieser Hitler öffentlich die Gegnerschaft erklärte, würde den bisherigen Forschungsstand fundamental ändern, zumal das Fehlen öffentlicher Äußerungen des Kaisers gegen den Nationalsozialismus immer wieder als Argument für die These einer weitgehenden ideologischen Übereinstimmung verwendet wird.17 Allerdings ist das Interview nicht echt. Das jedenfalls geht aus den im Folgenden dargelegten Quellenrecherchen mit einiger Sicherheit hervor. Dennoch sollte das Interview bei der Beurteilung des Verhältnisses Wilhelms II. zum Nationalsozialismus berücksichtigt werden, nicht zuletzt aufgrund der Wirkungen, die die Veröffentlichung entfaltete. Die folgenden Überlegungen sollen in diesem Sinne auch verstanden werden als Beitrag zur Geschichte von Fake News. II. Der Forschungsstand Das Interview hat in der Forschung über Wilhelm II. bisher kaum Spuren hinterlassen. John Röhl erwähnt es in seiner dreibändigen Biographie nicht, zumal er der Exilzeit nur einen relativen knappen Raum widmet.18 Auch in den Arbeiten Willibald
15 John Röhl hält den Antisemitismus für ein „Kernelement“ von Wilhelms Weltanschauung und meint, er sei in dieser Hinsicht ein „Vorbote Hitlers“; Christopher Clark dagegen hält den Antisemitismus des Kaisers für lediglich „reaktiv“ (John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888 – 1900, München 2001, S. 165; John C. G. Röhl, Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, München 1987, S. 204; Clark, Wilhelm II. (Anm. 7), S. 328). Zur Diskussion über den Antisemitismus des Kaisers: Pekelder/Schenk/van der Bas, Der Kaiser und das „Dritte Reich“ (Anm. 8), S. 37 – 44. 16 Eberhard Straub verweist einerseits darauf, dass selbst Liberale wie Friedrich Meinecke von den Siegen der Wehrmacht 1940 begeistert waren, andererseits auf den Wortlaut des Glückwunschtelegramms Wilhelms an Hitler vom 17. Juni 1940, in dem dieser nicht Hitler, sondern Gott für den Sieg der deutschen Truppen dankte: Straub, Kaiser Wilhelm II. (Anm. 4), S. 341 – 342. Ähnlich beurteilt es Christopher Clark: „Da Angehörige seines Gefolges ihm mitteilten, dass Hitler ungehalten über das Versäumnis Wilhelms sei, ihm für seine Erfolge zu gratulieren, schickte er jetzt ein Telegramm und lobte den ,Führer‘ für diesen ,von Gott geschenkten Sieg‘. Dass diese Geste Wilhelms Ansehen bei Hitler nicht gerade verbesserte, versteht sich von selbst.“ (Clark, Wilhelm II. (Anm. 7), S. 332). John Röhl verzichtet auf eine Interpretation und betont die Freude des Kaisers über die Siege der Wehrmacht: Röhl, Der Weg in den Abgrund (Anm. 9), S. 1320. Ähnliches gilt für Pekelder/Schenk/van der Bas, Der Kaiser und das „Dritte Reich“ (Anm. 8), S. 34. 17 So vor allem bei Gutsche, Ein Kaiser im Exil (Anm. 10), S. 190; aber auch bei Röhl, Der Weg in den Abgrund (Anm. 9) S. 1298; Stephan Malinowski, Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration, Berlin 2021, S. 465 – 466. 18 Röhl, Der Weg in den Abgrund (Anm. 9), S. 1298 – 1326.
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Gutsches über die Exilzeit Wilhelms II. wird das Interview nirgends erwähnt.19 Und auch in der Studie von Jacco Pekelder, Joep Schenk und Cornelis van der Bas über den Kaiser und das „Dritte Reich“ kommt es nicht vor.20 Ganz unbekannt ist es in der älteren wie jüngsten Forschung allerdings nicht. In insgesamt vier Arbeiten wird es erwähnt, und die Diskrepanz der Interpretationen und Mutmaßungen allein zeigt bereits, dass hier weiterer Forschungsbedarf besteht. Die früheste Erwähnung findet sich in der 1978 erschienenen Wilhelm-Biographie des britischen Historikers Alan Palmer. Palmer verweist auf die Spuren, die das Interview in den Akten des britischen Außenministeriums hinterlassen hat: „Und das britische Außenministerium nahm mit Aufregung ein Interview zur Kenntnis, das in einer amerikanischen Zeitschrift erschienen war und von dem der Daily Telegraph am 8. Dezember [1938] berichtet: Angeblich hatte Wilhelm das Naziregime rundheraus verdammt. Doch zwei Tage später verlautete aus Doorn, das Interview sei eine Fälschung, außerdem äußere Wilhelm sich nie öffentlich über Probleme der Tagespolitik.“21
Laut Palmer erregte das Interview also erstens internationales Aufsehen und wurde zweitens vonseiten des Kaisers dementiert. Genaueres zu Letzterem weiß Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen in seiner – in erster Auflage 1985 erschienenen – Dissertation über das Haus Hohenzollern und den Nationalsozialismus zu berichten. Auch er nennt den Daily Telegraph als Erstveröffentlichungsort und kennt zudem den Namen des Interviewers: „W. Burckhardt“. Mit Verweis auf die in Utrecht befindlichen Bestände des Doorner Exilnachlasses Wilhelms II. und auf Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin führt Prinz von Preußen aus, dass Wilhelm von Dommes, der damalige Generalbevollmächtigte Wilhelms II., gegenüber der NS-Regierung versucht habe, das Interview als eine Fälschung zu deklarieren. Ob es sich wirklich um eine Fälschung handle, lässt Prinz
19 Willibald Gutsche, Zur Rolle von Nationalismus und Revanchismus in der Restaurationsstrategie der Hohenzollern 1919 bis 1933, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 34 (1986), S. 621 – 632; Willibald Gutsche, Wilhelm II. Der letzte Kaiser des Deutschen Reiches. Eine Biographie, Berlin 1991; Gutsche, Ein Kaiser im Exil (Anm. 10); Willibald Gutsche, Illusionen des Exkaisers. Dokumente aus dem letzten Lebensjahr Kaiser Wilhelms II. 1940/ 41, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 39 (1991), S. 1021 – 1037; Willibald Gutsche, Monarchistische Restaurationsstrategie und Faschismus. Zur Rolle Wilhelms II. im Kampf der nationalistischen und revanchistischen Kräfte um die Beseitigung der Weimarer Republik, in: John C. G. Röhl (Hrsg.), Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 17), München 1991, S. 288 – 296. 20 Pekelder/Schenk/van der Bas, Der Kaiser und das „Dritte Reich“ (Anm. 8). 21 Alan Palmer, Kaiser Wilhelm II. Glanz und Ende der preußischen Dynastie, Wien u. a. 1982, S. 290. Als Quellenbeleg ist angegeben: Daily Telegraph, 8. und 10. Dezember 1938, auf diese Artikel bezügliche Korrespondenz: FO 371/12665. Laut Online-Findbuch des National Archive enthält diese Signatur allerdings nur Akten des Jahres 1927; eine entsprechende Anfrage blieb ohne Ergebnis.
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von Preußen dabei offen und betont die beharrliche, bis zum Juni 1940 dauernde Weigerung des Kaisers, Hitler öffentlich zu dessen „Erfolgen“ zu gratulieren.22 Eine Echtheit des Interviews wird auch in der dritten Erwähnung in Betracht gezogen: In einem für den von Hans Wilderotter und Klaus D.-Pohl herausgegebenen Ausstellungskatalog über die Exilzeit Wilhelms II. verfassten Aufsatz über die politischen Verbindungen des Kaisers im Exil erwähnt Sylvia Andler das Interview und verweist auf den entsprechenden Ausschnitt des Daily Telegraph in der Zeitungsausschnittsammlung im Doorner Nachlass Wilhelms II.23 Andler formuliert im Blick auf die Echtheit des Interviews vorsichtig, hält diese aber nicht für ausgeschlossen, da das Interview die auch ansonsten belegte ablehnende Haltung Wilhelms II. gegenüber Hitler bestätigen würde.24 Diese Argumentation ist zwar prinzipiell nachvollziehbar, übergeht aber, dass eine öffentliche Äußerung des Kaisers gegen Hitler etwas qualitativ anderes wäre als eine private. Viertens schließlich erwähnt Stephan Malinowski das Kaiser-Interview in seinem 2021 erschienenen Buch „Die Hohenzollern und die Nazis“. Malinowski deklariert das Interview als zweifelsfreie Fälschung und behauptet, dass das Interview die Grundlage für das quellenmäßig ansonsten nicht belegte Zitat des Kaisers sei, angesichts der Pogromnacht vom 9. November 1938 schäme er sich zum ersten Mal, ein Deutscher zu sein. Außerdem vermutet Malinowski, das Interview sei „unter Beteiligung des britischen Geheimdienstes“25 zustande gekommen. Gründe oder Belege gibt er dafür allerdings nicht an. Dasselbe gilt für das – tatsächlich nicht hinreichend belegte26 – Zitat des Kaisers vom November 1938, er schäme sich nun erstmals, ein Deutscher zu sein; was das mit dem Interview zu tun haben soll, in dem der Satz auch nicht auftaucht, bleibt unklar. Die von Malinowski angegebenen Belege zeigen allerdings, dass das Kaiser-Interview schon am 30. September 1938 in der französischen Zeitschrift Voilà veröffentlicht wurde. Es erschien bereits hier unter dem Autorennamen W. Burckhardt und enthielt zusätzlich zu dem im Ken-Magazin abgedruckten Text noch eine Art Vorspann, der genauere Kenntnisse über die Doorner Verhältnisse und die für den Kaiser relevanten Kontaktpersonen suggerierte. Insbesondere behauptete „Burckhardt“, er sei neben dem Jugendfreund Wilhelms, Poultney Bigelow,
22 Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen, „Gott helfe unserem Vaterland“. Das Haus Hohenzollern 1918 – 1945, München 22003, S. 149 – 152. 23 Riksarchief in Utrecht, Inventar 14: Archiv des Ex-Kaisers Wilhelm II. während seines Aufenthalts in den Niederlanden, 1918 – 1941 (RA Utrecht), Fasz. 641, Bl. 542. Der Ausschnitt ist allerdings unbeschriftet und undatiert. 24 Andler, Politische Verbindungen und Verbündete des Kaisers im Exil (Anm. 3), S. 148. 25 Malinowski, Die Hohenzollern und die Nazis (Anm. 17), S. 466. 26 Das Zitat taucht erstmals auf bei Michael Balfour, Der Kaiser. Wilhelm II. und seine Zeit, Frankfurt am Main u. a. 1967, S. 456. Balfour verweist als Beleg auf Klaus W. Jonas, The Life of Crown Prince William, London 1961, S. 175 und 190. Dort steht aber weder das Zitat noch geht es dort überhaupt um die Haltung des Kaisers zur Pogromnacht.
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der einzige Journalist, der den Kaiser im Jahr 1938 habe empfangen dürfen.27 Malinowski verweist zudem auf einige Zeitungsartikel, in denen das Doorner Dementi abgedruckt wurde; unter den Belegstellen findet sich allerdings auch ein Artikel aus der New York Times, der zwar mit dem Interview gar nichts zu tun hat, dafür aber zeigt, dass die – belegten28 – privaten Äußerungen des Kaisers, in denen er die antisemitischen Pogrome vom 9. November 1938 missbilligte, entgegen bisherigen Annahmen durchaus zumindest als Gerücht in die Öffentlichkeit drangen. Am 18. November 1938 nämlich berichtete die New York Times: „Kaiser Disapproves Outrages DOORN, The Netherlands, Nov. 17. Although the former Kaiser of Germany refuses to discuss recent events in Germany, it is learned from his intimates that he does not conceal his reprobation of the Anti-Semitic outrages. It is recalled that the Kaiser formerly had many Jewish friends.“29
III. Die Quellenlage Das Erscheinen des Kaiser-Interviews in der französischen Zeitschrift Voilá am 30. September 1938 scheint zunächst vollkommen folgenlos geblieben zu sein. In 27 Une entrevue sensationelle: Guillaume II déclare à l’envoyé spécial de Voilà ce qu’il pense d’Hitler et des événements actuels, in: Voilà vom 30. September 1938. Vgl. Malinowski, Die Hohenzollern und die Nazis. (Anm. 17), S. 719, Fußnote 114. Der Artikel ist als Scan im Internet verfügbar: http://kaiser-wilhelm-ii.over-blog.com/2013/11/53-un-entretien-avec-guil laume-ii-en-septembre-1938.html (letzter Zugriff: 26. 09. 2022). 28 Es handelt sich dabei um zwei Tagebucheinträge Sigurd von Ilsemanns und einen Brief des Kaisers an Queen Mary: Ilsemann, Der Kaiser in Holland, Bd. 2 (Anm. 13), S. 313 und 314; Kaiser Wilhelm II. an Queen Mary, 13. November 1938, RA GV/CC 46/272, zit. bei Röhl, Der Weg in den Abgrund (Anm. 9), S. 1321. Laut Ilsemann sagte Wilhelm II. am 14. November 1938: „Es ist ja eine Schande, was da jetzt zu Hause vor sich geht. Jetzt wird es höchste Zeit, daß die Armee eingreift, viel hat sie sich gefallen lassen, dies darf sie unter keinen Umständen mitmachen, da müssen die alten Offiziere und alle anständigen Deutschen protestieren. Aber alle sahen dieses Morden und Brennen – und rührten keinen Finger. Bisher war das ganze Nazitum der versteckte Bolschewismus, jetzt aber ist es der offene geworden. Länder müßten ihre Gesandten und Vertretungen abberufen, dann würden die Nazis schon klein beigeben. Auch die Auslandsdeutschen müssen sich jetzt von allen Naziverpflichtungen frei machen, dann werden die in Deutschland folgen.“ Am 24. November 1938 habe er darüber hinaus seinem Sohn August Wilhelm erklärt, „daß jeder anständige Mensch dieses Vorgehen als Gangstertum bezeichne“. An Queen Mary schrieb Wilhelm II.: „Ich bin volkommen entsetzt über die jüngsten Ereignisse zu Hause! Reiner Bolschewismus!“ 29 Kaiser Disapproves Outrages, in: New York Times vom 18. November 1938, S. 3. Der Artikel ist im Internet über die kostenpflichtige Suchplattform ProQuest verfügbar. Die anderen von Malinowski genannten Belege für das Dementi das Interviews sind: Een gefingeerd interview. De ex-keizer en Hitler, in: Het Vaderland vom 8. Dezember 1938; Het gefingeerde interview te Doorn, in: Het Vaderland vom 9. Dezember 1938; Ex-Kaiser’s Denial of Reported Interview, in: Manchester Guardian vom 9. Dezember 1938; Story denied, in: South China Morning Post vom 9. Dezember 1938; Denial by Kaiser, in: South China Morning Post vom 16. Dezember 1938. Vgl. Malinowski, Die Hohenzollern und die Nazis (Anm. 17), S. 720, Fußnote 115.
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Doorn wie im Rest der Welt beschäftigte man sich mit dem Interview erst seit dem 8. Dezember, nachdem die englische Fassung im amerikanischen Magazin Ken erschienen war.30 In der internationalen Presse scheint das Interview wie eine Bombe eingeschlagen zu sein. Die Internetplattform „Trove“, die Digitalisate aus australischen Archiven und Bibliotheken bereitstellt, darunter zahlreiche historische Zeitungen, verzeichnet jedenfalls allein für Australien mindestens 61 Artikel über das Interview.31 In den meisten Fällen wurde lediglich die Tatsache des Interviews 30 Ein Exemplar des Artikels aus dem Ken-Magazin befindet sich in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 198. 31 https://trove.nla.gov.au/newspaper/. Es handelt sich um folgende Artikel: Kaiser Speaks – on Hitler, in: The Daily vom 7. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser on Hitler, in: The Telegraph vom 8. Dezember 1938, S. 15; The Ex-Kaiser Castigates Herr Hitler, in: Advocate vom 8. Dezember 1938, S. 1; Attack on Hitler, in: Balonne Beacon vom 8. Dezember 1938, S. 5; Kaiser on Hitler, in: Goulburn Evening Penny Post vom 8. Dezember 1938, S. 5; „Nothing“, in: Warwick Daily News vom 8. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser on Hitler, in: Newcastle Morning Herald and Miners’ Advocate vom 8. Dezember 1938, S. 13; Ex-Kaiser Attacks Hitler, in: Border Watch vom 8. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser Makes Sensational Attack on Herr Hitler, in: The Evening News vom 8. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser Bitterly Attacks Herr Hitler, in: Border Morning Mail vom 8. Dezember 1938 , S. 1; Ex-Kaiser Turns on Hitler, in: The Advertiser vom 8. Dezember 1938, S. 23; Attacked Hitler, in: Daily Examiner vom 8. Dezember 1938, S. 5; Does Not Think Much of Hitler, in: The Dubbo Liberal and Macquarie Advocate vom 8. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser on Hitler, in: The Sydney Morning Herald vom 8. Dezember 1938, S. 11; The Ex-Kaiser Speaks, in: Kalgoorlie Miner vom 8. Dezember 1938, S. 5; The Ex-Kaiser’s View on Hitler, in: Queensland Times vom 8. Dezember 1938, S. 9; Bunch of Gangsters, in: Recorder vom 8. Dezember 1938, S. 1; Hitler, in: Daily Examiner vom 8. Dezember 1938, S. 5; Ex-Kaiser Speaks, in: The Canberra Times vom 8. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser on Hitler, in: Lithgow Mercury vom 8. Dezember 1938, S. 4; Ex-Kaiser on Hitler, in: The Age vom 8. Dezember 1938, S. 11; „Alone and Godless“, in: The Mercury vom 8. Dezember 1938, S. 13; Man Without a God, in: Examiner vom 8. Dezember 1938, S. 9; „Nix“, in: National Advocate vom 8. Dezember 1938, S. 1; ExKaiser’s Opinion of Herr Hitler, in: Cootamundra Herald vom 8. Dezember 1938, S. 1; ExKaiser’s Opinion of Herr Hitler, in: Daily Advertiser vom 8. Dezember 1938, S. 3; Led by Liars, in: The Maitland Daily Mercury vom 8. Dezember 1938, S. 4; Notes on the News, in: The Telegraph vom 8. Dezember 1938, S. 16; The Ex-Kaiser, in: Geraldton Guardian and Express vom 8. Dezember 1938, S. 4; Hitler – „No Past Nor Future“ – Ex-Kaiser, in: Northern Star vom 8. Dezember 1938, S. 1; Character Study, in: Mount Barker and Denmark Record vom 8. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser on Hitler, in: The West Australian vom 8. Dezember 1938, S. 21; Character Study, in: The Albany Advertiser vom 8. Dezember 1938, S. 1; Hitler is Nothing Says Kaiser, in: The Courier-Mail vom 8. Dezember 1938, S. 1; Man Without a God, in: The Northern Miner vom 9. Dezember 1938, S. 2; Brown-Shirt Gangsters, in: Townsville Daily Bulletin vom 9. Dezember 1938, S. 4; Ex-Kaiser on Hitler, in: Northern Times vom 9. Dezember 1938, S. 7; Ex-Kaiser Speaks, in: Examiner vom 9. Dezember 1938, S. 8; Ex-Kaiser on Hitler, in: Daily Mercury vom 9. Dezember 1938, S. 7; Herr Hitler, in: The Corowa Free Press vom 9. Dezember 1938, S. 5; Ex-Kaiser Breaks Silence, in: Northern Standard vom 9. Dezember 1938, S. 14; Hitler and the Former Kaiser, in: The Advertiser vom 9. Dezember 1938, S. 30; „Hitler Is Nothing“, in: The Forbes Advocate vom 9. Dezember 1938, S. 5; Ex-Kaiser on Hitler, in: The Albury Banner and Wodonga Express vom 9. Dezember 1938, S. 8; Former Kaiser’s View of Hitler, in: Singleton Argus vom 9. Dezember 1938, S. 2; Ex-Kaiser on Hitler, in: The Scone Advocate vom 9. Dezember 1938, S. 1; The Kaiser on Hitler, in: The Cessnock Eagle and South Maitland Recorder vom 9. Dezember
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berichtet und ein Auszug aus den Äußerungen des Kaisers wiedergegeben. Zweifel an der Echtheit wurden nirgends geäußert32, manche Artikel brachten das Kaiser-Interview sogar in eine eigentümliche Parallele zu Äußerungen Mahatma Gandhis, der sich kurz zuvor ebenfalls scharf kritisch gegen Hitler ausgesprochen hatte. In vielen Artikeln wurde betont, dass der Kaiser mit diesem Interview sein langjähriges Schweigen über die politischen Verhältnisse in Deutschland gebrochen habe. Eher selten wurde das Interview darüber hinaus kommentiert; wenn, dann durchweg positiv. Im Kalgoorlie Miner etwa hieß es: „Wilhelm’s summary is so largely accurate that despite the prejudices of 20 odd years ago, we realise that he is very human after all. His description of the Nazi State is a masterpiece.“33
Der Telegraph in Brisbaine brachte darüber hinaus einen – offensichtlich satirisch gemeinten – „Bericht“ darüber, wie Hitler, zum Kaiser-Interview befragt, seinem Ärger über Wilhelm II. Luft gemacht und die Meinung geäußert habe, dieser sei in Wahrheit nur neidisch auf die Leistungen des „Führers“.34 Ernst gemeint war dagegen ein langer Artikel in The Advertiser, dessen Autor ausführte, dass Hitler und Wilhelm II. zwar anscheinend aus derselben Denkschule (nämlich derjenigen Houston Stewart Chamberlains) stammten, aber man doch letztlich eine absolute Grenze zwischen dem „autoritären“ System des Kaiserreichs und dem „totalitären“ System der Nationalsozialsten ziehen müsse: „The Germany of the ex-Kaiser was in many respects anti-liberal; but it was not a despotism. (…) There is an immense gap between a paternal autocracy, to which the old Germany might be likened, and a dictatorship fashioned in the form of Nazism.“35
Auch in Doorn wurde, wie die Bestände des Exilnachlasses Wilhelms II. zeigen, das Interview erst ab dem 8. Dezember 1938 bekannt. An diesem Tag schrieb der bri1938, S. 8; Wilhelm and Hitler, in: The Newcastle Sun vom 10. Dezember 1938, S. 6; The ExKaiser, in: The Irwin Index vom 10. Dezember 1938, S. 1; The Ex-Kaiser, in: Murchison Times and Cue-Big Bell-Reedy Advocate vom 10. Dezember 1938, S. 2; Kaiser and Dictator, in: Kalgoorlie Miner vom 10. Dezember 1938, S. 6; Hitler Tells His Own Story, in: Sunday Mail vom 11. Dezember 1938, S. 2; Kaiser on Hitler, in: The Gundagai Independent vom 12. Dezember 1938, S. 2; „Not Understood“, in: The Maitland Daily Mercury vom 12. Dezember 1938, S. 6; Ex-Kaiser on Hitler, in: Bowen Independent vom 12. Dezember 1938, S. 5; Hitler’s Germany, in: Western Star and Roma Advertiser vom 14. Dezember 1938, S. 1; Ex-Kaiser Breaks Silence, in: Chronicle vom 15. Dezember 1938, S. 45; Germany a Nation of Hysterics, in: Labor Call vom 15. Dezember 1938, S. 16; Parade, in: Western Mail vom 15. Dezember 1938, S. 61; Ex-Kaiser on Hitler, in: Daily Advertiser vom 6. Januar 1939, S. 2; ,Shirted Gangsters‘, in: The Australian Jewish Herald vom 19. Januar 1939, S. 1. 32 Die Zeitung „Border Watch“ brachte immerhin, wenn auch eher versteckt und relativ spät, nämlich am 31. Dezember 1938, eine Information über das Dementi aus Doorn: 1938 – 1939, in: Border Watch vom 31. Dezember 1938, S. 3. 33 Kaiser and Dictator, in: Kalgoorlie Miner vom 10. Dezember 1938, S. 6. 34 Notes on the News, in: The Telegraph vom 8. Dezember 1938, S. 16. 35 Hitler and the Former Kaiser, in: The Advertiser vom 9. Dezember 1938, S. 30.
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tische Journalist Norman Edwards (The Amalgated Press Ltd.) an den Kaiser, verwies auf das im Ken-Magazin erschienene Interview und bat um Stellungnahme: „I should be most grateful if Your Majesty could inform me whether this interview, as published in the American magazine KEN, is a bona fide article, and one which meets with Your Majesty’s full approval.“36
Der Kaiser notierte am Rand handschriftlich: „no!“ und: „a pack of foul & filthy lies! A gigantic fake!“37 Am selben Tag kabelte der mit Wilhelm II. befreundete amerikanische Journalist Sylvester Viereck nach Doorn und fragte ebenfalls nach der Authentizität des Interviews, das ein gewisser W. Burckhardt mit dem Kaiser für ein „evidently antigerman leftwing periodical“ geführt zu haben behaupte und dessen zitierte Bemerkungen des Kaisers über Hitler und Nazi-Deutschland „may have momentous consequences for Imperial House and Germany“.38 Auch hier notierte Wilhelm II. am Rand handschriftlich: „a pack of lies! never saw a man called Burckhardt, or used such nonsensical language!“39 Noch am selben Tag schien man in Doorn eine Reaktion gegenüber dem NS-Regime für geboten zu halten. Am 8. Dezember schrieb der Generalbevollmächtigte des Kaisers, Wilhelm von Dommes, an Reichsminister Hans Heinrich Lammers: „Sehr verehrter Herr Reichsminister! Soeben wurde ich vom Hofmarschallamt Doorn angerufen. Dort ist von verschiedenen ausländischen Pressestellen angefragt worden, ob ein der Presse angebotenes ,Interview‘ eines gewissen Burckhard auf Wahrheit beruhe. In diesem Interview werden Seiner Majestät dem Kaiser gehässige Urteile über die Verhältnisse in Deutschland, insbesondere über den Führer und Reichskanzler in den Mund gelegt. Um jeden Zweifel auszuschließen, erkläre ich, daß das angebliche Interview von Anfang bis zu Ende auf freier Erfindung beruht. Seine Majestät empfängt grundsätzlich niemals Berichterstatter. Der sogenannte Burckhard ist in Doorn und hier unbekannt. Ich würde dankbar sein, wenn Sie von vorstehender Erklärung (wenngleich sie nur eine selbstverständliche Tatsache feststellt) die zuständigen Stellen in Kenntnis setzen wollten – insbesondere auch das Propaganda-Ministerium wegen der deutschen Presse. Mit deutschem Gruß Ihr ganz ergebener gez. v. Dommes.“40 36 Norman Edwards an Kaiser Wilhelm II., 8. Dezember 1938: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 174. 37 Ebd. 38 Sylvester Viereck an Kaiser Wilhelm II., 7./8. Dezember 1938 (Abschrift), in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 174. 39 Ebd. 40 Wilhelm von Dommes an Hans Heinrich Lammers, 8. Dezember 1938 (Durchschlag), in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 196.
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Auf die Anfrage des Amalgated-Press-Journalisten Norman Edwards antwortete das Doorner Hofmarschallamt am 10. Dezember, ein W. Burckhardt sei niemandem in Doorn bekannt, und verwies auf ein bereits in der englischen Presse erschienenes Dementi. Die Formulierung, der Inhalt des vermeintlichen Interviews sei „völlig aus der Luft gegriffen“ änderte der Kaiser in seinem Exemplar der Abschrift des Briefes handschriftlich zu „eine unverschämte Lüge“ und notierte außerdem an den Rand: „in Zukunft schärfer fassen! Die That beim rechten Namen nennen, wenn es sich um Kaisers Ehre handelt“41. Das erwähnte Dementi erfolgte gegenüber dem Daily Telegraph, der das Interview am 8. Dezember veröffentlicht hatte. Es wurde am 9. Dezember abgedruckt: „The ex-Kaiser to-day described as ,pure fantasy‘ the report of an interview which ,Ken,‘ an American magazine, says it has had with him, and in which he is represented as attacking Herr Hitler and the Nazi régime. An official denial reads: ,The interview published in New York is entirely incorrect and a complete fantasy.‘ ,The statements attributed to the ex-Kaiser in no way correspond to his Majesty’s views.‘ ,The journalist by whom the interview is signed was never received by the Kaiser, nor is he known at Doorn House.‘ It is pointed out here that by the terms of his residence in Holland the ex-Kaiser is forbidden any political activity, and he has always scrupulously adhered to this condition.“42
Die Angelegenheit war damit allerdings noch nicht erledigt: Offenbar schloss sich eine juristische Auseinandersetzung zwischen Doorn und dem Daily Telegraph an. Das geht nicht nur aus den Tagebuchaufzeichnungen43 Ilsemanns hervor, sondern auch aus den Doorner Akten: Am 8. Mai 1939 schrieb der Direktor des Daily Telegraph, Frederick Lawson, an Wilhelm von Dommes und erklärte, man sei durch eigene Recherchen inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass das Interview eine Fälschung sei. Man bitte den Kaiser um Entschuldigung und biete an, ein weiteres Statement zu der Sache abzudrucken, wenn er dies wünsche; außerdem übernehme man sämtliche Anwaltskosten, die dem Kaiser infolge der Angelegenheit entstanden seien.44 Der Kaiser betrachtete die Angelegenheit gegenüber dem Daily Telegraph daraufhin als erledigt.45
41 Hofmarschallamt Doorn an The Amalgated Press, Ltd., 10. Dezember (Durchschlag), in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 200. 42 Our Own Correspondent, and Reuter, Denial from Doorn. Interview with Kaiser Repudiated, in: Daily Telegraph vom 9. Dezember 1938, S. 17. Dazu auch: Frederick Lawson an Wilhelm von Dommes, 8. Mai 1939 (Abschrift), in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 395. 43 Ilsemann, Der Kaiser in Holland, Bd. 2 (Anm. 13), S. 325 – 326. Ausführlicher dazu unten. 44 Frederick Lawson an Wilhelm von Dommes, 8. Mai 1939 (Abschrift), in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 395 – 396.
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Zur selben Zeit wurde das Interview auch gegenüber dem NS-Regime noch einmal angesprochen. Am 7. Mai 1939 sprach Wilhelm von Dommes in Berlin mit dem Vertreter des Chefs der Reichskanzlei, Reichskabinettsrat Hermann von Stutterheim, und erklärte ihm laut eigener Gesprächsnotiz: „Seine Majestät der Kaiser hat mich (da in Amerika eine derartige Klage bekanntlich aussichtslos ist) beauftragt, die englische Zeitung, die die Fälschung zuerst gebracht hat, den ,Daily Telegraph‘, zu verklagen. Der ,Daily Telegraph‘ hat daraufhin erklärt: er habe sich davon überzeugt, daß es sich um eine Fälschung handle; er bitte seine Majestät um Entschuldigung; er sei zu einer nochmaligen dementsprechenden Erklärung in seinem Blatte bereit; er wolle die entstandenen Kosten übernehmen. Unter diesen Umständen war die Durchführung der Klage zwecklos. […] Der Grund dafür, daß derart plumpe Fälschungen immerhin Glauben finden können, liegt darin, daß es für uns unmöglich ist, Unrichtigkeiten in der Oeffentlichkeit richtig zu stellen. Deshalb können manche Gerüchte, die vielleicht von irgendwem lanciert werden, sich festsetzen. Dazu gehört u. a. das Gerede, Seine Majestät der Kaiser stehe dem großen Geschehen in Deutschland fremd, wenn nicht gar ablehnend gegenüber. Das Gegenteil ist wahr. Der Kaiser nimmt an allem, was in Deutschland geschieht, wärmsten Anteil. Er ist glücklich über alles, was zur Erstarkung unseres Vaterlandes erfolgt. Das kommt bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck – so gerade jetzt wieder bei der großen Reichstagsrede des Führers. Ich war an dem Tage in Doorn und bin Zeuge des Widerhalls gewesen, den die Ausführungen des Führers beim Kaiser gefunden haben. Daß Seine Kaiserliche Hoheit der Kronprinz und die anderen Glieder des Königlichen Hauses ebenso denken, brauche ich nicht zu sagen; alle wehrfähigen Königlichen Prinzen bestätigen diese Auffassung im Dienst der Wehrmacht. Die Tatsache, daß Gerüchte wie die vorstehend erwähnten auftauchen (die Presse bringt auch zuweilen falsche Angaben), erweckt in mir die Befürchtung, solche Dinge könnten auch an den Führer herangetragen werden und zu Mißverständnissen Anlaß geben. Daher meine Bitte, mir einen kurzen Empfang beim Herrn Reichsminister Lammers zu erwirken, damit ich ihm das Gleiche vortragen und ihn bitten kann, es dem Führer zu übermitteln.“46
Was war die Ursache für diesen erneuten Vorstoß, nachdem man doch das Interview gegenüber Lammers schon ein halbes Jahr zuvor als Fälschung deklariert hatte? Einen möglichen Hinweis liefert Sigurd von Ilsemann, der zwar in seinen Aufzeichnungen nichts über den unmittelbaren Zusammenhang der Interviewveröffentlichung Ende 1938 berichtet, aber dafür Dommes’ zweiten Anlauf, mögliche Verstim-
45 Graf von Moltke an The Daily Telegraph and Morning Post, 9. Mai 1939, in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 396. 46 Wilhelm von Dommes, Notiz für Herrn Reichskabinettsrat v. Stutterheim, 7. Mai 1939 (Abschrift), in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 398 – 399. Über der Notiz ist handschriftlich vermerkt: „Einverstanden Doorn 12. V. 39 W.“ Vgl. außerdem das Begleitschreiben Wilhelm von Dommes an Kaiser Wilhelm II., 10. Mai 1939, in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 398. Am 15. Mai 1939 schrieb von Dommes außerdem an den ehemaligen niederländischen Innenminister Jan Kan und erklärte die mit dem Daily Telegraph bereinigte Angelegenheit ebenfalls: Wilhelm von Dommes an Jan Kan, 15. Mai 1939, in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 400 – 402.
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mungen seitens der NS-Führung zu beseitigen, erwähnt. Am 15. Mai 1939 schrieb Ilsemann: „Gegen Ende des vergangenen Jahres brachte die Weltpresse ein angebliches Interview des Kaisers mit einem Korrespondenten, dem gegenüber der hohe Herr sich sehr wenig freundlich über die deutsche Regierung geäußert haben soll. Der Hausminister hat gegen die erste englische Zeitung, die diese Lüge aus Amerika veröffentlichte, geklagt und Recht bekommen. Das hat nun der Hausminister vergangene Woche einem Mitglied der deutschen Regierung geschrieben und dabei betont, daß der Kaiser sich seit der Machtergreifung über die großen Erfolge Deutschlands auf außenpolitischem Gebiet immer wieder gefreut, und noch jetzt die letzte Hitler-Rede dem Hausminister gegenüber sehr gelobt habe. Sell ist davon überzeugt, daß dieser Brief, dessen Entwurf vom Kaiser genehmigt wurde, Hitler vorgelegt werden wird. Dabei betonte Sell, daß er und Dommes in Berlin mit der Auffassung, der Kaiser müsse sich in dieser Beziehung zurückhalten, allein stünden. Nicht nur ihre Mitarbeiter im Hausministerium, sondern auch vor allem die ganze Familie dränge immer wieder darauf, daß der Kaiser mit Hitler in Verbindung träte. Besonders scharf in dieser Forderung seien Kronprinzens, Oskar und Prinz Adalbert. Auch der Großherzog von Mecklenburg habe noch kürzlich an seine Schwester, die Kronprinzessin, geschrieben, daß der Kaiser einen solchen Schritt unternehmen solle.“47
Bereits im März 1939 hatte Ilsemann notiert: „Warum wird Hitler plötzlich wieder schärfer gegen die Hohenzollern?“48 – und neben einer wahrnehmbaren pro-monarchischen Stimmung im Volk als Hauptgrund genannt: „weil der Führer sich darüber ärgert, daß der Kaiser ihm zu keinem seiner Erfolge gratuliert hat. Das hat der zweite Adjutant des Feldmarschalls von Mackensen einwandfrei durch den Adjutanten des Führers festgestellt.“49
Eine Folge waren Drangsalierungen der Hohenzollern durch das NS-Regime. Neben einer von Ilsemann selbst erwähnten Verordnung, „nach der den Offizieren der Verkehr in fürstlichen Häusern fast völlig verboten wird“50, ist hier auch das Verbot der Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an jeglichen Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag des Kaisers am 27. Januar 1939 zu nennen.51 Das Magazin Ken wiederum schien insinuieren zu wollen, dass das Dementi mit handfesten finanziellen Drohungen seitens des Regimes zu tun hatte. Es berichtete jedenfalls am 6. April 1939, dass die Privatgrundstücke des Kaisers in Deutschland einen Wert von 17,5 Millionen Dollar hätten und jährlich 875.000 Dollar einbrächten, wovon auf47
Ilsemann, Der Kaiser in Holland, Bd. 2 (Anm. 13), S. 325 – 326. Ebd., S. 319. 49 Ebd., S. 320. 50 Ebd., S. 319. 51 Oberkommando der Wehrmacht (gezeichnet von Wilhelm Keitel), Verbot der Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an Veranstaltungen oder Glückwunschadressen aus Anlaß des 80. Geburtstags des ehemaligen Deutschen Kaisers am 27. Januar 1939, 21. Dezember 1938, in: Bundesarchiv, BArch RW 6/460. Darin wurde den Wehrmachtsangehörigen nicht nur verboten, an Feierlichkeiten oder Glückwunschadressen an den Kaiser zu partizipieren, sondern sie wurden auch angewiesen, Veranstaltungen, auf denen der Geburtstag erwähnt wurde, sofort zu verlassen und den Vorfall ihrem Vorgesetzten zu melden. 48
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grund einer Erlaubnis Hitlers der Kaiser und seine Familie finanziell versorgt würden.52 Die Schlussfolgerung, dass das Damoklesschwert eines möglichen Entzugs der Finanzen, ja einer möglichen Enteignung über dem Haupt des Kaisers schwebte, überließ man allerdings den Lesern. Wie ernst die Angelegenheit tatsächlich zu nehmen war, geht auch aus dem Tagebuch von Joseph Goebbels hervor. Am 10. Dezember 1938 notierte dieser: „Amerikanische Presse bringt ein hundsgemeines Interview des Kaisers in Doorn gegen Hitler. Er dementiert es zwar, aber in der Hauptsache wird es wahr sein. Der hätte doch allen Grund zu schweigen.“53
Zumindest Goebbels ging also von der Echtheit des Interviews aus. Dasselbe gilt für den ehemaligen amerikanischen Korrespondenten der Dortmunder Volks-Zeitung, Charles Schwager, der das Interview allerdings im Gegensatz zu Goebbels positiv würdigte. Schwager hatte das Interview im Ken-Magazin gelesen und schrieb daraufhin an den Kaiser, um ihm für dessen deutliche Worte über Hitler zu danken: „I must say that words fail me in adequately expressing my thanks for your sympathy to the Jewish people in such critical time, when Europe is burning with anti-Semitism. You ought to be congratulated for saying the truth about the painter?“54
Im Juni 1939 schrieb Charles Schwager dem Kaiser erneut. Aus dem Schreiben geht leider nicht hervor, ob sein erster Brief von Doorn beantwortet wurde; ein Dementi scheint er allerdings nicht erhalten zu haben. Denn er schrieb: „My dear Kaiser; Permit me, Sir, to extent to you my belated congratulation upon your 80th birthday anniversary, which occurred recently. As former correspondent for the Volks-Zeitung Dortmund, Germany, I know that the German people are in slavery under Hitler’s regime, I can bet if Mr. Hitler should call an election today, he will be defeated, I remember of the good times, when Your Majesty Kaiser William Hohenzollern ruled German, Germany was always in prosperity, everybody has always gold instead bills and today? but I am sure in one thing, if Hitler will declare war to another state, he will loose and he will go on the Island as Napoleon. I spoke to Jewish and Christian of Germany, they said in the time of the Kaiser, we were wealthy and happy and Germany had a name between the nations of the world and today everybody scolds Germany.
52 Ken vom 6. April 1939, S. 59: http://www.oldmagazinearticles.com/what_did_Kaiser_ Wilhem_think_about_Hitler#.Yx4NHKHP3b0 (letzter Aufruf: 26. 09. 2022). 53 Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I: Aufzeichnungen 1923 – 1941. Bd. 6: August 1938 – Juni 1939, München 1998, Eintrag vom 10. Dezember 1938, S. 217. 54 Charles Schwager an Kaiser Wilhelm II., 14. Dezember 1938, in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 196.
Der Kaiser gegen Hitler?
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Do Germans hear not even the voice of their own Frederick the Great, speaking out of the past; ‘No country ever got any good by injuring the Jew.’ Hoping this letter will find Your Majesty in the best of his health.“55
Auch für diesen Brief findet sich in den Akten keine Spur einer Beantwortung. Möglicherweise lag es im Interesse des Kaisers, Schwager im Glauben zu lassen, das Interview sei echt. IV. Schlussfolgerungen Wenn es stimmt, dass Hitler sich über das Schweigen des Kaisers zu den politischen Entwicklungen im „Dritten Reich“ ärgerte, dann erreichte er infolge der Interview-Affäre sein Ziel: Am 17. Juni 1940 gratulierte Wilhelm II. Hitler in einem Telegramm „zu dem von Gott geschenkten gewaltigen Sieg“ über Frankreich.56 Dabei handelt es sich, wie gezeigt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei dem Kaiser-Interview über Hitler um eine Fälschung. Zu klären bleibt, von wem die Fälschung stammt. Aufgrund des Duktus und des Inhalts ist es nicht unwahrscheinlich, dass jemand, der Wilhelm II. gut kannte, involviert war. Die Randbemerkungen des Kaisers auf den Briefen von Edwards und Viereck sprechen aber sehr deutlich dafür, dass er selbst nichts mit dem Interview zu tun hatte. Dass das Interview dennoch – und von Goebbels sogar in Kenntnis des Dementis – vielfach für echt gehalten wurde, hängt zum einen mit der Qualität der Fälschung zusammen – der Duktus des Kaisers ist immerhin gut genug getroffen, um nicht sofort als Fälschung erkennbar zu sein –, zum anderen aber auch damit, dass die entsprechenden Meinungsäußerungen durchaus zu den prinzipiellen Vorbehalten passen, die Wilhelm II. gegenüber Hitler und dem Nationalsozialismus hegte. Die Spekulation, das Interview könnte unter Beteiligung des britischen Geheimdienstes entstanden sein, hat möglicherweise einen Anhalt im Veröffentlichungszeitpunkt, nämlich gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Münchener Abkommens. Konkrete Hinweise in diese Richtung sind aber bislang nicht bekannt. Das Glückwunsch-Telegramm Wilhelms II. an Hitler vom 17. Juni 1940 ist nur ein Beleg für die faktische Wirkung des gefälschten Interviews. Ein weiterer ist die ungeheure Verbreitung in der internationalen Presse, wo es offenbar vielfach – Dementi hin oder her – für echt gehalten wurde. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Kaiser das Interview zwar gegenüber einer Zeitung – dem Daily Telegraph – und gegenüber denjenigen Journalisten, die ausdrücklich nachfragten, dementieren ließ, ansonsten aber keine erkennbaren Anstrengungen unternahm, um das Interview wieder aus der Welt zu schaffen. Gegenüber dem NS-Regime wollte man in Doorn 55
Charles Schwager an Kaiser Wilhelm II., 30. Juni 1939, in: RA Utrecht, Inventar 14, Fasz. 52, Bl. 410. 56 Abgedruckt in: Gutsche, Ein Kaiser im Exil (Anm. 10), S. 204. Zur Interpretation des Telegramms siehe oben.
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Benjamin Hasselhorn
zwar unmissverständlich deutlich machen, dass das Interview eine Fälschung war; gegenüber ausländischen Korrespondenzpartnern legte man aber nicht unbedingt denselben Eifer an den Tag. Eine Folge davon ist, dass sich die Auffassung von der Echtheit des Interviews bis heute hält – der englischsprachige Wikipedia-Eintrag über Wilhelm II. zeugt davon. Er demonstriert eindrucksvoll die Tatsache, dass Fake News sehr langlebig sein können. Dass sie manchmal eine erhebliche Wirkung entfalten können, liegt ohnehin auf der Hand.
Geistes- und Ideengeschichte
Intellektuelle in Deutschland und Frankreich – Analogien und Differenzen Von Horst Möller, München I. Was sind Intellektuelle? Ein Intellektueller ist ein Mensch, der die Welt auf den Kopf stellt. So könnte man frei nach Karl Marx antworten, der in seiner berühmten Kritik an Hegels Staats- und Rechtsphilosophie bemerkte, er habe Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt, sprich vom Geist auf die Materie. Nach Marx bestimmt bekanntlich das – sozioökonomische – Sein das Bewusstsein, während – so könnte man den Faden weiter spinnen – die Intellektuellen überzeugt sind, ihr Bewusstsein, also auch ihre Ideen, – bestimmten das Sein: „ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus“, erklärte Hegel folgerichtig1. Und Heinrich Heine befand: „Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner“.2 Zweifellos enthalten diese Formulierungen kritisches Potential gegenüber der Realität, in diesem Fall der gesellschaftlichen und politischen Realität, jede Beschreibung des Intellektuellen enthält also ein oppositionelles Element, die Frage stellt sich also: Sind Intellektuelle in politischer Hinsicht zwangsläufig kritisch und oppositionell? Nach der ersten Antwort, die auf eine spezifische Weltbetrachtung abhebt, nämlich die Beurteilung der Realitäten nicht vom Sein, sondern vom Sollen, von einer durch den Intellekt definierten Norm her, stellt sich eine zweite Frage: Wie sind die Intellektuellen in der sozialen Schichtung zu verorten? Und in Bezug auf diese Frage werden im Allgemeinen die prinzipiellen Unterschiede zwischen deutschen und französischen Intellektuellen gesehen. Die einfachste Antwort lautet: Intellektuelle sind Menschen mit intellektuellen Berufen, also verkürzt gesagt, mit Kopfarbeit: Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler, Publizisten, Journalisten, Pfarrer, Lehrer usw. Doch schon hier wird es schwierig, würde man doch bestimmte, durchaus intellektuelle Qualifikation erfordernde Berufe zwar ggf. individuell, jedoch nicht kollektiv zu den Intellektuellen zählen, z. B. Rechtsanwälte und Ärzte.
1 Hegel an Niethammer, 28. Oktober 1808, in: Briefe von und an Hegel Bd. I: 1785 – 1812. Hrsg. von Johannes Hoffmeister, 3. durchges. Aufl. Hamburg 1969, S. 253. 2 Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, in: ders., Sämtliche Schriften. Hrsg. von Klaus Briegleb, Bd. III, hrsg. von Karl Pörnbacher, München 1971, S. 639.
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Der Begriff Intellektueller gehört zu jenen, von denen jeder zu wissen glaubt, was er bedeutet, dies aber schwer abgrenzen kann. Fragen wir nach einem weiteren Unterscheidungsmerkmal: In den genannten Berufsgruppen finden sich solche, die sich nicht allein im Hinblick auf ihre Disziplin, sondern sozial gesehen in ihrer arbeitsrechtlichen Stellung unterscheiden: Sie können beamtet, angestellt oder freiberuflich sein. Und hierin sehen viele Interpreten einen wesentlichen Unterschied zwischen französischen und deutschen Intellektuellen: Während in Deutschland diese Spezies vor allem durch Wissenschaftler, meist Professoren, geprägt werde – die beamtet sind – seien die französischen Intellektuellen den Schriftstellern, den Literaten i.w.S. zuzuordnen, also freiberuflich.3 II. Doch trifft diese These nur begrenzt und nur für bestimmte Epochen zu. Stößt ein Historiker, wie in diesem Fall, definitorisch an Grenzen, ist es unumgänglich, epochenspezifische Kriterien in eine entwicklungsgeschichtliche Analyse einzubetten. Was vor hundert Jahren einen Intellektuellen definiert hat, gilt also nicht zwangsläufig noch heute. Und insofern ist der Vergleich zwischen französischen und deutschen Intellektuellen auch nicht statisch, sondern evolutionär durchzuführen. Dies gilt umso mehr, als das französische Selbstverständnis des Intellektuellen sehr viel stärker traditionsgeleitet ist als das deutsche. Um hier aber festen Boden unter die Füße zu bekommen, ist zunächst der historische Ausgangspunkt zu nennen, mit dem die meisten französischen Darstellungen die Geschichte des Intellektuellen beginnen lassen, zumal dieser Fixpunkt zugleich impliziert, dass die Geschichte der Intellektuellen prinzipiell eine französische Geschichte sei. Allerdings überzeugt diese auch von vielen deutschen Ideen- und Sozialhistorikern kaum bestrittene Interpretation weder im Hinblick auf die französische, noch die deutsche politische Kulturgeschichte. Fast jedes Buch zu diesem Themenkomplex beginnt mit dem berühmten Artikel „J’accuse“ von Emile Zola, dem großen naturalistischen und sozialkritischen französischen Schriftsteller, dessen Romankreis „Les Rougon-Macquart“ (1871 – 1890) in der Nachfolge von Honoré de Balzac’ „La condition humaine“ eine 20-bändige französische, vor allem Pariserische Gesellschaftsgeschichte des späten 3
Vgl. aus der reichen Literatur: Diez Bering, Die Intellektuellen. Tb. Aufl. Frankfurt a. M./ Berlin/Wien 1982; Pascal Ory, Jean-Franîois Sirinelli, Les intellectuels en France. De l’affaire Dreyfus a` nos jours, 3. Aufl. 2002; Michel Winock, Le sie`cle des intellectuels, Paris 1997; Tony Judt, Das vergessene 20. Jahrhundert. Die Ru¨ckkehr des politischen Intellektuellen, Tb.Aufl. dt. Frankfurt/Main 2011; Dictionnaire des intellectuels franc¸ ais. Sous la direction de Jacques Julliard et Michel Winock, Paris 1996. Joseph Jurt, Frankreichs engagierte Intellektuelle. Von Zola bis Bourdieu, Go¨ttingen 2012; Pour une histoire compare´e des intellectuels. Sous la direction de Michel Trebitsch, Marie-Christine Granjon, Bruxelles 1998. – Grundlegende Essays zur Wissensoziologie finden sich nach wie vor bei Karl Mannheim, Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk eingel. u. hrsg. von Kurt H. Wolff, Berlin/Neuwied 1964.
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19. Jahrhunderts bietet. Zola schrieb in der Zeitschrift „L’Aurore. Littéraire, artistique, sociale“ am 13. Januar 1898 einen offenen Brief an „Monsieur Félix Faure, Président de la République“, dem der Chefredakteur des Journals – kein geringerer als Georges Clemenceau, der spätere Premierminister – einen provozierenden Titel gab, unter dem der Brief schließlich berühmt wurde, eben „J’accuse“, ich klage an!4 Die Anklage richtete sich gegen das antisemitisch motivierte Fehlurteil gegen den jüdischen Hauptmann Dreyfus, der angeblich militärische Geheimnisse an Deutschland verraten hatte. Im Oktober verhaftet, wurde Dreyfus im Dezember 1894 degradiert und lebenslänglich auf die Teufelsinsel bei Französisch Guyana verbannt: Dreyfus hatte zu Recht seine Unschuld beteuert. Die Debatte um die Wiederaufnahme des Verfahrens spaltete die französische Öffentlichkeit und führte zu einer Grundsatzdebatte zwischen denen, die etatistisch und kollektivistisch dachten sowie denjenigen, die die Rechte des Individuums betonten. Die nationalistischen und antisemitischen Akademiemitglieder Maurice Barrès und Léon Daudet sahen die öffentliche Ordnung und Sicherheit Frankreichs in Gefahr, die ,dreyfusards‘ hingegen die Republik und die Menschenrechte. Im Gefolge dieser Debatte veränderte sich die seit der Französischen Revolution von 1789 vorherrschende demokratische Interpretation des Begriffs der Nation, die sich noch in dem berühmten Satz von Ernest Renan findet, „La nation c’est un plébiscite de tous les jours“ in eine staatsnationalistische Deutung. Die nun beginnende soziale Integration der Intellektuellen als Gruppierung begann allerdings auch in Frankreich nicht nur mit einer positiven, sondern zugleich einer pejorativen Konnotation, weil Gegner von Zola – wie Maurice Barrès – die Anhänger von Zola abwertend als Intellektuelle bezeichneten, die sich in Sektoren außerhalb der eigenen Profession ein Urteil anmaßten. Daran ist zu erinnern, weil oft gesagt wird, ein wesentlicher Unterschied sei, dass in Deutschland der Begriff ,Intellektueller’ meist mit negativem Unterton, gar als Schimpfwort5, gebraucht werde, in Frankreich aber mit positivem. Zola wurde für seinen offenen Brief an den Präsidenten sogar zu einem Jahr Gefängnis und 3000 Francs Strafe verurteilt und ging daraufhin im Juni 1898 nach London ins Exil. Die Anklage gegen Dreyfus beruhte auf Fälschungen, die 1899 zu einer erneuten, angesichts der Beweislage skandalösen, Verurteilung führten, wobei die Fälschungen von den Befürwortern des Fehlurteils nicht einmal bestritten wurden. Dreyfus wurde erst 1906, vier Jahre nach dem Tod von Zola, rehabilitiert.
4 Die wichtigsten Dokumente mit jeweiliger historischer Einordnung finden sich in: Die Affäre Dreyfus. Hrsg. von Siegfried Thalheimer, München 1963, 2. Aufl. 1986 (dtv-dokumente), der Text von Zola ebd. S. 185 ff., das französische Original in: La France du XXe siècle. Documents d’histoire présentés par Olivier Wieviorka et Christophe Prochasson, Paris 1994, S.128 ff. 5 So auch der Untertitel des erwähnten Buches von Diez Bering, Die Intellektuellen (Anm. 3): „Geschichte eines Schimpfwortes“.
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Warum ist der Dreyfus-Skandal, der ein Beispiel für den virulenten Antisemitismus in europäischen Vorkriegsgesellschaften, in diesem Fall Frankreichs bildet, so ausschlaggebend für den Beginn der Intellektuellengeschichte? Der erste Grund liegt darin, dass hier erstmals für die Gruppe um Emile Zola der Begriff Intellektuelle geprägt worden ist. Zolas Text ist eine dramatische Darstellung eines skandalösen Justizirrtums, der ein moralisches Recht der reinen Wahrheit im Namen der drei revolutionären Schlagworte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit beanspruchte, allerdings aufgrund rudimentärer Faktenkenntnis keineswegs ein in jeder Hinsicht korrektes Bild des bis heute zwar eindeutig als Justizirrtum entlarvten, aber keinen im einzelnen aufgeklärten Vorgangs bietet. Zola ging als idealistischer Verfechter der Menschen- und Bürgerrechte, als Kämpfer für Gerechtigkeit und die Freiheit des Einzelnen gegen eine engstirnige Staatsräson in die Geschichte ein. Der zusätzliche Prozess gegen ihn, den ohnehin schon außerordentlich populären Schriftsteller, machte auch ihn fast zum Märtyrer: „Die Wahrheit ist auf dem Weg und nichts wird sie aufhalten“. Dieses Schlagwort entwickelte ebenso Dynamik wie die Selbstermächtigung Zolas, der als Anwalt „der Aufklärung im Namen der Menschheit“ anklagte. Clemenceau, der durchaus den politischen Nutzen der Affäre für seine politischen Ziele im Blick hatte, kommentierte die Unterzeichnung der Petition, die nach dem offenen Brief von Zola die Revision verlangte, mit der rhetorischen Frage: „Ist das nicht ein Zeichen, all diese Intellektuellen, die aus allen Ecken des Horizonts kommen, die eine Idee teilen und unerschütterlich daran festhalten“? Die Hervorhebung des Wortes Intellektuelle, das vorher im Sprachgebrauch nicht auftauchte, wurde generell als Bezeichnung eines neuen Phänomens, eben einer spezifischen kulturellen und sozialen Gruppe, interpretiert. Auf der Liste der Unterzeichner stand mit Anatole France ein weiterer berühmter Schriftsteller auf dem zweiten Platz, bevor ein Wissenschaftler folgte, sowie zahlreiche weitere Literaten. Aus der optischen Dominanz der freien Schriftsteller an der Spitze des Protests folgerte man, dass die freien Schriftsteller eher typisch seien für die französischen Intellektuellen, in Deutschland hingegen die Professoren. Das eingangs erwähnte Kriterium eines freien, nicht-beamteten Berufs zählt tatsächlich zu den unterscheidenden Merkmalen der Intellektuellen gegenüber anderen als intellektuell zu bezeichnenden Berufen. Und schon deshalb hat die zeitweilige Dominanz der Professoren im deutschen intellektuellen Diskurs dazu geführt, diesen im spezifischen französischen Sinne nicht für intellektuell zu halten. Und auch inhaltlich ist klar: Ein derartig harter, aber auch emotional-idealistischer und dramatisierender Protestbrief eines deutschen Beamten an seinen Dienstherrn bzw. das Staatsoberhaupt schien, zumindest im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, kaum denkbar – wir werden sehen, ob das tatsächlich so ist. Der Protest im Namen der Menschenrechte, der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Moral, in einer literarischen Gestaltung, in eindeutiger Opposition zur Staatsräson und ihren Verfechtern erfüllt ebenfalls die eingangs erwähnten Definitionskriterien.
Intellektuelle in Deutschland und Frankreich
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Zwei weitere Kriterien dieser Aktion sind wesentlich, zum einen die große Zahl partiell berühmter Unterzeichner, die Zola folgten, mehr als 2000 insgesamt, die das von Pierre Bourdieu und Christophe Charle so genannte intellektuelle Feld formierten, sowie die öffentliche Wirkung: Sie wurde durch die hohe Zeitungsauflage von 300 000 Exemplaren, aber auch die Plakatierung von „J’accuse“ und die zusätzliche Verbreitung in Broschürenform erreicht. Lassen wir dahin gestellt, ob Emile Zolas Aufruf vom 13. Januar 1898 der „größte revolutionäre Akt des Jahrhunderts“ (Jules Guesde) war, doch zweifellos handelte es sich um den fundamentalen Akt, der bis heute das Grundmuster des Verhältnisses von Intellektuellen und Politik vorgibt: Seitdem legitimiert es das politische Engagement der Intellektuellen und ihr „eingreifendes Denken“6 in politische und gesellschaftliche Sektoren außerhalb ihrer je spezifischen Kompetenzen. III. Ohne die große Bedeutung sowie die politische und moralische Berechtigung von Zolas „J’accuse“ in Frage zu stellen, ist intellektuelle Skepsis gegenüber der gängigen sachlichen und zeitlichen Dogmatisierung dieses Ereignisses angebracht: 1. Die Geschichte des modernen Intellektuellen beginnt in der Aufklärung und nicht erst 1898. Es reicht nicht, die Tatsache der Begriffs- und Gruppenbildung – „die Intellektuellen“ – im Jahr 1898 als ausschlaggebend für die Geburt des Intellektuellen in der Moderne anzusehen. 2. Tatsächlich beginnt die Geschichte des modernen Intellektuellen nicht allein in der französischen, sondern in der europäischen, also auch der deutschen Aufklärung. Frankreich und Deutschland unterscheiden sich also nicht dadurch, dass es dort Intellektuelle gibt und hier nicht, sondern in der Art des Intellektualismus, und sie ähneln sich in bestimmten Konstellationen und gesellschaftlichen Rollen. Natürlich ist damit die Frage noch nicht beantwortet, ob die politische Rolle der Intellektuellen in Frankreich tatsächlich oder nur vermeintlich größer ist als in Deutschland. 3. Die gängige Unterscheidung, dass sich in Deutschland kein vergleichbar intellektuelles Feld herausgebildet habe wie in Frankreich, weil in Deutschland diese Rolle wenn überhaupt, dann nur in begrenzter und sehr spezifischer Weise von Gelehrten, d. h. von beamteten Professoren oder Angehörigen von Institutionen wahrgenommen worden sei, läuft auf eine künstliche Unterscheidung hinaus und trifft nur epochenbezogen und partiell zu. Schon die Unterstützer von Zolas „J’accuse“ waren keineswegs überwiegend freie Schriftsteller, wie die Namen der beiden Erstunterzeichner suggerieren: Der an zweiter Stelle unterschreibende Anatole France war zwar ein berühmter Schriftsteller, aber auch Mitglied der überwiegend konservativen Académie Franc¸ aise. An dritter Stelle stand Emile Duclaux, Direktor des Institut Pas6 Ingrid Gilcher-Holtey, Eingreifendes Denken. Die Wirkungschancen von Intellektuellen, Velbrück 2007.
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teur, an vierter ein Universitätsvertreter. Etwa 80 Prozent der Unterschriften wurden mit Titeln geleistet, was zweierlei besagt: 1. Der größere Teil kam aus dem akademisch-universitären Milieu. 2. Die Betreffenden leiteten aus ihrem akademischen Grad bzw. der darauf beruhenden Funktion die Autorität zur Stellungnahme ab.7 Das wäre in Deutschland nicht anders gewesen. Was besagt der erste Punkt, nämlich der Zeitpunkt für die Entstehung einer Schicht von Intellektuellen? Wenn man, was nicht zwingend, aber begründbar ist, den öffentlichen Protest eines Intellektuellen gegen einen Justizirrtum als Schlüssel für die Geburt des modernen Intellektuellen ansieht, müsste als erster Voltaire genannt werden. Nicht zufällig hat Emile Zola selbst die Affäre Calas8 zum Vorbild für seine Anklage im Fall Dreyfus genommen. Neben sonstigen Analogien ging es in beiden Fällen um die Diskriminierung einer religiösen Minderheit. Hintergrund der Affäre war seit der Regierungszeit Ludwigs XIV. das Ziel, die konfessionelle Einheit Frankreichs zu befördern. Die Aufhebung des durch Heinrich IV. 1598 erlassenen Edikts von Nantes, das den Hugenotten Gewissens- und lokal begrenzte Kultfreiheit zugestand, durch Ludwig XIV. im Jahr 1685, bedeutete für das Prinzip konfessioneller Toleranz einen Rückschlag. Erst das Toleranzedikt von 1787, als seit Jahrzehnten überall in Europa Toleranzforderungen erhoben worden waren, brachte im vorrevolutionären Frankreich einen Fortschritt. Vor diesem Hintergrund ist das Engagement Voltaires zu sehen, als der zur hugenottischen Minderheit gehörende Toulouser Kaufmann Jean Calas wegen angeblichen Mordes an seinem Sohn verurteilt wurde, obwohl er noch 1762, als er qualvoll zu Tode gerädert wurde, seine Unschuld beteuerte. Der zu dieser Zeit schon alte Vater soll seinen tatsächlich unter ungeklärten Umständen, möglicherweise durch Selbstmord, umgekommenen Sohn ermordet haben, weil dieser zum Katholizismus übertreten wollte. Die Familie Calas bat Voltaire um Unterstützung, um eine Rehabilitierung zu erreichen. Auch in diesem Fall studierte der Schriftsteller die Unterlagen, bemühte sich mit Anwälten um eine Wiederaufnahme des Verfahrens, schrieb eine dokumentierte Geschichte des Prozesses und veröffentlichte schließlich 1763 seinen „Traité sur la tolérance à l’occasion de la mort de Jean Calas“9, in dem Voltaire systematisch begründete, worum es ihm im Kern ging: um die Wahrheit, die Aufklärung eines Justizverbrechens, um den Kampf gegen religiösen Fanatismus und um Religionstoleranz. In der Literatur des 18. Jahrhunderts finden sich viele Dutzend analoger Traktate europäischer Intellektueller über die Toleranz, in England etwa von Locke, Hume, Toland. In Deutschland stellt Lessings „Nathan der Weise“ von
7 Vgl. dazu Pierre Bourdieu, Homo academicus, dt. Frankfurt/Main 1988; Christophe Charle, La république des universités 1870 – 1940, Paris 1994. 8 Vgl. insges. Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.), Voltaire, Die Affäre Calas, Berlin 2010. 9 In: Oeuvres complètes de Voltaire, Tome V, Paris 1836, S. 540 – 555.
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1779 mit seiner Ringparabel das bekannteste Beispiel dar. Und Lessing zählt zu den deutschen „Intellektuellen“ dieser Jahre.10 Hatte Pierre Bayle Kritik noch auf eine außerstaatliche „République des lettres“ bezogen, so intendierte Voltaire 1758 mit diesem Begriff die Gründung einer Gruppierung von ,Philosophen‘, die beanspruchte von literarischen bis zu politischen und praktischen Fragen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft mitzugestalten. In Deutschland beinhaltete der ebenfalls in der Aufklärung gebräuchliche Begriff „Gelehrtenrepublik“ eine ähnliche Reichweite, also politische Einflussnahme, wobei wie in Frankreich die zahlreichen Gruppenbildungen von den gelehrten Gesellschaften bis zu den Freimauer-Logen entsprechende Netzwerke bildeten, die bis in die Personalpolitik agierten. Wenn der 1914 in der Marneschlacht gefallene Schriftsteller Charles Péguy und das von ihm herausgegebene Journal „Cahiers de la Quinzaine“ die Politisierung so weit trieben, dass sie einer „Parti des intellectuels“ das Wort redeten, wird der Anspruch auf politische Einflussnahme deutlich. Allerdings ist die offensichtliche politische Heterogenität der Intellektuellen kaum geeignet, sie als (politische) Partei im organisatorischen Sinn zu charakterisieren. Insofern ist die deutsche Debatte nicht von solchen Zielprojektionen bestimmt und deshalb näher an der politischen Realität. Doch ist auch die Verführung der einzelnen Intellektuellen größer, sich selbst für die politischen Zielesetzungen instrumentalisieren zu lassen, wie es sogar in der Dreyfus-Affäre der Fall war. Der französische Historiker Augustin Cochin hat in einem nachgelassenen Werk 1921 die Tradition vom 18. bis ins 20. Jahrhundert verlängert: „Sociétés de pensee et la démocratie moderne“. Mit anderen Worten: Der Kampf der Intellektuellen gegen weltliche und kirchliche Obrigkeit um Religionstoleranz basiert auf einer zentralen Forderung der europäischen und nicht bloß der französischen Aufklärung. Schließlich erreichte Voltaire 1765 die Aufhebung des Urteils und die volle Rehabilitation des drei Jahre zuvor getöteten Jean Calas, aber nicht nur das: Wie später im Falle Dreyfus ging es um eine grundsätzliche Bekämpfung religiöser Vorurteile, um die Entlarvung einer parteiischen Justiz, um einen grundsätzlichen Wahrheitsanspruch, schließlich das Recht der Intellektuellen, sich gesellschaftlich und politisch – also außerhalb des eigenen kulturellen Wirkungsraums einzumischen. Und analog war in beiden Fällen auch die Handlungsweise, nämlich die öffentliche Aktion eines einzelnen renommierten Autors, die dann große Unterstützung und Langzeitwirkung erlangte. Unabhängig davon aber erfüllen außer Voltaire eine ganze Reihe von Intellektuellen im 18. Jahrhundert in Frankreich und Deutschland die Kriterien, nach denen sie als ,Philosophen‘ bezeichnet wurden, jedoch keineswegs Universitätsphilosophen 10 Vgl. insges. Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, 4. Aufl. Frankfurt/Main 1997.
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i. e.S. waren. Ich nenne nur Pierre Bayle, Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Jean-Baptiste d’Alembert. Und bei dem frühesten unter ihnen, Pierre Bayle, ging es ebenfalls um die Freiheit des Denkens, die Unabhängigkeit von institutionellen Autoritäten, sei es staatliche oder kirchliche Obrigkeit. Sein berühmtes vierbändiges Werk „Dictionnaire historique et critique“ (1695 – 1697) konnte offiziell aufgrund der Zensur nicht in Frankreich erscheinen, sondern in Amsterdam. Er wollte, auch das typisch für einen Intellektuellen, nicht unbedingt das Richtige, sondern ein „Register von Fehlern“ liefern. Die zentrale Kategorie des Intellektuellen ist seit Pierre Bayle und bis heute die Kritik, die eben auch zu den Schlüsselwörtern der Aufklärung gehört, in der viele hundert Werke den Begriff ,Kritik‘ im Titel tragen. IV. Wenn man die Geschichte des modernen Intellektuellen sowohl systematisch als auch sozialgeschichtlich in der europäischen Aufklärung beginnen lässt, und alle Grundmuster bis heute wirksam sieht, muss allerdings die epochenspezifische Bezeichnung erwähnt werden: Sie lautet ,Philosoph‘ oder ,Gelehrter‘. Übrigens finden sich in der französischen Literatur der Zeit, u. a. bei Voltaire sowie der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen „Encyclopédie“ mehrfach Definitionen. Die früheste und hier einschlägige Erklärung enthält das „Dictionnaire de l’Académie franîaise“ von 1694 und sie ist negativ, sie lautet: Ein Philosoph ist „un homme, qui par libertinage d’esprit se met au-dessus des devoirs, & des obligations ordinaires de la vie civile.“ Natu¨rlich sind die spa¨teren Konnotationen in der franzo¨sischen Aufkla¨rung positiv, indem die „Encyclope´die“ die wahren Philosophen von denjenigen unterscheidet, die sich nur fu¨r solche halten. Im Deutschland des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff Philosoph oder auch Gelehrter ebenfalls in dem Sinne gebraucht wie ,philosophe‘ in Frankreich, nämlich ohne die spezifische Zuordnung zur akademischen Philosophie bzw. zur Universitätsprofessur. Zahlreiche Aufklärer waren im heutigen Sinne Freiberufler, das gilt für die sog. Popularphilosophen Christian Garve, sowie zeitweise Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai und zahlreiche andere. Viele verdienten sich ihren Lebensunterhalt als ,Hofmeister‘, der damalige Begriff für Hauslehrer. Sie suchten wie später die Intellektuellen die Öffentlichkeit durch Debattenbeiträge, öffentliche Diskussionen, Traktate u. a.m. zu überzeugen. Und nicht zu vergessen: Diese Intellektuellen beanspruchten ein Mitspracherecht in gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten. Wie in Frankreich stellten Akademien Preisfragen nicht nur zu philosophischen und wissenschaftlichen, sondern auch zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen. Immanuel Kant, Professor in Königsberg und der bedeutendste Philosoph des 18. Jahrhunderts, war alles andere als unpolitisch, forderte er doch schon Jahre vor Beginn der Französischen Revolution die Mitsprache der ,Gelehrten‘ in Gesetzesangelegenheiten. Er mahnte zum Selbstdenken, also zur Autonomie des Denkens gegenüber Vorurteilen, ungeprüften
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Annahmen und unkritisch akzeptierten traditionellen Autoritäten. Er zitierte das horazische „sapere aude“. Friedrich der Große brachte in der Tafelrunde von Sanssouci einen Kreis vornehmlich französischer ,philosophes‘ zusammen was am französischen Hof in Versailles zu dieser Zeit undenkbar war. Schließlich erlaubte der preußische König 1784 sogar eine öffentliche Diskussion der ,Gelehrten‘ über das in Vorbereitung befindliche Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten – eine Verbindung von Bürgerlichem Recht, Verfassungsrecht und Strafrecht.11 So hieß es 1785 in der „Berlinischen Monatsschrift“: „Die Privatrechte der Bürger (müssten) durch ein bürgerliches Gesetzbuch festgestellt, und die Nation selbst zur Prüfung desselben aufgefordert werden“12: Auch das wäre in Frankreich vier Jahre vor der Revolution nicht möglich gewesen. Christian Wilhelm Dohm, Gelehrter, aber auch Diplomat in preußischen Diensten, schlug 1781 in seinem Traktat „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ weitgehende Verbesserungen für deren Rechtsstellung vor und löste so eine lebhafte öffentliche Debatte aus.13 Und Christoph Martin Wieland forderte in seiner Schrift „Über die öffentliche Meinung“, die Regenten sollten sie respektieren.14 Die Reihe der Beispiele ließe sich leicht verlängern, aber auch so wird deutlich, dass es ein vergleichbares, ja vereinzelt sogar noch weitergehendes kritisches Engagement von Intellektuellen in Deutschland gab, das weder weltliche noch kirchliche Obrigkeit von Kritik ausnahm, auch wenn diese aufgrund der Zensur oft in indirekter Form vorgetragen wurde15: Wie in Frankreich und England formierten die Intellektuellen auch in Deutschland mit öffentlichen Stellungnahmen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen eine kritische öffentliche Meinung. In Paris trafen sich die Intellektuellen der Zeit in den Salons bekannter adliger Damen und den „sociétés de pensée“, aufgeklärte Zirkel existierten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in Berlin und wollten Einfluss auf die Politik nehmen. Der Machtspruch des Königs in dem berühmten Prozess des Müllers Arnold seit 1771, in den Friedrich II. eingriff, weil er – fälschlich – die Richter der Parteilichkeit gegen den Müller verdächtigte, führte zu einer kritischen Diskussion der 11 Horst Möller, Wie aufgeklärt war Preußen?, in: ders., Aufklärung und Demokratie. Historische Studien zur politischen Vernunft. Hrsg. von Andreas Wirsching, München 2003, S. 87 – 111. 12 Berlinische Monatsschrift 5, 1785, S. 242. 13 Horst Möller, Aufklärung, Judenemanzipation und Staat. Ursprung und Wirkung von Dohms Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“, in: ders., Aufklärung und Demokratie, S. 43 – 66. 14 C. M. Wieland, Sämmtliche Werke. Hrsg. von der „Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur“ in Zusammenarbeit mit dem „Wieland-Archiv“, Biberach/Riß, und Dr. Hans Radspieler Neu-Ulm, Hamburg 1984, Bd. 31, S. 304 – 393. Vgl. auch Christian Garve, Ueber die öffentliche Meinung, in: ders., Popularphilosophische Schriften. Im Faksimiledruck hrsg. von Kurt Wölfel, 2. Bd. Stuttgart 1974, S. 1263 – 1306 (zuerst veröffentlicht 1802). 15 Vgl. Horst Möller, Aufklärung in Preußen, Berlin 1974, S. 208 ff.
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Aufklärer über die Berechtigung königlicher „Machtsprüche“. Die vom König wegen vermeintlicher Rechtsbeugung entlassenen und anschließend verhafteten Richter gelangten schließlich nach neun Monaten aufgrund mehrerer Revisionen wieder in die Freiheit, rehabilitiert wurden sie allerdings erst nach dem Tode Friedrichs des Großen.16 Der preußische Justizminister von Zedlitz, der zum Kreis der Berliner Aufklärer zählte, ein zuständiger Senat und die öffentliche Meinung, beeinflusst durch die intellektuelle Debatte, stellten sich in den 1770er und 1780er Jahren gegen den König. V. Seit 1789 diskutierten deutsche ,Gelehrte‘, sprich Intellektuelle, offen und euphorisch über die Französische Revolution und kritisierten so die absolutistische Herrschaft in Deutschland, die allerdings in den meisten Territorialstaaten bereits reformabsolutistisch bzw. aufgeklärt-absolutistisch war.17 Und auch im 19. Jahrhundert kann von einem angeblich ,unpolitischen’ deutschen Professor, der sich von den französischen Intellektuellen in dieser Hinsicht unterscheidet, keine Rede sein. Schon im frühen 19. Jahrhundert erwiesen sich Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und Joseph Görres – als politische Intellektuelle, um nur diese zu nennen. Weitere Beispiele finden sich unter den Intellektuellen des Vormärz zwischen 1830 und 1848, etwa den Schriftsteller Georg Büchner, die Publizisten Georg Herwegh und Ludwig Börne, den Philosophen Ludwig Feuerbach, Karl Marx und natürlich Heinrich Heine, den Jürgen Habermas später als „Intellektuellen avant la lettre“ bezeichnete, weil er in die gängige Interpretationsrichtung nicht passte. Auch die „Göttinger Sieben“ mit den Gebrüdern Grimm an der Spitze waren alles andere als unpolitische Professoren. Sie protestierten 1837 gegen die illegale Aufhebung des hannoverschen Staatsgrundgesetzes von 1833 durch König Ernst August. Unter ihnen befanden sich u. a. die Historiker Friedrich Christoph Dahlmann und Georg Gottfried Gervinus sowie ein Jurist und ein Physiker. Sie beriefen sich auf ihren Verfassungseid und erklärten, ihr Amt als Gelehrte und Universitätslehrer verpflichte sie, zur Verteidigung der Verfassung ggf. der Staatsgewalt entgegenzutreten. Verstärkt durch die Presse, entwickelte sich eine deutschlandweite öffentliche Meinung gegen den hannoverschen König, der einige der Unterzeichner des Landes verwiesen hatte. Tatsächlich erreichte er das Gegenteil, wurde in Reaktion auf seinen Willkürakt doch der liberale Gedanke in Deutschland gestärkt und 1848 vier der sie16
Vgl. Johannes Kunisch, Friedrich der Große, München 2004, S. 295 ff. Vgl. u. a. Möller, Aufklärung in Preußen (Anm. 15), S. 575 ff.; exemplarisch: HansChristof Kraus, Fürstenlehre und Spätaufklärung in Preußen – Johann Jakob Engels Kronprinzenvorträge für Friedrich Wilhelm III. aus dem Jahre 1791, in: ders., Wege und Abwege der Ideen. Studien zur politischen Geistesgeschichte der Deutschen. Kleine Schriften I, Berlin 2022, S. 21 – 41, sowie ders., Kontinuität und Reform – zur Geschichte des politischen Denkens in Deutschland zwischen Spätaufklärung und Romantik, in: ebd. S. 42 – 65. 17
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ben Professoren in das Parlament der Frankfurter Paulskirche gewählt. Auch beim sog. Berliner Antisemitismusstreit von 1879/80 engagierten sich Gelehrte, darunter die beiden Historiker Heinrich von Treitschke auf der antisemitischen und Theodor Mommsen auf der gegenteiligen Seite, beide waren zeitweilig Reichstagsabgeordnete.18 VI. Diese Exempel zeigen: Es gibt epochen- und situationsspezifische Eigenheiten, jedoch keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Typus des Intellektuellen, seinen Handlungsformen und seiner Wirksamkeit in Deutschland und Frankreich. Und auch für die Vorgeschichte und den Beginn des I. Weltkriegs bestehen Analogien.19 Nach dem I. Weltkrieg existierten neben der Kontinuität dieser wechselseitigen Aggressivität unter deutschen und französischen Intellektuellen aber auch Verständigungen, beispielsweise in den engen Kontakten zwischen dem Romanisten Ernst Robert Curtius und André Gide, zwischen Heinrich und Klaus Mann und französischen Intellektuellen wie Félix Bertaux und Gide oder zwischen Stefan Zweig und Romain Rolland.20 VII. Fragen wir nach der politischen Haltung, für die in der Regel zwei Charakteristika genannt werden: Zum einen seien Intellektuelle im Prinzip links, zum anderen gelte diese Einschätzung in erster Linie für Frankreich, weshalb es eben in Deutschland bis zur Bundesrepublik keine wirklichen Intellektuellen gegeben habe. Beides ist falsch: An der Auseinandersetzung mit Zola beteiligten sich dezidiert nationalkonservative Intellektuelle wie Maurice Barrès, Charles Maurras u. a., in Deutschland entwickelte 18 Vgl. u. a. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II 1830 bis 1850, 2. verb. Aufl. Stuttgart usw. 1960, S. 91, insbes. S. 96 ff.; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1866, München 1984, S. 30 und insges. S. 367 ff. (Auswirkungen der Julirevolution); exemplarisch: Horst Ehmke, Karl von Rotteck der „politische Professor“, Karlsruhe 1964; Wilhelm Bleek, Friedrich Christoph Dahlmann, München 2010; Hans-Christof Kraus, Jacob Grimm – Wissenschaft und Politik, in: ders., Wege und Abwege. Studien zur politischen Geistesgeschichte der Deutschen, S. 214 – 239, insbes. S. 221 ff., 224 ff.; Walter Boehlich (Hrsg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt/Main 1965 bzw. 1988. 19 Vgl. etwa Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg. Mit einer Einleitung hrsg. von Klaus Böhme, 2. Aufl. mit einem Nachwort von Hartmut Wunderer, Stuttgart 2014; J. Jurt, Frankreichs engagierte Intellektuelle, S. 63 ff.; M. Winock, Le siècle (Anm. 3), S. 134 ff. 20 Vgl. etwa Deutsch-französische Gespräche 1920 – 1950. La Correspondance de Ernst Robert Curtius avec André Gide, Charles Du Bos et Valery Larbaud, édité par Herbert et Jane Dieckmann, Frankfurt/Main 1980; Klaus Mann, André Gide und die Krise des modernen Denkens, Reinbek 1984; Heinrich Mann – Félix Bertaux. Briefwechsel 1922 – 1948. Mit einer Einleitung von Pierre Bertaux, Frankfurt am Main 2002; Romain Rolland – Stefan Zweig. Briefwechsel 1910 – 1940, 2. Bde., Berlin 1987.
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sich mit der durchaus heterogenen sog. Konservativen Revolution um Ernst Jünger, Hans Freyer, Oswald Spengler ein rechtsintellektueller Kreis21 gegen die während der Weimarer Republik dominierenden Linksintellektuellen. Unter diesen Schriftstellern waren die bekanntesten Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Heinrich Mann, Klaus Mann, Bert Brecht, Lion Feuchtwanger, George Grosz, Ernst Toller, Erich Mühsam und viele andere. Als Typus freier Schriftsteller, die in die Öffentlichkeit wirkten, dezidierte politische Kritik übten, traditionelle Autoritäten angriffen, unterschieden sie sich kaum von den französischen Intellektuellen. Die 1920er und 1930er Jahre werfen ein entscheidendes Problem für die Bewertung der Rolle der Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf: Wie anfällig waren sie – in Deutschland und Frankreich – für extreme Ideologien? Die Antwort zeigt, dass sich aus intellektueller Kompetenz keine politische ableiten lässt. Schon 1927 hatte Julien Benda in seinem brillanten Essay „Le trahison de clercs“ systematisch die politischen Leidenschaften in Bezug auf Rasse, Klasse und Nation analysiert. Den Intellektuellen, die sich vor und im I. Weltkrieg dem Nationalismus verschrieben hatten, warf er Verrat an ihren Idealen sowie Doktrinarismus vor. Eine Schlüsselrolle für Linksintellektuelle spielte die Faszination deutscher und französischer Intellektueller für die stalinistische Sowjetunion.22 Fragt man nach dem politischen Engagement deutscher Intellektueller in der Weimarer Republik, so ist offensichtlich: Weder die Linksintellektuellen, noch die Rechtsintellektuellen waren Anhänger der Weimarer Demokratie, gemäßigte liberale Intellektuelle gab es auch damals, doch bildeten sie eine kleine Minderheit, die sich meist um (links)liberale Tageszeitungen gruppierten, z. B. die Vossische Zeitung, die Frankfurter Zeitung, das Berliner Tageblatt oder aber wie Theodor Heuss, Max Weber, Ernst Troeltsch oder Hugo Preuss in der linksliberalen DDP aktiv waren. Zu dieser Gruppierung politisch gemäßigter Intellektueller gehörten auch die sog. Vernunftrepublikaner wie Thomas Mann, Friedrich Meinecke, Max Liebermann. Auf der Linken fanden sich zwar auch brillante Kritiker, die politisch moderat waren, wie der Soziologe Siegfried Kracauer. Doch die meisten marxistischen Kritiker der Republik, etwa die Soziologen der Frankfurter Schule oder Schriftsteller wie Kurt Tucholsky und Bert Brecht analysierten und beschrieben ebenso scharfsinnig wie destruktiv die gesellschaftlichen und politischen Probleme. Und die schon erwähnten Intellektuellen der sog. Konservativen Revolution waren vergleichbar 21 Wegen der Bibliographie der zeitgenössischen Texte noch immer nützlich: Armin Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland. Ein Handbuch. Neuaufl. Darmstadt 1972; Stefan Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1993, Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2. Aufl. München 1968; exemplarisch: Ernst Jünger, Politische Publizistik 1919 – 1933. Hrsg., kommentiert u. mit einem Nachwort versehen von Sven Olaf Berggötz, Stuttgart 2001; Gilbert Merlio, Le début de la fin? Penser la décadence avec Oswald Spengler, Paris 2019, insbes. S. 189 ff. (L’intellectuel engagé). 22 Vgl. Eva Oberloskamp, Fremde neue Welten. Reisen deutscher und französischer Linksintellektueller in die Sowjetunion 1917 – 1939, München 2011.
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scharfsinnig und ebenfalls gegenüber der Demokratie destruktiv, obwohl sie weniger dezidiert mit einer geschlossenen Ideologie argumentierten als die Marxisten – ähnlich war indes ihr elitärer Anspruch als intellektuelle Avantgarde.23 Nahezu die gesamte linke Elite der wissenschaftlichen, publizistischen und künstlerischen Intelligenz Weimars musste nach 1933 emigrieren, um ihr Leben und ihre Freiheit zu retten.24 Zwar machte sich nur ein kleinerer Teil der Rechtsintellektuellen mit dem NS-Regime gemein, aber insgesamt kann von einer prononcierten Verweigerung oder gar von Widerstand gegenüber der totalitären Versuchung keine Rede sein, auch wenn es selbstverständlich Ausnahmen und innere Emigration gegeben hat. VIII. So wenig der großartige und pluralistische kulturelle Reichtum der Weimarer Demokratie bei den Intellektuellen zu einem Sieg der politischen Vernunft und der Mitte geführt hatte, so wenig galt das unter den terroristischen Bedingungen der NS-Diktatur. Und auch in Frankreich gab es keineswegs nur Rechtsintellektuelle, die aufgrund ihrer Kritik an der III. Republik Befürworter des Vichy-Regimes wurden, obgleich etliche Angehörige der als ,präfaschistisch‘ charakterisierten Action franc¸ aise zu Kollaborateuren wurden. Natürlich gab es großartige Persönlichkeiten im Widerstand wie den Historiker Marc Bloch, der von der Gestapo 1944 ermordet wurde, Raymond Aron, der zu General de Gaulle nach London ging, verschiedene widerständige Zeitschriften wie „Combat“ oder „Esprit“ sowie zahlreiche linke Intellektuelle im Untergrund. Daneben agierten jedoch auch wüste Antisemiten wie LouisFerdinand Céline (dessen Roman über den I. Weltkrieg und die Folgen „Voyage au bout de la nuit“ trotzdem ein bedeutendes Werk – und ein Anti-Kriegsroman – ist). Zu den rechtsextremen Pétain-Anhängern zählten u. a. Pierre Drieu la Rochelle, Robert Brasillach und seine Zeitschrift „Je suis partout“. Eine Gruppe französischer Schriftsteller akzeptierte sogar eine propagandistische Einladung von Goebbels und reiste nach Deutschland. Wenngleich die Vichy-Anhänger unter den französischen Intellektuellen eindeutig eine Minderheit bildeten und in aller Regel auch qualitativ eine geringere Bedeutung besaßen, bleibt doch auch in diesen Fällen das gleiche Ergebnis: Intellektuelle Qualität mündete nicht zwangsläufig in politisches Urteilsvermögen.
23 Vgl. Horst Möller, Die Weimarer Republik. Demokratie in der Krise, 3. Aufl. der Neubearbeitung 2018. München 2023 (13. Aufl.), S. 331 ff.; zu den Professoren bereits: Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890 – 1933, Stuttgart 1983. 24 Vgl. Horst Möller, Exodus der Kultur. Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler in der Emigration nach 1933, München 1984.
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IX. War das nach 1945 anders? Hier ist nun tatsächlich ein wesentlicher Unterschied zu konstatieren, der sich weniger auf den Typus als die politische Option bezieht. Wenngleich auch in der Bundesrepublik die Intellektuellen politisch überwiegend zur Linken zählten, wie die Angehörigen der „Gruppe 47“, Heinrich Böll, Günther Grass, Walter Jens usw., bildeten doch mit Ausnahme der 1960er/1970er Jahre Marxisten bzw. Kommunisten eher eine kleine Minderheit. Fraglich ist, ob die überwiegend studentische Protestbewegung in Deutschland seit 1968 als Aktion von Intellektuellen zu bezeichnen ist, wenngleich sie zeitweilig und partiell Unterstützung von Intellektuellen erhielt. Unter ihnen waren halb zustimmend, halb distanzierend Angehörige der Frankfurter Schule wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse und andere, die wie Ernst Bloch während der NS-Diktatur ins Exil gezwungen worden waren, bzw. jüngere Mitglieder des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wie Jürgen Habermas, Alfred Schmidt und Albrecht Wellmer. Doch gingen einige von ihnen bald wieder auf Distanz, als zunehmende Gewalttätigkeit erkennbar wurde, obgleich viele 1968er von diesen Sozialphilosophen inspiriert wurden.25 Anders sah es naturgemäß in der DDR aus, wohin mit Bert Brecht, Stefan Heym, Arnold Zweig, Anna Seghers einige bedeutende Schriftsteller remigrierten. Doch gewannen sie keinen wirklichen Einfluss auf die SED-Diktatur, so dass einige der Remigranten von Rang wie der Philosoph Ernst Bloch oder der Literaturwissenschaftler Hans Mayer in die Bundesrepublik flohen, ohne dort allerdings ihre marxistischen Grundüberzeugungen aufzugeben. Auch andere Intellektuelle der DDR gerieten in Opposition zur SED-Diktatur, etwa der Philosoph Wolfgang Harich oder später Rudolf Bahro, der 1974 sein bekanntes Buch „Die Alternative“ veröffentlichte. Wieder andere wie Wolf Biermann wurden ausgebürgert oder gingen in die Bundesrepublik, z. B. Sarah Kirsch, Rainer Kunze, Monika Maron. Doch wäre die Rolle von Intellektuellen in Diktaturen auch im Falle der DDR ein spezifisches Thema, weshalb es hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Insgesamt spielten jedoch die oppositionellen Intellektuellen in der DDR eine positive Rolle, standen aber auch linientreuen kommunistischen Intellektuellen gegenüber, die ihre einstige Freiheit des Denkens aus der Weimarer Zeit aufgegeben hatten. In Frankreich hingegen spielten die linken, ja marxistischen Intellektuellen in den „années Sartre“ eine dominierende kulturelle und gesellschaftliche Rolle.26 Das lag 25 Vgl. Wolfgang Kraushaar, Frankfurter Schule und Studentenbewegung, 3 Bde., Hamburg 1998; Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967 – 1977, 2. Aufl. Köln 2004; Horst Möller, „1968“ in vergleichender Perspektive, in: Die 68er plus 50 Jahre. Atzelsberger Gespräche 2018. Hrsg. von Helmut Neuhaus, Erlangen 2019, S. 107 – 126. 26 Vgl. zum gesellschaftlichen und politischen Kontext: Marc Lazar, Le communisme und passion francaise, Paris 2002 und insges. Remy Rieffel, Les intellectuels sous la Ve République
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zum einen an Zahl und Rang dieser Gruppe, zum anderen an der mit Deutschland unvergleichbaren Anerkennung, die in Frankreich traditionell die Intellektuellen, aber nach 1945 auch der Kommunismus besaßen. Dafür existieren mehrere Gründe: Zwar bildete die revolutionäre Tradition Frankreichs seit 1789 keineswegs eine ununterbrochene Kontinuität, doch für die nationale Erinnerungskultur spielt sie eine zentrale Rolle. Republik, Nation, Menschenrechte reklamierten auch die Kommunisten für sich, die Tradition der Arbeitskämpfe, provoziert und organisiert durch Richtungsgewerkschaften, verstärkte diese Tendenz und vor allem zählten die Kommunisten zur Résistance gegen die deutsche Okkupation und das Vichy-Regime. Mit anderen Worten, sie gehörten zum insgesamt positiv, zumindest nicht negativ bewerteten Traditionsbestand der politischen Kultur Frankreichs. Demgegenüber waren die Kommunisten in Deutschland in vielfacher Hinsicht diskreditiert: Sie hatten – zum Teil sogar in gemeinsamen Aktionen mit den Nationalsozialisten – zur Zerstörung der Weimarer Demokratie beigetragen, sie hatten in der DDR eine Diktatur errichtet, die bei aller Unterschiedlichkeit zum NS-Regime doch durch systematische Menschenrechtsverletzungen, eine politisierte Justiz, die u. a. zahlreiche politisch motivierte Todesurteile (insbesondere zu Zeiten der Staatsanwältin und Justizministerin Hilde Benjamin) zu verantworten hatte. Schließlich hatten die Kommunisten 1961 Berlin mit Mauer und Stacheldraht geteilt, nachdem schon vorher die innerdeutsche Grenze durch nur schwer überwindbare Hindernisse verriegelt worden war. Selbstschussanlagen und immer wieder vorkommende Schüsse auf Flüchtlinge forderten zahlreiche Todesopfer und Schwerverletzte. Lange bevor die DDR 1989 in jeder Hinsicht bankrott war, fiel der Vergleich mit der Bundesrepublik in Bezug auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Lebensstandard für die DDR vernichtend aus. Mehr als 3,5 Millionen Flüchtlinge in die Bundesrepublik bedeuteten eine unübersehbare Abstimmung mit den Füssen und stärkten den Antikommunismus in Westdeutschland. Mit anderen Worten: Auch der Neokommunismus der 1960er und 1970er Jahre erlangte keine gesellschaftliche Breitenwirkung, kommunistische Intellektuelle galten in der Bundesrepublik eher als Sektierer, denn als kritisches und konstruktives gesellschaftliches Potenzial. Und nicht zu vergessen: Nach 1945 hatte die deutsche Bevölkerung nur noch eine sehr begrenzte Neigung zu großen ideologischen Utopien. X. In Paris sah das ganz anders aus: Die zentralen Fragen der Intellektuellen von Saint-Germain de Prés und vom Montparnasse finden sich in dem Schlüsselroman der Nachkriegsintellektuellen „Les Mandarins“, den die Sartre-Gefährtin Simone de Beauvoir 1954 veröffentlichte: Das mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Werk kreist um die Frage, ob nicht der Zweck die Mittel heilige, ob nicht das Ziel (1958 – 1990), 3 Bd. Paris 1993. Zu den Intellektuellen 1968: Ingrid Gilcher-Holtey, „Die Phantasie an die Macht“. Mai 68 in Frankreich, Frankfurt/Main 1995.
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des Kommunismus Opfer unvermeidlich mache. Würde nicht die Kritik an den Verbrechen der bolschewistischen Sowjetunion, beispielsweise den Schauprozessen Stalins, die 1937/38 mehr als 680.000 offiziell nachgewiesene Todesopfer forderten, der bürgerlichen Reaktion in die Hände arbeiten? So jedenfalls argumentierten JeanPaul Sartre, Maurice Merleau-Ponty und andere. Die vernünftige Gegenposition der leicht zu entschlüsselnden Diskutanten in den „Mandarins“ nehmen etwa Arthur Koestler und Albert Camus ein. Diese Debatten der unmittelbaren Nachkriegsjahre führten zum Zerwürfnis von Sartre und Camus. Bezeichnend war, dass nicht erst Chruschtschows Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 einige Wahrheiten über das Sowjetsystem lieferte. Tatsächlich hatte schon der wahrhaft europäische Intellektuelle und ehemalige Kommunist Arthur Koestler mit seinem 1941 veröffentlichten Roman „Sonnenfinsternis“ eine desillusionierende und schonungslose Aufklärung über den mörderischen Terror Stalins und seiner Helfershelfer geliefert. Wenngleich diese Desillusionierung bei nicht wenigen eine Abkehr vom Kommunismus befördert hatte, blieb die Mehrzahl der Pariser Intellektuellen doch davon unbeeindruckt. Und auch die von André Malraux verkörperte Verbindung von „Theorie und Praxis“ die sich in seinem Roman über den Spanischen Bürgerkrieg „L’espoir“ (1937) zeigt, war politisch gescheitert. Bei vielen Pariser Intellektuellen dieser Jahre half aber weder die historische Erfahrung noch die engagierte nüchterne Analyse von Raymond Aron in seinem Buch „L’ Opium des intellectuels“ von 1955 über ihre Ideologietrunkenheit hinweg, sondern erst die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes durch sowjetische Truppen 1956. Wieder andere benötigten die Erfahrung des Prager Frühlings 1968. Die zentrale Kontroverse war im Verhältnis zweier ursprünglich befreundeten prägenden Intellektuellen, des Liberalen Aron und des existentialistischen Marxisten Sartre personalisiert.27 Eine tiefgehende intellektuelle Abrechnung mit dem Kommunismus nahm der ehemalige Buchenwald-Häftling und einer der führenden Funktionäre der Kommunistischen Partei Spaniens, der Schriftsteller Jorge Semprun, 1980 in seinem Buch „Quel beau dimanche“ vor: Nach seiner Emigration aus Spanien hatte er in der französischen Résistance mitgewirkt, war 1964 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden und nach dem Tod des Diktators Franco zeitweise spanischer Kultusminister gewesen. Seine Abrechnung analysiert (mit Analogien zu Ernst Nolte) die Ähnlichkeiten zwischen dem Archipel Gulag und den KZs des NS-Regimes. Doch trotz solcher Werke lösten sich viele kommunistische Intellektuelle erst 1989 von ihrer ideologischen Verblendung, die der große französische Revolutionshistoriker Franc¸ ois Furet, selbst bis 1956 Kommunist, 1995 in seinem bedeutenden Werk „Le passé d’une illusion“ dargestellt hat. Mit dem Fall der Sowjetunion brach die Zeit der Nouveaux philosophes an, die zwar die politischen Illusionen Sartres nicht mehr teilen, ihm aber an philosophischer Substanz und schriftstellerischer 27 Vgl. Jean-Francois Sirinelli, Sartre et Aron, deux intellectuels dans le siècle, Paris 1999; Horst Möller, Raymond Aron und die Linksintellektuellen, in: Macht und Zeitkritik. Festschrift für Hans-Peter Schwarz zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Peter R. Weilemann, Hanns Jürgen Küsters, Günter Buchstab, Paderborn usw. 1999.
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Kraft weit unterlegen sind, jedoch inzwischen alle Möglichkeiten des Medienzeitalters nutzen. XI. Die Gewichte haben sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten vor allem aus zwei Gründen verschoben: 1. Die politischen Irrtümer zahlreicher Intellektueller, insbesondere ihre so langwierige Ablösung von kommunistischen Illusionen während des II. Weltkriegs und in den Jahrzehnten danach, haben ihre mehr als eineinhalb Jahrhunderte währende, durchaus berechtigte Autorität als engagierte Kritiker gesellschaftlicher oder politischer Fehlentwicklungen geschädigt. Der Wahrheitsanspruch, der seit Voltaire und Zola das politische Engagement außerhalb der eigenen ,professionellen‘ Kompetenz legitimierte, wurde unglaubwürdig. Der Auseinandersetzung mit den noch immer aktuellen Verbrechen der kommunistischen Regime wich man aus, praktizierte aber zugleich einen plakativen Antifaschismus in Europa, der zumindest nach dem Ende des Franco-Regimes 1974 einem Phänomen der Vergangenheit galt. 2. Von Intellektuellen wie André Glucksmann, Alain Finkielkraut und BernardHenri Lévy geht kein annähernd so großer intellektueller Reiz aus, wie ihn – trotz aller Irrtümer – Sartre, Simone de Beauvoir und die anderen linken Denker und Schriftsteller dieser Jahre im Kreis um Sartres Zeitschrift „Les Temps Modernes“ ausübten. Zu den politischen Kämpfen dieser eher philosophischen Zeitschrift zählte beispielsweise die scharfe Abrechnung mit der Algerienpolitik der französischen Regierungen und den Methoden der Kriegführung in Algerien (1954 – 1962). Seit dem Ende der Ära Sartre wird die vielberufene „Krise der Intellektuellen“ diskutiert. Die wirklich bedeutenden, philosophisch, sozialwissenschaftlich oder methodologisch anregenden Werke kamen zum erheblichen Teil nicht mehr aus Saint-Germain des Prés, sondern aus dem Quartier Latin, aus dem Collège de France, der EHSS, der EHSP oder dem Institut d’étude des sciences politiques (Sciences Po) in Paris, von Autoren wie Jacques Derrida, Michel Foucault, Claude Lévy-Strauss, Paul Ricoeur, Pierre Bourdieu oder von Pierre Nora. Ihr Denken ist aber sehr viel anspruchsvoller und komplexer als das der Nouveaux philosophes und schon deshalb meist weniger direkt für breites gesellschaftlich-politisches Wirken geeignet. Insofern hat sich der Einfluss der Intellektuellen auf die französische Öffentlichkeit und damit indirekt auf die Politik vermindert. Dem widerspricht nicht die Behauptung von Lévy, den damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy von der Notwendigkeit überzeugt zu haben, gegen das Gaddafi-Regime in Libyen in den Krieg zu ziehen. Die Frage ist überdies, ob für heutige Politiker die Literatur noch eine – zumindest nach außen zur Schau getragene – vergleichbar legitimierende Bedeutung für ihr Selbstbild hat, wie für die vorhergehenden Generationen. Nach dem II. Weltkrieg versuchten Intellektuelle an das erwähnte ,europäische Gespräch‘ anzuknüpfen, das es trotz aller Wirrnisse zwischen den Kriegen gegeben
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hatte. So organisierten nach Beginn des Kalten Krieges 1950 im Westen des geteilten Berlin europäische Intellektuelle einen großen internationalen Kongress für kulturelle Freiheit als Zeichen gegen den Kommunismus. Unter den Rednern waren Raymond Aron, Ernst Reuter, Carlo Schmid, Arthur Koestler, Ignazio Silone und Jules Romains. Doch das dort beschlossen Manifest bildete weniger Anfang als Endpunkt, die Wege trennten sich, einer der Mitgründer, Melvin J. Lasky, gab die mehrere Jahrzehnte bestehende wichtige politische Zeitschrift „Der Monat“ heraus, der die politischen Gegensätze dokumentierte. Führende europäische Intellektuelle publizierten dort Artikel von Bertrand Russel, George Orwell bis zu Golo Mann und Sartre, der über die „Intellektuellen in der Krise der Gegenwart“ schrieb. Es war tatsächlich erst der lange Abschied vom Kommunismus und Neomarxismus, der den politischen Weg der meisten Intellektuellen in Deutschland und Frankreich bis in die 1980er Jahre getrennt hat – trotz mancher Analogie im französischen Existentialismus, der durch die deutsche Phänomenologie, die Existenzphilosophie sowie den überragenden Einfluss von Martin Heidegger auf die französische Nachkriegsphilosophie geprägt wurde. XII. Wenngleich in Deutschland die Disziplin der Intellektuellengeschichte sehr viel weniger ausgeprägt ist als in Frankreich, findet sie doch auch in Deutschland zunehmend Beachtung. Der politisch engagierte, in die Öffentlichkeit wirkende kritische Intellektuelle erlebte insbesondere aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus seit 1945 in Deutschland seine Wiedergeburt. Davon zeugen zahlreiche Schriften sowie die kulturpolitischen Nachkriegszeitschriften wie die Frankfurter Hefte, die Neue Rundschau, Merkur, die Neue Gesellschaft, die noch heute existieren. Dieses politische Engagement der schreibenden Zunft hat in der Geschichte der Bundesrepublik bis heute nicht nachgelassen, ob es sich nun früher um Wolfgang Koeppen, die Frankfurter Sozialphilosophen, Alexander und Margarete Mitscherlich, Johannes Gross, Sebastian Haffner, Joachim Fest, Wolf Jobst Siedler oder Günther Grass, Martin Walser, Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger und Peter Sloterdijk handelt. In den 1970er und 1980er Jahren meldeten sich in Reaktion auf die 1968er verstärkt konservative Intellektuelle zu Wort, beispielsweise Günther Maschke, Günter Rohrmoser, Armin Mohler und andere. Doch blieben sie nur eine kleine Minderheit und gewannen auf die Gesellschaft insgesamt sehr viel geringeren Einfluss als die linken Intellektuellen. Insofern ist die Konstellation ähnlich wie in Frankreich. Zu erwähnen ist auch die intellektuelle Kritik an Linksintellektuellen und der kulturpolitischen Entwicklung in Deutschland in Kongressen und Publikationen, die seit Ende der 1970er Jahre zu einer „Tendenzwende“ aufforderten: Einer der Wortführer war der frühere sozialdemokratische Staatssekretär und Philosoph Hermann Lübbe oder der bedeutende – ebenfalls sozialdemokratische – Politikwissenschaftler und
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Publizist Richard Löwenthal, die neben eher konservative Publizisten wie Dolf Sternberger, Golo Mann und Erwin K. Scheuch traten. Zu einer Fundamentalkritik setzte 1975 der Soziologe Helmut Schelsky an, der durch wichtige Zeitdiagnosen wie „Die skeptische Generation“ (1957), „Soziologie der Sexualität“ (1955) oder „Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität“ (1971) hervorgetreten war. Schon der Titel seines Buches signalisiert die Kampfansage: „Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen“. Später folgten dann ähnlich (selbst)kritische Essays von Intellektuellen, beispielsweise des linksliberalen Politologen Kurt Sontheimer. Offensichtlich wurde für einige Intellektuelle das politische Engagement selbst zum Problem. Insgesamt näherte sich jedenfalls die gesellschaftliche Rolle politisch engagierter Intellektueller in Deutschland und Frankreich an, ihre immer wieder auftretenden markanten politischen Irrtümer sind ebenfalls vergleichbar. In einem bleibt aber ein wesentlicher kommunikativer Unterschied, den schon die Aufklärer des 18. Jahrhunderts bemerkten: In Frankreich ist – trotz aller kultureller Bedeutung auch anderer traditionsreicher Städte – Paris nach wie vor das Zentrum des intellektuellen Diskurses. Ein vergleichbares Zentrum fehlt in Deutschland aufgrund der föderativen Struktur, die den kulturellen Polyzentrismus, aber keine Kohärenz begünstigt wie in Paris: Dort konzentrieren sich auf wenigen Quadratkilometern die Intellektuellen, aber auch wissenschaftliche Institute, Eliteuniversitäten, Akademien, Zeitschriften, Verlage und Buchhandlungen. Und trotzdem: Fördert die enge Nachbarschaft in Paris wirklich die wechselseitige Hochschätzung von Politikern und Intellektuellen stärker als es die räumliche Distanz in Deutschland erlaubt? General de Gaulle soll zwar über den im Mai 1968 im Quartier Latin agitierenden Sartre gesagt haben, „Voltaire verhaftet man nicht“, doch zum Minister hat er den geläuterten André Malraux, nicht aber Sartre berufen. Und ebenso wenig hat Bundeskanzler Willy Brandt Heinrich Böll oder seinen Wahlhelfer Grass in die Bundesregierung geholt, was letzteren frustriert haben soll. Schließlich wird oft vergessen: Auch in Deutschland hat es führende Intellektuelle in politischen Ämtern gegeben, beispielsweise Walther Rathenau, Theodor Heuss, Carlo Schmid, Hans Maier, zeitweise auch Ralf Dahrendorf sowie den Sonderfall Franz Josef Strauß – der nicht allein ein Vollblutpolitiker, sondern ebenfalls ein Intellektueller war, obwohl – oder gerade deswegen? – er zum verhassten Feindbild der Linksintellektuellen avancierte.
XIII. Insgesamt zeigt sich auch in der intellektuellen Szenerie eine Angleichung europäischer Gesellschaften, wenngleich die seit 2015 brennend-aktuelle Diskussion über das Migrationsproblem und die Integration des Islam in die europäischen Gesellschaften bemerkenswerte Unterschiede zeigt. Während das Thema zwar in den bundesdeutschen Medien seitdem präsent ist, zeitweilig dominant war, blieb die Be-
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teiligung deutscher Intellektueller an der Debatte deutlich schwächer als bei französischen Intellektuellen, die in dem früher so Einwanderer-freundlichen Land entschieden kritischer ausfiel, denkt man nur an Alain Finkielkraut und Michel Houellebecq: Mit seinem 2015 veröffentlichten verstörend-provokativen Roman „La soumission“ hat er geradezu in ein politisch-gesellschaftliches Wespennest gestoßen und mit kritischer Satire das Menetekel eines islamisch beherrschten Staates an die Wand gemalt. In Deutschland wurde das Buch zwar gleich übersetzt und im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg mit Edgar Selge eine Aufsehen erregende Bühnenfassung inszeniert, doch eine Diskussion unter Intellektuellen hat Houellebecq in Deutschland nicht provoziert. Trotz französischer Spezifika seines Romans könnte der Kern der Handlung und die böse Satire auch auf Deutschland übertragen werden. Und die Ironie der Geschichte liegt in der Bestätigung für die Befürchtungen Houellebecqs in Italien: In Rom hat man vor einigen Jahren antike Statuen beim Besuch des iranischen Präsidenten verhüllt, um seine islamische Sensibilität nicht durch – künstlerische – Nacktheit zu verletzen. Sogar dazu haben sich deutsche Intellektuelle nicht hörbar vernehmen lassen. Auch hier also „Unterwerfung“? Statt dessen dominieren pseudointellektuelle ahistorische Debatten über Rassismus, Gendersprache, Utopien sozialer Gleichheit, Umweltprobleme mit Absolutheitsanspruch der vermeintlich ,Wissenden‘ die Szene. Könnte es sein, dass in Frankreich nach vielen Jahrzehnten starker marxistischer Dominanz die Mehrzahl der Intellektuellen die Welt nicht mehr auf den Kopf stellt, sondern vom Sein und weniger vom Sollen ausgeht, während in Deutschland das Sollen wieder stärker als das Sein die intellektuelle Szenerie prägt? Hatte Schelsky Recht mit seiner Diagnose über die „Priesterherrschaft“ der Intellektuellen: „Die Arbeit tun die anderen“?!
Der Briefwechsel zwischen den Philosophen-Söhnen Immanuel und Karl Hegel Von Helmut Neuhaus, Erlangen I. Biographische Vorbemerkungen Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) und die Patriziertochter Maria Helena Susanna von Tucher (1791 – 1855) hatten mit Karl und Immanuel zwei in Nürnberg geborene Söhne. Karl Hegel (1813 – 1901), der Historiker und spätere Rostocker und Erlanger Geschichtsprofessor, und Immanuel Hegel (1814 – 1891), der hohe preußische Regierungsbeamte und spätere Konsistorialpräsident, pflegten über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg einen zeitweise sehr intensiven Briefwechsel, der nicht nur Auskünfte über ihr jeweiliges privates und berufliches Leben gibt, sondern auch sehr persönliche Einblicke in staats- und kirchenpolitische Ereignisse ihrer Zeit gewährt. Beider Privatleben zeigen über ihre gemeinsame Jugendzeit hinaus bemerkenswerte Parallelen. Beide Hegel-Söhne heirateten in unterschiedlichen Lebensphasen sehr viel jüngere Frauen der sogenannten „besseren“ Gesellschaft aus ihrer beruflichen bzw. verwandtschaftlichen Umgebung. Der jüngere Immanuel1 verehelichte sich im Jahre 1845 mit der 23jährigen Friederike Flottwell (1822 – 1861), einer Tochter des damaligen preußischen Finanzministers Eduard Heinrich Flottwell (1786 – 1865),2 die er während seiner Tätigkeit als Regierungsassessor bei ihm als Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen und Regierungspräsident in Magdeburg kennengelernt hatte. Karl Hegel3 heiratete 1850 seine und seines Bruders 24 Jahre alte Cousine Susanna Maria von Tucher (1826 – 1878). Sie war eine Tochter des damaligen Familienältesten und baldigen Gründers der Nürnberger
1 Zu Immanuel Hegel vgl. zuletzt: Helmut Neuhaus, „Hegel, Immanuel“, in: NDB-online, veröffentlicht am 01. 10. 2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/116570725. html#dbocontent. 2 Hans Fenske, Eduard Heinrich Flottwell (1786 – 1865), in: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648 – 1945, hrsg. v. Kurt G. A. Jeserich und Helmut Neuhaus, Stuttgart [u. a.] 1991, S. 154 – 158. 3 Zu Karl Hegel vgl. zuletzt: Helmut Neuhaus, „Hegel, Karl“, in: NDB-online, veröffentlicht am 04. 10. 2022, URL: https://www.deutsche-biographie.de/11657075X.html#dbocontent.
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Tucher-Brauerei Johann Sigmund Karl von Tucher (1794 – 1871)4 und eine Nichte der damals schon lange verwitweten Ehefrau des Philosophen Hegel. Über ihre Ehefrauen waren die Brüder eng in deren Familien einbezogen, zumal zu der Verwandtschaft ihres schwäbischen Vaters kaum Beziehungen bestanden oder gar gepflegt wurden. Mit den Tuchers waren die Hegels schon allein dadurch doppelt verbunden, da der Philosoph zum einen mit Maria Helena Susanna das älteste Kind Jobst Wilhelm von Tuchers (1762 – 1813) heiratete, der noch ganz in dem Geiste der zu Ende gehenden patrizischen Welt Nürnbergs lebte, und zum anderen der Historiker die älteste Tochter Johann Sigmund Karl von Tuchers ehelichte, mit dem im Zeitalter der Industrialisierung das neue unternehmerische Denken in die Familie einzog. Beide „Tucherinnen“ pflegten als jeweils Älteste ihrer zahlreichen Geschwister in besonderer Weise den Familienzusammenhalt, der sich in der Generation der Ehefrau des Philosophen nach einem frühen Todesfall auf sechs Brüder und Schwestern erstreckte, in der Generation der Ehefrau Karl Hegels nach dem frühen Ableben von drei Brüdern und einer Schwester auf vier weitere Schwestern und den jüngsten Bruder. Über die Eheschließungen der Geschwister kamen Mitglieder ehemaliger Patrizierfamilien, alter landadeliger, neuadeliger und bürgerlicher Familien hinzu. Mit der aus dem preußischen Insterburg stammenden Familie Flottwell war Immanuel Hegel ebenfalls in doppelter Weise verbunden, denn nach dem frühen Tod seiner Frau Friederike im Jahre 1861 heiratete er vier Jahre später deren jüngere, bis dahin ledig gebliebene Schwester Clara (1825 – 1912), während Karl Hegel nach dem Tod seiner nur 52 Jahre alt gewordenen Ehefrau Susanna Maria nicht wieder heiratete. Über die Flottwells wurde Immanuel eng in das gesellschaftliche Leben der höheren preußischen Beamtenschaft, der Politiker, der Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirche in Berlin und der kurmärkischen Gutsbesitzer eingebunden. Sein von ihm sehr verehrter Schwiegervater war als Regierungspräsident in Marienwerder und Magdeburg, dann als Oberpräsident in den preußischen Provinzen Posen, Sachsen, Westfalen, Preußen und Brandenburg, nicht zuletzt als preußischer Finanzminister von 1844 bis 1846 und preußischer Innenminister in den Jahren 1858/59 ein herausragender Vertreter der öffentlichen Verwaltung des Königreichs Preußen, über den es erstaunlicherweise keine umfassende Biographie gibt.
II. Zur Überlieferung des Briefwechsels zwischen Immanuel und Karl Hegel Aus der Zeit vom 28. Mai 1832 bis 23. Dezember 1889 sind 392 Briefe bekannt, die zwischen Immanuel und Karl Hegel gewechselt wurden, vornehmlich in pri4 Zu ihm vgl. zuletzt: Michael Diefenbacher, „Tucher von Simmelsdorf, Sigmund Freiherr“, in: NDB 26 (2016), S. 490 – 491 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biogra phie.de/pnd1018967648.html#ndbcontent.
Der Briefwechsel zwischen Immanuel und Karl Hegel
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vaten Familienarchiven an verschiedenen Orten überliefert. Von diesen 392 Briefen stammen 251 von Immanuel und 141 von Karl Hegel. Sie sind zumeist auf den vier Seiten eines Doppelbogens geschrieben, aber es sind keine Briefumschläge mit Anschrift und Absender aufgehoben worden; nur vereinzelt finden sich ursprünglich mit Siegel verschlossene Faltbriefe, deren Faltung ein freies Feld für die Anschrift des Empfängers, für Poststempel und postalische Bemerkungen übrigließ. Allerdings hat sich nur für die 1870er Jahre – genauer: für die Zeit vom 27. Juli 1871 bis 13. Dezember 1880 – eine nahezu lückenlose, 175 Briefe umfassende Abfolge von Briefen und Antwortbriefen zwischen den Brüdern erhalten, 87 von Karl und 88 von Immanuel. Karl Hegel hätte im brieflichen Austausch mit seinem Bruder gerne „eine erfreuliche constante Wechselbeziehung unterhalten“, wie er ihm am Neujahrstag des Jahres 1876 schrieb, weil „auf solche Weise […] am besten der bloße Zufall längeren Stillschweigens vermieden [wird]“, aber er konnte sein Versprechen, „Dir fortan, wenigstens am 1. [Tag] jedes Monats von uns Nachricht zu geben“, ebensowenig einhalten, wie Immanuel seiner Bitte nicht nachgekommen ist, „in gleicher Regelmäßigkeit Mitte des Monats zu schreiben“.5 Von Anfang an ließ sich dieses Vorhaben nicht umsetzen und scheiterte schon im ersten Jahr, da es für eine private Kommunikation angesichts der beruflichen und familiären Lebenswirklichkeiten beider Briefschreiber völlig ungeeignet war. Auch wenn es vereinzelt Lücken in der an sich geschlossenen Brüder-Korrespondenz der 1870er Jahre gibt, so lassen sich fehlende Ausgangs- oder Antwortbriefe meistens deshalb datieren, weil auf sie Bezug genommen wurde. Bei den Briefen der 1830er bis 1860er sowie der 1880er Jahre ist nur in Einzelfällen zu erkennen, daß die Brüder auf die Schreiben des jeweils anderen Bezug nahmen, zumal sie oft in großen Abständen aufeinander folgten. Vor allem aber sind für diese Jahrzehnte nur einseitige Überlieferungen festzustellen, denn für die Zeit vom 4. Februar 1843 bis zum 15. Dezember 1846 gibt es ausschließlich Briefe von Immanuel Hegel an Karl, ebenso für die Zeit vom 4. März 1853 bis 1. Dezember 1858 sowie vom 9. Januar 1881 bis – mit einer Lücke für die Jahre 1883 und 1884 – zum 23. Dezember 1889, dem Tag, von dem der letzte Brief des jüngeren an den älteren Bruder überhaupt datiert. Umgekehrt haben sich für die Zeit vom 9. Februar 1868 bis 27. Juni 1871 lediglich Briefe Karl Hegels an Immanuel erhalten. Diese lückenhafte Überlieferung von familiären Korrespondenzen ist an sich nicht überraschend, da für sie selten eine geordnete Ablage gepflegt wurde, da man sie nach Jahren bewußt aussortierte und vernichtete oder da sie unter großen Mengen schlicht verloren gingen. Alle Briefe waren natürlicherweise Unikate, auf deren Behandlung durch den Empfänger der Absender in der Regel keinen Einfluß hatte. Allerdings kam es vor, daß sich Absender ihre Briefe für einen bestimmten Zweck 5 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 1. Januar 1876 aus Erlangen. – Alle im Folgenden zitierten Briefe aus der Korrespondenz zwischen Immanuel und Karl Hegel werden dezentral in privaten Familienarchiven aufbewahrt und sind ungedruckt. Eine digitale Edition sämtlicher mehr als 2000 Briefe von und an Karl Hegel befindet sich in Vorbereitung.
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auf Zeit zurückerbaten, so wie es Karl Hegel bald nach dem frühen Tod seiner Frau gegenüber seinem Bruder hinsichtlich seiner Briefe an ihn aus den 1840er Jahren tat, weil er sie als Quelle für die Niederschrift seiner Lebenserinnerungen benötigte.6 Ebenso erbat er von Immanuel „aus unserer ersten Erlanger Zeit“ – weil andere familiäre Korrespondenzen „verloren sind“ – seine „Briefe an Dich von 1856 – 1859“ mit dem Versprechen, sie ihm wunschgemäß zurückzusenden.7 Beide Brüder legten mit ihren gegenseitigen Übersendungen Wert darauf, daß die Briefe geordnet übergeben wurden, „nach den Jahrgängen gesondert“, wie Immanuel Hegel am 20. Oktober 1878 schrieb8 und am 26. November 1878 erläuterte, „weil ich am Schlusse jeden Jahres die von mir empfangenen und aufgehobenen Briefe zu einem Paket zusammenthue und aufbewahre“.9 Da war Karl Hegels Hinweis, der Bruder brauche sich „mit der Ordnung der Briefe […] nicht aufzuhalten, denn ich lege sie mir leicht selbst chronologisch zurecht“,10 gar nicht notwendig. Er nahm die erneute Lektüre seiner eigenen Briefe und die seines Bruders zum Anlaß, „eine Rückschau über mein ganzes langes Leben [zu] halten, welches am 1. Januar dieses Jahrs seinen inneren Abschluß gefunden hat, und habe als Historiker meine eigene Vergangenheit zum Gegenstand der Betrachtung und Aufzeichnung gemacht“.11 Auch Immanuel trug sich mit solchen Gedanken, wenn er am 26. November 1878 nach Erlangen schrieb, er sammele so eine große Masse an Briefen, um im Ruhestand vielleicht „mit der Hülfe dieses Materials eine Rükschau über ein bewegtes und arbeitsvolles Leben zu halten“.12 In einer „Manuskripte und Bücher“ überschriebenen letztwilligen Verfügung, gerichtet an seine Kinder, hat Karl Hegel im April 1899 vermerkt, daß seine Schwägerin Klara, seines Bruders zweite Ehefrau und Witwe, „die Briefe meines Bruders an mich zu erhalten wünsche“.13 Das erklärt, warum sich Immanuel Hegels 6 Vgl. Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 20. Oktober 1878 aus Berlin. – Diese ersten Lebenserinnerungen Karl Hegels bildeten sein 1878 begonnenes handschriftliches, zu seinen Lebzeiten ungedruckt gebliebenes „Gedenkbuch“: Helmut Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln [u. a.] 2013. Im Jahr vor seinem Tod publizierte Karl Hegel auf der Grundlage seines „Gedenkbuches“, aber – von kurzen „Erinnerungen aus späterer Zeit“ abgesehen – nur bis zum Beginn seiner Erlanger Zeit reichend: Karl Hegel, Leben und Erinnerungen, Leipzig 1900. 7 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 14. November 1878 aus Erlangen. 8 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 20. Oktober 1878 aus Berlin. 9 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 26. November 1878 aus Berlin. 10 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 14. November 1878 aus Erlangen. 11 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 19. Dezember 1878 aus Erlangen. – Der 1. Januar 1878, der Todestag seiner Frau, war für Karl Hegel die größte Zäsur seines Lebens; er rechnete fest damit, auch bald zu sterben. 12 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 26. November 1878 aus Berlin; tatsächlich hat er dann noch kurz vor seinem Tode ohne konkrete Bezüge auf Briefe publiziert: Immanuel Hegel, Erinnerungen aus meinem Leben, Berlin 1891. 13 Zusammen mit anderen Dokumenten ungedruckt erhalten in einer „K. Hegel“ beschrifteten Mappe in Karl Hegels persönlichem Nachlaß.
Der Briefwechsel zwischen Immanuel und Karl Hegel
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Briefe an den Erlanger Bruder heute nicht im Nachlaß Karls befinden, sondern in dem Immanuels.14 Zudem ließ er seine Kinder wissen: „Meine Briefschaften, sowie die Eurer seeligen Mutter (im Sekretär und im Schränkchen der Schlafstube) sind zu vernichten, ausgenommen was Ihr zum Andenken aufbewahren wollt.“15 Ganz offensichtlich hat nach Karl Hegels Tod ein Tausch der Briefe zwischen den Berliner und Erlanger Verwandten stattgefunden, denn sein persönlicher Nachlaß enthält u. a. auch seine eigenen Briefe an den jüngeren Bruder, der größte Teil für die Zeit von 1868 bis 1880 in kleinen Mappen jahrgangsweise geordnet, eigenhändig von ihm mit Jahreszahlen überschrieben, mehrfach auch mit dem Zusatz „Briefe von mir“ versehen. III. Die Inhalte des Briefwechsels 1. Familienereignisse Wenn man sich nicht gegenseitig besuchte, was allerdings mit der Eisenbahn seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer weitreichender möglich wurde, war der Brief das einzige Kommunikationsmittel, um über Ereignisse in der Familie zu informieren und sich gegenseitig auszutauschen. Dazu war er – abgesehen vom in dringenden Fällen benutzten Telegramm – ein durchaus schnelles Informationsmittel, denn in der Regel lagen zwischen Absendung und Empfang dank der Bahnpost, die die Postkutsche ablöste, höchstens zwei Tage zum Beispiel zwischen Berlin und Rostock oder Erlangen und Berlin. Nach den Hochzeiten Immanuel Hegels mit Friederike Flottwell am 3. Juli 1845 und Karl Hegels mit Susanna Maria von Tucher am 28. Mai 1850 bestimmten Berichte über das beginnende Eheleben die Briefe der Brüder, die an den jeweiligen Festlichkeiten in Berlin beziehungsweise Nürnberg teilgenommen hatten. Ergänzt wurden sie von Immanuel schon bald durch die Nachricht von der Geburt des ersten Kindes Auguste („Gustli“) Hegel (1846 – 1850), dann vier weiterer Kinder: Marie (1848 – 1925), Wilhelm (1849 – 1925), Clara (1853 – 1924) und Anna (1858 – 1859). Ihre Lebenswege nahmen in der brüderlichen Korrespondenz breiten Raum ein und wurden in ihrem glücklichen wie in ihrem traurigen Verlauf begleitet: der frühe Tod der ältesten Tochter im Alter von nicht einmal vier Jahren kurz vor Karl Hegels Hochzeit ebenso wie das frühe Ableben der kein Jahr alt gewordenen jüngsten und immer wieder intensiv das Schicksal der geistig und körperlich behinderten, von 14
Dort vor allem in vier Umschlägen für die Zeiträume 1843 – 1849, 1853 – 1858, 1871 – 1879 und 1880 – 1889 erhalten. 15 Aufbewahrt wurden u. a. die Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers und Karl Hegels aus den Jahren 1849/50, jetzt publiziert: Die Brautbriefe Karl Hegels an Susanna Maria von Tucher. Aus der Verlobungszeit des Rostocker Geschichtsprofessors und der Nürnberger Patriziertochter 1849/50, hrsg. v. Helmut Neuhaus (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 87), Wien [u. a.] 2018; Die Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers an Karl Hegel. Aus der Familiengeschichte der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher von Simmelsdorf 1849/50, hrsg. v. Helmut Neuhaus (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 97), Wien [u. a.] 2022.
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allen nur „Clärchen“ genannten Tochter Clara, die später Stiftsdame im nördlich von Berlin gelegenen evangelischen adeligen Fräuleinstift Zehdenick wurde. Durchweg positiv und stets erfreut berichtete Immanuel Hegel über seine zweitälteste Tochter Marie und ihre Familie mit drei Kindern. Sie heiratete mit Rudolf Bitter (1846 – 1914) einen Sohn Hans Rudolf Bitters (1811 – 1880), des hohen preußischen Finanzbeamten und späteren Präsidenten der sich zur Preußischen Staatsbank entwickelnden Seehandlung. Den beruflichen Werdegang seines Schwiegersohnes als vielfältig in den preußischen Provinzen Posen und Schlesien eingesetzter Verwaltungsbeamter, als Landrat im schlesischen Waldenburg, Ministerialbeamter im Preußischen Innenministerium und Regierungspräsident von Oppeln verfolgte Immanuel Hegel sehr intensiv und mit wachsendem Wohlwollen. Noch engeren Anteil nahm Immanuel Hegel natürlich am Leben seines einzigen Sohnes Wilhelm („Willy“), über dessen Entwicklung sein Patenonkel Karl Hegel immer wieder informiert wurde: von der Berliner Gymnasial- und Göttinger Universitätszeit als Jura-Student und Mitglied der Burschenschaft Germania des Schwarzburgbundes, über die aktive Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, die erste berufliche Tätigkeit während des sog. „Kulturkampfes“ in der staatlichen Verwaltung des Bistums Paderborn, dann im Regierungspräsidium Posen, im Preußischen Kultusministerium und schließlich als Landrat des Kreises Jerichow.16 Die Kontakte der Witwe des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit ihren Söhnen waren in unterschiedlicher Weise sehr eng, mit Karl seit seinem beruflichen Wechsel an die Universität Rostock vor allem brieflich. Über die Aktivitäten seiner Mutter im Umkreis des evangelisch gewordenen Pfarrers Johannes Evangelista Goßner (1773 – 1858) sowie dessen Tätigkeiten im Sinne der Inneren Mission und für das Berliner Elisabeth-Kinder-Hospital wurde er darüber hinaus immer wieder von seinem ebenfalls in der preußischen Hauptstadt lebenden Bruder Immanuel informiert. Dessen Berichte über den schlechter werdenden Gesundheitszustand Maria Helena Susanna Hegels seit dem Ende der 1840er Jahre, der ihre Teilnahme an Karl Hegels Hochzeit in ihrer Heimatstadt Nürnberg schon nicht mehr möglich machte, verdichteten sich in der ersten Hälfte des Jahres 1855 bis zu seiner Todesnachricht von ihrem Sterbetag, dem 6. Juli 1855,17 immer mehr. Durchgängig bezog Immanuel Hegel in seine brieflichen Mitteilungen stets auch die Familie seiner beiden Ehefrauen ein. Bedauerlicherweise ist keine Korrespondenz der Brüder für die Zeit von 1859 bis 1868 überliefert, in der am 26. Oktober 1861 Immanuels erste Ehefrau Friederike und am 28. Mai 1865 sein Schwiegervater Eduard Heinrich von Flottwell gestorben sind. Bis zu dessen Tod reicht aber 16 Nach Immanuel Hegels Tod stieg sein Sohn zum Regierungspräsidenten in Gumbinnen und Allenstein sowie zum Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen auf und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben. 17 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 6. Juli 1855 aus Berlin; Karl Hegel hatte seine Mutter zu Pfingsten ein letztes Mal besucht.
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eine familiengeschichtliche Quelle, eine auch mit umfangreichen Briefzitaten gestaltete Abhandlung seiner Tochter Clara, die ein Vierteljahr später Immanuel Hegels zweite, kinderlos gebliebene Ehefrau wurde.18 In zahlreichen Briefen Immanuel und Karl Hegels gewinnen Claras Brüder biographische Konturen. Das Schicksal des erblindeten Regierungsrates Theodor Bernhard Flottwell (1820 – 1887) sorgte immer wieder für große Anteilnahme, zumal wenn medizinische Behandlungen und Kuren erfolglos blieben. Der zweitälteste Bruder Hermann Flottwell (1826 – 1873) heiratete in die wohlhabende Danziger Kaufmannsfamilie Frantzius ein und wurde Gutsbesitzer. Auch nach seinem frühen Tod blieb für seine Witwe und seine Kinder die Familie Immanuel und Clara Hegels in Berlin ein fester Bezugspunkt. Das gilt ebenso für Julius Adalbert Flottwell (1829 – 1909), der als studierter Jurist in seinem beruflichen Leben sehr unterschiedliche Funktionen auszufüllen hatte: als Landrat des Kreises Meseritz in der Provinz Posen, als Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, als Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, als Regierungspräsident in seiner Geburtsstadt Marienwerder und als Präsident des Bezirks Lothringen des Reichslandes ElsaßLothringen in Metz. Ebenso wie die Briefe Immanuel Hegels sind die Karls an seinen Bruder stark von den Ereignissen in seiner seit der Geburt seines ersten Kindes im Jahre 1851 ständig wachsenden Familie geprägt. Auf Anna (1851 – 1927) folgten bis 1867 sieben Geschwister: Luise (1853 – 1924), Marie (1855 – 1929), Georg (1856 – 1933), Sophie (1861 – 1940), Sigmund (1863 – 1945), August (1864 – 1865) und Gottlieb (1867 – 1874). Die vier älteren Kinder wurden in Rostock geboren, wo Karl Hegel von 1841 bis 1856 an der Universität zunächst bis 1848 Extraordinarius, dann Lehrstuhlinhaber war, die vier jüngeren in Erlangen, an dessen Universität er im Jahre 1856 berufen wurde. Die beiden zuletzt geborenen Söhne starben im Säuglings- bzw. im Kindesalter. Dauerhafte gesundheitliche Sorgen bereitete die hochmusikalische älteste Tochter Anna, die an einer immer weiter fortschreitenden Gehörlosigkeit litt und von Spezialisten der Ohrenheilkunde u. a. in Fürth, Würzburg und Berlin, wo sie lange Zeit in der Familie ihres Onkels Immanuel Hegel lebte, erfolglos behandelt wurde. Von den vier Töchtern Karl und Susanna Maria Hegels blieben Marie und Sophie unverheiratet. Marie führte dem Vater nach dem frühen Tod der Mutter ab 1878 den Haushalt in Erlangen und betreute ihn bis zu seinem Lebensende, Sophie ging später als Lehrerin an ein Töchterinstitut nach Malvern in England. Die beiden anderen Töchter heirateten Universitätskollegen ihres Vaters: Luise im Jahre 1872 den vier Jahre zuvor als Ordinarius für Physik nach Erlangen berufenen Eugen Lommel (1837 – 1899), der sich vor allem auf dem Felde der Erforschung des
18 Clara Hegel, geb. von Flottwell, Das Flottwell’sche Elternhaus. Aus eigenen Erlebnissen und Briefen dargestellt. Als Manuskript gedruckt für die Familie und ihre Freunde, o. O. [Diesdorf bei Gäbersdorf, Kreis Striegau] o. J. [1897].
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Lichtes einen Namen machte,19 Anna im Jahre 1875 den weltberühmt gewordenen Mathematiker Felix Klein (1849 – 1925), der ab 1872 den Lehrstuhl seines Faches an der mittelfränkischen Universität des Königreiches Bayern innehatte und in seiner Antrittsvorlesung das „Erlanger Programm“ im Bereich der Geometrie entwickelte. Bis 1886 folgte Klein nacheinander Rufen an die Technische Hochschule München sowie an die Universitäten Göttingen und Leipzig, lehnte aber 1883 einen Wechsel an die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) ab.20 Daß zwischen dem Rheinpfälzer Lommel und seiner Tochter Luise ein großer Altersunterschied bestand, beschäftigte Karl Hegel, aber noch mehr gab er seiner Tochter zu bedenken, daß ihr Auserwählter katholisch sei und „sie in der Vereinigung mit dem nahezu 16 Jahre älteren Mann, ein wesentliches Element innerer Lebensgemeinschaft, das religiöse und kirchliche, für immer entbehren würde, da er, wenn auch nicht dem katholischen Glauben zugethan, doch der katholischen Kirche angehört.“ Eine konfessionsverschiedene Ehe war ihm fremd, der er mit seiner 13 Jahre jüngeren Ehefrau und sechs Kindern in einer gläubigen, der evangelisch-lutherischen Kirche eng verbundenen Familie lebte. Andererseits fanden sich die Eltern bei allen Denkanstößen und Ratschlägen für ihre Tochter „weder gewillt, noch berechtigt, ihrer Herzenswahl entgegenzutreten und vielleicht ihr Lebensglück in früher Jugend zu zerstören“.21 Bei gleichem Bedauern der „obwaltende[n] Differenz der Konfession“ pflichtete Immanuel Hegel dem Bruder postwendend „darin bei, daß aus diesem Grunde sich hinterher ein Veto der Eltern schwerer durchsetzen läßt“ und „eine prinzipielle Beurtheilung“ nicht erlaubt sei.22 Ebenso wie die vier Kinder Anna und Felix Kleins wurden auch die acht Kinder Luise und Eugen Lommels evangelisch getauft und erzogen. Ganz unterschiedlicher Auffassung waren die Brüder hinsichtlich des Umgangs mit Karl Hegels ältestem Sohn Georg, der dem Vater schon als Schüler viel Ärger bereitet und das Gymnasium nicht mit dem Abitur abgeschlossen hatte. In seinem Antwortbrief vom 11. Januar 1874 auf Karls Weihnachtsbrief vom 26. Dezember 1873 widersprach Immanuel als Patenonkel Georgs der „Absicht“ seines Bruders, „ihn nach Amerika zu schicken“, mit großer Entschiedenheit, warf ihm vor, seinen Plan nicht konsequent zu Ende gedacht zu haben und hielt ihm eine nachdrückliche Predigt über die Liebe auf der Grundlage des 13. Kapitels des ersten Briefes des Paulus an die Korinther.23 Nie wieder begegnet das Thema im Briefwechsel der Brüder, ja es will scheinen, als ob Karl es vergessen machen wollte.24
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Helmut Rechenberg, „Lommel, Eugen“, in: NDB 15 (1987), S. 144 – 145 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd104276150.html#ndbcontent. 20 Nikolai Stuloff, „Klein, Felix“, in: NDB 11 (1977), S. 736 – 737 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd11856286X.html#ndbcontent. 21 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 15. März 1872 aus Erlangen. 22 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 17. März 1872 aus Berlin. 23 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 11. Januar 1874 aus Berlin.
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Während Georg Hegel, der in Nürnberg eine kaufmännische Lehre machte und es dann in der königlich-bayerischen Armee bis zum Obersten brachte, noch lange Zeit das Sorgenkind des Vaters blieb, absolvierte sein jüngerer Bruder Sigmund zum Gefallen Karl Hegels von 1880 bis 1885 in Erlangen und München ein naturwissenschaftliches Studium. Der Promotion bei dem späteren Chemie-Nobelpreisträger Emil Fischer (1852 – 1919) an der Universität Erlangen folgten Berufstätigkeiten in der aufstrebenden Chemie-Industrie in Ludwigshafen, Mannheim und Berlin und schließlich die Anstellung als Regierungsrat im Kaiserlichen Patentamt in der Reichshauptstadt. Wie Karl Hegel über die Berichte seines Bruders Anteil an den Ereignissen in der Familie Flottwell nahm, so Immanuel an denen der Tuchers in Nürnberg. Für regelmäßige Informationen über seine Schwiegereltern sorgte Karl in seinen Briefen, unter denen der vom 7. Juni 1871 besonders hervorzuheben ist, von dem Tag, an dem der Chef der Tucher-Brauerei und Familienälteste Johann Sigmund Karl von Tucher, sein Schwiegervater, nach einem großen Trauerzug quer durch Nürnberg auf dem Johannisfriedhof beigesetzt wurde.25 Wie bei Hochzeiten, Taufen, Weihnachtsfeiern und anderen großen Familienfesten legte Karl Hegel größten Wert auf eine genaue Beschreibung des Ablaufs der Beerdigung und auf möglichst vollständige Nennung aller Teilnehmer als Ausdruck des Zusammenhalts der über Nürnberg hinaus weit verzweigten Familie. Neben den Eltern seiner Frau Susanna Maria galt seine Aufmerksamkeit auch nach deren Tod ihren Geschwistern, den vier jüngeren Schwestern und ihren Familien sowie ihrem jüngsten Bruder. Nach dem frühen Tod auch seines dritten Sohnes Gottlieb Karl Sigmund von Tucher (1830 – 1850) kam sich der Vater „wie ein entlaubter Stamm“ vor, wie er die familiäre Katastrophe, die auch eine dynastische war, „unter schweren Thränen“ beschrieb.26 Eine besondere Rolle spielte in der Familie Karl Hegels stets seine und seiner Frau sowie Immanuels Cousine Caroline Luise von Grundherr, geb. Schwarz (1826 – 1896), die eine feste Verbindung in die sich wandelnde Nürnberger Gesellschaft bildete. Verheiratet mit dem einflußreichen Kaufmann Friedrich Karl Alexander von Grundherr (1818 – 1908), stammte sie aus einer Verbindung ihre Mutter Luise Caroline von Tucher (1804 – 1846) mit dem Neubürger Benedict Georg von Schwarz (1801 – 1876), dessen aus 24 Auffallend ist, daß der Weihnachtsbrief Karl Hegels an seinen Bruder vom 26. Dezember 1873 unvollständig überliefert ist, denn er bricht am Ende eines Doppelbogens ab, wo möglicherweise Ausführungen zu Georg Hegel folgten, der im übrigen Brief – im Unterschied zu seinen Geschwistern – keine Erwähnung gefunden hat. Immanuel Hegel bezog sich in seiner Antwort vom 11. Januar 1874 unter dem Stichwort „Amerika“ ausführlich auf Georg Hegel betreffende Passagen, die im Brief seines Bruders gestanden haben müssen. Es ist denkbar, daß Karl Hegel diese auf einer neuen Seite beginnende Passage selber entfernt hat, nachdem er wieder im Besitz seiner Briefe war. 25 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 7. Juni 1871 aus Erlangen. 26 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 4. Juni 1850 aus Nürnberg, in: Die Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers an Karl Hegel (Anm. 15), Nr. XXXI, S. 215 – 217, hier 216.
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Lindau stammender Vater 1797 das Nürnberger Bürgerrecht erworben hatte und ein aufstrebender erfolgreicher Kaufmann an der Pegnitz wurde. 2. Reisen Daß sich Reisen zu einem wichtigen Teil bildungsbürgerlichen Lebens entwickelten, kennzeichnete auch schon das Postkutschen-Zeitalter, aber es verbreitete sich mit dem Ausbau eines Schienennetzes für die Eisenbahn von den 1840er Jahren an mit großer Schnelligkeit für immer mehr Menschen. Neugier nach der erreichbarer gewordenen physischen Welt jenseits des Horizontes des eigenen Standortes, unaufhörliches Streben nach Wissen über Bücher und Zeitungen hinaus, Wünsche nach Erholung in gesunder Gebirgs- oder Seeluft und Hoffnung auf Heilung in gut besuchten Kurorten mit ihren vielfältigen Trink- und Bade-Angeboten ließen die Reiselustigen beweglicher werden. So verwundert es nicht, daß Reiseberichte einen großen Teil auch der zwischen Immanuel und Karl Hegel gewechselten Briefe ausmachen. Die ersten Reiseberichte der Brüder stammen aus ihren Studienzeiten, als sie zu Fuß und teilweise mit Kutschen unterwegs waren. Immanuels erste große Reise mit zwei Studienfreunden führte ihn nach bestandener erster juristischer Prüfung über Wildbad Gastein zu Füßen des Großglockners nach Venedig, wo ein nicht erhaltener Brief seines Bruders postlagernd auf ihn wartete.27 Den Weg über die Alpen bis zur Serenissima in der Lagune schilderte ihm Immanuel mit großer Genauigkeit unter Zuhilfenahme von Karten, die bei „Fußreisen“ für die Orientierung unentbehrlich waren. Seine detaillierten Beschreibungen waren geprägt von einem „Bild des Hinübergangs nach Italien, des Herabsteigens vom Gebirg, endlich von Venedig […], was wir genießen u[nd] davontragen!“ Und er bekannte: „Ich habe allerdings mit dieser Reise einen weiten Blick wie [nie] in die Welt hinein gethan.“28 Erst knapp vier Jahre später begann Karl Hegel zwischen Promotion und Ablegung des Staatsexamens für den Gymnasiallehrerberuf seine einjährige Bildungsreise durch Italien, die ihn in den Jahren 1838/39 bis nach Neapel brachte und während der er ein in Privatbesitz erhaltenes ausführliches Tagebuch führte, von der aber keine Korrespondenzen erhalten sind. Seine erste brieflich dokumentierte Reise ist aus den Monaten September und Oktober des Jahres 1837 bekannt, als er seinem Bruder und seiner Mutter von einer „Fußreise“ von Berlin durch den Harz nach Göttingen berichtete.29 Sein Hauptziel war die Stadt Göttingen, deren Universität am 17. September 1837 das 100jährige Jubiläum ihrer Inauguration feierte, 27 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 17. September 1834 aus Venedig. – Der in Venedig vorgefundene, aber heute nicht mehr bekannte Brief Karls dürfte dessen Antwort auf Immanuels Brief vom 9. September 1834 aus Gastein gewesen sein. 28 Ebd. 29 Briefe Karl Hegels an Immanuel Hegel und seine Mutter vom 15. September 1837 aus Stolberg (Harz) sowie vom 30. September, 13. und 20. Oktober 1837 aus Göttingen.
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verbunden mit einem längeren Besuch bei Georg Gottfried Gervinus (1805 – 1871), seinem Freund aus Heidelberger Studienzeiten, der dorthin als Professor für Geschichte und Literatur berufen worden war. Während seines mehr als dreiwöchigen Aufenthaltes war Karl Hegel ganz erfüllt von dem geselligen Umgang mit zahlreichen Gelehrten und ihren Familien, vornehmlich mit dem Historiker Friedrich Christoph Dahlmann (1785 – 1860) sowie den Rechts- und Sprachwissenschaftlern Jacob (1785 – 1863) und Wilhelm Grimm (1786 – 1859). Sie sollten am Ende des Jahres zusammen mit Gervinus und drei weiteren Gelehrten zu den „Göttinger Sieben“ gehören, die gegen die Aufhebung der liberalen Verfassung des Königreichs Hannover von 1833 protestierten und des Landes verwiesen wurden. In beider Hegel-Brüder Briefe spielten Begegnungen mit Menschen, alte und neue Bekanntschaften, anregende Gesellschaften und die Geselligkeit überhaupt eine große Rolle. Das gilt besonders für mehrwöchige Urlaubs- und Erholungsreisen, die Immanuel in den 1870er und 1880er Jahren im Sommer fast regelmäßig nach Schlesien und ins Riesengebirge führten, verbunden mit Kuraufenthalten in Johannisbad und Besuchen bei der Familie seiner Tochter Maria Bitter. In einzelnen Jahren ging es auch in den Schwarzwald und in den Thüringer Wald, an den Rhein, ins Kurbad Ems an der Lahn, in die bayerischen Alpen und wiederholt in die immer mehr touristisch erschlossene Schweiz, einmal nach Dänemark. Dies waren auch Ziele Karl Hegels, dazu Meran in Tirol, die westböhmischen Kurbäder Franzensbad und Marienbad oder Alexandersbad im Fichtelgebirge. Die am Ausbau des Eisenbahnnetzes ablesbaren Fortschritte der Industrialisierung wurden in den Briefen ebenso thematisiert wie markante Orte der deutschen Geschichte, die Wartburg zum Beispiel, der Kölner Dom und das Niederwaldenkmal oberhalb des Rheines bei Rüdesheim. Zu seinen Erholungs-Reisen, die Karl Hegel bei zunehmendem Alter häufig in Begleitung einer seiner Töchter unternahm, kamen dienstlich veranlaßte Fahrten vor allem nach München und Berlin hinzu, die er oft mit Familienbesuchen und ausgiebigen Besichtigungen von Museen und Ausstellungen sowie Besuchen von Oper und Theater verband. Seit er Mitglied der 1858 in München gegründeten „Commission für deutsche Geschichts- und Quellenforschung bei der k[öniglichen] Academie der Wissenschaften“ (Historische Kommission) geworden war, hat er keine der jährlichen Plenarversammlungen versäumt und Immanuel davon ausführlich berichtet. Das erübrigte sich bei den Sitzungen der „Central-Direction der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ (MGH) in Berlin, der er seit ihrer Einrichtung im Jahr 1875 angehörte, denn dort wohnte er in der Familie seines Bruders. Hinzu kamen nach Karls Berufung an die Universität Erlangen immer wieder Dienstreisen zu Gymnasien des Königreichs Bayern, wo er als ministerieller Prüfungskommissar den Abiturprüfungen vorsaß und dabei persönliche Kontakte zu Oberstudiendirektoren und Gymnasiallehrern pflegen konnte. Dies tat er auch mit Archivaren, seit er als Leiter des Editionsunternehmens der „Chroniken der deutschen Städte“ ab 1859 nicht nur für seine eigenen Bände über Straßburg und
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Mainz zu Quellenstudien in zahlreiche Stadtarchive reiste und wissenschaftliche Mitarbeiter zu Besprechungen traf.30 3. Berufsleben Die Hegel-Brüder nahmen an der beruflichen Entwicklung des jeweils anderen intensiven Anteil und vermittelten mit ihren Briefen dem Empfänger mitunter tiefe Einblicke in ihre beruflichen Welten. Für Karl war das die Universität, zunächst in Rostock, dann in Erlangen, und darüber hinaus durch seine zahlreichen hochrangigen Mitgliedschaften und vielfältigen außeruniversitären Engagements die aus allen Fakultäten bestehende deutsche Gelehrtenwelt. Ausführlich berichtete er von seinen offiziellen Teilnahmen an den großen Universitätsjubiläen in Bonn 186831 und in München 1872,32 wo er diese Welt wie in einem Brennspiegel erlebte. Immer wieder berichtete er über Personalangelegenheiten bei Wegberufungen, Neuberufungen und Todesfällen und konnte mit dem Interesse seines Bruders besonders dann rechnen, wenn es sich um Theologen, Juristen und Zeithistoriker handelte. Immanuel Hegel berichtete von seinen Tätigkeiten in der Magdeburger Bezirksregierung, im neu gegründeten preußischen Handels-Amt und im Preußischen Staatsministerium, wo er es bis zum Geheimen Oberregierungsrat und Vortragenden Rat brachte, sowie aus der Leitung der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft. Leider fehlen aus der Zeit seines Wechsels in das Amt des Präsidenten des Königlichen Konsistoriums der Provinz Brandenburg zu Berlin, das er von 1865 bis 1891 innehatte, seine sämtlichen Korrespondenzen. Das ist umso bedauerlicher, weil er sich auch in seinen knappen „Erinnerungen“ nicht zu seinen Motiven äußerte, warum er seine seit 1848 immer einflußreicher gewordene Stellung im Büro der preußischen Ministerpräsidenten im Jahre 1865 verließ, wo er zuletzt auch vertraulich mit Otto von Bismarck zusammengearbeitet hatte.33 Aber aus seiner langen Präsidenten-Zeit ist sein Briefwechsel mit seinem Bruder für die 1870er und 1880er Jahre umfangreich vorhanden, aus dem zwei große Themen hervorstechen, mit denen er sich beschäftigen mußte: der „Kulturkampf“ gegen den Römischen Katholizismus und die Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirche zwischen „Liberalen“ und „Konservativen“.
30 Vgl. Marion Kreis, Karl Hegels editorische Praxis im Spiegel seiner Korrespondenz seit den 1850er Jahren, in: Briefkultur(en) in der deutschen Geschichtswissenschaft zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert, hrsg. v. Matthias Berg und Helmut Neuhaus (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 106), Göttingen 2021, S. 335 – 349. 31 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 30. August 1868 aus Erlangen. 32 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 9. August 1872 aus Erlangen. 33 Hegel, Erinnerungen (Anm. 12), S. 22 – 24.
Der Briefwechsel zwischen Immanuel und Karl Hegel
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Hegel sah sich „in Mitten heftiger kirchlicher Wirren“34 und beschwor wiederholt für die Kirche eine ähnlich katastrophale Situation, wie sie der Staat vor 1848 erlebt hätte.35 Er war von Amts wegen vor allem mit Personalien liberaler Berliner Pfarrer unmittelbar befaßt36 und in den Apostolikumsstreit involviert,37 aber er konnte sich mit seinen auf Entlassungen zielenden Entscheidungen nicht endgültig bei dem ihm vorgesetzten liberal gesonnenen Evangelischen Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche mit seinem Präsidenten Emil Herrmann (1812 – 1885) an der Spitze durchsetzen und erhielt von ihm einen scharfen Verweis. Schließlich reichte Hegel am 23. Februar 1877 beim preußischen König seinen Rücktritt ein, der aber – gegen Bismarcks ausdrücklichen Rat – von Wilhelm I. auch nach einer Audienz abgelehnt wurde, da er auf ihn als konservativen Konsistorialpräsidenten in den Auseinandersetzungen mit dem Evangelischen Oberkirchenrat nicht verzichten wollte.38 Eingebettet waren die Personalangelegenheiten in die Berliner Konflikte um eine neue Kirchengemeinde- und Synodalordnung und damit in eine innerkirchliche Demokratie-Bewegung, die für Hegel einen „liberale[n] Wahlplunder“ mit sich brachte. Er sah in der Demokratisierung der Kirche den Versuch der Liberalen, „mit der ihnen eigenen Betriebsamkeit, mit Haß u[nd] Verläumdung die unteren Klassen gegen Kirche u[nd] Christenthum auf[zurühren]“ und mit ihrem Machtstreben den Ruin der Landeskirche zu betreiben;39 Wahlen waren ihm „eine wahrhaft satanische Erfindung der neueren Zeit“.40 Für Hegel, der den preußischen Hof- und Domprediger Adolf Stoecker (1835 – 1909) seinen „Freund“ nannte, blieb der Kampf gegen den Liberalismus in der Kirche seine Lebensaufgabe.41 Das andere große Thema Immanuel Hegels in seiner Zeit als Konsistorialpräsident war der „Kulturkampf“. So klar er die Beschlüsse des Ersten Vatikanischen Konzils und Papst Pius’ IX. als provokativ verstand und erkannte, daß „die Ultramontanen eine feindselige Gesinnung gegen das neue protestantische Kaiserthum 34
Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 17. März 1872 aus Berlin. Vgl. zum Beispiel Briefe Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 16. Oktober 1871, 15. Mai 1872, 26. Dezember 1873, 6. Juni 1874 aus Berlin. 36 Siehe dazu Hanns Christof Brennecke, Der „Fall Hoßbach“. Die St. Jacobi-Gemeinde in den Konflikten der Evangelischen Kirche in der neuen Reichshauptstadt Berlin, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 75 (2023). 37 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 11. Februar 1872 aus Berlin. Zum Apostolikumstreit zuletzt grundlegend Julia Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten. Diskussionen um Liturgie, Lehre und Kirchenverfassung in der preußischen Landeskirche 1871 – 1914 (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 44), Leipzig 2016. 38 Vgl. Briefwechsel zwischen Immanuel und Karl Hegel vom 9. März, 4. und 24. April 1877; das Ablehnungsschreiben des Königs vom 12. Juni 1877 findet sich in: Hegel, Erinnerungen (Anm. 12), S. 42 f. 39 Siehe u. a. Immanuel Hegels Briefe an Karl Hegel vom 9. November 1873, 27. Dezember 1874 und 27. Dezember 1875 jeweils aus Berlin. 40 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 3. Dezember 1881 aus Berlin. 41 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 26. November 1878 aus Berlin. 35
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des deutschen Reiches offenbarten, so war es doch unseres Erachtens“ – schrieb er seinem Bruder am 27. November 1871 –, „nicht nöthig, nun den offenbaren Krieg mit der katholischen Kirche zu eröffnen. […] Die evangelische Kirche“ – fuhr er fort – „wird darin keinen Gewinn haben; sondern sie wird ebenso in dem Kampfe gegen Religion u[nd] Christenthum überhaupt über den Haufen geworfen.“ Hegel befürchtete, daß der ins Strafgesetzbuch aufgenommene „Kanzelparagraph“ auch „gelegentlich als eine nützliche Waffe gegen die evangelische Kirche benutzt werden“ könnte, und malte ein düsteres Zukunftsbild: „Der Kampf hat nun aber angefangen u[nd] er wird sich wahrscheinlich zu einem tief einschleichenden Kriege zwischen Kirche u[nd] Staat entwickeln, von welchem gleichfalls die evangelische Kirche erfaßt werden wird.“42 Hegel verschärfte in seinen Briefen bis in die 1880er Jahre seine Kritik am „Kulturkampf“ Bismarcks und seines preußischen Kultusministers Adalbert Falk (1827 – 1900) immer mehr und konstatierte am Ende eine große Niederlage des Staates, durch die er auch die evangelische Kirche schwer in Mitleidenschaft gezogen sah. Bei seinem Bruder Karl allerdings fand er für seine Kritik keinerlei Zustimmung, denn dieser war voller Haß auf die katholische Kirche und sah im „Kulturkampf“ einen Befreiungskampf gegen sie. Karl sprach sich in seinen Antwortbriefen an Immanuel wiederholt für einen „Krieg bis aufs Messer“ aus und baute auf einen Sieg des Staates.43 Letztlich ging es Immanuel Hegel immer um das „Verhältniß der Kirche zum Staat“, das er schon im Februar 1843 allgemein aufgegriffen hatte, als er sich bei seinem Bruder für die Zusendung seiner Schrift „Dante über Staat und Kirche“44 bedankte, aber mit dessen Schlußbemerkungen nicht einverstanden war. „Ich habe mich gewöhnt“ – schrieb er an Karl –, „die Kirche als ein Glied des Staates zu betrachten, dem es wegen seiner Kvaltiät als öffentliches Institut nothwendig angehört, indem der Staat die ganze menschliche Wirksamkeit in sich begreift“, und bekannte: „Ich will für die protestantische Kirche die Presbyterialverfassung. […] Der Staat muß sie durch Gesetz in sich aufnehmen, [ihr] eine politische u[nd] rechtliche Existenz geben.“45 4. Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der Obhut seiner Söhne Karl Hegel hat sich in seinen Heidelberger Studienjahren Mitte der 1830 Jahre unter dem Einfluß seines Lehrers Friedrich Christoph Schlosser (1776 – 1861) und seines Freundes Georg Gottfried Gervinus von der Philosophie als Wissenschaft distanziert und sich der Geschichtswissenschaft als seinem zukünftigen For42
Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 27. November 1871 aus Berlin. Vgl. Briefe Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 22. Juli 1872, 16. Januar 1873, 1. Juni 1873, 8. Februar 1880. 44 Karl Hegel, Dante über Staat und Kirche. Antrittsprogramm, Rostock 1842. 45 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 4. Februar 1843 aus Magdeburg. 43
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schungsgebiet zugewandt, aber er blieb der „Sohn meines Vaters“.46 Der Jurist Immanuel Hegel zählte – wie er seinem Bruder am 21. November 1857 schrieb – die Philosophie „schon seit vielen Jahren nicht mehr zu den Gegenständen meiner Beschäftigung“ und widmete sich immer intensiver der Religion.47 Aber wie dieser Brief mit der Erinnerung an den 26. Todestag des Vaters begann, so waren die Brüder ihr Leben lang auf die Wahrung des Ansehens Georg Wilhelm Friedrich Hegels bedacht.48 Sie tauschten sich über ihn betreffende Publikationen kritisch aus, wenn zum Beispiel Immanuel zum jüngst erschienenen Buch Rudolf Hayms (1821 – 1901) über „Hegel und seine Zeit“49 bemerkte, daß es „immer ein bedenkliches Unternehmen [sei], über die jüngste Zeitgeschichte ein absolutes Gericht halten zu wollen“, und dem Autor vorwarf, „zu wenig wirklicher Historiker, u[nd] zu sehr von dem Maaßstab eines festen einseitigen Liberalismus beherrscht“ zu sein.50 Noch kritischer, letztlich als unwissenschaftlich beurteilte Immanuel Hegel eine 1845 erschienene Schrift des aus Livland stammenden Philosophen Reinhold Gottlieb Schmidt (1809 – 1886),51 der zum Berliner Freundeskreis der Hegel-Brüder gehörte. Den umfangreichen Artikel Johann Eduard Erdmanns (1805 – 1892) in der ADB über Georg Wilhelm Friedrich Hegel52 hatte Karl Hegel als Mitglied der herausgebenden Historischen Kommission schon im Manuskript durchgesehen und „war sehr davon befriedigt“, nachdem der Autor „einiges […] nach meinen Bemerkungen jetzt geändert, nicht aber der Anfang, den ich auch jetzt noch geschmacklos finde“.53 Von Erdmanns Darstellung auch nicht „ganz befriedigt“ war Immanuel Hegel, da er ihm „in der allgemeinen Auffassung der Größe und Bedeutung des Mannes nicht gerecht geworden zu sein [schien], wenn auch bei dem ganz anders 46 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 28. November 1869 aus Erlangen, nachdem ihn der englische Philosoph Dr. T. Collins Simon besucht und als solchen kennenlernen wollte. Vgl. insgesamt Helmut Neuhaus, Im Schatten des Vaters. Der Historiker Karl Hegel (1813 – 1901) und die Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert, in: HZ 286 (2008), S. 63 – 89. 47 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 21. November 1857 aus Berlin. 48 Siehe dazu auch die „Dokumente zur Geschichte des Nachlasses von G. W. F. Hegel“: https://www.philosophiehttps://www.philosophie.uni-muenchen.de/lehreinheiten/philosophie_ 2/forschung2019/einheiten-projekte/hegel/briefwechs_nachlass.pdf.uni-muenchen.de/lehreinheiten/philosophie_2/forschung2019/einheiten-projekte/hegel/briefwechs_nachlass.pdf (auf die zahlreichen Diskrepanzen zwischen diesen Brieftexten und den Originalbriefen Immanuel und Karl Hegels ist hier nicht einzugehen). 49 Rudolf Haym, Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwickelung, Wesen und Werth der Hegel’schen Philosophie, Berlin 1857. 50 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 21. November 1857 aus Berlin. 51 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 6. Oktober 1845 aus Berlin; Reinhold Schmidt, Der philosophische Absolutismus des Hegelschen Systems. Eine Abhandlung, Berlin 1845. 52 Johann Eduard Erdmann, Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, in: ADB 11 (1880), S. 254 – 274. 53 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 2. Mai 1880 aus Erlangen.
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gerichteten Zeitinteresse die Erkenntniß daran gegenwärtig sehr geschwächt ist.“54 Und am 13. Dezember 1880 ergänzte Immanuel: „ich hatte eine tiefer und weiter greifende Darstellung im Zusammenhange mit der ganzen Kulturgeschichte erwartet. Wenn man freilich bedenkt, daß seit dem Tode des Vaters noch nicht 50 Jahre verflossen sind, und dabei von der inzwischen vollzogenen gewaltigen Veränderung in dem geistigen und öffentlichen Leben des deutschen Volkes überrascht wird, so entsteht bei Manchen die Meinung, daß seine Philosophie vollständig erstorben und in Nichts zerflossen sei, während ihre Wirkungen doch alle Wissenschaften durchdrungen haben.“55 Der aktivere der Brüder in der Erinnerungsarbeit für den Vater war Karl Hegel, der im Rahmen der ersten Gesamtausgabe der Werke Georg Wilhelm Friedrich Hegels die „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ schon 1840 in zweiter Auflage vorlegte.56 Vom selben Jahr an stand er hinsichtlich des väterlichen Nachlasses im regen Kontakt mit dem Königsberger Gelehrten Karl Rosenkranz (1805 – 1879),57 der 1844 die erste Biographie des 1831 in Berlin verstorbenen Philosophen vorlegte.58 Schließlich gab Karl Hegel von seinem Vater geschriebene und an ihn gerichtete Briefe heraus, wobei sein in Berlin ansässiger Bruder vor allem für die Ordnung und Bereitstellung zuständig war. Es war naheliegend, daß sich die Brüder im Zuge der Haushaltsauflösung nach dem Tod ihrer Mutter am 6. Juli 1855 auch des Nachlasses des Vaters annahmen. Neben anderem kamen wegen ihrer biographischen Bedeutung vor allem die „Briefschaften“ in die Obhut Immanuels.59 Aber von einer Edition der „Briefe von und an Hegel“ war erst wieder im Umkreis des 100. Geburtstages des Vaters60 die Rede, als Karl Hegel Überlegungen hinsichtlich ihrer Konzeption und ihres Umfangs anstellte und von dem ihm von Immanuel zugeschickten 54
Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 17. Oktober 1880 aus Berlin. Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 13. Dezember 1880 aus Berlin. 56 Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hrsg. v. Dr. Eduard Gans, zweite Auflage besorgt von Dr. Karl Hegel (Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, 9), Berlin 1840, zuerst 1837. 57 Dazu siehe Karl Schumm, Briefe von Karl Rosenkranz über seine Hegel-Biographie, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 11 (1933), S. 29 – 42; Karl Rosenkranz. Briefe 1827 bis 1850, hrsg. v. Joachim Butzlaff (Quellen und Studien zur Philosophie, 37), Berlin, New York 1994 (auf die zahlreichen Diskrepanzen zwischen dieser Edition und den Rosenkranzschen Originalbriefen an Karl Hegel ist hier nicht einzugehen). 58 Karl Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben, Berlin 1844. 59 Vgl. zum Beispiel: Briefe Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 26. und 31. Juli sowie 7. und 24. August 1855 aus Berlin; siehe insgesamt Willi Ferdinand Becker, Hegels hinterlassene Schriften im Briefwechsel seines Sohnes Immanuel, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 35 (1981), S. 592 – 614. 60 Vgl. die Briefe von Karl Rosenkranz an Karl Hegel vom 13. Dezember 1869 und 5. Januar 1870 aus Königsberg. 55
Der Briefwechsel zwischen Immanuel und Karl Hegel
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„ganzen brieflichen Nachlaß […] ein chronologisches Verzeichniß“ anlegte.61 Doch schon zu Beginn des Jahres 1870 sah er „noch nicht recht, wann ich zur Edition der Hegel’schen Correspondenz kommen kann“.62 Und dann zogen sich das Auffinden und die Bearbeitung weiterer „Briefe von und an Hegel“ hin, wie Karl Hegel seinem Bruder knapp zwei Jahre später bekannte: „Den Briefwechsel habe ich in der letzten Zeit, mit anderen Arbeiten beschäftigt, liegen lassen; doch ist schon viel abgeschrieben, was am meisten Zeit nimmt und recht lästig ist, und ich hoffe bald wieder fortzufahren.“63 Es dauerte dann noch ein Jahrzehnt bis die Briefedition im März 1887 erschien.64 Am 25. März 1887 bedankte sich Immanuel für das ihm übersandte „schön ausgestalteten Exemplar der Briefe des Vaters“ und lobte einmal mehr seinen Bruder: „Es freut mich sehr, daß es Dir vergönnt geworden, diese Herausgabe glüklich zu vollenden, und es ist von großem Werth, daß gerade diese privaten und ganz persönlichen Zeugnisse aus dem Leben des Vaters von Deiner sorgsamen Hand und mit Deiner historischen Gründlichkeit bearbeitet und der Literatur erhalten worden sind. […] ich bin Dir für dieses Denkmal der Pietät, wie Du es mit Recht bezeichnest, in besonderem Maaße persönlich den innigsten Dank schuldig.“65 Zwar hatte es zwischen den Brüdern über den Verbleib von Briefen in Berlin oder Erlangen auch einmal eine Verstimmung gegeben, und Immanuel mußte sich für einen von ihm behaupteten Sachverhalt entschuldigen,66 aber nie stand Karls Kompetenz als Herausgeber in Frage, wenn er ihm schrieb: „Den mir übersandten zweiten Theil des Briefwechsels unseres Vaters habe ich zwar nicht durchgelesen, aber doch Blatt für Blatt durchgesehen, um mir davon ein genügendes Urtheil zu verschaffen. Ich muß den sorgsamen Fleiß, mit dem Du die Bearbeitung ausgeführt hast, höchlich anerkennen; sie giebt Zeugniß von dem Geschik, das Du durch viele Uebung in solcher Arbeit erlangt hast.“67 Und völlig selbstverständlich war es für Immanuel mit Blick auf den Verlag Duncker & Humblot in Leipzig, „daß das von Dir verlangte mäßige Honorar auch Dir ausdrücklich zukommt“, denn „es könnte auch kein Anderer diese Arbeit übernehmen.“68
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Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 8. Januar 1870 aus Erlangen. Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 21. Dezember 1877 aus Erlangen. 64 Briefe von und an Hegel, hrsg. v. Karl Hegel, Erster und Zweiter Theil (Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, 19), Leipzig 1887; vgl. dazu: Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Helmut Neuhaus (Erlanger Studien zur Geschichte, 7), Erlangen, Jena 2001, S. 39, Nr. II/12. 65 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 25. März 1887 aus Berlin. 66 Vgl. Briefe Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 9. und 23. November sowie 4. Dezember 1885. 67 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 24. März 1886 aus Berlin. 68 Brief Immanuel Hegels an Karl Hegel vom 6. Juli 1885 aus Berlin. 63
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Gerade in einer Zeit abnehmenden Interesses an der Hegelschen Philosophie war es den Söhnen wichtig, die Erinnerung an ihren Vater wachzuhalten, erst recht hinsichtlich seines 100. Geburtstages im Jahre 1870. Zwar ist er im ersten Jahr des Deutsch-Französischen Krieges „ungefeiert vorübergegangen“, aber Karl Hegel registrierte genau, wo „seiner […] von mancher Seite freundlich und anerkennend gedacht worden“ ist und wo das Jubiläum unerwähnt blieb.69 Dabei standen er und Immanuel den Anfang 1869 begonnenen Fest-Planungen einer kleinen Gruppe von Hegel-Verehrern skeptisch gegenüber, konnten sich aber einer Spendenaufforderung für die Schaffung einer überlebensgroßen Porträtbüste Georg Wilhelm Friedrich Hegels durch den Bildhauer Gustav Hermann Blaeser (1813 – 1874) auch nicht entziehen.70 Noch ein Jahrzehnt später legte Karl Hegel Wert darauf, daß die 1871 um ein Jahr verschobenen Feierlichkeiten anläßlich ihrer Enthüllung nicht in Vergessenheit gerieten, wenn er gleich nach Erscheinen der Biographie des Vaters in der ADB an Immanuel schrieb: „am Schluß vermisse ich die Erwähnung der Hegelfeier und Errichtung des Denkmals am 3. Juni 1871; ich habe deshalb an Erdmann geschrieben, um ihn zu bewegen, dies noch in einem Nachtrag zu dem Bande im Schlußheft nachzuholen, damit das Verschweigen nicht als ein absichtliches Übel gedeutet werde.“71 Johann Eduard Erdmann folgte dieser Bitte mit einer umfangreichen Ergänzung im Sinne der beiden Philosophen-Söhne.72
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Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 29. August 1870 aus Erlangen. Die Schrift von Karl Köstlin, Hegel in philosophischer politischer und nationaler Beziehung für das deutsche Volk dargestellt, Tübingen 1870, wurde positiver gesehen als das neueste Buch von Karl Rosenkranz, Hegel als deutscher Nationalphilosoph, Leipzig 1870. 70 Briefe Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 9. April und 28. November 1870 aus Erlangen. Siehe auch den Abschnitt „Die Hegelfeier in Berlin 1871“, in: Hegel, Leben und Erinnerungen (Anm. 6), S. 206. 71 Brief Karl Hegels an Immanuel Hegel vom 2. Mai 1880 aus Erlangen. 72 „Zusätze und Berichtigungen“ in: ADB 11 (1880), S. 795 f.
Spengler, Weber und das Unbehagen der Moderne Von Cristiana Senigaglia, Passau I. Pfade der Geschichte In seinen erhellenden Artikeln über Spengler hebt Hans-Christof Kraus die Eigentümlichkeit und Neuheit von Spenglers Verständnis der Geschichte hervor, wie sie insbesondere in seinem berühmten Werk Der Untergang des Abendlandes veranschaulicht wird. Zum einen äußere Spengler eine deutliche Absage gegenüber einem linearen Ablauf, der Antike, Mittelalter und Neuzeit einreihe und in einer fortfahrenden Kontinuität darstelle. Im Gegensatz dazu vertrete er eine zyklische Konzeption, die einzelne unterschiedliche und sich in verschiedenen Epochen entwickelnde Kulturen betreffe und sie in einen organischen Entwicklungsgang einrahme: Beginn, Aufstieg zur Hochkultur und Vollendung durch Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten. Zum anderen verlasse Spengler die eurozentrische Perspektive und vollziehe eine, wie er selber sie definiert, kopernikanische Wende der Weltgeschichte: „Ich nenne dies dem heutigen Westeuropäer geläufige Schema, in dem die hohen Kulturen ihre Bahnen um uns als den vermeintlichen Mittelpunkt alles Weltgeschehens ziehen, das ptolemäische System der Geschichte und ich betrachte es als die kopernikanische Entdeckung im Bereich der Historie, daß in diesem Buche ein System an seine Stelle tritt, in dem Antike und Abendland neben Indien, Babylon, China, Ägypten, der arabischen und mexikanischen Kultur […] eine in keiner Weise bevorzugte Stellung einnehmen“.1
Somit betrachte Spengler das Abendland als die einzige noch nicht untergegangene Hochkultur und begründe zugleich ihren stattfindenden Niedergang durch die konzeptuelle Gegenüberstellung von Kultur und Zivilisation, die der Innerlichkeit der Energie und des Drangs zur Fortbildung die Äußerlichkeit und Künstlichkeit der Spätphase entgegensetze. Damit werde, wie Kraus hervorhebt, eine Verschiebung des kulturellen Raums bewerkstelligt, die zugleich die Wiederaufwertung anderer Kulturen enthalte, da die Eigenart europäischer Kulturen (der antiken und der abendländischen) „unter mehreren anderen, strukturell durchaus gleichgearteten und damit letztlich auch gleichwertigen Kulturen“2 wahrgenommen werde. Trotz einer vereinheitlichenden Leitidee, die die Kulturen als Organismen betrachtet und sie einen Prozess des Aufstiegs und des Niedergangs durchlaufen 1
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, München 1923, S. 24. Hans-Christof Kraus, Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes (1918/1922), in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert, Berlin 2018, S. 113 – 128, hier 116. 2
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lässt, zielt Spenglers Analyse zugleich darauf ab, die Individualität der je einzelnen Kultur, die er als einzigartiges, in ihr immer wiederkehrendes und sich entfaltendes Ursymbol interpretiert, zu verfolgen und hervorzuheben. In dieser Hinsicht ist sein Geschichts- und Kulturverständnis als Physiognomik auszudeuten, die von einer formalen und verallgemeinernden Systematik Abstand nimmt. Kraus bemerkt diesbezüglich zutreffend: „Bereits in der thematischen Grundlegung des Untergangs kennzeichnet Spengler die von ihm angewandte Erkenntnisform, seine spezifische Methode des geschichtsphilosophischen Zugriffs auf das historische Faktische ausdrücklich als ,Physiognomik‘, die er der streng wissenschaftlich vorgehenden, kausal und rational argumentierenden ,Systematik‘ als gleichrangig gegenüberstellt, ebenso wie er das Prinzip der ,Kausalität‘ durch eine ,Schicksalsidee‘, das ,Gesetz‘ durch die ,Gestalt‘ ergänzt“.3 Somit nähert sich Spengler Windelbands Gegenüberstellung der Naturwissenschaft als Bereich des „Nomothetischen“ und des geschichtlichen Wissens als Bereich des „Idiographischen“ an, dem er aber keinen wissenschaftlichen Status zuschreibt, sondern die persönliche Note eines intuitiven historischen Einfühlungsvermögens verleiht.4 Dieser explizite Bezug auf die Intuition verkörpert auch den Kern der methodologischen Differenz mit Max Weber, der Spengler unter anderem in einer öffentlich organisierten Disputation im Münchner Rathaus begegnete, wo er sich insbesondere aus diesem Grund mit ihm auseinandersetzte.5 Nichtsdestoweniger versuchte auch Weber, wenngleich durch teilweise unterschiedliche methodologische Ansätze und Erkenntniswege, die ihm eine Hauptrolle in der Soziologie zukommen ließen, eine Alternative zu der vereinheitlichenden gesamtgeschichtlichen Konzeption zu finden, die der Eigentümlichkeit der Kulturen und der Religionen gerecht werden könnte. Weber so wie Spengler waren sich außerdem der Einzigartigkeit und Eigentümlichkeit der kulturellen Entwicklung des Abendlandes bewusst, die sie auch teilweise kritisch beurteilten, zugleich aber in ihrer Einmaligkeit zu erfassen gedachten. Nichtsdestoweniger waren ihre Kritiken teilweise anders akzentuiert und verbanden sich mit partiell unterschiedlichen Gesichtspunkten und hervorgehobenen Elementen, an die sie auch politisch verschiedene Ansichten, Vorsätze und Ziele knüpften. Einige Betrachtungen und vergleichende Bemerkungen, ohne Anspruch auf Systematizität oder Vollständigkeit zu erheben, werden im Folgenden angestellt, mit der Absicht, bestimmte Tendenzen und Schwerpunkte aufzuzeigen.
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Ebd., S. 120 f. Wilhelm Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft. Rede zum Antritt des Rectorats der Kaiser-Wilhelm-Universität Strassburg, Straßburg 1894, S. 12. 5 Vgl. Max Weber, Gesamtausgabe, hrsg. v. Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (MWG), 43 Bde. in drei Abteilungen, Tübingen 1984 ff., hier II/ 10 – 2, S. 905 f., Anm. 6. 4
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II. Der Rationalisierungsprozess des Abendlandes Wie Weber machte Spengler in der Kultur des Abendlandes das Auftreten eines richtungsweisenden Wandels durch den Puritanismus aus, der die mechanistische Weltauffassung zur Geltung gebracht und als vorrangig durchgesetzt habe. Dies habe die Ausschaltung aller irrationalen Mächte verursacht und daher (auch wenn Spengler diesen Ausdruck nicht direkt verwendet) die „Entzauberung“ der Welt herbeigeführt,6 im Zuge des Bestrebens, „die ganze Welt als dynamisches System, exakt, mathematisch angelegt, experimentell bis in die letzten Ursachen aufzuschließen und in Zahlen zu fassen, so daß der Mensch sie beherrschen kann“.7 Diese Form der Weltbeherrschung bedeutete für Spengler die Ausklammerung des Organismus zugunsten des Mechanismus, die Bevorzugung einer dynamischen und operativen Auffassung der Beziehung zur Welt und Natur, die auf Bacons Spruch „Wissen ist Macht“8 beruhte und sich einer statischen und kontemplativen Haltung gegenüber der Natur völlig widersetzte. Die Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit der Weltbetrachtung lag hier insbesondere in einem Prozess der Abstraktion, Formalisierung und Suche nach lückenloser Vollständigkeit. Spengler unterstrich, in diesem Zusammenhang könne das Beispiel des Rechts angeführt werden, dessen Festlegung in der Antike auf der Regelmäßigkeit der Wiederholung basiert habe und sich dagegen in der Neuzeit auf die Tendenz stütze, „von vornherein den gesamten lebenden Rechtsstoff in ein für immer gegliedertes und erschöpfendes Gesamtwerk zu bringen, in dem jeder überhaupt denkbare Fall der Zukunft im voraus entschieden ist“.9 Für Weber handelte es sich gleichermaßen um einen umfassenden Verlauf der Entwicklung im Abendland, der aber bereits in der Antike seine Wurzeln geschlagen hatte. Er war durch Merkmale gekennzeichnet, die zuerst die Rationalisierung in den einzelnen Sektoren bewirkt hatten und allmählich zu einem gesamten Prozess der Rationalisierung zusammengewachsen waren, der dann universelle „Bedeutung und Gültigkeit“10 erlangt hatte. Wissenschaft habe es zwar in allen Kulturen gegeben, aber sie sei im Abendland durch die „mathematische Fundamentierung“11 und die Beweisführung systematisiert worden. Hinzu kam nach Webers Angabe das rationale Experiment, das bereits im alten Griechenland seine Anfänge gefunden hatte und insbesondere mit der Renaissance zum maßgebenden wissenschaftlichen Verfahren wurde. Auch andere Disziplinen wie Politik und Recht waren durch rationale Begriffe erläutert worden und ihre Klassifizierungen erlaubten eine genauere Auffassung von Spezifikationen und Unterschieden. Rationale Systeme und Strukturen wurden 6 Vgl. Klemens von Klemperer, Max Weber, Oswald Spengler und die „entzauberte“ Welt, in: Rainer Hering/Rainer Nicolaysen (Hrsg.), Lebendige Sozialgeschichte. Gedenkschrift für Peter Borowsky, Wiesbaden 2003, S. 296 – 304. 7 Spengler, Der Untergang (Anm. 1), S. 940. 8 Ebd., S. 464. 9 Ebd., S. 629. 10 Weber, MWG (Anm. 5), I/18, S. 101. 11 Ebd., S. 101.
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gleichermaßen in der Kunst (z. B. in der Musik und in der Architektur, später auch in der Malerei) angewendet und durch die Presse genoss die Literatur eine systematische und effizient organisierte Verbreitung. Insbesondere in der frühen Phase der Neuzeit konstituierten sich zweckmäßig organisierte Systeme in der Wirtschaft und der Politik, die zur Kalkulation und Rationalität des kapitalistischen Erwerbs führten und moderne Staaten bildeten, die durch Fachbeamte, rational gesetzte Regeln im Recht und in der Verfassung sowie gewählte Parlamente und Volksvertretungen eine vollständige Organisation auf der institutionell-politischen Ebene vorweisen konnten. Laut Weber seien alle diese Aspekte in eine funktionale, zweckmäßige Rationalität eingeflossen, die auf Berechenbarkeit der Lebensbedingungen und Hochtechnisierung der Leistungen basierten. Weber teilte mit Spengler die Einsicht, dass der Puritanismus und andere Sekten des Protestantismus wesentlich zu einer nüchternen Weltauffassung verholfen hätten, die auf Zweckrationalität basiere und eine Enthebung der magischen und religiösen Kräfte, daher eine Entzauberung der Welt herbeigeführt habe.12 Zugleich schrieb aber Weber dem asketischen Protestantismus auch eine tiefgründige ethische Fähigkeit zu, die die strenge religiöse Haltung mit der Steigerung der Geschäfts- und Erwerbsfähigkeiten verbunden habe. III. Das faustische Moment Dieser Perspektivenunterschied hängt unter anderem mit einer unterschiedlichen Bewertung der faustischen Komponente innerhalb der Kultur zusammen, die von Spengler zum Hauptzug des abendländischen Übergangs von der Kultur zur Zivilisation erhoben wird. Spengler verortet hier einen deutlichen Gegensatz zwischen der faustischen Seele der Moderne und der apollinischen Seele der Antike.13 Die apollinische Seele lebte in einem geordneten Kosmos, der statisch und verweilend war und dessen geschichtlicher Ablauf als „ruhende Nähe“, ohne Fragen „nach Woher und Wohin“14 wahrgenommen wurde. Im völligen Gegensatz dazu ist die faustische Seele um den Willen und seine Begrifflichkeit (Energie, Kraft, etc.) zentriert und auf Dynamik gerichtet. Sie weist einen Hang zum Unendlichen und Grenzenlosen auf, der alle Handlungen und Wirkungen an der Ferne orientiert. Dies führt zu einem bewussten vom Wollen geleiteten Werden, zu einem Leben, das von dem Drang, Hindernisse zu überwinden und sich durchzusetzen charakterisiert ist. Die daraus entstehende Kultur erweist sich deswegen als energisch, imperativistisch, dynamisch, zielgerichtet und auf Fortschritt erpicht. Vernünftigkeit und Zweckmäßigkeit spielen dabei eine entscheidende Rolle und basieren auf Naturwissenschaft, Durchführung von Experimenten, Abstraktheit sowie Berechnung und kulminieren in der faustisch geprägten experimentellen Technik, die die Natur zu beherrschen gedenkt. Dennoch 12
Für die Unterscheidung zwischen der religiösen und der magischen Komponente bei Weber gegenüber Spengler siehe: Stefan Breuer, Magische Kultur? Max Weber contra Oswald Spengler, in: Archiv für Kulturgeschichte 99/2 (2017), S. 429 – 456. 13 Vgl. Anton Mirko Koktanek, Oswald Spengler. Leben und Werk, München 2020, S. 168. 14 Spengler, Der Untergang (Anm. 1), S. 465.
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nimmt diese Entwicklung laut Spengler eine negative Wende und die Maschine, die zuerst nach dem Willen des Menschen entworfen worden war und in seinem Dienst hätte stehen sollen, gewinnt die Oberhand und versetzt den Menschen in einen neuen Zustand der Sklaverei: „Gerade damit ist der faustische Mensch zum Sklaven seiner Schöpfung geworden. Seine Zahl und die Anlage seiner Lebenshaltung werden durch die Maschine auf eine Bahn gedrängt, auf der es keinen Stillstand und keinen Schritt rückwärts mehr gibt.“15 Die Erfolge der Technik verdeckten daher nur einen Niedergang der faustischen Seele, wodurch ihr Beherrschungsdrang in eine viel stärkere Form des Beherrschtwerdens umgewandelt werde. Auch bei Weber findet man den Bezug auf die faustische Sichtweise des Lebens, auch wenn sie hier nicht die umfassende theoretische Relevanz wie bei Spengler einnimmt. Auf sie bezieht sich Weber hauptsächlich in Verbindung mit der „faustischen Allseitigkeit des Menschentums“16, auf die in der modernen Welt zunehmend Verzicht geleistet werden müsse. Im Prinzip betrifft dies die Berufsausübung, die auf Facharbeit spezialisiert wird. Durch die protestantische Ethik war eine Form der Arbeit entstanden, die sich auf Berufung gründete und daher auf eine religiöse, tiefgründige Hingabe zurückzuführen war. Dennoch habe die fortschreitende Differenzierung und Spezialisierung der Tätigkeiten, verbunden mit der technischen Entwicklung, dazu geführt, dass sich immer mehr Facharbeit auf Kosten allgemeinerer Wissensformen durchgesetzt habe und zum allgemeinen Modell geworden sei. „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein“,17 unterstreicht Weber, der sich nichtsdestotrotz zeitlebens dagegen sträubte, indem er breite und ausdifferenzierte wissenschaftliche Gebiete erforschte und an komplexen systematischen Werken arbeitete. Unterdessen sei diese Tendenz zum allgemeinen Schicksal des modernen Menschen emporgehoben worden. Es impliziere, dass die Menschen eine viel eingeschränktere tatsächliche Herrschaft über ihre Lebensbedingungen aufweisen könnten. Der Wilde konnte mit seiner Umwelt und seinen Werkzeugen viel geschickter und ausführlicher hantieren. Der moderne Mensch dagegen, argumentiert Weber, weiß, wenn er kein Physiker ist, nicht, wie sich eine Straßenbahn in Bewegung setzt. „Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, […] daß man […] alle Dinge – im Prinzip durch Berechnen beherrschen könne“.18 Dies begründet zugleich laut Weber die Unzulänglichkeit des Lebens für den gebildeten Kulturmenschen, der nie wie die früheren Menschen lebenssatt, sondern höchstens lebensmüde sein könne. „Und je mehr sich die Kulturgüter und Selbstvervollkommnungsziele differenzierten und vervielfältigten, desto geringfügiger wurde 15
Ebd., S. 1190. Weber, MWG (Anm. 5), I/9, S. 421. 17 Ebd., S. 422. 18 Weber, MWG (Anm. 5), I/17, S. 86 f.
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der Bruchteil, den der einzelne, passiv als Aufnehmender, aktiv als Mitschöpfer, im Laufe eines endlichen Lebens umspannen konnte“.19 Nichtsdestoweniger ist Webers Urteil über die Technik ambivalent und enthält positive Noten. Die Technik schaffe zwar nicht die menschlichen Talente, aber sie übe einen bemerkenswerten Einfluss auf Künste und Wissenschaften aus, könne technische Probleme lösen und habe durchaus die Fähigkeit, künstlerische Ergebnisse hervorzubringen, wie Weber anhand des beeindruckenden Beispiels der modernen Großstädte aufzeigt, die durch ihr facettenreiches und technisch hochentwickeltes Pulsieren neue formale Werte, und zwar „höchste ästhetische Abstraktionen oder […] Apologien ihrer eignen phantastischen berauschenden Rhythmik“20 in die moderne künstlerische Kultur hineingebracht haben. Viel fragwürdiger ist für ihn der umgewandelte Lebensstil, der dazu führt, die maschinelle Produktion zu steigern, „bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist“,21 und mit dem eine Dekadenz des Ethos einhergeht, die Weber durch ein fast wortwörtliches Zitat von Gustav Schmoller, wie Kraus hervorgehoben hat,22 synthetisiert: „Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz, dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben“.23 Die Verschiebung des Interesses auf äußere Güter ist mehr als die Technik an sich dafür verantwortlich, dass ein „stahlhartes Gehäuse“ entsteht, „wo die Berufserfüllung nicht direkt zu den höchsten geistigen Kulturwerten in Beziehung gesetzt werden kann“24 und die Ablehnung der Verantwortung einen ethischen Verfall kennzeichnet. IV. Kontemplatives Wahrnehmen oder bewusstes Handeln? In Hinsicht auf die Natur des Wissens und dessen Beziehung zum Handeln gehen die Positionen Spenglers und Webers auseinander. Spengler betont eher den Wert der passiven und kontemplativen Existenz, welche die „Bestimmung als unentrinnbare Notwendigkeit des Lebens“25 annimmt und sich dem eigenen Schicksal fügt. Er beruft sich diesbezüglich auf das antike Verständnis der Naturwissenschaft, das auf der Theorie (heyq_a) als einem Nachdenken durch Kontemplation und als einem „Ergebnis passiver Beschaulichkeit“26 beruhte. Die später erfolgte Trennung zwischen Denken und Handeln kann er nicht gutheißen, da sie seines Erachtens eine Spaltung in die 19
Weber, MWG (Anm. 5), I/19, S. 518. Weber, MWG (Anm. 5), I/10, S. 232. 21 Weber, MWG (Anm. 5), I/9, S. 422. 22 Vgl. Hans-Christof Kraus, Dieses Nichts von Fachmenschen und Genussmenschen, in: FAZ Nr. 74 (30. März 2016), S. 3. 23 Weber, MWG (Anm. 5), I/9, S. 423, auch I/18, S. 488. 24 Weber, MWG (Anm. 5), I/9, S. 422. 25 Spengler, Der Untergang (Anm. 1), S. 154. 26 Ebd., S. 506. 20
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Ursprünglichkeit und Organizität des Lebens einführe und eben die manipulative faustische Beherrschung der Natur in Gang setze. Als Alternative zur darauf folgenden entzauberten Welt der Moderne, die nichtsdestoweniger auch in dieser eine Rolle zu spielen vermag, sieht er die Präsenz einer magischen Komponente, mit der die Gewissheit erlangt werde, dass alles seine Zeit, d. h. ein richtiges Moment habe, das „wieder nicht das apollinische Haften an der punktförmigen Gegenwart und ebensowenig das faustische Treiben und Drängen nach einem unendlichen fernen Ziel“27 sei. Diese noch nicht entzauberte Komponente wird aber nicht mit aktivem Handeln verbunden. Es handelt sich um ein Schauen, um eine geheime Offenbarung, die das Schicksal erkennt und das passende Verhalten dazu entdeckt: „Es gibt Augenblicke […], in denen ein Einzelner sich mit dem Schicksal und der Weltmitte identisch weiß und seine Persönlichkeit beinahe als Hülle empfindet, in welche die Geschichte der Zukunft sich zu kleiden im Begriff ist“,28 was übrigens an die „welthistorischen Individuen“ Hegels erinnert, „in deren Zwecken ein […] Allgemeines liegt“.29 Für Spengler sind es also nur Einzelne, die sich in einer schicksalhaften Funktion befinden und den Gang des Schicksals erkennen oder sogar instinktiv fühlen können. Wenn es ihnen gelinge, diese Rolle einzunehmen und auszuüben, gebe es allerdings noch viele ungelöste „Aufgaben“,30 die sie übernehmen könnten, womit Spengler überdies den Vorwurf des Pessimismus von sich weist.31 Weber versteht hingegen den Menschen als handelndes Wesen und zentriert dementsprechend explizit seine Soziologie um das soziale Handeln. Bei ihm handelt es sich nicht um verschiedene „Seelen“ oder Einstellungen, sondern bekanntlich um verschiedene Handlungsweisen: zweckrational, wertrational, affektuell (bzw. emotional) und traditional, die sich auf andere Menschen beziehen und Formen der Interaktion konstituieren. Unter dieser Perspektive wird auch seine religionssoziologische Analyse durchgeführt, die die „in den psychologischen und praktischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten praktischen Antriebe zum Handeln“32 eruiert. Diesbezüglich zeige die protestantische Ethik ihre Einmaligkeit auf, indem sie eine aktive „Askese des Handelns“33 anstrebe, das auf ein gottgewolltes Handeln hinauslaufe. Wenn Weber den sukzessiven Verlust der magischen Komponente und daher das Voranschreiten der Entzauberung der Welt durch den strengen und abstrakten Rationalismus der protestantischen Ethik erkennt, sieht er nichtsdestoweniger in der magischen Verhaltensweise eher eine alternative Form des Handelns, das durch 27
Ebd., S. 847. Ebd., S. 1115. 29 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in zwanzig Bänden, hrsg. v. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt am Main 1970 f., S. 45. 30 Oswald Spengler, Pessimismus, Berlin 1921, S. 15. 31 Vgl. Sebastian Maaß, Oswald Spengler. Eine politische Biographie, Berlin 2013, S. 23. 32 Weber, MWG (Anm. 5), I/19, S. 85. 33 Ebd., S. 482. 28
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„den Besitz eines magischen Charisma“34 legitimiert wird, Anspruch auf Beherrschung durch die erlangten magischen Kräfte erhebt und auf der Grundlage seiner Außeralltäglichkeit und seiner Erfolge Anerkennung verlangt.35 Wohlgemerkt: Auch Weber beurteilt die Entwicklung der Moderne als schicksalhaft, ambivalent und zumindest von einem individuellen Standpunkt aus als freiheitsgefährdend. Doch das Schicksal ist bei ihm nicht wie bei Spengler kulturorganisch definiert und betrifft zuerst eine eher menschenbedingte Perspektive, indem es „die Folge seines [des Menschen] Handelns gegenüber seiner Absicht“36 prosaisch konnotiert. Wenn es wahr ist, dass sich das bürokratische Handeln ohne Ansehen der Person und auf effiziente Organisation gerichtet zur Maschine entwickelt, die wegen ihrer „Unentrinnbarkeit“ und Effizienz die Menschen dazu zwingt, auf sie angewiesen zu sein, und somit das „eherne Gehäuse“37 des modernen Lebens darstellt, so bleiben nichtsdestoweniger mögliche Gegenstrategien des Handelns erhalten, die diese sich zur Maschine emporsteigernde Macht im Zaum zu halten versuchen können, indem sie sich immerhin weiter auf die aufklärerischen emanzipatorischen „Errungenschaften der Zeit der Menschenrechte“38 berufen. Schließlich hat für Weber die Moderne mit ihrer Entzauberung der Welt auch bewiesen, dass es mehrere nicht aufeinander reduzierbare und nicht immer miteinander kompatible Werte gibt, in deren Kampf die Entscheidungen der Menschen und sogar der Einzelnen zur Geltung kämen und Bedeutung erlangten.39 V. Unterschiedliche Zukunftssorgen: Natur und Freiheit In seiner Auffassung der Kulturen als Organismen und in seiner Hervorhebung der Natur und des Lebens, vertritt Spengler eine konservative Sichtweise und ist zugleich als Vorreiter eines ökologischen Denkens anzusehen. Kraus bemerkt diesbezüglich: „Er beschränkte sich indes nicht nur auf eine Zustandsbeschreibung, in der sich zentrale Gedanken heutiger technologischer Technikkritik vorweggenommen finden, sondern sagte zugleich den langsamen Zusammenbruch der modernen technischen Welt voraus – als Folge des Erlöschens des faustisch-abendländischen Technizismus“.40 Insbesondere in seinem Werk von 1931 Der Mensch und die Technik weist Spengler auf eine zunehmende Künstlichkeit der Lebensbedingungen hin, die vom Gedanken des Bauens und des Zeugens geleitet werde und daher eine Ent34
Ebd., S. 484. Vgl. Wolfgang Schluchter, Die Entzauberung der Welt, Tübingen 2009, S. 3 f. 36 Weber, MWG (Anm. 5), I/9, S. 464. 37 Weber, MWG (Anm. 5), I/15, S. 356, 464. 38 Ebd., S. 466. 39 Vgl. Christian Marty, Max Weber. Ein Denker der Freiheit, 2. Aufl. Weinheim/Basel 2020, S. 67 f. 40 Hans-Christof Kraus, Oswald Spengler (1880 – 1936), in: Michael Fröhlich (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, S. 233 – 243, hier 240. 35
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fernung aus der Natur sowie einen Anspruch auf deren Beherrschung befürworte, was wiederum zu einer wachsenden politischen Organisation und zu einem Drang zur Industrialisierung führte. Zum einen enthielten die Konsequenzen des angestrebten Fortschritts die Tragik, „daß das entfesselte menschliche Denken seine eigenen Folgen nicht mehr zu erfassen vermag“.41 Zum anderen führten sie zu einer Zerstörung der Umwelt, die verhängnisvolle Risiken für die ganze Menschheit berge: „Die Mechanisierung der Welt ist in ein Stadium gefährlichster Überspannung eingetreten. Das Bild der Erde mit ihren Pflanzen, Tieren und Menschen hat sich verändert. In wenigen Jahrzehnten sind die meisten großen Wälder in Zeitungspapier verwandelt worden und damit Veränderungen des Klimas eingetreten, welche die Landwirtschaft ganzer Bevölkerungen bedrohen; unzählige Tierarten sind […] ganz oder fast ganz ausgerottet, ganze Menschenrassen wie die nordamerikanischen Indianer und die Australier beinahe zum Verschwinden gebracht worden“.42
Die sich anbahnende vorherrschende Tendenz befördere eine Einstellung, die Wasser und ähnliche Naturressourcen bereits mental in elektrische Kraft umwandele, sie dem Kalkül der wirtschaftlichen Ergiebigkeit unterziehe und dabei keine Grenzen kenne: „Abgesehen davon, daß heute schon Erdöl und Wasserkraft als anorganische Kraftreserven von größtem Umfang herangezogen sind, würde technisches Denken sehr bald noch ganz andere Quellen entdecken und erschließen“.43 Dennoch zeichne sich zugleich auch eine stillschweigendere, etwas unbewusstere Haltung ab, die bereits eine Gegentendenz umreiße: „Man wendet sich zu einfacheren, naturnäheren Lebensformen“,44 die, so Spengler, auf eine technisch ärmere Lebensweise hindeuteten und vielleicht den neuen Geist der Zeit verstehen und verkörpern könnten. Ob das Leben technisch beherrscht werden solle und welche Lebensführung die wertvollere sei, bleibt hingegen für Weber dahingestellt. Indem für ihn der Wissenschaft eine ethische Unzulänglichkeit zu eigen ist, spricht er ihr die Fähigkeit ab, das Gute für die Menschen feststellen zu können. Nichtsdestoweniger ist Weber im Unterschied zu Spengler nicht dermaßen skeptisch gesinnt und erkennt der Wissenschaft auch die Fähigkeit zu, nützliche Kenntnisse über die Technik zu erwerben und Klarheit über die Lage zu verschaffen, sodass die Konsequenzen des jeweiligen Handelns umfangreicher sowie exakter berechnet werden können. Dies sei wiederum erforderlich, um bewusstere und zweckmäßigere Entscheidungen zuerst individuell sowie dann in der und für die Öffentlichkeit als Staatsbürger zu fällen: „Wir können so […] den einzelnen nötigen, oder wenigstens ihm dabei helfen, sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns“.45 Die entzauberte Welt
41 Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik: Beitrag zu einer Philosophie des Lebens, München 1931, S. 78. 42 Ebd., S. 78. 43 Ebd., S. 80. 44 Ebd., S. 81. 45 Weber, MWG (Anm. 5), I/17, S. 104.
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impliziert für Weber einen Aufruf zur individuellen Entscheidung und bewussten Verantwortungsübernahme. Insbesondere für die politischen Entscheidungen eigne sich eine Ethik der Verantwortung, wodurch die Bereitschaft und Bereitwilligkeit dazu entstehe, „daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat“.46 Die Verantwortungsethik muss laut Weber mit der Unvollkommenheit der Menschen und der „Irrationalität der Welt“47 rechnen, die möglichen Nebenfolgen des eigenen Handelns sowie die daraus folgenden Reaktionen anderer in Betracht ziehen und letztendlich für das eigene Tun Verantwortung übernehmen. Sie betrifft in erster Linie die leitenden Politiker, da Politik als Einflussnahme und Machtausübung „überhaupt stets von wenigen gemacht wird“,48 aber sie wird auch von den Staatsbürgern erwartet, indem sie Wähler und Bürger sind. Weber behauptet diesbezüglich, es bestehe keine Gefahr, dass durch die zunehmende staatliche und bürokratische Organisation in der Gegenwart und für die Zukunft zu viel Freiheit, Individualismus und Demokratie entstehen könnten. Vielmehr gehe es um die Frage: „Wie wird Demokratie auch nur in diesem beschränkten Sinn überhaupt möglich sein?“49 Auch wenn die meisten keine Berufspolitiker seien, so Webers Ansicht, erlaubten Volkswahl und politische Erziehung die Möglichkeit zur politischen Mitwirkung der Individuen qua Staatsbürgerschaft,50 wenn denn die Öffentlichkeit in die Lage versetzt werde, durch das Parlament und die Publizität der Akten gut informiert zu sein und Kontrolle über die Verwaltung auszuüben: „Die obligatorische Volkswahl und Volksabstimmung bildet freilich den radikalen Gegenpol zu dem oft beklagten Zustand: daß der Staatsbürger im parlamentarischen Staat politisch nichts anderes leiste, als daß er alle paar Jahre einen der ihm von den Parteiorganisationen vorgedruckt gelieferten Wahlzettel in eine Urne stecke. Man hat gefragt: ob dies ein Mittel politischer Erziehung sei. Das ist es zweifellos nur unter den früher erörterten Bedingungen einer Verwaltungsöffentlichkeit und Verwaltungskontrolle, welche die Staatsbürger an die ständige Verfolgung der Art gewöhnt, wie ihre Angelegenheiten verwaltet werden“.51
Infolgedessen zeigt Weber den Pfad für eine Verantwortungsethik, die alle Individuen als Menschen und Bürger betrifft, zugleich darauf aufmerksam machend, dass technisch-politische Maßnahmen und institutionelle Verfahren „mechanische Hemmnisse forträumen“52 können und dazu verhelfen, trotz der wachsenden Reglementierung eine bessere Verwirklichung der Demokratie zu implementieren.
46
Ebd., S. 237. Ebd., S. 240. 48 Weber, MWG (Anm. 5), I/15, S. 492. 49 Ebd., S. 466. 50 Vgl. Dirk Kaesler, Max Weber, München 2011, S. 117. 51 Weber, MWG (Anm. 5), I/15, S. 545. 52 Ebd., S. 436. 47
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VI. Zwei Ansichten über den Cäsarismus Der demokratiekritische Spengler konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass die gesetzliche und institutionelle Ordnung die Grundstruktur des Staates verkörpert und wiedergibt. Für ihn gab es eine unüberbrückbare Spaltung zwischen der formal festgelegten Verfassungsurkunde und alledem, was „der lebendigen Wirklichkeit eines Staates als wesentliche Form zugrunde liegt“.53 Viel wichtiger ist für Spengler die „Organisation einer gut arbeitenden Regierung“,54 die der Aufgabe der gegenwärtigen Zeit gewachsen sei. Diese Aufgabe wollte er einem Einzelnen anvertraut wissen, und zwar einer Persönlichkeit, die eine Art magische Intuition mit klarem Blick verbinden sollte und stets mit ihrer Politik am Puls der Zeit blieb.55 Diese Form der Macht beschrieb Spengler als Cäsarismus, der eine ganz persönliche Gewalt auf Grundlage individueller Fähigkeiten darstellen sollte und im Grunde genommen formlos war: „Cäsarismus nenne ich die Regierungsart, welche trotz aller staatsrechtlichen Formulierung in ihrem inneren Wesen wieder gänzlich formlos ist“.56 Er schrieb dem „Cäsar“ zwei Hauptaufgaben zu: erstens „selbst etwas zu machen“ und zweitens „eine Tradition zu schaffen“,57 wodurch fähige Politiker entstehen und das angefangene Werk fortsetzen könnten, sodass auch im Fall mangelnder außergewöhnlicher Persönlichkeiten der große Politiker durch die große Politik ersetzt werden könnte. Doch welche Politik war damit gemeint? Politik als die „Kunst des Möglichen“:58 eine kraft- und machtvolle Politik, die die Außenpolitik als ausschlaggebend betrachtete und eine autoritäre Tendenz einschlug, die zugleich aber – nicht spannungsfrei – dem großen Staatsmann die Funktion des „Gärtners des Volkes“ zuschrieb.59 „Von seinem [des Gärtners] Blick für das Mögliche und also Notwendige hängt ihre [der Pflanze ,Politik‘] Vollkommenheit, ihre Kraft, ihr ganzes Schicksal ab. Aber diese Grundgestalt und Richtung ihres Daseins, dessen Stufen, Geschwindigkeit und Dauer das ,Gesetz, nach dem sie angetreten‘, stehen nicht in seiner Gewalt. Sie [die Pflanze ,Politik‘] muß es erfüllen oder sie verdirbt, und dasselbe gilt von der ungeheuren Pflanze ,Kultur‘ und den in ihre politische Formenwelt gebannten Daseinsströmen menschlicher Geschlechter. Der große Staatsmann ist der Gärtner eines Volkes“.60
53
Spengler, Der Untergang (Anm. 1), S. 1005. Ebd., S. 1015. 55 Vgl. Ben Lewis, Oswald Spengler and the Politics of Decline, New York 2022, S. 80 ff. 56 Spengler, Der Untergang (Anm. 1), S. 1101. 57 Ebd., S. 1115. 58 Ebd., S. 1116. 59 Für diese Haltung spielte sicher die schwierige Lage der Weimarer Republik nach dem Versailler Frieden, der hohe Reparationen und schwere Bedingungen für Deutschland vorsah, eine ausschlaggebende Rolle (vgl. Hans-Christof Kraus, Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 1919 – 1933, Berlin 2013). 60 Spengler, Der Untergang (Anm. 1), S. 1116. 54
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Somit kombinierte Spengler eine entschlossene und machtvolle persönliche Herrschaft mit der vorsichtigen Einfühlsamkeit, mit der Pflege der Kultur und der Sorge um das Volk sowie um dessen Entwicklungsmöglichkeiten. Dies erklärt vielleicht, warum – wie Kraus hervorgehoben hat61 – Spengler als Vertreter der „konservativen Revolution“ angesehen wurde und zugleich in keinem der Regime seiner Epoche die Realisierung seines politischen Ideals erkennen konnte. Für Weber ist der Cäsarismus eine politische Option, die in der modernen Welt ihre Chancen auf Verwirklichung aufrechterhält und sie sogar durch die Massendemokratie erhöht. Der Cäsarismus wird hier der charismatischen Gewalt zugeordnet und beruht daher auf einer außeralltäglichen Aura, die aus der charismatischen Persönlichkeit ausstrahlt, auf „magische“ Fähigkeiten hindeutet und bei der Gefolgschaft starke Emotionen hervorruft. Dennoch denkt Weber dabei hauptsächlich an eine Form der plebiszitären Herrschaft, die sich mit demokratischen Mitteln und innerhalb eines demokratisch-parlamentarischen Rahmens bewerkstelligen lasse.62 Sie basiere auf einer Umdeutung des Charismas, wobei die Anerkennung der charismatischen Person von den Beherrschten durch die Wahlen erfolge, somit von deren Willen abgeleitet sei und Legitimität erhalte.63 Dadurch aber distanziert sich Weber zugleich vom formlosen Ideal des Cäsarismus, da dieser durch die Wahlen an feste Normen und Prozeduren gebunden wird, zumal Weber auch seinem vermeintlichen Zustand „amorpher Strukturlosigkeit“64 widerspricht und ihm dagegen eine „ausgeprägte soziale Strukturform mit persönlichen Organen und einem der Mission des Charismaträgers angepaßten Apparat von Leistungen und Sachgütern“65 zuschreibt. Vielmehr werde der cäsaristisch-plebiszitären Komponente entsprochen, wenn die Parteimaschine und die Verwaltung der führenden Persönlichkeit Folge leisteten.66 Überdies würden Maßnahmen getroffen, damit diese Form der Macht innerhalb der Legalität und der Demokratie weiter agiere und der parlamentarischen sowie der Öffentlichkeitskontrolle unterstehe.67 Subjektiv gesehen erkennt Weber in dem Staatspolitiker nicht denjenigen, der die Zeit richtig verkörpert und auslegt, sondern eher die verantwortliche und verantwortungsbewusste Persönlichkeit, die in Anbetracht der Konsequenzen und der auch möglichen ungewollten Nebenfolgen Entscheidungen trifft, sie umsetzt und für sie geradesteht. In dieser Hinsicht soll der wahrhafte Politiker Emotionalität und Interesse bei den Menschen wecken und zugleich Sachlichkeit und Augenmaß walten las61
Kraus, Oswald Spengler (Anm. 40), S. 237. Vgl. Peter Baehr, Caesarism, Charisma and Fate. Historical Sources and Modern Resonances in the Works of Max Weber, New Brunswick/London 2008, S. 69. 63 Vgl. Stefan Breuer, Bürokratie und Charisma. Zur politischen Soziologie Max Webers, Darmstadt 1994, S. 205. 64 Weber, MWG (Anm. 5), I/22, S. 485. 65 Ebd., S. 485. 66 Vgl. Stefan Breuer, Max Webers tragische Soziologie, Tübingen 2006, S. 133. 67 Vgl. Wolfgang Schluchter, Die Entzauberung der Welt (Anm. 35), S. 103. 62
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sen. Objektiv gesehen handelt es sich darum, die cäsaristische Komponente durch die Wahl der politischen Führung zur Geltung zu bringen und zugleich über die parlamentarischen Mittel zu verfügen, um ihre Macht in einem legalen Rahmen zu halten und gegebenenfalls durch eine neue zu ersetzen. Am Beispiel Englands erklärt Weber dementsprechend die Wichtigkeit des Parlaments „gegenüber dem […] cäsaristischen Vertrauensmann der Massen“68 und die Inhalte der parlamentarischen Gewährleistung: „1. Die Stetigkeit und 2. die Kontrolliertheit seiner Machtstellung; 3. die Erhaltung der bürgerlichen Rechtsgarantien gegen ihn; 4. eine geordnete Form der politischen Bewährung der um das Vertrauen der Massen werbenden Politiker innerhalb der Parlamentsarbeit, und 5. eine friedliche Form der Ausschaltung des cäsaristischen Diktators, wenn er das Masse-Vertrauen verloren hat“.69 Die positive Seite der cäsaristischen Komponente sieht Weber darin, dass sie es erstens den leitenden Persönlichkeiten tatsächlich erlaube, Entschlüsse zu fassen sowie programmatische Anliegen konsequent und ungehindert durchzuführen, und zweitens die Parteien dazu zwinge, politische Persönlichkeiten mit Begabungen an ihre Spitze zu stellen. Zugleich und gerade deswegen hält er aber an einer demokratisch-parlamentarischen Struktur fest, die die Stabilität der rechtlichen und der demokratischen Ordnung zu garantieren hat: „Die feste Organisation der Parteien und vor allem der Zwang für den Massenführer, in der konventionell fest geregelten Teilnahme an den Komiteearbeiten des Parlaments sich zu schulen und sich dort zu bewähren, bietet andererseits ein immerhin starkes Maß von Gewähr dafür: daß diese cäsaristischen Vertrauensleute der Massen sich den festen Rechtsformen des Staatslebens einfügen und daß sie nicht rein emotional, also lediglich nach den im üblen Sinne des Worts ,demagogischen‘ Qualitäten, ausgelesen werden. Gerade unter den heutigen Bedingungen der Führerauslese sind ein starkes Parlament, verantwortliche Parlamentsparteien, und das heißt: deren Funktion als Stätte der Auslese und Bewährung der Massenführer als Staatsleiter, Grundbedingung stetiger Politik“.70
Weber vertraute zwar den cäsaristischen Persönlichkeiten die Aufgabe an, entschlossene Politik zu betreiben und die politische Landschaft zu beleben, setzte jedoch eher auf die Festigkeit und Rechtmäßigkeit der Institutionen, um Demokratie, Legalität und Ordnung aufrechterhalten zu können. VII. Fazit Bei Spengler und Weber war das Bewusstsein vom Aufkommen einer neuen und beunruhigenden Epoche wachgeworden, die mit sich eine Umwälzung der Perspektive ankündigte: die Existenz verschiedener geschichtlicher sowie geographischer und geopolitischer kultureller Räume, die sich nicht unter einen gemeinsamen Nenner bringen ließen und detaillierte Analysen abverlangten; eine moderne Welt, die 68
Weber, MWG (Anm. 5), I/15, S. 540. Ebd., S. 540. 70 Ebd., S. 549. 69
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nicht nur entzaubert, rationalisiert und mathematisiert worden war, sondern sich auch durch die Technik und die rasante Entwicklung der Wissenschaften neuen Herausforderungen stellen musste und schwer kalkulierbaren Risiken ausgesetzt war; und eine „faustische“ Einstellung, die nach einem allumfassenden Wissen strebte und vom Willen zur Beherrschung geleitet wurde, aber von neuen Formen der Unterwerfung bedroht war. Beide erblickten das Risiko der Vorherrschaft des Mechanismus und der Organisation über das Leben und die Ambivalenz eines Fortschritts, den Spengler fast ausschließlich negativ beurteilte, dem aber Weber hingegen auch gewisse positive und faszinierende Aspekte abgewinnen konnte. Spengler optierte dann für eine intuitive und kontemplative Sichtweise, die in den Geist der Zeit eindringen sollte, während Weber der kritisch-wissenschaftlichen Analyse, dem abwägenden Verantwortungssinn und der individuellen Entscheidungskraft vertraute, da er dem menschlichen Handeln trotz der beispiellosen Herausforderungen gewisse Chancen einräumte. Anschließend konzentrierte sich Spengler auf eine Unterstreichung des Organischen und des Lebens gegenüber der Maschine sowie auf eine wegweisende Diagnose der ökologischen Gefährdung, während Weber sich mehr für den Schutz der individuellen Freiheit einsetzte, die seines Erachtens von der Entwicklung der Organisation zunehmend eingeschränkt wurde. Während Spengler aber auch die Demokratie als Ergebnis der Zivilisation und der faustischen Einstellung einschätzte, sah Weber in ihr die Möglichkeit, Räume für die individuelle Freiheit und ihre verantwortliche Ausübung zu schaffen oder sogar zu erweitern. Spengler und Weber wollten beide wieder eine belebende Komponente in die Politik einführen und bezogen sich auf den Cäsarismus als eine Möglichkeit. Spengler verband damit aber eine persönliche und autoritäre Gewalt, die die Zeit richtig auslegen und in eine große und zugleich sorgsame Politik münden sollte, Weber wollte vielmehr durch die cäsaristische Komponente den demokratischen Wettbewerb revitalisieren und herausragende Persönlichkeiten für die Politik gewinnen, die aber somit die Demokratie verstärken sollten und die außerdem durch Normen und Institutionen an Legalität und Ordnung unumgänglich zu binden waren.
Wer ist der Feind? Carl Schmitt als Historiker Von Peter Hoeres, Würzburg Der Staatsrechtler Carl Schmitt war und ist vielfach Objekt des historischen Interesses. Sein Wirken im Schleicher-Kreis in der Endphase der Weimarer Republik, sein Versuch, die Nationalsozialisten von der Macht fernzuhalten,1 seine im April 1933 folgende politische Konversion2 mit der 1934 gegebenen – freilich keineswegs schrankenlosen – Legitimierung der Morde bei der Niederschlagung des sog. „Röhm-Putsches“,3 seine „Kaltstellung“ 1936 durch die SS,4 seine dreifache Verhaftung nach Kriegsende und das Verhör in Nürnberg5 und nicht zuletzt die enorme geistige Ausstrahlung, die er in „San Casciano“ aus dem Sauerland heraus in der Bundesrepublik Deutschland entfaltete,6 bis hin zur Mentorenschaft für den Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde7 – sie interessierten und interessieren zahlreiche Historiker weltweit.8 1
Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999; Wolfram Pyta, Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext, in: Reinhard Mehring (Hrsg.), Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, Berlin 2003, S. 219 – 236; ders./Gabriel Seiberth, Die Staatskrise der Weimarer Republik im Spiegel des Tagebuchs von Carl Schmitt, in: Der Staat 38 (1999), S. 423 – 448 und S. 594 – 610; Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001. 2 Peter Hoeres, Kultur von Weimar. Durchbruch der Moderne, Berlin 2008, S. 40 f. 3 Meist übersehen werden sowohl die Bürgerkriegssituation und die – sich als trügerisch erweisende – Hoffnung auf die Reichswehr wie die Forderung Schmitts nach einer Bestrafung der Morde an Schleicher, Bredow und anderen Konservativen, siehe dazu Günter Maschke, Der Tod des Carl Schmitt. Apologie und Polemik, Wien 1987, S. 71 – 73 mit Fußnote 120. 4 Helmut Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin 20185, S. 13 – 16. 5 Carl Schmitt, Antworten in Nürnberg, hrsg. und kommentiert v. Helmut Quaritsch, Berlin 2000. 6 Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. Mittlerweile ist diese weite geistige Landschaft durch die Edition zahlreicher Briefwechsel Carl Schmitts zumindest ansatzweise kartographiert, siehe auch Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983, hrsg., kommentiert und eingeleitet von Kai Burkhardt in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler und Stefan Krings, Berlin 2013. 7 Besonders klar erkennbar im jetzt edierten Briefwechsel von Reinhard Mehring (Hrsg.), Welch gütiges Schicksal. Ernst-Wolfgang Böckenförde/Carl Schmitt, Briefwechsel 1953 – 1984, Baden-Baden 2022; vgl. dazu meine Rezension in: HZ 215 (2022), S. 835 – 837.
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Carl Schmitt hat aber auch selbst als Historiker gewirkt – im weiteren Sinne als Begriffs- und Rechtshistoriker und im engeren Sinne als eine Art Zeithistoriker avant la lettre. Schmitt dachte von konkreten Ordnungen, Räumen und Begriffen her. Dabei ließ er sich von R. G. Collingwoods Question-Answer-Logic und Arnold Toynbees Challenge-Response-Struktur inspirieren, damit von Vorläufern der Cambridge School der Intellectual History. Historische Gesetzmäßigkeiten, Stufenfolgen oder ewige Wiederkehr verwirft Schmitt als unhistorisches Denken, daher distanziert er sich dann auch wieder von Toynbee – und von Ernst Jünger.9 Er gliederte geistesgeschichtliche Epochen und Denker vielmehr von ihren spezifischen Herausforderungen, Fragen und Situationen her und begreift sie in ihrer historischen Einmaligkeit. Trotz Anleihen bei griechischen Rechtsbegriffen wie dem für ihn zentralen Begriff „Nomos“, bei den Formen der römischen Diktatur und der res publica christiana des Mittelalters war Schmitt ein Denker der Neuzeit. Deren Konzeption ist bei ihm aber stark homogenisierend. Im Folgenden soll diese Konzeption kritisch auf ihre historische Tragfähigkeit geprüft werden (I.). Im Anschluss wird eine im engeren Sinne historische Schrift und deren Aufnahme vorgestellt (II.). Schließlich wird auf einige, auch weiterhin relevante Impulse Schmitts für die Geschichtswissenschaft hingewiesen (III.). Damit wird das Thema keineswegs erschöpfend behandelt, es handelt sich vielmehr um einen Versuch, ein großes Thema zu encadrieren.
8 Hans-Christof Kraus hat immer wieder seine intime Schmitt-Kenntnis unter Beweis gestellt und profunde Beiträge geliefert, vgl. Hans-Christof Kraus, Anmerkungen zur Begriffsund Thesenbildung bei Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1998, Stuttgart/Weimar 1998, S. 161 – 176; ders., Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? – Zur Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Fritz Hartung über den preußisch-deutschen Konstitutionalismus (1934/35), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45 (1999), S. 275 – 310; ders., Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte – Otto Hintze und Fritz Hartung als Kritiker Carl Schmitts, in: Dietrich Murswiek/Ulrich Storost/Heinrich A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, Berlin 2000, S. 637 – 661; ders., Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Michael Fröhlich (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Porträt einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, S. 326 – 337; ders., Freund und Feind im Zeitalter des Kalten Krieges – Zu den „Corollarien“ der Ausgabe von 1963, in: Mehring (Hrsg.): Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen (Anm.1), S. 170 – 187; ders., Carl Schmitts „Verfassungslehre“ – Systementwurf und Zeitdiagnose, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), Verfassungsdenker. Deutschland und Österreich 1870 – 1970, Berlin 2017, S. 263 – 288; ders., Versailles 1871 – Versailles 1919 – Versailles 1940. Zu Carl Schmitts Deutung Max Webers, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 39 (2017), S. 100 – 106; ders., Der Historiker und das Orakel von San Casciano. Zum Briefwechsel Reinhart Koselleck – Carl Schmitt, in: Jahrbuch Politisches Denken 29 (2019), S. 205 – 215. 9 Das war in einer Festschrift für Ernst Jünger delikat. Schmitt versuchte das Problem durch rhetorische Verbeugungen zu meistern, in der Sache zeigte sich aber ein scharfer Gegensatz: Carl Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: „Der Gordische Knoten“, in: Ders., Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916 – 1969, hrsg. mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Günter Maschke, Berlin 1995, S. 523 – 551. Vgl. dazu Andreas Höfele, Carl Schmitt und die Literatur, Berlin 2022, S. 382 – 396.
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I. Schmitt war Anti-Platoniker. Seine Begriffsgeschichte trieb er aber nicht bis hin zu einem radikalen Nominalismus. Vielmehr erfuhren nach Schmitt Begriffe wie Staat eine historische Verdichtung in der ihnen eigenen Epoche. Damit war Schmitt seiner Zeit voraus, in der man, wie er sehr modern klingend kritisierte, vom „antiken Staat“ oder dem „deutschen Staat des Mittelalters“ oder gar „von den Staaten der Araber, Türken oder Chinesen“ sprach, den Staatsbegriff damit „in irreführender Abstraktheit auf gänzlich verschiedene Zeiten und Völker“ übertrug „und in völlig andersartige Gebilde und Organisationen hineinprojiziert[e]“. Schmitt verortete den Staat dagegen in seiner Epoche, der klassischen Staatlichkeit vom 16. Jahrhundert an, die nun zu Ende gehe. Die Gegenposition vertrat sein Freund Johannes Popitz, für den Staat ein allgemeingültiger Begriff blieb, der eine Substanz enthielt, die nicht der NS-Partei – das war der normative Hintergrund – ausgeliefert werden dürfe. Jedenfalls ist Schmitts Kritik anschlussfähig an die heutige Mittelalter- und Frühneuzeitforschung wie die Historie außereuropäischer Länder und Gebilde. Der Terminus Staat war für ihn also „ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff“.10 Schmitt war ein desillusionierender pessimistischer Denker, aber einen echten Fortschritt hatte die Neuzeit doch hervorgebracht, das ius publicum europaeum (Schmitt schrieb häufig „Jus“) mit seiner Trennung von Feind und Verbrecher und der Hervorbringung eines entmoralisierten ius ad bellum, das den Kern staatlicher Souveränität ausmachte. Dies hatte in Schmitts Perspektive die Epoche eines gehegten Krieges zur Folge, der zu einem „von staatlich organisierten Armeen geführten, die Zivilbevölkerung und das Privateigentum verschonenden, reinen Staatenkrieg wird“.11 Dadurch dass die Frage nach der iusta causa neutralisiert wurde, konnte eine „Rationalisierung und Humanisierung“, eine „völkerrechtliche Hegung“, so Schmitts Begriffsprägung, des Krieges erreicht werden: „In der zwischen-staatlichen Epoche des Völkerrechts, die vom 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu datieren ist, gelang ein wirklicher Fortschritt, nämlich eine Umgrenzung und Hegung des europäischen Krieges“.12 Immer wieder stellte Schmitt diese Epoche der Staatlichkeit und des gehegten Krieges dem Zeitalter der ideologisch à outrance geführten Kriege gegenüber, die den Feind und die gesamte Feindbevölkerung kriminalisierten und 10 Carl Schmitt, Staat ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff (1941), in: Ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 – 1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 20034, S. 375 – 385, hier S. 375 f., 383 f. Vgl. auch die Bemerkungen von Christian Meier zu Schmitts Begriffsverständnis in der Aussprache, in: Helmut Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988, S. 65 – 607. 11 Carl Schmitt, Staat ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff (1941), S. 382. 12 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin 1997, hier S. 112 f.
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hors la loi stellten, der Zeit, die mit der „Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“13 eingeläutet wurde und bis heute anhält. Historisch war das eine großzügige Konstruktion, auch wenn Gerhard Ritters „gezähmte Bellona“14 zumindest für die Rokoko-Zeit in eine ähnliche Richtung wies: Weder der im Verhältnis zur Bevölkerungszahl verheerendste Krieg der gesamten Neuzeit einschließlich der beiden Weltkriege, der Dreißigjährige Krieg, wurde damit eingefangen noch die ideologische Massenkriegsführung des Revolutionszeitalters, deren bellizistische Wurzeln auch ins Ancien Régime zurückreichen,15 und der napoleonischen Kriege zwischen 1790 und 1814 mitsamt der spanischen Erhebung. Schmitt gestand später ein, dass er in seinem Nomos-Buch die „Unterbrechung“ der Ära des ius publicum europaeum durch die Revolutionskriege und die napoleonischen Kriege nicht „ausführlich genug“ behandelt habe.16 Aber auch der Volkskrieg Léon Gambettas von 1871 lässt sich nicht in Schmitts Epochenkonstruktion einschreiben. Vor allem: Schaut man genauer auf vermeintlich klassische Staatenoder Kabinettskriege, so ist auch hier das Bild nicht so eindeutig, wie es in der Schmitt’schen Perspektive erscheint. Immer wieder sind Entgrenzungen und „Enthegungen“ (Herfried Münkler) festzustellen, die mit dem Krieg einhergingen oder diesem vorausgingen. Dazu gehören die Verwüstung der Pfalz und des Oberrheins durch französische Truppen 1689, die von der Erzeugung von Terror motivierte Beschießung Brüssels durch die französische Armee 1695 oder die Raub- und Brandzüge der Panduren 1742 bis 1746. Auch brutale Plünderungen wie im Falle der niederländischen Festungsstadt Bergen-opZoom durch die französischen Eroberer im österreichischen Erbfolgekrieg kontrastieren das Bild des gehegten Krieges.17 Schließlich ist ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine gesteigerte Bedeutung des sogenannten „Kleinen Krieges“ durch Irreguläre wie eben die Panduren als Teil der großen Kriege festzustellen.18 13
Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, Berlin 20074. Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Die Probleme des „Militarismus“ in Deutschland, Bd. 1: Die altpreußische Tradition (1740 – 1890), München 1954, S. 50 – 59. Wie Schmitts Nomos ist auch dieses Buch im Zweiten Weltkrieg entstanden. 15 Johannes Kunisch/Herfried Münkler (Hrsg.), Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution. Studien zum bellizistischen Diskurs des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, Berlin 1999. 16 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 19954, S. 16, Anmerkung 7. 17 Martin Wrede, „Zähmung der Bellona“ oder Ökonomie der Gewalt? Überlegungen zur Kultur des Krieges im Ancien régime, in: Irene Dingel/Johannes Paulmann/Matthias Schnettger/Martin Wrede (Hrsg.), Theatrum Belli – Theatrum Pacis. Konflikte und Konfliktregelungen im frühneuzeitlichen Europa. Festschrift für Heinz Duchhardt zu seinem 75. Geburtstag, Göttingen 2018, S. 207 – 237, hier S. 217, 223 f. 18 Jutta Nowosadtko, „Gehegter Krieg“ – „gezähmte Bellona“? Kombattanten, Partheygänger, Privatiers und Zivilbevölkerung im sogenannten Kleinen Krieg der Frühen Neuzeit, in: Frank Becker (Hrsg.), Zivilisten und Soldaten. Entgrenzte Gewalt in der Geschichte, Essen 2015, S. 51 – 77. 14
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Am ehesten entspricht wohl der Siebenjährige Krieg Schmitts Ideal, denn dem gegen Moralisierung, Ächtung und Entgrenzung argumentierenden Theoretiker steht ja durchaus eine normativ bestimmte Konzeption vor Augen. Die Ambivalenz auch dieses Krieges wird aber in einem häufiger zitierten Satz Friedrichs des Großen aus seinem Politischen Testament von 1768 deutlich: „Wenn wir nicht mit ganz Europa zu kämpfen hätten, könnten wir die Grenzen so schützen, daß der friedliche Bürger in seiner Behausung ruhig und ungestört bleibt und gar nicht wüßte, daß seine Nation sich schlägt, wenn er es nicht aus den Kriegsberichten erführe.“ Die Aussage einer auf das Kriegstheater begrenzten Auseinandersetzung von Kombattanten ist also im Irrealis gehalten, die Realität war eine andere. Friedrich erklärte sogar, „Zeuge einer fast gleichen Zerstörung“ wie im Dreißigjährigen Krieg gewesen zu sein.19 Tatsächlich kam es auch auf europäischen Kriegsschauplätzen zu entgrenzter Gewalt, besonders im Osten. So verwüsteten Kosaken und Kalmücken 1757 die Stadt Ragnit an der Memel, plünderten, brandschatzen, vergewaltigten und ermordeten die Honoratioren, obgleich diese sich bereits ergeben hatten. War dies Gewalt durch Irreguläre, so war auch bei der Schlacht um Zorndorf 1758 zwischen Preußen und Russland ein Blutbad mit über 30.000 Toten zu beklagen, mit grausamer Gewalt auch noch nach der Schlacht. Friedrich II. hatte zuvor aus Zorn über die Zerstörung Küstrins den Befehl gegeben, kein Pardon zu geben. Und 1760 wurde nach erfolgloser Belagerung Dresden bombardiert und zerstört, was Friedrich angesichts der herannahenden Österreicher möglicherweise bewusst kalkuliert hatte.20 Kurzum, man muss bei so vielen Ausnahmen fragen, ob dahinter überhaupt noch eine Regel steht und Schmitt sich nicht in Anverwandlung seines berühmten Zitats aus der „Politischen Theologie“ die Souveränität genommen hat, über Ausnahme und Regel eigenmächtig zu entscheiden. Martin Wrede kritisiert die scharfe Gegenüberstellung der Kriegsführung der Revolutionskriege und der Epoche Napoleons: „Das Bild der gezähmten, gar gefesselten Bellona des Ancien régime ist irreführend“.21 In der Frühneuzeitforschung ist man mittlerweile auch grundsätzlich vom Epochenlabel „Westphalian System“ abgerückt. Die staatliche Souveränität, Parität der Staaten (also die Anerkennung als iusti hostes) und das Gleichgewicht der Kräfte haben eine längere Vorgeschichte und die Phase nach 1648 ist von vielfältigen Brüchen und Modifizierungen bestimmt.22 Wenn man Schmitts Diagnose auf die Diskursebene verlagert, so fallen die mit erheblichem Aufwand betriebenen rechtlichen, politischen, moralischen und – geringer zu veranschlagenden – religiösen Kriegslegitimationen in der Frühen Neuzeit auf. Die bellum-iustum-Lehre wirkte weithin nach und wurde selbst von Ludwig XIV. wieder bemüht, nachdem er den Krieg zu19 Politisches Testament Friedrichs des Großen von 1768, in: Richard Dietrich (Hrsg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln/Wien 1986, S. 462 – 697, hier S. 483 u. 597. 20 Marian Füssel, Der Preis des Ruhms. Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges 1756 – 1763, München 2019, S. 154, 241 – 245, 350 – 354. 21 Wrede, „Zähmung der Bellona“ (Anm. 17), S. 237. 22 Heinz Duchhardt, „Westphalian System“. Zur Problematik einer Denkfigur, in: HZ 269 (1999), S. 305 – 315.
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nächst als souveränen Akt inszeniert hatte. Ja selbst die Vorstellung vom Kriegsausgang als Gottesurteil über den gerechten Grund ist noch im 18. Jahrhundert verbreitet.23 Dementsprechend kam es rhetorisch zu entsprechenden moralischen Charakterisierungen des Feindes und national bestimmten Feindbildern, zu ideologischen und diskriminierenden Feindbestimmungen, dies freilich keineswegs so systematisch oder umfassend wie im 20. Jahrhundert.24 Im Krimkrieg war es aber opinio communis in der britischen Öffentlichkeit, dass man in einen Krieg gegen den Despotismus ziehe, eine Neuauflage des Kampfes gegen das Frankreich Napoleons I. (mit dessen Neffen man sich nun in einem Bündnis befand). So hieß es in der Morning Post: „Russia is the leader and archetype of the system of policy under which restricted bodies – mere administrative sections – act in the name of vast nations, and use the brute weight and force of masses of humanity as the blind instrument of their will. England and her allies are the exponents and the defence of that means and result of the highest civilization, which consist in the self-government and independent action of intelligent communities through the constitutional medium of ascertained public opinion. [. .. ] The supremacy of political intelligence or of brute force in the great community of civilised nations is what is really at stake“.25
Das glich bereits der ideologischen Kreuzzugsrhetorik des Ersten Weltkriegs; von Hegung oder Anerkennung des Feindes fehlt hier jede Spur. Die folgenreiche Ideologisierung und Totalisierung des Krieges zwischen 1914 und 191826 und die Enthegung auf einigen Schauplätzen dieses Krieges wie in Belgien, Ostpreußen oder in Galizien zu Beginn dieses Konfliktes hatte eben ihre lange Vorgeschichte. Gleichwohl schärft die Perspektive Schmitts auf das Zeitalter der souveränen Staatlichkeit ungemein den Blick für die ideologische Bemäntelung von Kriegen und lässt die simple heutige Fortschrittserzählung von der Ächtung des Krieges und der Verrechtlichung des zwischenstaatlichen Verkehrs als Täuschung und Irreführung erscheinen, ein nicht geringer Verdienst. Und das Konzept des Zeitalters der Staatlichkeit und der klaren völkerrechtlichen Scheidungen zwischen Krieg und Frieden, Kombattant und Zivilist, Intervention und Neutralität, Feindschaft und Ver23 Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Berlin 2012, hier besonders S. 54, 66. Eine Art frühneuzeitliche (religiöse) Responsibility to Protect (R2P) arbeitet als Kriegsrechtfertigung Julian Katz heraus: Kriegslegitimation in der Frühen Neuzeit. Intervention und Sicherheit während des anglo-spanischen Krieges (1585 – 1604), Berlin/München/Boston 2021; vgl. ferner Christoph Kampmann/Julian Katz/Christian Wenzel (Hrsg.), Recht zur Intervention – Pflicht zur Intervention? Zum Verhältnis von Schutzverantwortung, Reputation und Sicherheit in der Frühen Neuzeit, Baden-Baden 2021. 24 Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen (Anm. 23), S. 171 – 176. 25 The Morning Post vom 7. 1. 1854, zit. nach Olive Anderson, A Liberal State at War. English Politics and Economics During the Crimean War, London u. a. 1967, S. 4 f. 26 Siehe dazu Peter Hoeres, Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn u. a. 2004.
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brechen sind als heuristisches Instrument der Epochengliederung und Epochencharakterisierung nach wie vor von großem Wert. Dass sich die historische Wirklichkeit in den Quellen dann meist als vielgestaltiger und chaotischer präsentiert als in der Begriffswelt ist eine banalité supérieure. Die heutige Kritik an der Vorstellung des „Westphalian System“ zielt aber weniger auf dessen Kernelemente und das, was für den in der jüngeren Frühneuzeitforschung kaum thematisierten Schmitt27 an Konsequenzen daraus folgt, sondern auf die Zäsur 1648 und die Vorstellung einer bis in die Gegenwart wirkenden Neuordnung der Staatenwelt. Das „Westphalian System“ hatte einerseits eine in der Theorie bis Machiavelli, in der Praxis bis Philipp II. von Spanien und Franz I. von Frankreich zurückgehende Vorgeschichte, verdichtete sich andererseits aber erst nach den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück in den 1690er Jahren zum System.28 Das ändert aber nichts am Idealtypus des ius publicum europaeum als Rechtsform dieses Systems, die aber eben ein Idealtypus im Weber’schen Sinne und also in dieser Reinform in der historischen Realität nicht anzutreffen ist. Auch andere Epochensignaturen Schmitts wie das „Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ erweisen sich als grobe Zuschreibungen. Schmitt hielt den so betitelten Vortrag von 1929 für so wichtig, dass er den Text dem „Begriff des Politischen“ sowohl 1932 als auch in der Neuauflage von 1963 beigab.29 In der Auflage von 1933 fehlte er hingegen. Schmitt diagnostizierte einen Wechsel von fünf Zentralgebieten. Während das jeweils alte neutralisiert wurde, verlagern sich die Auseinandersetzungen auf ein Neues. So geht es von der Theologie im 16. Jahrhundert zur Metaphysik im 17. Jahrhundert, zum Humanitarismus im 18. Jahrhundert und dann über die Ökonomie im 19. Jahrhundert zur Technik im 20. Jahrhundert. Die jeweiligen Gegensätze auf diesen Feldern können so stark werden, dass sie in das Politische hineingezogen werden, sie können aber auch durch eine Neutralisierung, etwa seitens des die Religionskämpfe politisch beendenden Staates, befriedet werden. Ein eigenes Sachgebiet stellte das Politische für Schmitt nicht mehr dar, nachdem er es als Existenzmodus und Intensitätsgrad einer antagonistischen Gruppierung bestimmt hatte. Dies war eine großzügige Fassung der saecula, welche die vielfältigen Dynamiken und Antriebsmomente der jeweiligen „Verwandlung der Welt“ (Jürgen Osterhammel) nur sehr simplifizierend und tentativ einfing. 27 Kritisch reagierte auf Schmitt Jörg Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht. Die Auseinandersetzungen um den Status der überseeischen Gebiete vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wiesbaden/Stuttgart 1984. Positiv an Schmitt schließt Heinhard Steiger an, vgl. etwa: Ius bändigt Mars. Das klassische Völkerrecht und seine Wissenschaft als frühneuzeitliche Kulturerscheinung in: Klaus Garber/Jutta Held (Hrsg.), Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 2: Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voß/Martin Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 59 – 85. 28 Duchhardt, „Westphalian System“ (Anm. 22), hier S. 313. 29 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 19633, S. 79 – 95.
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II. Stärker als unmittelbarer Deuter der jüngsten Vergangenheit profilierte sich Schmitt 1934 mit seiner Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“. Er sah es als verhängnisvoll an, dass nach dem Verfassungskonflikt und den gewonnenen Einigungskriegen nicht die Gunst der Stunde genutzt und ein wehrhafter Staat geschaffen worden sei. Stattdessen sei die Machtfrage in der Bismarck‘schen Reichsverfassung nicht klar beantwortet worden, was die schleichende Aushöhlung, den Sieg des Konstitutionalismus und damit eben auch des Parlamentarismus, des Bürgers über den Soldaten – die er als antithetische Idealtypen entwarf – mit den drei markanten Daten des Indemnitätsgesuchs Bismarcks, Bethmann Hollwegs Entschuldigung für die Invasion Belgiens und der Oktoberverfassung von 1918 ermöglicht habe. Im Ergebnis konstatierte Schmitt eine Kapitulation vor den Liberalen, die das Reich wehrlos gemacht und mit einer ganz unzureichenden Heeresrüstung in dessen Untergang geführt habe. Schmitt stellte das „Dritte Reich“ damit in die Tradition des preußischen Soldatenstaates, der durch den bürgerlichen Konstitutionalismus zerstört worden sei. Der preußische Staatsrat versuchte mit dieser Schrift einiges bei den Nationalsozialisten gut zu machen; mit seiner vorherigen Zentrumsnähe, seiner Unterstützung des „Preußenschlages“ und seiner Mitarbeit am Staatsnotstandsplan 1932, beides mit dem Ziel der Fernhaltung der Nationalsozialisten, ferner mit seiner einstmaligen Nähe zur Wehrmachtsabteilung im Reichswehrministerium und zu Kurt von Schleicher wie mit seinen jüdischen Freunden hatte er sich verdächtig gemacht, was dann auch zu seinem Sturz 1936 führte.30 Schmitts Deutung stieß auf dezidierte Kritik in der geschichtswissenschaftlichen Zunft, etwa seitens des viel gelesenen Verfassungshistorikers Fritz Hartung sowie der Bismarck-Experten Werner Frauendienst und Egmont Zechlin. Hartung erkannte in Schmitts Antagonismus einen Scheingegensatz, der auf selektiv ausgewählte Belege gestützt sei. Während Hartung an Leopold von Rankes Objektivitätsideal dezidiert festhielt, sah er in Schmitts „Art, Geschichte zu schreiben“, eine „Gefahr für die politische Bildung der heranwachsenden Generation“.31 In Korrespondenzen erhielt Hartung für diese Kritik Zustimmung von juristischen wie Historikerkollegen, darunter von so prominenten Vertretern des Fachs wie von seinem Lehrer Otto Hintze 30 Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, hrsg. v. Günter Maschke, Berlin 2011 (zuerst 1934). In den Vorworten und dem umfangreichen Anmerkungsapparat berichtet der Herausgeber über die Rezeption der Schrift. Zum zeithistorischen Kontext von Schmitts Schrift vgl. das Vorwort des Herausgebers in der genannten Edition, S. XXIII–XLVI; zu Schmitts Nähe zu Schleicher und der Wehrmachtsabteilung vgl. Pyta, Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext (Anm. 1). 31 Fritz Hartung, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, in: HZ 151 (1935), S. 528 – 544, hier S. 544. Vgl. dazu Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? (Anm. 8).
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oder von HZ-Herausgeber Friedrich Meinecke.32 Auch Schmitts Schüler Ernst Rudolf Huber distanzierte sich vorsichtig schon 1935 von Schmitts harscher Kritik an der Bismarckverfassung, was in „Staat und Heer“ von 1938 und später in seiner Verfassungsgeschichte dann noch deutlicher zum Ausdruck kam. Die Wendung zum Niedergang verortete Huber klassisch erst mit dem Abgang Bismarcks und der unsteten Herrschaft Wilhelms II.33 Die Frage, ob die Reichsverfassung eine adäquate Verfassungslösung sui generis für ihre Zeit oder ein „dilatorischer Formelkompromiss“34 gewesen sei und damit die Aufgabe einer Verfassung, eine „grundlegende politische Entscheidung“35 zu treffen, nicht geleistet habe, wie es Schmitt schon in seiner Verfassungslehre von 1928 ausgeführt hatte, wurde nach 1945 wieder aufgerollt. Nun nahm unter anderem politischen Vorzeichen Ernst-Wolfgang Böckenförde den Schmitt’schen Ansatz gegen Huber auf, der in seiner ideologisch entschlackten Verfassungsgeschichte seine Deutung wiederholte. Im Endeffekt hat sich eher die Schmitt-Böckenförde-Linie in dieser Frage durchgesetzt,36 auch bei Wolfgang Mommsen und Hans-Ulrich Wehler, wenn auch mit anderem normativen Vorzeichen. Mommsen bezeichnete die Reichsverfassung als ein „System umgangener Entscheidungen“,37 Wehler folgte dem und nahm auch Schmitts Formel leicht abgewandelt auf: Die Verfassung des Kaiserreiches sei „ein die Verfassung aufschiebender dilatorischer Kompromiß, der weder der Fürstenherrschaft noch dem Parlamentarismus endgültig den Vorrang gab“.38 32 Vgl. die entsprechenden Briefe in Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? (Anm. 8), S. 305 – 310, sowie ders., Fritz Hartung – Persönlichkeit und Lebenswerk, in: Ders. (Hrsg.), Fritz Hartung. Korrespondenz eines Historikers zwischen Kaiserreich und zweiter Nachkriegszeit, Berlin 2019, S. 1 – 38, hier S. 17. Hartung störte auch, dass „Schmitt aus Parteigründen den Zusammenbruch von 1918 Bismarck und dem Liberalismus in die Schuhe schiebt, ohne das Zentrum und der Sozialdemokratie zu erwähnen.“ Brief Hartungs an Willy Andreas vom 27. Februar 1935, in: ebd., S. 281 – 282, hier S. 281 f. Diese beiden Parteien hielt Hartung offenbar für besonders relevant bei der Suche nach den Gründen des Zusammenbruchs des Kaiserreiches und dessen Niederlage. Vgl. ferner Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 – 1970, München 2005, S. 270 – 286. 33 Ernst Rudolf Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 19432 (zuerst 1938). Vgl. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht (Anm. 32), S. 270 – 286; und vgl. die auch in anderen Fragen auseinandergehenden Positionen der beiden Staatsrechtler: Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber. Briefwechsel 1926 – 1981: mit ergänzenden Materialien, hrsg. v. Ewald Grothe, Berlin 2014. 34 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 201711 (zuerst 1928), S. 54. 35 Schmitt, Verfassungslehre (Anm. 34), S. 23. 36 Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? (Anm. 8), S. 302 – 305. 37 Wolfgang J. Mommsen, Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850 bis 1890, Berlin 1993, S. 340. Mommsen nimmt an dieser Stelle keinen expliziten Bezug auf Carl Schmitt, wohl aber bezeichnet er wenige Seiten später das Reichsland Elsass-Lothringen als Beispiel einer „klassischen Ausnahmesituation im Sinne Carl Schmitts“ (S. 348). 38 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849 – 1914, München 1995,
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1976 moniert Schmitt gegenüber Huber, dass dieser ihm in seiner Verfassungsgeschichte der Kaiserzeit die „Spitzmarke ,ultrakonservativ‘“ angehängt habe, was ihm „manchen Ärger“ verschafft habe.39 Die Frage stellt sich, ob dieses Etikett für Schmitts Interpretation der Bismarckverfassung stimmt, ist sie doch von einer scharfen Kritik an jenem „dilatorischen Formelkompromiss“ geprägt und insofern gerade nicht konservativ-apologetisch, sondern kritisch-dynamisch, eine Dezision des sistierten Verfassungskonfliktes anmahnend. Die Verfassungsinterpretation Schmitts war nicht an Hegel orientiert, wie überhaupt die Distanz Schmitts zu Hegel häufig zum Ausdruck kommt. „Hegel ist tot“ habe Schmitt dem darob entsetzten Mussolini in Rom 1936 gesagt, so berichtet es Huber anlässlich einer Gedenkfeier zu Schmitts hundertstem Geburtstag 1988.40 III. Schmitts Interesse galt der Begriffs- und Rechtsgeschichte. Für die disziplinäre Entwicklung der Begriffsgeschichte war er der Pate oder Großvater, davon zeugt das lebenslange Gespräch von Schmitt mit Reinhart Koselleck über Geschichtsphilosophie, Utopiekritik und die Unterminierung des Staates sowie über dessen begriffsgeschichtliche Projekte. Schmitt war auch ein aufmerksamer Leser der Geschichtlichen Grundbegriffe.41 In der Analyse und im Nachspüren von Begriffen und der Wandlungen von Symbolen lag seine eigentliche historische Begabung. Für ersteres steht nicht nur der emblematische Satz aus der „Politischen Theologie“: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe“42, sondern auch die ideengeschichtlich zuspitzend und polarisierend angelegte Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“, in welcher Schmitt Demokratie und Parlamentarismus respektive Liberalismus in einen scharfen idealtypischen Gegensatz bringt, um so die aktuelle Gemengelage erst erkennen zu können: „Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein government by discussion, gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Er gehört nicht zur Demokratie. Beides, Liberalismus und Demokratie, muß voneinander getrennt werden,
S. 361 mit Fußnote 39 auf S. 1370, in welcher er auch auf Schmitts „Staatsgefüge“ und die Verfassungslehre verweist. 39 Schmitt an Huber 11. 2. 1976, in: Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber. Briefwechsel 1926 – 1981 (Anm. 33), S. 380 f., hier S. 380. 40 Ernst Rudolf Huber, Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, 1988, in: Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber. Briefwechsel 1926 – 1981 (Anm. 33), S. 576 – 581, hier S. 579. 41 Jan Eike Dunkhase (Hrsg.), Reinhart Koselleck, Carl Schmitt. Der Briefwechsel 1953 – 1983, Berlin 2019. 42 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 19936, S. 43.
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damit das heterogen zusammengesetzte Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht“.43 Für letzteres, die Symbolgeschichte, steht der Essay „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“, mit der Schmitt eines der folgenreichsten politischen Symbole sezierte und dessen Scheitern aufzeigte. Wie viele seiner Schüler ihm gegenüber war auch Schmitt selbst gegenüber seinem Säulenheiligen Hobbes keineswegs unkritisch. Der Leviathan vereinigte Gott, Mensch, Tier und Maschine; das Bild des Seeungeheuers taugte aber nicht für den absolutistischen Staatsaufbau der Landmächte, für den Hobbes die Theorie geliefert hatte. Und wie der Mythos scheiterte, so wurde später auch der Staat durch die indirekten Gewalten und den Pluralismus zerstört: „Alle untereinander sonst so feindlichen indirekten Gewalten waren sich plötzlich einig und verbündeten sich zum ,Fang des großen Wals‘. Sie haben ihn erlegt und ausgeweidet.“44 Schmitts komplexe Beschäftigung mit der Symbolgeschichte ist ein früher Beitrag zur politischen Kulturgeschichte, die dann seit den 1990er Jahren in der Geschichtswissenschaft sehr große Beachtung fand. Um den Leviathan und seinen Widersacher ging es Schmitt auch in der erneut historisch großzügig farbenreichen Erzählung für seine Tochter Anima über „Land und Meer“.45 Der Gegensatz zwischen Landtretern und Seeschäumern wird mythisch verortet und aus der alttestamentarischen Erzählung von Behemoth und Leviathan entwickelt. Dann werden die Seemächte vorgestellt, die Venezianer und Holländer, die Portugiesen, Spanier und Engländer und das unterschiedliche Recht, das die vom genommenen, begrenzten und entwickelten Land – entsprechend der dreifachen Wortbedeutung von m]leim : nehmen, teilen, weiden – ausgehenden Mächte und die von der freien See denkenden Nationen entwarfen. Ferner werden die Raumrevolutionen skizziert und deren jüngste, die Erschließung der Luft, mit dem Urelement des Feuers in Verbindung gebracht. In der Festschrift für Ernst Jünger von 1955 konkretisiert Schmitt den Land-Meer-Gegensatz am Beispiel der maritimen Bewusstseinswerdung Großbritanniens. Von einem kontinentalen Anhängsel wird Britannien zu einer von der See her denkenden eigenständigen Macht, womit Schmitt die Frühindustrialisierung in Zusammenhang bringt und erklärt.46 In der „Theorie des Partisanen“ geht Schmitt dagegen von einer Urszene aus, der Erhebung der Spanier zum Guerillakrieg gegen die französischen Eroberer 1808 nach der Niederlage der regulären spanischen Armee gegen Napoleon. Von dort aus wird der Typus des Partisanen ergründet und völkerrechtlich gefasst. Die Untersuchung führt dann zum kurzlebigen preußischen Landsturmedikt von 1813, um ge43 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 19968, S. 13. 44 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Mit einem Anhang sowie einem Nachwort des Herausgebers, Stuttgart 1982, S. 124. 45 Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Stuttgart 20189. 46 Schmitt, Die geschichtliche Struktur (Anm. 9).
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rade von diesem Sonderfall, von der Ausnahme her, das preußische „Mißverhältnis zum Partisanentum“ wie dessen theoretische Adelung durch Clausewitz im von den Franzosen besetzen Berlin zu skizzieren, der insgesamt gleichwohl dem Offiziersdenken einer regulären Armee verhaftet blieb. Schmitt verfolgt den Partisan weiter zu Lenin, Mao und Raoul Salan, zeichnet das Bild eines ihn faszinierenden, aber auch erschreckenden Typus als Träger der politischen Feindschaft, die bei Lenin zur absoluten Feindschaft gesteigert wird, womit jede Möglichkeit der Hegung des Krieges obsolet wird.47 Nicht nur seine Begriffsgeschichten, auch Schmitts spezifisches Kriterium des Politischen, das Freund-Feind-Verhältnis, machte ihn für manchen Historiker attraktiv. Der promovierte Berliner Historiker Horst Michael war begeistert, dass Schmitt den Schlüssel zum Verständnis Bismarck’scher Politik im Jahrzehnt vor der Reichseinigung gefunden habe; die Bestimmung Österreichs als politischer Feind sei ein klassischer Anwendungsfall der Schmitt’schen Theorie. Dass Michael auch der aus einem Geheimfonds finanzierte Verbindungsmann Schleichers im Reichswehrministerium war, gibt dieser Wirkung noch eine politische Dimension. Schmitt und Michael arbeiteten dann auch an Notstandsplänen 1932 für den Reichspräsidenten.48 Die Frage nach den Freund-Feind-Verhältnissen, den (unausgesprochenen) Feindbestimmungen und den damit verbunden Selbstauskünften – „[m]an klassifiziert sich durch seinen Feind“49 – und den großen Friedensschlüssen und wie diese Wunderwerke möglich wurden, sind weiterhin für eine Geschichtswissenschaft attraktiv, die sich nicht mit naiver Übernahme oder Reproduktion pazifistischer und kosmopolitischer Rhetorik begnügen will und den anachronistischen Schleier heutiger Moral beiseite zu ziehen trachtet. Schmitts weiter souveräner und origineller Blick auf große Linien, Begriffs- und Ideenmassive geht häufig großzügig über historische Details und Nahverhältnisse hinweg, was noch eingehender erforscht werden muss, auch hinsichtlich seiner jeweiligen Quellen. Schmitt spitzt die Epochenverhältnisse auf die wesentlichen Fragen zu: die häufig camouflierten, ideologiekritisch freizulegenden Feindbestimmungen und Bürgerkriegsdrohungen, die voraussetzungsreiche Homogenität des Staates, die normative universalistische Bemäntelung von Interessen und die Enthegungen des Krieges. Diese Fragen und Grundbegriffe sind nicht abgegolten und können die Geschichtswissenschaft wie das Geschichtsdenken weiter befruchten.
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Schmitt, Theorie des Partisanen (Anm. 9). Pyta, Schmitts Begriffsbestimmung im politischen Kontext (Anm. 1), S. 227 – 232. 49 Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus, Berlin 20154, S. 90. 48
Juristen und „Rechtslehrer“ im „Handbuch der Grabstätten“. Der Jurist Joachim Aubert als Chronist kanonischer Vorstellungen von nationaler Berühmtheit Von Martin Otto, Hagen (Westfalen) I. Das unzeitgemäße „Totenadressbuch“ 1. „Adressbuch der Toten“ Das Buch war ohne Vorbild und Nachfolger. Im August 1973 legte Joachim Aubert sein „Handbuch der Grabstätten berühmter Deutscher, Österreicher und Schweizer“ im „Deutschen Kunstverlag“ vor,1 knapp 250 Seiten, 63 Abbildungen, Ladenpreis 35 DM. Es verzeichnete „2800 Namen, die zwischen 800 n. Chr. und dem 31. Dezember 1972 verstorben sind“, von der bayerischen Äbtissin Walburga2, dem friesischen Missionar und ersten Bischof von Münster Liudger3 und dem Sachsenherzog Widukind4 bis zu den Schriftstellern Ernst Kreuder5 und Günter Eich6. Im „Spiegel“ wurde der buchhändlerische Erfolg zwar als „unzeitgemäß“ bezeichnet, aber wohlwollend besprochen.7 1975 erschien die zweite Auflage bis zum Todesdatum 31. März 1975, bis zur Schauspielerin Therese Giehse8 und dem Schriftsteller Peter Bamm9. Den Begriff „deutsch“, den auch die „Neue Deutsche Biographie“ zugrunde legt, hatte Aubert vor Augen. Bis in die Gegenwart steht das Buch in Bibliotheken als Kanon „berühmter Deutscher“. 1 Joachim Aubert, Handbuch der Grabstätten berühmter Deutscher, Österreicher und Schweizer, München/Berlin 1973. 2 Aubert, Handbuch (Anm. 1), 2. Aufl. 1975, S. 30 (Eichstätt, St. Walburg). Die folgenden Zitate beziehen sich auf diese Ausgabe. 3 Ebd., S. 31 (Essen-Werden, Abteikirche). 4 Ebd., S. 30 (Enger, Stiftskirche St. Dionysius); „Grab bisher nicht eindeutig nachgewiesen“. 5 Ebd., S. 28 (Darmstadt, Alter Friedhof). 6 Ebd., S. 205 (Asche am Bielersee verstreut). 7 Gräber: Säuberlich verzeichnet. Ein Handbuch der Grabstätten berühmter Deutscher, Österreicher und Schweizer findet unerwartetes Leserinteresse [Adressbuch der Toten], in: Der Spiegel Nr. 22 vom 25. 5. 1974, S. 150 – 153. 8 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 174 (Zürich, Friedhof Fluntern). 9 Ebd., S. 46 (Hannover, Friedhof Stöcken).
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2. Friedhöfe im Schrifttum Die Friedhofsliteratur hatte sich lange auf einzelne Friedhöfe oder Städte fokussiert. Nicht selten handelte es sich um „Fleißarbeiten“ passionierter Heimatforscher. Der von 1932 bis 1952 erschienene „Wohlberedt“ für Berlin und Potsdam war das Werk eines „Privatbeamten“ und zunächst im Selbstverlag erschienen.10 Vergleichbar war das Münchner „Totenadressbuch“ (1985 – 2002) des Bestattungsbeamten Erich Scheibmayr.11 Für Frankfurt am Main lag ein kleines Werk vor.12 Friedhöfe wie Ohlsdorf13, Melaten14, der Alte Friedhof Bonn15, der Johannisfriedhof in Nürnberg16 oder der Wiener Zentralfriedhof17 haben eigene Veröffentlichungen. Ein „nationales“ Gräberverzeichnis wurde erstmals von Aubert erstellt. Sein Anspruch ging über buchhalterische Anreihung von Namen hinaus: „Die Nachforschungen waren daher nicht bei den einzelnen Friedhöfen anzusetzen, vielmehr galt es, zunächst den Kreis jener festzulegen, bei denen es gerechtfertigt erschien, sie in das Buch aufzunehmen, um erst nachher nach dem Verbleib ihrer Gräber Ausschau zu halten.“18
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Willi Wohlberedt, Verzeichnis der Grabstätten bekannter und berühmter Persönlichkeiten in Gross-Berlin und Potsdam mit Umgebung [Teil 1], Berlin 1932 [Nachdruck 1952]; Teil 2, Berlin o. J. [1935]; Teil 3, Berlin 1939; Teil 4, Berlin o. J. [1952]; Willi Wohlberedt (1878 – 1950), kaufmännischer Angestellter AEG; nach 1933 Zusammenarbeit mit dem Widerstandskämpfer Ernst von Harnack (1888 – 1945) bei der Katalogisierung erhaltenswerter Gräber; vgl. Heinz Knobloch, Berliner Grabsteine, Berlin 1987, S. 7 – 12. 11 Erich Scheibmayr, Letzte Heimat. Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen 1784 – 1984, München 1985; Erich Scheibmayr, Wer? Wann? Wo? Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen, München 1989; Erich Scheibmayr, Wer? Wann? Wo? Teil 2. Weitere Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen, München 1997; Erich Scheibmayr, Wer? Wann? Wo? Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen, Teil 3, München 2002; Erich Scheibmayr (1918 – 2009), Abitur 1937, gehobene Beamtenlaufbahn in der Stadtverwaltung seiner Heimatstadt München, Kriegsdienst, ab den 1950er Jahren Oberamtsrat Friedhofs- und Bestattungsverwaltung, Umbettung von Soldatengräbern (auch Kriegsgefangene), 1981 Ruhestand. 12 Fritz Althammer, Wegweiser zu den Grabstätten bekannter Persönlichkeiten auf Frankfurter Friedhöfen, Frankfurt am Main 1966. 13 Alfred Aust, Der Ohlsdorfer Friedhof. Aus dem Leben verdienter Hamburger (Hamburger Heimatbücher), Hamburg 1964; Hans-Günther Freitag, Von Mönckeberg bis Hagenbeck. Ein Wegweiser zu denkwürdigen Grabstätten auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Hamburg 1973. 14 Josef Abt/Wolfgang Vomm, Der Kölner Friedhof Melaten, Begegnung mit Vergangenem und Vergessenem aus rheinischer Geschichte und Kunst, Köln 1980. 15 Edith Ennen/Walter Holzhausen/Gert Schroers, Der Alte Friedhof in Bonn, Bonn 1955. 16 Otto Glossner/Illa Hahn, Der St. Johannisfriedhof zu Nürnberg (Große Baudenkmäler 216), München 1968. 17 Robert S. Budig/Gertrude Enderle-Burcel/Peter Enderle, Ehrengräber am Wiener Zentralfriedhof, Wien o. J. [1995]. 18 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 7.
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II. Joachim Aubert – Postbeamter mit vielen Interessen Joachim Julius Hugo Robert Ernst Wolfgang Aubert wurde am 1. November 1905 in einer hugenottischen Familie in Berlin geboren;19 er bezeichnete sich als „französisch-reformiert“.20 Er war das einzige Kind, sein Vater, der Kaufmann Richard Aubert, war Prokurist in dem Versandhaus „Gustav Cords Damenkleiderstoffe“ in der Leipziger Straße 33/35,21 die Familie lebte in der südlichen Friedrichstadt, zunächst Mittenwalder Straße 46, dann Großbeerenstraße 60, ab 1920 im Bezirk Kreuzberg, nahe der Friedhöfe am Halleschen Tor und in der Bergmannstraße. Aubert besuchte das Friedrichs-Realgymnasium in der Schleiermacherstraße und studierte nach dem Abitur von 1924 bis 1928 Rechtswissenschaft in Berlin und Leipzig22, war Mitglied der Studentenverbindung „Sängerschaft St. Pauli Leipzig“23 und nahm 1927 an einer „Schulungstagung“ der „Deutschen Studentenschaft“ in Weimar teil; der Historiker Martin Spahn sprach über „Die Entwicklung des deutschen Staatsgedankens“.24 Aubert bewegte sich im Milieu der „Konservativen Revolution“25, nach seinen Angaben bestand Kontakt zu Ernst Niekisch.26 1928 bestand Aubert das Referendarexamen in 19
Personalakte Aubert (Reichspostministerium), Bundesarchiv Berlin R 4701/39835. Etwa im „Fragebogen Military Government of Germany“ am 10. 7. 1946: Entnazifizierungsakte Aubert (Ministerium für Staatssicherheit der DDR), Landesarchiv Berlin, LAB C Rep 375 01 – 20 Nr. 186. 21 Berliner Handelsregister, Ausgabe 1928, Abteilung A, S. 95; das 1874 gegründete Unternehmen hatte eine Niederlassung in Köln (Hohe Straße 51). 22 Universitätsarchiv Leipzig, Studentenkartei Quaestur 001863. Aubert wohnte in Taucha, Bahnhofstraße 1 a. 23 Harald Lönnecker, Das „Grundrauschen der völkisch-antisemitischen Publizistik“ – Personen, Schriften und die Hochschule für nationale Politik in der Weimarer Republik, Koblenz 2006, S. 15. 24 Joachim Aubert, Ziele und Aufgaben der hochschulpolitischen Schulungstagung in Weimar, in: Deutsche Sängerschaft 33 (1927), S. 142 – 144. 25 Vgl. Armin Mohler/Karlheinz Weißmann, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932. Ein Handbuch, 6. Aufl., Graz 2006. Aubert, Handbuch (Anm. 2) berücksichtigt etwa Hans Blüher (S. 96; Berlin, Friedhof Frohnau), Hans Freyer (S. 86; Wiesbaden-Sonnenberg), Hans Grimm (S. 58; Lippoldsberg, Kreuzgang des ehemaligen Klosters), Edgar Julius Jung (S. 31; Feldafing), Ludwig Klages (S. 168; Kilchberg), Arthur Moeller van den Bruck (S. 99; Berlin, Parkfriedhof Lichterfelde), Ernst Niekisch (S. 102; Berlin, Friedhof Wilmersdorf, Krematorium), Ernst von Salomon (S. 49; Heiligenthal, Heide-Friedhof), Martin Spahn (S. 146; Seewalchen), Othmar Spann (S. 144; Neustift, Burgenland), Oswald Spengler (S. 66; München, Nordfriedhof), August Winnig (S. 37; Goslar, Waldfriedhof), Hans Zehrer (S. 103; Berlin, Friedhof Dahlem, mittlerweile nicht mehr vorhanden). Eine „Schlagseite“ in eine politische Richtung lässt sich nicht belegen. Schwerwiegender ist das vollständige „Übergehen“ von Erlangen (darunter die von Mohler berücksichtigten Theologen Werner Elert und Paul Althaus), auffallend zudem das Fehlen des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (der ebenfalls im KZ Flossenbürg ermordete Admiral Wilhelm Canaris wurde dagegen berücksichtigt, S. 204). 26 Lebenslauf vom 8. 7. 1946 (mschr.), Landesarchiv Berlin, LAB C Rep 375 01 – 20 Nr. 186. Vgl. Thomas Brechenmacher, Niekisch, Ernst, in: NDB, Bd. 19, Berlin 1999, S. 227 – 229. 20
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Berlin, am 8. März 1930 wurde er in Leipzig über „Der Selbstmord aus strafrechtlicher Sicht“27 bei Franz Exner promoviert.28 Er zitierte in der Arbeit von 61 Seiten den politischen Publizisten Kurt Hiller,29 dessen von Nietzsche beeinflusste Dissertation einschlägig war,30 und die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ von Karl Binding.31 Von 1929 bis 1932 war Aubert Referendar in Berlin, nach dem bestandenen Assessorexamen war er zunächst bei der Berliner Staatsanwaltschaft, schlug dann aber 1933 als Postassessor die gehobene Beamtenlaufbahn bei der Reichspost ein, zunächst bei der Reichspostdirektion in Berlin, ab 1935 in Hannover, wo Aubert, zwischenzeitlich beim Postscheckamt, bis 1939 lebte. Seit dem 1. Mai 1933 war er Mitglied der NSDAP; bei den letzten freien Reichstagswahlen hatte er nach eigenen Angaben DNVP gewählt. 1937 zum Postrat ernannt, veröffentlichte Aubert auch zu Postrecht und Postgeschichte.32 Er baute seit 1934 eine Privatbibliothek mit sozialistischen Autoren auf. Über die Motive des konservativen Intellektuellen, mittlerweile mit Ehefrau und zwei Kindern, für sein Interesse an Selbstmord, Friedhöfen und Gräbern kann nur spekuliert werden. 1939 kehrte er nach Berlin zurück, wurde Referent des nationalsozialistischen Reichspostministers Wilhelm Ohnesorge für Fernmelderecht und nach Kriegsbeginn als Kriegsverwaltungsrat (Wehrmachtsbeamter) beim Oberkommando des Heeres eingezogen. Seine Aufgabe bezeichnete er 1946 mit „Sorge für ordnungsmäßige postalische Behandlung der der Prüfung unterworfenen Auslandspost“; mit Zensur sei er nicht befasst gewesen.33 1940 wurde Aubert zum Oberpostrat befördert. Als 1944 wurde Aubert als Feldoberpostrat dem Reichssicher27
Joachim Aubert, Der Selbstmord im geltenden deutschen Strafrecht, Borna 1930. Doktorbuch/Promotionsbuch, Eintrag vom 8. 3. 1930, Universitätsarchiv Leipzig, Jur. Fak. 01/02, Bd. 4. 29 Aubert, Selbstmord (Anm. 27), S. 52. 30 Kurt Hiller, Das Recht über sich selbst. Eine strafrechtliche Studie, Heidelberg 1908. Zu dieser von Gustav Radbruch betreuten Arbeit Sophia Gluth, Der apokryphe Nietzsche. Auf den Spuren des Denkens von Friedrich Nietzsche in Rechtsphilosophie und -theorie (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 116), Tübingen 2021, S. 13 – 15. 31 Aubert, Selbstmord (Anm. 27), S. 2: Binding habe das den Selbstmord rechtfertigende Senecazitat „Licet eo reverti, unde venesti“ („Es ist erlaubt dorthin zurückzukehren, woher du gekommen bist“; Epistulae morales LXX) in die „schönen Worte gekleidet […] von jedermanns Freiheit, mit seinem Leben ein Ende zu machen“. Zu Binding und dieser Veröffentlichung Wolfgang Naucke, Einführung: Rechtstheorie und Staatsverbrechen, in: Karl Binding/ Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung unwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form (1920), Berlin 2006, S. V–LXXI, insbesondere S. XIX: „Binding sucht den dogmatischen Weg von der „Freigabe“ der Selbsttötung zur „Freigabe“ der Fremdtötung.“ 32 Vgl. Anlage G („Veröffentlichungen und Reden“) zum „Fragebogen Military Government of Germany“, 10. 7. 1946; Landesarchiv Berlin, LAB C Rep 375 01 – 20 Nr. 186. Etwa: Joachim Aubert, Ist der gegen das Postscheckamt bestehende Anspruch des Postscheckkunden auf Ausscheiden aus dem Postscheckverkehr der Pfändung unterworfen?, in: Deutsche Juristen-Zeitung 40 (1935), Sp. 871 f. 33 Joachim Aubert an Magistrat der Stadt Berlin – Entnazifizierungskommission I, 8. 7. 1946, Landesarchiv Berlin, LAB C Rep 375 01 – 20 Nr. 186. 28
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heitshauptamt unterstellt, eine nicht nur ihn betreffende Maßnahme in Folge der Entmachtung von Admiral Wilhelm Canaris. Das Kriegsende erlebte Aubert in Kronach, wo er im Juni in amerikanische Gefangenschaft kam, ab Juli 1945 war er in „automatischer Haft“ interniert. Von November 1945 bis April 1946 war Aubert bei der „Reichspost-Oberdirektion für die Britische Zone“ in Bad Salzuflen beschäftigt, von Mai bis September 1946 ebenfalls in Salzuflen als Hilfsarbeiter bei „Hoffmanns Stärkefabrik“. Dann konnte er nach Berlin zurückkehren. Die Familienwohnung Am Fichtenberg 9 in Steglitz war von den Amerikanern beschlagnahmt, Ehefrau und Kinder spätestens seit Anfang 1945 in Elsterwerda. Aubert zog nach Pankow (Hasseroder Straße 1) im sowjetischen Sektor und arbeitete als Hilfsarbeiter für den „Plakat-Dienst Holzhauser“ im amerikanischen Sektor. Eine Rückkehr zur Post wurde vom (Gesamt-)Berliner Magistrat befürwortet, der eine Entnazifizierung „mit Vorrang“ forderte: „Aubert ist eine Spezialkraft, die für den Aufbau des Postwesens dringend benötigt wird.“34 Durch einen FDGB-Sekretär wurde Aubert denunziert.35 Seine Tätigkeit im Krieg wurde anscheinend unzutreffend mit der Gestapo in Verbindung gebracht. Das Verfahren zog sich in die Länge, am 17. Mai 1947 sollte Aubert noch einmal vorsprechen. Mittlerweile hatte sich aber eine berufliche und private Perspektive in Frankfurt am Main bei der im Oktober 1946 gebildeten „Hauptverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen des amerikanischen und britischen Besatzungsgebiets“ ergeben. Nachdem deren Aufgaben ab 1950 vom Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen in Bonn übernommen wurde, zog die Familie 1954 nach Bad Godesberg. Aubert wurde Oberregierungsrat im Bundespostministerium, veröffentlichte zum ihm besonders vertrauten Fernmelderecht36 und begründete einen Kommentar.37 Seine Rolle im Nationalsozialismus wurde 1964 thematisiert, als die Generalstaatsanwaltschaft beim Kammergericht Vorermittlungen gegen Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes wegen Mordes unternahm;38 die Ermittlungen standen in Zusammenhang mit der nach damaligem Recht 1965 bevorstehenden Verjährung. Aubert, mittlerweile Ministerialrat, wurde mit erheblichem Aufwand polizeilich ausfin34 Magistrat der Stadt Berlin – Abteilung Post und Fernmeldewesen an Magistrat der Stadt Berlin – Entnazifizierungskommission I, 4. 7. 1946, Landesarchiv Berlin, LAB C Rep 375 01 – 20 Nr. 186. 35 P. Gramse (Vertrauensmann des FDGB des Magistrats der Stadt Berlin, Abteilung Postund Fernmeldewesen) an Entnazifizierungskommission beim Magistrat der Stadt Berlin, 28. 9. 1946, Landesarchiv Berlin, LAB C Rep 375 01 – 20 Nr. 186; Gramse bezeichnete Aubert als „überzeugten Nationalsozialisten“. 36 Joachim Aubert, Zur Gestaltung des deutschen Rundfunks. Ein Beitrag zur Auslegung des Artikels 73 Ziffer 2 GG, Deutsches Verwaltungsblatt 65 (1950), S. 523 f.; Joachim Aubert, Fernsprechgebührenrechnung und Vollstreckung, Juristenzeitung 15 (1960), S. 599. 37 Joachim Aubert, Fernmelderecht. Eine systematische Darstellung. Teil 1, Hamburg 1954 (2. Aufl. 1962; 3. Aufl. mit Ulrich Klingler Teil 1 1974, Teil 2 1976). 38 Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht – Personenheft Dr. Joachim Aubert, geboren 1905, Landesarchiv Berlin, LAB B Rep 057 01 529.
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dig gemacht und für den 9. April 1965 zum Kriminalkommissariat Bad Godesberg geladen. Aubert gab eine schriftliche Erklärung zu den Akten; Mitte 1944 seien alle Briefprüfstellen dem RSHA unterstellt worden.39 Die Ermittlungen wurden am 10. Juni 1965 eingestellt: „Nach den hier vorliegenden Unterlagen war der Betroffene im RSHA lediglich in einem Referat, über dessen Sachgebiet belastende Erkenntnisse bisher nicht vorliegen.“40 Ab 1970 im Ruhestand, fand er nun Zeit für das 1973 erscheinende „Verzeichnis der Grabstätten“. In den Arbeiten am zweiten Band starb Aubert am 13. November 1982 in Bonn. Aus dem Nachlass brachte der Wiener Musikwissenschaftler Josef Adler 1986 die „Grabstätten berühmter Europäer“ heraus.41 Begraben wurde Aubert auf dem Zentralfriedhof Bad Godesberg. 2015 wurde das Grab eingeebnet und mit Rasen ausgesät;42 Aubert, der die Einebnung von Gräbern und „gewisse öde Nivellierungsbestrebungen der Gegenwart“ beklagte, wurde selbst Opfer kurzer Ruhezeiten und des „Trend[s] zur Vermassung“, den er Toten ersparen wollte.43 III. Grabstätten berühmter Juristen 1. Auswahlkriterien Aubert wollte mit seiner Auswahl kein Werturteil verbinden: „Weltanschauliche, politische, religiöse oder moralische Gründe haben hierbei keine Rolle gespielt. Aufgenommen wurden Gute und Böse, Heilige und Unheilige. Neben Wissenschaftlern und Künstlern, neben Politikern und Soldaten finden sich auch zwielichtige Personen, sofern sie einmal im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden haben.“44
Auch das „Freudenmädchen“ Rosemarie Nitribitt wurde als „Zeiterscheinung der 1950er Jahre“ berücksichtigt.45 Eine Einschränkung bestand aber: „Die in Nürnberg nach Kriegsende durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen oder in dem dortigen Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilten und hingerichteten NS-Führer, deren Asche auf Anordnung der damaligen Besatzungsmächte ebenfalls verstreut worden ist, sind in die Darstellung ebenso wenig einbezogen worden wie Hitler selbst.“46
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Vermerk Kriminalobermeister Kümpel, 9. 4. 1965, und Erklärung Auberts, 9. 4. 1965, Landesarchiv Berlin, LAB B Rep 057 01 529 13 u. 14. 40 Verfügung vom 10. 6. 1965, Landesarchiv Berlin, LAB B Rep 057 01 529 18. 41 Josef Adler, Die Grabstätten berühmter Europäer. Unter Benutzung der Vorarbeiten von Joachim Aubert (Handbuch der Grabstätten, 2), München 1986. 42 Auskunft Bundesstadt Bonn, Amt für Umwelt und Stadtgrün, Bestattungswesen, 9./10. 1. 2023. 43 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 14. 44 Ebd., S. 7. 45 Ebd., S. 29 (Düsseldorf, Nordfriedhof). 46 Ebd., S. 8 (dort Anm. 2). Auch Goebbels und Himmler sind nicht berücksichtigt.
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Auch die „Neue Deutsche Biographie“ wollte bei Erscheinen der ersten Bände nur „verhältnismäßig wenige“ Nationalsozialisten aufnehmen,47 doch setzte ab den 1960er Jahren ein Paradigmenwechsel ein, der nicht nur Hitler48, sondern auch Göring49, Goebbels50 und Himmler51 betraf. An Nationalsozialisten verzeichnete Aubert dagegen nur Dietrich Eckart52, Ernst Röhm53 und Otto Strasser54, an Nürnberger Angeklagten Erich Raeder55, Hjalmar Schacht56 und Konstantin von Neurath57; Baldur von Schirach58, 1974 verstorben, fehlte wie Martin Bormann, dessen Überreste 1972 bei Bauarbeiten in Berlin gefunden wurden, und Adolf Eichmann, dessen Asche 1962 von der israelischen Marine im Mittelmeer verstreut wurde. Rudolf Hess, dessen Grab in Wunsiedel 2011 aufgelöst wurde, Karl Dönitz59 und Albert Speer60 lebten 1975. Der Beginn um das Jahr 800 ersparte Aubert germanische Stammesführer wie Arminius oder den Jünger Matthias; in der Matthiasbasilika in Trier befindet sich das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen. Konfessionelle Verengungen lagen dem Protestanten Aubert fern; über die „Lage von Gräbern, die vor dem 19. Jahrhundert angelegt wurden, sind nur noch selten zuverlässige Angaben zu erlangen“.61 2. Juristische Biographien Eine erste Untersuchung der Auswahl der berücksichtigten Personen, die Aubert, wie Rochus von Liliencron für die „Allgemeine Deutsche Biographie“,62 mehr oder weniger im Alleingang getroffen hatte, kann nur mit enger Fragestellung vorgenom-
47 Matthias Berg, Die Neue Deutsche Biographie in der frühen Bundesrepublik. Digitale Briefedition und Monographie, in: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Jahresbericht 2020, München 2021, S. 34 – 50, Zitat S. 43. 48 Joachim Fest, Hitler, Adolf, in: NDB, Bd. 9, Berlin 1972, S. 250 – 266. 49 Gerhard Stoltenberg, Göring, Hermann Wilhelm, in: NDB, Bd. 6, Berlin 1964, S. 525 – 527. 50 Heinrich Fraenkel, Goebbels, Paul Joseph, in: NDB, Bd. 6, Berlin 1964, S. 500 – 503. 51 Wolfgang Scheffler, Himmler, Heinrich, in: NDB, Bd. 9, Berlin 1972, S. 172 – 175. 52 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 21 (Berchtesgaden, Alter Friedhof). 53 Ebd., S. 69 (München, Westfriedhof). 54 Ebd., S. 86 (Witten, Evangelischer Friedhof, Pferdebachstraße); spätere Umbettung zum Familiengrab in Dinkelsbühl. 55 Ebd., S. 54 (Kiel, Nordfriedhof). 56 Ebd., S. 66 (München, Ostfriedhof). 57 Ebd., S. 54 (Kleinglattbach). 58 Kröv (Mosel), Grab nicht mehr vorhanden. 59 Aumühle. 60 Heidelberg, Bergfriedhof. 61 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 7. 62 Hans Jürgen Rieckenberg, Liliencron, Rochus Freiherr von, NDB, Bd. 14, Berlin 1985, S. 553 – 556.
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men werden. Dabei bietet sich der Blick auf Juristen63 an, zumal Aubert selbst Jurist war. Seine Auswahl erlaubt Rückschlüsse, welchen deutschen „Rechtslehrern“, so der von Aubert bevorzugte Begriff, im 20. Jahrhundert Bedeutung zuerkannt wurde. Der Freiburger Rechtsphilosoph Erik Wolf64 hatte bewusst 1939 einen ersten „Kanon“ versucht.65 Die Nationalbiographie „Die Großen Deutschen“ berücksichtigte kaum Juristen.66 Explizite Juristenbiographien erschienen nach 1975, von Gerd Kleinheyer und Jan Schröder (erstmals 1976)67 sowie Michael Stolleis (erstmals 1995)68. Unter Beteiligung von Stolleis entstanden zudem Biographien über „Staatsdenker“ (erstmals 1977)69 und „Juristen jüdischer Herkunft“ (1993)70. Schwierigkeiten bereitet die Definition. Auch Goethe71, Kafka72 und Max Weber73 waren Juristen, ebenso Politiker wie Bismarck74 und Adenauer75. Das gilt auch für Oberappellationsgerichtsrat Ernst von Schiller, von Aubert wegen des Vaters Fried63 Juristinnen fehlen, auch Anita Augspurg (Zürich, Friedhof Fluntern); Marianne Weber kann nur bedingt als solche bezeichnet werden: ebd., S. 54 (Heidelberg, Bergfriedhof). Ein Großteil der bei Marion Röwekamp, Juristinnen. Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005 berücksichtigten Personen kam nicht in Frage, da sie 1975 am Leben waren. 64 Alexander Hollerbach, Wolf, Erik Franz, in: Baden-Württembergische Biographien, Bd. 5, Stuttgart 2013, S. 481 – 483. 65 Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. Ein Entwicklungsbild unserer Rechtsanschauung, Tübingen 1939 (2. Aufl. 1944, 3. Aufl. 1951, 4. Aufl. 1963). 66 Willy Andreas/Wilhelm von Scholz (Hrsg.), Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie, Berlin 1935 – 1937 (2. Aufl. 1943) enthält nur Eike von Repgow. Hermann Heimpel/ Theodor Heuss/Benno Reifenberg (Hrsg.), Die großen Deutschen, Berlin 1956 – 1957, enthält Eike, Friedrich Carl von Savigny, Otto von Gierke, Samuel Pufendorf und Rudolf von Ihering. Lothar Gall (Hrsg.), Die großen Deutschen unserer Epoche. Herausragende Persönlichkeiten deutscher Sprache, Berlin 1985 (2. Aufl. 1995) enthält Hans Kelsen und Carlo Schmid. 67 Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Rechtswissenschaft, Heidelberg 1976 (2. Aufl. 1983, 3. Aufl. 1989, seit der 4. Aufl. 1996 u.d.T. „Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten“, 5. Aufl. 2008, 6. Aufl. Tübingen 2017). Der prosopographische „Anhang“ mit weiteren Kurzbiographien wurde hier nicht berücksichtigt. 68 Michael Stolleis, Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995; erweiterte Neuausgabe 2001 (Beck’sche Reihe, 1417). 69 Michael Stolleis, Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik Politik Naturrecht, Frankfurt am Main 1977 (2. Aufl. 1987; 3. Aufl. München 1995 u.d.T. „Staatsdenker der Frühen Neuzeit“). 70 Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz/Michael Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993. Der prosopographische Beitrag von Peter Landau, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, ebd. S. 133 – 213 wurde für die folgende Auswertung nicht berücksichtigt. 71 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 131 (Weimar, Fürstengruft). 72 Ebd., S. 180 (Prag, Neuer Jüdischer Friedhof Oslany). Vgl. Reinhard Mehring, „Kafkanien.“ Carl Schmitt, Franz Kafka und der moderne Verfassungsstaat. Dekonstruktion und Dämonisierung des Rechts (Klostermann Essay, 9), Frankfurt am Main 2022. 73 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 49 (Heidelberg, Bergfriedhof). 74 Ebd., S. 35 (Friedrichsruh). 75 Ebd., S. 19 (Bad Honnef-Rhöndorf Waldfriedhof).
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rich von Schiller berücksichtigt.76 Der promovierte Jurist Kurt Hiller ist bei Aubert „Publizist und Kritiker, revolutionärer Pazifist“.77 Umgekehrt sind in den Juristenbiographien nicht nur Rechtswissenschaftler im engeren Sinn verzeichnet. 3. Eher Romantik als Altes Reich: Überraschungen und Lücken Juristen des Mittelalters sind bis auf Ulrich Zasius78 und Johann von Schwarzenberg79 nicht vertreten. Der in allen Juristenbiographien80 berücksichtigte Eike von Repgow fehlt; weder Grab noch Sterbeort sind bekannt. Bei Lupold von Bebenburg wäre mit dem Bamberger Dom die Grabstätte bekannt. Mit der Frühen Neuzeit werden die Angaben verlässlicher, trotzdem fehlen mit Dietrich Reinkingk81, Hermann Conring82, Johannes Oldendorp83, Johannes Althusius84 und Carl Gottlieb Suarez85 mehrere von Erik Wolf kanonisierte „große Rechtslehrer“. Insbesondere das Fehlen des Schöpfers des „Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten“ überrascht bei dem Preußen Aubert, zumal ein Grab in Berlin bis 1964 bestand. Berlin war mit Samuel Pufendorf86 und Samuel von Cocceji87 vertreten, viele nichtpreußische Juristen fehlten, etwa die Bayern Aloysius von Kreittmayr88 und Nikolaus Thaddäus von Gönner89 und die Österreicher Joseph von Sonnenfels90, Franz von Zeiller91, Karl Anton von Martini und Joseph Unger92. Auch der Württemberger Johann Jakob 76
Ebd., S. 23 (Bonn, Alter Friedhof). Ebd., S. 42 (Hamburg, Ohlsdorfer Friedhof). 78 Ebd., S. 34 (Freiburg/Br., Münster, Universitätskapelle). 79 Ebd., S. 72 (Nürnberg, Johannisfriedhof); „Genaue Lage der Grabstätte unbekannt“. 80 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch die Angaben bei Wolf, Rechtsdenker (Anm. 65); Kleinheyer/Schröder, Juristen (Anm. 67); Stolleis, Juristen (Anm. 68); Stolleis, Juristen (Anm. 69); Heinrichs u. a. (Hrsg.), Juristen (Anm. 70). 81 Rellingen; vgl. Martin Otto, Reinking, Dietrich von, in: NDB, Bd. 21, Berlin 2003, S. 375 f. 82 Groß Twülpstedt. 83 Marburg. 84 Emden, Große Kirche (im Zweiten Weltkrieg zerstört, heute Johannes a Lisco-Bibliothek). 85 Berlin, Friedhof an der Luisenstädtischen Kirche (Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 38); Friedhof an der Sektorengrenze 1964 eingeebnet. Seit 2003 Stele für Suarez. 86 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 107 (Berlin, Nikolaikirche). 87 Ebd., S. 107 (Berlin, Parochialkirche). 88 München, Friedhof an der Frauenkirche, nach Auflösung Offenstetten. Vgl. Max Joseph Hufnagel, Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. 500 Zeugen des Münchner kulturellen, geistigen und politischen Lebens im 19. Jahrhundert, 4. Aufl. München 1983, S. 17. 89 München, Alter Südlichen Friedhof; Hufnagel, Berühmte Tote (Anm. 88), S. 122 f. 90 Wien, St. Marxer Friedhof. 91 Wien, Hietzinger Friedhof. 92 Wien, Zentralfriedhof. 77
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Moser93 und der zu Lebzeiten weltberühmte Göttinger Professor Johann Stephan Pütter94 fehlten. Nicht mehr als Deutscher galt der Niederländer Hugo Grotius.95 Die „Staatsdenker“ Gottfried Wilhelm Leibniz96 und Immanuel Kant97 wurden wie Justus Möser genannt, letzterer als „Staatsmann, Geschichtsschreiber und Schriftsteller“ („Patriotische Phantasien“).98 Das Halle der Aufklärung vertraten Christian Thomasius99 und Christian Wolff100 ; Justus Henning Böhmer fehlte wie Daniel Nettelbladt, Johann Gottlieb Heineccius und Samuel Stryk.101 Für das Reichskammergericht stand Karl Wilhelm Jerusalem102, Vorbild für Goethes „Werther“. Zum Ende des „Alten Reichs“ nehmen die Juristen bei Aubert zu, Anton Thibaut103 und Carl von Savigny104, Paul Johann Anselm von Feuerbach105 und Karl Joseph Anton Mittermaier106, aus der Schweiz Johann Caspar Bluntschli107 und Johann Jakob Bachofen108. Hinzu kamen die in Juristenbiographien berücksichtigten Jacob Grimm109 und Georg Wilhelm Friedrich Hegel110, die Staatsmänner Karl Freiherr vom Stein111 und Maximilian von Montgelas112 und der „politische Professor“ Carl von Rotteck113. Anders als sämtliche Juristenbiographien berücksichtigte Au-
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Stuttgart, aufgelassener Friedhof. Göttingen, Friedhof St. Marien; mit Regulierung der Leine untergegangen; vgl. Martin Otto, Pütter, Johann Stephan, in: NDB 21 (2003), S. 1 f. 95 Adler, Grabstätten (Anm. 41), S. 135 (Delft, Nieuwe Kerk); „Eingeweide in der Marienkirche von Rostock neben dem Hauptaltar beigesetzt“. 96 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 45 (Hannover, Neustädter Kirche). 97 Ebd., S. 194 (Königsberg [Kaliningrad], Dom). 98 Ebd., S. 73 (Osnabrück, Marienkirche). 99 Ebd., S. 123 (Halle/Saale, Stadtgottesacker). 100 Ebd., S. 213 (Grab nicht mehr vorhanden; „vermutlich auf dem später eingeebneten alten Giebichensteiner Friedhof“). 101 Alle Halle/Saale, Stadtgottesacker; vgl. Anja A. Tietz, Der Stadtgottesacker in Halle (Saale), Halle (Saale) 2004, S. 67 – 69. 102 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 85 (Wetzlar, Ehemaliger Friedhof an der Goethestraße); „Genaue Lage des Grabes nicht bekannt, Gedenkstein“. 103 Ebd., S. 48 f. (Heidelberg, Bergfriedhof). 104 Ebd., S. 82 (Trages). 105 Ebd., S. 32 (Frankfurt am Main, Hauptfriedhof). 106 Ebd., S. 48 (Heidelberg, Bergfriedhof). 107 Ebd., S. 47 (Heidelberg, Bergfriedhof). 108 Ebd., S. 164 (Basel, Wolfgottesacker). 109 Ebd., S. 97 (Berlin, Friedhof St. Matthäi). Vgl. Karin Raude, Der Volksgeist bei Jacob Grimm (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 331), Frankfurt am Main 2022. 110 Ebd., S. 108 (Berlin, Dorotheenstädtischer Friedhof I). 111 Ebd., S. 36 (Frücht). 112 Ebd., S. 30 (Egglkofen). 113 Ebd., S. 34 (Freiburg/Br., Alter Friedhof). 94
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bert von der „Historischen Rechtsschule“ Heinrich Brunner114 und Moritz August von Bethmann-Hollweg115. Georg Puchta, Karl Friedrich Eichhorn116, Eduard Gans117 und Georg Beseler118 fehlen dafür wie der Pandektist Heinrich Dernburg119 und der für das „Rheinische Recht“ wichtige Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels120. Die Berücksichtigung von Rudolf von Ihering121, Bernhard Windscheid122, Otto von Gierke123 und Rudolf von Gneist124 überrascht nicht. Aubert berücksichtigte zudem viele „Juristen jüdischer Herkunft“, etwa die zwischen Paulskirche und Bismarck stehenden Eduard von Simson125, Friedrich Julius Stahl126, Karl Marx127, Ferdinand Lasalle128 und Eduard Lasker129, zudem Gabriel Riesser als „erster jüdischer Richter Deutschlands“130. Dafür fehlen der Staatsrechtler Robert von Mohl, der Handelsrechtler Heinrich von Thöl131, die Kanonisten Emil Friedberg132 und Paul Hinschius133. Den Methodenwandel des öffentlichen Rechts vertritt nur Paul Laband134, nicht Carl von Gerber135, das Verwaltungsrecht sein „Begründer“ Otto Mayer136. Der Straf114
Ebd., S. 97 (Berlin, Friedhof St. Matthäi). Ebd., S. 19 (Bad Breisig, Burg Rheineck, Schlosskapelle). Vgl. Hans-Peter Haferkamp, Christentum und Privatrecht bei Moritz August von Bethmann-Hollweg, in: Jens Eisfeld/ Martin Otto/Louis Pahlow/Michael Zwanzger (Hrsg.), Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, Tübingen 2013, S. 519 – 541. 116 Köln, Friedhof Melaten (Grab neu belegt, Grabstein mit neuer Inschrift). 117 Berlin, Dorotheenstädtischer Friedhof I (Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 41). 118 Berlin, Friedhof St. Matthäi (Grab nicht mehr vorhanden). 119 Berlin, Luisenfriedhof III (Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 43). 120 Köln, Friedhof Melaten. 121 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 38 (Göttingen, Stadtfriedhof). 122 Ebd., S. 126 (Leipzig, Neuer Johannisfriedhof); „Ein Besuch der Gräber ist nicht mehr möglich.“ Der Friedhof wurde in einen Park (Friedenspark) umgewandelt, der Grabstein befindet sich auf dem Alten Johannisfriedhof in einem Lapidarium. Vgl. Martin Otto, Lapidar…, in: Rechtshistorisches Journal 20 (2001), S. 733 – 738. 123 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 92 (Berlin, Kaiser Wilhelm Gedächtnis-Friedhof). 124 Ebd., S. 97 (Berlin, Friedhof St. Matthäi). 125 Ebd., S. 95 (Berlin, Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde). 126 Ebd., S. 98 (Berlin, Friedhof St. Matthäi). 127 Ebd., S. 185 (London-Highgate, North Land Cemetery). 128 Ebd., S. 190 (Breslau, Jüdischer Friedhof [Stary Cmentarz Z˙ ydowski we Wrocławiu]); „Das nach 1933 beseitigte Grabdenkmal ist wieder aufgestellt.“ 129 Ebd., S. 112 (Berlin, Jüdischer Friedhof Schönhauser Allee). 130 Ebd., S. 43 (Hamburg-Ohlsdorf, Jüdischer Friedhof Ifflandkoppel). 131 Göttingen, Bartholomäusfriedhof. 132 Leipzig, Neuer Johannisfriedhof (Grab nicht mehr vorhanden); vgl. Otto, Lapidar (Anm. 122). 133 Berlin, Alter Zwölf-Apostel-Friedhof; Grab bereits 1933 nicht mehr vorhanden (Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 144). 134 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 184 (Straßburg, Cimetière Ouest). 115
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rechtler Binding137 und sein methodischer Antipode Franz von Liszt138 überraschen nicht, der Rechtshistoriker Karl von Amira139 fehlt nicht bei Aubert, aber in den Juristenbiographien. Unterschiedliche literarische Doppelbegabungen waren die Rechtshistoriker Theodor Mommsen140 und der kaum noch gelesene, in keiner Juristenbiographie berücksichtigte Rechtshistoriker Felix Dahn141, Staatsrechtler waren Lorenz von Stein142, gestorben in Wien, und Georg Jellinek143, ein gebürtiger Österreicher. Für das im Kaiserreich besonders wichtige Versicherungsrecht stand Victor Ehrenberg144, Schwiegersohn von Ihering, das Kirchenrecht war mit Rudolph Sohm145 und den in den Juristenbiographien nicht berücksichtigten Ulrich Stutz146 und Wilhelm Kahl147 gut vertreten. Schweizer wie Stutz war Eugen Huber, Schöpfer des schweizerischen ZGB.148 Die österreichischen Juristen repräsentierten für Aubert Franz Klein149, Carl Grünhut150 und Heinrich Lammasch151. Während Lammasch, zudem Ministerpräsident und Doktorvater von Hans Kelsen, in den Juristenbiographien fehlt, sind Lücken bei Aubert Hermann Staub152, „Erfinder“ der positiven Vertragsverletzung (pVV), und Gottlieb Planck153, ein „Vater“ des BGB, der Staatsrechtler Albert Hänel154
135 Dresden, Innerer Neustädter Friedhof; vgl. Susanne Schmidt-Radefeld, Carl Friedrich von Gerber (1823 – 1891) und die Wissenschaft des deutschen Privatrechts (Schriften zur Rechtsgeschichte, 105), Berlin 2003, S. 106. 136 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 48 (Heidelberg, Bergfriedhof). 137 Ebd., S. 34 (Freiburg/Br., Hauptfriedhof). 138 Ebd., S. 48 (Heidelberg, Bergfriedhof). 139 Ebd., S. 67 (München, Waldfriedhof). Vgl. auch Oliver Hein, Vom Rohen zum Hohen. Öffentliches Strafrecht im Spiegel der Strafrechtsgeschichtsschreibung des 19. Jahrhundert (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas, 3), Köln u. a. 2001. 140 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 93 (Berlin, Dreifaltigkeitskirchhof II). 141 Ebd., S. 190 (Breslau, Maria-Magdalenenfriedhof). Friedhof 1967 in „Park Generała Władysława Andersa“ umgewandelt; Grab nicht mehr vorhanden. 142 Ebd., S. 149 (Wien, Matzleinsdorfer Evangelischer Friedhof). 143 Ebd., S. 48 (Heidelberg, Bergfriedhof). 144 Ebd., S. 38 (Göttingen, Stadtfriedhof). 145 Ebd., S. 127 (Leipzig, Südfriedhof). Grab nicht mehr vorhanden. 146 Ebd., S. 115 (Stahnsdorf, Südwestkirchhof). 147 Ebd., S. 95 (Berlin, Friedhof I der Jerusalems- und Neuen Kirche). 148 Ebd., S. 164 (Bern, Bremgartenfriedhof). 149 Ebd., S. 152 (Wien, Zentralfriedhof). 150 Ebd., S. 157 (Wien, Döblinger Friedhof). 151 Ebd., S. 139 (Bad Ischl). 152 Berlin, Jüdischer Friedhof Weißensee. 153 Göttingen, Stadtfriedhof. Vgl. Albrecht Saathoff, Göttingens Friedhöfe. Die Stätte seiner großen Toten, Göttingen 1954. 154 Kiel, Südfriedhof.
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sowie die Rechtsphilosophen Eugen Ehrlich155 und Rudolf Stammler156. Besonders auffällige Leerstellen sind Philipp Heck157, der „Universaljurist“ Joseph Kohler158 und der Schweizer Andreas von Tuhr159. Berücksichtigt war mit Hugo Preuss der Schöpfer der Weimarer Reichsverfassung,160 nicht jedoch ihr Kommentator Gerhard Anschütz.161 Beim letzten Stichtag 1975 noch am Leben waren Carl Schmitt162 und der wenig später, am 5. Juli 1975 verstorbene Rudolf Smend163, zudem Ulrich Scheuner164, Ernst Friesenhahn165, Ernst Rudolf Huber166 und Werner Weber167. Im Staatsrecht fehlen Hermann Heller168 und Hans Kelsen169, zudem die aber auch in den Juristenbiographien fehlenden Richard Thoma170, Erwin Jacobi171, Günther Holstein172 und Karl Rothenbücher173. 155 Wien, Sieveringer Friedhof (Grab 1977 aufgehoben); Manfred Rehbinder, Eugen Ehrlich als Rechtslehrer, in: Wilhelm Brauneder/Kazuhiro Takii (Hrsg.), Österreichisch-Japanische Rechtsbeziehungen, Bd. 3 (Rechts- und sozialwissenschaftliche Reihe, 33), Frankfurt am Main 2007, S. 149 – 158, hier S. 149. 156 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 51 verzeichnet den 1966 verstorbenen Sohn, den Germanisten Wolfgang Stammler, Mitherausgeber des „Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte“ (Hösbach-Bahnhof, Neuer Friedhof). 157 Tübingen, Stadtfriedhof; vgl. Martin Otto, Heck, Phlipp Nicolai von, in: Württembergische Biographien, Bd. 1, Stuttgart 2006, S. 101 – 104. 158 Berlin, Urnenfriedhof Seestraße (Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 31); Grab nicht mehr vorhanden. Vgl. auch Hans-Christof Kraus, Josef Kohler – eine Gelehrtengestalt des Wilhelminismus, in: Eva-Inés Obergfell/Louis Pahlow (Hrsg.), Rechtswissenschaft zwischen Industrialisierung und Republik. Josef Kohler (1849 – 1919) (Grundlagen der Rechtswissenschaft, 40), Tübingen 2019, S. 21 – 33. Kritisch zu Kohler bereits Aubert, Selbstmord (Anm. 27), S. 11. 159 Basel, Wolfgottesacker. 160 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 101 (Berlin, Städtischer Friedhof und Urnenhalle Gerichtstraße). 161 Heidelberg, Bergfriedhof (Hinweis Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 400); vgl. Leena Ruuskanen, Der Heidelberger Bergfriedhof, Kulturgeschichte und Grabkultur (Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg, Sonderveröffentlichung 18), Heidelberg 1992, S. 62 f. 162 Plettenberg, Katholischer Friedhof Eiringhausen; vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, S. 577 f. 163 Göttingen, Stadtfriedhof. 164 Bonn, Südfriedhof (Grab von der Friedhofsverwaltung 2022 als „bedeutendes Grab“ verzeichnet, aber nicht mehr vorhanden). 165 Bonn, Poppelsdorfer Friedhof. Vgl. Jochen Abr. Frowein, Ernst Friesenhahn 1901 – 1984, in: Archiv des öffentlichen Rechts 110 (1985), S. 99 – 102, hier S. 99. 166 Freiburg/Br., Friedhof Zähringen. 167 Göttingen, Parkfriedhof Junkersberg. 168 Madrid, Cementerio civil de Madrid (Grab nicht mehr vorhanden; sterbliche Überreste in „fosa común“; Auskunft Servicios funerarios de Madrid, 15. 10. 2019). 169 Asche im Pazifik verstreut; Thomas Olechowski, Hans Kelsen in Berkeley, „Des Wandermüden letzte Ruhestätte.“, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 6 (2016), S. 58 – 73 (71). 170 Bonn, Südfriedhof.
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Die Weimarer Republik repräsentierten bei Aubert die Staatsrechtler Heinrich Triepel174, Walter Jellinek175, Hans Nawiasky176 und der Rechtshistoriker Fritz Pringsheim177. Der herausragende Zivilrechtler Martin Wolff fehlt.178 Skeptisch gegenüber der Republik waren Erich Kaufmann179, Ernst Forsthoff180 und Carl Bilfinger181, anders als der zeitweilige Reichsjustizminister Gustav Radbruch, der von Erik Wolf als „großer Rechtsdenker“ geehrt wurde.182 Weitere Reichsjustizminister bei Aubert waren der Deutschnationale Oskar Hergt183 und der Staatsrechtler Johann Victor Bredt184, der als einer der wenigen Richter aufgeführte Präsident des Reichsgerichts Walter Simons185 kurzzeitig Staatsoberhaupt. Hans-Carl Nipperdey186 ragt in die Bundesrepublik wie der als einer der wenigen Staatsrechtler dem Widerstand verbundene Hans Peters187; mit einem Sohn Nipperdeys, dem Diplomaten Otto Nipperdey188, hatte Aubert zum Grab von Carl Sternheim in Brüssel zusammengearbeitet.189 Der pazifistische Völkerrechtler Walther Schücking, als „streitbarer Jurist“ für eine „andere Juristentradition“ beansprucht190, wird von Aubert anders als Völkerrechtler wie Philipp Zorn191 und Heinrich Pohl192 berücksichtigt193 ; in den Juristenbiographi171
Zittau/Oberlausitz (Grab nicht mehr vorhanden). Berlin, Friedhof Wilmersdorf (Grab nicht mehr vorhanden). 173 München, Nordfriedhof; nach Lenggries umgebettet; Martin Otto, Rothenbücher, Karl, in: NDB, Bd. 22, Berlin 2005, S. 120 f. 174 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 39 (Grainau); Grab besteht nicht mehr, Grabstein vor Ort vorhanden; vgl. Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, 51), Berlin 1999, S. 196 – 202. 175 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 49 (Heidelberg, Friedhof Handschuhsheim). 176 Ebd., S. 171 (St. Gallen, Friedhof St. Georgen). 177 Ebd., S. 35 (Freiburg, Friedhof Günterstal). 178 London, Golders Green Crematorium; Asche in „Garden of Rest“ verstreut; Martin Otto, Wolff, Martin, in: NDB, Bd. 28 (im Erscheinen). 179 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 62 (Mülheim/Ruhr, Friedhof Saarn). 180 Ebd., S. 49 (Heidelberg, Friedhof Schlierbach). 181 Ebd., S. 49 (Heidelberg, Neuenheimer Friedhof). 182 Ebd., S. 48 (Heidelberg, Bergfriedhof). 183 Ebd., S. 38 (Göttingen, Stadtfriedhof). 184 Ebd., S. 87 (Wuppertal-Barmen, Friedhof Hugostraße). 185 Ebd., S. 116 (Stahnsdorf, Wilmersdorfer Waldfriedhof). 186 Ebd., S. 56 (Köln, Südfriedhof). 187 Ebd., S. 56 (Köln, Südfriedhof). 188 Otto Nipperdey (1924 – 2006), Dr. phil. (Wahnsinnsfiguren bei E. T. A. Hoffmann, Köln 1957), Auswärtiges Amt, Vortragender Legationsrat/Botschaftsrat Botschaft Brüssel. 189 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 10 u. 179 (Brüssel, Cimetière d’Ixelles/Begraafplaats van Elsene). 190 Wolfgang Kohl, Walther Schücking (1875 – 1935), Staats- und Völkerrechtler – Demokrat und Pazifist, in: Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 230 – 241. 191 Ansbach, Johannisfriedhof. 172
Der Jurist Joachim Aubert als Chronist
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en fehlen sie alle. Ein Sonderfall ist der Arbeitsrechtler Hugo Sinzheimer, der in den zweiten Band aufgenommen wurde.194 Mit Max Alsberg ist der wichtigste Strafverteidiger der Weimarer Republik vertreten,195 die Schweiz durch den Völkerrechtler Max Huber.196 „Furchtbare Juristen“ wie der Präsident des Volksgerichtshof Roland Freisler197 fehlen bei Aubert. Nur wenige „berühmte Juristen“ aus der Bundesrepublik konnten berücksichtigt werden; Karl Larenz198, Werner Flume199, Eberhard Schmidt200, Franz Wieacker201 oder Otto Bachof202 und Carlo Schmid203 waren 1975 am Leben. So finden sich nur der Kieler Staatsrechtler Hermann von Mangoldt, ein „Vater“ des Grundgesetzes204, die Bundesjustizminister Thomas Dehler205 und Fritz Schäffer206 und der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hermann Höpker-Aschoff207. Zeitunabhängig sind Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte ohnehin unterrepräsentiert; es fehlen die meisten Präsidenten von Reichsgericht und Bundesgerichtshof, auch der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer.208 Aus der DDR wurden keine Juristen aufgenommen, auch nicht der 1963 verstorbene Karl Polak209; kein Jurist war der in Halle begrabene Papyrologe Wilhelm Schubart, Ehemann der 1985 verstorbenen Rechtshistorikerin und ersten deutschen Professorin der Rechte, Gertrud Schubart-Fikentscher.210 192
Bonn, Poppelsdorfer Friedhof; Martin Otto, Pohl, Heinrich Johann, in: Württembergische Biographien, Bd. 2, Stuttgart 2011, S. 216 – 219. 193 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 88 (Zwesten-Oberurff, Gemeindefriedhof). 194 Adler, Grabstätten (Anm. 41), S. 135 (Bloemendaal bei Haarlem, Algemene Begraafplaats Bergweg). 195 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 171 (St. Moritz). 196 Ebd., S. 174 (Zürich, Friedhof Enzenbühl). 197 Berlin, Waldfriedhof Dahlem (anonym im Familiengrab der Schwiegereltern). 198 Gröbenzell. 199 Bonn, Zentralfriedhof Bad Godesberg. 200 Heidelberg, Bergfriedhof. 201 Moers-Vinn, Privatfriedhof von Zahn. 202 Tübingen, Bergfriedhof. 203 Tübingen, Alter Friedhof. 204 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 54 (Kiel, Nordfriedhof). 205 Ebd., S. 57 (Lichtenfels). 206 Ebd., S. 73 (Ostermünchen). 207 Ebd., S. 50 (Herford, Friedhof Hermannstraße). 208 Göteborg, Örgryte gamla kyrkogård. Bauer fehlt, obwohl deutscher Jurist jüdischer Herkunft, allerdings auch bei Heinrichs u. a. (Hrsg.), Juristen (Anm. 70). 209 Berlin, Zentralfriedhof Friedrichsfelde (Gedenkstätte der Sozialisten, Pergolenweg). Der Großteil der Personen, wie sie etwa bei Dirk Breithaupt, Rechtswissenschaftliche Biographie DDR, Diss. iur. Kiel 1993, zu finden sind, dürfte das Kriterium der „Berühmtheit“ auch nach Maßstäben der DDR kaum erfüllt haben oder war 1975 noch am Leben. 210 Aubert, Handbuch (Anm. 2), S. 123 (Halle/Saale, Friedhof Trotha); beide zum Nordfriedhof Halle umgebettet. Vgl. auch Rüdiger Fikentscher, Liebe Arbeit Einsamkeit. Wilhelm
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IV. Ein „bürgerlicher Juristenkanon“ Insgesamt kommt Joachim Aubert auf 73 „berühmte Juristen“. Angesichts von ungefähr 2800 Namen ist dies ein verschwindend geringer Anteil; selbst wenn der Begriff großzügiger ausgelegt wird und neben Adenauer, Goethe, Kafka und Bismarck noch E. T. A. Hoffmann, Georg Heym und andere berücksichtigt werden, dürfte es sich immer noch um einen Bruchteil handeln. Ideologische oder auch subjektive Verengungen sind bei Aubert zunächst nicht feststellbar. Er berücksichtigt weder seinen Doktorvater211 noch den in der Dissertation zitierten Julius von Kirchmann212. Auffallender sind andere Lücken. Unterrepräsentiert sind das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, geographisch Süddeutschland, die Schweiz und insbesondere Österreich. Sogar international bekannte Namen wie Eike, Pütter oder Reinkingk fehlen ganz. Aber auch das 19. Jahrhundert weist, wie das Beispiel Robert von Mohl verdeutlicht, evidente Lücken auf. Das gilt auch für das 20. Jahrhundert. Hans Kelsen, für einige der „Jurist des Jahrhunderts“, fehlt wie Hermann Heller und die demokratischen Positivisten Anschütz und Thoma. Aubert wurde in einer Zeit sozialisiert, in der das „Alte Reich“ und die Naturrechtslehre wenig galten und „Begriffsjurisprudenz“ nur denunziatorisch gebraucht wurde; als er sein Buch schrieb, wurde die von ihm selbst erlebte Weimarer Republik aus dem Blickwinkel des Scheiterns betrachtet. Andererseits überraschen Namen wie Schücking oder Alsberg; hier war Aubert seiner Zeit voraus. Aubert berücksichtigt ausschließlich Männer; die Frage nach berühmten verstorbenen Juristinnen wäre aber 1975 schwierig zu beantworten gewesen. Hier müsste die Gesamtauswahl Auberts, der Anteil der Künstlerinnen ist eher groß, näher untersucht werden. Jede Auswahl unterliegt losgelöst von ideologischen Wertungen zeitlichen Schwankungen. Zu berücksichtigen ist auch, dass Aubert keine Bedeutung für das Fach allein, sondern im weitesten Sinne über das Fach hinaus zugrunde legen wollte. Dies kann Lücken erklären. In jedem Fall entfaltet Joachim Aubert einen aussagekräftigen Juristenkanon, wie er sich einem in der Weimarer Republik sozialisierten konservativen Juristen darstellte; die Mehrheit der Juristinnen und Juristen in der Bundesrepublik des Jahres 1975 dürfte die Auswahl als repräsentativ empfunden haben.
Schubart, Papyrologe. Gertrud Schubart-Fikentscher, Rechtshistorikerin. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen, Halle (Saale) 2014. 211 Bad Tölz, Waldfriedhof; Doris Lorenz, 145 Jahre „Exnerei“. Familie und Leben des Strafrechtlers und Kriminologen Franz Exner (1881 – 1947). Eine biographische Skizze, Diss. phil. Hamburg 2013, S. 326. 212 Aubert, Selbstmord (Anm. 27), S. 44. Berlin, Friedhof St. Matthäi; Wohlberedt, Verzeichnis (Anm. 10), S. 139; Grab nicht mehr vorhanden.
Verfassung und politisches System in Theorie und Praxis
Vom Alten Reich bis zum vereinigten Europa: Systemwechsel im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland Von Eckhard Jesse, Chemnitz I. Einleitung Deutschland hat im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche Systemwechsel erlebt – mehr als die meisten europäischen Staaten. Dafür stehen die Jahre 1806, 1813/15 und 1866/71 im 19. sowie die Jahre 1918/19, 1933, 1945 und 1989/90 im 20. Säkulum. Eine Fixierung auf Zahlen verkennt allerdings die Entwicklungen davor und danach. Der folgende Beitrag fragt nach den – höchst verschiedenartigen – Ursachen für das Ende des jeweiligen alten Systems, vor allem im 20. Jahrhundert. Zuvor wird ein knapper Überblick zur Systemwechselforschung geboten. Er klammert also die anderen wesentlichen zwei Faktoren bei einem Systemwechsel aus, die Institutionalisierung wie die Konsolidierung der neuen Ordnung. Und der Beitrag wirft abschließend die Frage auf, wie ein neuer Systemwechsel aussehen könnte. Das mag spekulativ erscheinen, dürfte aber nicht ohne Reiz sein. Denn nichts hat ewig Bestand. II. Systemwechselforschung „Systemwechsel“ meint in seiner politikwissenschaftlichen Konnotation sowohl den Wechsel von einer Demokratie zu einer Diktatur als auch den Wechsel von einer Diktatur zur Demokratie. In einer Demokratie strebt die parlamentarische Opposition einen Regierungswechsel an und fordert einen „Politikwechsel“. Wenn das Postulat von einer demokratischen Kraft stammt, ist dies kein Systemwechsel. Während ein Wechsel von einer parlamentarischen zu einer präsidentiellen Demokratie oder von einer konkurrenzdemokratischen zu einer konkordanzdemokratischen Ordnung schwerlich ein Systemwechsel sein kann (wohl aber ein Subsystemwechsel), sieht dies bei Diktaturen anders aus: Der Wechsel von einer Rechts- zu einer Linksdiktatur und vice versa läuft sehr wohl auf einen Systemwechsel hinaus. Gleiches trifft für einen Wechsel von einer Rechts- bzw. Linksdiktatur zu einer theokratischen Diktatur zu und umgekehrt. Jede erfolgreiche Revolution mündet in einen Systemwechsel, aber nicht jeder Systemwechsel geht auf eine Revolution zurück.
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Eckhard Jesse
Das Buch des bekannten amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington aus dem Jahre 1991 zu den weltweiten Demokratisierungswellen (und Gegenwellen) gibt einen umfassenden Überblick zu den großen Systemwechseln im 20. Jahrhundert.1 Kritikwürdig an dem Werk nahm sich u. a. die Phaseneinteilung aus. Gehören die Systemwechsel in Ostmitteleuropa Ende der achtziger Jahre wirklich noch zu einer dritten Welle, die mit dem Sturz der Diktaturen in Griechenland, Portugal und Spanien in der ersten Hälfte der siebziger Jahre begann? Oder stellen sie nicht vielmehr eine vierte Welle dar? Hingegen besteht Konsens darin, dass die erste Welle in der Regel nach dem Ersten und die zweite Welle nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte. Solchen Wellen folgten jeweils Gegenwellen. Der Heidelberger Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt warf dem „Kochbuch für Demokratisierer“2 vor, viele Rahmenbedingungen für den Systemwandel außer Acht gelassen zu haben. Metaphernreich heißt es dann: „Der Leser darf die sonstigen Zutaten beim Kochen nach Huntingtons Rezepten nicht vergessen. Die Speise könnte sonst übel bekommen.“3 Der Berliner Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel publizierte 1999 ein Buch über „Systemtransformation“, das im Jahr 2010 in stark erweiterter Form neu aufgelegt wurde.4 Das Spektrum des vorbildlich arrangierten Lehrbuches ist weit gespannt. Es reicht von der Theorie (u. a. mit einem Überblick zu den Transformationstheorien und den -phasen) über die Demokratisierungswellen des 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkten bei den dritten Demokratisierungswellen in Südeuropa, in Lateinamerika, in Ost- und Südostasien sowie in Osteuropa bis zur Frage nach der externen Demokratisierung und nach der möglichen Wiederkehr der Diktaturen. Der einzige fundamentale Einwand gegenüber dem Standardwerk Merkels lautet: Fixiert auf den Systemwechsel von der Diktatur zur Demokratie, vernachlässigt die Studie wie eine Reihe andere Arbeiten den von der Demokratie zur Diktatur.5 Die Dreigliederung (Ende des alten Systems, Institutionalisierung und Konsolidierung des neuen) ist in der Systemwechselforschung für die einzelnen Phasen verbreitet6, jedenfalls für den Übergang von der Diktatur zur Demokratie, lässt sich jedoch auf den von der Demokratie zur Diktatur weithin übertragen. Die Grenzen zwischen den drei Phasen – dem Übergang von einer Systemform zur anderen, der In1 Vgl. Samuel P. Huntington, The Third Wave. Democratization in the late Twentieth Century, London 1991. 2 So Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien. Eine Einführung, 5. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 449. 3 Ebd., S. 449. 4 Vgl. Wolfgang Merkel, Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, 2. Aufl., Wiesbaden 2010. 5 Das Referenzwerk stammt von Juan J. Linz/Alfred Stepan (Hrsg.), The Breakdown of Democratic Regimes, Baltimore 1978. 6 Vgl. das klassische Werk von Guillermo O’Donnell/Philippe C. Schmitter/Laurence Whitehead (Hrsg.), Transitions from Authoritarian Rule. Tentative Conclusions about Uncertain Democracies, 4 Bde., Baltimore 1986.
Systemwechsel im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland
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stitutionalisierung und der Konsolidierung des neuen Systems – sind fließend. Das gilt besonders für die Abgrenzung von der zweiten zur dritten Phase. Wohl gibt es einige Vergleiche zwischen den Systemwechseln im 20. Jahrhundert7, jedoch keine größeren für die im Säkulum zuvor. Die Ursachen für das Ende eines Systems können interner wie externer Natur sein und sich dabei gegenseitig bedingen. Fehlende oder gesunkene Legitimität ist ein wichtiger Faktor. Häufig spielt ein verlorener Krieg eine beschleunigende Rolle. Dieser kann systemintern sein, wenn er auf das Regime selber zurückgeht und im anderen Fall systemextern. Nicht jede Kriegsniederlage ist damit, wie das oft geschieht, als systemextern zu interpretieren. Was den Systemwechsel an sich betrifft, unterscheidet Wolfgang Merkel sechs Verlaufsformen: langanhaltende Evolution, von alten Regimeeliten gelenkter Systemwechsel, von unten erzwungener Systemwechsel, ausgehandelter Systemwechsel, Regimekollaps, Zerfall und Neugründung von Staaten.8 Die Frage nach den Ursachen für die sieben Systemwechsel im 19. und 20. Jahrhundert verdient eine Antwort. III. Ursachen für die Systemwechsel im 19. Jahrhundert: 1806, 1813/15, 1866/71 1. 1806 „Im Anfang war das Reich. Was die deutsche Geschichte von der Geschichte der großen westeuropäischen Nationen unterscheidet, hat hier seinen Ursprung. Im Mittelalter trennten sich die Wege. In England und Frankreich begannen sich damals Nationalstaaten herauszuformen, während sich in Deutschland der moderne Staat auf einer niedrigen Ebene, der territorialen, entwickelte. Gleichzeitig bestand ein Gebilde fort, das mehr sein wollte als ein Königreich unter anderen: das Heilige Reich. Dass Deutschland später als Frankreich und England ein Nationalstaat und noch später eine Demokratie wurde, hat Gründe, die weit in die Geschichte zurückreichen.“9 So beginnt der Berliner Historiker Heinrich August Winkler sein großes Werk zur deutschen Geschichte – über den „langen Weg nach Westen“. In der Tat ist Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten eine „verspätete Nation“, kam es doch erst 1871 zu einem Nationalstaat. Zwar wurde Otto I. bereits im Jahre 962 in Rom zum Kaiser gekrönt, aber es dauerte lange, ehe der Terminus vom Heiligen Römischen Reich (Deutscher Nation) sich durchzusetzen begann, nämlich beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Die 7 Vgl. Alexander Gallus (Hrsg.), Deutsche Zäsuren. Systemwechsel seit 1806, Köln u. a. 2006; Eckhard Jesse, Systemwechsel in Deutschland. 1918/19 – 1933 – 1945/49 – 1989/90, Köln u. a. 2010. Einige Passagen aus dem Band sind in diesen Beitrag eingeflossen. 8 Vgl. Merkel, Systemtransformation (Anm. 4), S. 101 – 104. 9 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Erster Band: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 5.
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Entwicklung in Deutschland wurde bekanntermaßen von einem dreifachen Dualismus geprägt: erst zwischen der geistlichen Macht des Papstes und der weltlichen Macht des Kaisers, dann zwischen der römisch-katholischen und der evangelisch-lutherischen Konfession, schließlich zwischen den Großmächten Österreich und Habsburg. 1806 legte Franz II. im Zuge der kriegerischen Ereignisse der napoleonischen Ära die Kaiserkrone nieder, nachdem das Reich immer mehr zerbröselt war, nicht zuletzt durch die Gründung des Rheinbundes. Das Alte Reich „starb auf Raten, es erlitt einen quälend langsamen Tod, und die politische Erneuerung Deutschland[s] sollte wiederum lange dauern“.10 Ungeachtet des Zerfallsprozesses: Das Alte Reich, und diese Position ist kein Konsens in der Forschung, „eine auf das Recht gegründete Ordnung der Vielfalt, die […] insbesondere konfessionellen Frieden gewährleistete. Und deren Handlungsschwäche immerhin bedeutete, dass es nicht als aggressive Großmacht in Erscheinung treten konnte. Das 19. Jahrhundert hat gezeigt, wie schwierig es war, eine neue politische Gestalt für den mitteleuropäischen Raum zu finden. Das sagt, bei all seinen Schwächen, etwas über die historische Legitimität des Alten Reiches aus.“11 Aber durch sein wohl unvermeidliches Ende wurde „auch den Deutschen ihr Weg ins 19. Jahrhundert eröffnet“.12 2. 1813/15 Kurz vor dem Ende des Alten Reiches hatten auf Geheiß Napoleons 16 deutsche Mittelstaaten den Rheinbund gegründet (mit den Königreichen von Bayern und von Württemberg). Es handelte sich um das „dritte Deutschland“, ohne Preußen und Österreich. Wiewohl sich nach und nach weitere deutsche Staaten – bis auf die beiden Großmächte fast alle – dem Rheinbund anschlossen, konnte dieser nicht gedeihen13, ungeachtet der zahlreichen Reformen im Finanzwesen, in der Justiz und in der Bildungspolitik. Den militärischen Niederlagen folgte das Ende des Rheinbundes. „Gerade Napoleon, der so hervorragend auf der Klaviatur des französischen Nationalstolzes zu spielen wusste, trat das eben in dieser Zeit erwachende deutsche Nationalgefühl – dessen Gefahrenpotential für seine Herrschaft er durchaus erkannte – immer wieder brutal mit Füßen, sogar noch in dessen harmloser Form eines sich nur sehr vorsichtig artikulierenden Rheinbundpatriotismus.“14 Im Zuge der Befreiungskriege, nicht zuletzt mit dem Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig, brach der Rheinbund im Oktober 1813 auseinander. Christliche überlagerten zum Teil na10 So Hans-Christof Kraus, Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806, Berlin 2006, S. 107. 11 In diesem Sinn Peter Graf Kielmansegg, Wenn Hans Maier eine „Deutsche Geschichte“ geschrieben hätte. Über ein ungeschriebenes Buch, in: Ahmet Cavuldak (Hrsg.), Hans Maier. Werk und Wissen in Wissenschaft und Politik, Baden-Baden 2021, S. 86. 12 Kraus, Ende (Anm. 10), S. 93. 13 Vgl. etwa Reinhard Mußgnug, Der Rheinbund, in: Der Staat 46 (2007), S. 249 – 267. 14 Kraus, Ende (Anm. 10), S. 85.
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tionale Legitimationen dieser Kriege15. Die Zeit für einen deutschen Nationalstaat war damals noch nicht reif – nicht aus inneren, nicht aus äußeren Gründen. Und eine Neubegründung des Alten Reiches stand nicht mehr zur Debatte – kaum jemand machte sich dafür stark. Der Wiener Kongress (1814 – 1815) regelte nach den Niederlagen Napoleons die Neuordnung Europas. Mit ihm und der „Heiligen Allianz“ (einem Manifest des Zaren, des Kaisers von Österreich und des preußischen Königs zur Sicherung der alten Machtverhältnisse) setzte eine Restaurationsperiode ein, die Hoffnungen auf ein vereinigtes Deutschland zunächst zunichte machten. Der Deutsche Bund, ein lockerer Staatenverbund von 34 Fürsten und vier Reichsstädten, trat an die Stelle des Alten Reiches.16 Nur Teile von Preußen und Österreich gehörten ihm an. Lediglich in vornehmlich süddeutschen Ländern kristallisierte sich ein schwach ausgeprägter Konstitutionalismus heraus. 3. 1866/71 Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834, der ein einheitliches Zollgebiet vorsah und dem 18 Staaten unter der Ägide Preußens angehörten, wurde eine wichtige Voraussetzung für den Nationalstaat geschaffen – und zwar im Sinne einer „kleindeutschen Lösung“. Die revolutionären Ereignisse in Frankreich im Februar 1848 griffen schnell auf die Staaten des Deutschen Bundes über – so wichen die Fürstentümer zunächst zurück. Das erste deutsche Parlament trat im Mai 1848 in Frankfurt zusammen und arbeitete eine Reichsverfassung aus. Im Denken des Gottesgnadentums befangen, lehnte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone ab. Die alten Dynastien hatten sich von ihrer Schwäche erholt – das Werk der Frankfurter Nationalversammlung erwies sich somit als Fehlschlag. Der erste umfassende Versuch, die Einheit und die Freiheit Deutschlands zu verwirklichen, scheiterte vor allem daran, dass die ohne ausreichenden Sinn für Machtpolitik agierenden Parlamentarier die Gefahr wie die Stärke der Dynastien unterschätzten. Die nationale Einheit und die Freiheit in einem Anlauf zu verwirklichen, überforderte die Nationalversammlung. „Der Deutsche Bund war und blieb bis 1866 nur ein Deutschland der Fürsten, zusammengehalten durch den Minimalkonsens eines restaurativen Festklammerns am Status quo, und diese Tendenz ist durch die Ereignisse von 1848/49 nur noch verstärkt worden.“17 Auf Dauer ließen sich die teils politisch herbeigesehnten, teils wirtschaftlich motivierten Einheitsbestrebungen nicht aufhalten. Fortan wurde der Einheitsgedanke 15 Vgl. Hans-Christof Kraus, Heiliger Befreiungskampf. Sakralisierende Kriegsdeutungen 1813 – 1815, in: Ders., Neue Wege und Abwege der Ideen. Studien zur politischen Geistesgeschichte der Deutschen, Berlin 2022, S. 197 – 213. 16 Vgl. Wolfgang Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806 – 1871, München 1995. 17 Hans-Christof Kraus, Das Ende des Alten Reiches 1806: der deutsche Weg ins 19. Jahrhundert, in: Gallus (Hrsg.), Zäsuren (Anm. 7), S. 99 f.
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weniger von freiheitlichen Regungen getragen – die Ideen der Freiheit und der Einheit drifteten auseinander. So erfolgte die Einheit von „oben“, maßgeblich herbeigeführt durch Otto von Bismarck, den preußischen Ministerpräsidenten, dessen Lehre aus dem Scheitern von 1814/19 in dem bekannten Diktum gipfelte: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […], sondern durch Eisen und Blut.“18 Es war Bismarck, der ein nationales Parlament gefordert hatte, gewählt von allen Männern ab einem Alter von 25. Der siegreiche Krieg Preußens gegen Österreich im August 1866 bei Königgrätz besiegelte das Schicksal des Deutschen Bundes, und das „Augustbündnis“ zwischen Preußen sowie nord- und mitteldeutschen Staaten entsprach einer Art Vorvertrag zum Norddeutschen Bund. „Bis in den Wortlaut des Bündnisvertrages Preußens mit den Norddeutschen Staaten vom 18. August 1866 hinein zog sich die Traditionsspur, denn in dessen fünftem Artikel hieß es: ,Die verbündeten Regierungen werden gleichzeitig mit Preußen die auf Grund des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 vorzunehmenden Wahlen der Abgeordneten zum Parlament anordnen‘.“19 Preußen konnte nun den Norddeutschen Bund ins Leben rufen. Der konstituierende Reichstag, gewählt gemäß dem absoluten Mehrheitswahlrecht, trat im Februar 1867 zusammen und beschloss zügig eine Verfassung. Entscheidende Vorarbeiten stammten von der preußischen Regierung, zumal von Bismarck. Der Vorsitz im Bundesrat fiel dem Kanzler zu. Der Reichstag vermochte den vom Kaiser berufenen Kanzler weder zu wählen noch abzusetzen. Von der preußischen Prärogative zeugte die starke Stellung des Bundesrates, der aus Bevollmächtigten der Bundesstaaten bestand. Preußen hatte in ihm 17 von 58 Stimmen (ab 1891: 61, drei für Elsaß-Lothringen) und konnte damit Verfassungsänderungen blockieren. Nach dem Sieg über Frankreich und den Novemberverträgen mit den süddeutschen Staaten folgte die Reichsgründung am 1. Januar 1871. Kaum jemand weinte dem Deutschen Bund eine Träne nach. 4. Fazit Ein Fazit aus den politischen Zäsuren im 19. Jahrhundert zu ziehen, fällt einigermaßen schwer. Das Alte Reich stand bei der Abdankung des Kaisers nurmehr auf dem Papier. „Auch von einem politischen ,Systemwechsel‘, der für die neueren und neuesten Brüche besonders kennzeichnend ist, lässt sich kaum sprechen, denn die alte Reichsverfassung war eine so eigentümliche, derart spezifisch auf die seit der Reformation ungemein prekären deutschen Zustände zugeschnittene Ordnung, 18 Zitiert nach Michael Stürmer, Bismarck und die Deutsche Frage 1870/71, in: Tilman Mayer (Hrsg.), 20 Jahre Deutsche Einheit. Erfolge, Ambivalenzen, Probleme, Berlin 2010, S. 23. 19 Wolfram Siemann, Reichsgründung 1871: die Schaffung des ersten deutschen Nationalstaates, in: Gallus, Zäsuren (Anm. 7), S. 123.
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dass sie kaum auf diesen Begriff zu bringen war – einmal abgesehen davon, dass ihre Funktionsfähigkeit im Sommer 1806 bereits seit langem erloschen war.“20 Auch wer angesichts fehlender Gesetzmäßigkeiten zu Recht die Offenheit der Geschichte betont: Alle drei Systemwechsel trugen wohl Züge des Unvermeidlichen. Kaum jemand konnte sich für das dahinsiechende Alte Reich begeistern, so dass es selbst ohne kriegerische Ereignisse über kurz oder lang das Zeitliche gesegnet hätte. War die Zeit zwischen 1806 und 1813/15 mit dem Rheinbund eine Übergangsphase ohne Chance auf eine Stabilisierung, musste der Deutsche Bund über kurz oder lang zu einem Nationalstaat führen. Der Abgleich mit den von Wolfgang Merkel genannten sechs Verlaufsformen des Systemwechsels fördert folgendes Ergebnis zutage: 1806 lag ebenso ein Regimekollaps vor wie 1813. Hingegen passt die Zäsur von 1866/1871 nicht so recht in eine Kategorie: Der Sieg Preußens über Österreich führte zum Ende des Deutschen Bundes. Bei allen drei Systemwechseln spielten kriegerische Geschehnisse interner (1806, 1813) und externer Natur (1866/71) eine Rolle. IV. Ursachen für die Systemwechsel im 20. Jahrhundert 1. 1918/19 In der wilhelminischen Epoche des Deutschen Kaiserreiches, und nicht nur hier, schritt einerseits die Militarisierung des öffentlichen Lebens voran, andererseits entstand, etwa durch das für damalige Verhältnisse nahezu revolutionäre allgemeine Männerwahlrecht, eine lebendige politische Kultur, die die amerikanische Autorin Margaret Lavinia Anderson in die Worte von den „Lehrjahren der Demokratie“21 kleidet. Insofern muss das Bild vom Obrigkeitsstaat modifiziert werden. Gleichwohl: Auch wenn Eduard von Simson, der letzte Präsident der Frankfurter Nationalversammlung, anfangs dem Reichstag präsidierte, wehte hier keineswegs der Geist der 1848er-Revolution. Sozialisten, Katholiken und Liberale fühlten sich lange ausgegrenzt. Das Kaiserreich stellte eben beides dar: Obrigkeitsstaat und Rechtsstaat. Zwar hatten die obrigkeitsstaatlichen Kräfte, die Großgrundbesitzer, das Militär, der Adel, die Bürokratie das Sagen, aber dem Rechtsstaatsprinzip mussten sie Genüge tun. Die Monarchie ist deshalb als „ruheloses Reich“ (Michael Stürmer) beschrieben worden. „Rückwärtsgewandter Obrigkeitsstaat oder liberaler Reformstaat, pluralistischer Interessenverband oder Machtkartell von Rittergut und Hochofen, bürokratische Dauerintervention oder cäsaristische Entscheidung – die politische Kultur des Deutschen Reiches zeigte von 1870 bis 1918 viele und durchaus gegensätzliche Ge20
Kraus, Ende (Anm. 17), S. 107. Vgl. Margaret Lavinia Anderson, Lehrjahre der Demokratie. Wahlen und politische Kultur im deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2009; siehe auch Hedwig Richter, Demokratie. Eine deutsche Affäre, München 2020; dies., Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich, Berlin 2021. 21
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sichter.“22 Die Fixierung auf die Schattenseiten verkennt den mannigfachen Wandel der politischen Kultur, so die positiven Auswirkungen des allgemeinen Männerwahlrechts, das zur gesellschaftlichen Politisierung beitrug, ohne die Spielregeln außer Kraft zu setzen. Die These vom „deutschen Sonderweg“ lässt sich demnach schwerlich gut begründet auf das Kaiserreich stützen. Das Kaiserreich endete so, wie es begonnen hatte: mit einer „Revolution von oben“. Die Einigung Deutschlands 1871 wie seine Parlamentarisierung im Oktober 1918 kamen auf diese Weise zustande. Das preußische Dreiklassenwahlrecht wurde abgeschafft, für die Monarchie gab es jedoch nirgends in Deutschland mehr eine Zukunft. Ihr Sturz war wesentlich ein Resultat des verlorenen Weltkrieges. Bei einem siegreichen Ausgang hätten die monarchistischen Grundfesten wohl standgehalten (nicht unbedingt in einer konstitutionellen, wohl aber in einer parlamentarischen Spielart), ungeachtet der politischen Gängelei und der sozialen Spannungen. Das deutsche Waffenstillstandsersuchen vom Oktober 1918 traf die Öffentlichkeit unvermittelt. Der Notenwechsel mit der amerikanischen Regierung unter Woodrow Wilson, die einer parlamentarischen Demokratie Deutschlands das Wort redete, hatte zu keinem mit dem Fortbestand des Kaiserreiches in seiner herkömmlichen Struktur kompatiblen Ergebnis geführt. Der Matrosenaufstand in Kiel am 3./4. November als Reaktion auf einen Befehl der Seekriegsleitung hin, die Flotte letztmals zu einer „ehrenvollen“ Schlacht im Ärmelkanal gegen die „Royal Navy“ auslaufen zu lassen, brachte das „Fass zum Überlaufen“; die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland und bildete den Vorboten für die Ereignisse in Berlin. Die militärische Niederlage führte schnell zum Systemsturz. 2. 1933 Die Zahl der Bücher über die Voraussetzungen und die Ursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus ist Legion. Zu groß war der Schock nach 1933 und vor allem nach 1945, als dass nicht mannigfache Erklärungsversuche unternommen wurden, das Unbegreifliche begreiflich zu machen. Manche Autoren sind bis Martin Luther zurückgegangen und haben einen mehr oder weniger geradlinigen Weg zum Dritten Reich konstruiert. Andere sahen im 19. und 20. Jahrhundert eine Art „Sonderweg“ angelegt, der 1933 folgerichtig im Sieg des Nationalsozialismus mündete. Solche Überlegungen sind empirisch wenig gesättigt, als habe es einen europäischen „Normalweg“ gegeben. Die Weimarer Republik war eine stets labile Demokratie, die an ihren vielen Gegensätzen und Problemen zerbrach – politischen wie wirtschaftlichen. Die Parteien, die bisher nicht regieren durften, legten eine unzureichende Kompromissbereitschaft an den Tag. Hingegen stießen vielfach Bünde auf eine große Nachfrage, weil ein Teil der Bevölkerung bei ihnen eher eine politische Heimat fand. Der Nationalsozialismus verstand sich als aufstrebende „Bewegung“ gegen die „degenerierten“ Parteien, 22
Michael Stürmer, Das ruhelose Reich. Deutschland 1866 bis 1918, Berlin 1983, S. 118.
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die nicht für Stabilität und Wohlstand gesorgt hätten. Keine Regierung hielt die volle Legislaturperiode durch. Angesichts vieler Strukturdefekte23 stand die Weimarer Republik auf keinem stabilen Fundament, geriet sie Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre in eine fundamentale Krise, als Arbeitslosigkeit und, damit verbunden, ökonomische Not in hohem Maße das soziale Gefüge erschütterten. Die Nationalsozialisten, bei demokratischen Wahlen zwar stark, aber stets ohne absolute Mehrheit, benötigten die Unterstützung anderer Kräfte, um an die Macht zu gelangen. Konservative Kräfte ließen sich über den Tisch ziehen. Nicht nur sie unterschätzten die Dynamik des Nationalsozialismus. Die Ursachen für die Schwäche der Demokraten in der Weimarer Republik sind ebenso vielfältig wie die für das Erstarken der NSDAP. Sie wurzeln auch in der deutschen Geschichte mit ihren Vorbelastungen und in den schweren innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Allerdings ist es nicht angängig, den Handlungsspielraum der politisch Verantwortlichen zu ignorieren. Ebenso darf nicht die Person von Adolf Hitler unerwähnt bleiben, seine Gestaltungs-, Willensund Verführungskraft.24 Der Historiker Tilman Bendikowski übersieht sie mit seiner hilflosen Argumentation: „Adolf Hitler hat keinen Beruf gelernt. Er hat keinen ordentlichen Schulabschluss, geschweige denn eine Hochschulausbildung. Er kann nicht schwimmen und nicht Auto fahren. Er spricht auch keine Fremdsprache. Er ist wegen Hochverrats vorbestraft, er hat keine Frau und keine Kinder. Auch einen besten Freund im engeren Sinne hat er nicht. Er ist klein und unsportlich. Er ist nicht blond. Er hat Komplexe wegen einer genitalen Verstümmelung.“25 3. 1945/49 Der britische Historiker Ian Kershaw rechnet zu den zehn Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg drei, die direkt auf Adolf Hitler zurückzuführen und auf 1940/41 zu datieren sind: den Entschluss, die Sowjetunion anzugreifen; den Entschluss, den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg zu erklären; den Entschluss, die europäischen Juden zu ermorden.26 Die ersten beiden Entscheidungen waren – einzeln betrachtet – eine wesentliche Ursache für das Ende des Dritten Reiches. 23
Vgl. etwa die Zusammenstellung der vielfältigen Belastungsfaktoren bei Hagen Schulze, Das Scheitern der Weimarer Republik als Problem der Forschung, in: Karl-Dietrich Erdmann/ Hagen Schulze (Hrsg.), Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Düsseldorf 1980, S. 23 – 41, insbes. 37 – 41. 24 Vgl. Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Lehrjahre eines Diktators, München 1996; Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie, 6. Aufl., Berlin 1996; Ian Kershaw, Hitler, Bd. 1: Aufstieg, Bd. 2: Diktatur, München 2004/2006. 25 Tilmann Bendikowski, Hitlerwetter. Das ganz normale Leben in der Diktatur. Die Deutschen und das Dritte Reich 1938/39, München 2022, S. 176. 26 Vgl. Ian Kershaw, Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg 1940/ 41, München 2008.
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Mit dem Krieg gegen die Sowjetunion im Juni 1941 („Unternehmen Barbarossa“) endete die Zeit der „Blitzsiege“. Goebbels’ berühmte Sportpalast-Rede im Februar 1943, die zum „totalen Krieg“ aufrief, sollte von der schweren Niederlage ablenken und die Kriegsanstrengungen der Bevölkerung propagandistisch anstacheln. Schon vor dieser Niederlage hatte das Dritte Reich die Offensive im Luftkrieg verloren, und auch im Seekrieg geriet Deutschland im Laufe des Jahres 1943 in die Defensive. Die Kriegserklärung Hitlers an die USA im Dezember 1941 (ohne vorherige Konsultation mit der militärischen Führung) erfolgte nach dem Angriff Japans auf den USamerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbour. Dieser Schritt „gilt als die ,rätselhafteste‘ Entscheidung Hitlers während des Zweiten Weltkriegs“.27 Schließlich hatte das Eingreifen der USA den Ausgang des Ersten Weltkrieges zu Ungunsten Deutschlands herbeigeführt. Die Hoffnung Hitlers auf den Zerfall der alliierten Koalition, ein Bündnis mit höchst unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Interessen, blieb unerfüllt – im Gegenteil. Konflikte zwischen den Westmächten und der Sowjetunion wurden angesichts des gemeinsamen Feindes zurückgestellt oder mit dilatorischen Formelkompromissen übertüncht. Auf der Konferenz in Casablanca (14. bis 26. Januar 1943) verständigten sich Roosevelt und Churchill auf die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans. Die Sowjetunion schloss sich dieser Forderung bald an. Auf den Konferenzen in Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) und Jalta (4. bis 11. Februar 1945) hatten sich die „Großen Drei“ (Roosevelt, Stalin und Churchill) getroffen, um über das künftige Schicksal Deutschlands zu beraten. Dieses sollte „entnazifiziert“ und in Besatzungszonen aufgeteilt werden. Rund 50 Millionen Menschen ließen ihr Leben im Zweiten Weltkrieg. Unter den Toten gab es, im Unterschied zum Ersten Weltkrieg, etwa doppelt so viele Zivilisten wie Soldaten. Bis zuletzt wurde das Dritte Reich fanatisch verteidigt. Adolf Hitler hatte am 30. April 1945 im „Führerbunker“ Suizid begangen, und der von ihm eingesetzte Reichspräsident Dönitz wurde mit der geschäftsführenden Reichsregierung unter Graf Schwerin von Krosigk am 23. Mai 1945 in Flensburg verhaftet. Das Deutsche Reich, fortan Objekt der Alliierten, besaß nun keine Souveränität mehr. Der Einschnitt war fundamentaler Natur. Wenngleich Heinrich August Winkler, von dem das folgende Zitat stammt, den Reichsmythos überzeichnet, besteht kein Zweifel an dem Epochenbruch für Deutschland und die Welt: „Der 8. Mai 1945 bedeutete nicht nur das Ende der nationalsozialistischen Diktatur, sondern sehr viel mehr: das Ende des Deutschen Reiches, des 1871 von Bismarck geschaffenen, stark von Preußen geprägten ersten deutschen Nationalstaates, und das Ende des noch viel älteren Mythos, der sich um die universale, ja heilsgeschichtliche Sendung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation rankte – eines Gebildes, das stets etwas Anderes und mehr hatte sein wollen als ein Nationalstaat unter anderen. Mit dem zweiten und dem ,Dritten Reich‘ ging also auch der Ideennebel unter, der die 27
Ebd., S. 481.
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Deutschen mit ihrem ersten Reich verband.“28 Anders als nach dem Ersten Weltkrieg konnte es angesichts der totalen – militärischen, wie moralischen – Niederlage keine neue Dolchstoßlegende geben. Deutschland, eine weithin in Schutt und Asche gelegene Ruinenlandschaft, war 1945 eine „Zusammenbruchgesellschaft“.29 Es zeigte durch die Bombardierungen und Bodenkämpfe ein Bild der Verwüstung. Das galt für alle Bereiche des täglichen Lebens – wirtschaftlich, politisch, kulturell. Die „Trümmerfrauen“ stehen symbolhaft für den Beginn des allmählichen Wiederaufbaus unter schwierigen Bedingungen. 4. 1989/90 Der Systemwechsel des Jahres 1945 ging in dem einen, dem größeren Teil Deutschlands, in eine freiheitliche Demokratie über, in dem anderen in eine kommunistische Diktatur. Auf deutschem Boden entstanden damit zwei höchst unterschiedliche Gesellschaftsordnungen. Die DDR schien durch die Mauer und durch den “großen Bruder“ der UDSSR stabil zu sein, Trotz der Aktivitäten von kleineren Bürgerrechtsgruppen deutete bis ins letzte Jahr der diktatorischen DDR nichts auf einen Zusammenbruch hin. Arrangement mit dem System überwog. Erst eine gewisse „Liberalität“ in der Ära Honecker schaffte überhaupt den Freiraum für unterschiedliche Gruppen, die sich dem Anspruch der SED auf Einfügung in den doktrinär verstandenen „realen Sozialismus“ widersetzten. Die Behauptung, die SED-Führung habe in den letzten Jahren den Kredit verspielt, „den sie sich in den siebziger und frühen achtziger Jahren mühsam erworben hatte“,30 ist insofern nicht stimmig, als das Legitimationsdefizit früher ebenso bestand. Das Ausbleiben tektonischer Erschütterungen bereits in den frühen Jahren der DDR lag im Wesentlichen an den anderen äußeren Rahmenbedingungen, ferner an dem inneren Druck. Im Vergleich zu osteuropäischen Ländern wie Polen und Ungarn gab es keine machtvolle Bürgerrechtsbewegung. Dafür mögen verschiedene Gründe stehen: Der SED war es durch ein ausgeklügeltes Spitzel-System gelungen, Proteste bereits im Keim zu ersticken; außerdem übte die Bundesrepublik eine große Anziehungskraft aus, so dass mancher lieber die Ausreise anstrebte, statt die Verhältnisse im eigenen Land ändern zu wollen. Die SED versuchte dem Rechnung zu tragen und schob systemkritische Wortführer in die Bundesrepublik ab – in der Hoffnung, auf diese Weise könne man ein Unruhepotential neutralisieren. Die Existenz 28 Heinrich A. Winkler, Weimar – Bonn – Berlin. Die Entwicklung der deutschen Demokratie im 20. Jahrhundert, in: Peter März (Hrsg.), Die zweite gesamtdeutsche Demokratie, München 2001, S. 17. 29 Vgl. etwa die anschaulichen Belege bei Christoph Kleßmann/Georg Wagner (Hrsg.), Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945 – 1990. Texte und Dokumente zur Sozialgeschichte, München 1990, S. 51 – 178. 30 So Gert-Joachim Glaeßner, Vom „realen Sozialismus“ zur Selbstbestimmung. Ursachen und Konsequenzen zur Systemkrise in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 1 – 2/ 1990, S. 5.
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der Bundesrepublik erwies sich für das Entstehen einer feste Formen annehmenden Opposition somit als ambivalent. Der für alle überraschende revolutionäre Umbruch in der DDR im Herbst 1989 wäre dennoch nicht möglich geworden ohne den politischen Kurswechsel in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow. Einige osteuropäische Staaten, mit Ungarn und Polen an der Spitze, begannen das Machtmonopol der kommunistischen Partei abzustreifen. Für die DDR waren grundlegende Änderungen weitaus riskanter. Angesichts der Anziehungskraft der Bundesrepublik stand ihre Existenz auf dem Spiel. Die Sowjetunion, kein totalitäres System mehr, intervenierte in diesen Staaten im Gegensatz zur Vergangenheit nicht. Daraus folgt aber nicht, die Entwicklung in der DDR sei in ihrem Interesse gewesen. Wirkung und Intention müssen nicht zusammenfallen. Die seitens der SED aufgrund der „Hetze“ westlicher Medien als Abwerbung gedeutete Massenflucht von DDR-Bürgern im Sommer und Herbst 1989 nach Ungarn, Polen und in die Cˇ SSR ermutigte einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung zu friedlichen Demonstrationen. Diese waren maßgeblich durch die Umbrüche in Osteuropa und der Sowjetunion motiviert und durch die Ausreisewelle in Gang gesetzt worden. „Exit“ zog „Voice“ nach sich.31 Dieses unkoordinierte Zusammenspiel brachte das DDR-Regime zu Fall. Allerdings musste der Verlauf der Revolution32 keineswegs friedlich sein. Die Freiheitsrevolution – für sie steht der 9. Oktober 1989 in Leipzig mit 70.000 Demonstranten – ging schnell nach dem Fall der Mauer am 9. November in eine Einheitsrevolution über. Am 9. Oktober vollzog sich der Durchbruch zur Freiheit, am 9. November der Durchbruch zur Einheit. 5. Fazit Die Revolution des Jahres 1918 ist wesentlich durch äußere Faktoren – den verlorenen Krieg – herbeigeführt worden, weniger durch den inneren Legitimationsverlust. Jedoch gelang dem Kaiserreich die Integration der Arbeiterschaft allenfalls halbherzig. Der Systemwechsel war beides: erzwungen von unten und kollabiert von oben. Die „nationale Revolution“ 1933 ist deutschen Ursprungs. Außenpolitische Faktoren wie der weithin als ungerechtfertigt empfundene Friedensvertrag von Versailles trugen freilich wenig zur Stabilisierung der neuen Ordnung bei. Und der Aufstieg Hitlers steht in einem engen Zusammenhang mit der Agitation gegen den 31 Vgl. Albert O. Hirschman, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Essay zur konzeptionellen Geschichte, in: Leviathan 20 (1992), S 330 – 350. 32 Vgl. drei Monographien mit hohem Erkenntniswert: Ilko-Sascha Kowalczuk, Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2009; Ehrhart Neubert, Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989/90, München 2008; Wolfgang Schuller, Die deutsche Revolution, Berlin 2009.
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Young-Plan. Die Zäsur trug unterschiedliche Züge. Zum Teil war der Systemwechsel von unten erzwungen (durch die Wahlergebnisse und den nationalsozialistischen Machtwillen), zum Teil von den alten Regimeeliten gelenkt. Diese wollten allerdings keine totalitäre, sondern eine autoritäre Diktatur. Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches war von außen induziert, da „die Deutschen“ den Nationalsozialismus weder stürzen konnten noch wollten, obwohl der Hitler-Mythos und -Kult nach „Stalingrad“ stark nachgelassen hatte.33 Der Bombenkrieg der Alliierten demoralisierte zwar die Bevölkerung, schweißte sie aber wohl enger zusammen. Beim Systemwechsel gab es weder Aufstände von unten noch eine „Lenkung“ oder „Aushandlung“ von oben. Erst zum Schluss trat ein Regimekollaps ein. Die nicht legitimierte Errichtung der SED-Diktatur ging auf äußere Einflüsse zurück wie die Etablierung der Bundesrepublik, die sich allerdings mit Billigung der Bevölkerung vollzog. Die Herbstrevolution des Jahres 1989 wurde ebenso wesentlich begünstigt durch die Situation beim „großen Bruder“, also durch den außenpolitischen Konstellationswandel. Freilich beschleunigte der Fall der Mauer mitten im Herzen Europas seinerseits den Fortgang der revolutionären Entwicklung in Ost(mittel)europa und nicht zuletzt im „Vaterland aller Vaterländer“. Der Systemwechsel war einerseits von unten erzwungen und andererseits „ausgehandelt“ (in der zweiten Phase). Ihm lag – nach der Nichtintervention durch die Sowjetunion – weithin ein Regimekollaps zugrunde. Das entkräftete System hatte ihn nicht „gelenkt“. Bis auf den Systemwechsel 1933 bewirkten jeweils äußere Vorgänge die Umbrüche im Innern. Allerdings gab es 1933 ebenso äußere Ursachen (etwa die harsche Haltung der Westmächte gegenüber den Politikern der Weimarer Republik), und bei den anderen drei Systemwechseln spielten innere Faktoren gleichfalls eine Rolle: 1918/19 war das Kaiserreich zu ungefestigt, um den verlorenen Krieg zu überleben; 1945/49 gab es deutsche Kommunisten, die die Sowjetunion unterstützten, und deutsche Demokraten, die bei dem Aufbau halfen; und 1989/90 fegte die Bevölkerung das ungeliebte System in dem Moment hinweg, als die Chance für einen langersehnten Umsturz plötzlich eintrat. V. Neuer Systemwechsel? Nichts deutet gegenwärtig auf einen hiesigen Systemwechsel hin. Aber bekanntlich ist nichts so beständig wie der Wandel. In welche Richtung und wann er sich vollziehen mag, ist angesichts vielfältiger Imponderabilien gegenwärtig nicht absehbar. Der Koalitionsvertrag der „Ampel“-Koalition von 2021 strebt die „Weiterent-
33 Vgl. Ian Kershaw, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich, Stuttgart 1980.
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wicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“34 an. Europa firmiert für Deutschland als „Ersatzvaterland“ (Heinrich August Winkler). In ganz Europa ruft eine solche Maxime im besten Fall Romantizismus, Kopfschütteln hervor. Das ist ein Beispiel für den grassierenden politischen Moralismus, der sich auch auf anderen Politikfeldern bemerkbar macht, wie der Migrations- oder der Klimapolitik. Die Umbenennungsmanie – das Bismarck-Zimmer im Auswärtigen Amt heißt seit Ende 2022 „Saal der deutschen Einheit“ – gehört auch hierzu35. Ein europäischer Bundesstaat ist weder realistisch noch überhaupt wünschenswert. Schon die Sprachenvielfalt steht dem ebenso entgegen wie die unterschiedliche (Erinnerungs-)Kultur.36 Hatte Heinrich August Winkler 2012 vorgeschlagen, Europa müsse sich „vom Staatenverbund zur Föderation“37 entwickeln, hieß es schon fünf Jahre später: „Wer die Nationen und die Nationalstaaten abschaffen will, zerstört Europa und fördert den Nationalismus“.38 Mit dem niederländischen Autor René Cuperus warnt Winkler vor Wunschdenken.39 Nationen stiften Gemeinschaft, wobei dies keine Absage an die europäische Idee sein muss, etwa im Bereich der Verteidigungspolitik. Der Brexit mag viele Ursachen haben. Eine dürfte in der forcierten deutschen Migrationspolitik liegen: Großbritannien fürchtete unkontrollierte Migration. Kann es aber nicht sein, dass sich Europa staatsrechtlich doch zusammenschließt, sei es aus tiefer Überzeugung, sei es aus existenzieller Not, wiewohl nicht heute und morgen? Derzeit drängen immer mehr europäische Staaten auf eine Schließung der Außengrenzen, und sei es durch den Bau von bewachten Grenzzäunen, um Personen fernzuhalten, die nicht asylberechtigt sind. Bereits jetzt gibt es sie schon stellenweise. Deutschland wäre in einem föderativen Europa das, was Nordrhein-Westfalen heute in Deutschland ist. Käme es eines fernen Tages zu solch einem europäische Gebilde, dann hätte dieses mit dem Alten Reich manches gemeinsam: den Multiethnizismus sowie das übernationale Gepräge, wiewohl sich die ansonsten große Unterschiedlichkeit von alleine versteht. Gegenwärtig fehlt uns die Vorstellungskraft, eine derartige Entwicklung für möglich zu erachten. Doch welche Zeitgenossen besaßen die Phantasie, das Ende des Kaiserreiches zu prognostizieren oder das Ende der DDR? Und wer konnte es vor einem Säkulum, im Jahr 1923, als realistisch ansehen, dass die beim „Marsch auf 34 Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), Berlin 2021, S. 104. 35 Vgl. die berechtigte Kritik von Hans-Christof Kraus, Der eminente Blick, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juni 2023, S. 14. 36 Vgl. Peter Graf Kielmansegg, Wohin des Wegs, Europa? Beiträge zu einer überfälligen Debatte, Baden-Baden 2015. 37 Vgl. Heinrich August Winkler, Nationalstaat wider Willen. Interventionen zur deutschen und europäischen Politik, München 2022, S. 171. 38 Ebd., S. 183. 39 Vgl. René Cuperus, 7 Mythen über Europa. Plädoyer für ein vorsichtiges Europa, Bonn 2021.
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die Feldherrnhalle“ kläglich gescheiterte kleine Hitler-Bewegung zehn Jahre später die Macht erlangt, bald danach Tod, Schande wie Zerstörung über Deutschland bringt? VI. Resümee Deutschland hat im 19. und 20. Jahrhundert tiefgreifende Zäsuren erfahren, so der Ausgangspunkt dieses Beitrages. Oft lösten Kriege die Systemwechsel aus, und nicht selten waren andere Länder davon betroffen. Wer 1800 geboren wurde und 1890 starb, erlebte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, den Deutschen Bund sowie das Kaiserreich (mit dem „Dreikaiserjahr“ und dem Rücktritt von Reichskanzler Otto von Bismarck), wer ein Säkulum später das Licht der Welt erblickte und 90 Jahre alt wurde, das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, das geteilte und das vereinigte Deutschland. Das 19. Jahrhundert gilt vielfach als „langes Jahrhundert“, das 20. Jahrhundert als „kurzes Jahrhundert“.40 Diese Terminologie des britischen Historikers Eric Hobsbawm hat sich weithin durchgesetzt. Dabei gilt die Zeitspanne von 1789 bis 1914 ebenso als eine Einheit wie die zwischen 1914 und 1991. Das „lange 19. Jahrhundert“ durch den Aufstieg des Bürgertums gekennzeichnet, das „kurze 20. Jahrhundert“ durch Ideologien bestimmt. Wer eine Datierung von 1917 bis 1991 vornimmt, könnte vom Aufkommen bis zum Niedergang des Kommunismus sprechen. Solchen Zäsuren wohnt mehr als ein Gran Willkür inne, aber in der Tat stehen diese für Einschnitte in vielen europäischen Ländern. Und wer auf Deutschland fixiert ist und sein Augenmerk auf die Frage des Nationalstaates richtet, mag zu dem paradoxen Ergebnis kommen, dass dem „kurzen 19. Jahrhundert“ (von 1806 – 1866/1871) ein „langes 20. Jahrhundert“ (von 1866/ 1871 bis 1990 oder gar bis zur Gegenwart) gegenübersteht. Waren der Norden und der Süden nach 1871 binnen relativ kurzer Zeit zusammengewachsen, galt dies nach 1990 für den Westen und den Osten. Der Nationalstaat hat sich behauptet, entgegen vielfältigen Annahmen von Politikwissenschaftlern und Historikern, die ihn voreilig für tot erklärt hatten, nicht nur linksliberale, sondern auch konservative Autoren. Heinrich August Winkler und Hans-Peter Schwarz gehören zu denjenigen, die Selbstkritik üben. Lautete bei Winkler vor 1990 die Position, eine nationalstaatliche Wiedervereinigung sei wegen der Vorbehalte der europäischen Nachbarn weder realistisch noch überhaupt wünschenswert, fühlte er sich nach 1990 eines Besseren belehrt: „Die nachgerade teleologische Überzeugung, man habe Nation und Nationalstaat endgültig hinter sich, ist sehr deutsch und, bei Lichte besehen, der verständ40
Vgl. Erich Hobsbawm, Das lange 19. Jahrhundert, Bd. 1: Europäische Revolutionen 1789 – 1848; Bd. 2: Die Blütezeit des Kapitals 1848 – 1875; Bd. 3: Das Imperiale Zeitalter 1875 – 1914, Darmstadt 2022; ders., Das lange 20. Jahrhundert, Bd. 1: Das Zeitalter der Extreme; Bd. 2: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2019. Hier handelt es sich jeweils um Neuausgaben zuvor bereits erschienener Bücher.
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liche Wunsch, aus der deutschen Not eine europäische, ja weltumspannende Tugend zu machen.“41 Bei Schwarz heißt es, seine These aus dem Jahre 1974, „dass eine Wiederherstellung des Bismarckreiches nicht mehr möglich ist“42, lese er mittlerweile ungern. Allerdings unterscheidet sich der heutige deutsche Nationalstaat, fest integriert in ein militärisches, politisches und kulturelles Bündnis von vielen Ländern, gravierend vom kaiserlichen Nationalstaat.
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Winkler, Nationalstaat (Anm. 37), S. 56. Hans-Peter Schwarz, Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen, hrsg. von Hanns-Jürgen Küsters, München 2018, S. 267. 42
Krönungen im Deutschland des 19. Jahrhunderts – Überlegungen zur Krise eines traditionsreichen Rituals Von Matthias Stickler, Würzburg I. Einleitende Überlegungen Die am 6. Mai 2023 vollzogene Krönung König Charles’ (Karls) III. von Großbritannien und Nordirland, der bereits am 8. September 2022, nach dem Tode seiner Mutter Königin Elisabeth II., den Thron bestiegen hatte, hat ein seit 70 Jahren nicht mehr praktiziertes sakrales Ritual wieder in die Erinnerung der Medien und einer breiteren Öffentlichkeit gerufen, das in Europa über eine lange Tradition verfügt. Krönungen1 waren seit der Spätantike bzw. dem frühen Mittelalter im Römischen respektive Oströmischen Reich und in den germanischen und slawischen Königreichen Europas üblich geworden und lösten, seit der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts auch zunehmend mit kirchlicher Beteiligung, allmählich ältere Formen der Machtübergabe an einen neuen Herrscher, wie feierliche Proklamationen oder Schilderhebungen, ab. Im frühen Mittelalter entstand die Zeremonie der Herrschersalbung, die an Stelle oder, was sich langfristig durchsetzte, als Teil der Krönungszeremonie durchgeführt wurde.2 Die erste dokumentierte Königssalbung wurde durch den Erzbischof von Toledo an dem Westgoten-König Wamba im Jahr 672 vollzogen, der allerdings bereits zuvor gekrönt worden war. Die Salbung ging auf alttestamentliche Vorbilder, konkret das Königtum Davids und Salomos zurück und symbolisierte in besonderer Weise den christlichen Charakter der herrscherlichen Gewalt, weil ja auch Jesus Christus als „Sohn Davids“ und Messias – griechisch Wqist|r bzw. Christós – ein Gesalbter war. Insofern symbolisierte und legitimierte die Salbung in besonderer Weise ein im Christentum wurzelndes Herrschertum von Gottes Gnaden. Eng mit solchen Vorstellungen verknüpft waren auch Überzeugungen, dass gekrönte und gesalbte Könige wundertätige Kräfte hätten und bestimmte Krankheiten 1 Vgl. K. Schnith, Krönung, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München 1991, Sp. 1547 – 1549; Esther-Beate Körber, „Krönung“, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, hrsg. von Friedrich Jaeger (bis 2019), Georg Eckert, Ulrike Ludwig, Benjamin Steiner und Jörg Wesche (http://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_COM_298844) (02. 03. 2023); Barbara StollbergRilinger, „Herrschaftszeremoniell“, in: ebd. (http://dx.doi.org/10.1163/2352-0248_edn_COM_ 279972]) (02. 03. 2023). Vgl. auch Ludolf Pelizaeus, Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs (Mainzer Studien zur neueren Geschichte, 23), Frankfurt am Main [u. a.] 2008; Mario Kramp (Hrsg.), Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos, 2 Bde., Mainz 2000. 2 Vgl. H. H. Anton, Salbung, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, Sp. 1288 – 1292.
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heilen könnten.3 Bemerkenswert ist, dass beim britischen Krönungsritual die Salbung bis heute ein konstitutiver Bestandteil ist.4 Auch wenn Krönungen in Nord-, Süd-, Mittel- und Westeuropa5 an vorchristliche, jüdische oder pagane Traditionen anknüpften, so ist doch unschwer zu erkennen, dass bei den europäischen Krönungsritualen weltliche und genuin kirchliche Elemente zusammenflossen. Jede Krönung war nach überkommenem mittelalterlichen Verständnis zunächst einmal ein religiöser Akt, eine „Herrscherweihe“, die, obgleich nach katholischem Verständnis kein Sakrament, dennoch große Ähnlichkeiten mit einer Priester- oder Bischofsweihe aufwies.6 Insofern hätte mit der Reformation die Herrscherweihe eigentlich verschwinden müssen, sie hielt sich in den protestantischen Monarchien in mehr oder weniger abgewandelter Form aber dennoch hartnäckig und verlor erst mit der Aufklärung allmählich an Boden, eine Tendenz, von der seither auch die katholischen Monarchien immer mehr erfasst wurden. Hintergrund dieser Entwicklung war zum einen die allmähliche Säkularisierung des Denkens und damit auch der Legitimierung herrscherlicher Macht, zum andern die Tatsache, dass in den Erbmonarchien der automatische Übergang der Herrschaftsrechte beim Tod des regierenden Monarchen auf seinen Nachfolger („Der König ist tot, es lebe der König!“) immer mehr zur Regel wurde, der neue König in der Regel also auch ohne Krönung legitim herrschen konnte. Vor diesem Hintergrund kamen etwa Krönung und Salbung im Königreich Kastilien respektive in Spanien bereits um 1500 außer Gebrauch. Konsequenterweise hielten Wahlmonarchien, insbesondere das Heilige Römische Reich Deutscher Nation,7 aber auch das polnisch-litauische Königreich, das seit der Lubliner Union von 1569 eine „Adelsrepublik“ (Rzeczpospolita Korony Polskiej i Wielkiego Ksie˛ stwa Litewskiego)8 mit star-
3 Vgl. Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 (Erstdruck 1924 u.d.T. „Les rois thaumaturges. Étude sur le caractère surnaturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et en Angleterre“). 4 Vgl. Roy Strong, Coronation. A history of kingship and the British monarchy, London 2005; „Öl für Charles III. geweiht“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06. 03. 2023, Nr. 55, S. 7. Zur Stellung der britischen Krone im Verfassungssystem Großbritanniens vgl. HansChristof Kraus, Zwischen Parlament und Prärogative – Monarchie und Verfassung in Großbritannien seit dem 19. Jahrhundert, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), Konstitutionalismus in Europa. Entwicklung und Interpretation, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 287 – 309. 5 Der osteuropäische (byzantinisch-orthodox geprägte) Raum bleibt in diesem Beitrag außerhalb der Betrachtung, weil dies ein eigenes Thema wäre. 6 Vgl. hierzu und zum folgenden ausführlich: Hans Liermann, Untersuchungen zum Sakralrecht des protestantischen Herrschers, in: ZRG kan. 30 (1941), S. 311 – 383. Vgl. ferner: Claudia Lepp, Summus episcopus. Das Protestantische im Zeremoniell der Hohenzollern, in: Andreas Biefang/Michael Epkenhans/Klaus Tenfelde (Hrsg.), Das politische Zeremoniell im Deutschen Kaiserreich 1871 – 1918, Düsseldorf 2008, S. 77 – 114. 7 Vgl. Hans Joachim Berbig, Der Krönungsritus im Alten Reich (1648 – 1806), in: ZBLG 38 (1975), S. 369 – 700. 8 Vgl. Daniel Stone, The Polish-Lithuanian State, 1386 – 1795 (A History of East Central Europe, 4), Seattle 2001.
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ker Stellung des Sejms war, weiterhin an aufwendigen Krönungsfeierlichkeiten in Frankfurt am Main bzw. Krakau fest. Auch sonst blieben Krönungen bis weit ins 19. Jahrhundert die Regel, auch dann, wenn Wahlmonarchien durch Erbmonarchien ersetzt wurden, so etwa im 17. Jahrhundert in den habsburgischen Königreichen Böhmen und Ungarn. Die Könige von Frankreich ließen sich bis zum Ende des Ancien Regime nach mittelalterlichem Vorbild in Reims, wo Ende des 5. Jahrhunderts der Frankenkönig Chlodwig I. getauft worden war, krönen, obgleich dies verfassungsrechtlich nicht nötig gewesen wäre. In England wurden, obgleich die mittelalterlichen Kronjuwelen, insbesondere die ursprüngliche St.-Edwards-Krone, in der Zeit der Herrschaft Oliver Cromwells eingeschmolzen worden waren, seit der Stuart-Restauration 1660 wieder Krönungen praktiziert und dafür neue Kronjuwelen geschaffen, darunter eine neue St.-EdwardsKrone, die bis heute Verwendung finden. Vereinzelt findet man in protestantischen Monarchien seit dem 17. Jahrhundert Selbstkrönungen, zu nennen ist hier v. a. König Karl XII. von Schweden, der sich 1697 die Krone aufs Haupt setzte und Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, der sich 1701 in Königsberg zum „König in Preußen“ krönte. Die Selbstkrönung Napoleon Bonapartes9 zum „Kaiser der Franzosen“ 1804 in der Kathedrale Notre-Dame de Paris – nicht in Reims! – hatte insofern Vorbilder. In allen drei Fällen versuchten die jeweiligen Herrscher die (angebliche) Absolutheit ihrer Macht bzw. ihre Unabhängigkeit von weltlichen und kirchlichen Institutionen zu demonstrieren. Im 19. Jahrhundert ist dann zu beobachten, dass Krönungszeremonien zunehmend keine Selbstverständlichkeit mehr waren. Bei Napoleons I. Selbstkrönung hatte es sich um den Versuch einer Traditionsstiftung gehandelt, die letztlich auf römische Vorbilder zurückgriff, diese aber neu interpretierte im Sinne der Alleinherrschaft Napoleons. Sein Sturz 1814/15 machte eine Tradierung dieses Rituals unmöglich. Als knapp 40 Jahre später sein Neffe Louis Napoleon nach der Kaiserwürde griff und sich als Napoleon III. zum zweiten Kaiser der Franzosen ausrufen ließ (1852), verzichtete er, obwohl es anfangs entsprechende Pläne gab,10 auf eine Krönung. Im Zuge der Bourbonenrestauration 1814/15 hatte zwar der bereits 60-jährige König Ludwig XVIII. (1814/15 – 1824), v. a. aus gesundheitlichen Gründen, von einer Krönung Abstand genommen, allerdings ließ sich sein Bruder und Nachfolger Karl X. (1824 – 1830), der bei seiner Thronbesteigung immerhin 67 Jahre alt war, nach mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorbildern in Reims krönen. Auch in diesem Fall wurden, wie nach 1660 in England, während der Revolution zerstörte Kronjuwelen neu geschaffen. Doch konnte diese Krönung, auch wegen der schroff antikonstitutionellen Haltung des Königs, keine traditionsbildende Kraft mehr entfalten. Nach Karls X. Sturz durch die Juli-Revolution des Jahres 1830 wurde sein Nachfol9 Vgl. Thomas R. Krause, Napoleon – Aachen – Karl der Große. Betrachtungen zur napoleonischen Herrschaftslegitimation, in: Kramp (Hrsg.), Krönungen (Anm. 1), S. 699 – 707. 10 Vgl. Heinrich Friedjung, Die österreichische Kaiserkrone (Entwürfe zu einer Kaiserkrönung) [1907], in: Heinrich Friedjung: Historische Aufsätze. Stuttgart/Berlin 1919, S. 9 – 23, hier 17 – 19.
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ger Louis Philippe I. (1830 – 1848) demonstrativ nicht mehr gekrönt; dies, sein neuer Titel „König der Franzosen“, der auf die aus der Revolution hervorgegangene Verfassung von 1791 rekurrierte, und die Wahl des Namens – eben nicht Ludwig / Louis XIX. – markierte den endgültigen Bruch mit den überkommenen Traditionen. An die Stelle der Krönung trat ein Staatsakt vor dem Parlament, bei dem der Monarch den Verfassungseid leistete.11 Diese Praxis wurde 1831 auch vom 1830 neu geschaffenen Königreich Belgien übernommen, wo es keinerlei Krönungstraditionen gab, an die man hätte anknüpfen können. Zudem war Belgien eine konstitutionelle Monarchie mit starker Stellung des Parlaments, dessen zentrale Rolle im Verfassungsgefüge durch den Verfassungseid des Königs – von 1831 bis 1865 Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha – hervorgehoben wurde. Dessen Titel und der seiner Nachfolger bis heute war bzw. ist nach französischem Vorbild „König der Belgier“.12 Keine Krönung kannte auch das 1861 gegründete Königreich Italien,13 obwohl das Haus Savoyen die „Eiserne Krone“ der Langobarden,14 mit der im Mittelalter die Könige (Reichs-)Italiens gekrönt worden waren und noch 1805 Napoleon I. zum König eines oberitalienischen Königreichs Italien, als Symbol des neuen Nationalstaats übernahm. Die Inthronisation der Könige von Italien erfolgte ebenfalls durch eine Eidesleistung auf die Verfassung vor dem Parlament. Allerdings wurde die Eiserne Krone bei den Begräbnissen Viktor Emmanuels II. und Umbertos I. 1878 bzw. 1900 den beiden Königen auf den Sarg gelegt und im Leichenzug mitgeführt. Insofern können wir seit dem 19. Jahrhundert beobachten, dass bei Neugründungen von Königreichen bzw. nach Revolutionen bzw. verfassungsgeschichtlichen Umbrüchen Krönungsrituale häufig abgeschafft bzw. erst gar nicht eingeführt wurden. Man könnte insofern von einer Krise der Krönungstradition sprechen, da dieses althergebrachte Ritual für die Legitimation von Herrschaft anscheinend nicht mehr gebraucht wurde. Hans Liermann hat diese Entwicklung recht drastisch als logische Konsequenz einer geistigen Entleerung der Königsweihe beschrieben:15 11 Zu den genannten französischen Herrschern vgl. Peter Claus Hartmann, Französische Könige und Kaiser der Neuzeit. Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498 – 1870, München 1994; vgl. ferner Peter Claus Hartmann, Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (1450 – 2002). Ein Überblick, 2. Aufl. Berlin 2003; Jean Tulard, Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789 – 1851 (Geschichte Frankreichs, 4), Stuttgart 1989; Franc¸ ois Caron, Frankreich im Zeitalter des Imperialismus 1851 – 1918 (Geschichte Frankreichs, 5). Stuttgart 1991. 12 Vgl. Franz Petri/Ivo Schöffer/Jan Juliaan Woltjer, Geschichte der Niederlande. Holland, Belgien, Luxemburg (Handbuch der europäischen Geschichte), München 1991, v. a. S. 88 – 144. 13 Vgl. Wolfgang Altgeld/Thomas Frenz/Angelica Gernert/Michael Groblewski/Rudolf Lill, Geschichte Italiens, 3. Aufl. Stuttgart 2016, v. a. Wolfgang Altgelds Beitrag „Das Risorgimento“ (S. 273 – 344). 14 Vgl. Reinhard Elze, Die „Eiserne Krone“ in Monza, in: Percy Ernst Schramm (Hrsg.), Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom 3. bis zum 16. Jahrhundert, Bd. 2 (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, 13/2), Stuttgart [u. a.] 1955, S. 450 – 479, hier v. a. 478. 15 Liermann, Untersuchungen zum Sakralrecht (Anm. 6), S. 377.
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„Überall wird im 19. Jahrhundert die Weihe zur bloßen Zeremonie, und die Zeremonie wird immer leerer. Gerade die protestantische Herrscherweihe, die immer eine unsichere und zwiespältige religiöse Grundlage hatte, war dieser Entleerung besonders ausgesetzt.“ Auch wenn diese Aussage etwas arg zugespitzt erscheint, so ist doch zutreffend, dass Krönungen im 19. Jahrhundert immer weniger selbstverständlich waren und gerade auch der Versuch der Neustiftung von Krönungstraditionen mit erheblichen Problemen verbunden war. Dies soll im Folgenden an Beispielen aus dem damaligen Deutschland gezeigt werden. II. Krönungen. Ein ambivalentes Ritual in Zeiten des Umbruchs – drei Fallbeispiele In Deutschland führte die Zeit der Koalitionskriege bzw. der Hegemonie Napoleons zu einem, wie sich zeigen sollte, irreparablen Bruch in den staatsrechtlichen Verhältnissen. Mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 endete auch die Tradition von Kaiserkrönungen. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der letzte römisch-deutsche Kaiser Franz II.16 den Titel eines „Kaisers von Österreich“ angenommen und 1806 entstanden aus den bisherigen Kurfürstentümern Bayern, Württemberg und Sachsen Königreiche, die Anspruch auf volle staatliche Souveränität wie die älteren europäischen Königreiche erhoben. Diese, wenn man es so nennen will, Standeserhöhungen, deren Legitimität durchaus zweifelhaft war, so lange das Heilige Römische Reich noch bestand, verlangten im Grunde nach einer symbolischen Repräsentation bzw. Neulegitimierung und es hätte durchaus in der Logik traditionellen herrscherlichen Selbstverständnisses gestanden, zu diesem Zweck eine Krönung durchzuführen. 1. Die Habsburgermonarchie Da die Habsburger17 jahrhundertelang die römisch-deutschen Kaiser gestellt hatten und angesichts ihrer tiefen Verwurzelung im Katholizismus lag eine solche Traditionsstiftung in doppelter Weise nahe, und deshalb es ist auffällig, dass es in der
16 Vgl. Walter Ziegler, Franz II./I. (1792 – 1835). Kaiser, Dynastiechef, Landesvater, in: Alfred Ableitinger/Marlies Raffler (Hrsg.), „Johann und seine Brüder“. Neun Brüder und vier Schwestern – Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution. Beiträge der Internationalen Tagung vom 4./5. Juni 2009 in Graz (Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission für Steiermark, 42), Graz 2012, S. 59 – 78. 17 Vgl. Matthias Stickler, Die Habsburger – eine alteuropäische Dynastie im Spannungsfeld von Konstitutionalismus und Nationalismus, in: Benjamin Hasselhorn/Marc von Knorring (Hrsg.), Vom Olymp zum Boulevard. Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte? (Prinz-Albert-Forschungen NF, 1), Berlin 2018, S. 125 – 155.
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Habsburgermonarchie18 nach 1804 nie zu einer Kaiserkrönung kam. Immerhin hatten Krönungen und Erbhuldigungen19 in den Ländern der Habsburgermonarchie eine lange Tradition, dies v. a. in Ungarn, wo die Krönung seit dem Mittelalter eine zentrale verfassungsrechtliche Funktion hatte,20 aber auch in Böhmen, wo bis 1836 Krönungen üblich waren (der letzte gekrönte König war Kaiser Ferdinand I. [1835 – 1848]21, als König von Böhmen Ferdinand V.) und in Niederösterreich, wo eine Erbhuldigung letztmals 1835 durchgeführt wurde.22 Im nach 1815 in Oberitalien neu entstandenen Königreich Lombardo-Venetien23 wurde sogar versucht, eine solche Tradition neu zu stiften: 1838 wurde Ferdinand I. im Mailänder Dom mit der Eisernen Krone zum König gekrönt. Er sollte allerdings der einzige gekrönte König des norditalienischen Kronlandes, das 1860/61 bzw. 1866 an Italien fiel, bleiben. Bei der Krönungsfrage zeigt sich eine auffällige Spannung zwischen der Idee des Gottesgnadentums und der letztlich in der Aufklärung und im Josephinismus wurzelnden Ablehnung einer sakralen Legitimation von Herrschaft. Immerhin hatte Kaiser Joseph II. (1764 – 1790)24 eine Krönung zum König von Böhmen sowie zum König von Ungarn verweigert, weil er in diesen Ritualen eine unzulässige Beschränkung seiner herrscherlichen Gewalt sah. Anders als bei diesen seit Jahrhunderten üblichen Krönungen, in denen sich tatsächlich die Verfassungsordnung der beiden 18 Zu den Grundzügen der Geschichte der Habsburgermonarchie im langen 19. Jahrhundert vgl. Harm-Hinrich Brandt, Parlamentarismus als staatliches Integrationsproblem. Die Habsburger-Monarchie, in: Adolf M. Birke/Kurt Kluxen (Hrsg.), Deutscher und Britischer Parlamentarismus / British and German Parliamentarism, (Prinz-Albert-Studien, 3), München/New York/Paris 1985, S. 69 – 106; Matthias Stickler, Staatsorganisation und Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie 1804 – 1918, in: Frank-Lothar Kroll/Hendrik Thoß (Hrsg.), Europas verlorene und wiedergewonnene Mitte. Das Ende des Alten Reiches und die Entstehung des Nationalitätenproblems im östlichen Mitteleuropa (Chemnitzer Europastudien, 11), Berlin 2011, S. 47 – 76. 19 Zur Tradition von Krönungen und Erbhuldigungen im Hause Habsburg vgl. auch Karl Vocelka/Lynne Heller, Die Lebenswelt der Habsburger. Kultur- und Mentalitätsgeschichte einer Familie, Graz/Wien/Köln 1997, S. 161 – 204. 20 Vgl. Hermann Meynert, Das königliche Krönungszeremoniell in Ungarn, Wien 1867. 21 Vgl. Lorenz Mikoletzky, Ferdinand I. von Österreich (1835 – 1848), in: Anton Schindling/ Walter Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519 – 1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 329 – 339. 22 Vgl. William D. Godsey Jr., Herrschaft und politische Kultur im Habsburgerreich. Die niederösterreichische Erbhuldigung (ca. 1648 – 1848), in: Roland Gehrke (Hrsg.), Aufbrüche in die Moderne. Frühparlamentarismus zwischen altständischer Ordnung und monarchischem Konstitutionalismus. Schlesien – Deutschland – Mitteleuropa (1750 – 1850), Köln/Weimar/ Wien 2005, S. 141 – 177. 23 Vgl. Brigitte Mazohl-Wallnig, Österreichischer Verwaltungsstaat und administrative Eliten im Königreich Lombardo-Venetien 1815 – 1859, Mainz 1993; Brigitte Mazohl-Wallnig, Verfassungsfrage und Nationalitätenproblem. Das Beispiel Lombardo-Venetien, in: Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 38 (2001), S. 366 – 387. 24 Vgl. Peter Baumgart, Joseph II. und Maria Theresia, in: Schindling/Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit (Anm. 21), S. 249 – 276; Helmut Reinalter, Joseph II. Reformer auf dem Kaiserthron, München 2011.
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Kronländer versinnbildlichte, haftete dem 1804 begründeten österreichischen Kaisertum, wie auch der Königswürde Lombardo-Venetiens, eine gewisse Künstlichkeit an. Zwar war die Annahme des Kaisertitels implizit mit dem Ziel erfolgt, die bisher unvollendet gebliebene monarchische Integration der Habsburgermonarchie weiter voranzutreiben und eine Stellung des (österreichischen) Kaisers als Reichsmonarch über den traditionellen Kronländern (d. h. insbesondere über Ungarn) zu legitimieren und so ein Kaisertum Österreich in Gestalt einer unitarischen Monarchie zu errichten.25 Doch warf diese Zielsetzung letztlich zu viele verfassungsrechtliche Fragen v. a. im Verhältnis zu Ungarn auf, weshalb eine konsequente Umsetzung dieses Programms unterblieb. Es gab zwar nach 1804 tatsächlich Pläne zur Krönung Franz II./I. zum Kaiser von Österreich, doch fielen diese den kriegerischen Zeitläuften zum Opfer. Metternich soll nach dem Friedensschluss 1814/15 angeblich für eine Krönung eingetreten sein, er sei aber damit nicht durchgedrungen.26 Allerdings wurden Krönungsinsignien sukzessive angefertigt bzw. bereitgestellt. Das älteste Stück stellte die auf Kaiser Rudolf II. (1576 – 1612) zurückgehende sogenannte habsburgische Hauskrone von 1602 dar, welche 1804 zur österreichischen Kaiserkrone erklärt wurde; im Grunde fand damit eine Art Translatio Imperii vom Heiligen Römischen Reich auf das Kaisertum Österreich statt, war die Hauskrone doch bis 1804 bei Festkrönungen als Ersatz für die in Nürnberg aufbewahrte Reichskrone verwendet worden. Zu dieser gehören noch ein Reichsapfel und ein Szepter, die beide aus der Regierungszeit des Kaisers Matthias (1612 – 1619) stammen. Weitere „Reichskleinodien“ wurden für Kaiser Franz II./I. im Zusammenhang mit der Krönung Erzherzog Ferdinands zum jüngeren König von Ungarn im Jahr 1830 angefertigt. Allerdings ist unklar, ob die Stücke, die heute in der Wiener Hofburg gezeigt werden, so wirklich je getragen wurden. Das Portrait Franz’ II./I., das Friedrich von Amerling 1832 anfertigte und das jenen im Ornat eines Kaisers von Österreich zeigt, ist möglicherweise ein reines Phantasieprodukt.27 Insgesamt fällt auf, dass zwischen 1804 und 1835 die Stiftung einer echten Tradition unterblieb. Wohl deswegen misslang auch der zweite Anlauf zu einer österreichischen Kaiserkrönung nach dem Thronwechsel von 1835; damals spielten auch verfassungsrechtliche Bedenken der Ungarn eine Rolle.28 Allerdings versammelten sich anlässlich der Thronbesteigung Kaiser Ferdinands I. die deutschen Bundesfürsten am kaiserlichen Hoflager in Schloss Schönbrunn29 – symbolisch inszeniert wurde hier, durchaus in Anlehnung an das Alte Reich, so etwas wie 25
Vgl. hierzu Matthias Stickler, Reichsvorstellungen in Preußen-Deutschland und der Habsburgermonarchie in der Bismarckzeit, in: Franz Bosbach/Hermann Hiery (Hrsg.), Imperium/Empire/Reich. Ein Konzept politischer Herrschaft im deutsch-britischen Vergleich (Prinz-Albert-Studien, 16), München 1999, S. 133 – 154, hier 134 – 136. 26 Vgl. hierzu und zum Folgenden, soweit nicht anders angegeben, Friedjung, Die österreichische Kaiserkrone (Anm. 10), S. 10. 27 Vgl. die Abbildungen in: Kunsthistorisches Museum Wien (Hrsg.), Weltliche und Geistliche Schatzkammer, Wien 1987, S. 50 – 66, hier 64. 28 Friedjung, Die österreichische Kaiserkrone (Anm. 10), S. 12 f. 29 Vgl. Schindling/Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit (Anm. 21), S. 28 (Vorwort).
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die Solidarität der Fürsten des Deutschen Bundes untereinander und mit dem Herrscher der Präsidialmacht. 1848/49 wurde beim Regierungsantritt Kaiser Franz Josephs (1848 – 1916)30 auf die traditionellen Krönungen – Ungarn, Böhmen, evtl. Lombardo-Venetien – verzichtet, zum einen wegen der revolutionären Ereignisse, zum andern aber auch wegen der mit Thronwechsel und Krönung verknüpften verfassungsrechtlichen Probleme. Hier zeigt sich ein pragmatischer Konservatismus Kaiser Franz Josephs und seiner Umgebung, denen historistische Einkleidungen von Herrschaft fremd waren und die ganz offensichtlich einer demonstrativen religiösen Weihehandlung keinerlei Bedeutung beimaßen. Die oktroyierte Gesamtstaatsverfassung vom 4. März 1849 sah allerdings dennoch, anders als Pillersdorfsche Verfassung vom 25. April 1848 und der nie verabschiedete Kremsierer Verfassungsentwurf, in ihren Artikeln 12 und 13 eine förmliche Kaiserkrönung vor:31 „Der Kaiser wird als Kaiser von Österreich gekrönt. Ein besonderes Statut wird diesfalls das Nähere bestimmen. Der Kaiser beschwört bei der Krönung die Verfassung. Welcher Schwur von seinen Nachfolgern bei der Krönung, sowie von dem Regenten bei Antritt der Regentschaft geleistet wird.“ Die Kaiserkrönung sollte also die Krönungen in Ungarn, Böhmen und Lombardo-Venetien sowie die früheren Erbhuldigungen, von denen ausdrücklich nicht die Rede ist, ersetzen und so die „Reichseinheit“ symbolisch zum Ausdruck bringen. Bemerkenswert ist hierbei, dass, durchaus in der Tradition älterer ständischer Verfassungen, ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen dem sakralen Krönungsakt und der Gewährleistung der Verfassung. Dies dürfte ein wesentlicher Grund gewesen sein, weshalb es bis 1851 nicht zu einer Krönung kam, hätte dies doch eine einseitige Aufhebung der Verfassung, die 1851 schließlich im Sylvesterpatent erfolgte, erschwert. Planspiele für eine Krönung gab es wieder nach dem Sylvester-Patent. Nach einem detaillierten Plan von Innenminister Alexander Bach aus dem Jahr 185432 sollte als repräsentatives symbolisches Schauspiel der neu gewonnenen Einheit von 30 Zu Kaiser Franz Joseph vgl.: Harm-Hinrich Brandt, Franz Joseph I. von Österreich (1848 – 1916), in: Schindling/Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit (Anm. 21), S. 341 – 381; Lothar Höbelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte, Wien 2009; Michaela Vocelka/Karl Vocelka, Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn, München 2015; Christoph Schmetterer, Kaiser Franz Joseph I., Wien/Köln/Weimar 2015. Vgl. auch Matthias Stickler, Die Herrschaftsauffassung Kaiser Franz Josephs in den frühen Jahren seiner Regierung. Überlegungen zu Selbstverständnis und struktureller Bedeutung der Dynastie für die Habsburgermonarchie, in: Harm-Hinrich Brandt (Hrsg.), Der österreichische Neoabsolutismus als Verfassungs- und Verwaltungsproblem. Diskussionen über einen strittigen Epochenbegriff (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, 108). Wien/Köln/Weimar 2014, S. 35 – 60. 31 Vgl. Heinz Fischer/Gerhard Silvestri (Hrsg.), Texte zur österreichischen Verfassungsgeschichte. Von der pragmatischen Sanktion zur Bundesverfassung (1713 – 1966), Wien 1970, S. 48. 32 Vgl. Bach, Punktuationen die Kaiserkrönung betreffend, in: Friedjung, Historische Aufsätze (Anm. 10), S. 20 – 23.
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Reich, Dynastie und Kronländern eine feierliche Kaiserkrönung mit der rudolfinischen Hauskrone in Wien dienen. Wenngleich Bachs Vorschläge durchaus Anlehnungen an die Frankfurter Krönungszeremonien erkennen lassen, so steht dennoch eindeutig nicht der imperiale Gedanke im Vordergrund; vielmehr ging es darum, einen zentralstaatlichen Ersatz insbesondere für die ungarische Königskrönung zu schaffen und so die lokalen Reichstraditionen in einer österreichisch-habsburgischen symbolisch aufgehen zu lassen: So sollte dem eigentlichen durch den päpstlichen Nuntius und Bischöfe der Monarchie (entweder alle Metropoliten oder nur die von Böhmen, Ungarn und Lombardo-Venetien) zu vollziehenden Salbungs- und Krönungsakt33 im Stephansdom eine Erbhuldigung aller Kronländer auf dem inneren Hofburg-Platz vorausgehen, eigene Krönungsfeierlichkeiten für Böhmen, Ungarn und Lombardo-Venetien sollte es nicht mehr geben, allenfalls eine einmalige Festkrönung in den Landeshauptstädten anlässlich des Festtags des jeweiligen Landespatrons. Offen blieb, ob, und wenn ja, in welcher Form die Kronen Böhmens, Ungarns und Lombardo-Venetiens bei der Kaiserkrönung zum Einsatz kommen sollten. Ein neuer kaiserlicher Krönungseid sollte insbesondere den bisher üblichen ungarischen Krönungseid ersetzen. Letztlich wurden die Krönungspläne Bachs nie verwirklicht. Über die genauen Gründe sind wir nicht informiert, doch dürften v. a. zwei Überlegungen den Ausschlag gegeben haben:34 Erstens hatten sich im neoabsolutistischen System Huldigungen und Krönungen erübrigt, weil diese historisch ja für eine Tradition legitimer Herrschaft auf der Basis von Mitberatung und Konsensbildung zwischen Fürst und (traditionellen) Ständen bzw. einem aus sich selbst heraus legitimierten Parlament beruhten; beides war im Neoabsolutismus nicht gegeben. Zweitens war zu befürchten, dass eine Krönung im Lichte dieser Tradition interpretiert werden, ein solches Ritual also mehr Fragen aufwerfen als beantworten würde. Eine Einbruchstelle stellte hierbei insbesondere der Plan dar, aus jedem Kronland „Repräsentanz in angemessener Zusammensetzung und Anzahl […] mit der zwei- oder dreifachen des großen Landesausschusses“ einzuberufen.35 Damit musste sich – v. a. mit Blick auf Ungarn – das alte Problem der Repräsentation des Landes ergeben mit den damit verbunden unkalkulierbaren Risiken. Letztlich konnte auch eine Krönung nur gelingen auf der Basis eines Mindestmaßes an Konsens. Damit aber war nicht zu rechnen, weil die Mehrheit der magyarischen Eliten an der Vorstellung von einer eigenen Verfassung als Ausdruck magyarisch-ungarischer Eigenstaatlichkeit festhielt. Es verwundert deshalb nicht, dass die versöhnungsbereite pragmatische Mehrheit der magyarischen Eliten im Zusammenhang mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 die (nachträgliche) Krönung Kaiser Franz Josephs zum 33 Zeitweise hatte man in Wien sogar erwogen, Papst Pius IX. selbst zu bitten, die Krönung zu vollziehen; dieser war keineswegs abgeneigt gewesen, lavierte aber vor dem Hintergrund ähnlicher Anfragen aus Paris, wo Louis Napoleon 1852 als Kaiser Napoleon III. den Thron bestiegen hatte; vgl. Friedjung, Die österreichische Kaiserkrone (Anm. 10), S. 17 – 19. 34 Vgl. hierzu Godsey Jr., Herrschaft und politische Kultur (Anm. 22), S. 177. 35 Bach, Punktuationen (Anm. 32), S. 20.
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König von Ungarn durchsetzte, wodurch sie den Verfassungsbruch von 1849 als geheilt ansahen und gleichzeitig erreichten, dass der Kaiser und König in der feierlichen Zeremonie, die nicht mehr in Preßburg, sondern erstmals in Budapest stattfand, die Verfassungsgesetze feierlich beschwor. Der ungarische Ministerpräsident Julius Graf Andrássy hatte, neben dem Fürstprimas von Ungarn, bei der Krönung eine zentrale Funktion, da er zum einen die Rolle einnahm, die vor 1848 der Erzherzog-Palatin, der stets ein Habsburger gewesen war, innegehabt hatte, und zudem beide Männer, der katholische Erzbischof von Gran/Esztergom und der Politiker, die Krönung gemeinsam vornahmen. Diese Symbolik stand vollkommen quer zu den früheren neoabsolutistischen Vorstellungen Kaiser Franz Josephs und machte deutlich, dass sich die Magyaren gegen die Krone durchgesetzt hatten. Im Grunde war der Krönungsakt vom 8. Juni 1867 eine Traditionsstiftung, die sich alter Vorbilder bediente, aber in ihrer Gesamtheit die Verfassungsverhältnisse, wie sie als Folge des Ausgleichs nun einmal waren, versinnbildlichte. Weitere Krönungsprojekte gab es, so lange Kaiser Franz Joseph regierte, nicht mehr, sieht man einmal ab von der Idee, den dann schließlich v. a. am vereinten Widerstand der Deutschliberalen und der Magyaren gescheiterten Ausgleichsversuch mit Böhmen (1871)36 durch eine feierliche Krönung Kaiser Franz Josephs zum König von Böhmen im Prager Veitsdom symbolisch zu besiegeln. Dessen Nachfolger Kaiser Karl I. (1916 – 1918), der vom sakralen Charakter seines Herrschertums zutiefst überzeugt war,37 wurde 1916 nach dem Vorbild von 1867 zum König von Ungarn gekrönt. Er plante für die Zeit nach dem Krieg auch eine Krönung zum König von Böhmen und zum Kaiser von Österreich,38 doch kam es dazu wegen des Zusammenbruchs der Habsburgermonarchie39 nicht mehr. Bis zuletzt war für das habsburgisches Kaisertum kennzeichnend, dass dessen symbolische Repräsentation im Kern defizitär war. Trat der Kaiser von Österreich repräsentativ an die Öffentlichkeit, substituierte in der Regel die Militäruniform die nicht vorhandene spezifisch kaiserliche Hoftracht – übrigens eine auffällige Parallele zum preußischen Königtum bzw. zum preußischdeutschen Kaisertum. In offiziellen Staatsportraits dominieren ebenfalls die Uniform sowie dynastische Einkleidungen, etwa die Gewandung des Ritterordens vom Goldenen Vlies.40 36 Vgl. Christian Scharf, Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart. Die Fundamentalartikel von 1871 und der deutsch-tschechische Konflikt in Böhmen (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 82), München 1996. 37 Vgl. Matthias Stickler, „Éljen a Király!“? – Die Restaurationspolitik Kaiser Karls von Österreich gegenüber Ungarn 1918 – 1921, in: Ungarn-Jahrbuch 27/2004, S. 41 – 79, hier 44 f. 38 Vgl. Stickler, Staatsorganisation und Nationalitätenfrage (Anm. 18), S. 73. 39 Vgl. Matthias Stickler, The End of the Habsburg Monarchy, in: Michael Gehler/Robert Rollinger/Philipp Strobl (Ed.), The End of Empires, Wiesbaden 2022, S. 541 – 559; Marina Cattaruzza, Das Ende Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Akteure, Öffentlichkeiten, Kontingenzen, in: HZ 308 (2019), S. 81 – 107. 40 Vgl. hierzu v. a. Hans Pauer, Kaiser Franz Joseph I. Beiträge zur Bild-Dokumentation seines Lebens, Wien 1966. Zum habsburgischen Zeremoniell vgl. ferner Daniel Unowsky, Reasserting Empire. Habsburg Imperial Celebrations after the Revolution of 1848 – 49, in:
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2. Das kleindeutsch-preußische Deutsche Reich Aber es war nicht nur die Habsburgermonarchie, die sich nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches schwertat mit imperialer symbolischer Repräsentation. Ähnliche Probleme finden wir auch beim 1871 gegründeten Deutschen Reich, das zwar auf der einen Seite eine bewusste Neugründung war, auf der anderen Seite aber in vielfältiger Weise angebliche Kontinuitäten zwischen dem römisch-deutschen und dem kleindeutsch-preußischen Kaisertum beanspruchte.41 So sprach Kaiser Wilhelm I.42 (1871 – 1888) in seiner Rede anlässlich der Kaiserproklamation in Versailles ausdrücklich von der „Wiederherstellung des Deutschen Reiches“.43 Andererseits stellte die Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871 – bezeichnenderweise der Gedenktag der Selbstkrönung Kurfürst Friedrichs III. von Brandenburg zum König in Preußen 1701 – eine hochgradig improvisierte Veranstaltung dar: Es existierten weder förmliche Reichsinsignien, noch waren solche überhaupt im Entwurf vorhanden. Für den Reichsgründungsakt im Spiegelsaal44 des Versailler Maria Bucur/Nancy Wingfield (Ed.), Staging the Past. The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the present, West Lafayette 2001, S. 13 – 45; Daniel Unowsky, The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria, West Lafayette 2005. 41 Vgl. Matthias Stickler, „Wiederherstellung des Deutschen Reiches“? Überlegungen zu Kontinuitätsfragen des kleindeutsch-preußischen Kaisertums von 1871, in: Historisches Jahrbuch 142 (2022), S. 265 – 288. Zum Verhältnis von Bürgertum und Monarchie vgl. im Überblick: Jürgen Kocka/Jakob Vogel, Bürgertum und Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Kramp (Hrsg.), Krönungen (Anm. 1), S. 785 – 794. 42 Vgl. Hellmut Seier, Wilhelm I. Deutscher Kaiser 1871 – 1888, in: Schindling/Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit (Anm. 21), S. 395 – 409; Jürgen Angelow, Wilhelm I. (1861 – 1888), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2006, 242 – 264.; vgl. ferner: Jan Markert, Der verkannte Monarch. Wilhelm I. und die Herausforderungen wissenschaftlicher Biographik, in: FBPG NF 31 (2021), S. 231 – 244; Jan Markert, Ein System von Bismarcks Gnaden? Kaiser Wilhelm I. und seine Umgebung – Plädoyer für eine Neubewertung monarchischer Herrschaft in Preußen und Deutschland vor 1888, in: Wolfram Pyta/Rüdiger Voigt (Hrsg.), Zugang zum Machthaber (Staatsverständnisse, 171), Baden-Baden 2022, S. 127 – 156. Jan Markert arbeitet aktuell an einer quellenfundierten Biographie Wilhelms I. 43 Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1966, S. 285. 44 Vgl. hierzu und zum folgenden Gustav A. Steyler (Hrsg.), J. Siebmacher’s großes und allgemeines Wappenbuch. Bd. I.1.II: Wappen der deutschen Souveraine und Lande. Neue Folge, Nürnberg 1909, S. 12 f.; Rudolf Graf Stillfried, Die Attribute des neuen deutschen Reiches, abgebildet, beschrieben und erläutert, 2. Aufl. Berlin 1874 (1. Aufl. 1872) [Digitalisat unter http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-509808] (18. 04. 2023). Vgl. auch: Matthias Stickler, „Erneuerung der Deutschen Kaiserwürde“? – Das Nachleben der frühneuzeitlichen Reichssymbolik in Preußen-Deutschland im Spannungsfeld von Tradition und Konstruktion neuer Geschichtsbilder, in: Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit (Hrsg.), „Was vom Alten Reiche blieb“. Deutungen, Institutionen und Bilder des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Koordination: Matthias Asche, Thomas Nicklas und Matthias Stickler, München 2011, S. 319 – 343; hier v. a. die zahlreichen Abbildungen. Vgl. ferner: Hugo Gerard
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Schlosses hatte Carl Louis Magnus in aller Eile ein provisorisches Wappen nach einem Entwurf des Malers Ferdinand Graf von Harrach gefertigt, welches einen einköpfigen rotbewehrten schwarzen Adler auf goldenem Grund zeigte, auf dessen Brust sich der Hohenzollernschild befand und über dem die „Karlskrone“, wie man damals sagte, also die Reichskrone des Heiligen Römischen Reiches, schwebte.45 Kronprinz Friedrich Wilhelm, dem späteren Kaiser Friedrich III. (1888),46 war es in dieser frühen Phase gelungen, sich in der Frage der Reichssymbolik gegen alle Bedenkenträger durchzusetzen, die eine gewisse Abgrenzung von der Tradition des Alten Reiches empfahlen. Er träumte in seiner reichsromantischen Begeisterung sogar davon, sich bei seiner eigenen Thronbesteigung in Aachen oder Frankfurt47 nach dem Vorbild der römisch-deutschen Kaiser salben und krönen zu lassen. Deshalb ließ er in Wien durch die deutsche Botschaft wegen der Möglichkeit einer Herausgabe der Reichskleinodien sondieren, was in Österreich-Ungarn aber auf strikte Ablehnung stieß.48 Lange hatte er auch vor, sich als Kaiser „Friedrich IV.“ zu nennen,49 damit an die Kaiserzählung des Alten Reiches anzuknüpfen und gleichzeitig den romantischen ,Friedrich-Mythos‘ mit seiner Person zu verknüpfen. In der Umgebung Kaiser Wilhelms I. setzten sich indes bald schon die Realisten gegenüber den Romantikern durch, dennoch dauerte es etwa ein Jahr, bis Anfang Februar 1872 das Heroldsamt verbindliche neue Reichsinsignien vorlegen konnte. Graf Stillfried hatte bereits im Jahr zuvor erste Entwürfe vorgelegt, die sich alle dadurch Ströhl, Deutsche Wappenrolle, Stuttgart 1897 (Reprint Braunschweig 1999) sowie Michael Bringmann, Das neue Deutsche Reich und die Kaiserkrone – Realität und Mythos, in: Kramp (Hrsg.), Krönungen (Anm. 1), S. 795 – 808. 45 Dieses Wappen, welches in Gestalt der Krone die Kontinuität des neuen Reiches zum alten besonders betonte, wurde im Spiegelsaal auf der Draperie hinter den Stufen, auf denen Kaiser Wilhelm I. stand, befestigt. Auf den bekannten Reichsgründungsgemälden von Anton von Werner ist dieses Wappen allerdings wegen der dicht davorstehenden Beteiligten nicht zu sehen. 46 Vgl. v. a. Frank Lorenz Müller, Der 99-Tage-Kaiser. Friedrich III. von Preußen – Prinz, Monarch, Mythos, München 2013; vgl. ferner Werner Richter, Friedrich III. Leben und Tragik des zweiten Hohenzollern-Kaisers, München 1981; Franz Herre, Kaiser Friedrich III. Deutschlands liberale Hoffnung. Eine Biographie, Stuttgart 1987. 47 Vgl. Elisabeth Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871 – 1918, München/Wien 1969, S. 71 f.; Theodor Schieder, Die Reichskleinodien und das Kaisertum von 1871, in: ders., Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Köln/Opladen 1961, S. 154 – 163. 48 Ebd., S. 156 f. Anfangs scheint es Überlegungen für eine Krönung Wilhelms I. auch außerhalb der Umgebung des Kronprinzen gegeben zu haben, wie eine undatierte Fotografie (wahrscheinlich eine Fotomontage) belegt, die Wilhelm I. in Uniform, angetan mit einem Hermelinmantel und einer sonst nirgendwo belegten kaiserlichen Phantasiekrone auf dem Kopf zeigt; vgl. Bringmann, Das neue Deutsche Reich (Anm. 44), S. 801. 49 Vgl. hierzu Richter, Friedrich III. (Anm. 46), S. 310; Müller, Der 99-Tage-Kaiser (Anm. 46), 128. Dass sich Friedrich später, in Anlehnung an die preußische Königszählung und in auffälliger Parallelität zum Vorgehen König Viktor Emanuels II. von Italien (1849/ 1861 – 1878), „Friedrich III.“ nannte, bedeutete zwar die Abkehr von seinen reichsromantischen Plänen, doch blieb implizit ein Rest des alten Mythos erhalten.
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auszeichnen, dass die „Karlskrone“ in der Anfang 1871 eingeführten Form nicht mehr zur Anwendung kam.50 Er war auffällig bemüht, alle Anleihen an der Tradition des Heiligen Römischen Reiches mit Bezügen zur Geschichte Brandenburg-Preußens zu verknüpfen und gab der Reichskrone im Wesentlichen ihre endgültige Form. Bei den 1889 von Kaiser Wilhelm II.51 (1888 – 1918) angeordneten Veränderungen, die der Maler, Graphiker und Heraldiker Emil Doepler der Jüngere vornahm, handelte es sich lediglich um künstlerische Verbesserungen, die die Krone archaischer erscheinen lassen sollten, an der Grundkonzeption Stillfrieds aber nichts änderten. In dieser Form wurde die Stillfriedsche Reichskrone zu einem der bekanntesten Symbole des kleindeutsch-preußischen Kaiserreichs, das insbesondere durch Briefmarken (etwa die bekannte Germania-Serie), durch Nationaldenkmäler (z. B. das Niederwald-Denkmal) und repräsentative Zweckbauten (z. B. das von 1884 bis 1894 errichtete Reichstagsgebäude Paul Wallots,52 der die Krone vielfältig als Schmuckelement einsetzte53) Popularität errang und dafür sorgte, dass die alten Reichskleinodien, die sich weiterhin in Wien befanden, dahinter zurücktraten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die neue Reichskrone, anders als die des Heiligen Römischen Reiches, die böhmische Wenzelskrone oder etwa die Heilige Stephanskrone Ungarns, eine Herrscherinsignie war, die keine sakrale oder verfassungsrechtliche Bedeutung im Hinblick auf das Herrscheramt besaß. Da es eine feierliche Krönung nach dem Vorbild des Heiligen Römischen Reichs oder auch nur eine Festkrönung beziehungsweise feierliche Präsentation der neuen Reichskleinodien bei Staatsakten nicht gab, reduzierte sich ihre Bedeutung darauf, lediglich ein rein bildliches Symbol der Reichseinheit, des 1871 gegründeten kleindeutschen Nationalstaats, zu sein. Dass eine Krönung von den 1871 politisch Handelnden nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden war, ist insofern erklärungsbedürftig, weil sich Wilhelm I. unter dem Eindruck des Verfassungskonflikts mit dem preußischen Landtag als erster Herrscher seit Friedrich III./I. 1861 in Königsberg im Rahmen einer feierlichen, 50
Vgl. Stillfried, Attribute (Anm. 44), S. 6 ff. Zu Wilhelm II. vgl. v. a. Nicolaus Sombart, Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte, Berlin 1997, sowie John C. G. Röhl, Wilhelm II. Bd. 1: Die Jugend des Kaisers, 1859 – 1888, München 1993; Bd. 2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, 1888 – 1900, München 2001; Bd. 3: Der Weg in den Abgrund, 1900 – 1941, München 2008; Christopher Clark, Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008. 52 Vgl. hierzu Michael Cullen, Der Reichstag. Die Geschichte eines Monuments, Berlin 1983; Bernhard Schulz, Der Reichstag. Die Architektur von Norman Foster, München/London/New York 2000. 53 Eben weil der Reichstag Haus der Volksvertretung und damit eines zentralen unitarischen Verfassungsorgans war, schmückte die neue Reichskrone die Reichstagskuppel, die vier die Königreiche Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg symbolisierenden Türme sowie das repräsentative Westportal. An letzterem hat sich der Kronenschmuck bis heute erhalten, nachdem die Sprengung der alten Kuppel (1954) und die radikale Purifizierung des Bauwerks in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren den meisten Darstellungen der Krone den Garaus gemacht hatten. 51
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auch kirchlich begleiteten Zeremonie in der Königsberger Schlosskirche selbst zum König von Preußen gekrönt hatte.54 Es waren v. a. drei Gründe, die nach 1871 gegen eine Kaiserkrönung sprachen: Erstens wäre ein wie auch immer geartetes Krönungsritual geeignet gewesen, den föderalistischen Charakter des Reiches in Frage zu stellen. Eine Anknüpfung an die bis 1806 gültige Praxis war allein schon deshalb unmöglich, weil diese die untergegangene Lehenspyramide mit dem Kaiser an der Spitze widerspiegelte, die unvereinbar war mit dem föderalistischen System der Reichsverfassung. Jede Traditionsneuschöpfung hätte aber das Verhältnis von Kaiser und Bundesfürsten in irgendeiner Form symbolisch zum Ausdruck bringen müssen, was die 1867 bis 1871 mühsam gefundenen Kompromisse wieder hätte in Frage stellen können. Zweitens erschien den meisten Zeitgenossen ein derartiges Ritual allein schon deshalb anachronistisch, weil eine Krönung, wie bereits erwähnt, im Kern eine sakrale Handlung war, die quer stand zur Bikonfessionalität in Deutschland. So äußerte 1871 der Breslauer Rechtsprofessor und Kronsyndikus Hermann Schultze:55 „[…] jede Anknüpfung an die veralteten Krönungsceremonien der Römischen Kaiser wäre ein folgenschwerer politischer Fehler. Abgesehen von den zu befürchtenden Rang- und Etiquettestreitigkeiten, diesen wunderlichen Auswüchsen unserer ehemaligen Reichswirthschaft, machen unsere confessionellen Verhältnisse in Deutschland jeden Krönungsact im alten Style unmöglich. War es schon den alten Reichspublicisten bedenklich, ob ein Protestant zum Kaiser gewählt werden könnte, so ist es heute geradezu undenkbar, dass ein evangelischer Kaiser, der treue Sohn der Reformation, consecrirt werde in der Bartholomäuskirche zu Frankfurt von den Händen katholischer Bischöfe. Eine spezifisch evangelische Kirchenfeier würde ebenso den Charakter der Einseitigkeit tragen und nach der anderen Seite hin unnöthig verletzen.“
Hans Liermann hat über die symbolische Repräsentation des Kaiserreichs ein geradezu vernichtendes Urteil gefällt: „Neue, bleibende Formen zu schaffen, war im 19. Jahrhundert schon nicht mehr möglich. Deswegen blieben auch die Reichsinsignien des Kaiserreichs von 1871 papierene Insignien.“56 Tatsächlich existierte die neue Reichskrone ausschließlich im Bild sowie möglicherweise noch in Gestalt eines heute verschollenen Holzmodells.57 Es scheint ernsthaft auch nie erwogen wor54
Vgl. hierzu Matthias Schwengelbeck, Monarchische Herrschaftsrepräsentation zwischen Konsens und Konflikt. Zum Wandel des Huldigungs- und Inthronisationszeremoniells im 19. Jahrhundert, in: Jan Andres/Alexa Geisthövel/Matthias Schwengelbeck (Hrsg.), Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt/ New York 2005, S. 123 – 162; Lepp, Summus episcopus (Anm. 6), S. 83 – 89. Zum preußischen monarchischen Zeremoniell vgl. ferner Martin Kohlrausch, Zwischen Traditionen und Innovation. Das Hofzeremoniell der Wilhelminischen Monarchie, in: Biefang/Epkenhans/ Tenfelde (Hrsg.), Das politische Zeremoniell (Anm. 6), 31 – 51. Die Krönung von 1861 war v. a. deshalb ein bemerkenswerter Vorgang, weil sie schon auf die Zeitgenossen anachronistisch wirkte und deshalb auch keine traditionsstiftende Wirkung entfaltete; Kaiser Wilhelm II. ließ sich 1888 nicht zum König von Preußen krönen. 55 Zitiert bei Stillfried, Attribute (Anm. 44), S. 19. 56 Liermann, Untersuchungen zum Sakralrecht (Anm. 6), S. 383. 57 Bringmann, Das neue Deutsche Reich (Anm. 44), S. 802.
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den zu sein, ,echte‘ Reichskleinodien bei Künstlern in Auftrag zu geben. Wilhelm I. hatte sich den Befehl zur tatsächlichen „Herstellung Kaiserlicher Kroninsignien“ 1871 vorbehalten, gekommen ist es dazu bis 1918 weder unter ihm noch unter seinen Nachfolgern. Weitere Reichskleinodien, etwa Reichsapfel oder Szepter, existierten nicht einmal in bildlicher Form; sie erscheinen auch nicht im kaiserlichen Wappen. Dennoch erscheint Liermanns Verdikt zu schroff. Das Kaiserreich entwickelte nämlich sehr wohl Formen symbolischer Repräsentation: Gleich nach der Thronbesteigung Wilhelms II. wurde die föderative Monarchie anlässlich seiner ersten Thronrede am 25. Juni 1888 in prächtiger Weise inszeniert, als der Kaiser zusammen mit den Bundesfürsten beziehungsweise den von ihnen entsandten fürstlichen Vertretern und den Mitgliedern des Bundesrats dem Reichstag im Weißen Saal des Berliner Schlosses gegenübertrat. Anton von Werner hat die bekannte Szene in einem berühmten Bild festgehalten.58 Im Grunde ersetzte diese Zeremonie die nicht vollzogene Krönung59 beziehungsweise knüpfte an die Tradition von Festkrönungen an. Notwendig erschien sie v. a. deshalb, weil es im noch jungen Kaiserreich für einen Thronwechsel keine historischen Vorbilder gab, an die man sich hätte halten können. Nach dem Tode Kaiser Wilhelms I. am 9. März 1888 war dieses Problem durch die schwere Krankheit des bereits vom nahen Tode gezeichneten Kaisers Friedrich III. überlagert worden. Nun galt es, den Generationswechsel vom Großvater auf den Enkel zu nutzen, um eine neue, tragfähige Tradition zu stiften.60 Die diesbezügliche Anregung kam von Großherzog Friedrich I. von Baden (1852/56 – 1907), der angesichts des doppelten Thronwechsels das Bündnis von Kaiser und Bundesfürsten und damit die Einigkeit des Fürstenkollegiums beziehungsweise die Reichseinheit durch die persönliche Anwesenheit aller einzelstaatlichen Monarchen bei der ersten Thronrede Wilhelms II. sinnfällig zum Ausdruck bringen wollte. Die Durchführung dieses Staatsakts gestaltete sich zwar im Detail schwierig und war auch von manchen Pannen begleitet,61 doch war sie letztendlich ein großer Erfolg. Bezeichnend ist allerdings auch, dass die, wie erwähnt, ja nur im Bild vorhandenen kaiserlichen Symbole 58 Abbildungen in Dominik Bartmann (Hrsg.), Anton von Werner. Geschichte in Bildern, München 1997, S. 412 f. 59 Vgl. Röhl, Wilhelm II. Bd. 2 (Anm. 51), S. 21. Vgl. auch Kocka/Vogel, Bürgertum und Monarchie (Anm. 41), S. 791. 60 Vgl. zum folgenden Röhl, Wilhelm II. Bd. 2 (Anm. 51), S. 24 ff. sowie – mit dem Schwerpunkt auf der Rolle des Reichstags bei dieser Zeremonie – Josef Matzerath, Parlamentseröffnungen im Reich und in den Bundesstaaten, in: Biefang/Epkenhans/Tenfelde (Hrsg.), Das politische Zeremoniell (Anm. 6), S. 207 – 232, v. a. 208 – 218. Nicolaus Sombart hat diese Neuerfindungen von Traditionen, die er mit „Königsritual“ und „sakraler Mitte“ umschreibt, vielleicht etwas arg überspitzt als „zweite, innere Reichsgründung“ bezeichnet; vgl. Sombart, Wilhelm II. (Anm. 51), S. 112 ff. Christopher Clark, Wilhelm II. (Anm. 51), S. 72 spricht nicht ganz zu Unrecht davon, das Kaisertum habe 1888 einem Haus geglichen, in dem die meisten Zimmer noch nie bewohnt gewesen seien. Vgl. hierzu auch Michael B. Klein, Zwischen Reich und Region. Identitätsstrukturen im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2005, S. 138 ff. 61 Vgl. Röhl, Wilhelm II. Bd. 2 (Anm. 51), S. 24 f. Röhl bietet ebd. auf den Seiten 25 bis 29 eine ausführliche Schilderung der Reichstagseröffnung.
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bei der Reichstagseröffnung durch königlich-preußische substituiert wurden:62 So wurden Wilhelm II. die preußischen Kronjuwelen vorneweg getragen, er selbst trug in Ermangelung eines kaiserlichen Ornats die Uniform der Gardes du Corps und darüber den roten Samtmantel der Ritter des königlich-preußischen Hohen Ordens vom Schwarzen Adler. Ähnliche Zeremonien wiederholten sich in den folgenden Jahren immer wieder, so etwa auch anlässlich der Feierlichkeiten zum 25jährigen Bestehen des Reiches im Jahr 1896.63 Zusammenfassend wird man festhalten dürfen, dass das Deutsche Kaiserreich keine spezifische Reichssymbolik entwickelte, es blieb vielmehr stets angewiesen auf preußische Traditionen, die zu Reichstraditionen uminterpretiert wurden; Nationale Festspiele, Siegesfeiern, die Themen von Historienmalerei und Nationaldenkmälern verfolgten ebenfalls das Ziel nationaler Sinnstiftung durch eine Mischung von germanisch-deutschen, christlich-mittelalterlichen und preußisch-protestantischen Geschichtsmythen im Sinne der Ideologie vom preußischen Reich deutscher Nation.64 Auch wenn diesen Formen symbolischer Repräsentation des neuen deutschen Kaisertums eine gewisse Künstlichkeit anhaftete, wie auch die Reichsidee des Jahres 1871 im Grunde eine große „Black Box“ war,65 in der sich christlich-romantische, borussisch-ghibellinische, preußisch-konservative, liberal-fortschrittliche, national-unitarische und partikularistisch-föderalistische Reichsvorstellungen66 gleichermaßen wiederfinden konnten, so waren diese Traditionsstiftungen dennoch recht erfolgreich. Sie sind vergleichbar mit modernen Formen monarchischer Repräsentation, die seit dem Vormärz auch andere konstitutionelle Monarchien Europas, die keine Krönungen mehr praktizierten, entwickelt hatten. Insofern folgte die Entwicklung in der kleindeutsch-preußischen Monarchie einer gemeineuropäischen Tendenz. Eine deutsche Besonderheit war allerdings die hohe Wertschätzung des Militärischen bei der Repräsentation des neuen Kaisertums; ähnlich wie beim preußischen Königtum sollte der Nimbus der Militärmonarchie für das kleindeutsch-preußische Kaisertum fruchtbar gemacht werden. 62 Dies verkennen Kocka/Vogel, Bürgertum und Monarchie (Anm. 41), S. 191; auf dem abgebildeten Portrait Wilhelms II. von Fritz Reusing aus dem Jahr 1905 sind eindeutig preußische Kronjuwelen zu erkennen. 63 Vgl. Georg W. Büxenstein (Hrsg.), Unser Kaiser. Zehn Jahre der Regierung Wilhelms II. 1888 – 1898, Berlin/Leipzig/Stuttgart 1898, S. 345 f. und die bildliche Darstellung des Staatsakts nach S. 160. 64 Vgl. hierzu Elisabeth Fehrenbach, Reich, in: Otto Brunner u. a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 423 – 508, hier 501 f. sowie v. a. Wolfgang Hardtwig, Erinnerung, Wissenschaft, Mythos. Nationale Geschichtsbilder und politische Symbole in der Reichsgründungsära und im Kaiserreich, in: Geschichtskultur und Wissenschaft. München 1990, 224 – 263; Wolfgang Hardtwig, Nationsbildung und politische Mentalität. Denkmal und Feste im Kaiserreich, in: ebd., 264 – 301. Vgl. hierzu auch die Beiträge in Biefang/Epkenhans/ Tenfelde (Hrsg.), Das politische Zeremoniell (Anm. 6). 65 Stickler, Reichsvorstellungen (Anm. 25), S. 148. 66 Zur Begrifflichkeit vgl. ausführlich Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens (Anm. 47), S. 221 ff.; Fehrenbach, Reich (Anm. 64), S. 498 – 505.
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3. Mittelstaaten des Dritten Deutschlands: Die Königreiche Württemberg, Bayern und Sachsen Vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche im Kontext des Untergangs des Heiligen Römischen Reichs, der Schaffung des Rheinbunds und der Gründung des Deutschen Bundes67 war es einigen süddeutschen Staaten, insbesondere Bayern, Württemberg und Baden,68 als Verbündeten des napoleonischen Frankreichs gelungen, in erheblichem Umfang Gebietserweiterungen zu erhalten. Bayern und Württemberg waren, wie bereits erwähnt, durch den Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805) sogar souveräne Königreiche geworden. Daraus ergaben sich für die einzelstaatliche Politik zweierlei Notwendigkeiten: Erstens die Schaffung eines einheitlichen Staatsgebiets nach französischem etatistischem Vorbild ohne Rücksicht auf die bisherigen territorialstaatlichen bzw. verfassungsrechtlichen Verhältnisse. Möglich wurde diese Revolution von oben durch den Wegfall der Garantie der altständischen Verfassungen als Folge des Preßburger Friedens bzw. der Reichsauflösung 1806. Zweitens die Sicherung der errungenen staatlichen Souveränität. Deswegen sperrten sich Württemberg und Bayern sowohl gegen Versuche, den Rheinbund in einen Bundesstaat umzuwandeln, als auch gegen Bestrebungen der französischen Hegemonialmacht, ihre innenpolitische Souveränität einzuschränken. An dieser grundsätzlichen Haltung insbesondere Bayerns und Württembergs änderte sich auch nichts nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Systems, vielmehr galt es nun, die errungene Souveränität gegen Versuche insbesondere Preußens, einen deutschen Bundesstaat zu schaffen, zu verteidigen bzw. alle Versuche abzuwehren, die seit 1802/03 stattgefundenen territorialen Veränderungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Als weiteres Problem kam seit dem Ende der Koalitionskriege drittens noch die dringend notwendige Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen hinzu; durch die Einräumung verfassungsrechtlich verbriefter Partizipationsrechte und der Garantie von Freiheit und Eigentum sollte der Boden bereitet werden für die Schaffung von Vertrauen zur Gewährung neuer Kredite. Die Verfassungspolitik der süddeutschen Staaten diente also auch und v. a. der Wahrung bzw. dem Ausbau der errungenen innenpolitischen und außenpolitischen 67
Vgl. hierzu im Überblick Michael Erbe, Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785 – 1830 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, 5), Paderborn/München 2004, v. a. S. 281 – 358; Thomas Nipperdey, 1800 – 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 11 – 101. 68 Zur Geschichte Badens, Bayerns und Württembergs vgl. v. a. Peter Claus Hartmann, Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute, 3. Aufl. Regensburg 2012, S. 351 – 462; Volker Press, Südwestdeutschland im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons, in: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons [Ausstellungskatalog]. Bd. 2: Aufsätze. Stuttgart 1987, S. 9 – 24; Hansmartin Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der württembergischen Geschichte. Bd. III: Vom Ende des Alten Reiches bis zum Ende der Monarchien, Stuttgart 1992; Max Spindler (Begr.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Neu hrsg. von Alois Schmid, 2. völlig neu bearbeitete Aufl. München 2003 (v. a. S. 3 – 438); Das Königreich Württemberg. 1806 – 1918. Monarchie und Moderne, Stuttgart 2006.
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Souveränität, ähnlich wie 1776 in den USA, 1812 in Spanien oder 1814 in Norwegen.69 Im Ergebnis kam es in Baden, Bayern und Württemberg zur Gewährung moderner Verfassungen nach dem Muster des monarchischen Konstitutionalismus mit Vorrang des Herrschers,70 wie er idealtypisch in der Charte constitutionnelle des unter dem aus dem britischen Exil zurückgekehrten König Ludwig XVIII. (1814 – 1824) restaurierten Königreichs Frankreich vom 4. Juni 1814 verwirklicht worden war. Der sogenannte „Süddeutsche Konstitutionalismus“71 hatte weitreichende, systemstabilisierende Folgen für Baden, Bayern und Württemberg. Die drei Verfassungen erwiesen sich im langen 19. Jahrhundert als sehr anpassungsfähig und galten bis zum Ende der Monarchie im Jahr 1918. Ein Sonderfall unter den Staaten des Dritten Deutschlands stellte das Kurfürstentum bzw. Königreich Sachsen dar:72 Dieses war, wie die meisten größeren deutschen Staaten um 1800, formaljuristisch eine monarchische Union von Ständestaaten, die zusammengehalten wurde durch die regierende Dynastie, die albertinische Linie des Hauses Wettin: Neben den sogenannten sächsischen Erblanden gab es insbesondere die „Stiftslande“ (die säkularisierten ehemaligen Fürstbistümer Merseburg und Naumburg) und die beiden Markgrafschaften Ober- und Niederlausitz. An diesem Zustand änderte auch die Annahme des Königstitels als Folge des Posener Friedens 69
Vgl. Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 150), Göttingen 1999, S. 308. 70 Zum Begriff „monarchischer Konstitutionalismus“ und den damit verbundenen Forschungskontroversen vgl. ausführlich ebd., S. 40 – 94. 71 Zum Süddeutschen Konstitutionalismus vgl. neben Kirsch, Monarch und Parlament (Anm. 69) v. a. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration. 1790 – 1830, 2. Aufl. Stuttgart u. a. 1967, S. 314 – 386; Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl. Stuttgart u. a. 1978; Hans Boldt (Hrsg.), Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975; Peter Ehrle, Volksvertretung im Vormärz. 2 Bde., Frankfurt am Main 1979. Vgl. ferner Matthias Stickler, Monarchischer Konstitutionalismus als Modernisierungsprogramm? Das Beispiel Bayern und Württemberg (1803 bis 1918), in: Frank-Lothar Kroll/Dieter J. Weiß (Hrsg.), Inszenierung oder Legitimation? / Monarchy and the Art of Representation. Die Monarchie in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich (Prinz-Albert-Studien, 31). Berlin 2015, S. 47 – 65. Zu den speziellen Verhältnissen in Württemberg vgl. Matthias Stickler, Von der Landschaft zur Verfassung von 1819. Württembergs Weg zum monarchischen Konstitutionalismus (1514 – 1819), in: Gehrke (Hrsg.), Aufbrüche in die Moderne (Anm. 22), S. 73 – 102. 72 Zur Geschichte Sachsens vgl. Reiner Groß, Geschichte Sachsens, Berlin 2001; Uwe Schirmer (Hrsg.), Sachsen 1763 – 1832. Zwischen Rétablissement und bürgerlichen Reformen (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft, 3), 2. Aufl. Beucha 2000; Guntram Martin/ Jochen Vötsch/Peter Wiegand (Hrsg.), 200 Jahre Königreich Sachsen. Beiträge zur sächsischen Geschichte im napoleonischen Zeitalter (Saxonia, 10), Beucha 2008; Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Die Herrscher Sachsens – Markgrafen, Kurfürsten, Könige 1089 – 1918, München 2004. Vgl. ferner Matthias Stickler, Dynastie, Armee, Parlament – Probleme staatlicher Integrationspolitik im 19. Jahrhundert am Beispiel Österreichs und Sachsens, in: Winfried Müller/Martina Schattkowsky (Hrsg.), Zwischen Tradition und Modernität. König Johann von Sachsen 1801 – 1873, Leipzig 2004, S. 109 – 140.
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am 29. Dezember 1806 durch Kurfürst Friedrich August III. (1750 – 1827, Kurfürst 1763 – 1806, als Friedrich August I. König 1806 – 1827)73 nichts. Anders als die süddeutschen Monarchen nutzte der neue König den Untergang des Reiches nicht dazu, die intermediären Gewalten zu beseitigen und einen zentralistischen Einheitsstaat aufzubauen. Zwar empfahlen die sogenannte Wiederaufhelfungskommission (1807/08) und der Landtag des Jahres 1811 eine Vereinheitlichung des Staatsgebietes und die Beseitigung der Sonderverfassungen, doch wurden diese Vorschläge von der Krone zunächst abgelehnt und dann ihre Verwirklichung durch den Krieg gegen Russland (1812) und die Niederlage Sachsens im Kontext des Zusammenbruchs des napoleonischen Systems blockiert. Sachsen verlor durch den Wiener Kongress etwa zwei Drittel seines Territoriums und knapp die Hälfte seiner Bevölkerung. Diese seit seiner Niederlage im Siebenjährigen Krieg größte Katastrophe Sachsens minderte paradoxerweise den Reformdruck und trug sogar zur Stärkung der Stellung der Dynastie bei, weil Friedrich August I. als scheinbar unschuldiges Opfer ungerechter preußischer Machtpolitik zum populären Symbol des sächsischen Selbstbehauptungswillens avancierte.74 Allerdings nutzte der im Grunde entscheidungsscheue König die Gunst der Stunde nicht zu einer kraftvollen Reformpolitik, die Vorkriegspläne zu einer grundlegenden Reform des Staates wurden nicht mehr aufgegriffen. Sachsen erhielt, anders als die süddeutschen Staaten, keine moderne Verfassung; vielmehr wurden die vormodernen Verhältnisse einfach fortgeschrieben. Bissig, aber, was die Bildsprache anbelangt, in der Sache durchaus erhellend, schrieb der Historiker Heinrich von Treitschke, der selbst aus Sachsen stammte, später, dass „der weite Mantel der alten Verfassung […] dem verkleinerten Staate schlotternd um die Glieder [hing]“; der König habe „das verrostete Uhrwerk“ noch einmal aufgezogen.75 Erst nach dem Tode Friedrich Augusts I. wurde das Königreich im Gefolge der Unruhen, die nach der Pariser Juli-Revolution auch auf Deutschland übergriffen, eine konstitutionelle Monarchie mit einer entsprechenden Verfassung (1831). Die von Bayern und Württemberg 1805/06 errungene Königswürde und die damit verbundene staatliche Souveränität wurde in beiden Königreichen, auch im Hinblick auf die zu leistenden Integrationsanstrengungen, durch die Anfertigung einer Königskrone bzw. von Kronjuwelen symbolisch zum Ausdruck gebracht. König Friedrich I. von Württemberg (1797/1806 – 1816)76 griff hierbei auf den Herzogshut des vormaligen Herzogtums Württemberg zurück, den er bereits 1795 als Erbprinz
73 Zu Friedrich August III. (I.) vgl. Walter Fellmann, Sachsens Könige. 1806 bis 1918, München u. a. 2000, S. 11 – 64; Winfried Halder, Friedrich August III./I. (1763/1806 – 1827), in: Kroll (Hrsg.), Die Herrscher Sachsens (Anm. 72), S. 203 – 222. 74 Vgl. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 3, 6. Aufl. Leipzig 1908, S. 498 f. 75 Ebd., S. 505 f. 76 Vgl. Paul Sauer, Der schwäbische Zar. Friedrich – Württembergs erster König, Stuttgart 1984.
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hatte umarbeiten lassen, um ihn prächtiger zu gestalten.77 Der Herzogshut sah seit 1797 aus wie eine Krone, und in dieser Form fand er auch in dem bekannten, von Johann Baptist Seele gemalten Königsportrait Friedrichs I. aus dem Jahr 1806 Verwendung.78 D. h., der „modernisierte“ Herzogshut, der als Folge der Erhebung Württembergs zum Kurfürstentum im Jahr 1803 bis 1805/06 durch einen Kurhut verdrängt worden war, wurde, weil er sich dazu gut eignete, zur Krone des neuen Königreichs erklärt. Diese erste Königskrone Württembergs fand am 6. Januar 1807 Verwendung anlässlich einer Huldigungsfeier im Weißen Saal des Stuttgarter Schlosses. Die von Württemberg mediatisierten Fürsten und Grafen mussten Friedrich I. den Huldigungseid leisten und dabei die Krone, die, gebettet auf ein Kissen, auf einem Tisch rechts vom Thron lag, berühren. In den nächsten Jahren fand die Krone in ähnlicher Weise zeremonielle Verwendung am Neujahrstag, an dem jährlich die Annahme der Königswürde gefeiert wurde, und bei Vermählungen und Todesfällen in der königlichen Familie. Auf dem Haupt getragen wurde die Krone von Friedrich I. nicht, sie symbolisierte durch ihre Anwesenheit bei Staatsakten das Königtum bzw. die Souveränität des württembergischen Staates. Ein wenig erinnert diese Praxis an die Heiltumsweisungen, wenn die Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reichs dem Volk zur Verehrung präsentiert wurden.79 Natürlich handelte es sich bei einer solchen Krone nicht mehr um eine Reliquie, dennoch haftete ihr etwas Zivilreligiös-Sakrales an bzw. wurde ihr zugesprochen. Insofern knüpfte Friedrich I. hier durchaus an ältere vormoderne Traditionen an und versuchte, diese fruchtbar zu machen für sein Projekt der Schaffung des neuwürttembergischen Staates. Zwischen 1809 und 1813 ließ Friedrich I. dann an der Krone weitere Veränderungen vornehmen, die ihren königlichen Charakter noch stärker hervortreten ließen. Erst jetzt erhielt die württembergische Königskrone das Aussehen, das sie, trotz kleinerer Veränderungen in den folgenden Jahrzehnten, bis heute hat.80 Eine förmliche Krönung hat es im Königreich Württemberg nie gegeben. Bis 1918 hielt sich aber die von Friedrich I. gestiftete Tradition, die Krone als Symbol des monarchischen Staates bei Staatsakten zu präsentieren. An weiteren Kronjuwelen gab es noch ein Reichsschwert, welches ebenfalls bei dem Staatsakt vom 6. Januar 1807 zum Einsatz kam, und ein Szepter, welches zum ersten Mal im August 1807 nachweisbar ist. Auffällig ist, dass bei den offiziellen Staatsportraits der Könige von Württemberg die Krone nur auf dem bereits erwähnten Gemälde, das Friedrich I.
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Vgl. hierzu und zum Folgenden, sofern nicht anders angegeben Das Königreich Württemberg. 1806 – 1918, S. 44 f. 78 Vgl. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:King_Friedrich_von_W%C3%BCrttem berg-Johann_Baptist_Seele-IMG_5319.JPG (07. 03. 2023). 79 Vgl. Franz Kirchweger, Die Reichskleinodien in Nürnberg in der Frühen Neuzeit (1525 – 1796): Zwischen Glaube und Kritik, Forschung und Verehrung, in: Heinz Schilling/Werner Heun/Jutta Götzmann (Hrsg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 1962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. Essays, Dresden 2006, S. 187 – 199. 80 Vgl. die Abbildung in: Das Königreich Württemberg (Anm. 77), S. 24.
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zeigt, abgebildet ist:81 Hier steht er gewandet in eine Rüstung, angetan mit dem Reichsschwert und bekleidet von einem königlichen Hermelinumhang vor dem Königsthron und greift nach der Krone – eine Darstellung, die das Selbstverständnis des „Schwäbischen Zaren“ als absolutistischer Herrscher eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Auffällig ist, dass auf den Staatsportraits der späteren Nachfolger Friedrichs I. die Krone gar nicht mehr auftaucht, sich die Könige Wilhelm I., Karl und Wilhelm II., die allesamt konstitutionelle Monarchen waren, sich nun, durchaus zeittypisch, in Uniform präsentierten, aber weitgehend auf demonstrative Machtsymbole verzichten. In gewisser Weise folgt hier die Darstellung der Verfassungsentwicklung. Letztlich war die Umwidmung des Herzogshuts zu einer Königskrone eine recht erfolgreiche Traditionsstiftung, die zudem die Kontinuität württembergischer Staatlichkeit betonte. Im Königreich Bayern82 verhielt es sich im Hinblick auf die 1805/06 errungene Königswürde insofern etwas anders als in Württemberg, als das Haus Bayern von Anfang an die Erhöhung der Dynastie als logische Konsequenz ihrer ruhmreichen Vergangenheit und als Rückkehr zu vergangener Größe interpretierte. Deshalb war in der öffentlichen Proklamation durch den Landesherold am 1. Januar 1806 davon die Rede, „dass das Ansehen und die Würde des Herrschers in Baiern seinen alten Glanz und seine vorige Höhe zur Wohlfahrt des Volkes, und zum Flor des Landes wieder erreicht“ habe.83 In der offiziellen Verlautbarung im Königlich-Baierischen Regierungsblatt hieß es außerdem noch, es habe sich durch die „unerschütterliche Treue Unserer Unterthanen, und die vorzüglich bewiesene Anhänglichkeit der Baiern an Fürst und Vaterland […] der baierische Staat […] zu seiner ursprünglichen Würde emporgehoben.“84 Und im offiziellen Protokoll der Königsproklamation wurde außerdem versichert, der König habe selbst den Entschluss gefasst, „den dem Regenten Baierns angestammten Titel eines Königs von Baiern anzunehmen“.85 Auch wenn die Beweggründe für diese Begründungen, die man durchaus als Geschichtsklitterung bezeichnen kann, natürlich darin zu suchen sind, dass aus Sicht der bayerischen Regierung die Tatsache, dass Bayern die Erhebung zum Königreich 81
Vgl. hierzu und zum folgenden ebd., S. 40 – 43. Vgl. zum folgenden, sofern nicht anders angegeben Dieter J. Weiß, Krone ohne Krönung. Symbole und Repräsentation der bayerischen Monarchie, in: Clemens Wachter u. a. (Hrsg.), Festschrift Werner K. Blessing. Zum 65. Geburtstag gewidmet von Kollegen, Freunden und Schülern (Jahrbuch für fränkische Landesforschung, 66), Stegaurach 2006, 181 – 194; vgl. ferner zum Thema Johannes Erichsen/Katharina Heinemann (Hrsg.), Bayerns Krone 1806. 200 Jahre Königreich Bayern, München 2006 (hier v. a. der Beitrag von Sabine Heym, Prachtvolle Kroninsignien für das Königreich Bayern, aber keine Krönung, S. 37 – 49); Hans Ottomeyer, Die Kroninsignien des Königreiches Bayern, München 1979. 83 Ferdinand Kramer, Bayerns Erhebung zum Königreich. Das offizielle Protokoll zur Annahme der Königswürde am 1. Januar 1806 (mit Edition), in: ZBLG 68/2 (2005), S. 815 – 834, hier 833 f.; Erichsen/Heinemann (Hrsg.): Bayerns Krone (Anm. 82), S. 20. 84 Kramer, Bayerns Erhebung (Anm. 83), S. 833; Erichsen/Heinemann (Hrsg.), Bayerns Krone (Anm. 82), S. 21. 85 Kramer, Bayerns Erhebung (Anm. 83), S. 830. 82
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Napoleon verdankte, überdeckt werden musste, so gilt es doch festzuhalten, dass das Haus Bayern als eine Dynastie, die bereits römisch-deutsche Kaiser gestellt und wegen ihrer Verwandtschaft mit den Staufern schon im Spätmittelalter als königsfähig gegolten hatte, nicht ganz zu Unrecht ein entsprechendes Selbstbewusstsein zum Ausdruck brachte. Zumal, und das kommt in den Formulierungen ebenfalls zum Ausdruck, das neue Königreich Anspruch darauf erhob, an ein behauptetes frühmittelalterliches bayerisches „Regnum“ anzuknüpfen, für welches es vereinzelte Quellenzeugnisse tatsächlich gibt.86 Für König Maximilian I. Joseph (1799/1806 – 1825)87 – zumeist Max I. Joseph genannt – und seinen Leitenden Minister Maximilian Graf Montgelas88 war es nun ebenfalls von großer Wichtigkeit, für die neue Würde eine angemessene symbolische Repräsentation zu finden. Obwohl der in München anwesende Kaiser Napoleon einen entsprechenden Wunsch geäußert hatte, fand im Januar 1806 keine Krönung statt, hätte eine solche in Gegenwart des Kaisers doch die realen Machtverhältnisse allzu deutlich zum Ausdruck gebracht. In der bereits erwähnten öffentlichen Verlautbarung des Königs hieß es deshalb: „Unsere feyerliche Krönung und Salbung haben Wir auf eine günstigere Jahrszeit Vorbehalten, welche Wir in Zeiten öffentlich bekannt machen werden.“89 Gut begründbar war diese Entscheidung v. a. deswegen, weil Bayern weder Kronjuwelen noch einen Krönungsornat besaß. Ein erster Termin für die Krönung wurde für den 12. Oktober 1806 in der St.-Michaels-Hofkirche ins Auge gefasst, doch scheiterte dieser Plan daran, dass Kronjuwelen und Krönungsornat zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig waren. Die Kronjuwelen (Krone, Szepter, Reichsapfel, Reichsschwert und Siegelkasten sowie eine weitere Krone und ein Diadem für die Königin)90 wurden in Paris angefertigt; die Entwürfe lieferte Napoleons Architekt Charles Percier, ausgeführt wurden sie von Jean Baptist Leblond und Martin-Guillaume Biennais. Ebenso wurde der Krönungsornat für König und Königin in Auftrag gegeben und nach dem Vorbild des Krönungsornats Napoleons von 1804 von Blanchon Cortet in Lyon angefertigt.91 Anfang März 1807 waren Kronjuwelen und Krönungsornat fertig und in München vorhanden. Nun wurde Ostern 1807 als Termin für eine Krönung ins Auge gefasst. Doch auch dieser Termin platzte, weil etwa zur gleichen Zeit die seit 1806 laufenden 86
Vgl. Weiß, Krone ohne Krönung (Anm. 82), S. 182. Vgl. Adalbert Prinz von Bayern, Max I. Joseph. Pfalzgraf, Kurfürst und König, München 1957; Hubert Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat (Wittelsbach und Bayern, III.1, III.2). 2 Bde., München 1980. 88 Vgl. Eberhard Weis, Montgelas. Bd. 1: Zwischen Revolution und Reform 1759 – 1799, 2. Aufl. München 1988; Bd. 2: Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799 – 1838, München 2005. 89 Kramer, Bayerns Erhebung (Anm. 83), S. 833; Erichsen/Heinemann (Hrsg.), Bayerns Krone (Anm. 82), S. 21. 90 Abbildungen der einzelnen Gegenstände bei Erichsen/Heinemann (Hrsg.), Bayerns Krone (Anm. 82), S. 37 – 41 und 248 f. 91 Abbildungen ebd., S. 246 f. 87
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Konkordatsverhandlungen zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl scheiterten. Dies verhinderte eine Reorganisation der als Folge der Säkularisation darniederliegenden katholischen Kirche in Bayern und die von Max I. Joseph geplante Erhebung Clemens Wenzeslaus’ von Sachsen, des letzten Kurfürsten von Trier und vormaligen Fürstbischofs von Augsburg zum Metropoliten einer neu zu umschreibenden Erzdiözese München und Freising. Dieser war als Krönungsbischof in Aussicht genommen worden, hätte als dem Haus Bayern standesgemäß ebenbürtiger Agnat der albertinischen Linie des Hauses Wettin, ehemaliger Reichsfürst und neuer oberster katholischer Bischof im Königreich Bayern einer Krönungszeremonie den nötigen kirchlichen Glanz verliehen und wäre zudem ein eindrucksvolles Symbol der Schaffung einer bayerischen „Reichskirche“ gewesen. Auch in den folgenden Jahren kam es, obwohl es weiter Planungen dafür gab, zu keiner Krönung zum König von Bayern; das lag natürlich auch an den kriegerischen Zeitläuften, die dem bayerischen Staate viele militärische und v. a. finanzielle Lasten auferlegten. Dass Max I. Joseph den Gedanken bis zu seinem Tode nie ganz aufgab, zeigt sich unter anderem daran, dass er die Krönungsmäntel in den folgenden Jahren prächtiger gestalten und zwischen 1813 und 1818 zwei Krönungswagen bauen ließ. Auch die Nachfolger Max I. Joseph ließen sich nicht krönen. Die Frage muss offenbleiben, ob, wenn es 1806/07 zu einer traditionellen Krönung gekommen wäre, dieses Ritual traditionsbildend hätte wirken können. Dieter Weiß hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es in Bayern keine entsprechenden Traditionen gab, an die man hätte anknüpfen können, und der sakrale Charakter überkommener Krönungsrituale im 19. Jahrhundert nicht neu begründet werden konnte. Ein Rückgriff auf die Selbstkrönung Napoleons war für das selbstbewusste neue Königreich ebenfalls problematisch und verbot sich nach Napoleons Sturz ohnehin.92 Bemerkenswert ist aber, dass die ja inzwischen vollständig vorhandenen Krönungsinsignien nicht einfach einer musealen Verwendung zugeführt wurden, sondern das Königreich Bayern, ähnlich wie Württemberg, dieses sogar übertreffend, neue Formen königlicher Repräsentation entwickelte, in denen die Krönungsinsignien eine wichtige Rolle spielten; auch hier erkennt man wieder gleichsam einen zivilreligiös-sakralen Charakter derartiger Präsentationen, der an die früheren Heiltumsweisungen erinnert. Wichtiger Bezugspunkt für das neue Zeremoniell war das Inkrafttreten der Verfassung des Königreichs im Jahr 1818. König Max I. Joseph fuhr am 4. Februar 1819 erstmals im zweiten Krönungswagen zur feierlichen Eröffnung des Landtags in der Prannerstraße. Ihm folgte der erste Krönungswagen, in dem die Königskrone zusammen mit den übrigen Insignien und der Verfassungsurkunde transportiert wurden. Sie wurden in Gegenwart des Königs und des Landtags auf Präsentationskissen in der Nähe des Königs als Symbole des Königreichs und seiner Verfassungsordnung gezeigt. Diese Inszenierung, bei der das Königreich Bayern nun in der Tat monarchische Pracht entfaltete und den Zuschauern viel fürs Auge bot, erwies sich als überaus traditionsfähig und fand seither, auch in modifizierter Form, seine Fortsetzung: Bei 92
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der Thronbesteigung eines neuen Monarchen und dem damit verbundenen Verfassungseid des Königs bzw. der Erbhuldigung des Landtags, bei Landtagseröffnungen, feierlichen Auffahrten, etwa auch bei Hochämtern und bei Staatsbegräbnissen von Monarchen. Letzteres überlebte sogar den Untergang der bayerischen Monarchie: König Ludwig III.93 (1912/1913 – 1918) wurde nach seinem Tode 1921 mit seiner bereits 1919 verstorbenen Frau in einer als privat deklarierten öffentlichen Feier in München zu Grabe getragen, bei der sich die Pracht des bayerischen Königtums noch einmal voll entfaltete.94 Sein Sohn Kronprinz Rupprecht95 wurde 1955 vom Freistaat Bayern, an der Spitze Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD), mit einem Staatsbegräbnis geehrt, bei dem die Königskrone letztmals zu diesem Zweck öffentlich gezeigt wurde.96 Die Kroninsignien gehören seit 1923 der Wittelsbacher Landestiftung. Präsent waren die Krönungsinsignien des Königreichs Bayern, anders als in Württemberg, bis 1918 auch auf den offiziellen Herrscherportraits:97 Bereits unter Max I. Joseph entstand 1818 eine gleichsam ikonische Darstellungsform,98 die mit kleineren Abwandlungen bis zum Ende der Monarchie verbindlich blieb und die den Monarchen mit den Krönungsinsignien stets zusammen mit der Verfassungsurkunde des Königreichs zeigte.99 Insofern amalgamierte die monarchische Symbolik mit dem wichtigsten Symbol des Konstitutionalismus, weshalb diese Staatsportraits, deren Darstellungsprinzipien sich in ähnlicher Form auch bei vielen Bronzestatuen der bayerischen Könige finden, immer auch Verfassungsdenkmäler sind.100 Das bekann-
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Vgl. Stefan März, Ludwig III. Bayerns letzter König, Regensburg 2014. Vgl. Dieter J. Weiß, Beisetzung Ludwigs III., München, 5. November 1921, publiziert am 11. 05. 2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikonbayerns.de/Lexikon/Beisetzung_Ludwigs_III.,_München,_5._November_1921 (06. 03. 2023); dort auch weitere Literaturangaben. 95 Vgl. Dieter J. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869 – 1955). Eine politische Biografie, Regensburg 2007. 96 Vgl. Dieter J. Weiß, Beisetzung Kronprinz Rupprechts, München, 6. August 1955, publiziert am 06. 09. 2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexi kon-bayerns.de/Lexikon/Beisetzung_Kronprinz_Rupprechts,_München,_6._August_1955 (06. 03. 2023); dort auch weitere Literaturangaben. 97 Vgl. Weiß, Krone ohne Krönung (Anm. 82), S. 190 f. 98 Vgl. die Abbildung in Erichsen/Heinemann (Hrsg.), Bayerns Krone (Anm. 82), S. 272 und 279. 99 Lediglich König Ludwig II. (1864 – 1886) wählte hier eine abweichende Darstellung: Bei seinem Staatsportrait, das 1865 Ferdinand von Piloty anfertigte, fehlt interessanterweise die Verfassungsurkunde; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_II._(Bayern)#/media/Da tei:K%C3%B6nig_Ludwig_II._von_Bayern_in_Generalsuniform_mit_dem_Kr%C3%B6nungs mantel.jpg. (06. 03. 2023). Zu Ludwig II. vgl. zuletzt Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit (Landesausstellung Schloss Herrenchiemsee, 14. Mai bis 16. Oktober 2011), 2 Bde., Augsburg 2011. 100 Vgl. hierzu Hans-Michael Körner, Staat und Geschichte in Bayern im 19. Jahrhundert, München 1992. 94
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teste Gemälde in diesem Zusammenhang dürfte das König Ludwigs I.101 (1825 – 1848) sein, das Joseph Karl Stiehler im Jahr 1826 schuf.102 Die weiter oben beschriebene Sonderentwicklung im Königreich Sachsen bei der Ausbildung moderner Staatlichkeit hatte Folgen auch für die monarchische Repräsentation, die signifikant abweicht von der in Bayern und Württemberg: König Friedrich August I. hatte seine maßgeblichen Prägungen als Mensch und Herrscher im 18. Jahrhundert empfangen. Von seinem Wesen her war er auf der einen Seite strukturkonservativ und standesbewusst, auf der anderen Seite aber auch sehr nüchtern. Beides verhinderte, dass er die Sympathie, die ihm 1815 entgegenschlug, für die aktive Neustiftung von Traditionen bzw. eine entsprechende symbolische Repräsentation der Dynastie nutzte, die es ermöglicht hätte, das sächsische Restkönigreich quasi von oben neu zu gründen und den verbliebenen Landesteilen eine neue, dezidiert dynastisch fundierte Identität zu verleihen. Zwar führte Friedrich August I. nach seiner Rückkehr die eigentlich traditionslosen Farben weiß-grün als neue Landesflagge des Rumpfstaates ein und wurde damit, ohne dass er dies wirklich beabsichtigt hätte, zum Schöpfer des bis heute populärsten sächsischen Staatssymbols.103 Doch schlachteten der König bzw. die Dynastie die 1806 erfolgte und 1815 trotz der Landesteilung bestätigte Standeserhöhung der Albertiner, anders als die übrigen mittelstaatlichen Könige, nicht propagandistisch bzw. geschichtspolitisch aus: So gab es weder 1806 noch in den Jahren nach 1815 eine feierliche Krönung, obwohl es Vorbilder hinsichtlich der Krönung Kurfürst Friedrich Augusts I. („August der Starke“) und Kurfürst Friedrich Augusts II. zu Königen von Polen gegeben hätte. Letztlich folgte Sachsens erster König hier dem Vorbild Bayerns und Württembergs. Dass er in diesem Punkt zurückhaltend war, wird man wohl auch damit erklären können, dass jede Form der Krönung an der alten Hypothek der Dynastie in ihrem Verhältnis zu den Eliten des Landes gerührt hätte, nämlich der Tatsache, dass die albertinische Linie des Hauses Wettin seit der Konversion Augusts des Starken 1697 katholisch war und damit einer winzigen religiösen Minderheit im Lande104 angehörte, die erst durch den Posener Frieden von 1806 überhaupt die formelle bürgerliche Gleichberechtigung erhalten hatte. Dennoch blieben die Katholiken bis 1918 eine von der lutherischen Mehrheit misstrauisch beäugte und häufig diskriminierte Randgruppe. Die Albertiner behandelten ihren Glauben deshalb als Privatsache und unterließen alles, was als „gegenreformatorische“ Tendenzen hätte aufgefasst werden können. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass es bis zum Ende der Monarchie in Sachsen, obwohl der König katholisch war, dort keine wirkliche katholische 101 Vgl. Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1987. 102 Vgl. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/47/Ludwig_I_of_Bavaria.jpg (06. 03. 2023). 103 Vgl. hierzu Fellmann, Sachsens Könige (Anm. 73), S. 60. 104 Lediglich in der Hauptstadt Dresden und der Oberlausitz gab es nennenswerte katholische Minderheiten, im gesamten Land ca. 29.000 Katholiken bei 1,7 Millionen Einwohnern, was einem Anteil von etwa 1,7 % der Bevölkerung entspricht.
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Hierarchie in Gestalt eines Bistums gab. Jede Beteiligung eines katholischen Bischofs an einer Krönung oder auch nur die Zelebration einer katholischen Messe aus Anlass einer Krönung bzw. Inthronisationsfeier, die ja dann zwangsläufig einen offiziellen Charakter gehabt hätte, wäre von den protestantischen Eliten des Königreichs, eben weil es sich um eine Sakralhandlung handelte, zweifellos als schwere Provokation empfunden worden. Insofern war es ein Gebot der Klugheit, auf eine Krönung zu verzichten. Dadurch blieb der Dynastie die Loyalität der Eliten des Königreichs erhalten. Dennoch verwundert es, dass König Friedrich August I. und seine Nachfolger, anders als die Könige von Bayern und Württemberg, keine Königskrone bzw. Kronjuwelen anfertigen ließen; die Königskrone existierte lediglich als heraldisches Symbol. Dieser nüchterne Stil begründete eine eigentümliche Tradition: Sachsen blieb bis 1918 das einzige deutsche Königreich, das auf die Anfertigung realer königliche Herrschaftssymbole verzichtete.105 Diese Zurückhaltung erinnert stark an das kleindeutsch-preußische Kaisertum und zeigt letztlich, dass das 1806 begründete sächsische Königtum traditionslos war und die Dynastie auch nicht in der Lage war, eine solche Tradition zu stiften. Paradoxerweise trug aber gerade der Verzicht auf diese Form symbolischer Repräsentation dazu bei, dass der 1815 entstandene sächsische Rumpfstaat eine eigene, in sich ruhende staatliche Identität ausbildete. III. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass wir für das 19. Jahrhundert wirklich von einer Krise der Krönung sprechen können. Traditionelle Krönungen, wie sie sich im frühen Mittelalter herausgebildet hatten, wurden in Nord-, Süd-, Mittel- und Westeuropa bei Herrscherwechseln immer mehr zur Ausnahme. Königreiche, deren Verfasstheit sich durch Revolutionen oder Verfassungsänderungen hin zu Konstitutionalismus und Parlamentarismus veränderten, ersetzten Krönungen zunehmend durch andere Formen der förmlichen Herrschaftsübernahme, neu gegründete Königreiche führten Krönungen erst gar nicht ein. Im Mittelpunkt der neuen Formen stand zumeist eine Eidesleistung des Herrschers vor dem Parlament. Dieser Wandel betrifft sowohl protestantische Staaten, wo Krönungen schon im Gefolge der Reformation unter Rechtfertigungsdruck geraten waren, als auch katholische, wo der sakrale Charakter des Krönungsrituals zwar noch länger vermittelbar war, Krönungen dann aber auch immer mehr an Bedeutung verloren und durch andere Formen ersetzt wurden. So wurde in Frankreich die Krönung 1830 endgültig abgeschafft, in Belgien 105 Entsprechend anders wurden dort Landtagseröffnungen inszeniert; vgl. hierzu Matzerath, Parlamentseröffnungen (Anm. 60), v. a. S. 218 – 231. Selbst das Königreich Hannover, dessen monarchische Repräsentation, gemessen an anderen Staaten, ebenfalls unterentwickelt war, verfügte über eine reale Königskrone; vgl. Dietmar Storch, Die hannoversche Königskrone. Ursprung, Geschichte und Geschicke eines unbekannten monarchischen Herrschaftszeichens des 19. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 54 (1982), S. 217 – 250.
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wurde sie nie eingeführt, im Kaisertum Österreich und in den Königreichen Bayern, Württemberg, Hannover und Sachsen konnten sich nach 1804/06 keine Krönungen etablieren, und ebenso wenig war die Selbstkrönung König Wilhelms I. 1861 in Preußen traditionsfähig. Im Königreich Dänemark, wo die die Krönung bereits 1660 durch eine Königssalbung ersetzt worden war, wurde diese im Zuge der Konstitutionalisierung des Landes im Jahr 1848 abgeschafft. In Schweden gibt es seit der Thronbesteigung König Gustavs V. im Jahr 1907 keine Krönung mehr. In Norwegen, das 1905 von Schweden unabhängig geworden war, wurde der erste König der Neuzeit Haakon VII. zwar 1906 im Trondheimer Dom gesalbt und gekrönt, doch wurde dieses Ritual bereits zwei Jahre später durch eine Verfassungsänderung wieder abgeschafft. Die letzte Krönung eines Papstes mit der Tiara fand 1963 bei der Inthronisation Papst Pauls VI. statt. Sein Nachfolger Johannes Paul I. ließ sich 1978 nicht mehr krönen, ebenso wenig dessen Nachfolger bis heute. Bemerkenswert sind die „Sonderfälle“ Ungarn und Großbritannien, wo Krönungsrituale eng mit der Verfassungsordnung verknüpft waren und diese deshalb bis 1918 bzw. im britischen Fall sogar bis zur Gegenwart fortbestanden bzw. fortbestehen. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht kein Zufall, dass beide Königreiche keine kodifizierte Verfassung besaßen bzw. besitzen, sondern, ganz in der Tradition der Vormoderne, ihr Verfassungssystem auf einzelnen, im Laufe von Jahrhunderten gewachsenen Verfassungsgesetzen beruht(e). Hans Liermann hat die Krise der Krönungszeremonien im langen 19. Jahrhundert so erklärt:106 „Die protestantische Herrscherweihe, die niemals auf deutschem Boden wirklich zu Hause war, verschwand so unmerklich, wie auch die sakralrechtliche Auffassung des Herrscheramtes im 19. Jahrhundert dahinschwand. Das alles war schon tot, als die Monarchie im Jahre 1918 auch äußerlich zusammenbrach.“ In dieser Zuspitzung ist Liermanns Aussage zweifellos zu pauschal, zumal er das überkommene traditionelle Krönungsritual implizit in eins setzt mit dem monarchischen System an sich. Aus der Krise des Krönungsrituals folgt in seiner Perspektive gleichsam der Untergang der ausgehöhlt und entleert gedachten Monarchie. Eine solche Sichtweise verkennt allerdings, dass man die Krise des Krönungsrituals im 19. Jahrhundert und was daraus folgte auch als Beleg für die Wandlungsfähigkeit des monarchischen Systems interpretieren kann. Wie dieser Beitrag zeigen konnte, waren die Monarchien durchaus kreativ, was die Entwicklung neuer traditionsfähiger Formen symbolischer Repräsentation anbelangt. Das gilt insbesondere für Bayern und Württemberg, mit Einschränkung auch für Sachsen, wo aber gerade der Verzicht auf Krönungen bzw. die Entwicklung alternativer Formen der Präsentation von Kronjuwelen ein konstruktiver Beitrag zur Neugründung des Staates war. In allen drei Fällen leisteten die Dynastien einen erfolgreichen Beitrag zum „Nation Building“ in ihren Staaten. Aber auch im kleindeutsch-preußischen Kaiserreich und selbst in der Habsburgermonarchie bildeten sich neue Formen symbolischer Repräsentation aus, die im Ergebnis deeskalierend bzw. integrierend wirkten. 106
Liermann, Untersuchungen zum Sakralrecht (Anm. 6), S. 383.
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Der Blick auf die deutschen Monarchien im langen 19. Jahrhundert wird immer wieder dadurch getrübt, dass der Zusammenbruch des Jahres 1918 gleichsam teleologisch zurückprojiziert wird.107 Das Ende der Monarchie im Deutschen Reich und in der Habsburgermonarchie als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs sollte aber nicht zu der Fehlannahme verleiten, dass deren im 19. Jahrhundert neu gestiftete Traditionen gleichsam von vornherein Ausdrucksform bzw. Sinnbild innerer Widersprüche waren, die gewissermaßen zur Vorgeschichte ihres Untergangs gehören.
107 Vgl. hierzu, mit dem Fokus auf das Deutsche Kaiserreich, zuletzt: Frank-Lothar Kroll/ Christian Hillgruber/Michael Wolffsohn (Hrsg.), Die Hohenzollerndebatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit, Berlin 2021.
Hans Delbrück und der Reichstag. Struktur, Praxis und Entwicklungschancen des Parlamentarismus im Deutschen Reich Von Dominik Geppert, Potsdam Die Aufmerksamkeit deutscher Historiker galt lange Zeit eher dem Staat als Parlament und Parteien. Dennoch interessierten sich schon einige Zeitgenossen vor 1918 auch für die Genese des deutschen Parlamentarismus und Parteienwesens. Zu den ersten, die eine systematische Untersuchung verschiedener Volksvertretungen in geschichtlicher Perspektive unternahmen, gehörte der Berliner Historiker Hans Delbrück. In einer Vorlesung aus dem Sommer 1913, die er am Vorabend des Ersten Weltkriegs unter dem Titel „Regierung und Volkswille“ veröffentlichte, verglich er die historisch gewachsenen Besonderheiten des Reichstags und der Parteien in der konstitutionellen Monarchie des deutschen Kaiserreichs mit den Volksvertretungen und Regierungssystemen anderer Länder, vor allem Englands und Frankreichs, aber auch der Vereinigten Staaten von Amerika.1 Delbrück untersuchte die historische Entwicklung unterschiedlicher Verfassungsordnungen, Regierungstypen und Wahlsysteme von der Antike bis in die Gegenwart. Er beschäftigte sich mit Fragen der demokratischen Praxis ebenso wie mit dem Verhältnis von Exekutive und Legislative. Probleme der Elitenrekrutierung und Parteiensoziologie interessierten ihn in gleichem Maße wie die spezifischen Mängel politischer Systeme, von der Korruption über Tendenzen oligarchischer Abschottung bis hin zu den demagogischen Versuchungen, die demokratischen Ordnungen innewohnen. Delbrück vermaß damit als einer der ersten Historiker des frühen 20. Jahrhunderts wichtige Themen des Parlamentarismus als geschichtlich gewordener Herrschaftsform, politischem System und sozio-kultureller Praxis, wie sie die Geschichtswissenschaft in Deutschland erst nach 1945 systematischer zu erkunden begonnen hat.2 Seither fragt die historische Parlamentarismusforschung nicht nur nach den Chancen und Grenzen der Parlamentarisierung, sondern versucht auch, Genese und Praxis des kaiserzeitlichen Parlamentarismus in einen größeren internationalen Kontext 1
S. 4.
Hans Delbrück, Regierung und Volkswille. Eine akademische Vorlesung, Berlin 1914,
2 Für einen kurzen Überblick siehe Dominik Geppert, Die ungeschriebenen Regeln der repräsentativen Demokratie. Neuere Ansätze in der historischen Parlamentarismusforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 71 (2020), S. 237 – 244.
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einzuordnen.3 In jüngerer Zeit interessiert sie sich im Rahmen einer politischen Kulturgeschichte zudem verstärkt für demokratische Praktiken in Wahlen, Wahlkämpfen und Wahlbündnissen oder für die Binnenkommunikation im Reichstag und das Verhältnis von Parlament und Öffentlichkeit.4 Delbrücks Leben und Wirken bieten einen guten Ansatzpunkt, einige dieser Fragen im Brennglas eines biographischen Fallbeispiels genauer zu untersuchen. Denn Hans Delbrück beschäftigte sich nicht nur als einer der ersten Historiker wissenschaftlich mit dem Parlamentarismus, er sammelte auch praktische Erfahrung als Parlamentarier. Er gehörte den Fraktionen der Deutschen Reichs- und Freikonservativen Partei sowohl des Preußischen Abgeordnetenhauses (1882 bis 1885) als auch des Reichstags (1884 bis 1890) an. Durch seine Herausgeberschaft der „Preußischen Jahrbücher“ zählte er als „Kritiker der wilhelminischen Epoche“ zu den wichtigen Zeitdiagnostikern der Nach-Bismarck-Ära.5 Als Veteran des Deutsch-Französischen Krieges, ehemaliger Prinzenerzieher und später als Geschichtsprofessor an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität war er ein im hauptstädtischen juste milieu bestens vernetzter Angehöriger der traditionellen preußisch-deutschen Eliten und kann daher als eine Art Seismograph zur Erforschung der dort vorzufindenden Ansichten und Mentalitäten dienen.6 Weil er auch nach seinem Rückzug aus den „Jahrbüchern“ 1919 publizistisch aktiv blieb, lassen sich in seinen politischen Kommentierungen die Perzeption von Kontinuität und Wandel im politischen System und in der politischen Praxis des Deutschen Reiches durch vier Jahrzehnte hindurch über das Ende der Hohenzollernmonarchie hinaus in die erste deutsche Republik hinein studieren.7 Hans-Christof Kraus hat Delbrück kürzlich als einen gemäßigten Kritiker des Parlamentarismus charakterisiert, der nicht den Reichstag der konstitutionellen Monarchie, „wohl aber alle Bestrebungen, eine parlamentarische Regierung in Deutschland einzuführen“ abgelehnt habe.8 Die folgenden Ausführungen sollen diese Kennzeichnung präzisieren und damit zugleich eine Facette von Delbrücks Wirken genauer beleuchten, die bislang wenig Beachtung gefunden hat. Dieser ist kein unbeschriebenes 3
Einen Überblick über den Stand der Debatte gibt Marcus Kreuzer, „Und sie parlamentarisiert sich doch“. Die Verfassungsordnung des Kaiserreichs in vergleichender Perspektive, in: Marie-Luise Recker (Hrsg.), Parlamentarismus in Europa, München 2004, S. 17 – 40. 4 Margaret Lavinia Anderson, Lehrjahre der Demokratie. Wahlen und politische Kultur im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2009; Andreas Biefang, Die andere Seite der Macht. Reichstag und Öffentlichkeit im „System Bismarck“ 1871 – 1890, Düsseldorf 2009. 5 Annelise Thimme, Hans Delbrück als Kritiker der wilhelminischen Epoche, Düsseldorf 1955. 6 Siehe jetzt Jonas Klein, „Der Prophet des Staatsgedankens“. Hans Delbrück und die Preußischen Jahrbücher 1883 – 1919 (Diss. Potsdam 2022), i. E. 7 Christian Lüdtke, Hans Delbrück und Weimar. Für eine konservative Republik – gegen Kriegsschuldlüge und Dolchstoßlegende, Göttingen 2018. 8 Hans-Christof Kraus, Parlamentarismuskritik, Antiparlamentarismus und Modelle alternativer Repräsentation, in: Andreas Biefang u. a. (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland von 1815 bis zur Gegenwart. Historische Perspektiven auf die repräsentative Demokratie, Berlin 2022, S. 145 – 173, hier 150.
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Blatt in der Historiographie. In den Registern fast aller Überblicksdarstellungen zum Kaiserreich finden sich Einträge, die auf ihn verweisen.9 Arden Buchholz und Sven Lange haben sich dem Militärhistoriker gewidmet; Karl Christ hat sich mit dem Althistoriker und Alexander Thomas mit dem Weltgeschichtsschreiber befasst.10 Eine Studie über den Parlamentarier und Analytiker des Parlamentarismus existiert bisher jedoch nicht. Die Forschungslücke ist auch der Quellenlage geschuldet. Insgesamt ist Delbrücks Leben zwar gut dokumentiert: Die beiden Teilnachlässe in der Berliner Staatsbibliothek und im Bundesarchiv in Koblenz umfassen mehr als 40.000 Briefe. In direktem Bezug zu dessen Erfahrungen als Parlamentarier stehen aber kaum zwei Dutzend davon.11 Delbrück formulierte seine politischen Ansichten erstmals im Frühjahr 1882 in der kurzlebigen „Politischen Wochenschrift“, die er gemeinsam mit dem freikonservativen Publizisten und späteren Abgeordneten Otto Arendt herausgab. Indem es die Forderung nach einer starken monarchischen Regierung mit Vorschlägen für eine „durchgreifende Reform des Armenwesens“ und eine „vom Staat einzurichtende allgemeine Arbeiterversicherung auf korporativer Grundlage“ verband, enthielt das politische Programm, das Delbrück und Arendt verfassten, sowohl obrigkeitlich-konservative als auch progressiv-sozialreformerische Elemente.12 17 Jahre später bezeichnete sich Delbrück in den „Preußischen Jahrbüchern“ als einen „konservativen Sozialdemokraten“.13 Tatsächlich war er in seinem Eintreten für den, vor allem ostelbischen, Großgrundbesitz, in dem er einen „werthvollen[n] Schatz historischer und sozialer Tradition“ erblickte, typisch konservativ. Zugleich verortete er sich als Anhänger der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung auf dem „äußersten rechten Flügel der Sozialreformer“. In der Arbeiterbewegung sah er trotz deren revolutionärer Rhetorik keine ernsthafte Bedrohung der bestehenden Ordnung. Vielmehr erwartete er die fortschreitende Domestizierung der Sozialdemokratie, so wie sich auch Liberalismus 9 Siehe die Einträge bei Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918, Bd. 2, München 1998; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, München 1995; Michael Stürmer, Das ruhelose Reich. Deutschland 1866 – 1918, Berlin 1994. 10 Arden Bucholz, Hans Delbrück and the German Military Establishment. War Images in Conflict, Iowa 1985; Sven Lange, Hans Delbrück und der „Strategiestreit“. Kriegführung und Kriegsgeschichte in der Kontroverse 1879 – 1914, Freiburg i. Br. 1995; Karl Christ, Hans Delbrück (1848 – 1929), in: Karl Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff. Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit, Darmstadt 1989, S. 159 – 200; Alexander Thomas, Geschichtsschreibung und Autobiographie. Hans Delbrück in seiner „Weltgeschichte“, in: Wolfgang Hardtwig/Philipp Müller (Hrsg.), Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin 1800 – 1933, Göttingen 2010, S. 195 – 215. 11 Staatsbibliothek Berlin [SBB], Preußischer Kulturbesitz [PK], NL Hans Delbrück; Bundesarchiv Koblenz [BAK], N 1017/62. 12 Hans Delbrück, Das Programm der Politischen Wochenschrift, März 1882, abgedruckt in: Thimme, Delbrück (Anm. 5), S. 157 – 158, hier 157. 13 Hans Delbrück, Unser Programm, in: Preußische Jahrbücher [PJ] 95 (1899), S. 376 – 391, hier 377 – 378.
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und politischer Katholizismus über Jahrzehnte hinweg schrittweise in das System des monarchischen Konstitutionalismus eingefunden hätten.14 Durch Delbrücks Eintreten für Sozialreformen in der „Politischen Wochenschrift“ wurde die Deutsche Reichs- und Freikonservative Partei (DRP) auf ihn aufmerksam. In deren Reihen ließen sich konservative Rittergutsbesitzer ebenso finden wie Angehörige eines gerade in kulturellen, zumal theologischen Fragen liberaleren Bildungsbürgertums.15 Der junge Historiker passte nicht nur programmatisch, sondern auch von seinem biographischen Hintergrund her gut zu der Partei. Schließlich verfügte er über verwandtschaftliche Beziehungen bis in höchste Reichsämter: sein Onkel Rudolph war von 1871 bis 1876 Bismarcks Vizekanzler, sein Cousin Clemens nach 1909 als Staatssekretär im Reichsamt des Innern Stellvertreter des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg. Zudem besaß er als Lehrer des früh an Diphtherie verstorbenen Prinzen Waldemar ausgezeichnete Verbindungen zum Hof, speziell zur Familie des Kronprinzen. Nicht zuletzt durch seine Tätigkeit als Prinzenerzieher sahen ihn viele als „kommenden Mann“ und attraktiven Kandidaten für Wahlen in Preußen wie im Reich.16 Das veranlasste die DRP, ihm eine Kandidatur für die preußischen Landtagswahlen 1882 anzubieten. Relativ überraschend gewann er im Wahlkreis Mansfeld im Südharz als Kandidat der in einem Wahlbündnis vereinigten Deutsch- und Freikonservativen gegen den nationalliberalen Rechtsgelehrten Rudolf Gneist, der von einer liberalen Koalition aus Nationalliberalen und Freisinnigen aufgestellt worden war.17 Dass er über die nicht sehr auflagenstarke, aber traditions- und einflussreiche Monatsschrift der „Preußischen Jahrbücher“ verfügte, wo er zunächst als Autor, nach 1883 als Ko-Editor gemeinsam mit Heinrich von Treitschke und seit 1889, nachdem er sich mit Treitschke überworfen hatte, als alleiniger Herausgeber fungierte, dürfte sein Ansehen in der Partei weiter befördert haben.18 Jedenfalls bot ihm die DRP bei den Reichstagswahlen 1884 den Wahlkreis Stralsund I an, zu dem auch sein Geburtsort Bergen auf Rügen gehörte. Delbrück gewann dort gegen einen Kandidaten der Deutschen Fortschrittspartei.19 Bei der vorgezogenen Neuwahl, die Bismarck 1887 vom Zaun brach, um dem Kartell aus Nationalliberalen, Reichspartei und Deutschkonservativen eine Mehrheit für die Verabschiedung des Militärbudgets und ein neues Septennat zu verschaffen, siegte er mit einem größer gewordenen Vorsprung wiederum gegen einen linksliberalen Kontrahenten.20 Das Wahlbündnis der Freikonservativen mit den Nationallibe14
Hans Delbrück, Unser Programm (Anm. 13), S. 380. Volker Stalmann, Die Partei Bismarcks. Die Deutsche Reichs- und Freikonservative Partei 1866 – 1890, Düsseldorf 2000. 16 Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben, unveröfftl. Ms., in: BAK 1072/66, Bl. 82. 17 Ebd. 18 Vgl. Stalmann, Partei Bismarcks (Anm. 15), S. 258 – 259. 19 Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm. 16), Bl. 88. 20 Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, München 1980, S. 71. 15
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ralen und Deutschkonservativen, das auch Anhänger des antisemitischen Hofpredigers Stöcker anzusprechen versuchte, war freilich fragil und wenig belastbar. Wie prekär die Koalition vielerorts war, bekam auch Delbrück in seinem vorpommerschen Wahlkreis zu spüren. Im Jahr zuvor hatte er als Mitglied einer Reichstagskommission an der Vorbereitung eines Gesetzesentwurfs für ein staatliches Branntweinmonopol mitgewirkt und am Ende als einer von nur drei DRP-Abgeordneten für das unpopuläre Gesetz gestimmt, weil er es als notwendig für die Sanierung der Reichsfinanzen erachtete.21 Damit hatte er sich insbesondere bei den Nationalliberalen unbeliebt gemacht. Der Apotheker und Fabrikant Friedrich Witte, der als nationalliberaler Abgeordneter für den mecklenburgischen Wahlkreis Schwerin I im Reichstag saß, charakterisierte Delbrück in seinem Tagebuch „als Mundstück der Spiritusfabrikanten“.22 Um derartigen Vorbehalten entgegenzuwirken, schlugen die Stralsunder Organisatoren von Delbrücks Wahlkampf im Winter 1887 vor, er solle „eine zufriedenstellende Erklärung“ abgeben, dass er jetzt nicht mehr für das Branntweinmonopol eintrete.23 Die Beziehungen zwischen der Reichspartei und den Deutschkonservativen war ebenfalls spannungsreich. Aus Hessen-Kassel berichtete Delbrücks damals in Marburg lehrender Studienfreund Max Lenz, dass sich die in einem Bismarckverein zusammengeschlossenen Sympathisanten der Freikonservativen in der Region, zu denen auch er selbst zählte, einer Koalition aus „Partikularisten, Ultra[montanen] und D[eu]tschkonservativen“ gegenübersähen und nicht gewillt seien, einen Kandidaten der Deutschkonservativen zu wählen.24 Am Ende fiel der Wahlkreis Marburg, Frankenberg, Kirchhain bei der Reichstagswahl 1887 an den „hessischen Bauernkönig“ Otto Böckel, der unter der Parole „gegen Junker und Juden“ antikonservatives und antisemitisches Gedankengut miteinander verband und als erster Antisemit auf eigenem Ticket in den Reichstag einzog.25 Die Antisemiten-Partei Adolf Stoeckers stellte für Delbrück auch in seinem eigenen Wahlkreis ein Dilemma dar: einerseits hielt er nichts von ihr, andererseits war er auf die Stimmen ihrer Anhänger angewiesen. Als Delbrück bei einer Wahlkampfveranstaltung im Februar 1887 auf Stoeckers Christlich-Soziale Bewegung angesprochen wurde, antwortete er ausweichend. In einem Brief an seine Frau charakterisierte er den Fragesteller, einen Pastor aus Lanckensburg auf der Insel Rügen, als „[s]o eine[n] der antisemitischen Nachzucht, die mich wählen müssen, die ich mir aber 21
Siehe Stalmann, Partei Bismarcks (Anm. 15), S. 389. Friedrich Witte, Tagebucheintrag, 26. Mai 1886, in: Stadtarchiv Rostock. Ich danke Lukas Moll für den Hinweis auf diese Quelle. 23 Carl Becker an Hans Delbrück, 22. Januar 1887, BAK, 1017/62. 24 Max Lenz an Hans Delbrück, 30. Dezember 1884 [Zitat] sowie 17. Januar und 20. Oktober 1885, in: SBB PK NL Delbrück, Briefe, Max Lenz, Mappe I, B. 12 – 19. Am Ende. 25 Siehe Thomas Klein, Der preußisch-deutsche Konservatismus und die Entstehung des politischen Antisemitismus in Hessen-Kassel (1866 – 1893). Ein Beitrag zur hessischen Parteiengeschichte, Marburg 1995. 22
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vom Leibe halte“.26 In seinem Bruch mit Treitschke spielten die Spannungen zwischen Freikonservativen, Nationalliberalen und Antisemiten ebenfalls eine Rolle, nachdem der Ältere, ursprünglich ein Nationalliberaler, seinen früheren politischen Weggefährten immer kritischer gegenüberstand und stärker einem rabiaten, auch politischen Antisemitismus à la Stoecker zuneigte. Delbrück hielt es hingegen im Zweifelsfalle eher mit den Nationalliberalen um ihren Parteiführer Rudolf von Bennigsen als Koalitionspartner. Während Treitschkes Devise lautete „lieber Stöcker als Bennigsen“, sagte Delbrück: „lieber Bennigsen als Stöcker“.27 Delbrücks Nominierungen als Kandidat für die Landtags- und Reichstagswahlen erfolgten, wenn man den wenigen verfügbaren Quellen glauben darf, in etwa nach dem Muster, das Theodor Fontane in seinem 1899 erschienenen Roman „Der Stechlin“ für die Aufstellung des alten Dubslav von Stechlin beschrieben hat: durch einmütigen Beschluss der örtlichen Honoratioren ohne Fühlungnahme mit übergeordneten Parteigremien.28 In Stralsund würden „ca. 30 – 40 Vertrauensmänner“ zusammenkommen, hieß es aus dem örtlichen Wahlkomitee, um Delbrück „als Kandidaten zu proclamiren“. Drei Tage später konnten die Stralsunder Freikonservativen Vollzug melden: alle Vertrauensleute hätten „in großer Versammlung beschlossen“, ihn aufzustellen.29 Delbrücks Nominierung verdeutlichte freilich auch ein Dilemma der Reichspartei: Sie besaß zwar einflussreiche Unterstützer in den lokalen und nationalen Eliten, aber nur einen äußerst rudimentären organisatorischen Apparat. Delbrück selbst trat der DRP erst 1907 förmlich als Mitglied bei, als sich mit der Gründung eines „Wahlvereins“ so etwas wie Parteistrukturen auszubilden begannen; in dieser Zeit scheint er auch erstmals eine Art regelmäßiger Mitgliedsbeiträge an die Partei gezahlt zu haben.30 Von allen reichsweit operierenden Parteien verfügte die DRP zudem über die wenigsten Kandidaten. Selbst zu ihren Hochzeiten in den 1870er und 1880er Jahren konnte sie durchschnittlich nur in einem Fünftel aller Reichstagswahlkreise eigene Anwärter aufstellen. Entsprechend inständig wurde Delbrück von den vorpommerschen Honoratioren um Kommerzienrat Carl Becker bearbeitet, bei den vorgezogenen Wahlen 1887 noch einmal zu anzutreten.31 26 Hans an Lina Delbrück, 20. Oktober 1884, wiedergegeben in: Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben, unveröfftl. Ms., BAK 1017/66, Bl. 88 – 89. 27 Hans Delbrück an Heinrich von Treitschke, 3. Juni 1889, SBB PK, NL Hans Delbrück, Briefkonzepte, Treitschke, Bl. 16 – 18. 28 Theodor Fontane, Der Stechlin, München 1979 (Erstausgabe Berlin 1899), S. 170 – 174. 29 Carl Becker an Hans Delbrück, 19. und 22. Januar 1887, in: BAK 1017/62. 30 Hans Delbrück an den Ausschuss des Wahlvereins der DRP, 26. Februar 1914, in: SBB PK, NL Hans Delbrück, Fasz. 157, Nr. 30, Bl. 38 – 39; Otto von Dewitz an Hans Delbrück, 25. und 28. Februar 1914, in: ebd., Briefe, Otto von Dewitz, Bl. 38 – 39; siehe auch Matthias Alexander, Die Freikonservative Partei. Gemäßigter Konservatismus in der konstitutionellen Monarchie, Düsseldorf 2000, S. 319. 31 Carl Becker an Hans Delbrück, 19. und 22. Januar 1887, in: BAK 1017/62; zum Mangel an Wahlkandidaten siehe Stalmann, Partei Bismarcks (Anm. 15), S. 270.
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Die Wahlkämpfe dieser Zeit waren relativ kurz, aber nicht ganz so entspannt wie das Nominierungsverfahren. In einer guten Woche war alles vorüber, aber die sieben oder acht Tage der Wahlkampfreise verlangten den Kandidaten oft mehrere Auftritte pro Tag an verschiedenen Orten ab. Delbrücks Briefe an seine Ehefrau aus dem Reichstagswahlkampf vom Herbst 1884 datierten aus Franzburg (16. Oktober), Pansewitz (20. Oktober), Lanckensburg bei Altenkirchen (21. Oktober), Sagard (22. Oktober) und Bergen (23. Oktober). Am 19. Oktober ging es beispielsweise morgens um 7 Uhr erst mit dem Segelboot über den Bodden von Zingst nach Barth, dann „mit Wagen nach Stralsund, dort gegessen, Eisenbahn, wieder Wagen und abends sofort in die Versammlung“.32 Für den Wahlkampf im Winter 1887 sahen die Organisatoren vom 12. bis 14. Februar Ansprachen des Kandidaten auf der Insel Rügen in Bergen und Garz, eventuell auch in Sagard vor, sodann am Tag darauf in Stralsund, am 16. Februar in Richtenberg um 17 Uhr und in Franzburg um 19 Uhr, am 17. Februar in Barth, am folgenden Tag vormittags um 11 Uhr in Zingst und am Abend um 19.30 Uhr in Born, tags darauf eine weitere Rede in Damgarten und schließlich am 20. Februar zum Abschluss Auftritte „in einigen kleineren Versammlungen von Fischern, Metalldrehern etc.“.33 Auf den Beistand der lokalen Eliten konnte sich Delbrück verlassen, auch wenn er sich bewusst war, dass die Hilfe nicht nur aus altruistischen Motiven geleistet wurde. Nach der Begegnung mit einer adeligen Dame auf Rügen notierte er, man fühle durch, „wie das Interesse an der Erhaltung von Staat und Kirche und Gesellschaft doch zuletzt erwächst auf dem Interesse, die eigene schöne, angesehene Stellung, die daran hängt, zu erhalten“.34 Dennoch war die logistische und politische Unterstützung durch die örtlichen Honoratioren willkommen. 1884 logierte er während des Wahlkampfs auf dem Schloss des Grafen Krassow in Pansewitz. Der Graf war in den 1830er und 1840er Jahren Landrat in Franzburg gewesen, nach 1849 Abgeordneter im Preußischen Landtag, später auch Mitglied des Herrenhauses und Präsident der Stralsunder Regierung.35 Zur Wahlveranstaltung in Lanckensburg am Tag darauf erschien demonstrativ der Fürst zu Putbus, um seine Zustimmung zu signalisieren. Freilich war in den 1880er Jahren auch in einem traditionell konservativen Wahlkreis wie Stralsund die Wahl des von den lokalen Honoratioren handverlesenen Kandidaten keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Anwesenheit des Fürsten Putbus kom-
32 Hans an Lina Delbrück, 20. Oktober 1884 [wohl falsch datiert: eigentlich 19. Oktober 1884], wiedergegeben in: Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm. 26), Bl. 89. 33 Carl Becker an Hans Delbrück, 2. Februar 1887, in: BAK 1017/62. 34 Hans an Lina Delbrück, 20. Oktober 1884 [wohl falsch datiert: eigentlich 19. Oktober 1884], wiedergegeben in: Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm, 26), Bl. 88. 35 Hermann Petrich, „Krassow, Karl Graf von“ in: Allgemeine Deutsche Biographie 51 (1906), S. 359 – 360 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd1175397 75.html#adbcontent [29. Dezember 2022].
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mentierte Delbrück gegenüber seiner Frau mit den Worten: „Vor 20 Jahren hätten die Herren das noch nicht getan, aber sie sehen ein, daß es nicht anders geht.“36 Obwohl die Wahlergebnisse im Regierungsbezirk Stralsund mit gut 57 Prozent (1884) und 70 Prozent (1887) komfortabel für die DRP ausfielen37, stieß der Wahlkampf eines freikonservativen Kandidaten selbst im ostelbischen Vorpommern nicht mehr durchgängig auf das loyale Einverständnis oder auch nur die fügsame Duldung der Bevölkerung. Die Stimmung war mitunter emotional, auch aggressiv. Delbrücks Reden wurden verschiedentlich durch Zwischenrufe und Protest unterbrochen. Im Herbst 1884 erschienen auf Zingst „die Gegner in Mengen“, um zu stören.38 Die Bande sei „so verhetzt“, notierte Delbrück zur Atmosphäre in seinen Wahlveranstaltungen im Februar 1887, dass er nach einem Auftritt unter Polizeischutz den Saal verlassen habe.39 Delbrück nutzte seine Abgeordnetenmandate nicht zu besonders intensiver parlamentarischer Aktivität. Aus dem Preußischen Abgeordnetenhaus schied er bereits 1885 wieder aus, angeblich wegen der „relativ bescheidene[n] Aufgabe, die dem Preußischen Landtage seit der Reichsgründung zugefallen war“.40 Wahrscheinlich hat aber auch die zeitliche Mehrfachbelastung, der sich Delbrück als Hochschullehrer und Herausgeber einer politischen Monatsschrift angesichts der Mitgliedschaft in zwei Parlamenten ausgesetzt sah, eine Rolle gespielt. Jedenfalls fällt das Ausscheiden aus dem Preußischen Landtag zeitlich mit der Verleihung eines Extraordinariats an der Berliner Universität zusammen.41 Obwohl die außerordentliche Professur unbesoldet war, motivierte die Tatsache, dass die Abgeordneten im Landtag anders als die Reichstagsabgeordneten Diäten erhielten, Delbrück offenbar nicht zum Verbleib im preußischen Parlament. Darin unterschied er sich von vielen anderen Reichstagsabgeordneten, die Doppelmandate innehatten, um sich die (unbezahlte) Mitgliedschaft im Reichstag leisten zu können; rund ein Viertel von ihnen bezog preußische Landtagsdiäten.42 Auch ohne Doppelmitgliedschaft blieb der zeitliche Aufwand beträchtlich. Wenn Delbrück nicht von seinem Vorrecht Gebrauch machte, als Extraordinarius mit Reichstagsmandat auf das an sich obligatorische Abhalten einer Vorlesung zu verzichten, folgte während des Semesters auf die Reichstagssitzungen, die
36 Hans an Lina Delbrück, 21. Oktober 1884, wiedergegeben in: Lina Delbrück: Hans Delbrücks Leben (Anm. 26), Bl. 90. 37 Ritter (Hrsg.), Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch (Anm. 20), München 1980, S. 71. 38 Hans an Lina Delbrück, 20. Oktober 1884, wiedergegeben in: Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm. 26), Bl. 88 – 89. 39 Zitiert in: Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm. 26), Bl. 101. 40 Johannes Ziekursch, in: Deutsches Biographisches Jahrbuch. Das Jahr 1929, Stuttgart 1932, S. 93. 41 Siehe auch Max Lenz an Hans Delbrück, 11. November 1885, in: SBB PK, NL Hans Delbrück, Briefe, Max Lenz, Mappe I, Bl. 20 – 21. 42 Biefang, Andere Seite (Anm. 4), S. 169.
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von 13 bis 17 Uhr dauerten, an jedem Wochentag von 17 bis 18 Uhr noch eine Vorlesung.43 Angesichts dieses Pensums ist es kaum verwunderlich, dass Delbrück nicht zu der Minderheit von etwa vierzig bis sechzig Parlamentariern zählte, welche die Geschäfte des Reichstags hauptsächlich trugen und einen Großteil der Redezeit bestritten.44 In der gesamten sechsten Legislaturperiode von November 1884 bis Januar 1887 ergriff Delbrück nicht ein einziges Mal im Reichstagsplenum das Wort, so dass sein Freund Lenz verwundert fragte. „Warum schweigst du im Parl[ament] beharrlich? Das ist deine Art doch nicht“.45 Nach seiner Wiederwahl 1887 wurde er nicht viel aktiver und sprach im Plenum lediglich dreimal, jedes Mal im Sinne der Reichsleitung mit einer Frontstellung gegen die Freisinnigen um Eugen Richter. Am 25. April 1887 verteidigte er den von der Regierung eingebrachten Nachtragshaushalt zur Deckung der Heeresvorlage, durch den das Septennat erneuert und die Friedenspräsenzstärke des Heeres um 40.000 Mann erhöht wurde.46 In einer Beratung über die Änderung der Getreidezölle am 14. Dezember 1887 machte er sich ohne Erfolg für die Kopplung der Zölle an die Preisentwicklung stark.47 Am 21. März 1889 schließlich trat er für die Regierungsvorlage zur Einrichtung des Oberkommandos der Marine ein.48 Delbrück hat seine Arbeit als Abgeordneter nicht als seinen eigentlichen Beruf oder gar als Berufung angesehen. Sein Hauptaugenmerk lag auf einer wissenschaftlichen Karriere. Er habe, bemerkte er später, seine parlamentarische Tätigkeit niemals eigentlich als Selbstzweck betrachtet, sondern in erster Linie „als ein Mittel, politische Anschauung zu gewinnen“ für seine Arbeit in der Geschichtswissenschaft49 – so wie er als Prinzenerzieher Einblick ins Hofleben erhalten hatte und über seine Verwandten interne Details aus dem Regierungsgeschäft erfuhr, die allesamt in seine Publizistik wie auch in seine Arbeit als Militär- und Politikhistoriker einflossen. Ein Problem bestand jedoch darin, dass sich die deutschen Hochschullehrer im Zuge der Professionalisierung der Wissenschaft gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts tendenziell von direkter politischer Betätigung in Parlamenten und Vereinen ab- und einem unpolitischeren, auch stärker spezialisierten Wissen43
Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm. 26), Bl. 99. Biefang, Andere Seite (Anm. 4), S. 174. 45 Max Lenz an Hans Delbrück, 17. Januar 1885, in: SBB PK, Briefe, Max Lenz, Mappe I, Bl. 15. 46 Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, I. Session, Bd. 1, S. 358 – 359. 47 Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 1, S. 218, 221, 229 – 232. 48 Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session, Bd. 2, S. 1007, 1011 – 1012. 49 Hans Delbrück an Felix Rachfahl, 19. April 1912, in: SBB PK, NL Hans Delbrück, Fasz. 157, Nr. 26, Bl. 75. 44
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schaftsverständnis zuwandten. Stärker als Gelehrte wie Ernst Moritz Arndt, Friedrich Christoph Dahlmann oder auch Delbrücks Doktorvater Heinrich von Sybel, die im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts allesamt als Professoren in Parlamenten gesessen hatten, waren deutsche Professoren zu Delbrücks Zeit ihrem eigenen Selbstverständnis nach als Wissenschaftler zur Objektivität verpflichtet und damit auf Unparteilichkeit festgelegt.50 Delbrück wurde daher von Vertrauten wie Lenz und seinem Schwager, dem Theologen Adolf von Harnack, immer wieder geraten, er solle sich nicht zwischen Wissenschaft und Politik verzetteln und sich stattdessen lieber auf seine universitäre Karriere konzentrieren.51 Er selbst war jedoch längere Zeit bestrebt, beide Betätigungen miteinander zu verbinden. Als die pommerschen Freikonservativen ihn 1887 bedrängten, noch einmal anzutreten, bemühte er sich, von der preußischen Regierung feste Zusagen zu bekommen, dass ihm sein Engagement für die DRP akademisch nicht zum Nachteil gereiche. Über den zuständigen Ministerialdirigenten Friedrich von Althoff versuchte er, eine verbindliche Zusicherung des preußischen Kultusministers Gustav von Goßler zu erhalten, dass ihm nach dem Ausscheiden aus dem Reichstag die Aussicht auf ein Berliner Ordinariat offengehalten werde.52 Später antichambrierte er zu demselben Zwecke in Audienzen beim bereits schwer kranken Friedrich III. und nach dem Tod des Kaisers bei dessen Witwe – freilich ohne Erfolg. Kultusminister Goßler lehnte die ministerielle Garantie einer ordentlichen Professur ab, und auch die Fürsprache des Kaisers und seiner Gattin bewirkten nichts.53 Erst sieben Jahre später, nach dem Tod Treitschkes, erhielt Delbrück ein Ordinariat an der Berliner Universität. Das Parlamentsverständnis, das Delbrück als Publizist und Wissenschaftler theoretisch entwickelte und als Parlamentarier praktizierte, entsprach den Ordnungsvorstellungen der konstitutionellen Monarchie. Das Parlament war für ihn ein Forum der Partikularinteressen, das den verschiedenen Meinungen im Volk Artikulationsmöglichkeiten bot. Die Abgeordneten sollten in die legislativen Prozesse, speziell in die Budgetgestaltung, durchaus systematisch einbezogen werden. Jegliche Regierungsarbeit war jedoch gebildeten Fachleuten vorzubehalten, von allen politischen Führungsaufgaben mussten die Parlamentarier ferngehalten werden.54 „Bildung und Besitz“, notierte Delbrück 1899, sollten die „führenden Potenzen im Staate“ sein. Damit jedoch Besitz nicht zu „grausamer Klassenherrschaft“ erstarre und Bildung zu „Man50
Vgl. Dominik Geppert, Glanz und Elend der Hohenzollern, in: Dominik Geppert (Hrsg.), Preußens Rhein-Universität 1818 – 1918. Geschichte der Universität Bonn, Bd. 1, Göttingen 2018, S. 371 – 486, bes. S. 411 – 415. 51 Siehe etwa Max Lenz an Hans Delbrück, 16. Oktober 1884, in: SBB PK, Briefe, Max Lenz, Mappe I, Bl. 7 – 9; Adolf Harnack an Hans Delbrück, 11. Juli 1888; in: SBB PK, Briefe, Adolf von Harnack, Bl. 11 – 12. 52 Hans Delbrück an Friedrich Althoff, 22. und 26. Februar 1887, in: BAK N 1017/62. 53 Hans Delbrück an Victoria, Kaiserin Friedrich, 4. Juli 1888, SBB PK, NL Hans Delbrück, Briefkonzepte, Kaiserin Friedrich, Bl. 1 – 2. 54 Delbrück, Das Programm, in: Thimme, Delbrück (Anm. 5), S. 157.
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darinenthum“ verknöchere, benötige man gleichsam als Gegengewicht „das allgemeine gleiche Stimmrecht für eine Versammlung mit beschränkter Kompetenz“ wie dem Reichstag, der ja – wie er ausdrücklich zustimmend vermerkte – „keine regierende Behörde“ sei.55 Dass die Leitung des Staats Aufgabe einer starken monarchischen Exekutive bleiben müsse, war in Delbrücks Augen auch deswegen notwendig, weil Regierung und Verwaltung andere Tugenden erforderten als der Erfolg in einem Abgeordnetenhaus. Parlamente hätten ein „natürliches Element der Demagogie an sich“, notierte er anlässlich der Entlassung Stoeckers als Hofprediger im Oktober 1890; sie erforderten „robuste Naturen und Argumente“. Eine „ungeheure Plattheit“ gehöre daher zu den wichtigsten Qualitäten großer Parlamentarier.56 Immer wieder beklagte Delbrück das mangelnde geistige Format deutscher Parlamentarier. In seiner Analyse der Wahl von 1907 konstatierte er, dass „der neue Reichstag an sozialem und intellektuellem Niveau nicht höher“ stehe als der aufgelöste. Man finde dort kaum jemanden, der „sonst etwas in der Welt oder im Leben der Nation bedeutete und nun als Volksvertreter auch nur in Aussicht genommen“ wäre. Große Gelehrte suche man im Reichstag ebenso vergeblich wie erfolgreiche Unternehmer und Bankiers oder Vertreter des alten Adels. Die vorherrschenden Eigenschaften der Abgeordneten seien „Pedanterie, Assessorismus, Kastengeist“.57 In seiner Schrift über „Regierung und Volkswille“ von 1914 bündelte Delbrück seine über mehr als drei Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen. Das Parlamentsverständnis, das darin zum Ausdruck kam, war alles andere als einseitig negativ. Im Gegenteil, Delbrück pries die deliberativen Vorzüge der repräsentativen Demokratie gegenüber Formen direkter Volksbeteiligung, etwa in Referenden. Im Parlament könne man beispielsweise anders als beim Volksentscheid auf Einwendungen eingehen, ihnen eventuell durch Konzessionen entgegenkommen oder sie in Kompromissen überwinden: „Mit dem Volk kann man nicht verhandeln.“58 Der entscheidende Unterschied zwischen dem politischen System des Deutschen Reiches auf der einen und denjenigen Englands und Frankreichs auf der anderen Seite, bestand in seinen Augen nicht so sehr in der Macht des Parlaments. Der Reichstag besaß Delbrück zufolge durchaus beträchtlichen Einfluss, weil er bei der Gestaltung der Gesetze mitwirkte, eigene Ideen durchsetzen, wichtige Vorlagen der Regierung ablehnen und dauerhaft verhindern konnte.59 Die Besonderheit der deutschen Verfassungsordnung erblickte Delbrück vielmehr darin, dass sie eine dualistische Regierungsform vorsah, in der sich eine Exekutive und eine Legislative gegenüberstanden, die ihre Autorität aus unterschiedlichen Quellen bezogen. Der Kaiser mit den Bundesfürsten bilde als „legitime Obrigkeit“ 55
Delbrück, Unser Programm (Anm. 13), S. 380. Zitiert nach Lina Delbrück, Hans Delbrücks Leben (Anm. 16), Bl. 123. 57 Hans Delbrück, Die Wahlen, in: PJ 127 (1907), S. 372 – 385, hier 372 f. 58 Delbrück: Regierung (Anm. 1), S. 30. 59 Ebd., S. 60. 56
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zusammen mit dem Beamtentum und dem Offizierskorps die „organisierte Regierungsgewalt“; ihm stehe der Reichstag als „überaus mächtiges Organ der Kontrolle und der Kritik“ gegenüber. Das Regierungssystem in parlamentarischen Staaten wie England und Frankreich hingegen sei nicht dualistisch, sondern einheitlich aufgebaut; dort werde die Regierung direkt vom Parlament bestimmt und eingesetzt und sei „jeden Augenblick abrufbar“.60 Als Historiker interpretierte Delbrück die Unterschiede als Folge der geschichtlichen Entwicklung: In England, Frankreich und den USA sei das Parlament an die Macht gelangt, indem es die überlieferte Regierung entweder beiseite gedrängt oder gestürzt habe; in Deutschland hingegen sei die Volksvertretung entstanden, „indem die Regierung sie berief und neben sich stellte“.61 Vorteile der dualistischen Ordnung sah er vor allem in der Vermeidung von Korruption und in einem Wahlrecht, das demokratischer war als irgendwo sonst auf der Welt. Dass Deutschland auch über die fortschrittlichste Sozialpolitik und ein vorbildliches Bildungssystem verfüge, führte er auf den Einfluss einer überparteilichen Beamtenschaft zurück, deren konservativer Grundzug mal ins Reaktionäre, mal ins Liberale tendiere und daher trotz ihrer Parteilichkeit zu tolerieren sei.62 Die Vorzüge parlamentarischer Systeme bestünden demgegenüber vor allem in der Hervorbringung von politischen Talenten. Andere Volksvertretungen überragten die deutsche an „Stärke und Bedeutung der Persönlichkeiten“. Der Reichstag habe, obwohl auch in ihm viele „tüchtige, kluge, eifrige, geschäftskundige Männer“ säßen, eindeutig einen „subalternen Zug“, weil er eben nicht als Sprungbrett in eine Regierungslaufbahn tauge.63 Hinzu komme eine Mentalität politischer Verantwortungslosigkeit, weil die Parteien die Regierung lediglich kontrollierten, aber sie nicht selbst führten. Die Konsequenz sei erstens ein geschwächtes „Pflichtgefühl dem Staate gegenüber“ und zweitens eine „stets verärgerte Volksstimmung, weil niemand so ganz befriedigt ist, sondern immer Kompromisse geschlossen werden müssen“.64 Delbrücks Analyse spiegelt die zwiespältige Position wider, die der Reichstag bis 1918 innehatte. Einerseits hatte er sich schon in der Bismarck-Ära als zentrale Bühne der öffentlichen Austragung politischer Konflikte etabliert. Andererseits avancierte er auch im wilhelminischen Zeitalter nicht zur zentralen Instanz der Regierungsbildung oder zur wichtigsten Legitimitätsressource im politischen System der konstitutionellen Monarchie. Er stieß im Verlauf der Verfassungsevolution des Kaiserreichs, um mit Oliver Hardt zu sprechen, zwar „ins Zentrum des Spielfeldes“ vor, musste dort aber „mit den Regierungen der Länder und des Bundes um die Macht“ kämpfen, ohne dass dieser Kampf vor 1918 in der einen oder anderen Rich60
Ebd., S. 66. Ebd., S. 59. 62 Ebd., S. 66, 147, 183 – 184. 63 Ebd., S. 66. 64 Ebd., S. 145. 61
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tung entschieden worden wäre.65 Dementsprechend trieb schon die Zeitgenossen die Frage um, „ob es eine Art natürliche Fortentwicklung vom konstitutionellen zum parlamentarischen System“ gebe.66 Delbrück verneinte diese Frage. Er blieb trotz aller Detailkritik Verfechter des dualistischen Systems und Gegner einer parlamentarischen Regierungsweise. Die Volksvertretung, so hatte er schon in der „Politischen Wochenschrift“ 1882 verkündet, sei genau in der Art zu behalten, wie sie bisher bestanden und sich historisch entwickelt habe. Ihre Macht sei „weder zu vermindern noch zu vermehren“. Ihre verfassungsmäßigen Rechte in der Gesetzgebung und bei der Festsetzung des Staatshaushalts seien „sorgfältig wahrzunehmen“, aber jedes Streben nach „parlamentarischer Parteienregierung ebenso entschieden zu bekämpfen“.67 Zwar vermerkte auch Delbrück im wilhelminischen Zeitalter einen zunehmenden Machtgewinn des Reichstags, der seiner Ansicht nach so weit ging, dass es dem Parlament in Ausnahmefällen sogar möglich wurde, einen Kanzler zum Abgang zu zwingen. Dies sei nicht nur Bülow im Jahr 1909 über die Frage der Reichsfinanzreform widerfahren, sondern auch Bismarck. Dessen Abschied aus dem Reichskanzleramt 1890 war Delbrück zufolge weniger auf den Vertrauensverlust des jungen Kaisers zurückzuführen als vielmehr auf die Gegnerschaft des Parlaments, das einen Staatsstreich des Reichsgründers fürchtete.68 Dennoch wollte Delbrück im wachsenden Einfluss des Reichstags nicht den Übergang zu einer parlamentarischen Regierungsweise erkennen. Dagegen sprach seiner Ansicht nach schon allein die Heterogenität der Parteienlandschaft im Deutschen Reich. Dort gebe es anders als in den USA mit Demokraten und Republikanern oder in Großbritannien mit Tories und Whigs kein Zwei-Parteien-System politischer Gruppierungen, die einen so großen Grundbestand von Überzeugungen teilten, dass sie einander ohne Probleme in der Regierung abwechseln konnten. In Deutschland sei die Situation aufgrund der historisch gewachsenen „Zersplitterung der Parteien“ grundlegend anders.69 Alles in allem genommen hielt Delbrück das deutsche Regierungssystem für überlegen. Er sah in ihm eine „höhere und bessere Form der politischen Gestaltung [..] als in irgendeinem anderen Staate der Gegenwart“.70 An dieser Einschätzung änderten auch der Weltkrieg und die deutsche Niederlage nichts. Zwar sprach Delbrück sich 1917 unter dem Druck der Kriegslage zwischenzeitlich für eine Kooperation der Reichsleitung mit den Mehrheitsparteien im Reichstag aus. Eine Politik gegen die Reichstags-Majorität hielt er für „weder sachlich geboten noch ausführbar“. Deswegen solle sich der Reichskanzler besser an ihre 65 Oliver F. R. Haardt, Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, Darmstadt 2020, S. 404. 66 Delbrück, Regierung (Anm. 1), S. 127. 67 Delbrück, Das Programm, in: Thimme, Delbrück (Anm. 5), S. 157. 68 Delbrück, Regierung (Anm. 1), S. 60 – 62. 69 Ebd., S. 130. 70 Ebd., S. 186.
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Spitze stellen, „statt unsicher zwischen den Positionen hin- und her zu schaukeln“.71 Aber er bezweifelte im Rückblick, dass eine parlamentarische Regierung in der Situation des Jahres 1917 die Friedensmöglichkeiten ernsthafter wahrgenommen haben würde als die kaiserliche Reichsleitung: Er glaube nicht, notierte er im Nachwort zur Neuauflage von „Regierung und Volkswille“ im Dezember 1919, dass „eine parlamentarische Regierung uns gerettet haben würde“, denn gerade parlamentarische Regierungen seien „oft genug Träger des Chauvinismus und einer intransigenten Politik“.72 Im Übrigen sah sich Delbrück durch das Versagen der politischen Eliten des Reiches im Weltkrieg, insbesondere durch die aus seiner Sicht katastrophalen Fehler der 3. Obersten Heeresleitung, in der Ansicht bestätigt, dass parlamentarische Systeme bei der Auswahl ihres Führungspersonals dem Deutschen Reich überlegen waren. „An diesem Punkt“, notierte er im Vorwort zu der erwähnten Neuauflage, „und nur an diesem Punkt haben sich tatsächlich die Völker der Entente uns überlegen erwiesen“. Ansonsten sei der Sieg der Gegner allein deren materieller Überlegenheit geschuldet. Dass das Reich überhaupt vier Jahre lang einer derartigen Übermacht habe standhalten können, war seiner Meinung nach der Vorbildlichkeit des dualistischen Systems geschuldet, das er im Weltkrieg daher nicht widerlegt, sondern eher „bestätigt“ sah.73 In der Weimarer Republik wurde Delbrück zum Vernunftrepublikaner, teils aus Staatsräson wegen der Zwänge der außenpolitischen Verhältnisse, teils weil er glaubte, dass sich die traditionellen Eliten des Kaiserreichs hoffnungslos diskreditiert hatten. Die Weltgeschichte, notierte er 1919, habe eine „innere Gerechtigkeit“, der er sich beugen müsse: „eine Führerschicht, die ein Volk derartig in die Irre leitet, wie es bei uns in diesem Kriege geschehen ist“, müsse ihren Platz räumen.74 Obwohl er dem Herrscherhaus gefühlsmäßig verbunden blieb, drängte er nicht auf eine Restauration der Hohenzollerndynastie. Die Alternative bestand aus seiner Sicht nicht zwischen Monarchie und Republik, sondern zwischen einer parlamentarischen Regierungsweise wie in Frankreich oder England und einem dualistischen System, ähnlich wie in den USA, bei dem eine vom Parlament unabhängige Exekutive dem Reichstag gegenüberstand. Die starke Stellung des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung bot die Voraussetzung für eine Fortsetzung des von Delbrück präferierten Dualismus unter republikanischen Vorzeichen. Diese Kontinuität erleichterte ihm, wie auch anderen Konservativen, das Arrangement mit der neuen Ordnung.
71 Hans Delbrück an Rudolf von Valentini, 5. September 1917, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nl. Valentini, R. v., Nr. 4, Bl. 37 – 38. 72 Hans Delbrück, Regierung und Volkswille. Ein Grundriß der Politik, 2. Aufl. Berlin 1920, S. V. 73 Ebd., S. V. 74 Hans Delbrück, Die Tirpitz-Erinnerungen, in: PJ 178 (1919), S. 309 – 325, Zitat S. 324; siehe hierzu und zum Folgenden Lüdtke, Delbrück (Anm. 7), passim.
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Wie lassen sich Delbrücks Praxis und Analyse des Parlamentarismus in die übergeordneten Fragestellungen der historischen Parlamentarismus- und Parteienforschung einordnen? Als Praktiker des Parlamentarismus war Delbrück in vieler Hinsicht ein typischer Repräsentant der Deutschen Reichspartei. Die Freikonservativen verstanden sich als Unterstützer der Regierung, ja als „parlamentarische Leibgarde Bismarcks“.75 In den 1870er Jahren trugen sie im Bündnis mit den Nationalliberalen sowohl den Kulturkampf als auch die wirtschaftlichen Reformprojekte der liberalen Ära mit. Gegen Ende des Jahrzehnts wuchs ihre Skepsis gegenüber den weitergehenden Verfassungsreformen des linken Flügels der Nationalliberalen und vor allem gegenüber dem liberalen Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Die Reichspartei, so formulierte der Parteivorsitzende Octavio Freiherr von Zedlitz-Neukirch anlässlich ihres 40. Gründungstages im Mai 1907, sei stets darauf bedacht gewesen, „der Freiheit die nötige Bahn zu öffnen, aber ihrem Mißbrauch zu steuern im Interesse staatlicher Ordnung und staatlicher Sicherheit“; die Partei sei stets monarchisch gesinnt gewesen, habe dabei aber „der Verfassung und den Freiheiten unseres Volkes ihr volles Recht angedeihen lassen“. Diesem Credo konnte sich Delbrück anschließen – nicht zufällig wurde es von seinem Schüler, dem späteren Bibliotheksdirektor des Preußischen Abgeordnetenhauses, August Wolfstieg, in dessen Beitrag zur Festschrift anlässlich von Delbrücks sechzigstem Geburtstag zitiert.76 Auch mental und habituell passte Delbrück hervorragend zu den Freikonservativen als „Honoratiorenpartei par excellence“, deren Mandatsträger sich zu etwa gleichen Teilen aus Angehörigen der alten adligen Eliten, Rittergutsbesitzern, Unternehmern und höheren Staatsbeamten zusammensetzten.77 Delbrücks Wahlkämpfe im ländlichen Vorpommern der 1880er Jahre profitierten enorm von diesen Honoratioren-Netzwerken. Sie sind außerdem Belege dafür, dass die Einübung demokratischer Verfahrens- und Verhaltensweisen, welche die praxeologischen und kulturhistorischen Ansätze der jüngeren Wahlforschung verstärkt in den Blick genommen haben, selbst in rückständigen Regionen wie Vorpommern in den 1880er Jahren voranschritt. Den Kandidaten wurde ein strammes Programm abverlangt, und bei ihren Auftritten hatten sie mit Widerspruch und Protest aus dem Publikum zu rechnen. In Delbrücks Wahlkampferfahrungen lassen sich zugleich erste Hinweise darauf finden, warum die DRP in den 1880er Jahren den Zenit ihres Erfolges überschritt und in der Folge im Zuge der fortschreitenden Massenpolitisierung allmählich in einen Abwärtstrend geriet. Anders als das Zentrum im Katholizismus oder die Sozialdemokratie in der Arbeiterschaft war sie nicht fest in einem sozial-moralischen Milieu verankert. Der Protestantismus verfügte als gesellschaftliches und kulturelles Bindemit75
Stalmann, Partei Bismarcks (Anm. 15), S. 471. Adolf Wolfstieg, Die Anfänge der freikonservativen Partei, in: Delbrück-Festschrift. Gesammelte Aufsätze. Professor Hans Delbrück zu seinem sechzigsten Geburtstage (11. November 1908) dargebracht von Freunden und Schülern, Berlin 1908, S. 313 – 336, hier 313. 77 Stalmann, Partei Bismarcks (Anm. 15), S. 238 – 244, hier 472. 76
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tel nicht über ausreichende Kohäsionskräfte, um den Niedergang aufzuhalten. Außerdem, auch das lässt sich anhand von Delbrücks Beispiel recht gut nachvollziehen, gelang es der Partei kaum, effiziente Organisationsstrukturen aufzubauen, um die schwächer werdenden traditionellen Loyalitäten zu lokalen Autoritätspersonen wie Gutsbesitzern, Landräten oder Geistlichen zu ersetzen. Die Protektion der DRP durch die Vertreter der Staatsmacht und die informelle Wahlhilfe seitens der örtlichen Honoratioren genügten immer weniger, um diese organisatorischen Defizite und die Mängel an Mobilisierungsfähigkeit auszugleichen – nicht zuletzt deswegen, weil eine allzu offensichtliche Bevorzugung der freikonservativen Kandidaten nicht mehr unbesehen als akzeptabel galt. Auch diese Verschiebung in der politischen Kultur des Kaiserreichs lässt sich im Fokus von Delbrücks Vita deutlich erkennen: Dessen Bemühungen, über Kontakte zum Hof und in die Verwaltung, Vorteile in seiner wissenschaftlichen Karriere zu erreichen (oder wenigstens Nachteile auszugleichen, die ihm aus seiner Sicht durch das Engagement für die DRP entstanden waren) liefen durchweg ins Leere. Die Achtung vor der Wissenschaftsfreiheit oder zumindest die Sorge vor dem Anschein einer unzulässigen Wahlbeeinflussung und Begünstigung der Freikonservativen war größer als die Rücksichtnahme auf die Interessen der selbsterklärten Regierungspartei DRP. Als Analytiker des Parlamentarismus deutete Delbrück die Einhaltung korrekter Verfahrensweisen und behördlicher Neutralität, die in dem Scheitern seines eigenen Antichambrierens zum Ausdruck kam, als Ausweis von Überlegenheit der dualistischen Regierungsweise im Deutschen Reich. Die geringere Anfälligkeit für Korruption und persönliche Vorteilsnahme unterschied die politisch (vermeintlich) neutrale, über den Parteien stehende Reichsleitung und die ihr unterstehende Beamtenschaft in seinen Augen positiv von den auf parlamentarische Mehrheiten angewiesenen Regierungen und deren Administrationen in England oder Frankreich. Die breite Politisierung, die im Gefolge des allgemeinen Männerwahlrechts auf Reichsebene um sich griff, hätte Delbrück wohl kaum wie Teile der neueren Forschung als Triebkraft einer progressiven und wünschenswerten Veränderungsdynamik interpretiert.78 Er sah in dem demokratisch gewählten Reichstag eine zeitgemäße und notwendige Korrekturinstanz regierungsamtlicher Politik, hinter die man im Zeitalter der Massendemokratie nicht mehr zurückkam, der man aber in keinem Fall die Regierungsgeschäfte übertragen durfte. Ganz konkret diente das demokratische Reichstagswahlrecht für ihn und andere Angehörige des Bildungsbürgertums auch als Schutz ihrer liberaleren Ansichten, etwa in Fragen der Kultur und Religion, gegen ein klerikal-konservatives Rollback. Delbrücks Parlamentsverständnis stützt somit diejenigen Stimmen in der Forschung, die eine beträchtliche Zufriedenheit mit dem politischen System des Reiches herausstreichen und die Entschlossenheit eines bedeutenden Teils der wilhelminischen Öffentlichkeit betonen, den monarchischen Konstitutionalismus zu reformie78 Etwa Hedwig Richter, Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich, Berlin 2021.
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ren statt zu einem voll ausgeprägten Parlamentarismus nach britischem oder französischem Vorbild überzugehen.79 Er betonte die Gefahren der Massenpolitisierung – nicht etwa weil er, wie Teile der späteren historischen Forschung, annahm, dass es der entstehende „politische Massenmarkt“ (Hans Rosenberg) den regierenden Eliten erlaubte, die sich demokratisierende Öffentlichkeit über außerparlamentarische Vereine und Massenverbände wie den Flottenverein oder den Bund der Landwirte im Interesse des eigenen Machterhalts demagogisch zu manipulieren.80 Im Gegenteil, er lag ganz auf der Linie Bernhard von Bülows, der 1909 im Reichstag davor gewarnt hatte, dass die „leidenschaftliche Erregung der öffentlichen Meinung“ durch Presse und Parlament die Exekutive mit sich fortreiße.81 Die Niederlage im Weltkrieg deutete Delbrück als Konsequenz der Schwäche, nicht der Stärke der kaiserlichen Regierung: „Nicht daß wir das monarchische Regiment hatten, war unser Fluch“, schrieb er im Nachwort zur zweiten Auflage von „Regierung und Volkswille“, sondern dass es nicht stark genug gewesen sei, den „chauvinistischen Volksströmungen“, die er insbesondere unter den Annexionisten im Alldeutschen Verband oder der Vaterlandspartei verortete, Widerstand zu leisten.82 Delbrück war kein Parlamentskritiker aus Prinzip. Den Machtgewinn des Reichstags, der es für die Reichsleitung zunehmend schwierig machte, ohne oder gegen eine parlamentarische Mehrheit zu regieren, hat er nicht in Bausch und Bogen verdammt. Dass dem kaiserzeitlichen Reichstag jedoch bis zuletzt die Kompetenz fehlte, die Regierung zu bestimmen, während der Krone weitreichende Vorrechte gerade in der Personalpolitik und beim Militär verblieben, hielt er nicht für einen Fehler, sondern für einen Vorzug der konstitutionellen Monarchie.
79 Frank Lorenz Müller, ,Perhaps also useful for our election campaign‘. The Parliamentary Impasse of the Late Wilhelmine State and the British Constitutional Crisis, 1909 – 1911, in: Dominik Geppert/Robert Gerwarth (Hrsg.), Wilhelmine Germany and Edwardian Britain. Essays in Cultural Affinity, Oxford 2008, S. 67 – 87, bes. S. 86. 80 Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871 – 1918, Göttingen 1973. 81 Zitiert nach Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen 1896 – 1912, München 2007, S. 33. 82 Delbrück, Regierung (Anm. 72), S. 139.
Monarchistische Planspiele in der frühen Bundesrepublik. Ein Briefwechsel aus den 1950er Jahren Von Frank-Lothar Kroll, Chemnitz I. Der Jubilar Hans-Christof Kraus, vertrauter Freund und geschätzter Kollege seit längst vergangenen Studentenzeiten, hat sich in einem quellenbezogenen Beitrag zur Festschrift für Helmut Quaritsch 2010 mit den in der Rückschau einigermaßen kurios anmutenden monarchistischen Restaurationsbemühungen in der frühen Bundesrepublik auseinandergesetzt.1 Damals hatten der seit 1947 als Professor für Religionsund Geistesgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen lehrende jüdische Remigrant Hans-Joachim Schoeps (1909 – 1980) und der mit ihm durch gemeinsame Tage in der Deutschen Jugendbewegung bekannte nationalsozialistische Verfassungsjurist Ernst Rudolf Huber (1903 – 1990) in einem knappen brieflichen Austausch über die Möglichkeit einer Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland nachgedacht. Schoeps tat dies mit dem festen Willen, einem solchen Wandel der Staatsform politisch und publizistisch vorzuarbeiten. Huber hingegen leitete einige Skepsis, die ihn zögern ließ, seinem jugendbewegten Kollegen auf diesem Weg vorbehaltlos zu folgen. Hans-Joachim Schoeps2 hatte sich in den Jahren seines erzwungenen Exils im Königreich Schweden zu einem überzeugten Anhänger der monarchischen Staatsform entwickelt. Die dort unmittelbar erlebte Verfassungspraxis eines konstitutionellen 1 Hans-Christof Kraus, Eine Monarchie unter dem Grundgesetz? Hans-Joachim Schoeps, Ernst Rudolf Huber und die Frage einer monarchischen Restauration in der frühen Bundesrepublik, in: ders./Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Souveränitätsprobleme der Neuzeit. Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages, Berlin 2010, S. 43 – 69. 2 Über ihn vgl. zuletzt den Tagungsband von Gideon Botsch/Joachim H. Knoll/Anna-Dorothea Ludwig (Hrsg.), Wider den Zeitgeist. Studien zum Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps (1909 – 1980), Hildesheim/Zürich/New York 2009, sowie die Monografie von FrankLothar Kroll, Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen, Berlin 2010; unbefriedigend, da weitgehend ohne Rückgriff auf den reichhaltigen Nachlass von Hans-Joachim Schoeps in der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek, sind die beiden Darbietungen von Richard Faber, Deutschbewusstes Judentum und jüdischbewusstes Deutschtum. Der historische und politische Theologe Hans-Joachim Schoeps, Würzburg 2008, und Micha Brumlik, Preußisch, konservativ, jüdisch. Hans-Joachim Schoeps’ Leben und Werk, Wien/Köln/Weimar 2019.
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Königtums unter der bis 1974 gültigen Verfassung von 1809 mochte dazu ebenso beigetragen haben wie seine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit der preußischen Monarchie im Zeitalter König Friedrich Wilhelms IV. (1795 – 1861).3 Die seinerzeit zwischen Schoeps und Huber gewechselten, von Hans-Christof Kraus mustergültig edierten und kommentierten Briefe hatten eine Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland an zwei Voraussetzungen geknüpft: an die demokratische Absicherung und an die verfassungsmäßige Legitimation eines solchen Unterfangens. Beide Voraussetzungen schienen allerdings nur dann gegeben, wenn im Gefolge der Wiedervereinigung Deutschlands das Grundgesetz – gemäß Artikel 146 – seine Gültigkeit verlöre und alle Deutschen zur Abstimmung über eine neue Verfassung aufgerufen wären. Dann – und nur dann – könne die republikanisch-demokratische Verfassung der Bundesrepublik durch eine monarchisch-demokratische Verfassung Gesamtdeutschlands ersetzt werden. Als Kandidat für eine solche „monarchische Renovatio“4 kam für Schoeps allein die Person des seit 1951 als Chef des Hauses Hohenzollern firmierenden Prinzen Louis Ferdinand von Preußen (1907 – 1994) in Betracht. Dieser zweitälteste Enkel des letzten deutschen Kaisers und Königs von Preußen, Wilhelms II. (1859 – 1941), galt bereits in jungen Jahren als ein mit demokratisch-parlamentarischen Idealen sympathisierender „Rebel Prince“.5 Er hatte sich stets von allen rechtsradikalen Umtrieben ferngehalten, war im Umfeld der Verschwörer vom 20. Juli 1944 als mögliches deutsches Staatsoberhaupt nach erhoffter Beseitigung des Tyrannen im Gespräch gewesen,6 und er hatte sich unmittelbar nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft unmissverständlich für einen demokratischen Neuaufbau des besiegten und moralisch diskreditierten Deutschlands ausgesprochen.7 Damit verband sich die entschiedene Abkehr von allen nationalistisch-reaktionären Engführungen ebenso wie das Plädoyer für eine feste und dauerhafte Verankerung der Deutschen in der westlich-atlantischen Wertegemeinschaft unter Aufrechterhaltung des Wiedervereinigungsgebotes. Der sehr umfängliche Nachlass des Prinzen im Archiv der Burg Hohenzollern enthält eine größere Anzahl von Briefen, die Louis Ferdinand und Hans-Joachim Schoeps über einen Zeitraum von gut einem Jahrzehnt miteinander wechselten, 3
Das seine Forschungen und Einsichten bündelnde Standardwerk erschien 1952; HansJoachim Schoeps, Das andere Preußen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV., 3. Aufl. Berlin 1964. 4 Kraus, Eine Monarchie (Anm. 1), S. 61. 5 So der Titel der amerikanischen Ausgabe seiner Memoiren; vgl. Louis Ferdinand, The Rebel Prince – Memoirs of Prince Louis Ferdinand of Prussia. Introduction by Louis P. Lochner, Chicago 1952. 6 Vgl. z. B. Peter Hoffmann, Widerstand. Staatsstreich. Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 1969, S. 246 f., 264 f. 7 Vgl. beispielhaft den im Juni 1945 verfassten und im Dezember publizierten Artikel von Louis Ferdinand, Teach Germans Meaning of Four Freedoms, Prince Urges, in: The Bavarian. Published by the third military government regiment, Bd. 1, Nr. 16 (20. Dezember 1945).
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und die allesamt das Thema einer Restauration der Hohenzollernmonarchie umkreisen. Diese hier erstmals ausgewertete Korrespondenz ergänzt die Ausführungen des Jubilars von 2010 und erweitert das von Hans-Christof Kraus Dargelegte um einige grundsätzliche Gesichtspunkte. II. Der Chef des Hauses Hohenzollern war 1951 auf das Wirken des damals in der deutschen Öffentlichkeit noch nahezu unbekannten Erlanger Gelehrten aufmerksam geworden. Schoeps hatte am 18. Januar 1951, anlässlich der 250. Wiederkehr der preußischen Königserhebung, im Auditorium Maximum seiner Universität einen aufsehenerregenden Vortrag „Die Wahrheit über Preußen“ gehalten, den er im gleichen Jahr unter dem Titel „Die Ehre Preußens“ separat im Druck veröffentlichte.8 Nach wenigen Wochen waren davon bereits 10.000 Exemplare verkauft, noch 1969 erschien die kleine Broschüre in 8. Auflage. Die darin von Schoeps vorgenommenen Wertungen lasen sich – wie übrigens auch zahlreiche spätere Veröffentlichungen aus seiner Feder9 – als eine Art Kontrastdiagnose zur damals vorherrschenden Pauschalverurteilung des Hohenzollernstaates, den der Alliierte Kontrollrat 1947 bekanntlich mit dem Verdikt einer militaristisch-reaktionären Zwingburg belegt und per Gesetz kurzerhand für „aufgelöst“ erklärt hatte.10 „Die Ehre Preußens“ zeichnete demgegenüber das Bild eines von manchen Makeln und Eintrübungen zwar nicht freien Staatswesens, das sich jedoch, aufs Ganze gesehen, durch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Toleranzgewährung, der Sozialgesinnung und durch eine umfassend betriebene Kultur-, Bildungs-, und Wissenschaftspflege ebenso empfahl, wie es sich durch die Existenz eines einsatzfreudigen Beamtentums und einer leistungsstarken Verwaltung auszeichnete.11
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Hans Joachim Schoeps, Die Ehre Preußens, Stuttgart 1951. Vgl. z. B. Hans-Joachim Schoeps, Preußen – gestern und morgen, Stuttgart 1963; HansJoachim Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, Berlin 1966; Hans-Joachim Schoeps, Das war Preußen. Zeugnisse der Jahrhunderte. Eine Anthologie, 3., erw. Aufl. 1968; HansJoachim Schoeps, Üb’ immer Treu und Redlichkeit. Preußen in Geschichte und Gegenwart, Düsseldorf 1978. 10 Vgl. Gilbert H. Gornig, Kontrollratsgesetz Nr. 46 betreffend die Auflösung Preußens vom 25. Februar 1947, in: Ostdeutsche Gedenktage 1997. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1996, S. 323 – 331; umfassend Gilbert H. Gornig, Territoriale Entwicklung und Untergang Preußens. Eine historisch-völkerrechtliche Untersuchung, Köln 2000, bes. S. 141 – 261. 11 Für den Zusammenhang Frank-Lothar Kroll, Militär, Politik und Kultur. Das Janusgesicht Preußens, in: ders./Bernd Heidenreich (Hrsg.), Macht- oder Kulturstaat? Preußen ohne Legende, Berlin 2002, S. 9 – 18; Frank-Lothar Kroll, „Preußische Tugenden“ – eine Maske für den totalitären Staat?, in: Daniel E. D. Müller/Christoph Studt (Hrsg.), Vom bürgerlichen Humanismus zum „Herrenmenschentum“. Die Transformation moralischer Werte als Ausgangspunkt für den Widerstand im „Dritten Reich“, Augsburg 2021, S. 62 – 70. 9
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Der enorme Widerhall, der Schoeps auf diesen Erlanger Vortrag weit über die Grenzen der mittelfränkischen Universitätsstadt hinaus entgegenklang, erreichte auch den in Bremen lebenden Prinzen Louis Ferdinand. Bei einer dort stattfindenden ersten persönlichen Begegnung kam sehr schnell die Monarchie-Frage zur Sprache, wobei Schoeps der vorwärtsdrängende, Louis Ferdinand hingegen der eher auf Zurückhaltung bedachte Gesprächspartner gewesen sein dürfte – ein Eindruck, der sich im Blick auf ihrer beider Korrespondenz im nachfolgenden Jahrzehnt immer mehr verstärkt. Jedenfalls entwickelte Schoeps sogleich rege Aktivitäten, die in zwei Arbeitstagungen Anfang 1952 in Marburg und Anfang 1953 in Eltville gipfelten. Durchaus prominente Repräsentanten des damaligen öffentlichen Lebens der frühen Bundesrepublik erörterten dabei die Chancen für eine Implantierung der monarchischen Staatsform in die westdeutsche Verfassungsordnung – und diskutierten über die Hindernisse, die einem solchen Vorhaben entgegenstanden.12 Zu den Teilnehmern der beiden Arbeitstagungen gehörten unter anderem der damalige Präsident des Deutschen Bundestages Hermann Ehlers (1904 – 1954), der spätere Bundesminister und konservative Politiker Hans Joachim von Merkatz (1905 – 1982), der Schriftsteller, Journalist und Herausgeber der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ Erik Reger (1893 – 1954) und der mit Louis Ferdinand befreundete Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John (1909 – 1997). Der Prinz selbst war bei beiden Zusammenkünften nicht zugegen, und seine Korrespondenz mit Schoeps in den jeweils folgenden Wochen und Monaten zeugte von erheblichen Vorbehalten gegenüber einem allzu forschen Vorgehen in der Monarchie-Frage. Nachdem ihm Schoeps von dem „sehr mageren Ergebnis“ der zweiten Tagung in Eltville am 3./4. Januar 1953 berichtet hatte13 – weder erwog man dort konkrete Maßnahmen, „die auf politische Tätigkeit in nächster Zeit hinzielen“, noch hatte man den von Erik Reger ins Spiel gebrachten Plan zur Gründung einer monarchistischen Partei nach italienischem Vorbild14 weiterverfolgt –, antwortete ihm der Prinz ohne sichtliche Enttäuschung: „Sicherlich ist das Resultat bedauerlich. Aber jetzt weiß man jedenfalls, woran man ist.“15 Wichtiger erschien ihm der Kommentar zu einer anderen, damals hohe Wellen schlagenden und auch ihn zutiefst be12
Zum Ganzen ausführlich Kroll, Geschichtswissenschaft (Anm. 2), S. 63 ff. Schoeps an Louis Ferdinand, 10. Januar 1953, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 09.00, SKH Briefe 1952 bis 1953. 14 In Italien war die Monarchie nach einer Volksabstimmung am 2. Juni 1946 abgeschafft worden. Bei hoher Wahlbeteiligung hatten sich 54 Prozent der Wähler für die republikanische Staatsform ausgesprochen, 46 Prozent votierten für die Beibehaltung der Monarchie. Regional war das Land dabei zutiefst gespalten. Der Norden stimmte mehrheitlich für die Republik, der Süden für die Monarchie – in Neapel waren es fast 90 Prozent. Die daraufhin gegründete „Partito Nazionale Monarchico“ errang in den folgenden Jahren respektable Wahlergebnisse, bei den Parlamentswahlen von 1953 waren es fast 7 Prozent. Danach jedoch versank die Partei infolge mehrerer Spaltungen und Umbenennungen zunehmend in die Bedeutungslosigkeit. 1972 schied sie aus dem Parlament aus. 15 Louis Ferdinand an Schoeps, 16. Januar 1953, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 09.00, SKH Briefe 1952 bis 1953. 13
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rührenden Zeiterscheinung: „Mit den Judenverfolgungen scheint sich Stalin auf dasselbe Gleis wie Hitler zu begeben. Hoffentlich wird er auch auf dieselbe Weise enden.“16 Der an ihn ergangenen Aufforderung zu einer verstärkten Vortragstätigkeit, um nach dem Vorbild des österreichischen Thronprätendenten Otto von Habsburg (1912 – 2011) seine durch zahlreiche USA-Aufenthalte gewonnenen „politischen Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit als ein[en] Aktivposten erscheinen zu lassen“,17 begegnete er mit deutlicher Distanz18 – woraufhin sich Schoeps veranlasst fühlte, „eine deutliche Trennungslinie gegen alles das zu ziehen, was […] als ,reaktionär‘ zu gelten hat“.19 Nach Erscheinen seiner Schrift „Kommt die Monarchie?“20 wurde er in seinem royalistischen Eifer noch einmal erheblich befördert und regte gar „die Gründung einer monarchistischen Organisation“ an.21 Doch dann liest man, nur wenige Monate später, in einer deutlich missvergnügten Bekundung, die Schoeps „seinem“ Prinzen übermittelte, verhalten artikulierte Kritik an dessen vermeintlich mangelndem Willen, „die Monarchie als wünschbare Lösung“ zu propagieren. Statt als Prätendent „selbst Kristallisationspunkt“ zu werden, sei der Prinz im Rahmen der von ihm veranstalteten Konzerte lediglich „für künstlerisch interessierte Kreise“ ein Begriff.22 Ein Brief des Prinzen wies solche Vorwürfe bereits zwei Tage später mit gebotener Höflichkeit zurück.23 Im Blick auf die zumeist sehr knapp gehaltenen Antwortschreiben Louis Ferdinands gewinnt man tatsächlich den Eindruck, als gehe der Prinz nur zögernd und 16 Als Folge eines vom sowjetischen Geheimdienst KGB inszenierten angeblichen Komplotts jüdischer Ärzte zur Ermordung der Moskauer Staatsführung begann im September 1952 eine landesweite antisemitische Hetzkampagne in der Sowjetunion, als deren Ergebnis dutzende jüdische Wissenschaftler verhaftet, verhört, gefoltert und ermordet wurden. Die Frage, ob Stalin darüber hinaus eine Deportation der etwa zwei Millionen sowjetischen Juden nach dem Vorbild der Krimtartaren und der Wolga-Deutschen plante, ist bis heute unbeantwortet. 17 Schoeps an Louis Ferdinand, 7. März 1953, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 09.00, SKH Briefe 1952 bis 1953. 18 Louis Ferdinand an Schoeps, 19. März 1953, ebd. 19 Schoeps an Louis Ferdinand, 20. März 1953, ebd.; vgl. Anlage 1. 20 Hans-Joachim Schoeps, Kommt die Monarchie? Wege zu neuer Ordnung im Massenzeitalter, Ulm 1953, bes. S. 46 – 69; vgl. Anlage 2. 21 Schoeps an Louis Ferdinand, 21. Oktober 1953, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 10.00, SKH Briefe 1953 bis 1954. Der 1956 auf Initiative von Heinrich Freiherr von Massenbach (1905 – 1962) gegründete Verein „Tradition und Leben“, der sich für eine friedliche Umwandlung der Bundesrepublik in eine parlamentarisch-demokratische Monarchie unter dem jeweiligen Chef des Hauses Hohenzollern einsetzte, entfaltete in den 1960er Jahren rege Aktivitäten, gelangte aber auch zu seinen besten Zeiten niemals über den Rang einer Winkelorganisation hinaus. Hans-Joachim Schoeps firmierte als Ehrenmitglied, Louis Ferdinand hielt zu dem Verein auf Distanz. Im November 2022 löste sich der Verein mangels Mitgliederzulaufs auf. 22 Schoeps an Louis Ferdinand, 8. Dezember 1953, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 10.00, SKH Briefe 1953 bis 1954. 23 Louis Ferdinand an Schoeps, 10. Dezember 1953, ebd.
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eher halbherzig auf die ihm von Schoeps immer erneut angetragene Rolle eines präsumtiven deutschen Staatsoberhauptes ein. Fast scheint es so, als sei ihm – anders als seinem hyperaktiven Erlanger Briefpartner – von vorneherein die Aussichtslosigkeit des ganzen Vorhabens bewusst gewesen. Louis Ferdinand hatte seit Ende der 1920er Jahre zahlreiche Auslandserfahrungen gesammelt und sich vor allem durch seine Aufenthalte in Nord- und Südamerika24 einen ungetrübten, unsentimentalen Blick auf die politische und gesellschaftliche Lebenswirklichkeit einer modernen demokratischen Industriegesellschaft bewahrt. Er sah sich eher als Fortsetzer der kulturellen Überlieferungen seines Hauses, verstand sich als überparteilicher Repräsentant der ranghöchsten deutschen Adelsfamilie, und er war darum bemüht, durch karitatives Engagement und mäzenatisches Wirken, weniger indes durch pointierte Stellungnahmen zum politischen Zeitgeschehen, das im Dritten Reich ramponierte gesellschaftliche Ansehen der Hohenzollern wiederherzustellen. Bekanntlich hatte sein Vater, Kronprinz Wilhelm (1882 – 1951), das symbolische Kapital der Familie infolge seiner kurzfristigen Liaison mit den Nationalsozialisten verspielt.25 Äußerst zurückhaltend reagierte der Prinz auch auf die ihm von Schoeps für April 1954 angekündigte Gründung eines „Volksbundes für die Monarchie – Volksbund für Krone und Reich“, mit dem erklärten Ziel, eine „Schilderhebung durch das Volk“ vorzubereiten und „eine Massenorganisation zu schaffen, die mindestens das Gespräch über diese Frage in der Öffentlichkeit wachhält“.26 Auf die Mitteilung, dass „der Weg zu einer [solchen] Organisation, nicht auf breiter Ebene, sondern in Form von Kadergruppen […] nunmehr eingeschlagen worden“ sei,27 erhielt Schoeps keine Antwort mehr. Das avisierte Projekt eines „Volksbundes“ ist dann auch über das Stadium vager Planungen niemals hinaus gediehen.28
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Dazu Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Als Kaiserenkel um die Welt, 2. Aufl. Berlin 1954, S. 141 – 233. 25 Dazu Lothar Machtan, Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck, Berlin 2021; Frank-Lothar Kroll/Christian Hillgruber/Michael Wolffsohn (Hrsg.), Die Hohenzollerndebatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit. Berlin 2021; Stephan Malinowski, Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration, Berlin 2021. Malinowskis Ausführungen zur Rolle Louis Ferdinands (S. 509 – 567) sind wissenschaftlich wertlos, da der Verfasser es vorzieht, mit ressentimentgeladenen Vorurteilen zu arbeiten, statt belastbare Quellen zu zitieren. Der mühevollen Einsichtnahme und Auswertung des prinzlichen Nachlasses weicht er bis heute aus. 26 Schoeps an Louis Ferdinand, 7. Januar 1954, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 10.00, SKH Briefe 1953 bis 1954. 27 Schoeps an Louis Ferdinand, 22. Juni 1954, ebd. 28 Die 1954 in Hessen erfolgte Gründung der „Monarchistischen Partei Deutschlands“ – eine Kreation des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Heinrich Leuchtgens (1876 – 1959) – blieb ebenso ephemer wie die – unabhängig von Schoeps – 1955 kurzzeitig in NordrheinWestfalen auftauchende „Volksbewegung für Kaiser und Reich“; vgl. Martin Jenke, Die nationale Rechte. Parteien – Politiker – Publizisten, Berlin 1968, S. 126 f., sowie Joachim Selzam, Monarchistische Strömungen in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1989, Diss. Univ. Erlangen/Nürnberg 1994.
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III. Auf welch abseitige Nebenwege die Monarchie-Diskussion in den 1950er Jahren führen konnte, dokumentiert ein Briefwechsel vom Juli 1954. Der Chef des Hauses Hannover, Erbprinz Ernst August (1914 – 1987) – Nachfolger seines im Jahr zuvor verstorbenen Vaters Herzog Ernst Augusts (1887 – 1953), des letzten regierenden Herzogs von Braunschweig29 – hatte in einem Schreiben gegenüber seinem Cousin (Louis Ferdinands Tante, Herzogin Viktoria Luise, 1892 – 1985, einzige Tochter Kaiser Wilhelms II., war die Mutter des braunschweigischen Erbprinzen) dynastische Konkurrenzempfindungen artikuliert, indem er für sein eigenes Haus, die Welfen, seinerseits Thronansprüche anmeldete. Angehörige dieser Familie hatten bekanntlich bis 1866 als Könige von Hannover, bis 1884 (und dann noch einmal kurzzeitig von 1913 bis 1918) als Herzöge von Braunschweig regiert. Nun, nach Etablierung des Landes Niedersachsen 1947, das neben den welfischen Stammlanden Hannover und Braunschweig auch die ehemals selbständigen Staaten Oldenburg und SchaumburgLippe umfasste, forderte Ernst August nicht nur dort eine monarchische Restauration.30 Er brachte darüber hinaus seine Dynastie als legitime Anwärterin auf die „Reichskrone“, also auf die Stellung eines möglichen kaiserlichen deutschen Staatsoberhauptes, ins Spiel.31 Solche Blütenträume gingen selbst dem Monarchie-Freund Schoeps zu weit. Er empfand sie einmal mehr als „reaktionär und schädlich“ und erblickte in ihren Verfechtern – Louis Ferdinand hatte ihm dem Brief des Erbprinzen übermittelt – weltfremde Traumtänzer und Phantasten. In seiner Antwort an den Prinzen erwies er sich dann allerdings als nicht viel weniger realitätsfern: Im Falle einer glücklich erfolgten Wiedervereinigung Deutschlands liege es „immerhin im Bereiche vorstellbarer Möglichkeiten“, dass eine künftige verfassungsgebende Nationalversammlung „den legitimen Erben des letzten deutschen Kaiserhauses [bitte], die Krone des Reiches wieder tragen zu wollen“.32 Es mutet fast wie ein ungewollt kurioser Zusammenfall an, wenn kaum drei Wochen nach solchen Worten, bei der am 17. Juli 1954 stattfindenden Bundespräsidentenwahl in Berlin, von den 978 dort abgegebenen Stimmen jeweils eine Stimme auf Louis Ferdinand und eine Stimme auf Ernst August entfielen, ohne dass einer der beiden überhaupt für das Amt kandidiert hatte. Das Verlesen ihrer Namen bei Bekanntgabe des Ergebnisses – wiedergewählt wurde 29 Vgl. Frank-Lothar Kroll, Fürsten ohne Thron. Schicksale deutscher Herrscherhäuser im 20. Jahrhundert, Berlin 2022, S. 161 – 171. 30 Auf Anregung seines Vaters war 1952, kurz vor dessen Tod, der „Welfenbund“ gegründet worden. Er existiert bis heute, versteht sich nicht als eine monarchistische Vereinigung, unterhält aber enge Kontakte zum ehemaligen braunschweiger Herzogs- bzw. hannoverschen Königshaus und tritt mit Gedenkveranstaltungen, Kranzniederlegungen und Traditionstreffen im regionalen Raum in Erscheinung. 31 Vgl. Anlage 3. 32 Schoeps an Louis Ferdinand, 1. Juli 1954, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 10.00, SKH Briefe 1953 bis 1954.
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der bisherige Amtsinhaber Theodor Heuss (1884 – 1963) mit 871 Stimmen – sorgte in der Versammlung denn auch für nicht geringe Heiterkeit. Louis Ferdinand reagierte auf den fast vier Seiten langen Brief erneut mit nur wenigen dürftigen Zeilen. Die Frage seines Erlanger Korrespondenzpartners, ob der Prinz denn auch weiterhin dessen Bemühungen um Etablierung einer monarchistischen Volksbewegung unterstütze, beantwortete er ausweichend: „Mit Ihren Ausfuehrungen stimme ich im grossen und ganzen durchaus ueberein. Schon seit langem bin ich zu sehr aehnlichen Schlussfolgerungen gelangt, habe diese aber bisher bewusst noch nicht nach aussen hin formuliert. Die Notwendigkeit hierfuer schien mir noch nicht gegeben. Die Situation kann sich natuerlich aendern.“33 Einen ähnlich unverbindlichen Bescheid34 erhielt Schoeps auf seinen Vorschlag, die Landsmannschaften der ehemals zu Preußen gehörenden Vertreibungsgebiete – also Ostpreußens, Westpreußens, Ostbrandenburgs, Pommerns und Schlesiens – sollten dem hohenzollernschen Prätendenten die gemeinsame Schirmherrschaft über ihre Organisationen anbieten. Dies trage dazu bei, dessen Thronanspruch sichtbarer zu machen, „ohne dass man Wort und Begriff zu nennen braucht. Es würde ein solcher Schritt nämlich einer Schilderhebung durch die preußische Bevölkerung gleichkommen.“35 Mit Entschiedenheit äußerte sich der Prinz erst, nachdem ihm Schoeps ein Gerücht zur Kenntnis brachte, das SED-Regime in Ost-Berlin plane die Gründung einer monarchistischen, der Hohenzollern-Restauration dienenden politischen Partei, um mit einem protestantischen Thronprätendenten bei den evangelischen Christen in Ost und West Propaganda gegen Westbindung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zu machen36 : „Seit der John-Tragoedie“, so schrieb ihm Louis Ferdinand postwendend, „kursieren diese idiotischen Geruechte, die sicherlich aus der Sowjetkueche stammen. […] Mit den Gaengstern, die augenblicklich Russland und die Haelfte unseres Erdballes tyrannisieren, haben wir nichts zu tun. Das ueberlassen wir den Koexistentialisten.“37 IV. In der Folgezeit, ab Ende der 1950er Jahre, versandete die Korrespondenz zwischen Schoeps und Louis Ferdinand in den Niederungen des Alltäglichen. Es ging um die Koordinierung von Konzertterminen auf der Burg Hohenzollern,38 um Bera-
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Louis Ferdinand an Schoeps, 3. Juli 1954, ebd. Vgl. Louis Ferdinand an Schoeps, 7. Februar 1955, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 11.00, SKH Briefe 1954 bis 1957. 35 Schoeps an Louis Ferdinand, 1. Februar 1955, ebd. 36 Vgl. Schoeps an Louis Ferdinand, 10. Februar 1955, ebd. 37 Louis Ferdinand an Schoeps, 15. Februar 1955, ebd. 38 Vgl. Schoeps an Louis Ferdinand, 4. Juni 1957, Archiv Burg Hohenzollern, S-4 – 02.00 SKH Briefe 1957 – 1961. 34
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tungen mit Verlegern,39 oder um angedachte und nicht zustande gekommene Buchprojekte.40 Politisch relevante Themen wurden, soweit ersichtlich, nicht mehr angesprochen. Schoeps dürfte mittlerweile erkannt haben, dass sein Engagement zu Gunsten der Wiedereinführung der Monarchie vollkommen chancenlos bleiben würde – eine Einsicht, die sein hochadeliger Korrespondenzpartner wohl schon immer insgeheim besessen haben wird, ohne dies eigens zu artikulieren. Offensichtlich schätzte der um nur zwei Jahre jüngere Prinz, trotz seiner sozial exponierten Stellung, die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der frühen Bundesrepublik ungleich klarer blickend und weitaus realistischer ein als der im mittelfränkischen Erlangen lebende und schreibende Gelehrte. Ein Monarchist aus Überzeugung ist Hans-Joachim Schoeps nach eigenem Bekunden zeitlebens geblieben.41 Doch an eine Verwirklichung seines royalen Traumes auf dem Feld der aktuellen Tagespolitik hat er später nicht mehr geglaubt. Eine gewisse Eintrübung im Verhältnis zwischen Schoeps und „seinem“ Prinzen mag zudem eingetreten sein, nachdem bekannt wurde, dass Louis Ferdinands ältester Sohn, Prinz Friedrich Wilhelm (1939 – 2015) – vom Vater bereits 1967 nach einer adelsrechtlich als unebenbürtig geltenden Heirat von der Erbfolge ausgeschlossen – seinen Doktorgrad auf Grund von Plagiatsvorwürfen zurückgeben musste. Pikant daran war die Tatsache, dass der Titel im Jahr zuvor mit einer bei Schoeps in Erlangen eingereichten Dissertation42 erworben worden war. Schoeps sah sich nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe zu einer Überprüfung des Textes veranlasst und musste feststellen, dass Prinz Friedrich Wilhelm zwei Drittel der Arbeit aus älteren Vorlagen abgeschrieben hatte. Tief enttäuscht von solch unwürdigem Verhalten eines Angehörigen des von ihm so sehr geschätzten und umworbenen Hohenzollernhauses, hatte er den Fall daraufhin bei der Rechtsabteilung der Universität angezeigt und für die Aberkennung des Doktorgrades seines Schülers plädiert. V. Welche weiterführenden historisch relevanten Erkenntnisse hält der Blick auf die im Briefwechsel zwischen Hans-Joachim Schoeps und Prinz Louis Ferdinand diskutierte Thematik bereit? Vielleicht vermögen die Beobachtungen des aus Wien stammenden, nach der Emigration später in den USA lehrenden Historikers Robert A. Kann (1906 – 1981) einige Fingerzeige zur Beantwortung dieser Frage zu vermitteln. Kann hatte in einer breit angelegten, 1974 in deutscher Übersetzung erschienenen 39
Vgl. Louis Ferdinand an Schoeps, 17. Juni 1957, ebd. Vgl. Schoeps an Louis Ferdinand, 16. Dezember 1960, ebd. 41 Vgl. z. B. die beiden Memoirenbände Hans-Joachim Schoeps, Rückblicke. Die letzten dreißig Jahre (1925 – 1955) und danach, 2. erw. Aufl. Berlin 1963, S. 168 ff., und Hans-Joachim Schoeps, Ja, nein, und trotzdem. Erinnerungen, Begegnungen, Erfahrungen, Mainz 1974, S. 15 ff., 159 ff. 42 Vgl. Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen, Bismarcks Reichsgründung und das Ausland, Göttingen/Hannover 1972. 40
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Studie die Problematik monarchistischer Restaurationsbemühungen vor allem anhand des britischen und des französischen Beispiels erörtert: der Rückkehr der Stuarts nach London 1660 und der Wiedereinsetzung der Bourbonen in Paris 1814.43 Die aus der Analyse dieser beiden historisch prominentesten Fälle gewonnenen Einsichten erlauben einige allgemeine Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten entsprechender Unternehmungen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts. Um sich nicht von vorneherein als aussichtslose dynastische Spiegelfechtereien zu präsentieren, müssen monarchistische Bestrebungen eine Reihe unverzichtbarer Gegebenheiten berücksichtigen. Sie müssen – erstens – von der Rückendeckung einer daran interessierten und dafür aufnahmebereiten größeren Öffentlichkeit getragen werden. Sie müssen – zweitens – von einflussreichen Entscheidungsträgern an den Schalthebeln staatlicher Macht flankiert werden. Und sie müssen – drittens – mit einer wie immer gearteten Programmatik verbunden sein – mit einer Art von Heilsversprechen, das seine Attraktivität nicht durch den Verweis auf eine bereits abgelebte Vergangenheit gewinnt, sondern im Blick auf eine Zukunft, die als Kontrastfolie zur defizitären Gegenwart firmiert und eine Hinwendung zum Besseren suggeriert. Es war sicherlich kein Zufall, dass bei der einzigen dauerhaft erfolgreichen monarchischen Restauration im Europa der Nachkriegszeit44 alle drei gennannten Rahmenbedingungen erfüllt waren: bei der Neubegründung des Königtums der Bourbonen in Spanien, unmittelbar nach dem Tod des langjährigen Staatschefs Francisco Franco (1892 – 1975) unter König Juan Carlos I. (geb. 1938).45 Doch selbst in diesem Fall waren der Entscheidung jahrelange Diskussionen, Planspiele und Alternativszenarien vorangegangen.46 Das hatte dort im Übrigen dazu geführt, dass die Königserhebung von den dafür Verantwortlichen bewusst nicht im Sinne einer Restauration der (von 1876 bis 1931 in Spanien existierenden) Monarchie durchgeführt wurde, sondern als deren Instauración verstanden wurde – eine Neueinsetzung, die 43 Vgl. Robert A. Kann, Die Restauration als Phänomen in der Geschichte (1968), Graz/ Wien/Köln 1974, S. 274 – 305, 306 – 341. 44 Darüber hinaus hat es, globalpolitisch gesehen, nur noch in Asien eine bis heute allgemein akzeptierte royale Rückkehr gegeben: die Wiedereinführung des Königtums in Kambodscha 1992; vgl. perspektivenreich Roger Kershaw, Monarchy in South East Asia. The faces of tradition in transition, London/New York 2001. 45 Zu diesem in der neueren europäischen Geschichte seltenen Phänomen eines gewaltlosen Übergangs von einer Diktatur zur Demokratie, dessen Erfolg sich maßgeblich dem Träger der Krone verdankt, existieren mittlerweile zahlreiche wissenschaftlich ausgewiesene Analysen; vgl. zeitgenössisch Juan Ferrando Badía, Teoría de la instauración en España, Madrid 1975; den Beitrag des Königs würdigen Vicente Palacio Atard, Juan Carlos I. y el advenimiento de la democracia, Madrid 1989; Charles T. Powell, El piloto del cambio. El Rey, la monarquía y la transición a la democracia, Barcelona 1991; Walther L. Bernecker, Die Rolle von König Juan Carlos, in: ders./Carlos Collado Seidel (Hrsg.), Spanien nach Franco. Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie 1975 – 1982, München 1993, S. 150 – 170. 46 Dazu die ebenso umfängliche wie kenntnisreiche Darstellung von Laureano López Rodó, La larga marcha hacia la monarquía, Barcelona 1977.
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den Prinzipien des franquistischen Staates entsprechen, keineswegs jedoch in Anlehnung an die parlamentarisch-demokratischen Grundsätze der „alten“, 1931 gestürzten spanischen Königsherrschaft erfolgen sollte. Dass der neue König sein Amt dann konsequent in genau diese Richtung entwickelte, zählt zu den bleibenden Verdiensten dieses, trotz manch späterer Fehltritte, bedeutenden Staatsoberhauptes – und zugleich zu den nicht eben häufigen Erfolgsbilanzen monarchischer Herrschaft im 20. Jahrhundert. Anderen europäischen Ländern blieb solch präzedenzloses Glück einer „spanischen Lösung“ vergleichbarer Transformationsprobleme hingegen verwehrt. In Rumänien fehlte nach dem Sturz der kommunistischen Tyrannei im Dezember 1989 die zweite der drei genannten Rahmenbedingungen. Große Teile vor allem der hauptstädtischen Bevölkerung des Landes wünschten damals die Wiedereinsetzung des 1947 vertriebenen Königs Mihai I. (1921 – 2017). Eine Massendemonstration in Bukarest anlässlich seines Besuches in der früheren Heimat zu Ostern 1992, an der mehr als eine Millionen Menschen teilnahmen, hatte dieses Verlangen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Viele rumänische Bürgerinnen und Bürger empfanden die Person des stets bescheiden auftretenden, politisch unbelasteten und charakterlich untadeligen ehemaligen Herrschers zudem als überzeugende Alternative zum selbstherrlichen Gebaren der postkommunistischen Politikerriege und erblickten in ihrem vertriebenen König einen glaubwürdigen Hoffnungsträger für einen echten demokratischen Neubeginn. Doch die alten Seilschaften in Justiz, Verwaltung und Staatsführung verhinderten eine solche „spanische“ Lösung.47 In Bulgarien wiederum, das in den 1990er Jahren gleichfalls von einer Welle royaler Sentiments durchwogt wurde, wären wohl alle drei genannten Bedingungen, zumindest für kurze Zeit, vorhanden gewesen. Die Erinnerung an die langen Regierungsjahre der konsensorientierten und außerordentlich populären Herrschergestalt des Zaren Boris III. (1892 – 1943) war in zahlreichen Bevölkerungskreisen auch nach einer mehr als 40-jährigen kommunistischen damnatio memoriae noch überaus lebendig – und wird bis heute im Land gepflegt.48 Hier scheiterte die Restauration der monarchischen Staatsform49 indes am Verhalten des dafür in Frage kommenden Kandidaten selbst. Zar Simeon II. (geb. 1937), der Nachfolger seines 1943 unter wohl für immer unaufgeklärt bleibenden Umständen plötzlich verstorbenen Vaters Boris III., hatte das Schicksal seines rumänischen Amtskollegen Mihai I. geteilt und war 1946 von den Kommunisten außer Landes gejagt worden. Nach seiner Rück47 Vgl. die neueren Untersuchungen von Lucian Boia, Suveranii României. Monarhia, o solut¸ie?, Bukarest 2014, und Alexandru Muraru, Cum Supravietuieste Monarhia intr-o Republica?, Regele Mihai, Românii s¸i Regalitatea dupâ 1989, Bukarest 2015. 48 Vgl. z. B. Ivaylo Schalafoff, Serving Bulgaria. 130 years Bulgarian Royal Dynasty 1887 – 2017, Sofia 2017, bes. S. 110 – 137. 49 Vgl. Rossen Vassilev, Why was the Monarchy Not Restored in Post-Communist Bulgaria?, in: East European Politics and Societies 24 (2010), S. 503 – 519; Rossen Vassilev, The Failure to Restore the Monarchy in Post-Communist Bulgaria, in: Romanian Journal of Political Science 2009, S. 47 – 58.
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kehr aus dem Exil 1996 gründete er eine politische Partei, die 2001 einen überwältigenden Wahlsieg errang. Gegen die Empfehlung vieler monarchiefreundlicher Berater ließ er sich daraufhin zum bulgarischen Ministerpräsidenten wählen – und machte durch seine damit verbundene Eidesleistung auf die republikanische Verfassung des Landes jeden Gedanken an eine Rückkehr des Königtums gegenstandslos. Um seine Rolle im Sinne eines konstitutionellen Monarchen als neutrale und überparteiliche Symbolfigur der Nation ausfüllen zu können, hätte er keinerlei Parteiamt im aktuellen politischen Tagesgeschäft übernehmen dürfen. Anders als in den Transformationsgesellschaften Spaniens, Rumäniens und Bulgariens in den 1970er und 1990er Jahren boten sich in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft der 1950er Jahre nicht die geringsten Ansatzpunkte für jene drei Minimalvoraussetzungen, deren Vorhandensein den Erfolg einer monarchischen Restauration zwar noch keineswegs sicher garantierte, ihn aber doch zumindest in den Bereich des politisch Möglichen gerückt hätte. In der Bundesrepublik gab es keine dem Royalismus verbundenen Volksmassen, keine nennenswerte Zahl führender Repräsentanten des öffentlichen Lebens, die sich auf ein solches Experiment eingelassen hätten. Und auch der mit westalliierter Hilfe gerade erst eingeleitete demokratische Erneuerungsprozess ließ sich nicht mit der Perspektive einer dynastischen Restauration verknüpfen. Ein solcher Gedanke verkörperte im Nachkriegsdeutschland „weder eine Idee, noch [die Hoffnung auf] ein [neues] Gesellschaftssystem“.50 Eine deutliche Mehrheit der Deutschen wollte von einer Totalumwälzung der im Westen gerade erst mühsam installierten republikanischen Verfassungsordnung nichts wissen. Bei einer Erhebung des Bielefelder Instituts für Markt- und Meinungsforschung hatten sich im November 1951 nur 23 Prozent der Befragten mit dem Gedanken einer Wiedereinführung der Monarchie anfreunden können.51 Auch andere Gewährsleute, die Schoeps damals in sein Monarchie-Projekt einzubinden versuchte, kamen zu einer ähnlichen Lagebeurteilung. So schrieb ihm Heinrich Brüning (1885 – 1975), der als drittletzter Reichskanzler der Weimarer Republik 1931/32 selbst eine Rückkehr der Hohenzollern auf den Thron erwogen hatte,52 1952 in diesem Sinne: „Eine Monarchie wieder aufzurichten und ihr Dauer zu geben, wäre bei uns nur möglich unter ganz aussergewöhnlichen Bedingungen – nämlich, wenn das Volk einsähe, dass sie der einzige noch bleibende Ausweg aus einer schweren [und] langen politischen Krise sein würde. Es gab vor 20 Jahren eine solche Möglichkeit; sie wurde vernichtet durch übereifrige Anhänger des monarchischen Gedankens. Daraus sollte man lernen.“53
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So treffend Kann, Restauration (Anm. 43), S. 384. Kroll, Geschichtswissenschaft (Anm. 2) S. 77. 52 Vgl. Heinrich Brüning, Memoiren 1918 – 1934, Stuttgart 1970, bes. S. 512 f. 53 Brüning an Schoeps, 20. Dezember 1952; Druck bei Kroll, Geschichtswissenschaft (Anm. 2), S. 101. 51
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Anlage 1 Hans-Joachim Schoeps an Prinz Louis Ferdinand, 20. März 1953, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 09.00, SKH Briefe 1952 bis 1953 Euer Kaiserlichen Hoheit möchte ich für den Brief vom 19. III. danken und um die Erlaubnis bitten, diesmal aus vertraulichen Gründen handschriftlich antworten zu dürfen. Wenn Ihr vorgeschlagener Vortrag erst im Winter nach der zweiten AmerikaReise stattfindet, so mag das in mancher Hinsicht gut sein. Nur müssen Sie in Kauf nehmen, daß inzwischen wenig oder nichts geschehen wird. Der in Eltville beschlossene Verein ist nicht gegründet worden, da Herr Hiltmann aus mir unbekannten Gründen das ihm übertragene Mandat, nach dem er sich notabene gedrängt hatte, bisher nicht ausführte. Ich bin aber nicht böse darüber, weil ich ohnehin nicht viel davon halte. Es fehlen in dem ganzen Plan Leute, die wirkliches politisches Schwergewicht haben und im akuten Fall ernstgenommen werden können. Mit Hiltmann, Massenbach und seinen Freunden kann man sich bei einer politischen Aktion nur blamieren. Vollends den Rest gegeben hat mir neulich ein Vortrag auf der Führertagung des Stahlhelm, wo ich das Gefühl hatte, ins 19. Jahrhundert zurückzukehren. Ich habe da erst Brünings Warnung ganz verstanden, den ich auf Ihren Rat vor Eltville aufgesucht hatte: Schützen Sie die Monarchie vor den Monarchisten! Ich glaube am meisten für den Gedanken einer monarchischen Renovatio (nicht Restauration!) bewirken zu können, wenn ich jetzt meine fertig gestellte Schrift zum Druck bringe, in der ich auf hoher Diskussionsebene die Gründe darlege, die für die Festigung der parlamentarischen Demokratie durch eine Erneuerung der Krone sprechen. In dieser Schrift, die die gesamte Zeitsituation behandelt (Massendasein, durchtechnisierte Maschinenwelt, kulturelle Nivellierung, Absterben der politischen Ideologien, Situation der Jugend), wird die Heilkraft der Institutionen behandelt und als der politisch wichtigste Ordnungsfaktor die Institution der Monarchie. Es wird in der Schrift auch zum ersten Male unverhüllt ausgesprochen werden, dass nur der Chef des Hauses Hohenzollern als Träger der Krone in Frage kommt. Auf die Herrn v. Massenbach so wichtige Frage der Praetendentenhäuser werde ich natürlich nicht eingehen, denn für den historisch Denkenden gibt es keine anderen „Ansprüche“. Im letzten Abschnitt der Schrift werde ich eine deutliche Trennungslinie gegen alles das ziehen, was nach meinem Urteil als „reaktionär“ zu gelten hat. Ich erlaube mir Ihnen die Schlußseite der Schrift zur Kenntnisnahme beizulegen. Darf ich nochmal betonen, daß meine Charakteristik im Briefeingang nicht verletzend gemeint ist. Ich halte diese Herren für persönlich ehrenwert und anständig; nur kann ich mit ihnen nicht die gleiche Sprache sprechen, die z. B. mit Herrn von Tschirschky in Bonn sogleich gegeben ist, von dem ich übrigens die besten Grüße sagen soll.
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Mit den besten Grüßen und Empfehlungen auch an Ihre Kaiserliche Hoheit bin ich Ihr treu ergebener Hans Joachim Schoeps Anlage 2 Hans Georg von Studnitz: Kommt die Monarchie? Typoskript (masch.), undatiert, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 10.00, SKH Briefe 1953 bis 1954 Unter diesem Titel veröffentlicht der Erlanger, durch seine Veröffentlichungen „Die Ehre Preußens“ und „Das andere Preußen“ bekannt gewordene Hochschulprofessor und Geschichtslehrer Hans Joachim Schoeps eine Streitschrift, die dieser Tage in westdeutschen Buchhandlungen ausliegt. Der Kölner Bahnhofsbuchhändler Gerhard Ludwig, dessen Mittwochgespräche im Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofes literarische Ereignisse geworden sind, veranstaltete unter der Devise „Monarchie – verstaubte Romantik oder mögliche Staatsform für uns?“ ein Streitgespräch, das Prof. Schoeps, den Kölner Verleger Dr. Heinen, den Publizisten Wenger und eine Reihe andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammenführte. Beides – die Streitschrift und das Streitgespräch – sind bemerkenswerte Symptome. Sie suchen die Öffentlichkeit zu beschäftigen, 35 Jahre nachdem die Throne in Deutschland beseitigt wurden, 8 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und 1 Jahr vor der fälligen Neuwahl des Bundespräsidenten. Schoeps stellt seinen Ausführungen das Wort eines Mannes voran, der wie er selbst Jude war, und zu den größten Staatskennern der Neuzeit gerechnet werden darf, Benjamin Disraeli. Es lautet: „Die Tendenz einer fortschrittlichen Zivilisation ist auf die Monarchie gerichtet. Die Monarchie ist eine Staatsform, die einen hohen Grad der Zivilisation voraussetzt. – Eine gebildete Nation scheut vor einer unvollkommenen Repräsentativgewalt zurück.“ Dementsprechend treten Schoeps’ Ausführungen weniger für eine Umformung unserer staatlichen Struktur im monarchischen Sinne ein, als für die Überhöhung des bestehenden Aufbaus durch eine monarchische Staatsspitze. Man wird Schoeps beipflichten müssen, wenn er in diesem Zusammenhang auf die weltgeschichtlichen Folgen hinweist, die die Abschaffung der Monarchie in Deutschland und Österreich auslöste und feststellt, daß die Republik das Vakuum an der Staatsspitze niemals hat ausfüllen können. Für Schoeps war es ein folgerichtiger Weg, der von dem Ruf „Mehr Macht dem Reichspräsidenten“ zu den auf den Paragraph 48 der Weimarer Verfassung gestützten Präsidialkabinetten bis zum „Führer und Reichskanzler“ ging. „Das Führertum von Volkes Gnaden enthüllte sich aber bald als das äußerste Gegenstück zur legitimen Monarchie von Gottesgnaden.“ Das ist zweifellos richtig gesehen. Weniger vertretbar erscheint uns die These, daß aus der heutigen Perspektive der Sturz der Monarchien am 9. 11. 1918 mehr „eine widrige Zufallsverknüpfung, denn unerbittliches Schicksal“ war. In die Gegenwart übertragen sieht Schoeps
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den institutionellen Wert der Monarchie vornehmlich in der Tatsache, daß in ihr die höchste Symbolik des Staates durch die Familie ausgedrückt wird, die sich in einem Zeitalter des Versagens aller politischen Ideologien, der Wachstumskrise der modernen Zivilisation und der Hilflosigkeit der Massen vor den übermächtigen Gewalten der Technik als die widerstandsfähigste Zelle der Gesellschaft bewährt hat. Wer erwartet hatte, daß Formulierungen dieser Art bei den Teilnehmern des Kölner Streitgesprächs auf starken Widerspruch stoßen würden, sah sich enttäuscht. Das erstaunliche an dieser Veranstaltung war, daß im Grundsätzlichen Übereinstimmung herrschte. Die Analyse eines Instituts für Meinungsforschung, derzufolge 30 – 35 % der Befragten erklärten, daß sie bei einer Volksabstimmung für die Monarchie stimmen würden, scheint darum nicht so weit hergegriffen, wie man hätte annehmen können. Das Interesse, das der britische Krönungsfilm in Deutschland auslöste, ist ebenso wie die Erfahrung, daß Reportagen über die Mitglieder souveräner Häuser die sichersten Auflagemehrer für die illustrierte Presse geworden sind, eine andere Bestätigung für das Zunehmen einer Stimmung, von der zwischen den beiden Weltkriegen nichts zu spüren war. Eine Frage haben die Teilnehmer des Streitgesprächs freilich so wenig zu beantworten vermocht, wie die erwähnte Streitschrift: die nach den praktischen Möglichkeiten einer Restauration. Soweit sich Momente erkennen lassen, die über das Stimmungsmäßige hinausgehen, sind diese regionaler Natur, wie in Bayern und Niedersachsen, wo der an das heimische Fürstenhaus gebundene monarchische Gedanke festere Wurzeln hat. Ob diese in Bayern das Ableben des greisen Kronprinzen Rupprecht überdauern würden, bleibt abzuwarten. Die Erfahrung in Niedersachsen nach dem Tode des Herzogs von Braunschweig spricht nicht unbedingt dafür. Der preußische Thronprätendent, dessen Stammlande jenseits des eisernen Vorhanges liegen, und der der legitime Anwärter auf einen gesamtdeutschen Thron wäre, lebt sehr zurückgezogen. Ohne einen Kristallisationsfaktor, wie ihn etwa der Prätendent auf die österreichische Kaiserkrone, Otto von Habsburg, trotz allem darstellt, muß aber alle Diskussion über die Aussichten einer Restauration Theorie bleiben. Anlage 3 Hans-Joachim Schoeps an Prinz Louis Ferdinand, 1. Juli 1954, Archiv Burg Hohenzollern, S-3 – 10.00 SKH Briefe 1953 bis 1954 Euere Kaiserliche Hoheit! Das mir gütigst in Abschrift übermittelte Schreiben des Herzogs zu Braunschweig gibt mir Anlass zu einigen grundsätzlichen Überlegungen und Feststellungen, die ich Euerer Kaiserlichen Hoheit unterbreiten möchte. Wenn Euere Kaiserliche Hoheit sich die Argumente zueigen machen wollen, werden sie bei künftigen Unterredungen verwendbar sein.
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Die Argumentation des Herrn Herzogs ist durchaus verständig und folgerichtig von seiner eigenen historischen Basis aus. Nachdem 1945 das Land Niedersachsen restituiert wurde, kann er mit seinen Anhängern die legale Abänderung der Landesverfassung betreiben, um zur Wiederherstellung der monarchischen Staatsform im Lande Niedersachsen zu gelangen. Seine Verankerung hat er hauptsächlich bei der Landbevölkerung; den stärksten Widerstand in den 1945 künstlich Niedersachsen einverleibten Oldenburgischen und Schaumburg-Lippeschen Gebieten (Nebenbei hat hier die „Annexion“ von 1866 ein unrühmliches Gegenstück gefunden). Die Aussichten im Lande selbst sind nicht gerade glänzend, ein welfischer Anspruch auf die Reichskrone aber ist grotesk und undiskutabel. Das Äusserste, was man dem Welfenhaus zugestehen könnte, ist die Integrität seines Stammlandes im Falle der Wiedererstehung Preussens bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Bei meinem Vorschlag, das neue Preussen auf die östlichen Kernlande zu beschränken, sind sehr bewusst welfische wie überhaupt westdeutsche, besonders aber auch bayerische Empfindlichkeiten berücksichtigt worden. Offenbar genügt dieses Zugeständnis den Ratgebern des Herzogs nicht, obwohl es immerhin erst die wichtigste Voraussetzung für eine mögliche Wiederkehr seines Hauses bildet. Ich habe mich bei dem bewussten Gespräch bemüht, den Ratgebern klar zu machen, dass auch Restaurationen auf Landesebene vor der Wiedervereinigung ganz unwahrscheinlich sind, d. h. dass die Reichskrone den Landeskronen zeitlich wohl vorausgehen wird. Das Lehrmodell ist Bayern, wo die Chancen viel günstiger sind, aber gleichwohl für den Ernstfall in keiner Weise ausreichen. Der Gedankengang des Herzogs ist mir bekannt; er entspricht dem des Markgrafen von Meissen, des Prinzen Fürstenberg, des Herrn von Gordon und manch anderer, die ich im letzten Jahr kennenlernte: Die Restauration muss auf Landesebene erfolgen, die Fürsten der restaurierten Länder etablieren sich als Kurfürsten, um einen aus ihrer Mitte als Kaiser zu küren. Otto von Habsburg, der dann wohl als Vertreter des ältesten deutschen Kaiserhauses die besten Chancen hätte, sind solche Überlegungen sehr sympathisch. In dieses Konzept passt ein Hohenzoller nur als Prätendent auf den preussischen Königsthron hinein, der also füglich nur in seinem Erblande die Wiedereinsetzung betreiben dürfte. So erklärten mir auch die Herren vom Welfenbund, sie wären bei ihrer föderalistischen Reichskonzeption wesentlich an einem Preußenbund als Unionspartner interessiert. Offenbar hatte ich es vergeblich als Erfolg gebucht, dass die Herren am Ende des Gesprächs zu begreifen schienen, dass diese Voraussetzung nicht gegeben ist, da das Land Preussen uns gar nicht offensteht, d. h. unser erstes Ziel die Wiedervereinigung sein muss, damit Preussen wieder erstehen kann. Deshalb müssen unsere Überlegungen und Bestrebungen darauf gerichtet sein, die Krone des Reiches zu erneuern, ehe von der preussischen Königskrone überhaupt gesprochen werden kann. In Parenthese sei hier nochmals wiederholt, dass den letzten freien Rest des Preussischen Staates die Stadt West-Berlin darstellt, weshalb meine Freunde Euere Kaiserliche Hoheit immer wieder bitten, aus dem – von Preussen her gesehen – Bremer Exil in die Heimat zurückzukehren.
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Wie ist nun aber die Vorstellung der ehemaligen Landesfürsten, wie sie hinter dem Brief des Herzogs von Braunschweig steht, politisch zu beurteilen? Sie ist sichtlich orientiert an der Reichsgründung von 1871, die den Deutschen Kaiser als primus inter pares an die Spitze des Bundesstaates stellte. Diese Situation wird niemals wiederkehren. 1871 war der Schlußstein eines beispiellosen Aufstiegs Preussens zur ersten deutschen Macht innerhalb von 170 Jahren. Auch ein Bismarck könnte heute nichts Entsprechendes vollbringen oder auch nur erstreben. Weder gibt es ein freies Preussen, noch gibt es Bundesfürsten, noch einen Zeitgeist, der in diese Richtung weist. Noch weniger könnte man – woran die Herren wohl eher denken – zum Frankfurter Fürstentag von 1863 zurückkehren. Die Beschlüsse eines neuen deutschen Fürstentages, wenn eine Einheit zustande käme, würden nur Willensäusserungen von Privatpersonen darstellen, die selber ohne Macht und Einfluss sind. Erklärte hingegen heute ein Gremium von Macht und Einfluss wie ein Gewerkschaftskongress oder ein Parteitag der SPD oder der CSU die Einführung der Monarchie als wünschbar, so könnte dies mindestens ein realpolitischer Faktor sein. Daraus ergibt sich zwingend, dass alle derartigen Vorstellungen von Euerer Kaiserlichen Hoheit als reaktionär und schädlich abgelehnt werden müssen. Dahinter steht das Weltbild der Restauration – und zwar einer zukunfts- und hoffnungslosen –, während wir uns bemühen müssen, eine wirkliche Renovatio des monarchischen Gedankens anzustreben. Der Herzog von Braunschweig hat von seinem Standpunkt aus sogar recht, wenn er unsere Gedanken eine „Herausforderung für die prinzipientreuen Legitimisten“ nennt. Nur schilt er uns zu Unrecht „Opportunitäts-Monarchisten“, die „das Gottesgnadentum der Monarchie in Frage stellen“. Um nun aber auch noch einmal positiv zu sagen, worum es uns allein gehen kann und wo wir anzuknüpfen haben: an die Situation von 1848, dass die zur deutschen Nationalversammlung zusammengekommenen Volksvertreter die deutsche Krone aus freiem Entschluss einem Fürsten antragen. Nur das ist realistisch vorzustellen, denn die Macht liegt heute nicht mehr bei den Fürsten, sondern bei der Volksvertretung. Es ist also von meinen Freunden heute darauf hin zu arbeiten, dass sich in der künftigen Nationalversammlung wiederum eine erbkaiserliche Mehrheit findet quer durch die Fraktionen hindurch, die den legitimen Erben des letzten deutschen Kaiserhauses bittet, die Krone des Reiches wieder tragen zu wollen. Das ist eine immerhin im Bereiche vorstellbarer Möglichkeiten liegende Zukunftsperspektive. Alles andere ist überhaupt nicht vorzustellen. Meine Freunde (und ich) sind sich darüber im klaren, dass im Augenblick keine grossen Aussichten zur Verwirklichung dieser Möglichkeit bestehen, weshalb wir nicht laut die Werbetrommeln rühren, sondern uns darauf beschränken, die Anhänger dieses Gedankens erst einmal zu sammeln und in kleinen Kadergruppen zu formieren. Vielleicht haben wir schon in einiger Zeit eine sehr viel bessere Ausgangslage, auf deren richtige Nutzung wir uns heute vorzubereiten haben. Wenn ich mir erlauben darf, Euerer Kaiserlichen Hoheit einen Rat zu geben, rate ich zu strikter Zurückhaltung von allen politischen Gesprächen mit den ehemaligen
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deutschen Landesfürsten, weil sie ergebnislos verlaufen müssen. Richtige Freunde können und werden Euere Kaiserliche Hoheit in ganz anderen Kreisen finden. Ausserdem ist das, was bei Welfen, Wittelsbachern usw. gedacht und geplant wird, politisch ganz unerheblich und reicht kaum über den Dunstkreis bayerischer Schützenfeste und niedersächsischer Reitertourniere hinaus. Politisch denkende Menschen interessiert das alles wenig. „Für Krone und Reich“ kann noch einmal deutsche Losung werden, schwerlich hingegen die welfische Parole: „Für Fürst und Volk“. Wenn ich zuletzt noch etwas ad personam sagen darf, so möchte ich erneut versichern, dass entgegen der Behauptung des Herzogs von Braunschweig von mir in dem Gespräch dreimal ausdrücklich erklärt worden ist, die Person Euerer Kaiserlichen Hoheit stehe ausserhalb der von mir inaugurierten Bestrebungen und ich trage allein die Verantwortung für die vorgetragene politische Konzeption. Aber andererseits ist es nun auch so, dass ich meinerseits die innere und äussere Gewissheit haben muss: Was ich vortrage und anstrebe, wird von Euerer Kaiserlichen Hoheit gutgeheissen und gebilligt. Ich kann unmöglich den Embryo einer monarchischen Volksbewegung heute am Leben erhalten, wenn ich nicht auch weiss, dass Euere Kaiserliche Hoheit – auch wenn wir nach aussen auf volle Unabhängigkeit bedacht sind – innerlich zu uns stehen und das Gewollte bejahen. Denn Treue ist ja immer auch ein doppelseitiges Verhältnis. Und ein Monarchist, von dem sein Monarch abrückt, wäre nicht nur verloren, sondern auch der Lächerlichkeit preisgegeben. Mit den besten Grüssen und Empfehlungen verbleibe ich Euerer Kaiserlichen Hoheit stets ergebenster Hans Joachim Schoeps
Hat es in der Teilungsära Deutschlands so etwas wie eine Nationalbewegung gegeben? Von Tilman Mayer, Bonn Zunächst mal kann die Antwort auf die im Titel gestellte Frage nur „nein“ lauten, auf den ersten Blick würde man keine Bewegung identifizieren wollen. Aber so leicht kann man es sich nicht machen. Und so leicht sollte man es auch denjenigen nicht machen, die, weil sie für sich das Einheitsziel aufgegeben hatten, nun suggerieren, es habe allgemein nicht mehr bestanden. Alle Welt sei 1989 überrascht worden, als die Mauer fiel. Diese Weltsicht kaschiert meistens nur einen nationalen Nihilismus, d. h. eine Haltung, die mit Nation, Nationalstaat, Preußen, deutsche Einheit, Wiedervereinigung und so weiter nichts mehr zu tun haben wollte. Damit muss man vielleicht einsetzen, dass im Linksliberalismus ein antinationaler Affekt bestand und besteht, der in der Nationalstaatlichkeit eine Struktur sieht, die nur abgeschafft, nicht mehr anerkannt werden kann. Dabei wird geschichtsphilosophisch ein fortschrittliches Credo fabriziert, dass ein Darüber-hinaus-Sein reklamiert, wodurch diejenigen, die dem Credo nicht folgen können, als rückschrittliche Figuren geoutet werden. Dieses Selbstbewusstsein geht geschichtsvergessen mit einer moralischen Überheblichkeit einher, den fortschrittlichen, modernen Geist der Zeit/Zeitgeist zu verkörpern und zu repräsentieren. Das Sich-nicht-Abfinden-mit-der-Teilung-Deutschlands ist die Grundlage zur These, dass es sehr wohl Momente einer Nationalbewegung gegeben hat. Es gab Institutionen, die diesem Unbehagen an der nationalen Frage organisatorische Kraft verliehen und Gestalt gegeben haben. Einige davon werden hier in Erinnerung gerufen und als empirischer Beleg verwendet für die These, dass es Indizien und Momente einer Art Nationalbewegung durchaus gegeben hat. Es waren sicherlich keine alldeutschen Verbände, wie sie vor dem ersten Weltkrieg bedauerlicherweise zur Entfaltung gekommen sind und Deutschland geschadet haben. Ein erstes Wort ist zu sagen zur Definition dessen, was hier gemeint ist. Es geht nicht um eine nationaldemokratische Rechts-außen-Perspektive, die den Geschichtsbruch von 1945 noch nicht bewältigt hat. Die Geschichte des Neuanfangs, für die die Bundesrepublik steht, beginnt mit dem antitotalitären Grundkonsens – also mit einer Art Antifaschismus, der an eine demokratiegeschichtliche Tradition anknüpft, wie sie mit dem Geschichtsereignis „1848“ begonnen wurde. Nicht zufällig haben damals noch Liberalismus und Nationalismus gemeinsam für eine Konstitutionalisierung gekämpft, für Grundrechte. Der damalige Bund zielte auf eine Begründung des Nationalstaates, der gerade als fortschrittliches Ergebnis der deutschen Geschichte
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entstehen sollte. Es gab also damals eine Art Nationalbewegung, wie sie in vielen Ländern nachweisbar war und ist. Diese Bewegung wird hier erwähnt – auch als Beleg dafür, dass derartige demokratische und nationale Bewegungen nicht identisch sind mit Symptomen, wie es sie im sogenannten Dunkeldeutschland gegeben hat. Machen wir einen Sprung in die Zeit der Wiedervereinigung. Stephan Hilsberg, der erste Sprecher der 1989 neu gegründeten sozialdemokratischen Partei der DDR, vertritt die These, dass den „Ostdeutschen die Lösung der deutschen Frage vorbehalten war. Die wesentliche Schwäche der westdeutschen Einigungsbefürworter war ihre Ratlosigkeit in Bezug auf ein Konzept zur Überwindung der deutschen Teilung aus westdeutscher Handlungsperspektive. Heute sieht es so aus, als hätten die Einigungsbefürworter Recht gehabt, und in der Tat, die historische Entwicklung gibt ihnen selbstverständlich Recht. Doch das ändert nichts an ihrer vorherigen Ratlosigkeit.“ So äußert sich Hilsberg im Vorwort zur Dissertation von Lutz Haarmann, in der dieser sog. status-quo-kritische Stimmen zur nationalen Einheit kuratiert und analysiert.1 „Die Ostdeutschen haben den Schlüssel zur Überwindung ihrer eigenen Misere und der deutschen Teilung, der bekanntlich in Ostdeutschland selber lag“, 1989 gefunden und aufgehoben.2 Ähnlich sieht es Detlef Pollack, wenn er die These vertritt: „In der Zeit des Bestehens der DDR hat sich die ostdeutsche Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg im mehrheitlichen Schweigen geübt. […] Dann aber geht diese angepasste Bevölkerung, die stabil integriert schien, von einem Tag auf den nächsten zu Tausenden auf die Straße und bringt mit ihrem friedlichen Protest das hochgerüstete System zum Einsturz. Dazu benötigt sie keine politische Führung, keine intellektuellen Vordenker, keine mobilisierende Organisation.“3
Pollack geht mit anderen Worten von der These aus „dass die politische und soziale Macht der ostdeutschen Bevölkerung weithin unterschätzt wird.“4 und dass „große Teile der westdeutschen Intellektuellen voller Verachtung auf die aufkommende Vereinigungseuphorie der Ostdeutschen“ blickten.5 Und der ehemalige Präsident des Gesamtdeutschen Instituts, Detlef Kühn, schreibt in seinem Geleitwort zur erwähnten Dissertation von Lutz Haarmann: „Selbstverständlich gab es schon […] zahlreiche Menschen in Politik und Gesellschaft, die sich nicht mit der Teilung abfinden wollten, sondern beharrlich auf eine aktive, auf die staatliche Einheit ausge1
Stephan Hilsberg, Geleitwort: Ostdeutsche Reflexionen über westdeutsche Wiedervereinigungsbefürworter, in: Lutz Haarmann, Teilung anerkannt, Einheit passé? Status-quo-oppositionelle Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom Grundlagenvertrag bis zur Friedlichen Revolution (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, 104), Berlin 2013, S. 9 – 15, hier 9. 2 Ebd., S. 14. 3 Detlef Pollack, Das unzufriedene Volk. Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute, Bielefeld 2020, S. 8. 4 Ebd., S. 9. 5 Ebd., S. 10.
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richtete Politik drangen.“6 Und Kühn stellt im Rückblick weiter fest: „Wahrscheinlich hatten wir bei unseren Bemühungen in der schweigenden Mehrheit oft mehr Unterstützer, als wir selbst annahmen.“7 In der Dissertation von Lutz Haarmann über status-quo-oppositionelle Kräfte in Westdeutschland werden einige, vielleicht eher randständige Formationen erwähnt und ausführlich dargestellt, die am Ziel der Einheit Deutschlands aktiv festgehalten haben, so zum Beispiel der Deutschland-politische Arbeitskreis der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschafft (CDA), der Kurt Schumacher-Kreis im SPDUmfeld, die Gesellschaft für Deutschlandforschung, der Arbeitskreis ehemaliger DDR-Akademiker und, um die Linke einzubeziehen, auch die Westdeutsche Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten, Leninisten (KPD/ML), die Arbeitsgruppe Berlin und der AK Deutschlandpolitik der Alternativen Liste, der Initiativkreis Linke Deutschland-Diskussion (LDD) – um nur diese zu erwähnen. Die Untersuchungsliste von Lutz Haarmann stellt nur eine Auswahl von Formationen dar, die die These des Beitrags hier unterfüttern können, dass die große Anzahl an Initiativen, Organisationen, Institutionen es zulassen davon zu sprechen, dass in Latenz eine Art Nationalbewegung für die Einheit in Deutschland existiert hat. Dabei ist noch nicht erwähnt, dass auch im sog. Mainstream der Gesellschaft einheitsorientierte Formationen durchaus benannt werden können, auch wenn selbst diese eher randständig waren. „In Latenz“ bedeutet, bezogen auf Ostdeutschland, dass es oppositionelles, resistentes und zum Teil renitentes Verhalten gegeben hat, das am 17. Juni 1953 manifest wurde und seitdem untergründig fortbestand und erst 1989 wieder eine exklusive Aktualisierung erfahren hat.8 Dass man eine „Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989“ schreiben kann,9 belegt die These dieser latenten Renitenz gegen das System in Mitteleuropa. Dass die Bevölkerung der DDR „[z]wischen Selbstbehauptung und Anpassung“ „Formen des Widerstandes in der Opposition“ vorweisen konnte,10 belegt die These von der latenten Unruhe in Systemen sowjetischen Typs, denen von Anfang an jede Legitimation fehlte. 6
Detlef Kühn, Geleitwort, in: Haarmann, Teilung anerkannt (Anm. 1), S. 17 – 19, hier 17. Ebd., S. 18. 8 Tilman Mayer, Permanente Renitenz. Die These zum Jahrestag des 17. Juni 1953 und zum Revolutionsgeschehen, in: Joachim Klose (Hrsg.), Erinnern für die Zukunft, Dresden 2022, S. 423 – 425; Vgl. auch Andreas Apelt, Die Opposition in der DDR und die deutsche Frage 1989/90, Berlin 2009; Andreas Apelt (Hrsg.), Der Weg zur Wiedervereinigung. Voraussetzungen, Bedingungen, Verlauf, Berlin 2010; Andreas Apelt/Martin Gutzeit/Gerd Poppe (Hrsg.), Die deutsche Frage in der SBZ und DDR. Deutschlandpolitische Vorstellungen von Bevölkerung und Opposition 1945 – 1990, Berlin 2010. 9 Erhart Neubert, Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, 346), Bonn 1997. 10 Ulrike Poppe/Rainer Eckart/Ilko-Sascha Kowalczuk (Hrsg.), Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995. 7
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Es handelt es sich bei dieser Renitenz sicherlich in erster Linie um eine quasi antikommunistische Disposition, deren Ziel aber die Überwindung der Teilung Deutschlands transportierte, womit das System des oktroyierten Kommunismus sein Ende haben müsste. Dieses untergründig sich durchhaltende Ziel zu bewerkstelligen, die DDR ihrem Ende zuzuführen, lag über Jahrzehnte nicht in der Hand und Macht der Ostdeutschen. Der auf Deutschland lastende Ost-West-Gegensatz mit der Anwesenheit der „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ erstickte jede Manövrierfähigkeit in Richtung deutsche Einheit – jedenfalls jede Sichtbarkeit derartiger Anläufe. Natürlich gab es in den fünfziger Jahren in der SBZ mehr einheitsbezogenen Widerstand. Nach dem Mauerbau kam er schier zum Erliegen. Die Hoffnung auf deutsche Einheit wurde mit der Anerkennung der DDR Anfang der siebziger Jahre weiter enttäuscht. Im Unterschied zum China Deng Xiaopings waren in Europa die kommunistischen Systeme sowjetischen Typs reformunfähig, womit der tabuisierte Gedanke der deutschen Einheit allmählich wieder wirkmächtig zu werden schien. Im Moskau Gorbatschows wurde in strategischen Debatten über die Lösung der deutschen Frage diskutiert, wofür der Name Wjatscheslaw Daschitschew steht. Lutz Haarmann hat in seiner Dissertation auch ehemaligen DDR-Bürgern und mit dem Machtapparat vertrauten Figuren wie Wolfgang Seiffert und Hermann von Berg Aufmerksamkeit gewidmet, die ebenfalls die Virulenz der deutschen Frage in Richtung internationale Bewegung aufgeworfen hatten. Die Schwierigkeit einer Nationalbewegung in Deutschland lag u. a. darin, dass man nicht historisch genug dachte, d. h. den historischen Zusammenhang von Einheit und Freiheit nicht wahrnahm, als ob eine Trennung zwischen diesen beiden zusammengehörenden Werten bestünde. Wolfgang Seiffert hat in seiner Schrift über „Das ganze Deutschland“ 1986 geschrieben: „In der konkreten Wirklichkeit der deutschen Teilung sind Freiheit und Einheit nicht Begriffe, die man voneinander trennen, einander entgegensetzen kann. Sie sind viel mehr zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ohne Einheit gibt es keine Freiheit für die Nation der Deutschen, und ohne Freiheit (nämlich das Selbstbestimmungsrecht) gibt es auch keine staatliche Einheit. Das war schon früher in der deutschen Geschichte so.“11
Weiter schreibt Seiffert: „Der Begriff der Nation war immer untrennbar mit dem Ziel der Freiheit verbunden, wie wir schon bei Fichte nachlesen können, der mit Nation drei Elemente verband: die Freiheit als Menschenrecht, die Einheit von Volk und Staat und die Gleichheit der Bürger als Staatsbürger. Wer aber wird heute daran zweifeln, daß die Deutschen in der DDR ihre Freiheit nur durch Wiedervereinigung der staatlichen Einheit der Deutschen erreichen können?“12
11 Wolfgang Seiffert, Das ganze Deutschland. Perspektiven der Wiedervereinigung, München 1986, S. 54. 12 Ebd., S. 41 f.
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Eine auffallende Analyse liefert Seiffert im Kontext einer stärker soziologischen Betrachtung. Im Anschluss an Hillgruber, siehe unten, entdeckt er in der Elite der Bundesrepublik zwei relevante Formationen: „Es wäre allerdings irreführend, wenn man ignorierte, daß sich gegen anationale Tendenzen in der politischen Elite der Bundesrepublik und gegen ein Durchschlagen solcher Auffassungen auf die Politik längst eine Gegenelite gebildet hat, die sich durch alle Parteien zieht. Noch wichtiger und zukunftsträchtiger dürfte die Tatsache sein, daß sich so etwas wie eine gesamtdeutsche Elite herauszubilden scheint […] die mit dieser Gegenelite nicht identisch ist, sich aber teilweise mit ihr überschneidet und ihr Schicksal nicht unverbrüchlich an die Bundesrepublik, sondern an ein wiedervereinigtes, sich selbst bestimmendes Deutschland bindet. Ihre Vertreter findet man heute innerhalb aller Parteien und in allen Kreisen der Bevölkerung – von den in der Bundesrepublik lebenden Anhängern der Ideen der Widerstandsgruppe eines Stauffenberg gegen Hitler bis zu Konservativen einerseits und Linken andererseits. Sie haben in der DDR ihre Entsprechung bis tief in die SED hinein. Diese – gewiss uneinheitliche und völlig unentschiedene – Situation schließt aus, daß die politische Elite der Bundesrepublik das Ziel der Wiedervereinigung öffentlich aufgibt.“13
Es war Andreas Hillgruber, der in seiner Schrift über „Die Last der Nation“ vier Strömungen in der Bundesrepublik ausfindig gemacht hat, die im Zuge der Diskussion des Themas „Nationalbewegung“ Bewegungscharakter haben: erstens die Perspektive der DDR, getragen von der DKP in Westdeutschland; zweitens eine national-neutralistische, linke Formation, antisowjetisch und antiamerikanisch ausgerichtet; drittens eine rechtsradikale und deutschnationale Großmacht-Perspektive; viertens eine eher an nationalliberalen Deutschland-Konzeptionen orientierte Gruppe, proamerikanisch und gesamtdeutsch ausgerichtet, an der Wiedervereinigung mit dem Ziel Nationalstaat orientiert.14 D. h. es gibt Bewegungen unterschiedlicher Art, die miteinander konkurrieren. Uns interessiert die vierte Bewegung, die auch Seiffert anspricht und sie, siehe oben, sogar gesamtdeutsch verankert sieht. Das liegt auf der Linie der hier vertretenen These, dass es Strukturen und Orientierungen einer Art Nationalbewegung in Deutschland gegeben hat. Das Thema Nationalbewegung ist größer, als es hier dargestellt werden kann. Es sei nur daran erinnert, dass es im 19. Jahrhundert Zusammenhänge gegeben hat, nicht nur von Liberalismus und Nationalismus/Patriotismus, sondern auch zwischen der sozialen und nationalen Bewegung. Bewegungen in Richtung Einheit der Deutschen herzustellen erlebten mit der Nationalstaatsgründung von 1871 einen Höhepunkt, aber auch einen Abschluss. Doch die Vorgeschichte mit den erwähnten Symbiosen sollte in Erinnerung gerufen werden, wenn man verstehen will, was Wilhelm Liebknecht und August Bebel noch zum Ausdruck brachten, wenn sie sagten, dass die Lösung der nationalen Frage als Voraussetzung zur Lösung der sozialen betrachtet werden müsse. Wilhelm Liebknecht hat, so zitieren ihn Werner Conze und Dieter Groh, 1872 vor den Geschworenen im Hochverratsprozess in Leipzig, erklärt: 13
Ebd., S. 89. Andreas Hillgruber, Die Last der Nation. Fünf Beiträge über Deutschland und die Deutschen, Düsseldorf 1984, S. 29. 14
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„Ein zwiefaches Ideal hat mir von Jugend an vorgeschwärmt: das freie und einige Deutschland und die Emanzipation des arbeitenden Volkes, d. h. die Abschaffung der Klassenherrschaft […]“.15 Es besteht Einigkeit, dass das Konzept oder Prinzip Nation in der Nachkriegsgesellschaft (West-)Deutschlands problematisiert wird und insofern einen schweren Stand hat. Nationalbewegungen sind davon betroffen.16 Gleichwohl ändert sich, wie der Jubilar in einer vorbildlichen Schrift ausführt,17 an der überwiegend nationalstaatlichen politischen Ordnung auch im supranational handelnden Europa nichts.18 Wie auch immer man zur Nation stand, blieb davon unberührt die Absicht, die Teilung Deutschlands zu überwinden und dafür Unterstützung zu mobilisieren. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass Schriften zur nationalen Identität doch zahlreich vorliegen19. Nation building ist eine moderne Angelegenheit, insbesondere des 20. Jahrhunderts, aber ihr Vorlauf, die Entstehung der modernen Nation, ereignet sich schon im 18. Jahrhundert. Damals entstehen patriotische Vereinigungen in Deutschland beziehungsweise im Deutschen Reich beziehungsweise in den Reichsfürstenstaaten. Patriotismus galt damals als eine Angelegenheit des freien Bürgers, der sich zum Beispiel in Hamburg in der patriotischen Gesellschaft der 1770er Jahre entwickelte. In dieser Zeit vor der Französischen Revolution entdeckte man die Fragilität des Reichs und im Kontext dessen die übergeordnete nationale Verbundenheit durch die deutsche Sprache und Literatur. Die damalige Literaturbewegung, die auch im Sturm und Drang sich äußerte, war noch keine eigentliche Nationalbewegung, aber ging als „deutsche Bewegung“ des Bildungsbürgertums in die Geschichte ein. So entdeck-
15 Werner Conze/Dieter Groh, Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Die deutsche Sozialdemokratie vor, während und nach der Reichsgründung, Stuttgart 1966, S. 48; vgl. auch die Schrift von Peter Longerich (Hrsg.), „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Dokumente zur Frage der Deutschen Einheit 1800 – 1990, München 1990. 16 Sie müssen auch der Heterogenität Aufmerksamkeit widmen, s. Volodymyr Jewtuch, Die Ukraine – ein ethnoheterogener Nationalstaat, in: Bernd Estel/Tilman Mayer (Hrsg.), Das Prinzip Nation in modernen Gesellschaften. Länderdiagnosen und theoretische Perspektiven, Opladen 1994, S. 267 – 280. 17 Hans-Christof Kraus, Nation und Nationalstaat – Historische Voraussetzungen und gegenwärtige Bedeutung, in: Carlo Masala (Hrsg.), Zur Lage der Nation. Konzeptionelle Debatten, gesellschaftliche Realitäten, internationale Perspektiven (Veröffentlichungen der DGfP, 36), Baden-Baden 2018, S. 9 – 27. 18 Im Vorwort, S. 5, zum Tagungsband „Zur Lage der Nation“ (Anm. 17), schreibt Carlo Masala: „Nation und Nationalstaatlichkeit galten in der deutschen Politikwissenschaft noch vor nicht allzu langer Zeit als Themen, die in einer postnationalen und globalisierten Konstellation schrittweise bedeutungslos werden und allenfalls noch von historischem Interesse sein würden.“ 19 Andreas Fahrmeir, Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee, Ditzingen, 2017; Hermann Simon, Geschichte der deutschen Nation, Mainz 1968; Hartmut Fröschle, Geschichte des Nationalbewusstseins, Lüdinghausen/Neuruppin 2021; Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland 1770 – 1990, München 1993; u. a.m.
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te sie etwa einen „deutschen Nationalgeist“. In dieser Schrift20 schrieb Friedrich Carl von Moser 1765: „Wir sind Ein Volk“. Insofern kann man das Ziel der Nationalbewegung, die Einheit des Landes herzustellen, schon im 18. Jahrhundert entdecken,21 auch wenn der politische Bewusstwerdungsprozess, eben das Nation Building, noch eine schichtenspezifische, bürgerliche Angelegenheit war. Aber damit ist angedeutet, dass die hier interessierende Thematik sogar in die Epoche Friedrichs des Großen, Goethes und Herders zurückreicht, dort Wurzeln hat. Damit wird endlich zweitens die eigentliche definitorische Frage aufgeworfen, die wir dauernd schon implizit aufwerfen und ventilieren, was denn Nationalbewegungen sein könnten22. Otto Dann hat folgende Definition vorgeschlagen: „Eine Nationalbewegung ist die programmatische und organisierte Bewegung einer Nation beziehungsweise einer nationalbewussten Bevölkerungsschicht, die innerhalb ihres Territoriums Selbstbestimmung (nationale Autonomie) durchsetzen will oder sie gegenüber denen verteidigt, die sie infrage stellen. Eine Nationalbewegung ist einerseits nach innen gerichtet: Sie verfolgt die Durchsetzung der Nation zum politischen Souverän, die Errichtung und Vollendung eines Nationalstaats. Andererseits gehört zu einer Nationalbewegung die Abgrenzung nach außen: gegenüber dem politischen Gegner, gegenüber anderen Staaten und Nationen, vor allem aber im Falle einer Verteidigung nationaler Grenzen. Nationalbewegungen sind stets politische Oppositionsbewegungen. In ihrer Programmatik und ihren Aktionsformen ist daher stets auch ein latentes Konfliktpotenzial enthalten“.23
Für unsere Herangehensweise ist eine weitere Feststellung von Otto Dann besonders wertvoll: „Eine Nationalbewegung ist nie eine Bewegung der ganzen Nation, des gesamten Volkes. Sie ist stets geprägt von den Schichten, die in ihr führend sind und ihr Programm bestimmen. In der Geschichte einer Nation kann es mehrere Nationalbewegungen mit unterschiedlichem Charakter geben“.24
Musterbeispiel einer Nationalbewegung der eindrucksvollen Art ist selbstverständlich der Zionismus. Die wenigsten Nationalbewegungen haben dessen Niveau an Intellektualität zur Begründung der Nationswerdung erreicht. Geben wir deshalb das Wort einem ihrer maßgeblichen Protagonisten, Max Nordau. Er schreibt 1902: „Der neue Zionismus, den man den politischen nennt, unterscheidet sich aber vom alten, religiösen, messianistischen darin, daß er aller Mystik entsagt, sich nicht länger mit dem
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Friedrich Carl von Moser, Von dem deutschen National-Geist, o.O. 1765. Vergleiche Christoph Prignitz, Vaterlandsliebe und Freiheit. Deutscher Patriotismus von 1750 – 1850, Wiesbaden 1981. 22 Vgl. Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat, die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1985. 23 S. Dann, Nation und Nationalismus (Anm. 19), S. 15 f. 24 Ebd., S. 20 f. Vergleiche auch die Aussage von Otto Dann, dass die Fortsetzung der deutschen Nationalbewegung nichts mit dem organisierten Nationalismus zu tun hatte, sondern in Konkurrenz zu ihm stand, ebd., S. 17 ff. 21
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Messianismus identifiziert, die Rückkehr nach Palästina nicht von einem Wunder erwartet, sondern sie durch eigene Einstellung vorbereiten will“.25
Einige Zeit vor Max Nordau hatte Moses Hess programmatisch Stellung genommen in seiner 1862 erschienenen Schrift „Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage“.26 Dort heißt es: „Der Völkerfrühling hat mit der französischen Revolution begonnen; das Jahr 1789 war das Frühlingsäquinoktium der Geschichtsvölker… Zu den totgeglaubten Völkern, welche im Bewusstsein ihrer geschichtlichen Aufgabe ihre Nationalitätenrechte geltend machen dürfen, gehört unstreitig auch das jüdische Volk, das nicht umsonst zwei Jahrtausende hindurch den Stürmen der Weltgeschichte getrotzt, und, wohin auch die Flut der Ereignisse es getragen, von allen Enden der Welt aus den Blick stets nach Jerusalem gerichtet hat und noch richtet.“
Ein weiterer Protagonist des Zionismus der zwanziger Jahre war der Prager Bibliothekar Felix Weltsch, der eine kleine Schrift über „Nationalismus und Judentum“ 1920 in Berlin veröffentlichte, in der er die Nation folgendermaßen definiert: „So ist also die Nation eine Gemeinschaft von Menschen, welche Abstammung, Geschichte, Schicksal, Land, Sprache, Kultur, Staat, Wirtschaft usf. oder bloß eine gewisse Anzahl dieser Elemente gemeinsam hat, sofern sie dieses Gegebene als schöpferisch-kulturelle Aufgabe beseelt“.27
Natürlich gibt es weitere eindrucksvolle Nationalbewegungen, die gerade vergleichend zu untersuchen aller Mühen wert wäre. Schließlich gibt es offene nationale Fragen, bei denen entsprechende Nationalbewegungen Lösungsangebote machen. In unserer Zeit ist die ukrainische Nationalbewegung, die bereits im 19. Jahrhundert sich artikulierte, von größter Bedeutung. Die kurdische Zersplitterung auf verschiedene Staaten lädt zu Untersuchungen ein. Die Dreiteilung Polens, die über 100 Jahre andauerte, führte zu entsprechender Beschäftigung mit den bestehenden Repressionsverhältnissen. An dieser Stelle sei einmal mehr konstatiert, dass vergleichende Studien zu nationalen Entitäten, eine vergleichende Nationalstaatsforschung auch im internationalen Kontext kaum auszumachen ist. Das verwundert umso mehr, als zum Beispiel in Europa die Nationalstaaten die Träger der europäischen Verträge sind und im intergouvernementalen Verfahren den supranationalen Integrationsprozess maßgeblich mittragen. Anscheinend sind nationale Fragen wie zum Beispiel die irische Frage Tabuthemen, die durch Ignorieren umgangen werden sollen. Sinnvoller dürfte es sein, sich berechtigten Fragen und Themen von Nationalbewegungen rechtzeitig anzunehmen. Im deutschen Fall ist nur subkutan, wie wir schon öfters feststellten, von einer Nationalbewegung die Rede und man müsste zu einem 25
Max Nordau’s Zionistische Schriften, hrsg. vom Zionistischen Aktionskomitee, Köln/ Leipzig 1909, S. 22. 26 Moses Hess, Rom und Jerusalem (Briefe), in: Helmut J. Heil (Hrsg.), Die neuen Propheten, S. 11 – 102, hier 19. 27 Felix Weltsch, Judentum und Nationalismus, Berlin 1920, S. 15.
Hat es in der Teilungsära Deutschlands eine Nationalbewegung gegeben?
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Indizienbeweis übergehen, um den Nachweis einer derartigen Struktur zu führen. Gehen wir deswegen abschließend auf einige weitere Formationen ein, die zusätzlich zu den bereits erwähnten Gruppierungen und Vereinen insgesamt Mosaiksteine einer Nationalbewegung abgeben könnten.28 Umstritten mag sein, auf die Rolle der Vertriebenen in Deutschland zu sprechen zu kommen, gleichwohl sie an ihrer Heimat legitimerweise festhielten und gefördert wurden. Die familiären Kontakte zwischen Ost- und West-Deutschland offenbarten in der gesamten Teilungsepoche, dass ein Zusammenhalt versucht wurde aufrecht zu erhalten. Jenseits der Öffentlichkeit sorgten die privaten Kontakte für das Fortbestehen der Nation. Die Präambel des Grundgesetzes wurde bis 1989 nicht aufgegeben und belegte den Anspruch, von der Einheit der Nation sprechen zu können. Das Kuratorium Unteilbares Deutschland bildete ein Forum für einen Gesprächsaustausch zu Fragen des deutsch-deutschen Nebeneinanders. Die Existenz eines Gesamtdeutschen Instituts in Bonn bis 1990 belegt ein Forschungsinteresse, das mit staatlicher Unterstützung auch gegen Widerstände eine Arbeit im Kontext der beiden deutschen Staaten leistete. Die Nicht-Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft in völkerrechtlicher Hinsicht durchgehalten zu haben, gegen viel Widerstand, belegt den Einheitswillen bei allen Unterstützern dieser politischen Haltung. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen existierte bis 1989, auch wenn es operativ keine Bedeutung hatte. Reden und Berichte zur Einheit bzw. Lage der Nation drücken amtlich aus, dass dabei an bestehende Zusammenhänge gedacht wird – auch hier gegen gesellschaftliche Gruppen und zwar maßgebliche vorgetragen, die nicht die Kraft aufbrachten, der Teilung zu opponieren, ja die untergründige geschichtliche Strömung als subversiv in der Entspannungsära zu torpedieren trachteten. Dieses Phänomen, der Einheitsforschung Steine in den Weg zu legen, hat zur Gründung der Gesellschaft für Deutschlandforschung geführt. Über diese GfD schrieb 2010 die Bundeskanzlerin in einem Grußwort: „Hervorzuheben ist hierbei Ihr Eintreten für die Einheit der Nation auch in Zeiten, als viele nicht mehr daran geglaubt haben.“29 Neben ideengeschichtlichen und zeitgeschichtlichen Betrachtungen ist es auch möglich, in sozialwissenschaftlicher Hinsicht die These von untergründigen Geschichtsströmungen, mit der hoch gegriffenen Bezeichnung Nationalbewegung, abschließend zu konturieren. Der Preis der Entspannung in den deutsch-deutschen und deutsch-osteuropäischen Beziehungen zeigte sich in der Erschöpfung des Wiedervereinigungswunsches. Entspannung wurde von vielen in Ost- wie West-Deutschland als Zementierung der Teilung verstanden. In der DDR bedeutete das, dass 28 Vgl. zu dieser Auflistung auch Manfred Wilke, Nationale Bindungskräfte im geteilten Deutschland, in: Lutz Haarmann/Robert Meyer/Julia Reuschenbach (Hrsg.), Von der Bonner zur Berliner Republik. Politik im Spiegel praktischer Wissenschaft. Festschrift für Tilman Mayer, Baden-Baden 2018, S. 351 – 368. 29 Angela Merkel, Grußwort anlässlich der 32. Jahrestagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung, in: Tilman Mayer (Hrsg.), 20 Jahre Deutsche Einheit. Erfolge, Ambivalenzen, Probleme, Berlin 2010, S. 11.
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man sich nun doch mit dem Regime irgendwie arrangieren sollte. Auf die in WestDeutschland im Juli 1970 vom Institut für Demoskopie Allensbach gestellte Frage „Glauben Sie, dass sich Ost- und Westdeutschland noch einmal wiedervereinigen, oder glauben Sie das nicht?“ antworteten 65 Prozent, dass sie das nicht mehr glaubten, nur 15 Prozent widersprachen. Eine weitere historische Testfrage des Instituts lautete: „Hat es Zweck, wenn wir immer wieder fordern, Deutschland soll wiedervereinigt werden, oder muss man das einfach der Zeit überlassen?“ 1956 antworteten 65 Prozent, man müsse die Einheit immer wieder einfordern. 1964 bestätigte sich diese Antwort, aber 1984 sah das Bild komplett anders aus. Thomas Petersen schreibt30, nur noch 28 Prozent meinten, „man müsse immer wieder die Wiedervereinigung fordern. Eine klare Mehrheit von 59 Prozent meinte dagegen, das müsste man der Zeit überlassen.“31 Entgegen dem damaligen Meinungsklima in der Entspannungsära, demzufolge Fragen zur deutschen Einheit schier Kalte-Kriegspositionen gewesen sein sollen, lässt sich noch eine andere Beobachtung finden. Eine weitere Frage des Allensbacher Instituts lautete nämlich „Wünschen Sie sehr, dass die Wiedervereinigung kommt, oder ist Ihnen das nicht so wichtig?“ 61 Prozent der Befragten sagten, sie wünschten sich die Wiedervereinigung, während nur 32 Prozent wähnten, dass das nicht so wichtig sei. Das Wiedervereinigungsgebot aus dem Grundgesetz zu streichen, befürwortete ebenfalls nur eine kleine Gruppe von gut 10 Prozent, während eine Dreiviertelmehrheit der befragten Westdeutschen das Wiedervereinigungsgebot zwischen 1973 und 1989 klar unterstützte. Thomas Petersen kommentiert den Widerspruch zwischen dem Meinungsklima in der Entspannungsära und der Aktualisierung des Zusammengehörigkeitsgefühls 1989/90 mit der Feststellung, „dass wir vor dem Rätsel stehen, dass sich scheinbar aus dem Nichts, aus einer allgemeinen und allumfassenden Ablehnung der Wiedervereinigung plötzlich eine Volksbewegung für die deutsche Einheit geformt hätte. Nur mithilfe der Umfrageforschung lässt sich dieser scheinbare Widerspruch auflösen.“32 Sie kann, wenn man sich so ausdrücken möchte, untergründige Strömungen ans Licht heben. Die Bewegungsforschung hat sich mit den hier aufgeführten unterschiedlichen Bewegungsansätzen noch kaum beschäftigt, sieht man von sozialen Bewegungen ab. Es wäre ein lohnendes Unterfangen, die in diesem Aufsatz als untergründige Geschichtsströmung bezeichnete Nationalbewegung vielleicht sogar in ihrer gesamten Länge seit dem 18. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert auf ihre durchgehaltenen, unterbrochenen, sichtbaren oder nur latent vorhandenen Momente hin zu untersuchen.
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Thomas Petersen, 17. Juni, der „Wartesaal der Geschichte“ und die Schatten der Diktatur, in: Tilman Mayer (Hrsg.), Im „Wartesaal der Geschichte“. Der 17. Juni als Wegmarke der Freiheit und Einheit, Baden-Baden 2014, S. 147 – 168. 31 Ebd., S. 159. 32 Ebd.
Radikale Demokratiekritik Von Christian Thies, Passau I. Einleitung 1989 schien die Sache klar: Die Demokratie hat gesiegt, und zwar die liberale Demokratie nach westlichem Vorbild. Noch seien nicht alle Staaten der Erde demokratisch, aber das werde bald so sein, denn das einzige sichtbare Gegenmodell sei am Ende. Heute sieht die Welt anders aus. Ein demokratischer Triumphalismus wirkt aus der Zeit gefallen, denn die westlichen Demokratien sind sowohl von außen als auch von innen massiv bedroht. Allerdings stellt, zumindest in Deutschland, fast niemand das Ideal der Demokratie selbst in Frage, weder in den Wissenschaften noch in den Qualitätsmedien. Wer dies tut, wird entweder abgetan oder muss sich harte Vorwürfe gefallen lassen. Früher hätte man gesagt: „Geh doch nach drüben!“ Diese Tendenz, unsere Demokratie zu sakralisieren, halte ich für gefährlich; Denkräume und Diskurse müssen offen bleiben. Die folgenden Überlegungen sollen dazu ein kleines Gegengewicht bilden, indem sie die wenigen Gegenstimmen zu Wort kommen lassen, allerdings mit kritischer Prüfung.1 Um welche Art der Demokratiekritik soll es gehen? Zunächst ist zwischen moderater und radikaler Kritik zu differenzieren. Moderate Einwände haben wir alle. Niemand findet an unserer Demokratie alles gut. Beispielsweise kritisieren die Anhänger der parlamentarischen Demokratie deren präsidiale Variante – und genauso umgekehrt. Die einen wollen mehr Demokratie wagen, die anderen warnen davor. Ist der autoritäre Populismus eine Gefahr für die Demokratie oder doch eher ein Zeichen weiterer Demokratisierung? Kann man demokratische Prozesse auf die transnationale Ebene übertragen – oder sind Demokratien nur in kleinen politischen Gebilden möglich? Alle machen Verbesserungsvorschläge und dringen auf konkrete Reformen. Wer aber moderate Kritik übt, lässt keinen Zweifel daran, dass die Demokratie die beste Staats- und Regierungsform sei.
1
Dieser Beitrag ist inspiriert durch Hans-Christof Kraus, Demokratiekritik und antidemokratisches Denken in Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg, in: ders., Wege und Abwege der Ideen. Studien zur politischen Geistesgeschichte der Deutschen. Kleine Schriften I, Berlin 2022, S. 322 – 347. – Für hilfreiche Hinweise danke ich Beatrix Gotthold-Thies, Marc von Knorring und Marian Micke.
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Das ist bei der radikalen Kritik anders. So wie eine radikale Demokratietheorie2 gibt es auch radikale Demokratiekritik, die die Demokratie eben nicht für die beste Herrschaftsform hält. Diese Kritik kommt von außen und von innen. Externe Kritik stammt aus anderen Kulturkreisen, vor allem aus den islamischen Ländern, aus Russland und aus China. So interessant deren Einwände auch sein mögen, auch diese muss ich hier ausklammern. Darstellen werde ich stattdessen nur radikale Demokratiekritik, die aus dem Inneren kommt, gleichsam aus interner Kenntnis unserer Gesellschaften. Deren Klassiker ist Platon. Was er seinen Sokrates in der „Politeia“ oder den ominösen Athener in den „Nomoi“ sagen lässt, wirkt erstaunlich aktuell. Vor allem befürchtet er den Umschlag der Demokratie in eine Tyrannis. Ist das so abwegig? Aus der Ideengeschichte könnte man aber nicht nur Platon anführen; die meisten philosophischen Klassiker waren keine Demokraten. Lang ist insbesondere die Liste der großen deutschen Denker, die Kritiker der Demokratie waren: Hegel, Schopenhauer, Marx, Nietzsche, Heidegger und viele andere. Aber ich möchte mein Thema nicht philosophiehistorisch anlegen, sondern mich auf aktuelle Positionen konzentrieren. Auch bei der gegenwärtigen radikalen internen Demokratiekritik muss ich auswählen. Schweren Herzens verzichte ich beispielsweise auf die ökologische Kritik an der Demokratie, obwohl diese bereits in den 1970er Jahren von so unterschiedlichen Denkern wie Wolfgang Harich und Hans Jonas formuliert wurde.3 Die drei darzustellenden Modi der Kritik nenne ich genealogisch, libertär und anthropologisch. Aus didaktischen Gründen stelle ich jeweils ein wichtiges Buch in den Mittelpunkt („Die dunkle Seite der Demokratie“, „Demokratie. Der Gott, der keiner ist“, „Gegen Demokratie“). Alle drei sind, was vielleicht kein Zufall ist, in den USA entstanden, obwohl nur ein Autor dort aufwuchs. Voneinander nehmen sie keine Kenntnis, vielleicht weil sie in unterschiedlichen Disziplinen arbeiten. Möglicherweise wollten sie durch ihre radikalen Behauptungen mehr Aufmerksamkeit erlangen. Aber wie dem auch sei, die intensive Beschäftigung mit den genannten Büchern lohnt sich. Dabei ist meine Herangehensweise philosophisch: Das Ziel ist die argumentative Rekonstruktion der drei Positionen. Diese sind so stark wie möglich zu machen, damit sich der Gegenangriff lohnt. II. Genealogische Kritik: Michael Mann Die erste Attacke auf unser Demokratie-Ideal stammt von Michael Mann (*1942), einem in Großbritannien geborenen Soziologen. Als wichtigsten Orientierungspunkt 2
Ernesto Laclau/Chantal Mouffe, Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus (engl. 1985), Wien 2000; vgl. Oliver Flügel-Martinsen, Radikale Demokratietheorien zur Einführung, Hamburg 2020. 3 Wolfgang Harich, Kommunismus ohne Wachstum. Babeuf und der „Club of Rome“. Gespräche über Ökologie, Reinbek 1975; Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation (1979), Frankfurt a. M. 1982, S. 259 – 270.
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nennt er Max Weber.4 Sein Hauptwerk ist eine mehrbändige „Geschichte der Macht“ (engl. 1986), mit der er zu einem der einflussreichsten Vertreter der Historischen Soziologie wurde. Bekannt wurde auch seine dort entwickelte Theorie der vier Quellen sozialer Macht: ökonomisch, politisch, ideologisch und militärisch. Für unser Thema relevant ist das über 850 Seiten starke Buch „Die dunkle Seite der Demokratie“, im Original erschienen 2005.5 Wie schon aus dem Titel hervorgeht, ist Mann kein genereller Gegner der Demokratie, sondern will nur deren Ambivalenz aufzeigen: Neben ihren guten Seiten hat diese Regierungsform auch schlechte, ja sehr schlechte. Bei den stabilen Demokratien des Westens liegen diese oft in der Vergangenheit. Eine der Intentionen des Autors ist es, uns an solche finsteren Ursprünge zu erinnern. Nicht alle, aber doch einige Demokratien haben, so Manns These, eine genozidale Vergangenheit. Insofern kann man seinen Kritikmodus, obwohl er Nietzsche und Foucault gar nicht erwähnt, in Anlehnung an diese als genealogisch bezeichnen.6 Beeindruckend ist die Fülle historischen Materials, das der Autor zusammengetragen hat; bewundernswert sind seine begrifflichen Differenzierungen (ohne jemals in selbstgenügsame Theoriediskussionen abzugleiten) und seine abgewogenen Werturteile. Darüber hinaus besitzt Mann erzählerisches Talent. Etliche Abschnitte sind schrecklich zu lesen in der Ausführlichkeit und Genauigkeit, mit der mörderische Taten beschrieben und analysiert werden. Ich kann hier nicht mehr tun, als einige Schneisen in dieses komplexe Werk zu schlagen. Mein wichtigster Kritikpunkt sei gleich vorweg genannt: Das Buch hätte besser „Die dunkle Seite der Moderne“ geheißen. Denn viele der Fallstudien betreffen gar keine Demokratien, sondern andere Herrschaftsformen. Ohnehin hat es immer schon Massaker gegeben. Kleine Wildbeuter- und Hirtengesellschaften können noch mörderischen Attacken besser ausweichen, sich bei tödlicher Gefahr immer weiter zurückziehen. Aber seit der neolithischen Revolution begleiten Massenverbrechen die Menschheitsgeschichte wie ein Schatten. „Bei erobernden bäuerlichen Gemeinschaften ist die direkte Landnahme unter Ausrottung der bisherigen bodensässigen Bevölkerung das Natürliche.“7 Erst die Moderne hat jedoch die technischen, organisatorischen und ideologischen Bedingungen für ethnische Säuberungen und andere Menschheitsverbrechen geschaffen. Insofern liegt Mann auf einer Linie mit der radikalen Kritik an der Moderne, wie sie beispielsweise auch Horkheimer/Adorno und Zygmunt Bauman vortragen.8 4
Michael Mann, Geschichte der Macht, Frankfurt/New York 1994, Bd. I, S. 18, 60 f.; Bd. II, S. 434. 5 Michael Mann, Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung (engl. 2005), Hamburg 2007. 6 Vgl. Michel Foucault, Nietzsche, die Genealogie, die Historie (frz. 1971), in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. 2, Frankfurt a. M. 2003, S. 166 – 191. 7 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Frankfurt a. M. 2005, S. 669; vgl. Immanuel Geiss, Ethnische Säuberungen, Massaker und Genozid. Ein historischer Besinnungsaufsatz, in: Europäische Erziehung 42, 1 (2012), S. 5 – 25. 8 Vgl. John Keane, Democracy and Violence, Cambridge 2004.
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Aber hier interessiert primär Manns Angriff auf die Demokratie. Seine zentrale These lautet, dass stabile Demokratien auf eine relativ homogene Bevölkerung angewiesen sind. Schon in seinem Hauptwerk hatte Mann jede Gesellschaft als einen „Sozialkäfig“ beschrieben.9 Auch andere politische Gebilde – etwa die antiken Stadtstaaten, die mittelalterlichen Personenverbände und die großen Imperien verschiedener Epochen – erzwingen auf die eine oder andere Weise soziale Integration und kooperative Arbeit. Aber für eine Demokratie ist die Einheit ihrer Mitglieder besonders wichtig; deshalb ist ihre Anfälligkeit für organisierte Massenmorde strukturell begründet. Das kann man an zwei Fragen zeigen. Erstens: Wer gehört dazu? Imperien haben weiche Grenzen und abgestufte Zugehörigkeiten. Demokratien können so nicht funktionieren; die Mitgliedschaft muss klar geregelt sein. Wenn mit Demokratie die Herrschaft des Volkes gemeint ist, fragt sich, wer mit „Wir, das Volk“ gemeint ist.10 Mann unterscheidet eine liberale und eine organische Version. Letztere setzt demos und ethnos gleich. Das geschehe viel häufiger, als die Demokratie-Befürworter wahrhaben wollen. Nationen seien keineswegs bloß soziale Konstruktionen. An die Stelle des Nationalismus können sozialistische und religiöse Ideologien treten; der Homogenisierung stehen dann nicht andere Ethnien, sondern andere Klassen und andere Religionsgemeinschaften entgegen. Manchmal konvergieren alle drei Dimensionen: ethnisch, sozio-ökonomisch und religiös. Dann steht es schlecht um die Mitglieder der entsprechenden Bevölkerungsgruppe. Die zweite Frage: Was passiert, wenn sich (was wohl der Normalfall ist) nicht alle einig sind? Im Unterschied zu den alten Imperien und den neuen Autokratien greifen Demokratien in der Regel zum Mehrheitsprinzip. Daraus folgt aber, dass es immer eine Minderheit gibt. Diese kann relativ klein oder relativ groß sein; in jedem Fall kommt sie nicht zum Zuge. Die Herrschaft der Mehrheit mag zu einer kommoden Tyrannei werden, etwa durch Dominanz in der Öffentlichkeit. Sie kann aber auch zu schärferen Mitteln greifen. Mann entwickelt ein sehr differenziertes zweidimensionales Schema von Eskalationen,11 das hier auf drei Stufen reduziert sei. Auf der ersten Stufe kommt es zu einer kulturellen Assimilation der Minderheit. Ein solcher Prozess braucht Zeit, lässt sich aber durch polizeiliche Maßnahmen beschleunigen. Ein gutes Beispiel bietet die Geschichte Frankreichs, wie sich an den zurückgedrängten Sprachen zeigen lässt. Eigentlich ist das Okzitanische, mit dem Provenzalischen als wichtigstem Dialekt, eine eigenständige romanische Sprache, die aber im öffentlichen Leben kaum noch eine Rolle spielt (anders als das Katalanische in Spanien). Noch schlechter steht es um die deutsche Sprache, die im Elsass, ganz zu schweigen von Lothringen, fast verschwunden ist. In den Schulen gilt Deutsch als Fremdsprache; lokale Medien in deutscher Sprache existieren nur wenige. Aber die betroffenen Menschen bleiben Mitglieder derselben Gesellschaft und 9
Mann, Geschichte der Macht (Anm. 4), Bd. I, S. 72 – 75, 207 ff. Mann, Demokratie (Anm. 5), S. 87 – 108. 11 Ebd., S. 26 und S. 704 mit sehr instruktiven Schaubildern.
10
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behalten ihre Bürgerrechte. Nach wenigen Generationen erinnert sich niemand mehr an die früheren Zugehörigkeiten. Die zweite Stufe ist die geografische Exklusion. Die Anderen müssen die Gesellschaft verlassen. Man kann unterscheiden zwischen freiwilliger kontinuierlicher Auswanderung, plötzlicher massenhafter Flucht, gewaltsamer Vertreibung und organisierter Deportation. Selbstverständlich sind die Grenzen zwischen diesen Formen fließend. Ein interessantes historisches Beispiel ist der 1923 in Lausanne geschlossene Vertrag, mit dem der „Bevölkerungsaustausch“ legalisiert wurde, der sich in den vorangegangenen Jahren zwischen Griechenland und der Türkei ereignet hatte. Wie immer sind die Zahlen unsicher; wahrscheinlich mussten 1,5 Millionen Griechen und 0,5 Millionen Türken ihre Heimat verlassen. Der positive Effekt war, dass sich die militärisch-politische Situation zwischen der Türkei und Griechenland entspannte. Insbesondere die Türkei konnte erst jetzt eine relativ stabile Entwicklung als Nationalstaat nehmen. Entsprechendes lässt sich für den Osten Europas behaupten: In den 1940er Jahren mussten bis zu 30 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen, davon fast die Hälfte Deutsche. Nach der Ermordung der Juden und der Vertreibung der Deutschen waren aber einige Staaten homogener und stabiler als vorher; das beste Beispiel ist Polen. Die dritte Stufe ist die physische Vernichtung, im Klartext: der Massenmord. Dieser kann ohne direkte Intention erfolgen (etwa durch die Verbreitung von Infektionskrankheiten), gewaltsame Umsiedlungen begleiten, mit Kriegshandlungen verbunden sein oder systematisch erfolgen. Der schrecklichste Fall ist die Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland; auch für Mann sprengen diese Verbrechen alle bekannten Dimensionen. Aber er behandelt auch die Genozide an den Armeniern 1915/16 und an den Tutsi in Ruanda 1994. Alle Demokratien sind, so Manns Behauptung, auf Homogenisierungsprozesse angewiesen. Welche Demokratien neigen dazu, diese immer weiter zu treiben? Letztlich muss man jeden einzelnen Fall gesondert aus seinen historischen Umständen erklären. Aber einige Verallgemeinerungen sind möglich. So lassen sich drei Demokratie-Typen nennen, die besonders viele Leichen im Keller haben. Der erste Fall sind die Siedlerdemokratien.12 Ihre Opfer sind die Angehörigen der einheimischen Bevölkerung, die ausgegrenzt, diskriminiert, vertrieben oder getötet werden. Die Siedlerdemokratien sind gewalttätiger als die autoritären Kolonialreiche, aus denen sie meistens hervorgegangen sind. Man denke an den Unterschied zwischen der britischen Kolonialregierung in Südafrika und dem späteren Apartheid-Regime. Auch Australien wäre ein Beispiel. Man müsste eigentlich von Ethnokratien sprechen, denn die einheimische Bevölkerung hatte kaum Rechte.13 Sehr ausführlich behandelt Mann die USA und den Genozid an den Indianern, vor allem die mörderischen Ereignisse in Kalifornien zwischen 1848 und 1860. Im Vergleich mit 12 13
Ebd., S. 109 – 165. Ebd., S. 40, 65, 740, 766.
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Großbritannien, das in Irland wütete, waren die USA viel brutaler: Niemand wollte die Iren ausrotten, aber einige US-Präsidenten und Gouverneure hatten gegenüber den Indianern tatsächlich diese Absicht. Washington und Jefferson sprachen über deren massenhafte Tötung so wie Hitler und Himmler über die der Juden – aber im Gegensatz zu den beiden Letztgenannten taten die berühmten US-Präsidenten dies in aller Öffentlichkeit.14 Mann betont sogar, dass viele indianische Gesellschaften demokratischer waren als die Siedlerkolonien. – In der Gegenwart gibt es wohl nur noch eine Siedlerdemokratie, nämlich Israel.15 Hier brodelt seit Jahrzehnten der ethnische und religiöse Konflikt mit den Palästinensern. Zwar ist es bisher zu keinem Genozid gekommen, aber sehr wohl zu Diskriminierung, geografischer Exklusion und mehreren Kriegen. Die Lage wird sich gewiss nicht dadurch entspannen, dass Ende 2022 in Israel eine rechts-religiöse Regierung ins Amt gekommen ist. Der zweite Typ sind gescheiterte Demokratien. Das Paradebeispiel ist das Dritte Reich, das auf die Weimarer Republik folgte. Ohne eine demokratische Zwischenphase wären die Nazis nicht an die Macht gekommen. Adorno und Horkheimer haben deshalb ihr Misstrauen gegenüber der Demokratie, die sich in Westdeutschland nach 1945 herausbildete, nie aufgegeben. Aber auch Russland wäre zu nennen, sowohl das Russland nach 1917 als auch das Russland nach 1991. Die Massenmorde schon unter Lenin, aber vor allem unter Stalin und die Verbrechen schon unter Jelzin, aber vor allem unter Putin wurden nur möglich, weil die kurzen demokratischen Zwischenphasen 1917 und um 1990 die gesamte russische Gesellschaft völlig aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. In Italien und Spanien ist es, nach 1918/22 beziehungsweise 1931/36, nicht so schlimm ausgegangen. Nun bestreitet auch Mann nicht, dass Hitler, als er 1933 an die Macht kam, die Demokratie unverzüglich beseitigte. Dennoch konnten sich die Nazis immer auf eine breite Unterstützung verlassen. Ein guter Beleg ist die unter Aufsicht des Völkerbunds durchgeführte Saarabstimmung, bei der im Januar 1935 über 90 Prozent für die Eingliederung in das nationalsozialistische Deutsche Reich votierten. Auch an der Begeisterung der Deutschen im Jahr 1938 und im Sommer 1940 ist nicht zu zweifeln. Noch bis in die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs gab es nur vereinzelten Widerstand.16 Schließlich der dritte Typ: junge Demokratien. Mann analysiert ausführlich das Jugoslawien der 1990er Jahre.17 Die ersten freien Wahlen von 1990/91 führten zu einem Sieg der Nationalisten, die in den folgenden Jahren die ethnischen Säuberungen forcierten. Die Überwindung der kommunistischen Parteidiktatur war mit Vertreibung und Massakern verbunden, ja mit blutigen Bürgerkriegen. Thematisiert wer14
Ebd., S. 7, 139 f., 148 f., vgl. auch 257. Ebd., S. 766; vgl. Wolfgang Reinhard, Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 – 2015, München 42018, S. 1244 – 1251. 16 Vgl. Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Untergang. Deutschland 1944/45 (engl. 2011), München 2011. 17 Mann, Demokratie (Anm. 5), S. 520 – 632. 15
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den außerdem die Ereignisse in Indien 1947/50.18 In vielen Teilen der Welt gibt es keine stabilen Demokratien. Man denke nur an das Afrika südlich der Sahara. Mann befürchtet deshalb, dass viele dieser Staaten ihre Genozide noch vor sich haben. Was kann man dagegen tun? Mann ist, wie gesagt, kein Gegner der Demokratie. Beispielsweise stellt er fest, noch niemals habe jemand mit einem offenen Aufruf zum Massenmord eine Wahl gewonnen.19 Man müsse aber neue Formen der Demokratie entwickeln. Den Multikulturalismus, der ethnische Zugehörigkeiten ignoriert und alle Menschen als Individuen betrachtet, hält Mann für weltfremd und unpraktikabel. Stattdessen empfiehlt er konföderative oder konkordanzpolitische Strukturen, bei denen Ethnien und religiöse Gemeinschaften eine begrenzte regionale Autonomie erhalten oder im ganzen Gebilde einen garantierten, eher überproportionalen Machtanteil bekommen.20 Die Schweiz ist dafür wohl ein gutes Beispiel. Denn selbst die etablierten Demokratien haben die Gefahrenzone noch nicht durchquert. Nachdem Homogenität auf die eine oder andere Weise hergestellt wurde, nimmt sie jetzt wieder ab. Viel ist von wachsenden inneren Spannungen die Rede. Dafür ist auch die starke Zuwanderung verantwortlich, die sich, selbst wenn man wollte, gar nicht stoppen ließe. Notwendig ist deshalb die Entwicklung einer diversen Demokratie, die Heterogenität erträgt oder sogar fördert. Deren Etablierung kann viele Jahrzehnte dauern; scheitert sie jedoch, sind auch die stabilen Demokratien des Westens in großer Gefahr.21 Die wichtigste Lehre aus Manns Buch ist aber wohl, dass wir unsere Selbstgefälligkeit ablegen müssen. Alle westlichen Demokratien sollten sich ihrer mehr oder weniger verbrecherischen Vergangenheit bewusst werden; wir leben fast alle in „gereinigten“ Gesellschaften. Das gilt auch für uns als Individuen: Niemand kann sich sicher sein, dass er oder sie sich nicht selbst unter bestimmten Bedingungen an schrecklichen Massenmorden beteiligen würde. Zudem ist es moralisch unangemessen, immer nur die Menschen in früheren Gesellschaften oder anderen Ländern zu verurteilen. Ein Bundesjustizminister sagte einmal: Wer mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf andere zeige, solle sich bewusst machen, dass „zugleich drei andere Finger auf ihn selbst zurückweisen“.22
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Ebd., S. 715 ff. Ebd., S. 743. 20 Ebd., S. 23 – 27, 770 – 773. 21 Vgl. Yascha Mounk, Das große Experiment. Wie Diversität die Demokratie bedroht und bereichert (engl. 2022), München 2022; vgl. Arend Lijphart, Thinking about Democracy. Power Sharing and Majority Rules in Theory and Practice, London/New York 2007. 22 Gustav Heinemann, Es gibt schwierige Vaterländer… Reden und Aufsätze 1919 – 1969, hrsg. von H. Lindemann (Reden und Schriften, III), Frankfurt a. M. 1977, S. 334 (Erklärung vom 14. April 1968 anlässlich des Attentats auf Rudi Dutschke). 19
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III. Libertäre Kritik: Hans-Hermann Hoppe Den zweiten radikalen internen Angriff auf unsere Demokratie startet Hans-Hermann Hoppe. Er wurde 1949 im niedersächsischen Peine geboren und 1974 (also im Alter von 25 Jahren) in Philosophie promoviert, und zwar in Frankfurt am Main bei Jürgen Habermas (obwohl dieser zu diesem Zeitpunkt schon in Starnberg arbeitete). Es folgte, ebenfalls an der Goethe-Universität, die Habilitation in Soziologie bei Karl Otto Hondrich. Beide Qualifikationsschriften sind relativ kurze wissenschaftstheoretische Studien, in denen der Empirismus kritisiert wird. Die Soziologie müsse als rekonstruktive Handlungsgrammatik betrieben werden und die Ökonomie als apriorische Wissenschaft.23 Danach erhielt Hoppe ein Heisenberg-Stipendium, das er zur Ausarbeitung einer normativ-philosophischen Abhandlung nutzte.24 Mitte der 1980er Jahre ging er in die USA, wo er von 1986 bis 2008 eine wirtschaftswissenschaftliche Professur an der Universität Nevada in Las Vegas innehatte. In dieser Zeit entstand das Buch „Demokratie. Der Gott, der keiner war“ (engl. 2002), dessen Titel auf eine bekannte Abrechnung mit dem Sozialismus anspielt.25 Inzwischen lebt Hoppe mit seiner jetzigen Frau in Istanbul und publiziert fleißig weiter. Hoppe steht für die libertäre Kritik an der Demokratie. Inhaltlich beruft er sich auf Ludwig von Mises und Murray Rothbard, also zwei radikale Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie und ihrer anarcho-kapitalistischen Weiterführung in den USA. Wie seine beiden Vorbilder möchte er radikal-liberale Wirtschaftstheorie mit kulturellem Konservatismus verbinden. Dadurch grenzt Hoppe sich von zwei anderen Helden des Libertarismus ab, nämlich von Friedrich August von Hayek, der ausdrücklich kein Konservativer sein wollte,26 und von Ayn Rand, in deren Romanen sich Libertarismus und Libertinage verbinden. Auf der anderen Seite übt er scharfe Kritik an den sogenannten Neokonservativen, für die etwa William Kristol und Patrick Buchanan stehen. Ihnen wirft er Etatismus vor.27 Der beste philosophische Vertreter der von ihm favorisierten Richtung ist Robert Nozick. Während Nozick jedoch für einen Minimalstaat plädiert, lehnt Hoppe selbst diesen ab – er ist Anarchist. Was Hoppe möchte, ist nichts anderes als den vollständigen Rückbau der Staatlichkeit, wie sie sich im neuzeitlichen Europa entwickelte und da-
23
Hans-Hermann Hoppe, Handeln und Erkennen. Zur Kritik des Empirismus am Beispiel der Philosophie David Humes, Frankfurt/München 1976; Hans-Hermann Hoppe, Kritik der sozialwissenschaftlichen Sozialforschung. Untersuchungen zur Grundlegung von Soziologie und Ökonomie, Opladen 1983. 24 Hans-Hermann Hoppe, Eigentum, Anarchie und Staat. Studien zur Theorie des Kapitalismus, Opladen 1987. 25 Vgl. Arthur Koestler u. a., Der Gott, der keiner war (engl. 1949), München 1962. 26 Friedrich August von Hayek, Die Verfassung der Freiheit (engl. 1960), Tübingen 21983, S. 481 – 497. 27 Hans-Hermann Hoppe, Demokratie. Der Gott, der keiner ist. Monarchie, Demokratie und natürliche Ordnung (engl. 2002). Mit einem Nachwort von Lorenz Jäger, Waltrop/Leipzig 2004, S. 358 – 366.
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nach auf andere Teile der Welt ausbreitete. Das lässt sich in drei Schritten rekonstruieren. Im ersten Schritt bekämpft Hoppe, wie alle Libertären und Neoliberalen, den modernen Wohlfahrtsstaat, dessen negative Konsequenzen er überdeutlich hervorhebt. Der Sozialstaat sei „eine monströse Maschinerie der Vermögens- und Einkommensumverteilung zugunsten verantwortungsloser Akteure und Hochrisikogruppen und auf Kosten verantwortungsbewußter Individuen und Gruppen“.28 Zwei seiner Argumente stechen hervor: Zum einen führe jede wohlmeinende sozialstaatliche Maßnahme dazu, dass bald immer mehr Unterstützung erforderlich wird, weil viele mit dieser angenehm leben können. Auf diese Weise vergrößere man das Heer der Simulanten, Faulpelze und Drogenabhängigen.29 Eigentlich könne jeder für sich selbst am besten sorgen. Zum andere zerstöre man die Familie. Denn in früheren Zeiten wäre sie es gewesen, die die Menschen in Krisenzeiten aufgefangen und ihnen geholfen hätte. Jetzt werde sie überflüssig gemacht. Insbesondere Erziehung und Bildung sollten im Kreis der Familie bleiben; die staatliche Schulpflicht sei abzuschaffen.30 Der zweite Schritt ist die Kritik an der Demokratie. Diese stehe für Misswirtschaft und Verschwendung; Unmengen an Geld würden für überflüssige Dinge aufgewendet. Das beste Beispiel seien die aufgeblasenen Regierungsapparate, die die früheren Hofstaaten um ein Vielfaches überträfen. Die unfassbare Staatsverschuldung werde künftige Generationen enorm belasten. Nach Hoppes Ansicht stehen die demokratischen Wohlfahrtsstaaten sogar kurz vor dem Zusammenbruch.31 An dieser Stelle singt er ein Loblied auf die alten Königreiche. Damit gemeint sind keineswegs die konstitutionellen Monarchien der heutigen Zeit, in denen die Fürsten vor allem für die Boulevardmedien wichtig sind. Er liebäugelt tatsächlich mit dem Ancien Régime. Im Rückblick auf das 20. Jahrhundert wäre es besser gewesen, wenn 1918 die Monarchien in Deutschland, Österreich und Russland erhalten geblieben wären. Denn eine Herrscherfamilie denke in längeren Zeiträumen, in Generationen, nicht bloß in Jahren.32 Ein noch besserer Orientierungspunkt seien aber die freien Städte und Gemeinden des Mittelalters. Daraus wird schon der dritte Schritt Hoppes deutlich: Er richtet sich gegen die neuzeitliche Staatlichkeit überhaupt. Diese zeichnet sich durch das Gewalt- und Steuermonopol aus – beide lehnt Hoppe ab. Aus Ersterem folgt, dass der Staat allein für die innere und äußere Sicherheit sorgt. In beiden Bereichen sei er, wie Hoppe meint, gescheitert. Hinsichtlich der inneren Sicherheit verweist er auf die Zunahme von Verbrechen und die Verwahrlosung des öffentlichen Raums. Hinsichtlich der äußeren Sicherheit wird die auf Kant zurückgehende Behauptung, dass Demokratien 28
Ebd., S. 369. Ebd., S. 207 ff. 30 Ebd., S. 362. 31 Ebd., S. 10, 161, 213. 32 Ebd., S. 119 – 200.
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weniger Kriege führen, ausdrücklich abgelehnt.33 Das Gegenteil sei richtig: Im demokratischen Zeitalter werden Kriege häufiger und brutaler. Im monarchischen Zeitalter, also im 18. und noch im 19. Jahrhundert, waren Kriege eingehegt und weniger verlustreich. Besonders scharfe Kritik erfährt die US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte. Der libertäre Vorschlag lautet, private „Versicherungsagenturen“ mit solchen Aufgaben zu betrauen, auch für die äußere Sicherheit.34 Das wäre effizienter und billiger. Die Kosten für diese Agenturen würden noch weiter sinken, wenn alle Personen das Recht hätten, Waffen zu besitzen und somit im begrenzten Umfang für ihre eigene Sicherheit sorgen könnten. Noch schärfer ist die Kritik am Steuermonopol des Staates. Schon Nozick behauptete, Besteuerung sei Zwangsarbeit. Hoppe vergleicht Staaten mit stationären Banditen, denn Steuern seien nichts anderes als organisierter Raub. Früher habe man bestenfalls 10 Prozent dessen, was erwirtschaftet wurde, an Steuern zahlen müssen (man denke an den Kirchenzehnten), heute sei es oft schon die Hälfte des eigenen Einkommens. Von einem Vorläufer des Anarchismus wie Proudhon stammt der plakative Satz „Eigentum ist Diebstahl“; für den Anarcho-Kapitalisten Hoppe gilt das Gegenteil: Eigentum ist ein grundlegendes normatives Prinzip, mit dem auch unser individuelles Selbstverhältnis gedeutet wird, nämlich als Selbsteigentum (self-ownership). Hoppes fundamentale Leitdifferenz ist die zwischen privat und öffentlich: Privat ist gut, öffentlich ist schlecht. Das gilt im Rechtlichen wie im Ökonomischen. Die gesamte Gesellschaft solle über das Privatrecht organisiert werden; das öffentliche Recht könne entfallen. Im Privaten herrscht individuelle Freiheit, in der Öffentlichkeit dominiert das Kollektiv und es werde sozialer Zwang ausgeübt. Die Wirtschaftswissenschaft unterscheidet zwischen privaten und öffentlichen Gütern. Für Hoppe ist diese Differenz nicht aufrechtzuerhalten: Eigentlich gebe es nur private Güter. Was als öffentliches Gut gelte, ließe sich problemlos und zum Vorteil aller privatisieren. Das sind radikale Vorschläge, die (wie gesagt) über das hinausgehen, was etwa Hayek und Nozick wollten. Hoppe weiß, dass momentan der Staat nicht einfach abzuschaffen ist. Tagespolitisch richtet er sich konsequenterweise gegen alle Zentralisierungsbestrebungen, also in den USA gegen Washington und in Europa gegen Brüssel. Aber einen konkreten Vorschlag hat er doch: Sezession.35 Es bleibe nichts anderes übrig, als sich von den existierenden Staaten abzuspalten. Hoppe hofft auf freie Territorien; vielleicht, so ließe sich ergänzen, könnten bald exzentrische Superreiche die Auswanderung auf einen anderen Himmelskörper organisieren. In den abgespaltenen Privatrechtsgemeinschaften müsste man strikt kontrollieren, wen man einlässt und was man erlaubt. „In einer libertären Sozialordnung kann es keine Toleranz gegenüber Demokraten und Kommunisten geben.“36 Sezessionen schaffen re33
Ebd., S. 100 – 111, 160. Ebd., S. 512 – 523. 35 Ebd., S. 232 – 243 u. 523 – 532. 36 Ebd., S. 408.
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lativ homogene Einheiten, die dann miteinander konkurrieren und deren jeweilige Leistungen deutlich hervortreten lassen. Die Welt werde so bunter und reicher. Was soll man dazu sagen? Ich muss mich auf wenige kurze Bemerkungen beschränken. Zunächst einmal fällt auf, dass Hoppe, ganz im Einklang mit seinen frühen wissenschaftstheoretischen Arbeiten, auf empirische Belege wenig Wert legt, diese offensichtlich für überflüssig hält. Inzwischen haben die Sozialwissenschaften aber verschiedene verlässliche Instrumente aufgebaut, mit denen sich globale empirische Vergleiche durchführen lassen. Ich nenne nur die Freedom-House-Skalen und den Human Development Index. Überall zeigt sich, entgegen Hoppes Meinung, dass die Demokratien keine so schlechte Figur machen: Die demokratischen Länder gehören bei den Pro-Kopf-Einkommen zu den reichsten der Welt, auch wenn nicht-demokratische Gesellschaften wie Katar und China aufgeschlossen haben. Entsprechendes gilt für die Lebenserwartung, die individuelle Zufriedenheit und elementare Bildungsstandards. Selbst wenn einige der optimistischen Deutungen übertrieben sein mögen, können Demokratien interne Konflikte besser regulieren, Hungersnöte eher vermeiden und ökologische Gefahren (bisher) besser abwenden als Autokratien.37 Sodann sind die normativen Grundlagen seiner libertären Position zu kritisieren. Dies geschieht am besten durch einen Vergleich mit konkurrierenden Ansätzen der gegenwärtigen politischen Philosophie, also vor allem dem Liberalismus, dem Kommunitarismus und dem Utilitarismus. Das ist an dieser Stelle nicht möglich; ich beschränke mich hier auf eine Beobachtung: Libertäre Konzepte teilen zwar mit liberalen das normative Prinzip der Freiheit, interpretieren diese aber in einer bestimmten Weise, nämlich als individuelle negative Freiheit, und setzen sie absolut. So fehlen andere normative Prinzipien wie Gerechtigkeit und Solidarität. Insbesondere gilt Gleichheit, in welcher Form auch immer, nicht als Wert. Das macht die politische Ambivalenz des Anarchismus deutlich. Dieser galt früher als „linksaußen“. Ob Bakunin oder Kropotkin, ob Rudolf Rocker oder der frühe Daniel Cohn-Bendit – wer sich als Anarchist verstand, war politisch links von den Sozialisten oder Kommunisten einzuordnen. Für Noam Chomsky trifft dies wohl immer noch zu. Aber es gibt auch eine andere Linie, die vielleicht bei Max Stirner beginnt und den späten Ernst Jünger einschließt. Jedenfalls befindet sich derjenige, der seinen Anarchismus so versteht wie Hoppe, „rechtsaußen“, speziell in den USA politisch rechts von den sogenannten Neokonservativen oder national orientierten Kommunitaristen. Diese Zuordnung setzt natürlich ein bestimmtes Verständnis von „links“ und „rechts“ voraus, nämlich über deren Einstellung zu Fragen sozialer Gleichheit: Linke sind Egalitaristen, Rechte nicht. Der libertäre Anarcho-Kapitalismus hat mit Ungleichheit überhaupt kein Problem, sieht diese als „natürlich“ oder als 37 Zahllose Daten sind zusammengetragen bei Steven Pinker, Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung (engl. 2018), Frankfurt a. M. 2018. Zur Leistungsbilanz der Demokratie siehe auch Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien. Eine Einführung, Wiesbaden 2008, S. 370 – 398 u. 472 – 485.
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ökonomisch vorteilhaft an. An einer Stelle heißt es bei Hoppe: „Die Reichen sind normalerweise intelligent und fleißig, die Armen typischerweise dumm, faul oder beides.“38 Seine libertäre Utopie bezeichnet er ausdrücklich als „unegalitär, hierarchisch und elitär“.39 In einem Punkt muss man aber Hoppes radikaler Demokratiekritik beipflichten. Er beklagt, dass die liberalen Demokratien mit zu kurzen Zeitpräferenzen operieren, nämlich fast immer nur eine Legislaturperiode im Blick haben. Das sei der Grund für viele Fehlentwicklungen: die hohe Staatsverschuldung, die Vernachlässigung der Infrastruktur und die wachsende Unterfinanzierung der künftigen Renten. Nicht zuletzt die vielen ökologischen Probleme, vor denen die Menschheit steht, ergeben sich daraus, dass die langfristigen Konsequenzen des eigenen Handelns in den westlichen Demokratien nicht genügend bedacht werden. IV. Anthropologische Kritik: Jason Brennan Kommen wir nun zur dritten Angriffswelle. Sie wird angeführt von Jason Brennan, einem vergleichweise jungen Wissenschaftler (*1979) von der Georgetown University. Methodisch müsste man ihn der analytischen Philosophie zuordnen, denn er arbeitet mit ausführlichen Begriffsexplikationen, witzigen Analogien und spannenden Gedankenexperimenten, ist aber auch offen für die Einbeziehung neuerer empirischer Forschungsergebnisse, hier insbesondere aus der Psychologie. Unter den Klassikern der politischen Philosophie hat Brennan einen eindeutigen Favoriten, nämlich John Stuart Mill. Insofern wäre er dem politisch-philosophischen Liberalismus zuzuordnen. Allerdings kritisiert er deren gegenwärtige Hauptvertreter John Rawls und Jürgen Habermas. Wie Hoppe neigt er zu einem libertären Ansatz, jedoch eher in einer gemäßigten Variante.40 Zwar seien die negativen Abwehrrechte wichtiger als die demokratischen Mitwirkungsrechte, dennoch will Brennan auf diese (im Unterschied zu Hoppe) nicht gänzlich verzichten. Was seine normativen Begründungen angeht, argumentiert Hoppe als radikaler Kontraktualist, Brennan hingegen (wie Mill) als qualitativer Utilitarist. Während Hoppe meint, dass alles bestens laufen würde, wenn die in Familien eingebundenen Individuen sich nur um ihr partikulares Wohl kümmerten, interessiert sich Brennan für das Gemeinwohl, das sich aber gerade nicht aus der Summe der Einzelglücke ergebe. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen das inkompetente politische Handeln der Wähler und Amtsträger in den westlichen Demokratien. Sein Buch liest sich wie die Ausfaltung eines nicht belegten Churchill-Zitats: „Das beste Argument gegen Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem beliebigen Wähler.“ Eingängig ist die Typologie, mit der er uns, die Bevölkerung in demokratisch organisierten Gesell38
Hoppe, Demokratie (Anm. 27), S. 204. Ebd., S. 163. 40 Jason Brennan, Libertarianism. What Everyone Needs to Know, New York 2012. 39
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schaften, erfassen möchte.41 Es gebe drei Gruppen: Hobbits, Hooligans und Vulkanier. Die Hobbits sind passiv und friedfertig; sie interessieren sich nicht für die Politik, sondern für ihr zweites Frühstück. Die Hooligans sind aktiv und streitlustig; sie interessieren sich für Politik, aber einseitig: Sie kämpfen für ihren Verein, egal ob sich dieser für eigene Belange oder die Rechte von Minderheiten, für mehr Klimaschutz oder weniger Steuern einsetzt. Die Vulkanier sind politisch bestens informiert und lassen sich von hehren moralischen Prinzipien leiten. Bevor sie sich bei Abstimmungen und Wahlen entscheiden, wägen sie alle Aspekte sorgfältig ab. Unter den Wechselwählern sind sie besonders zahlreich vertreten.42 Hobbits und Hooligans sind, so Brennan, etwa gleich große Gruppen und bilden zusammen fast die gesamte Bevölkerung. Die Vulkanier hingegen sind eine kleine Minderheit. Die Hobbits sind aber nicht stur oder dauerhaft phlegmatisch; man kann sie, etwa in Wahlkampfzeiten, politisch mobilisieren. Aber dann werden sie nicht zu Vulkaniern (dafür fehlen ihnen alle Voraussetzungen), sondern zu Hooligans. Deshalb bestimmen diese weitgehend die Politik in den demokratischen Gesellschaften, und zwar zunehmend. Ich bezeichne Brennans Kritik an der Demokratie als anthropologisch, weil er von den Schwächen der Menschen ausgeht. Für alle diejenigen, die keine Vulkanier sind (und wer ist das schon!), ist die Demokratie aus Brennans Sicht eine Überforderung. So hatte bereits Arnold Gehlen argumentiert.43 Zunächst einmal nennt Brennan eine Fülle von Belegen für die Dummheit der Wähler (in den USA). 1964 wusste nur eine Minderheit der US-Amerikaner, dass die Sowjetunion nicht zur NATO gehörte. Weniger als die Hälfte der US-Bürger weiß, welche Partei im Repräsentantenhaus und im Senat die Mehrheit stellt. Die finanziellen Aufwendungen für Entwicklungshilfe werden maßlos überschätzt. Mit konkreten politischen Inhalten, Gesetzesvorhaben oder Parteiprogrammen kennt sich kaum jemand aus. „Zusammenfassend kann man sagen, dass die Wähler [in den USA] im Allgemeinen wissen, welche Partei gegenwärtig die Regierung stellt, aber darüber hinaus wissen sie nicht allzu viel.“44 Daraus folgt, dass Politiker und Politikerinnen eher nach ihrem Aussehen beurteilt und wegen ihres Unterhaltungswerts gewählt werden. Gilt das nur für die USA? Nein, in Deutschland weiß beispielsweise weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten, was es genau mit der Erst- und der Zweitstimme auf sich hat.45 41 Jason Brennan, Gegen Demokratie. Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen (engl. 2016), Berlin 2017, S. 19 – 22. 42 Ein Vorbild ist immer noch Sebastian Haffner, Überlegungen eines Wechselwählers, München 1980. 43 Vgl. Christian Thies, Die Krise des Individuums. Zur Kritik der Moderne bei Adorno und Gehlen, Reinbek 1997, S. 165 – 173. 44 Brennan, Gegen Demokratie (Anm. 41), S. 56. 45 https://pollytix.de/pollytix-umfrage-offenbart-wissensluecken-zum-wahlsystem/ (2018, letzter Zugriff 16. 1. 2023).
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Brennan hat aber eine gute Erklärung für das Nicht-Wissen der Wähler – es handelt sich um rationale Ignoranz.46 Der Erwerb wichtiger politischer Informationen kostet Zeit und nützt nichts; hingegen bringt politisches Nicht-Wissen kaum Nachteile und zur Wahl darf man trotzdem gehen. Um beliebt zu sein und mitreden zu können, ist es eher empfehlenswert, sich mit den Sternchen der Kulturindustrie und irgendwelchen Skandalen auszukennen. Die übliche Reaktion engagierter Demokraten auf diese Befunde ist, dass man dann eben mehr in die politische Bildung investieren müsse, vor allem in der Schule, durch zivilgesellschaftliche Einrichtungen und über die Massenmedien. Aber Brennan hält solche Bemühungen für aussichtslos. Unter Rückgriff auf neuere empirische Forschungsergebnisse zeigt er all die Fehler auf, in die wir immer wieder zurückfallen. Bestimmte kognitive Verzerrungen werden ständig reproduziert.47 Nur einige seien hier erwähnt: Als Bestätigungsfehler bezeichnet man unsere Neigung, nach Belegen für unsere eigenen vorgefassten Überzeugungen zu suchen und widersprechende Indizien einfach zu ignorieren. Das motivierte Denken besteht darin, verfügbare Daten so zu interpretieren, dass sie den eigenen Auffassungen entsprechen. Der Verfügbarkeitsfehler ist, dass wir zur Beurteilung einer Situation nicht empirisch-wissenschaftlich bewährte Daten heranziehen, sondern besondere eigene Erinnerungen oder mediale Bilder, die meistens gar nichts aussagen. Rationalität, so eine neue evolutionspsychologische Theorie, sei nicht das unparteiische Abwägen von Gründen, sondern vor allem die strategische Fähigkeit, in sozialen Interaktionen die Schwächen der anderen Seite zu erkennen, um sich in Konflikten durchsetzen zu können.48 Mehr noch: Die Politisierung, die so viele anstreben, führe nur zu einer Gruppenpolarisierung. Schon immer war davon die Rede, dass Macht die Menschen korrumpiert. Brennan treibt diese Behauptung auf die Spitze: Nicht nur die Politiker, sondern alle Bürger und Bürgerinnen werden durch Politik zu schlechteren Menschen. Einer der ältesten sozialpsychologischen Befunde ist, dass wir unsere Überzeugungen nach der Gruppe ausrichten, in der wir uns zufälligerweise befinden; komplementär dazu werden die Urteile einer fremden Gruppe abgewertet. Der Konformitätsdruck geht so weit, dass man offensichtliche Tatsachen einfach nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Das Ergebnis sei der neue politische Tribalismus, der seit einigen Jahren die USA und andere westliche Länder zerreißt. Wie oben schon erwähnt: Die Hobbits werden zu Hooligans. Dadurch wird die Demokratie aber nicht besser, sondern schlechter – und mehr noch: unser gesellschaftliches Zusammenleben endet in Streit und Feindseligkeiten. Deshalb spricht sich Brennan gegen verstärkte politische Partizipation aus. Ganz falsch wäre es, eine Wahlpflicht einzuführen.49 Im Gegenteil wäre es besser, wenn weniger Menschen wählen würden: „In den Vereinigten Staaten 46
Brennan, Gegen Demokratie (Anm. 41), S. 63. Das Standardwerk zu diesem Thema ist Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken (engl. 2011), München 2011. 48 Dan Sperber/Hugo Mercier, The Enigma of Reason, Cambridge/Mass. 2017. 49 Jason Brennan, The Ethics of Voting, Princeton 2011. 47
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könnte man den in Armut lebenden Schwarzen möglicherweise am besten helfen, wenn man die unteren 80 Prozent der weißen Wähler vom Wahlrecht ausschlösse.“50 Brennan hat einen konkreten Vorschlag, was an die Stelle der Demokratie treten solle: eine Epistokratie, also die Herrschaft der Wissenden. Das erinnert an Platons Idee der Philosophenkönige. Einige von Brennans Überlegungen ähneln auch den techne-Argumenten, die Sokrates in Platons frühen Dialogen vorträgt.51 Für alle sozialen Sphären, von Gesundheitswesen über das Handwerk bis zum Verkehr, seien bestimmte Kompetenzen erforderlich, die über Zulassungsverfahren abgeprüft werden. In der Politik geht es um noch komplexere Entscheidungen, die noch mehr Menschen betreffen – warum werde gerade hier auf solche Kriterien verzichtet? Für die Teilnahme am Straßenverkehr bedarf es einer Fahrerlaubnis, dann müsste man doch auch eine einfache Prüfung für die Teilnahme an Wahlen verlangen dürfen. Brennan diskutiert verschiedene Vorschläge, wie man eine Epistokratie ausgestalten könnte.52 Einige seien hier dargestellt. Der radikalste Vorschlag ist eine Wahlrechtslotterie. Im ersten Schritt wird durch einen Losentscheid eine repräsentative Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern aus der Gesamtbevölkerung herausgefischt. Solche Losverfahren werden in den letzten Jahren von verschiedener Seite vorgeschlagen, oft aber nur als Ergänzung der üblichen Wahlen.53 Bei Brennan folgt jedoch eine zweite Phase: Die ausgelosten Mitglieder unterziehen sich einem „Kompetenzentwicklungsverfahren“, das mit einer Prüfung endet. Nur wer auch diese Hürde genommen hat, ist berechtigt, in einer Legislaturperiode politische Entscheidungen zu treffen. Er räumt jedoch ein, dass der erforderliche Bildungsprozess kaum in überschaubaren Zeiträumen zu schaffen sein dürfte. Besser findet Brennan deshalb die von John Stuart Mill stammende Idee eines Pluralstimmrechts.54 Zwar sollen alle Bürger das Wahlrecht bekommen. (Bekanntlich setzte sich Mill stark für das Wahlrecht von Frauen ein.) Aber wer einen akademischen Titel besitzt, könnte zusätzliche Stimmen bekommen, und zwar in nicht geringer Zahl, beispielsweise 5 für das Abitur, weitere 5 für einen Studienabschluss und noch einmal 5 für einen Doktortitel. Brennan selbst bevorzugt ein Wahlzulassungsverfahren, nach dessen Bestehen man zehn zusätzliche Stimmen bekommt.
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Brennan, Gegen Demokratie (Anm. 41), S. 391. Vgl. Platon, Gorgias, 462b ff., 491a, 514a ff. 52 Brennan, Gegen Demokratie (Anm. 41), S. 36 ff., 357 – 381. 53 David Van Reybrouck, Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist, Göttingen 2016; Hubertus Buchstein, Demokratie und Lotterie. Das Los als politisches Entscheidungsinstrument von der Antike bis zur EU, Frankfurt a. M. 2009. 54 John Stuart Mill, Betrachtungen über die Repräsentativregierung (engl. 1861), Berlin 2013; vgl. Schmidt, Demokratietheorien (Anm. 37), S. 132 – 147. 51
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Interessanterweise sind solche Ideen einmal in Deutschland intensiv diskutiert worden, nämlich während des Ersten Weltkriegs.55 Ohnehin gleichen Mills Vorstellungen in einigen Punkten, etwa bei der öffentlichen Stimmabgabe, dem preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht. Herausragend sind die Beiträge Max Webers aus dem Jahr 1917. Das Pluralwahlrecht bezeichnet er als eine Lieblingsidee von weltfremden Intellektuellen und Literaten. Dabei wäre es eher ein Rückfall in eine vormoderne Ständegesellschaft. „Und was hat eigentlich der Doktor der Physik oder der Philosophie oder Philologie mit politischer ,Reife‘ zu tun?“56 Nirgendwo, so Weber, werde so viel politischer Unsinn geredet wie an Universitäten, übertroffen nur in Künstlerkreisen.57 Brennan hätte sich allerdings außer auf Mill auch auf Hannah Arendt berufen können. Politik sei, so die berühmte Denkerin, nicht auf die gleiche Mitwirkung aller angewiesen, sondern auf mit Autorität ausgestattete Eliten. Das herausragende Beispiel, wie sich einmal eine solche Elite selbst rekrutieren und die Leitung der Staatsgeschäfte übernehmen konnte, war für Arendt die amerikanische Revolution. Heute lasse sich so etwas kaum verwirklichen; die dominierenden Parteiensysteme seien in jedem Fall ungeeignet. Aber auch das allgemeine Wahlrecht sei hinderlich. Arendt schreibt: „Nur wer an der Welt wirklich interessiert ist, sollte eine Stimme haben im Gang der Welt.“58 Sich aber aus der Welt, aus der politischen Welt, zurückzuziehen, sei überhaupt nicht verwerflich und jedem Menschen freigestellt. Die dritte Idee wäre, dass jetzige System zu belassen (insbesondere das allgemeine und gleiche Wahlrecht), aber eine weitere Kontrollinstanz hinzuzufügen. Eine ähnliche Funktion für eine „überwachte Demokratie“ haben schon das Verfassungsgericht und eine unabhängige Zentralbank.59 Brennan plädiert für einen epistokratischen Rat mit Veto-Recht, der dieses bei Parlamentsbeschlüssen einlegen könnte. Oder soll er auch ungeeignete Kandidaten ausschließen, wie der Wächterrat im Iran? Auf jeden Fall trüge er zu einer wünschenswerten Entschleunigung demokratischer Prozesse bei. Wer aber sind die Wissenden, die eine Epistokratie tragen? Mehrfach betont Brennan die Relevanz sozialwissenschaftlicher Kenntnisse. Insofern ist er kein Anhänger einer Herrschaft der Naturwissenschaftler und Ingenieure, wie einige ältere Technokratie-Konzepte nahelegen. Es wäre wohl eher in seinem Sinne, Wirtschaftsexperten dauerhaft mit Regierungsgeschäften zu beauftragen, wie in Italien mit Monti und Draghi. Dennoch entsprechen einige Staaten Südostasiens, die oft als Technokratien bezeichnet werden, am ehesten den Vorstellungen Brennans. Beschränken wir uns 55 Als pointierte Einführung geeignet: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914 – 1949, München 2003, S. 170 – 174. 56 Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1917), in: ders., Politik und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2006, S. 297 – 335, hier 299. 57 Max Weber, Das preußische Wahlrecht (1917), in: ebd., S. 244 – 251, hier 247 f. 58 Hannah Arendt, Über die Revolution (engl. 1963), München/Zürich 1974, S. 360. 59 Brennan, Gegen Demokratie (Anm. 41), S. 374.
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auf das Beispiel Singapur und folgen wir der wohlwollenden Darstellung von Parag Khanna.60 In Singapur gebe es, so Khanna, eine fachkundige Führung, die klare Ziele verfolgt, regelmäßig Rechenschaft über ihr Handeln ablegt und sich an ihren Leistungen messen lässt. Die höchsten Werte seien Transparenz und Effizienz. Entscheidend sei nicht die politische Willensbildung, die sich in Wahlen niederschlägt (inputOrientierung, politics), sondern die Qualität der Problemlösungen (output, policy). Für eine bessere Responsivität der Regierung solle auch das Parlament sorgen; deshalb sei es „eine Mischung aus Debattierclub und beratender Versammlung“ mit dem Zweck, „eine ständige Rücksprache mit der Bürgerschaft zu ermöglichen“.61 Um den Kontakt mit der Bevölkerung nicht zu verlieren, würden auch die neuesten Kommunikationstechnologien eingesetzt. Kein anderes Land sei auf dem Weg zu einer digitalen Demokratie so weit fortgeschritten. Im 21. Jahrhundert werde man sich nach Khannas Auffassung nicht mehr an den demokratischen Helden des Westens orientieren, sondern an Lee Kuan Yew, dem langjährigen Ministerpräsidenten Singapurs. Möglicherweise gehen Brennans Vorschläge aber (zumindest für Europa) genau in die falsche Richtung. Wenn in den letzten Jahren das Vertrauen in die Demokratie geschwunden ist, so hat dies sicher ökonomische und kulturelle Ursachen. Es gibt aber wohl auch politische Ursachen, unter anderem das Gefühl breiter Bevölkerungsteile, dass eine bestimmte akademische Elite inzwischen alle gesellschaftlichen Bereiche dominiert und dass viele Entscheidungen ohnehin nicht in den Parlamenten getroffen werden, sondern durch schlecht legitimierte Instanzen wie hohe Gerichte, Zentralbanken und die Europäische Union. Die Politikwissenschaft spricht von nicht-majoritären Institutionen (NMIs). Beide Tendenzen, die zunehmende Akademisierung der politischen Klasse und die wachsende Relevanz der NMIs haben, so die Diagnose, den autoritären Populismus befördert.62 Das Interesse an Mitsprache sei höher als das an einer kompetenten Staatsführung. Wenn man Brennans Vorschlägen folgte, würden also das Unbehagen an der Demokratie und damit die soziale Unruhe wachsen. V. Schlussbetrachtung Was konnte in diesem Beitrag gezeigt werden? Es gibt ernstzunehmende radikale Demokratiekritik aus dem Inneren demokratischer Gesellschaften. Diese ist im Negativen stärker als im Positiven. Sie kann viele Schwächen früherer und jetziger Demokratien aufzeigen, aber sie kann mich nicht überzeugen, dass es bessere Regierungsformen gibt. Mit zwei kurzen Überlegungen möchte ich schließen. 60 Parag Khanna, Unsere asiatische Zukunft (engl. 2019), Berlin 2019, S. 353 – 371; vgl. Parag Khanna, Wie man die Welt regiert. Eine neue Diplomatie in Zeiten der Verunsicherung (engl. 2011), Berlin 2012, S. 168 – 173. 61 Khanna, Unsere asiatische Zukunft (Anm. 60), S. 365. 62 Armin Schäfer/Michael Zürn, Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus, Berlin 2021; zu Brennan ebd., S. 202 f.
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Erstens: Wenn es stimmt, dass Demokratien eine gute Leistungsbilanz aufweisen, so wird dies nicht am demokratischen Element allein liegen. Demokratien funktionieren wahrscheinlich gerade dann besonders gut, wenn sie das Demokratie-Prinzip nicht verabsolutieren. Folgende Elemente müssen hinzukommen: eine Rechtsordnung, die individuelle Rechte wirksam schützt; eine Gewaltenteilung, die zu einer ausbalancierten Machtverteilung führt; eine föderale Struktur, die die relative Autonomie untergeordneter politischer Einheiten ermöglicht. Viele weitere Punkte wären zu nennen, die in verschiedenen Demokratietheorien ausgearbeitet wurden.63 Erforderlich sind wohl auch (trotz der Einwände von Hoppe und Brennan) ein gerechter Sozialstaat und ein leistungsfähiges Bildungssystem. Zweitens: Wenn wenigstens einige der Einwände zutreffen, wie lassen sich diese Probleme unserer Demokratien beseitigen? Als falscher Weg, so meine ich, hat sich die Revolution erwiesen. Unsere historischen Erfahrungen scheinen zu lehren, dass der totale Umsturz ins Unglück führt. Zumindest werden die guten Absichten der Revolutionäre nie verwirklicht und oft in ihr Gegenteil verkehrt. Das war so 1640 in England, 1789 in Frankreich, 1917 in Russland. Oft kommt sogar etwas heraus, was dem früheren Zustand ähnelt. Am Ende gibt es wieder eine Monarchie oder eine Art Zar. In der Wirtschaftsgeschichte spricht man von Pfadabhängigkeiten. Besser als eine Revolution sind deshalb wohl kontinuierliche kleinere und größere Reformen.64
63 Als ein Beispiel nenne ich nur: Robert A. Dahl, Democracy and ist Critics, New Haven/ London 1989. 64 In diese Richtung weist auch Hans-Christof Kraus, Kontinuität und Reform – Zur Geschichte des politischen Denkens in Deutschland zwischen Spätaufklärung und Romantik, in: ders., Wege und Abwege der Ideen (Anm. 1), S. 42 – 65.
Politik und politische Kultur
Die erste österreichische und deutsche Eisenbahn von 18321 Von Wilhelm Brauneder, Wien/Budapest I. Traditionelle Bahnjubiläen Deutschland knüpfte seine Jubiläen vom Beginn des Eisenbahnzeitalters an die Eröffnung der Bahnstrecke Nürnberg-Fürth 1835 an, wie zum Beispiel „150 Jahre Deutsche Eisenbahnen“ im Jahre 1985 oder „175 Jahre deutsche Eisenbahn“ im Jahre 2000.2 Da diese Strecke in der alten Bundesrepublik Deutschland lag ergänzte die Deutsche Demokratische Republik um ein weiteres Jubiläum: 1837 erste deutsche Fernbahn Leipzig-Dresden. In Österreich galt als Start des Eisenbahnbetriebs die Eröffnung der Strecke von Floridsdorf bei Wien nach Deutsch Wagram 1837 und so feierte man etwa 1987 „150 Jahre Eisenbahn in Österreich“.3 Nun war allerdings bereits im Jahr 1832 die Bahnstrecke Budweis-Linz/Donau durchgehend befahrbar.4 Der Güterverkehr begann sogar schon früher auf Teilstrecken wie vor allem 1828 zwischen Budweis und Kerschbaum. Allgemeine Bahnjubiläen bezogen sich aber nicht darauf! Der Grund liegt darin, daß die Jubiläums-Strecken mit Dampflokomotiven betrieben wurden, die von Budweis nach Linz hingegen mit Pferden. Diese Degradierung entspricht aber keineswegs dem Begriff der Eisenbahn. Das deutsche Reichsgericht zu Leipzig definierte 1879 in einer berühmten Entscheidung „Eisenbahn“ unter anderem folgendermaßen:5 Es handle sich um ein „Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage“; die Richter ge1
Erweiterte und übersetzte Fassung meines Aufsatzes: 2022: sto devadesát let první rakouské a první nemecké zeleznice, in: Milan Hlavacka/Jiri Kopácek (ed.), Lanna et Lanna, Praha 2022, S. 252 ff. – Die Eisenbahnliteratur ist nahezu uferlos. In der Folge ist Basisliteratur in Auswahl angegeben. 2 Offizieller Jubiläumsband der Deutschen Bundesbahn: 150 Jahre Deutsche Eisenbahn, 3., überarb. Aufl. München 1985; 175 Jahre deutsche Eisenbahn. Die deutsche Bahn im Wandel der Zeit, St. Gallen 2010. 3 Ulrich Schefold, 150 Jahre Eisenbahn in Österreich, München 1986. 4 Das zu ihr in der Folge Ausgeführte insbesondere nach Franz Pfeffer/Gerd Kleinhanns, Budweis-Linz-Gmunden, Wien/Linz 1982; Siegfried Bufe, Eisenbahn in Oberösterreich, Egglham 1982, S. 11 ff.; Peter Wegenstein, Wege aus Eisen in Oberösterreich, Schleinbach 2020, S. 9 ff., 50, mit präzisen Angaben auch für Details; Max Reingruber, Pferdeeisenbahn in Gmunden, Gmunden o. J. [2012?], S. 2. 5 Zitiert in Wilhelm Brauneder, Europäische Privatrechtsgeschichte, Wien u. a. 2014, S. 246.
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dachten dabei vor allem auch den „zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften“, nämlich insbesondere „Dampf, Elektricität, thierischer und menschlicher Muskeltätigkeit“. Mit der tierischen Muskeltätigkeit waren in erster Linie Pferde gemeint. Und so gelten als erste ungarische Eisenbahnen6 die kurzlebige Strecke Pest-Köbánya von 1827 und insbesondere die Bahn Preßburg-Tyrnau, gebaut 1840 mit Betriebsaufnahme 1846 – beide mit Pferden betrieben, letztere sogar bis 1872. Übrigens liefen auf der Strecke Nürnberg-Fürth anfangs mehr mit Pferden als mit Dampflokomotiven bespannte Zugpaare! Allerdings vermerkte das Lexikon von Brockhaus aus 19267 unter dem Stichwort „Eisenbahn“ in der Tabelle „Die ersten Eisenbahnen in verschiedenen Ländern und Staaten“ an erster Stelle, wie bekannt, „England (Stockton-Darlington, 41 km)“ und sogleich an zweiter Stelle „Österreich (Budweis-Kerschbaum, 64 km)“ – um ein Drittel länger als die Strecke Stockton-Darlington! – mit „Eröffnung“ im „September 1828“. In späteren Auflagen fehlt mit dieser Tabelle allerdings auch dieser Hinweis. Aber wieso soll die Budweis-Linzer-Strecke auch als erste deutsche Eisenbahn gelten? Dafür gibt es eine zweifache Begründung. Im Jahre 1832 zählten Böhmen und Oberösterreich erstens politisch zu den Ländern des 1815 gegründeten Deutschen Bundes sowie zweitens geografisch zum „Südöstlichen Deutschland“.8 Verkehrsmuseen in Nürnberg und (noch länger) in Dresden hatten früher die Strecke Budweis-Linz denn auch als erste deutsche Eisenbahn genannt. II. Erste kontinentaleuropäische Fernbahn Tatsächlich stellte die Strecke Budweis-Linz/Donau sogar die erste Fernbahn am europäischen Kontinent dar. Sie überbot mit knapp 129 Kilometern die 116 Kilometer der Fernbahn Leipzig-Dresden. Die Bahn Nürnberg-Fürth verschwindet daneben nicht nur mit ihren bloßen sechs (!) Kilometern, sondern auch zufolge der schnurgeraden Streckenführung mit nur leichten Kurven vor den beiden Bahnhofeinfahrten. Überdies verlief sie parallel neben einer Straße, was ihr nahezu den Charakter einer kurzen Überlandstraßenbahn verlieh. Die Eisenbahn ab Budweis erreichte schließlich sogar eine Gesamtlänge von knapp zweihundert Kilometern zufolge ihrer Verlängerungen um zweieinhalb Kilometer zum Donauhafen Zizlau bei Linz und um achtundsechzig Kilometer bis Gmunden. Schon aus der Entfernung Budweis-Linz versteht es sich, daß sie das erste Bahnhofsrestaurant Europas aufwies, nämlich in der Station Kerschbaum. Aber nicht nur dies: Da die Bahn in Linz die Donau überquerte, befand sich hier Europas erste Eisenbahnbrücke mit immerhin dreizehn Jo-
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Gyula Antalffy, So reisten wir einst, Budapest 1975, S. 247 f. Brockhaus. Handbuch des Wissens, Band I, 6. Aufl., Leipzig 1926, S. 646. 8 Wilhelm Brauneder, Geschichte der österreichischen Staaten, Wien/Leipzig 2019, S. 128; Stielers Schul-Atlas, 30. Aufl., Gotha 1850, Kartenbild Nr. 18. 7
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chen. Und es gab noch eine weitere Einmaligkeit: Sie war die erste kommerziell betriebene Eisenbahn am Kontinent.9 III. Erste europäische Gebirgsbahn Ursächlich für den Bahnbau war die leichtere Überwindung des Böhmerwaldes für den Transport des im steirisch-oberösterreichischen Salzkammergut gewonnenen Salzes. Dieser erfolgte im Wasserweg der Traun bis zur Donau und dann der Moldau in Böhmen – dazwischen aber lag der Böhmerwald. Zahlreiche Pläne beschäftigten sich mit der Verbindung von Donau und Moldau mittels Kanälen. Ein entsprechendes Projekt von 1807 hatte noch 275 Schleusen vorgesehen, seine Verwirklichung wäre wesentlich zu teuer gewesen und so dachte man an den Bau einer Bahn über den Böhmerwald. Das mußte ihr den Charakter einer Gebirgsbahn geben. Bis dahin waren in Europa ausschließlich Flachlandstrecken gebaut worden. Den Gebirgscharakter zeigt auf der Budweis-Linzer-Bahn insbesondere die letzte Steigung: Von 685,4 Meter auf 713,4 Meter erfolgte sie mittels Doppelbögen auf den Kerschbaumer Sattel. Im Vergleich dazu erreichte die Gebirgsbahn über den Semmering ungefähr fünfundzwanzig Jahre später diese Höhe mit Tunneln und Viadukten etwa nächst dem Bahnhof Breitenstein, rund 170 Meter höher folgt auf den Bahnhof Semmering der Scheiteltunnel bei 890 Höhenmetern.10 IV. Konzessionierung, Planung, Trassierung und Bau Der Bau samt seinen notwendigen Vorstufen fiel in die Periode überwiegend privat errichteter und betriebener Eisenbahnen.11 Die Rechtsgrundlage dafür bildete eine Konzessionierung, „Privileg“ genannt, die formell vom Kaiser erteilt wurde, und zwar aufgrund von Vorarbeiten der betreffenden Zentralbehörden wie insbesondere der Kommerz-Hofkommission. In unserem Fall standen diese dem Bahnprojekt aufgeschlossen gegenüber, was sich insbesondere in ihrer Förderung von Franz Anton von Gerstner (1796 – 1840), Professor für Vermessungskunde („praktische Geometrie“) am Polytechnikum zu Wien, nun Technische Hochschule, niederschlug. Er war sozusagen in die Fußstapfen seines Vaters Franz Joseph von Gerstner (1758 – 1832), Professor für Mathematik und Mechanik an der Universität zu Prag, getreten, von dem einschlägige Studien vorlagen. Im September 1824 erhielt Gerstner junior das entsprechende „Privileg“, das sein Vorhaben einem öffentlichen Bau nahezu gleichstellte. Es war dies die erste österreichische Konzession für einen Eisenbahnbau und beispielsweise das Muster für nachfolgende private Eisenbahnvorhaben. Gerstners Konzession übernahm 1825 die neugegründete „K. k. privilegierte erste 9
Wie Anm. 4. Zur Semmeringbahn hier und weiters u. a. Rudolf Pap, Weltkulturerbe Semmeringbahn, o.O. 2003. 11 Pfeffer/Kleinhanns (Anm. 4), S. 31 ff.; Schefold (Anm. 3), S. 9 ff. 10
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Eisenbahn-Gesellschaft“ eines Konsortiums mehrerer Handelshäuser in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Gerstner junior fungierte als ihr leitender Ingenieur. Der ursprüngliche Plan von 1824 sah vor, daß die Bahn die Donau bei Mauthausen erreichen sollte. Nach einem Besuch von Gerstner junior in England verlegte man diese Anbindung nach Linz/Donau, wohl um auch die Hauptstadt des Landes Österreich ob der Enns (Oberösterreich) und des gleichnamigen Gouvernementbezirks (mit dem Land Salzburg)12 einzubinden. Im Zusammenhang damit stand, daß Gerstner dem interessierten Publikum 1824 im Prater zu Wien auf einer Probestrecke erstmals das technische Wunder Eisenbahn, von Pferden betrieben, vorführte, was auf großen Widerhall stieß.13 Besonders genau beschreibt dies der Kammerherr Carl von Voss, der sich 1823 bis 1825 als „Gouverneur“ mit seinem Schützling, dem Erbprinzen Alexander Carl von Anhalt-Bernburg, in Wien aufhielt. Am 18. November 1824 besuchten sie die „Probeeisenbahnen“ im Prater.14 Ausdrücklich wird vermerkt, daß Gerstner die Eisenbahn „nach dem Muster der bereits in England eingeführten zu einer Verbindungsstraße zwischen der Donau und Moldau benutzen will“. Sie soll „die fehlende und für den Handelsverkehr so äußerst wichtige Wasserkommunikation zwischen der Donau und der Elbe ersetzen“. Voss sah, wie ein „Wagen mit 96 Zentnern beschwert, an welchem noch ein zweiter mit einem Gewicht von 50 Zentnern angehängt“, mit „großer Leichtigkeit von einem einzigen Pferde“ gezogen wurde. Ein gutes halbes Jahr nach den Probefahrten in Wien begann im Juli 1825 der Bahnbau von Budweis aus. Die Spurweite betrug 42 Wiener Zoll oder 3,5 Fuß, was 1106 Millimeter entspricht. Sie galt zufolge der späteren Normalspur von 1435 Millimeter neben dieser dann als „Schmalspur“. Die Trassierung erfolgte so, daß künftig ein Betrieb mit Dampflokomotiven möglich sein sollte. Die Strecke in Böhmen wurde auch dementsprechend gebaut. Aus Kostengründen ging man jedoch ab 1828 unter dem neuen Ingenieur Matthias Schönerer zu einer billigeren Bauvariante über. Die Höchststeigung wurde von 8,3 Promille auf 11 Promille hinaufgesetzt, die Kurvenradien von 236 Meter fast um drei Viertel auf 57 Meter reduziert. Vor Linz baute man sogar mit einer Steigung von 20 Promille und noch engeren Kurvenradien. Zum Vergleich sei erwähnt, daß die jüngere Semmeringbahn eine Höchststeigung von 25 Promille und einen engsten Kurvenradius von 190 Meter besitzt.15 V. Betrieb und Weiterbau Die gesamte Bauzeit betrug sieben Jahre; Erfahrungen im Bahnbau besaß man ja nicht. Abschnittsweise begann der Güterverkehr schon 1827, insbesondere ab 1828 12 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, 11. Aufl. Wien 2009, S. 100. 13 Pfeffer/Kleinhanns, Budweis (Anm. 4), S. 23, hier insbes. in Anm. 31. 14 Rüdiger von Voss (Hrsg.), Reise nach Wien 1823 bis 1825, Hannover 2020, S. 633. 15 Wie Anmm. 4 und 10.
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von Budweis nach Kerschbaum in Oberösterreich, 1832 durchgehend bis Linz, 1833 folgte die Personenbeförderung. Zügig begann sogleich 1834 der Weiterbau nach Gmunden im Salzkammergut. Dem Salztransport von hier zur Donau diente bisher der Wasserweg der Traun. Aber vor allem der Traunfall nächst Steyrermühl stellte eine empfindliche Hürde dar wie auch für den sonstigen Güterverkehr besonders die Traun aufwärts, die durch den Bahnbau vermieden wurde. Dazu kam der Vorteil des direkten Salztransports per Bahn von Gmunden bis Budweis oder jedenfalls bis Linz. In Alt-Lambach, heute Stadl-Paura, übersetzte die Bahn die Traun, dann nochmals nach dem Bahnhof Gmunden-Traundorf vor Gmundens Stadttor, und endete vor den Salzkellern des Gmundener Rathauses am Seeufer. Hier am Rathausplatz fand der Umschlag vom Schiff, das den Traunsee und die in ihn mündende obere Traun nutzte, auf die Bahn statt. Als Nebeneffekt förderte der wider Erwarten überaus rasch zunehmende Personentransport ab Linz den Fremdenverkehr im Salzkammergut. Die Gesamtstrecke Budweis-Gmunden wies bei alledem beachtliche Kunstbauten auf, allein schon quantitativ. Es gab 268 gewölbte Brücken, 214 Holzbrücken, 584 kleinere Durchlässe. Tunnels freilich hatten sich erübrigt.16 Es lag nahe, an eine Fortsetzung der Bahn zu denken, eigentlich an eine Ergänzung durch einen weiteren Bahnbau vom Traunsee die Traun aufwärts, um diesen Schiffahrtsweg so wie an ihrem Unterlauf durch ein modernes Verkehrsmittel zu ersetzen, und zwar bis zum nächsten Gewässer, dem Hallstättersee. Noch dienten Bahnen lediglich der Verbindung der verkehrsträchtigen Seen. Überdies flankierten den Traunsee an beiden Ufern steil herabfallende Felswände, so daß Ebensee am südlichen Ende des Traunsees von Gmunden nur über den See erreichbar war. Daher verlud man Wagen des Personen- wie des Gütertransportes in diesen Orten auf Fährschiffe; sie setzten mit ihren Passagieren und Gütern ihre Fahrt etwa von Gmunden in Ebensee fort.17 Ebenso sollte die neue Bahn ab Ebensee mit jener in Gmunden mittels Trajektverkehrs für einen durchgehenden Wagenlauf verbunden werden. Daher wählte man auch für sie die Schmalspur von 1106 Millimeter. Mit ihr hätte besonders die Saline in Ischl eine moderne Verkehrsanbindung erhalten. Allerdings begann erst 1872 der Bau der Bahn von Ebensee die Traun aufwärts und der Börsenkrach von 1873 führte zur Einstellung des Bahnbaus. Aber es waren immerhin bereits 85,5 % des Unterbaus und fast 16 % der Hochbauten fertiggestellt, das Gleis war allerdings noch nicht verlegt. Die Anlagen wurden 1876 von der Bahn Attnang-Puchheim nach Stainach-Irdning übernommen, die 1877 den Betrieb aufnahm, bereits als Normalspurstrecke mit 1435 Millimeter nun auch entlang des Traun- und des Hallstättersees und nicht bloß als seenverbindende Bahn.18
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Wie Anm. 4. Deutlich in der zeitgenössischen Reisebeschreibung: Rüdiger von Voss (Hrsg.), Carl von Voß: Eine Reise zu den „Prachtaltären der Natur“ 1825, Hannover 2022, S. 37 ff. 18 Wie Anm. 4. 17
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VI. Dampfbetrieb, Umspurung, Neutrassierung Mittlerweile hatten die bisherige Trasse mehrere Modernisierungen erfaßt. Im Jahre 1854 erfolgte die Umstellung der Strecke von Linz nach Gmunden auf Dampfbetrieb. Auf dem Streckenteil nach Budweis fanden lediglich Probefahrten statt, die negativ verliefen. Es wären zu viele Umbauten der billig gebauten Trasse erforderlich gewesen und so beließ man es beim Pferdebetrieb. Auf der Linz-Gmundener Strecke kamen Tenderloks zum Einsatz, darunter erstmals in der Geschichte des Lokomotivbaus mit der Achsfolge 1 C 1, die bald allgemein üblich wurde. Der Stadtbetrieb in Gmunden wurde aber weiterhin mit Pferden besorgt. Dies änderte sich erst 1870 mit der Errichtung von Gmunden-Seebahnhof, damals am Stadtrand gelegen, wo nun der Umschlag vom Schiff auf großer Molenanlage erfolgte. Die Gleise durch die Stadt über die Traun zum Rathaus wurden entfernt.19 Die „Kaiserin-Elisabeth-Bahn“, die Westbahn, von Wien über Linz hatte 1858/59 Lambach erreicht. Damit war die Schmalspurstrecke ab Linz überflüssig geworden, wurde bis Stadl-Paura abgebaut und die Schmalspurstrecke von hier nach Gmunden auf einer kurzen neuen Trasse an die Westbahn in deren Bahnhof Lambach herangeführt. In der Folge gingen die Umspurungen auf Normalspur weiter. In Budweis begann sie 1869 in Richtung Linz, aber nur auf der dafür geeigneten Strecke in Böhmen. In Oberösterreich mußte neu gebaut werden, und zwar 1871 ab Summerau bis Mauthausen an der Donau, 1873 nach Linz. Die Einstellung der Pferdebahn und der Abbau der Trasse erfolgten abschnittsweise zwischen 1870 und 1874. Die Umspurung von Lambach nach Gmunden-Seebahnhof folgte erst 1903. Damit besaß Gmunden nun zwei Normalspurbahnhöfe: diesen und den Bahnhof an der Strecke von AttnangPuchheim nach Stainach-Irdning. Da dieser am anderen, zudem entfernten und hoch gelegenen Ende Stadt lag, überdies bereits im Gemeindegebiet von Altmünster, verband ihn ab 1894 eine Straßenbahn mit dem Rathausplatz, der ehemaligen Endstelle der Pferdeeisenbahn.20 Gmunden erhielt 1912 noch einen weiteren Bahnanschluß, nämlich durch eine elektrische Schmalspurbahn mit 1000 Millimeter von Vorchdorf her, die eine Vollbahnstrecke von Lambach an der Westbahn fortsetzt.21 Im Bahnhof Gmunden-Engelhof erreichte sie die Strecke der ehemaligen Schmalspurstrecke der alten Pferdebahn, nunmehr bereits auf Vollbahn umgespurt, von Lambach und nutzte diese in einem Vier-, später Dreischienengleis mit, scherte aber vor deren Seebahnhof zu einer Endstelle in Gmunden-Traundorf aus – auf einem Trassenstück der ehemaligen Pferdebahn. Ab 1990 verlief auch sie zum Seebahnhof. Mittlerweile war 1988 der Personenverkehr auf der Vollbahn von Lambach eingestellt worden, 2009 wurde deren Normalspurgleis von Engelhof zum Seebahnhof abgetragen. Damit hatte die Vorch19
Ebd. Ebd. 21 Otfried Knoll, 100 Jahre Traunseebahn Gmunden-Vorchdorf, Gmunden 2012; Wegenstein, Wege aus Eisen (Anm. 4), S. 86. 20
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dorfer Lokalbahn das Erbe der alten Pferdebahntrasse zum größten Teil angetreten und bewahrt. Noch deutlicher tritt dies heute in Erscheinung, da sie 2018 mit der Gmundener Straßenbahn verbunden wurde, was übrigens auf ursprüngliche Pläne zurückgeht22 und vor dem Ersten Weltkrieg fast vor der Verwirklichung stand.23 Damit führt sie wie ehedem die Pferdeeisenbahn über die Traun und berührt wie diese den Rathausplatz.24 VII. Spuren der Budweis-Gmundener Eisenbahn Teile der Bahntrasse werden heute noch von Eisenbahnen genutzt.25 So verläuft die Linie Budweis-Summerau-Linz im Streckenabschnitt bis Summerau im Wesentlichen auf der von Gerstner junior geplanten und 1825 bis 1828 gebauten Trasse. Erst in Lambach findet sich eine weitere derartige Erinnerung mit der im Bahnhof Lambach der Westbahn abzweigenden Strecke ehemals nach Gmunden-Seebahnhof, die heute vor Oberweis bei Kilometer 23,4 endet und nur mehr dem Güterverkehr dient. Schließlich erreichen in Gmunden das Seeufer am Rathausplatz wieder Züge auf der alten Pferdebahntrasse ab Engelhof durch die Verknüpfung der Vorchdorfer Lokalbahn mit der Gmundener Straßenbahn, allerdings mit einer Abweichung in Gmunden-Traundorf, da sie hier mittels kurzer neuer Trasse über den Klosterplatz zur Traunbrücke führt. Vor allem nördlich der Donau im Mühlviertel kann man die ehemalige Pferdebahntrasse im Gelände oft noch deutlich erkennen.26 Bei Kerschbaum dient ein rekonstruiertes Streckenstück einem musealen kleinen Pferdebahnbetrieb. Kunstbauten haben sich gleichfalls hauptsächlich im Mühlviertel erhalten. Im Gelände finden sich zahlreiche gemauerte Widerlager von Brücken. Vor allem beeindrucken das Große Haselbachviadukt mit vier Mauerbögen und mit deren zwei das Kronbachviadukt und das Wartbergviadukt. Auch einige Gebäude haben die nun gut einhundertneunzig Jahre überlebt. In Budweis kennzeichnet den ehemaligen „Aufsitzplatz“ das kleine Aufnahmegebäude. An den „Stationsplätzen“ Kerschbaum und Lest in Oberösterreich bewahren jeweils einige Gebäude markant die Erinnerung. Wels besitzt am Hauptplatz noch jenes Bahngebäude, neben dem durch ein nicht mehr vorhandenes Stadttor die Bahn den Ort durchquerte. In Gmunden/Engelhof sieht man noch einen originalen Gebäudekomplex. Er stellte bis zur Einstellung des Personenverkehrs auf der Normalspurstrecke 1988 das älteste benützte Bahnhofsgebäude Europas dar. 22
Pläne von 1894: Otfried Knoll, Straßenbahn Gmunden, Gmunden o. J. [1984]. Bereits als sicher angenommen in: Taschen-Fahrplan und Illustrierter Führer des Verbandes der Dampfschiffahrt-Unternehmungen auf den Salzkammergut-Seen, Mondsee 1914. 24 Wie Anm. 4. 25 Ebd. 26 Ebd. 23
Preußische Integrationspolitik und nationale Frage: Die Auseinandersetzungen zwischen Gustav von Diest und Karl Braun im annektierten Herzogtum Nassau 1866 – 1869 Von Hans-Werner Hahn, Jena Die Integration neu erworbener Gebiete war eine Aufgabe, die sich im Aufstiegsprozess des preußischen Staates immer wieder stellte und vielfach auch heftige Konflikte hervorrief.1 In diesem Zusammenhang stellte die Eingliederung der nach dem Krieg von 1866 annektierten Staaten zweifellos eine besondere Aufgabe dar, weil sie eng mit dem von Preußen geführten deutschen Einigungsprozess verbunden war.2 Die Integration des Herzogtums Nassau wird allerdings meist als vergleichsweise „unproblematisch“ bezeichnet.3 Dennoch gab es auch hier frühe Konflikte, die dazu führten, dass der erste Regierungspräsident Gustav von Diest im neu geschaffenen Regierungsbezirk Wiesbaden nur kurze Zeit amtierte und noch vor der Reichsgründung gegen seinen Willen nach Danzig versetzt wurde. In seinen Lebenserinnerungen nennt Diest zunächst den „Nepotismus“ als „Haupttriebfeder“ dieses Vorgangs, denn zu seinem Nachfolger wurde ein Neffe des preußischen Innenministers Friedrich zu Eulenburg ernannt. Als weitere Gründe führt Diest, der schon im Sommer 1866 als Zivilkommissar in das besetzte Nassau gekommen war, zum einen eine Bemerkung Bismarcks an, dass es nicht gut sei, wenn Beamte in den annektierten Provinzen verblieben, die schon „während des Krieges 1866 in diese Stellungen gekommen seien“. Zum anderen seien Bismarck aber auch die zahlreichen unmittelbaren Vorträge nicht angenehm gewesen, zu denen Wilhelm I. den in Wiesbaden tätigen
1 Vgl. Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat, Köln/Wien 1984; Hans-Christof Kraus, Auf dem Weg zur deutschen Vormacht – Preußens Vergrößerungen 1864 und 1866, in: Robert Kretzschmar/ Anton Schindling/Eike Wolgast (Hrsg.), Zusammenschlüsse und Neubildungen deutscher Länder im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2013, S. 75 – 99. 2 Hierzu am Beispiel Kurhessens: Ingmar Arne Burmeister, Annexion, politische Integration und regionale Nationsbildung Preußens „neuerworbene Provinzen“: Kurhessen in der Reichsgründungszeit 1866 – 1881, Darmstadt 2012. 3 Thomas Klein, Preußische Provinz Hessen-Nassau 1866 – 1944/45, in: Walter Heinemeyer (Hrsg.), Handbuch der hessischen Geschichte, Bd. 4: Hessen im Deutschen Bund und im neuen Deutschen Reich (1806) 1815 – 1945, 2. Teilband: Die hessischen Staaten bis 1945, Marburg 2003, S. 213 – 249, hier 222.
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Diest bei Aufenthalten in Ems und Berlin befohlen habe.4 Diests Erinnerungen lassen jedoch auch erkennen, dass der Hauptgrund der Versetzung auf einer ganz anderen Ebene zu suchen ist. Es waren die Konflikte, die der leitende preußische Beamte ausgerechnet mit jenen liberalen Kräften auszufechten hatte, die 1866 und danach die Annexion des kleinen Herzogtums ausdrücklich befürworteten. Ihr wichtigster Vertreter war Karl Braun, der als nationalliberaler Reichstagsabgeordneter gerade in den Jahren zwischen 1867 und 1871 recht enge Kontakte zu Bismarck unterhielt und wie dieser die Integration der süddeutschen Staaten in den deutschen Einigungsprozess voranbringen wollte. Gerade aber deswegen trat er in Nassau als scharfer Kritiker der von Diest betriebenen Politik hervor.5 Ziel des folgenden Beitrags ist es, die Ursachen und Folgen dieser integrationspolitischen Konflikte zu skizzieren und dabei vor allem auf ihre nationalpolitischen Aspekte zu verweisen. Mit Gustav von Diest und Karl Braun trafen 1866 zwei Männer aufeinander, die bis dahin sehr unterschiedliche berufliche Wege gegangen waren und politische Grundauffassungen hatten, die von Anfang an Zweifel aufkommen lassen mussten, ob sie unter den neuen Bedingungen des annektierten Herzogtums Nassau zu einer fruchtbaren Kooperation fähig sein würden. Der 1822 als Sohn eines Gymnasiallehrers im nassauischen Hadamar geborene Karl Braun hatte in Göttingen Rechtswissenschaften studiert, war zunächst im Staatsdienst tätig und seit Mitte der 1850er Jahre Prokurator am Wiesbadener Hof- und Appellationsgericht.6 Während der Revolution von 1848/49 gehörte er zu den führenden nassauischen Demokraten. In den 1850er Jahren war er Abgeordneter der zweiten nassauischen Kammer und gewann durch seine entschieden oppositionelle Haltung im Herzogtum rasch an Popularität. Zugleich beteiligte er sich seit 1858 am Wiederaufbau deutschlandweiter Organisationen und zählte als Mitbegründer des „Kongresses deutscher Volkswirte“ sowie als Mitglied des Nationalvereins zu der sich herausbildenden Funktionselite des liberaldemokratischen Bürgertums.7 In der 1863 offiziell gegründeten „Nassauischen Fortschrittspartei“ nahm Karl Braun eine führende Rolle ein und bestimmte maßgeblich deren innen- und deutschlandpolitisches Programm. Die Partei verlangte von der herzoglichen Regierung für die Innenpolitik die Durchführung zeitgemäßer Reformen im Schulwesen, der Kirchenpolitik, der gemeindlichen Selbstverwaltung und der Wirtschaft sowie die Rückkehr zu den verfas4
Gustav von Diest, Aus dem Leben eines Glücklichen. Erinnerungen eines alten Beamten, Berlin 1904, S. 385. 5 Ernst Grandpierre, Karl Braun. Ein nassauischer Mitarbeiter am Bau der deutschen Einheit, Idstein 1923; Winfried Seelig, Von Nassau zum Deutschen Reich, Die ideologische und politische Entwicklung von Karl Braun 1822 – 1871, Wiesbaden 1980; Bernd-Rüdiger Kern, Studien zur politischen Entwicklung des nassauischen Liberalen Karl Braun, in: Nassauische Annalen 94 (1983), S. 185 – 202. 6 Cornelia Rösner, Nassauische Parlamentarier. Ein biographisches Handbuch. Teil 1: Der Landtag des Herzogtums Nassau 1818 – 1866, Wiesbaden 1997, S. 21 – 23. 7 Hierzu vor allem Andreas Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland 1857 – 1868. Nationale Organisationen und Eliten, Düsseldorf 1994.
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sungspolitischen Vereinbarungen von 1849.8 In der deutschen Politik forderte man die Herstellung eines Bundesstaates und die direkte Wahl eines nationalen Parlaments und lehnte die zu Österreich tendierende Politik Herzog Adolfs auch deshalb strikt ab, weil sie die wirtschaftliche Entwicklung des kleinen, in vielen Regionen an Preußen grenzenden Landes gefährden musste. Wie schon zu Beginn der 1850er Jahre setzte sich vor allem Karl Braun für den Erhalt des von Preußen geführten Zollvereins ein, den die Regierung durch die anfängliche Ablehnung des preußisch-französischen Handelsvertrags von 1862 zu gefährden schien.9 Das Werben für eine kleindeutsche Lösung der deutschen Frage wurde zwar einerseits durch die auch von Karl Braun heftig kritisierte Bismarcksche Politik im preußischen Verfassungskonflikt und in der Schleswig-Holstein-Frage erschwert. Andererseits bot nur die Kooperation mit Preußen aus der Sicht der nassauischen Liberalen die Chance zur Durchsetzung ihrer deutschland- und handelspolitischen Ziele. Hinzu kam, dass die eigene Regierung der nassauischen Fortschrittspartei mit ähnlichen repressiven Maßnahmen entgegentrat, wie dies Bismarck zur gleichen Zeit in Preußen gegenüber der dortigen Fortschrittspartei tat. Trotz mehrfacher Landtagsauflösungen und Versammlungsverboten konnte die herzogliche Regierung aber nicht verhindern, dass die Liberalen in der zweiten Kammer ihre Mehrheit verteidigten. Als die Regierung im Sommer 1866 beschloss, fest an die Seite Österreichs zu treten und der Mobilisierung des Bundesheeres gegen Preußen zuzustimmen, verweigerte die Landtagsmehrheit die Bewilligung der Kriegskredite und warf dem Herzog vor, durch seine Blockade einer zeitgemäßen Einigungspolitik den deutschen Bruderkrieg mitverantwortet zu haben. Zwei Wochen nach der Schlacht von Königgrätz besetzten preußische Truppen das Herzogtum Nassau, und am 30. Juli 1866 reiste Gustav von Diest nach Wiesbaden, um das Amt eines Zivilkommissars für die besetzten Gebiete zu übernehmen. Bereits einen Tag später wurde ihm von über vierzig nassauischen Kaufleuten, Industriellen und Parlamentariern eine Petition an den preußischen König überreicht, in der die Einverleibung Nassaus in die preußische Monarchie gefordert wurde. Zu den Unterzeichnern gehörte auch Karl Braun. Als in den Reihen der nassauischen Fortschrittspartei einige Tage darauf vor allzu unterwürfigen Adressen um Einverleibung gewarnt wurde, verteidigte Braun zwar die Petition nicht direkt. Aber er sah in einer Annexion Nassaus einen wichtigen Schritt zur deutschen Einheit und zum damit verbundenen wirtschaftlichen und politischen Fortschritt. Obwohl Braun in den Monaten zuvor die Innenpolitik Bismarcks scharf kritisiert hatte, schien es ihm nun fast selbstverständlich, dass Preußen eine nationale Politik treiben und deshalb auch den liberalen Freiheitsforderungen entgegenkommen werde: „Preußen müsse national sein, Preußen müsse das Parlament haben, sonst könne es seine Mission weder im 8 Zur nassauischen Innenpolitik Winfried Schüler, Das Herzogtum Nassau. Deutsche Geschichte im Kleinformat 1806 – 1866, Wiesbaden 2006, S. 233 ff. 9 Hans-Werner Hahn, Zwischen wirtschaftspolitischen Erfolgen und geschichtspolitischen Niederlagen. Karl Braun und der deutsche Zollverein, in: Nassauische Annalen 123 (2012), S. 481 ff.
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Innern, noch gegenüber dem Auslande durchführen. Deshalb sei seine Parole: Vor allem mit Preußen für die Einheit.“10 Während Braun die Annexion des nassauischen Kleinstaates, dem er schon aus ökonomischen Gründen jede Existenzberechtigung absprach,11 als Beitrag zur Herstellung der deutschen Einheit ansah, bewertete Gustav von Diest den Vorgang aus einem ganz anderen Blickwinkel. Dies zeigte schon die Proklamation, die Diest sofort nach seiner Ankunft in Wiesbaden an die nassauische Bevölkerung erließ. Nachdem er den Nassauern zunächst versicherte, dass sich die Okkupation nicht gegen die Bevölkerung, sondern nur gegen die bisherige Regierung richte, versprach er, die Interessen des besetzten Landes gewissenhaft wahrzunehmen, und betonte zugleich, dass diese „ja mit den preußischen Interessen überall zusammenfallen“. In einem Referentenentwurf hatte es zuvor noch geheißen, dass die Interessen Nassaus „mit den preußischen und deutschen Interessen“ zusammenfallen würden. Diest hatte bezeichnenderweise das Wort „deutsch“ in der Endredaktion der Proklamation wieder herausgestrichen12 und damit deutlich gemacht, dass ihn mit den nationalpolitischen Strategien der nassauischen Liberalen nur wenig verband. Der am 16. August 1826 in Posen als Sohn eines preußischen Generals geborene Gustav von Diest hatte das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin besucht, in der preußischen Hauptstadt Rechtswissenschaften studiert und im Alter von 22 Jahren seinen Dienst als preußischer Beamter angetreten. Nach verschiedenen Stationen in Brandenburg nahm er Aufgaben in der Rheinprovinz wahr und fungierte von 1858 bis 1866 als Landrat im Kreis Wetzlar, der an Nassau grenzte und als Exklave zur Rheinprovinz gehörte. Diest vertrat die Werte des „alten Preußen“. Er lobte die von ihm zeitlebens abonnierte Kreuzzeitung als „Panier des echten Konservatismus, der Gottesfurcht, der Königstreue und der Vaterlandsliebe“,13 beklagte, dass das alte Preußen am 18. März 1848 „so ruhmlos, so würdelos, ja so schmachvoll“14 zusammengebrochen war und stand gerade deshalb vor und nach 1866 allzu großen Zugeständnissen an liberale und demokratische Kräfte höchst skeptisch gegenüber. Während des preußischen Verfassungskonflikts unterstützte er Bismarcks Kampf gegen die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses und nutzte seine Position als Landrat, um der auch in Stadt und Kreis Wetzlar an Stärke gewinnenden Fortschrittspartei Grenzen zu ziehen. Bemerkenswert war allerdings, dass er es im November 1864 Männern der nassauischen Fortschrittspartei gestattete, das im Herzogtum Nassau erlassene Versammlungsverbot durch eine Wahlveranstaltung in der preußischen 10 Wolf-Arno Kropat, Die nassauischen Liberalen und Bismarcks Politik in den Jahren 1866 – 1867, in: Jahrbuch für hessische Landesgeschichte 16 (1966), S. 240. 11 Hans-Werner Hahn, Populäre Wirtschaftsgeschichte in politischer Absicht: Karl Brauns Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts, in: Jeanette Granda/Jürgen Schreiber (Hrsg.), Perspektiven durch Retroperspektiven. Wirtschaftsgeschichtliche Beiträge. Festschrift für Rolf Walter zum 60. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 2013, S. 251 – 266. 12 Kropat, Die nassauischen Liberalen (Anm. 10), S. 233. 13 Diest, Aus dem Leben (Anm. 4), S. 113. 14 Ebd., S. 103.
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Kreisstadt Wetzlar zu umgehen.15 Diese Unterstützung der nassauischen Opposition diente aus der Sicht Diests aber nur dazu, die preußenfeindliche Regierung in Wiesbaden weiter unter Druck zu setzen, und war keineswegs als Sympathiebeweis für die nationalpolitischen Ziele der nassauischen Liberalen zu verstehen. Auch der 1866 ausbrechende Krieg wurde aus der Sicht von Diest „hauptsächlich wegen der Hegemonie in Deutschland“ geführt,16 und die auf ihn folgenden Annexionen dienten in erster Linie der Machtsteigerung des preußischen Staates. Während Diest auch noch nach seiner Entfremdung von Bismarck dessen 1866 betriebene Außen- und Machtpolitik lobte,17 gab es in Bezug auf die innen- und nationalpolitischen Fragen schon 1867 deutliche Differenzen. Zum einen kritisierte er, dass Bismarck in Preußen der liberalen Opposition durch die Indemnitätsvorlage viel zu weit entgegengekommen sei.18 Zum anderen bezeichnete er das von Bismarck für die Wahlen zum Reichstag des Norddeutschen Bundes beschlossene Wahlrecht als „das verderblichste […], das unserem Volke geboten werden konnte“. In seinen Erinnerungen schreibt Diest, dass er Bismarck in einem Gespräch im Sommer 1867 vor den Folgen des direkten, geheimen und allgemeinen Männerwahlrechts gewarnt habe, indem er auf jenen Zauberlehrling verwiesen habe, der die von ihm gerufenen Geister nicht mehr los geworden sei.19 Bismarck habe seine den Liberalen entgegenkommende Politik damit begründet, dass er in den Parlamenten eine Majorität brauche. Männer wie Karl Braun in Nassau, der als früherer 48er Demokrat das Reichstagswahlrecht ebenso befürwortete wie eine Verständigung über die Beilegung des preußischen Verfassungskonflikts,20 sah Bismarck deshalb in dieser Phase als unentbehrliche Partner an. Für Diest dagegen waren sie, wie er Ende 1867 in seinem ersten Zeitungsbericht als Regierungspräsident an König Wilhelm I. schrieb, „herrschsüchtige ,Freiheitshelden‘“, die mit ihren bekannten „Agitationsmitteln“ „die große Masse zu blenden und namentlich bei Wahlen der verschiedensten Art die Oberhand zu gewinnen“ suchten.21 Die Liberalen und namentlich Braun störten Diests Integrationspolitik im neu geschaffenen, das ehemalige Herzogtum Nassau und die Stadt Frankfurt umfassenden Regierungsbezirk.22 Diest beschrieb seine Aufgabe gegen15 Hans-Werner Hahn, Nassauischer Wahlkampf im preußischen Wetzlar. Ein kleiner Beitrag zu den Landtagswahlen vom Dezember 1864, in: Nassauische Annalen 100 (1989), S. 167 – 174. 16 Diest, Aus dem Leben (Anm. 4), S. 288. 17 Ebd., S. 299. Diest sprach von Bismarcks „großartiger Übersicht über die Gesamtlage der Politik“. 18 Ebd., S. 439. 19 Ebd., S. 368 f. 20 Seelig, Von Nassau (Anm. 5), S. 123 f. 21 Zeitungsbericht vom 31. Dezember 1867. Thomas Klein (Hrsg.), Die Zeitungsberichte des Regierungspräsidenten in Wiesbaden an Seine Majestät 1867 – 1918, Erster Teil 1867 – 1890, Darmstadt/Marburg 1996, S. 6. 22 Ausführlich zu dieser Politik Andreas Anderhub, Verwaltung im Regierungsbezirk Wiesbaden 1866 – 1885, Wiesbaden 1977.
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über dem König als „[die] Amalgamierung dieser neuen Landesteile mit den älteren Gebieten Euer Majestät Monarchie in gesunder, naturwüchsiger, möglichst wenig bureaukratischer Weise immer mehr und mehr anzubahnen“.23 Als Diest im August 1866 seine Aufgabe in Wiesbaden übernahm, war er zunächst davon ausgegangen, dass die nassauische Bevölkerung sich rasch mit den von Preußen geschaffenen Verhältnissen abfinden würde. Zum einen schien der Großteil für ihn bisher politisch eher gleichgültig gewesen zu sein,24 eine Einschätzung, der jedoch schon die Ereignisse von 1848 und die innenpolitischen Entwicklungen der frühen 1860er Jahre widersprachen. Zum anderen betonte Diest, dass gerade die politisch aktiven Kräfte des Bürgertums angesichts der proösterreichischen Politik der alten Regierung schon lange auf die Zusammenarbeit mit Preußen gesetzt hätten, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Er stützte sich hier auf Erfahrungen, die er als Landrat des benachbarten Kreises Wetzlar etwa beim Eisenbahnbau mit nassauischen Wirtschaftsbürgern gemacht hatte. Diese wirtschaftlichen Erwartungen wurden auch vom preußischen König geschickt aufgegriffen, in dessen Proklamation vom 3. Oktober 1866 es hieß: „Euren Gewerben, Eurem Handel und Eurer Schiffahrt eröffnen sich durch die Vereinigung mit Meinen Staaten reichere Quellen. Meine Vorsorge wird Eurem Fleiße wirksam entgegenkommen.“25 Zu diesem Zeitpunkt war freilich schon deutlich geworden, dass die preußische Integrationspolitik schwieriger verlaufen musste, als Diest es sich nach seiner Ankunft in Wiesbaden vorgestellt hatte. Zwar hatte er sogleich nach Berlin geschrieben, „daß der Kern der Bevölkerung die Einverleibung Nassaus in den preußischen Staat wünscht“.26 Schon Mitte August 1866 forderte Diest jedoch zusätzliche Truppen an, weil sich in den katholischen Landesteilen Widerstand gegen Preußen bemerkbar zu machen begann.27 Die Einverleibungspetition, die Wirtschaftsbürger und liberale Politiker Diest am 1. August 1866 überreicht hatten, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ende des Herzogtums und der Herrschaft des keineswegs unbeliebten Herzogs Adolf vor allem in der katholischen, aber auch in Teilen der protestantischen Landbevölkerung doch Unmut hervorzurufen begann.28 Dies veranlasste auch die Vertreter der nassauischen Fortschrittspartei zu einer vorsichtigeren Haltung. In einer Adresse an den preußischen König vom 12. September 1866 war nicht mehr von der rückhaltlosen und bedingungslosen Einverleibung die Rede. Man bekundete zwar Dankbarkeit dafür, dass das eigene Land nun „als ein vollbürtiges Glied in die preußische Monarchie aufgenommen“ werde und dadurch von vielen Missständen, 23
Klein, Zeitungsberichte (Anm. 21), S. 1. Diest, Aus dem Leben (Anm. 4), S. 344. 25 Karlheinz Müller, Preußischer Adler und Hessischer Löwe. Hundert Jahre Wiesbadener Regierung 1866 – 1966. Dokumente der Zeit aus den Akten, Wiesbaden 1966, S. 25. 26 Zitiert nach Kropat, Die nassauischen Liberalen (Anm. 10), S. 234. 27 Schüler, Das Herzogtum Nassau, S. 266. Hierzu ausführlich Klaus Schatz, Geschichte des Bistums Limburg, Mainz 1983, S. 159 ff. 28 Zur Stimmung im Lande vgl. auch Wilfriede Holzbach, Das Übergangsjahr in Nassau 1866/67. Nassaus Übergang an Preußen, Limburg 1933, S. 37 ff. 24
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die man unter den alten Verhältnissen bekämpft habe, befreit werde. Zugleich aber verwiesen die Unterzeichner auf zahlreiche konkrete Wünsche, welche die neue preußische Verwaltung bei der Eingliederung Nassaus berücksichtigen solle. So sollten die Simultanschulen und bestimmte Elemente der Kommunalordnungen erhalten und bei der Regelung der Domänenfrage die Interessen des Landes gegenüber den Ansprüchen des entthronten Herzogs angemessen berücksichtigt werden.29 Karl Braun ging dabei davon aus, dass er als preußenfreundlicher Führer der früheren Oppositionspartei zwischen diesen spezifischen Landesinteressen und der von Diest geführten neuen preußischen Verwaltung eine wichtige Vermittlungsrolle übernehmen könnte.30 Eine solche wollte Diest ihm jedoch nicht zugestehen. Er wollte das Übergangsjahr nach der Annexion vielmehr nutzen, um die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen schnell durchzusetzen, sah sich als maßgebenden Repräsentanten des preußischen Staates und hatte für Mitgestaltungsansprüche von Parteien und parlamentarischen Vertretungen wenig übrig. Karl Braun, dessen politische Sozialisation von einer kämpferischen Landtagsarbeit geprägt gewesen war, konnte dies nicht widerspruchslos hinnehmen, zumal er auch in vielen Sachfragen andere Positionen einnahm als die von Diest geführte preußische Verwaltung. Braun hat später geschrieben, dass nach der Annexion „wolkenbruchartig“ eine „wilde Gesetzgeberei“ über Nassau hereingebrochen sei, der man in einzelnen Fragen im Interesse des Landes entschieden entgegentreten musste.31 Den heftigsten Streit zwischen Braun und Diest löste zunächst die Jagdgesetzgebung aus. In der Reaktionszeit hatte man im Herzogtum Nassau das in der Revolution von 1848 abgeschaffte feudale Jagdrecht auf fremden Grund wieder eingeführt, was vor 1866 zu einem heftigen Streit mit der liberalen Landtagsmehrheit geführt hatte.32 Nach dem Ende des Herzogtums erhoffte man sich in Nassau von Preußen eine schnelle Aufhebung dieser für viele Bauern so schädlichen Gesetzgebung. Im Vorfeld der Wahlen zum konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes machte sich die nassauische Fortschrittspartei in ihren Versammlungen, in Zeitungsartikeln und Petitionskampagnen zum Fürsprecher einer entschädigungslosen und dauerhaften Aufhebung feudaler Jagdprivilegien.33 Gustav von Diest befürwortete zwar eine solche Reform des nassauischen Jagdrechts. Er trat aber für eine Entschädigung der bisher Berechtigten ein, obwohl das entsprechende Gesetz des preußischen Staates aus dem Revolutionsjahr 1848 solche Jagdberechtigungen entschädigungslos aufgehoben hatte. Als Diest diese Ansicht in einem anonymen Artikel der Wiesbadener „Mittelrheinischen Zeitung“ rechtfertigte und auf das auch im preußischen Gesetz steckende Unrecht gegenüber den bisherigen Jagdberechtigten verwies, gab es in Nassau einen Sturm 29
Kropat, Die nassauischen Liberalen (Anm. 10), S. 252. Grandpierre, Karl Braun (Anm. 5), S. 90. 31 Wolf-Arno Kropat, Das liberale Bürgertum in Nassau und die Reichsgründung (1866 – 1871), in: Nassauische Annalen 82 (1971), S. 311. 32 Winfried Schüler (Hrsg.), Nassauische Parlamentsdebatten. Bd. 2: Revolution und Reaktion 1848 – 1866, Wiesbaden 2010, S. 508 ff. 33 Holzbach, Das Übergangsjahr (Anm. 28), S. 120. 30
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der Entrüstung. Karl Braun nutzte diese Stimmung zu einem Fundamentalangriff auf den preußischen Zivilkommissar und stellte diesen mit dem Hinweis, dass der anonyme Artikel „aus offiziellen Kreisen zu kommen scheine“, öffentlich bloß.34 Sein Satz: „Wir wollen Preußen sein, aber keine halben Preußen“ wurde nun zur zugkräftigen Wahlkampfparole der nassauischen Fortschrittspartei.35 Er mobilisierte das Bürgertum, das die Jagdrechte als feudale Relikte betrachtete, ebenso wie die von möglichen Entschädigungszahlungen betroffenen Landwirte. Braun trat den konservativen gesellschaftspolitischen Auffassungen Diests auch deshalb so schroff entgegen, weil sie den nationalpolitischen Aufgaben entgegenwirkten, die Preußen aus seiner Sicht zu erfüllen hatte. Er zog aus den Kämpfen mit Diest den Schluss, dass „ein großer Teil von Preußens Bürokratie noch nicht das politische Bewusstsein des Großstaats gewonnen“ habe und „noch in kleinstaatlichen Anschauungen befangen sei“.36 Die anstehenden Wahlen zum konstituierenden Reichstag hatten die Konflikte zwischen dem oft ungeschickt agierenden Zivilkommissar und dem unbestrittenen Führer der Fortschrittspartei angeheizt. Das Ergebnis der Wahlen vom 12. Februar 1867 stärkte die Position Brauns in einer Weise, die Diest so nicht vorhergesehen hatte. In allen fünf Wahlkreisen des ehemaligen Herzogtums siegten die Vertreter der Fortschrittspartei schon im ersten Wahlgang. Im Wahlkreis 2 mit der Hauptstadt Wiesbaden errang Karl Braun 70,5 % der Stimmen.37 Im Wahlkreis 3, zu dem neben der Stadt Montabaur die Ämter am Rhein und das Kurbad Ems gehörten, fiel der liberale Sieg mit 52,5 % nicht ganz so deutlich aus, aber der hier ebenfalls kandidierende Gustav von Diest kam nur auf 9,5 %.38 Der bisherige Zivilkommissar wurde zwar nach diesen Wahlen zum Präsidenten des neuen Regierungsbezirks Wiesbaden ernannt, hatte aber nicht nur durch den Ausgang der Wahlen einen Prestigeverlust erlitten, sondern auch durch die im März 1867 von der preußischen Regierung beschlossene entschädigungslose Aufhebung der in Nassau noch bestehenden Jagdprivilegien. Diest bot daraufhin seinen Amtsverzicht an und soll in einem privaten Gespräch Bismarck aufgefordert haben, Karl Braun in dieses Amt einzusetzen, weil der mit seinen Anträgen offenbar mehr Gehör in Berlin finde.39 Bismarck bestritt, dass Braun entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung zum Jagdrecht gehabt habe, und soll versucht haben, Diest mit den Sätzen zu beruhigen:
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Kropat, Die nassauischen Liberalen (Anm. 10), S. 260. Ebd., S. 259. 36 Karl Braun, Vier Briefe eines Süddeutschen an den Verfasser der „Vier Fragen eines Ostpreußen“, Leipzig 1867, S. 67. 37 Thomas Klein, Die Hessen als Reichstagswähler. Tabellenwerk zur politischen Landesgeschichte 1867 – 1933. Bd. 1: Provinz Hessen-Nassau und Waldeck-Pyrmont 1867 – 1818, Marburg 1989, S. 577. 38 Ebd., S. 661. 39 Grandpierre, Karl Braun (Anm. 5), S. 92. 35
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„Seien Sie doch nicht gleich so grob, die Nassauer mussten nach meiner Meinung 1867 dasselbe Fieber durchmachen, das die Preußen 1848 durchgemacht haben. Uebrigens gebe ich Ihnen Braun vollständig preis. Braun ist ein Schuft, aber er schafft mir mit seiner Suade 20 Stimmen im Reichstag, und die habe ich nötig.“40
Für Diest war Braun schon 1867 ein „ganz unzuverlässiger, unwahrer, nur seine Ehre und seinen Ruhm suchender Egoist“.41 Dass Bismarck sich aber schon zu diesem Zeitpunkt ähnlich negativ über Braun geäußert habe, wie Diest es darstellt, erscheint eher zweifelhaft. Braun gehörte 1867 nämlich zu den gern gesehenen Gästen von Bismarcks Abendgesellschaft42 und war für diesen aus mehreren Gründen ein wichtiger Gesprächspartner. Für Bismarck ging es zum einen darum, Braun und seine nassauischen Gesinnungsgenossen in die Integrationspolitik des annektierten Herzogtums einzubinden. Zum anderen erwies sich der Nassauer Karl Braun innerhalb der sich bildenden nationalliberalen Fraktion als ein Abgeordneter, der in der Hoffnung auf rasche nationalpolitische Fortschritte gegenüber Bismarck deutlich kompromissbereiter war als manche seiner noch vom Verfassungskonflikt geprägten preußischen Gesinnungsgenossen.43 Die Art und Weise, wie er in seiner ersten Reichstagsrede vom 11. März 1867 seine verfassungs- und nationalpolitischen Ziele erläuterte, erregte das Aufsehen der Beobachter44 und veranlasste Bismarck, ihm im Parlament demonstrativ die Hand zu schütteln. Mit seinen Reden und seiner Arbeit an politischen Netzwerken trug Braun mit dazu bei, in den Verfassungsberatungen des konstituierenden Reichstags die notwendigen Mehrheiten für die neue Ordnung zu schaffen. Darüber hinaus war es für Bismarck aber auch wichtig, dass er mit Braun einen einflussreichen Verbindungsmann zu den kleindeutschen Kräften im Süden Deutschlands besaß. So richtete Braun etwa am 7. November 1867 eine Anfrage seines Freundes Friedrich Römer, der die Deutsche Partei in Württemberg führte, an Bismarck, ob dieser über Informationen verfüge, inwieweit „der in Stuttgart erscheinende ,Beobachter‘, das Organ der radicalen und particularistischen Partei in französischem Sold oder wenigstens unter französischem Einfluß stehe“.45 Weit wichtiger als solche Anfragen war jedoch die publizistische Unterstützung, die Bismarck bei der Frage der künftigen Gestaltung des Zollvereins von Karl Braun erhielt. In den beiden großen Zollvereinskrisen der frühen 1850er und frühen 1860er Jahre hatte sich Braun als nassauischer Abgeordneter nicht nur entschieden für den Erhalt des Zollvereins eingesetzt. Als Gründungsmitglied des 1858 in Gotha ins Leben gerufenen „Kongresses deutscher Volkswirte“ setzte sich Braun schon vor 1866 für eine Reform des Zollvereins ein. Er forderte die Abkehr vom „liberum 40
Diest, Aus dem Leben (Anm. 4), S. 351. So in den Lebenserinnerungen, ebd., S. 341. 42 Heinrich Ritter von Poschinger, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, Bd. 1, Breslau 1994, S. 17, 19, 30, 46. 43 Grandpierre, Karl Braun (Anm. 5), S. 95 f. 44 Vgl. Hans Blum, Auf dem Wege zur deutschen Einheit, Bd. 1, Jena 1893, S. 58. 45 Braun an Bismarck. Brief vom 7. 11. 1867. Archiv der Otto von Bismarck-Stiftung Nachlass OvB, B 19, 149. 41
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veto“, mit dem jeder größere Mitgliedsstaat des Zollvereins notwendige Veränderungen blockieren konnte, und verlangte zugleich, dass Mehrheitsentscheidungen der beteiligten Regierungen durch ein Zollparlament legitimiert werden müssten.46 Vor 1866 konnten solche Pläne schon angesichts der um ihre Souveränität besorgten größeren Zollvereinsstaaten nicht verwirklicht werden. Mit der durch die Kriegsergebnisse von 1866 notwendig gewordenen Neuordnung der Zollverhältnisse ergaben sich neue Chancen. Die nördlich des Mains liegenden Staaten wurden durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes zu einem einheitlichen Zoll- und Handelsgebiet zusammengeschlossen. Die Zollgesetzgebung lag in den Händen des neuen Bundesstaates und seiner Verfassungsorgane, des Bundesrates und des Reichstags. Die vier süddeutschen Staaten, die bislang Teil des Zollvereins waren, blieben nach den Friedensverträgen über den bisherigen Zollvereinsvertrag zwar mit dem Norden verbunden, sollten aber durch eine grundlegende Reform der Zollvereinsverfassung enger an den Norden gezogen werden.47 Schon am 4. August 1866 brachte Karl Braun auf der Versammlung des Kongresses deutscher Volkswirte einen Antrag ein, der zentrale Elemente der künftigen Zollvereinsverfassung vorwegnahm. An die Stelle der bisherigen Generalkonferenzen des Zollvereins, zu denen sich Gesandte der größeren Vereinsregierungen trafen und nur einstimmige Entscheidungen treffen konnten, sollten Bundesrat und Reichstag treten. Die süddeutschen Staaten, die dem zu gründenden Bundesstaat nicht angehörten, sondern nur einem zu erneuernden Zollverein beitreten wollten, konnten dies nur tun, wenn sie die neuen Strukturen akzeptierten. Dies bedeutete, dass auch dort nach dem neuen Reichstagswahlrecht Abgeordnete zu wählen waren, die an solchen Reichstagssitzungen teilnehmen sollten, in denen über die gemeinsamen Zollfragen beschlossen wurde.48 Es spricht einiges dafür, dass diesem Antrag Absprachen mit preußischen Regierungsvertretern vorausgegangen waren.49 Brauns Antrag zur Zollvereinsreform und zur Wahl eines Zollparlaments kam jedenfalls Otto von Bismarck sehr gelegen. Schon vier Wochen später konfrontierte Bismarck die bayerische Regierung mit dem Vorschlag, dass im Zollverein künftig in einem Zollbundesrat nach Stimmenmehrheit entschieden werden und zugleich ein Zollparlament an der Beschlussfassung über gemeinsame Zollangelegenheiten beteiligt werden solle.50 Da es in Süddeutschland in den folgenden Monaten noch heftigen Widerstand gegen die von Preußen verlangte Zollvereinsreform gab, blieb die politische und pu46
Ausführlich hierzu Hahn, Zwischen wirtschaftspolitischen Erfolgen (Anm. 9), S. 489 ff. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, 2. verbesserte Aufl. Stuttgart 1970, S. 629 f.; Hans-Werner Hahn, Vom Zoll-Staatenbund zum Zoll-Bundesstaat: Der Deutsche Zollverein 1866 – 1871, in: Historische Mitteilungen 31 (2019), S. 45 – 66. 48 Grandpierre, Karl Braun (Anm. 5), S. 89. 49 Biefang, Politisches Bürgertum (Anm. 7), S. 414. 50 Otto Graf von Bray-Steinberg, Denkwürdigkeiten aus seinem Leben, mit einem Vorwort von Karl Theodor von Heigel, Leipzig 1901, S. 116. 47
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blizistische Unterstützung, die gerade Karl Braun diesen Plänen zukommen ließ, für Bismarck ein wichtiger Faktor. Die süddeutschen Regierungen stimmten zwar am 8. Juli 1867 dem neuen Zollvereinsvertrag zu, in den Kammern von Württemberg und Bayern gab es jedoch noch viele Vorbehalte gegen die Preisgabe bisheriger Hoheitsrechte. Als sich die Zustimmung weiter hinauszuzögern drohte, war es Karl Braun, der im Reichstag des Norddeutschen Bundes im Oktober 1867 einen Antrag durchsetzte, der die Regierung Bismarck zu einem härteren Vorgehen ermächtigte51 und damit die Zustimmung der württembergischen und bayerischen Kammern zu den neuen Verträgen beschleunigte.52 Auch im Vorfeld der Anfang 1868 in den süddeutschen Staaten anstehenden Wahlen zum Zollparlament gab es wichtige Kontakte zwischen Bismarck und Braun. Beide setzten ja deshalb so große Hoffnungen auf diese Wahlen, weil sie das Zollparlament nicht nur als eine Entscheidungsinstanz in Handelsfragen ansahen, sondern weil sie es vor allem als Grundlage einer stetig wachsenden politischen Verklammerung zwischen dem Norddeutschen Bund und dem Süden nutzen wollten. Zur erhofften Integrationskraft des Zollparlaments schrieb Braun: „Wenn die Vertreter von achtunddreißig Millionen Deutschen, hervorgegangen aus dem allgemeinen Stimmrecht, sich in dem Kapitale des norddeutschen Bundes versammeln, ergeben sich die höheren Ziele ganz von selbst.“53
Umso wichtiger war es daher, dass bei den Zollparlamentswahlen Abgeordnete gewählt wurden, die das gleiche politische Ziel verfolgten. Dass Braun und Bismarck auch im Vorfeld dieser Wahlen enge Kontakte unterhielten, belegt ein sorgenvoller Brief, den Braun am 6. Januar 1868 an Bismarck richtete. Er berichtete von einem Schreiben seines württembergischen Freundes Römer über die schwierige Lage der kleindeutschen Liberalen und bat um Rat, „wie sich wohl angesichts der Zollparlaments-Wahl die Position der nationalen Partei in Württemberg verbessern“ ließe.54 Wie sehr diese gemeinsamen Interessen Bismarcks und Brauns in Fragen der deutschen Politik den Handlungsspielraum des in Wiesbaden amtierenden preußischen Regierungspräsidenten einschränkten, hatte sich vor allem im Sommer 1867 gezeigt, als im Norddeutschen Bund die Wahlen zum 1. Reichstag stattfanden. Karl Braun kandidierte erneut im Wahlkreis Wiesbaden und betonte in seiner Wahlwerbung, dass die neue Reichsverfassung, an der er mitgearbeitet habe, zwar nicht alle liberalen Wünsche erfülle, aber doch als großer Fortschritt anzusehen sei. Gleichzeitig kritisierte er aber auch die von Regierungspräsident Diest verkörperte „königliche Diktatur“ und viele ihrer Maßnahmen, die in Nassau nach wie vor Un51
Grandpierre, Karl Braun (Anm. 5), S. 115 f. Huber, Verfassungsgeschichte (Anm. 47), S. 634 f. 53 Karl Braun, Das Zollparlament, in: ders., Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei, 2. Aufl., Bd. 2, Hannover 1876, S. 270 f. 54 Braun an Bismarck. Brief vom 6. 1. 1868. Archiv der Otto von Bismarck-Stiftung Nachlass OvB, B 19, 152. 52
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zufriedenheit hervorriefen.55 Im Vergleich zur ersten Wahl fiel diese öffentliche Kritik aber deutlich verhaltener aus, zudem verzichtete Braun auch auf große Aufrufe an die Wähler oder neue Petitionskampagnen. Sein nassauischer Hauptgegner Diest hoffte angesichts der etwas ruhigeren politischen Lage, seinen liberalen Gegnern diesmal erfolgreicher entgegentreten zu können. Obwohl das preußische Innenministerium in einem Erlass darauf hingewiesen hatte, in den neuen Provinzen den preußenfreundlichen gemäßigt liberalen Kandidaten nicht offen zu opponieren, suchte er eifrig nach aussichtsreichen konservativen Gegenkandidaten. Dabei ging er sogar soweit, in Brauns bisherigem Wahlkreis eine Kandidatur Bismarcks zu propagieren. Bismarck, der schon zuvor in einem persönlichen Gespräch Diest vor unnötigen Angriffen gegen Braun gewarnt hatte, telegrafierte daraufhin an den Regierungspräsidenten: „Ich hatte Sie gebeten, nichts gegen die Wahl von Braun zu tun. Wie kommt es, dass man mich dort als Gegenkandidaten aufgestellt hat?“56
Nach einer erneuten Aufforderung Bismarcks, der wegen seiner künftigen Kanzlerschaft ohnehin kein Reichstagsmandat hätte annehmen können, gab Diest seine Pläne auf. Bei den am 31. August 1867 stattfindenden Reichstagswahlen erreichte Karl Braun bei einer deutlich gesunkenen Wahlbeteiligung im nassauischen Wahlkreis II erneut eine klare Mehrheit von 82,8 %.57 Auch in drei weiteren nassauischen Wahlkreisen konnten sich die liberalen Bewerber durchsetzen. Lediglich im Wahlkreis III gewann der angetretene Wiesbadener Regierungspräsident mit 51,8 % der Stimmen gegen den liberalen Bewerber.58 In seinen Lebenserinnerungen behauptet Diest, dass er im Wahlkreis Ems-St. Goarshausen „ohne mein Zutun in den Reichstag gewählt worden“ sei und auf Bismarcks Befehl hin das Mandat habe annehmen müssen.59 Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen, denn Diest hatte seine Kandidatur sehr zielbewusst und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln betrieben. Für den Wahlerfolg waren drei Dinge maßgebend: Zum einen hatten die Liberalen in der katholischen Bevölkerung an Zustimmung verloren. Zum anderen profitierte Diest von einer preußenfreundlichen Stimmung im Umfeld von Bad Ems, dem König Wilhelm I. bereits zahlreiche Vergünstigungen hatte zukommen lassen und in dem er sich im Sommer 1867 selbst aufhielt. Diests knapper Erfolg war aber vor allem auf eine planmäßige und teils auch rücksichtslose Einschaltung aller Behörden und Beamten zurückzuführen. Gegenüber Bismarck hatte Diest das neue Reichstagswahlrecht heftig kritisiert. Nun hatte er gezeigt, dass man mit den Machtmitteln eines Regierungspräsidenten und durch geschicktes Vorgehen auch unter diesem Wahlrecht Erfolge erringen konnte. Dennoch bildete dieser Sieg eines preußischen Kon55
Kropat, Die nassauischen Liberalen (Anm. 10), S. 272. Ebd., S. 276 f. 57 Klein, Die Hessen als Reichstagswähler (Anm. 37), S. 579. 58 Ebd., S. 661 f. 59 Diest, Aus dem Leben (Anm. 4), S. 372.
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servativen im annektierten Nassau die Ausnahme. Zwischen 1871 und 1902 ging Diests Wahlkreis an den Zentrumsabgeordneten Ernst Lieber. Nach den Reichstagswahlen vom August 1867 flauten die persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Karl Braun und Gustav von Diest deutlich ab. Dies lag vor allem daran, dass sich Braun in seinem politischen und beruflichen Leben auf die deutsche Politik und auf Berlin konzentrierte, wo er neben seiner Parlamentstätigkeit auch als Prokurator am Oberappellationsgericht für die von Preußen 1866 annektierten Landesteile tätig wurde. Er unterstützte zwar die nassauischen Liberalen in ihrem Streben nach Erhalt bewährter Einrichtungen, die Auseinandersetzungen mit dem Regierungspräsidenten führten jedoch andere. Wie schwer sich Diest auch nach Brauns Weggang tat, mit besonderen Wünschen der Nassauer umzugehen, zeigt sein Zeitungsbericht vom September 1868. Hier beklagte er, dass die „früheren Volksagitatoren“ der „sogenannten liberalen und Fortschrittspartei“ weiterhin Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung nutzen würden, um „den Geist der Unzufriedenheit, welcher leider in Nassau seit langer Zeit heimisch ist, zu schüren“.60 In Berlin sah man die Dinge differenzierter. Im Mai 1869 kamen die Minister Eulenburg und von der Heydt zu dem Schluss, dass Diest seine Aufgabe zwar mit Hingabe, treuer Gesinnung und regem Streben angegangen sei, seine Erfolge aber nicht den Erwartungen entsprochen hätten. Ihm fehle „die Ruhe sowohl in der Behandlung von Geschäftsangelegenheiten als auch im persönlichen Verkehr“, die bei der nicht immer leichten Integration der erworbenen Gebiete unentbehrlich sei.61 Im Staatsministerium hielt man Diests Ansatz, „den Wiesbadener Bezirk nach dem Muster der altpreußischen Bezirke umzuwandeln“,62 offenbar nicht für die am besten geeignete Integrationspolitik und gab dem ansonsten durchaus geschätzten Beamten daher eine neue Aufgabe in einer altpreußischen Provinz. An dieser Entwicklung hatten die scharfen Auseinandersetzungen zwischen Diest und Braun zweifellos einen großen Anteil. Die politischen Grundeinstellungen und vor allem auch die Zielvorstellungen der beiden Kontrahenten wichen zu weit voneinander ab, um die Integrationspolitik im annektierten Herzogtum gemeinsam zu gestalten. Diest ging es vor allem um eine Anpassung an altpreußische Strukturen, Braun sah in der von ihm befürworteten Annexion dagegen die Vorstufe einer weitergehenden deutschen Einigungspolitik, die durch das Beharren auf altpreußischen Prinzipien nur erschwert wurde. Seine zeitweise engen Kontakte zu Bismarck, der ihn gegen Diest stützte, führten jedoch auch bei Karl Braun zu Fehleinschätzungen. Während Diest die Konzessionen Bismarcks an die Liberalen kritisierte, sahen sich Männer wie Braun in der Phase der Reichsgründung schon im „Vorhof der Macht“63.
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Klein, Zeitungsberichte (Anm. 21), S. 33. Anderhub, Verwaltung (Anm. 22), S. 121. 62 Diest, Aus dem Leben (Anm. 4), S. 384. 63 Ansgar Lauterbach, Im Vorhof der Macht. Die nationalliberale Reichstagsfraktion in der Reichsgründungszeit (1866 – 1880), Frankfurt a. M. 2000. 61
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Wenige Jahre nach der Reichsgründung waren jedoch auch bei Braun viele politische und wirtschaftspolitische Hoffnungen geschwunden. Als entschiedener Freihändler wurde er nach 1878 zu einem erbitterten Gegner der Bismarckschen Politik.64
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Vgl. Hahn, Zwischen wirtschaftspolitischen Erfolgen (Anm. 9), S. 497 ff.
Doppelte Identität als Monarchieproblem. Victoria Princess Royal von Großbritannien und Königin von Preußen in Briefen an ihre Mutter Queen Victoria in den 1860er und 1870er Jahren Von Monika Wienfort, Potsdam Die Frauen, die seit dem Tod der Königin Luise 1810 die preußische Krone trugen, sind in der deutschen Geschichtsschreibung nicht freundlich behandelt worden. Während den männlichen Monarchen vor Kaiser Wilhelm II. doch zumindest einige positive Eigenschaften zugeschrieben wurden, König Friedrich Wilhelm III. z. B. die wenngleich nicht begeisterte Akzeptanz der Reformpolitik, seinem Nachfolger König Friedrich Wilhelm IV. große ästhetische Leistungen in der Gestaltung des preußischen „Arkadien“ in Berlin-Potsdam und schließlich Wilhelm I. mindestens das „Gewährenlassen“ des politischen Talents Bismarcks, blieben die Monarchinnen weitgehend unberücksichtigt. Aus der Perspektive einer Geschichtsschreibung, die sich ausschließlich für Politik im staatslenkenden Sinn interessiert, ist diese Vernachlässigung plausibel. Je mehr sich allerdings eine politische Kulturgeschichte etabliert, die Formen der Repräsentation als Gestaltungskräfte für die Monarchie einbezieht, desto misslicher scheint die Lücke. Mit anderen Worten: Um das dynastische Projekt des 19. Jahrhunderts angemessen zu analysieren, ist es unerlässlich, Frauen und monarchische Familien in die Analyse einzubeziehen. Für die Frühe Neuzeit hat sich die Forschungslage überdies schon geändert und auch die Frauen am Weimarer Hof um 1800 sind in jüngerer Zeit dargestellt worden. An der Ignorierung der preußischen Monarchinnen hat sich allerdings wenig geändert.1
1 Vgl. zum Luise-Mythos Birte Förster, Der Königin Luise-Mythos. Mediengeschichte des „Idealbilds deutscher Weiblichkeit“ 1860 – 1960, Göttingen 2011. Regierende Fürstinnen wie Elisabeth I. von England und die Zarin Katharina II. bilden noch einmal eine andere Kategorie: Bettina Braun/Jan Kusber/Matthias Schnettger, Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert. Maria Theresia und Katharina die Große, Bielefeld 2020; Katrin Keller, Frauen und dynastische Herrschaft. Eine Einführung, in: Bettina Braun/Katrin Keller/Matthias Schnettger (Hrsg.), Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 13 – 26; Heide Wunder, „Er ist die Sonn, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. Zum Hof in Weimar Detlef Jena, Maria Pawlowna. Großherzogin an Weimars Musenhof, Graz 1999; Detlef Jena, Das Weimarer Quartett. Die Fürstinnen Anna Amalia, Louise, Maria Pawlowna, Sophie, Regensburg 2007; Jochen Klauß (Hrsg.), „Ihre Kaiserliche Hoheit“ Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof, München 2004.
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Dabei kann es so scheinen, als verfügten die Trägerinnen der preußischen Krone jenseits individueller Unterschiede allesamt über Eigenschaften, die sie einer traditionellen oder gar borussischen Geschichtsschreibung aus der Perspektive nationaler Politik besonders unsympathisch machten. Allesamt hatten sie schließlich gemeinsam, keine geborenen Angehörigen des Hauses Hohenzollern zu sein. Die monarchischen Heiratskreise in den protestantischen Reichen Europas waren einerseits zu weit, um die Heirat mit Cousins oder Cousinen als Ideal erscheinen zu lassen, andererseits aber auch deutlich begrenzt. Weiterhin bestand man auf standesgemäßen Eheschließungen, und das bedeutete, auf eine Abstammung aus den regierenden Häusern. Die Ehefrauen der preußischen Monarchen brachten also ihre Herkunftsfamilie und das Standesbewusstsein dynastischen Adels mit nach Berlin und Potsdam. Und dabei traten für die Hohenzollernfamilie selbst, für die aufmerksame zeitgenössische Öffentlichkeit und für die Historiographie beinahe immer einzelne Merkmale in den Vordergrund. Elisabeth, die Ehefrau König Friedrich Wilhelms IV., hielt als geborene bayerische Prinzessin (zu) lange an ihrer katholischen Konfession fest, um sie einer protestantisch konnotierten Preußen-Historiographie interessant zu machen. Trotz der Tatsache, dass sie zumindest der konservativen Umgebung Friedrich Wilhelms IV. als wichtige Beraterin des Monarchen galt, gibt es bis heute keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Arbeit über sie. Ihre Nachfolgerin Königin Augusta, Ehefrau König Wilhelms I., eine Prinzessin von Sachsen-Weimar, traf es sogar noch schlimmer. Sie wurde schon aufgrund ihrer Herkunft mit dem Konstitutionalismus und einer freilich eher konservativ-staatstragenden Form von Liberalismus in Verbindung gebracht. Als Einflussfaktor auf ihren Ehemann stand sie nach 1862 Bismarck – um das Mindeste zu sagen – in vieler Hinsicht gegenüber oder gar entgegen. Als Gegnerin des Kulturkampfes machte sie Überzeugungen zugunsten der als Reichsfeinde markierten Katholiken bemerkbar. Und schließlich taten Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ ein Übriges, um Augusta als Gegnerin der preußischen Einigungspolitik mittels Kriegen und als persönliche Feindin des Reichskanzlers darzustellen. Erst in letzter Zeit hat eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser schon wegen der langen Regierungszeit ihres Ehemannes dominanten preußischen Monarchin des 19. Jahrhunderts begonnen.2
2 Daniel Schönpflug, Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa. 1640 – 1918, Göttingen 2013; zu Augusta: Birgit Aschmann, Augusta als „political player“ in Preußens Politik, in: Ingeborg Schnelling-Reinicke/Susanne Brockfeld (Hrsg.), Karrieren in Preußen – Frauen in Männerdomänen, Berlin 2020, S. 271 – 290; Monika Wienfort, Familie, Hof, Staat. Königin Augusta von Preußen, in: Truc Vu Minh/Jürgen Luh (Hrsg.), Die Welt verbessern. Augusta von Preußen und Fürst von Pückler-Muskau (Kulturgeschichte Preußens, Colloquien, 7) (2018), URL: https://perspectivia.net/receive/pnet_mods_00000885 (Zugriff am 12. 01. 2023); Susanne Bauer/Jan Markert, Eine „Titelaffaire“ oder „mehr Schein als Wirklichkeit“. Wilhelm I., Augusta und die Kaiserfrage 1870/71, in: Ulrich Lappenküper/ Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71. Reichsgründung in Versailles, Friedrichsruh 2021, S. 70 – 76; zu Elisabeth vgl. als eher populärwissenschaftliche Werke Karin Feuerstein-Praßer, Die preußischen Königinnen, Regensburg 2000; Dorothea Minkels, Elisabeth von Preußen. Königin in der Zeit des AusMÄRZens, Norderstedt 2008.
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Und schließlich das letzte Beispiel: Auch für Auguste Victoria, die Ehefrau Kaiser Wilhelms II., hat die Historiographie bislang kein Interesse. Während Wilhelm II. in vielen politisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen in der Historiographie eine einmal mehr, einmal weniger zentrale Rolle spielt, angefangen von der Entlassung Bismarcks über die monarchischen Skandale in der modernen Medienwelt seit der Daily Telegraph-Affäre, über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und schließlich der Revolution von 1918/19, blieb die Monarchin im Schatten: als fromm oder frömmlerisch, als kleingeistig, wenig gebildet und bei aller konservativ-moralisierenden Haltung als politisch einflusslos geltend, scheint eine nähere Beschäftigung mit ihr nicht vielversprechend.3 Bleibt eine Fürstin, der man mangelnde Intelligenz, Auffassungsgabe, Bildung und fehlendes politisches Interesse nicht nachsagen kann: Victoria von Großbritannien, Tochter der Queen Victoria und des Prinzgemahls Albert von Sachsen-CoburgGotha, Ehefrau Kaiser Friedrichs III., des Neunundneunzig-Tage-Kaisers. Die überaus kurze Herrschaft ihres Ehemannes 1888 beschränkt das Interesse der Geschichtswissenschaft vermeintlich schon strukturell. Zwar war schon zeitgenössisch unübersehbar, dass die glückliche Ehe Friedrichs III. mit Victoria diese zu einer einflussreichen Person machte. Aber Friedrich blieb eben jahrzehntelang „nur“ Thronfolger und politisch einigermaßen bedeutungslos. Es wirkte daher rührend, dass die Witwe einige Wochen nach seinem Tod den Namen Friedrichs III. demonstrativ zu ihrem machte, vielleicht auch, um den Namen ihrer Schwiegermutter Augusta wie ihrer Schwiegertochter Auguste Victoria etwas entgegenzusetzen. Wenn überhaupt, geht es bei der Thematisierung Victorias meist um das komplizierte Verhältnis einer ehrgeizigen Mutter zu ihrem schwierigen ältesten Sohn. Distanz prägte dieses Verhältnis zunehmend, während sich der nächste Erbe der Krone an seinen Großeltern Wilhelm I. und Augusta orientierte. Entsprechend wenig blieb die gesellschaftliche Rolle der langjährigen Kronprinzessin im Gedächtnis. Tatsächlich war Victoria eine bemerkenswerte Frau, die sich für zahlreiche bildungsfördernde und karitative Belange in Preußen eingesetzt hat. Nicht zuletzt beschäftigte sie sich intensiv mit Vorschlägen zur Förderung der Frauenbildung.4 3 Zu den Skandalen Martin Kohlrausch, Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2005; Wolfgang J. Mommsen, War der Kaiser an allem schuld? Wilhelm II. und die preußisch-deutschen Machteliten, München 2002; Monika Wienfort, Europäische Fürstendiplomatie zwischen Nationalismus und Familienharmonie 1900 – 1913, in: Meike Buck/Maik Ohnezeit/Heike Pöppelmann/Sabine Ahrens, 1913 – Herrlich Moderne Zeiten, Braunschweig 2013, S. 135 – 141, 154. Zu Auguste Victoria vgl. John C. G. Röhl, Wilhelm II. Bd. 2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888 – 1900, München 2001; John C. G. Röhl, Wilhelm II. Bd. 3: Der Weg in den Abgrund 1900 – 1941, München 2009. 4 Beste Darstellung: Hannah Pakula, An Uncommon Woman. The Empress Frederick, London 1995. Generell zu Friedrich III. Frank Lorenz Müller, Der 99-Tage-Kaiser. Friedrich III. von Preußen. Prinz, Monarch, Mythos, München 2013; Frank Lorenz Müller, Die Thronfolger. Macht und Zukunft der Monarchie im 19. Jahrhundert, München 2019; HansChristof Kraus, Friedrich III. (12. März 1888 – 18. Juni 1888), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 265 –
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Im Folgenden geht es um die Frage, wie die geborene britische Prinzessin mit ihrer Identität als preußische Kronprinzessin zurechtkam. Einen Wechsel der Nationalität, ein Zurücklassen des Lebens als „true Briton“, soviel sei vorweggenommen, hat es für Victoria nicht gegeben. Im Selbstverständnis blieb die preußische Kronprinzessin zeit ihres Lebens auch Engländerin, sie behielt ihre englisch/britische Identität bei und stellte sie häufig dem durch die Heirat erworbenen Preußen- und Deutschtum entgegen. In der Geschichtsschreibung wird oft erwähnt, dass Victoria von ihren Eltern mit einer besonderen politischen Sendung ausgestattet worden war. Besonders Prinz Albert wünschte eine nationale Einigung Deutschlands in einer konstitutionell verfassten Ordnung unter Führung Preußens. Die Tochter Victoria sollte in diesem Sinn auf ihren Ehemann als künftigen Souverän einwirken.5 Der politische Auftrag der Eltern setzte im Grunde ein frühneuzeitliches Muster fort, das dynastische Heiraten als Angelegenheiten internationaler Politik verstand. Ins Ausland verheiratete Prinzessinnen fungierten als „Broker“, die Interessen des Herkunftslandes und des Bestimmungslandes vermitteln sollten. Engländerin und Britin versus Preußin und Deutsche: Im Briefwechsel mit ihrer Mutter benutzte Victoria die Zuordnungen wechselnd – durchaus im Zusammenhang mit den jeweiligen politischen Ereignissen und Konstellationen. Selbstverständlich muss quellenkritisch berücksichtigt werden, dass Victoria in den Briefen an ihre Mutter stets von einer andauernden Zugehörigkeit zu Großbritannien sprechen musste – alles andere hätte die Queen irritiert und vermutlich zu fruchtlosen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter geführt. Während für die Queen die bleibende Loyalität der Tochter selbstverständlich schien, war gerade diese Selbstverständlichkeit gesellschaftlich und soziokulturell abhandengekommen. Die Eheschließung zwischen dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm und der Princess Royal fand eben nicht in der Frühen Neuzeit, sondern im Jahr 1858 statt. Die nachrevolutionären Jahrzehnte hatten die Bedeutung nationaler Vorstellungen in Europa nicht gemindert, und ein Verständnis von monarchischem Hof und Öffentlichkeit für doppelte Identitäten von Monarchengattinnen war nicht vorhanden. Die vornationale Pluralität – das zeigt nicht bloß dieses Beispiel – stieß zunehmend auf Akzeptanzprobleme.6
289. – Teltower Kreisblatt, 19. 7. 1888, S. 1: „Die Kaiserin-Witwe Victoria hat mit Genehmigung Sr. Majestät des Kaisers den Namen Kaiserin und Königin Friedrich angenommen.“ 5 Vgl. allgemein Wolf D. Gruner, Der Deutsche Bund 1815 – 1866, München 2012; paradigmatisch für die Analyse des Nationalismus Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983. 6 Der Briefwechsel zwischen Queen Victoria und Kronprinzessin liegt in fünf Bänden vor. Im Folgenden Roger Fulford (Hrsg.), Your Dear Letter. Private Correspondence of Queen Victoria and the Crown Princess of Prussia, Bd. 3: 1865 – 1871, London 1971 und Roger Fulford (Hrsg.), Darling Child. Private Correspondence of Queen Victoria and the Crown Princess of Prussia, Bd. 4: 1871 – 1878, London 1976.
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I. Die Vorzüge Englands Victoria machte es ihren preußischen Gegnern in mancher Hinsicht leicht. Bei all ihren geistigen Gaben fehlte ihr, zumal beim Gebrauch der deutschen Sprache, augenscheinlich Geschmeidigkeit und Anpassung, von diplomatischem Gespür zu schweigen. Die weiblichen Geschlechterstereotypen des 19. Jahrhunderts verziehen solche Direktheit nicht. Die britische Herkunft konnte und wollte sie nicht verleugnen. Darüber hinaus aber fühlte sie sich in besonderer Weise als älteste Tochter der Queen. In sämtlichen Briefen an ihre Mutter akzeptierte sie die politische Sendung, die nicht bloß die Queen, sondern auch der Vater Albert ihr mit auf den Weg gegeben hatte: In Preußen und Deutschland für die konstitutionelle Ordnung eines gemäßigten Liberalismus mit Westbindung (an Großbritannien) einzutreten und damit zumindest indirekt das Einheitsstreben auf friedlichem Weg zu unterstützen. Victoria sollte also aus ihrer Britishness ein nationales, deutsches Identitätsmodell entwickeln helfen, und das ohne Aufgabe ihrer Herkunftsidentität. Gegenüber der Mutter brachte Victoria ihre britische Herkunft oft mit Bekenntnissen zu ikonischen Nationalsymbolen zum Ausdruck: „You know what a John Bull I am and how enthusiastic about my home“. Die Formel der Figur des John Bull als männlichen Normalengländers, der Ale, Steak und Plumpudding liebte, fasste viele Stereotypen über die Briten zusammen. In der britischen Königsfamilie blickte man mit George III. (1760 – 1820) auf einen Monarchen zurück, dem die Züge eines gemütvollen Landedelmanns mit Familienneigung in der zeitgenössischen Presse häufig zugeschrieben worden waren. Die Identifikation mit der eher durch eine spezifische Mentalität als durch charakteristische Politik ausgezeichneten Nationalfigur sollte der Mutter versichern, dass sich Victorias Selbstbild nicht verändert hatte. Das dynastische Standesbewusstsein erlaubte es ihr schließlich sogar, sich mit einer dezidiert männlichen Figur zu identifizieren. Der rotgesichtige, etwas dickliche „John Bull“ hatte jedenfalls wenig mit den Stereotypen von Weiblichkeit des 19. Jahrhunderts gemein.7 Das emotionale Bekenntnis zur britischen Identität überstrahlte in den Briefen an die Mutter die selbstverständliche und beiden Frauen bekannte Tatsache, dass Victoria seit ihrer Eheschließung mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) preußische Staatsbürgerin war. Trotzdem benutzte Victoria weiterhin nicht länger passende Zuschreibungen, z. B. wenn sie die geborene Engländerin Gräfin Blücher als „My only friend and fellow countrywoman“ bezeichnete. Victoria meinte hier offensichtlich Abstammung und Sozialisation, beanspruchte für sich aber auch das Recht einer zumindest emotionalen „doppelten Staatsbürgerschaft“, einer Beibehaltung der identitätsstiftenden Elemente von Britishness jenseits ihrer Migration nach Preußen. Immer wieder ließ sie verlauten, dass sie England als Hei-
7 Briefe vom 20. 5. 1869, 6. 5. 1865 und 16. 7. 1866, in: Fulford, Your dear letter (Anm. 6), S. 237, 25 und 80, sowie 6. 4. 1873 („John Bull“), in: Fulford, Darling Child (Anm. 6), S. 84. – Linda Colley, Britons. Forging the Nation. 1707 – 1837, New Haven 1992. Zu Albert und seiner konstitutionellen Mission: Müller, 99-Tage-Kaiser (Anm. 4), S. 48 – 50.
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mat betrachtete, etwa wenn sie von ihrer Sehnsucht sprach „Christmas at home in England“ verbringen zu können.8 Ließen sich solche Äußerungen auf ein – verständliches – Heimatgefühl der noch jungen Kronprinzessin zurückführen, bemühte sie sich auch um positive Charakterisierungen ihres Herkunftslandes. „[…] England is, in so many things so far ahead of other nations“, meinte sie in den 1860er Jahren und entsprach damit dem Selbstbild des John Bull in perfekter Weise. Solche Ansichten wurden für die Mutter zusätzlich anschaulich gemacht: „I am shut out of my sitting room because there is a man from London setting a grate and fender – an English fireplace altogether in one of our large empty chimney pieces. It will serve as a pattern for others later; it is copied from Bertie’s fireplace in his hall at Marlborough house.“9 Der Brief aus dem Neuen Palais in Potsdam teilte der Mutter mit, dass die preußischen Königsschlösser tatsächlich vom englischen Vorbild profitierten, und nicht nur das, es ging sogar direkt um das Alltagsleben in den Schlössern, in denen der Winter angesichts der begrenzten Heizmöglichkeiten nur wenig angenehm war. In Berlin und Potsdam konnte man von der Aussicht, nun Kamine wie im Wohnsitz des britischen Thronfolgers zu besitzen, kaum begeistert sein. „An English fireplace“ in Potsdam klang tatsächlich nach einer besonderen Form der Zivilisierungsmission, wie sie vom britischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts typischerweise behauptet wurde.10 In allgemeinen Bemerkungen gegenüber der Mutter erlaubte sich die Kronprinzessin immer wieder einmal die Stilisierung als „Expatriate“ mit Verweisen auf die „immense superiority of England“, offensichtlich, um das Wohlwollen der Queen zu erhalten.11 Auf der anderen Seite erkannte sie durchaus, dass ihre Überzeugungen in Preußen zu Akzeptanzproblemen führten: „You know that in my position here in Germany I dare not consider my wishes alone and it is a difficult position; my only desire is to fill it, and discharge the duties belonging to it as your and dear Papa’s daughter should.“12 Offensichtlich erwartete Victoria nicht, dass die Mutter sie angesichts der Imageprobleme als Engländerin anwies, sich nun vollständiger auf Preußen und das Deutschsein einzulassen. Im Gegenteil: Die Queen forderte weiterhin die Loyalität der Tochter, emotional wie politisch.
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Briefe vom 11. 2. 1865 und 5. 6. 1865, in: Fulford, Your dear letter (Anm. 6), S. 17 und 29. Vgl. zur Britishness im 19. Jh. Colley, Britons (Anm. 7); Tony Wright/Andrew Gamble (Hrsg.), Britishness. Perspectives on the British Question, Malden 2009. 9 Briefe vom 11. 7. 1865 und 3. 5. 1865, in: Fulford, Your dear letter (Anm. 6), S. 34 und 24. 10 Zur Zivilisierungsmission von Kolonialismus und Imperialismus vgl. Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, München 2009. Zur Lage der Kronprinzessin während der Einigungskriege vgl. Pakula, Uncommon Woman (Anm. 4), S. 217 – 263. 11 Brief vom 16. 6. 1867, in: Fulford, Your dear letter (Anm. 6), S. 140. 12 Brief vom 31. 10. 1867, ebd., S. 157.
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II. Als Preußin in den Einigungskriegen In den 1860er Jahren trat ein, was Victoria und die Queen gefürchtet hatten. Die Einheitsbestrebungen konkretisierten sich „kleindeutsch“ und die Kriegsgefahr wuchs. Auch die skeptische Distanz der süddeutschen Staaten, die um ihre Souveränität fürchteten, wirkte nicht friedenserhaltend. Die Kriege von 1864, 1866 und 1870/ 71 erforderten nicht nur von der Kronprinzessin eine deutliche Parteinahme. Die emotionale Heimat- und Familienbeziehung musste zurücktreten. „At this sad time one must seperate one’s feelings for one’s relations quite from one’s judgement of political necessities or one would be swayed to and fro on all sides“ schrieb die Kronprinzessin verzweifelt, als der Krieg von 1866 sie ihrer in Hessen verheirateten Schwester Alice feindlich gegenüberstellte. Der Krieg legitimierte für die Ehefrau des preußischen Thronfolgers, der selbst als verdienter und hochgeschätzter Kommandeur im Feld stand, eine zumindest temporäre Verschiebung der Identitätsmerkmale hin zu Preußen und Deutschland. Die Mutter-Tochter-Korrespondenz erweiterte sich von der Heimat-Fremde-Perspektive auf die Ebene Monarchin – zukünftige Monarchin, von der persönlichen auf die Ebene der internationalen Politik.13 In den Friedenszeiten zwischen den Einigungskriegen wollte Victoria ihre Skepsis gegenüber der preußischen Politik vor der Mutter nicht verbergen. Ihre Ablehnung einer gewaltsamen Politik äußerte sich durchaus drastisch, und dabei verschwamm die Grenze zwischen einer preußischen und einer deutschen Nation. Die Kronprinzessin fühlte sich beiden verpflichtet. So meinte sie – allgemein – feststellen zu müssen: „A dynasty that thinks more of its own interests than of its nation’s is sure to fall sooner or later.“14 Unausgesprochen suggerierte die Bemerkung, die Hohenzollern stellten eigene Dominanzbestrebungen über die Interessen der preußischen wie deutschen Nation und Bevölkerung. Der Wunsch, politische Kritik zu üben, ließ Victoria den Anspruch auf preußischen Patriotismus erheben, einen Begriff, der in England gleichermaßen eine „John Bull“-Assoziation auslöste wie er, als Idee eines „Patriot King“, die Monarchie betraf. „I am as good a patriot as any one of them – and all the better perhaps for not being a blind one.“ Abermals gab die Kronprinzessin zu erkennen, dass sie die Vorwürfe mangelnden preußischen Patriotismus durchaus trafen. Sie entgegnete mit dem Verweis auf die Nachteile „blinder“ Unterstützung, wiederum keine Antwort, die in der preußischen und deutschen Öffentlichkeit auf sonderliches Verständnis stoßen konnte. Selbst wenn sich Victoria in der Öffentlichkeit zurückhielt – Gelegenheit zu politischen Stellungnahmen hatte sie ohnehin kaum – wird ihre Einstellung spürbar gewesen sein.15 Victoria ordnete ihre eigene Form von Konstitutionalismus in die Begriffswelt der Freiheit ein, in der Bismarck einen definitiven Widerpart bildete: „Yesterday our elections took place – and I am happy to say the liberals have the majority. And 13
Brief vom 10. 8. 1866, ebd., S. 87. Brief vom 24. 2. 1869, ebd., S. 226. 15 Brief vom 11. 1. 1865, ebd., S. 16. 14
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they will see here that the Prussians are not quite so dead to the sense of liberty, and blinded by the victories of last year as they are represented and as Bismarck tries to make them.“16 Offensichtlich setzte Victoria ihre Hoffnungen auf die Liberalen als Gegengewicht zu Bismarck. Die Zusammenarbeit zwischen Bismarck und den Nationalliberalen mit dem Ziel eines Reichs als mitteleuropäische Großmacht konnte oder wollte Victoria nicht gutheißen. Victoria bemühte sich kontinuierlich um eine wenngleich inoffizielle und familiäre Vermittlungsrolle zwischen Preußen und Großbritannien. Dabei nahm sie an, dass die Queen solche Bemühungen begrüßte. Jedenfalls beschrieb sie im April 1867 ihrer Mutter das eigene Verhalten: „I asked the King yesterday whether he had any message for you; he answered I was to thank you for your letter and he would answer as soon as he could, but he regretted you were under the false impression that he was the aggressor.“17 Offensichtlich nahm Wilhelm I. seine Schwiegertochter nicht in einer politischen Rolle wahr und reservierte den Austausch für den Briefverkehr der Souveräne. Immerhin aber nutzte er die Gelegenheit, um die für ihn wichtigste Botschaft zu übermitteln: Preußen nahm für sich eine defensive Haltung in Anspruch. Gemäß eigenen Angaben sprach Victoria sogar direkt mit Bismarck, um ihn für die Erhaltung des Friedens zu gewinnen. Eine klare Antwort erhielt sie, das war wohl erwartbar, von Bismarck nicht. Die Kronprinzessin fühlte sich machtlos, berief sich darauf, dass ihr Ehemann Fritz, König Leopold von Belgien wie auch Königin Augusta und sie selbst alles Mögliche getan hätten. Ihr eigenes Handeln beschrieb sie in den Grenzen des diplomatischen Verkehrs: „I was out of the way civil to Benedetti [dem französischen Botschafter in Berlin, M. W.] and asked whether we were soon expected at Paris etc.“ Es blieb ihr damit nichts übrig, als mit dem Verweis auf zukünftige Monarchenbesuche zwischen Paris und Berlin die Erhaltung des Friedens demonstrativ zu antizipieren.18 Der Frühsommer 1867 stand jedenfalls in den Briefen bereits unter der Erwartung des kommenden Krieges. Unter Bezug auf die Rüstungsanstrengungen bekräftigte die Kronprinzessin: „The more I think of this war, the more evident it is that we gain nothing, that we risk all.“ Gegenüber der Mutter bemühte sie sich auch, die jeweiligen Lager für Krieg oder Frieden zu beschreiben und die defensive Haltung Preußens zu betonen. Offensichtlich hing die Beurteilung der Kriegsaussichten davon ab, wie man zur deutschen Einigung allgemein und den Chancen einer Verwirklichung des Reiches ohne Krieg gegen Frankreich stand.19
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Brief vom 13. 2. 1867, ebd., S. 122. Brief vom 27. 4. 1867, ebd., S. 133. 18 Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000. 19 Brief vom 9. 5. 1867, in: Fulford, Your dear letter (Anm. 6), S. 135. 17
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III. Vergleiche: England und Preußen In den Briefen der Kronprinzessin finden sich zahlreiche Bemerkungen über positive Eigenschaften und Merkmale Englands. Vergleichende und beziehungsbedeutsame Äußerungen sind dagegen seltener, vermutlich nicht zuletzt, weil die königliche Adressatin ihre schreibenden Töchter – nicht bloß Victoria – gerne zurechtwies. So bezogen sich direkte Vergleiche besonders gern auf Themen der Lebensqualität im Sinn eines kulturellen Fortschritts. „I am quite astonished when I compare myself with most of the German princesses of my age, how faded they look and how they loose their teeth and are obliged to go to baths and watering places […]. Our English way of living is by far the healthiest and most sensible I am sure, and we owe that to our temperate climate because in spite of all that is said against it I do not think there is one in the world like it – the country of white teeth and rosy children.“ Jenseits der demonstrativen Überheblichkeit bleiben das Sujet und die Konkretion interessant. Noch um 1900 stellte die geborene Engländerin Fürstin Daisy von Pless ähnliche Vergleiche zur Hygiene-Infrastruktur in Preußen und England an und setzte sich für den Bau einer Kanalisation in der schlesischen Bergbaustadt Waldenburg ein. Ganz ohne Berechtigung – das sollte man zugeben – war die Kritik nicht, auch wenn man dem technisch-wissenschaftlichen Fortschrittsnarrativ heute deutlich skeptischer gegenübersteht.20 Das Interesse an Themen öffentlicher Gesundheit ist unschwer zu erkennen. Während sich Victoria häufig mit ihrer äußeren Erscheinung unzufrieden zeigte (sie klagte z. B. über fehlende Körpergröße) machte ihr der Vergleich mit den deutschen Prinzessinnen Vergnügen. Frühes Altern und früher Verlust der Zähne stellten in der Tat einen häufigen Befund nicht nur für Frauen in der Mitte des 19. Jahrhunderts dar. Allerdings war die Begeisterung für Kur- und Badeorte („Spa“) durchaus auch in England verbreitet und hatte nicht bloß gesundheitliche Gründe. Die Brunnenkuren von Karlsbad, Baden-Baden, Pyrmont oder Bath in England sollten sehr unterschiedliche Krankheiten heilen, vor allem aber auch in mehrwöchigen Aufenthalten den „Überreizungen“ des Lebens entgegenwirken. Die Soziabilität des Kurorts versprach Abwechslung und Begegnungsmöglichkeiten, sogar für die Politik. Victorias Schwiegereltern Wilhelm I. und Augusta nutzten die Kuraufenthalte gern, um sich aus dem Weg zu gehen, ein Motiv, das Victoria, die stets über Trennungen von ihrem Ehemann klagte, allerdings nicht nachvollziehen konnte.21 20 Zitiert auch bei Müller, 99-Tage-Kaiser (Anm. 4), S. 65, im Kontext der Beschreibung der Wahrnehmung Victorias als hochmütige Engländerin. Müller weist darauf hin, dass der Eindruck von Arroganz auch von der Umgebung der Kronprinzessin geteilt wurde. Zu Daisy von Pless vgl. Monika Wienfort, Adlige Handlungsspielräume und neue Adelstypen in der „Klassischen Moderne“, in: GG 33/3 (2007), S. 436. 21 Vgl. Ute Lotz-Heumann, Kurorte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: European History Online (EHO), published by the Leibniz Institute of European History (IEG), Mainz 2021 – 08 – 23. URL: http://www.ieg-ego.eu/lotzheumannu-2021-de (Zugriff am 12. 01. 2023); Andreas Förderer, Playgrounds of Europe. Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden 2010.
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Die Perspektive der preußischen Kronprinzessin verlagerte sich in den Einigungskriegen von Preußen auf Deutschland insgesamt. Angesichts der veränderten politischen Lage nach zwei Kriegen fühlte sich Victoria nun sicher genug, ihre eigenen Erwartungen auch gegenüber der Mutter zu erkennen zu geben. Und dann wechselte sie die Blickrichtung. Nicht von England aus, sondern aus der deutschen Sicht wünschte sich die Kronprinzessin die Anerkennung des Empires. Zur Legitimation des Wunsches bezog Victoria ihren Ehemann und dessen militärische Leistungen, aber auch politische Ziele ein. „I love Germany. I glory in national feeling, and I am ambitious for her greatness, unity and happiness. I am anxious that Fritz’s endeavours to promote this end may some day be crowned with success, and that dear England may sometime or other look upon us as fit to share her position in the world.“22 Die Überlegenheit des Empires wurde immer noch selbstverständlich gesetzt. Allerdings mochte die Mutter den Ehrgeiz, die Position Englands in der Welt zu teilen, doch als unpassend empfinden. Möglicherweise also war Victoria doch mehr zur Deutschen geworden, als sie selbst erkennen konnte.
IV. England und Preußen und ein Drittes Die doppelte Zugehörigkeit zu Preußen und Großbritannien brachte Kronprinzessin Victoria auf dem Feld der internationalen Politik in einen Gegensatz zu Frankreich. In einem Brief vom 20. 4. 1867 drückte sie die Hoffnung aus, Frankreich nur noch als „zweite Macht“ auf dem Kontinent – hinter einem vereinigten Deutschland – zu sehen. Der Kronprinzessin war dabei durchaus bewusst, dass sie sich einer britischen Unterstützung keineswegs sicher sein konnte: „I trust and hope that England will not be against us and with France, and assist in dismembering Germany.“23 Während sich die Kronprinzessin in Fragen von Mentalität, Werten und Einstellungen persönlicher Art eine Beibehaltung britischer Einstellungen erlaubte, kam solches in den internationalen Beziehungen nicht in Frage. Hier war mit „us“ ein vereinigtes Deutschland gemeint, das Preußen ein- oder umschloss. Damit bekräftigte Victoria gegenüber ihrer Mutter die Legitimität der Einigungsanstrengungen einschließlich der Kriege. Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich generell gut erkennen, wenn auf ein Drittes geblickt wird. Die Identitäten als Britin und als Deutsche flossen bezeichnenderweise in der Haltung gegenüber Dritten am leichtesten zusammen. Und dieses Dritte stellte ebenfalls nicht überraschend eine andere, als unterlegen angesehene Ethnie dar. Über einen Besuch in Posen schrieb Victoria an die Mutter: „I did not find the town or the people half as dirty as I expected – but then it wore a festive aspect, and the surrounding villages looked very Irish, the people as tattered as Irish beggars and the pigs treated as members of the family. We saw some rich and tidy villages which looked already very German. Polish sounds so soft and pretty and 22 23
Brief vom 2. 2. 1867, in: Fulford, Your dear letter (Anm. 6), S. 119. Brief vom 20. 4. 1867, ebd., S. 129.
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the costumes of the richer peasants are very gay and picturesque.“ Und einige Zeilen später: „My belief is that Prussian Poland will in time become as good, quiet and rich a province of this kingdom as any other. The middle and lower classes are happy enough (which they are not in Russian Poland). It is only the aristocracy (and chiefly the ladies and the priests by whom they are ruled) who are the elements of disturbance.“24 Die Überlegenheitsgefühle der Engländerin gegenüber Irland und der Deutschen gegenüber Polen scheinen parallel. Der besondere Zivilisationsgradmesser Schmutz, die Armut der Bevölkerung und die Bettelei werden in beiden Fällen hervorgehoben. Generell drückte sich Victoria in den zeitgenössischen Denkmustern des Imperialismus aus. Offensichtlich fand die Herrschaft Preußens über die Provinz Posen ihre Zustimmung. Das Konzept der Germanisierung, das in der Forschung häufig und beständig diskutiert wird, findet sich hier in einer alltagsbezogenen Selbstverständlichkeit. Einerseits bestand die Hoffnung auf eine Anpassung der polnischen Bevölkerung an offenbar vorausgesetztem Wohlstand und Sauberkeit in Deutschland, andererseits gefielen Sprache und Trachten in folkloristischer Manier.25 Die Provinz Posen, so erwartete die Kronprinzessin, sollte und würde sich parallel zu den übrigen Gebieten Deutschlands entwickeln. Der Unterschied zu den russisch beherrschten Gebieten (nicht zu den österreichischen) erschien wichtig genug, um ihn der Mutter gegenüber zu erwähnen. Auch gegenüber Russland sah Victoria also einen Zivilisationsunterschied und grenzte sich damit zumindest von einer Fraktion am preußischen Hof ab, die mit der autokratischen Herrschaft der Zaren offen sympathisierte. Und wie in England machte sie die katholische Konfession als „Priesterherrschaft“ für die Zustände als Entwicklungsrückstände verantwortlich. Und schließlich nutzte sie (und gerade sie als eine außergewöhnlich dominante Frau) sogar das Stereotyp einer zugeschriebenen Weiblichkeit katholischer Herrschaft mit dem Verweis auf die zugeschriebene Gemeinschaft von Frauen und Priestern.26 * Die Monarchinnen des 19. Jahrhunderts konnten sich nicht mehr auf eine überkommene Vornationalität der Monarchie zurückziehen. Das Problem verschärfte sich, wenn die Ehefrau des Monarchen oder Thronfolgers nicht aus einer politisch 24
Brief vom 4. 7. 1865, ebd., S. 33 f. Philipp Ther/Sebastian Conrad, Deutsche Geschichte als imperiale Geschichte. Polen, slawophone Minderheiten und das Kaiserreich als kontinentales Empire, in: Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871 – 1914, Göttingen 2004, S. 129 – 148. 26 Diana Peschier, Nineteenth-Century Anti-Catholic Discourses. The Case of Charlotte Brontë, Basingstoke 2005; Robert J. Klaus, The Pope, the Protestants, and the Irish. Papal Aggression and Anti-Catholicism in Mid-Nineteenth Century England, New York 1987; Denis G. Paz, Popular Anti-Catholicism in Mid-Victorian England, Stanford 1992; Colin Haydon, Anti-Catholicism in Eighteenth Century England 1714 – 80. A Political and Social Study, Manchester 1993. 25
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unbedeutenden oder gar entthronten Familie kam, sondern eine dynastisch-politische Identität mitbrachte, die sich nicht einfach überschreiben ließ. Die preußische Kronprinzessin Victoria versuchte, die Eindeutigkeit nationaler Zuschreibungen zu verweigern. Gegenüber ihrer Mutter (die mit der Eindeutigkeit als britische Monarchin auch dann wenig Schwierigkeiten hatte, wenn sie über ihre eigene deutsche Sozialisation und die deutsche Herkunft Prinz Alberts nachdachte), musste Victoria bei ihrer britischen Zugehörigkeit bleiben. Aber es scheint nicht nur selbstauferlegter Zwang im Spiel. Die preußische Kronprinzessin stellte sich tatsächlich eine Rolle als Vermittlerin zwischen beiden Ländern vor. Praktisch stieß das „Brokerdasein“ auf zahlreiche Schwierigkeiten, weil die positive Hervorhebung des Einen oft die Herabwürdigung des Anderen nach sich zog. Am besten funktionierte die Abgrenzung gegenüber Dritten, vorzugsweise in kolonialen und imperialen Denkmustern. Victoria teilte über Jahrzehnte die jeweils landestypischen Vorurteile und Herrschaftsansprüche: In England die der protestantisch geprägten politischen Nation gegenüber den katholischen Iren, in Preußen die der ebenfalls protestantischen Führungsschicht gegenüber den katholischen Polen. Beides passte auch in ein liberalkonstitutionelles Konzept und machte selbst in einem „nationalen“ Zeitalter die doppelte Identität ein Stück weit lebbar. Victoria konnte vor allem dann Britin und Preußin zugleich sein, wenn es um die Grenzziehung gegenüber Dritten ging. Die kolonialen Haltungen von Überlegenheitsvorstellung und Zivilisierungsmission trugen so auch im nationalen Kontext zum monarchischen Selbstverständnis bei.27
27 Vgl. zu den Grundlagen von Kolonialismus Osterhammel, Kolonialismus (Anm. 10). Zur Reaktion der „Subalternen“ Roisin Healy, Poland in the Irish Nationalist Imagination, 1772 – 1922. Anti-Colonialism within Europe, Basingstoke 2017.
Georg von Schönerer und Otto von Bismarck. Im Banne des „nationalsten und grössten deutschen Staats- und Volksmanns“ Von Ulrich Lappenküper, Friedrichsruh I. Einleitung Seit dem ,Überschwappen‘ der US-amerikanischen „Black Lives Matter“-Bewegung nach Europa im Jahr 2020 hat die bundesdeutsche Debatte über den Umgang mit den Denkmalen Otto von Bismarcks neue Kontur gewonnen. Nicht selten ohne hinreichende Berücksichtigung der historischen Hintergründe und Evidenzen deklarieren Aktivistinnen und Aktivisten der postkolonialen Bewegung die steinernen Hinterlassenschaften seines Ehrregimes zu Relikten eines rassistischen Kolonialismus und verlangen deren Abriss.1 Eine in der Zielsetzung bisweilen ähnliche, wenngleich auf gänzlich anderem Fundament ruhende Diskussion erlebt seit über 25 Jahren die Sachsenwald-Gemeinde Aumühle, zu der auch der Weiler Friedrichsruh gehört, von 1878 bis zu seinem Tod 1898 Bismarcks hauptsächlicher Wohnort. Als ,Steine des Anstoßes‘ dienen hier gleich zwei Artefakte: ein von dem österreichischen Bismarck-Verehrer und bekennenden Antisemiten Georg von Schönerer 1915 initiiertes, 1921 aufgestelltes Bismarck-Denkmal und das 1922 auf dem Aumühler Friedhof für Schönerer eingerichtete Ehrengrab. Über beide Objekte entzündete sich 1996 ein im Kern lokaler, aber bundesweit ausstrahlender Disput, der zwischen dem Ruf nach Abräumung des Gedenksteins wie auch des Grabmals und dem Appell oszillierte, beides in bewährter Tradition erhalten zu wollen. Vor dem Hintergrund nachdrücklicher Interventionen der zuständigen Denkmalschutzbehörde bzw. der Kirchenoberen sahen die Verantwortlichen der politischen wie der Kirchen-Gemeinde schließlich von einer Beseitigung des Grabes und des Denkmals in der Hoffnung ab, das Problem mit der Aufstellung von Informationstafeln beheben zu können. Doch die Ruhe blieb trügerisch, da die Schilder schon bald von offenbar rechtsradikalen Kreisen beschädigt oder sogar entwendet wurden.2 1
Vgl. dazu pars pro toto mit europäischer Perspektive Benedikt Stuchtey, Das schwierige Erbe des Kolonialismus. Die europäische Debatte über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit, in: Zeitgeschichte aktuell Nr. 2, Dezember 2020. 2 Vgl. Ulrich Lappenküper, Schwierige Erbschaften. Der Gedenkstein für Otto von Bismarck und das Grab Georg von Schönerers in der Sachsenwald-Gemeinde Aumühle, Aufsatz in Vorbereitung.
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Die folgende Abhandlung nimmt die Aumühler Kontroverse und den darin erhobenen Vorwurf, niemand wünsche das Dunkel über die historischen Ereignisse zu beseitigen,3 zum Anlass, das Verhältnis Schönerers zu Bismarck erstmals auf wissenschaftlicher Basis unter Einbeziehung bisher nicht veröffentlichter Quellen zu untersuchen.4 Nach einer Skizze der Biografie des österreichischen Politikers erörtert die Studie sein Verhältnis zum deutschen Reichskanzler bzw. Alt-Reichskanzler und beleuchtet sodann die Hintergründe der Aufstellung des Denkmals und der Grablegung. Explizit geht sie dabei der in der Aumühler Debatte artikulierten Annahme nach, dass Schönerer Bismarcks Namen „missbraucht“ und Bismarcks Schwiegertochter Marguerite „in Kenntnis des inakzeptabelen [sic!] Politikers die Aufstellung des Denkmals [in Friedrichsruh] abgelehnt“ haben könnte.5 II. Wer war Georg von Schönerer? Georg von Schönerer wurde am 17. Juli 1842 in Wien als Sohn des österreichischen Eisenbahningenieurs Mathias Schönerer geboren.6 Nach der Erhebung des Vaters in den Adelsstand 1860 zog die Familie auf Gut Rosenau bei Zwettl an der böhmischen Grenze. Sohn Georg absolvierte eine landwirtschaftliche Ausbildung, die ihn zunächst nach Tübingen und dann auf die Akademien in Hohenheim und Ungarisch-Altenburg führte. Seit 1865 sammelte er praktische Berufserfahrungen auf verschiedenen Gütern und unternahm mehrere Studienreisen. Ab 1869 leitete Georg von 3 Vgl. Privatarchiv Mylius, Leserbrief des Aumühler Journalisten Erhard Herzig, in: „Bergedorfer Zeitung“, 24. 11. 1997. 4 Ausgewertet wurden das Bismarck-Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh [OBS, Bismarck-Archiv], die nachgelassenen Unterlagen Schönerers im Österreichischen Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Nachlass Eduard Pichl, in Wien [ÖStA, AVA, NL Pichl], relevante Akten der Kirchengemeinde Aumühle-Wohltorf im dortigen Archiv und im Archiv des Ev.-Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg in Lübeck sowie Presseausschnittssammlungen in den Privatarchiven des Aumühler Gemeindevertreters Axel Mylius und des Aumühler Journalisten Lothar Neinass. Für hilfreiche Unterstützungen bei den Archivrecherchen danke ich Herrn Eduard Bartels, Aumühle, Frau Beatrix Jenckel, Aumühle, Herrn Nikolaj Müller-Wusterwitz, Aumühle, Herrn Axel Mylius, Aumühle, Herrn Lothar Neinass, Aumühle, Herrn Dr. Lukas Schaefer, Schwarzenbek, Frau Dr. Claudia Tanck, Lübeck, und Herrn Dr. Michael Wladika, Wien. 5 Privatarchiv Neinass, Rundschreiben Greth Ingel von Tümplings an Bürgermeister Dieter Giese und andere Vertreter der Gemeinde Aumühle, 12. 5. 2000. 6 Zur Biografie vgl. Andrew Whiteside, Georg Ritter von Schönerer. Alldeutschland und sein Prophet, Graz 1981; Eduard Pichl, Georg Schönerer, 6 Bde. in 3 Doppelbänden, 3. Aufl., Oldenburg 1938. Die mit Unterstützung des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ besorgte Neuauflage wurde von Hitler durch den Aufkauf der Hälfte der Auflage massiv gefördert: Vgl. [Adolf] Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Hrsg. von Christian Hartmann/Thomas Vordermayer/Othmar Plöckinger/Roman Töppel, 2 Bde., München/Berlin 2016, S. 310, Anm. 175. Trotz der ideologischen Einseitigkeiten ist das Werk von Schönerers „Freund und Gefolgsmann“ Pichl aufgrund der Materialmasse für die Befassung mit Schönerer noch immer unverzichtbar: Sven Fritz, Houston Stewart Chamberlain. Rassenwahn und Welterlösung, Paderborn 2022, S. 45 mit Anm. 189.
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Schönerer – wie einst Bismarck – das Gut des Vaters, das nach dessen Tod 1882 in seinen Besitz überging. Zu diesem Zeitpunkt hatte er die Bewirtschaftung schon längst in die Hände eines Verwalters übergeben, fühlte er sich doch, ebenfalls wie der junge Bismarck, seit langem zur Politik hingezogen. Zwei „politische Schlüsselerlebnisse“, die Kriege von 1866 und 1871,7 hatten den Wunsch nach politischer Betätigung in ihm ausgelöst. Knapp ein Jahr nach der Wahlrechtsreform vom Februar 1873, durch die die bisher indirekte Wahl zum Reichsrat durch eine direkte ersetzt wurde, gewann Schönerer ein Abgeordnetenmandat in Wien. Nicht eben standesgemäß, schloss er sich dem demokratischen Flügel der liberalen Verfassungspartei an und erregte vor dem Hintergrund des kurz zuvor ausgebrochenen Wiener Börsenkrachs mit heftiger Kritik an den Geschäftsverbindungen des rechten Flügels der Liberalen unrühmliches Aufsehen. Zu seinen Klagen über die Gewinnsucht des Großkapitals gesellte sich bald ein radikaler deutscher Nationalismus, der den Ausschluss Österreichs aus dem Deutschen Bund 1866 als Schmach stempelte. Von der Überzeugung erfüllt, dass das österreichische Deutschtum nur durch die Verbindung an das Kaiserreich der Hohenzollern gerettet werden könne, propagierte Schönerer seit 1878 mit seiner Parole „Los-von-Österreich“ einen offenen deutschen Irredentismus und bekämpfte die Habsburger-Dynastie wie auch die staatstreuen Eliten.8 Nachdem ein Konflikt zwischen den liberalen Mitgliedern des Kabinetts Auersperg und der Mehrheit der Deutschliberalen im Parlament über die auf dem Berliner Kongress unter der Leitung von Bismarck vereinbarte, von Schönerer entschieden abgelehnte Besetzung von Bosnien-Herzegowina zum Sturz des Kabinetts geführt hatte, beauftragte Kaiser Franz Joseph I. im August 1879 den Konservativen Eduard Taaffe mit der Regierungsbildung. Dessen Versöhnungspolitik gegenüber den slawischen Nationalitäten sollte die innerparteilichen Auseinandersetzungen bei den Liberalen weiter schüren. Zahlreiche jüngere Kräfte wandten sich von den durch die Skandale der Gründerzeit kompromittiert wirkenden Führern ab und zielten auf eine neue Parteibildung, um den deutschnationalen Interessen gegenüber den Slawen in der Monarchie zum Durchbruch zu verhelfen. Ihr Versuch, die Gesamtpartei in Deutschen Klub umzubenennen, stieß jedoch beim rechten Flügel auf massiven Widerstand. Eine Preisgabe der gesamtstaatlichen Ausrichtung kam für ihn nicht in Frage.9
7 Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, 3. Aufl., München/Zürich 1996, S. 339. 8 Vgl. Berthold Sutter, Die politische und rechtliche Stellung der Deutschen in Österreich 1848 bis 1918, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 3,1: Die Völker des Reiches, Wien 1980, S. 154 – 339, S. 215. 9 Vgl. Adam Wandruszka, Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867 – 1918), in: Theodor Schieder (Hrsg.), Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 6: Europa im Zeitalter der Nationalstaaten und europäische Weltpolitik bis zum Ersten Weltkrieg, unveränd. Nachdruck, Stuttgart 1973, S. 353 – 399, S. 362 – 371.
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Schönerer stand den jungen kritischen Geistern politisch sehr nahe, und da sie sich nicht durchzusetzen vermochten, trat er nach seiner Wiederwahl in den Reichsrat 1879 keiner Fraktion bei, bildete vielmehr mit Heinrich Fürnkranz eine ZweiMann-Gruppe. In dem von ihm im April 1882 mitveröffentlichten deutschnationalen „Linzer Programm“ plädierte Schönerer unter anderem für den Ausbau des von Bismarck 1879 initiierten deutsch-österreichischen Zweibundes zu einer Zollunion. 1885 forderte er in einem Aufruf zur Reichsratswahl eine „wirtschaftliche Reformpolitik im Sinne des Fürsten Bismarck“.10 Nach dem für ihn erfolgreichen Urnengang unternahm er den Versuch, den Parlamentsklub der Vereinigten Linken auf eine kompromisslos deutsche Politik einzuschwören. Kläglich gescheitert, schloss sich Schönerer dem nun neugeschaffenen Deutschen Klub an und gründete im Oktober den „Verband der Deutschnationalen“. Als Symbol diente seiner Bewegung die Kornblume, die Lieblingsblume Kaiser Wilhelms I. und angeblich auch Bismarcks.11 Im österreichischen Volk sollte Schönerers radikaler Nationalismus nie breiten Boden gewinnen. Kaum weniger erfolgreich entwickelte sich sein zunehmend schärfer artikulierter Antisemitismus. Obwohl er seit 1878 mit der Urenkelin eines getauften Juden verheiratet war,12 hatte Schönerer im Vorfeld der Wahlen von 1885 mit Gleichgesinnten das Linzer Programm um den sog. „Arierparagraphen“ erweitert13 und gab dem Judenhass so eine „Wendung zum politisch-sozial und vor allem biologisch begründeten Antisemitismus“.14 Während die antisemitische Bewegung Österreichs insgesamt auf einen Tiefpunkt zusteuerte, erhob Schönerer den Kampf gegen die Juden zum „Bindemittel für seine illiberale, antisozialistische, antikatholische und gegen Habsburg gerichtete Ideologie“.15 Nicht alle Mitglieder des Deutschen Klubs, zumal die jüdischen, waren bereit, ihm auf diesem Weg zu folgen. Anfang 1887 brachen etliche Parteifreunde die Zu10 Zitiert nach: Michael Wladika, Georg Ritter von Schönerers Radikalisierung zum Rassenantisemiten vom Linzer Programm 1882 bis zur Gründung des „Verbandes der Deutschnationalen“ 1885, S. 228; https://doi.org/10.1515/9783110671995-011 (abgerufen am 15. 7. 2022). 11 Vgl. Lothar Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882 – 1918, Wien u. a. 1993; Stefan Schwall, Wie die Kornblume preußisch wurde und Invaliden der Schlacht von Spichern half, https://www.saarland-lese.de/streifzuege/ geschichtliches/wie-die-kornblume-preussisch-wurde-und-invaliden-der-schlacht-von-spichernhalf/ (abgerufen am 26. 8. 2022); eine ikonographische Stilisierung der Bismarck zugeschriebenen Zuneigung findet sich in der Abschiedsadresse der Berliner Bürgerschaft zur Demission des Reichskanzlers im März 1890; https://www.bismarck-stiftung.de/produkt/abschiedsadres se-der-berliner-buergerschaft-an-otto-von-bismarck/ (abgerufen am 26. 8. 2022). 12 Vgl. Michael Wladika, Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Monarchie, Wien/Köln/Weimar 2005, S. 224; Whiteside, Georg Ritter von Schönerer (Anm. 6), S. 250. 13 Vgl. Peter Pulzer, Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Mit einem Forschungsbericht erweiterte Neuausgabe, Göttingen 2004, S. 183 – 186. 14 Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt am Main/Berlin 1973, S. 66. 15 Ian Kershaw, Hitler 1889 – 1936, Stuttgart 1998, S. 67.
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sammenarbeit mit Schönerer ab und provozierten damit die Spaltung des Klubs.16 Trotz dieses Rückschlags gewann Schönerer in den folgenden Monaten neue Popularität, und zwar als Verfechter der Verstaatlichung der Nordbahn, einer Eisenbahngesellschaft, deren Hauptstrecke Wien mit Mähren verband. In seinem Kampf gegen die Aktienbesitze der Habsburger wie der Rothschilds bediente er sich abermals des Bismarck‘schen Vorbilds und dessen Verstaatlichung preußischer Eisenbahnen.17 Dem steilen Aufstieg folgte im Frühjahr 1888 ein jäher Absturz. Nachdem er aus Verärgerung über eine verfrühte Todesmeldung Kaiser Wilhelms I. im betrunkenen Zustand einen nächtlichen Überfall auf die Redaktion des „Neuen Wiener Tagblatts“ verübt hatte, wurde Schönerer zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er verlor seinen Adelstitel wie auch das passive Wahlrecht.18 Frei von jeglichen Fraktions- und Parteizwängen radikalisierte er nach der Haft seine deutschlandpolitischen wie judenfeindlichen Forderungen. 1891 gründete er die deutschnationale „Alldeutsche Vereinigung“ und schwang sich zum Hauptvertreter des österreichischen Rassenantisemitismus auf. Ideologisch verblendet und persönlich verbittert, wähnte er allerorten durch die Juden, den Katholizismus, durch Slawen und Sozialisten eine tödliche Bedrohung seines Deutschtums. 1897 gelang Schönerer ein erstaunlicher politischer Wiederaufstieg. Mit seiner Rückkehr in den Reichsrat und mit der Bildung einer fünf Sitze umfassenden Schönerer-Gruppe gewannen auch die „Alldeutschen“ an Gewicht. Anders als der Alldeutsche Verband in Deutschland19 verfolgte Schönerers Bewegung keine expansiv-imperialistischen Ziele, sondern den Zusammenschluss aller Deutschen in einem Staatsverband. Ihr politischer Kopf feierte Kaiser Wilhelm II. „als Schutzherr[n] der Deutschen in Österreich“,20 attackierte den Vielvölkerstaat der Habsburger und verbrämte alles „durch einen aufgeputschten Rassenantisemitismus“.21 Ihr polterndes Auftreten prägte, ja vergiftete das politische Klima in der Hauptstadt. Der deutschen Botschaft in Wien mochten die „lärmenden“ Anhänger Schönerers zwar „gegen den Strich“ gehen, die österreichischen Alldeutschen insgesamt aber erweckten durchaus Sympathie.22 In antisemitischen Kreisen des Deutschen Reiches
16
Vgl. Pulzer, Entstehung (Anm. 13), S. 188 f. Vgl. Wladika, Schönerers Radikalisierung (Anm. 10), S. 226. Zu Bismarcks Eisenbahnpolitik vgl. Alfred von der Leyen, Die Eisenbahnpolitik des Fürsten Bismarck, Berlin 1914; Uwe Müller, Otto von Bismarck und die Infrastrukturpolitik in Ostelbien vor und nach der ,ordnungspolitischen Wende‘ von 1879, in: Michael Epkenhans/Ulrich von Hehl (Hrsg.), Otto von Bismarck und die Wirtschaft, Paderborn u. a. 2013, S. 121 – 162. 18 Vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 2, S. 434 – 477. 19 Dazu grundlegend Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003. 20 Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 446. 21 Kershaw, Hitler (Anm. 15), S. 67. 22 Konrad Canis, Die bedrängte Großmacht. Österreich-Ungarn und das europäische Mächtesystem 1866/67 – 1914, Paderborn 2016, S. 279. 17
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hingegen war der österreichische Politiker seit Jahren ein gern gesehener Gast und Redner.23 Um seine Popularität weiter zu steigern, übernahm Schönerer 1898 die Finanzierung der von Karl Hermann Wolf, seinem Parteigänger und Idol der deutschen Studenten und Burschenschaften in Österreich, 24 herausgegebenen Zeitung „Ostdeutsche Rundschau“, wobei schon der Titel einer Provokation gleichkam. Denn mit ostdeutsch war die „Ostmark“ gemeint, im Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts die mittelalterliche Markgrafschaft Österreich.25 Im selben Jahr rief Schönerer als Reaktion auf ein Bündnis der katholischen Parteien Österreichs mit den Slawen die „Losvon-Rom“-Bewegung ins Leben und gerierte sich dabei „als gelehrige[r] Schüler Bismarck‘s“.26 Der Einzug von 21 Alldeutschen in den Reichsrat nach den Wahlen von 1901 katapultierte Schönerer auf den Höhepunkt seines politischen Ansehens. Sogar die Berliner Diplomatie schaltete „auf eine auskömmliche Gesprächsbasis“ mit dem Wiener Radikalnationalen.27 Doch schon ein Jahr später endete der Höhenflug. Aufgrund eines Streits mit Wolf28 kam es zu einer Spaltung der Bewegung, 1904 löste sich die Alldeutsche Vereinigung im Wiener Parlament auf. Immer weniger Abgeordnete mochten Schönerers autokratische Führung, sein elitäres Politikverständnis wie auch seinen antikatholischen Kampf noch hinnehmen.29 Auch bei den reichsdeutschen Alldeutschen stieß sein erratisches Auftreten inzwischen vielfach auf Unverständnis. 1907 erhielt er von den Wählern eine ,gesalzene‘ Quittung. Beim ersten Urnengang Österreichs nach dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht30 gewannen die im Deutschen Nationalverband zusammengeschlossenen deutschnationalen und deutschliberalen Gruppen 90 Sitze, doch von den ehedem 21 Alldeutschen verloren 18 ihr Mandat;31 auch Schönerer, der fortan wie ein „lebender politischer Leichnam“ wirkte.32 23
Vgl. ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 17, Friedrich Witte, Vorsitzender des Deutschen Antisemiten-Bundes in Berlin, an Schönerer, 17. 3. 1892; ebd., Vortrag Schönerers vor dem Deutsch-sozialen antisemitischen Verein in Heidelberg, 8. 5. 1892. 24 Zu Wolf vgl. Hamann, Hitlers Wien (Anm. 7), S. 375 – 393. 25 Vgl. ebd., S. 378. 26 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 15, Manuskript Schönerers, o. D., verfasst nach Bismarcks Tod 1898. 27 Höbelt, Kornblume (Anm. 11), S. 327; vgl. Canis, Großmacht (Anm. 22), S. 286. 28 Vgl. Hamann, Hitlers Wien (Anm. 7), S. 381. 29 Vgl. Fest, Hitler (Anm. 14), S. 67. 30 Vgl. Christian Neschwara, „Die Schönerianer und der Abgeordnete Löcker“. Eine Episode aus der Geschichte des allgemeinen Wahlrechts in Österreich, in: Milan Hlavacˇ ka u. a. (Hrsg.), „Die Heimstatt des Historikers sind die Archive“. Festschrift für Lothar Höbelt, Wien/ Köln 2022, S. 463 – 473. 31 Vgl. Wandruszka, Österreich-Ungarn (Anm. 9), S. 385. 32 Whiteside, Georg Ritter von Schönerer (Anm. 6), S. 256.
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Wenngleich er seine Feindschaft zur Habsburger-Monarchie nicht einmal im Krieg milderte, nahm er die erneute Nobilitierung durch Kaiser Karl 1917 gern an. Denn noch wichtiger als der Kampf gegen die Dynastie war ihm die Entfernung des so empfundenen Schandflecks von seinem Familiennamen.33 Obwohl sein Traum von der Anbindung der deutsch-sprachigen Teile der Habsburger-Monarchie an das Deutsche Reich auf den Pariser Friedenskonferenzen von 1919 nicht in Erfüllung gehen sollte,34 lebte Schönerer nach seinem Tod 1921 in deutschnationalen und nationalsozialistischen Kreisen als Legende weiter. Ob Schönerer als Hitlers geistiger Vater betrachtet werden kann35 oder doch ,nur‘ als ein ideologischer Wegbereiter seines Antisemitismus,36 ist in der Geschichtswissenschaft umstritten. Kein Zweifel besteht jedoch darüber, dass Hitler sich von Schönerers Deutschnationalismus und von seinem Judenhass hat einnehmen lassen.37 III. Schönerer und Bismarck Wie bereits dargelegt, hatte sich Schönerer während seiner aktiven Zeit als Reichsratsabgeordneter in seinen politischen Forderungen wiederholt explizit auf Bismarck berufen, sei es in Bezug auf die Sozialgesetzgebung, die Verstaatlichung der Nordbahn oder die Legitimierung der „Los-von-Rom“-Bewegung. Dort, wo er nicht mit ihm übereinstimmte, etwa bei der Balkanpolitik, ging er offenbar stillschweigend darüber hinweg. Dies gilt auch für sein Kernthema, den Antisemitismus. Warum, lässt ein umfangreiches Manuskript erahnen, das Schönerer nach Bismarcks Tod unter Einbeziehung mannigfacher Quellen verfasst hat. Darin begrüßt er zwar dessen ablehnende Stellungnahme zur Judenemanzipation im preußischen Landtag 1847,38 bedauert aber zugleich, dass Bismarck „an die Lösung der Judenfrage nicht erfolgreich [habe] herantreten“ können, weil der Reichstag zu wenige „offene Antisemiten zählte“. In dialektischer Diktion billigt er dem Reichskanzler jedoch zu, eine „günstige Lösung der Judenfrage angebahnt [zu haben], indem er soziale Reformgesetze auf nationaler Grundlage zu Gunsten der arbeitenden Klasse schuf“ und damit für die Arbeiter den Boden ebnete, „sich von ihren jüdischen Führern“ zu befreien.39 33
Vgl. ebd., S. 255. Vgl. Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918 – 1923, München 2018, S. 1051 – 1053. 35 Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1955, S. 71 f. 36 Vgl. Lothar Höbelt, Schönerer, Georg von, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 406 – 407; https://www.deutsche-biographie.de/pnd118610163.html#ndbcontent (abgerufen am 1. 8. 2021). 37 Vgl. Kershaw, Hitler (Anm. 15), S. 99. 38 Vgl. Rede Bismarcks in der Kurie der drei Stände, 15. 6. 1847, in: [Otto von] Bismarck, Die gesammelten Werke (Friedrichsruher Ausgabe), Bd. 10 Reden 1847 bis 1869. Bearb. von Wilhelm Schüßler, Berlin 1928, S. 8 – 12, S. 10. 39 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 15, Manuskript Schönerers, o. D., verfasst nach Bismarcks Tod. 34
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Schönerers vereinzelte und in ihrer historischen Tragfähigkeit mitunter fragwürdige Bismarck-Referenzen geben seine Wertschätzung nur unzureichend wieder. Welch‘ glühender Verehrer des Eisernen Kanzlers er war, zeigte der Reichsratsabgeordnete erstmals 1885, als er zu dessen 70. Geburtstag im Wiener Sophien-Saal eine Bismarck-Feier veranstaltete und ihm postalisch im Namen der dort versammelten „drei Tausend Gleichgesinnten“ zu seinem „Jubeltage“ gratulierte.40 Damit nicht genug, beteiligte er sich mit Gleichgesinnten auch an einer im Deutschen Reich damals durchgeführten „Bismarckspende“,41 deren Erlös Bismarck dazu diente, Gut Schönhausen II zurückzukaufen, das seine Eltern in den 1830er-Jahren hatten veräußern müssen, um Schulden abzuzahlen.42 Zentrale Elemente der Schönerer‘schen Politik, seine Affinität zum Linksliberalismus, sein ungestümer Deutschnationalismus, die „Los-von-Rom“-Bewegung oder der Rassenantisemitismus, konnten Bismarck politisch nicht behagen. Gehörte ein freundschaftliches Verhältnis zu Österreich-Ungarn schon seit der Reichsgründung zu den unumstößlichen Gesetzen seiner Politik, war der Friede mit Rom spätestens seit dem Ende des Kulturkampfes Mitte der 1880er-Jahre für ihn nicht mehr verhandelbar. In Bismarcks Verhalten gegenüber dem Judentum mag es manche Ambivalenz gegeben haben, ein „kompromißlose[r] ,Rassen-Antisemit‘“ wie Schönerer43 war er gewiss nicht.44 Wie Bismarck damals über Schönerer persönlich dachte, ist nicht bekannt, wohl aber sein Urteil über dessen Bewegung. In einem Erlass an den deutschen Botschafter in Wien, Prinz Heinrich VII. Reuß, meinte er nach der Gründung des Deutschen Klubs im Wiener Abgeordnetenhaus 1885 eher abschätzig, für die „Kornblumen“ hege er aufgrund ihrer Vorstellungen von parlamentarischer Regierung ebenso wenig Sympathie wie für die „Herbstzeitlosen“ des früheren Chefs der Liberalen Eduard Herbst.45 Ein Jahr darauf beklagte er sich beim österreichischen Außenminister „lebhaft [über] das intempestive Vorgehen des ,Deutschen Clubs‘“.46 Kurz darauf runzelte er Reuß gegenüber vernehmlich die Stirn, weil der Botschafter das Protek40 Ebd., Karton 16, Schönerer an Bismarck, [1. 4. 1885]. Vgl. Heinrich Schnee, Georg Ritter von Schönerer. Ein Kämpfer für Alldeutschland, Reichenberg 1940, S. 137. 41 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16, Rudolf von Gneist an Schönerer, 8. 4. 1884 sowie etliche Spendenbescheinigungen Schönerers. 42 Vgl. Bismarck an Wilhelm I., 4. 4. 1885, in: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke (Neue Friedrichsruher Ausgabe), Abt. III Schriften 1871 – 1898, Schriften Bd. 6 1884 – 1885. Bearb. von Ulrich Lappenküper, Paderborn 2011, S. 548; ders. an dens., 4. 4. 1885, in: ebd., S. 549; ders. an dens., 13. 6. 1885, in: ebd., S. 616 – 618. 43 Höbelt, Kornblume (Anm. 11), S. 354. 44 Vgl. pars pro toto Fritz Stern, Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Frankfurt am Main/Berlin 1978. 45 Bismarck an Reuß, 7. 7. 1885, in: Bismarck, NFA (Anm. 42), Abt. III, Bd. 6, S. 635 f., S. 636. 46 Herbert von Bismarck an Reuß, 4. 2. 1886, in: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke (Neue Friedrichsruher Ausgabe), Abt. III Schriften 1871 – 1898, Schriften Bd. 7 1886 – 1887. Bearb. von Ulf Morgenstern, Paderborn 2018, S. 50.
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torat über einen nach dem Niederwalddenkmal benannten Verein der Reichsdeutschen in Wien übernommen hatte.47 Es dürfte dem Reichskanzler nicht entgangen sein, dass es im Deutschen Klub auch wegen seiner Person schon bald zu brodeln begann. Denn neben den Verehrern vom Schlage Schönerers gab es dort auch Abgeordnete, die in Bismarck noch immer den Mann von 1866 sahen. Zwar rückte bei Schönerer die Bismarck-Verehrung zeitweise hinter den Antisemitismus „in die zweite Reihe“ seiner politischen Forderungen,48 ablassen mochte er von ihr aber nicht – im Gegenteil. Trotz seines tiefen Sturzes infolge der Haftstrafe initiierte er 1888 aus Anlass des „ersten machtvollen Auftreten[s] der Germanen in der Weltgeschichte“ 2000 Jahre zuvor unter den Deutschnationalen eine Kampagne zur Absendung von Huldigungsschreiben an Bismarck, den „nationalsten und grössten deutschen Staats- und Volksmann“.49 Seit dem Sturz des Reichskanzlers 1890 sollte Schönerer seine Kontakte nach Friedrichsruh deutlich intensivieren. Der ehemalige Reichsratsabgeordnete sandte dem Reichskanzler a. D. nicht nur ein Exemplar des Jahresberichts über die Tätigkeit des von ihm, Schönerer, geleiteten Deutschen Volksvereins in Wien für 1890/91,50 er schickte seinem Idol auch den Text einer im Herbst 1891 gehaltenen Rede vor dem Tiroler Bauernverein zu Oberhofen, in der er Bismarck als Vorbild eines bauernfreundlichen Staatsmannes gerühmt hatte.51 Anfang 1892 ging in Friedrichsruh ein Zeitungsartikel über Schönerers Rede in Bischofswerda vom 25. Januar ein, in der er beteuert hatte, dass den national gesinnten Deutschösterreichern „die Thaten des eisernen Kanzlers stets unvergessen bleiben werden“. Nicht unlieb dürfte dem Absender gewesen sein, dass der Artikel herausstellte, wieviele Briefe und Depeschen an Schönerer zu dieser Ansprache mit dem dreifachen Jubelruf „Heil Bismarck! Heil Schönerer! Hurrah Germania“ endeten.52 Regelmäßig nutzte Schönerer die Geburtstage Bismarcks, um sich in Friedrichsruh in Erinnerung zu rufen. Am 1. April 1891 gratulierte er ihm im Namen von „hunderten deutschnational fühlender Ostmärker“ aus Wien.53 Ein Jahr darauf beglückwünschte er auf telegraphischem Wege persönlich mit den Worten „Heil dem Fürsten Otto v. Bismarck! Dreimal Heil“.54 Wenige Tage später erinnerte Schönerer den Ver47
Vgl. ders. an dens., 21. 2. 1886, in: Bismarck, NFA (Anm. 46), S. 61 f. Wladika, Schönerers Radikalisierung (Anm. 10), S. 229. 49 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16, Rundschreiben Schönerers, o. D., nebst Entwurf des Huldigungsschreibens, 24. 6. 1888. Welches konkrete historische Ereignis Schönerer dabei im Blick hatte, erwähnt er nicht. 50 OBS, Bismarck-Archiv, A 119, Jahres-Bericht über die Thätigkeit des Deutschen Volksvereins, Horn 1891. 51 Ebd., Sonderdruck aus der Innsbrucker „Neuen Inn-Zeitung“, 15./22. 10. 1891. 52 Ebd., Erste Beilage zu Nr. 10 des „Sächsischen Erzählers“, 3. 2. 1892. Der Heil-Gruß wird hier nicht im altnordischen Sinn, sondern als politisches Zeichen der Opposition zur kleindeutschen Lösung von 1866/71 verstanden. 53 Ebd., A 112, Schönerer an Bismarck, 2. 4. 1891. 54 Ebd., A 119, Schönerer an Bismarck, 28. 3. 1892. 48
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band Graz des Germanenbundes an Bismarcks Ehrentag und schloss das Telegramm mit „Heil Alldeutschlands größtem Sohne!“ ab. Da der Telegrafenbeamte in Graz die Weiterleitung des Schriftstücks verweigerte, zwei weitere Telegramme von Schönerer nach Dresden und Freilassing mit demselben Inhalt hingegen befördert wurden, kam es Ende April 1892 zu einer Interpellation im österreichischen Abgeordnetenhaus.55 Bismarck wahrte zu all diesen Aktivitäten eine auffällige Distanz. Dass er auf Schönerers Huldigungsschreiben zwar „äußerst kühl“, aber dennoch geantwortet habe, wie die österreichische Historikerin Brigitte Hamann behauptet,56 ist quellenmäßig nicht belegt. Weder im Friedrichsruher Bismarck-Archiv noch in den nachgelassenen Papieren Schönerers in Wien lassen sich aus diesem Zeitraum Depeschen des Alt-Reichskanzlers auffinden. Charakteristisch für Bismarcks Einstellung gegenüber Schönerer mag sein Verhalten anlässlich der Hochzeit seines Sohnes Herbert mit der aus ungarischem Adel stammenden Marguerite Hoyos in Wien Mitte Juni 1892 gewesen sein.57 Am Abend der Ankunft des hohen deutschen Gastes kam es in der österreichischen Hauptstadt zu deutschnationalen und antisemitischen Exzessen, die ein Eingreifen der Polizei erforderlich machten.58 Tags darauf fuhren 60 Wagen mit deutschnationalen Studenten und Verbänden beim Alt-Reichskanzler vor, um Einlass zu erbitten – vergeblich. Auch Schönerer versuchte, empfangen zu werden, ohne Erfolg.59 Während Bismarck die Huldigungen an den deutschen Orten seiner Rundfahrt durchaus genoss, waren sie ihm auf österreichischem Boden offenbar nicht recht, wie auch ein Vorfall auf seiner Rückreise belegt. Als ein deutschliberaler Verehrer ihn bei einem Zwischenhalt in Linz als „größten Mann des Deutschen Reiches“ rühmte, verlangte der Ex-Reichskanzler, lediglich als „Begründer des Bündnisses zwischen Österreich und Deutschland“ gewürdigt zu werden.60 Schönerer ließ sich durch Bismarcks Reserviertheit in seinem Tatendrang nicht entmutigen. Zu dessen 78. Geburtstag dachte er sich eine besondere Ehrung aus, 55
Zitiert in: Johs. Penzler (Hrsg.), Fürst Bismarck nach seiner Entlassung. Leben und Politik des Fürsten seit seinem Scheiden aus dem Amte auf Grund aller authentischen Kundgebungen, Bd. 3, Leipzig 1897, S. 203. 56 Hamann, Hitlers Wien (Anm. 7), S. 339. 57 Vgl. Penzler (Hrsg.), Fürst Bismarck nach seiner Entlassung (Anm. 55), Bd. 3, S. 311 – 328. 58 Vgl. Reuß an Reichskanzler Leo von Caprivi, 21. 6. 1892, in: Otto Gradenwitz, Akten über Bismarcks großdeutsche Rundfahrt vom Jahre 1892, Heidelberg 1921, S. 20 f.; Penzler (Hrsg.), Fürst Bismarck nach seiner Entlassung (Anm. 55), Bd. 3, S. 345. Schon Anfang Juni hatte Schönerer über seinen Vertrauten Carl Iro die Deutschnationalen Wiens dazu aufgerufen, während der Anwesenheit Bismarcks eine Kundgebung für den „Stifter des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes neuerstandener Herrlichkeit“ durchzuführen: ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16, Rundschreiben Iro, Juni 1892. 59 Vgl. Reuß an Caprivi, 23. 6. 1892, in: Gradenwitz, Akten (Anm. 58), S. 21 f. 60 Zitiert nach: Penzler (Hrsg.), Fürst Bismarck nach seiner Entlassung (Anm. 55), Bd. 3, S. 321.
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indem er für die Ostmärker das Muster eines Glückwunschschreibens drucken ließ, das dann Hunderte von ihnen einzeln signiert Ende März 1893 nach Friedrichsruh schickten.61 Auch Schönerer und seine Frau bedienten sich eines der Formulare.62 Für die folgenden drei Jahre sind im Bismarck-Archiv keine persönlichen Geburtstagsglückwünsche von ihm überliefert. Aus Schönerers nachgelassenen Papieren kann aber rekonstruiert werden, dass er von Wien aus abermals mit vorgedruckten Karten daraufhin wirkte,63 dass die Deutschnationalen dem Alt-Reichskanzler in „Dankbarkeit und Treue“ gratulierten.64 1896 gründete Schönerer Bismarck zu Ehren eine Arbeiterzeitung, der er in Anlehnung an das Bild vom Reichsschmied den Namen „Der Hammer“ gab; gedruckt wurde das Blatt auf der Titelseite mit einem Spruch Bismarcks zur Sozialpolitik.65 Zur Mitte des Jahres begab sich eine Gruppe von Anhängern Schönerers – allem Anschein nach ohne ihren Anführer – nach Friedrichsruh, um dem Alt-Reichskanzler einen aus Eichenholz und Eisen hergestellten Schild mit der Umschrift eines Schönerer-Zitats zu überreichen.66 Bismarck wahrte bezeichnenderweise abermals seine Reserviertheit. Er begrüßte die Gäste, angeblich wegen Unwohlseins, lediglich bei der Ausfahrt mit der Kutsche vom Schlosshof, bedankte sich aber einige Wochen später bei einem der Teilnehmer schriftlich für die Gabe.67 Bis zu seinem Tod am 30. Juli 1898 sollte Bismarck an Schönerer nur ein einziges Schreiben richten, und auch das nicht an ihn persönlich. Nachdem ihn Ende März 1898 ein letzter Geburtstagsgruß des im Vorjahr wiederge61
Vgl. die Eingaben in: OBS, Bismarck-Archiv, A 132 u. 133. Ebd., A 132, Georg und Philippine Schönerer an Bismarck, o. D. [März 1893]. 63 Vgl. die Aufrufe Schönerers und Vordrucke von 1893, 1894 u. 1895, in: ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16. 64 OBS, Bismarck-Archiv, A 138, Schriftleiter Meidling an Bismarck, 31. 3. 1894. 65 Zum Herausgeber ernannte Schönerer seinen Verehrer Franz Stein, der bereits 1888 von ihm mit der Aufgabe betraut worden war, eine alldeutsche Arbeiterbewegung aufzubauen; vgl. Hamann, Hitlers Wien (Anm. 7), S. 365 – 367. Das Blatt ist nicht zu verwechseln mit der vom deutschen völkisch-antisemitischen Publizisten Theodor Fritsch seit 1902 herausgegebenen Zeitschrift gleichen Namens; vgl. Michael Bönisch, Die „Hammer“-Bewegung, in: Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871 – 1918. Hrsg. von Uwe Puschner u. a., München 1996, S. 341 – 365. 66 Der Spruch lautete: „Um unsere Zukunft als Angehörige des großen deutschen Volkes braucht uns unter keinen Umständen jemals bange sein (Schönerer).“ Der Schild ist abgebildet in: A. de Grousilliers (Hrsg.), Das Bismarck-Museum in Bild und Wort. Ein Denkmal deutscher Dankbarkeit, Leipzig o. O., Tafel 112 (nach S.160). Über das Datum der Übergabe herrscht in der Literatur eine gewisse Verwirrung. Penzler nennt den 24. 7. 1895, Pichl gibt mal 1896, mal 1897 als Jahr der Übergabe an: ders., Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 129 u. 345. Das korrekte Datum kann einer Abbildung im Nachlass Pichl entnommen werden, auf der sowohl der Tag mit dem „19. des Heumonds 1896“ angegeben als auch der Text des Danktelegramms von Bismarck im Faksimile wiedergegeben wird: ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16. Vgl. zur Übergabe in Friedrichsruh auch den Artikel von W. Ph. Hauck, in: „Bezirks-Bote für Favoriten und die Wieden“, 1. 8. 1896, ebd. 67 S. Bismarck an Heinrich Diezel, 24. 7. 1895 [sic!], in: Johs. Penzler (Hrsg.), Fürst Bismarck nach seiner Entlassung. Leben und Politik des Fürsten seit seinem Scheiden aus dem Amte auf Grund aller authentischen Kundgebungen, Bd. 7, Leipzig 1898, S. 86. 62
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wählten Reichsratsabgeordneten sowie weiterer Mitglieder der Schönerer-Gruppe im Wiener Parlament erreicht hatte, sandte der Jubilar allen Gratulanten Ende April ein zweizeiliges Danktelegramm.68 IV. Schönerer und die Nachkommen Bismarcks Ob Schönerer darunter gelitten hat, dass er seinem Idol nie persönlich begegnete, ist nicht überliefert. Der Gedanke erscheint aber keineswegs abwegig, denn kaum vier Wochen nach dem Ableben des Alt-Reichskanzlers rief der österreichische Abgeordnete seine Anhänger in seiner Zeitschrift „Unverfälschte Deutsche Worte“ zu einer alljährlichen Fahrt zur Grabstätte in Friedrichsruh auf.69 Dem schon seit Bismarcks Rücktritt 1890 bestehenden deutschen Wallfahrttourismus in den Sachsenwald70 gab er damit eine österreichische Note. In einem 67-seitigen, möglicherweise als Buch geplanten, mit zahlreichen Originalzitaten seines Idols gespickten Manuskript rühmte Schönerer das Leben des Eisernen Kanzlers nun als „gewaltigen ehrlichen Kampf im Bunde mit allen guten und edlen Deutschen […] gegen die bösen und schlechten Instinkte des deutschen Volkes“.71 Noch ehe Bismarck seine letzte Ruhestätte im Friedrichsruher Mausoleum gefunden hatte, setzte Schönerer seinen Plan mit einigen Getreuen um und durfte im November 1898 mit Erlaubnis von Bismarcks Sohn Herbert sogar zu dem im Schloss aufgebahrten Sarg.72 Seit der Umbettung des Leichnams im Frühjahr 1899 reisten die Schönerianer mit ihrem Chef dann regelmäßig am Tag vor dem Totensonntag in den Sachsenwald, besuchten die Gruftkapelle und nahmen abends in Hamburg an Veranstaltungen des Jungdeutschen Bundes zu Ehren Bismarcks teil. Da Schönerer die Anzahl seiner Begleiter nach den ersten drei Touren zu gering anmutete, appellierte er 1901 an die Leitung der deutschvölkischen Vereine der Ostmark, dass bei der nächsten Fahrt nach „Bismarcksruh kein deutschvölkischer Verein unvertreten“ sein dürfe.73 Bismarcks Familie war der von den Schönerianern betriebene Kult um ihren großen Ahnen offenbar nicht unlieb. Die vom Eisernen Kanzler stets gewahrte Distanz zum österreichischen Alldeutschen und Antisemiten verschwand. 1903 begrüßte 68 Vgl. OBS, Bismarck-Archiv, A 188, Schönerer u. a. an Bismarck, 31. 3. 1898, ebd., Bismarck an Schönerer u. a., 21. 4. 1898; Texte ohne Datumsangabe abgedruckt in: Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 346. 69 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16, Aufruf Schönerers im Sonderdruck der „Unverfälschte[n] Deutsche[n] Worte“, 1. 9. 1898. 70 Vgl. Ulrich Lappenküper, Otto von Bismarck – eine Jahrhundertgestalt und ihre fortdauernde Aktualität, in: Lüneburger Blätter 35 (2016), S. 219 – 232. 71 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 15, Manuskript Schönerers, o. D., nach Bismarcks Tod verfasst. 72 Zu den Fahrten der Schönerianer nach Friedrichsruh zusammenfassend Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 341 – 346. 73 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16, Schönerer an die Vereinsleitung, September 1901.
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Herbert von Bismarck die Schönerianern persönlich vor dem Mausoleum und hielt eine kurze Ansprache.74 Nach Herberts frühem Tod im September 1904 übernahm seine Witwe Marguerite von Bismarck das Regiment in Friedrichsruh75 und gestattete ohne Zögern die Fortsetzung der Besuche ihres habsburgischen ,Landsmannes‘. 1905 sandte ihr Sekretär, Weishaar, Schönerer sogar Weihnachtsgrüße und legte zur Erinnerung an dessen letzte Friedrichsruh-Visite ein Foto der Fürstin „mit den 3 Stammhaltern der Familie“ bei.76 Schönerers Bismarck-Kult nahm derweil immer ausgeprägtere Formen an. Mit unermüdlichen Initiativen regte er in der Habsburger-Monarchie Straßenbenennungen nach Bismarck und das Aufstellen von Denkmälern an, die von der Größe Bismarck‘scher Taten künden sollten.77 Nach dem Verlust des Reichsratsmandats 1907 begann der Schlossherr unweit von Rosenau mit den Bauarbeiten zu einem granitenen Bismarck-Turm, der Mitte Juni 1908 eingeweiht wurde.78 1910 beteiligte er sich mit einer finanziellen Gabe am Spendenaufruf zum Bau eines Bismarck-Nationaldenkmals in Berlin.79 In öffentlichen Verlautbarungen rief er „im Geiste Bismarcks“ zur Verschärfung des Kampfes gegen „die schwarzen und roten Feinde“ und zur Fortsetzung der „germanische[n] Welt- und Lebensanschauung“ auf. „Daher: Los von Juda! Und: Los von Rom!“80 Ganz in diesem Sinne radikalisierte sein „letzter Jünger“ Franz Stein81 die Linie der Zeitung „Der Hammer“ und versah das Titelblatt nun mit einem Bismarck-Spruch über die revolutionäre Gefahr der Sozialdemokratie.82 Schönerers Friedrichsruh-Touren verliefen derweil in den üblichen Bahnen mit dem Gedenken im Mausoleum und der Teilnahme an den vom Jungdeutschen
74 Auf Anordnung von Marguerite von Bismarck wurde der Text der Ansprache vom 21. 11. 1903 nicht in die von Johannes Penzler besorgte Edition der Reden ihres Mannes aufgenommen: Vgl. OBS, Bismarck-Archiv, M 35, Penzler an Marguerite von Bismarck, 20. 11. 1904; ebd., Marguerite von Bismarck an Penzler, 21. 11. 1904; Johannes Penzler [Hrsg.], Fürst Herbert von Bismarcks politische Reden. Gesamtausgabe, Berlin/Stuttgart 1905. 75 Andrea Hopp, Im Schatten des Staatsmanns. Johanna, Marie und Marguerite von Bismarck als adlige Akteurinnen (1824 – 1945), Paderborn 2022, S. 301 – 497. 76 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 39, Weishaar an Schönerer, 21. 12. 1905. 77 Vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 58 u. 346 – 351; s. a. die Rede Schönerers zur Enthüllung einer Bismarck-Tafel im Kurhaus von Salzburg, 1. 9. 1901, im Auszug in: ebd., S. 98 – 100. 78 Vgl. Sieglinde Seele, Lexikon der Bismarck-Denkmäler: Türme, Standbilder, Büsten, Gedenksteine und andere Ehrungen. Eine Bestandsaufnahme in Wort und Bild, Petersberg 2005, S. 334 f.; Hamann, Hitlers Wien (Anm. 7), S. 340. 79 ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 15, Geschäftsstelle zur Errichtung eines Bismarck-Nationaldenkmals an Schönerer, 26. 10. 1910. 80 „Alldeutsches Tagblatt“, 21. 7. 1909, zitiert nach: Hamann, Hitlers Wien (Anm. 7), S. 337. 81 Ebd., S. 364; zu Stein vgl. das ihm gewidmete Kapitel ebd., S. 364 – 375. 82 Vgl. ebd., S. 372.
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Bund zu Hamburg ausgerichteten Bismarck-Feiern.83 1911 aber sollte eine den Alldeutschen nahestehende Seite versuchen, seinen Besuch zu vereiteln. Über die Presse wurde Marguerite von Bismarck die Nachricht zugespielt, dass Schönerianer und Sozialdemokraten vor den letzten Reichsratswahlen ein Wahlbündnis abgeschlossen hätten. Nachdem Schönerer prompt seinen Austritt aus dem Alldeutschen Verband verkündet hatte, gewährte die Fürstin ihm nicht nur demonstrativ den Zugang zum Mausoleum, sie ließ sogar abermals das ehemalige Arbeits- und Sterbezimmer ihres Schwiegervaters zur Besichtigung herrichten.84 Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sah Schönerer von Wallfahrten in den Sachsenwald ab, vielleicht auch deshalb, weil seine Frau Philippine im November 1913 auf dem Rückweg von Friedrichsruh verstorben war.85 Als Quasi-Ersatz ließ er an Bismarcks Geburtstagen 1915 und 1918 in Wien ihm zu Ehren Feiern abhalten,86 1915 außerdem in Friedrichsruh einen Kranz mit Kornblumen am Sarkophag niederlegen. Nach dem Ende des Krieges nahmen die Schönerianer die Tradition zwar 1920 wieder auf, allerdings ohne ihren Anführer, der sich durch Franz Stein vertreten ließ. Mit Schönerers Tod 1921 setzten sie die Besuche für zehn Jahre aus. Erst 1931 fand auf Anregung des Alldeutschen Vereins „Schönerer“ unter Beteiligung der Wiener Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes wieder eine Sachsenwaldfahrt statt.87 V. Der Bismarck-Gedenkstein und das Schönerer-Grab in Aumühle Einen bizarren Höhepunkt von Schönerers ganz eigenem Bismarck-Kult markierten die Enthüllung des von ihm gestifteten Gedenksteins in Aumühle und seine Grablegung auf dem dortigen Friedhof. Schon 1899 hatte Schönerer unter den Ostmärkern eine Spendensammlung zur Errichtung eines Bismarckdenkmals gestartet.88 Ursprünglich dachte er an eine Büste in Krems, dann an einen Turm in Graz.89 Nachdem beide Projekte nicht zustande gekommen waren, unternahm Schönerer 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, einen neuen Anlauf. Mit festem Blick auf Bismarcks 100. Geburtstag bat er die „alldeutschen Bismärcker in der österreichischen Ostmark“ um eine Spende für ein „Malzeichen […] als dauerndes Sinnbild unserer Treue und 83 OBS, Bismarck-Archiv, A 78, Bruckmayr an Weishaar, 29. 10. 1906; ebd., A 79, ders. an dens., 11. 10. 1907; ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16, Festprogramm der Bismarckfeiern vom 19. 11. 1910. 84 Vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 344 f. u. 361. 85 Vgl. Wladika, Hitlers Vätergeneration (Anm. 12), S. 625 f. 86 Vgl. die Unterlagen zu den Feiern 1913, 1915 und 1918, in: ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16. 87 Vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 352 f. 88 Vgl. Aufruf Schönerers, in: „Unverfälschte Deutsche Worte“, 1. 8. 1899, in: ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16; die Unterlagen zum Spendenaufruf vom Frühsommer 1899, ebd. 89 Vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 352.
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Dankbarkeit“. Schönerer hoffte, mit den Vorarbeiten möglichst rasch zu beginnen, „damit das Denkmal bald nach erfolgreicher Beendigung des Krieges errichtet werden könne“.90 Als Ort des Geschehens schwebte ihm nunmehr sein langjähriger Wallfahrtsort Friedrichsruh vor. Ehererbietigst wandte er sich am 1. März 1915 an den Privatsekretär Marguerite von Bismarcks mit der Bitte, bei ihr als Fürsprecher für die Errichtung eines Gedenksteines „nach dem Kriege“ aufzutreten.91 Zwei Wochen später kam die ernüchternde Antwort: Im Auftrag der Fürstin teilte Sekretär Doerbandt mit, dass es nicht leicht sein dürfte, in Friedrichsruh eine würdige Stelle zu finden. Denn ein Platz auf dem Gebiet der Gruftkapelle könne keinesfalls zur Verfügung gestellt werden, um nicht zukünftigen Privatgesuchen einen Präzedenzfall zu bieten.92 Schönerer ließ sich von der Rückmeldung nicht ermutigen und beauftragte seinen „Gesinnungsgenossen“93 Leo von Moos mit der Herstellung des Denkmals.94 Der Salzburger Bildhauer schuf einen aus drei Teilen bestehenden wuchtigen Gedenkstein aus „Untersberger Marmor“,aus dem auch der Sarkophag Bismarcks angefertigt worden war.95 Auf ein massiges Fundament setzte er einen glattgeschliffener Quader mit kupferner Faust und martialischer Inschrift sowie darüber ein von zwei Adlern über einem Bismarck-Kopf gekröntes Hauptstück.96 Gut fünf Jahre später traf Moosens Denkmal im Sachsenwald ein, nicht bei Marguerite von Bismarck, sondern beim Hamburger Kaufmann Emil Specht, der im Hause Bismarck bestens bekannt war. Specht hatte 1897 von Otto von Bismarck ein Waldstück erworben und darauf die Aumühler Villenkolonie Sachsenwald-Hofriede sowie einen Bismarck-Turm gebaut,97 in dem er eine Bismarck-Bibliothek und eine Ausstellung mit Leihgaben der Fürstin einrichtete.98 Offenbar fasziniert von Schönerers Plan, machte er sich zu dessen Vollstreckungsgehilfen und stellte ihm 90 OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Aufruf Schönerers an die alldeutschen Bismärcker in der österreichischen Ostmark, o. D. Die von Franz Stein in seiner Schönerer-Biografie aufgestellte Behauptung, der „Rufer der Ostmark“ habe das Denkmal bereits 1915 aufstellen wollen, entspricht also nicht den Tatsachen: Franz Stein, Der Rufer der Ostmark. Georg von Schönerers Leben und Kampf, Wien 1941, S. 49. 91 OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Schönerer an L. Doerbandt, 1. 3. 1915. 92 Ebd., Doerbandt an Schönerer, 12. 3. 1915. 93 Ebd., Artikel von Franz Stein in: „Wiedervergeltung. Bismarcktreue Alldeutsche Blätter“, Ostermond 1921; vgl. Hering, Konstruierte Nation (Anm. 19), S. 266, Anm. 220. 94 Moos hatte von Schönerer bereits den Auftrag erhalten, eine Bismarck-Büste für den Deutschen Heldenhain in Kaltenbach herzustellen, die aufgrund des Krieges nicht zur Realisierung gelangte; vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 351 f. 95 Vgl. OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Artikel von Franz Stein in: „Wiedervergeltung. Bismarcktreue Alldeutsche Blätter“, Ostermond 1921. 96 Die Inschrift lautet: „In gewaltiger Zeit nahen wir Dir Bismarck! Dein Werk, dein Wollen ist unser Weg, Alldeutschland das Ziel.“ Vgl. das undatierte Foto im Gemeindearchiv Aumühle, Fotobestand 101.194. 97 Vgl. Seele, Lexikon (Anm. 78), S. 42; Greth Ingel von Tümpling, Aumühle im Sachsenwald, Schwarzenbek 1976, S. 116 – 122. 98 OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Specht an Marguerite von Bismarck, 10. 3. 1915; ebd., Auflistung der Leihgaben Spechts, 25. 3. 1915.
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ein Areal zur Verfügung. Passend zum Sedantag, dem 2. September 1920, ließ Specht den Gedenkstein in einem Birkenwäldchen am Bismarck-Turm aufstellen und „zum Schutz gegen Frevel“ zunächst mit Holz verkleiden. Nachdem er sich über Franz Stein erkundigt hatte, wie Schönerer die Enthüllungsfeierlichkeiten wünsche,99 sandte er Fürstin Marguerite Ende Dezember Fotos vom Denkmal und versicherte ihr, dass er bis zu der von Schönerer geplanten Feier am 1. April 1921 noch „eine hübsche gärtnerische Anlage“ anlegen lasse.100 Wie vorgesehen, fand die Zeremonie an Bismarcks 106. Geburtstag statt, in Anwesenheit einer von Stein geführten kleinen Delegation alldeutscher Ostmärker wie auch Marguerite von Bismarcks und Emil Specht, aber ohne Schönerer, der die Fahrt von Niederösterreich in den Sachsenwald aus gesundheitlichen Gründen nicht hatte antreten können.101 Stein begab sich daher umgehend auf das Schloss seines Förderers und sandte Fürstin Bismarck am 3. Mai102 von Rosenau aus einen von ihm verfassten Zeitungsartikel, in dem er die Enthüllung des Denkmals als „sichtbares Zeichen unverlöschten Dankes der alldeutschen Ostmärker“ rühmte. Als besonders verdienstvoll würdigte er Emil Specht, „der selbstlos dem Denkmal eine Stätte gab im Sachsenwald“.103 Dank der Angaben Steins können alle bis auf den heutigen Tag im Sachsenwald zirkulierenden Angaben über das Datum der Aufstellung als widerlegt gelten. Die Enthüllung fand weder 1923104 noch 1924 statt105 und wurde auch nicht „1923/24 von der Schönerer-Gesellschaft gestiftet“,106 sondern von Alldeutschen aus der Ostmark. Schönerer hatte der Feier, wie erwähnt, nicht beiwohnen können. Am 14. August 1921 starb er auf Schloss Rosenau und verließ diese Welt in der Hoffnung, seine letzte Ruhe in der Nähe Bismarcks zu finden. Ursprünglich hatte er sich im Schlosspark von Rosenau beerdigen lassen wollen, dann aber testamentarisch die Überführung seines Leichnams nach Aumühle festgelegt, wohl von der Sorge geplagt, dass sein 99
ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 15, Specht an Stein, 8. 9. 1920. OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Specht an Marguerite von Bismarck, 16. 12. 1920, nebst Anlage; s.a. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 353. 101 OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Stein an Marguerite von Bismarck, 22. 4. 1921. In Vertretung von Schönerer nahmen Stein, Sepp Melchiar aus Linz, Franz Vogel aus Reichenberg und ein Herr Liensberger aus Innsbruck teil: Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 353. 102 OBS, Bismarck-Archiv, A 80, Stein an Marguerite von Bismarck, 3. 5. 1921. 103 Ebd., Artikel von Franz Stein in: „Wiedervergeltung. Bismarcktreue Alldeutsche Blätter“, Ostermond 1921. Die Verbundenheit der Deutschnationalen zu Specht spiegelt auch ein Nachruf auf ihn vom 19. 7. 1926 wider, in: ÖStA, AVA, NL Pichl, Karton 16. Stein blieb Friedrichsruh weiterhin verbunden, wie die Tatsache belegt, dass er 1930 die Gedächtnisrede anlässlich der Gedenkfeier der Alldeutschen zu Bismarcks 115. Geburtstag hielt: vgl. Hering, Konstruierte Nation (Anm. 19), S. 266, Anm. 220. 104 Vgl. Privatarchiv Neinass, Presse- und Informationsdienst Neinass, 13. 9. 2016. 105 Vgl. ebd., Leserbrief Erich de Vivanco, in: „Schwarzenberger Anzeiger“, 8. 3. 2000. 106 Ebd., Bürgermeister Dieter Giese an die Gemeindevertretung von Aumühle, 6. 10. 2000. 100
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Grab dereinst in „Judenhände“ fallen könnte.107 Denn da neben seiner Frau auch sein einziger Sohn verstorben war, hatte er keine direkten Erben.108 Sein Wunsch blieb zunächst unerfüllt. Aber ein Jahr nach seinem Begräbnis in Österreich fand sich mit Emil Specht ein Gönner, der eine Grabstelle auf dem Aumühler Friedhof erwarb.109 Der Kirchenvorstand der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde hatte der Bestattung in einem „Ehrengrab“ „auf Friedhofsdauer“ zugestimmt. Die Beisetzung in der gemauerten Gruft fand am 1. April 1922 statt, in Verbindung mit den Feierlichkeiten der Alldeutschen zu Bismarcks 107. Geburtstag. Ganz in deren Sinne dürfte die große Grabplatte gestaltet worden sein, gab sie doch unmissverständlich zu verstehen, wie „Georg Ritter v. Schönerer“ erinnert werden wollte: als „Gutsherr zu Schloss Rosenau Nieder-Österreich 1842 – 1921“ und als „Ein Kämpfer für Alldeutschland“.110 Wenige Monate später, am 1. September 1922, folgte die Bestattung von Schönerers Frau Philippine, allerdings nicht in der Gruft, sondern in einem anliegenden Erdgrab.111 VI. Schlussbetrachtung In ihren Forschungen über die Entstehung und Ausformung des deutschen Bismarck-Mythos hat die Geschichtswissenschaft überzeugend herausgearbeitet, dass der Eiserne Kanzler für seine Bewunderer zur Leitfigur eines überhitzten Nationalismus und zu einem „Identifikations-Symbol“ aufstieg, in das sich unerfüllte Wünsche projizieren ließen.112Auch für manchen Österreicher war Bismarck ein
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Eduard Pichl an Rudolf Zarboch, Februar 1929, zitiert nach: Wladika, Hitlers Vätergeneration (Anm. 12), S. 626. 108 Georg von Schönerer Junior verstarb kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs; vgl. ebd., S. 625 f. 109 Vgl. Pichl, Georg von Schönerer (Anm. 6), Bd. 6, S. 353. 110 S. die Eintragung im Grabregister der Kirchengemeinde Aumühle, Grab W 50. Bestätigt wird das Datum der Beisetzung auch durch das Kirchenbuch der Kirchengemeinde Aumühle im Archiv des Ev.-Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, Lübeck, Bestand Kirchenkreis Herzogtum-Lauenburg. Zu den Feierlichkeiten der Alldeutschen vgl. Hering, Konstruierte Nation (Anm. 19), S. 265 f. 111 S. die Eintragung im Grabregister der Kirchengemeinde Aumühle, Grab W 50, u. Kirchenbuch der Kirchengemeinde Aumühle im Archiv des Ev.-Luth. Kirchenkreises LübeckLauenburg, Lübeck, Bestand Kirchenkreis Herzogtum-Lauenburg. Damit kann die in Wikipedia veröffentlichte Behauptung, neben Schönerer sei seine Schwester Alexandrine bestattet worden, die 1919 verstorbene ehemalige Direktorin des Theaters an der Wien, als widerlegt gelten https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_von_Sch%C3%B6nerer#/media/Datei: Grab_Georg_von_Sch%C3%B6nerer_2174.JPG (abgerufen am 15. 7. 2022). 112 Lothar Machtan, Bismarck-Kult und deutscher National-Mythos 1890 bis 1940, in: ders. (Hrsg.), Bismarck und der deutsche National-Mythos, Bremen 1994, S. 14 – 67, S. 14. Zum Bismarck-Mythos grundlegend Robert Gerwarth, Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler, München 2007.
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Ulrich Lappenküper
„Held“.113 Die von Schönerer und seinen Anhängern betriebene Huldigung reichte jedoch über das in der Habsburger-Monarchie übliche Maß weit hinaus, war mehr Mythisierung denn Ikonisierung. Die Ehrerbietungen seiner deutschen Fangemeinde genoss Bismarck nicht nur, er befeuerte sie noch mit einem Arsenal von Presseartikeln, Publikationen und mit seinen Memoiren.114 Ging es ihm dabei zum einen um seinen Platz in der Geschichte, sorgte er sich zum anderen um den Erhalt seines Vermächtnisses, das aufgrund der Hybris seiner Nachfolger gefährdet schien. Die Regierung des Deutschen Reiches müsse das bewahren, was die Gründer „mühsam unter dem bedrohenden […] Gewehranschlag des übrigen Europa ins Trockene gebracht haben“,115 lautete Bismarcks Ceterum censeo. Zu seinem österreichischen ,Oberfan‘ Georg von Schönerer hielt er hingegen zeitlebens Distanz. Allzu sehr stimmten ihre innen- wie außenpolitischen Ziele nicht überein. Allerdings war die Kluft nicht so groß, dass Bismarck sich explizit von Schönerer ferngehalten oder gar seine Glückwünsche, Publikationen und Geschenke zurückgeschickt hätte. Folglich kann auch nicht davon die Rede sein, dass Schönerer Bismarcks Namen „missbraucht“ hätte, wie im Laufe der Aumühler Kontroverse behauptet worden ist.116 Wäre dem so gewesen, hätte Bismarck wohl anders auf die Ehrerbietungen reagiert, hätte sein Sohn Herbert Schönerer kaum die Tür zum Sterbezimmer bzw. zur Gruftkapelle seines Vaters geöffnet und erst recht nicht die Schönerianer 1903 in Friedrichsruh persönlich begrüßt. Entschieden zurückzuweisen ist schließlich die Annahme, Herberts Witwe Marguerite habe die Aufstellung des von Schönerer gestifteten Bismarck-Gedenksteins in Friedrichsruh abgelehnt, weil sie den Stifter „inakzeptabel“ gefunden hätte.117 Marguerite von Bismarck folgte nicht nur der Tradition ihres Mannes hinsichtlich der Billigung der Schönerer-Wallfahrten, sie untermauerte sie noch mit ihren persönlichen Freundlichkeiten bis hin zur Teilnahme an der Zeremonie der Aufstellung des Gedenksteins – wenn auch nicht in Friedrichsruh, so doch in Aumühle. Bismarcks Schwiegertochter besaß nicht nur weniger Soupc¸ on als er gegenüber dem Antisemitismus ihres ,Landsman113 Vgl. den Vortrag von Tobias Hirschmüller, Bismarck – ein Held Österreichs?, gehalten in der Otto-von-Bismarck-Stiftung am 16. 1. 2020 https://www.bismarck-stiftung.de/veranstal tung/bismarck-ein-held-oesterreichs/ (abgerufen am 2. 9. 2022). 114 Otto von Bismarck, Gesammelte Werke (Neue Friedrichsruher Ausgabe), Abt. IV Gedanken und Erinnerungen. Bearb. von Michael Epkenhans/Eberhard Kolb, Paderborn u. a. 2012. 115 Ansprache Bismarcks an die Studenten der deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen, 1. 4. 1895, in: [Otto von] Bismarck, Die gesammelten Werke (Friedrichsruher Ausgabe), Bd. 13 Reden 1885 bis 1897. Bearb. von Wilhelm Schüßler, Berlin 1930, S. 557–559, S. 559. 116 Privatarchiv Neinass, Rundschreiben Greth Ingel von Tümplings an Bürgermeister Dieter Giese und andere Vertreter der Gemeinde Aumühle, 12. 5. 2000. Greth Ingel von Tümpling war eine Enkelin Emil Spechts. 117 Ebd.
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nes‘ Schönerer118, sondern in der aufgewühlten Nachrevolutionszeit der frühen 1920er-Jahre offenbar auch weniger Skrupel, den „Kampf um das historische Erbe“ ihres Schwiegervaters mithilfe zwielichtiger Zeitgenossen fortzusetzen.119
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Vgl. Hopp, Schatten (Anm. 75), S. 426 – 437. Ulf Morgenstern, Das Ende des Kaiserreichs in der Familie des Reichsgründers. Wahrnehmungen von Revolution und Republik bei den Bismarcks in Friedrichsruh, in: Johanna Meyer-Lenz/Franklin Kopitzsch/Markus Hedrich (Hrsg.), Hamburg in der Novemberrevolution von 1918/19. Dynamiken der politischen und gesellschaftlichen Transformation in der urbanen Metropole, Bielefeld 2022, S. 355 – 374, S. 373. 119
Reichskanzler Bethmann Hollweg als Vereinbarungspolitiker: Historisch-systematische Explorationen zur Kompromißkultur im Deutschen Reich Von Wolfram Pyta, Stuttgart I. Das wilhelminische Kaiserreich war ein überaus komplexes Regierungssystem, in dem Entscheidungen in zeitaufwendigen Aushandlungsprozessen zustande kamen, an denen eine Vielzahl entscheidungsbefugter Akteure (Kaiser; Reichsleitung; Bundesrat; Reichstag; Reichsverwaltung) beteiligt war. Der durch adäquate Verfahren erzielte Kompromiß war der für dieses Verhandlungssystem maßgeschneiderte Entscheidungsmodus.1 Die nachstehenden Ausführungen greifen die Leitfrage auf, ob und wie sich kompromißförmige Entscheidungsprozesse während des Ersten Weltkriegs veränderten. Dafür richtet sich der Fokus auf einen der zentralen Akteure im Entscheidungsbildungsprozeß im Kaiserreich, den Reichskanzler. Der von 1909 bis 1917 amtierende Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg drängt sich insofern als Untersuchungsgegenstand auf, als er in Friedens- wie in Kriegszeiten die Führung der Reichsleitung innehatte. Eine Tiefenbohrung des vom Reichskanzler ausgehenden Entscheidungshandelns erlaubt zudem einen historisch gesättigten Beitrag zu „Heuristiken des politischen Entscheidens“2, wie sie auch in der Politikwissenschaft behandelt werden. Dabei geht es um eine Kernfrage: Wie entwickeln sich in einem komplexen Verhandlungssystem Entscheidungsprozesse, wenn das Bedürfnis nach Beschleunigung von Entscheidungen mit zähen Entscheidungsumgebungen kollidiert? 1
Dazu eingehend Wolfram Pyta, Kaiserreich kann Kompromiß, in: Andreas Braune u. a. (Hrsg.), Einigkeit und Recht, doch Freiheit? Das Deutsche Kaiserreich in der Demokratiegeschichte und Erinnerungskultur, Stuttgart 2021, S. 77 – 99; die Forschung zum Kaiserreich hat dessen strukturelle Disposition für den Kompromiß eher beiläufig konstatiert, vgl. etwa die Feststellung von Reinhard Schiffers: „Der mit der Trennung von Volksvertretung und Regierung geradezu institutionalisierte Konflikt erforderte eine dauernde Schlichtung im Weg des Kompromisses“: Reinhard Schiffers, Der Hauptausschuß des Deutschen Reichstages 1915 – 1918. Formen und Bereiche der Kooperation zwischen Parlament und Regierung, Düsseldorf 1979, S. 15. 2 Hier besonders anregend: Karl-Rudolf Korte/Gert Scobel/Taylan Yildiz (Hrsg.), Heuristiken des politischen Entscheidens, Frankfurt am Main 2022.
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Bethmann Hollweg erfüllte in perfekter Weise das Anforderungsprofil für einen dem Kompromiß verpflichteten Reichskanzler, als er 1909 das höchste Regierungsamt im Reiche übernahm. Verfügte Bismarck aufgrund des ihm zugeschriebenen Charismas noch über Herrschaftsressourcen, die ihn zum Zentrum eines auf ihn zugeschnittenen Entscheidungsbildungsprozesses werden ließen, so begnügten sich alle Reichskanzler nach ihm damit, den aufwendigen Prozeß der Kompromißfindung allein mit den Ressourcen ihres Amtes zu organisieren. Bethmann Hollweg war der erste Reichskanzler, der sich dafür durch jahrzehntelangen Dienst in der preußisch-deutschen Staatsverwaltung qualifiziert hatte: erste Station als preußischer Landrat (von 1886 bis 1896 in Freienwalde/Brandenburg); nach Zwischenstationen 1899 Oberpräsident und damit Verwaltungschef der Provinz Brandenburg; 1905 bis 1907 Innenminister Preußens; ab 1907 als Staatssekretär des Innern Mitglied der Reichsleitung und Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums. Die überschaubare Forschung zu Bethmann Hollweg hat dem Kanzler überwiegend politische Unentschlossenheit und mangelnde Tatkraft angelastet. Er erschien als Getriebener, der die Hoheit über das Entscheiden eingebüßt und dennoch die Verantwortung für desaströse Fehlentscheidungen wie den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu tragen habe.3 Doch damit wird sie den begrenzten politischen Durchgriffsmöglichkeiten eines Reichskanzlers im komplexen Regierungssystem des wilhelminischen Kaiserreichs nicht gerecht. Es will zudem scheinen, daß solche Urteile Bethmanns Politik am Leitbild eines dezisionistischen Politikverständnisses messen, das Bismarck zugeschrieben wird und möglicherweise dem Idealbild von Carl Schmitt entspricht, aber nicht der Komplexität des politischen Gefüges im Kaiserreich. Als analytischen Kompaß für die Erfüllung der Aufgabenbeschreibung eines Reichskanzlers wird man daher angeben, ob er eine pragmatische Kompromißermöglichungspolitik betrieb, die sich an ihren Ergebnissen messen ließ.4 Als exzellenter Kenner der preußischen und deutschen Verfassungsgeschichte konnte Bethmann Hollweg einschätzen, daß das Prinzip der politischen Vereinbarung zwischen Krone, Regierung und Parlament am Beginn der Geschichte Preußens als Verfassungsstaat gestanden hatte.5 Bethmann Hollweg war daher das Amt des Reichskanzlers mit der Maßgabe angetreten, als politischer Brückenbauer zu fungieren und alle maßgeblichen Akteure zu kompromißhaften Entscheidungen zusammen3 So mit unterschiedlichen Akzentsetzungen Klaus Hildebrand, Bethmann Hollweg. Der Kanzler ohne Eigenschaften? Urteile der Geschichtsschreibung. Eine kritische Bibliographie, Düsseldorf 1970; Konrad Jarausch, The Enigmatic Chancellor. Bethmann Hollweg and the Hubris of Imperial Germany, New Haven 1973; Eberhard von Vietsch, Bethmann Hollweg. Staatsmann zwischen Macht und Ethos, Boppard 1969. 4 Ähnlich die gelungene Studie von Hans-Günter Zmarzlik, Bethmann Hollweg als Reichskanzler 1909 – 1914, Düsseldorf 1957, hier S. 19. 5 Vgl. dazu die grundlegende Studie von Konrad Canis, Konstruktiv gegen die Revolution. Strategie und Politik der preußischen Regierung 1848 bis 1850/51, Paderborn u. a. 2022.
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zubringen. Dabei orientierte er sich an keinem Geringeren als Bismarck, der Bethmann Hollweg im Jahre 1885 den Leitsatz anvertraut habe, „nur im Wege des Lavirens könne er [Bismarck, d. Verf.] die Geschäfte führen“6. Wenn selbst die unumstrittene Autorität Bismarcks den Weg des geschickten Ausgleichs als Leitfaden für einen Reichskanzler empfahl, dann müsse auch sein Nachfolger auf diesen Spuren zu wandeln: „Wie hätte er, Bethmann, es anders machen können.“7 In seinem letzten Redeauftritt als Reichskanzler formulierte Bethmann Hollweg am 9. Juli 1917 sein politisches Credo wieder unter Rekurs auf Bismarck so: „Was bleibt mir denn anderes übrig, als eine Politik der Kompromisse zu treiben und zu versuchen, das Reichsschiff zwischen den Klippen von rechts und von links möglichst unbeschadet hindurchzuführen!“8 Die Kernthese der nachfolgenden Ausführungen lautet, dass Reichskanzler Bethmann Hollweg ungeachtet der strukturbedingten Kompromißzwänge des Entscheidungsgefüges, in dem er sich bewegte, alternative Entscheidungsverfahren entwickelte, wenn Kompromißpolitik aus immanenten Gründen zu einer Entscheidungsblockade führte. Bethmann Hollweg hatte das Strukturproblem der Kompromißfindung im komplexen Gefüge des Kaiserreichs erkannt: Es konnte in bestimmten Konstellationen Anreize setzen, dass sich Verfahrensbeteiligte auf die Position eines Vetospielers zurückzogen und dadurch staatspolitisch erforderliche Entscheidungen blockierten. Diese Einsicht verdankte Bethmann Hollweg nicht zuletzt seinen langjährigen Erfahrungen im preußischen Staatsdienst. Dort war er einer Spielart von Konservatismus begegnet, die die Wahrnehmung engstirniger Partikularinteressen – vor allem des grundbesitzenden Adels – mit rigoroser Härte betrieb und dies dadurch bemäntelte, dass sie ihre Interessen mit denen des preußischen Staatswesens identifizierte.9 Der Kompromiß war das politische Verfahren, mit dessen Hilfe diese Konservativen ihre preußische Bastion eisern gegen alle Reformen verteidigten: Die Fraktionen der beiden konservativen Parteien im preußischen Abgeordnetenhaus – konservative und freikonservative Partei – verfügten wegen eines auf ihre Interessen zugeschnittenen Wahlrechts über eine Schlüsselposition, von der aus sie jedes kompromißförmige Verfahren blockieren konnten. Wenn sich die preußische Regierung an „heiße Eisen“ wie eine substantielle Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts heranwagte, konnten die Konservativen durch ihre Stellung in einer verfahrensbeteiligten Institution – dem Abgeordnetenhaus – jegliche Angriffe 6
Bethmann Hollweg tat diese Äußerung am 8. 5. 1917 gegenüber dem württembergischen Ministerpräsidenten Weizsäcker gemäß dessen Aufzeichnung vom selben Tage, abgedruckt in: Winfried Baumgart (Hrsg.), Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg 1909 – 1921. Rekonstruktion seines verlorenen Nachlasses. Berlin 2021, S. 1014. 7 Ebd. 8 Rede im Hauptausschuß des Reichstags, abgedruckt in: Reinhard Schiffers (Bearb.), Der Hauptausschuß des Deutschen Reichstags 1915 – 1918. Bd. 3, Düsseldorf 1981, S. 1594. 9 Einschlägig ist Axel Schildt, Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998, v. a. S. 123 – 127.
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auf ihren politischen Besitzstand abwehren. Daher kam man in Preußen auf dem üblichen Weg des Kompromisses keinen Schritt in der hochpolitischen Wahlrechtsfrage voran.10 Dabei tat sich vor allem der Vorsitzende der konservativen Fraktion im Abgeordnetenhaus, Ernst von Heydebrand und der Lase, hervor, der seine Fraktion straff führte und hinter einer politischen Wagenburg verschanzte.11 Bethmann Hollweg hatte das politische Lehrstück Preußen aus nächster Nähe studiert und daraus die Folgerung gezogen, dass innovative Verfahrenswege gefunden werden mußten, um einen politischen Stillstand im größten deutschen Einzelstaat zu verhindern. Es war der Weltkrieg, der ein neues Zeitregime hervorbrachte,12 das die Voraussetzungen schuf, um die preußische Wahlrechtsfrage, an der sich viele Politiker zuvor vergeblich abgearbeitet hatten, zum einen entscheidungsreif zu machen und sie zum anderen einem Entscheidungsverfahren zu überantworten, das von den herkömmlichen Pfaden abwich und deswegen mit einem Erfolg der Reformer endete. Bethmann Hollweg hatte damit unter Beweis gestellt, daß er als erster Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident überhaupt über die erforderliche politische Gestaltungskraft und verfahrenspolitische Kreativität verfügte, um systembedingte politische Blockaden in Preußen zu lösen. II. Dieses Handeln Bethmann Hollwegs besitzt aber nicht nur eine verfahrenspolitische Komponente. Es erlaubt auch wichtige Rückschlüsse auf die politische Standortbestimmung Bethmann Hollwegs, genauer gesagt über seine Verortung im preußisch-deutschen Konservatismus. Bethmann Hollweg verkörperte die Strömung eines gouvernementalen Konservatismus, für den ein überparteiliches Staatsinteresse die Richtschnur politischen Handelns abgab. Man sollte sich hüten, diese Einstellung vorschnell als interessengefärbte Legitimation des Status quo abzutun und als „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates“ (Gustav Radbruch) zu diskreditieren.13 Hier gilt es vielmehr, stärker 10
Dazu grundlegend Thomas Kühne, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867 – 1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt, Düsseldorf 1994, v. a. S. 529 – 583. 11 Vgl. James Retallack, Zwei Vertreter des preußischen Konservatismus im Spiegel ihres Briefwechsels: Die Heydebrand-Westarp-Korrespondenz, in: Larry Eugene Jones/Wolfram Pyta (Hrsg.), „Ich bin der letzte Preuße“. Der politische Lebensweg des konservativen Politikers Kuno Graf von Westarp (1864 – 1945), Köln 2006, S. 33 – 60, v. a. S. 34 – 38. 12 Zu den Zeitvorstellungen, die eine entscheidungsorientierte Reduktion von Komplexität befördern, vgl. den anregenden Beitrag von Anselm Haverkamp, Situation, Aktualität, Hypothek: Ausfall der Kontingenz, in: Korte u. a. (Hrsg.), Heuristiken (Anm. 2), S. 179 – 188, v. a. S. 180. 13 Zur Debatte um das Kaiserreich als Obrigkeitsstaat vgl. James Retallack, Obrigkeitsstaat und politischer Massenmarkt, in: Sven Oliver Müller/Cornelius Torp (Hrsg.), Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, S. 121 – 135.
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als bislang geschehen, beispielsweise an Deutungsansätze Thomas Nipperdeys anzuknüpfen, die das Ideal des alle Interessen überwölbenden Staates nicht von vornherein als ideologisch kontaminiert betrachten, sondern die komplexe Vielschichtigkeit des wilhelminischen Deutschlands betonen, das sich einer allzu schlichten Festlegung, etwa in Gestalt jenes vielgescholtenen Obrigkeitsstaates, der nur dafür geschaffen worden sei, die eigentlichen Interessen der herrschenden Klassen und Schichten zu kaschieren, entzieht.14 Wie es im späten 19. Jahrhundert nicht „den“ Obrigkeitsstaat in Deutschland gab,15 sondern eine Vielzahl territorial unterschiedlicher Praktiken, was beispielsweise die Selbstwahrnehmung bürgerlicher Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen, gerade auch im Vorfeld parlamentarischer Beratung und exekutiven Handelns,16 betrifft, so wird man auch bei der Vorstellung, Regierungshandeln sei in erster Linie Klientelpolitik gewesen, Vorsicht walten lassen müssen. Die Vorstellung einer überparteilichen Regierung, wie sie sich aus der Tradition einer preußisch-deutschen Exekutive entwickelt hatte, die die Regierung nicht in erster Linie an sie tragende Parteien im Parlament band, sondern an die Figur des den Staat personifizierenden Monarchen knüpfte, ist jedenfalls nicht vorschnell von der Hand zu weisen. Speziell bei Bethmann Hollweg ist überdies zu bedenken, dass er als exzellenter Verwaltungsjurist, der nicht zuletzt aufgrund seiner Expertise im Bereich des Öffentlichen Rechts eine Bilderbuchkarriere hingelegt hatte, eng mit einer spezifischen Vorstellung vom Staat und seiner Bedeutung vertraut war, die im wichtigsten Kommentator der Reichsverfassung von 1871, Paul Laband, ihren prägendsten Ausdruck gefunden hatte. Für diese Sicht auf das Kaiserreich war der Staat, im Sinne eines wohlverstandenen Etatismus, die Klammer, die alle divergierenden Interessen zusammenhielt, und zwar um seiner selbst willen.17 Aus dieser Grundeinstellung ergab sich eine Aufgeschlossenheit für Reformen im Staatsaufbau, wenn diese staatspolitisch geboten erschienen. Dieser gouvernementale Staatskonservatismus, wie ihn Bethmann Hollweg personifizierte, verlangte gerade sich als konservativ bezeichnenden Gruppen die Bereitschaft ab, um der Zukunftsfähigkeit der Monarchie willen liebgewonnene ökonomische und politische Privilegien zu opfern. Arthur Graf von Posadowsky-Wehner, der bis 1907 als Vorgänger Bethmanns das Reichsamt des Innern geleitet hatte und wie dieser zu den wertkonservativen Staatspolitikern zu zählen ist, formulierte treffend: „Kon14
Vgl. u. a. Thomas Nipperdey, War die wilhelminische Gesellschaft eine Untertanen-Gesellschaft?, in: Thomas Nipperdey, Kann Geschichte objektiv sein? Historische Essays. Hrsg. v. Paul Nolte, München 2013, S. 235 – 252; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, bes. S. 80 f. 15 Vgl. Konrad Jarausch/Michael Geyer, Shattered Past. Reconstructing German Histories, Princeton 2003, bes. S. 19 – 21. 16 Dazu u. a. Abigail Green, Fatherlands. State-Building and Nationhood in NineteenthCentury Germany, Cambridge 2001; Abigail Green, Intervening in the Public Sphere. German Governments and the Press, 1815 – 1870, in: HJ 44 (2001), S. 155 – 175. 17 Vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 2: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800 – 1914, München 1992, S. 339 – 347.
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servativ sein heißt nicht, die Interessen und Überlieferungen einer Gesellschaftsklasse dauernd festlegen, konservativ im echten und staatsmännischen Sinne heißt vielmehr: den Staat und die Gesellschaft entsprechend den Anforderungen und Bedürfnissen der Zeit organisch fortentwickeln, damit allen Klassen der Bevölkerung die Überzeugung erhalten bleibt, dass der geschichtlich gewordene Staat nicht nur eine innere Notwendigkeit, sondern auch die höchste Wohltat für alle Gesellschaftsklassen ist.“18 Angesichts dieser Grundorientierung verwundert es nicht, dass Bethmann Hollweg und die konservativen Parteien auf Konfrontationskurs gepolt waren. Vor allem seit 1913 mußte der Kanzler die Erfahrung sammeln, daß der parteipolitisch organisierte Konservatismus im Reich wie in Preußen in Fundamentalverweigerung verharrte, um seine ökonomischen und politischen Vorrechte zu verteidigen. Während diese Obstruktionspolitik in Preußen einen kompromißförmigen Entscheidungsweg lahmlegte, sah es auf Reichsebene anders aus: Da der Reichstag aufgrund eines demokratisch vorbildlichen, gleichen Wahlrechts gewählt wurde, waren die beiden konservativen Fraktionen auf Normalmaß gestutzt. Sie konnten mithin im Reichstag ein kompromißorientiertes Verfahren nicht blockieren. 1913 stand eine wichtige politische Frage zur Entscheidung, die Bethmann Hollweg als staatpolitische Bewährungsprobe für die konservativen Reichstagsfraktionen auffaßte. Es ging darum, ob das von konservativer Seite euphorisch bejahte Projekt einer substantiellen Vermehrung der Heeresstärke die Konservativen dazu bewog, bei der Aufbringung der erforderlichen Finanzmittel das eigene Portemonnaie nicht zu schonen. Denn diese Mittel waren – daran ließ der Kanzler keinen Zweifel aufkommen – in erster Linie von den Vermögenden aufzubringen, wobei er eine einmalige Vermögensabgabe favorisierte. Es waren mithin staatspolitische Erfordernisse, die gerade von Konservativen einen ihrem verbalen Patriotismus korrespondierenden Opfersinn verlangten: „Bei dem Vorschlage einer einmaligen Vermögenssteuer handele es sich nicht eigentlich um eine Steuer, sondern um eine einmalige Vermögensabgabe – eine Brandschatzung. Ein solches außerordentliches Opfer könne man dem deutschen Volke wohl zumuten. Das Vermögen sei vorhanden, die Schwierigkeit im Reich bestehe nur darin, an das Geld heranzukommen. […] Ihm scheine es ein richtiger Weg, in dem gegenwärtigen Jubiläumsjahr bei einer so hoch gespannten politischen Situation wie der gegenwärtigen an die Opferfreudigkeit der Nation zu appellieren.“19 Doch die beiden konservativen Reichstagsfraktionen verweigerten sich diesem Verlangen; für Bethmann Hollweg hatte der Konservatismus damit seinen politi18 So äußerte sich Posadowsky am 5. 1. 1910 gegenüber seinem politischen Weggefährten Andreas Grieser, der diese Definition veröffentlichte: Andreas Grieser, Zum Geleit Graf Posadowsky. Ein Gedenkwort, in: Arthur Graf Posadowsky-Wehner: Volk und Regierung im neuen Reich. Aufsätze zur politischen Gegenwart. Mit einem Gedenkwort v. Staatssekretär Dr. A. Grieser, Berlin 1932, S. 6 (Hervorhebung im Original). 19 Protokoll der preußischen Staatsministerialsitzung vom 24. 2. 1913, abgedruckt in Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), Zitat S. 267.
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schen Offenbarungseid geleistet.20 Im Juni 1913 erteilte Bethmann Hollweg den Konservativen insofern eine Lektion, als er den Weg dafür freimachte, daß der Reichstag die Hoheit des Verfahrens in der Finanzierung der Heeresvorlage an sich zog und den Konservativen damit vor Augen führte, daß eine numerische Reichstagsmehrheit jenseits der Konservativen zu einer politischen Gestaltungsmehrheit werden konnte. Es war ein politisches Fanal, daß ausgerechnet die Sozialdemokratie den Platz der politischen Verweigerer auf der Rechten einnahm und erstmals Stimmen der Sozialdemokraten einer Regierungsvorlage im Reichstag im Verein mit Zentrumsfraktion und beiden liberalen Fraktionen zur Mehrheit verhalfen.21 Die Kernbotschaft Bethmann Hollwegs an die Adresse des parteipolitischen Konservatismus lautete: Staatspolitisch erforderliche Gesetze konnten auch mit Hilfe der Sozialdemokraten verabschiedet werden, wenn sich die Konservativen ihrer Pflicht entzogen. Entscheidungen auf Reichsebene folgten dem Handbuch der Kompromißfindung, in dem die konservativen Reichstagsfraktionen keine privilegierte Stellung innehatten, „insofern als die Mehrheit der bürgerlichen Parteien sich zu einem Kompromiß vereinigt haben“22. In Preußen hingegen mußte Bethmann Hollweg die politische Auseinandersetzung mit den konservativen Fraktionen im Abgeordnetenhaus mit harten Bandagen führen. Wenn es nicht möglich war, durch kompromißhafte Aushandlungsprozesse zwischen Regierung und Fraktionen in Preußen zum gleichen Wahlrecht zu gelangen, mußten alternative Verfahrenswege gefunden werden. Wie aber sollte eine den Konservativen verfahrensmäßig aufgezwungene Wahlrechtsreform zustande gebracht werden? Welche Möglichkeiten standen Bethmann Hollweg zur Verfügung, um die konservative Obstruktionspolitik im preußischen Abgeordnetenhaus aufzuweichen? Der einzig dafür in Frage kommende Weg bestand darin, die monarchische Prärogative so zu aktivieren, daß der Monarch die Entscheidungshoheit in dieser Frage an sich riß und damit die politische Blockade durch das Abgeordnetenhaus beseitigte. Diese Lösung lief darauf hinaus, die Wahlrechtsreform in Gestalt eines verkappten Oktroys den preußischen Konservativen aufzunötigen und damit ein Verfahren zu wählen, gegen das sich konservative Verfechter des monarchischen Prinzips nicht argumentativ wappnen konnten. Das monarchische Oktroy bildete mithin ein Reserveverfahren, das dosiert eingesetzt werden konnte, um Fundamentalverweigerer politisch zu neutralisieren. Bethmann Hollweg war mit dieser Strategie bis zu einem gewissen Grad erfolgreich: Am 11. Juli 1917 erließ Wilhelm II. eine Order, mit der die preußische Regierung angehalten wurde, dem Abgeordnetenhaus eine Wahlrechtsreform zu unterbreiten, deren Herzstück das gleiche Wahlrecht war. Bethmann Hollweg erntete damit auch die Früchte einer kommunikativen Begleitstrategie: Denn nur wenn 20
Vgl. das Schreiben Bethmann Hollwegs an Hans Delbrück, 18. 7. 1913, ebd., S. 287 f. Pyta, Kaiserreich kann Kompromiß (Anm. 1), S. 95 f. 22 Immediatbericht Bethmann Hollwegs an Wilhelm II., 3. 7. 1913, zit. n. Zmarzlik, Bethmann Hollweg (Anm. 4), S. 74 f. 21
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er Wilhelm II. durch gezielte kommunikative Anstrengungen für eine Politik gewann, die Konfliktbereitschaft mit konservativen Kräften implizierte, konnte diese Mobilisierung des monarchischen Faktors zum erhofften Ziel führen. Daher soll auch mehr als nur ein Seitenblick der Frage gelten, mit Hilfe welcher kommunikativer Formen Bethmann Hollweg den Reichsmonarchen in diese Rolle zu dirigieren vermochte – ein Thema, das auch im Kontext der Frage nach dem Zugang zum Machthaber ergiebig ist.23 Die kommunikativen Fähigkeiten des Reichskanzlers vermochten sich am besten im Modus des persönlichen Gesprächs zu entfalten. Es war das dienstliche Gesprächsformat des durch den Chef des Zivilkabinetts vermittelten Vortrags beim Monarchen, in dem Bethmann Hollweg seine Kraft zur Persuasion einbringen konnte. Sein sozioprudentes Gesprächsverhalten24 versetzte ihn in die Lage, durch die Aufrichtigkeit seines politischen Wollens und das Fehlen jeglichen höfischen Gebarens das Gespräch als Sachgespräch zu führen und damit kommunikative Asymmetrien im Verhältnis zum Monarchen zu nivellieren. Bethmann Hollweg wußte um die strukturelle Sprunghaftigkeit des Kaisers und damit um die begrenzte Halbwertzeit solcher persuasiven Effekte.25 Doch wenn er ein passendes Zeitfenster für ein solches Sachgespräch abpaßte, konnte eine geglückte Persuasion in korrespondierende Entscheidungen überführt werden. Wilhelm II. wird man für die Überlegungen Bethmann Hollwegs eine gewisse Aufgeschlossenheit auch deswegen attestieren, weil der Monarch mehr als einmal konservative Blockadepolitik in Preußen beklagt hatte. Die Geschichte des preußisch-deutschen Konservatismus unter Wilhelm II. ist auch eine Geschichte der zunehmenden Entfremdung zwischen Krone und politischem Konservatismus. Wilhelm II. reagierte nicht nur bei dem durch Konservative herbeigeführten Stop eines wichtigen Infrastrukturprojekts – dem Weiterbau des Mittellandkanals – mehr als ungehalten, wenn Konservative ihren politischen Einfluß geltend machten, um Lieblingsprojekte des Monarchen zu behindern.26 Zudem pflegte der Reichsmonarch einen Kommunikationsstil, der keinem dem politischen Konservatismus Zuzurechnenden persönlichen Zugang ermöglichte. Die preußischen Konservativen
23 Systematische Zugriffe auf diese Leitfrage in Wolfram Pyta/Rüdiger Voigt (Hrsg.), Zugang zum Machthaber, Baden-Baden 2022. 24 Vgl. dazu die anregende Studie von Clemens Albrecht, Sozioprudenz. Sozial klug handeln, Frankfurt am Main 2020. 25 Vgl. Zmarzlik, Bethmann Hollweg (Anm. 4), S. 26 u. 41 f. 26 Zum Konfliktkurs des Kaisers gegenüber den Konservativen vgl. Martin Kohlrausch, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2005, bes. S. 97 – 102 u. 142 – 146. Zur Einordnung Wolfgang König, Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technisch-industrielle Welt, Paderborn u. a. 2007, bes. S. 84 – 97.
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verfügten über keinen privilegierten Zugang zum monarchischen Machthaber.27 Auch deswegen zogen sich die Konservativen in ihre politische Trutzburg Preußen zurück, die sie vor allem durch ihre Schlüsselstellung im preußischen Abgeordnetenhaus abschirmen konnten. Bethmann Hollweg war bewußt, daß er Wilhelm II. nicht politisch überfordern durfte. Insofern kam es darauf an, das richtige politische Timing zu finden und den Monarchen dann aus seiner Reserve zu locken, wenn der Problemdruck so groß war, daß sich auch der Monarch dem Argument nicht entziehen konnte, daß mutige Reformschritte zur Zukunftssicherung der Monarchie erforderlich waren. In der Kommunikationsstrategie kam es darauf an, diese Reformen nicht als Konzession an die immer heftiger nach Partizipation verlangende Arbeiterschaft auszugeben, sondern als von der Krone aus gewährte Willensentscheidung. III. Die Führung der Sozialdemokratie war klug genug, ihre Forderungen an die Adresse der Reichsleitung so zu mäßigen, daß Wilhelm II. von dieser Seite keinen unerträglichen Druck verspürte. Die sozialdemokratische Führung hatte sich nach Kriegsausbruch in die nationale Einheitsfront aus dem Kalkül heraus eingefügt, dass die Regierenden diesen Einsatz politisch entlohnen und eines der wichtigsten innenpolitischen Anliegen der SPD aufgreifen würden: die Einführung des gleichen Reichstagswahlrechts in Preußen. Ihre politische Vorleistung vom August 1914 sollte sich insofern auszahlen, als Bethmann Hollweg bereits im Oktober 191428 die Weichen für eine Neujustierung der Innenpolitik stellte, die er und seine politischen Mitstreiter „Neuorientierung“ tauften. Ernst Rudolf Huber, an den hier angeknüpft werden soll, hat als erster darauf hingewiesen, daß es der Staatssekretär des Innern und Kanzlervertraute Clemens Delbrück war, der am 21. Oktober 1914 erstmals diesen Terminus in einem Gespräch mit preußischen Parteiführern verwandte.29 „Neuorientierung“ war ein Begriff, der typisch ist für den Wortschatz des Kompromisses30 : bar aller auftrumpfenden Kraftsemantik, goß er ein Reformprojekt in nüchterne Worte, die den Vorzug besaßen, daß sie sachlich nicht anstößig waren. „Neuorientierung“ lockte nicht mit vollmundigen Versprechungen und war 27
Dazu auch Volker Stalmann, Die kommunikativen Kanäle zur Macht – Kaiser Wilhelm II. und seine Umgebung, in: Pyta/Voigt (Hrsg.), Zugang zum Machthaber (Anm. 23), S. 185 – 212. 28 Vgl. dazu eine programmatische Aufzeichnung vom 27. 10. 1914, die vermutlich die Gedankengänge Bethmann Hollwegs wiedergibt, abgedruckt in Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), S. 357 – 359. 29 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914 – 1919, Stuttgart 1978, S. 127, dort Anm. 43. 30 Anschlußfähige Anregungen aus der Politolinguistik finden sich bei Wolfram Pyta, Die Weimarer Republik als Experimentierfeld demokratischer Kompromißkultur, in: HJb 140 (2020), S. 22 – 67, v. a. S. 37 f.
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vage genug, um nicht lauthals semantischen Widerspruch herauszufordern. Gerade der Reichsmonarch wurde durch diesen Begriff nicht zu lautem Widerspruch provoziert. Dennoch wies der Schlüsselbegriff „Neuorientierung“ eine klare Entwicklungsrichtung auf: keine Konservierung des Status quo, vielmehr vorsichtige Schritte in ungewohnte Richtungen zu neuen Zielen, die auf hergebrachten Pfaden nicht erreichbar waren. „Neuorientierung“ konnte und wollte keine überschäumende politische Aufbruchstimmung erzeugen; aber gerade weil dieser geschickt gewählte Terminus keinen Erwartungsüberschuß produzierte, betrieb er kluges Erwartungsmanagement. Am 27. Februar 1917 trug Bethmann Hollweg diesen Terminus erstmals in Gestalt einer Reichstagsrede in die Öffentlichkeit und dämpfte in weiser Absicht die sich daran knüpfenden Erwartungen.31 Ernst Rudolf Huber, der frühzeitig den Kompromiß als stilbildendes Verfahren der preußisch-deutschen Politik identifizierte,32 hat diese Neuorientierungspolitik des Kanzlers gewürdigt als adäquaten Versuch, „den durch Reaktion wie Revolution gleichermaßen bedrohten Staat auf dem Weg des Kompromisses einer organischen Reform zuzuführen, die bewahrende und fortschrittliche Momente ausgleichend in sich vereinigte“.33 Dabei wird man konstatieren, daß diese Neuorientierungspolitik bereits begann, bevor die Februarrevolution in Rußland die deutsche Politik unter zusätzlichen Reformdruck setzte. Nach dem Sturz des Zaren im März 1917 war jedem einsichtigen Staatsmann in Deutschland klar, daß Deutschland im Innern enorme Reformschritte unternehmen müsse, wollte es nicht in verfassungspolitischer Hinsicht ausgerechnet gegenüber Rußland, das sich in rasantem Tempo demokratisiert hatte, ins Hintertreffen geraten. Dass Bethmann Hollweg die Reform des preußischen Wahlrechts als integralen Bestandteil seiner Reformpolitik auffaßte und nicht als hastige Reaktion auf die russischen Ereignisse, ist nicht nur daran ablesbar, daß die erste öffentliche Ankündigung seiner Neuorientierungspolitik am 14. März 1917 im preußischen Abgeordnetenhaus zu einem Zeitpunkt erfolgte, an dem er noch keine Kenntnis vom Sieg der russischen Revolutionäre besaß.34 Vor allem hatte Bethmann Hollweg diese Neuausrichtung schon seit Herbst 1914 durch vertrauliche Gespräche mit Parteiführern abgestimmt.35 Dabei schälte sich seit 1915 heraus, daß die SPD-Führung zu 31
Er selbst hatte in seiner Reichstagsrede vom 27. 2. 1917 Neuorientierung als „kein schönes Wort“ etikettiert; vgl. Theobald von Bethmann Hollweg, Betrachtungen zum Weltkriege. Hrsg. v. Jost Dülffer, Essen 1989, S. 353. 32 Ernst Rudolf Huber, Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Theodor Schieder/Ernst Deuerlein (Hrsg.), Reichsgründung 1870/71. Tatsachen, Kontroversen, Interpretationen, Stuttgart 1970, S. 164 – 196; vgl. auch Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 3: Bismarck und das Reich, Stuttgart 1963, S. 4 – 9. 33 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5 (Anm. 29), S. 129. 34 Vgl. Reinhold Patemann, Der Kampf um die preußische Wahlreform im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1964, S. 51 – 53. 35 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5 (Anm. 29), S. 126.
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einem strategischen Partner Bethmann Hollwegs avancierte – und zwar deswegen, weil sie mit dem Reichskanzler die Grundüberzeugung teilte, daß der Krieg mit militärischen Mitteln nicht zu beenden sei und nur ein auf diplomatischem Wege erzielter Verständigungsfrieden Deutschland einen akzeptablen Ausweg aus dem Krieg ermögliche. Bethmann Hollweg hatte sich bei sozialdemokratischen Entscheidungsträgern den Ruf eines verläßlichen Reformpolitikers erworben, der diese einstmals randständige Kraft ins Vertrauen zog und sie in die Leitlinien seiner Politik einweihte. Durch seine offenen Worte hatte sich der Reichskanzler in der SPD-Führungsriege, vor allem bei dem diplomatisch versierten Fraktionsvorsitzenden Philipp Scheidemann, politisches Kapital erworben36, das sich in der Reformpolitik des ersten Halbjahres 1917 rentierte. Da diese Absprachen mit der SPDFührung nicht durchsickerten, konnten die politischen Widersacher des Kanzlers auf der Rechten daraus keine Waffen gegen Bethmann Hollweg schmieden und ihn beim Kaiser nicht als Sozialistenfreund denunzieren. Bethmann Hollweg hatte mithin alles getan, um auch bei Sozialdemokraten das Terrain für einen Vorstoß des Monarchen in der preußischen Wahlrechtsfrage zu bereiten. Doch im Weltkrieg hatte sich ein neuer Faktor etabliert, der in sein politisches Kalkül integriert werden mußte: die Oberste Heeresleitung unter Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Hindenburg hatte sich eine charismatische Autorität erworben,37 die das Unterfangen für Bethmann Hollweg noch anspruchsvoller machte, da er es mit einem Akteur zu tun bekam, auf den er keinen institutionellen Zugriff besaß. Konnte er in seiner doppelten Funktion als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident einen amtsmäßig legitimierten Verfahrensanspruch postulieren, um sich mit preußischem Abgeordnetenhaus, Bundesrat, Kaiser und Reichstag ins Benehmen zu setzen, fiel diese Möglichkeit im Falle der Obersten Heeresleitung weg. Da die Dritte OHL ein verfahrensmäßig nicht greifbarer Akteur war, blieb Bethmann Hollweg nur die Möglichkeit, über Bande zu spielen und mit Hilfe des Obersten Kriegsherrn unerwünschte politische Interventionen von Seiten der Heeresleitung abzuwehren. Bethmann Hollweg bürdete Wilhelm II. eine doppelte Aufgabe auf: Wilhelm II. hatte sein preußisches Königtum seinem Reichsmonarchentum unterzuordnen – und dies bedeutete, auf preußische Partikularinteressen keine Rücksicht zu nehmen, wenn diese zu Lasten systemrelevanter Reichsinter36
Am 25. 5. 1915 hatte Bethmann Hollweg in einer vertraulichen Unterredung den SPDFraktionsvorstand in den kommunikativen Modus eingeweiht, den er bei dem höchst sensiblen Gegenstand der Einleitung von Friedensgesprächen pflegte: „Selbstverständlich suche ich mir alle Kanäle offenzuhalten und immer zu sondieren, ob sich irgendwo eine Möglichkeit für den Frieden ergibt. Wenn aber von diesen Bestrebungen etwas in die Öffentlichkeit kommt, dann bin ich heute nach Lage der Dinge gezwungen, jedesmal zu dementieren.“ Gemäß einer Aussage Scheidemanns vor der SPD-Fraktion, 5. 4. 1916, in: Erich Matthias/Eberhard Pikart (Bearb.), Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 – 1918. Zweiter Teil, Düsseldorf 1966, S. 83. 37 Dazu ausführlich Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007, v. a. S. 244 – 293.
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essen gingen. Um Wilhelm II. diesen Schritt zu erleichtern, hatte Bethmann Hollweg ihn davon zu überzeugen, daß nur durch ein solches preußisches Notopfer das Kaisertum zukunftsfähig gestaltet werden konnte. Weiterhin mußte Wilhelm II. dazu gebracht werden, den Reichskanzler gegen politische Einmischungsversuche der militärischen Führung abzuschirmen. Er hatte seine traditionale Autorität als Monarch sowie seine militärische Stellung als Oberster Kriegsherr gegen die charismatischen Herrschaftsansprüche Hindenburgs so zur Geltung zu bringen, daß die OHL nicht ermächtigt wurde, anstelle der preußischen Konservativen eine Vetofunktion auszuüben. In der preußischen Wahlrechtsfrage konnte Bethmann Hollweg mithin nicht ohne ein Machtwort Wilhelms II. auskommen. Seine Strategie bestand darin, eine durchgreifende Reform des preußischen Wahlrechts in die Wege zu leiten, ohne eine Vereinbarung mit dem preußischen Abgeordnetenhaus zu suchen. Im März 1917 zeichnete sich überdeutlich ab, daß sich das preußische Abgeordnetenhaus gegen die Einführung des gleichen Wahlrechts sperrte und lediglich das geheime und direkte Wahlrecht zu konzedieren bereit war.38 Die beiden konservativen Fraktionen im Abgeordnetenhaus wollten ihr übliches Spiel treiben und mit den bewährten Mitteln des Kompromißzwangs jegliche zu ihren Lasten gehende, durchgreifende Reform blockieren, wie der mit einer konsequenten Wahlrechtsreform sympathisierende freikonservative Abgeordnete Johann Victor Bredt in Hinblick auf den Vorsitzenden der freikonservativen Fraktion, Octavio Freiherr von Zedlitz und Neukirch, prägnant festhielt: „Der alte Hexenmeister hatte jahrzehntelang in schwierigen politischen Fragen den Kompromiß gemacht oder eine Lösung gefunden. Jetzt wollte er diese Tätigkeit durch einen Kompromiß in der Wahlrechtsfrage krönen.“39 Bethmanns Vorgehen bedeutete einen eindeutigen Bruch mit der bisherig gepflegten Praxis der preußischen Regierung, in sensiblen Fragen eine Vereinbarung mit den konservativen Fraktionen im Abgeordnetenhaus anzustreben. Zugleich ging der preußische Ministerpräsident damit auf Konfrontationskurs mit dem für Wahlrechtsfragen zuständigen Innenminister Friedrich Wilhelm von Loebell, der einen mit der konservativen Mehrheit abgestimmten Reformentwurf vorgelegt hatte, der anstelle des gleichen Wahlrechts ein Pluralwahlrecht vorsah, welches bestimmten, als staatstragend deklarierten Wählergruppen ein mehrfaches Stimmengewicht verlieh. Da sich Loebell dabei der Zustimmung einer erheblichen Anzahl von Mitgliedern des Kollegialorgans preußisches Staatsministerium gewiß war,40 mußte Bethmann Hollweg mithin nicht nur das preußische Abgeordnetenhaus, sondern
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Vgl. Peter Winzen (Hrsg.), Friedrich Wilhelm von Loebell. Erinnerungen an die ausgehende Kaiserzeit und politischer Schriftwechsel, Düsseldorf 2016, S. 169 f. 39 Martin Schumacher (Bearb.), Erinnerungen und Dokumente von Joh. Victor Bredt 1914 bis 1933, Düsseldorf 1970, S. 124. 40 Vgl. Winzen, Loebell (Anm. 38), S. 170.
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auch das preußische Staatsministerium aus dem Entscheidungsverfahren heraushalten und dieses auf den Monarchen zuschneiden. Um die Konservativen auf die Wahlrechtsreform zu verpflichten, hatte Wilhelm II. die Agenda durch eine kraftvolle Botschaft nach außen zu tragen. Ein öffentliches Hervortreten des Monarchen war aber auch aus einem anderen Grund geboten: Nur so konnte dieser aus der Defensive herauskommen, in die er durch den kometenartigen Aufstieg Hindenburgs hineingeraten war. Der Medienliebling Hindenburg hatte den Kaiser kommunikativ in den Schatten gestellt. Bethmann Hollweg, der selbst den Hindenburg-Nimbus einige Zeit für seine Zwecke hatte nutzen wollen,41 war im Frühjahr 1917 zu der Einsicht gelangt, dass sich der Kaiser kommunikativ von der Übermacht Hindenburg emanzipieren mußte, um politischen Handlungsspielraum für das Projekt „Neuorientierung“ zu gewinnen. Dazu hatte Wilhelm II. sich zu exponieren und seine Person mit einer Reformagenda zu verbinden, die sich vom Programm der Obersten Heeresleitung deutlich abhob. Bethmann Hollweg hatte vorgemacht, wie man ein Reformanliegen auf die kommunikative Agenda setzte; das geeignete Mittel war eine Rede im Parlament, in diesem Falle im preußischen Abgeordnetenhaus am 14. März 1917. Conrad Haußmann, einer der führenden Reichstagsabgeordneten der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei, hielt den Bekenntnischarakter dieses Auftritts so fest: „Große Bethmannrede: geschichtliches Ereignis für die innere Politik. Bethmann hat sich nun offen auf die linke Seite gestellt und der Machtkampf beginnt mitten im Kriege unter Führung des Reichskanzlers. Damit beginnt ein neuer geschichtlicher Abschnitt, der uns in die Mitte derer rückt, die der Reichsregierung für Frieden und Zukunft unentbehrlich sind“.42 Wie aber konnte die kommunikative Enthaltsamkeit eines Reichsmonarchen überwunden werden, der seit September 1914 immer mehr verstummt war?43 Bethmann Hollweg scheint mit der Option geliebäugelt zu haben, den einstmals so forsch auftretenden „Redekaiser“ dazu bewegen, sich in dem ihm vertrauten Medium der Rede an sein Volk zu wenden. Bethmann drang darauf, „daß Seine Majestät zu Seinem Volke spreche“.44 Ob Redeauftritt oder kaiserliche Proklamation – in jedem Fall galt es, Wilhelm II. intensiv genug zu bearbeiten, bis er einen Entschluß zum öffentlichen Hervortreten faßte und auch daran festhielt. Nachhaltiges Einwirken auf den Monarchen setzte die Wahl des richtigen Ortes voraus: Bethmann Hollweg hatte einen Ort zu wählen, an dem er Wilhelm II. ge41
Pyta, Hindenburg (Anm. 37), S. 227 – 243. Die Aufzeichnung Haußmanns ist abgedruckt in: Ulrich Zeller (Hrsg.), Schlaglichter. Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen von Conrad Haußmann, Frankfurt am Main 1924, S. 91. 43 Zum Schweigen des Kaisers vgl. Michael A. Obst, „Einer nur ist Herr im Reiche“. Kaiser Wilhelm II. als politischer Redner, Paderborn u. a. 2010, v. a. S. 359 – 367. 44 So die Ausführung Bethmann Hollwegs in der Sitzung des preußischen Staatsministeriums vom 6. 4. 1917, abgedruckt in Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), S. 1001. 42
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wissermaßen exklusiv sprechen konnte. Der wankelmütige Kaiser sollte nicht der Versuchung ausgesetzt werden, seine Zusagen dadurch zu revidieren, daß konkurrierende Entscheidungsbeteiligte am selben Ort auf ihn einwirkten, nachdem er sich vom Kanzler für dessen Position hatte einnehmen lassen. Der bereits von Carl Schmitt angesprochene topographische Faktor des Zugangs zum Machthaber45 läßt sich bestens am Umgang Bethmann Hollwegs mit dem Kaiser ablesen. Der ideale Ort, um zu Beginn des Frühjahrs 1917 das Ohr des Kaisers zu erhalten, war Schloß Homburg, wohin das kaiserliche Hoflager am 13. März 1917 verlegt worden war. Da die Oberste Heeresleitung zeitgleich ihren Sitz nach Bad Kreuznach verlegt hatte, ergab sich die für Bethmanns Absichten perfekte Konstellation, daß Wilhelm II. von der Obersten Heeresleitung räumlich geschieden war. Bis zum 12. April – der Übersiedlung des kaiserlichen Hauptquartiers nach Bad Kreuznach – hatte der Kanzler mithin seine politische Ernte einzufahren. Bei seinen mehrfachen Aufenthalten in Homburg (ab dem 21. März 1917) streute er seine Saat aus. Einzig die drei kaiserlichen Kabinettschefs Rudolf von Valentini, Georg Alexander von Müller und Moriz von Lyncker bildeten dessen amtsmäßige Begleitung; und von keinem war in der Wahlrechtsfrage Fundamentalopposition zu erwarten.46 Insbesondere Valentini, der Chef des Zivilkabinetts, war ein absolut loyaler Mittler zwischen Reichskanzler und Kaiser, dem jeder persönliche Geltungsdrang fehlte und der wie der Kanzler von einer staatskonservativen Grundeinstellung beseelt war.47 Der Chef des Kaiserlichen Hauptquartiers, Generalfeldmarschall Hans Georg von Plessen, der den konservativen Hardlinern zuzurechnen war, aber über keinen politischen Einfluß beim Kaiser verfügte, vertraute zu Beginn der persuasiven Offensive Bethmanns beim Kaiser seinem Tagebuch an: „Also sehe ich die konservative Sache für sehr gefährdet an, zumal S. M. zur Vermeidung großer Konflikte mehr für Nachgeben, also für Liberalismus zu haben ist.“48 Die Bundesfürsten waren in dieser Frage insofern neutralisiert, als sie entweder keine dezidierten Positionen bezogen hatten oder wie im Falle der liberalen Herrscher von Württemberg, König Wilhelm II., und von Hessen-Darmstadt, Großherzog Ernst Ludwig, einer Wahlrechtsreform in Preußen positiv gegenüberstanden und dies auch dem Reichsmonarchen übermittelten.49 45
Zum topographischen Aspekt vgl. Wolfram Pyta, Zugang zum Machthaber. Historischsystematische Vertiefungen, in: Pyta/Voigt (Hrsg.), Zugang zum Machthaber (Anm. 23), S. 9 – 28, hier S. 11 – 13. 46 Zum Aufenthalt Bethmann Hollwegs in Bad Homburg vgl. den Brief Lynckers an seine Gattin vom 22. 3. 1917, abgedruckt in: Holger Afflerbach (Bearb.), Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914 – 1918, München 2005, S. 477. 47 Vgl. Zmarzlik, Bethmann Hollweg (Anm. 4), S. 33 – 35. 48 Tagebucheintragung Plessens vom 14. 3. 1917, abgedruckt in Afflerbach (Bearb.), Oberster Kriegsherr (Anm. 46), S. 892. 49 Der hessische Großherzog hatte telegraphisch die Wahlrechtsreform begrüßt, vgl. den Brief Lynckers an seine Gattin, 11. 4. 1917, ebd., S. 479.
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Solange es dem Reichskanzler gelang, die Oberste Heeresleitung aus dem Entscheidungsprozeß herauszuhalten, deutete alles auf einen Durchbruch beim Kaiser hin. Wilhelm II. war für das Argument zu gewinnen, angesichts der Länge des Krieges und der von den russischen Revolutionären ausgehenden Friedensbotschaften sei eine halbherzige Lösung wie das Pluralstimmenwahlrecht untragbar. In der Sitzung des preußischen Staatsministeriums vom 5. April 1917 wartete Bethmann Hollweg mit Argumenten auf, deren Durchschlagskraft auch beim Kaiser Wirkung hinterlassen haben dürfte: Das gleiche Wahlrecht sei notwendige Konsequenz eines Krieges, der als Volkskrieg geführt werde. „Er wisse nicht, wie er nach den Erfahrungen des Krieges bei den riesengroßen Opfern und Anstrengungen aller Volkskräfte es vertreten solle, daß Soldaten, die vielleicht mit zerschossenen Gliedern und mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse in die Heimat zurückkämen, ein wesentlich geringeres Wahlrecht haben sollten als die, die als Nichtkriegstüchtige zu Hause geblieben seien und dort ihr Besitztum aufrecht erhalten oder vielleicht gar vermehrt hätten. Diese Leute könnten nicht das drei-, vier- oder fünffache Wahlrecht des Mannes des Schützengrabens haben.“50 Die vorhandenen Zeugnisse deuten darauf hin, daß Wilhelm II. entschlossen war, die Bedenken des preußischen Staatsministeriums wie des preußischen Abgeordnetenhauses beiseite zu schieben und von seinem Recht Gebrauch zu machen, in einer öffentlichen Proklamation nicht nur die rasche Einführung des geheimen und direkten, sondern auch des gleichen Wahlrechts zu verkünden.51 Damit wäre Wilhelm II. bereit gewesen, den Weg einer innerpreußischen Vereinbarung zu verlassen und mit Hilfe eines Quasi-Oktroys das preußische Wahlrecht von oben zu ändern. Wilhelm II. hatte damit seine Konfliktbereitschaft mit den preußischen Faktoren zu erkennen gegeben; doch zugleich schreckte er davor zurück, auch noch die Oberste Heeresleitung zu überfahren. Daß die am 7. April 1917 verkündete „Osterbotschaft“ Wilhelms II. verwässert wurde und doch kein klares Bekenntnis zum gleichen Wahlrecht für Preußen enthielt, war darauf zurückzuführen, daß der Kaiser Hindenburg nicht vom Entscheidungsprozeß ausschließen wollte. Am 6. April 1917 wies Valentini den Reichskanzler an, Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung durch eine „Formulierung“ in der monarchischen Botschaft zu suchen, die „die Möglichkeit der Verständigung offen läßt“.52 Damit war die Oberste Heeresleitung in das Verfahren integriert worden; und diese Einbeziehung führte dazu, daß die monarchische Proklamation hinsichtlich des Reformeifers weit hinter den Absichten Bethmann Hollwegs zurückblieb. 50 Ausführungen Bethmann Hollwegs auf der Sitzung des Staatsministeriums vom 5. 4. 1917, bei Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), Zitat S. 993. 51 Vgl. das für den Chef des Zivilkabinetts, Valentini, bestimmte Schreiben Bethmann Hollwegs an den Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes im Kaiserlichen Hauptquartier, Freiherr von Grünau, 4. 4. 1917: „Seine Majestät haben absolut Recht, nunmehr auf einen schnellen Entschluß zu drängen“, ebd., S. 992. 52 Vgl. die von Grünau übermittelte telegraphische Botschaft Valentinis für Bethmann Hollweg, 6. 4. 1917, ebd., S. 1002.
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An diesem Punkt tritt überdeutlich zutage, daß Wilhelm II. noch nicht bereit war, das strukturelle Legitimationsproblem seiner Herrschaft zu erkennen und nach einer Lösung zu suchen. Es war Hindenburgs charismatischer Herrschaftsanspruch, der die herrschaftlichen Befugnisse Wilhelms II. wesentlich stärker limitierte, als dies der Reichstag mit seinem Streben nach Einflußnahme auf die Besetzung der Reichsämter tat. Eine solche Aufwertung des Reichstags entsprach dem Vereinbarungsprinzip, das an der Wiege preußischer Verfassungspolitik gestanden hatte, wonach die Beziehungen zwischen den drei Säulen, die an Entscheidungsprozessen zu beteiligen waren (Krone, Regierung und Parlament), auf dem Wege der Vereinbarung zu justieren waren. Eine Neubestimmung dieses Verhältnisses bot dem Reichsmonarchen die Möglichkeit, sich in dieses Verfahren sogar mit gestärkter Autorität einzubringen, wenn es ihm glückte, seine besondere Beziehung zum Volk als Zusatzfaktor in diesem Aushandlungsprozeß zur Geltung zu bringen. Dies setzte allerdings voraus, daß Wilhelm II. das Parlament nicht durch einen quasi-plebiszitären Appell an das Volk ausmanövrierte. In jedem Fall bot der Weltkrieg Wilhelm II. für die „Neuformulierung des Verhältnisses zwischen Monarch und Volk“53 die Möglichkeit, den Herrschaftsanspruch Hindenburgs unter Kontrolle zu bringen – und zwar dadurch, daß sich der Kaiser produktiv in ein Verfahren einbrachte, in dem Hindenburg und die Oberste Heeresleitung keinen institutionellen Platz besaßen. Es kam mithin darauf an, Wilhelm II. für ein politisches Gesamtkonzept zu gewinnen, das über den Krieg hinausdachte und damit die Oberste Heeresleitung, die ihre herrschaftliche Position allein dem Krieg verdankte, als Entscheidungsfaktor eliminierte. Hier bot sich das Konzept eines „Volkskaisertums“ an, das in der Vorkriegszeit bereits angedacht worden war.54 IV. Bethmann Hollwegs Kalkül war seit der „Osterbotschaft“ darauf gerichtet, Wilhelm II. für ein grand design zu gewinnen, in dem die Neupositionierung des Kaisers in einem Volksstaat als Chance aufgefaßt wurde, die Monarchie für die Nachkriegszeit zukunftsfähig zu machen und sich zugleich des Herrschaftsanspruchs Hindenburgs zu entledigen. Damit setzte sich der Reichskanzler dem Risiko aus, dass Wilhelm II. die damit verbundene Aufwertung des Reichstags als Angriff auf seine Entscheidungshoheit in Personalfragen auffaßte und damit den Umstand verdrängte, daß Hindenburg 53
Zur Frage des Verhältnisses zwischen Königtum und Volk grundsätzlich Hans-Christof Kraus, Monarchie und Volk – Idee und Problem der „Volksmonarchie“ in Deutschland. Eine Skizze, in: Benjamin Hasselhorn/Marc von Knorring (Hrsg.), Vom Olymp zum Boulevard. Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte?, Berlin 2018, S. 223 – 240, Zitat S. 227. 54 Ebd., S. 236 f.
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dem Kaiser Vorschriften ausgerechnet in dessen monarchischen Zentralbereich machen zu können glaubte. Doch Bethmann Hollweg setzte darauf, durch eine Doppelstrategie ans Ziel zu gelangen: Zum einen mußte er die reformbereiten Mehrheitsfraktionen im Reichstag (FVP, Zentrum, SPD) für behutsame Reformschritte gewinnen, die den Zweck verfolgten, Reichsleitung und Reichstagsmehrheit dadurch besser zu verzahnen, daß Parlamentarier in die Reichsleitung aufgenommen wurden. Zum anderen mußte dieser qualitative Sprung in Richtung Parlamentarisierung dem Monarchen gegenüber in das übergreifende Konzept eines Volkskaisertums so eingebettet werden, daß es zusammen mit der preußischen Wahlrechtsreform eine Paketlösung bildete. Entscheidend war, daß sie nicht als Nachgeben des Kaisers gegenüber einem massiven Drängen des Reichstags erscheinen durfte, sondern als großzügiger, aus eigener Machtvollkommenheit erfolgter Schritt der Krone. In jedem Fall setzte diese Doppelstrategie maßgeschneiderte Kommunikationsformen voraus. Beim ersten Vorstoß in diese Richtung konnte sich der Kanzler kommunikativ nicht so entfalten, wie es erforderlich gewesen wäre, um die Reserve Wilhelms II. auf Anhieb zu überwinden. Am 11. Mai 1917 hatte er sich vorsichtig gegenüber dem Monarchen an diese Materie herangetastet, um ein erstes Meinungsbild des Kaisers zu erhalten. Allerdings geschah dies gewissermaßen unter der Oberaufsicht der Obersten Heeresleitung in deren Hauptquartier in Bad Kreuznach; und da auch der zuständige Chef des Zivilkabinetts, Valentini, seine Gegnerschaft zu einem solchen Parlamentarisierungsschritt kundtat,55 wußte Bethmann Hollweg noch klarer als zuvor, auf was er sich einließ, wenn er diese Paketlösung avisierte. Der Kaiser schien zudem unüberwindliche Hürden aufgebaut zu haben, weil er seine Absage sowohl gegen das gleiche Wahlrecht in Preußen als auch gegen die Aufnahme von Parlamentariern in die Regierung in Gestalt einer schriftlichen „Instruktion“ kleidete.56 Der Kanzler mußte daher den persuasiven Aufwand steigern, um die Bedenken des Kaisers zu entkräften – wohlwissend, daß Wilhelm II. in diesen Fragen nicht in Fundamentalopposition verharrte. Daher mußte der Reichstag als Faktor so ins Spiel gebracht werden, daß dessen Ersuchen nach einer personellen Verzahnung zwischen Regierung und Parlament als konstruktiver Beitrag zum übergreifenden Konzept eines parlamentarisch abgesicherten Volkskaisertums ausgelegt werden konnte. Der geeignete institutionelle Ort hierfür war ein Ausschuß des Reichstags. Denn die im kommunikativen Format des Ausschusses garantierte Vertraulichkeit der 55
Vgl. eine um 1920 entstandene Aufzeichnung Valentinis, abgedruckt in: Bernhard Schwertfeger, Kaiser und Kabinettschef. Nach eigenen Aufzeichnungen und dem Briefwechsel des Wirklichen Geheimen Rats Rudolf von Valentini, Oldenburg 1931, S. 152 f. 56 Vgl. das entsprechende Telegramm Wilhelms II. an Bethmann Hollweg, 12. 5. 1917, abgedruckt in: Wilhelm Deist (Bearb.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg, Düsseldorf 1970, S. 748 – 750, Zitat S. 750.
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Beratungen57 stellte sicher, daß dieses Anliegen nicht in Form öffentlicher Forderungen an die Adresse der Krone gekleidet wurde. Der am 30. März 1917 vom Reichstag eingesetzte „Verfassungsausschuss“ war für diese Zwecke insofern ideal, als er eine verfassungspolitische Generallizenz beanspruchte: Eine Reform des Reichstagswahlrecht durch Änderung der Wahlkreise sowie Übertragung des Reichstagswahlrecht auf die Einzelstaaten (und damit die Einführung des gleichen Wahlrechts in Preußen) standen im Zentrum, so daß der einschneidende Parlamentarisierungsschritt in dieses Gesamtkontext diskret eingeschoben werden konnte.58 Conrad Haußmann, der als politischer Kopf der FVP im Verfassungsausschuß wirkte, war ein enger politischer Vertrauter des Kanzlers59 und bereitete dessen Agenda behutsam vor: Er sensibilisierte die Ausschußmehrheit bereits im Mai 1917 dafür, daß der verfassungsmäßig geeignete und geräuschlose Weg für eine personelle Brücke zwischen Regierung und Volksvertretung der sei, Artikel 9, Absatz 2 der Reichsverfassung („Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrats und des Reichstags sein“) zu streichen, und brachte am 11. Mai 1917 einen entsprechenden Antrag ein.60 Dadurch, daß sich dieser Willensbildungsprozeß innerhalb des abgeschlossenen Zirkels eines Expertengremiums vollzog, wurde er kommunikativ so verhüllt, daß der Reichsmonarch in seinen Entscheidungen nicht präjudiziert wurde. Im Verfassungsausschuß zeichneten sich die Konturen einer Linksliberale, Sozialdemokraten und Zentrum umfassenden Reformmehrheit ab, die sich im „Interfraktionellen Ausschuß“ vom 6. Juli 1917 an zusammenfand, um dem Reichstag ein stärkeres Gewicht zu verleihen. Erstmalig hatten Reichstagsfraktionen eine kooperative Struktur geschaffen, um Abstimmungsprozesse besser zu koordinieren, damit bei der Reichsleitung vorstellig zu werden und so eine Parlamentarisierung voranzutreiben.61 Bethmann Hollweg hatte die Entstehung dieses Gremiums mit Sympathie verfolgt und auch zu dessen Vorsitzenden, dem württembergischen Linksliberalen Friedrich von Payer, vertrauensvolle Kontakte aufgebaut. Daher verfügte er über die Möglichkeit, den „Interfraktionellen Ausschuß“ von einem allzu forschen Vorpreschen abzuhalten. Denn der Kaiser durfte nicht als Getriebener erscheinen, wenn man ihn für eine personelle Verzahnung von Reichsleitung 57
Hierzu grundsätzlich Schiffers, Hauptausschuß (Anm. 1), S. 74 f. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5 (Anm. 29), S. 143 – 147. 59 Davon zeugen zahlreiche Schriftwechsel im Nachlaß Haußmanns, insbesondere ein Schreiben Haußmanns an Bethmann Hollweg vom 13. 5. 1917, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Nachlaß Conrad Haußmann, Q 1/2 (künftig Nachlaß Haußmann), Büschel 114. 60 Der von Haußmann namens der FVP- und SPD-Mitglieder des Ausschusses eingereichte „Antrag Nr. 17“ findet sich im Nachlaß Haußmann, Büschel 30; auf diesen Antrag nimmt Bezug auch die Rede Haußmanns im Verfassungsausschuß am 27. 9. 1917, in: Dritter Bericht des Verfassungsausschusses, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 322, Aktenstück Nr. 1125, S. 1911. 61 Dazu immer noch einschlägig Udo Bermbach, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung in Deutschland. Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18 und die Parlamentarisierung der Reichsregierung, Köln 1967, v. a. S. 106 – 108. 58
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und Reichstag gewinnen wollte; gleiches galt für die Implementierung des gleichen Wahlrechts für Preußen. Entsprechende Initiativen des Verfassungsausschusses waren nützlich, damit Wilhelm II. vor Augen geführt wurde, daß die Möglichkeit bestand, Preußen durch den Reichstag und damit das Reich zur Räson zu bringen. Doch solange der Weg über die Freisetzung der monarchischen Prärogative als der erfolgversprechendere erschien, bremste Bethmann Hollweg den Verfassungsausschuß in seinem Ansinnen, über einen Beschluß des Reichstags das gleiche Wahlrecht in Preußen zu implementieren.62 Die Kunst Bethmann Hollwegs bestand darin, einen Verfahrensweg zu finden, der dem Monarchen das letztliche Entscheidungsrecht zubilligte und dabei zugleich dessen Willensbildung in einem reformfreundlichen Sinne lenkte. Dazu bot sich dasjenige Gremium an, das als Forum entscheidungsbildenden Austausches zwischen dem Monarchen und seinen Ratgebern vorgesehen war: der Kronrat. Ein solcher Kronrat war letztmals im Februar 1909 noch vor der Kanzlerschaft Bethmann Hollwegs einberufen worden63 – auch deswegen, weil der Kaiser Sachfragen nicht auf diesem Wege zur Entscheidungsreife bringen wollte. Was für Bethmann Hollweg vor allem zählte, war der Umstand, daß gerade durch die Einbindung in ein solches Verfahren seine Kritiker innerhalb des Staatsministeriums nicht den Vorwurf erheben konnten, sie seien übergangen worden. Indem der Kaiser die preußische Wahlrechtsfrage zur Chefsache machte, wertete er sie nicht nur politisch auf. Er verlieh der auf den Kronrat folgenden Entscheidung die Wucht monarchischer Prärogative und verpflichtete damit auch die konservativen Kritiker zur Unterordnung oder zur Demission. Wie aber konnte Bethmann Hollweg die Entscheidung des Monarchen aufgrund einer Kronratssitzung in einem reformfreundlichen Sinne lenken? Dazu mußte die Zusammensetzung des Kronrats in seinem Sinne verändert werden. Bethmann Hollweg gelang ein Verfahrenscoup, indem er Wilhelm II. davon überzeugte, an der am 9. Juli 1917 im Reichskanzlerhaus stattfindenden Kronratssitzung auch die Staatssekretäre des Reiches und damit politische Gefolgsleute Bethmann Hollwegs teilnehmen zu lassen. Damit hatte er eine Verfahrensstruktur etabliert, die die zu erwartenden Einwände von den Gegnern des gleichen Wahlrechts innerhalb des preußischen Staatsministeriums neutralisierte und damit den Kaiser darin bestärkte, daß die Reform des preußischen Wahlrechts eine aus reichspolitischen Gründen erforderliche Staatsnotwendigkeit war. Zudem hatte Bethmann Hollweg dafür Sorge getragen, daß zwei seiner wichtigsten Verbündeten bei der Neuordnungspolitik, der Leiter des Reichsschatzamtes, Siegfried von Roedern, und der Staatssekretär des Innern, Karl Helfferich, zu preußischen Staatsmi-
62 Vgl. das Schreiben Bethmann Hollwegs für Valentini, 8. 7. 1917, bei Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), S. 1030 f. 63 Vgl. Zmarzlik, Bethmann Hollweg (Anm. 4), S. 9.
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nistern ernannt worden waren64 und damit zuverlässige Stützen in der preußischen Regierung bildeten. Das Kalkül des Kanzlers ging auf: Von den sieben anwesenden Staatssekretären des Reiches sekundierten sechs Bethmann Hollweg, dem es gelang, das Reichsinteresse in den Vordergrund zu schieben und die preußische Wahlrechtsfrage als schicksalhaftes Thema für die Zukunft des Reiches und der Monarchie zu deklarieren.65 Die Entscheidungsstruktur des Kronrats war so beschaffen, dass der Monarch sich die Letztentscheidung vorbehielt. Aufgrund des schwankenden Willensbildungsprozesses beim Reichsmonarchen hatte Bethmann Hollweg zu gewärtigen, daß nach dem für seine Sache günstigen Verlauf des Kronrats seine Widersacher versuchen würden, den Monarchen in ihrem Sinne zu beeinflussen und wankend zu machen. Erwartungsgemäß nutzte die Gegenseite diese Möglichkeit und bearbeitete Wilhelm II. so,66 daß dieser Angst vor der eigenen Courage bekam und Bethmann die politische Geschäftsgrundlage für ein Durchgreifen in Preußen zu entziehen drohte. Nun sollten die blockierenden Bastionen der preußischen Konservativen in das Verfahren integriert werden: Der Kaiser könne das gleiche Wahlrecht „seinem Preußen nicht oktroyieren. Deshalb müßten vor der Entscheidung Vertrauensmänner der Landtagsfraktionen und des Herrenhauses um ihre Ansicht befragt werden.“67 Wieder einmal bedurfte es der persuasiven Kraft Bethmann Hollwegs, um den Kaiser auf Linie zu bringen. Bethmann gelang dies, weil er Gelegenheit erhielt, am 10. Juli 1917 seine Zukunftsvorstellung über das Volkskaisertum vor Wilhelm II. erstmals in einem zweistündigen Vortrag ohne Unterbrechung68 auszubreiten. Bethmann Hollweg war klar, daß Wilhelm II. die Disziplinierung Preußens via Oktroy nur ein einziges Mal abzuringen sein würde. Auch weil das Reserveverfahren Oktroy an seine natürliche Grenze gestoßen war, war es geboten, dem Kaiser eine politische Konzeption vorzulegen, in der das in der preußisch-deutschen Geschichte fest verankerte Vereinbarungsprinzip reaktiviert und in die Vorstellung des Volkskaisertums eingebaut wurde.
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Vgl. ebd., S. 21. Ein Abdruck des vollständigen Protokolls der Kronratssitzung vom 9. 7. 1917 findet sich bei Helmuth Croon, Die Anfänge der Parlamentarisierung im Reich und die Auswirkungen auf Preußen. Dokumentation: Sitzung des Kronrats vom 9. Juli 1917, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Zur Problematik „Preußen und das Reich“, Köln 1984, S. 105 – 154. 66 Dazu auch Patemann, Wahlrechtsreform (Anm. 34), S. 92; Schwertfeger, Valentini (Anm. 55), S. 161. 67 Aufzeichnung Bethmann Hollwegs vom 11. 7. 1917 über die Ereignisse ab dem 10. Juli, abgedruckt in Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), Zitat S. 1035. 68 Vgl. dazu die Angaben Valentinis, der dem Vortrag geraume Zeit beigewohnt hatte, Schwertfeger, Valentini (Anm. 55), S. 161 f. 65
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Darin fungierte der Reichstag als unverzichtbarer Vereinbarungspartner, dessen Aufwertung durch „die Aufnahme von Parlamentariern in die Regierung“69 deswegen nicht einseitig als Machtverlust der Krone aufgefaßt werden konnte, weil der Monarch gerade durch die Verbindung mit der Volksvertretung einen verfestigten Zugang zum Volk fand. Zugleich – und dies war der argumentative Kern – erwarb sich ein für die Stimme des Volkes aufgeschlossener Kaiser zusätzliche symbolische Kraftreserven, welche die weiterhin starke institutionelle Stellung des Reichsmonarchen symbolpolitisch untermauerten. Damit – und dies war ein mehr als nützlicher Nebeneffekt – konnte auch die symbolische Dominanz Hindenburgs beseitigt werden. Bethmann Hollweg ging es mithin darum, das angestaubte „monarchische Prinzip“ zu neuem Leben zu erwecken, indem er es auch zur Personalisierung von Legitimität einzusetzen und so die rein traditionale Basis monarchischer Herrschaft zu verlassen gedachte.70 Dabei wählte er ein gedrosseltes Tempo, um Wilhelm II. mitzunehmen: Der Reichsmonarch sollte nicht überfahren werden; und daher machten auch Überlegungen die Runde, als neues Koordinationsgremium einen „Reichskronrat“ zu etablieren. Da bereits die Kronratssitzung am 9. Juli 1917 durch Anwesenheit der Inhaber der Reichsämter verreichlicht worden war, drängte es sich geradezu auf, den nächsten Schritt zu machen und als Organ des Meinungsaustausches zwischen der Krone und den anderen Verfassungsorganen einen Reichskronrat ins Leben zu rufen, dem – und darin lag sein funktionaler Nutzen für die Annäherung zwischen Wilhelm II. und den ihm fremden Parlamentariern – fünf Reichstagsabgeordnete angehören sollten.71 Generell befand sich der Kanzler damit in Einklang mit einer Reformdebatte, die in ähnlicher Weise die Rolle des Kaisers in einem Volksstaat neu bestimmen wollte. Dass einer der wortgewaltigsten Verfechter dieser Konzeption, der linksliberale Reichstagsabgeordnete Friedrich Naumann,72 am 15. Mai 1917 im Reichstag dahin gehend ein vehementes Plädoyer abgelegt hatte,73 wird den Kanzler bei seinem Vorhaben noch bestärkt haben. Bethmann Hollweg war aufs Ganze gegangen und hatte Wilhelm II. um dessen Plazet für eine „große Lösung“ ersucht, die das Großprojekt der „Neuorientierung“ 69
Aufzeichnung Bethmann Hollwegs über seinen Vortrag vor dem Kaiser am 10. 7. 1917, bei Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), Zitat S. 1036. 70 Wertvolle Anregungen finden sich in dem immer noch grundlegenden Beitrag von Peter Graf Kielmansegg, Legitimität als analytische Kategorie, in: PVS 12 (1971), S. 367 – 401, v. a. S. 378 – 380. 71 Payer, das Bindeglied zwischen Bethmann Hollweg und dem „Interfraktionellen Ausschuß“, hatte diesen Vorschlag am 10. 7. 1917 unterbreitet, vgl. den Eintrag im Tagebuch des SPD-Abgeordneten Eduard David: Susanne Miller (Bearb.), Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918, Düsseldorf 1966, S. 243. 72 Vgl. dazu die prägnanten Ausführungen bei Kraus, Monarchie und Volk (Anm. 53), S. 236 f. 73 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 310, S. 3425 – 3430.
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mit einem qualitativen Schritt in Richtung Parlamentarisierung krönen sollte. Die Wucht seiner nahezu zweistündigen Ausführungen war so groß, weil er die Frage der Wahlrechtsreform in einen übergreifenden konzeptionellen Kontext gestellt hatte und Wilhelm II. damit die perspektivenreiche Vorstellung einer neu fundierten Monarchie nach Kriegsende offerierte. „Der Eindruck der Worte und der ganzen Persönlichkeit des Kanzlers, voll Kraft und ehrlichster Überzeugung, war so stark auch beim Kaiser“,74 daß dieser gegenüber Valentini seine Zustimmung zu einem Erlaß bekundete, der das gleiche Wahlrecht verkündete. Als Wilhelm II. einen Tag später, am 11. Juli 1917, den sogenannten Juli-Erlaß unterzeichnete und damit das preußische Staatsministerium ermächtigte, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlrechts auf Grundlage des gleichen Wahlrechts aufzustellen, schien Bethmann Hollweg mehr als nur einen Etappensieg errungen zu haben. Nicht nur waren damit die preußischen Konservativen vor die Wahl gestellt, in der Wahlrechtsfrage einzulenken oder das monarchische Prinzip zu verleugnen; auch das preußische Staatsministerium stellte kein Blockadeorgan mehr dar, weil die dortigen Reformgegner am 11. Juli 1917 ihre Portefeuilles zur Verfügung stellten.75 Doch zwei Tage später hatte Bethmann Hollweg den Machtkampf verloren und sein Abschiedsgesuch eingereicht. Es waren nicht preußische Frondeure, die ihn zu Fall brachten, sondern die Dritte Oberste Heeresleitung unter Hindenburg, für die er deswegen untragbar geworden war, weil er gerade sein politisches Meisterstück vollbracht hatte. Wir wollen die Gründe für den Sturz des reformkonservativen Staatsmannes vor allem unter verfahrenspolitischen Aspekten in gebotener Kürze systematisch herauspräparieren. Der wichtigste Grund bestand darin, dass der wankelmütige Kaiser seinem Reichskanzler am 13. Juli 1917 die noch drei Tage zuvor gewährte Unterstützung entzog. Wilhelm II. beugte sich dem politischen Druck, den der mit eigener charismatischer Autorität ausgestattete Generalfeldmarschall Hindenburg in Gestalt seines Rücktrittsgesuchs am 12. Juli 1917, einen Tag nach Verkündigung des Juli-Erlasses, auf den Monarchen ausübte. Er stellte ihm mit den Worten „Zwischen dem Reichskanzler und mir bestehen aber unüberbrückbare Gegensätze“76 vor die Alternative, an Bethmann Hollweg festzuhalten oder auf das zum Mythos verklärte Symbol nationaler Einheit zu verzichten. Diese Rücktrittsdrohung entfaltete auch deswegen ihre ganze Wucht, weil Bethmann Hollweg sie nicht durch kommunikativen Einsatz seiner Persönlichkeit ausgleichen konnte. Der Kaiser 74 So das Zeugnis des bei dem Vortrag anwesenden Valentini: Schwertfeger, Valentini (Anm. 55), S. 162. 75 Vgl. Auszüge aus dem Protokoll der Sitzung des preußischen Staatsministeriums vom 11. 7. 1917, abgedruckt in Baumgart (Hrsg.), Bethmann Hollweg (Anm. 6), S. 1036 – 1038. 76 Entlassungsgesuch Hindenburgs an Wilhelm II., 12. 7. 1917, abgedruckt in: Walther Hubatsch, Hindenburg und der Staat. Aus den Papieren des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten 1878 bis 1934, Göttingen u. a. 1966, S. 169.
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selbst hatte seine Kapitulation vor der Rücktrittsdrohung Hindenburgs bereits dadurch signalisiert, daß er Hindenburg und Erich Ludendorff nach Berlin beordert hatte. Damit hatten sie Gelegenheit – sofern nötig –, ihre Position im persönlichen Gespräch mit dem Monarchen zu bekräftigen, wohingegen der Reichskanzler, dem jeder dienstliche Zugriff auf die Heeresleitung verwehrt war, auf die Rolle eines passiven Zuschauers beschränkt war. Ihm fehlte mithin der direkte Zugang zu einem Machthaber, der drauf und dran war, sich der charismatischen Autorität Hindenburgs zu beugen und sich von diesem sogar die Wahl des neuen Reichkanzlers diktieren zu lassen.77 Zudem hatte der Kaiser nicht den Rat seines Kanzlers befolgt, als ersten Schritt auf dem Wege zum Volkskaisertum die Führer der Reichstagsparteien inklusive der Sozialdemokraten zu empfangen78 – auch um sich ein persönliches Bild über die politischen Fähigkeiten dieses Personenkreises machen zu können. Wilhelm II. hatte es bislang unter seiner Würde gefunden, politischen Austausch mit den Fraktionsführern zu pflegen. Bislang war sein politischer Dolmetscher, der ihm die Ansichten der Reichstagsfraktionen kommunizierte, allein der Reichskanzler gewesen. Wenn er den direkten Weg der politischen Kontaktaufnahme mit parlamentarischen Führern suchte, hätte er informationelle Selbstbestimmung praktiziert; und in diesem Sinne wollte der Kanzler seinen Kaiser mündig machen. Wilhelm II. schlug diese Offerte aus: Er gab zwar seine Zustimmung zu Sondierungen mit den Parteiführern, doch führte er diese nicht selber durch, sondern delegierte sie an den Kronprinzen Wilhelm.79 Der Kronprinz war jedoch kein neutraler Berichter, sondern Partei durch und durch, da er sowohl der Wahlrechtsreform wie der Parlamentarisierung ablehnend gegenüberstand, obgleich er nach außen hin eingelenkt hatte. Indem Wilhelm II. die Kernaufgaben eines künftigen Volkskaisers abtrat, offenbarte er nicht nur, daß sein Herrschaftsstil nicht auf politische Sachgespräche, die der intensiven eigenen Vorbereitung bedurften, zugeschnitten war. Wilhelm II. bezeugte damit zugleich, daß er die ihm vom Kanzler offerierten konzeptionellen Perspektiven, wie er sein Kaisertum mit Hilfe des Parlaments stabilisieren konnte, verschmähte. Es ist darum bittere Ironie, daß ausgerechnet die vom Reichskanzler angestoßene Kontaktaufnahme der Krone mit den Parteiführern den zweiten wichtigen Faktor für seinen Sturz bildete. Denn die Widersacher des Kanzlers schmiedeten daraus Material gegen diesen, indem sie die Befragung ausgewählter Parlamentarier in ein Mißtrauensvotum gegen Bethmann Hollweg transformierten. Bethmann Hollweg wurde damit zum Opfer eines raffinierten Arrangements: Seine Widersacher 77 Vgl. dazu die Tagebuchnotizen Plessens vom 12. bis 15. 7. 1917, abgedruckt in Afflerbach (Bearb.), Oberster Kriegsherr (Anm. 46), S. 907 f. 78 Vgl. das Schreiben Bethmann Hollwegs an Valentini, 5. 7. 1917, abgedruckt in Bethmann Hollweg, Betrachtungen (Anm. 31), S. 391 – 393. 79 Vgl. die Tagebucheintragung Plessens vom 12. 7. 1917, abgedruckt in Afflerbach (Bearb.), Oberster Kriegsherr (Anm. 46), S. 906 f.
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(Oberste Heeresleitung, vom intriganten Kronprinzen assistiert) setzten ausgerechnet die von ihnen verachteten Parlamentarier ein, weil ein Mißtrauen von dieser Seite eines der größten politischen Kapitalien des Kanzlers, seine Beziehung zu den Mehrheitsfraktionen des Reichstags, zunichte machte. Damit ging ein Kalkül auf, auf das vor allem Ludendorff seit langem hingearbeitet hatte. Da Ludendorff im Unterschied zu Hindenburg politisch nicht hervorgetreten war, konnte er durch mediale Zwischenträger die Botschaft verbreiten lassen, Ludendorff und auch die Oberste Heeresleitung stünden einer Aufnahme von Parlamentariern in die Regierung positiv gegenüber. Nicht ohne Wirkung ließ Ludendorff damit das Narrativ streuen, ein Kanzlerwechsel sei erforderlich, um einen solchen Prozeß zu beschleunigen.80 Daß die gezielte Desinformationspolitik bei nicht wenigen Abgeordneten auf fruchtbaren Boden fiel,81 ist nicht nur auf naive Gutgläubigkeit zurückzuführen. Darin mischten sich auch Karriereüberlegungen von Politikern aus Parteien, die eigentlich die Neuorientierungspolitik des Kanzlers guthießen. Da – so schien es – die Aufnahme von Parlamentarier in die Reichsleitung unter einem neuen Kanzler zum Greifen nahe schien, wollten sie ihre Aufstiegschancen verbessern, indem sie ohne Skrupel denjenigen fallen ließen, der diese Entwicklung überhaupt erst ermöglicht hatte. So schrumpfte die Anhängerschaft des Kanzlers in der SPD-Fraktion, weil karrierebewußte Mitglieder des rechten Flügels wie Wolfgang Heine82 oder Eduard David den Kanzler ohne Zögern verstießen, wenn auf diese Weise die Parlamentarisierung und damit die Aufnahme von Parlamentariern in die Regierung in Rekordtempo erfolgen könnte. Daher hatte David auch keine Bedenken, als Vertreter der SPD-Fraktion am 12. Juli vom Kronprinzen ausgehorcht zu werden, wie er „über einen Kanzlerwechsel“83 dächte. Und auch der zum Kronprinzen beorderte starke Mann der Zentrumsfraktion distanzierte sich vom Kanzler, was besonders begründungsbedürftig ist. Matthias Erzberger hatte schließlich am 6. Juli 1917 im Hauptausschuß des Reichstags den Weg dafür freigemacht, daß der Reichstag in der Frage eines deutschen Friedensangebots eine aktivere Rolle als bisher spielte und sich damit auf einem Themenfeld profiliert, auf dem sich der Kanzler frühzeitig vorgewagt hatte. Doch Erzberger machte ausgerechnet mit Ludendorff, der in der Friedensfrage eine entgegenge-
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Vgl. eine handschriftliche Aufzeichnung Haußmanns vom 4. 5. 1917 über ein entsprechendes Gespräch mit dem Journalisten Paul Goldmann, der eng mit der OHL zusammenarbeitete: Nachlaß Haußmann, Büschel 20. 81 Siehe das Telegramm des Kanzlervertrauten Wahnschaffe an den Mittelsmann des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, 8. 7. 1917, abgedruckt in Deist (Bearb.), Militär (Anm. 56), S. 779 – 781. 82 Vgl. die bezeichnende Äußerung Heines auf der SPD-Fraktionssitzung vom 10. 7. 1917: „Wenn die Frage so steht: parlamentarisches System oder Bethmann, dann lasse ich Bethmann fallen.“, abgedruckt in Matthias/Pikart (Bearb.), Reichstagsfraktion (Anm. 36), S. 301. 83 Tagebucheintragung Davids, 12. 7. 1917, abgedruckt in Miller (Bearb.), Kriegstagebuch (Anm. 71), S. 244.
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setzte Position verrat, gemeinsame Sache gegen den Kanzler.84 Für Erzberger war Bethmann Hollweg zu einer Belastung für den Ausbau der Stellung des Parlaments auch deswegen geworden, weil die Oberste Heeresleitung ihn beseitigen wollte. Erzberger erkannte Hindenburg und Ludendorff als unentbehrliche Entscheidungsträger in genuin politischen Fragen an und war auch deswegen geneigt, ihrem Wunsch nach einem Kanzlerwechsel zu entsprechen – in der Annahme, daß die OHL einer Parlamentarisierung nicht im Wege stehen würde, wenn ein anderer Kanzler die Regierungsgeschäfte führte.85 Erzberger investierte dazu erhebliche Energien: Zunächst führte er einen Beschluß gegen das Verbleiben Bethmann Hollwegs als Kanzler innerhalb der Zentrumsfraktion herbei;86 und dann versicherte er ausgerechnet dem Kronprinzen in schriftlicher Form, daß Bethmann Hollweg nicht das Vertrauen der Zentrumsfraktion genieße. Erst dadurch erhielt das ebenfalls schriftlich fixierte Mißtrauensvotum der deutsch-konservativen und der nationalliberalen Reichstagsfraktion ein solches politisches Gewicht, dass es den Kanzlersturz einleitete.87 Dass führende Reichstagsabgeordnete wie Erzberger und David politisierenden Militärs den Zugang zu Entscheidungsprozessen gezielt öffneten, entzog Bethmanns Strategie den Boden. Der Reichskanzler hatte stets großen Wert darauf gelegt, das Vereinbarungsprinzip so zu verfeinern, daß institutionell legitimierte Verfahrensbeteiligte zum Zwecke der Optimierung ihres Koordinationsbedarfs politische Effizienzgewinne erzielten. Im komplexen Entscheidungsgefüge des Kaiserreichs erforderte dies zugleich, daß keine zusätzlichen Akteure diesen aufwendigen Prozeß der Neujustierung beeinträchtigten – zumal wenn es sich um Akteure handelte, die aus konkurrierenden Legitimationsquellen schöpften. Mit dem Sturz Bethmann Hollwegs am 13. Juli 1917 fiel derjenige Amtsträger aus, der durch kluge Verfahrenspolitik die Entscheidungsstrukturen im Reich modernisieren und dabei zugleich die Position des Monarchen im Entscheidungsgefüge neu bestimmen wollte. Auf diesen weitblickenden Staatsmann konnten schon deswegen keine gleichwertigen Reichskanzler folgen, weil Hindenburg eine Paral84 So auch Manfred Nebelin, Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München 2010, S. 321; siehe auch die Nachricht des Pressereferenten im preußischen Innenministerium, von Berger, an Innenminister Loebell, 6. 7. 1917, abgedruckt in Winzen (Hrsg.), Loebell (Anm. 38), S. 1040. 85 Vgl. die Tagebucheintragung Davids über die Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses vom 8. 7. 1917, Miller (Bearb.), Kriegstagebuch (Anm. 71), S. 241. 86 Erzberger hatte bereits am 9. 7. 1917 im Vorstand und Plenum der Zentrumsfraktion auf einen Fraktionsbeschluß hingewirkt, der Bethmann Hollweg einen Rücktritt nahelegte, dazu Erich Matthias/Rudolf Morsey (Bearb.), Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18. Erster Teil, Düsseldorf 1959, S. 25, dort Anm. 10. 87 Zu den Hintergründen der schriftlichen Mißtrauensbekundung vgl. eine Aufzeichnung des nationalliberalen Parteiführers Stresemann, Mitte Juli 1917, abgedruckt ebd., S. 74 f.; der Text der vom konservativen Fraktionsführer Westarp unterschriebenen Mißtrauensbekundung findet sich bei Kuno Graf Westarp, Konservative Politik im letzten Jahrzehnt des Kaiserreiches. Bd. 2: Von 1914 bis 1918, Berlin 1935, S. 359.
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lelherrschaft zu Lasten des Reichskanzleramts etabliert hatte und immer mehr der vom Kanzler zu erbringenden Koordinationsleistungen an sich zog.88 Bethmann Hollweg hatte mit seiner Politik der „Neuorientierung“ im Frühjahr und Sommer 1917 gezeigt, dass das politische System des Kaiserreichs zu bemerkenswerten Anpassungsleistungen fähig war. Zugleich zeugt seine Politik davon, dass in diesem Prozeß das Vereinbarungsprinzip die unverzichtbare Säule bildete, um in hochkomplexen Systemen entscheidungsförmige Abstimmungsprozesse zu gestalten. Dass Bethmann Hollweg dabei den Reichstag als Verfahrensbeteiligten aufwertete, macht ihn zu einer Persönlichkeit, die einen festen Platz in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus verdient.
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Pyta, Hindenburg (Anm. 37), S. 295 – 324.
Nationalsozialistische Eroberungsstrategien auf dem Land: Das Beispiel Oberbayern 1920 bis 1933 Von Martin Hille, Passau I. Einleitung „Die Regierung hat jetzt eine eminent wichtige Aufgabe, der sie sich mit allem Nachdruck widmen muss, und das ist die Stellungnahme zu den Nationalsozialisten“1. Als Bayerns Ministerpräsident Hugo Graf von Lerchenfeld Anfang November 1922 seine Sorgen über den Massenzulauf zur NSDAP äußerte, stand er noch unter dem frischen Eindruck des faschistischen Marsches auf Rom. Für den parteilosen Lerchenfeld bestand kein Zweifel an der ansteckenden Wirkung der Machtergreifung Benito Mussolinis auf die hiesigen Hitler-Anhänger. Und doch sah er einen gravierenden Unterschied zwischen der italienischen und der deutschen Situation. „Als Mussolini in Neapel den Mobilmachungsbefehl“ erlassen habe, hätten „die Fascisten gleichzeitig in Mailand, Brescia, Rom etc. losgeschlagen“. Dagegen reiche der Radius der „national-sozialistischen Bewegung“ nicht weit „über München und Südbayern“ hinaus. Schon Nordbayern werde bei einer spontanen Umsturzaktion der NSDAP wahrscheinlich nicht mitmachen, geschweige denn das „übrige Reich“2. Lerchenfelds Prognose erwies sich als weitgehend richtig: Mit dem Hitler-Putsch vom achten und neunten November 1923 scheiterte der erste Versuch einer NSMachtergreifung in Bayern und im Reich. Obwohl die NSDAP zwischenzeitlich ein deutschlandweites Netzwerk an Ortsgruppen und Stützpunkten aufgebaut hatte, haftete an ihr noch immer das Profil einer südbayerischen Massenbewegung. Außerdem übte dieser Raum eine bemerkenswerte Anziehungskraft auf erklärte Feinde der Weimarer Republik aus ganz Deutschland aus. Angeführt von prominenten Weltkriegsgenerälen und Admirälen wie unter anderem Erich Ludendorff und Alfred von Tirpitz ließen sich hier nach 1918 viele ehemalige Offiziere und Reserveoffiziere nieder3. Hinzu gesellte sich Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der seit 1922 von seiner Jagdresidenz Dietramszell aus regelmäßig in die Fußstapfen des von Ludwig Ganghofer verewigten „Jägers von Fall“ trat. Seit dem Debakel des Kapp-Putsches vom März 1920 tauchten in diesem Gebiet ferner versprengte Frei1
Politik in Bayern 1919 – 1933. Berichte des württembergischen Gesandten Carl Moser von Filseck, herausgegeben und kommentiert von Wolfgang Benz, Stuttgart 1971, Nr. 92, S. 111: Gesprächsnotiz vom 8. November 1922. 2 Ebd. 3 Bruno Thoß, Der Ludendorff-Kreis, München 1978.
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korps-Offiziere aus dem Norden Deutschlands unter, allen voran etliche Kämpfer der „Marinebrigade Ehrhardt“. Ein Teil von ihnen organisierte sich mit Hilfe ihres Anführers Erhardt und des Münchner Polizeipräsidenten Pöhner in geheimen Arbeitskommandos wie etwa der Weilheimer „Arbeitsgemeinschaft Schmidt“. Offiziell kam diese im Rahmen der Moorkultivierung zum Einsatz, in Wirklichkeit traf sie geheime Vorbereitungen zur gewaltsamen Beseitigung der Weimarer Republik4. Noch wenige Jahre zuvor lagen in diesem Raum auffällig viele Brennpunkte der Revolution von 1918/19. Von der Landeshauptstadt München einmal abgesehen, fanden sich diese unter anderem in Rosenheim, Kolbermoor, Penzberg, Füssen und Lindau5. Im Kielwasser der Politisierung und Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten setzte anschließend eine heftige Gegenbewegung von rechts ein, die zunächst primär von den Einwohnerwehren getragen wurde. Ursprünglich als lokale, überparteiliche Ordnungstruppen nach dem sozialdemokratischen Milizprinzip formiert, wurden diese bis Ende 1919 zu einer landesweiten Organisation mit Hunderttausenden von Wehrmännern zusammengefasst. Schon zuvor drifteten die Einwohnerwehren politisch immer weiter nach rechts, bis diese im Mai 1920 zusammen mit diversen Freikorpsverbänden unter dem Dach der „Organisation Escherich“ zusammengefasst wurden6. Schon im Herbst und Winter 1919/20 weitete sich der Antisemitismus weit über München hinaus zu einem Massenphänomen aus7. Nachdem die judenfeindlichen Ressentiments um 1918/19 noch stark vom Teuerungsprotest der Weltkriegsära überlagert worden waren, zeichnete sich seit der blutigen Niederschlagung der kommunistischen Räterepublik im Mai 1919 eine Radikalisierung ab. Da führende Protagonisten der Münchner Revolution von 1918/19 Juden waren, verband sich der Anti4
Dazu unter anderem: Emil Julius Gumbel, Verschwörer. Zur Geschichte der deutschen nationalistischen Geheimbünde, Wien 1924, Ndr. Heidelberg 1979, hier S. 76 f.; Gabriele Krüger, Die Brigade Ehrhardt, Hamburg 1971, bes. S. 73 f., 82 f.; Martin Sabrow, Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt a. M. 1999, hier S. 28 – 31. 5 Eine substanzielle Gesamtdarstellung zur bayerischen Revolution von 1918/19 fehlt bis heute; vgl. dazu unter anderem: Bernhard Grau, Revolution, 1918/1919, publiziert am 09. 05. 2008; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Le xikon/Revolution,_1918/1919; vgl. ferner Martin Hille, Revolutionen und Weltkriege. Bayern 1914 bis 1945, Köln/Wien 2018, bes. S. 35 – 83 sowie Allan Mitchell, Revolution in Bayern 1918/1919. Die Eisner-Regierung und die Räterepublik, München 1967. 6 David Clay Large, The Politics of Law and Order: A History of the Bavarian Einwohnerwehr 1918 – 1921, Philadelphia 1980, hier S. 23 – 26; Horst G. Nußer, Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich. Mit einer Biographie von Forstrat Georg Escherich 1870 – 1941, Bd. 1, München 1973, hier S. 100 f., 106, 173 – 175. 7 Zum bayerischen, insbesondere Münchner Antisemitismus seit 1918: Martin H. Geyer, Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne, München 1914 – 1924, Göttingen 1998, bes. S. 229 – 288; Othmar Plöckinger, Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre beim deutschen Militär 1918 – 1920, München 2013, bes. S. 194 – 209 und 258 – 282 sowie Dirk Walter, Antisemitische Kriminalität und Gewalt: Judenfeindschaft in der Weimarer Republik, Bonn 1999, S. 52 – 79 u. 97 – 110.
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Juden- nun verstärkt mit einem ausgeprägten Anti-Bolschewismus-Komplex. Als mediale Verstärker wirkten Teile der Tagespresse, ein Phänomen, das sich nicht allein auf den berüchtigten „Miesbacher Anzeiger“ beschränkte8. Allen voran die bislang nationalkonservative „München-Augsburger Abendzeitung“ schlug seit ihrer Übernahme durch den Hugenberg-Konzern 1920 einen rechtsextremen Kurs ein. Auch die bis dahin eher liberalen „Münchner Neuesten Nachrichten“ ergriffen verstärkt Partei für stramm nationalistische und völkische Positionen, nachdem sich die Duisburger Schwerindustriellendynastie Haniel die Mehrheitsanteile am Münchner Knorr & Hirt-Verlag gesichert hatte9. So war das politische Terrain wie geschaffen, als die NSDAP im Lauf des Jahres 1920 ihre ersten Fühler über den Münchner Burgfrieden hinaus streckte10. Obwohl Hitler und seine Anhänger im Münchner Süden relativ früh präsent waren, fand dieses Phänomen in der Forschung bis in die 1970er Jahre nur begrenzten Widerhall11. Nicht besser stand es mit der Frage nach den regionalen und lokalen Facetten der Entwicklung der NS-Bewegung. Das im Folgenden als Fallbeispiel gewählte ehemalige Bezirksamt Bad Tölz bildete da keine Ausnahme. Erst im Rahmen des Projekts „Bayern in der NS-Zeit“ erforschte Klaus Tenfelde mit Penzberg eine Bergarbeiterstadt im unmittelbar benachbarten Bezirksamt Weilheim12. Beiträge zum Bezirksamt Tölz erschienen seit den 1990er Jahren13, ehe nach 2000 die Bezirksämter GarmischPartenkirchen und Starnberg folgten14. Schlechter erforscht ist nach wie vor das Be8 Ludwig Thoma, Sämtliche Beiträge aus dem „Miesbacher Anzeiger“ 1920/1921. Kritisch ediert und kommentiert von Wilhelm Volkert, München 1989, S. 17 f. 9 Paul Hoser, Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Münchner Tagespresse zwischen 1914 und 1934. Methoden der Pressebeeinflussung, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1990 sowie Josef Mancˇ al, München-Augsburger Abendzeitung, publiziert am 30. 01. 2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Le xikon/München-Augsburger_Abendzeitung. 10 Donald Morse Douglas, The Early Ortsgruppen. The Development of National Socialist Local Groups 1919 – 1923, Diss., Kansas State University, Lawrence 1968, bes. S. 93 – 124. 11 So setzt die Pilotstudie von Geoffrey Pridham erst mit dem Jahr 1923 ein: Geoffrey Pridham, Hitlers Rise to Power. The Nazi Movement in Bavaria 1923 – 1933, New York 1973. 12 Klaus Tenfelde, Proletarische Provinz. Radikalisierung und Widerstand in Penzberg/ Oberbayern, in: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hrsg.), Bayern in der NSZeit, Bd. 4: Herrschaft und Gesellschaft in Konflikt, Teil C, München 1981, S. 1 – 382. 13 Martin Hille, Der Aufstieg der NSDAP im Bezirksamt Tölz bis zur Machtergreifung, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 66 (2003), S. 891 – 935; Christoph Schnitzer, Die NS-Zeit im Altlandkreis Bad Tölz und ihre Folgen. Kriegsende, Neuanfang, Flint-Kaserne, Bad Tölz 2015 (die erste Auflage dieses Buches erschien 1995). 14 Friederike Hellerer, Die NSDAP im Landkreis Starnberg: Von den Anfängen bis zur Konsolidierung der Macht (1919 – 1938), Herrsching 2019; Roland Lory, „Nach dem Osten evakuiert…“. Das Schicksal der Weilheimer Juden von 1933 bis 1945, in: Lech-Isar-Land (2011), S. 85 – 134; Josef Ostler, Garmisch und Partenkirchen 1870 – 1935. Der Olympia-Ort entsteht, in: Mohr-Löwe-Raute. Beiträge zur Geschichte des Landkreises Garmisch-Partenkirchen, Bd. 3, Garmisch-Partenkirchen 2000; Edith Raim, „Es kommen kalte Zeiten“, Murnau 1919 – 1950, München 2020; Ludwig Utschneider, Oberammergau im Dritten Reich, 2. Aufl. Oberammergau 2012.
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zirksamt Miesbach, obwohl die NS-Botschaft gerade dort auf fruchtbaren Boden fiel15. Im Folgenden sollen in einem ersten Schritt die Rahmenbedingungen und Aktivitäten der frühen Tölzer NS-Bewegung bis zum Hitler-Putsch von 1923 nachgezeichnet werden. Anschließend richtet sich der Blick auf die Entwicklung der rechtsextremen Szene von der Gründung des Völkischen Blocks 1924 bis zum politischen Erdrutsch zugunsten der NSDAP bei den Reichstagswahlen vom September 1930. Ein weiterer Abschnitt thematisiert die politische Radikalisierung zugunsten der NSDAP in den Jahren 1930 bis 1933, die wiederum mit einer beispiellosen Mobilisierung der Landbevölkerung einherging. Die Ausführungen schließen mit einem Ausblick auf das Verhalten führender Lokalrepräsentanten der Bayerischen Volkspartei (BVP) in der Phase der NS-Gleichschaltung vom Frühjahr und Frühsommer 1933.
II. Zu den Rahmenbedingungen und Aktivitäten der frühen NS-Bewegung im Raum Tölz Positive Rahmenbedingungen für die NS-Agitation setzten zunächst die günstigen Verkehrsinfrastrukturen des Bezirksamtes. So bestanden seit der Jahrhundertwende drei Bahnverbindungen mit der rasch expandierenden Metropole München. Neben den Zügen von Lenggries nach München und von Kochel nach München verkehrte seit 1898 zusätzlich die „Isartalbahn“ von Bichl nach München-Süd. Nicht von ungefähr konzentrierten sich vor 1930 nahezu sämtliche Gründungen von NSDAP-Ortsgruppen und Stützpunkten auf Gemeinden mit Eisenbahnanschluss16. Ebenfalls an den Eisenbahnlinien nach München orientierten sich die in den späten 1920er Jahren entstandenen Parteibezirke respektive Parteikreise der NSDAP. So fiel der Untersuchungsraum im November 1928 in die Zuständigkeit der Parteibezirke Starnberg und Holzkirchen, die wiederum an die Bezirke Murnau und Miesbach grenzten17. Schon vor dem Ersten Weltkrieg beförderten die guten Bahnverbindungen nach München den Naherholungs- und Fremdenverkehr. Zunächst profitierten davon in erster Linie die Kurorte Bad Tölz und Bad Heilbrunn sowie die Gemeinden Lenggries und Kochel, nach dem Ersten Weltkrieg dann auch kleinere Orte18. Mit der Zahl der Sommergäste sowie dem anhaltenden Zuzug betuchter Großbürger nahmen zugleich die politischen Einflüsse von außen zu. Hinzu kam die auffällige Präsenz ehemaliger Weltkriegsoffiziere. Viele von ihnen organisierten sich seit 1919 in „va15
Reinhold Friedrich, Spuren des Nationalsozialismus im bayerischen Oberland: Schliersee und Hausham zwischen 1933 und 1945, (Book on Demand), Norderstedt 2011. 16 Douglas, Ortsgruppen (Anm. 10), S. 85 – 122, 192 – 228. 17 Claudia Roth, Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, München 1997, hier S. 39 f. 18 Hille, Tölz (Anm. 13), S. 893, 909.
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terländischen“ Vereinigungen, Offiziersbünden und Soldatenkameradschaften, die politisch fast durchweg nach rechts ausstrahlten19. Noch günstigere Voraussetzungen für die NS-Parteiarbeit schuf die beispiellose Massenmobilisierung im Zeichen der Gegenrevolution seit Frühjahr 1919. Zusätzliche Dynamik in diesen Prozess brachte der paramilitärische Arm der so zahlreich aus dem Boden schießenden „Vaterländischen Verbände“. Ganz vorne stand die rasch anschwellende Einwohnerwehrbewegung, die über das Horten und Verschieben umfassender Waffenbestände hinaus eng mit versprengten Freikorpsverbänden kooperierte. Nach dem offiziellen Verbot sämtlicher Wehrverbände im Juni 1921 tauchten diese teilweise in den Untergrund ab und stellten sich in Form straff militärischer Nachfolgeorganisationen neu auf. Weiterhin wirkte die Abwehr der „roten Gefahr“ als einigendes Band, wenngleich ständige Rivalitäten und Zerwürfnisse den Aufbau einer rechten Einheitsfront letztlich verhinderten20. Genau diesem Ziel verschrieb sich auch die größte und finanzkräftigste dieser Formationen, die aus den Einwohnerwehren hervorgegangene „Organisation Pittinger“, die sich seit April 1922 „Bund Bayern und Reich“ nannte21. Tatkräftig unterstützt von der bayerischen Staatsregierung und der bayerischer Reichswehrleitung sollten darin sämtliche Wehrverbände unter Einschluss der Freikorps zu einer schlagkräftigen Reservearmee zusammengefasst werden. Ging es nach dem Willen der bayerischen Reichswehrleitung, sollte der „Bund Bayern und Reich“ zum einen als „Not- und Hilfspolizei“ bei Aufständen von links und zum anderen als Heeresverstärkung im Fall „kriegerischer Verwicklungen“ eingesetzt werden22. Einen seiner stärksten Partner fand der monarchistisch-partikularistische „Bund Bayern und Reich“ im militant völkischen „Bund Oberland“ 23. Hervorgegangen aus dem früheren „Freikorps Oberland“, präsentierten sich seine Mitglieder in der Öffentlichkeit gerne im volkstümlich-bajuwarischen Gewand, standen doch damals Brauchtum und Volkstum weit über die Heimatbewegung hinaus hoch in Kurs24. Darüber hinaus schlug der „Bund Oberland“ die Brücke zur S.A. und seit dem Winter 19
Für das Beispiel Murnau vgl. Raim, Murnau (Anm. 14), S. 112, 137. Vgl. Hille, Weltkriege (Anm. 5), S. 94 – 98. 21 Dazu Hans Fenske, Konservatismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Berlin/Zürich 1969, S. 172 – 184; Harold J. Gordon, Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923 – 1924, München 1971, S. 105 – 113; Christoph Hübner, Bund „Bayern und Reich“, 1921 – 1935, publiziert am 11. 05. 2006 in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www. historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bund_„Bayern_und_Reich“, 1921 – 1935. 22 So Major Adram in einem Vortrag vor dem bayerischen Wehrkreiskommando im Dezember 1922, abgedruckt in: Das Krisenjahr 1923. Militär und Innenpolitik 1922 – 1924, bearb. von Heinz Hürten, München 1980, Dokument 1, S. 3 – 9. 23 Hans Jürgen Kuron, Freikorps und Bund Oberland, Diss. Univ. Erlangen 1960; weitere Literatur bei: Christoph Hübner, Bund Oberland, 1921 – 1923/1925 – 1930, publiziert am 04. 07. 2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bay erns.de/Lexikon/Bund_Oberland,_1921-1923/1925-1930. 24 Gordon, Hitlerputsch (Anm. 21), S. 94; Raim, Murnau (Anm. 14), S. 131. 20
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1922/23 verstärkt zu den Nationalsozialisten. Schließlich, im Februar 1923, schlossen sich diese drei Formationen mit weiteren Rechtsverbänden zur „Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände“ zusammen25. Auch viele Bürger und Bauern im Tölzer Raum sympathisierten mit den „Oberländern“. Viele von ihnen versprachen sich Schutz vor der „bolschewistischen Gefahr“, die aus ihrer Sicht vornehmlich vom Brennpunkt Penzberg ausging sowie von den vielen Arbeitern auf der Großbaustelle des Walchenseekraftwerks bei Kochel. Als der „Bund Oberland“ am 28. Februar 1923 vom bayerischen Innenministerium mit der Aufstellung einer lokalen Abteilung der Polizeilichen Nothilfe beauftragt wurde, fiel das Echo der Loisachtalgemeinden durchweg positiv aus. Zur Vorbeugung und Bekämpfung von Unruhen von links stellte Fritz Bauer aus Benediktbeuern einen Bahnschutz entlang der Bahnstrecke von Kochel nach Tutzing auf und rekrutierte dafür nicht weniger als 13 Männer26. Seitdem stand die „Notpolizei Gruppe Penzberg“ in ständiger Bereitschaft und tatsächlich kam es im Lauf des Krisenjahres 1923 wiederholt zu Unruhen in und um Penzberg. Vor allem der gescheiterte Versuch von SA und „Bund Oberland“, die Maikundgebung von KPD und SPD auf der Münchner Theresienwiese zu unterdrücken, hinterließ nachhaltige Eindrücke bei vielen Arbeitern im Loisachtal27. Schließlich, am elften August 1923, dem vierten Jahrestag der Verabschiedung der Weimarer Verfassung, kam es in Penzberg zu direkten Zusammenstößen zwischen rechts- und linksgerichteten Gruppen. Als Drahtzieher verdächtigten viele Penzberger den „Bund Oberland“, ehe dieser einige Wochen später zur Teilnahme an einer Übung mit Waffen im Raum Kochel aufrief28. Eng mit dem Bund Oberland kooperierte die SA, deren Mitglieder sich zum Teil aus dem früheren „Freikorps Oberland“, zum Teil aus der ehemaligen „Marinebrigade Ehrhardt“ rekrutierten29. So war es nicht zuletzt dem starken Standbein der SA zu verdanken, dass sich Hitler im Lauf des Sommers 1922 an die Spitze der sogenannten „vaterländischen Bewegung“ vorkämpfen konnte30. Parallel verschlechterte sich nochmals die Wirtschaftslage, insbesondere für die Lohnabhängigen, Beamten, Rentenempfänger, Vermieter und Kleinselbständigen31. Unübersehbar war die enge Korrelation zwischen der Popularität der NSDAP und der Fieberkurve 25
Bruno Thoß, Der Ludendorff-Kreis 1919 – 1923, München 1978, S. 269 – 273; Gordon, Hitlerputsch (Anm. 21), S. 90 – 93. 26 Tenfelde, Proletarische Provinz (Anm. 12), S. 177 f. 27 Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8./9. November 1923, eingeleitet und hrsg. von Ernst Deuerlein, Stuttgart 1962, S. 56 – 62; vgl. auch Fenske, Rechtsradikalismus (Anm. 21), S. 191 – 196 sowie Gordon, Hitlerputsch (Anm. 21), S. 177 – 183. 28 Tenfelde, Proletarische Provinz (wie Anm. 12), S. 179. 29 Peter Longerich, Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, München 1989; Daniel Siemens, Geschichte der SA, München 2019. 30 Vgl. auch Hitler-Putsch, Dokumente (Anm. 27), Einleitung, S. 45. 31 Gabriele Sperl, Wirtschaft und Staat in Bayern 1914 – 1924, München 1996, S. 485 – 501 sowie Geyer, Verkehrte Welt (Anm. 7), S. 146 – 166, 170 – 178, 319 – 321, 321 – 328.
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der Nachkriegsinflation, die ab August 1922 in eine galoppierende und seit Januar 1923 in eine Hyperinflation umschlug. Nicht von ungefähr erklärten aufmerksame Beobachter den Massenzulauf zu den Nationalsozialisten seit Sommer 1922 nicht nur mit dem Charisma Hitlers, sondern noch mehr mit der sich dramatisch zuspitzenden Teuerung32. Vor diesem Hintergrund sind auch die Vorgänge in Bad Tölz und im Isarwinkel vom Sommer und Herbst 1922 zu verorten. Bereits am 17. Juni 1922 kam es auf maßgebliche Initiative der Münchner Parteileitung zur Gründung der Tölzer NSDAPOrtsgruppe unter Führung des Postschaffners Michael Kornpropst. Offenbar hatten die anderen völkischen Vereinigungen vor Ort bereits gute Vorarbeit geleistet, verlief doch alles ohne Startprobleme. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die Tölzer NSDAP zu einer der aktivsten Ortsgruppen Südbayerns, begleitet von stetiger Basisarbeit im Rahmen regelmäßiger Sprechabende33. Nicht nur Mitglieder und „Gesinnungsfreunde“ wurden zum Kommen aufgefordert, sondern ebenso Kurgäste und Touristen34. Von Anfang an setzte die Tölzer Ortsgruppenleitung auf die politische Multiplikatorfunktion der Kurgäste, erst recht, als man für den zehnten September 1922 zur Teilnahme an der ersten öffentlichen Kundgebung aufrief. Im Rahmen der „Herbstoffensive“ 1922 sprach kein geringerer als Adolf Hitler im überfüllten Schaftlerbräusaal, nachdem Hunderte weiterer Besucher wegen Überfüllung abgewiesen worden waren. Wie in so vielen Reden jener Monate rückte Hitler die Judenfrage ganz ins Zentrum seiner Ausführungen, gipfelnd in dem Ausruf: „Wir müssen diesen schädlichen Fremdkörper, die Juden, in unserem Staatsleben ausmerzen, wir müssen ihn abschütteln“35. Offenbar kamen solche Hasstiraden beim Publikum an. Auch das Lokalblatt, der „Tölzer Kurier“, gab sich damals keineswegs NSDAP-feindlich, erst recht nicht der Kommentator jenes Hitler-Auftritts. „Hitler ist kein Phrasendrescher oder Schlagwortheld. Schlicht und leicht verständlich ist seine Rede“. Sie reihe „nur Tatsache an Tatsache“ und ziehe „aus dem Gegebenen“ „mit bewundernswerter Geistesschärfe“ ihre Schlussfolgerungen36. Neben entschiedenen Hitler-Anhängern wie in diesem Fall kamen im „Tölzer Kurier“ auch Hitler-Kritiker zu Wort, wenngleich Erstere eindeutig dominierten37. Jedenfalls war der Nationalsozialismus in der Kurstadt mittlerweile politisch parkettfähig geworden, was wiederum bessere Voraussetzungen für die Propagandaarbeit im Umland schuf38. 32
Moser von Filseck, Berichte (Anm. 1), Eintrag zum 31. 8. 1922, S. 107 f. Douglas, Ortsgruppen (Anm. 10), S. 207 – 210. 34 Tölzer Kurier (im Folgenden abgekürzt TK) v. 20. 7. 1922. 35 TK v. 14. 9. 1922. 36 Hille, Tölz (Anm. 13), S. 916. 37 Ebd. 38 Ebd., S. 917, Anm. 146. 33
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Etwa zeitgleich wie die NSDAP-Ortsgruppe formierte sich die Tölzer SA, deren Aktionsradius sich auf den gesamten Isarwinkel und die Jachenau sowie das benachbarte Tegernseer Tal erstrecken sollte. Hervorstechend waren von Anfang Stärke und Stoßkraft der Truppe, für Hitler Anlass, sich am ersten Oktober 1922 mit angeblich rund 100 Tölzer SA-Männern auf den Weg zum Tegernsee zu machen39. Auch in den folgenden Monaten flankierte die Tölzer SA wiederholt die Aktivitäten der Tegernseer Nationalsozialisten. Hinzu kamen die engen Verbindungen zur Landeshauptstadt. Der gemeinsame Auftritt der Tölzer mit vier Hundertschaften Münchner SA-Männer am 26. Mai 1923 bildete in dieser Hinsicht einen vorläufigen Höhepunkt. Nach Abhaltung einer größeren Übung am Blomberg inszenierte man den Vorbeimarsch an der Tölzer SA-Führung, der angeblich von lebhaften Sympathiekundgebungen der Ortsbevölkerung begleitet war40. Schon drei Monate zuvor war der Tölzer NSDAP die Gründung einer Niederlassung in der entlegenen Jachenau gelungen. Am 26. und 27. August 1922 sollen dort einem Bericht des „Völkischen Beobachters“ zufolge zwei gut besuchte Sprechabende stattgefunden haben. Sehr bald jedoch scheinen die dortigen NS-Aktivitäten wieder eingeschlafen zu sein41. Dafür begleitete die schlagkräftige Tölzer SA die NSVersammlungen in Lenggries, Wackersberg und Gaißach vom September, Oktober und Januar 1922/23. Neue Mitglieder konnten dort gewonnen werden, wenngleich ihre Zahl für die Gründung weiterer Ortsgruppen offenbar nicht ausreichte42. Auch jenseits der Bezirksamtsgrenzen beschränkten sich die NSDAP-Ortsgruppengründungen vor 1924 weitgehend auf Städte und Märke sowie größere Fremdenverkehrsorte. Schon im Jahr 1920 waren außerhalb Münchens die Ortsgruppen in Rosenheim sowie in Starnberg, Tegernsee und Landsberg entstanden. Nach einem längeren Moratorium folgten in der ersten Jahreshälfte 1922 Bad Tölz und Garmisch, im Oktober und November 1922 dann Herrsching und Holzkirchen, während ein Gründungsversuch in Weilheim stecken blieb. Im Februar 1923 sollte es schließlich in Murnau und kurz darauf auch in Schliersee soweit sein43. Obwohl die Attraktivität der NSDAP bei der oberbayerischen Landbevölkerung im Lauf des Jahres 1923 wuchs, hielt sich der Zulauf auf den Dörfern im Vergleich zu den Städten und Märkten vergleichsweise in Grenzen. Dies hing auch mit der damaligen politischen Kultur auf dem Land zusammen. Trotz der jahrelangen vaterländischen Propaganda dachte die Mehrzahl der Bauern weiterhin eher bayerisch-partiku39 Bayerisches Hauptstaatsarchiv (im Folgenden abgekürzt BayHStA) MA 102136: Halbmonatsbericht des oberbayerischen Regierungspräsidiums v. 10. 10. 1922; Douglas, Ortsgruppen (Anm. 10), S. 209. 40 So der Tenor des Berichts im VB v. 2. 6. 1923. 41 VB v. 26. 8. 1922 und 30. 8. 1922. 42 VB v. 20. 9. 1922 und 17. 1. 1923. 43 Douglas, Ortsgruppen (Anm. 10), S. 192 – 231; Raim, Murnau (Anm. 14), S. 134 – 140 sowie TK v. 5. 5. 1938 und Tölzer Zeitung (im Folgenden abgekürzt TZ) v. 4. 7. 1936 und v. 7. 7. 1936.
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laristisch als radikal deutschnational. Neuere sozialhistorische Studien bestärken solchen Eindruck, und unterstreichen einmal mehr die begrenzte Wirkung nationalistischer Sinnstiftungsmuster in diesen Kreisen44. Zudem konnte die NS-Agitation hier anders als im evangelischen Franken und im katholischen Oberallgäu nicht an ältere nationalliberale Traditionen anknüpfen. Wie südbayerische Stichproben für die Monate September und November 1923 ergaben, schlug sich dies nicht zuletzt in der Zusammensetzung der NSDAP-Mitgliedschaft nieder. Während damals Landwirte und Landwirtssöhne nur zwölf Prozent der Neumitglieder stellten, waren die Angehörigen des kleingewerblich-selbständigen alten Mittelstandes deutlich überrepräsentiert. Überdurchschnittlich stark zur NSDAP-Mitgliedschaft drängten in jenen Monaten außerdem Studierende, höhere Beamte, Adelige und Industrielle45. III. Zur Entwicklung des rechtsextremen Lagers zwischen 1924 und 1930 Nach dem gescheiterten Hitler-Putsch kam auch im Isar- und Loisachwinkel das vorläufige Aus für die NSDAP46. Die Partei wurde im November 1923 verboten, und doch nahm der Zulauf zu den rechtsradikalen Nachfolgeorganisationen in den kommenden Monaten eher zu. Auch der Propagandaeffekt des Hitler-Ludendorff-Prozesses vom Februar/März 1924 war nicht zu unterschätzen, nachdem sich der Braunauer auf geschickte Weise als Märtyrer einer gerechten Sache inszeniert hatte. Ein Schlaglicht auf dieses Phänomen werfen die „Inflationswahlen“ vom April und Mai 1924 auf Landes- und Reichsebene47. Als wichtigste Plattform für ehemalige NSDAP-Anhänger sowie zahlreiche Antisemiten, deutschvölkische Großbürger und Reserveoffiziere hatte sich Anfang Januar 1924 der „Völkische Block in Bayern“ formiert48. Um möglichst viele Stimmen aus dem Lager rechts der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zu gewinnen, läuteten die Völkischen ihre Wahlkampagne bereits Anfang März ein und führten diese besonders aggressiv. Auch organisatorisch hatte der Völkische Block die Nase vorn und schickte in Tölz und den benachbarten Bezirksämtern unter anderem den frühe44 Benjamin Ziemann, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914 – 1923, Essen 1997, hier S. 33 – 35, 414 f., 424 f. 45 Axel Böhm, Die Mitglieder der früheren (NS)DAP (1919 – 1922): Zur Sozialstruktur in den Ortsgruppen München, Rosenheim, Landshut, Passau und Mannheim, in: Jürgen W. Falter (Hrsg.), Junge Kämpfer, alte Opportunisten: die Mitglieder der NSDAP 1919 – 1934, Frankfurt a. M./New York 2016, S. 361 – 379, hier bes. S. 376 f., vgl. auch Ziemann, Heimat (Anm. 44), S. 339. 46 Hitler-Putsch, Dokumente (Anm. 27), S. 415. 47 Dietrich Thränhardt, Wahlen und politische Strukturen in Bayern 1848 – 1953. Historisch-soziologische Untersuchungen zum Entstehen und zur Neuerrichtung eines Parteiensystems, Düsseldorf 1973, hier 135 f. 48 Pridham, Rise (Anm. 11), S. 15 – 20; Robert Probst, Völkischer Block in Bayern (VBl), 1924/25, publiziert am 02. 08. 2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.histo risches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Völkischer_Block_in_Bayern_(VBl),_1924/25.
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ren Murnauer NSDAP-Aktivisten Graf Ernst Fischler von Treuberg ins Rennen. Hinzu gestellten sich der Landwirt Johann Fichtner aus Holzkirchen und ein Professor Schlösser aus Schaftlach49. Allen voran Treuburg scheint in Tölz kein unumstrittener Mann gewesen zu sein und selbst in der Lokalpresse erntete er für seinen Auftritt im Schaftlerbräusaal vom ersten April 1924 so manche Kritik: „Der Hauptredner Graf Treuberg war heißer, er verschob daher die Wucht seiner an Kraftausdrücken reichen Rede auf zuletzt und kürzte sie ab“, so der Tölzer Kurier, und weiter: Deshalb ließ „er für sich andere preußische Herren im Offizierston des kategorischen Imperativs reden – ja es ist sehr altpreußisch auf der Rednertribüne am Dienstag zugegangen, wo ein wohlgefügter Stab von Männern aus dem Norden die Gewalt hatte“50. Gegenredner hatten da einen schweren Stand, erst recht der Tölzer Kopf des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und SPD-Stadtrat Michael Deschermeier. Gleich zwei Mal konterte er Treuberg mit überzeugenden Gegenargumenten und sparte dabei nicht mit humoristischen Einlagen. Hinzu gesellte sich Stadtrat Anton Wiedemann von der Bayerischen Volkspartei (BVP)51. Zusammen mit Deschermeier sollte er den rechtsextremen Rednern auch in den kommenden Jahren immer wieder Paroli bieten – und dies blieb so bis zur NS-Machtergreifung 1933. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 gewann der Völkische Block in Bad Tölz-Stadt 15,5 Prozent und im Bezirksamt 11,6 Prozent der Stimmen. Damit lagen Stadt und Bezirksamt Tölz sowohl unter dem bayerischen, als auch dem oberbayerischen Schnitt von 17,4 respektive 19,2 Prozent52. Als völkische Hochburgen kristallisierten sich im bayerischen Oberland unter anderem die Märkte Holzkirchen und Murnau heraus, die mit Voten von umgerechnet 31,0 und 29,4 Prozent sogar die braune Bastion München (28,5 Prozent) überflügelten53. In diesen Orten verdrängten die Völkischen außerdem die BVP als stärkste Partei, ein Phänomen, das ferner für Landsberg (32,9 Prozent) und Ingolstadt (34,5 Prozent) festgestellt werden konnte54. Auch im Tölzer Land erzielte der Block einige vorzügliche Lokalresultate, besonders in Kochel (17,6 Prozent) und Benediktbeuern/Bichl (20,3 Prozent), also Orten, die in unmittelbarer Nähe der ,roten Brennpunkte’ Walchenseekraftwerk und Penzberg lagen55. Dem Reichstrend folgend schmolz die Unterstützung für die Völkischen im Lauf des Jahres 1924 dahin. Zu den erneuten Reichstagswahlen im Dezember 1924 trat die „Nationalsozialistische Freiheitsbewegung“ in die Fußstapfen des Völkischen 49
TK v. 5. 3. 1924, zu Treuberg auch Raim, Murnau (Anm. 14), u. a. S. 101, 137 – 139, 158. TK v. 4. 4. 1924. 51 Ebd. 52 Thränhardt, Wahlen (Anm. 47), S. 133; TK v. 6. 5. 1924, Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts (im Folgenden abgekürzt ZBStL) (56) 1924, S. 316. 53 Zahlen berechnet nach „Oberbayerischer Gebirgsbote“ (Holzkirchen) v. 6. 5. 1924; ZBStLA (56) 1924, S. 316 sowie Raim, Murnau (Anm. 14), S. 103 f. 54 ZBStL (56) 1924, S. 316; Pridham, Rise (Anm. 11), S. 108 – 110. 55 Zahlen berechnet nach TK v. 6. 5. 1924. 50
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Blocks und erzielte in Bad Tölz-Stadt und Land nurmehr 7,0 Prozent respektive 4,3 Prozent56. Nicht ganz so schlecht schnitten die radikalen Antisemiten und Nationalisten bei den zeitgleichen Kommunalwahlen ab. Für den Stadtrat Tölz kandierte unter anderem der frühere NSDAP-Ortsgruppenleiter Kornpropst. Hinzu gesellten sich der Lohnkutschereibesitzer Michael Much, der Veterinär Dr. Seitz, der Lohnbuchhalter Ludwig Wendelin, der Steinmetzmeister Johann Kirchmair sowie der Lohnkutschereibesitzer Peter Leis57. Immerhin gewann Michael Much einen Stadtratssitz, ohne in den kommenden Jahren durch spektakuläre Reden und Aktionen auf sich aufmerksam zu machen58. Zweifellos hing die relative Passivität von Much auch und gerade mit der langen Durststrecke der NSDAP nach ihrer Münchner Wiedergründung Ende Februar 1925 zusammen59. Hitlers Rückkehr auf die politische Bühne fand im bayerischen Oberland eher begrenzten Widerhall, und doch gab es Orte, in denen das völkische Milieu weiterhin aktiv blieb. Schon kurz nach dem Münchner Wiedergründungsakt formierten sich aus der Holzkirchner und Murnauer Klientel des Völkischen Blocks neue NSDAP-Ortsgruppen60. Im Mai 1925 schlug dann die Geburtsstunde der zweiten NSDAP-Ortsgruppe Starnberg, während es in Murnau noch bis zum März 1926 dauern sollte61. Anders stellten sich die Dinge in Bad Tölz und Umgebung dar, wo das „Wiederauftreten Hitlers bisher keine bemerkbare Wirkung auf die dortigen völkischen Kreise ausgeübt“ habe62. Die Lageeinschätzung des oberbayerischen Regierungspräsidenten von Anfang April 1925 basierte wiederum auf den Halbmonatsberichten der hiesigen Gendarmeriestationen und entsprach durchaus der Realität. Der Erosionsprozess des völkischen Lagers, der sich bereits in den Tölzer Reichstagsund Kommunalwahlergebnissen vom Dezember 1925 spiegelte, setzte sich ungebrochen fort und führte auf Jahre hinaus zur weitgehenden Einstellung der Aktivitäten. Erst zum Ende des Jahres 1927 wagte der Tölzer Steinmetzmeister Hans Kirchmair, ein „alter Kämpfer“, zusammen mit einem halben Dutzend NS-Sympathisanten den politischen Neuanfang. Folgt man den nicht überprüfbaren Angaben eines offiziellen Rückblicks auf die Geschichte der Tölzer NSDAP vom Juli 1936, erhielt Kirchmair nach Rücksprache mit der Münchner Parteileitung den Auftrag zur Neugründung der Tölzer NSDAP63. Obwohl die Floskel von den „äußerst schwierigen Bedingungen in der Systemzeit“ zum festen Repertoire lokaler NSDAP-Chroniken 56
Zahlen berechnet nach TK v. 8. 12. 1924. TK v. 23. 11. 1924 sowie Staatsarchiv München (im Folgenden abgekürzt StAM) LRA 134026. 58 TK v. 11. 12. 1924. 59 Allgemein Pridham, Rise (Anm. 11), S. 36 – 77. 60 BayHStA MA 102136: Halbmonatsbericht des oberbayerischen Regierungspräsidiums v. 7. 4. 1925. 61 Hellerer, Starnberg (Anm. 14), S. 59 f.; Raim, Murnau (Anm. 14), S. 143 f. 62 BayHStA MA 102136: Halbmonatsbericht des oberbayerischen Regierungspräsidiums v. 7. 4. 1925. 63 „Kreis Tölz im Kampf um Deutschlands Erneuerung“ in: TZ v. 6. 7. 1936. 57
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gehört, konnte Kirchmair offenbar nur mit großer Mühe weitere Anhänger gewinnen. Immerhin schaffte er es, bis Anfang Februar 1928 die Münchner Vorgabe von mindestens zehn neugewonnenen Parteigenossen für eine Ortsgruppengründung zu erfüllen. Am elften Februar 1928 erfolgte im Beisein des damaligen oberbayerischen Gauleiters Fritz Reinhardt der nächste Schritt: Die offizielle Neugründung der Tölzer NSDAP, welche etwa zur gleichen Zeit erfolgte wie die Neuformierung der Garmischer NSDAP64. Die zeitliche Parallelität der beiden Gründungen war sicherlich kein Zufall, denn für Mai 1928 standen Reichs- Landtags-, Bezirkstags- und Kreistagswahlen ins Haus. Zur Mobilisierung neuer Wähler zog die Tölzer NSDAP eine lebhafte Kampagne auf und auch die Besucherzahlen ihrer öffentlichen Veranstaltungen überschritten zeitweise wieder die Marke von 100. Und doch entsprach der Wahlausgang vom 20. Mai 1928 keineswegs den Erwartungen Hitlers und seiner Anhänger. Mit einem NSDAP-Votum von 7,6 Prozent in der Kurstadt und 5,6 Prozent im Bezirksamt lag der Isar- und Loisachwinkel zwar über dem reichsweiten Wert von 2,6 Prozent, aber deutlich unter dem Schnitt der benachbarten NS-Hochburgen Holzkirchen (23,3 Prozent), Murnau (25,1 Prozent), Miesbach (18,3 Prozent) und Fischbachau (32,2 Prozent)65. Von diesen Ausnahmen einmal abgesehen, ging in den meisten Städten die SPD und in sehr vielen Dörfern der mittelständisch-antiklerikale Bauernbund als eigentlicher Sieger aus den Wahlen hervor66. Erste Konsequenzen aus dem unbefriedigenden Resultat der Maiwahlen 1928 zog die NSDAP auf der sogenannten „Führertagung“ vom 31. August bis zum zweiten September 1928 in München. Gerade auf den Dörfern hatte die Bewegung schlecht abgeschnitten, weshalb über eine grundlegende Organisationsreform hinaus eine verstärkte Mobilisierung der Landbevölkerung beschlossen wurde. Wegweisend wurden die Direktiven von Heinrich Himmler aus der Parteizentrale und Oberbayerns Gauleiter Fritz Reinhardt, die neben der Neueinschärfung des Führerprinzips eine bislang beispiellose Versammlungs- und Propagandaoffensive auf dem Land ankündigten67.
64 In Holzkirchen waren die Veranstaltungen der Nationalsozialisten selbst in den Jahren 1925 bis 1928 gut besucht. So sprach Rudolf Buttmann Ende 1925 vor immerhin rund 100 Hörern, während eine Versammlung mit Hitler Anfang 1928 sogar 500 bis 600 Besucher in den Oberbräusaal lockte; BayHStA MA 102135 und 102137: Halbmonatsberichte des oberbayerischen Regierungspräsidiums v. 5. 12. 1925 und v. 6. 2. 1928. 65 Zahlen berechnet nach TZ 21. 5. 1928; ZBStLA (60) 1928, S. 454; Raim, Murnau (Anm. 14), S. 247. 66 Hannsjörg Bergmann, Der Bayerische Bauernbund und der Bayerische Christliche Bauernverein 1919 – 1928, München 1986, S. 324 – 328, Thränhardt, Wahlen (Anm. 47), S. 133 – 136, 145. 67 Albrecht Tyrell, Führer befiel…. Selbstzeugnisse aus der „Kampfzeit“ der NSDAP. Dokumentation und Analyse, Düsseldorf 1968, S. 255 – 257; Pridham, Rise (Anm. 11), S. 92 – 94.
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In den Dörfern zwischen Starnberg und Kochel sowie entlang der Eisenbahnlinien des Verkehrsknotenpunkts Holzkirchen gaben im strengen Winter 1928/29 unter anderem der Starnberger NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Buchner und sein Holzkirchner Parteigenosse Franz Buchmiller ihr Bestes68. Zumindest im Bezirksamt Tölz hielt sich der Erfolg in Grenzen, denn nur in Benediktbeuern konnte die NSDAP Fuß fassen69. Dort existierte schon seit Jahren ein Zirkel eingeschworener Anhänger der völkischen Idee, der wiederum aus den Resten des einst stark positionierten Völkischen Blocks hervorgegangen war. Neben dem Apotheker Kraus, der Medizinalratswitwe Zahner und ihrer Tochter, dem Marineoffizier a. D. Lang sowie dem Leiter des örtlichen Forstamtes Muffat gesellten sich noch der Kaufmann Reiser sowie der Landwirt Prantl hinzu70. Schließlich muss noch Sixtus Albertshofer, Angestellter am damaligen Staatsgut Benediktbeuern, erwähnt werden, der als treibende Kraft der Ortsgruppengründung wirkte. Nachdem nur etwa zwei Dutzend Personen den Weg in die erste Benediktbeurer NSDAP-Versammlung vom 23. Januar 1929 gefunden hatten, konnte Albertshofer drei Wochen später die ersten Früchte seiner Werbearbeit ernten. Immerhin fanden sich zur offiziellen Formierung der NSDAP-Ortsgruppe am 16. Februar 1929 43 Besucher ein. 14 Mitglieder stellten fortan die Kernmannschaft der Benediktbeurer NSDAP, deren Werbearbeit in den Nachbarorten allerdings kaum auf größere Resonanz stieß, zunächst jedenfalls nicht71. So blieb Benediktbeuern bis weit in das Jahr 1930 hinein der einzige Stützpunkt der NSDAP im Loisachtal zwischen Kochel und Penzberg. Noch weniger Widerhall fand die NS- Werbekampagne von 1928/29 in den Dörfern des Isarwinkels72. Lediglich die Reihen der Tölzer Ortgruppe erfasste im Lauf des Jahres ein neuer Schwung, nachdem NSDAP und DNVP für Dezember 1929 ein reichsweites Volksbegehren gegen den „Young-Plan“ initiiert hatten73. Bereits zur touristischen Hochsaison im Juli und August 1929 beherrschten die Nationalsozialisten die politische Bühne der Kurstadt, während sich die gemäßigten Parteien SPD und BVP auffällig zurück68
Franz Buchner, Kamerad halt aus! Aus der Geschichte des Kreises Starnberg der NSDAP, München 1938, S. 295 f.; Martin Hille, Entertainment lockt die Massen ins rechte Lager. Die nationalsozialistische Mobilisierung im Holzkirchner Raum vom Winter 1928/29, in: Süddeutsche Zeitung, Regionalausgabe Bad Tölz-Wolfratshausen v. 23. 8. 2000, S. 4. 69 Buchner, Kamerad (Anm. 68), S. 269 f., 295 f. 70 Schreiben von Frau Zahner an den Kreisstabsleiter vom 9.7. 1934 unter: StAM NSDAP 246; TZ vom 9. 3. 1934. 71 Buchner, Kamerad (Anm. 68), S. 306 – 308. 72 TK v. 10. 3. 1934. 73 Für Bayern allgemein Pridham, Rise (Anm. 11), S. 84 – 91; mit dem „Young-Plan“ sollte Deutschlands Souveränität auf wirtschaftspolitischem Gebiet wiederhergestellt und die Zahlung der Kriegsreparationen nicht mehr von einem internationalen Agenten überwacht werden. Indes wurden die Reparationen nicht gekürzt, sondern nur auf knapp 60 Zahljahre gestreckt, was in den Augen der Rechtsparteien einem neuen „Versailles“ gleichkam. Obwohl das Volksbegehren von NSDAP und rechtskonservativer DNVP gegen den „Young-Plan“ scheiterte, steigerte die wochenlange Kampagne im Vorfeld die Popularität Hitlers.
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hielten74. Schließlich scheiterte das Volksbegehren. Nur 150 Tölzer trugen sich am 22. Dezember in die Listen ein. Dennoch feierte die Tölzer NSDAP das Votum als Erfolg, nachdem der Parteigenosse Hans Höflmayr bereits bei den Kommunalwahlen zwei Wochen zuvor ein Stadtratsmandat erhalten hatte75. Indes hielt sich der Zulauf zu den Sprechabenden und Versammlungen der Tölzer NSDAP weiterhin in Grenzen. Noch im Frühjahr 1930 gewann ein Polizeibericht den Eindruck, dass es „immer die gleichen Besucher“ in die NS-Versammlungen ziehe, „und scheinbar nur solche, die Anhänger der Partei“ seien. Dagegen hätten sich die „hiesigen Geschäftsleute und Gewerbetreibenden noch bei keiner der abgehaltenen Versammlungen sehen“ lassen76. Eine der Hauptursachen für dieses Phänomen dürfte im verspäteten Durchbruch der Weltwirtschaftskrise zu suchen sein. Als Rückgrat der lokalen Wirtschaft erwies sich zunächst der Kurbetrieb in Bad Tölz und Bad Heilbrunn. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Übernachtungszahlen 1930 nochmals, ein Trend, der in Bad Heilbrunn sogar bis 1931 anhielt77. „Der Kurbetrieb in Bad Tölz und Bad Heilbrunn ist sehr gut“, bestätigte ein Lagebericht des Bezirksamtes von Mitte Juni 1930, doch auch die lokale Bauwirtschaft profitierte noch vom Auftragsboom der späten 1920er Jahre 78. Außerdem stiegen weiterhin die Einlagen bei der städtischen Sparkasse; erst 1931 begannen die Bürger verstärkt auf ihre Ersparnisse zurückzugreifen79. Schließlich entdeckten viele Hausbesitzer die Fremdzimmervermietung als Schlupfloch aus der Krise, nachdem sich so mancher Sommergast die teuren Hotelpreise in Tölz nicht mehr leisten konnte. In Lenggries und Heilbrunn hielt dieser Trend sogar bis in den verregneten Sommer 1931 hinein an, während viele Handwerksbetriebe und Geschäfte die Folgen der Weltwirtschaftskrise bereits empfindlich zu spüren bekamen80. Anders sah die Lage in der Land- und Forstwirtschaft aus, die seit dem Einsetzen der Agrarkrise 1923/24 unter Absatzproblemen und einer wachsenden Schuldenlast zu leiden hatte. Mit dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise 1929/30 verschärfte sich die Lage dramatisch, denn nach jahrelanger Stagnation stürzten die Agrarpreise ins
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StAM LRA 134051: Halbmonatsbericht der Tölzer Gendarmerie an das Bezirksamt v. 14. 5. 1929. 75 Wie Anm. 63. 76 StAM LRA 134052: Halbmonatsbericht der Tölzer Gendarmerie an das Bezirksamt v. 4. 4. 1930. 77 TZ v. 4. 12. 1931 und 22. 2. 1934. 78 StAM LRA 134052: Halbmonatsbericht des Bezirksamts Tölz an das oberbayerische Regierungspräsidium v. 14. 6. 1930. 79 TK vom 12. 3. 1934. 80 StAM LRA 134032: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Bad Heilbrunn an das Bezirksamt v. 12. 8. 1931. StAM LRA 134053: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Tölz an das Bezirksamt v. 14. 7. 1932.
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Bodenlose81. So sanken die Erlöse für Schnittholz, Mastochsen und Kälber auf dem Münchner Markt zwischen 1928 und 1932 auf rund die Hälfte des Ausgangsniveaus. Den rückläufigen Absätzen standen beträchtlich steigende Steuerlasten der Betriebe gegenüber mit der Folge einer sprunghaft ansteigenden Verschuldung82. Besonders dramatisch war die Lage zwischen Freilassing und Lindau, erst recht in den Bezirksämtern Garmisch und Wolfratshausen, die 1932 auf dem ersten und zweiten Platz der elf Bezirksämter des bayerischen Alpenrandes rangierten83. Und doch war die allgemeine Überraschung groß, als sich mit den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 ein politischer Erdrutsch zugunsten der NSDAP abzeichnete. Dank der gestiegenen Wahlbeteiligung sowie des Zustroms ehemaliger liberaler und deutschnationaler Wähler stieg die NSDAP reichsweit zur zweitstärksten Partei auf. Die meisten Stimmen erhielt die NSDAP noch immer in den Mittel- und Kleinstädten, während in Oberbayern zahlreiche Fremdenverkehrsorte hinzukamen84. Nicht von ungefähr lagen die NSDAP-Voten in Miesbach, Garmisch und Tölz noch höher als in den übrigen 24 Bezirksämtern Oberbayerns. In Tölz und Umgebung entfielen immerhin 18,3 Prozent der Stimmen auf die NSDAP, ja im Bezirksamt Miesbach löste diese mit 23,3 Prozent sogar die BVP als stärkste Partei ab85. Auch jenseits der oberbayerischen Grenzen wiesen die Bezirksämter entlang des Alpenrandes die höchsten NSDAP-Voten auf, allen voran Lindau, Füssen und Sonthofen, wo sie jeweils 24,7, 21,8 und 21,1 Prozent erreichte, während das Reichmittel bei 18,3 und der oberbayerische Schnitt bei 17,7 Prozent lag86. Dagegen konnte der Bauernbund sein Bestresultat von 1928 nicht behaupten, sondern verlor viele Wähler an die BVP, zum Teil sogar direkt an die NSDAP, wie etwa im Bezirksamt Rosenheim87. In den folgenden Jahren, mit der weiteren Zuspitzung der Agrarkrise, sollte sich der Zerfallsprozess des Bauernbundes beschleunigen. Außerdem profitierte die NSDAP von der nochmals steigenden Wahlbeteiligung sowie der wachsenden Attraktivität für ehemalige SPD- und BVP-Wähler88. Auch der Zustrom neuer Mitglieder hielt an, was wiederum günstige Voraussetzungen für die Gründung neuer Ortgruppen schuf. In den Bezirksämtern Garmisch und Tölz 81 Grundlegend: Wolfgang Stäbler, Weltwirtschaftskrise in der Provinz. Studien zum wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandel im Osten Altbayerns 1928 – 1933, Kallmünz 1992. 82 Bergmann, Bauernbund (Anm. 66), S. 337 – 342; Stäbler, ebd., S. 51 – 65, 68 – 72. 83 Stäbler, ebd., S. 70. 84 Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler, München 1991, S. 163 – 165; Hille, Tölz (Anm. 13), S. 909 f.; Pridham, Rise (Anm. 11), S. 133 – 145. 85 Vgl. Anm. 92 u. 93. 86 Zahlen nach Heinrich Kneuer, Die Reichstagswahl vom 14. September 1930, in: ZBStL 63 (1931), S. 51 – 94. 87 Pridham, Rise (Anm. 11), S. 142 f.; Stäbler, Provinz (Anm. 81), S. 337; Thränhardt, Wahlen (Anm. 47), S. 178 – 180. 88 Falter, Wähler (Anm. 84), S. 81 f.; Hille, Tölz (Anm. 13), S. 930; etwas anders Stäbler, Provinz (Anm. 81), S. 344 f.
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kamen bis 1932 sieben weitere Niederlassungen hinzu, so in Lenggries, Wackersberg, Kochel, Krün, Oberammergau, Unterammergau und Kohlgrub89. Wesentlich dazu beigetragen hatte zunächst der erwähnte Strategiewechsel der NSDAP von 1928/29. Über die Verlagerung des Agitationsschwerpunktes von den Städten auf die Dörfer sollten noch stärker als bisher die standespolitischen Interessen der jeweils angesprochenen Klientel bedient werden90. Mit diesem zielgruppenorientierten ,Agenda-Setting‘ zugunsten der Landbevölkerung verlor zugleich der Antisemitismus an Bedeutung, nachdem dieser in den frühen 1920er Jahren maßgeblich Profil und Themen der NSDAP bestimmt hatte. Vor allem der alte Radauantisemitismus verschwand weitgehend aus den Parteiveranstaltungen im südbayerischen Raum, während dieser im protestantischen Franken weiterhin bedient wurde91. IV. Radikalisierung und Polarisierung seit den Reichstagswahlen vom September 1930 Nachdem in den Zwanzigerjahren die BVP die stärkste politische Kraft gestellt hatte, verschoben sich die politischen Gewichte im Bezirksamt Tölz seit den Septemberwahlen 1930 nach und nach zugunsten der NSDAP92. Im Vergleich zu den Reichsresultaten erzielte die Hitlerbewegung hier seit 1930 mittelmäßige bis leicht unterdurchschnittliche, bei den „Märzwahlen“ von 1933 sogar leicht überdurchschnittliche Stimmenanteile93. Nicht von ungefähr fürchtete die BVP wie im ganzen Land um ihre politische Vorherrschaft. Eine grundlegende Neupositionierung und Neuprofilierung erschien das Gebot der Stunde, besonders in Hinblick auf das bislang zwie-
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Alois Schwarzmüller, Die Entwicklung der NSDAP im Bezirk Garmisch bis 1933. Abrufbar unter: www.gapgeschichte.de/weimar_texte/nsdap_1920_1933htm #_ednref11 (letzter Zugriff 26. 03. 2021), o.S.; Hille, Tölz (Anm. 13), S. 911; Utschneider, Oberammergau (Anm. 14), S. 16 f., 23 f. 90 Zedenek Zofka, Die Ausbreitung des Nationalsozialismus auf dem Lande: eine regionale Fallstudie zur politischen Einstellung der Landbevölkerung in der Zeit des Aufstiegs und der Machtergreifung der NSDAP 1928 – 1936, München 1979, hier S. 82. 91 Helmut Anheier/ Karl Neidhardt u. a., Konjunkturen der NS-Bewegung. Eine Untersuchung der Veranstaltungsaktivitäten der Münchner NSDAP 1925 – 1930, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1998), S. 619 – 644, hier S. 634 – 36; Rainer Hambrecht, Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken, Nürnberg 1976, S. 249 – 254; Hille, Tölz (Anm. 13), S. 919 f. 92 BVP-Voten im Bezirksamt Tölz bei den Reichstagswahlen 1924/1 bis 1933 in Prozent: 1924/1: 49,6; 1928: 43,6; 1930: 38,5; 1932/1: 36,9; 1932/2: 42,4; 1933: 31,2; Zahlen nach ZBStL 56 (1924), S. 316; 60 (1928), S. 464; 63 (1931), S. 83; 64 (1932), S. 459; 65 (1933), S. 91, 320. 93 NSDAP-Resultate im Bezirksamt Tölz bei den Reichstagswahlen 1928 – 1933 in Prozent, Vergleichswerte für das Reich in Klammern: 1928: 5,6 (2,6); 1930: 18,9 (18,3); 1932/1: 34,3 (37,3); 1932/2: 29,9 (33,1);1933: 47,9 (43,9); Zahlen nach Quellen wie Anm. 92 sowie Thränhardt, Wahlen (Anm. 47), S. 136.
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spältige Verhältnis zu den Nationalsozialisten94. Schon vor den Septemberwahlen 1930 begann die BVP einen harten Gegenkurs zur NSDAP einzuschlagen, der wiederum mit einer Schärfung ihres katholisch-konservativen Profils einherging95. Ein Schlaglicht auf die lokale Dimension dieses Phänomens werfen unter anderem die Zustände in den Gemeinden Wackersberg und Jachenau. In Wackersberg, wenige Kilometer südwestlich von Tölz führten seit Ende der Zwanzigerjahre der Volksschullehrer Albert Eichstätter und der Floßmeister Jakob Willibald die nationalsozialistische Bewegung an. Schon bei den Reichstagswahlen vom September 1930 erzielte die NSDAP in Wackersberg 38,1 Prozent, und damit das beste Resultat sämtlicher Bezirksamtsgemeinden96. Mit einem Schlag verlor die BVP ihre Rolle als stärkste politische Kraft vor Ort, nachdem sich ihr Stimmenanteil von 52,6 Prozent im Jahr 1928 auf nunmehr 32,2 Prozent reduziert hatte97. Auch der in Wackersberg einflussreiche Bauernbund musste eine deutliche Reduzierung seiner Stimmenanteile von 33,9 auf 19,4 Prozent hinnehmen98. Offenbar profitierte die NSDAP in diesem Fall nicht nur von der gestiegenen Wahlbeteiligung, sondern noch mehr vom Zulauf ehemaliger BVP- und Bauernbund-Anhänger. Unmittelbare Folge des Septembervotums war die Gründung der neuen NSDAP-Ortsgruppe Wackersberg-Arzbach. Die Polarisierung nahm in der Folge weiter zu und noch mehr als bisher erhitzten die regelmäßigen Auseinandersetzungen zwischen Eichstätter und Bürgermeister Kohlauf (BVP) das politische Klima99. Hinzu kamen heftige Wortgefechte zwischen lokalen NS- und auswärtigen BVP-Vertretern wie etwa dem Landtagsabgeordneten und katholischen Geistlichen Alois Daisenberger100. Anders als in Wackersberg sammelte in der Jachenau ein Außenseiter neue NSDAP-Anhänger um sich. Nach den Eindrücken der lokalen Gendarmerie hatte der Mietautobesitzer Georg Rinner schon Ende des Jahres 1931 „den größten Teil der Jugend“ für die Sache der NSDAP gewonnen101. Neben bäuerlichen Dienstboten zählten dazu nicht wenige Forst- und Waldarbeiter aus der näheren und weiteren Umgebung102. Eine lebhafte NS-Agitation entwickelte sich daraus jedoch nicht, denn dazu waren die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der NSDAP-Anhänger von den ein94 Vgl. allgemein: Christoph Kösters, Katholisches Milieu und Nationalsozialismus, in: Karl-Joseph Hummel/Michael Kißener (Hrsg.), Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen und Debatten, Paderborn/München u. a. 2009, S. 145 – 165 mit weiterer Literatur. 95 Pridham, Rise (Anm. 11), S. 159 – 175. 96 Die folgenden Zahlenangaben berechnet nach TK v. 22. 5. 1928 und TZ v. 16. 9. 1930. 97 Ebd.: Gegenüber 1928 stieg die absolute Stimmenzahl der Wackersberger NSDAP von 12 auf 149, während die BVP einen Rückgang von 164 auf 126 Stimmen hinnehmen musste. 98 Ebd.; demnach reduzierten sich die Bauernbund-Stimmen von 96 (1928) auf 76 (1930). 99 StAM NSDAP 246: Kreisleitung Tölz an das Gauorganisationsamt 11. 3. 1935: Meldung der Ortsgruppen, die im BA Tölz existiert haben. 100 StAM LRA 134337: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Tölz an das Bezirksamt v. 7. 2. 1932. 101 StAM LRA 134052: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Jachenau v. 10. 12. 1931. 102 StAM LRA 134053: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Jachenau v. 11. 1. 1932.
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gesessenen ,BVP-Bauern‘ viel zu groß103. Deshalb überließ man es lieber den NSDAP-Rednern von außen, sich mit zahllosen Attacken auf den politischen Katholizismus zu profilieren104. Als sich das politische Klima in den Wochen vor den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 weiter aufheizte, erwog die BVP-Bauernschaft sogar einen „Boykott des Mietautogeschäfts Rinner“105. Dennoch erzielte die NSDAP mit 137 von 380 Stimmen (36,0 Prozent) ein respektables Ergebnis, das nicht nur den zahlreichen Sommergästen sowie ihrem ausgiebigen Gebrauch des Votums per Stimmschein zu verdanken war106. Indes markierte bereits der Winter und Frühling 1931/32 den vorläufigen Höhepunkt der politischen Radikalisierung im Bezirksamt, wovon in erster Linie die NSDAP profitierte. Noch stärker als bisher zielte die Kampagne auf die Mobilisierung der Landbevölkerung, allen voran die frustrierten Bauernsöhne und Dienstboten. Genau in diese Kerbe schlug die NSDAP im ersten und zweiten Gang der Reichspräsidentenwahlen am 13. März und 10. April 1932, als Hitler versuchte, den amtierenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg abzulösen. „Altbauer Hindenburg übergibt den Hof dem Jungbauern Adolf Hitler“, lautete der Titel einer ganzseitigen Anzeige, die am 12. März 1932 in sämtlichen Blättern des „Oberbayerischen Zeitungsblocks“ erschien, darunter der „Tölzer Zeitung“ und dem „Oberbayerischen Gebirgsboten“. Wenngleich dieser Appell verhallte und Hindenburg im zweiten Wahlgang siegte, signalisierten die vielen Hitlerstimmen einen eindrucksvollen Mobilisierungserfolg107. Der Tölzer Kurier sprach von „einem Generalappell der NSBewegung“ verbunden mit der Warnung, aus dem Wahlresultat sogleich eine „Niederlage des Nationalsozialismus“ herauszulesen108. Während die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf den Dörfern in erster Linie von der BVP bestritten wurde, übernahm diese Rolle in der Kreisstadt primär die Sozialdemokratie109. Allen voran der SPD-Stadtrat und Gewerkschaftler Michael Deschermeier profilierte sich als entschiedenster Widersacher der hiesigen NS-Aktivisten, nachdem er diese Rolle bereits in den Zwanzigerjahren gespielt hatte. 103
Ebd. Das Folgende nach StAM LRA 134053: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Jachenau v. 27. 7 1932. 105 Ebd. 106 So wurden bei den Reichstagswahlen vom 31. 7. 1932 immerhin 148 Stimmscheine bei insgesamt 380 Stimmen abgegeben. Bei den Reichstagswahlen vom 7. 11. 1932 erhielt die NSDAP sogar 89 (38,6 Prozent) von insgesamt 230 abgegebenen Stimmen, darunter sieben Stimmscheinen; Zahlen nach TZ v. 1. 8. 1932 und v. 8. 11. 1932. 107 Deutschlandweit erzielte Hitler im zweiten Durchgang der Reichspräsidentenwahlen 30,1 Prozent und 19,6 Prozent. In Oberbayern vereinte Hindenburg sogar 70,4 Prozent der Stimmen auf sich, während auf Hitler 22,6 Prozent entfielen; in Bezirksamt Tölz lag das Hitler-Votum bei 31,2 und das Hindenburg-Votum bei 68,2 Prozent; Zahlen nach: Alois Egger, Die Wahl des Reichspräsidenten in Bayern am 13. März und 10. April 1932, in: ZBStLA 64 (1932), S. 207 – 211; Pridham, Rise (Anm. 11), S. 267. 108 TK v. 16. 3. 1932. 109 Hille, Tölz (Anm. 13), S. 925 ff. 104
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Stets moderat und souverän argumentierend, schlug Deschermeier seit dem Krisenwinter von 1931/32 einen schärferen politischen Ton an. Anlass hierfür bestand zu genüge, erst recht, als die Braunhemden im Spätherbst 1931 unmissverständliche Drohungen gegen die Arbeitervertreter richteten110. So prägte die NSDAP mehr und mehr die politische Atmosphäre der Kurstadt, begleitet von offener Feindschaft gegen die Sozialdemokratie. Aus der Sicht Deschermeiers trug dazu auch die allzu großzügige Genehmigungspraxis der Behörden für NS-Versammlungen bei. Konkret dachte er an die für den sechsten Dezember 1931 geplante Großkundgebung mit Reichsritter von Epp und dem oberbayerischen Gauleiter Adolf Wagner. Die Tölzer Sozialdemokraten und Gewerkschaftler fühlten sich in ihrer eigenen Haut nicht mehr sicher, bis Deschermeier zur Feder griff und eine Resolution an Bezirksamtsvorstand Dr. Lurtz richtete. Unmissverständlich machte er klar, dass die organisierte Arbeiterschaft nötigenfalls „zur Gegenwehr“ schreiten werde, falls die Behörden nicht energischer gegen das aggressive Gebaren der NSDAP einschreiten würden111. Schließlich kam es doch nicht zu den befürchteten Zusammenstößen zwischen SPD- und NSDAP-Anhängern. Dennoch hielt es der SPD-Stadtrat für angebracht, die von Berlin ausgehenden Bestrebungen zur Sammlung der republikanischen Kräfte gegen die extreme Rechte im Zeichen der „Eisernen Front“ zu flankieren. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Mobilisierung der sozialdemokratischen Arbeiterschaft mit der Tölzer Großkundgebung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 20. Februar 1932, zu der nicht weniger als 400 Besucher erschienen112. Auch in den Folgemonaten bestritt Deschermeier eine ebenso energische wie sachliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Gegenüber der Stadtverwaltung sparte er ebenfalls nicht mit Kritik, vor allem nicht gegenüber Bürgermeister Alfons Stollreither (BVP), dem er schon im März 1932 vorhielt, die „Brücke zum dritten Reich“ schlagen zu wollen113. Gut ein Jahr später, im Zeichen der NSMachtergreifung und Gleichschaltung, sollte sich dieser Vorwurf bestätigen. Stollreiter blieb bis zum Untergang des Dritten Reiches im Amt, nachdem er in der entscheidenden Stadtratssitzung vom 21. April 1933 eingeräumt hatte, schon seit längerem einen politischen Gesinnungswandel zugunsten des Nationalsozialismus vollzogen zu haben114.
110 Das Folgende nach StAM LRA 134337: Entschließung des ADGB an das Bezirksamt v. 2. 12. 1931. 111 Ebd. 112 StAM LRA 134337: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Tölz an das Bezirksamt v. 20. 2. 1932. 113 Stadtarchiv Tölz I a 72: SPD-Stadtratsfraktion an Bürgermeister Stollreither v. 14. 3. 1932. 114 Ebd.: Niederschrift über die Neubildung des Stadtrates Tölz v. 21.4. 1933.
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V. Ausblick: Die Bayerische Volkspartei und die NS-Gleichschaltung im Bezirksamt Zu den politischen Schlüsselfiguren der Kurstadt in den Zwanziger und frühen Dreißigerjahren zählte neben Deschermeier und Stollreither der oberbayerische Bezirksvorsitzende der BVP und stellvertretende Bürgermeister Anton Wiedemann. Als langjähriger Vorsitzender des Tölzer Gewerbevereins zog Letzterer die maßgeblichen Fäden der einflussreichsten Interessenvereinigung vor Ort. Darüber hinaus trat er immer wieder als Gegenredner bei NS-Versammlungen auf. Bei den Reichstagswahlen vom fünften März 1933 erhielt er sogar ein Abgeordnetenmandat, ehe ihn das Schicksal vieler Vertreter des gemäßigten Parteienspektrums traf. Nach anfänglichen Selbstbehauptungsversuchen gegen das neue Regime wurde er Ende Juni 1933 Opfer der großangelegten Verhaftungswelle gegen noch amtierende Mandatsträger der gemäßigten Parteien. Mit ihm wurden auch die Stadträte Frey (BVP) und Kugler (BVP) sowie Deschermeier und Huber (SPD) inhaftiert, ein Schock der bei Wiedemann eine jahrelange innere Emigration nach sich zog115. Im Rahmen der Gleichschaltung und Neubesetzung der Führungsposten des Tölzer Gewerbevereins Anfang Mai 1933 melde sich Wiedemann ein letztes Mal öffentlich zu Wort. Nachdem er den stellvertretenden Bürgermeisterposten bereits verloren hatte, wollte er in einem Abschiedsreferat noch einmal Rechenschaft über seine langjährige Tätigkeit geben. Doch kaum begann er mit seinen Ausführungen, legte der Kreisleiter des „Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes“ Kielechner lautstarken Protest ein: Er könne „es nicht verantworten“, dass mit Wiedemann auch weiterhin „einer der ärgsten Gegner der nationalsozialistischen Bewegung“ zu Wort komme“. Offenbar hatte Kielechner die wirkliche Stimmung im Saal nicht richtig eingeschätzt, denn sogleich wurden „erregte Zwischenrufe gegen diese Einmischung laut“, so der „Tölzer Kurier“. Wiedemann wiederum sprach dem Kampfbund-Führer „grundsätzlich das Recht ab“ Redeverbote zu erteilen, wofür er beim Publikum lebhaften Beifall erntete. Schließlich sprach sich die große Mehrheit der Versammelten für Wiedemann und gegen Kielechner als Redner aus116. Es fügt sich in die flexible Gleichschaltungsstrategie der NSDAP, dass 1933 lediglich der Vorsitz des Gewerbevereins an einen Mann aus den eigenen Reihen ging117. Ansonsten beließ man es bei der bisherigen Vorstandschaft118. Ähnlich sah 115
Klaus Schönhoven, Der politische Katholizismus in Bayern unter der NS-Herrschaft 1933 – 1945, in: Martin Broszat/Hartmut Mehringer (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. 5: Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand, München/Wien 1983, hier S. 577 – 582; StAM LRA 134054: Halbmonatsbericht der Schutzmannschaft Tölz an das Bezirksamt v. 11. 7. 1933. 116 Die folgenden Ausführungen nach TK v. 7. 5. 1933. 117 Allgemein Hille, Weltkriege (Anm. 5), S. 183 – 185, 188 – 191. 118 Allgemein für die Gruppe der Klein- und Mittelstädte: Jeremy Noakes, Nationalsozialismus in der Provinz: Kleine und mittlere Städte im Dritten Reich 1933 – 1945, in: Andreas
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es bei der Besetzung der ländlichen Bürgermeisterposten aus. Soweit die bisherigen Amtsträger nicht den Linksparteien angehörten und sich dem neuen Regime gegenüber loyal verhielten, beließ man sie in ihren alten Positionen119. Anders sah es mit jenen Bürgermeistern aus, die sich mit den neuen politischen Verhältnissen überhaupt nicht anfreunden wollten. Dazu zählte etwa der erwähnte Wackersberger Rathauschef Kohlauf (BVP), der schon seit Jahren mit den örtlichen Braunhemden haderte, bis sich die Spannungen bei einer Sondersitzung des Gemeinderates am 30. März 1933 entluden. Zuvor hatten die beiden führenden NSDAP-Aktivisten Eichstätter und Willibald den Antrag eingebracht, Adolf Hitler sowie Reichspräsident Hindenburg zu Ehrenbürgern der Gemeinde zu ernennen120. Kohlauf reagierte auf seine Weise, und signalisierte, dass man Hindenburg „wohl zum Ehrenbürger machen“ könne.121 Alles andere sei reine „Parteisache“, abgesehen davon, dass Hitler „noch gar nichts geleistet“ habe. Eine Ehrung komme in diesem Fall daher nicht in Frage122. Schon allein die Wortwahl Kohlaufs reichte aus, einen Eklat auszulösen; es kam zu tumultartigen Szenen, in deren Verlauf der Bürgermeister von Willibald und Eichstätter laut Polizeibericht „förmlich niedergeschrien“ wurde 123. Schon am Tag darauf wurde Kohlauf vom SA-Sonderkommissar beim Bezirksamt, Hans Höflmayr, seines Amtes „vorläufig“ enthoben und polizeilich vernommen. Dass Willibald den Vernehmungsbeamten sogleich mit schriftlichen Reminiszenzen an die langjährige NS-Gegnerschaft des Bürgermeisters nachhalf, fügte sich wiederum in jene Welle von Denunziationen, deren treibendes Motiv die Begleichung „alter Rechnungen“ bildete. Mit dem Verschwinden Deschermeiers, Wiedemanns und Kohlaufs von der politischen Bühne des Bezirksamts wurde es plötzlich still um die bis dahin tonangebenden Repräsentanten von Sozialdemokratie und politischem Katholizismus. Nur Stollreither setzte seine politische Karriere ungebrochen in das Dritte Reich fort. Offizielle Politik jenseits des Nationalsozialismus konnte jetzt nicht mehr betrieben werden, und auch im vertrauten Rahmen geheimer Gesprächsrunden schlugen die einstigen NSDAP-Kritiker künftig einen zurückhaltenden Ton an. So ging die poli-
Wirsching/Walter Ziegler/Horst Möller (Hrsg.), Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur internationalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München 1996, S. 237 – 251, hier S. 243 – 245. 119 Vgl. allgemein Schönhoven, Katholizismus (Anm. 115), S. 566 – 575; für das Beispiel des Bezirksamts Günzburg: Zofka Ausbreitung (Anm. 90), S. 244 – 246. 120 StAM LRA 13028: Antrag Willibalds an den Gemeinderat v. 26. 3. 1933. 121 StAM LRA 134028: Bericht des SA-Sonderkommissars beim Bezirksamt Höflmayr v. 31. 3. 1933. 122 Ebd.: Gleichlautend die Version Eichstädters in seinem Schreiben an den Wackersberger Gemeinderat v. 31.3. 1933 unter ebd. 123 StAM LRA 134028: Halbmonatsbericht der Gendarmerie Tölz v. 1. 4. 1933.
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tische Gleichschaltung im Bezirksamt Tölz ohne allzu viele personelle Neubesetzungen einher, ein Phänomen, das damals in vielen ländlichen Regionen Deutschlands zu beobachten war.
Große Politik – Krieg und Frieden
Die Habsburger und Peter der Große Von Lothar Höbelt, Wien I. Die Gestalt Peters des Großen dürfte vor allem in zwei Erscheinungsformen geläufig sein: Zum einen aus „Zar und Zimmermann“ – als exotischer Herrscher mit exzentrischen Hobbies; zum anderen natürlich als Begründer der russischen Großmachtstellung, mit all den Assoziationen, die damit bis in die unmittelbare Gegenwart verknüpft sind. Umso mehr ist darauf hinzuweisen, dass Peter und die „Moskowiter“ für das Reich und die Habsburger seiner Zeit in erster Linie als Nachbarn der Nachbarn in Betracht kamen, ganz im Sinne der französischen „politique de revers“. Moskau hätte dieser Logik zufolge das As im Ärmel der Habsburger darstellen können, das sich gegen die französische Klientel ausspielen ließ, z. B. gegen die Schweden und Türken, die im 17. Jahrhundert beide einmal vor Wien gestanden waren. Doch eine solche Notwendigkeit ergab sich im Zeitalter Peters höchst selten. Allenfalls zu Beginn seiner Regierungszeit war eine solche Kombination gegeben: Kaiser Leopold I. befand sich seit dem Herbst 1688 im Zweifrontenkrieg mit dem Halbmond und dem Sonnenkönig. Schon unmittelbar nach der 2. Türkenbelagerung Wiens hatte er auf Moskau als Verbündeten der Lega Sacra gesetzt. Dazu musste erst einmal das russisch-polnische Verhältnis bereinigt werden: Die Allianz kam schließlich im Mai 1686 unter der Herrschaft von Peters Halbschwester Sophia zustande. Doch durch die Machtergreifung Peters und seines Naryshkin-Clans erlitten die russischen Kriegsanstrengungen 1689 eine Unterbrechung, just zu dem Zeitpunkt, als die Österreicher ratlos nach einem Mittel suchten, die Osmanen zu einem Frieden zu überreden.1 Erst ab 1695, als Peter seine Aufmerksamkeit dem Süden seines Reiches zuwandte – und zwar auf dem Weg über den schiffbaren Don, nicht die unwegsame Steppe – fand man wieder zur Zusammenarbeit: Österreichische (und brandenburgische) „Militärberater“ nahmen an der Belagerung von Asow teil.2 Man war in Wien auch gerne 1 Robert K. Massie, Peter the Great. His Life and World, London 1980, S. 42 ff., 84 ff., 108 ff.; Reinhard Wittram, Peter I. Czar und Kaiser, 2 Bde., Göttingen 1964, hier I, S. 75 f., 94 ff.; Kirill Kochegarov, Relations between Russia, the Sublime Porte and the Crimean Khanate (1686 – 1699), in: Colin Heywood/Ivan Parvev (Hrsg.), The Treaties of Carlowitz (1699). Antecedents, Course and Consequences, Leiden 2019, S. 186 – 200. 2 Hans Uebersberger, Russlands Orientpolitik in den letzten zwei Jahrhunderten, Stuttgart 1913, S. 55. Später avancierten – nach ordnungsgemäßem Abschied – die beiden ehemaligen
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bereit, im Januar 1697 eine Verlängerung des Bündnisses zu unterschreiben. Einige Monate später brach Peter – mitten im Kriege – zu seiner berühmten Reise in den Westen auf. Doch als der Zar im Juli 1698 in Wien eintraf, waren die Verhältnisse längst andere:3 Der späte Eifer des fernen Verbündeten war inzwischen zur Verlegenheit mutiert. Prinz Eugen hatte die Türken am 11. September 1697 bei Zenta komplett geschlagen. Der Friede schien zum Greifen nahe. Solange bis Peter ebenfalls seine Kriegsziele erreicht hatte, die Meerenge von Kertsch und die freie Schiffahrt im Schwarzen Meer, wollte man da nicht warten.4 Der Zar versuchte die Friedensverhandlungen anfangs zu sabotieren, doch schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er nahm beim Gespräch mit dem kaiserlichen ersten Minister, Ulrich Kinsky, kein Blatt vor den Mund: Auf das „perfide Albion“, das zum Frieden mit den Osmanen dränge, „sei sich nicht zu verlassen“.5 Doch die Habsburger wollten schon einmal wegen der spanischen Erbfolge, die jederzeit aktuell werden konnte, freie Hand behalten. Das für Peter enttäuschende Ergebnis dieses Krieges wurde allenfalls durch anderwärtige Aussichten kompensiert: Bereits auf der Rückreise von Wien traf er sich mit dem frischgewählten König August von Polen-Litauen; im nächsten Jahr vereinbarten die beiden „verwandten Seelen“6 dann definitiv ein Vorgehen gegen Schweden.7 II. „Der Nordische Krieg ist ein später Sproß des Dreißigjährigen Krieges“8 hat Hugo Hantsch einmal geschrieben. Das schöne Zitat ist ein wenig irreführend, zumindest was die Haltung der Habsburger betrifft: Der Dreißigjährige Krieg war ihr Anlauf zur Hegemonie, ein Krieg, der alle ihre Kräfte in Anspruch nahm; der Nordische Krieg eine Irritation am Rande. Bismarck hat einem Kolonialpionier einmal vor Augen geführt: „Hier liegt Russland und hier liegt Frankreich – und wir sind in der Mitte. Das ist meine Karte von Afrika.“9 Ähnlich hätte es Kaiser Leopold I. formulieren können: kaiserlichen Feldmarschälle Charles-Eugene de Croy und George Benedict Ogilvie zu Oberkommandanten der russischen Truppen (Wittram, Czar I [Anm. 1], S. 237, 268). 3 Jan Hennings, The Semiotics of Diplomatic Dialogue: Pomp and Circumstance in Tsar Peter’s Visit to Vienna in 1698, in: The International History Review 30 (2008), S. 515 – 544. 4 Lothar Höbelt, From Slankamen to Zenta: The Austrian War Effort in the East during the 1690 s, in: Heywood/Parvev (Hrsg.), Treaties (Anm. 1), S. 153 – 175. 5 Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (= HHStA), Turcica 165, Juli 1698, fol. 48 (5. 7. 1698); Onno Klopp, Der Fall des Hauses Stuart und die Succession des Hauses Hannover, 14 Bde., Wien 1875 – 88, hier: VIII, S. 133. 6 Massie, Peter the Great (Anm. 1), S. 231. 7 Uebersberger, Orientpolitik (Anm. 2), S. 58 – 76. 8 Hugo Hantsch, Reichsvizekanzler Friedrich Karl Graf von Schönborn (1674 – 1746), Augsburg 1929, S. 208. 9 Willy Andreas (Hrsg.), Bismarck. Gespräche, Bd. 2, Basel o. J., S. 525 (5. 12. 1888).
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Seine Karte des Baltikums, geschweige denn der Ukraine, bestand aus Mailand und Madrid, später dann Sizilien und Sardinien. Leopold stand dabei freilich vor einem Dilemma: Als Reichsoberhaupt wollte er natürlich gefragt werden – aber möglichst keine eindeutige Antwort erteilen, sondern als Orakel in der Hinterhand bleiben. Für den Kaiser war ab 1701 der Norden nur – oder doch in erster und wohl auch zweiter Linie – als Reservoir für Mietstruppen interessant, jetzt wo es im Westen ums Ganze ging, um das spanische Erbe. Der Kaiser blieb deshalb neutral, aber neutral für wen? Da neigte sich die Waage anfangs doch ziemlich eindeutig auf die Seite Karls XII. Schließlich hatte Schweden seit den Tagen von Fehrbellin seine Bündnispartner gewechselt und eine pro-kaiserliche Linie verfolgt.10 Man wolle August, der „disen krieg ohne einige ursache angehebt“, deshalb auch von derlei Abenteuern „exhortieren“.11 August der Starke ist der Nachwelt im Gedächtnis geblieben wegen des prächtigen Dresdner Zwingers und wegen seiner angeblich 354 Kinder, Pöppelmann und Gräfin Cosel. Ob es jetzt sein eigener Sohn war oder der junge „alte Fritz“, der ihn später einmal als „den falschesten Fürsten in ganz Europa“ bezeichnete, den Zeitgenossen galt er mit Recht als einer der unsichersten Kantonisten. Wie wenig man ihm über den Weg traute, geht aus einer Notiz hervor, man habe alle Ursache, den Zaren „zu cultivieren“, schon einmal, um Polen „in apprehension“ zu setzen.12 Was die kaiserliche Diplomatie freilich nicht hinderte, bei Gelegenheit den Spieß umzudrehen: Wenn August sich schon unbedingt als Mehrer seines neuen Reiches profilieren wolle, möge er doch lieber zusammen mit den Schweden gegen Russland vorgehen.13 Inzwischen war der Spanische Erbfolgekrieg voll in Gang. Bei allem Verständnis für Schweden, politisch galt es, die Sachsen ins Boot zu holen – und ihre Truppen für die Alliierten anzuwerben. Denn wenn man dieses „tempo“ verabsäumte, würde Frankreich in Polen dem Kaiser unweigerlich den Rang ablaufen.14 So neigte sich, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, die Waage langsam in Richtung einer Allianz mit Sachsen, einer Allianz nicht als Schutz- und Trutzbündnis, sondern als Subsidienvertrag. Tatsächlich kämpften Sachsen und Dänen jetzt in Italien für die Habsburger – und wurden von den Seemächten bezahlt.15 Indirekt, sehr indirekt al10 Georg Landberg, Den Svenska Utrikes Politikens Historia 1648 – 1697, Stockholm 1952, S. 220 ff.; Werner Buchholtz, Zwischen Glanz und Ohnmacht. Schweden als Vermittler des Friedens von Rijswijk, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Friede von Rijswijk 1697, Mainz 1998, S. 219 – 255. 11 HHStA, Vorträge 11, 1702 IV–XII, fol. 56 v. (27./30. 6. 1702). 12 HHStA, Polen I 82, fol. 65 (31. 8. 1698); Paul Haake, August der Starke, Berlin 1927, S. 60, 79, 82. 13 HHStA, Schweden 10, 1701, fol. 9 (25. 1. 1701). 14 HHStA, Polen II 1, 1702, fol. 27 (15. 1. 1702), fol. 46 – 49 (26. 1. 1702); vgl. auch ebd., Vorträge 11, 1702 I–III, fol. 103 (Konferenz 23. 1. 1702). 15 Max Braubach, Die Bedeutung der Subsidien für die Politik im spanischen Erbfolgekrieg, Bonn 1923, S. 99 ff., 127 ff.
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lerdings, war Wien damit doch wiederum zum Partner des Zaren geworden. Beide finanzierten August den Starken, bloß mit dem Unterschied: Peter schickte ihm außerdem auch Truppen, der Kaiser nahm ihm welche ab – der Zar wollte ihn zur Fortsetzung des Nordischen Kriegs ermuntern, Leopold ihn davon abhalten.16 Sollte man vielleicht auch russische Truppen anheuern? Die Idee stieß im kaiserlichen Hofkriegsrat 1705 auf erstaunlich vehemente Ablehnung: Das Angebot sei weder glaubwürdig noch politisch opportun, darüber hinaus müsse man „diesen Barbaren“ doch alle Gelegenheit nehmen, die Kriegskunst zu erlernen. Bloß wenn sie tatsächlich zwei Millionen zu geringen Zinsen verleihen wollten, sollte man sie beim Wort nehmen.17 Inzwischen war man nicht einmal bereit, die russische Gesandtschaft zu erwidern, wegen „der von Schweden darob gefassten jalousie“.18 Den neuen Löwen aus Mitternacht wollte man eben nicht reizen: Im September 1706 marschierte Karl XII. in Sachsen ein. Prompt erkannte man daraufhin in Wien seinen polnischen Thronkandidaten Stanislaus Leszczynski an.19 Dann, im Sommer 1707, wurde Entwarnung gegeben: Die 40.000 Schweden marschierten in der Gegenrichtung ab, gen Osten. Peter der Große brillierte in diesen Monaten mit überschäumender politischer Phantasie. August hatte heimlich mit allen Seiten verhandelt, der Zar tat es in aller Offenheit: Um seiner politischen Isolation zu entfliehen, bot er die Krone Polens im April 1707 zuerst dem Prinzen Eugen an,20 oder als Alternative – horribile dictu – dem ungarischen Rebellen Franz Rakoczi, mit dem er im September 1707 einen förmlichen Vertrag abschloss, der als frommen Wunsch auch die Klausel beinhaltete, die Franzosen sollten ihm einen vorteilhaften Frieden mit Schweden vermitteln, dann wolle er gerne dazu beitragen, dem vertriebenen bayerischen Kurfürsten Max Emanuel das Königreich Ungarn zu verschaffen und Rakoczi selbst Siebenbürgen.21 Doch weder Ludwig XIV. noch der Kaiser gingen auf derlei Avancen ein. Allenfalls solange eine „ruptur“ mit Karl XII. nicht ganz auszuschließen war, wollte man die Kooperation mit Peter nicht prinzipiell zurückweisen.22 Doch zu einem solchen 16
Alexander Querengässer, Das kursächsische Militär im Großen Nordischen Krieg 1700 – 1717, Paderborn 2019, S. 165, 178, 223, 230, 272; Wittram, Czar I (Anm. 1), S. 258. 17 HHStA, Russland I 20, 1705, fol. 54, 58 (12. 3. 1705). 18 HHStA, Russland I 20, 1709, fol. 50 (30. 8. 1709). 19 HHStA, Schweden 12, 1707 I–II, fol. 63 (Konferenz 13. 2. 1707). Der Einwand, damit Moskau zu „offendiren“, wurde aus dem Protokoll wiederum gestrichen! Vgl. auch Charles Ingrao, In Quest and Crisis: Emperor Joseph I and the Habsburg Monarchy, West Lafayette 1979, S. 67; Erich Hassinger, Brandenburg-Preußen, Russland und Schweden 1700 – 1713, München 1953, S. 202. 20 Alfred v. Arneth, Prinz Eugen von Savoyen, 3 Bde., Wien 1864, hier: I, S. 420 – 423, 486. 21 Bela Köpeczi, La France et la Hongrie au debut du xviiie siecle, Budapest 1971, S. 206 – 214; Uebersberger, Orientpolitik (Anm. 2), S. 86 – 88. 22 HHStA, Hausarchiv, Familienkorrespondenz A 16, Joseph I., fol. 2 (Wratislaw 7. 8. 1707); Elfriede Mezgolich, Graf Johann Wenzel Wratislaw von Mitrowitz, phil. Diss. Wien 1967, S. 164, 170, 181.
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Bruch kam es nicht. „Die Abneigung Karls XII. gegen Frankreich verhinderte die Verschmelzung beider Kriege“, hat Srbik das Ergebnis zusammengefasst.23 Dennoch konnte Peter jetzt endlich seine Nützlichkeit unter Beweis stellen: Er war für den Kaiser vom Prügelknaben zum Blitzableiter avanciert, der Karls XII. Energien in der Ukraine verpuffen ließ. Das Duell zwischen den beiden potenziellen Unruhestiftern, das sich immer weiter nach Osten verlagerte, schien augenblicklich die beste aller möglichen Welten.24 III. Der Tag von Poltawa (8. Juli 1709) sei ein europäisches Unglück gewesen, urteilte ein knorriger Konservativer des 19. Jahrhunderts.25 Derlei Kassandrarufe waren den Zeitgenossen fremd. Es kam aber auch keine Schadenfreude auf. Schon einmal deshalb, weil jetzt sofort die Lebensgeister der Unruhestifter daheim im Reich erwachten. Der 1706 entthronte August und Friedrich IV. von Dänemark hatten schon kurz zuvor eine Erneuerung ihres Bündnisses ausgeheckt. Der siegreiche Zar wurde als dritter im Bunde herzlich willkommen geheißen. Der Bürgerkrieg in Polen bekam neue Nahrung von außen. Der Kaiser versuchte dem Unheil mit der halbherzigen Aufstellung eines Neutralitätskorps zu steuern, um ein Übergreifen auf das Reich zu verhindern.26 Man hatte Karl XII. in Wien von Anfang an zugute gehalten, dass er „keine sonderliche Neigung für Frankreich“ habe.27 Doch nach Poltawa war der „roi-connetable“ in die Türkei geflüchtet. Im Exil konnte er weniger wählerisch sein: Im Orient geriet der „Richard Löwenherz des Nordens“28 zunehmend in die Fänge des französischen Residenten in Konstantinopel und seines Netzwerks, von den Polen im Exil bis zum Tatarenkhan. Deren Bemühungen aber liefen auf nichts anderes hinaus, als das Osmanische Reich in die Pflicht zu nehmen, gegen Russland, aber – für die Franzosen noch viel naheliegender – in einem Aufwaschen womöglich auch gegen den Kaiser, der augenblicklich ja im Osten eine offene Flanke bot. 23 Heinrich v. Srbik (Hrsg.), Österreichische Staatsverträge. Niederlande, Bd. 1, Wien 1912, S. 391. 24 HHStA, Russland I 20, 1707, fol. 44 – 51 (7. 7. 1707). Man wolle Eugens „glück nicht hindern“; dem Kaiser sei aber daran gelegen, dass der Friede im Osten „noch zur zeit aufgehalten“ werde. 25 Onno Karl Klopp (Hrsg.), Tagebücher und Briefe des Historikers Onno Klopp 1841 – 1902, Bd. 2, Aachen 2018, S. 895 (25. 9. 1886). 26 Otto Haintz, König Karl XII. von Schweden, Bd. 2, Stockholm 1951, S. 58 – 64, 85 – 93; Srbik (Hrsg.), Niederlande I (wie Anm. 23), S. 402 – 408; Hassinger, Brandenburg-Preußen (Anm. 19), S. 227 – 242. 27 HHStA, Schweden 10, 1700, fol. 93 v. (24. 12. 1700); 1701, fol. 29 (9. 6. 1701); vgl. Ragnhild Hatton, Charles XII of Sweden, London 1968, S. 157, 193. 28 Eudoxius v. Hurmuzaki, Fragmente zur Geschichte der Rumänen, Bd. IV, Bukarest 1885, S. 70.
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War jetzt vielleicht die Zeit gekommen für einen Schulterschluss mit dem Zaren? In der Literatur wird zuweilen Prinz Eugen als Befürworter einer solchen Allianz genannt.29 Dabei ist Vorsicht geboten. Ausgangspunkt war die Entsendung der seit sechs Jahren ausständigen Gesandtschaft, die man „wegen geänderter Umstände“ nicht mehr zu verschieben brauchte. Bereits unterwegs erklärte dem Gesandten, einem Grafen Wilczek, ein russischer General „discursweise“, ein Offensiv- und Defensivbündnis wäre doch wohl für beide nur vorteilhaft.30 Als dürftige Antwort auf diesen Versuchsballon einigten sich Eugen und seine Kollegen im Februar 1710 auf die Minimallösung, wenn die Russen wirklich insistierten, könne man ihnen den Beitritt zur Heiligen Liga von 1684 in Aussicht stellen.31 Zwar identifizierte Eugen die „innerlich hegende rach“ Karls XII. als größten potenziellen Unruhefaktor, selbst wenn sie nicht unmittelbar gegen den Kaiser gerichtet sei. Aber Peter wollte er gerade deshalb keine Unterstützung zusagen, auch nicht gegen die Osmanen.32 Als Ausrede mussten mehr als einmal die Seemächte herhalten, die man befragen müsse, schon einmal aus dem nun wiederum sehr realen Grund, weil sie Österreich im Ernstfall vor schwedischen Repressalien zu bewahren hätten. Im Hofkriegsrat reagierte man hingegen – ganz anders als nachmals 1849! – einmal mehr unwirsch: Lieber noch wolle man den ungarischen Rebellen die Oberhand lassen als Moskowiter zu Hilfe holen.33 Als die Türken im November 1710 den Russen dann tatsächlich den Krieg erklärten, bekam Wilczek sofort einen Maulkorb umgehängt.34 Intern reagierte man mit Empörung auf die Zumutungen des Zaren. Solange Peter mit den Türken auf gutem Fuß stand, habe er den Kaiserlichen kein Gehör gegeben (dem Rakoczi aber schon!). Jetzt lasse er dafür „in ziemlich harten, gehässigen Drohworten“ durchblicken, wenn man ihm nicht helfe, werde er schnell Frieden schließen und den Schwall der Türken auf die Kaiserlichen lenken.35 Man rechnete in Wien nicht mit einer Schwächung beider Kontrahenten, sondern mit einem eklatanten Sieg der einen oder der anderen Seite: Entweder würden die Türken (und Schweden) 29 Arneth, Eugen II (Anm. 20), S. 112 – 114; Ingrao, Quest (Anm. 19), S. 153; Hassinger, Brandenburg-Preußen (Anm. 19), S. 246; Franz Pilss, Die Beziehungen des kaiserlichen Hofes unter Karl VI. zu Russland bis zum Nystader Frieden (1711 – 1721), phil. Diss. Wien 1949, S. 16 f. 30 HHStA, Russland I 20, 1709, fol. 117, 120 v. (14. 12. 1709). 31 HHStA, Vorträge 15, 1710 I–II, fol. 69 (16. 2. 1710); Russland I 20, fol. 80 – 82, Instruktion für Wilczek (22. 2. 1710). 32 Feldzüge des Prinzen Eugen, 20 Bde., Wien 1876 – 92, hier: XII, Supplement, S. 130, 291 f., 319 (Briefe an Joseph I., 9.7., 23.8. und 7. 9. 1710); Max Braubach, Prinz Eugen von Savoyen, 5 Bde., Wien 1964, hier: II, S. 187, 370, 492. 33 HHStA, Vorträge 15, 1710 V–VI, fol. 33 (21. 5. 1710). Wortführer war in diesem Fall allerdings Eugens Rivale Graf Leopold Schlick. 34 HHStA, Russland I 22, Reskripta an Wilczek, fol. 5 (6. 2. 1711). 35 HHStA, Vorträge 16, 1711 I–III, fol. 40, 45 – 46 (23. 2. 1711); vgl. auch Imre Lukinich, La fin de la lutte: la paix de Szatmar (1711), in: Revue des Etudes Hongroises 13 (1935), S. 120 – 192; hier 138 f., 153, 160 f.; Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 47 – 51.
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sich „in ganz Polen ausgießen“ oder der Zar eventuell bis Konstantinopel marschieren. Kaiser Joseph I. resümierte: „Auf allen seithen übl, es schlage aus, wie es wolle.“36 Die sagenumwitterte Schlacht am Pruth samt unmittelbar darauffolgendem Friedensschluss im Juli 1711 wurde aus dieser Sicht mit Erleichterung aufgenommen, auch wenn es wenig plausibel ist, dass die vermeintliche Drohung einer österreichischen Parteinahme, der „drohende Schatten des Prinzen Eugen“, den Großwesir zu diesem umstrittenen „Blitzfrieden“ bewegt hat.37 Im Gegenteil: Jetzt war in Wien tatsächlich eine Spur von Schadenfreude über die „spöttlichen conditiones“ zu spüren, die Peter eingehen musste.38 Man hielt den Osmanen zugute, dass sie den weit ausgreifenden Plänen Karls XII. eine Abfuhr erteilt hatten. Dafür gerieten der Zar und seine „nordischen Alliierten“, von denen alles Übel zu befürchten sei, ins Visier der Kaiserlichen.39 August war schon im August zusammen mit den Russen in Pommern eingefallen. Er pochte nach dem Tod Josephs I. auf seine Stellung als Reichsvikar und drohte mit dem Abzug der Hilfstruppen aus den Niederlanden, wenn man ihn nicht unterstütze. Der frischgebackene Kaiser Karl VI. machte sich seinen ganz persönlichen Reim auf die Tücken der Neutralität: „Polen undt Moscau zeigen sich freylich nicht gut, allein haben sie die macht undt wer also der meinung dass sicherst zu sein sich zum sterkeren zu schlagen.“40 Als er im Jahr darauf den Draht zu Russland wieder aktivieren wollte, verabreichten ihm seine Minister freilich eine Standpauke: Wären sie rechtzeitig gefragt worden, hätten sie „pflichtschuldigst zu widerraten nicht umbgehen können“. Immerhin handle es sich bei Peter um eine „frembde, auf dem reichsboden gewaffnet stehende macht“.41 Wie leicht könne man sich da die Gegnerschaft nicht bloß der Schweden und vieler anderer Reichsstände zuziehen, sondern auch diejenige der Briten, die sich damals gerade von der Großen Allianz verabschiedeten. Dieses Schreckensszenarium gewann an Gestalt, als im Oktober 1712 die Hohe Pforte den Russen erneut den Krieg erklärte und im Norden die
36 HHStA, Vorträge 16, 1711 I–III, fol. 43 v.; Vorträge 51, Joseph I., fol. 249 (23. 2. 1711); Ingrao, Quest (Anm. 19), S. 215. 37 Haintz, Karl XII. (Anm. 26), S. 99 f., 105, 113, 116; dagegen: Wittram, Czar I (Anm. 1), S. 390. 38 Alfred v. Arneth (Hrsg.), Correspondenz des Königs Karls III. von Spanien mit dem Grafen Wratislaw, in: Archiv für Österreichische Geschichte 16 (1856), S. 3 – 224, hier 214 (31. 8. 1711). 39 Feldzüge XIII (Anm. 32), Supplement, S. 87 (Eugen an Karl III. 7. 8. 1709), 109 (Eugen an Eleonore 10. 9. 1709). 40 Arneth (Hrsg.), Correspondenz (Anm. 38), S. 219 (5. 9. 1711). 41 HHStA, Russland I 22, Russica 1712, fol. 48 v. (23. 8. 1712); auch fol. 53 (9./20. 9. 1712); Vorträge 17, 1712 VIII–IX, fol. 151 v. (28. 9. 1712); vgl. Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 64 – 74.
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Schweden unter Stenbock nach Holstein vorstießen. Schien sich da eine großangelegte Zangenbewegung abzuzeichnen?42 Hofkammerpräsident Graf Gundaker Starhemberg unkte schon: „Gott gebe, dass sie [die Schweden] nit in diese lande kommen“. Selbst Prinz Eugen rüttelte an den bisherigen Prioritäten: Man solle lieber „ein paar Plätze in den Niederlanden verlieren als alle Reichsverfassung zu Boden gehen lassen“.43 Daraus ergaben sich – ähnlich wie 1707, als Karl XII. in Sachsen stand – zwei Schlussfolgerungen: Zunächst einmal, wie bisher: Die Schweden nur ja nicht zu reizen, aber für den Fall des Falles das russische Bündnis in der Hinterhand zu behalten.44 Freilich, diese Panik ging schnell vorüber: Schon im Februar 1713 wurde Stenbock in Tönning eingeschlossen; den Osmanen riss die Geduld mit ihrem anspruchsvollen Gast Karl XII., den sie arretierten und daraufhin mit den Russen einen Frieden schlossen, der auch tatsächlich hielt. In den Monaten zwischen den Friedensschlüssen von Utrecht (11. April 1713) und Rastatt (7. März 1714) war der Kaiser durch schwedisch-türkische Manöver nicht weiter abgelenkt.45 Doch wenn die Russen schon einmal da waren, konnte man sich ihrer nicht vielleicht in einer anderen Richtung bedienen? Karl VI. machte alle Anstalten, im Reich ein „letztes Aufgebot“ gegen die Bourbonen zu mobilisieren. Zwar standen seine heimischen Minister – zum Unterschied von den „Spaniern“ – diesen Plänen äußerst reserviert gegenüber, aber selbst einer von ihnen notierte: Vielleicht könnten die nordischen Alliierten „uns gegen Frankreich nützlich sein“.46 Doch man war weiterhin wählerisch: 30.000 Mann seien auch wiederum zu viel, lieber hätte man Geld.47 Doch warum sollte der Zar für ein kaiserliches Sizilien zahlen, wenn ihm der Kaiser umgekehrt seine „schwedischen Eroberungen“ im Baltikum nicht garantierte? Bereits im Frühjahr 1714 hatte sich Karl VI. dann – zumindest vorläufig – mit dem Frieden im Westen abgefunden. Folglich gab es „jetzt keine not mehr, anderen mächtigen allianzen nachzugehen“.48
42
226. 43
Querengässer, Militär (Anm. 16), S. 465 – 477; Haintz, Karl XII. (Anm. 26), S. 153 –
HHStA, Vorträge 18, 1713 I–IV, fol. 14 v. (13. 1. 1713). HHStA, Vorträge 17, 1712 VIII–IX, fol. 151 v. (28. 9. 1712); Turcica 179, 1712, fol. 100 – 115 (12. 12. 1712); Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 82 – 96. 45 Oswald Redlich, Das Werden einer Großmacht. Österreich von 1700 bis 1740, Wien 1938, S. 94 – 99. 46 HHStA, Große Korrespondenz 70, Trautson an Sinzendorf, 4. 3. 1713. 47 HHStA, Vorträge 18, 1713 X–XII, fol. 123 v. (22. 12. 1713); Russland I 23, 1713, fol. 123 v. (18. 12. 1713); Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 105 – 108. 48 HHStA, Vorträge 19, 1714 III–IV, fol. 62 (8. 4. 1714); fol. 146 (o.D.); Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 112 – 117. 44
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IV. Freilich: Der Große Nordische Krieg ging weiter: Dem Expansionsdrang der Dänen, Sachsen und schließlich auch Preußen von russischen Gnaden konnte man in Wien wenig abgewinnen. Für Karl XII. („saving him in spite of himself“) machte sich das englische Tory-Ministerium stark.49 Doch für die abtrünnigen Verbündeten die Kastanien aus dem Feuer zu holen, kam dem Kaiser noch weniger in den Sinn. Folglich lautete die Devise: „In nordische Sachen können wir uns nicht mischen“.50 Dann starb im August 1714 Queen Anne. Ihr folgte Georg von Hannover, der 1683 vor Wien gekämpft hatte. Im katholischen Wien herrschte eitel Wonne über die Rückkehr der „presbyterianischen“ Partei, der „um E.Ksl.Mt. wohlverdienten“ Whigs, an die Macht.51 Jetzt käme das „alte Systemata“ wieder zu seinem Recht, die Allianz zwischen dem Kaiser und den Seemächten. Doch der Jubel erwies sich als verfrüht. Der neue König setzte den Versöhnungskurs mit den Bourbonen fort. Dafür zeigte er Appetit, sein Stammland zu vergrößern und trat 1715 selbst in den Krieg gegen Schweden ein.52 Er fragte sogar pflichtschuldigst in Wien an, ob der Kaiser nicht seinen Sanctus dazu geben wolle? Das Protokoll der kaiserlichen Konferenz am 28. April 1715 war ein Gusto-Stück hintergründiger Gleichgewichtspolitik: Natürlich könnte man es dem Kaiser nicht verdenken, wenn er wegen der Sturheit Karls XII. und seiner Kontakte zu den Franzosen seine „hand und hilff“ von ihm abzöge. Doch auch die Verbündeten sollten nicht zu mächtig werden, insbesondere keiner der schwedischen Häfen in ihren Händen bleiben. Der Kaiser beantwortete Georgs Frage daher mit einer Gegenfrage: Würden sich die nordischen Alliierten im Gegenzug verpflichten, auch dem Kaiser gegen alle Feinde beizustehen? Immerhin stand ein neuer Türkenkrieg vor der Tür, brisanter noch: der Krieg gegen den „Duc d’Anjou“ (= Philipp V. von Spanien) ging unter der Hand weiter. Unter den nordischen Alliierten war auch der Zar inbegriffen. Georg möge da den Postillon d’amour spielen. Doch letzten Endes liefen all diese unbescheidenen Sondierungen auf eine Kardinalforderung hinaus: Sei es jetzt gegen die Osmanen oder die Spanier, die Kontinentalmacht Österreich benötigte eine „flotte in Mediterraneo“.53 Ob man die Russen wirklich als Bundesgenossen gegen die Türken haben wollte, wurde noch mehrmals erörtert: Nach den ersten Siegen wurde die Frage im Oktober 1716 mit der gern zitierten Formel abgelehnt, die russische Nachbarschaft auf dem 49 Ragnhild Hatton, George I. Elector and King, London 1978, S. 119; J.J. Murray, George I, the Baltic and the Whig Split of 1717, London 1969, S. 77. 50 HHStA, Vorträge 19, 1714 V–VI, fol. 13 (14. 5. 1714). 51 HHStA, Vorträge 22, 1718 I–VII, fol. 62 (20. 3. 1718). 52 David D. Aldridge, Admiral Sir John Norris and the British Naval Expeditions to the Baltic Sea 1715 – 1727, Lund 2009, S. 70, 83, 103. 53 HHStA, Vorträge 20, 1715 I–V, fol. 152 – 157 (28. 4. 1715); vgl. auch Braubach, Eugen III (Anm. 32), S. 299 f.
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Balkan sei wegen der Anziehungskraft des Zaren „ob rationem religionis“ keineswegs willkommen.54 Im Frühjahr 1717 wollte man im Hofkriegsrat immer noch abwarten, doch schon im Sommer (vor der Schlacht bei Belgrad!) war man sich da nicht mehr so sicher: Philipps V. tatkräftige zweite Frau, Isabella Farnese, und ihr Kardinal Alberoni begannen damals gerade ihre „reconquista“ mit einer Landung im kaiserlichen Sardinien. Vielleicht würde man im nächsten Jahr doch noch auf die Russen zurückgreifen und je nach dem Kriegsglück „stärker oder bescheidener“ mit ihnen reden müssen?55 Doch inzwischen hatte die wilde Jagd auf die „Spolien der schwedischen Großmacht“56 ihre Eigendynamik entfaltet: 1716 stand der Zar nicht bloß mit 30.000 Mann in Norddeutschland, sondern verheiratete auch seine Nichte mit dem (geschiedenen) Herzog Karl Leopold von Mecklenburg. Das unglückliche Mecklenburg war schon seit Wallensteins Zeiten ein Spielball seiner besser armierten Nachbarn. Diesmal erregte die Mesalliance den Zorn des Herrn Andreas Gottlieb von Bernstorff, der nicht bloß als Junker gegen die absolutistischen Allüren seines Landesherrn aufbegehrte, sondern auch jenseits der Elbe begütert war – und dort zum leitenden Minister des Kurfürsten von Hannover aufstieg, der soeben zum König von England gekrönt worden war.57 Kleine Ursachen, große Wirkungen – oder unvermeidlicher Konflikt zwischen „Walfisch und Bär“? Auf alle Fälle führte der Konflikt zu einer Schubumkehr im Ringen um das Dominium maris balticis: Peter entdeckte 1717 plötzlich seine Neigung für Karl XII., mit dem er Frieden schließen wollte, um ihn gegen den Hannoveraner auszuspielen. Georg – und Bernstorff – wiederum wollten den mecklenburgischen Schützling des Zaren züchtigen. Dänen und Preußen lavierten zwischen den beiden Streithähnen. Das Zerwürfnis im Norden zeitigte seine Rückwirkungen prompt auch im Süden, einmal ganz abgesehen von den Turbulenzen um den Zarensohn Alexej, der beim Kaiser Schutz gesucht hatte und von russischen Agenten zur Heimreise „überredet“ wurde, die er nicht lange überlebte.58 Bereits Anfang 1718 erreichten Karl VI. beunruhigende Nachrichten, dass die Russen inzwischen bereits mit den Türken kokettierten. 54 Ivan Parvev, Habsburgs and Ottomans between Vienna and Belgrade (1683 – 1739), Boulder 1995, S. 168, 184; Uebersberger, Orientpolitik (Anm. 2), S. 122; Arneth, Eugen III (Anm. 20), S. 547; Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 129, 143. 55 HHStA, Vorträge 22, 1717 VI–VII, fol. 18 – 20 (25. 6. 1717); Feldzüge XVII (Anm. 32), Supplement, S. 399, 404, 430 ff.; Wittram, Czar II (Anm. 1), S. 377 f.; Parvev, Habsburgs and Ottomans (Anm. 54), S. 171 – 174. 56 Klopp, Fall des Hauses Stuart XIV (Anm. 5), S. 498. 57 Walther Mediger, Mecklenburg, Russland und England-Hannover 1706 – 1721, 2 Bde., Hildesheim 1967; Hartwig Graf von Bernstorff, Andreas Gottlieb von Bernstorff 1649 – 1726. Staatsmann, Junker, Patriarch, Berlin 1999; Hatton, George I (Anm. 49), S. 70, 95 f., 123, 277. 58 Iskra Schwarcz (Hrsg.), Die Flucht des Thronfolgers Aleksej. Krise der „Balance of Powers“ in den österreichisch-russischen Beziehungen am Anfang des 18. Jahrhunderts, Berlin 2019.
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Während in Passarowitz schon um den Frieden gefeilscht wurde, bemächtigte sich des Kaisers erneut Panikstimmung. Der Sonderfriede zwischen Peter und Karl XII. schien vor der Tür zu stehen, die Spanier hatten ihr „Inselspringen“ nach Mallorca und Sardinien auf Sizilien ausgedehnt. Von allen Seiten wolle man über ihn herfallen, lamentierte Karl VI.59 Bernstorff versicherte seinem König, man habe den Kaiser jetzt endlich dort, wo man ihn haben wolle: Ihm seien inzwischen drei Könige von Schweden im Reich lieber als der Zar auch nur in hundert Meilen Entfernung.60 Immerhin schaffte es der Kaiser, für sein Eingehen auf Bernstorffs Pläne sehr wohl die Unterstützung der Royal Navy gegen die Spanier einzutauschen. Alberoni behielt unrecht mit seiner Prophezeiung, die Engländer würden wegen der schönen Augen Karls VI. doch nicht ihren lukrativen Handel mit Spanien aufs Spiel setzen. Ein britischer Admiral, George Byng, versenkte am 11. August 1718 das Gros der spanischen Flotte vor Kap Passaro.61 Doch dann wurde Karl XII. im November 1718 von einer Kugel getroffen. Die Nachfolge trat seine jüngere Schwester Ursula an. Der Sohn ihrer schon verstorbenen älteren Schwester Hedwig wurde beiseite geschoben.62 Der Bub – und seine gottorpischen Verwandten – hielten sich in Zukunft an den Zaren; Ursula und ihr hessischer Mann an die Briten, die ihnen ihre Unterstützung zusagten gegen alle Feinde, von innen oder von außen. Die Briten wollten die Ostküste der Ostsee nicht gänzlich an die Russen fallen lassen. Zumindest Riga, vielleicht sogar Reval, sollten bei Schweden verbleiben. Säbelrasseln war angesagt: Im Februar 1719 marschierten die Hannoveraner endlich in Mecklenburg ein, eine britische Flotte kreuzte in der Ostsee. Die schwedische Königin besichtigte persönlich das Flaggschiff, Marlboroughs Schwiegersohn Sunderland schwärmte schon von einem „nördlichen Passaro“.63 Der Kaiser wurde herzlich eingeladen sich am Kreuzzug gegen die Russen zu beteiligen, zusammen mit August dem Starken, der inzwischen der russischen Einmischung in Polen überdrüssig geworden war.64 Am 5. Januar 1719 wurde diese Wiener Allianz abgeschlossen. Hatte man 1713, auch noch 1717, zumindest aus den Augen59
Feldzüge XVII (Anm. 32), Supplement, S. 385. Mediger, Mecklenburg (Anm. 57), S. 401. 61 HHStA, Vorträge 22, 1718 I–VII, fol. 184 (23. 7. 1718); Ottocar Weber, Die Quadrupelallianz vom Jahre 1718, Wien 1887, S. 64, 72, 78 – 81; Jonathan D. Oates, The Last Spanish Armada: Britain and the War of the Quadruple Alliance, 1718 – 1720, Warwick 2019, S. 22 – 32; Jeremy Black, British Politics and Foreign Policy in the Reign of George I, 1714 – 1727, Farnham 2014, S. 93 ff., 109. Lothar Höbelt, Der polnische Thronfolgekrieg – ein zweiter Spanischer Erbfolgekrieg?, in: Polen-Litauen und die Habsburgermonarchie im Zeitalter Maria Theresias (Acta Austro-Polonica, X), Wien 2018, S. 77 – 105, hier 86 – 90. 62 Vgl. den köstlichen Aufsatz von Lorenz Erren, Von Riesen und Zwergen. Die Herzöge von Holstein zwischen Österreich und Russland, in: Schwarcz (Hrsg.), Flucht des Thronfolgers (Anm. 58), S. 151 – 160. 63 Aldridge, Norris (Anm. 52), S. 227, 249; Braubach, Eugen IV (Anm. 32), S. 97 – 99. 64 Mediger, Mecklenburg (Anm. 57), S. 403, 411, 418 60
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winkeln heraus mit einem russischen Bündnis geliebäugelt, schienen die Weichen jetzt auf Konfrontation gestellt: Seit Passaro und Passarowitz hatte Karl VI. im Prinzip ja die Hände frei. Doch wie sollte man einen solchen Krieg führen?65 Starhemberg als Hüter der Finanzen fühlte sich bemüßigt, Klartext zu reden: „Des Czaren macht zu beschräncken sei schwerlich zu bewürcken.“ Zugegeben: Die englische Freundschaft sei „höchst nötig und unentbehrlich“ (denn davon hing es ab, ob man Spanien doch noch die Anwartschaft auf das Erbe von Florenz und Parma nehmen könne!). Die Engländer würden auch zweifellos zur See helfen, aber eben nur, bis die „rauhen Herbstwinde“ einsetzten (und selbst im Sommer machten ihnen zwischen den Schären die „kleinen moskowitischen Fahrzeuge“ zu schaffen). Doch „zu lande sei der kaiser fast allein“. Fürst Trautson ergänzte: Die Truppen müssten ja 200 Meilen (= 1500 km) gehen, um in des Zaren Land zu kommen.66 Selbst ein Bündnis mit den Türken, wie es die Briten favorisierten, sei „keineswegs anzuraten“, weil der Zar sie schlagen würde. Dann aber werde er erst recht „unerträglich und gar zu gefährlich“ sein.67 Schon um die Jahreswende 1719/20 entschied man deshalb: Zu einem Krieg mit Russland gäbe es „weder convenienz noch possibilitet“.68 Schließlich befreite ein Börsenkrach Karl VI. aus seinem Dilemma. In England war man auf die geniale Idee verfallen, den Staatsgläubigern für ihre Papiere doch lieber Anteile an einer fabelhaften Handelsgesellschaft anzubieten, der South Sea Company. Je höher der Kurs, desto mehr Schulden konnte man da loswerden. Im September 1720 platzte die Blase. Neue Anleihen waren jetzt nicht unterzubringen. Der Krieg wurde abgesagt – um den Preis allerdings, dass in England mit Walpole der Flügel der Whigs die Führung übernahm, der „continental commitments“ abhold war. Von einer Rückkehr zu dem „alten systemata“, von dem man in Wien schwärmte, war man weiter denn je entfernt.69 Karl VI. hatte die 1718/19 abgebrochenen Beziehungen zu Russland schon einige Monate vorher wieder aufgenommen. Sie waren von keiner besonderen Intimität gekennzeichnet. Peter nahm jetzt das Kaspische Meer ins Visier, aus kaiserlicher Sicht eine lässliche Sünde. Argwöhnischer betrachtete man da schon sein wieder erwachtes Faible für Frankreich: Er wollte seine Tochter Elisabeth mit Ludwig XV. verhei65
HHStA, Vorträge 22, 1718 VII–XII, fol. 58 (30. 9. 1718). HHStA, Vorträge 23, 1720 IV–VIII, fol. 124 – 131 v. (23. 8. 1720). Ausdrücklich war in dem Zusammenhang auch von der Ukraine die Rede (ebd., 1720 I–III, fol. 7 v., 5. 1. 1720); zur Schärenflotte vgl. Aldridge, Norris (Anm. 52), S. 266, 269. 67 HHStA, Vorträge 23, 1720 I–III, fol. 119 v. (14. 2. 1720). 68 HHStA, Vorträge 23, 1720 I–III, fol. 7 – 9 (5. 1. 1720); Pilss, Beziehungen (Anm. 29), S. 184. 69 Edward Chancellor, Devil Take the Hindmost. A History of Financial Speculation, New York 2000, S. 62 – 83; P.G.M. Dickson, The Financial Revolution in England. A Study in the Development of Public Credit, 1688 – 1756, London 1967, S. 92 f., 101, 149, 158; J.H. Plumb, Sir Robert Walpole. The Making of a Statesman, London 1956, S. 271, 367; Hatton, George I (Anm. 49), S. 241 – 256. 66
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raten oder doch zumindest mit einem Sohn des Regenten, der als Nachfolger Augusts dann vielleicht König in Polen werden könne. Kolportiert wird die Legende, dass Peter der Große bei seinem Tod im Januar 1725 schon den fix ausgearbeiteten Vertrag mit Frankreich auf dem Schreibtisch liegen hatte – was ihn freilich nicht hinderte, in altbewährter Manier auch den Kaiserlichen ein Bündnis anzubieten, das im Oktober 1724 in Wien diskutiert wurde.70 V. Man sollte nicht in den Fehler verfallen, die Balkanrivalitäten des 19. Jahrhunderts ungebührlich weit zurückzuprojizieren. Aber waren der Kaiser und der Zar wirklich „natural allies“? 71 Zweifellos: Es ging um Interessen, nicht um „Werte“. Vorbehalte „ideologischer“ Natur oder kulturelle Befindlichkeiten spielten eine vernachlässigenswerte Rolle: Peter mochte in Wien als „Barbar“ betrachtet werden (der aber immerhin leidlich gut deutsch verstand!). Doch der politisch korrekte, gut katholische Barockmensch war es gewohnt, in einer Welt von Ketzern, Schismatikern und Ungläubigen zu leben. Wohlgemerkt: Dabei handelte es sich um die potenziellen Verbündeten – der wahre Erzfeind, das war der allerchristlichste König in Versailles. Man hatte daher 1710 auch nichts dabei gefunden, eine Heirat zwischen der Schwester des Kaisers und dem Zarensohn in Erwägung zu ziehen.72 Vielleicht kam die „natürliche“ Allianz deshalb nicht zum Tragen, weil weder die Schweden noch die Osmanen im 18. Jahrhundert allzu eifrige Erfüllungsgehilfen der Franzosen waren. Wirklich geholfen haben die Moskowiter dem Kaiser wohl nie mehr als 1676 – 1681, als sie den Großwesir Kara Mustafa in die Steppe lockten, lange vor Peters Regierungszeit.73 Danach waren es rasch wechselnde Augenblickskonstellationen, besonders auffällig in den Jahren 1710 – 1714, die jegliche Synchronisierung der Prioritäten beider Seiten verhinderten. Sooft ein Bündnis gesucht wurde, kam es dem anderen gerade nicht gelegen, wollte man es allenfalls im Talon behalten. Das Interesse des Kaisers war immer nur dann gegeben, wenn die Seemächte schmollten und sich ihrer gottgewollten Funktion als Meeres- und Finanzdegen der Habsburger nicht hinreichend bewusst waren (so dann auch 1725 und 1733/35). Selbst die oft beschworenen gemeinsamen Gegner führte nicht zur Kooperation, sondern aktivierten das „St. Florians-Prinzip“: „Verschon’ unser Haus, 70 Uebersberger, Orientpolitik (Anm. 2), S. 123 f., 145; Walter Leitsch, Der Wandel in der österreichischen Rußlandpolitik in den Jahren 1724 bis 1726, in: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas 6 (1958), S. 33 – 91, hier 50 – 53. 71 John P. LeDonne, The Grand Strategy of the Russian Empire, 1650 – 1831, New York 2004, S. 65 – 67. 72 HHStA, Vorträge 15, VII–VIII, fol. 51 (28. 7. 1710); Vorträge 51, Joseph I., fol. 231 (15. 2. 1710); Arneth (Hrsg.), Correspondenz (Anm. 38), S. 113 (26. 4. 1710). 73 Viktor Ostapchuk, Cossack Ukraine. In and Out of the Ottoman Orbit, in: Gabor Karman/ Lovro Kuncevic (Hrsg.), The European Tributary States of the Ottoman Empire in the Sixteenth and Seventeenth Century, Leiden 2013, S. 123 – 152, hier 145 ff.
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zündt’ andere an…“. Man wollte nicht „viribus unitis“ vorgehen, sondern dem Partner die undankbare Aufgabe aufhalsen, für eine Diversion zu sorgen, um inzwischen anderswo eigene Interessen verfolgen zu können. Oder, wie Eugen es in schöner Offenheit formulierte: Man müsse mit den Partnern so verhandeln, dass „die erste und größte gefahr auf sie selbsten fallet“.74 Dazu kam ein gewisses Misstrauen gegen Peter den Großen als Person, als einer der „wunderlichen Köpfe“ des Nordens,75 gerade wegen der Eigenschaften, die ihn für Biographen so attraktiv machen: Rastlose Energie, Phantasie und Spontaneität. Den Tiefpunkt erreichten die russisch-kaiserlichen Beziehungen, sobald Peter 1718 in diesem Sinne den Anschein erweckte, sich mit seinen beiden alten Gegnern, Schweden und Türken, gegen den Kaiser zu wenden. Diese Krise führte freilich auch zur Erkenntnis, dass eine direkte Auseinandersetzung (fast) genauso unmöglich war wie eine echte Partnerschaft. Umgekehrt wurde bei Gelegenheit auch der Zar zitiert – und dahinter steckten mehr als nur saure Trauben: Auf eine „Reichsbeihilf“ sei wegen „weiter Entlegenheit nicht zu reflektieren“.76 Die Gemeinsamkeiten reduzierten sich aus dieser Perspektive darauf, dass man einander – noch ganz ohne strategische Eisenbahnen – nicht allzu viel antun konnte: Oder wie einst Droysen über die Macht Peters schrieb: „Was ihre Sicherheit gegen die Angriffe Europas verbürgt, macht ihre Angriffe gegen Europa unsicher und stumpf.“77 Väterchen Zar war weit – und auch der Kaiser war weder in der Lage, eine Flotte in die Ostsee zu entsenden, noch würde er je willens sein, die Hohe Pforte zu kriegerischen Abenteuern in Europa zu ermuntern, während all die Welt- und Westmächte beides immer wieder taten.
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Feldzüge XII (Anm. 32), Supplement, S. 292 (23. 8. 1710). Mediger, Mecklenburg II (Anm. 57), S. 136. 76 HHStA, Russland I 22, Russica 1712, fol. 48 v. (23. 8. 1712). 77 Joh. Gust. Droysen, Friedrich Wilhelm I., Leipzig 1869, S. 165.
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Eichenlaub und Lorbeerkranz: Ignaz Felner und der katholische Kriegsnationalismus in Vorderösterreich Von Ute Planert, Köln Die Säbel blank! das Rohr zum Schuß! und Hieb und Knall zum ersten Gruß! und jeder Hieb verletze, und jeder Schuß zersetze den Feind! den Feind! […] Das Schwert, des Cherubs Schwerte gleich, verjage sie aus Tuiskons Reich! Die eigne Wuth verheere, versenge und verzehre Paris! Paris! […] Haut zu! Den Tod der Franken Wird euch die Nachwelt danken! Haut zu! Haut zu!1
Was hier so deutschtümelnd-franzosenfressend daher kommt, stammt mitnichten aus dem Arsenal preußisch-deutscher Befreiungskriegslyrik, sondern aus der Feder des schriftstellernden Ex-Jesuitenpaters Ignaz Felner, der sich als habsburgischer Herzensmonarchist schon Ende des 18. Jahrhunderts alle Mühe gab, seine vorderösterreichischen Landsleute zum Kampf gegen die französischen Revolutionsheere aufzurufen und dabei „Lasterbrut“ auf „Frankenblut“ reimte.2 In der zumeist auf das protestantische Deutschland konzentrierten Forschung zur Genese des modernen Nationalismus spielt Österreich eine untergeordnete Rolle und wurde allenfalls mit Blick auf die Tiroler Vorgänge von 1809 und den Bündniswechsel am Ende der napoleonischen Zeit betrachtet.3 Selbst neuere Arbeiten, die sich mit der öster1 Ignaz Felner, Österreichisches Soldatenlied, in: Ignaz Felner, Gedichte, Freiburg i.Br. 1796, S. 81 – 83, hier 83. 2 Ebd. 3 Vgl. beispielsweise Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus 1770 – 1840, Göttingen, S. 195 – 215. Ausschließlich auf die Schriften Schlegels und Adam Müllers gestützt, sieht Echternkamp die Reichweite österreichischer Nationsvorstellungen durch ihre katholisch-konservative Ausrichtung limitiert, vgl. ebd., S. 214. Vgl. dagegen Ernst Zehet-
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reichischen Nationsbildung beschäftigen, widmen den letzten Jahren des Alten Reiches wenig Aufmerksamkeit.4 Dabei rief man in den Koalitionskriegen bei der Mobilisierung von Landwehrtruppen in Vorderösterreich und Süddeutschland nicht nur zur Verteidigung von Monarchie und Religion auf, sondern appellierte eindringlich auch an „Hermanns kriegerischen Geiste“.5 Erfolgreich waren diese Bestrebungen vor allem in den grenznahen Regionen am Rhein und in der vorderösterreichischen Landeshauptstadt Freiburg, wo ein engagierter Regierungspräsident im Verein mit der Geistlichkeit die Revolutionsbekämpfung forcierte, Loyalität zur Habsburgermonarchie auf die städtischen Sozial- und Kommunikationsstrukturen einer Beamten- und Universitätsstadt traf und Bildungsbürger wie Ignaz Felner als Wortführer agierten. Dabei führte die Egalisierung ständischer Unterschiede in der Waffenbrüderschaft des Bürgermilitärs und die Betonung des deutsch-französischen Gegensatzes allmählich zur Herausbildung bürgerlich-nationaler Identitätsbezüge, die zunächst parallel zur dynastischen Loyalitätsbindung existierten, nach der Ablösung des Breisgaus von Österreich aber stärker in den Vordergrund traten. Neben Vorarlberg war der Breisgau mit 170.000 Einwohnern die größte Verwaltungseinheit der zerstreut zwischen Bayern und der französischen Grenze liegenden habsburgischen Vorlande. Nach der Trennung von Tirol und einer Neuorganisation befanden sich seit 1759 alle Provinzialbehörden in der am Ende des Alten Reiches gut 7500 Einwohner zählenden Hauptstadt Freiburg.6 Dem ersten Regierungspräsidenten, dem aus einem reichsritterschaftlichen Geschlecht stammenden Anton Thaddäus von Sumerau fiel die Aufgabe zu, die Wiener Reform- und Steuerpolitik gegen den Widerstand von Magistrat, Universität und Ständen durchzusetzen. bauer, Landwehr gegen Napoleon. Österreichs erste Miliz und der Nationalkrieg von 1809, Wien 1999; Reiner Wohlfeil, Spanien und die deutsche Erhebung 1808 – 1814, Wiesbaden 1965; Hellmuth Rössler, Graf Johann Philipp Stadion, Napoleons deutscher Gegenspieler, 2 Bde., Wien 1966. 4 Vgl. Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewusstsein und gesellschaftlichpolitische Prozesse, Wien 1996, S. 336 f.; Alfred Kohler, Österreich und die deutsche Nation – politische und kulturelle Distanz?, in: Georg Schmidt (Hg.), Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Schriften des Historischen Kollegs, München 2010, S. 3 – 14, hier 11 f.; Wolfgang Burgdorf, „Reichsnationalismus“ gegen „Territorialnationalismus“: Phasen der Intensivierung des nationalen Bewußtseins in Deutschland seit dem Siebenjährigen Krieg, in: Dieter Langewiesche und Georg Schmidt (Hg.), Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München 2000, S. 157 – 190, hier 183. 5 Vgl. zum Militärwesen im Südwesten des Alten Reiches und den Bemühungen um Reformen und eine Volksbewaffnung am Oberrhein Ute Planert, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden, 1792 – 1841, Paderborn 2007, S. 386 – 408; Otto Heinl, Heereswesen und Volksbewaffnung in Vorderösterreich im Zeitalter Josefs II. und der Revolutionskriege, Freiburg 1941, S. 40 – 57; Wilhelm Wendland, Versuch einer allgemeinen Volksbewaffnung in Süddeutschland während der Jahre 1791 bis 1794, Berlin 1901 (Neudruck Vaduz 1965); Reinhold Lenz, Volksbewaffnung und Staatsidee in Österreich (1792 – 1797), Wien/Leipzig 1926. 6 Vgl. Alfred Graf von Kageneck, Das Ende der vorderösterreichischen Herrschaft im Breisgau, Freiburg 1981, S. 53.
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Während sich das in der Habsburgermonarchie nach preußischem Muster eingeführte Konskriptions- und Werbbezirkssystem nur eingeschränkt auf den Breisgau übertragen ließ,7 war man bei der Umsetzung der theresianisch-josephinischen Bildungspolitik erfolgreicher. 1767 wurde die Universität einer neuen Verfassung unterworfen und zur Modernisierung der Unterrichtsinhalte nach Wiener Vorbild verpflichtet. Die Jesuiten verloren ihren Einfluss auf die philosophische Fakultät, noch bevor der Papst sechs Jahre später den Orden aufhob.8 Zahlreiche Neubesetzungen machten die Freiburger Universität in der Folge zum Zentrum der katholischen Aufklärung. Zwar galt die Berufung Johann Georg Jacobis als erstem protestantischen Professor durch Joseph II. im Jahr 1784 noch als Sensation. Doch dem Dichter, ehemaligen Mitarbeiter an Wielands „Teutschem Merkur“ und Herausgeber des „Frauenzimmer“-Journals „Iris“ gelang es rasch, sich mit gut besuchten Vorlesungen und einem Lesekränzchen für das weibliche Publikum im katholischen Milieu zu etablieren. Als Mittelpunkt des oberrheinischen Dichterkreises, zu dem auch Johann Peter Hebel gehörte, prägte er das kulturelle Leben der Stadt und wurde 1791 zum ersten protestantischen Rektor der Universität gewählt.9 Zu diesem Zeitpunkt allerdings fand das freisinnige Klima in der Dreisamstadt, in der neben einer großen Zahl von Handwerkern und Kaufleuten fast die Hälfte aller im Breisgau lebenden Honoratioren, Adeligen und Beamten sowie ein Fünftel aller Geistlichen wohnten,10 bereits ein Ende. Während in den 1780er Jahren progressive Blätter wie Johann Kaspar Ruefs „Der Freymüthige“ zirkulierten und sich das liberale Bürgertum mit der aufgeklärten Beamtenschaft in der von Wien initiierten Freimaurerloge „Zur Edlen Aussicht“ traf,11 sah sich der neue Kaiser Leopold II., der zuvor als Großherzog die Toskana in einen Reformstaat verwandelt hatte, nicht nur dem Ausbruch der Französischen Revolution, sondern auch einer Reihe außen- und innenpolitischer Krisen gegenüber, von denen der Aufstand in den österreichischen Niederlanden und die Unterzeichnung der Pillnitzer Deklaration nur die 7 Die neue Kantonspflicht wurde erst 1786 in den Vorlanden eingeführt, kam wegen des Widerstands der Stände, heftiger Proteste vor allem im Südschwarzwald und zahlreichen Desertationen vor der Revolution aber nur eingeschränkt zur Ausführung, vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 67 und Oskar Regele, Zur Militärgeschichte Vorderösterreichs, in: Friedrich Merz (Hrsg.), Vorderösterreich. Eine geschichtliche Landeskunde, Freiburg i.Br. 42000, S. 87 – 94, hier 88 f. Vgl. auch das Forschungsprojekt von Josef Löffler an der Universität Wien zur Durchsetzung der theresianischen Reformen im ländlichen Raum. 8 Vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 28 f. 9 Vgl. Achim Aurnhammer, Vom Freundschaftsbund zur Lesegesellschaft. Literarische Zirkel um Johann Georg Jacobi zwischen 1784 und 1814, in: Achim Aurnhammer/Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Zwischen Josephinismus und Frühliberalismus. Literarisches Leben in Südbaden um 1800, Freiburg i.Br. 2002, S. 247 – 266. 10 Vgl. zur politischen und sozioökonomischen Situation Freiburgs Ulrich Ecker/Heiko Haumann, „Viel zu viele Beamte“ und „Freiheitsapostel“. Festungsleben, absolutistische Stadtreform und republikanische Pläne zwischen dreißigjährigem Krieg und Übergang an Baden, in: Heiko Haumann und Hans Schadek (Hg.), Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau, Bd. 2, Stuttgart 2001, S. 162 – 236 und Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 53. 11 Vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 63 – 64.
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markantesten waren. Nach Leopolds plötzlichem Tod und der französischen Kriegserklärung im April 1792 wurde die österreichische Reformpolitik unter seinem Sohn Franz II. endgültig zugunsten eines konservativ-autoritären Kurses aufgegeben. Die Veränderungen der politischen Großwetterlage waren auch im Breisgau deutlich zu spüren. Die Nähe zu Frankreich hatte schon im Spätsommer 1789 zu einem Bauernaufstand in der am Rhein gelegenen Ortenau geführt. Bald danach forderten Flugschriften Steuererleichterungen, die Wiederherstellung aufgehobener Feiertage und die Aufteilung der Gemeindegüter.12 Straßburg, die zweisprachige Metropole des Elsass, wohin nach dem Ende der Mainzer Republik immer mehr deutsche Revolutionsbefürworter emigrierten, entwickelte sich zum Zentrum jakobinischer Propaganda.13 In diesen stürmischen Zeiten trat Anfang 1791 mit Joseph Thaddäus Sumerau, dem Neffen des ersten Regierungspräsidenten, ein neuer Landeschef sein Amt an. Er galt als Mann von konservativen Grundsätzen und großem Religionseifer, der in der Kirche ein wichtiges Instrument zur Beeinflussung der vorderösterreichischen Untertanen sah. Die Französische Revolution betrachtete er als Feind schlechthin und war der Überzeugung, dass man „gegen Teilnehmer an jakobinischen Grundsätzen äußert streng sein müsse“.14 Entsprechend brach über Polizeistellen und Ortsobrigkeiten bald eine Fülle von Verordnungen herein, die ihnen die Bespitzelung verdächtiger Personen, Razzien bei Buch- und Bilderhändlern und die Überwachung von Wirtshausgesprächen auferlegten. Ausländische Reisende, Studenten, Buchdruckergesellen oder Fuhrleute aus dem Elsass machten sich als Revolutionsagenten und Verbreiter gefährlicher Flugschriften verdächtig. Das Postwesen wurde minutiös überwacht, Schriften und Zeitungen zensiert oder ganz verboten. Im wachsenden Klima des Misstrauens gerieten selbst langgediente Universitätsprofessoren wie Johann Georg Jacobi unter Generalverdacht.15 Auch die immer zahlreicheren adeligen Emigranten, deren hochfahrendes Gebaren ihnen in der Bevölkerung wenig Sympathie einbrachte, forderten die Aufmerksamkeit des Regierungspräsidenten heraus. 12
Vgl. Ulrich Ecker/Heiko Haumann, „Viel zu viele Beamte“ (Anm. 10), S. 212. Vgl. aus der Vielzahl der Publikationen nur Susanne Lachenicht, Information und Propaganda: die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß (1791 – 1800), München 2004; Erich Pelzer, Die französische Revolutionspropaganda am Oberrhein (1789 – 1799), in: Hans-Otto Mühleisen (Hrsg.), Die Französische Revolution und der deutsche Südwesten, Freiburg u. a. 1989, S. 165 – 182; Roland Marx, Strasbourg. Centre de la popagande révolutionnaire vers l’Allemagne, in: Jürgen Voss (Hrsg.), Deutschland und die Französische Revolution, München/ Zürich 1983, S. 16 – 25; Anne Cottebrunne/Susanne Lachenicht, Deutsche Jakobiner im französischen Exil. Paris und Straßburg – Wege zwischen radikaler Akzeptanz und Ablehnung der Revolution, in: Francia 31 (2004), H. 2, S. 95 – 119. 14 Vgl. seinen Brief vom 7. 8. 1794 an den österreichischen Regierungsrat Ferdinand von Bissingen, zit. nach Kageneck (Anm. 6), Ende, S. 77. 15 Vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 77 – 87 und Ecker/Haumann, „Viel zu viele Beamte“ (Anm. 10), S. 211 – 221. 13
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Sumerau berichtete seine Maßnahmen eifrig an den Wiener Staatsminister Johann Anton von Pergen, der das Polizeisystem in den Erblanden zentralisiert und an sich gezogen hatte. Damit sollte sich der Freiburger Landeschef zehn Jahre später für den Posten eines Vize-Polizeiministers in Wien zum Aufbau eines Konfidentenwesens empfehlen. Als Pergen die Verwaltungsspitzen in den Provinzen aufforderte, „alles in Bewegung zu setzen, um die irrig Denkenden umzustimmen“,16 ließ es Sumerau nicht länger bei herkömmlichen Defensivmaßnahmen wie Überwachung, Zensur und Beschlagnahmung bewenden. Überzeugt, dass „Opinion nur durch Opinion verdrängt werden“ könne,17 setzte er der französischen Propaganda eine publizistische Gegenkampagne entgegen. Dazu förderte er den Druck antirevolutionärer Flugschriften und Zeitungen und verschaffte den Publizisten Anstellungen und Geldzuwendungen. Er ließ August Ottokar Reichards „Aufruf eines Deutschen“ in Vorderösterreich verteilen und beauftragte den Bibliothekar des Herzogs von SachsenGotha, weitere antirevolutionäre Flugschriften zu verfassen.18 Aus Konstanz holte er den ehemaligen Lavater-Sekretär und Herausgeber des pro-österreichischen „Volksfreunds“ Johann Michael Armbruster nach Freiburg, der das „Sündenregister der Franzosen während ihres Aufenthalts in Schwaben und Vorderösterreich“ aufzeichnete und später in Wien zum Hofsekretär und Herausgeber der „Vaterländischen Blätter für den österreichischen Kaiserstaat“ aufstieg.19 Zum antirevolutionären Kreis um den vorderösterreichischen Regierungspräsidenten gehörte auch Ignaz Felner, der 1793 in seiner Schrift „Beherzigungen für Deutsche“ in der Tradition der Reichspublizistik der „französischen“ eine „deutsche“ Freiheit entgegensetzte, die er in Recht und Religion verkörpert sah. Dass er anonym als „Deutscher“ auftrat und sich an seine „Mitbürger in Deutschland“ wandte, lässt die Absicht erkennen, weit über Österreich und den katholischen Raum hinaus zu wirken.20 Felner war 1770 mit 16 Jahren dem Jesuitenorden beigetreten und wurde schon zwei Jahre später zum Professor der Rhetorik am Freiburger akademischen Gymna16
Zit. nach Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 84. Vgl. Franz Quarthal, Die vier vorderösterreichischen Regierungspräsidenten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Saskia Durian-Ress/Heribert Smolinsky (Hg.), Habsburg und der Oberrhein. Gesellschaftlicher Wandel in einem historischen Raum, Waldkirch 2002, S. 101 – 214, hier S89 – 214. 18 Vgl. Heinrich August Ottokar Reichard, Aufruf eines Deutschen an seine Landsleute am Rhein, sonderlich an den Nähr- und Wehrstand, o.O. 1792; Heinrich August Ottokar Reichard, Menschenrechte diesseits und jenseits des Rheines. Ein Wort zu Beherzigung an deutsche Untertanen, o.O. 1792; Heinrich August Ottokar Reichard, Adresse an den gesunden Menschenverstand, o.O. 1798. Weiterhin gab Reichard von 1793 bis 1804 den antifranzösischen „Revolutions-Almanach“ heraus. 19 Vgl. Michael Armbruster, Sündenregister der Franzosen während ihres Aufenthalts in Schwaben und Vorderösterreich, o.O. 1797. Vgl. zu Sumeraus antirevolutionärer Pressekampagne Heinl, Heereswesen (Anm. 5), S. 36 – 40; Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 74 – 101. 20 Vgl. Ignaz Felner, Beherzigungen für Deutsche. 1. Lieferung. Gewiedmet seinen Mitbürgern in Deutschland von einem Deutschen, Freiburg 1793. 17
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sium ernannt. Nach der Auflösung der Ordens und der Übernahme des Gymnasiums durch die Benediktiner unterrichtete der Geistliche wohl zeitweise an der Freiburger Universität, bevor er wieder an das Gymnasium zurückkehrte und dort die Präfektur übernahm.21 Als sprichwörtlicher „Maître de Plaisir“ aus dem gesellschaftlichen Leben der Landeshauptstadt kaum wegzudenken, organisierte er Festveranstaltungen sowie Theateraufführungen und machte durch zahlreiche Gedichte und Lieder auf sich aufmerksam, die er bei geselligen Anlässen gern selbst vortrug und in gedruckter Form unter die Leute brachte. Felner hatte von seiner Mutter eine Druckerei geerbt, wo er eine Vielzahl pädagogischer und theologischer Abhandlungen publizierte. Auch suchte er in Gedichtbänden Johann Peter Hebels populäre alemannische Mundartdichtung zu imitieren, bevor er eine Pfarrei nahe Freiburg übernahm.22 Als Vielschreiber mit besten Konnexionen, stramm katholisch-antirevolutionärer Gesinnung und eigener Druckanstalt erwies sich Felner als begabter Propagandist der Sumerau’schen Pressekampagnen. Aus seiner Feder stammen unzählige Huldigungsgedichte, die zumeist Kaiser Franz, daneben aber auch Erzherzog Carl, Zar Alexander und zuweilen den Regierungspräsidenten selbst verherrlichten. In der Tradition der Herrscherlobs wurden die Angesprochenen darin als Vaterfiguren gezeichnet, die in ihrer Güte und Sorge um das Land und seine Bewohner weder rasten noch ruhen, um mit der Stiftung von Ruhe und Ordnung, der Abwehr von Feinden und der Wahrung religiöser Grundsätze die bestmöglichen Voraussetzungen für ein prosperierendes Gemeinwesen zu schaffen und dafür die Loyalität der dankbaren Untertanen erwarten konnten.23 In ähnlicher Weise stand auch in Felners antirevolutionären Schriften die ausführliche Erörterung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorzüge der Habsburgermonarchie im Mittelpunkt, denen er, ganz an antiken Denktraditionen geschult, das Chaos und die Tyrannei der als regellos dargestellten revolutionären Zustände in Frankreich entgegensetze. Auch wenn die Opposition „deutsch“ versus „französisch“ das gesamte Werk Felners durchzog und sie zur Konstruktion polarer Identitäten benutzt wurde, bezog sich die Perhorreszierung nicht auf Frankreich und die 21
Die Benediktiner hatten 1791 das Akademische Gymnasium übernommen. Es ist wahrscheinlich, dass Felner danach vorerst nicht mehr dort unterrichtete, denn seine „Beherzigungen für Deutsche“ unterschrieb er 1793 mit „Ignaz Felner, ehemaliger Professor der Dichtkunst“, vgl. ebd., S. 120. 22 Vgl. Rolf Max Kully, Der Freiburger Dichter Ignaz Andreas Anton Felner, in: Aurnhammer/Kühlmann (Hrsg.), Zwischen Josephinismus und Liberalismus, Freiburg 2002, S. 413 – 435; Robert Feger, Ignaz Felner – eine vielseitige Freiburger Persönlichkeit vor 200 Jahren, in: Freiburger Almanach (29) 1978, S. 143 – 155. 23 Vgl. etwa Ignaz Felner, An seine Majestät Franz II, [Freiburg] 1801; Ignaz Felner, Dem Retter Deutschlandes, seiner Königlichen Hoheit, dem Erzherzoge Carl, Freiburg 1797; Ignaz Felner, Epistel an Seine Königliche Hoheit den Erzherzog Carl, Freiburg 1797; Ignaz Felner, An den Schutzgeist Sr. Exzellenz des Freyherrn von Summeraw, [Freiburg] 1798; Ignaz Felner, Monarch! [Freiburg] 1800; An seine Majestät Alexander I. Kaiser alle Reussen, Freiburg 1803; Ignaz Felner, Prolog auf das hohe Namensfest Sr. Exzellenz des k.k. Geheimen Rates und Landeschef’s der k.k. Vorlande Freyherrn v. Summeraw, Freiburg 1800.
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Franzosen an sich, sondern auf die Revolution und ihre als „Franken“, „Ohnehosen“ und „Feinde“ titulierten Anhänger, die links wie rechts des Rheins zu finden sein konnten. Eine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Französischen Revolution oder der Kritik deutscher Revolutionsanhänger unterblieb in den „Beherzigungen für Deutsche“ freilich, ging es dem Ex-Jesuiten in volksaufklärerischer Manier doch um „Belehrungen“ über die Wohltaten der existierenden Verfassung und die Schrecken revolutionärer Zustände für jene „Mitbürger“, die sich „aus Mangel an Zeit oder an Übung außer Stande befinden, fremde Gedanken in ein Ganzes zu fassen“. Ziel war es also, der Empfänglichkeit für Revolutionsgedanken vorzubeugen, die Loyalität gegenüber der existierenden Regierungsform zu stärken und die Leser an ihre Gehorsamspflicht gegenüber Religion und Obrigkeit zu erinnern. Die zu „Mitbürgern“ avancierten Untertanen waren aufgerufen, Gott zu geben, „was Gottes ist und dem Kaiser, was des Kaisers ist“, eine Sentenz, bei Felner häufiger anzutreffen war.24 Dass damit auch Opfermut und Wehrbereitschaft gemeint waren, deutete sich erst in einem am Schluss des Büchleins abgedruckten Gedicht an, in dem die Adressaten – noch im Konjunktiv – zum Kriegseinsatz aufgerufen wurden: „Und forderte der Fürst auch Gut und Leben/so stehn wir da mit Gut und Blut/Dem besten Kaiser, alles, alles geben/ist treuer Deutschen Edelmuth“.25 Hintergrund des Appells waren die Volksbewaffnungspläne des Regierungspräsidenten, über die Felner zweifelsohne informiert war. Sumerau war schon vor dem Kriegsausbruch in Wien vorstellig geworden und hatte vergeblich darum gebeten, eine Landmiliz aufstellen zu dürfen. Seine Volksbewaffnungspläne stießen selbst dann noch auf taube Ohren, als französische Truppen nach der Schlacht von Valmy den Rhein überschritten und die vorderösterreichischen Justiz- und Verwaltungsbehörden samt der Landeskasse kurzzeitig nach Konstanz übersiedeln mussten. Erst als die durch die Levée en masse verstärkte französische Armee im Frühherbst 1793 die anfänglich siegreichen Österreicher erneut über den Rhein zurückdrängte und die Reichsfestung Breisach zerstörte, stimmte der Staatsrat dem Vorhaben zögernd zu, nicht zuletzt, weil auch der kommandierende General am Oberrhein, General Wurmser, auf eine Verstärkung der Truppen durch Landmilizen drängte. Auch wenn sich die Aufstellung der Landmilizen noch einige Monate hinziehen sollte, wird damit klar, dass Felners „Beherzigungen für Deutsche“ nicht nur zur Stärkung der Loyalität der Untertanen, sondern auch zur Kriegsvorbereitung dienen sollte.26 Wurmsers Wunsch, 15.000 bewaffnete Vorderösterreicher die Rheingrenze bewachen zu lassen, um somit kaiserliche Truppen zur Eroberung der linken Rheinseite freizubekommen, ließ sich so schnell jedoch nicht in die Tat umsetzen. Immerhin standen bis Ende Dezember 1793 rund 3.000 mehr oder minder gut ausgerüstete Bauern am Rhein zwischen Kehl und Basel zur Grenzsicherung bereit. In Freiburg blieb 24
Vgl. Felner, Beherzigungen für Deutsche (Anm. 20), Zitate S. 3 und S. 117. Ebd., S. 120. 26 Vgl. zu Sumeraus Volksbewaffnungsplänen und ihrer Realisierung Reinhold Lenz, Volksbewaffnung (Anm. 5), hier insb. S. 48 ff.; Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 88 – 91. 25
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nach Abzug des regulären Militärs ein Aufgebot von 373 Milizen zur Bewachung der Stadt zurück.27 Um den Eindruck staatlicher Pression zu vermeiden und den Selbstverwaltungscharakter der Miliz zu unterstreichen, ließ man die Landwehrleute nach französischem Vorbild ihre Offiziere selbst wählen. Als sich die militärische Situation 1794 erneut zuspitzte, wurden 60.000 vorderösterreichische Untertanen aufgeboten, die überwiegend Bewachungs- und Kundschafteraufgaben übernahmen und Schanzen errichteten, vereinzelt aber auch ins Feuer kamen. In der Folge ging die Bereitschaft zur freiwilligen Kriegsteilnahme vor allem im Hinterland immer weiter zurück, bis sie schließlich ganz erlosch.28 Eine Ausnahme bildete das Freiburger Bürgermilitär, das sich unter der Leitung des Stadtrates Caluri zu vier Kompanien mit 600 Mann formiert hatte.29 Ausbilder und Oberkommandant der Miliz wurde Sumeraus Schwager Max Freiherr von Duminique. Er war zuvor Kommandant von Piacenza im Herzogtum Parma gewesen, wo mit Maria Amalia eine Tochter Maria Theresias mitregierte.30 Unter die Fahne der Bürgermilitärs traten landständische und städtische Beamte ebenso wie der breisgauische Schulaufseher, mehrere Zunftmeister der Dreisamstadt, daneben Buchdrucker, Kaufleute, Sattler-, Schreiner- und Seilermeister, aber auch Granatschleifer, Spengler, Gärtner und die – damals noch der „akademischen Jugend“ zugehörigen – späteren Freiburger Professoren Karl von Rotteck und Julius Schneller. Insgesamt bestand das Korps aus drei Füsilier-Kompanien und einer Scharfschützenabteilung. Die Scharfschützen hatten sich selbst ausgerüstet und in den Farben der habsburgischen Monarchie eingekleidet. Sie formierten die Eliteeinheit des Korps, der sich aus Kostengründen nur wohlhabende Einwohner anschließen konnten.31 Bei ihrer Fahnenweihe im Juli 1794 zogen die Scharfschützen begleitet von einer Kompanie Füsiliere mit klingendem Spiel vom Rathaus zum Münster, wo nach dem Hochamt der Stadtpfarrer und spätere Fürstbischof von Brixen, Bernhard Galura, „Über die Quellen des christlichen Heldenmuthes in unseren Zeiten“ predigte. Von nationalen Pathosformeln weit entfernt, bewegte sich der Theologe ganz im christlichen Bezugsrahmen. Er sprach von der Pflicht, Christentum, Familie und Vaterland zu verteidigen und dem bedrängten Monarchen beizustehen, und ermunterte die Wehrmänner, ihren Mut aus dem Glauben an die christliche Vorsehung zu schöp27
Vgl. Ecker/Haumann, „Viel zu viele Beamte“ (Anm. 10), S. 222. Vgl. Heinl, Heereswesen (Anm. 5), S. 40 – 57; Wendland, Volksbewaffnung (Anm. 5); Lenz, Volksbewaffnung (Anm. 5); Planert, Mythos (Anm. 5), S. 392 – 404. 29 Vgl. Peter Albert, Das Freiburger Bürgermilitärkorps und sein Antheil an den Gefechten bei Wagenstadt am 7. und 14. Juli 1796, in: Schau-ins-Land 23 (1896), S. 18 – 42, hier 26. Vgl. die Akten zum Freiburger Bürgermilitär im Stadtarchiv Freiburg C1 Militaria 119 – 121 (Landsturm), Dwc 1740 (Landsturm 1793 – 1806), Dwc 1760 (Bürgerkorps 1798 – 1848). Zur weiteren Entwicklung des Bürgermilitärs vgl. Ulrich P. Eckert, Nur noch Prozessionssoldaten? Das Freiburger Bürgermilitär im 19. Jahrhundert, in: Schau-ins-Land 105 (1986), S. 287 – 298. 30 Vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 90. 31 Vgl. Albert, Bürgermilitärkorps (Anm. 29), insb. S. 22. 28
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fen, da ein Christ, dem Beispiel Jesu folgend, im Tod nur ein besseres Leben zu gewinnen hätte.32 Anschließend weihte er die Fahne des Korps, die auf der Vorderseite den kaiserlichen Doppeladler mit dem erzherzoglich österreichischen und dem breisgauischen Wappen der drei Landstände trug, während auf der Rückseite die Aufschrift „Religion und Vaterland“ prangte. Als Paten fungierten bei der Fahnenweihe die Ehefrau des Landesvorstehers von Sumerau und der landständische Konsessualpräsident Anton Freiherr von Baden, so dass in diesem Akt Stände und Landesregierung sowie beide Geschlechter gleichermaßen symbolisch vereint waren.33 Danach gelobten die Scharfschützen mit einem von den Offizieren zu den Gemeinen umlaufenden Handschlag „auf deutscher Männer Treue und Ehre“ sich „tapfer und mannhaft“ zu schlagen und – bemerkenswert angesichts der im Stehenden Heer immer noch virulenten ständischen Differenzen zwischen Offizieren und einfachen Soldaten – sich gegenseitig beizustehen und „alle insgesammt, sowohl Ober- und Unteroffiziere als Gemeine“ niemals zu verlassen, sich auch nicht von der mitgeführten Standarte zu entfernen, „sondern dabei leben und sterben [zu] wollen“.34 Mit diesem Ritual wurden nicht nur die gegenseitige Verbundenheit und die Verpflichtung auf die persönliche Ehre der Korpsangehörigen, sondern auch ein heldisch-wehrhafter Männlichkeitsentwurf und die Egalität „deutscher Männer“ zelebriert. Der Verweis auf die Kampf- und Abstammungsgemeinschaft ebnete ständische Unterschiede ein. Christentum, Kaiser und Österreich bildeten nach wie vor die Grundpfeiler des Wertekanons und der Identitätskonstruktion. Aber die Tatsache, dass es in der Extremsituation des Krieges auf die Gemeinschaft der Kämpfenden ankam und alle gleichermaßen Todesgefahr ausgesetzt waren, lag quer zu gesellschaftlichen Differenzen. Das Attribut „deutsch“ fungierte somit nicht nur als Abgrenzung zum französischen Feind, sondern wirkte auch integrierend als Gegenbegriff zur Ständegesellschaft. Nach dem preußischen Sonderfrieden von Basel und der Abordnung österreichischer Truppen ins umkämpfte Italien entstand am Oberrhein eine Lücke, die General Moreau Ende Juni 1796 erfolgreich zum Vorstoß nach Süddeutschland nutzte.35 Zur Unterstützung des habsburgischen Militärs wurden nun wieder verstärkt Milizen aus dem Breisgau eingesetzt. In Freiburg bemühte sich Ignaz Felner reichlich, den Kampfgeist der Freiwilligen mit Kriegsliedern und Schlachtgesängen zu wecken, in denen Ströme von Blut flossen und sich die von „deutschen Helden“ dahingemet-
32 Vgl. Bernhard Galura, „Über die Quellen des christlichen Heldenmuthes in unseren Zeiten, Freiburg 1794, insb. S. 13 f., 17 f., 21 – 23. 33 Vgl. die Beschreibung des Weiheaktes ebd., S. 22 f. Vgl. auch Joseph Riegel, Freiburgs Schicksalstage – Lose Blätter aus dem lateinischen Tagebuch des Münsterpfarrers Bernhard Galura 1792 – 1805, in: Schau-ins-Land 47 – 50 (1923), S. 1 – 16. 34 Bernhard Galura, Heldenmuth (Anm. 32), S. 6; vgl. auch Bernhard Galura, Beschreybung der feyerlichen Standartenweihe als Anhang zu diesem Werk. 35 Vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 90 – 93.
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zelten Leichen zu Bergen auftürmten.36 Auch abseits der Kriegspropaganda waren seine Gedichte nun immer stärker von einer Überhöhung des Deutschtums durchzogen. Zwei auf den Hermannsmythos bezogene „Vaterlandslieder“ erschienen, die das Wort „deutsch“ im Sperrsatz hervorhoben. In Rollengedichten eines als „deutsch“ apostrophierten Mädchens und eines Jünglings geloben die mit zahlreichen nationsund geschlechtsspezifischen Attributen ausgestatteten Protagonisten, sich nur mit einem Gatten von „Hermanns Ahnen“ und „deutschem Blut“ verbinden zu wollen. Ganz offensichtlich war das Mädchen-Gedicht Klopstocks „Vaterlandslied, zum Singen für Johanna Elisabet von Winthem“ nachgebildet. Die Ode wurde 1784 vom Wiener Hofbuchdrucker Johann Thomas von Trattner veröffentlicht und dürfte so ihren Weg ins Breisgau gefunden haben.37 Tatsächlich stießen Freiburger Freiwillige und breisgauische Landwehrmänner am 7. Juli 1796 mit französischen Truppen zusammen. Es gelang ihnen, die anrückenden Einheiten Moreaus bei Wagenstadt zurückzudrängen und später den Rückzug der österreichischen Truppen zu decken. Dabei waren auf Seiten der Milizionäre Tote und Verletzte zu beklagen. Ihr Einsatz konnte die Besetzung Vorderösterreichs durch französische Truppen nicht verhindern, doch nach der Rückeroberung des Breisgaus durch Erzherzog Carl verlieh der Kaiser den Freiburger Freiwilligen die goldene Tapferkeitsmedaille der österreichischen Armee und das Recht, alljährlich an dem auf den 7. Juli folgenden Sonntag einen Gedenktag abzuhalten, ein Fest, das bis ins Jahr 1848 gefeiert wurde.38 Während sich der Kaiser mit der Verleihung von Ehrenzeichen in den traditionellen Bahnen herrscherlicher Gnadenerweise bewegte, amalgamierte sich auf Seiten der Freiburger Bürgerschaft dynastische Loyalität mit militärisch unterfüttertem bürgerlichen Selbstbewusstsein, Heldengedenken und patriotischer Sinnstiftung. Wo nicht mehr Söldner, sondern Bürger ihr Leben ließen, wurde der Kriegstod zum Opfer auf dem Altar des Vaterlandes, der die dankbare Erinnerung der Überlebenden im politischen Totenkult erheischte.39 Weil Franz II. am Ende des Alten Reiches anders als später Friedrich Wilhelm III. zunächst keine eigene Gedenkpolitik schuf, nahmen die Freiburger Bürger die Initiative selbst in die Hand. 36 Vgl. Felner, Österreichisches Soldatenlied, in: Felner, Gedichte, Freiburg i.Br. 1796, S. 73 – 76; Felner, Österreichisches Soldatenlied (Anm. 1); Felner, An die Ohnehosen, in: ebd., S. 84 – 86; Felner, Kriegslied, in: ebd., S. 174 – 179; Felner, Schlachtgesang, in: ebd., S. 228 – 231. 37 Vgl. Felner, Vaterlandslied, in: ebd., S. 212 – 215. 38 Vgl. Albert, Bürgermilitärkorps (Anm. 29), S. 9. 39 Vgl. Reinhart Koselleck , Einleitung, in: Reinhart Koselleck/Michael Jeismann (Hrsg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 9 – 20; Manfred Hettling/Jörg Echternkamp, Deutschland – Heroisierung und Opferstilisierung – Grundelemente des Gefallenengedenkens von 1813 bis heute, in: Manfred Hettling/Jörg Echternkamp (Hrsg.), Gefallenengedenken im globalen Vergleich: nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, S. 123 – 158. Das Alte Reich wird in diesen Arbeiten nicht betrachtet.
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Mit einer pompösen Feier wurde nach dem Ende des Ersten Koalitionskrieges im Januar 1798 die neue Fahne des Bürgermilitärs in Dienst genommen, per Schärpe den „Verteidigern des Vaterlandes“ gewidmet und mit der goldenen Tapferkeitsmedaille verziert.40 Münsterpfarrer Bernhard erinnerte an die Leiden der Revolutionskriege und die Ruhmestaten der Freiburger, nutzte seine Predigt angesichts der revolutionären Vorgänge in der benachbarten Schweiz aber auch dazu, vor den in der Stadt erkennbaren Revolutionssympathien zu warnen. Der Druckfassung der Rede war ein „Verzeichnis der Breisgauer, die im Jahre 1796 im Kampfe für das Vaterland verunglückt sind“ beigefügt. Erinnerungswürdig waren dabei nicht nur die Namen der Toten, sondern die der Verwundeten und Gefangenen. Vielschreiber Felner hatte ein vertontes Gedicht beigesteuert, in dem das Vaterland die Kriegstoten beklagte, sich aber mit der Aussicht auf ihr ewiges Leben trösten ließ.41 Auch der Bürgerwehr-Kommandant von Duminique beteiligte sich an der Kommemoration und ließ zur ewigen Erinnerung an den 7. Juli 1796 über der nördlichen Durchfahrt des Freiburger Martinstores eine Gedächtnistafel anbringen.42 Auch eine Denkmünze, welche die Stadt Freiburg aus diesem Anlass prägen lassen wollte, nahm das Motiv des Opfertodes wieder auf. Die Vorderseite zeigte einen Opfertisch mit einem bürgerlichen und einem militärischen Degen, die durch einen Ring als Ewigkeitssymbol verbunden waren. Unter einem von Lorbeer- und Palmzweig gekrönten Portrait Franz II. sollten sie die Bereitschaft des Bürgermilitärs symbolisieren, für den Regenten ihr Leben zu lassen. Entsprechend waren die Worte „Opfer der Treue und Tapferkeit“ eingraviert. Die Gedächtnismünze stellte also die Verbrüderung von Militär und Bürgerschaft im Opfer für den Monarchen dar, den nicht nur der Lorbeer des weltlichen Ruhms, sondern auch der Palmzweig der Religion schmückt. Die Rückseite der Medaille zeigte eine Allegorie der Austria. Sie hielt die mit der Tapferkeitsmedaille geschmückte Kriegsfahne der Freiburger und zeigte mit der Rechten auf einen Gedächtnisobelisken mit der Aufschrift „I. Feier des 7. Juli 1796“, hinter dem mit Kanone, Lanze, Muskete und Säbel die Kennzeichen der vier Bürgerwehrkorps hervorragten. Zur Ausführung kam der Plan jedoch nie.43
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Vgl. Albert, Bürgermilitärkorps (Anm. 29), S. 32. Vgl. Bernhard Galura, Freyburg während dem Kriege, den das durchlauchtigste Haus Österreich vom 21. April 1792 bis den 17. April 1797 gegen die französische Nation führte. Geschildert in einer Rede, gehalten den 14. Januar 1798, als die Bürgerfahne der breisgauischen Hauptstadt Freyburg mit dem verdienten goldenen Ehrenzeichen gezieret wurde, Freiburg 1798. Angehängt sind der Rede ein Verzeichnis der Breisgauer, die im Jahre 1796 im Kampfe für das Vaterland verunglückt sind (S. 45 – 56) und Noten für Felners Lied, das der Schrift auf den Seiten I–IV beigefügt ist. Zu den Sympathien für die Französische Revolution vgl. Ecker/Haumann, „Viel zu viele Beamte“ (Anm. 10), S. 211 – 226. 42 Vgl. Albert, Bürgermilitärkorps (Anm. 29), S. 32. 43 Vgl. die Abbildung ebd., S. 33 und bei Ecker/Haumann, „Viel zu viele Beamte“ (Anm. 10), S. 223. 41
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Auch bei anderen Veranstaltungen des Freiburger Bildungsbürgertums kam nun das vaterländische Motiv zum Tragen. Das wurde etwa bei der Aufführung eines Theaterstückes zu Ehren der Rückeroberung des Breisgaus durch Erzherzog Carl deutlich. Dazu hatte der unermüdliche Ignaz Felner einen Prolog verfasst, der das Vorbild der Alemannen ebenso bemühte wie eine Cicero-Sentenz, die den Mord an einem Volkstribun als Rettung des Vaterlandes rechtfertigte und damit Parallelen zum antirevolutionären Engagement der Bürgerwehr zog.44 Bei der Aufführung hatte man in der Mitte des Theaters einen altdeutschen Opferaltar mit der Aufschrift „Freiburgs Bürgertreue“ aufgebaut. Rechts davon stand eine Trophäe mit allen Attributen der kaiserlichen Armee und der Aufschrift „dem Monarchen“, während links neben dem Altar eine Trophäe mit den kriegerischen Symbolen des Bürgermilitärs und der Aufschrift „dem Vaterlande“ aufgestellt war. Dem Militär wurde also der Monarch, der Bürgerschaft das Vaterland zugeordnet. Eine als Genius der Provinz Breisgau verkleidete Schauspielerin verband die beiden Trophäen durch Lorbeergirlanden mit dem Altar und machte damit die Gleichwertigkeit von regulären Truppen und Bürgermilitär deutlich.45 Der Erste Koalitionskrieg wurde freilich nicht am Rhein, sondern in Italien entschieden, wo Napoleon Bonaparte 1797 Österreich auf ganzer Linie besiegt hatte und die Verhältnisse neu ordnete. Im Frieden von Campo Formio wurde der Breisgau als Entschädigungsobjekt für den Herzog von Modena für den Verlust seiner italienischen Besitzungen vorgesehen. Weil Herkules III. von Este zögerte, dem wenig einträglichen Tauschgeschäft zuzustimmen, hing die Zukunft der Region noch in der Schwebe, als Österreich den Krieg gegen Frankreich 1799 in der Hoffnung erneuerte, das ungünstige Ergebnis von Campo Formio revidieren zu können. Anfangserfolge ließen sich nach dem Rückzug Russlands aus der Koalition nicht behaupten. Im April 1800 überquerten die Franzosen erneut den Oberrhein. Wieder wurden die Milizen einberufen, doch auch wenn der wortgewaltige Ignaz Felner von Neuem Heldengedichte publizierte, in denen die „Söhne tapferer Teutonen“ ihre Verbundenheit mit Kaiser Franz und Erzherzog Carl beteuerten und bis aufs Blut zu kämpfen versprachen,46 musste Österreich am Jahresende den Krieg verloren geben. Auch nach dem anschließenden Frieden von Lunéville war das Schicksal des Breisgaus noch nicht entschieden. Erst als man dem Herzog von Modena noch die Ortenau zugestand, willigte er 1803 in die Bildung des neuen Herzogtums Breisgau-Modena ein. Verwalter wurde sein Schwiegersohn Erzherzog Ferdinand, der als vierter Sohn Maria Theresias ein Onkel von Kaiser Franz II. war und Herkules 44 „Nihil praestabilius viro quam patria per periculum liberare“. Die Sentenz stammt aus der Verteidigungsrede Ciceros für Titus Annius Milo, der des Mordes an dem Volkstribun Clodius angeklagt war. Vgl. Ignaz Felner, Der Genius der Provinz Breisgau an Freyburgs Bürger. Prolog, dem wohllöblichen Magistrate und den 600 Freiwilligen gewidmet, Freiburg 1797. 45 Vgl. die Festbeschreibung bei Albert, Bürgermilitärkorps (Anm. 29), S. 40. 46 Vgl. Ignaz Felner, Kriegslied, gesungen am Namenstage Sr. Majestät Franz II., Freiburg 1800; Ignaz Felner, Gesinnungen des Breisgauer Landsturms, Freiburg 1800.
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nach seinem baldigen Tod beerbte. Dadurch fiel der Breisgau vorübergehend an das Haus Habsburg zurück, bevor er nach der österreichischen Niederlage bei Austerlitz im Frieden von Pressburg im Dezember 1805 Baden zugesprochen wurde.47 Allerdings ließ sich der neue Landesherr während seiner kurzen Regierungszeit nicht in seinen Besitzungen blicken. Entsprechend fielen Huldigungsgedichte und Lieder auf den neuen Regenten geradezu verhalten aus, selbst wenn sie aus der Feder des unverdrossenen Ignaz Felner stammten.48 Die bewegten Zeitläufte hatten die Feier des Gedenktages der Bürgerwehr bislang verhindert. Erst im Juli 1805 wurde der Festtag wieder mit Militärparade, Kanonendonner, Festzug, Bankett, Hochamt und Tedeum begangen. Auch die Predigt des Münsterpfarrers durfte nicht fehlen.49 Doch nach dem Ende der Zugehörigkeit zu Österreich hatten sich die Gewichte verschoben. Felners Festlied war eine sentimentale Reminiszenz an bessere Zeiten unter „Kaisers Fahnen“, während der obligatorische Treueschwur für den neuen Landesherren pflichtschuldig und blutleer wirkte.50 In der Dramaturgie des Festakts trat die monarchische Verehrung zugunsten nationaler Symbole in den Hintergrund. Es scheint, als habe die Trennung von der angestammten Herrschaft eine Leerstelle hinterlassen, in die zunehmend die Nation als Bezugspunkt vordrang. Felner hatte den Festsaal mit Eichenlaub und dem Sinnspruch „Für Vaterland, Thron und Altar“ schmücken lassen. Das Ursymbol des deutschen Nationalismus, die Eiche, hatte Lorbeer und Palmwedel als Zeichen von Herrscherruhm und Christentum verdrängt. Gleichzeitig war das – semantisch nicht näher festgelegte – Vaterland an die erste Stelle der heiligen Dreifaltigkeit gerückt, die der Entwurf für die Freiburger Gedenkmünze acht Jahre zuvor noch in der Reihenfolge „Gott, Kaiser und Vaterland“ gesehen hatte. Das Festkomitee hatte die Mühe nicht gescheut, im Saal ganze Eichenbäume aufzustellen, an denen eiserne Rüstungen und Harnische hingen. Sie sollten den Betrachtern „altdeutsche“ Heldentugenden vor Augen führen. Felners Festgedicht beschwor die Einheit von Adel, Bürgertum und Landvolk und versprach, den „BrüderBund“ im Andenken an Kaiser Franz jährlich zu erneuern. Die Freiburger Freiwilligen erschienen als „treue Söhne“ ihrer durch die Ritterrüstungen gleichsam geadelten „Ahnen“. Ihr Einsatz von 1796 wurde „träger Deutschen Schmach“ – damit konnte der preußische Sonderfrieden von 1795 ebenso wie die im Sommer 1796 von Baden, Württemberg und Bayern geschlossenen Separatfrieden gemeint sein – gegenübergestellt.51 Nach wie vor spielten die Symbole männlicher Wehrhaftigkeit eine bedeutende Rolle. Nun aber stellten sie stärker als zuvor eine Verbindung zur 47
Vgl. zum Übergang des Breisgaus an Modena und Baden Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 102 – 148. 48 Vgl. Kageneck, Ende (Anm. 6), S. 130. 49 Vgl. Albert, Bürgermilitärkorps (Anm. 29), S. 35. 50 Vgl. Lied des Freyburger-Korps der Freywilligen am Jahrestag des 7. im Julius gesungen von Ignaz Felner, Freiburg 1805. 51 Vgl. ebd.
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mythisch überhöhten Vergangenheit her. Der „Brüderbund“ begann die ständische Trilogie von Adel, Bürgertum und Bauern einzuebnen – eine Demokratisierung, die schon in den Treueschwüren des Bürgermilitärs angelegt und im egalitären Totengedenken des Jahres 1798 deutlich sichtbar geworden war. Selbstredend erwies Felners Gedicht auch dem neuen Landesherrn Reverenz, doch der Fürst war zur Randfigur geworden. Im Mittelpunkt stand das Heldentum der Bürgersoldaten, die ihr Selbstbewusstsein aus der Bewährung im Kampfgeschehen bezogen. Die Loslösung des Breisgaus von Österreich hatte die traditionelle Verbindung zur Habsburgermonarchie aufgebrochen und hinterließ eine Leerstelle, in die der in der Kriegszeit entwickelte bürgerliche Nationalismus vordrang. Damit war eine neue Form der politischen Loyalität etabliert, die Freiburg im Deutschen Bund zu einem Hort des liberalen südwestdeutschen Nationalismus werden ließ.
Die napoleonischen Friedensschlüsse. Wegmarken zu einem europäischen Frieden? Von Sven Prietzel, Berlin I. Friedensverträge als Elemente der napoleonischen Außenpolitik „Wie preise ich Sie glücklich, Gnädige Frau, daß Sie eine Augenzeugin der Wunder seyn werden, welche Napoleon schon gethan hat (…), der bloß aus eigner Kraft den höchsten Gipfel menschlicher Größe erstiegen hat, und der (…) zu dem Ruhm der größte Feldherr aller Jahrhunderte zu seyn, nun auch (wie ich nicht zweifle) alle Glorien eines Völkerbeglückenden [!] Friedensfürsten hinzuthut (…).“1
Im Sommer 1807 drückte Christoph Martin Wieland mit diesen Worten in einem Brief an Caroline von Wolzogen eher eine Hoffnung denn eine Gewissheit aus. Napoleon, der kurz zuvor mit dem Sieg über Preußen und Russland seine Vorherrschaft in Europa gefestigt hatte, könnte, so glaubte Wieland, nun zum Begründer eines europäischen Völkerbundes werden. Die Konflikte zwischen den Staaten Europas ließen sich nach Wielands Überzeugung sodann im Rahmen eines solchen Bundes vor einem „hohen Staaten-Tribunal“ friedlich beilegen, so dass künftig jeder Kriegsgrund entfallen müsse.2 Wieland war mit einer solchen Einschätzung der außenpolitischen Absichten Napoleons keineswegs alleine. Gerade in Deutschland sahen einige im französischen Kaiser den Wegbereiter einer friedlichen Epoche Europas. Den Napoleonenthusiasten galt oftmals nicht das französische Kaiserreich als Feind des Friedens, sondern die Handels- und Seemacht England, die beständig Zwietracht zwischen den europäischen Nationen säe und die Freiheit der Meere untergrabe.3 Napoleon sei vom Schicksal dazu berufen, die englische Seeherrschaft zu zerstören, „einen europäischen Völkerbund (Föderativ-System) zu schaffen, ein neues völkerrechtliches System zu begründen“4, hieß es beispielsweise in einem 1809 erschienenen politischen 1
Wielands Briefwechsel, hrsg. v. der Deutschen [seit 1993: Berliner-Brandenburgischen] Akademie der Wissenschaften, Bde. 1 – 20, Berlin 1963 – 2007, hier Bd. 17.1, Nr. 235, S. 243 f. 2 Christoph Martin Wieland, Eine neue politische Idee […] zu einem ewigen Frieden in Europa, in: Anita und Walter Dietze (Hrsg.), Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, München 1989, S. 488. 3 Siehe exemplarisch Friedrich Buchholz, Rom und London oder über die Beschaffenheit der nächsten Universal-Monarchie, Tübingen 1807, passim. 4 Intelligenzblatt zu den Friedenspräliminarien, Bd. 1, s.l. 1809, S. 3.
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Journal. Offenbar lebten Ideen der Aufklärung von einer föderativen Staatenordnung, wie sie etwa von Abbé de Saint-Pierre5 oder Immanuel Kant6 formuliert worden waren, in den Versuchen fort, der napoleonischen Machtpolitik eine fortschrittliche und pazifikatorische Grundausrichtung zu attestieren. Die Tatsache des unüberwindlich scheinenden Napoleon wurde auf diese Weise mit einem weltgeschichtlichen Telos verbunden. Der Kaiser wurde zur „Weltseele“7, zum Werkzeug des Menschheitsfortschritts und, von nicht wenigen, zum Verkünder eines ewigen Friedens stilisiert. Tatsächlich war Napoleon geübt darin, Frieden zu schließen. Als General, dann als Konsul und schließlich als Kaiser war er am Abschluss so vieler Friedensverträge beteiligt wie kaum ein anderer neuzeitlicher Feldherr oder Staatsmann. Zwischen 1797 und 1809 ist er für das Zustandekommen von nicht weniger als zwölf Friedensschlüssen allein mit Mittel- und Großmächten verantwortlich.8 Diese Zeugnisse seiner Politik stehen in der Forschung wie auch im historischen Bewusstsein gemeinhin hinter den kriegerischen Ereignissen der Revolutionszeit zurück. Während Arbeiten zu den Koalitionskriegen Regale füllen, ist die Literatur, die sich systematisch mit den napoleonischen Friedensschlüssen auseinandersetzt, eher spärlich.9 Dabei gestattet schon die bloße Zahl der Friedensverträge die Vermutung, dass sie wichtige Elemente im politischen Handeln Napoleons gewesen sein könnten. Anhand ihrer Charakteristika, so die Ausgangsthese dieser Untersuchung, lässt sich womöglich 5 Siehe Charles Irénée Castel de Saint-Pierre, Projet pour rendrer la paix perpétuelle en Europe, Utrecht 1713, S. 28 – 31 und passim. 6 Siehe Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, in: ders., Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Darmstadt 1964, S. 195 – 251, hier S. 208 – 213. 7 Hegel an Niethammer, Jena, 13. 10. 1806. Briefe von und an Hegel, hrsg. v. Johannes Hoffmeister et al., 4 Bde., Berlin 1970 – 1982, hier Bd. 1, S. 120. 8 Wenn man von den Friedensverträgen mit den italienischen Staaten, den deutschen Kleinstaaten und afrikanischen Potentaten absieht, wären hier zu nennen die Verträge von Campo-Formio (1797), Paris (Frieden mit den USA, 1800), Badajoz und Madrid (1801), Lunéville (1801), Paris (Frieden mit Russland, 1801), Amiens (1802), Paris (Frieden mit dem Osmanischen Reich, 1802), Pressburg (1805), Tilsit (1807), Schönbrunn (1809) und Paris (Frieden mit Schweden, 1810). 9 Siehe zu ausgewählten Friedensschlüssen Herbert Butterfield, The Peace Tactics of Napoleon 1806 – 1808, New York 1972 (Ndr. d. Ausg. v. 1929); Sven Prietzel, Friedensvollziehung und Souveränitätswahrung. Preußen und die Folgen des Tilsiter Friedens (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 53), Berlin 2020; Hans Haußherr, Erfüllung und Befreiung. Der Kampf um die Durchführung des Tilsiter Friedens 1807 bis 1808, Hamburg 1935; Rudolfine von Oer, Der Friede von Pressburg (Neue Münsterische Beiträge zur Geschichtsforschung, 8), Münster 1965. Einzelne Versuche einer Charakterisierung der Friedensschlüsse der Revolutionszeit sind hin und wieder anzutreffen; siehe beispielsweise Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 53; Heinhard Steiger, Das Völkerrecht und der Wandel der Internationalen Beziehungen um 1800, in: Andreas Klinger/Hans-Werner Hahn/Georg Schmidt (Hrsg.), Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 23 – 52, hier S. 38 f.
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die Konzeption der napoleonischen Außenpolitik tiefer ergründen, als es der alleinige Blick auf die Kriege vermag. Verfolgte Napoleon vielleicht wirklich genuin friedliche Absichten? Konnten die Verträge mithin Elemente einer den Frieden sichernden europäischen Ordnung sein? Dies sind Fragen, denen im Folgenden nachgegangen werden soll. II. Erzwungene Kompromisse: Von Campo Formio (1797) bis Amiens (1802) Der erste Friedensschluss von größerer politischer Bedeutung, den Napoleon im Alleingang aushandelte, kam am 17. Oktober 1797 im italienischen Campo Formio zustande. Ein Jahr zuvor hatte er den Oberbefehl über die französische Italienarmee übernommen und überraschend schnell die österreichischen Truppen aus Norditalien vertrieben.10 In den anschließenden Friedensverhandlungen zwang er Österreich nicht nur zum Verzicht auf die Lombardei, die Ionischen Inseln und die österreichischen Niederlande; der österreichische Kaiser Franz I. hatte auch die Rheingrenze als französische Ostgrenze sowie die von Napoleon durchgeführte Neuordnung der italienischen Staatenwelt zu akzeptieren. Als Kompensation erhielt die Habsburgermonarchie venezianisches Gebiet, allen voran Istrien und Dalmatien, sowie die Stadt Venedig. Um einen dauerhaften Frieden zwischen der Republik und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das sich weiterhin im Krieg mit Frankreich befand, auszuhandeln, wurde die Einberufung eines Kongresses nach Rastatt beschlossen.11 Alles schien damit auf einen dauerhaften Ausgleich und einen längerfristigen Frieden in Europa hinauszulaufen. Mit dem Erreichen des Rheins, der „frontière naturelle“, und dem nahezu vollständigen Herausdrängen der Österreicher aus Italien waren die Ziele französischer Außenpolitik vergangener Jahrhunderte erreicht. Der Versuch von Österreich und dessen Verbündeten, im Zweiten Koalitionskrieg diese Neuordnung noch einmal zu revidieren, scheiterte.12 Napoleon konnte nach anfänglichen Rückschlägen das Erreichte behaupten. Der am 9. Februar 1801 mit dem Reich geschlossene Frieden von Lunéville bestätigte die französische Vorherrschaft in Norditalien. Das linke Rheinufer fiel nun endgültig an Frankreich.13 Die französische Hegemonie in Westeuropa war damit gesichert und wenig später, am 27. März 1802, kam endlich auch der von vielen herbeigesehnte Frieden mit England zustande. In Amiens einigte man sich auf einen Ausgleich, der Frankreich etwas bevorteilte: 10 Siehe hierzu August Fournier, Napoleon I. Eine Biographie in drei Teilbänden, Essen 1996, hier Bd. 1, S. 90 – 139. Willy Andreas, Das Zeitalter Napoleons und die Erhebung der Völker, Heidelberg 1955, S. 171 – 177. 11 Der Vertragstext in M. de Clercq (Hrsg.), Recueil des Traités de la France, 23 Bde., Paris 1880 – 1917, hier Bd. 1, S. 335 – 343; siehe hierzu Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 186 – 188. 12 Siehe hierzu Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 202 – 214, 256 – 260. 13 Der Vertragstext in Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 1, S. 424 – 429; siehe hierzu Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 260 f.
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England verpflichtete sich, alle kolonialen Eroberungen mit Ausnahme von Ceylon und Trinidad zurückzugeben. Das strategisch wichtige Malta sollte von britischen Truppen geräumt und für neutral erklärt werden. Außerdem wurden die bestehenden Verhältnisse in Europa von England anerkannt. Im Gegenzug erklärte Napoleon sich zum Rückzug seiner Truppen aus dem Kirchenstaat und Neapel sowie zum endgültigen Verzicht auf Ägypten bereit.14 Wie sich zeigen sollte, war der Frieden mit England ein eher leidlicher Kompromiss, doch war Europa seit dem Ausbruch der Koalitionskriege der Möglichkeit einer längeren Friedensphase wohl selten so nahe wie um das Jahr 1802.15 Frankreichs Dominanz im westlichen Europa wurde zu diesem Zeitpunkt von der Mehrheit der Mächte, wenn auch zähneknirschend, hingenommen. Österreich hatte zwar im Westen große Gebiete verloren, aber immerhin im Süden auch etwas dazugewonnen. Preußen gab sich mit seiner seit dem Frieden von Basel (1795) über Norddeutschland etablierten Neutralität zufrieden und bemühte sich die 1793 und 1795 neu hinzugewonnenen polnischen Gebiete einigermaßen in den ohnehin schon sehr heterogenen Staatsverband zu integrieren.16 Selbst Russland, dessen Politik seit Mitte der 1790er Jahre immer wieder mit den Interessen Frankreichs im Mittelmeerraum und in Deutschland kollidiert war,17 schien sich mit dem Status quo abfinden zu wollen, schließlich wurde unter Zar Alexander I., der 1801 seine Regentschaft angetreten hatte, eine ausgesprochene Entspannungspolitik eingeleitet, die am 8. Oktober 1801 in den Frieden von Paris mündete.18 Dieser Pariser Friedensschluss von 1801 lässt sich idealtypisch zusammen mit den Verträgen von Campo Formio, Lunéville und Amiens zu einer ersten Gruppe von bedeutenden Friedensschlüssen am Beginn der Laufbahn Napoleons rechnen. Typisch für diese Friedensverträge ist, dass sie trotz zum Teil massiver französischer Gebietsgewinne auf einem, wenn auch mitunter schwachen, Ausgleichsgedanken 14 Der Vertragstext in ebd., S. 484 – 492; siehe hierzu Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 268 – 271. 15 So etwa Michael Erbe, Revolutionäre Erschütterung und erneutes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785 – 1830 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 5), Paderborn 2004, S. 18 f.; Paul Schroeder, The Transformation of European Politics 1763 – 1848, New York 1994, S. 213 – 215. 16 Siehe Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 114 f., 148; Klaus Zernack, Polen in der Geschichte Preußens, in: Wolfgang Neugebauer/Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, 3 Bde., Berlin/New York 1992 – 2009, hier Bd. 3, S. 337 – 448, hier S. 427 – 431. 17 Siehe hierzu Hugh Ragsdale, Russian Foreign Policy, 1725 – 1815, in: Ronald Grigor Suny/Dominic Lieven/Maureen Perrie (Hrsg.), The Cambridge History of Russia, 3 Bde., Cambridge 2006, hier Bd. 2, S. 516 – 519; Hugh Seton-Watson, The Russian Empire 1801 – 1917 (Oxford History of Modern Europe), Oxford 1967, S. 65 – 68; M. S. Anderson, The Eastern Question 1774 – 1923. A Study in International Relations, London 1983, S. 28 – 30. 18 Siehe hierzu Uta Krüger-Löwenstein, Russland, Frankreich und das Reich 1801 – 1803. Zur Vorgeschichte der 3. Koalition, Wiesbaden 1972, S. 17 – 19; Seton-Watson, Russian Empire (Anm. 17), S. 83 f; Ragsdale, Russian Foreign Policy (Anm. 17), S. 520 f. Der Vertragstext des französisch-russischen Friedens von Paris in Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 1, S. 467 – 473.
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beruhten.19 Die Gründe dafür waren vielfältig. Angesichts der weiteren Entwicklungen deutet wenig darauf hin, dass die Milde Napoleons dabei ausschlaggebend war. Vielmehr verhinderte schon die simple Arithmetik der Macht ein weiteres kriegerisches Ausgreifen Frankreichs. Noch fehlten die machtpolitischen Voraussetzungen, um rücksichtslos mit den Gegnern verfahren zu können. Allen voran war aber für Napoleon eine Phase der Konsolidierung aus militärischen und politischen Gründen geboten. Gerade zu Beginn seines Konsulats musste Napoleon daran gelegen sein, sich als Herrscher und Feldherr zu inszenieren, der Frankreich nach fast einem Jahrzehnt des Krieges endlich den Frieden brachte. Dass dabei angesichts der Kriegsmüdigkeit seiner Kontrahenten leichte Siege am Verhandlungstisch winkten, half überdies sein Prestige zu steigern. Am Ende mag Napoleon vielleicht aber auch gehofft haben, dass die anderen Mächte aus innerer Schwäche seine fortwährenden Provokationen und Versuche schrittweiser Expansion, die er bald nach den Friedensschlüssen unternahm, zumindest vorübergehend hinnehmen würden. III. Instrumente imperialer Politik: Von Pressburg (1805) bis Schönbrunn (1809) An eine Phase von Kompromissfriedensschlüssen, die mehr oder minder vorteilhaft für Frankreich ausfielen und die Hoffnung auf einen längeren Frieden nähren konnten, schloss sich eine Gruppe von napoleonischen Friedensverträgen an, die eine ganz neue Qualität besaßen und sich als Ausdruck der imperialen Machtaspirationen Napoleons erwiesen; zu ihnen zählen die Verträge von Pressburg (1805), Tilsit (1807) sowie Schönbrunn (1809). Ersterem war der umfassende Sieg Napoleons in der sogenannten „Dreikaiserschlacht“ von Austerlitz vorausgegangen.20 Schon aufgrund der Totalität des Sieges konnte Napoleon, der seine innenpolitische Stellung mit dem Kaisertitel ein Jahr zuvor gefestigt hatte, diesen Friedensvertrag erstmals regelrecht diktieren, so dass Österreich erhebliche Gebietsverluste akzeptieren musste. Es verlor neben kleineren Territorien in Deutschland, die Länder entlang der Adria; unter anderem fielen Vorarlberg und Tirol an den französischen Bundesgenossen Bayern. Im Gegenzug erhielt das Habsburgerreich lediglich Salzburg und Berchtesgaden.21 Nach diesem Vertrag musste die Hofburg endgültig ein unerbittlicher Feind Napoleons sein und so wundert es kaum, dass das gedemütigte und in die Enge getriebene Österreich trotz einer äußerst unvorteilhaften außenpolitischen Lage 1809 noch einmal den Krieg gegen Frankreich wagte. Doch der Erfolg blieb auch diesmal aus, so dass im Frieden von Schönbrunn (14. Oktober 1809) große
19 Hier Karl Griewank folgend; siehe Karl Griewank, Der Wiener Kongress und die europäische Restauration, 2. Aufl., Leipzig 1954, S. 25. 20 Siehe hierzu Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 324 – 331; Fournier, Napoleon (Anm. 10), Bd. 2, S. 87 – 114. 21 Der Vertragstext in Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 2, S. 145 – 151; siehe hierzu Andreas, Zeitalter (Anm. 10), S. 332 – 334; Oer, Pressburg (Anm. 9), S. 184 – 228.
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Teile Galiziens und die letzten adriatischen Küstengebiete verlorengingen, während Bayern Salzburg und das Innviertel dazugewann.22 Der weitestgehende Verzicht auf Kompensationen bei einer gleichzeitig massiven territorialen Beschneidung der unterlegenen Staaten war ein wesentliches Kennzeichen der napoleonischen Friedensverträge nach 1805. So verlor auch der preußische König Friedrich Wilhelm III. im Frieden von Tilsit große Teile seines Reiches. Nach der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee bei Jena und Auerstedt (14. Oktober 1806) und eines russisch-preußischen Heeres bei Friedland (14. Juni 1807)23 musste der König im Friedensvertrag vom 9. Juli 1807 der Abtretung von rund der Hälfte des preußischen Staatsgebiets zustimmen: Neuostpreußen, Südpreußen, Neuschlesien, die südlichen Teile Westpreußens, Danzig, der sogenannte Bialystoker und der Cottbusser Kreis sowie sämtliche Territorien westlich der Elbe wurden der Herrschaft des Hohenzollern entzogen.24 Angesichts des Widerstands seiner Gegner, allen voran Englands, bildete sich in den Jahren nach 1805 immer klarer das Ziel Napoleons heraus, einen exklusiven französischen Großraum zu formen, dessen geostrategische Ausdehnung und Ressourcen das napoleonische Kaiserreich unangreifbar machen und die Herrschaft Napoleons zementieren sollten. In diesem Sinne nutzte der französische Kaiser auch den Tilsiter Frieden, um die europäische Staatenlandschaft Mittel- und Osteuropas weiter umzugestalten und aus den ehemals preußischen Territorien im Westen das von seinem Bruder regierte Königreich Westfalen zu bilden, während im Osten mit dem Herzogtum Warschau ein weiterer Satellitenstaat entstand.25 Ganz im Einklang mit Napoleons Großraumstreben war die Beschränkung der äußeren Souveränität der besiegten Mächte ein elementares Charakteristikum der Friedensschlüsse von Tilsit und Schönbrunn. So wurde Österreich dazu gezwungen, die Stärke der eigenen Armee auf 150 000 Mann zu beschränken, der Handelsblockade gegen England beizutreten und die Beziehungen zu London abzubrechen.26 In die beiden letzteren Bestimmungen willigte auch Preußen in Tilsit ein. Im Vertrag von Paris, der im September 1808 als direkte Folge des Tilsiter Friedens geschlossen wurde, musste Friedrich Wilhelm III. zudem einer Defensivallianz mit Frankreich zustimmen und sich ebenfalls zur Begrenzung seiner Armee, und zwar auf 42 000 Mann, verpflichten.27 Später wird noch zu zeigen sein, dass die preußische Souveränität darüber hinaus noch deutlich weiter beschnitten wurde. 22
Der Vertragstext in ebd., S. 293 – 299. Zum Kriegsverlauf siehe Oscar von Lettow-Vorbeck, Der Krieg von 1806 und 1807, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 1899, Bde. 2 – 3, Berlin 1892 – 1896. 24 Der Vertragstext in Clercq, Receuil (Anm. 11), Bd. 2, S. 217 – 223; siehe hierzu Haußherr, Erfüllung (Anm. 9), S. 17 – 19. 25 Siehe Fournier, Napoleon (Anm. 10), S. 192 f. 26 Der Vertragstext in Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 2, S. 293 – 299. 27 Der Vertragstext in ebd., S. 270 – 273. Schon Walther Hubatsch erkannte in der erzwungenen Abrüstung einen schwerwiegenden Eingriff in die Souveränität Preußens; siehe Walther Hubatsch, Abrüstung und Heeresreform in Preußen von 1807 – 1861, in: Heinrich 23
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Zum Erhalt seiner Macht griff der französische Kaiser auch rücksichtslos auf die finanziellen Ressourcen seiner Gegner zurück. Typisch für die Friedensschlüsse seit 1805 sind daher die Kontributionsforderungen, die Napoleon nun erstmals auch gegenüber unterlegenen Großmächten erhob.28 So hatte Österreich nach dem Pressburger Frieden 40 Mio. und nach dem Vertrag von Schönbrunn 85 Mio. Francs an rückständigen Kontributionen zu zahlen. Preußen traf es mit schlussendlich 120 Mio. Francs noch weitaus härter.29 Nun war die Erhebung von Kontributionen prinzipiell nichts Ungewöhnliches in der europäischen Geschichte; seit der Frühen Neuzeit – im Zusammenhang mit dem Auftreten stehender Heere, der Rationalisierung des Kriegswesens und der Entstehung eines entwickelten Finanzsystems – wurden sie zu einem beliebten Mittel der wirtschaftlichen Ausbeutung von eroberten Gebieten.30 Diese Form der Ressourcenmobilisierung, die deutlich effizienter war als beispielsweise das wahllose Plündern, wurde rechtlich mit Hilfe des Beuterechts legitimiert. Dementsprechend hielten auch die Völkerrechtsgelehrten des 18. Jahrhunderts wie Christian Wolff oder Emer de Vattel die Kontributionserhebung für gerechtfertigt und obendrein noch für human. Als eine Voraussetzung für ihre Legitimität galt ihnen jedoch die Beschränkung der Kontributionen auf ein gewisses Maß, weshalb nur so viel Geld gefordert werden sollte, wie zur Versorgung einer Armee unbedingt notwendig war.31 Tatsächlich setzten schon administrative und organisationale Hürden dem Ausmaß der Kontributionserhebung relativ enge Grenzen.32 Bodensieck (Hrsg.), Preußen, Deutschland und der Westen. Auseinandersetzungen und Beziehungen seit 1789. Zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Oswald Hauser, Göttingen/Zürich 1980, S. 39 – 61, hier S. 39 f. 28 Die Mittelmacht Portugal wurde schon in den beiden Friedensverträgen vom 6.6. und 29. 9. 1801 zur Zahlung von insgesamt 35 Mio. Livres verpflichtet; siehe Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 1, S. 437, 457. Sachsen verpflichtete sich im Posener Frieden im Separatartikel zur Zahlung von 25 Mio. Francs. Ebd., Bd. 2, S. 198. 29 Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 2, S. 151, 299. Die finale Höhe der preußischen Kontribution wurde erst am Rande des Erfurter Fürstentags fixiert; siehe hierzu Haußherr, Erfüllung (Anm. 9), S. 228 – 234. 30 Siehe hierzu Fritz Redlich, De praeda militari. Looting and Booty 1500 – 1815 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 39), Wiesbaden 1956, S. 58 – 63; Ignaz Seidl-Hohenveldern, Kontributionen, in: Wörterbuch des Völkerrechts, 3 Bde., 2. Aufl., Berlin 1960 – 1962, hier Bd. 2, S. 297 – 300, hier passim; Horst Carl, Kontribution, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. von Friedrich Jaeger, 16 Bde., Stuttgart 2005 – 2012, hier Bd. 6, S. 1161 – 1164, hier passim. 31 Siehe Emer de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle. Appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains (Die Klassiker des Völkerrechts in modernen deutschen Übersetzungen, 3), deutsche Übersetzung von Wilhelm Euler, Einleitung von Paul Guggenheim, Tübingen 1959, §165, S. 451 f.; Christian Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts worin alle Verbindlichkeiten und alle Rechte aus der Natur des Menschen in einem beständigen Zusammenhange hergeleitet werden, Halle 1769, §1200, S. 866; auch [Franc¸ ois] Q[uesnay], Contribution, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisoné des sciences, des arts et des métiers, 17 Bde., Paris 1751 – 1765, hier Bd. 4, S. 144 f., hier S. 145. Demgegenüber räumte noch Pufendorf (1632 – 1694) dem Eroberer umfassende Möglichkeiten zur Plünderung und Ausbeutung ein; siehe Samuel von Pufendorf, Acht Bücher vom Natur- und Völkerrechte, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1711, hier Bd. 2, 8.VI, §20, S. 947 f.
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Mancher Völkerrechtstheoretiker wie Vattel erkannte auch die Möglichkeit an, rückständige Kontributionen aus dem Krieg durch einen Friedensvertrag einzufordern,33 doch finden sich in den bedeutenden europäischen Friedensschlüssen des 18. Jahrhunderts solche Klauseln nicht, oder die Forderungen fielen ziemlich gering aus.34 Hierfür gab es unterschiedliche Gründe. Bereits die limitierte Form der Kriegsführung schränkte die Durchsetzung besonders harter Friedensbedingungen ein. Im Jahrhundert der Kabinettskriege waren totale Siege unwahrscheinlich, so dass auch eine totale Politik kaum Aussicht auf Erfolg hatte. Im Zeitalter des europäischen Gleichgewichts unternahm in der Folge kein Staat den Versuch, die europäische Ordnung grundstürzend zu revidieren. Gegen die Demütigung oder regelrechte Bestrafung eines unterlegenen Staats in Form von in Friedensverträgen festgeschriebenen exorbitanten Kontributionsansprüchen sprach auch der allgemein anerkannte Grundsatz des europäischen Völkerrechts, dass der Krieg ein legitimes Mittel der Konfliktaustragung zwischen souveränen Staaten sei. Eine moralisierende Aufladung des Krieges und dessen Erklärung zum „gerechten Krieg“ war dem 18. Jahrhundert weitestgehend fremd. Während des voll ausgestalteten Ius Publicum Europaeum spielten deshalb „gerechte“ Gründe zur Legitimierung des Krieges keine bedeutende Rolle und die Bestrafung des Gegners über den Friedensschluss hinaus entbehrte daher jeder Legalität.35 Entsprechend dieser Vorstellung enthielten die Friedensverträge dieses Zeitalters in aller Regel Klauseln des allgemeinen Vergebens und Vergessens.36 Erst die revolutionäre Befreiungsideologie von 1789 stellte diese völkerrechtlichen Gewohnheiten fundamental in Frage. Ausdrücklich erklärten die französischen Revolutionäre das bestehende Völkerrecht für nichtig und stellten dem droit public 32 Am Beispiel des Siebenjährigen Krieges nachgewiesen von Horst Carl, Okkupation und Regionalismus. Die preussischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte, 150), Mainz 1993, S. 5 – 8, 171 – 201; auch ders., Unter fremder Herrschaft. Invasion und Okkupation im Siebenjährigen Krieg, in: Bernhard R. Kroener/Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn/München/Wien/Zürich 1996, S. 331 – 348, hier S. 334 – 339, 343 f. 33 Siehe Vattel, Le droit des gens (Anm. 31), S. 270. Georg Friedrich Martens zählte dagegen noch 1796 das Erlöschen der noch rückständigen Kontributionen zu den allgemeinen Bestandteilen eines Friedensvertrags; siehe Oer, Pressburg (Anm. 9), S. 184. 34 Eine Ausnahme stellt der sächsisch-preußische Friedensschluss von Dresden des Jahres 1745 dar; siehe den Vertragstext in Friedrich August Wilhelm Wenck, Codex iuris gentium recentissimi, 3 Bde., Leipzig 1781 – 1795, hier Bd. 2, S. 209. Dass es sich im 17. Jahrhundert noch mitunter gänzlich anders verhielt, zeigt der Frieden von St. Germain (1679); siehe Horst Carl, Französische Besatzungsherrschaft im Alten Reich. Völkerrechtliche, verwaltungs- und erfahrungsgeschichtliche Kontinuitätslinien französischer Okkupationen am Niederrhein im 17. und 18. Jahrhundert, in: Francia 23/2 (1996), S. 33 – 64, hier S. 38. 35 Siehe hierzu Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin 2011, 5. Aufl., S. 123 – 140. 36 Siehe hierzu Winfried Baumgart, Vom Europäischen Konzert zum Völkerbund (Erträge der Forschung, Bd. 25), Darmstadt 1974, S. 119 f.
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de l’Europe der Monarchen das droit des gens gegenüber.37 Mit der Herrschaft des Konvents galten die Gegner Frankreichs als Feinde der Freiheit und der Menschenrechte; der Krieg gegen sie wurde konsequenterweise als eine gerechte Sache verstanden, wodurch ein Friedensschluss den Charakter eines Strafgerichts annehmen durfte. Grundprinzipien der völkerrechtlichen Ordnung des Ancien Régime, allen voran die wechselseitige Anerkennung als gleichberechtigte Souveräne, wurden negiert. Indem Frankreich auf diese Weise die Grundsätze der alten Ordnung offen in Frage stellte, wurde es erst auch außenpolitisch zu einer „revolutionären“38 Macht. Die territoriale Neuordnung ganz Europas oder die Auflösung von Staaten waren nun ebenso denk- und durchführbar wie die Ausplünderung durch den Frieden oder die Beschränkung der Souveränität unterlegener Mächte. Seine Friedensverträge zeigen, dass Napoleon diese revolutionären Prinzipien aufgriff, in Teilen sogar noch radikalisierte und, als es ihm politisch opportun erschien, auf ihnen sein außenpolitisches Konzept eines imperialen Großraums gründete. IV. Friedlos: Das preußische Beispiel Kaum ein napoleonischer Friedensvertrag offenbart das revolutionäre Prinzip, das Napoleons Außenpolitik innewohnte, stärker als der französisch-preußische Frieden, der im Juli 1807 in Tilsit geschlossen wurde.39 Schon während der Friedensverhandlungen zeigte sich der Bruch, den Napoleon mit den Normen des Ancien Régime vollzog.40 Der preußische Souverän, und mithin der durch ihn personifizierte souve37 Zum Verhältnis der Revolution zur Ordnung des Ancien Régime siehe David Armstrong, Revolution and World Order. The Revolutionary State in International Society, Oxford 1993, S. 84 – 91; Heinhard Steiger, Die Wiener Congressakte – Diskontinuität und Kontinuität des Europäischen Völkerrechts 1789 – 1818, in: Archiv des Völkerrechts 53 (2015), 167 – 219, hier 168 – 173; ders., Völkerrecht (Anm. 9), S. 23 – 29, 37 – 41; ders., Das natürliche Recht der Souveränität der Völker. Die Debatten der Französischen Revolution 1789 – 1793, in: ders., Universalität und Partikularität des Völkerrechts in geschichtlicher Perspektive. Aufsätze zur Völkerrechtsgeschichte 2008 – 2015 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts, 33), BadenBaden 2015, S. 135 – 171, hier S. 144 – 150; Marc Belissa, Repenser l’ordre européen (1795 – 1802). De la Société des Rois aux Droits des Nations, Paris 2006, S. 418 – 420 und passim; Erbe, Erschütterung (Anm. 15), S. 19 f., 294 f.; Peter Klassen, Nationalbewußtsein und Weltfriedensidee in der Französischen Revolution, in: Die Welt als Geschichte 2 (1936), S. 33 – 67, hier S. 53. 38 Hier Henry Kissinger folgend, der jede Macht, welche die Legitimität der bestehenden Ordnung fundamental in Frage stellt, als „revolutionär“ begreift; siehe Henry A. Kissinger, Das Gleichgewicht der Großmächte. Metternich, Castlereagh und die Neuordnung Europas 1812 – 1822, mit einem Nachwort von Fred Luchsinger, Zürich 1986, S. 8 – 13, 329 f.; ähnlich Armstrong, Revolution (Anm. 37), S. 1. 39 Zur Geschichte des Tilsiter Friedens, zu seiner Entstehung und den Folgen für die innere und äußere Souveränität Preußens siehe Prietzel, Friedensvollziehung (Anm. 9), passim. 40 Zu den Verhandlungen siehe ebd., S. 57 – 70; außerdem Ilja Mieck, Die Rettung Preußens? Napoleon und Alexander I. in Tilsit 1807, in: ders./Pierre Guillen (Hrsg.), Deutschland – Frankreich – Rußland. Begegnungen und Konfrontationen/La France et l’Allemagne
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räne preußische Staat, wurde in einer Form herabgewürdigt, wie es vor der Revolution nur schwer vorstellbar gewesen wäre. Deutlich wird dies etwa anhand des Arrangements der Herrschertreffen auf der Memel. Während das erste Zusammenkommen dieser Art zwischen Napoleon und Alexander stattfand,41 nahm an der zweiten Begegnung auch Friedrich Wilhelm III. teil. Dem preußischen König fiel sogleich auf, dass zwar die Initialen des Kaisers und die des Zaren an den Flößen inmitten des Flusses prangten, seine jedoch fehlten.42 In einer Zeit, die sensibel für das Zeremoniell und die Etikette war, darf man mit Recht vermuten, dass dies kein Zufall war. Die Zurückweisung der Formen der vorrevolutionären Epoche versinnbildlicht die Negation der gesamten alteuropäischen Ordnung; sie war auch auf dem paraphierten Friedensvertrag wiederzuerkennen. Darauf verläuft die Unterschrift Napoleons geradezu senkrecht und es fehlt das Datum der Ausstellung. Auch dies musste von den Zeitgenossen als Zeichen der Missachtung verstanden werden.43 Der französisch-preußische Vertrag, dessen Bestimmungen bereits im französisch-russischen Frieden vom 7. Juli weitestgehend vorweggenommen worden waren,44 erlaubte es Napoleon, Preußen langfristig auf einen bestenfalls halbsouveränen Status zu degradieren. Möglich wurde dies durch Artikel 28,45 der vorsah, dass unverzüglich eine Übereinkunft abzuschließen sei, in der die Räumung Preußens von französischen Truppen sowie die Übergabe der Zivil- und Militärverwaltung zu regeln waren. Wenige Tage später wurde deshalb eine Konvention in Königsberg geschlossen. Diese nannte zwar die genauen Termine für die Räumung des preußischen Territoriums, das zum Großteil von den Franzosen und ihren Verbündeten besetzt war, doch sollte der Rückzug erst dann erfolgen, wenn die vermeintlich rückständigen Kontributionen, die seit dem Kriegsausbruch den preußischen Provinzen sukzesface à la Russie, München 2000, S. 15 – 35, passim; Ferdinand Tempel, Die Verhandlungen in Tilsit vom 24. Juni bis 9. Juli 1807, Straßburg 1916, passim. 41 Siehe zu diesem ersten Treffen Emil Knaake, Die Monarchenzusammenkünfte zu Tilsit im Juni und Juli 1807, in: Altpreußische Forschungen 6 (1929), S. 256 – 278, hier S. 261 f.; Jean Thiry, Eylau – Friedland – Tilsit, Paris 1964, S. 190 – 194; Albert Vandal, Napoléon et Alexandre Ier. L’Alliance Russe sous le Premier Empire, 3 Bde., Nendeln 1976 (Ndr. d. Ausg. v. 1890 – 1896), hier Bd. 1, S. 56 f., 79; Fournier, Napoleon (Anm. 10), Bd. 2, S. 187; Édouard Driault, Napoléon et l‘Europe, 4 Bde., Paris 1910 – 1924, hier Bd. 3, S. 171 – 173. 42 Siehe Friedrich Wilhelm an Luise, Piktupöhnen, 26.6.07; Paul Bailleu, Die Verhandlungen in Tilsit 1807. Briefwechsel König Friedrich Wilhelm’s III. und der Königin Luise, in: Deutsche Rundschau 110 (1902), S. 29 – 45 und 199 – 221, hier Nr. 7, S. 40. Hier auch die Beschreibung des gesamten Treffens (S. 40 – 42), siehe hierzu auch Leopold von Ranke (Hrsg.), Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg, 5 Bde., Leipzig 1877, hier Bd. 3, S. 480. Friedrich Heinrich Leopold von Schladen, Preußen in den Jahren 1806 und 1807. Ein Tagebuch. Nebst einem Anhang verschiedener 1807 bis 1809 verfaßter politischer Denkschriften, Mainz 1845, S. 245; Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 254. 43 Die Urkunde ist zu finden unter GStA PK, III. HA, MdA, I, Nr. 331/1. 44 Der Vertragstext des französisch-russischen Friedens in Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 2, S. 207 – 213. 45 Ebd., S. 222.
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sive auferlegt worden waren, beglichen oder für diese ausreichende Sicherheiten gegeben waren.46 Die Höhe der noch zu zahlenden Kontributionen wurde wohlweislich nicht genannt. Um die Frage der endgültigen Schuldsumme entsponnen sich während der folgenden Monate zähe Verhandlungen, in deren Verlauf Napoleon immer weitere Bedingungen an die Räumung knüpfte.47 Schnell wurde klar, dass es eigentlich nicht um eine halbwegs ordnungsgemäße Vollziehung des Friedens und die Aufrechnung der geleisteten oder noch offenen Beträge ging. Napoleon selbst hatte gegenüber dem Kronprinzen Wilhelm unumwunden erklärt, dass eine Regelung der Kontributionsfrage keine Frage des Geldes, sondern der Politik sei – „Ce n’est pas une affaire d‘argent, mais de politique“48. Der Frieden war für den französischen Kaiser offensichtlich in erster Linie ein Instrument zur Durchsetzung weiterer Interessen, die weit über Preußen hinausreichten. Je nachdem inwieweit es den Zielen Napoleons entsprach, wurden Bestimmungen des Tilsiter Friedens wie auch der Königsberger Konvention ignoriert oder bewusst missinterpretiert. Deutlich wird dies nicht nur an Gebietsforderungen, für die es keine vertragliche Grundlage gab,49 sondern etwa auch an dem Anspruch auf sogenannte „contributions ordinaires“, womit die regulären Einnahmen der königlichen Kassen in den besetzten Gebieten gemeint waren.50 Napoleon verlangte, ohne sich auf eine Vertragsklausel berufen zu können und ohne dass es historische Präzedenzfälle gegeben hätte,51 die Differenz zwischen den tatsächlichen (geringen) Einnahmen der Kassen seit dem Kriegsausbruch und den laut Etat zu erwartenden Gefällen. Diese Forderung erhöhte noch einmal den ökonomischen Druck auf die durch den Krieg und die Besetzung sowieso schon wirtschaftlich stark belasteten Provinzen.52 Die Kontributionssumme, die ohnehin schon von der preußischen
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Der Vertragstext der Konvention in ebd., S. 223 – 225. Zu den Verhandlungen siehe Prietzel, Friedensverhandlungen (Anm. 9), S. 94 – 130. 48 Immediatbericht des Prinzen Wilhelm, Paris, 26. 2. 1808; Paul Hassel, Geschichte der preußischen Politik 1807 bis 1815. Erster Theil (Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven, Bd. 6), Osnabrück 1966 (Neudruck der Ausgabe von 1881), Nr. 142, S. 450. 49 So forderte Frankreich etwa Neuschlesien, das nach dem Friedensvertrag ausdrücklich bei Preußen verbleiben sollte; siehe Berthier an Kalckreuth, Berlin, 25. 7. 1807, Ausf. GStA PK, III. HA, MdA, I, Nr. 326, Bl. 5 – 6v; hierzu auch Prietzel, Friedensvollziehung (Anm. 9), S. 71, 101. 50 Siehe Prietzel, Friedensvollziehung (Anm. 9), S. 101. 51 Siehe hierzu das von der preußischen Friedensvollziehungskommission bei der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Auftrag gegebene Gutachten „Etymologie einiger französischer Wörter“, s. l., (August bis September 1807). GStA PK, I. HA, Rep. 72, Nr. 294. 52 Siehe etwa die zur Eintreibung dieser Kontributionen durchgeführten militärische Exekution gegenüber der neumärkischen Kammer. GStA PK, III. HA, MdA, I, Nr. 386, Bl. 5v–6. 47
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Seite unmöglich aufzubringen war,53 stieg noch weiter und eine fristgerechte Räumung Preußens rückte damit in weite Ferne. Für Napoleon galt der normative Minimalkonsens des „pacta sunt servanda“ nicht mehr viel, wenn dieser ihm bei der Realisierung seiner imperialen Ziele im Wege stand. Am Ende waren die Motive für sein Verhalten gegenüber Preußen eben vorranging strategisch-geopolitischer Natur. Schon seit längerem konkurrierten das Zarenreich und Frankreich im östlichen Mittelmeerraum; beide Seiten richteten ihre Ambitionen auf das Osmanische Reich, allen voran auf den Bosporus.54 Es musste Napoleon daher missfallen, dass das Russische Reich im Oktober 1806 die Donaufürstentümer besetzt und sich damit der Meerenge gefährlich genähert hatte. In einer recht unpräzisen Formulierung verlangte der französisch-russische Frieden vom 7. Juli 1807 zwar den russischen Abzug, doch dazu kam es nicht. Napoleon hatte schon während des Krieges von 1806/07 geplant, die eroberte Hohenzollernmonarchie als Druckmittel zu gebrauchen, um seine Feinde zu Zugeständnissen zu zwingen.55 Nun schien ihm die Besetzung Preußens geeignet, um Russland zu zwingen, die neuralgische Region an der unteren Donau preiszugeben.56 Immerhin stellte die Okkupation der preußischen Territorien eine permanente Bedrohung für das Zarenreich dar, waren doch rund 150 000 französische und verbündete Soldaten unweit der russischen Grenze in Stellung.57 Eingedenk dieser Gefahr war es deshalb schon während der Friedensverhandlungen das vordringlichste Ziel der russischen Seite gewesen, die Hohenzollernmonarchie als Glacis gegenüber dem Einflussgebiet des französischen Empire möglichst ungeschmälert zu erhalten.58 53 Dass die Summe nicht aufzubringen war, gaben sogar hochrangige französische Militärs zu; siehe Clarke an Napoleon, Berlin, 24. 7. 1807. Hermann Granier (Hrsg.), Berichte aus der Berliner Franzosenzeit 1807 – 1809. Nach den Akten des Geheimen Staatsarchivs und des Pariser Kriegsarchivs (Publikationen aus den Kgl. Preussischen Staatsarchiven, 88), Osnabrück 1969 (Ndr. d. Ausg. v. 1913), Nr. 3, S. 6 – 8. Immediatbericht der Friedensvollziehungskommission, Berlin, 21. 12. 1807, Ausf. GStA PK, III. HA, MdA, I, Nr. 360, Bl. 117 – 118v. 54 Siehe hierzu Heinz Gollwitzer, Geschichte des weltpolitischen Denkens, 2 Bde., Göttingen 1972/1982, hier Bd. 1, S. S. 314 – 316; Vandal, Napoléon (Anm. 41), hier Bd. 1, S. 3 – 17, 26 f.; Driault, Napoléon (Anm. 41), Bd. 3, S. 17 – 24. 55 Dies zeigen etwa die Bedingungen des Charlottenburger Waffenstillstands, der am 16. November 1806 von preußischen Unterhändlern unterschrieben, aber von Napoleon nie ratifiziert wurde; siehe hierzu Butterfield, Peace Tactics (Anm. 9), S. 24 – 28; Driault, Napoléon (Anm. 41), Bd. 3, S. 43 – 45. 56 Vgl. Haußherr, Erfüllung (Anm. 9), S. 126 f. 57 Die Angaben zur Zahl der Soldaten schwanken um diesen Mittelwert; siehe Georg Heinrich Pertz, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein, 6 Bde., Berlin 1850 – 1855, hier Bd. 2, S. 43. Zeitungsbericht der Friedensvollziehungskommission, Berlin, 28. 2. 1808. Granier, Franzosenzeit (Anm. 53), Nr. 57, S. 151. 58 Siehe „Entwurf von Instruktionen für die Bevollmächtigten für die Verhandlungsführung über einen Frieden mit Frankreich“, s.l. (wohl vor dem 27. Juni 1807). Vnesˇnaja politika Rossii XIX nacˇ ala XX veka. Dokumenty Rossijskogo ministerstva inostranny del. Ser. 1: 1801 – 1815, Bd. 3, Moskau 1963, S. 754. Das Dokument wurde erstmals ausgewertet von
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Zum Abzug der französischen Armee kam es schließlich erst, als sich die weltpolitischen Umstände wieder änderten. Die Bedrängnis, in die Frankreich 1808 in Spanien geriet, machte die Verlagerung der Verbände von Preußen auf die Iberische Halbinsel notwendig. Der Pariser Vertrag, der noch im September zwischen Preußen und Frankreich unterzeichnet und einige Monate später auch ratifiziert wurde, bestimmte die noch offene Kontributionsschuld der preußischen Seite auf zunächst 140 Mio. Francs; auf dem Fürstentreffen von Erfurt erreichte Zar Alexander schließlich eine Verminderung der Schuld auf 120 Mio.59 Diese Summe war für die vom Krieg und der Besetzung ausgezerrte preußische Monarchie unmöglich in den festgesetzten Raten aufzubringen.60 Preußen blieb somit auch nach dem Abzug der französischen Armee dem Zugriff Napoleons ausgesetzt. Eine erneute Okkupation war ebenso denkbar wie das Durchsetzen neuer Forderungen, sollten die Preußen nicht fristgerecht bezahlen. Diese Umstände wie auch die fortwährende Besetzung von preußischen Festungen entlang der Oder durch die französische Armee schränkten während der nächsten Jahre die preußische außen- wie innenpolitische Handlungsfreiheit deutlich ein. Frankreich gab als hegemoniale Großmacht dem unterlegenen preußischen Staat konsequent das Recht vor. Die Missachtung der preußischen Souveränität, wie auch die zahlreicher anderer europäischer Staaten, in Zeiten des Friedens lag in der Logik der imperialen Machtpolitik Napoleons. Appelle an das Völkerrecht mussten demgegenüber ungehört verhallen. „J‘ai la préténtion de croire après cela M. le Marechal de L‘empire que notre conduite est justifiée aux yeux de tout juge impartial – que le traité de Tilsit à la main, nous pourrions sans risque en appeller au jugement de l‘Europe“61, wandte sich etwa der preußische Außenminister Goltz an den französischen General Soult. Die preußische Seite hielt insbesondere die französische Kontrolle über weite Zweige der preußischen Verwaltung während der Besetzung für unzulässig, schließlich böte der Friedensvertrag hierfür keine rechtliche Grundlage. Die Ausübung der Herrschaftsgewalt durch eine fremde Macht auf preußischem Territorium über den Friedensschluss hinaus galt als schlichtweg unvereinbar mit dem Friedenszustand und den Gewohnheiten des Völkerrechts. In gleicher Weise, so argumentierten die Preußen weiter, sei auch die Einziehung von Abgaben durch die franClaus Scharf, Rußlands Politik im Bündnis von Tilsit und das Erfurter Gipfeltreffen, in: Rudolf Benl (Hrsg.), Der Erfurter Fürstenkongreß 1808. Hintergründe, Ablauf, Wirkung, Erfurt 2008, S. 167 – 221, hier v. a. S. 192 – 194. 59 Siehe Haußherr, Erfüllung (Anm. 9), S. 217 f., 232. 60 Über die Unmöglichkeit der Kontributionsaufbringung berichtete die preußische Finanzverwaltung vielfach; siehe exemplarisch Labaye an Goltz, Berlin, 1.6. und 9. 6. 1809. GStA PK, III. HA, MdA, I, Nr. 392. Über die bis Mitte 1810 geleisteten Zahlungen gibt Auskunft Magnus Friedrich v. Bassewitz, Die Kurmark im Zusammenhang mit den Schicksalen des Gesamtstaats Preußen während der Jahre 1809 und 1810, Aus dem Nachlasse des Wirklichen Geheimraths Magnus Friedrich v. Bassewitz hrsg. v. Karl v. Reinhard, Leipzig 1860, S. 416. 61 Goltz an Soult, Memel, 7. 9. 1807, Abschrift. GStA PK, I. HA, Rep. 81 Gesandtschaft Paris IV, Nr. 21.
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zösische Besatzungsverwaltung nur während des Krieges statthaft. Zumindest nach preußischer Argumentation verweigere Frankreich durch dieses Vorgehen Preußen den Frieden und halte den Kriegszustand de facto weiter aufrecht.62 „Französische Verwaltung, französische Besatzung, die letztere noch die wenigst feindliche, setzen ihr Wesen fort, als habe der Krieg noch nicht aufgehört“63, meinte Karl August Varnhagen von Ense mit Blick auf die Situation, in der sich Preußen nach dem Tilsiter Frieden befand; und in der Tat bestand für die Zeitgenossen kaum einen Unterschied zwischen dem Kriegs- und dem Friedenszustand. Die fortdauernden Einquartierungen von fremden Soldaten und die große wirtschaftliche Not als Folge des Kriegs, von Kontributionszahlungen und Requisitionen belasteten ebenso wie Krankheiten und eine schwierige Ernährungslage große Teile der preußischen Bevölkerung. Selbst nach dem Abzug der Franzosen Ende 1808 besserte sich die Lage für viele kaum.64 Freude über den Frieden mit Napoleon kam angesichts dieser Situation nicht auf. V. „Dein Frieden war verstummendes Elend“65 Napoleon war ein Kind der Revolution und ihres „Geist[es] der ewigen Revision“66. Wie die Revolution zog auch seine revolutionäre Herrschaftsform aus der Zurückweisung der alten Ordnung und dem beständigen Streben nach Expansion ein gewisses Maß an Legitimation. Das „Grand Empire“ nahm in der Folge bald den Charakter einer europäischen Großraumordnung an, die eine „krypto-föderative“ Struktur aufwies. Diese Ordnung bedingte insbesondere die Aufhebung oder zumindest Einschränkung der Souveränität anderer Staaten;67 dies zeigt sich nicht nur 62
Siehe hierzu u. a. Johann August Sack an Pierre Daru, Berlin, 18. 8. 1807 (Konzept). GStA PK, I. HA Rep. 72 Immediatkommission zur Vollziehung des Tilsiter Friedens, Nr. 36, Bl. 7 – 8. Instruktion an die Friedensvollziehungskommission, Memel, 31. 7. 1807. GStA PK, I. HA Rep. 72 Immediatkommission zur Vollziehung des Tilsiter Friedens, Nr. 275, Bl. 63 – 64v. 63 Karl August Varnhagen von Ense, Werke, hrsg. v. Konrad Feilchenfeldt, 5 Bde., Frankfurt a. M. 1987 – 1994, hier Bd. 1, S. 461. 64 Siehe hierzu Bernd von Münchow-Pohl, Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur Bewußtseinslage in Preußen 1809 – 1812 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 87), Göttingen 1987, S. 49 – 62, 94 – 96; Prietzel, Friedensvollziehung (Anm. 9), S. 217 – 223. 65 Paul Anselm Feuerbach, Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit, s.l. 1814, S. 11. 66 Jacob Burckhardt, Historische Fragmente. Aus dem Nachlass gesammelt von Emil Dürr, mit einem Vorworte von Werner Kaegi, Stuttgart 1957, S. 275 (Kursivsetzung im Original). 67 Zur Entwicklung der europäischen Völkerrechts- und Staatenordnung im Zeitalter Napoleons siehe Wilhelm Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 485 – 487, hier das Zitat S. 485; Steiger, Völkerrecht (Anm. 9), S. 44 – 46; ders., Congressakte (Anm. 37), S. 173 – 179; ders., Friede in der Rechtsgeschichte, in: Wolfgang Augustyn (Hrsg.), PAX. Beiträge zu Idee und Darstellung des Friedens, München 2003, S. 11 – 62, hier S. 41. Zu expliziten Völkerrechtsbrüchen, die von Napoleon begangen wurden, siehe auch Paul W. Schroeder, Napoleon’s Foreign Policy. A Criminal Enterprise, in: The Journal of
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anhand eines Systems von Satellitenstaaten, sondern drückt sich auch in den Charakteristika der napoleonischen Friedensschlüsse aus. Der latente Druck nach innen wie außen, der zur Aufrechterhaltung dieses Imperiums nötig war, machte die Ausbildung einer völkerrechtlichen Ordnung, die ihren Namen auch verdient hätte, unmöglich. Ein stabiles Friedensregime – eine Pax Francia wie sie sich mancher in spätaufklärerischer Schwärmerei vorstellte – konnte unter diesen Bedingungen in Europa schlichtweg nicht entstehen. Die napoleonischen Friedensschlüsse begründeten mithin keinen „unter Gesetzen gesicherte[n] Zustand des Mein und Dein“68, in dem der 1804 verstorbene Immanuel Kant noch eine Voraussetzung für einen stabilen Friedenszustand erkannte; vielmehr hielten die Verträge die unterlegenen Staaten und Völker in einem beständigen Zustand der Abhängigkeit und der Unsicherheit gegenüber der überlegenen Hegemonialmacht. Diese Situation legte am Ende stets den Keim für neue Kriege. Der Normbruch war nicht nur in politisch-strategischer und ideologischer Hinsicht elementarer Bestandteil des napoleonischen Herrschaftssystems; auch ökonomische Motive zwangen Napoleon vom völkerrechtlichen sensus communis abzuweichen. Schon in den Friedensverträgen der frühen französischen Republik waren hohe finanzielle Forderungen ein fester Bestandteil. Die dadurch eingenommenen Gelder halfen den maroden französischen Staatshaushalt auszugleichen.69 Napoleon hatte schon als General der Republik diese Praxis übernommen und von den besiegten Kleinstaaten in Italien Zahlungen gefordert,70 die über das bisher gekannte Maß hinausgingen. Während des Kaiserreichs entwickelten sich die seit 1805 in den Friedensverträgen festgeschriebenen Kontributionszahlungen zu einem zentralen Element der napoleonischen Herrschaftssicherung. Indem Napoleon diese Einnahmen vorwiegend zur Dotation verdienter Offiziere und zur Finanzierung von Gemälden, öffentlichen Bauten und anderen Projekten der kaiserlichen Propaganda verwendete, dienten sie ihm unmittelbar dazu, sich der Loyalitäten seiner Soldaten und die der Franzosen zu versichern.71 Nur wer solche Faktoren für die napoMilitary History 54 (1990), S. 147 – 161, hier S. 148 – 154. Die allgemeine Rechtlosigkeit bis 1815 wurde auch von den Zeitgenossen registriert. Anstelle vieler siehe Jacob Christian Friedrich Saalfeld, Nemesis, s. l. 1814, S. 11 – 32. 68 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA, Bd. 6, S. 355. 69 Ein ausgesprochen hartes Beispiel stellt der Friedensvertrag zwischen Frankreich und den Vereinigten Niederlanden vom 16. 5. 1795 dar. Clercq, Recueil (Anm. 11), Bd. 1, S. 236 – 241. 70 So beispielsweise vom Heiligen Stuhl im Vertrag von Tolentino. Ebd., S. 313 – 316. 71 Siehe hierzu Pierre Branda, Le prix de la gloire. Napoléon et l’argent, Paris 2007, S. 314 – 329. Bis zum Ende des Kaiserreichs gingen 266 Mio. Francs an Kontributionen bei der caisse d’amortissement (ab 1810 in die caisse du domaine extraordinaire) ein; siehe auch Jean Tulard, Der „Domaine extraordinaire“ als Finanzierungsinstrument napoleonischer Expansion, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 490 – 499, hier besonders S. 495 – 499; Henri de Grimoüard, Les origines du domaine extraordinaire. Le receveur general des contributions de la Grande Armée. Ses attributions, ses comptes 1805 – 1810, in: Revues des questions historiques 43 (1908), S. 160 – 192, hier S. 174 – 192.
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leonische Außenpolitik übersieht, kann in Analogie zur zeitgenössischen französischen Propaganda zu dem Fehlschluss gelangen, Napoleon habe im Kern friedliche Absichten verfolgt.72 1814/15 versuchten die europäischen Mächte, aus den Erfahrungen des revolutionären Ordnungsbruchs die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Nicht von ungefähr hoben die Alliierten im Ersten Pariser Frieden von 1814 ausdrücklich die napoleonischen Friedensschlüsse seit 1805, also jene von Pressburg, Tilsit und Schönbrunn, auf.73 Sie verdeutlichten damit, dass eine neue Völkerrechtsordnung begründet werden sollte, deren Grundstruktur auf dem Wiener Kongress gefunden wurde. Konstitutives Element dieser Ordnung war die wechselseitige Anerkennung der Souveränität der europäischen Staaten. Wichtigstes Mittel zur Konfliktbeilegung sollte nicht der Krieg, sondern die Diplomatie sein. Zwar beseitigten diese Grundsätze den Krieg nicht grundsätzlich als Instrument der Politik, doch führten die Beschlüsse des Wiener Kongresses und die folgende Ausgestaltung des europäischen „Konzerts“ zu einem Verrechtlichungsprozess der zwischenstaatlichen Beziehungen, der ein gewisses Maß an Stabilität für die nächsten Jahrzehnte begründen half.74
72 So trat Adam Zamoyski in der Neuen Zürcher Zeitung mit der apologetischen These hervor, Napoleon habe grundsätzlich friedliche Absichten verfolgt und sei von seinen Gegnern, allen voran von England, zum Krieg genötigt worden; siehe Adam Zamyoski, War Napoleon ein Kriegstreiber – oder eher ein verhinderter Friedensstifter?, in: Neue Zürcher Zeitung am 10. August 2019 (https://www.nzz.ch/feuilleton/adam-zamyoski-war-napoleon-kriegs treiber-oder-friedensstifter-ld.1500471, abgerufen am 4. Januar 2023). 73 Siehe die mit Österreich und Preußen geschlossenen Zusatzartikel. Michel Kerautret (Hrsg.), Documents diplomatiques du Consulat et de l’Empire, 3 Bde., Paris 2002 – 2004, hier Bd. 3, S. 158, 164. 74 Zur Wiener Ordnung siehe Heinrich Ritter von Srbik, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, 2 Bde., München 1925, hier Bd. 1, S. 317 ff.; Kissinger, Gleichgewicht (Anm. 38), S. 354 ff.; Schroeder, Transformation (Anm. 15), S. 583 – 636; Erbe, Erschütterung (Anm. 15), S. 361 – 371; Volker Sellin, Gleichgewicht oder Konzert? Der Zusammenbruch Preußens und die Suche nach der Wiedergewinnung der äußeren Sicherheit, in: Klinger et al., Das Jahr 1806 (Anm. 9), S. 53 – 70, hier S. 53 – 59; Wolf D. Gruner, Der Wiener Kongress 1814/15, Stuttgart 2014, S. 193 – 212, 210; Steiger, Wiener Congressakte (Anm. 37), S. 196 – 204.
„Russischer als die Russen“ – Sir Edward Greys Außenpolitik aus liberaler Sicht Von Andreas Rose, Putzbrunn Der britische Außenminister Sir Edward Grey gehört sicherlich zu den am besten erforschten Außenministern der britischen Politikgeschichte. Drei Biographien und zahlreiche Sammelbände und Artikel haben sich bisher mit dem liberalen Staatsmann sowie insbesondere seiner Rolle im Vorfeld des Ersten Weltkrieges beschäftigt.1 Nichtsdestotrotz sind die Urteile über Grey und seinen außenpolitischen Kurs alles andere als einhellig. Über ein Jahrhundert nach Ausbruch des Großen Krieges reichen die Meinungen von unverhohlener Kritik, die an David Lloyd Georges polemische Vorwürfe der maßgeblichen Mitverantwortung anknüpfen,2 bis zur Exkulpation jeglicher Verantwortung3 für die „Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.4 Ein Blick in die neueste Biographie mit dem Ziel einer „ausgewogenen Sichtweise“ verrät, dass auch diese es letztlich nicht vermag, die Zweifel über den enigmatischen Außenminister beiseite zu räumen.5 Wie disparat die Einschätzungen unter den besten Kennern der Materie sind, brachte nicht zuletzt eine Diskussionsrunde anlässlich der Zentenarfeierlichkeiten zur Kriegsursachenforschung in der renommierten International History Review zum Ausdruck.6 Auf den ersten Blick wurde dabei festgestellt, dass allein die erneute Diskussion über einzelne Entscheidungsträger in der Julikrise zunächst allgemein grundsätzliche Zweifel an der üblich vorherrschenden Betrachtung struktureller Ursachen spiegelt und darüber hinaus im Besonderen auch Greys eigene Einschätzung bezweifelt,7 1
George Trevelyan, Grey of Fallodon, London 1937; Keith Robbins, Sir Edward Grey: A Biography of Lord Grey of Fallodon, London 1971; Thomas Otte, Statesman of Europe. A Life of Sir Edward Grey, Milton Keynes 2020. 2 Douglas Newton, The Darkest Days. The Truth behind Britain’s Rush to War, 1914, London/New York 2014. 3 Otte, Statesman (Anm. 1). 4 George F. Kennan, The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Russian Relations, 1875 – 1890, Princeton 1979, S. 3. 5 Otte, Statesman (Anm. 1). 6 Vgl. Heather Jones (Hrsg.), Sir Edward Grey and the Outbreak of the First World War, International History Review, Special Issue 38:2 (2016), S. 243 – 355. Reviewed by Keith Hamilton, Keith Robbins and Andreas Rose, kommentiert von Marc Trachtenberg. H-Diplo, No. 713 (2017), http://tiny.cc/AR713. 7 Zit. nach: Cameron Hazlehurst, Politicians at War – July 1914 to May 1915. A Prologue to the Triumph of Lloyd George, London 1971, S. 52.
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dass er selbst keinen Einfluss gehabt hätte und letztlich „kein Mensch den Krieg hätte verhindern können“.8 Bei genauerer Betrachtung belegen die Beiträge der letzten Jahre, wie sehr die neuere Kriegsursachenforschung bemüht ist, nicht mehr länger vor allem die Strukturen vor 1914 scharf zu zeichnen. Vielmehr gilt für die Politikgeschichte inzwischen wieder, wofür insbesondere der Jubilar über Jahrzehnte als einer der Wenigen gerade hierzulande mit seinen Werken immer wieder plädiert hat, nämlich über alle vermeintlich so modernen struktur- wie kulturalistischen Theorieangebote und vermeintlichen Paradigmenwechsel die eigentliche Analyse auch der individuellen Entscheidungsträger nicht zu vernachlässigen. Es gelte nicht die „geschichtlichen Wirkungszusammenhänge zwischen Individuen und Gesellschaften“ zu übersehen und die individuelle Verantwortung mit allgemeinen historisch-politischen Entwicklungen, strukturellen Defiziten und den kulturellen Mentalitäten der beteiligten Schlüsselfiguren zu verbinden.9 Seit nun knapp einer Dekade setzen Historiker im Rahmen einer neuen Internationalen Geschichte wieder verstärkt darauf, neben der internationalen Dimension der Vorkriegsgeschichte strukturelle wie personelle als auch neue mediale Entwicklungen in sogenannte Prägeräume bzw. politische Räume zusammenzufassen.10 Für den britischen Fall erscheint Edward Grey als Inbegriff eines eduardianischen Politikers, auf den sowohl spätviktorianische Erfahrungen wie die sogenannte „decline“ Debatte und neue internationale Konstellationen ebenso wirkten wie diplomatische Professionalisierungsschübe sowie eine geradezu revolutionäre mediale Ausdehnung des politischen Raumes als geeigneter Ausgangspunkt für einen solchen Analyseansatz. Eine besondere Rolle spielen dabei die liberalen Kritiker Greys, mit denen sich Historiker bislang nur selten beschäftigt haben.11 Sehr früh wurden die Abweichler eher abwertend als eine bloße Minderheit von idealistischen, noch dazu pro-deutschen „Unruhestiftern“ beurteilt.12 Als intellektuelle und sehr heterogene Minderheit, die mehr oder weniger theoretisch über internationale Beziehungen nachdachte, sind die Ansichten der Dissidenten nur schwer zusammenzufassen. Sie gehörten nie zum sogenannten „official mind“, der lange im Mittelpunkt britischer Diplomatiegeschichte stand. Auffallend ist, dass die zeitgenössische Kritik an der britischen Vor8
Trevelyan, Grey (Anm. 1), S. 250. Hans-Christof Kraus, Geschichte als Lebensgeschichte. Gegenwart und Zukunft der politischen Biographie, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Niklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege, München 2007, S. 311 – 332, bes. S. 331. 10 Andreas Rose, Der politische Raum Londons und die öffentlichen Beziehungen zwischen England und Deutschland vor 1914, in: Frank Bösch (Hrsg.), Außenpolitik im Medienzeitalter. Vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Göttingen 2013, S. 95 – 121. 11 Otte vernachlässigt diese Dimension nahezu komplett. Vgl. Otte, Statesman (Anm. 1), passim. 12 A. J. P. Taylor, The Trouble Makers. Dissent over Foreign Policy, 1792 – 1939, London 1956, S. 125. 9
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kriegsdiplomatie nicht nur die allgemeine Annahme von der Kontinuität in der britischen Außenpolitik in Frage stellt, sondern auch die orthodoxe Interpretation von Grey als dem am wenigsten verantwortlichen unter den europäischen Staatsmännern für den Verfall des Staatensystems und dem einzigen, der wirklich versucht hatte, die Katastrophe zu verhindern. In jedem Fall bietet die liberale Kritik einen alternativen Möglichkeits- wie historischen Interpretationsraum. Das gilt insbesondere für die längst überstrapazierte Perspektive eines die internationalen Beziehungen vor 1914 dominierenden anglo-deutschen Antagonismus. I. „The German Revolution“ als Dreh- und Angelpunkt britischer Außenpolitik? In nahezu jeder Gesamtdarstellung zur internationalen Vorkriegspolitik findet sich das längst inflationär gebrauchte Zitat Benjamin Disraelis vom 9. Februar 1871,13 als er von den weltstürzenden Ereignissen um die Reichsgründung als „German Revolution“ sprach: „[…] a greater political event than the French Revolution“ sprach.14 Was auf den ersten Blick aus der ex post Betrachtung als Prophezeiung für einen zwangsläufigen anglo-deutschen Antagonismus erscheint und von Historikern bislang auch i. d. R. so bewertet und zur Untermauerung für eine solche Lesart herangezogen worden ist, bezeugt auf den zweiten Blick einen jener typischen Schnellschüsse aus primär deutscher Perspektive, die den britischen Kontext der Rede allzu nonchalant vernachlässigt. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen geradezu infinitesimalen Auszug aus einer 20seitigen Rede einer auf über 60 Seiten dokumentierten Unterhausdebatte.15 Eine genauere Quelleninterpretation jedoch zeigt, dass es dem damaligen Oppositionsführer wenn überhaupt nur ganz am Rande um Deutschland als potentielle Bedrohung ging. Tatsächlich kommt das Kaiserreich kein weiteres Mal in seiner Rede vor. Vielmehr betonte er vor allem von der imperialen Warte des Empire aus die globalen Rückwirkungen der kontinentalen Mächteverschiebungen. Zentral ist sein Blick auf das Zarenreich, dem tatsächlichen Dauerrivalen des Empire im Great Game: Die Hauptkonsequenz des deutschen Sieges, so Disraeli, bestünde für Großbritannien nämlich in der mittel- und langfristigen russischen Gefahr, deren Energien nun von Zentraleuropa auf den Nahen-, Mittleren- und Fernen Osten und damit auf die Hauptinteressen des Empire umgelenkt würden.16 Fortan beherrschte ein spätviktorianischer Gezeitenwechsel die politischen Debatten Londons, der immer wieder in die Frage nach der Selbstbehauptung und dem „relative decline“ mündete und wel13 Klaus Hildebrand, Das Vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, Stuttgart 1995, S. 13. 14 Benjamin Disraeli im Unterhaus, 9. 2. 1871, Hansard Third Series, Vol. 204, col. 82. 15 Ebd., cols. 53 – 116. 16 Ebd., cols. 83 – 88.
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cher gerade in der zu dieser Zeit geradezu explosiven medialen Erweiterung des politischen Raumes zunehmend den Diskurs bei außenpolitischen Entscheidungen begleitete, wenn nicht gar beherrschte.17 Diese Debatte, mit der die Generation Edward Greys seit den späten 1870er Jahren politisch aufwuchs, atmete einen unverkennbar sozialdarwinistischen Geist18 und gipfelte in der Rede Robert Salisburys von 1898, in der er von den „dying nations“ sprach.19 Auch wenn Salisbury selbst sein Land natürlich nicht offen zum Kreis der „sterbenden Nationen“ rechnete, seine Zuhörer taten es mitunter sehr wohl, angesichts des unverkennbaren Epochenwechsels, des Todes Gladstones (1898), Victorias (1901), des Burenkrieges (1899 – 1902) etc. etc. Tatsächlich bedauerte auch Salisbury seine Nachfolger geradezu, wenn er feststellte, dass die zukünftige Außenpolitik nicht länger von realen Kräfteverhältnissen und Interessen, sondern zunehmend von emotionalen und medialen verbreiteten Alarmstimmungen beeinflusst würden.20 Obgleich der allgemein diskutierte Bedeutungsverlust des Empire keineswegs der Faktenlage entsprach und London noch immer das Finanzzentrum der Welt war, das britische Weltreich sich seit 1880 noch einmal um sage und schreibe 30 Prozent in der Fläche ausdehnte und die Buren trotz aller Kosten ja bekanntlich besiegt werden konnten,21 – die öffentliche Debatte im politischen Raum London wurde weiterhin von Hysterien und Medienkampagnen über ausländische, primär deutsche Spione sowie Überfall- und Invasionsängsten sowohl der Heimatinseln als auch der Nordwestgrenze Indiens geprägt.22 Während die konservative Regierung, namentlich in der Person Arthur Balfours, dem mit einem wohlgemeinten und der internen Sicherheitsanalyse23 entsprechenden „sleep quiet in our beds“24 entgegenzuwirken suchte, versuchte insbesondere
17 Vgl. Andreas Rose, Zwischen Empire und Kontinent. Britische Außenpolitik vor dem ersten Weltkrieg, München 2011, S. 27 – 40. 18 Vgl. Hans-Günter Zmarzlik, Der Sozialdarwinismus. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Dritten Reiches, o.O. 1961. 19 Salisbury, 4. 5. 1898 (Royal Albert Hall), zit. nach: Andrew Roberts, Salisbury. Victorian Titan, London 1999, S. 691. 20 Salisbury, 6. 9. 1901, zit. nach: William L. Langer, The Diplomacy of Imperialism 1890 – 1902, New York 1954, S. 755. 21 Andreas Rose, „Unsichtbare Feinde“. Großbritanniens Feldzug gegen die Buren (1899 – 1902), in: Dierk Walter et al. (Hrsg.), Imperialkriege von 1500 bis heute. Strukturen – Akteure – Lernprozesse, Paderborn 2011, S. 217 – 239. 22 Rose, Empire (Anm. 17), S. 189 – 274. 23 Andreas Rose, „The committee of four“: the „Blue Funk School,“ the CID, and the myth of the German peril, 1906 – 1909, in: Marcus Jones (Hrsg.), New Interpretations in Naval History. Selected Papers from the 17th Naval History Symposium Held at the United States Naval Academy, Rhode Island 2016, S. 81 – 104. 24 The Times, 11. 11. 1907.
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die liberale Opposition, die Stimmung für sich zu nutzen.25 Namentlich die Liberalen Imperialisten um Lord Rosebery, Herbert Asquith, Richard Haldane und eben Edward Grey bestanden auf einen Kurswechsel. Statt weiterhin eine kostspielige Sicherung Indiens zu unterhalten, zielten sie auf eine Konsolidierung und eine außenpolitische Richtungsänderung. Unter der kurzen Amtszeit Roseberys kündigte London die noch von Bismarck geförderte und Salisbury ausgehandelte Mittelmeerentente zur Status quo-Wahrung in der Levante und an den Meerengen auf. Es verlor damit die zwar indirekte, gleichwohl aber formale Bindung an die Mittelmächte. Gleichzeitig signalisierte man dem Zarenreich ein mögliches Ventil zur weiteren Entfaltung und stellte das Gleichgewicht im Nahen Osten erstmals zur Disposition. Der liberal-imperialistische Paradigmenwechsel wurde dabei von maßgeblichen konservativen Zeitschriften, wie der National Review, dem Observer, dem Spectator wohl erkannt und in den politischen Raum Londons getragen. Namentlich Edward Grey nutzte seine journalistischen Kontakte zu Multiplikatoren wie Leo Maxse, James Garvin oder John St. Loe Strachey. Die Kontakte gingen so weit, dass er die berühmte anti-deutsche und pro-russische Artikelserie „ABC&c.“ selbst höchstpersönlich Korrektur las.26 Aber anders als der über Jahrzehnte in der Wissenschaft vorherrschende Fokus auf ein anglo-deutsches Aktions-Reaktionsschema27 mit der „German Revolution“ als Ausgangspunkt, wurde das Kaiserreich in diesen Artikelserien gerade nicht als unmittelbare Bedrohung skizziert, sondern, und dies gilt es zu unterstreichen, als geopolitisch zu schwach, um Britannien in seiner Jahrhundertrivalität gegen das Zarenreich von Nutzen zu sein. „We English constantly forget it […], but no people are anything like so dangerously situated as the Germans, who at three days‘ notice may all be fighting for their lives […]. It means that the most numerous Army in the world would be on German soil ravaging, shooting and burning […]“.28
Angesichts dieser „tödlichen Bedrohung“ des Kaiserreiches durch Russland, so die wiederholt ab 1901 verbreitete Begründung, würde Deutschland im Zweifel stets auf Seiten Russlands zu finden sein und sich nicht länger als Festlandsdegen im britischen Sinne eignen. Natürlich nutzte die Kampagne für einen Politikwechsel in Richtung Frankreich und Russland das diplomatische Versagen und die Grobschlechtigkeiten Berlins etwa während der Burenkrieges, der Flottenpolitik oder der ersten Marokkokrise nach Kräften aus. „We are all painting the German devil on the wall, we are all working hard for this job, including the Germans themsel-
25 Der außenpolitischen Debattenfront entsprach die innen- und wirtschaftspolitische Front zwischen National Efficiency und Tariff-Reform Bewegung. 26 Rose, Empire (Anm. 17), S. 69 – 81. 27 Dominik Geppert/Andreas Rose, Machtpolitik und Flottenbau vor 1914. Zur Neuinterpretation britischer Außenpolitik im Zeitalter des Hochimperialismus, in: Historische Zeitschrift 293 (Oktober 2011), S. 401 – 437. 28 The Spectator, 18. 5. 1901.
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ves“,29 hieß es etwa in einer vielsagenden Einschätzung über die mediale Atmosphäre im eduardianischen London. Für die Nation wie für den Sicherheitspolitiker Lord Esher stand fest, dass all das Gerede von der „German peril a bogey“ sei. „but it is a most useful one“.30 Nützlich erschien das deutsche Schreckgespenst sowohl außen- als auch rüstungsund parteipolitisch. Die deutsche Gefahr konterkarierte zum einen die Argumente derjenigen, die anlässlich der Entente cordiale bzw. der anglo-russischen Konvention eine zu enge Bindung an Paris und St. Petersburg befürchteten, wie auch derjenigen, vor allem radikalliberalen Stimmen, die nach dem Krieg in Südafrika eine Abrüstung zugunsten sozialer Reformen verlangten. Gerade Letztere kritisierten zunehmend aber auch seinen diplomatischen Kurs vor allem in Richtung Zarenreich. II. Radikalliberale vs. liberal-imperialistische Positionen im politischen Raum London Die Radikalliberalen betrachteten sich in mehrfacher Hinsicht als Erben William Gladstones. Gladstone stand sowohl für die Idee eines europäischen Konzerts der Mächte wie auch für das Prinzip der Selbstbestimmung der Nationen, insbesondere auf dem Balkan. Darüber hinaus predigte er Abrüstung, Freihandel und kritisierte die Geheimdiplomatie.31 Durchdrungen von Gladstones Vision eines Konzerts selbstbestimmter Nationen, die stets darauf bedacht seien, kooperative Lösungen für die Probleme der internationalen Anarchie zu finden, lehnten die Radikalliberalen im Gegensatz zu ihren liberal-imperialistischen Parteikollegen auch Palmerstons Denkweise ab, die Großbritannien primär als tertius gaudens kontinentaler Spannungen betrachtete.32 Während die „Gladstonians“ London eine internationale Schiedsrichter- und Vermittlerrolle zuwiesen, betonten die Liberalen Imperialisten, die „Limps“ wie sie auch genannt wurden, vor allem den Erhalt des Empire, notfalls auch zu Lasten der internationalen Stabilität.33 Beide Positionen führten insbesondere im Zeitalter der imperialen Expansion, der Machtpolitik und der nationalen Bewegungen häufig zu Widersprüchen bei außenpolitischen Einschätzungen, Handlungsempfehlungen und prak-
29 Spring Rice an Chirol, 21. 6. 1907, Mss. Spring-Rice CASR 1/21, Churchill College, Cambridge. 30 Esher an Fisher, 1. 10. 1907, ESHR 10/42, Churchill College, Cambridge; The New Scare about the Navy, in: The Nation, 6. 2. 1909, S. 700. 31 Gladstone 1879, zit. nach: M. Foot (Hrsg.), Midlothian Speeches, Leicester 1971, S. 90. 32 H. Brailsford, Germany and the Balance of Power, in: Contemporary Review 102 (1912), S. 18 – 26. 33 Vgl. Gordon Martel, Imperial Diplomacy: Rosebery and the failure of foreign policy, Montreal 1986.
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tischer Außenpolitik sowie zu anhaltenden innerparteilichen wie öffentlichen Auseinandersetzungen.34 Um die Jahrhundertwende hatte der Dissens der beiden Parteiflügel seine Plattform gewechselt. Während das Parlament die längste Phase des 19. Jahrhunderts über das dominierende Forum des öffentlich-politischen Diskurses, der Debatten und Argumente war, verlagerte sich dies in den 1880er und 1890er Jahren mehr und mehr in den außerparlamentarischen Bereich.35 Der Wandel war erstmals Mitte der 1870er Jahre im Zusammenhang mit den bulgarischen Gräueln deutlich geworden. Hatte zuvor das Unterhaus die Minister zu einem bestimmten Kurs gezwungen, so setzte nun „die Öffentlichkeit“, aufgewühlt durch Gladstones Midlothian-Campaign, die Regierung unter Druck.36 Von nun an gewann die Londoner Presse spürbar an Einfluss und jeder, der sich für auswärtige Angelegenheiten interessierte, durchforstete nicht länger mühselig die Spalten von Hansard, geschweige denn die amtlichen Blaubücher. Stattdessen konsultierte man zunehmend die Publikationen von George H. Perris zu Rüstungs- und internationaler Politik,37 Henry Brailsford zu Mazedonien,38 Edward Granville Brown zu Persien,39 Edmund D. Morel zu Marokko und dem Kongo,40 Robert Seton-Watson zu Österreich-Ungarn,41 Mary E. Durham zu Albanien42 und Emile J. Dillon zu Russland und den Nahen Osten43 oder bekannte Universalpublizisten wie Leopold J. Maxse, James Louis Garvin, John A. Spender, Thomas W. Stead, Henry Massingham, Norman Angell, John A. Hobson und viele andere.44 Die Leser konnten sich auf diese Weise umfassender informieren, hatten vielfältigere Argumente für ihre Debattierclubs zur Hand und begannen mehr und mehr politisch mitzureden und mit den Worten A. J. P. Taylors „trouble“ zu machen.45 Das vergangene 19. Jahrhundert erschien vielen tatsächlich als eine Welt von Gestern. Es hatte nichts Vergleichbares zur Reichweite, Informa34
G. L. Bernstein, Sir Henry Campbell-Bannerman and the Liberal Imperialists, in: The Journal of British Studies 23,1 (1983), S. 105 – 124. 35 M. Hampton, ,Liberalism, the Press, and the Construction of the Public Sphere: Theories of the Press in Britain, 1830 – 1914‘, Victorian Periodicals Review 37, 1 (2004), S. 72 – 92. 36 John Morley, The Life of William Ewart Gladstone, Bd. II., London 1907, S. 552, S. 560. 37 George H. Perris, Our Foreign Policy and Sir Edward Grey’s Failure, London 1912, bes. S. 192 – 225. 38 Henry N. Brailsford, Macedonia: Its Races and Their Future, London 1903; M. Leventhal, The Last Dissenter: Henry N. Brailsford and His World, Oxford 1985. 39 E. G. Browne, The Persian Revolution of 1905 – 1909, London 1910. 40 Edmund D. Morel, Morocco in Diplomacy, London 1912. 41 R. W. Seton-Watson propagierte eine Zerschlagung Österreich-Ungarns und schrieb für den Spectator. 42 M. E. Durham schrieb sieben Bücher über den Balkan. 43 Emile J. Dillon schrieb für die Contemporary Review. 44 Vgl. Rose, Empire (Anm. 17), S. 41 – 106. 45 Taylor, Trouble Makers (Anm. 12), S. 95.
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tion und Tiefenanalyse des neuen Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes vorzuweisen. Abgesehen davon, dass die neuen Autoren produktiver waren und weitaus breiter rezipiert wurden als etwa Richard Cobden und John Bright ein halbes Jahrhundert zuvor, so hatten viele der politischen Autoren einen direkten persönlichen Draht zu Politikern und Diplomaten.46 Im ersten Jahrfünft des neuen Jahrhunderts hielten liberale Publizisten in der außenpolitischen Debatte nicht selten sogar ihren Parlamentariern den Spiegel vor, da diese nach den Khaki-Wahlen eine zu deutliche, innerparteiliche Auseinandersetzung scheuten. In Erinnerung an Home Rule, das liberale Schisma Mitte der 1880er Jahre und angesichts der verlorenen Khaki-Wahlen hielt sich die radikalliberale Faktion um Henry Campbell-Bannerman, Lord Loreburn, Sydney Buxton und David Lloyd George zunächst zurück. Tatsächlich einigten sich beide Parteiflügel auf ein stillschweigendes Gentlemen’s Agreement, nach dem sich die Radikalliberalen, von vielen als Pro-Boers attackiert, auf innenpolitische Reformen konzentrierten, während die Imperialisten um Edward Grey, Herbert Asquith und Richard Haldane die Regierung Balfour in außen- und sicherheitspolitische Fragen unter Druck setzten. Die Ämtervergabe nach dem Regierungswechsel 1905 spiegelte diese Aufgabenverteilung wider, wobei die Limps mit Asquith den Premier, mit Grey den Außenminister und Haldane den Kriegsminister stellten. Allein, die öffentliche Kritik verstummte auch trotz der Regierungsübernahme nicht. Ein genauerer Blick auf die öffentlichen Stimmen und Debatten zur Außenpolitik zeigt, dass radikale Abgeordnete und Kommentatoren zwar kein explizites Mitspracherecht bei der eigentlichen Entscheidungsfindung hatten, ihre Argumente im außenpolitischen Prozess aber dennoch ständig präsent waren. Insgesamt zeigten sich die Radikalliberalen dabei alles andere als beeindruckt vom Verhalten ihres eigenen Außenministers. Tatsächlich schien Grey für viele Andersdenkende sogar eher eine Belastung als ein Gewinn zu sein, da er keine liberalen Prinzipien vertrat, die Ereignisse nicht unter Kontrolle hatte und – was noch alarmierender war – wie ein Opfer eigener „fixer Ideen” wirkte.47 Nach Ansicht von The Nation, einem führenden Sprachrohr der außenpolitischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb des liberalen Lagers, sei Grey sogar das Gegenteil von einem geeigneten Außenminister. Henry Massinghams Zeitschrift griff ihn wiederholt an, indem sie feststellte, England sei „das einzige Land auf der Welt, das seine Staatsmänner immer noch nach Charakter und Tradition und nicht nach Leistung und Fähigkeit“ auswähle.48 Der einflussreiche Abgeordnete Arthur Ponsonby beklagte sich gegenüber David Lloyd George bitterlich über „zu viel Geheimniskrämerei“, insbesondere bei Gesprächen mit dem russischen Außenminister. Doch nicht nur wegen seiner Geheimdiplomatie geriet Grey in die Schlagzeilen. Auch das internationale Wettrüsten und eine 46
Ebd. Manchester Guardian, 26. 8. 1912; Daily News, 23. 9. 1912; Perris, Foreign Policy, S. 211 – 225; H. G. Wells, Experiment in Autobiography, London 1934, S. 657. 48 The personality of Sir Edward Grey, in: The Nation, 20. 1. 1912, S. 648 – 650, S. 648. 47
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zunehmende Blockbildung hatten radikale Publizisten zunehmend verärgert. Leonard Hobhouse und Ponsonby meinten sogar, der „letzte liberale Rest im Außenministerium sei mit Lord Salisbury“, einem durch und durch konservativen wohlgemerkt, „gestorben“. Grey hingegen, „cares nothing for liberal ideas, divided Europe for imperial interests and is obsessed with Germany. That was why he put England together with autocratic Russia at the head of an anti-German power bloc“.49 III. Die anglo-russische Konvention als entscheidende Zäsur vor 1914 Im Gegensatz zu öffentlichen Verlautbarungen und einem Großteil historischer Interpretationen markierte die Konvention von 1907 einen außen- wie parteipolitischen Gezeitenwechsel.50 Bis dahin hatte sich die überwiegende Mehrheit radikalliberaler Politiker an die Aufgabenteilung gehalten. Die Zusammenarbeit mit der russischen Autokratie war jedoch nicht nur den aufstrebenden Arbeiter- und Sozialistengruppen, sondern auch der Mehrheit der Liberalen und pazifistischen Gruppen wie dem National Peace Council ein Dorn im Auge. Die Angewohnheit des Zarenreiches, große Teile seiner Bevölkerung zu unterdrücken, die wiederholten Berichte über antisemitische Pogrome, der russisch-japanische Krieg, die Auflösung der Duma, nicht enden wollenden Spannungen an den Meerengen, der russische Druck an der nordwestlichen Grenze Indiens und die antibritischen Intrigen in Persien lieferten zahllose Gründe gegen eine anglo-russische Annäherung.51 Während Preußen-Deutschland, auch wenn es von vielen Liberalen mit Militarismus assoziiert wurde, mit Blick auf den Reichstag und die SPD überwiegend positiv und vor allem im liberalen Sinne als entwicklungsfähig gesehen wurde, blieb Russland den meisten britischen Liberalen ein Gräuel.52 Großbritannien, so die einhellige Ansicht der außenpolitischen Beobachter an der Themse veränderte damit das Staatensystem grundlegend.53 Nur ein Jahr später wurde der Paradigmenwechsel während der bosnischen Annexionskrise sichtbar. Statt in einer Frage, die nicht die unmittelbaren Interessen Britanniens berührte zu vermitteln, versprach Grey dem russischen Außenminister eine zukünftige Unterstützung bei dem Ziel die Meerengen unter russische Kontrolle zu bringen.54 Statt also die Spannungen der Großmächte nach außen hin abzulenken, ging es ihm offen49
Ebd. Rose, Empire (Anm. 17), S. 557 – 566. 51 Keith Neilson, Britain and the last Tsar. British Policy and Russia, 1894 – 1917, Oxford 1995; Jennifer Siegel, Endgame. Britain, Russia and the Final Struggle for Central Asia, New York 2002. 52 The Mirage of European Diplomacy, in: The Nation, 30. 12. 1911, S. 539 – 541. G. H. Perris, Germany and the German Emperor, London 1912, S. 506 – 509. 53 Noel Buxton im Unterhaus, 21. 2. 1912, Hansard Third Series, vol. 34, col. 691; Perris, (Anm. 39), S. 197. 54 Rose, Empire (Anm. 17), S. 522 – 556. 50
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bar darum, in erster Linie das Empire zu entlasten und die russischen Ambitionen von Persien auf die südosteuropäische Peripherie zurückzulenken. Dass erkannte auch der Experte für den Nahen Osten, Emile Dillon, gegenüber Cecil Spring-Rice. „The Foreign Office behaved more Russian, than the Russians, for it spurrs Serbian and panslavic dreams of Russia to the detriment of Austria-Hungary, Turkey and the whole Balkan region.“55
Auch die Pazifisten Henry Brailsford und Leonard Courtney zeigten sich fortan überzeugt, dass es dem Außenminister darum gehe Südosteuropa an Russland zu verkaufen. „The real malady is that due to British foreign policy the two alliance camps were becoming more defined. The Concert of Europe seems no longer possible because there are no powers free from these groups. […] Our mediatory position is lost“.56
Besonders auffällig an der Kritik ist, dass die Radikalliberalen das klassische Konzertdenken bemühten und die Stabilität über die nationalen Interessen der Balkanvölker stellten, während die Liberalen Imperialisten inzwischen ein gänzlich anderes Verständnis des Konzerts oder der Gleichgewichtspolitik zeigten. Das Konzert sollte nur so lange gelten, solange es den imperialen Interessen Britanniens diente.57 Immer wieder finden sich in der diplomatischen Korrespondenz von Arthur Nicolson, Charles Hardinge, George Buchanan und Edward Grey Hinweise, dass man Russland schlichtweg nicht den Rücken kehren dürfe.58 Gegen diese Tendenz wandte sich das aus 80 Abgeordneten bestehende Liberal Foreign Affairs Committe und protestierte schon seit Mai 1907 gegen den weitgehenden Ausschluss Deutschlands aus den kontinentalen Beziehungen.59 Die zweite Marokkokrise 1911 brachte Grey weitere Kritik ein, insbesondere weil der Bruch der Madrider Konvention zur offenen Tür in Nordafrika nicht durch Berlin, sondern durch Paris erfolgte60 Alarmiert zeigten sich insbesondere die Nation wie auch die Contemporary und die Fortnightly Review. Am Vorabend der Balkankriege erkannten diese Zeitschriften unisono „a mobilisation of powers with England, France and
55 Dillon an Spring-Rice, 28. 8. 1909, Spring-Rice Mss., Churchill College, Cambridge, CASR 1/33. 56 Daily News, 20. 11. 1908. 57 The Trend of Foreign Policy, in: The Nation, 11. 5. 1912, S. 204 – 206; Perris (Anm. 39), S. 211 – 225. 58 Nicolson an Goschen, 14. 1. 1913, National Archives, FO 800/362; an Cartwright, 30.4. 1913, Cartwright Mss., Public Record Office Northampton, Box 42. 59 „Germany should be invited as a guarantee to peace, but instead Germany would be kept aloof while others strike their compacts“, Manchester Guardian, 27. 5. 1907; T. P. ConwellEvans, Foreign Policy from a Back Bench, 1904 – 1918. A Study Based on the Papers of Lord Noel-Buxton, London, 1932, S. 58, S. 81 – 83; Brailsford, Balance of Power, S. 18 – 26. 60 Morel, Morocco (Anm. 40), S. 151; Brailsford, Balance of Power (Anm. 59), S. 22 – 25.
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Russia at its centre and Germany outside it. […] If this is a league of peace it has alarmed one nation capable of disturbing the peace“.61 Noel Buxton, Edmund Morel, Henry Brailsford, Arthur Ponsonby und andere ließen keinen Zweifel aufkommen und waren sich mit dem Sozialisten Keir Hardie einig. Wenn sie zwischen der russischen Autokratie und dem wilhelminischen Deutschland zu wählen hätten, würde sie sich fraglos für Deutschland entscheiden.62 Wieder machten einige Zeitschriften, darunter der Economist, eine Isolierung des finanzschwachen Kaiserreiches durch die finanzstarken Länder Großbritannien und Frankreich aus.63 Anfang 1912 forderte erstmals eine ganze Phalanx liberaler Zeitungen und Zeitschriften Greys Rücktritt.64 Im Unterhaus erhöhten namentlich seine Parteikollegen Ponsonby, Buxton, Brunner und Wedgwood den Druck und klagten, dass vor allem seine Politik gegenüber Russland, welches sich selbst an keinerlei Vereinbarungen halte, von ständiger Beschwichtigung geprägt.65 Resultat war nicht nur die berühmte Haldane-Mission, sondern tatsächlich eine leichte Kehrtwende im Denken Greys.66 Zumindest schloss er keine Annäherung an Deutschland mehr aus,67 sehr zum Leidwesen des Staatssekretärs Arthur Nicolson. Obwohl ein Bündnis mit Frankreich und Russland Großbritanniens Position absolut „sicherer“ machen würde, befürchtete er nun weitere schädliche liberale Einflüsse.68 Tatsächlich schien Grey seinen Kurs während des Balkankrieges im Herbst 1912 kurzzeitig zu ändern und lud zu einer Botschafterkonferenz nach London ein, um gemeinsam mit Deutschland einen großen Krieg zu verhindern. Die Kritik verstummte schlagartig und insbesondere liberale Kreise wollten bereits eine Wiederbelebung des alten europäischen Konzerts erkennen.69 Doch der allgegenwärtige Jubel verbarg, dass die Einigungen bei der Londoner Konferenz vor allem zulasten Öster61 The Anglo-German Rapprochement, in: The Nation, 10. 2. 1912, S. 766 – 767; The hope of an accommodation with Germany, in: ebd., 23. 3. 1912, 1007; The Clouds in the Near East, in: ebd., 23. 3. 1912, S. 1010. 62 Zit. nach: Taylor, Trouble Makers (Anm. 12), S. 115; France, Russia, and ourselves, in: The Nation, 13. 6. 1914, S. 405 – 406. 63 An Anglo-German Understanding, in: The Economist, 15. 2. 1913, S. 326 – 327. 64 Manchester Guardian, 10. 1. 1912; Daily News, 12. 1. 1912. 65 Ponsonby an Lloyd George, September 1912, Arthur Ponsonby Mss., Bodleian Library Oxford, MSS Eng. hist. c. 659/80 – 82; Hobhouse und Ponsonby im Liberal Reform Club, 14. 11. 1911, Manchester Guardian, 15. 11. 1911; Wanted – An Ambassador of Peace, in: The Nation, 25. 11. 1911, S. 330 – 311. 66 Grey to Lloyd George, 5. 9. 1911, Mss. Lloyd George, House of Lords Records Office, London, LG/C/4/14/5. 67 Friedrich Kießling, Gegen den „großen Krieg“? Entspannung in den internationalen Beziehungen 1911 – 1914, München 2002, S. 95 – 108, S. 276 – 280. 68 Nicolson to Grey, 4. 8. 1912, George P. Gooch/Harold Temperley (Hrsg.), British Documents on the Origins of the War 1898 – 1914, 11 vols., London 1926 – 1936, Vol. X/2, No. 407; Ph. Morrell, The Control of Foreign Affairs. The Need for a Parliamentary Committee, in: Contemporary Review 102 (1912), S. 659 – 667. 69 The Triumph of the Concert, in: The Nation, 10. 5. 1913, S. 216 – 217.
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reich-Ungarns gingen und er bei allen strittigen Fragen etwa um Albanien stets für die russische Seite Partei ergriff.70 Es blieb letztlich dabei. Grey war wie Staatssekretär Nicolson oder der Botschafter George Buchanan „haunted by the fear, that Russia might become tired of us and strike a bargain with Germany“.71 Die Londoner Außenpolitik hatte vor allem das Zarenreich im Kopf. Das zeigte sich während der Liman von Sanders-Affäre 1913 oder dem Einverständnis zu einer geheimen anglo-russischen Marinekonvention in der Nordsee im Frühjahr 1914. Gerade letztere führte in der Berliner Wilhelmstrasse zu einem regelrechten Schock. Obwohl man mit London während der Balkankriege kooperiert hatte, obwohl man in der Bagdadbahnfrage klein beigegeben habe, obwohl man sich bei den portugiesischen Kolonien geeinigt hatte und sich Russland längst von seiner Niederlage gegen Japan und der Revolution erholt hatte und eifrig seinen strategischen Bahnbau gegen die deutschen Grenzen vorantrieb, wollte England sich nicht mehr von Russland distanzieren.72 Am Vorabend der Julikrise hatte sich Edward Grey damit als möglicher Vermittler bereits selbst desavouiert und aus dem Spiel genommen. Selbst in der Julikrise drehte sich die wesentliche Diskussion zwischen den Kriegsbefürwortern und den Abweichlern nicht zuletzt um die Frage: „What, if Russia wins?“.73 Dennoch kam es am 6. Juli 1914, also einen Tag nach dem berühmten Blankoscheck, zu einer Sondierung des deutschen Botschafters Lichnowsky, ob man nicht noch einmal wie bei den Balkankriegen eine deutsch-englische détente zur Vermittlung anstrengen könne.74 Die Antwort Greys viel dilatorisch aus. Erst drei Wochen später sollte er versuchen darauf zurückzukommen. Aber bis dahin war bereits wertvolle Zeit vergangen und das Wiener Ultimatum an Belgrad auf dem Weg. IV. Edward Grey ein britischer Bismarck? Eine Betrachtung der radikalliberalen Kritiker Edward Greys entlarvt zum einen die vermeintliche Kontinuität und parteiübergreifenden Übereinstimmung der britischen Vorkriegspolitik. Zudem eröffnen die gezeigten Alternativszenarien und Deutungsmuster der sogenannten „trouble makers“ dem Historiker zusätzliche Interpretationsspielräume. 70
Grey an Nicolson, 24. 4. 1913, Mss. Nicolson, National Archives, FO 800/366. Zit. nach: A. J. A. Morris, Radicalism against War, 1906 – 1914. The Advocacy of Peace and Retrenchment, London 1972, S. 364. 72 Stephen Schröder, Die englisch-russische Marinekonvention. Das Deutsche Reich und die Flottenverhandlungen der Tripelentente am Vorabend des Ersten Weltkriegs, Göttingen 2004. 73 John Morley, Memo on Resignation, August 1914, MSS Morley, Bodleian Library Oxford, MS.Eng.d.3584, fols. 41 – 65. Vgl. Andreas Rose, „Peace Party at War“ – Die britischen Radikalliberalen und der Große Krieg, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, 26. Jg. 2014, S. 95 – 123. 74 Vgl. ebd. 71
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In einem brillanten Essay hat Paul W. Schroeder vor einigen Jahren die Problematik von Bündnissen im Verhältnis zum Staatensystem aufgeworfen. Während Bismarck die Bündnisstrukturen als Werkzeuge zur Gestaltung des Staatensystems nutzte, ging es den Vorkriegspolitikern und insbesondere auch Edward Grey primär darum, ihre Verbindungen als Machtinstrumente zu nutzen.75 Es war genau dieses, was die Radikalliberalen Edward Grey seit der anglo-russischen Konvention sowohl im Parlament, in privaten Unterredungen, in der Presse oder bei öffentlichen Veranstaltungen vorwarfen. Die außenpolitischen Debatten zeigen zudem, dass vor allem die Verbindung zu Russland spätestens seit Mitte der 1890er Jahre als Dreh- und Angelpunkt britischer Außenpolitik begriffen wurden. Deutlich wird überdies, dass sich die Vorstellungen von Konzertdiplomatie und Balance of Power nicht nur unterschieden, sondern über den Zeitverlauf änderten. Im Gegensatz zu den radikalliberalen begriffen die liberalen Imperialisten vielfach Konzertdiplomatie und Balance of Power als gleichbedeutend. Des Weiteren zeigte bereits die Debatte angesichts der German Revolution von 1870, dass der britische Horizont alles andere als hauptsächlich auf Deutschland fokussiert war. Während sich London in den 1880er Jahren noch dank der bismarckschen Politik, die zentralen Probleme an die Peripherie abzulenken, leisten konnte, um sein Empire zu konsolidieren, sollte sich das mit der franko-russischen Allianz zu Beginn der 1890er Jahre und zunehmender sozialer und imperialer Probleme schlagartig verändern. Erst jetzt traten die von Disraeli befürchteten Konsequenzen für das Empire ein. Noch bevor es zu einer nachhaltigen deutsch-englischen Spannung anlässlich des bis heute in seiner Wirkung überbewerteten Flottenbauprogramms kam, gab Grey bereits die Richtschnur einer liberal-imperialistischen Außenpolitik mit den von ihm Korrektur gelesenen ABC etc. Aufsätzen preis. Weil Deutschland dauerhaft zu schwach und zu abhängig vom russischen Druck sei, müsse man sich den gefährlichsten Rivalen annähern, um gemeinsam die internationalen Beziehungen zu dominieren. Unterstützt wurde er dabei von einem ganzen Netzwerk liberal-imperialistischer Publizisten. Während Balfour und Lansdowne ihre Skepsis gegenüber Russland beibehielten und selbst nach der russischen Niederlage gegen Japan zu keinen Zugeständnissen bereit waren, zeigte sich ausgerechnet die liberale Regierung ab 1906 wesentlich konzilianter. Thomas Otte hat in der Außenpolitik Edward Greys zuletzt einen „neo-Bismarckianism“ ausgemacht.76 Im Einklang mit der neueren Forschung, wenngleich er deren Ergebnisse auch gern unterschlägt, folgert Otte aus Greys früheren Korrespondenzen mit Leopold Maxse,77 dass er keineswegs nur auf Berlin fixiert war. Vielmehr 75 Paul W. Schroeder, Alliances, 1815 – 1945: Weapons of Power and Tools of Management, in: ders., Systems, Stability, and Statcraft. Essays on the International History of Modern Europe, New York 2004, S. 195 – 222. 76 Thomas Otte, Postponing the Evil Day: Sir Edward Grey and British Foreign Policy, in: International History Review 38/2 (2006), S. 250 – 263, S. 253. 77 Vgl. Rose, Empire (Anm. 17), S. 58 – 68.
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ging es ihm um eine „Trias aus Europa-, Empire- und Innenpolitik“.78 In seinen Warnung an Berlin, Paris nicht anzugreifen, meint Otte „eine Form des Neo-Bismarckianismus“ zu erkennen. Ein offensichtliches Problem bei diesem eher anachronistischen Vergleich ist jedoch, dass Bismarck es nie für nötig erachtet hatte, Warnungen vor potenziellen Feinden an seine Verbündeten weiterzugeben, um sie seiner Loyalität zu versichern. Genau das hat Grey, im Gegensatz auch zu Lansdowne übrigens, immer wieder getan und damit einen vermeintlichen Hebel gegenüber seinem Partner entscheidend geschwächt. Einer der entscheidendsten von vielen Unterschieden zwischen Greys und Bismarcks Vorgehen war, dass die Strategie des deutschen Kanzlers, um seine Verbündeten unter Kontrolle zu bekommen, eher darin bestand, sie direkt zu warnen, anstatt sie nur über die Konsequenzen im Unklaren zu lassen oder eine schriftliche Garantie abzulehnen. 1887 drohte er etwa Wien ausdrücklich damit, den Zweibund im Falle eines austro-russischen Krieges auf dem Balkan aufzukündigen.79 Seine Strategie bestand darin, widersprüchliche Bündnisse mit gegnerischen Parteien gleichzeitig zu nutzen und zu fördern, nur um sicherzustellen, dass der eigentliche casus foederis niemals eintreten würde. Edward Grey hingegen war nur bereit, „neue Freunde zu gewinnen, ohne alte zu verlieren“, und ließ daher sogar zu, dass Paris oder St. Petersburg einen nicht geringen Einfluss auf die britischen Außenbeziehungen ausübten. Anders als Grey war Bismarck stets versucht, internationale Spannungen an die kontinentale Peripherie abzulenken. Er nutzte seine Bündnisse, um das Mächtesystem zu managen, da die Sicherheit des Kaiserreiches mit diesem System untrennbar verbunden war. Greys Annäherung an Russland hatte jedoch primär das Empire im Auge und lenkte die Spannungen zurück auf den Balkan – die Sollbruchstelle des europäischen Mächtekonzerts.80
78
Ebd., S. 571 – 590. Bismarck an Deines, 16. 12. 1887, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin, R 10877. 80 Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, Stuttgart 2012, S. 381 – 392. 79
Die Erinnerungen des deutschen Offiziers Ernst Paraquin „Aus dem Orient 1917/18“ Von Winfried Baumgart, Mainz Ernst Paraquin war als deutscher Offizier bei der türkischen Armee an der Mesopotamienfront 1917 und der Kaukasusfront 1918 eingesetzt. Über diese zwei Jahre hat er nach dem Ersten Weltkrieg Erinnerungen geschrieben. Diese befinden sich heute in der Bibliothek der Lomonossow-Universität Moskau. Sie umfassen 230 Schreibmaschinenseiten und sind auf Deutsch verfaßt. Über die Umstände, wie sie nach Moskau gelangt sind, gibt es keine direkten Anhaltspunkte. Es ist aber davon auszugehen, daß sie 1945 von der Roten Armee nach deren Einmarsch in Deutschland wie auch sonstiges Archiv- und Kulturgut nach Rußland verbracht worden sind. Ein großer Teil dieser Archivalien ist Anfang der 1950er Jahre der DDR restituiert worden. Alle Stücke, die sich irgendwie auf die russische Geschichte beziehen, sind indessen zurückbehalten und auf verschiedene Standorte der ehemaligen Sowjetunion, besonders auf Universitätsbibliotheken, verteilt worden. Es ist anzunehmen, daß Paraquin seine „Erinnerungen“ Anfang der 1940er Jahre einem Berliner Archiv, vermutlich dem Reichsarchiv (in Potsdam), zur Aufbewahrung übergeben hat. Sie dürften zusammen mit weiteren Archivalien aus Berlin/Potsdam wegen der Bombengefahr in einen sicheren Standort in Mittel- oder Ostdeutschland ausgelagert worden und auf diese Weise in die Hände der Roten Armee gekommen sein. Ein russischer Kollege, Leontij Lannik von der Universität Saratov, hat das Original in der Moskauer Universitätsbibliothek entdeckt und mich gebeten, die Edition des deutschen Originals zu übernehmen. Er steuert die russische Übersetzung und Bearbeitung bei. Es ist sehr zu begrüßen, daß auf diese Weise eine wertvolle Quelle zur Geschichte des Ersten Weltkriegs der allgemeinen Forschung zur Verfügung gestellt werden kann. Das „Deutsche Historische Institut“ in Moskau hat freundlicherweise den Druck der doppelsprachigen Edition übernommen. Allerdings stockt das Unternehmen wegen des russisch-ukrainischen Kriegs, so daß das Schicksal der Drucklegung derzeit (2023) ungewiß ist.1 1
Dieser Beitrag ist in abgewandelter Form meiner Einleitung zu den „Erinnerungen“ Ernst Paraquins entnommen, die – vgl. o. – in Zusammenarbeit mit einem russischen Kollegen veröffentlicht werden sollen. Die folgenden Anmerkungen beschränken sich in der Regel auf Zitate aus den Originalfassungen 1. der Geschichte der Familie Paraquin, die Ernst Paraquin selbst verfaßt hat und heute in Privathand sind, und 2. der „Erinnerungen“ Paraquins in der
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Paraquin hat seine „Erinnerungen“ sicherlich von vornherein für die Veröffentlichung geschrieben. Diese wäre aber während der nationalsozialistischen Zeit nicht möglich gewesen, weil der Autor an mehreren Stellen die türkische Armenienpolitik sehr deutlich verurteilt. Ja, er hat sogar seinen hohen Posten als Generalstabschef einer türkischen Armee zur Verfügung gestellt, weil er die Massaker an den Armeniern in Baku im September 1918 scharf mißbilligt hat. Das Datum der Niederschrift Paraquins wird nicht explizit genannt; aus inneren Kriterien geht aber hervor, daß sie Anfang der 1940er Jahre abgeschlossen sein müssen. Mit den „Erinnerungen“ Paraquins liegt ein wichtiges Zeugnis über das deutsche Engagement an einer vom Hauptkriegsschauplatz in Europa weit entfernten Nebenfront vor. Sie belegen eindrucksvoll den Versuch der deutschen Kriegsleitung, einen militärischen Vorstoß nach Indien vorzubereiten, um dort englische Kräfte zu binden, die sonst an die entscheidende Westfront abgezogen worden wären. I. Zur Biographie Ernst Paraquins Ernst Paraquin wurde am 2. März 1876 in Saargemünd in Lothringen geboren. Seine Vorfahren stammten aus Wallonien; dort kommen der ursprüngliche Familienname Perkin und die abgewandelte Form Paraquin noch vor. Die Vorfahren waren nach Bayern eingewandert, wo heute noch einige wenige Nachkommen leben. In anderen deutschen Landesteilen ist der Name Paraquin nicht nachweisbar. Ernst Paraquins Vater, Emil, war bei der bayerischen Eisenbahn „Ingenieur-Assistent“. 1872 wurde er zum kaiserlichen Eisenbahn-Baumeister ernannt und nach Saargemünd versetzt. Dort heiratete er ein Jahr später Elise Ritter aus Kissingen. Nachdem er 1882 verstorben war, zog die Mutter mit Sohn Ernst nach München. Dort besuchte dieser seit 1885 das Maximiliansgymnasium, das er 1894 mit dem Abitur abschloß. Er schlug die Offizierslaufbahn ein und gehörte 1900 dem europäischen Marineexpeditionskorps in China an, das dort den Boxeraufstand niederschlagen sollte. Von 1911 bis 1913 war er zum Großen Generalstab kommandiert. Am 31. Juli 1914 rückte Paraquin in Metz ein und begab sich dort zu seiner Stammkompanie. Gleich nach Kriegsausbruch trat er zur Hauptreserve der Festung Metz (33. Reservedivision). Zu Beginn der Feindseligkeiten erlitt seine Kompanie schwerste Verluste. Nach den Ereignissen an der Marne mußte sie zum Stellungskrieg übergehen und stand vor Verdun. Paraquin wurde als 3. Generalstabsoffizier (Ic) des neugebildeten Generalkommandos des Grafen Felix Bothmer in die Karpaten versetzt und im Januar 1915 zum Major befördert. Am 20. Mai erhielt er das Eiserne Kreuz 1. Klasse, und am 12. Juli des Jahres avancierte er zum 1. Generalstabsoffizier (Ia) des neugebildeten Generalkommandos des Korps Marschall in Galizien, wo er mit vielsprachigen Verbänden – neben Deutschen auch mit Ungarn, Bosniaken und Tschechen – in Berührung kam. Im Februar 1916 wurde er als Ia der Moskauer Universitätsbibliothek. – Ich danke Frau Brigitte Paraquin, Nürnberg, für die Einsichtnahme in die Familiengeschichte.
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5. (Nürnberger) Division wieder in den Westen nach Lothringen berufen, wo er an den wochenlangen Kämpfen um Verdun beteiligt war. Mitte Juli 1916 wurde er mit seiner bayerischen Division an den Pas de Calais verlegt und im April 1917 zum Ia des Generalkommandos 63 in Bessingen (Lothringen) ernannt. Dort erlebte er eine wesentlich ruhigere Fronttätigkeit2. Am 6. Juli 1917 wurde Paraquin ins Große Hauptquartier berufen, das sich seinerzeit im beschaulichen Kreuznach befand. Er beschreibt den dortigen zweitägigen Aufenthalt in der Familiengeschichte.3 Den Zweck seines Aufenthalts nennt er nicht. Vermutlich wollten Hindenburg und Ludendorff, mit denen er verschiedene – allerdings wenig aussagekräftige – Unterredungen hatte, herausfinden, ob er für eine Kommandierung in die Türkei in Frage käme. Tatsächlich wurde er drei Wochen später telegraphisch zum Dienst ins Osmanische Reich abkommandiert. Dort wurde er als Generalstabschef der 6. Osmanischen Armee in Mesopotamien eingesetzt, um die Wiedereroberung Bagdads, das im März 1917 in englische Hände gefallen war, vorzubereiten. Da Ende des Jahres die Palästinafront zusammenbrach und daher die 6. Armee aus Mesopotamien zurückgezogen wurde, bekam Paraquin Ende Juni 1918 von General von Seeckt, der damals Generalstabschef sämtlicher türkischen Truppen war, den neuen Auftrag, als Chef des Generalstabs der türkischen Heeresgruppe Ost im Kaukasus von Norden her die Wiedereroberung Bagdads zu bewerkstelligen. Zusammen mit seinem türkischen Vorgesetzten, Halil Pascha, war Paraquin der Auffassung, daß als erste Aufgabe für einen Vorstoß von Norden her aus dem Kaukasus Richtung Bagdad die wichtige Ölstadt Baku genommen werden müsse, in die im Sommer 1918 englische Truppen einsickerten. Nachdem am 4. August ein stümperhafter türkischer Versuch, Baku zu besetzen, fehlgeschlagen war, arbeitete Paraquin einen eigenen Angriffsplan zur Wegnahme Bakus aus. In seiner Familiengeschichte stellt er apodiktisch fest: „ohne meine stetige Nachhilfe und energische anspornende Tätigkeit wäre Baku nie genommen worden“. Die türkische Armeeführung sei „ein Haufen ehrgeiziger Abenteurer“, die vom Soldatenhandwerk nichts verstünden. Angewidert durch das Verhalten der türkischen Besatzer, quittierte Paraquin den Dienst in der türkischen Armee und begab sich auf den Heimweg nach Deutschland. In Berlin Anfang November 1918 angekommen, war er Zeuge der Ausrufung der deutschen Republik durch Philipp Scheidemann. Bald darauf kehrte er in seine Heimatstadt München zurück und lernte dort den Revolutionär Kurt Eisner kennen und schätzen. Als einer der wenigen Offiziere der kaiserlichen Armee verarbeitete er die revolutionären Ereignisse mit dem Ergebnis, daß er ein Freund der Sozialdemokraten wurde: „Mehr und mehr gewann ich den Eindruck, daß der Sturz der 2
Nach der ungedruckten Familiengeschichte Ernst Paraquins, die mir von Frau Brigitte Paraquin, Nürnberg, freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. 3 Sie wird in der druckfertigen Edition der „Erinnerungen“ Paraquins für die Jahre 1917/18 als Anhang I angefügt. Daraus stammen die folgenden Mitteilungen und Zitate.
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Monarchie endgültig und die Republik die einzig heute mögliche Regierungsform sei“. An der Universität München, an der er sich als Student einschrieb, schloß er sich dem „Klub der sozialistischen Akademiker“ an und hielt vielfach Reden in der Öffentlichkeit. Die Angriffe auf ihn von ganz links und ganz rechts belehrten ihn eines Besseren. Sein Ausflug in die Politik endete abrupt. Er verlegte sich, aus der kaiserlichen Armee als Major 1919 ausgeschieden, auf das Studium der modernen Sprachen (Französisch, Italienisch und Englisch) an der Universität und im Privatunterricht und erlangte darin so gute Fähigkeiten, daß er später in der Wehrmacht als militärischer Dolmetscher bestellt wurde. Ernst Paraquin verstarb am 23. September 1957. Er war nicht verheiratet und hinterließ keine Nachkommen. II. Versuch zur Wiedereinnahme von Bagdad 1917/18 Das Osmanische Reich hatte wie Deutschland im Ersten Weltkrieg an vielen Fronten, gewissermaßen rundum, zu kämpfen: gegen Rußland im Kaukasus und im nördlichen Persien; gegen englische Truppen am Suezkanal, in Gaza und Palästina; und gegen englische und indische Truppen in Mesopotamien. Im Jahr 1917 stellte sich die Kriegslage für die Türkei so dar, daß die alliierte Intervention auf Gallipoli gescheitert war; an der russischen Front ereignete sich während des Jahres nichts Entscheidendes, bis Anfang Dezember 1917 Rußland wegen der bolschewistischen Revolution aus dem Krieg ausschied. Die Kampftätigkeit in Palästina gestaltete sich für England wegen seiner personellen und materiellen Überlegenheit günstig: Nach drei Schlachten um Gaza, die den Vormarsch der Engländer aufhalten sollten, gelang diesen im Dezember 1917 die symbolträchtige Einnahme von Jerusalem.4 An der Mesopotamienfront hatten englische Truppen Bagdad bereits am 11. März 1917 kampflos eingenommen. An dieser Front setzt die Tätigkeit Ernst Paraquins ein. Die deutsche und die türkische Oberste Heeresleitung hatten sich entschlossen, die Wiedereinnahme Bagdads vorzubereiten, um die Engländer daran zu hindern, den Russen im Kaukasus die Hand zu reichen. Zu diesem Zweck wurde die Heeresgruppe F oder Jilderim (Blitz) gebildet. Ihr Oberbefehlshaber war ein deutscher General: Erich von Falkenhayn, der zum türkischen Marschall ernannt wurde. Er bekam zur Unterstützung deutsche Spezialtruppen, das sogenannte Deutsche Asienkorps.5 Es war 4
Dazu vgl. ausführlich: Friedrich Freiherr Kreß von Kressenstein. Bayerischer General und Orientkenner. Lebenserinnerungen, Tagebücher und Berichte 1914 – 1946, hrsg. v. Winfried Baumgart unter Mitw. v. Giorgi Astamadze, Paderborn 2020. 5 Vgl. Der Weltkrieg 1914 bis 1918. Im Auftrage des Oberkommandos des Heeres bearb. u. hrsg. v. d. Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres. Bd. 13: Die militärischen Operationen zu Lande. Die Kriegführung im Sommer und Herbst 1917. Die Ereignisse außerhalb der Westfront bis November 1918, Berlin 1942 [Ndr. Koblenz 1956], S. 421. – Vgl. als offizielle Darstellung der Kriegführung in Mesopotamien 1917/18: „Jilderim“. Deutsche Streiter auf heiligem Boden. Nach eigenen Tagebuchaufzeichnungen und unter Benutzung
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bereits in einem ersten Abschnitt zwischen März 1916 und August 1917 eingerichtet worden und zählte zunächst 4.500 Mann. In den folgenden Monaten wurde es weiter verstärkt. Zum Angriff auf Bagdad wurde die 6. osmanische Armee bestimmt, die aus insgesamt ca. 30.000 Soldaten bestand. Solange an der Sinai- und Palästinafront Ruhe herrschte, sollte sie von der dort operierenden 7. Armee unterstützt werden. Dazu kam es aber nicht, weil englische Truppen auf dem Sinai (vornehmlich an der Küste) vormarschierten und Jerusalem bedrohten. Paraquin wurde zum Chef des Generalstabes der 6. Armee bestimmt, deren Hauptquartier sich in Mossul befand. Seine Aufgabe bestand darin, die 6. Armee „operationsfähig zu machen“.6 Er kam am 20. August 1917 in Konstantinopel an und traf am 8. September in Mossul ein. Ihm wurde sehr schnell klar, daß die Wiedereinnahme von Bagdad illusorisch war. Die Gründe dafür schildert er ausführlich. Die Ausdehnung der Front war nicht mit europäischen Maßstäben zu messen. Sie betrug für die 6. Armee vom Euphrat bis zu ihrem linken Flügel in den Bergen Kurdistans über 450 km.7 Das allein bedeutete enorme Schwierigkeiten für die Versorgung der Truppe. Der Endpunkt der Eisenbahn von Aleppo her war Nisibin. Von dort mußte auf schwerfällige Wagenkolonnen umgeladen werden, die mit Ochsen und Büffeln bespannt waren, oder auf kleine Tragtiere. Diese allein verzehrten bei den weiten Entfernungen ihre Beladung selbst und kamen also ohne Nutzlast an. Der Einsatz von Kraftwagenkolonnen war ohne die Anlegung von Benzin- und Öllagern nicht möglich, denn die Kraftwagen mußten für die Hin- und Herfahrt bis zu 1.000 km zurücklegen. Für die Verpflegung der Truppe mußten Magazine angelegt werden. Paraquin stellte, nachdem er sich einen ersten Überblick verschafft hatte, fest,8 daß „keine Macht der Welt […] an diesen gegebenen Verhältnissen in wenigen Monaten etwas ändern“ konnte. Er vermerkt resigniert: „Die Aufgabe, die 6. Armee bis Januar 1918 für eine Offensive operationsfähig zu machen, war von vorneherein unlösbar.“ amtlicher Quellen des Reichsarchivs (Schlachten des Weltkrieges. In Einzeldarstellungen bearb. u. hrsg. im Auftrage des Reichsarchivs), Oldenburg/Berlin 1925 [1. Aufl. 1922]. Neueste Darstellung: Carl Alexander Krethlow, Bagdad 1915/17. Weltkrieg in der Wüste (Schlachten. Stationen der Weltgeschichte), Leiden/Paderborn 2018. – Für die englische Seite: F. C. Moberly, The Campaign in Mesopotamia, vol. 4 (History of the Great War. Based on Official Documents. Military Operations, [7]), London 1927 [Ndr. 1998]. Neueste Darstellungen: Charles Townshend, When God made Hell. The British Invasion of Mesopotamia and the Creation of Iraq, 1914 – 1921, London 2019; Kristian Coates Ulrichsen, The First World War in the Middle East, London 2014; Mesut Uyar, The Ottoman Army and the First World War, Abingdon 2021. 6 Dieses Zitat sowie die folgenden stammen aus der Originalfassung der „Erinnerungen“ Paraquins in der Moskauer Lomonossow-Bibliothek (vgl. Anm. 1), hier S. 4. 7 Ebd., S. 20. 8 Ebd., S. 29. Das folgende Zitat S. 30.
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Die Offensive gegen Bagdad mußte also begraben werden. Die 6. Armee wurde gezwungenermaßen in die Defensive versetzt. Zur Jahreswende stellte sich obendrein eine ungewöhnlich lange Regenperiode ein, die bis Mai 1918 dauerte und jeglichen Lastwagenverkehr in der Wüste unmöglich machte. Die Armee konnte auch nicht aus dem Land leben. Wenn Gewalt angewendet wurde, floh die Bevölkerung in die Berge oder in die Steppe. Viele kehrten wieder zum Nomadenleben zurück oder schlossen sich den wandernden Beduinenstämmen an. Wenn man fragt, warum der Gegner, die englische Armee, von Bagdad aus, die damalige Lage der Türken im Wilajet Mossul nicht ausnutzte, um weiter nach Norden vorzustoßen, so ist die Antwort, daß auch dort empfindliche Lebensmittelknappheit herrschte. Die Engländer, erfuhr Paraquin,9 waren ihrerseits gezwungen, große Mengen an Lebensmitteln aus Indien nicht nur für sich, sondern auch für die notleidende Bevölkerung heranzuschaffen. Doch die Lage in Mossul war viel dramatischer. Im Frühjahr 1918 brach dort offene Hungersnot aus und betraf sowohl die Bevölkerung als auch die 6. Armee. In der Bevölkerung kam es sogar zu Kannibalismus. In der Stadt Mossul wurde ein arabisches Ehepaar gehenkt, weil es mehr als ein Dutzend Kinder getötet und das zerstückelte Fleisch, auf Eisenstäben geröstet, im Basar für teures Geld angeboten hatte. Im April 1918 präsentierte sich für die 6. Armee ein entsetzliches Bild:10 Von Anfang September 1917 bis April 1918 hatte die Armee 12.736 Mann durch Entkräftung und Hunger verloren. Die Sterbeziffer war im März – etwas über 3.090 Tote – geradezu emporgeschnellt. Setzt man den Gesamtbestand der 6. Armee (4 Divisionen) auf etwa 30.000 Mann an, so wird überdeutlich, daß in Mossul kein Krieg geführt, sondern nur gestorben werden konnte. Das Fazit, das Paraquin zieht, lautet: „Der Zusammenbruch der Türkei in Mesopotamien war nicht zu verhindern gewesen. Es hätte nur die Möglichkeit gegeben, schon im Herbst [1917] das Land freiwillig zu räumen und den Engländern zu überlassen.“ Es erhebt sich die Frage, ob die Engländer jemals die Gunst der Stunde ergriffen hatten, um der dahinsiechenden 6. türkischen Armee den Gnadenstoß zu versetzen. Trotz vereinzelter Vorstöße ist es in Mesopotamien nie zu einer großangelegten englischen Offensive gekommen mit dem Ziel, Mossul zu erreichen. Nach Paraquin hätte sie bei dem Zustand der Türken unbedingt glücken müssen. Aber der englische Oberbefehlshaber, General Stanley Maude, war eine überaus vorsichtige Führernatur. Außerdem ist die Zurückhaltung der Engländer leicht zu erklären. Sie konnten davon ausgehen, daß zunächst die Palästinafront aufgerollt werden würde, da dort die Nachschubfrage viel besser zu bewältigen war: Bei überlegenen Kräften wurde an der Mittelmeerküste gleichzeitig mit dem Vormarsch eine Vollbahn gebaut, mit der die Front bestens versorgt werden konnte. Wenn der dortige englische Oberbefehlshaber, General Edmund Allenby, Jerusalem erobern und danach nach Syrien vormarschieren würde, mußte Mesopotamien den Engländern als reife 9
Ebd., S. 57. Zum folgenden ebd., S. 69 f. Ebd., S. 71. Das folgende Zitat ebd., S. 72.
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Frucht in den Schoß fallen. Man konnte also dort die Kräfte schonen. Hin und wieder wurde zwar ein Vorstoß unternommen, der bewirkte, daß die 6. türkische Armee nach Norden zumeist kampflos zurückwich. Im April 1918 wurde Kirkuk genommen, aber auffallenderweise im Mai wieder geräumt.11 In der Zwischenzeit hatte sich die Lage für die 6. Armee, wie geschildert, weiterhin verschlimmert. Mitte Februar 1918 zählte sie höchstens 12.000 Gewehre. Ein großer Teil der MGs war unbrauchbar. Der Artillerie fehlten drei Viertel der Zugtiere. Das Gesamtergebnis der Entwicklung vom September 1917 bis Mai 1918 war, daß die Türken sich von Mossul immer weiter nach Norden zurückgezogen hatten und damit die Wiedereinnahme von Bagdad vollkommen illusorisch wurde. Die Engländer haben das freiwerdende Gelände fast ohne Verluste besetzen können. Allein der Einsatz von Panzerwagen hatte genügt, um die Türken vor sich herzutreiben. Im offenen Wüstengelände war diesen die gegnerische Infanterie wehrlos ausgeliefert. III. Die Lage im Kaukasus und die Einnahme von Baku 1918 Trotz der Besetzung Palästinas durch die Engländer und der Aufgabe weiter Teile von Mesopotamien gab die Oberste Heeresleitung in Konstantinopel den Plan eines Vormarsches nach Bagdad nicht auf. Zum einen war im Februar 1918 General von Seeckt zum Generalstabschef der gesamten türkischen Streitkräfte berufen worden; mit ihm kehrte ein neuer Offensivgeist in die türkische Armee ein. Noch wichtiger war, daß der Friede mit Rußland in Brest-Litovsk Anfang März 1918 starke türkische Kräfte an der Anatolien- und Kaukasusfront freimachte. Seeckt beauftragte Paraquin, ihm Vorschläge zu machen, wie das Blatt in Mesopotamien gewendet werden könnte.12 Zum Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte im Kaukasus, der neugebildeten Heeresgruppe Ost, wurde General Halil Pascha bestimmt. Da er zuvor die 6. Armee in Mesopotamien geführt und bereits dort mit Paraquin als Generalstabschef reibungslos zusammengearbeitet hatte, war die Führungsfrage gut gelöst. Die deutsche und die türkische Oberste Heeresleitung hatten sich auf den Plan geeinigt, Bagdad von Norden her durch eine großangelegte Operation durch Persien, die durch einen Nebenangriff aus Mesopotamien unterstützt werden sollte, zurückzuerobern.13 Paraquin sollte sogleich mit den Vorarbeiten „für das gigantische Unternehmen“ beginnen, dessen Ausführung für das Frühjahr 1919 geplant war. Die Operation vom Kaukasus durch Persien auf Bagdad mußte sich auf die Bahnlinie Batum-Tiflis-Eriwan-Täbris stützen. Die Schwierigkeit bestand darin, daß, abgesehen von Batum, das die Türken inzwischen besetzt hatten, die Bahn 11
Nach Kapitel 3 der für den Druck vorbereiteten „Erinnerungen“ Paraquins. Ebd., S. 125. 13 Ebd., S. 141. 12
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durch Georgien, Armenien und Aserbeidschan verlief – alles Staaten, die im Zuge der russischen Revolution sich Ende Mai 1918 zu unabhängigen Republiken erklärt hatten. Georgien hatte sich inzwischen unter deutschen Schutz gestellt und erlaubte zunächst keine türkischen Militärtransporte durch sein Gebiet. Da aber Ende Juni der deutsche General Friedrich Frhr. Kreß von Kressenstein in Tiflis als „Chef der Deutschen Delegation im Kaukasus“ eingetroffen war, durfte eine Lösung dieser Frage bald in Aussicht sein, obwohl die georgische Seite sich steif stellte, um Territorialforderungen der Türken abzuwehren. Hinsichtlich Armeniens veranlaßte Paraquin seinen Chef Halil Pascha zu einem offiziellen Besuch in Eriwan, um mit der dort residierenden armenischen Regierung die Frage der Benutzung der Bahn nach Täbris durch ihr Gebiet zu regeln14 (Aserbeidschan als muslimischer Staat arbeitete ohne weiteres mit den Türken zusammen). Paraquin drang in Halil Pascha, während des Besuchs in Eriwan auch dem Oberhaupt der armenischen Kirche, dem Katholikos in Etschmiadsin, die Reverenz zu erweisen. Das gelang, und es spielten sich im Kloster des Katholikos beeindruckende Szenen ab, als Tausende von armenischen Flüchtlingen im Hofe ihr Wehklagen anstimmten15 – Szenen, die wir bereits durch die Schilderung des Generals Kreß kennen, der von Tiflis her mitgekommen war. Der empfängliche türkische Oberbefehlshaber versprach, seinen Einfluß in Konstantinopel geltend zu machen, damit die Heimkehr der armenischen Flüchtlinge nicht länger von der türkischen Armee behindert würde. Im Gegenzug sagten ihm die armenischen Minister die freie Benutzung der Bahn durch ihr Gebiet für Militärtransporte zu. Aus Paraquins „Erinnerungen“ geht hier wie auch schon bei seinen Ausführungen über seinen Aufenthalt in Mossul seine Abscheu vor der grausamen Behandlung des armenischen Volkes durch die Türken hervor.16 Er nahm auch nach dem Krieg am Schicksal der Armenier noch großen Anteil. So schreibt er, daß er 1921 den Prozeß gegen den armenischen Attentäter Tehlirian bei den Gerichtsverhandlungen in Berlin verfolgte und als sachverständiger Zeuge Aussagen machte. Tehlirian hatte den Großwesir Talaat Pascha auf offener Straße in Berlin erschossen. Paraquin begrüßte den Freispruch des Mörders mit großer Befriedigung. Mit Hilfe von Kreß wurde auch in Tiflis die Erlaubnis für türkische Militärtransporte auf der Bahn durch georgisches Gebiet nach Alexandropol erteilt, dem Eisenbahnknotenpunkt, von dem die Linie über Eriwan nach Täbris abzweigt. Paraquin stellte aber bei all den Verhandlungen fest, daß es den Türken viel mehr auf die Abtretung von georgischen Gebietsteilen um Batum und Alexandropol ankam als auf die Lösung der Bahnfrage und auf das geplante Bagdadunternehmen. Ihm wurde mehr und klar, daß besonders der türkische Kriegsminister und Generalissimus Enver Pascha das Unternehmen als „deutsche Angelegenheit“ betrachtete. Ihm wie auch Halil Pascha und den sonstigen Militärführern im Kaukasus war die 14
Ebd., S. 142 f. Ebd., S. 160. Ferner: Kreß von Kressenstein (Anm. 3), S. 130 – 133. 16 Paraquin, Erinnerungen (Anm. 1), S. 137 – 140.
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Realisierung ihrer panturanischen Ziele das erste Anliegen. Halil Pascha hatte Paraquin schon in Mossul immer wieder von diesen Träumen geschwärmt: Alle Turkvölker im Kaukasus bis nach Turkestan jenseits des Kaspischen Meeres sollten unter der Vorherrschaft der Türkei vereint werden; dafür seien die Paschas bereit gewesen, die für sie eigentlich fremden arabischen Bestandteile ihres Reichs den Engländern zu überlassen. Im Kaukasus bedeutete dies, daß die Aufmerksamkeit der türkischen Militärführer zunächst auf Baku als Sprungbrett für ein weiteres Ausgreifen Richtung Turkestan gerichtet war.17 Dort hatte sich in den Wirren der russischen Revolution eine kurzlebige Diktatur unter General Bicˇ erachov etabliert. Außerdem war die wichtige Ölstadt auch für die Engländer in Mesopotamien ein Ziel, für dessen Eroberung sie große Anstrengungen unternahmen. Tatsächlich war im August 1918 bereits eine kleine Vorhut englischer Truppen in Baku eingetroffen. Die Türken ihrerseits richteten verstärkt ihre Aufmerksamkeit auf die Stadt und versuchten sie am 4. August zu besetzen, was aber mißlang, da die Vorbereitungen dafür stümperhaft getroffen worden waren. Das türkische Interesse an Baku kreuzte sich mit dem großen Plan Paraquins, das Bagdadunternehmen in die Wege zu leiten. Es war für ihn aus rein strategischen Überlegungen einfach notwendig, die Flanke Baku für sein Unternehmen nicht in fremder Hand zu lassen. Was er aber nicht wußte, war, daß in Berlin in jenen Augustwochen durch die deutsche Reichsleitung und den russischen Botschafter in Berlin, A. A. Ioffe, ein Zusatzvertrag zum Frieden von Brest-Litovsk ausgehandelt wurde und kurz vor dem Abschluß stand. Dieser legte in einem Geheimzusatz fest, daß Baku in bolschewistischer Hand verbleiben sollte, die Ölausbeute dort zwischen Deutschland und Rußland geteilt und die Sicherung der Stadt notfalls durch deutsche Truppen (aus Georgien) im Zusammengehen mit bolschewistischen Kräften gewährleistet werden sollte. Die Türken sollten dabei aufgefordert werden, ihre Hände von Baku fernzuhalten. Um das Groteske auf die Spitze zu treiben, wurde General von Kreß in Tiflis zu gleicher Zeit von der deutschen Obersten Heeresleitung aufgefordert, den Türken deutsche militärische Hilfe zur Wegnahme der Stadt anzubieten, um die Flankenbedrohung für das Bagdadunternehmen auszuschalten. Dieses totale Durcheinander war im Grunde einmal durch den scharfen Gegensatz zwischen politischer und militärischer Führung Deutschlands veranlaßt, zum andern dadurch, daß die Befehle aus Berlin und dem deutschen Großen Hauptquartier Wochen beanspruchten, bevor sie an Ort und Stelle ankamen. 17
Ausführliche deutschsprachige Darstellungen zur Lage im Kaukasus 1918: Werner Zürrer, Kaukasien 1918 – 1921. Der Kampf der Großmächte um die Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, Düsseldorf 1978; Wolfdieter Bihl, Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte. Teil II: Die Zeit der versuchten kaukasischen Staatlichkeit (1917 – 1918), Wien [u. a.] 1992. – Englischsprachige Darstellung: Firuz Kazemzadeh, The Struggle for Transcaucasia 1917 – 1921, New York 1951. – Russische Quellensammlung: Dokumenty i materialy po vnesˇnej politike Zakavkazja i Gruzii, Tiflis 1919. – Russische Darstellung: Jakov Abramovicˇ Ratgauzer, Revoljucija i grazˇ danskaja vojna v Baku, Baku 1927.
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Paraquin war im entfernten Ostkaukasus von diesem Wirrwarr abgeschirmt. In Übereinstimmung mit den türkischen Militärführern arbeitete er Anfang September einen Angriffsplan für die türkische Kaukasusarmee zur endgültigen Einnahme von Baku aus. In der Forschung herrscht zwar einige Uneinigkeit vor, wer für die Eroberung von Baku letztlich verantwortlich war, ob die türkische Führung vor Ort oder der deutsche Generalstabschef Paraquin. Dessen „Erinnerungen“ beseitigen aber alle Zweifel: Es war sein Angriffsplan, der am 15. September 1918 zur Einnahme der Stadt führte. Die üblen Begleiterscheinungen nach dem siegreichen türkischen Einzug in die Ölstadt waren für den deutschen Offizier Paraquin eine seelische Pein. Es kam zu den oft beschriebenen Massakern am armenischen Teil der Bevölkerung von Baku. Paraquin fügt den bisherigen Quellen seine eigenen ausführlichen Erlebnisse hinzu. Der Mordrausch ging zunächst von den Tataren, die in der Stadt ein eigenes Viertel besaßen, das durch Mauern vom Rest der Stadt abgeschirmt war, aus. Er setzte sich fort, als die türkischen Soldaten in die Stadt einsickerten. Als die türkische Militärführung den Sieg in einem Hotel feierte, forderte Paraquin den Befehlshaber vor versammelter Mannschaft auf, durch reguläre türkische Regimenter dem wilden Treiben und Morden ein Ende zu setzen. Bald darauf, am 18. September, bekam er vom türkischen Oberbefehlshaber der Armee das Entlassungsschreiben. Er hatte ohnehin schon selbst den Entschluß gefaßt, sich aus dem Dienst des Osmanischen Reiches zu verabschieden. Paraquin machte sich auf den Weg nach Tiflis. Dort erreichte ihn die Nachricht, daß die deutsche Oberste Heeresleitung den Krieg für verloren gab. Er setzte seinen Weg fort über Sevastopol und Rumänien nach Deutschland. In Berlin war er Zeuge der Ausrufung der Republik. Damit enden Paraquins „Erinnerungen“ über seinen Dienst in Mesopotamien und im Kaukasus 1917 und 1918. Aus seiner in Privathand befindlichen Familiengeschichte erfahren wir – wie oben bereits dargestellt –, daß er anschließend in seiner Heimatstadt München in den Strudel der dortigen Revolution geriet, seinen Dienst als Offizier der kaiserlichen Armee quittierte und sich schließlich zum Anhänger der neuen deutschen Republik häutete. * Es ist zu hoffen, daß die „Erinnerungen“ Ernst Paraquins bald in kommentierter Form – in der deutschen Originalfassung und in der russischen Übersetzung –, beide versehen mit den nötigen Anmerkungen, das Licht der Welt erblicken können.
Neue Erkenntnisse zum „morale bombing“ der Royal Air Force im Zweiten Weltkrieg Von Rainer F. Schmidt, Würzburg „[…] the Hun is an undeveloped people and must and can be dealt with on the same lines as the Wazir.“1
Der Bombenkrieg gegen Deutschland gilt als eines der am intensivsten untersuchten Forschungsgebiete der Kriegsgeschichte. Vor allem die in den letzten Jahren erschienenen Untersuchungen haben das Wissen vertieft und dem Geschehen neue Facetten hinzugefügt.2 Demnach läßt sich der gegenwärtige Stand der Erkenntnis wie folgt zusammenfassen. Anders als es das dominierende Bild in den Medien und der Öffentlichkeit suggeriert, war im alliierten Bombenkrieg keineswegs das alttestamentarische Gesetz von Aktion und Reaktion am Werk. Vielmehr entwickelten sich die Luftangriffe auf deutsche Ziele unabhängig von dem, was die Luftwaffe in Warschau und Rotterdam, in London und Coventry angerichtet hatte. Briten und Amerikaner folgten einer eigenen Luftkriegsdoktrin, die keinen Bezug zu den vorgängigen deutschen Aktionen aufwies. Die im Krieg umgesetzten taktischen Vorgaben basierten auf konzeptionellen Überlegungen, die bereits seit langem in den Schubladen lagen und auch ohne die deutschen Luftschläge zur Ausführung gelangt wären. Deshalb können die alliierten Luftangriffe auf Deutschland nicht als Rache- oder Vergeltungsschläge eingestuft werden. Zweitens: Die Einsatzdoktrin, nach der die Angriffe der Royal Air Force (RAF) und der amerikanischen Bomberflotte (USAAF) geflogen wurden, unterschied sich in strategischer Anlage und taktischer Realisierung fundamental. Im Visier der amerikanischen Piloten stand die Schwächung der deutschen Kampfkraft. Die britischen Luftkrieger zielten auf die Untergrabung der Kampfmoral der Zivilbevölkerung mit der Perspektive von Aufstand und Rebellion, von Einschüchterung und psychischer Zermürbung. Deswegen richtete sich das bei Tageslicht erfolgende „strategic bombing“ der USAAF gegen wehrwirtschaftliche Ziele: gegen Flugzeugund Motorenwerke, Straßen- und Eisenbahnknotenpunkte, Rüstungszentren, Öl1 Air Marshal John Slessor an Air Vice Marshal Arthur Longmore, 21. 10. 1943, National Archives, Kew, London [im folgenden NA], AIR 75/114. 2 V. a. Richard Overy, Der Bombenkrieg. Europa 1939 – 1945, Berlin 2014; Martin Böhm, Die Royal Air Force und der Luftkrieg 1922 – 1945. Personelle, kognitive und konzeptionelle Kontinuitäten und Entwicklungen, Paderborn 2015; Falko Bell, Britische Feindaufklärung im Zweiten Weltkrieg. Stellenwert und Wirkung der „Human Intelligence“ in der britischen Kriegführung 1939 – 1945, Paderborn 2016.
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raffinerien und Hydrierwerke. Die nächtlichen Angriffe der RAF hatten dagegen, gemäß der Doktrin des „morale bombing“, vorwiegend die Städte und Ballungszentren im Innern des Reiches im Blick. In Form eines „dehousing“-Konzepts sollte die lebensnotwendige Infrastruktur in den Wohngebieten zerstört und damit die Moral und der Durchhaltewillen der Zivilbevölkerung gebrochen werden. Drittens: Diese Strategie der RAF weist eine ins Auge stechende Kontinuität auf. Sie reicht von der Aufstands- und Terrorbekämpfung der zwanziger Jahre in den Krisenzonen des Empires bis zum Beginn des großflächigen Bombardements von zivilen Zentren im Zweiten Weltkrieg. Der Oberkommandierende der britischen Luftwaffe, General Hugh Trenchard, hatte bereits in den zwanziger Jahren die sog. „Trenchard Doktrin“ geprägt und diese auf die bündige Formel gebracht: „What is required is to produce the greatest moral effect on the maximum number of people.“3 Diese Zielvorgabe wurde bei der Niederschlagung von Rebellionen in den britischen Kolonialgebieten im Rahmen eines „Air-Policing-Konzepts“ gegen die schutzlose Zivilbevölkerung erstmals erprobt. In diesen Kolonialkriegen aus der Luft verdiente sich die gesamte spätere Führungsspitze der RAF ihre Sporen als Piloten im Kampfeinsatz. Somit ergibt sich eine direkte personelle wie taktische Kontinuitätslinie von der Pazifizierung von Aufstandszonen im Empire durch Terror aus der Luft zu den nächtlichen Massenbombardements der deutschen Innenstädte im Zweiten Weltkrieg. Viertens ergab die Auswertung der Akten der britischen Nachrichtendienste einen erstaunlichen Befund. Den Entscheidungsträgern in London war seit Ende 1943 klar, daß das „morale bombing“ eine stumpfe Waffe war. Die Geheimdienstberichte wiesen mit sich verstärkender Tendenz immer wieder darauf hin, daß die persistente Bombardierung deutscher Innenstädte nicht geeignet sei, um die Zivilbevölkerung zu demoralisieren oder gar zum Aufstand gegen das NS-Regime aufzustacheln. Zwar seien, so ein Bericht des Joint Intelligence Committee vom Frühjahr 1944, in Deutschland mittlerweile mehr als 1,5 Millionen Häuser zerstört, etwa 5,5 Millionen Bewohner ausgebombt und jeder fünfte Einwohner obdachlos gemacht worden.4 Hierdurch werde aber weder der Kampfwillen an der Front geschmälert noch sei irgendeine kriegsverkürzende Wirkung zu erwarten.5 Ungeachtet dieser ernüchternden Erkenntnis steigerte sich das Bomber Command in den letzten Kriegsmonaten in einen wahren Vernichtungsrausch hinein, bis nahezu jede deutsche Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern zerstört war. Obschon man seit dem Herbst 1944 die Lufthoheit besaß und die deutsche Nachtjagd sowie die Flakabwehr so gut wie ausfielen, ging der Feuersturm unvermindert weiter. 3 Anmerkungen Trenchards zu seinem Memorandum „The Correct Objective for an Air Force“, Ende Mai / Anfang Juni 1928, NA, AIR 5/328, „Enclosure 16 A“. 4 „Effects of the Bombing Offensive on the German War Effort“, Report by the Joint Intelligence Sub-Committee, 4. 3. 1944, NA, CAB 79/71/20 J.I.C.(44)80. 5 So auch in „Allied Air Attacks and German Morale“, A.C.A.S.(I), 11. 3. 1944, NA, AIR 14/843.
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Zwischen Januar und Mai 1945 wurden im Tagesschnitt mehr als 1000 Zivilisten getötet. Jetzt belief sich die abgeworfene Bombenlast über Deutschland auf das Dreifache derjenigen der ersten drei Kriegsjahre. Dies führt auf die beiden Untersuchungsgegenstände des vorliegenden Beitrags. Zum einen die ins Auge springende Frage: Weshalb zündete man in London im Spätsommer 1944 mit der Operation „Thunderclap“ eine neue Eskalationsstufe? Und warum war keine rationale Analyse imstande, ein taktisches Umdenken zu erbringen? Die in der Literatur hierauf gegebenen Antworten sind wenig valide, da sie auf Mutmaßungen, Motivforschung und Spekulationen beruhen. Dies gilt für die „Kontinuitätstheorie“, wonach die politischen und militärischen Entscheidungsträger unverändert von der Schlagkraft und kriegswichtigen Bedeutung des „morale bombing“ überzeugt waren.6 Es gilt für die „Kontrollverlusttheorie“, der zufolge sich die britische Terrormaschinerie von jedweder Rationalität gelöst hatte und der britische Luftwaffenstab zum Gefangenen seiner eigenen Praktiken geworden war.7 Und es gilt für die „Allianztheorie“, die die ungebrochene Kontinuität der Strategie auf das Bestreben zurückführt, eine Korsettstange in die Allianz mit Stalin einzuziehen, den eigenen Beitrag zum Sieg der „Anti-Hitler“-Koalition herauszustreichen und damit das Gewicht Englands bei der Gestaltung der Nachkriegswelt nachhaltig zu stärken.8 Die zweite Frage betrifft den Beginn des Terrorluftkriegs gegen die Zivilisten und die Innenstädte, dessen genaue Hintergründe und politisch-strategische Motive schon deshalb undurchsichtig sind, weil kein direkter Weg vom „Blitz“ über England zum Feuersturm über Deutschland führte. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß der Chef des Bomber Command, Air Chief Marshal Edgar Ludlow-Hewitt, schon wenige Tage nach Kriegsausbruch 1939 den Premierminister 6
Rainer F. Schmidt, „Fishcode ,Bleak‘“ – Die Strategie des „morale bombing“ im Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung Würzburgs, in: Frankenland 2 (2010), S. 1 – 14; Overy, Bombenkrieg (Anm. 2), S. 545 f., Richard Overy, Making and Breaking Morale: British Political Warfare and Bomber Command in the Second World War, in: 20th Century British History 26,3 (2015), S. 370 – 399, hier 390; Mark Connelly, Reaching for the Stars. A New History of Bomber Command in World War II, London 2001, S. 160 f.; Bell, Feindaufklärung (Anm. 2), S. 333; Böhm, Royal Air Force (Anm. 2), S. 352 f.; Olaf Groehler, Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, S. 404. 7 Horst Boog, Die strategische Bomberoffensive der Alliierten gegen Deutschland und die Reichsluftverteidigung in der Schlußphase des Krieges, in: Rolf-Dieter Müller (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 10/1, München 2008, S. 777 – 885, hier 782 ff.; Anthony C. Grayling, Among the Dead Cities. Is the Targeting of Civilians in War Ever Justified?, London 2006, S. 169 ff.; Robin Neillands, Der Krieg der Bomber. Arthur Harris und die Bomberoffensive der Alliierten 1939 – 1945, Berlin 2002, S. 363 ff. 8 Groehler, Bombenkrieg (Anm. 6), S. 322 – 341; Max Hastings, Bomber Command, London 2010, S. 444 f.; Frederick Taylor, Strategische Bedeutung des alliierten Bombenkrieges. Der Umgang mit dem Verhängnis, in: Lothar Fritze/Thomas Widera (Hrsg.), Alliierter Bombenkrieg. Das Beispiel Dresden, Göttingen 2005, S. 33 – 55, hier 47 f.; Alexander McKee, The Devil’s Tinderbox. Dresden 1945, London 2000, S. 105; Jörg Friedrich, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940 – 1945, München 2002, S. 108.
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bestürmte, mit sofortigen Luftschlägen gegen Deutschland zu beginnen. Man werde, so hieß es in dem Schreiben an Neville Chamberlain, um „schwere Verluste in der Zivilbevölkerung“ nicht herumkommen.9 Chamberlain aber verweigerte seine Zustimmung und hielt die Terrorluftkrieger an der kurzen Leine. „Wie weit andere auch gehen mögen“, so beschied er sie vor dem Unterhaus, „die Regierung Seiner Majestät wird niemals aus reinem Terrorismus absichtlich Frauen, Kinder und Zivilisten angreifen“.10 Das Bomber Command wurde lediglich ermächtigt, Flugblätter über Deutschland abzuwerfen. Man hielt somit eisern an den sog. „Air Ministry Instructions“11 an die Einheiten der RAF fest, die alle Bombardierungen untersagten, bei denen zivile Verluste oder auch nur Kollateralschäden von Zivilisten zu erwarten waren. An dieser strikten Linie änderte sich bis zum Beginn des Westfeldzugs der Wehrmacht nichts. Noch Ende April 1940 versicherte Luftfahrtminister Samuel Hoare der britischen Öffentlichkeit: „Wir werden keine offenen Städte bombardieren. Wir werden nicht versuchen, die Deutschen durch Terrorangriffe auf ihre Frauen und Kinder zu besiegen.“12 Welcher Faktor war mithin ausschlaggebend für den radikalen Kurswechsel und den Anfang der Apokalypse über Deutschland? Der immer wieder bemühte Verweis auf das Zerstörungswerk der Luftwaffe in England oder die Absichten Hitlers geht fehl. Denn Hitler hatte sich bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 in einer Botschaft an Roosevelt festgelegt, keinesfalls Luftschläge gegen zivile Ziele zu führen.13 So stand es auch in seiner Weisung Nr. 13 vom 24. Mai 1940 für die Führung des Westkrieges,14 der sich vorwiegend gegen wehrwirtschaftliche Ziele richtete: gegen Versorgungsanlagen, Häfen und Flughäfen, Docks und Fabriken. Und am Verzicht auf Terrorschläge aus der Luft gegen die Zivilbevölkerung hielt Hitler bis zum Beginn der sog. „Baedekerangriffe“ auf kulturhistorisch wertvolle britische Städte im April 1942 fest.15 Aber auch Hitlers Rede zur Eröffnung des Winterhilfswerks am 4. September 1940 war nicht ausschlaggebend. „Wenn sie erklären, sie werden unsere Städte in großem Ausmaß angreifen – wir werden ihre
9 Bomber Command, „Note on the Question of Relaxing the Bombardment Instructions“, 7. 9. 1939, NA, AIR 14/194. 10 H.M. Stationary Office (Hrsg.): Commons and Lords Hansard, House of Commons, HC Debate 27. 9. 1939, vol. 351, col. 1310. 11 „Air Ministry Instructions and Notes on the Rules to be observed by the Royal Air Force in War“, 22. 8. 1939, NA, AIR 41/5. 12 Radioansprache Hoares, 27. 4. 1940, Templewood Papers, Cambridge University Library, XII, Akte 2. 13 Eberhard Spetzler, Luftkrieg und Menschlichkeit. Die völkerrechtliche Stellung der Zivilpersonen im Luftkrieg, Göttingen 1956, S. 232. 14 Walther Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen für die Kriegsführung 1939 – 1945, München 1965, S. 46 ff., 50 ff., 63. 15 Horst Boog, Luftwaffe und unterschiedsloser Bombenkrieg bis 1942, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Zweite Weltkrieg, München/Zürich 1989, S. 523 – 531, hier 527.
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Städte ausradieren“,16 so hatte sich der „Führer“ vernehmen lassen. Denn diese martialische Ankündigung hatte ihre Vorgeschichte, die am 10. Mai 1940 begann. Es war der Tag, als mit Winston Churchill ein neuer Premierminister in die Downing Street einzog. Churchill war noch keine Woche im Amt, als er Chamberlains Kurs schon über den Haufen warf. Das Kriegskabinett, so ließ er sich vernehmen, sei „übereinstimmend der Ansicht, zur sofortigen Tat zu schreiten und Deutschland einen harten Schlag zu versetzen. […] Jetzt sei der psychologisch richtige Moment, um die Deutschen in ihrem eigenen Land anzugreifen und sie davon zu überzeugen, daß wir sowohl den Willen wie die Macht haben, sie hart zu treffen.“17 Noch in der Nacht zum 16. Mai, lange bevor ein deutsches Flugzeug über England auftauchte, starteten 99 britische Bomber zu ihren ersten Großangriffen auf Städte im Ruhrgebiet und in Norddeutschland. Dahinter stand eine Strategie ganz eigener Prägung, die keineswegs dem Gedanken der Vergeltung entsprang. Sie zielte auf eine Operation gigantischen Ausmaßes. Daran ließ Churchill keinen Zweifel. Im Juli 1940 sprach er von dem „gewaltigen Feuer“, das man in Hitlers „Hinterhof“ entzünden werde: „Wir werden Deutschland zu einer Wüste machen, ja zu einer Wüste“.18 Eine Woche vorher hatte er seinem Minister für Flugzeugproduktion, Lord Beaverbrook, die Direktiven erteilt. Die Blockade sei eine stumpfe Waffe. „Wir verfügen über keine kontinentale Armee, die die deutsche Militärmaschinerie niederwerfen kann.“ Die einzige Waffe, um Hitler in die Knie zu zwingen, sei „ein absolut vernichtender, auf Ausrottung zielender Angriff durch sehr schwere Bomber von England aus auf das Vaterland der Nazis“.19 „Ausrottung“ – das war keine Chiffre für die Ausschaltung der deutschen Kriegsmaschinerie und Rüstungskapazität. „Ausrottung“ – das zielte schon im Juli 1940 auf die Zivilbevölkerung. Nach dem Rückzug vom Kontinent hatten die Chiefs of Staff in einem mit „General Strategy“ überschriebenen Papier den neuen Schwerpunkt festgelegt. Die Landarmee sollte nach dem Sieg über Deutschland nur noch als Besatzungsmacht fungieren. Den Sieg selbst, so hieß es in diesem Strategiepapier, sollten massive Bombenangriffe erbringen, um die Moral der Bevölkerung durch Terror aus der Luft zu untergraben und Todesangst zu verbreiten.20
16
Max Domarus, Hitler, Reden und Proklamationen 1932 – 1945, Bd. 2., Würzburg 1963, S. 1580. 17 War Cabinet Minutes, 123rd Conclusions Minute 2, 15. 5. 1940, Confidential Annex, NA, CAB 65/13/9 WM (40). 18 John Colville, Downing Street Tagebücher 1939 – 1945, Berlin 1988, S. 145 (Eintrag vom 13. 7. 1940). 19 Churchill an Beaverbrook, 8. 7. 1940, House of Lords Records Office, London, Beaverbrook Papers D 4/4/36. 20 Review by the Chiefs of Staff „General Strategy“, 31. 7. 1941, NA, CAB 80/59/1 COS(41)155(O).
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Dafür stellte man im Bomber Command umgehend die Weichen. Binnen vier Wochen fiel die Entscheidung, eine ganze Serie deutscher Großstädte in kurzen Intervallen mit konzentrierten Luftschlägen zu überziehen. Der Schwerpunkt der Bombardierungen sollte sich darauf richten, „den Willen der Zivilbevölkerung zu brechen, den Krieg fortzusetzen. Eine solche Offensive ist geeignet, raschere und entscheidendere Ergebnisse zu erbringen als eine, die sich auf die Mittel zur Kriegführung richtet.“21 Einen Tag vorher hatte der Air Staff den Beschluß gefaßt, die „Attack on German Morale“22 in Form eines großflächigen Brandbombardements in die Tat umzusetzen, und Churchill gab dafür sein ausdrückliches Plazet.23 Lange vor der bekannten „Area Bombing Directive“ an Arthur Harris vom 14. Februar 1942 hatte sich London damit seit Herbst 1940 auf folgendes festgelegt: „Es werden 20 bis 30 Städte ausgesucht. […] Alle 3 bis 4 Tage wird eine davon als militärisches Zielobjekt markiert und einem sehr massiven Angriff unterzogen. Dabei werden 50 bis 100 schwere Bomber eingesetzt, die hochexplosive, entzündliche Zeitzünderbomben und vielleicht eine Anzahl von Sprengminen mit sich führen.“24 Wie aber löste man das Problem, nicht das Odium des Kriegsverbrechers tragen zu müssen, wenn man als Erster gezielt gegen die Zivilbevölkerung vorging? Wie brachte man Hitler dazu, von seinem festen Vorsatz abzugehen, keinesfalls Luftschläge gegen zivile Ziele zu führen? Charles de Gaulle erinnerte sich an eine makabre Szene auf dem Landsitz von Chequers mit Churchill im Sommer 1940. „Ich sehe ihn heute noch, wie er […] die Faust gegen den Himmel hob und rief: ,Sie kommen also nicht!‘ – ,Haben Sie es so eilig‘, sagte ich, ,Ihre Städte in Trümmer liegen zu sehen?‘ – ,Begreifen Sie,‘ erwiderte Churchill, ,daß die Bombardierung von Oxford, Coventry und Canterbury in den Vereinigten Staaten eine solche Woge der Entrüstung aufpeitschen wird, daß sie in den Krieg eintreten werden!‘“.25 Das Kalkül, das Churchill verfolgte, war das der Provokation. Er rechnete damit, daß Hitler einen Gesichtsverlust nicht aushalten und die Nerven verlieren werde. So dachte im übrigen auch der Air Staff. Seit der Sudetenkrise hatte sich das Bomber Command mit dieser Frage beschäftigt und war zu dem Schluß gelangt, daß man die eigene Regierung und die britische Öffentlichkeit nur dann hinter sich bringen werde, wenn Deutschland im Luftkrieg gegen zivile Ziele den Anfang machte. Sobald diese Situation eingetreten sei, so hatte ein RAF-Papier vom Januar 1940 festgestellt, sei man „von jeder humanitären Rücksichtnahme befreit“.26 21
Letter Bottomley’s to Air Ministry, Bomber Command, 24. 9. 1940, NA, AIR 14/194. „Notes on Meeting held on 23rd Oct. 1940 to Discuss Bombing Policy“, NA, AIR 9/443. 23 Copy of a letter dated 26th Sept. 1940 from Prime Minister to Lord Trenchard, NA, CAB 80/19/2 COS(40)775 Annex II. 24 Charles Portal, „Review of Bombing Policy“, 30. 9. 1940, NA, AIR 14/194. 25 Charles de Gaulle, Memoiren, Bd. 1: Der Ruf, 1940 – 1942, Frankfurt 1955, S. 94 f. 26 Air Ministry to Chief of Air Staff, „Appreciation of the Attack of Germany by Night“, Plan W.A.8., Januar 1940, NA, AIR 9/422. 22
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Es lag auf der Linie dieses Vorhabens, wenn Churchill den Befehlshaber der RAF, Sir Charles Portal, Mitte Juli nach Chequers zitierte, um ihn zu beauftragen, Angriffe gegen Berlin zu fliegen, sobald sich hierfür eine Gelegenheit biete.27 Churchill mußte nur wenige Wochen warten. In der Nacht zum 25. August warf ein verirrtes deutsches Flugzeug seine Bombenlast, die für Rochester und Thameshaven bestimmt war, auf die Randgebiete der britischen Hauptstadt. Und nun handelte Churchill zielstrebig und schnell. In der folgenden Nacht wurden 89 schwere britische Bomber nach Berlin beordert. „Nachdem sie begonnen haben“, so ließ er sich gegenüber dem Generalstabschef der RAF, Air Marshal Sir Cyril Newall, vernehmen, „unsere Hauptstadt zu bedrängen, wünsche ich, daß Sie hart zurückschlagen, und Berlin ist der Ort, wo sie verwundbar sind.“28 Hitler aber reagierte nicht; ungeachtet der Tatsache, daß binnen der nächsten drei Nächte die Wohnviertel der Arbeiter am Görlitzer Bahnhof und die Berliner Siemensstadt bombardiert wurden. Ganz Berlin war, wie Goebbels in seinem Tagebuch festhielt, „in Aufruhr“. „Kolossale Wut auf die Engländer“; der „Führer“ sei „richtig geladen“. Aber er lege sich, so Goebbels, „im Augenblick noch Reserve auf“.29 Mit dieser Zurückhaltung war es am 4. September dann vorbei. Gereizt durch die Bomben auf die Wohnquartiere Berlins und unter dem Druck der Gesichtswahrung gegenüber der deutschen Öffentlichkeit, ordnete Hitler in seiner Rede im Sportpalast Vergeltung an. „Jetzt bekommt London endlich, endlich die Härte des Krieges zu verspüren. […] Mit bloßem Luftalarm kann man einer Millionenstadt nichts anhaben. Geraubter Schlaf wirft ein Volk nicht nieder. Die Demoralisation folgt erst der Verwüstung und dem Schrecken. Also los!“30 – so bilanzierte Goebbels die Tatsache, daß der Luftkrieg nun, ganz wie Churchill dies anvisiert hatte, in ein neues, verschärftes Stadium trat. Denn jetzt nahm die Luftwaffe, unter Inkaufnahme ziviler Kollateralverluste, die Londoner Docklands, das dichtbesiedelte East End und andere rüstungswirtschaftliche Zielpunkte innerhalb des Londoner Stadtgebiets ins Visier.31 Diese neue Lage machte es den Verantwortlichen in London leicht, ihre Terrorangriffe gegen die Stadtzentren vor Kritik abzuschirmen und mit einer kalkulierten Strategie der Dissimulation zu bemänteln. Konnte man das Unternehmen „Abigail 27
Agenda for Conference with Air Officer Commanding-in-Chief, Bomber Command, 21. 7. 1940, NA, TNA, AIR 14/194; vgl. auch Peter W. Gray, The Strategic Leadership and Direction of the Royal Air Force Strategic Air Offensive against Germany from inception to 1945, Birmingham 2012, S. 170; Harvey B. Tress, Churchill, the First Berlin Raids, and the Blitz: A New Interpretation, in: MGM 2 (1982), S. 65 – 78, hier 67. 28 Colville, Tagebücher (Anm. 18), S. 168 (Eintrag vom 26. 8. 1940); Protokoll Bottomley’s, 26. 8. 1940, NA, AIR 14/775. 29 Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, Teil I: Aufzeichnungen 1924 – 1941, Bd. IV: 1. 1. 1940 – 8. 7. 1941, München u. a. 1987, S. 296 (27. 8. 1940), 301 (30. 8. 1940), 308 (5. 9. 1940). 30 Ebd., S. 310 (6. 9. 1940). 31 Overy, Bombenkrieg (Anm. 2), S. 139.
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Rachel“ gegen Mannheim vom 16. Dezember 1940, in dem das Brandbomben seine Feuertaufe erhalten hatte, noch als Vergeltungsschlag für Coventry tarnen, so wurde es mit jedem Angriff schwieriger, nicht in den Verdacht zu geraten, selbst das Kriegsrecht zu brechen. Das Problem war so drängend, daß Portal die gesamte Führungsspitze der RAF zusammentrommelte und in Anwesenheit des fast 70jährigen Hugh Trenchard eine Lösung suchte. Sie bestand darin, vorrangig stadtnahe Bahnhöfe und Eisenbahnknotenpunkte anzugreifen, die die Gewähr boten, maximale Verluste unter der Zivilbevölkerung anzurichten. „[…] das hauptsächliche Ziel der Bomberwaffe“, so der gefaßte Beschluß, „sollte die Brechung der Moral der deutschen Bevölkerung sein, und dies könne durch Angriffe auf geeignete Verkehrsziele erreicht werden […].“32 Der Zustimmung Churchills konnte man gewiß sein. Ja, der Premierminister trieb die Luftkrieger immer wieder zur Tat und verlangte, möglichst bald zu systematischen Angriffen auf Bevölkerungszentren überzugehen.33 Die Gründe waren offensichtlich. Als politischer Außenseiter und beständiger Mahner ohne Hausmacht hatte Churchill nur die Rhetorik von markiger Entschlossenheit und trutzigem Widerstand zu bieten. Denjenigen Briten, die die für London verfahrene Kriegslage realistisch einschätzten, galt er als populistischer Schwadroneur und Zweckoptimist, der vor dem Ernst der Lage die Augen verschloß. Mithin war es das nagende Glaubwürdigkeitsproblem und die Notwendigkeit, greifbare Erfolge im Kampf gegen Hitler bieten zu müssen, wenn der Premierminister dem Bomber Command freie Hand gab. Siegeszuversicht und Durchhaltewillen verlangten nach Beweisen für die vielbeschworene Unbeugsamkeit. Zum anderen zielte der entfesselte Bombenkrieg nicht nur auf Zerstörung. Er zielte auch auf Stabilität. Er zementierte Churchills eigene Position. Er ließ alle Zweifler zu Beckmessern und Randfiguren werden. Und der sich einfressende Terrorluftkrieg gegen die Zivilbevölkerung verschüttete alle Möglichkeiten eines Verständigungsfriedens. Churchill war von jeher der Mann der Härte und des Krieges gegen Hitlerdeutschland gewesen. Der Krieg hatte ihn in die Downing Street gebracht; und nur der Krieg konnte ihn dort halten. Tatsächlich wuchs mit jedem Luftangriff die Popularität des Mannes mit dem Victory-Gruß. Von ihm versprachen sich die Briten Rettung und Rache für die Zerstörungen, die sie selbst erleiden mußten. Tausende von Babys, die im deutschen Bombenhagel zur Welt kamen, wurden nach ihrem Hoffnungsträger benannt.34 Der kleine John Winston Lennon, geboren am 9. Oktober 1940, der später als Beatle berühmt werden sollte, war eines davon. 32 „Minutes of a Meeting held by C.A.S. to discuss Bombing Policy“, 2. 6. 1941, NA, AIR 14/776. 33 „The Present War situation mainly in so far as it relates to Air“, 21. 6. 1941, NA, CAB 80/ 58 COS(41)114(O). 34 Stephan Burgdorff/Christian Habbe (Hrsg.), Als Feuer vom Himmel fiel. Der Bombenkrieg in Deutschland, Bonn 2004, S. 26.
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Nach Beginn des Rußlandfeldzugs kam ein weiteres Motiv hinzu. Der Terrorluftkrieg wurde zur Achse der Kriegsallianz mit Stalin. Auch nach dem Steckenbleiben der deutschen Offensive im Winter 1941 verlor die Rote Armee jeden Tag mehr als 10.000 Mann. Unablässig drängte Stalin auf eine Entlastungsfront im Westen. Seit dem Frühjahr 1942 stand fest, daß dieser Appell bei Churchill ins Leere lief. Wenn genau jetzt der Bombenkrieg in sein verschärftes Stadium trat, dann war dies kein Zufall. Um Stalin zu besänftigen, eilte Churchill im Oktober 1944 persönlich nach Moskau. Die Atmosphäre war eisig. Stalins Laune hellte sich erst auf, als Churchill im Kreml ankündigte: Die RAF werde „nahezu jede Wohnung in fast jeder deutschen Stadt“ zerstören. Diese Worte, so vermerkt das Protokoll, hatten eine stimulierende Wirkung: „M. Stalin smiled and said that would not be bad“.35 Monat für Monat wurde Stalin penibel darüber informiert, wie groß die Bombenlast war, die die RAF über Deutschland abgeladen hatte. Es bleibt die erste Frage: Warum nahm das Brandbomben der RAF in den letzten Monaten des Krieges geradezu apokalyptische Dimensionen an? Die Antwort darauf liegt weder in kriegstechnischen Zwängen noch in der Verselbständigung der Strategie; und auch Allianzüberlegungen oder die Fortschreibung der britischen Großmachtrolle waren nicht ursächlich. Entscheidend war ein Strategie- und Zielwechsel im Terrorluftkrieg, der sich seit dem Sommer 1944 vollzog und der das Zerstörungswerk mit einem neuen Motiv legitimierte. Demnach sollten Strafbombardierungen in großem Stil die Deutschen für die Nachkriegszeit so nachhaltig einschüchtern, ja unter Schock setzen, daß ihnen ein abermaliger Griff zu den Waffen gründlich ausgetrieben und eine permanente Niederhaltung und Pazifizierung des Landes sichergestellt werden konnten.36 Eine der ersten Stimmen, die dieses neue Kalkül artikulierten, kam vom Planungsdirektor des Air Staff, Air-Marshal Sir John Slessor, dessen Erfahrungen analog zu seinen Kollegen im „air policing“ der britischen Kolonialkriege gereift waren. Dort hatte man mittels eines verheerenden Bombenterrors gegen die Zivilbevölkerung für eine effiziente Befriedung der Aufstandsgebiete gesorgt. Im PostHostilities Planning Committee brachte Slessor diese neue Einsatzdoktrin der Bomberverbände präzise auf den Punkt. Man könne, so sein Argument, durch die Ausweitung und Steigerung der Angriffe auf Wohngebiete dafür sorgen, daß „Deutschland nie mehr in der Lage sein werde, seine zivilisierten Nachbarstaaten zu terrorisieren und zu unterjochen“. Auf diese Weise habe man schon in der Zwischenkriegszeit die aufsässigen Völker im Empire zur Räson gebracht. Der einzige Unterschied bestehe „in der Erkenntnis, daß auch der Hunne zu den unterent35 Lothar Kettenacker, Churchills Dilemma, in: Ders. (Hrsg.), Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940 – 45, Berlin 2003, S. 48 – 55, hier 53. 36 So die erstmals archivalisch fundierte These meines Schülers Lukas Willmy, dessen Dissertation mit dem Titel „Operation Donnerschlag. Imperiale Aufstandsbekämpfung aus der Luft und das ,Morale Bombing‘ deutscher Städte durch die britische Royal Air Force 1945“ im kommenden Frühjahr im Wallstein Verlag erscheint. Dieser Arbeit verdanke ich die folgenden Quellenangaben.
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wickelten Völkern zähle und daß deshalb für ihn die gleichen Gesetze und Verfahrensweisen in Anschlag gebracht werden müßten, wie für die Volksstämme in Pakistan und Afghanistan“.37 Der Director of Bombing Operations, Sidney Bufton, griff Slessors Idee auf und setzte sie in die Tat um. Im Sommer 1944 entwickelte er die Planungen zur Operation „Thunderclap“, deren ausdrückliche strategische Intention darin bestand, in Deutschland einen lang andauernden, kollektiven Schockeffekt unter der Bevölkerung auszulösen. „Der Angriff muß mit solcher Wucht geführt werden, daß für die Menschen, die im Zielgebiet wohnen, ein nahezu hundertprozentiges Todesrisiko besteht. […] Die Gesamtstärke des Angriffs muß so bemessen sein, daß seine Wirkung einem nationalen Desaster gleichkommt. Dementsprechend sollte das gewählte Objekt die Gewähr bieten, bei der gesamten Bevölkerung einen maximalen Effekt zu erzielen, sowohl was deren persönliche wie traditionelle Lebensumstände angeht. Jegliche Erwägungen, wirtschaftliche Einrichtungen zu zerstören, müssen demgegenüber zurückstehen und dürfen die Zielauswahl nicht beeinflussen.“38 14 Tage später wies Bufton auch auf die einschüchternden Nachkriegswirkungen der massiven Bombardierungen hin: „Ein spektakulärer und endgültiger Schlag wird der deutschen Bevölkerung eine Lehre von bleibendem Wert in der Nachkriegszeit sein, was die Konsequenzen einer weltweiten Aggression angeht. […] Ein solcher Nachweis würde die Aufgabe, die besetzten Gebiete weitgehend mit Hilfe von Luftstreitkräften zu überwachen, spürbar erleichtern.“39 Es war Charles Portal, der Oberbefehlshaber der RAF, der hieraus eine neue Zielkonzeption entwickelte, als er die bislang angestellten Überlegungen im Air Staff zusammenführte.40 Dabei nahm er explizit gegen alle Alternativmodelle der weiteren Luftkriegsführung Stellung, etwa den vom Deputy Supreme Commander der RAF, Arthur Tedder, vertretenen operativen Neuansatz eines „selective targeting“, den die USAAF favorisiert hatte.41 Portals Anweisungen gaben der Operation „Thunderclap“ grünes Licht, die mit Unterstützung Churchills sowie des Generalstabschefs des Heeres Sir Alan Brooke, zur offiziellen Linie der britischen Bombenkriegsführung in den letzten Kriegsmonaten erhoben wurde.42 Der Paradigmenwechsel des „morale bombing“ hatte damit konkrete Gestalt angenommen. Die fortdauernde Massenzerstörung deutscher Städte, die Steigerung 37 John Slessor an Arthur Longmore, Air Ministry, Post-Hostilities Planning Committee, 21. 10. 1943, NA, AIR 75/114. 38 Sidney Bufton, „Attack on German Civilian Morale“, 1. 8. 1944, NA, AIR 8/1229. 39 Sidney Bufton, „Attack on the German Government Machine“. Outline Plan by Joint Planning Staff JP(44)203(O), 15. 8. 1944, NA, AIR 20/4831. 40 „The Future of the R.A.F. in Relation to the Present Manpower Problems“, Directorate of Plans, Air Staff, 11. 6. 1944, NA, AIR 9/177. 41 Arthur Tedder, „Notes on Air Policy to be adopted with a View to Rapid Defeat of Germany“, 26. 10. 1944, NA, AIR 8/1745. 42 Churchill an Archibald Sinclair, 26. 1. 1945, NA, PREM 3/12.
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des Terrors gegenüber der Zivilbevölkerung sowie die Demonstration grenzenloser Zerstörungskapazität der Bomber sei, so führte Portal aus, „ein höchst effizientes Instrument, um mit jeder widerspenstigen Stadt oder jedem aufsässigen Gebiet in Deutschland fertig zu werden. Auf diese Weise wird es uns tatsächlich möglich sein, diese zu isolieren, sie von der Strom-, Gas- und Wasserversorgung abzuschneiden und schließlich sogar wiederaufgebaute Regionen nach einer voraufgegangenen Warnung erneut zu zerstören.“ Die Eskalierung des Luftkriegsterrors, so Portal weiter, wird dazu führen, daß „die Deutschen vor unseren Luftstreitkräften, einen sehr gesunden Respekt bekommen werden. Aus diesem Grund kann man die Wirkung, die die bloße Demonstration unserer Luftmacht auf die Bevölkerung von vollkommen schutzlosen deutschen Städten ausübt, gar nicht hoch genug veranschlagen.“43 Portals Argumentation war auch deshalb so schlagend, weil die Vorteile dieser „air control“ eines besiegten Nachkriegsdeutschlands offen auf der Hand lagen. In einem Memorandum von Ende Juli 194444 hatte man im Air Staff die politische und militärstrategische Dividende zusammengetragen. Mit der Fortsetzung des Zerstörungswerks erteile man den Deutschen eine nachhaltige Lektion, die nicht nur das Aufkommen einer abermaligen „Dolchstoßlegende“ und die Gefahr eines neuerlichen deutschen Revanchismus verhindere. Zugleich banne man das Trauma, das den britischen Militärs seit dem zweiten Burenkrieg im Kopf herumspukte: die Entstehung eines langwierigen und verlustreichen Guerilla- und Partisanenkriegs. Darüber hinaus reduziere sich die Stärke einer britischen Besatzungsarmee im Zonendeutschland, man senke die Kosten einer Okkupation für den britischen Staatshaushalt und schone die eigenen, beschränkten Ressourcen in maximalem Maßstab. Schließlich, daraus machten die Luftkriegsstrategen keinen Hehl, verschaffe man der RAF mit dieser Rolle als fliegender Imperialgendarmerie über einem besetzten Deutschland eine fortdauernde Bedeutung in der Nachkriegswelt und sichere ihr einen gewichtigen Anteil am künftigen Militärbudget. Mit dieser Weichenstellung im „morale bombing“ vom Sommer 1944 waren alle Dämme gebrochen. Jetzt zog sich die Feuerspur quer durch ganz Deutschland. Jetzt richteten sich die Luftschläge gegen alle noch unzerstörten Städte im deutschen Reichsgebiet. Und jetzt war Portals Prophetie von Ende 1942 kein Hirngespinst mehr, als er vorhergesagt hatte, daß mindestens eine knappe Million deutscher Zivilisten den Bombenterror nicht überleben würden.45 Ungeachtet der Tatsache, daß das Joint Intelligence Committee Ende Januar 1945 erneut darauf hingewiesen hatte, nicht Terrorbombardierungen, sondern nur die Abschneidung der Wehrmacht
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Minute Chief of the Air Staff, Charles Portal, 14. 7. 1944, NA, AIR 8/813. „The Military Occupation of Developed Countries after Defeat“, 27. 7. 1944, NA, WO 193/289. 45 „An Estimate of the Effects of an Anglo-American Bomber Offensive Against Germany“, Note by the Chief of the Air Staff, 3. 11. 1942, NA, CAB 80/65/4 COS(42)379(O). 44
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von ihren Kampfressourcen könnte den Krieg rasch zu Ende bringen,46 stellte der Air Staff eine Woche später klar: „Da eine solche Operation vorwiegend der Brechung der Moral und psychischen Zwecken dient, kommt es darauf an, daß sich das Angriffsziel eben hierauf richtet und nicht etwa die Vororte der Innenstädte oder Panzerfabriken, Flugzeugwerke etc. ins Visier genommen werden.“47 Ausdrücklich gerieten nun die mit Flüchtlingen übersäten Zentren, wie Leipzig, Dresden, Chemnitz, Halle, Erfurt und Magdeburg, in den Fokus, sowie weitere 17 sogenannte „Ausweichziele“,48 um dort „durch eine ganze Serie schwerer Angriffe am Tag und in der Nacht […] chaotische Zustände zu erzeugen“.49 Erst Ende März 1945, nach dem Terrorangriff auf Würzburg, bei dem die Zerstörungsquote bei 89 Prozent lag und rund 5000 Tote zu beklagen waren, ging Churchill vorsichtig auf Distanz – allerdings nicht aus humanitären Erwägungen.50 „Mir scheint, der Moment ist gekommen, in dem die Bombardierung deutscher Städte nur zu dem Zweck gesteigerten Terrors […] überdacht werden sollte“, so ermahnte er Portal. „Ich glaube, es ist notwendig, daß wir uns mehr auf präzise militärische Ziele konzentrieren […] als darauf, Terrorakte zu begehen und mutwillig Zerstörungen anzurichten, gleichgültig wie beeindruckend diese auch sein mögen.“51 Den aufgebrachten Militärs um Portal gelang postwendend die Entschärfung der Maßregelung durch den Premierminister. Binnen weniger Tage zog Churchill seinen Tadel zurück und entschärfte die Formulierungen seiner Botschaft durch den Verweis auf die angeblich militärstrategische Intention des Luftkriegs. In der redigierten Neufassung war nun weder von Terrorangriffen auf die Städte noch von der gewünschten Zielverschiebung auf militärische Objekte mehr die Rede.52 Der Chef des Bomber Commands, Arthur Harris, bilanzierte denn auch befriedigt,
46 „German Strategy and Capacity to Resist“, Report by the Joint Intelligence Sub-Committee, 21. 1. 1945, NA, PREM 3/193/6 A JIC(45)22(O)(Final). 47 „Strategic Bombing in Relation to the Present Russian Offensive“. Note by the Air Staff with particular reference to J.I.C.(45)31(O)/Final dated 25th Jan. 1945, 26. 1. 1945, NA, AIR 20/3361. 48 „Combined Strategic Targets Committee. Minutes of the 17th Meeting held in Air Ministry“, 7. 2. 1945, sowie „Appendix to the Minutes of the 17th Meeting“, 7. 2. 1945, NA, AIR 40/1269. 49 „Strategic Bombing in Relation to the Present Russian Offensive“, 26. 1. 1945, NA, AIR 20/3361. 50 Kurz zuvor hatte der Labour-Abgeordnete Richard Stokes die Regierung im Unterhaus eines „mass and indiscriminate slaughter from the air“ bezichtigt, House of Commons Debate (Anm. 10), 6. 3. 1945, vol. 408, col. 1901. 51 Churchill an Portal, 28. 3. 1945, NA, CAB 120/303. 52 „It seems to me that the moment has come when the question of the so called ,area bombing‘ of German cities should be reviewed from the point of view of our own interests. […] We must see to it that our attacks do not do more harm to ourselves in the long run than they do to the enemy’s immediate war effort […],“ Bombing Policy. Minute by the Prime Minister, 2. 4. 1945, NA, AIR 20/3725 COS(45)233(O).
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daß man weiterhin freie Hand besaß, auch diejenigen „wenigen Städte auszulöschen, die noch mehr oder weniger bewohnbar sind“.53 Die Vernichtungsmaschinerie der RAF lief bis in die letzten Kriegstage unvermindert weiter auf Hochtouren. Anders als bei den Amerikanern, die ihren „Morgenthau-Plan“ längst begraben hatten, war auf britischer Seite eine analoge Einsicht in die Irrationalität des Handelns nicht vorhanden. Vielmehr muß man konstatieren, daß es Churchill, Portal und ihrem Exekutor Harris mit dem „morale bombing“ tatsächlich gelang, den besiegten Deutschen jegliche Neigung, wieder zu den Waffen zu greifen, gründlich abzugewöhnen. Der britische Bombenterror impfte den Nachkriegsgenerationen einen tiefsitzenden Pazifismus ein, der bis in unsere Tage reicht. Für das historisch gebrochene Selbstverständnis der Nation kommt dem „morale bombing“ damit eine nahezu analoge Bedeutung zu wie die, den die Verbrechen und Schrecken des nationalsozialistischen Regimes hinterlassen haben.
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Harris an Bottomley, 29. 3. 1945, Royal Air Force Museum, Harris Papers, H 98.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen und Rezensionen von Hans-Christof Kraus (Stand: Mai 2023)* 1986 1. Rez. von: Ekkehard Verchau, Theodor Fontane. Individuum und Gesellschaft, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1983, in: ZRelGG 38 (1986), S. 66 – 68. 2. Rez. von: Wilhelm Kreutz, Die Deutschen und Ulrich von Hutten. Rezeption von Autor und Werk seit dem 16. Jahrhundert, München 1984, in: ZRelGG 38 (1986), S. 86 – 89.
1987 3. Das preußische Königtum und Friedrich Wilhelm IV. aus der Sicht Ernst Ludwig von Gerlachs, in: Otto Büsch (Hrsg.), Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 62), Berlin 1987, S. 48 – 93; zugleich in: JbGMOD 36 (1987), S. 48 – 93.
1988 4. Rez. von: Kurt Ruh, Meister Eckhart. Theologe – Prediger – Mystiker, München 1985, in: ZRelGG 40 (1988), S. 92 f. 5. Rez. von: Michael Schneider, Demokratie in Gefahr? Der Konflikt um die Notstandsgesetze (1958 – 1968), Bonn 1986, in: Der Staat 27 (1988), S. 639 f. 6. Rez. von: Francis L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, Frankfurt a. M. 1988, in: JbGMOD 37 (1988), S. 210 f.
1989 7. Konservatismus im Widerstreit. Zur neueren Literatur über seine Geschichte und Theorie, in: Der Staat 28 (1989), S. 225 – 249. 8. Zwischen Polemik und Wissenschaft. Neue Literatur über Carl Schmitt, in: ZRelGG 41 (1989), S. 175 – 178. 9. Rez. von: Henning Ottmann, Politik und Philosophie bei Nietzsche, Berlin/New York 1987, in: Der Staat 28 (1989), S. 443 – 446. * Für die Zusammenstellung und Ordnung des Schriftenverzeichnisses danken die Herausgeber dem Jubilar. Es gilt jeweils das tatsächliche Erscheinungsjahr einer Publikation.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
10. Rez. von: Jürgen von Gerlach, Leopold von Gerlach 1757 – 1813 – Leben und Gestalt des ersten Berliner Oberbürgermeisters und vormaligen kurmärkischen Kammerpräsidenten, Berlin 1987, in: HZ 249 (1989), S. 428 f.
1990 11. Ursprung und Genese der „Lückentheorie“ im preußischen Verfassungskonflikt, in: Der Staat 29 (1990), S. 209 – 234. 12. Carl Ernst Jarcke und der katholische Konservatismus im Vormärz, in: HJb 110 (1990), S. 409 – 445. 13. Aktualität und Grenzen der Fachtradition. Neue Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft, in: ZRelGG 42 (1990), S. 72 – 79. 14. Rez. von: Wolfgang Schwentker, Konservative Vereine und Revolution in Preußen 1848/49, Düsseldorf 1988, in: Der Staat 29 (1990), S. 147 – 150. 15. Rez. von: Klaus-Jürgen Matz, Reinhold Maier (1889 – 1971), Düsseldorf 1989, in: Der Staat 29 (1990), S. 151 – 153. 16. Rez. von: Detlef Felken, Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur, München 1988, in: HZ 250 (1990), S. 460 f. 17. Rez. von: Hans-Georg Aschoff, Welfische Bewegung und politischer Katholizismus 1866 – 1918, Düsseldorf 1987, in: Der Staat 29 (1990), S. 309 – 312. 18. Rez. von: Louis Dupeux, „Nationalbolschewismus“ in Deutschland, München 1985, in: ZRelGG 42 (1990), S. 189 f. 19. Rez. von: Österreich im Zeitalter der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. Internationales Symposion in Wien 1980, Bde. I–II, Wien 1985, in: ZRelGG 42 (1990), S. 190 f. 20. Rez. von: Dorothee Buchhaas-Birkholz (Hrsg.), „Zum politischen Weg unseres Volkes“. Politische Leitbilder und Vorstellungen im deutschen Protestantismus 1945 – 1952, Düsseldorf 1989, in: Der Staat 29 (1990), S. 468 – 471. 21. Rez. von: Jean-Jacques Langendorf (Hrsg.), Pamphletisten und Theoretiker der Gegenrevolution (1789 – 1799), München 1989, in: HZ 251 (1990), S. 448 f. 22. Rez. von: Wilhelm Füßl, Professor in der Politik: Friedrich Julius Stahl (1802 – 1861). Das monarchische Prinzip und seine Umsetzung in die parlamentarische Praxis, Göttingen 1988, in: HZ 251 (1990), S. 455 f. 23. Rez. von: Tilman Mayer (Hrsg.), Jakob Kaiser. Gewerkschafter und Patriot. Eine Werkauswahl, Köln 1988, in: Der Staat 29 (1990), S. 479 f. 24. Rez. von: Wolfram Siemann, Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849 – 1871, Frankfurt a. M. 1990, in: JbGMOD 39 (1990), S. 362 f.
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1991 25. Zum Verhältnis von politischer Ideen- und Sozialgeschichte. Bemerkungen zu Robert M. Berdahl: „The Politics of the Prussian Nobility“, Princeton 1988, in: Der Staat 30 (1991), S. 269 – 278. 26. Vom Scheitern eines Ideals. Zu Lothar Galls „Bürgertum in Deutschland“, in: ZRelGG 43 (1991), S. 365 – 369. 27. Rez. von: Frank-Lothar Kroll, Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik, Berlin 1990, in: Der Staat 30 (1991), S. 309 – 313. 28. Rez. von: Walter Bußmann, Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1990; Malve Gräfin Rothkirch, Der „Romantiker“ auf dem Preußenthron. Porträt König Friedrich Wilhelms IV., Düsseldorf 1990, in: Der Staat 30 (1991), S. 313 – 316. 29. Rez. von: Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus, Frankfurt a. M./New York 1989, in: Der Staat 30 (1991), S. 317 f. 30. Rez. von: Richard A. Lebrun, Joseph de Maistre. An Intellectual Militant, Kingston/Montreal 1988, in: HZ 253 (1991), S. 396. 31. Rez. von: Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schwentker (Hrsg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen/Zürich 1988, in: ZRelGG 43 (1991), S. 376 – 378. 32. Rez. von: Franz Greß/Hans-Gerd Jaschke/Klaus Schönekäs, Neue Rechte und Rechtsextremismus in Europa, Opladen 1990, in: Der Staat 30 (1991), S. 481 f.
1992 33. Leopold von Gerlach – Ein Rußlandanwalt, in: Mechthild Keller (Hrsg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht – 19. Jahrhundert: Von der Jahrhundertwende bis zur Reichsgründung (1800 – 1871) (West-östliche Spiegelungen, A, 3), München 1992, S. 636 – 661. 34. Bürgerlicher Aufstieg und adeliger Konservatismus. Zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte einer preußischen Familie im 19. Jahrhundert, in: AKG 74 (1992), S. 191 – 225. 35. Rez. von: Wilhelm Ribhegge, Konservative Politik in Deutschland. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, Darmstadt 1989, in: HZ 254 (1992), S. 130 f. 36. Rez. von: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Das Tagebuch 1848. Rationale Philosophie und demokratische Revolution, hrsg. v. Hans-Jörg Sandkühler, Hamburg 1990, in: HZ 254 (1992), S. 204 – 206. 37. Rez. von: Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1933. Ein Handbuch, Bde. I–II, 3. Aufl. Darmstadt 1989, in: Lothar Gall (Hrsg.), Neuerscheinungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (HZ – Sonderhefte, 16), München 1992, S. 95 – 97. 38. Rez. von: Adolf M. Birke/Günther Heydemann (Hrsg.), Die Herausforderung des europäischen Staatensystems, Göttingen/Zürich 1989; Adolf M. Birke/Lothar Kettenacker/Helmut Reifeld (Hrsg.), Bürgertum, Adel und Monarchie, München u. a. 1989, in: ZRelGG 44 (1992), S. 188 – 190. 39. Rez. von: William M. Calder III/Alexander Kosenina (Hrsg.), Berufungspolitik innerhalb der Altertumswissenschaft im wilhelminischen Preußen. Die Briefe Ulrich von Wilamo-
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1996 102. Montesquieu, Blackstone, De Lolme und die englische Verfassung des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 1995, München 1996, S. 113 – 153. 103. Die verfassungspolitischen Ideen Barthold Georg Niebuhrs, in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn u. a. 1996, S. 285 – 314. 104. Gagern, Heinrich von, in: Walther Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, München u. a. 1996, S. 557 f. 105. Gentz, Friedrich, in: Walther Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, München u. a. 1996, S. 624. 106. Gerlach, Ernst Ludwig von, in: Walther Killy (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, München u. a. 1996, S. 647 f. 107. Absolutismus, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 13. 108. Ancillon, Johann Peter Friedrich, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 37 f. 109. Andrian-Werburg, Leopold von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 38 f. 110. Aufklärung, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/ Stuttgart 1996, S. 41 f. 111. Baader, Franz Xaver von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 46 f. 112. Bachofen, Johann Jakob, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 49 f. 113. Balfour, Arthur James, Earl of B., in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 50 – 52. 114. Balzac, Honoré de, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 52 f. 115. Bauer, Bruno, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 55 f. 116. Below, Georg von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 57 f. 117. Below-Hohendorf, Alexander Ewald von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 58 f. 118. Berliner politisches Wochenblatt, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 63. 119. Berliner Revue, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 63 f. 120. Bethmann Hollweg, Moritz August von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 66 f.
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121. Bethusy-Huc, Eduard Georg Graf von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 67. 122. Bismarck, Otto von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 67 – 69. 123. Blanckenburg, Moritz von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 70. 124. Bossuet, Jacques-Bénigne, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 81 f. 125. Brandes, Ernst, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 83 f. 126. Brunner, Otto, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 84 f. 127. Bülow-Cummerow, Ernst von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 85 – 87. 128. Bürger, Bürgertum, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 87 f. 129. Bunsen, Christian Carl Josias von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 89 – 91. 130. Burckhardt, Jacob, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 91 – 93. 131. Burke, Edmund, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 93 – 95. 132. Carlyle, Thomas, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 96 – 98. 133. Churchill, Randolph Henry Spencer, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 104 f. 134. Coleridge, Samuel Taylor, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 109 – 111. 135. Cossmann, Paul Nikolaus, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 113 f. 136. Dahlmann, Friedrich Christoph, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 116 f. 137. Deutscher Konservatismus I. Von den Anfängen bis 1918, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 119 – 124. 138. Deutschkonservative Partei, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 128 – 130. 139. Disraeli, Benjamin, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 134 – 136. 140. Eichhorn, Karl Friedrich, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 148 – 150.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
141. Eliot, Thomas Stearns, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 152 – 154. 142. Eos-Kreis, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/ Stuttgart 1996, S. 160 f. 143. Evangelische Kirchenzeitung, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 163 f. 144. Fenelon, François de Salignac de la Mothe F., in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 168 f. 145. Fontane, Theodor, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 172 – 174. 146. Frantz, Constantin, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 176 – 178. 147. Gerlach, Ernst Ludwig von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 208 f. 148. Gerlach, Leopold von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 209 – 211. 149. Görres, Joseph, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 214 – 217. 150. Göschel, Karl Friedrich, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 217 f. 151. Haller, Carl Ludwig von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 228 – 230. 152. Hassell, Ulrich von (sen.), in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 230 f. 153. Helfferich, Karl, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 242 – 245. 154. Helldorf-Bedra, Otto Heinrich von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 245. 155. Heydebrand und der Lasa, Ernst von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 246 – 248. 156. Hoffmann, Leopold Alois, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 254 f. 157. Hurter, Friedrich Emanuel von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 265 f. 158. Jarcke, Carl Ernst, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 275 f. 159. Johnson, Samuel, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 278 – 280. 160. Kardorff, Wilhelm von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 299 f.
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161. Kleist-Retzow, Hans Hugo von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 312 f. 162. Kreuzzeitung, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 334 – 337. 163. Lancizolle, Carl Wilhelm von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 344 f. 164. Lasaulx, Ernst von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 345 – 347. 165. Legitimität, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/ Stuttgart 1996, S. 349 – 351. 166. Leo, Heinrich, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 352 – 354. 167. Maistre, Joseph Marie Comte de, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 358 f. 168. Manteuffel, Otto Theodor Freiherr von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 360 f. 169. Marwitz, Friedrich August Ludwig von der, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 361 – 363. 170. Meyer, Rudolf Hermann, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 371 f. 171. Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de M., in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 382 – 384. 172. Nathusius, Martin von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 388 f. 173. Nathusius, Philipp Engelhard von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 389 – 391. 174. Nathusius-Ludom, Philipp von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 391 f. 175. Novalis (Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von), in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 401 – 404. 176. Oertzen, Dietrich von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 412 f. 177. Pfeilschifter, Johann Baptist von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 420 – 422. 178. Phillips, George P., in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 422 f. 179. Radowitz, Joseph Maria von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 433 – 435. 180. Ranke, Leopold von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 435 – 437.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
181. Rehberg, August Wilhelm, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 445 f. 182. Reynold, Gonzague de, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 453 – 456. 183. Romantik, politische, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 465 – 469. 184. Salisbury, Robert Arthur Talbot Gascoyne-Cecil, Marquess of, in: Caspar von SchrenckNotzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 472 f. 185. Savigny, Friedrich Carl von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 476 – 478. 186. Segesser, Philipp Anton von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 501 f. 187. Spengler, Oswald, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 521 – 523. 188. Srbik, Heinrich Ritter von, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 523 – 525. 189. Stahl, Friedrich Julius, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 530 – 533. 190. Stein, Karl Reichsfreiherr vom und zum, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 534 – 536. 191. Stifter, Adalbert, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 539 – 541. 192. Stoecker, Adolf, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 541 f. 193. Taine, Hippolyte, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 553 – 555. 194. Verfassung, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/ Stuttgart 1996, S. 572 – 574. 195. Volksblatt für Stadt und Land, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 584 – 586. 196. Gneist, (Heinrich) Rudolf (Hermann Friedrich) von, in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4, München u. a. 1996, S. 43 f. 197. Haller, Carl Ludwig von, in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4, München u. a. 1996, S. 346 f. 198. Rez. von: James J. Sack, From Jacobite to Conservative. Reaction and Orthodoxy in Britain, c. 1760 – 1832, Cambridge u. a. 1993, in: HZ 262 (1996), S. 162 f. 199. Rez. von: Bernd Haunfelder, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1849 – 1867, Düsseldorf 1994; Thomas Kühne, Handbuch der Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus 1867 – 1918, Düsseldorf 1994, in: HZ 262 (1996), S. 278 – 280.
Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
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200. Rez. von: Ernst Nolte, Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1993, in: Der Staat 35 (1996), S. 163 f. 201. Rez. von: Thomas Hubertus Link, Die Reichspolitik des Hochstifts Würzburg und ihr Verhältnis zur Rechtswissenschaft am Ende des Alten Reiches, Frankfurt a. M. 1995, in: Der Staat 35 (1996), S. 164 f. 202. Rez. von: Anke Bethmann/Gerhard Dongowski, Adolph Freiherr von Knigge an der Schwelle zur Moderne, Hannover 1994, in: HZ 262 (1996), S. 611 f. 203. Rez. von: Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a. M./Leipzig 1994, in: ZfP 43 (1996), S. 91 f. 204. Rez. von: Helmut Klages/Helmut Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens. Vorträge und Diskussionsbeiträge des Sonderseminars 1989 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1994, in: ZRelGG 48 (1996), S. 185. 205. Rez. von: Hans Joachim Behr/Jürgen Kloosterhuis (Hrsg.), Ludwig Freiherr Vincke. Ein westfälisches Profil zwischen Reform und Restauration in Preußen, Münster 1994, in: FBPG N.F. 6 (1996), S. 115 f. 206. Rez. von: Wolf Nitschke, Volkssouveränität oder Monarchisches Prinzip? Die Frage des Staatsaufbaus in den Debatten der preußischen Nationalversammlung (22. Mai – 1. Dezember 1848), Frankfurt a. M. 1995, in: FBPG N.F. 6 (1996), S. 127 – 129. 207. Rez. von: Yvonne Wagner, Prinzenerziehung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zum Bildungsverhalten des preußisch-deutschen Hofes im gesellschaftlichen Wandel, Frankfurt a. M. 1995, in: FBPG N.F. 6 (1996), S. 130 f. 208. Rez. von: Markus Josef Klein, Ernst von Salomon. Eine politische Biographie, Limburg a. d. Lahn 1994, in: HZ 262 (1996), S. 920 – 922. 209. Rez. von: Horst Dippel, Die amerikanische Verfassung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Das Dilemma von Politik und Staatsrecht, Goldbach 1994, in: Der Staat 35 (1996), S. 318 – 320. 210. Rez. von: J. C. D. Clark, Samuel Johnson. Literature, Religion and English Cultural Politics from the Restoration to Romanticism, Cambridge/New York/Oakleigh 1994, in: HZ 263 (1996), S. 233 f. 211. Rez. von: Carl Gert Wolfrum, Christian Sommer 1767 – 1835. Verfassungs- und Staatsverständnis eines deutschen Jakobiners (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 46), Berlin 1995, in: HZ 263 (1996), S. 235 f. 212. Rez. von: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der preußischen Geschichte. Bd. II: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin/New York 1992, in: ZRelGG 48 (1996), S. 272. 213. Rez. von: Ulrike Müller-Weil, Absolutismus und Außenpolitik in Preußen. Ein Beitrag zur Strukturgeschichte des preußischen Absolutismus, Stuttgart 1992, in: ZRelGG 48 (1996), S. 273. 214. Rez. von: Eckhardt Fuchs, Henry Thomas Buckle. Geschichtsschreibung und Positivismus in England und Deutschland, Leipzig 1994, in: HZ 263 (1996), S. 407 f. 215. Rez. von: Siegfried Wollgast, Philosophie in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung 1550 – 1650, Berlin 1993, in: ZRelGG 48 (1996), S. 364.
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216. Rez. von: Eberhard Kolb, Umbrüche deutscher Geschichte 1866/71 – 1918/19 – 1929/33. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. v. Dieter Langewiesche/Klaus Schönhoven, München 1993, in: ZRelGG 48 (1996), S. 367. 217. Rez. von: Friedrich Lenger, Werner Sombart 1863 – 1941. Eine Biographie, München 1994, in: ZRelGG 48 (1996), S. 367 f. 218. Rez. von: Karl Otmar Freiherr von Aretin, Nation, Staat und Demokratie in Deutschland. Ausgewählte Beiträge zur Zeitgeschichte, hrsg. v. Andreas Kunz/Martin Vogt, Mainz 1993, in: ZRelGG 48 (1996), S. 368 f. 219. Rez. von: Gerhard Schuck, Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik, Stuttgart 1994, in: FBPG N.F. 6 (1996), S. 260 – 262. 220. Rez. von: Lothar Gall/Dieter Langewiesche (Hrsg.), Liberalismus und Region. Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, München 1995, in: FBPG N.F. 6 (1996), S. 263 – 266. 221. Rez. von: Luciano Canfora, Politische Philologie. Altertumswissenschaften und moderne Staatsideologien, Stuttgart 1995, in: HZ 263 (1996), S. 717 – 719. 222. Rez. von: Notker Hammerstein (Hrsg.), Staatslehre der frühen Neuzeit. Bibliothek der Geschichte und Politik, Bd. 16, Frankfurt a. M. 1995, in: ZfP 43 (1996), S. 447 – 449. 223. Rez. von: David E. Barclay, Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, in: Der Staat 35 (1996), S. 644 – 648.
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1998 250. Anmerkungen zur Begriffs- und Thesenbildung bei Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1998, S. 161 – 176. 251. „Untergang des Abendlandes“. Rußland im Geschichtsdenken Oswald Spenglers, in: Gerd Koenen/Lew Kopelew (Hrsg.), Deutschland und die Russische Revolution 1917 – 1924 (West-östliche Spiegelungen, A, 5), München 1998, S. 277 – 312 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 252. Theodor Anton Heinrich Schmalz. Zur Biographie eines deutschen Juristen um 1800, in: ZNR 20 (1998), S. 15 – 27. 253. Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760 – 1831). Der Gründungsrektor der Universität Berlin, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 94 (1998), H. 2, S. 358 – 363. 254. Machtwechsel, Legitimität und Kontinuität als Probleme des deutschen politischen Denkens im 19. Jahrhundert, in: ZfP 45 (1998), S. 49 – 68 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 255. Die deutsche Rezeption und Darstellung der englischen Verfassung im neunzehnten Jahrhundert, in: Rudolf Muhs/Johannes Paulmann/Willibald Steinmetz (Hrsg.), Aneignung und Abwehr. Interkultureller Transfer zwischen Großbritannien und Deutschland im 19. Jahrhundert (Arbeitskreis Deutsche England-Forschung, Veröffentlichung 32), Bodenheim 1998, S. 89 – 126. 256. Revolution – Gegenrevolution – Gegenteil der Revolution. Die Bewegung von 1848 und ihre Gegner, in: Patrick Bahners/Gerd Roellecke (Hrsg.), 1848 – die Erfahrung der Freiheit, Heidelberg 1998, S. 119 – 146. 257. Berlin als Reichshauptstadt 1871 – 1918, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Deutsche Hauptstädte – von Frankfurt nach Berlin, Wiesbaden 1998, S. 89 – 113. 258. Görres und Preußen. Zur Geschichte eines spannungsreichen Verhältnisses, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1997, S. 146. 259. Radowitz, Joseph Maria von, in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, München 1998, S. 118. 260. Riehl, Wilhelm Heinrich, in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, München 1998, S. 299. 261. Roon, Albrecht Graf von, in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 8, München 1998, S. 381 f. 262. Feuerbach, Paul Johann Anselm von, in: Laetitia Boehm u. a. (Hrsg.), Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München. Teil I: Ingolstadt-Landshut 1472 – 1826 (Münchener Universitätsschriften. Forschungen, 18), Berlin 1998, S. 116 – 118. 263. Hufeland, Gottlieb, in: Laetitia Boehm u. a. (Hrsg.), Biographisches Lexikon der LudwigMaximilians-Universität München. Teil I: Ingolstadt-Landshut 1472 – 1826 (Münchener Universitätsschriften. Forschungen, 18), Berlin 1998, S. 193 f. 264. Mittermaier, Karl Joseph Anton, in: Laetitia Boehm u. a. (Hrsg.), Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München. Teil I: Ingolstadt-Landshut 1472 – 1826 (Münchener Universitätsschriften. Forschungen, 18), Berlin 1998, S. 281 – 283.
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265. Savigny, Friedrich Carl von, in: Laetitia Boehm u. a. (Hrsg.), Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München. Teil I: Ingolstadt-Landshut 1472 – 1826 (Münchener Universitätsschriften. Forschungen, 18), Berlin 1998, S. 366 – 368. 266. Stahl, Friedrich Julius, in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 9, München 1998, S. 437 f. 267. Rez. von: Angelo O. Rohlfs, Hermann von Mangoldt (1895 – 1953). Das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, Berlin 1997, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 13, 16. 1. 1998, S. 9. 268. Rez. von: Johann Braun, Judentum, Jurisprudenz und Philosophie. Bilder aus dem Leben des Juristen Eduard Gans (1797 – 1837), Baden-Baden 1997, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 28, 3. 2. 1998, S. 41. 269. Rez. von: Gert Melville/Rainer A. Müller/Winfried Müller (Hrsg.), Laetitia Boehm, Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm anläßlich ihres 65. Geburtstages, Berlin 1996, in: HZ 266 (1998), S. 116 – 119. 270. Rez. von: Joachim Fest, Fremdheit und Nähe. Von der Gegenwart des Gewesenen, Stuttgart 1996, in: HZ 266 (1998), S. 436 f. 271. Rez. von: Ewald Grothe, Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt. Das Kurfürstentum Hessen in der ersten Ära Hassenpflug 1830 – 1837, Berlin 1996, in: HZ 266 (1998), S. 527 – 529. 272. Rez. von: Andreas Biefang (Bearb.), Der Deutsche Nationalverein 1859 – 1867. Vorstandsund Ausschußprotokolle, Düsseldorf 1995, in: Der Staat 37 (1998), S. 163 f. 273. Rez. von: Marita Krauss, Herrschaftspraxis in Bayern und Preußen im neunzehnten Jahrhundert. Ein historischer Vergleich, Frankfurt a. M. 1997, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 108, 11. 5. 1998, S. 14. 274. Rez. von: Volker Knüpfer, Presse und Liberalismus in Sachsen. Positionen der bürgerlichen Presse im frühen 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 1996, in: HZ 266 (1998), S. 778 f. 275. Rez. von: Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916 – 1969. Hrsg., mit einem Vorwort u. mit Anmerkungen versehen v. Günter Maschke, Berlin 1995, in: Der Staat 37 (1998), S. 322 – 329. 276. Rez. von: Kurt Adamy/Kristina Hübener (Hrsg.), Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich, Berlin 1996, in: FBPG N.F. 8 (1998), S. 119 – 121. 277. Rez. von: Christina von Hodenberg, Die Partei der Unparteiischen. Der Liberalismus der preußischen Richterschaft 1815 – 1848/49, Göttingen 1996, in: FBPG N.F. 8 (1998), S. 127 – 129. 278. Rez. von: Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994, in: FBPG N.F. 8 (1998), S. 140 – 142. 279. Rez. von: Theo Schwarzmüller, Otto von Bismarck, München 1998; Volker Ullrich, Otto von Bismarck, Reinbek bei Hamburg 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 156,
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9. 7. 1998, S. 11; auch in: Ein Büchertagebuch 1999, hrsg. v. d. Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurt a. M. 1999, S. 678 f. 280. Rez. von: Günther Kronenbitter, Wort und Macht. Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller, Berlin 1994, in: ZRelGG 15 (1998), S. 286. 281. Rez. von: Frank Ebeling, Geopolitik. Karl Haushofer und seine Raumwissenschaft 1919 – 1945, Berlin 1994, in: ZRelGG 15 (1998), S. 297. 282. Rez. von: Friedrich Carl von Savigny, Landrechtsvorlesung 1824. Drei Nachschriften, hrsg. u. eingeleitet v. Christian Wollschläger, 2 Bde. Frankfurt a. M. 1994 – 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. 9. 1998, S. 47. 283. Rez. von: Ulrich Herrmann (Hrsg.), Volk – Nation – Vaterland, Hamburg 1996, in: ZfP 45 (1998), S. 226 f. 284. Rez. von: Uwe Bachnick, Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung, Berlin 1995, in: Der Staat 37 (1998), S. 487 f. 285. Rez. von: Gabriele Haug-Moritz, Württembergischer Ständekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbandes in der Mitte des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, in: HJb 118 (1998), S. 449 f. 286. Rez. von: Michael Albrecht/Eva J. Engel/Norbert Hinske (Hrsg.), Moses Mendelssohn und die Kreise seiner Wirksamkeit, Tübingen 1994, in: HJb 118 (1998), S. 455 f. 287. Rez. von: Alfred Heuß, Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert. Mit einem Vorwort v. Jochen Bleicken, Stuttgart 1996, in: HJb 118 (1998), S. 476. 288. Rez. von: Kurt Nowak (Hrsg.), Adolf von Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Jahren des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, Bde. I–II, Berlin/New York 1996, in: HJb 118 (1998), S. 483 – 485. 289. Rez. von: Johanna Jantsch (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Adolf von Harnack und Martin Rade. Theologie auf dem öffentlichen Markt, Berlin/New York 1996, in: HJb 118 (1998), S. 485. 290. Rez. von: Philipp Gassert, Amerika im Dritten Reich. Ideologie, Propaganda und Volksmeinung 1933 – 1945, Stuttgart 1997, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 10 (1998), S. 402 – 404. 291. Rez. von: Heinz Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende des Kaiserreiches, Düsseldorf 1997, in: Der Staat 37 (1998), S. 658. 292. Rez. von: Friedrich Rühs, Entwurf einer Propädeutik des historischen Studiums, Berlin 1811, neu hrsg. u. eingeleitet v. Hans Schleier/Dirk Fischer, Waltrop 1997, in: FBPG N.F. 8 (1998), S. 266 – 268. 293. Rez. von: Gerhard Hahn, Die Reichstagsbibliothek zu Berlin – ein Spiegel deutscher Geschichte, Düsseldorf 1997, in FBPG N.F. 8 (1998), S. 272 – 274.
1999 294. Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760 – 1831). Jurisprudenz, Universitätspolitik und Publizistik im Spannungsfeld von Revolution und Restauration (Ius Commune, Sonderhefte: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 124), Frankfurt a. M. 1999 [741 S.].
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295. Görres und Preußen. Zur Geschichte eines spannungsreichen Verhältnisses, in: Harald Dickerhof (Hrsg.), Görres-Studien. Festschrift zum 150. Todesjahr von Joseph von Görres, Paderborn u. a. 1999, S. 1 – 27. 296. Ernst Brandes und der deutsche Zeitgeist um 1800, in: ZfG 47 (1999), S. 308 – 328 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 297. Politisches Denken der deutschen Spätromantik, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts I. Konservatismus, Wiesbaden 1999, S. 27 – 66. [Wiederabdruck von Nr. 226]. 298. Leopold und Ernst Ludwig von Gerlach, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Staatstheorien des 19. Jahrhunderts I. Konservatismus, Wiesbaden 1999, S. 161 – 186 [Wiederabdruck in Nr. 412]. 299. Die politische Romantik in Wien: Friedrich Schlegel und Adam Müller, in: Robert Rill/ Ulrich E. Zellenberg (Hrsg.), Konservativismus in Österreich. Strömungen, Ideen, Personen und Vereinigungen von den Anfängen bis heute, Graz/Stuttgart 1999, S. 35 – 70. 300. Andreas Riems Darstellung und Kritik der Verfassung von England, in: Karl H. L. Welker (Hrsg.), Andreas Riem. Ein Europäer aus der Pfalz (Schriften der Siebenpfeiffer-Stiftung, 6), Stuttgart 1999, S. 147 – 170 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 301. Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? – Zur Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Fritz Hartung über den preußisch-deutschen Konstitutionalismus (1934/35), in: JbGMOD 45 (1999), S. 275 – 310. 302. Gegenaufklärung, Spätromantik, Konservatismus. Zu einigen neueren Veröffentlichungen, in: HZ 269 (1999), S. 371 – 413. 303. Zwei protestantische Historiker. Friedrich Thimme und Siegfried A. Kaehler in ihren Briefen, in: ZRelGG 51 (1999), S. 361 – 367. 304. Staatsziele in historischer und systematischer Perspektive, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 251 (1999), S. 277 – 286. 306. Rez. von: Ludger Herrmann, Die Herausforderung Preußens. Reformpublizistik und politische Öffentlichkeit in Napoleonischer Zeit (1789 – 1815), Frankfurt a. M. u. a. 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. 2. 1999, S. 53. 307. Rez. von: Wolfgang Stribrny, Die Könige von Preußen als Fürsten von Neuenburg-Neuchâtel (1707 – 1848), Berlin 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 3. 1999, S. 47. 308. Rez. von: Bernd Sösemann (Hrsg.), Theodor von Schön. Untersuchungen zu Biographie und Historiographie, Köln/Weimar/Wien 1996, in: Der Staat 38 (1999), S. 162 f. 309. Rez. von: Otto Hintze, Allgemeine Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der neueren Staaten. Fragmente, Bd. 1, hrsg. v. Guiseppe Di Costanzo/Michael Erbe/Wolfgang Neugebauer, Calvizzano, Neapel 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. 4. 1999, S. 55. 310. Rez. von: Ulrike von Hirschhausen, Liberalismus und Nation. Die Deutsche Zeitung 1847 – 1850, Düsseldorf 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. 5. 1999, S. 57. 311. Rez. von: Ferdi Akaltin, Die Befreiungskriege im Geschichtsbild der Deutschen im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1997, in: FBPG N.F. 9 (1999), S. 128 f.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
312. Rez. von: Clemens Picht, Handel, Politik und Gesellschaft. Zur wirtschaftspolitischen Publizistik Englands im 18. Jahrhundert, Göttingen/Zürich 1993, in: ZRelGG 51 (1999), S. 188 f. 313. Rez. von: Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871 – 1918, München u. a. 1996, in: HJb 119 (1999). S. 478 – 480. 314. Rez. von: Sylvia Taschka, Das Rußlandbild von Ernst Niekisch, Erlangen 1999, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 7. 1999, S. 8. 315. Rez. von: Stephan Walter, Demokratisches Denken zwischen Hegel und Marx. Die politische Philosophie Arnold Ruges. Eine Studie zur Geschichte der Demokratie in Deutschland, Düsseldorf 1995, in: ZfP 46 (1999), S. 221 f. 316. Rez. von: Mohammed Rassem, Zivilisierte Adamskinder. Dreißig kultursoziologische Essais, Wien/Köln/Weimar 1997, in: HZ 269 (1999), S. 113 – 115. 317. Rez. von: Carsten Hayungs, Die Geschäftsordnung des hannoverschen Landtages (1833 – 1866). Ein Beispiel englischen Parlamentsrechts auf deutschem Boden?, Baden-Baden 1999, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 8. 1999, S. 47. 318. Rez. von: Ralf Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1999, in: VSWG 86 (1999), S. 369 f. 319. Rez. von: Franz Xaver Ries, Zeitkritik bei Joseph von Eichendorff (Schriften zur Literaturwissenschaft, 11), Berlin 1997, in: IKBF intern, Nr. 1, Oktober 1999, S. 7 f. 320. Rez. von: Brendan Simms, The Struggle for Mastery in Germany, 1779 – 1850, Basingstoke 1998, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 10. 1999, S. 55; auch in: Ein Büchertagebuch 2000. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurt a. M. 2000, S. 705 – 707. 321. Rez. von: Michael Maurer, Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680 – 1815), Göttingen 1996, in: HZ 269 (1999), S. 769 – 772. 322. Rez. von: Dirk Hempel, Friedrich Leopold Graf zu Stolberg (1750 – 1819). Staatsmann und politischer Schriftsteller, Weimar/Köln/Wien 1997, in: FBPG N.F. 9 (1999), S. 250 – 252. 323. Rez. von: Hans Cymorek, Georg von Below und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1998, in: FBPG N.F. 9 (1999), S. 278 – 281. 324. Rez. von: Martin Moll (Hrsg.), „Führer-Erlasse“ 1939 – 1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung, Stuttgart 1997, in: Der Staat 38 (1999), S. 653 – 655. 325. Rez. von: Kurt Adamy/Kristina Hübener (Hrsg.), Geschichte der Brandenburgischen Landtage. Von den Anfängen 1823 bis in die Gegenwart, Potsdam 1998, in: JbGMOD 45 (1999), S. 376 – 378. 326. Rez. von: Joseph Kohnen (Hrsg.), Königsberg-Studien. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Geistesgeschichte des 18. und angehenden 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. u. a. 1998, in: JbGMOD 45 (1999), S. 401 – 403. 327. Rez. von: Manfred Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888 – 1936, Paderborn u. a. 1998, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 11 (1999), S. 394 f.
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328. Rez. von: José Rafael Hernández Arias, Donoso Cortés und Carl Schmitt. Eine Untersuchung über die staats- und rechtsphilosophische Bedeutung von Donoso Cortés im Werk Carl Schmitts, Paderborn u. a. 1998, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 11 (1999), S. 395.
2000 329. Bismarck und die preußischen Konservativen (Friedrichsruher Beiträge, 12), Friedrichsruh 2000 [39 S.]. 330. Lujo Brentano (1844 – 1931). Nationalökonom und bürgerlicher Sozialreformer, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Geist und Macht: Die Brentanos, Wiesbaden 2000, S. 131 – 158. 331. Stand und Probleme der Erforschung des deutschen Konservatismus bis 1890, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.), Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus, Berlin 2000, S. 9 – 26. 332. Die Konservativen und das Erfurter Unionsparlament, in: Gunther Mai (Hrsg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 393 – 415. 333. Berlin als kulturelle Hauptstadt 1871 bis 1918, in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Das geistige Preußen, Remscheid 2000, S. 27 – 43. 334. Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte – Otto Hintze und Fritz Hartung als Kritiker Carl Schmitts, in: Dietrich Murswiek/Ulrich Storost/Heinrich A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, Berlin 2000, S. 637 – 661. 335. Heinz Gollwitzer 1917 – 1999, in: HZ 271 (2000), S. 263 – 268. 336. Josef Nadler (1884 – 1963) und Königsberg, in: Preußenland 38 (2000), S. 12 – 26. 337. Militärreform oder Verfassungswandel? Kronprinz Friedrich von Preußen und die „deutschen Whigs“ in der Krise von 1862/63, in: Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland. Bd. I: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 207 – 232. 338. Friedrich III. (12. März 1888 – 18. Juni 1888), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 265 – 289, 336 – 338. 339. Quelleneditor und Monumentalbiograph. Georg Heinrich Pertz und seine Forschungen zur preußischen Zeitgeschichte, in: Jürgen Kloosterhuis (Hrsg.), Archivarbeit für Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlaß der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivalischen Tradition (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 2), Berlin 2000, S. 319 – 347. 340. Hermann Wagener (1815 – 1889), in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Bd. III: Antworten auf die soziale Frage, Wiesbaden 2000, S. 171 – 224 [Wiederabdruck in Nr. 413]. 341. Rez. von: Wolfgang Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Repräsentation. Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15. bis 20. Jahrhundert, Berlin 1999, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. 3. 2000, S. 57.
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342. Rez. von: Wolfgang Piereth, Bayerns Pressepolitik und die Neuordnung Deutschlands nach den Befreiungskriegen, München 1999, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 3. 2000, S. 57. 343. Rez. von: Thomas Meyer, Stand und Klasse. Kontinuitätsgeschichte korporativer Staatskonzeptionen im deutschen Konservatismus, Opladen 1997, in: VSWG 87 (2000), S. 87 f. 344. Rez. von: Brendan Simms, The Impact of Napoleon. Prussian High Politics, Foreign Policy and the Crisis of the Executive, 1797 – 1806, Cambridge 1997, in: HZ 270 (2000), S. 496 – 499. 345. Rez. von: Gerald Hubmann, Ethische Überzeugung und politisches Handeln. Jakob Friedrich Fries und die deutsche Tradition der Gesinnungsethik, Heidelberg 1997, in: HZ 270 (2000), S. 509 f. 346. Rez. von: Axel Schildt, Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 1998, in: Der Staat 39 (2000), S. 146 – 148. 347. Rez. von: Cornelius Torp, Max Weber und die preußischen Junker, Tübingen 1998, in: FBPG N.F. 10 (2000), S. 138 f. 348. Rez. von: Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich, Bde. 2 – 3, Stuttgart 1997, in: ZRelGG 52 (2000), S. 178 f. 349. Rez. von: Sönke Neitzel, Weltmacht oder Untergang? Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn 2000, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 6. 2000, S. 10. 350. Rez. von: Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre. Eine systematische Darstellung, 2. Aufl. Heidelberg 2000, in: Verwaltung & Management 6 (2000), S. 255. 351. Rez. von: Michel Vovelle (Hrsg.), Der Mensch der Aufklärung, Frankfurt a. M./New York 1996, in: Arbitrium 18 (2000), S. 49 – 53. 352. Rez. von: Markus Huttner. Totalitarismus und säkulare Religionen. Zur Frühgeschichte totalitarismuskritischer Begriffs- und Theoriebildung in Großbritannien, Bonn 1999, in: Religion – Staat – Gesellschaft 1 (2000), S. 199 – 203. 353. Rez. von: Jeroen Koch, Golo Mann und die deutsche Geschichte. Eine intellektuelle Biographie, Paderborn u. a. 1998, in: HJb 120 (2000), S. 426. 354. Rez. von: Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bde. I–IV (Neuaufl.), Berlin 2000, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 10. 2000, S. L 50; auch in: Ein Büchertagebuch 2001. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurt a. M. 2001, S. 545 – 548. 355. Rez. von: Helmuth Nürnberger, Fontanes Welt, Berlin 1997, in: HZ 271 (2000), S. 512 – 514. 356. Rez. von: Astrid von Pufendorf, Otto Klepper (1888 – 1957) Deutscher Patriot und Weltbürger, München 1997, in: HZ 271 (2000), S. 519 f. 357. Rez. von: Karl-Ernst Jeismann, Geschichte und Bildung. Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur Historischen Bildungsforschung, Paderborn 2000, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. 11. 2000, S. 50. 358. Rez. von: Otto Pflanze, Bismarck, Bde. I–II, München 1997 – 1998, in: FBPG N.F. 10 (2000), S. 256 – 258.
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359. Rez. von: Stefan Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin/New York 1997, in: HJb 120 (2000), S. 510 – 512. 360. Rez. von: David W. Hayton (Hrsg.), The Parliamentary Diary of Sir Richard Cocks, 1698 – 1702, Oxford 1996, in: ZHF 27 (2000), S. 472 f. 361. Rez. von: Theodore S. Hamerow, Die Attentäter. Der 20. Juli – Von der Kollaboration zum Widerstand, München 1999, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 12 (2000), S. 482 f. 362. Rez. von: Christof Mauch, Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941 – 1945, Stuttgart 1999, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 12 (2000), S. 503 f. 363. Rez. von: Ulrich Langer, Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Düsseldorf 1998, in: Der Staat 39 (2000), S. 626 – 628. 364. Rez. von: Hartwin Spenkuch, Das preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der ersten Kammer des Landtags 1854 – 1918, Düsseldorf 1998, in: ZfP 47 (2000), S. 483 – 485. 365. Rez. von: Ernst Wolfgang Becker, Zeit der Revolution! – Revolution der Zeit? Zeiterfahrungen in Deutschland in der Ära der Revolutionen 1789 – 1848/49, Göttingen 1999, in: JbGMOD 46 (2000), S. 301 f. 366. Rez. von: Zeitenwende? Preußen um 1800. Festgabe für Günter Birtsch, hrsg. v. Eckhart Hellmuth/Immo Meenken/Michael Trauth, Stuttgart/Bad Cannstatt 1999, in: JbGMOD 46 (2000), S. 302 – 304. 367. Rez. von: Michel Klaas, Der Staatsrat als Vertretungsorgan der Provinzen? Eine Untersuchung über die Rolle des Staatsrats im Verfassungsleben des Freistaats Preußen 1921 – 1933, Neuried 1998, in: JbGMOD 46 (2000), S. 317 f. 368. Rez. von: Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königsberg (1720 – 1804), hrsg. v. Michael Oberhausen/Riccardo Pozzo, Bde. I–II, Stuttgart/Bad Cannstatt 1999, in: JbGMOD 46 (2000), S. 385 – 387.
2001 369. Innere Emigration und preußische Idee. Das Beispiel Jochen Klepper, in: Patrick Bahners/ Gerd Roellecke (Hrsg.), Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück, Stuttgart 2001, S. 447 – 466, 554 f. 370. Der Traum vom Heiligen Reich. Preußens und Österreichs Konservative im 19. Jahrhundert, in: Neue Ordnung, Nr. 1, 2001, S. 23 – 27 [gekürzter Wiederabdruck von Nr. 63]. 371. Promotionen an der Georg-August-Universität zu Göttingen bis 1800. Bemerkungen zur Quellenlage und zum Forschungsstand, in: Promotionen und Promotionswesen an deutschen Hochschulen der Frühmoderne, hrsg. v. Rainer A. Müller (Abhandlungen zum Studentenund Hochschulwesen, 10), Köln 2001, S. 131 – 146. 372. Voltaire und Rapin de Thoyras. Zur Frühgeschichte politischer Anglophilie in Frankreich, in: Das achtzehnte Jahrhundert 25 (2001), S. 97 – 112. 373. Friedrich III. (1831 – 1888), in: Michael Fröhlich (Hrsg.), Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2001, S. 109 – 119.
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374. Preußischer Konservatismus im Spiegel seiner Forschungsgeschichte – Versuch eines Überblicks, in: JbGMOD 47 (2001), S. 73 – 97. 375. Ranke als Zeitgenosse. Seine Arbeiten zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV., in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 14 (2001), S. 38 – 50. 376. Rechtswissenschaftsgeschichte als Zeitgeschichte. Zu einigen neueren Veröffentlichungen, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 4 (2001), S. 257 – 262. 377. Der Philosoph von Sanssouci. Ein Beitrag zum Preußenjahr, in: Blätter der Deutschen Gildenschaft 43 (2001), S. 69 – 77. 378. Rez. von: Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungswissenschaft: Verwaltung, Verwaltungsrecht, Verwaltungslehre, Baden-Baden 2000, in: Verwaltung & Management 7 (2001), S. 64. 379. Rez. von: Horst Dippel/Helmut Scheuer (Hrsg.), Georg Forster-Studien, Bd. 1, Berlin 1997, in: HZ 272 (2001), S. 209 f. 380. Rez. von: Matthew Levinger, Enlighted Nationalism. The Transformation of Prussian Political Culture 1806 – 1848, Oxford/New York 2000, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 4. 2001, S. 48. 381. Rez. von: Christoph V. Albrecht, Geopolitik und Geschichtsphilosophie 1748 – 1798, Berlin 1998, in: HZ 272 (2001), S. 503 – 505. 382. Rez. von: Klaus Lichtblau, Das Zeitalter der Entzweiung. Studien zur politischen Ideengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 1999, in: HZ 272 (2001), S. 508 – 510. 383. Rez. von: Andreas Fahrmeir, Citizens and Aliens. Foreigners and the Law in Britain and the German States 1789 – 1870, New York/Oxford 2000, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. 5. 2001, S. 54. 384. Rez. von: Theo Schwarzmüller/Michael Garthe (Hrsg.), Die Pfalz im 20. Jahrhundert, Ludwigshafen 1999, in: ZfP 48 (2001), S. 115 f. 385. Rez. von: Jürgen Angelow, Geschichte und Landschaft. Das märkische Rittergut Kemnitz, Berlin/Bonn 2000, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. 5. 2001, S. 57. 386. Rez. von: Karl H. L. Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Justus Möser als Jurist und Staatsmann, Bde. I–II, Osnabrück 1996, in: ZRelGG 53 (2001), S. 186 – 188. 387. Rez. von: Matthias Steinbach, Des Königs Biograph. Alexander Cartellieri (1867 – 1955) – Historiker zwischen Deutschland und Frankreich, Frankfurt a. M. 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. 7. 2001, S. 48. 388. Rez. von: Burchard Graf von Westerholt, Patrimonialismus und Konstitutionalismus in der Rechts- und Staatstheorie Karl Ludwig von Hallers, Berlin 1999, in: HZ 272 (2001), S. 779 f. 389. Rez. von: Wolfgang Schmale, Archäologie der Grund- und Menschenrechte in der Frühen Neuzeit. Ein deutsch-französisches Paradigma, München 1997, in: Der Staat 40 (2001), S. 317 – 319. 390. Rez. von: Hans Fenske, Der moderne Verfassungsstaat. Eine vergleichende Geschichte von der Entstehung bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn u. a. 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 8. 2001, S. 46. 391. Rez. von: Michael Kleensang, Das Konzept der bürgerlichen Gesellschaft bei Ernst Ferdinand Klein, Frankfurt a. M. 1998, in: FBPG N.F. 11 (2001), S. 124 – 126.
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392. Rez. von: Udo Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, Tübingen 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 10. 2001, S. 57. 393. Rez. von: Helmut Neuhaus, Das Reich in der frühen Neuzeit, München 1997, in: ZfP 48 (2001), S. 347 – 349. 394. Rez. von: Uwe Wilhelm, Der deutsche Frühliberalismus. Von den Anfängen bis 1789, Frankfurt a. M. u. a. 1995, in: ZfP 48 (2001), S. 349 f. 395. Rez. von: Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München 1998, in: ZfP 48 (2001), S. 350 – 352. 396. Rez. von: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke. Bd. V: Schriften und Entwürfe (1799 – 1808), hrsg. v. Manfred Baum/Kurt Rainer Meist, Hamburg 1998, in: Der Staat 40 (2001), S. 478 – 480. 397. Rez. von: Holger Krahnke, Reformtheorien zwischen Revolution und Restauration. Die gesammte Politik an der Universität Göttingen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M./Berlin/Bern 1999, in: HZ 273 (2001), S. 487 – 489. 398. Rez. von: Ralf Dahrendorf, Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit, München 2000, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 13 (2001), S. 393 f. 399. Rez. von: Kurt Kippels, Grundzüge Deutscher Staats- und Verfassungsgeschichte, Stuttgart 2001, in: Verwaltung & Management, Nov./Dez. 2001, S. 384. 400. Rez. von: Dietmar Herz, Die wohlerwogene Republik. Das konstitutionelle Denken des politisch-philosophischen Liberalismus, Paderborn/München/Wien 1999, in: HZ 273 (2001), S. 709 – 711. 401. Rez. von: Siegfried Baur, Versuch über die Historik des jungen Ranke, Berlin 1998, in: FBPG N.F. 11 (2001), S. 262 – 264. 402. Rez. von: Herwig Schäfer, Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941 – 1944, Tübingen 1999, in: ZfP 48 (2001), S. 480 f. 403. Rez. von: Eike Christian Hirsch, Der berühmte Herr Leibniz, München 2000, in: JbGMOD 47 (2001), S. 327 f. 404. Rez. von: Karl August von Hardenberg 1750 – 1822. Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen, hrsg. v. Thomas Stamm-Kuhlmann, München 2000, in: JbGMOD 47 (2001), S. 336 f. 405. Rez. von: Werner Schubert, Preußen im Vormärz. Die Verhandlungen der Provinziallandtage von Brandenburg, Pommern, Posen, Sachsen und Schlesien sowie – im Anhang – von Ostpreußen und der Rheinprovinz (1841 – 1845), Frankfurt a. M. u. a. 1999, in: JbGMOD 47 (2001), S. 341 f. 406. Rez. von: Volker Stalmann, Die Partei Bismarcks. Die Deutsche Reichs- und Freikonservative Partei 1866 – 1890, Düsseldorf 2000, in: JbGMOD 47 (2001), S. 357 – 359. 407. Rez. von: Matthias Alexander, Die Freikonservative Partei 1890 – 1918. Gemäßigter Konservatismus in der konstitutionellen Monarchie, Düsseldorf 2000, in: JbGMOD 47 (2001), S. 359 f. 408. Rez. von: Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999, in: JbGMOD 47 (2001), S. 360 – 362.
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2002 409. Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter, Pamphlete, in: Michael Maurer (Hrsg.), Aufriß der historischen Wissenschaften in sieben Bänden. Bd. 4: Quellen, Stuttgart 2002, S. 373 – 401. 410. Friedrich der Große als Philosoph von Sanssouci, in: Bernd Heidenreich/Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Machtstaat oder Kulturstaat? Preußen ohne Legende, Berlin 2002, S. 111 – 124. 411. Politisches Denken der deutschen Spätromantik, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2002, S. 33 – 69 [Wiederabdruck von Nr. 226]. 412. Leopold und Ernst Ludwig von Gerlach, in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2002, S. 155 – 177 [Wiederabdruck von Nr. 298]. 413. Hermann Wagener (1815 – 1889), in: Bernd Heidenreich (Hrsg.), Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2002, S. 537 – 586 [Wiederabdruck von Nr. 340]. 414. Oswald Spengler (1880 – 1936), in: Michael Fröhlich (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Porträt einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, S. 233 – 243. 415. Carl Schmitt (1888 – 1985), in: Michael Fröhlich (Hrsg.), Die Weimarer Republik. Porträt einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, S. 326 – 337. 416. Wissenschaft und Staatsreform. Theodor Schmalz und seine publizistische Flankierung der preußischen Reformen 1807/1808, in: Bernd Sösemann (Hrsg.), Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 144 – 153. 417. Preußens Geschichte als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Acta Borussica: Zur „Neuen Folge“ einer alten Quellenpublikation, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 2. 2002, S. 55. 418. Konservatismus, in: Winfried Becker u. a. (Hrsg.), Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland, Paderborn u. a. 2002, S. 583 f. 419. Rez. von: Ewald Frie, Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777 – 1837. Biographien eines Preußen, Paderborn 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 1. 2002, S. 46. 420. Rez. von: Gerhard Schulz, Europa und der Globus. Staaten und Imperien seit dem Altertum, Stuttgart/München 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. 2. 2002, S. 46. 421. Rez. von: Wolfgang Schmale, Geschichte Europas, Stuttgart/Wien 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. 4. 2002, S. 48. 422. Rez. von: Marc Grohmann, Exotische Verfassung. Die Kompetenzen des Reichstags für die deutschen Kolonien in Gesetzgebung und Staatsrechtswissenschaft des Kaiserreichs (1884 – 1914), Tübingen 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 5. 2002, S. 49. 423. Rez. von: Monika Wienfort, Patrimonialgerichte in Preußen. Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770 – 1848/49, Göttingen 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 6. 2002, S. 49. 424. Rez. von: Justus Möser, Politische und juristische Schriften, hrsg. v. Karl H. L. Welker, München 2001, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 9. 2002, S. 37.
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425. Rez. von: Nicholas Boyle, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. II: 1790 – 1803, München 1999, in: HZ 275 (2002), S. 483 – 485. 426. Rez. von: Ferdinand Seibt, Die Begründung Europas. Ein Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre, Frankfurt a. M. 2002, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 12. 2002, S. 41. 427. Rez. von: Warren Breckman, Marx, the Young Hegelians, and the Origins of Radical Social Theory, Cambridge 1999, in: HZ 275 (2002), S. 688 – 690. 428. Rez. von: Gordon Craig, Theodor Fontane. Literature and History in the Bismarck Reich, New York/Oxford 1999, in: HZ 275 (2002), S. 789 – 790. 429. Rez. von: Wolfgang Dierker, Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933 – 1941, Paderborn u. a. 2002, in: Extremismus & Demokratie 14 (2002), S. 357. 430. Rez. von: Joachim Lerchenmueller, Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“, Bonn 2001, in: Extremismus & Demokratie 14 (2002), S. 357 f. 431. Rez. von: Eberhard Demm, Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik. Der politische Weg Alfred Webers 1920 – 1958, Düsseldorf 1999, in: ZfP 4 (2002), S. 477 f. 432. Rez. von: Barbara Stollberg-Rilinger, Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches, Berlin 1999, in: ZHF 29 (2002), S. 631 – 633. 433. Rez. von: Gabriel Seiberth, Carl Schmitt und der Prozeß „Preußen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001, in: JbGMOD 48 (2002), S. 358 f. 434. Rez. von: Ewald Frie, Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777 – 1837. Biographien eines Preußen, Paderborn 2001, in: JbGMOD 48 (2002), S. 351 – 353. 435. Rez. von: Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 12, hrsg. für die Mendelssohn-Gesellschaft v. Rudolf Elvers u. Hans-Günter Klein, Berlin 2001, in: JbGMOD 48 (2002), S. 316 f. 436. Rez. von: Jürgen Frölich/Esther-Beate Körber/Michael Rohrschneider (Hrsg.), Preußen und Preußentum vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Beiträge des Kolloquiums aus Anlaß des 65. Geburtstages von Ernst Opgenoorth am 12. 2. 2001, Berlin 2002, in: JbGMOD 48 (2002), S. 311 – 313.
2003 437. (Als Herausgeber), Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien, Berlin 2003 [186 S.]. 438. Einleitung des Herausgebers, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien, Berlin 2003, S. 7 – 11. 439. Kulturkonservatismus und Dolchstoßlegende. Die „Süddeutschen Monatshefte“ 1904 – 1936, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien, Berlin 2003, S. 13 – 43.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
440. Theodor Fontane als politischer Journalist in der Ära Manteuffel, in: Bernd Heidenreich/ Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Theodor Fontane. Dichter der Deutschen Einheit, Berlin 2003, S. 39 – 54. 441. Politische Historie – Macaulay und einige seine deutschen Zeitgenossen, in: Ulrich Muhlack (Hrsg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 5), Berlin 2003, S. 31 – 48. 442. Freund und Feind im Zeitalter des Kalten Krieges – Zu den „Corollarien“ der Ausgabe von 1963, in: Reinhard Mehring (Hrsg.), Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, Berlin 2003, S. 170 – 187. 443. Geschichtsschreibung als Schule der Politik – Zum Werk von John Robert Seeley, in: Wolfgang Elz/Sönke Neitzel (Hrsg.), Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Winfried Baumgart zum 65. Geburtstag, Paderborn u. a. 2003, S. 65 – 81. 444. Jacob Grimm – Wissenschaft und Politik, in: Bernd Heidenreich/Ewald Grothe (Hrsg.), Kultur und Politik. Die Grimms, Frankfurt a. M. 2003, S. 149 – 178 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 445. Rehberg, August Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21, Berlin 2003, S. 277 f. 446. Reimer, Georg Andreas, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21, Berlin 2003, S. 338 f. 447. Riesser, Gabriel, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21, Berlin 2003, S. 608 f. 448. Riezler, Sigmund Otto von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21, Berlin 2003, S. 615 f. 449. Rez. von: Kasimir Lawrynowicz, Albertina. Zur Geschichte der Albertus-Universität zu Königsberg in Preußen, Berlin 1999, in: HZ 276 (2003), S. 402 – 404. 450. Rez. von: Bernhard Bayer, Sukzession und Freiheit. Historische Voraussetzungen der rechtshistorischen und rechtspolitischen Auseinandersetzungen um das Institut der Familienfideikommisse im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1999, in: HZ 276 (2003), S. 780 – 782. 451. Rez. von: Französische Kultur. Aufklärung in Preußen. Akten der Internationalen Fachtagung vom 20./21. September 1996 in Potsdam, hrsg. v. Martin Fontius/Jean Mondot, Berlin 2001, in: JbGMOD 49 (2003), S. 371 f. 452. Rez. von: Volker Sellin, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001, in: JbGMOD 49 (2003), S. 374 – 376. 453. Rez. von: Bernhard Ruetz, Der preußische Konservatismus im Kampf gegen Einheit und Freiheit, Berlin 2001, in: JbGMOD 49 (2003), S. 379 f. 454. Rez. von: Hans Fenske, Der moderne Verfassungsstaat. Eine vergleichende Geschichte von der Entstehung bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn u. a. 2001, in: ZfP 50 (2003), S. 352 – 354. 455. Rez. von: Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931 – 1945, Baden-Baden 1999, in: ZfP 50 (2003), S. 357 – 360. 456. Rez. von: Hedwig Kopetz, Forschung und Lehre. Die Idee der Universität bei Humboldt, Jaspers, Schelsky und Mittelstraß, Wien 2002, in: Die Öffentliche Verwaltung 56 (2003), S. 515 f.
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2004 457. Heinrich von Brentano und die deutsch-französischen Beziehungen in der Ära Adenauer, in: Roland Koch (Hrsg.), Heinrich von Brentano. Ein Wegbereiter der europäischen Integration, München 2004, S. 183 – 203. 458. Prince Consort und Verfassung. Zum Problem der verfassungsrechtlichen Stellung Prinz Alberts, in: Franz Bosbach/John R. Davis (Hrsg.), Prinz Albert – Ein Wettiner in Großbritannien (Prinz-Albert-Studien, 22), München 2004, S. 111 – 135. 459. Friedrich August II. (1836 – 1854), in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige 1089 – 1918, München 2004, S. 237 – 262, 344 – 346. 460. Vorformen und Anfänge wissenschaftlicher Politikberatung im 19. Jahrhundert, in: Stefan Fisch/Wilfried Rudloff (Hrsg.), Experten und Politik: Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 168), Berlin 2004, S. 59 – 78. 461. Monarchischer Konstitutionalismus. Zu einer neuen Deutung der deutschen und europäischen Verfassungsentwicklung im 19. Jahrhundert, in: Der Staat 43 (2004), S. 595 – 620. 462. Rez. von: Werner Schochow, Bücherschicksale. Die Verlagerungsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek. Auslagerung – Zerstörung – Entfremdung – Rückführung. Dargestellt aus den Quellen, Berlin/New York 2003, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. 1. 2004, S. 30. 463. Rez. von: Kurt Kluxen, England in Europa. Studien zur britischen Geschichte und zur politischen Ideengeschichte der Neuzeit, hrsg. v. Frank-Lothar Kroll, Berlin 2003, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 2. 2004, S. 35. 464. Rez. von: Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001, in: FBPG N.F. 14 (2004), S. 137 – 142. 465. Rez. von: Frank Foerster, Christian Carl Josias Bunsen. Diplomat, Mäzen und Vordenker in Wissenschaft, Kirche und Politik, Bad Arolsen 2001, in: HZ 278 (2004), S. 211 – 213. 466. Rez. von: Michael Kißener, Zwischen Diktatur und Demokratie. Badische Richter 1919 – 1952, Konstanz 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 11 [15. 11. 2004], URL: http://www.sehe punkte.historicum.net/2004/11/4995.html 467. Rez. von: Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hrsg.), Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, in: HZ 279 (2004), S. 702 – 704. 468. Rez. von: Ulrich Thiele, Distributive Gerechtigkeit und demokratischer Staat. Fichtes Rechtslehre von 1796 zwischen vorkantischem und kantischem Naturrecht, Berlin 2002, in: HZ 279 (2004), S. 756 f. 469. Rez. von: Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften, hrsg. v. Johannes Kunisch, bearb. v. Michael Sikora u. Tilman Stieve, Bde. I–II, Köln u. a. 2002 – 2003, in: JbGMOD 50 (2004), S. 335 f. 470. Rez. von: Niels Freytag, Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815 – 1918), Berlin 2003, in: JbGMOD 50 (2004), S. 336 – 339.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
471. Rez. von: Friedrich Wilhelm von Redern, Unter drei Königen. Lebenserinnerungen eines preußischen Oberstkämmerers und Generalintendanten. Aufgezeichnet v. Georg Horn. Bearb. u. eingeleitet v. Sabine Giesbrecht, Köln 2003, in: JbGMOD 50 (2004), S. 339 – 341. 472. Rez. von: Joseph Kohnen (Hrsg.), Königsberger Beiträge. Von Gottsched bis Schenkendorf, Frankfurt a. M. 2002, in: JbGMOD 50 (2004), S. 441 f. 473. Rez. von: Walter Delabar/Horst Denkler/Erhard Schütz (Hrsg.), Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im Nationalsozialismus (Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge, Beiheft 1, 1999), Bern u. a. 1999, in: Hestia. Jahrbuch der Klages-Gesellschaft 21 (2002/03), Würzburg 2004, S. 221 – 223. 474. Rez. von: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Die totalitäre Erfahrung. Deutsche Literatur und Drittes Reich, Berlin 2003, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 37 (2004), S. 395 f.
2005 475. (Als Herausgeber zus. mit Bernd Heidenreich u. Frank-Lothar Kroll), Bismarck und die Deutschen, Berlin 2005 [183 S.]. 476. Otto von Bismarck – Einige Variationen über „historische Größe“, in: Bernd Heidenreich/ Hans-Christof Kraus/Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Bismarck und die Deutschen, Berlin 2005, S. 11 – 19. 477. Bismarck im Spiegel seiner Biographien, in: Bernd Heidenreich/Hans-Christof Kraus/ Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Bismarck und die Deutschen, Berlin 2005, S. 143 – 155. 478. Als konservativer Intellektueller in der frühen Bundesrepublik. Das Beispiel Friedrich Sieburg, in: Die kupierte Alternative. Konservatismus in Deutschland nach 1945, hrsg. v. FrankLothar Kroll, Berlin 2005, S. 267 – 297. 479. Von Hohenlohe zu Papen. Bemerkungen zu den Memoiren deutscher Reichskanzler zwischen der wilhelminischen Ära und dem Ende der Weimarer Republik, in: Franz Bosbach/ Magnus Brechtken (Hrsg.), Politische Memoiren in deutscher und britischer Perspektive, München 2005, S. 87 – 112. 480. Preußens Weg zum Verfassungsstaat, in: Christiane Liermann/Gustavo Corni/Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Italien und Preußen. Dialog der Historiographien, Tübingen 2005, S. 143 – 176. 481. Ulrich von Hassell – Ein Diplomat im Widerstand, in: Matthias Stickler (Hrsg.), Portraits zur Geschichte des deutschen Widerstands, Rahden/Westf. 2005, S. 157 – 173. 482. Vom Traditionsstand zum Funktionsstand. Bemerkungen über „Stände“ und „Ständetum“ im deutschen politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Roland Gehrke (Hrsg.), Aufbrüche in die Moderne. Frühparlamentarismus zwischen altständischer Ordnung und monarchischem Konstitutionalismus 1750 – 1850. Schlesien – Deutschland – Mitteleuropa (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte, 12), Köln/Weimar/Wien 2005, S. 13 – 44 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 483. Rosenstock-Huessy, Eugen, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 75 f. 484. Rust, Bernhard, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 301. 485. Savigny, Karl Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 473 f.
Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
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486. Review Article: Eric Grimmer-Solem, The Rise of Historical Economics and Social Reform in Germany 1864 – 1894, Oxford 2003, in: German Historical Institute London Bulletin, Bd. 27, Nr. 2, November 2005, S. 83 – 92. 487. Ein König und seine Zeit. Zu einer neuen Biographie Friedrichs des Großen, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 561 – 564. 488. Rez. von: Alexander Gallus/Eckhard Jesse (Hrsg.), Staatsformen. Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch, Köln/Weimar/Wien 2004, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 1. 2005, S. 37. 489. Rez. von: Günther Grünthal, Verfassung und Verfassungswandel. Ausgewählte Abhandlungen, Berlin 2003, in: Die Öffentliche Verwaltung 58 (2005), S. 311 f. 490. Rez. von: Felix Blindow, Carl Schmitts Reichsordnung. Strategie für einen europäischen Großraum, Berlin 1999, in: ZfP 52 (2005), S. 211 f. 491. Rez. von: Adolf M. Birke, Deutschland und Großbritannien. Historische Beziehungen und Vergleiche, München 1999, in: ZfP 52 (2005), S. 242 f. 492. Rez. von: Enno Eimers, Preußen und die USA 1850 bis 1867. Transatlantische Wechselwirkungen, Berlin 2004, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 7. 2005, S. 37. 493. Rez. von: Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, in: Die Öffentliche Verwaltung 58 (2005), S. 882 f. 494. Rez. von: Wilhelm Bringmann, Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797). Frankfurt a. M. u. a. 2001, in: HZ 281 (2005), S. 474 – 476. 495. Rez. von: Andreas Rödder, Die radikale Herausforderung. Die politische Kultur der englischen Konservativen zwischen ländlicher Tradition und industrieller Moderne (1846 – 1868), München 2002, in: HZ 281 (2005), S. 487 – 489. 496. Rez. von: Dietrich Spitta, Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts, Berlin 2004, in: Die Öffentliche Verwaltung 58 (2005), S. 928. 497. Rez. von: Dirk Götschmann, Bayerischer Parlamentarismus im Vormärz. Die Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1819 – 1848 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus, 7), Düsseldorf 2002, in: Parliaments, Estates & Representation 25 (2005), S. 237 – 239. 498. Rez. von: Johannes Paulmann (Hrsg.), Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln/Weimar/Wien 2005, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. 11. 2005, S. 9. 499. Rez. von: Wolfgang Burgdorf, Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806, Mainz 1998, in: ZfP 52 (2005), S. 495 f. 500. Rez. von: Heinz Duchhardt/Andreas Kunz (Hrsg.), Reich oder Nation? Mitteleuropa 1780 – 1815, Mainz 1998, in: ZfP 52 (2005), S. 496 – 498. 501. Rez. von: Jens Nordalm, Historismus und moderne Welt. Erich Marcks (1861 – 1938) in der deutschen Geschichtswissenschaft, Berlin 2003, in: AKG 87 (2005), S. 488 – 491.
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502. Rez. von: Thomas Stamm-Kuhlmann (Hrsg.), „Freier Gebrauch der Kräfte“. Eine Bestandsaufnahme der Hardenberg-Forschung, München 2001, in: FBPG N.F. 15 (2005), S. 287 – 289. 503. Rez. von: Bärbel Holtz/Hartwin Spenkuch (Hrsg.), Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung – Verwaltung – politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade, Berlin 2001, in: FBPG N.F. 15 (2005), S. 289 – 292. 504. Rez. von: Karl Freiherr von Müffling, Offizier – Kartograph – Politiker (1775 – 1851). Lebenserinnerungen und kleinere Schriften, hrsg. v. Hans-Joachim Behr, Köln/Weimar/Wien 2003, in: JbGMOD 51 (2005), S. 271 – 273. 505. Rez. von: Wolf Nitschke, Adolf Heinrich Graf v. Arnim Boitzenburg (1803 – 1868). Eine politische Biographie, Berlin 2004, in: JbGMOD 51 (2005), S. 273 f. 506. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Konrad Canis u. a. Abt. III: 1871 – 1898. Schriften Bd. 1: 1871 – 1873, bearb. v. Andrea Hopp, Paderborn u. a. 2004, in: JbGMOD 51 (2005), S. 281 – 283. 507. Rez. von: Karl Hampe, Kriegstagebuch 1914 – 1919, hrsg. v. Folker Reichert/Eike Wolgast, München 2004, in: JbGMOD 51 (2005), S. 285 – 289. 508. Rez. von: Claudia Koonz, The Nazi Conscience, Cambridge, Mass./London 2003, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 155. 509. Rez. von: Hans Maier (Hrsg.), Totalitarismus und politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs. Bd. III: Deutungsgeschichte und Theorie, Paderborn 2003, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 229. 510. Rez. von: Paul Laband, Staatsrechtliche Vorlesungen, hrsg. v. Bernd Schlüter, Berlin 2004, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 423 f. 511. Rez. von: Gabriele B. Clemens, „Sanctus amor patriae“. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2004, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 432. 512. Rez. von: Montserrat Herrero (Hrsg.), Carl Schmitt und Álvaro d’Ors. Briefwechsel, Berlin 2004, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 497. 513. Rez. von: Matthias Stickler, „Ostdeutsch heißt gesamtdeutsch“. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949 – 1972, Düsseldorf 2004, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 507 f. 514. Rez. von: Werner Schneiders, Philosophie der Aufklärung – Aufklärung der Philosophie. Gesammelte Studien. Zu seinem 70. Geburtstag, hrsg. v. Frank Grunert, Berlin 2005, in: Das Historisch-Politische Buch 53 (2005), S. 571 f.
2006 515. Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 37), Berlin 2006 [124 S.]. 516. Englische Verfassung und politisches Denken im Ancien Régime 1689 – 1789 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 60), München 2006 [817 S.].
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517. Politisches Denken und politische Strömungen, in: Andreas Wirsching (Hrsg.), Oldenbourg Geschichte Lehrbuch. Bd. 4: Neueste Zeit, München 2006, S. 61 – 74. 518. Die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland“. Ihr Anteil an der Formierung des katholischen Milieus in Deutschland zwischen Reichsgründung und früher Weimarer Republik, in: Michel Grunewald/Uwe Puschner/Hans Manfred Bock (Hrsg.), Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871 – 1963), Bern 2006, S. 85 – 109. 519. Preußen als Lebensthema Friedrich Meineckes – Geschichtsschreibung und politische Reflexion, in: Wolfgang-Neugebauer (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (FBPG N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, S. 269 – 304. 520. Das Ende des Alten Reiches 1806: der deutsche Weg ins 19. Jahrhundert, in: Alexander Gallus (Hrsg.), Deutsche Zäsuren. Systemwechsel seit 1806, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 63 – 102. 521. Heinz Gollwitzer (1917 – 1999), in: Heinz Duchhardt u. a. (Hrsg.), Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch, Bd. 2, Göttingen 2007, S. 295 – 321. 522. Parlament und auswärtige Politik in Preußen 1849 – 1859, in: Parliaments, Estates & Representation 26 (2006), S. 121 – 129; ebenfalls in: Waclaw Uruszcak/Kazimierz Baran/Anna Karabowicz (Hrsg.), Separation of Powers and Parliamentarism. The Past and Present Law, Doctrine, Practice. Five Hundred Years Anniversary of the Nihil novi Statute of 1505. 56th Conference of International Comission for the History of Representative and Parliamentary Institutions in Cracow and Radom (5 – 8 September 2005), Warschau 2007, S. 554 – 562. 523. Von der Unordnung zur Ordnung. Die deutsche Gesellschaft des 20. Jahrhunderts in Selbstentwurf und Selbstbeschreibung, in: ZfP 53 (2006), S. 91 – 101. 524. Rez. von: Michael Hecker, Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland, Berlin 2005, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 2. 2006, S. 34. 525. Rez. von: Annette Gümbel, „Volk ohne Raum“. Der Schriftsteller Hans Grimm zwischen nationalkonservativem Denken und völkischer Ideologie, Darmstadt/Marburg 2003, in: HZ 282 (2006), S. 233 – 235. 526. Rez. von: Helge Peukert, Das tradierte Konzept der Staatswissenschaft, Berlin 2005, in: Die Öffentliche Verwaltung 59 (2006), S. 271. 527. Rez. von: Dagmar Bussiek, „Mit Gott für König und Vaterland!“ Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848 – 1892, Münster/Hamburg/London 2002, in: HZ 282 (2006), S. 506 f. 528. Rez. von: Michel Grunewald/Uwe Puschner/Hans Manfred Bock (Hrsg.), Le milieu intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890 – 1960) / Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890 – 1960), Bern 2003, in: HZ 282 (2006), S. 521 f. 529. Rez. von: Hugh Smith, On Clausewitz. A Study on Military and Political Ideas, Basingstoke/New York 2005, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. 7. 2006, S. 33. 530. Rez. von: Martin Peters, Altes Reich und Europa. Der Historiker, Statistiker und Publizist August Ludwig (v.) Schlözer (1735 – 1809), Münster 2003, in: ZNR 28 (2006), S. 478 – 480.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
531. Rez. von: Jan Rolin, Der Ursprung des Staates. Die naturrechtlich-rechtsphilosophische Legitimation von Staat und Staatsgewalt im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts, Tübingen 2005, in: Die Öffentliche Verwaltung 59 (2006), S. 883 f. 532. Rez. von: Andreas Groh, Die Gesellschaftskritik der Politischen Romantik. Eine Neubewertung ihrer Auseinandersetzung mit den Vorboten von Industrialisierung und Modernisierung, Bochum 2004, in: HZ 283 (2006), S. 508 f. 533. Rez. von: Rüdiger vom Bruch, Bürgerlichkeit, Staat und Kultur im Deutschen Kaiserreich, hrsg. v. Hans-Christoph Liess, Stuttgart 2005, in: Das Historisch-Politische Buch 54 (2006), S. 42 f. 534. Rez. von: Jörn Leonhard, Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München 2001, in: ZfP 52 (2006), S. 479 – 482. 535. Rez. von: Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 – 1970, München 2005, in: ZfP 52 (2006), S. 490 – 493. 536. Rez. von: Cinzio Violante, Das Ende der „großen Illusion“. Ein europäischer Historiker im Spannungsfeld von Krieg und Nachkriegszeit, Henri Pirenne (1914 – 1923): zu einer Neulesung der „Geschichte Europas“, hrsg. v. Gerhard Dilcher, Berlin 2004, in: Das HistorischPolitische Buch 54 (2006), S. 119 f. 537. Rez. von: Marc Schalenberg/Peter Th. Walter (Hrsg.), „… immer im Forschen bleiben“. Rüdiger vom Bruch zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2004, in: Das Historisch-Politische Buch 54 (2006), S. 123. 538. Rez. von: Anne Christine Nagel, Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1970, Göttingen 2005, in: Das Historisch-Politische Buch 54 (2006), S. 341. 539. Rez. von: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918 – 1939, Göttingen 2005, in: Das Historisch-Politische Buch 54 (2006), S. 495 f. 540. Rez. von: Karsten Jedlitschka, Wissenschaft und Politik. Der Fall des Münchner Historikers Ulrich Crämer (1907 – 1992), Berlin 2006, in: Das Historisch-Politische Buch 54 (2006), S. 581 f. 541. Rez. von: Cornelia Roolfs, Der hannoversche Hof von 1814 bis 1866. Hofstaat und Hofgesellschaft, Hannover 2005, in: ZBLG 69 (2006), S. 387 f. 542. Rez. von: Jürgen Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation 1848 – 1866, Göttingen 2005, in: Der Staat 45 (2006), S. 639 – 641. 543. Rez. von: Uwe Hebekus, Klios Medien. Die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts in der historistischen Historie und bei Theodor Fontane, Tübingen 2003, in: FBPG N.F. 17 (2006), S. 286 f. 544. Rez. von: Ursula Goldenbaum, Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1687 – 1796. Mit Beiträgen von Frank Grunert, Peter Weber, Gerda Heinrich, Brigitte Erker, Winfried Siebers, Bde. 1 – 2, Berlin 2004, in: JbGMOD 52 (2006), S. 360 – 362. 545. Rez. von: Klaus Berndl, Ernst Ferdinand Klein (1743 – 1810). Ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des Achtzehnten Jahrhunderts, Münster 2004, in: JbGMOD 52 (2006), S. 362 – 364.
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546. Rez. von: Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften. Bd. 3: Lehrer, Artillerist, Wegbereiter (Preußen 1801 – 1804), hrsg. v. Johannes Kunisch/Michael Sikora, bearb. v. Tilman Stieve, Köln/Weimar/Wien 2005, in: JbGMOD 52 (2006), S. 368 – 370. 547. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Konrad Canis u. a. Abt. III: 1871 – 1898. Schriften Bd. 2: 1874 – 1876, bearb. v. Rainer Bendick, Paderborn u. a. 2005, in: JbGMOD 52 (2006), S. 372 – 374. 548. Rez. von: Christian Nottmeier, Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 – 1930. Eine biographische Studie zum Verhältnis von Protestantismus, Wissenschaft und Politik, Tübingen 2004, in: JbGMOD 52 (2006), S. 374 – 377.
2007 549. (Als Herausgeber zus. mit Thomas Nicklas), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege (HZ, Beihefte N.F. 44), München 2007 [423 S.]. 550. Einleitung (zus. mit Thomas Nicklas), in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007, S. 1 – 12. 551. Geschichte als Lebensgeschichte. Gegenwart und Zukunft der politischen Biographie, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007, S. 311 – 332. 552. Onno Klopp (1822 – 1903). Ein politischer Historiker in den Wandlungen seiner Zeit, in: Heimatland. Zeitschrift für Heimatkunde, Naturschutz, Kulturpflege, Jg. 2007, H. 3, S. 77 – 83. 553. Deux peuples dans le débat des historiens. Les relations franco-allemandes vues par Jacques Bainville et Johannes Haller, in: Jean Schillinger/Philippe Alexandre (Hrsg.), Le Barbare. Images phobiques et réflexions sur l’altérité dans la culture européenne (Convergences, 45), Bern 2008, S. 267 – 286. 554. Schlosser, Johann Georg, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, Berlin 2007, S. 101 f. 555. Schmalz, Theodor Anton Heinrich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, Berlin 2007, S. 120 f. 556. Rez. von: Michael Hofmann/Jörn Rüsen/Mirjam Springer (Hrsg.), Schiller und die Geschichte. Wilhelm Fink Verlag, München 2006, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 1. 2007, S. 35. 557. Rez. von: Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 – 1970, München 2005, in: Die Öffentliche Verwaltung 60 (2007), S. 217 – 219. 558. Rez. von: Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005, in: AKG 89 (2007), S. 248 – 251. 559. Rez. von: Ulrich Muhlack, Staatensystem und Geschichtsschreibung. Ausgewählte Aufsätze zu Humanismus und Historismus, Absolutismus und Aufklärung, hrsg. v. Notker Hammerstein/Gerrit Walther, Berlin 2006, in: Die Öffentliche Verwaltung 16 (2007), S. 713 f.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
560. Rez. von: Stefan Koslowski, Zur Philosophie von Wirtschaft und Recht. Lorenz von Stein im Spannungsfeld zwischen Idealismus, Historismus und Positivismus, Berlin 2005, in: Die Öffentliche Verwaltung 60 (2007), S. 893 f. 561. Rez. von: Roger Chickering, Krieg, Frieden und Geschichte. Gesammelte Aufsätze über patriotischen Aktionismus, Geschichtskultur und totalen Krieg, Stuttgart 2007, in: HZ 285 (2007), S. 499 – 501. 562. Rez. von: Sabine Kempf, Wahlen zur Ständeversammlung im Königreich Hannover 1848 – 1866. Wahlrecht, Wahlpolitik, Wahlkämpfe und Wahlentscheidungen, Frankfurt a. M. 2007, in: Parliaments, Estates & Representation 27 (2007), S. 257 f. 563. Rez. von: Dieter Gosewinkel/Johannes Masing (Hrsg.), Die Verfassungen in Europa 1789 – 1949, München 2006, in: Die Öffentliche Verwaltung 60 (2007), S. 1070 – 1072. 564. Rez. von: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Martin Göhring (1903 – 1968). Stationen eines Historikerlebens, Mainz 2005, in: AKG 89 (2007), S. 502 – 504. 565. Rez. von: Christina Randig, Aufklärung und Region. Gerhard Anton von Halem (1752 – 1819). Publikationen – Korrespondenzen – Sozietäten, Göttingen 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 125 f. 566. Rez. von: Theodor von Schön, Persönliche Schriften. Bd. 1: Die autobiographischen Fragmente. Mit einer Einführung u. hrsg. v. Bernd Sösemann, bearb. v. Albrecht Hoppe, Köln/Weimar/Wien 2006, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 131 f. 567. Rez. von: Oliver Braun, Konservative Existenz in der Moderne. Das politische Weltbild Alois Hundhammers (1900 – 1974), München 2006, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 158. 568. Rez. von: Olaf Jessen, „Preußens Napoleon“? Ernst von Rüchel, 1754 – 1823. Krieg im Zeitalter der Vernunft, Paderborn 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 351 f. 569. Rez. von: Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen 1559 – 1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 2), Paderborn 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 370 f. 570. Rez. von: Klaus Ries, Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 427 f. 571. Rez. von: Mario Keßler, Ossip K. Flechtheim. Politischer Wissenschaftler und Zukunftsdenker (1909 – 1998), Köln/Weimar/Wien 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 473 f. 572. Rez. von: Barbara Koehn, Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Eine Würdigung, Berlin 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 607 f. 573. Rez. von: Richard Saage, Elemente einer politischen Ideengeschichte der Demokratie. Historisch-politische Studien, hrsg. v. Axel Rüdiger, Berlin 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 55 (2007), S. 636. 574. Rez. von: Denis Sdvizˇkov, Das Zeitalter der Intelligenz. Zur vergleichenden Geschichte der Gebildeten in Europa bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 2006, in: JbGMOD 53 (2007), S. 347 f.
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575. Rez. von: Klaus Hildebrand/Eberhard Kolb (Hrsg.), Otto von Bismarck im Spiegel Europas, Paderborn u. a. 2006, in: JbGMOD 53 (2007), S. 352 f. 576. Rez. von: Holger Afflerbach (Hrsg.), Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914 – 1918, München 2005, in: JbGMOD 53 (2007), S. 355 – 357. 577. Rez. von: Lothar Mertens, Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik, München 2006, in: JbGMOD 53 (2007), S. 362 – 364. 578. Rez. von: Norbert Conrads (Hrsg.), Willy Cohn, Kein Recht, nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933 – 1941, Bde. 1 – 2, Köln/Weimar/Wien 2007, in: JbGMOD 53 (2007), S. 450 – 453. 579. Rez. von: Christoph Jahr/Rebecca Schaarschmidt (Hrsg.), Die Berliner Universität in der NS-Zeit. Bd. 1: Strukturen und Personen, Stuttgart 2005, in: FBPG 17 (2007), S. 285 f. 580. Rez. von: Rüdiger vom Bruch/Rebecca Schaarschmidt (Hrsg.), Die Berliner Universität in der NS-Zeit. Bd. 2: Fachbereiche und Fakultäten, Stuttgart 2005, in: FBPG 17 (2007), S. 286 f. 581. Rez. von: Gideon Botsch, „Politische Wissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Deutschen Auslandswissenschaften“ im Einsatz 1940 – 1945, Paderborn u. a. 2006, in: FBPG 17 (2007), S. 287 f.
2008 582. Kultur, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 82), München 2008 [XIV, 168 S.]. 583. (Als Herausgeber), Heinz Gollwitzer, Weltpolitik und deutsche Geschichte. Gesammelte Studien (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 77), Göttingen 2008 [624 S.]. 584. (Als Herausgeber), Heinz Gollwitzer, Kultur – Konfession – Regionalismus. Gesammelte Aufsätze (Historische Forschungen, 88), Berlin 2008 [339 S.]. 585. Vorwort, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Heinz Gollwitzer, Kultur – Konfession – Regionalismus. Gesammelte Aufsätze (Historische Forschungen, 88), Berlin 2008, S. V–VI. 586. Zur Einführung: Heinz Gollwitzer – Eine biographische Skizze, in: Heinz Gollwitzer, Weltpolitik und deutsche Geschichte. Gesammelte Studien, hrsg. v. Hans-Christof Kraus (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 77), Göttingen 2008, S. 9 – 24. 587. Fürstenlehre und Spätaufklärung in Preußen. Johann Jakob Engels Kronprinzenvorträge für Friedrich Wilhelm III. aus dem Jahr 1791, in: Klaus Hildebrand/Udo Wengst/Andreas Wirsching (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und Zeiterkenntnis. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Festschrift zum 65. Geburtstag von Horst Möller, München 2008, S. 33 – 50 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 588. „Die Furche“. Zur Entwicklung einer evangelischen Zeitschrift zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: Michel Grunewald/Uwe Puschner (Hrsg.), Das evangelische Intel-
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602. Rez. von: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften. Bd. 1: Politik und Gesellschaft im Kaiserreich, hrsg. u. eingeleitet v. Lothar Albertin in Zusammenarbeit mit Christoph Müller, Tübingen 2007, in: Die Öffentliche Verwaltung 61 (2008), S. 784 – 786. 603. Rez. von: Christian Linder, Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land, Berlin 2008, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 130 f. 604. Rez. von: Bernd Eberstein, Preußen und China. Eine Geschichte schwieriger Beziehungen, Berlin 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 184 f. 605. Rez. von: Andreas Timmermann, Die „Gemäßigte Monarchie“ in der Verfassung von Cádiz (1812) und das frühe liberale Verfassungsdenken in Spanien, Münster 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 194 f. 606. Rez. von: Hans-Albrecht Koch, Die Universität. Geschichte einer europäischen Institution, Darmstadt 2008, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 206. 607. Rez. von: Oliver Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds. Hermann Wageners Staats- und Gesellschaftslexikon (1858/59 – 1867), Ludwigshafen 2005, in: HZ 287 (2008), S. 482 – 484. 608. Rez. von: Timm Genett, Der Fremde im Kriege. Zur politischen Theorie und Biographie von Robert Michele 1876 – 1936, Berlin 2008, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 242 f. 609. Rez. von: Walter Erhart/Arne Koch (Hrsg.), Ernst Moritz Arndt (1769 – 1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven, Tübingen 2007, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 311. 610. Rez. von: Annelien de Dijn, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville. Liberty in a Levelled Society?, Cambridge/New York 2008, in: Das Historisch-Politische Buch 56 (2008), S. 315. 611. Rez. von: Peter Brandt/Martin Kirsch/Arthur Schlegelmilch (Hrsg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bd. 1: Um 1800, Bonn 2007, in: Die Öffentliche Verwaltung 61 (2008), S. 1015 f. 612. Rez. von: Richard W. Dill, Niederbayern 1848. Über die schwierigen Anfänge der Demokratie – die niederbayerischen Abgeordneten in der Paulskirche, Viechtach 2007, in: Passauer Jahrbuch 50 (2008), S. 336 f. 613. Rez. von: Friedrich der Große, Potsdamer Ausgabe, Werke. Bd. VI: Philosophische Schriften, hrsg. v. Anne Baillot/Brunhilde Wehinger, Berlin 2007, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2008, S. 344 – 348. 614. Rez. von: Enzo Traverso, Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914 – 1945, München 2008, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 12. 2008, S. 7. 615. Rez. von: Rüdiger vom Bruch, Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Björn Hofmeister/Hans-Christoph Liess, Stuttgart 2006, in: HZ 287 (2008), S. 769 f. 616. Rez. von: Paul Madden/Detlef Mühlberger, The Nazi Party. The Anatomy of a People’s Party, 1919 – 1933, Bern 2007, in: ZfP 55 (2008), S. 497 f.
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2009 627. Das Joachimsthalsche Gymnasium und die Universität Berlin im 19. Jahrhundert, in: Jonas Flöter/Christian Ritzi (Hrsg.), Das Joachimsthalsche Gymnasium. Beiträge zum Aufstieg und Niedergang der Fürstenschule der Hohenzollern, Bad Heilbrunn 2009, S. 245 – 260. 628. Friedrich Wilhelm IV. (1795 – 1861). Christliches Königtum im Schatten der Revolution, in: Rudolf Mau (Hrsg.), Protestantismus in Preußen. Bd. II: Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2009, S. 243 – 262. 629. Die alten Reichskreise als Forschungsthema im Kaiserreich. Richard Festers Bemühungen um eine Geschichte der Reichskreisverfassung (1907/08), in: Axel Gotthard/Andreas Jakob/ Thomas Nicklas (Hrsg.), Studien zur politischen Kultur Alteuropas. Festschrift für Helmut Neuhaus zum 65. Geburtstag, Berlin 2009, S. 51 – 75.
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661. Rez. von: Erich Donnert, Russlands Ausgreifen nach Amerika. Ein Beitrag zur eurasischamerikanischen Entdeckungsgeschichte im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2009, in: Das Historisch-Politische Buch 57 (2009), S. 615 f.
2010 662. (Als Herausgeber zus. mit Heinrich Amadeus Wolff), Souveränitätsprobleme der Neuzeit. Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 58), Berlin 2010. 663. Eine Monarchie unter dem Grundgesetz? Hans-Joachim Schoeps, Ernst Rudolf Huber und die Frage einer monarchischen Restauration in der frühen Bundesrepublik, in: Hans-Christof Kraus/Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Souveränitätsprobleme der Neuzeit. Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages, Berlin 2010, S. 43 – 69. 664. Niedergang oder Aufstieg? Anmerkungen zum deutschen Kulturoptimismus um 1900, in: geschichte für heute 3 (2010), S. 44 – 56. 665. „Selfgovernment“. Die englische lokale Selbstverwaltung im 18. und 19. Jahrhundert und ihre deutsche Rezeption, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Selbstverwaltung in der Geschichte Europas in Mittelalter und Neuzeit. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 10. bis 12. März 2008 (Der Staat, Beiheft 19), Berlin 2010, S. 213 – 246. 666. Englische Verfassung und deutscher Vormärz. Zu den Voraussetzungen und Erscheinungsformen von Prinz Alberts jugendlicher Beschäftigung mit der politischen Ordnung Großbritanniens (1837), in: Franz Bosbach (Hrsg.), Die Studien des Prinzen Albert an der Universität Bonn (1837 – 1838) (Prinz-Albert-Forschungen, 5), Berlin/New York 2010, S. 165 – 186. 667. Kunst, Religion und Politik. Die „Bayreuther Blätter“ im wilhelminischen Deutschland, in: Michel Grunewald/Uwe Puschner (Hrsg.), Krisenwahrnehmungen in Deutschland um 1900. Zeitschriften als Foren der Umbruchszeit im Wilhelminischen Reich (Convergences, 55), Bern 2010, S. 379 – 399. 668. Die englische Verfassung im politischen Denken um 1700, in: Prague Papers on the History of International Relations 2009, S. 87 – 105. 669. Grundzüge des deutschen Parlamentarismus vor 1848, in: Parliaments, Estates & Representation 30 (2010), S. 57 – 79; auch in: Parlamentos: A Lei, a Prática e as Representações Da Idade Média á Actualidade / Parliaments: The Law, the Practice and the Representations From the Middle Ages to the Present Day, Lissabon 2010, S. 129 – 141. 670. Die historische Entfaltung der Freiheit. Bemerkungen zu Droysens „Vorlesungen über die Freiheitskriege“, in: Klaus Ries (Hrsg.), Johann Gustav Droysen. Facetten eines Historikers (Pallas Athene, 34), Stuttgart 2010, S. 79 – 97. 671. Die Gründung der Universität Berlin im Kontext der allgemeinen Bildungsentwicklung um 1800, in: Bärbel Holtz (Hrsg.), Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806 (FBPG N.F., Beiheft 11), Berlin 2010, S. 171 – 190. 672. Freiheit des Hörsaals und akademische Disziplin – Paulsen, Althoff und der „Fall Arons“, in: Thomas Steensen (Hrsg.), Friedrich Paulsen – Weg, Werk und Wirkung eines Gelehrten aus Nordfriesland, Husum 2010, S. 121 – 144.
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673. Das Geheime Deutschland – Zur Geschichte und Bedeutung einer Idee, in: HZ 291 (2010), S. 385 – 417 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 674. Fritz Hartung als Historiker des deutschen Parlamentarismus, in: Jean Garrigues/Éric Anceau (Hrsg.), Assemblées et Parlements dans le Monde, du Moyen Âge à nos Jours. 57e Conférence de la Commission Internationale pour l’Histoire des Assemblées d’État, Bd. 2, [Paris 2010], S. 1431 – 1444. 675. Geschichtspolitik im Kaiserreich. Wilhelm II. und der Streit um den fünften Band von Treitschkes „Deutscher Geschichte“, in: FBPG 20 (2010), S. 73 – 91. 676. Vom Kameralismus zur Volkswirtschaft. Die deutsche Tradition der „Staatswissenschaft“ bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Prague Papers on the History of International Relations 2010/2, S. 47 – 62. 677. Nachwort, in: Gustav Schmoller, Über die „Gedanken und Erinnerungen“ von Otto Fürst von Bismarck, Berlin 2010, S. 31 – 49. 678. Segesser v. Brunegg, Philipp Anton, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 24, S. 161 f. 679. Betrachtungen über die Französische Revolution, in: Erik Lehnert/Karlheinz Weißmann (Hrsg.), Staatspolitisches Handbuch. Bd. 2: Schlüsselwerke, Schnellroda 2010, S. 39 f. 680. Der Fürst/Il Principe, in: Erik Lehnert/Karlheinz Weißmann (Hrsg.), Staatspolitisches Handbuch. Bd. 2: Schlüsselwerke, Schnellroda 2010, S. 88 f. 681. „Weltgeschichtliche Betrachtungen“, in: Erik Lehnert/Karlheinz Weißmann (Hrsg.), Staatspolitisches Handbuch. Bd. 2: Schlüsselwerke, Schnellroda 2010, S. 250. 682. Rez. von: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften. Bd. 4: Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, hrsg. u. eingeleitet v. Detlef Lehnert, Tübingen 2008, in: Die Öffentliche Verwaltung 63 (2010), S. 184 f. 683. Rez. von: Jan-Werner Müller, Ein gefährlicher Geist. Carl Schmitts Wirkung in Europa, Darmstadt 2007, in: HZ 290 (2010), S. 252 f. 684. Rez. von: Johannes Kunisch, Friedrich der Große in seiner Zeit. Essays, München 2008, in: HZ 290 (2010), S. 730 f. 685. Rez. von: Johann Baptist Müller, Konservatismus – Konturen einer Ordnungsvorstellung, Berlin 2007, in: HZ 290 (2010), S. 809 f. 686. Rez. von: Guy van Kerckhoven/Hans-Ulrich Lessing/Axel Ossenkop, Wilhelm Dilthey. Leben und Werk in Bildern, Freiburg i. Br./München 2008, in: HZ 290 (2010), S. 816 – 818. 687. Rez. von: Doron Avraham, In der Krise der Moderne. Der preußische Konservatismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderungen 1848 – 1876, Göttingen 2008, in: HZ 290 (2010), S. 821 f. 688. Rez. von: Michael Maurer, Eberhard Gothein (1853 – 1923). Leben und Werk zwischen Kulturgeschichte und Nationalökonomie, Köln/Weimar/Wien 2007, in: AKG 92 (2010), S. 244 – 249. 689. Rez. von: Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, in: geschichte für heute 3 (2010), S. 84 – 86.
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690. Rez. von: Martin Brecht, Johann Valentin Andreae 1586 – 1654. Eine Biographie. Mit einem Essay von Christoph Brecht, Göttingen 2008, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 14 f. 691. Rez. von: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften. Bd. 2: Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich, hrsg. u. eingeleitet v. Dian Schefold in Zusammenarbeit mit Christoph Müller, Tübingen 2009, in: Die Öffentliche Verwaltung 63 (2010), S. 936 f. 692. Rez. von: Bayerns Anfänge als Verfassungsstaat. Die Konstitution von 1808. Eine Ausstellung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Schriftleitung: Michael Stephan, München 2008, in: Passauer Jahrbuch 52 (2010), S. 314. 693. Rez. von: Katharina Weigand/Jörg Zedler (Hrsg.), Montgelas zwischen Wissenschaft und Politik. Krisendiagnostik, Modernisierungsbedarf und Reformpolitik in der Ära Montgelas und am Beginn des 21. Jahrhunderts, München 2009, in: Passauer Jahrbuch 52 (2010), S. 314 f. 694. Rez. von: Margaret Lavinia Anderson, Lehrjahre der Demokratie. Wahlen und politische Kultur im Deutschen Kaiserreich. Aus d. Engl. v. Sibylle Hirschfeld, Stuttgart 2009, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 265 – 267. 695. Rez. von: Dorothee Gottwald, Fürstenrecht und Staatsrecht im 19. Jahrhundert. Eine wissenschaftsgeschichtliche Studie, Frankfurt a. M. 2009, in: HZ 291 (2010), S. 825 f. 696. Rez. von: Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, in: Die Öffentliche Verwaltung 63 (2010), S. 1021 – 1023. 697. Rez. von: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Acta Borussica, Neue Folge, 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat. Abt. I: Das Preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817 – 1934). Bd. 1.1: Die Behörde und ihr höheres Personal. Darstellung; Bd. 1.2: Die Behörde und ihr höheres Personal. Dokumente, Berlin 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15. 12. 2010], URL: http://www.sehepunkte. de /2010/12/15441.html 698. Rez. von: Stefan Martus, Die Brüder Grimm. Eine Biographie, Berlin 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 349 f. 699. Rez. von: John W. Boyer, Karl Lueger (1844 – 1910). Christlichsoziale Politik als Beruf, Wien/Köln/Weimar 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 353 f. 700. Rez. von: Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften. Bd. 5: Leiter der Militärreorganisation (Preußen 1808 – 1809), hrsg. v. Johannes Kunisch i. Verb. mit Michael Sikora, bearb. v. Tilman Stieve, Köln/Weimar/Wien 2009, in: JbGMOD 56 (2010), S. 221 – 223. 701. Rez. von: Jakob Nolte, Demagogen und Denunzianten. Denunziation und Verrat als Methode polizeilicher Informationserhebung bei den politischen Verfolgungen im preußischen Vormärz, Berlin 2007, in: JbGMOD 56 (2010), S. 223 – 225. 702. Rez. von: Winfried Baumgart (Hrsg.), Die auswärtige Politik Preußens. Bd. VII: April bis August 1866, Berlin 2008, in: JbGMOD 56 (2010), S. 225 – 227. 703. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Konrad Canis u. a. Abt. III: 1871 – 1898. Schriften Bd. 5: 1882 – 1883, bearb. v. Ulrich Lappenküper, Paderborn u. a. 2010, in: JbGMOD 56 (2010), S. 228 f.
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704. Rez. von: Lothar Gall/Ulrich Lappenküper (Hrsg.), Bismarcks Mitarbeiter, Paderborn u. a. 2009, in: JbGMOD 56 (2010), S. 229 – 231. 705. Rez. von: Volker Stalmann, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst 1819 – 1901. Ein deutscher Reichskanzler, Paderborn u. a. 2009, in: JbGMOD 56 (2010), S. 231 – 233. 706. Rez. von: Peggy Cosmann, Physiodicee und Weltnemesis. Eugen Dührings physiomoralische Begründung des Moral- und Charakterantisemitismus, Göttingen 2007, in: JbGMOD 56 (2010), S. 234 f. 707. Rez. von: Gottfried Niedhart (Hrsg.), Gustav Mayer. Als deutsch-jüdischer Historiker in Krieg und Revolution 1914 – 1920. Tagebücher, Aufzeichnungen, Briefe, München 2009, in: JbGMOD 56 (2010), S. 235 – 237. 708. Rez. von: Jörg H. Lampe, „Freyheit und Ordnung“. Die Januarereignisse von 1831 und der Durchbruch zum Verfassungsstaat im Königreich Hannover, Hannover 2009, in: ZBLG 73 (2010), S. 997 – 999. 709. Rez. von: Johann Gustav Droysen, Historik. Supplement: Droysen-Bibliographie, hrsg. v. Horst Walter Blanke (Johann Gustav Droysen, Historik. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. v. Peter Leyh/Horst Walter Blanke, Supplement), Stuttgart/Bad Cannstatt 2008, in: FBPG 20 (2010), S. 152 – 154. 710. Rez. von: Wolfgang Eric Wagner (Hrsg.), Die Bibliothek der Historischen Gesellschaft von Johann Gustav Droysen 1860 – 1884. Eine Büchersammlung in der Zweigbibliothek Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2008, in: FBPG 20 (2010), S. 154 f. 711. Rez. von: Bärbel Meurer, Marianne Weber. Leben und Werk, Tübingen 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 464. 712. Rez. von: Friedrich Lenger, Sozialwissenschaft um 1900. Studien zu Werner Sombart und einigen seiner Zeitgenossen, Frankfurt a. M. u. a. 2009, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 544. 713. Rez. von: Wolfgang Hardtwig, Politische Kultur der Moderne. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 566 f. 714. Rez. von: Wolfgang Hardtwig/Philipp Müller (Hrsg.), Die Vergangenheit der Weltgeschichte. Universalhistorisches Denken in Berlin 1800 – 1933, Göttingen 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 567 f. 715. Rez. von: Brendan Simms/Karina Urbach (Hrsg.), Die Rückkehr der ,großen Männer‘. Staatsmänner im Krieg. Ein deutsch-britischer Vergleich 1740 – 1945 (Prinz-Albert-Studien, 28), Berlin/New York 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 58 (2010), S. 644.
2011 716. (Als Herausgeber), Heinz Gollwitzer, Politik und Kultur in Bayern unter Ludwig I., Regensburg 2011 [237 S.]. 717. (Als Herausgeber), Ernst Ludwig von Gerlach, Gottesgnadentum und Freiheit. Ausgewählte Schriften aus den Jahren 1863 bis 1866, Wien/Leipzig 2011 [141 S.]. 718. Die Spätzeit des Alten Reiches im Blick der deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts, in: Matthias Asche/Thomas Nicklas/Matthias Stickler (Hrsg.), Was vom Alten Reiche blieb.
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Deutungen, Institutionen und Bilder des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 19. und 20. Jahrhundert, München 2011, S. 33 – 62. 719. Über einige geistesgeschichtliche Voraussetzungen des Nationalsozialismus, in: Manuel Becker/Stephanie Bongartz (Hrsg.), Die weltanschaulichen Grundlagen des NS-Regimes. Ursprünge, Gegenentwürfe, Nachwirkungen. Tagungsband der XXIII. Königswinterer Tagung im Februar 2010 (Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V., 15), Berlin 2011, S. 21 – 40 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 720. Golo Manns „Wallenstein“ im Kontext seines Lebenswerkes und seiner Zeit, in: Joachim Bahlcke/Christoph Kampmann (Hrsg.), Wallensteinbilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 349 – 390. 721. Adelskrise und Umbruch 1918/19. Das Ende des Deutschen Kaiserreichs in den Adelsromanen des Fedor von Zobeltitz, in: Zdeneˇ k Hazdra/Václav Horcˇ icˇ ka/Jan Zˇ upanicˇ (Hrsg.), Sˇ lechta strˇední Evropy v konfrontaci s totalitními rezˇ imy 20. století / Der Adel Mitteleuropas in Konfrontation mit den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts, Prag 2011, S. 13 – 20. 722. Del cameralismo a la economia nacional. La tradición alemana de las ciencas políticas hasta el comienzo del siglo XX, in: Historia 396, Valparaiso/Chile, 1 (2011), S. 103 – 125 [Spanische Übersetzung von Nr. 676]. 723. Neue deutsche Verfassungstheorie, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2011, S. 25 – 54. 724. Nachwort in: Ernst Ludwig von Gerlach, Gottesgnadentum und Freiheit. Ausgewählte Schriften aus den Jahren 1863 bis 1866, Wien/Leipzig 2011, S. 127 – 141. 725. Standardwerk und Kompendium. Zum Abschluss des Handbuchs der Preußischen Geschichte, in: FBPG N.F. 21 (2011), S. 255 – 262. 726. Mitteleuropa zwischen Idee und Wirklichkeit. Zur Entwicklung des Mitteleuropa-Gedankens 1815 – 1945, in: Prague Papers on the History of International Relations 2011/1, S. 45 – 72. 727. Rez. von: Bedrich Loewenstein, Der Fortschrittsglaube. Geschichte einer europäischen Idee, Göttingen 2009, in: geschichte für heute 4 (2011), S. 96 – 98. 728. Rez. von: Carsten Kremer, Die Willensmacht des Staates. Die gemeindeutsche Staatsrechtslehre des Carl Friedrich von Gerber, Frankfurt a. M. 2008, in: Die öffentliche Verwaltung 64 (2011), S. 74 f. 729. Rez. von: Ludwig Freiherr von Vincke, Die Tagebücher 1789 – 1844. Bd. 1: 1789 – 1792, bearb. v. Wilfried Reininghaus u. Hertha Sagebiel, Münster 2009, in: HZ 292 (2011), S. 216 f. 730. Rez. von: Ludwig Freiherr von Vincke, Die Tagebücher 1789 – 1844. Bd. 5: 1804 – 1810, bearb. v. Hans-Joachim Behr, Münster 2009, in: HZ 292 (2011), S. 217 f. 731. Rez. von: Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009, in: HZ 292 (2011), S. 267 – 270. 732. Rez. von: Matthias Oppermann, Raymond Aron und Deutschland. Die Verteidigung der Freiheit und das Problem des Totalitarismus, Ostfildern 2008, in: ZfP 58 (2011), S. 109 – 111. 733. Rez. von: Friedrich Wilhelm Graf (Hrsg.), Intellektuellen-Götter, München 2009, in: HZ 292 (2011), S. 540 f.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
734. Rez. von: Dieter Grimm, Souveränität. Herkunft und Zukunft eines Schlüsselbegriffs, Berlin 2009, in: Die Öffentliche Verwaltung 64 (2011), S. 363 f. 735. Rez. von: Henning Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855 – 1873, Paderborn u. a. 2010, in: HZ 292 (2011), S. 819 f. 736. Rez. von: Edgar Feuchtwanger, Erlebnis und Geschichte. Als Kind in Hitlers Deutschland. Ein Leben in England. Aus d. Engl. v. Manfred Flügge, Berlin 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 59 (2011), S. 24 f. 737. Rez. von: Cecilia Nubola/Andreas Würgler (Hrsg.), Mit dem Feind tanzen? Reaktionen auf die französische Expansion in Europa zwischen Begeisterung und Protest (1792 – 1815), Berlin/Bologna 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 59 (2011), S. 41 f. 738. Rez. von: Rolf Straubel, Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740 – 1806/15, 2 Teilbde., München 2009, in: Die Öffentliche Verwaltung 64 (2011), S. 610 f. 739. Rez. von: Joseph Görres, Gesammelte Schriften. Briefe. Bd. 1: Briefe der Münchener Zeit, bearb. u. hrsg. v. Monika Fink-Lang. Paderborn/München/Wien 2009, in: HZ 293 (2011), S. 229 f. 740. Rez. von: Wilfrid Prest (Hrsg.), Blackstone and his Commentaries. Biography, Law, History, Oxford/Portland/Oregon 2009, in: ZRG GA 128 (2011), S. 650 f. 741. Rez. von: Wilfrid Prest, William Blackstone. Law and Letters in the Eighteenth Century, Oxford/New York 2008, in: ZRG GA 128 (2011), S. 652 – 655. 742. Rez. von: Klaus Kellmann, Friedrich Paulsen und das Kaiserreich, Neumünster 2010, in: HZ 293 (2011), S. 524. 743. Rez. von: Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Tübingen 2010, in: Die Öffentliche Verwaltung 64 (2011), S. 814 – 816. 744. Rez. von: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft nach 1800, um 1860 und um 1910, München 2010, in: Das HistorischPolitische Buch 59 (2011), S. 309 f. 745. Rez. von: Olaf Jessen, Die Moltkes. Biographie einer Familie, München 2010, in: HZ 293 (2011), S. 819 f. 746. Rez. von: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Acta Borussica, Neue Folge, 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat. Abt. I: Das Preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817 – 1934). Bd. 2.1: Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern Schule, Wissenschaft, Kirchen, Künste und Medizinalwesen. Darstellung, Berlin 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 12 [15. 12. 2011], URL: http:// www.sehepunkte.de /2011/12/16623.html 747. Rez. von: Gerhard Ammerer, Das Ende für Schwert und Galgen? Legislativer Prozess und öffentlicher Diskurs zur Reduzierung der Todesstrafe im Ordentlichen Verfahren unter Joseph II. (1781 – 1787), Innsbruck 2010, in: Passauer Jahrbuch 53 (2011), S. 232 f. 748. Rez. von: Andreas Rose, Zwischen Empire und Kontinent. Britische Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, München 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 59 (2011), S. 599 f.
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2012 757. (Als Herausgeber), Berlinische Lebensbilder. Bd. 10: Geisteswissenschaftler II, Berlin 2012 [338 S.]. 758. Rudolf Vierhaus 1922 – 2011, in: HZ 294 (2012), S. 577 – 584. 759. Großbritannien, in: Werner Daum u. a. (Hrsg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bd. 2: 1815 – 1847, Bonn 2012, S. 209 – 263. 760. Arnold Oskar Meyer, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Berlinische Lebensbilder. Bd. 10: Geisteswissenschaftler II, Berlin 2012, S. 245 – 262. 761. Fritz Hartung, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Berlinische Lebensbilder. Bd. 10: Geisteswissenschaftler II, Berlin 2012, S. 307 – 327. 762. Gelungene und missglückte Verfassungsgebung – Aspekte und Erfahrungen der neueren deutschen und europäischen Verfassungsgeschichte, in: Arno Scherzberg/Osman Can/I˙lyas Dog˘ an (Hrsg.), Verfassungstheorie und Verfassungsgebung. Überlegungen anlässlich der Diskussion um eine Verfassungsreform in der Türkei (Deutsch-Türkisches Forum für Staatsrechtslehre, 9), Berlin/Münster 2012, S. 79 – 101. 764. Rez. von: Michael Thöndl, Oswald Spengler in Italien. Kulturexport politischer Ideen der „Konservativen Revolution“, Leipzig 2010, in: HZ 294 (2012), S. 252 f. 765. Rez. von: „Solange das Imperium da ist“. Carl Schmitt im Gespräch mit Klaus Figge und Dieter Groh 1971. Hrsg., komm. u. eingeleitet v. Frank Hertweck u. Dimitrios Kisoudis in
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Zusammenarbeit mit Gerd Giesler. Mit einem Nachwort v. Dieter Groh, Berlin 2010, in: HZ 294 (2012), S. 256 f. 766. Rez. von: Ewald Grothe (Hrsg.), Konservative deutsche Politiker im 19. Jahrhundert. Wirken – Wirkung – Wahrnehmung, Marburg 2010, in: HZ 294 (2012), S. 536 f. 767. Rez. von: Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.), WBG Weltgeschichte. Eine Globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert. Bd. VI: 1880 bis heute, Darmstadt 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 60 (2012), S. 235 f. 768. Rez. von: Adam Kirsch, Dandy, Poet, Staatsmann. Die vielen Leben des Benjamin Disraeli, Berlin 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 60 (2012), S. 349 f. 769. Rez. von: Schmittiana. Neue Folge. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. 1, hrsg. v. der Carl-Schmitt-Gesellschaft, Berlin 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 60 (2012), S. 421 f. 770. Rez. von: Joachim von Wedel, Zur Entwicklung des deutschen parlamentarischen Zweikammersystems, Berlin 2011, in: Die Öffentliche Verwaltung 65 (2012), S. 602 f. 771. Rez. von: John Darwin, Der imperiale Traum. Die Globalgeschichte großer Reiche 1400 – 2000, Frankfurt a. M./New York 2010, in: ZRG GA 129 (2012), S. 424 – 426. 772. Rez. von: Notker Hammerstein, Geschichte als Arsenal. Ausgewählte Aufsätze zu Reich, Hof und Universitäten der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Michael Maaser/Gerrit Walther, Göttingen 2010, in: ZRG GA 129 (2012), S. 594 f. 773. Rez. von: Wilhelm Bleek, Friedrich Christoph Dahlmann. Eine Biographie, München 2010, in: ZRG GA 129 (2012), S. 687 – 691. 774. Rez. von: Christian Schmitz, Die Vorschläge und Entwürfe zur Realisierung des preußischen Verfassungsversprechens 1806 – 1819. Eine rechtliche Bilanz zum Frühkonstitutionalismus der Stein-Hardenberg’schen Reformzeit, Göttingen 2010, in: ZRG GA 129 (2012), S. 712 – 714. 775. Rez. von: Ludwig Freiherr von Vincke, Die Tagebücher 1789 – 1844. Bd. 2: 1792 – 1793, bearb. v. Wilfried Reininghaus unter Mitarbeit v. Hertha Sagebiel, Tobias Meyer-Zurwelle u. Tobias Schenk, Münster 2011, in: HZ 295 (2012), S. 207 f. 776. Rez. von: Beate Wagner-Hasel, Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847 – 1930), Frankfurt a. M./New York 2011, in: HZ 295 (2012), S. 215 f. 777. Rez. von: Carl Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, hrsg. v. Wolfgang Schuller in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler. Berlin, 2010, in: HZ 295 (2012), S. 249 f. 778. Rez. von: Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, hrsg. v. Günter Maschke, Berlin 2011, in: HZ 295 (2012), S. 251 f. 779. Rez. von: Robert Schnepf, Geschichte erklären. Grundprobleme und Grundbegriffe, Göttingen 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 60 (2012), S. 455 f. 780. Rez. von: Bruno Pieger/Bertram Schefold (Hrsg.), Stefan George. Dichtung – Ethos – Staat. Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland, Berlin 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 60 (2012), S. 529 f.
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781. Rez. von: Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011, in: Die Öffentliche Verwaltung 65 (2012), S. 810 – 812. 782. Rez. von: Lothar Gall, Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt, Berlin 2011, in: FBPG 22 (2012), S. 136 – 139. 783. Rez. von: Matthias Frederichs, Niedersachsen unter dem Ministerpräsidenten Heinrich Hellwege (1955 – 1959), Hannover 2010, in: ZBLG 75 (2012), S. 684 – 686. 784. Rez. von: Erich Donnert, Antirevolutionär-konservative Publizistik in Deutschland am Ausgang des Alten Reiches. Johann August Starck (1741 – 1816), Ludwig Adolf Christian von Grolman (1741 – 1809), Friedrich Nicolai (1733 – 1811), Frankfurt a. M./Berlin/Bern 2010, in: HZ 295 (2012), S. 796 f. 785. Rez. von: Andreas Fahrmeir, Revolutionen und Reformen. Europa 1789 – 1850, München 2011, in: geschichte für heute 4 (2012), S. 104 – 106. 786. Rez. von: Neue Deutsche Biographie, Bd. 24, Berlin 2010, in: JbGMOD 58 (2012), S. 180 – 182. 787. Rez. von: Hans-Joachim Bartmuss/Josef Ulfkotte, Nach dem Turnverbot. „Turnvater“ Jahn zwischen 1819 und 1852, Köln/Weimar/Wien 2011, in: JbGMOD 58 (2012), S. 228 f. 788. Rez. von: Martin Hundt (Hrsg.), Der Redaktionsbriefwechsel der Hallischen, Deutschen und Deutsch-französischen Jahrbücher (1837 – 1844). Bd. 1: Der Briefwechsel um die Hallischen Jahrbücher; Bd. 2: Der Briefwechsel um die Deutschen Jahrbücher und die DeutschFranzösischen Jahrbücher; Bd. 3: Apparat, Berlin 2010, in: JbGMOD 58 (2012), S. 229 – 232. 789. Rez. von: Birte Förster, Der Königin Luise-Mythos. Mediengeschichte des „Idealbilds deutscher Weiblichkeit“ 1860 – 1960, Göttingen 2011, in: JbGMOD 58 (2012), S. 233. 790. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Holger Afflerbach u. a. Abt. IV: Gedanken und Erinnerungen, bearb. v. Michael Epkenhans u. Eberhard Kolb, Paderborn u. a. 2012, in: JbGMOD 58 (2012), S. 234 – 237. 791. Rez. von: Bernd Heidenreich/Sönke Neitzel (Hrsg.), Das Deutsche Kaiserreich 1890 – 1914, Paderborn u. a. 2011, in: JbGMOD 58 (2012), S. 237 f. 792. Rez. von: Michael A. Obst (Hrsg.), Die politischen Reden Kaiser Wilhelms II. Eine Auswahl, Paderborn 2011, in: JbGMOD 58 (2012), S. 238 – 240. 793. Rez. von: Rainer Schröder/Angela Klopsch/Kristin Kleibert (Hrsg.), Die Berliner Juristische Fakultät und ihre Wissenschaftsgeschichte von 1810 bis 2010. Dissertationen, Habilitationen und Lehre, Berlin 2010, in: JbGMOD 58 (2012), S. 247 f.
2013 794. Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 1919 – 1933 (Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, 4), Berlin 2013 [200 S.]. 795. (Als Herausgeber), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945 (FBPG N.F., Beiheft 12), Berlin 2013 [471 S.]. 796. Zur Einführung: Fragen und Probleme der Historiographie Preußens in der Zwischenkriegszeit und nach 1945, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissen-
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schaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945 (FBPG N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, S. 7 – 16. 797. Epilog und Requiem. Siegfried A. Kaehlers Projekt einer neuen ,Preußischen Geschichte‘ nach dem Ende Preußens, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945 (FBPG N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, S. 241 – 261. 798. Bedeutung und Grenzen der akademischen Freiheit in Preußen 1815 bis 1848, in: Thomas Becker/Uwe Schaper (Hrsg.), Die Gründung der drei Friedrich-Wilhelms-Universitäten. Universitäre Bildungsreformen in Preußen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 108), Berlin 2013, S. 21 – 43. 799. Friedrich Thimme, Ein Historiker und Akteneditor im „Krieg der Dokumente“ 1920 – 1937, in: Markus Raasch/Tobias Hirschmüller (Hrsg.), Von Freiheit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis. Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Geburtstag (Beiträge zur Politischen Wissenschaft, 175), Berlin 2013, S. 281 – 300. 800. Emanzipation eines „diplomatischen Säuglings“ – ein Brief Otto von Bismarcks an Leopold von Gerlach, in: Jörg Schuster/Jochen Strobel (Hrsg.), Briefkultur. Texte und Interpretationen von Martin Luther bis Thomas Bernhard, Berlin/Boston 2013, S. 183 – 199. 801. Korporative Libertät und staatliche Ordnung. Zum konservativen Ordnungsdenken im Zeitalter der Revolution 1789 – 1850, in: Michael Großheim/Hans Jörg Hennecke (Hrsg.), Staat und Ordnung im konservativen Denken (Staatsverständnisse, 53), Baden-Baden 2013, S. 16 – 40. 802. Kleindeutsch – Großdeutsch – Gesamtdeutsch? Eine Historikerkontroverse der Zwischenkriegszeit, in: Alexander Gallus/Thomas Schubert/Tom Thieme (Hrsg.), Deutsche Kontroversen. Festschrift für Eckhard Jesse, Baden-Baden 2013, S. 71 – 86. 803. Zur parlamentarischen Rhetorik politischer Professoren. Friedrich Christoph Dahlmann und Friedrich Julius Stahl, in: Jörg Feuchter/Johannes Helmrath (Hrsg.), Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 164), Düsseldorf 2013, S. 197 – 212. 804. Auf dem Weg zur deutschen Vormacht. Preußens Vergrößerungen 1848 und 1866, in: Robert Kretzschmar/Anton Schindling/Eike Wolgast (Hrsg.), Zusammenschlüsse und Neubildungen deutscher Länder im 19. und 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, B, 197), Stuttgart 2013, S. 75 – 99. 805. Bemerkungen zum Kulturkampf in Deutschland, Bayern und Passau, in: Passauer Jahrbuch 55 (2013), S. 149 – 167. 806. Preußen aus der Distanz – Eduard Spranger und der „Berliner Geist“, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2013, S. 47 – 64. 807. „… so muss die deutsche Luft frei machen“. Die Brüder Grimm und die Politik, in: Damals. Das Magazin für Geschichte, Nr. 5/2013, S. 34 – 39. 808. Die Gelehrten und der cholerische König. Die Göttinger Sieben, in: Damals. Das Magazin für Geschichte, Nr. 5/2013, S. 40 f.
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809. Friedrichs Nachleben. Zur neuesten Literatur über Friedrich den Großen und seine Zeit, in: geschichte für heute 6 (2013), S. 50 – 64. 810. Stahl, Friedrich Julius, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 25, Berlin 2013, S. 32 f. 811. Stieber, Johann Carl Wilhelm Eduard, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 25, Berlin 2013, S. 319 f. 812. Rez. von: Barbara Stollberg-Rilinger/André Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne (ZHF, Beiheft 44), Berlin 2010, in: Die Öffentliche Verwaltung 66 (2013), S. 33 f. 813. Rez. von: Frank-Lothar Kroll/Hendrik Thoß (Hrsg.), Europas verlorene und wiedergewonnene Mitte. Das Ende des Alten Reiches und die Entstehung des Nationalitätenproblems im östlichen Mitteleuropa (Chemnitzer Europastudien, 11), Berlin 2011, in: HZ 296 (2013), S. 531 f. 814. Rez. von: Hans Ulrich Gumbrecht/Florian Klinger (Hrsg.), Latenz. Blinde Passagiere in den Geisteswissenschaften, Göttingen 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 61 (2013), S. 9. 815. Rez. von: Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 4: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945 – 1990, München 2012, in: Die Öffentliche Verwaltung 66 (2013), S. 563 f. 816. Rez. von: Jost Dülffer/Wilfried Loth (Hrsg.), Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15. 07. 2013], URL: http://www.sehe punkte.de /2013/07/22257.html 817. Rez. von: Reinhard Blänkner, „Absolutismus“. Eine begriffsgeschichtliche Studie zur politischen Theorie und zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, 1830 – 1870 (Zivilisation & Geschichte, 15), Frankfurt a. M. 2011, in: HZ 297 (2013), S. 144 f. 818. Rez. von: Edgar Feuchtwanger, Disraeli. Eine politische Biographie. Aus d. Engl. v. Axel Walter, Berlin 2012, in: Das Historisch-Politische Buch 61 (2013), S. 247 f. 819. Rez. von: Claudia Kemper, Das „Gewissen“ 1919 – 1925. Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen, München 2011, in: HZ 297 (2013), S. 536 f. 820. Rez. von: Klaus Hildebrand, Der Flug des Ikarus. Studien zur deutschen Geschichte und internationalen Politik, hrsg. v. Joachim Scholtyseck/Christoph Studt, München 2011, in: HZ 297 (2013), S. 578 f. 821. Rez. von: Ulrich Leitner, Imperium. Geschichte und Theorie eines politischen Systems, Frankfurt a. M./New York 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 61 (2013), S. 565 f. 822. Rez. von: Adrian Holderegger/Siegfried Weichlein/Simone Zurbuchen (Hrsg.), Humanismus. Sein kritisches Potential für Gegenwart und Zukunft, Basel 2011, in: Das HistorischPolitische Buch 61 (2013), S. 567. 823. Rez. von: Hubert Cancik, Europa – Antike – Humanismus. Humanistische Versuche und Vorarbeiten, hrsg. v. Hildegard Cancik-Lindermaier, Bielefeld 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 61 (2013), S. 666. 824. Rez. von: Matthias Lutz-Bachmann/Andreas Niederberger (Hrsg.), Kosmopolitanismus. Zur Geschichte und Zukunft eines umstrittenen Ideals, Weilerswist 2010, in: Das Historisch-Politische Buch 61 (2013), S. 668 f.
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825. Rez. von: Barbara Six, Denkmal und Dynastie. König Maximilian II. auf dem Weg zu einem Bayerischen Nationalmuseum (Miscellanea Bavarica Monacensia, 185), München 2012, in: Passauer Jahrbuch 55 (2013), S. 261 f. 826. Rez. von: Friedrich der Große: Potsdamer Ausgabe, Werke. Bd. VII: Werke des Philosophen von Sanssouci. Oden, Episteln, Die Kriegskunst. Aus d. Französ. übersetzt v. Hans W. Schumacher, hrsg v. Jürgen Overhoff u. Vanessa de Senarclens, Berlin 2012, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2013, S. 231 – 233. 827. Rez. von: Stefan Breuer, Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik, Berlin 2012, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2013, S. 235 f. 828. Rez. von: Neue Deutsche Biographie, Bd. 25, Berlin 2013, in: JbGMOD 59 (2013), S. 163 f. 829. Rez. von: Benjamin Lahusen, Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Friedrich Carl von Savigny und die moderne Rechtswissenschaft, Berlin 2013, in: JbGMOD 59 (2013), S. 225 f. 830. Rez. von: Frank Göse, Friedrich I. – Ein König in Preußen. Regensburg 2012, in: JbGMOD 59 (2013), S. 220 f. 831. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Holger Afflerbach u. a. Abt. III: 1871 – 1898. Schriften Bd. 6: 1884 – 1885, bearb. v. Ulrich Lappenküper, Paderborn u. a. 2011, in: JbGMOD 59 (2013), S. 234 – 236. 832. Rez. von: Frank-Lorenz Müller, Der 99-Tage-Kaiser. Friedrich III. von Preußen – Prinz, Monarch, Mythos. Aus d. Engl. v. Sybille Hirschfeld. München 2013, in: JbGMOD 59 (2013), S. 236 – 239. 833. Rez. von: Detlef Lehnert (Hrsg.), Hugo Preuß 1860 – 1925. Genealogie eines modernen Preußen (Historische Demokratieforschung. Schriften der Hugo-Preuß-Stiftung und der Paul-Löbe-Stiftung, 2), Köln/Weimar/Wien 2011, in: JbGMOD 59 (2013), S. 239 – 242. 834. Rez. von: Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868 – 1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012, in: JbGMOD 59 (2013), S. 242 – 244. 835. Rez. von: Sven Haase, Berliner Universität und Nationalgedanke 1800 – 1848. Genese einer politischen Idee (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 42), Stuttgart 2012, in: JbGMOD 59 (2013), S. 258 f. 836. Rez. von: Christian Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen (1871 – 1945). Bd. 1: 1871 – 1918, Berlin 2012, in: JbGMOD 59 (2013), S. 313 – 315. 837. Rez. von: Bastian Pfeiffer, Alexander von Schleinitz und die preußische Außenpolitik 1858 – 1861, Frankfurt a. M. 2012, in: FBPG N.F. 23 (2013), S. 277 f.
2014 838. Literatur und Politik im späten Kaiserreich. Der Streit um Gerhart Hauptmanns „Festspiel in deutschen Reimen“ (1913), in: Klaus Hildebrandt/Stefan Rohlfs (Hrsg.), Gerhart Hauptmann. Neue Studien zu seinem Werk, Berlin 2014, S. 37 – 57. 839. Liberalismusdeutung und Liberalismuskritik bei Stahl und Gerlach, in: Ewald Grothe/Ulrich Sieg (Hrsg.), Liberalismus als Feindbild, Göttingen 2014, S. 53 – 72. 840. Helmut Quaritsch (1930 – 2011), in: ZRG GA 131 (2014), S. 749 – 807.
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841. Heiliger Befreiungskampf? Sakralisierende Kriegsdeutungen 1813 – 1815, in: HJb 134 (2014), S. 44 – 60 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 842. Ein Parlament für den Deutschen Bund? Zur Frage einer gesamtdeutschen Nationalvertretung in den Jahren 1851 bis 1866, in: Parliaments, Estates & Representation 34 (2014), S. 203 – 215. 843. Zwischen Parlament und Prärogative – Monarchie und Verfassung in Großbritannien seit dem 19. Jahrhundert, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), Konstitutionalismus in Europa. Entwicklung und Interpretation, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 287 – 309. 844. Nationalgeschichte in politischer Absicht – Heinrich Ludens „Geschichte des teutschen Volkes“, in: Stefan Gerber u. a. (Hrsg.), Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland. Hans Werner Hahn zum 65. Geburtstag, Teil 1, Göttingen 2014, S. 319 – 335. 845. Nur Reaktion und Reichsgründung? Ein neuer Blick auf Preußens Entwicklung 1850 bis 1871, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Oppenheim-Vorlesungen zur Geschichte Preußens an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2014, S. 213 – 239. 846. Kontinuität und Reform. Zur Geschichte des politischen Denkens in Deutschland zwischen Spätaufklärung und Romantik, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2014, S. 183 – 203 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 847. Friedrich Meinecke als Korrespondent. Zu den neuen Briefeditionen, in: HZ 298 (2014), S. 89 – 100. 848. Neues zur Urkatastrophe. Aktuelle Veröffentlichungen zum Ersten Weltkrieg, in: geschichte für heute 7 (2014), S. 42 – 55. 849. Rez. von: Rupert Scholz, Parlamentarische Demokratie in der Bewährung. Ausgewählte Abhandlungen, hrsg. v. Rainer Pitschas/Arnd Uhle, Berlin 2012, in: Die Öffentliche Verwaltung 67 (2014), S. 79 f. 850. Rez. von: Klaus Ries (Hrsg.), Romantik und Revolution. Zum politischen Reformpotential einer unpolitischen Bewegung, Heidelberg 2012, in: HZ 298 (2014), S. 220 – 222. 851. Rez. von: Andreas Dietz, Das Primat der Politik in kaiserlicher Armee, Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Rechtliche Sicherungen der Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden zwischen Politik und Militär, Tübingen 2011, in: HZ 298 (2014), S. 246 – 248. 852. Rez. von: Detlef Merten, Rechtsstaatliche Anfänge im Zeitalter Friedrichs des Großen. Gesammelte, überarbeitete Aufsätze. Mit einem Vorwort von Michael Kotulla, Berlin 2012, in: Die Öffentliche Verwaltung 67 (2014), S. 164 f. 853. Rez. von: Anne Friedrichs, Das Empire als Aufgabe des Historikers. Historiographie in imperialen Nationalstaaten: Großbritannien und Frankreich 1919 – 1968, Frankfurt a. M./ New York 2011, in: Das Historisch-Politische Buch 62 (2014), S. 7. 854. Rez. von: Harald Bluhm/Karsten Fischer/Marcus Llanque (Hrsg.), Ideenpolitik. Geschichtliche Konstellationen und gegenwärtige Konflikte, Berlin 2011, in: Das HistorischPolitische Buch 62 (2014), S. 80 f. 855. Rez. von: John Agar, Science in the Twentieth Century and Beyond, Cambridge 2012, in: HZ 298 (2014), S. 579 f.
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856. Rez. von: Christian Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen (1871 – 1945). Bd. 1: 1871 – 1918, Berlin 2012, in: Das Historisch-Politische Buch 62 (2014), S. 201. 857. Rez. von: Vera Hierholzer/Sandra Richter (Hrsg.), Goethe und das Geld. Der Dichter und die moderne Wirtschaft, Frankfurt a. M. 2012, in: HZ 298 (2014), S. 730 f. 858. Rez. von: Milan Kuhli, Carl Gottlieb Svarez und das Verhältnis von Herrschaft und Recht im aufgeklärten Absolutismus, Frankfurt a. M. 2012, in: HZ 298 (2014), S. 808 f. 859. Rez. von: Jacob Taubes – Carl Schmitt. Briefwechsel mit Materialien, hrsg. v. Herbert Kopp-Oberstebrink/Thorsten Palzhoff/Martin Treml, München 2012, in: ZRG GA 131 (2014), S. 709 – 712. 860. Rez. von: Hans Fenske, Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 1914 – 1919, München 2013, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. 9. 2014, S. 6. 861. Rez. von: Kai Burkhardt (Hrsg.), Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983, Berlin 2013, in: Die Öffentliche Verwaltung 67 (2014), S. 800 f. 862. Rez. von: Sebastian Liebold, Kollaboration des Geistes. Deutsche und französische Rechtsintellektuelle 1933 – 1940, Berlin 2012, in: Totalitarismus und Demokratie 11 (2014), S. 304 – 306. 863. Rez. von: Andreas Heuer, Nachdenken über Geschichte. Hegel, Droysen, Troeltsch, Löwith, Strauss, Berlin 2013, in: Das Historisch-Politische Buch 62 (2014), S. 455 f. 864. Rez. von: Christian Maus, Der ordentliche Professor und sein Gehalt. Die Rechtsstellung der juristischen Ordinarien an den Universitäten Berlin und Bonn zwischen 1810 und 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse, Göttingen 2013, in: HZ 299 (2014), S. 806 – 808. 865. Rez. von: Winfried Baumgart (Hrsg.), König Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. – Briefwechsel 1840 – 1858, Paderborn 2013, in: HZ 299 (2014), S. 809 f. 866. Rez. von: Katharina Weigand/Jörn Zedler/Florian Schuller (Hrsg.), Die Prinzregentenzeit. Abenddämmerung der bayerischen Monarchie?, Regensburg 2013, in: Passauer Jahrbuch 56 (2014), S. 294 f. 867. Rez. von: Jean-Paul Bled, Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger. Aus d. Französ. v. Susanna Grabmayr u. Marie-Therese Pitner, Wien/Köln/Weimar 2013, in: Das HistorischPolitische Buch 62 (2014), S. 588 f. 868. Rez. von: Hans Heinz Holz, Leibniz. Das Lebenswerk eines Universalgelehrten, hrsg. und mit einem Nachwort versehen v. Jörg Zimmer, Darmstadt 2013, in: Das Historisch-Politische Buch 62 (2014), S. 664. 869. Peer Vries, Ursprünge des modernen Wirtschaftswachstums. England, China und die Welt in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2013, in: Das Historisch-Politische Buch 62 (2014), S. 676. 870. Rez. von: Ulrich Sieg, Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2013, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2014, S. 277 f. 871. Rez. von: Ulrich Schlie, Das Duell. Der Kampf zwischen Habsburg und Preußen um Deutschland. Berlin 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 241 f.
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872. Rez. von: Carmen Winkel, Im Netz des Königs. Netzwerke und Patronage in der preußischen Armee 1713 – 1786 (Krieg in der Geschichte, 79), Paderborn 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 271 f. 873. Rez. von: Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften. Bd. 6: Geschäftsführender Kriegsminister und Ratgeber im Hintergrund (Preußen 1809 – 1811), hrsg. v. Johannes Kunisch i. Verb. mit Michael Sikora, bearb. v. Tilman Stieve, Köln/Weimar/Wien 2012; Bd. 7: Organisator, Ingenieur, Geheimdiplomat (Preußen 1811 – 1812), hrsg. v. Johannes Kunisch i. Verb. mit Michael Sikora, bearb. v. Tilman Stieve, Köln/Weimar/Wien 2014, in: JbGMOD 60 (2014), S. 279 – 281. 874. Rez. von: Birgit Aschmann, Preußens Ruhm und Deutschlands Ehre. Zum nationalen Ehrdiskurs im Vorfeld der preußisch-französischen Kriege des 19. Jahrhunderts, München 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 288 – 290. 875. Rez. von: Enno Eimers, Die Berichte Rönnes aus den USA 1834 – 1843 im Rahmen der Beziehungen Preußen-USA 1785 bis 1867. Die Annäherung von Preußen und den USA, Berlin 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 290 – 292. 876. Rez. von: Michael Epkenhans/Ulrich von Hehl (Hrsg.), Otto von Bismarck und die Wirtschaft, Paderborn 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 292 f. 877. Rez. von: Thomas Gerhards, Heinrich von Treitschke. Wirkung und Wahrnehmung eines Historikers im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 298 – 300. 878. Rez. von: Christoph Kopke/Werner Tress (Hrsg.), Der Tag von Potsdam. Der 21. März 1933 und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, Berlin/Boston 2013, in: JbGMOD 60 (2014), S. 305 f.
2015 879. Bismarck. Größe – Grenzen – Leistungen, Stuttgart 2015 [330 S.]. 880. (Als Herausgeber zus. mit Uwe Schaper u. Klaus Neitmann), Land und Landeshistoriographie. Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen und deutschen Landesgeschichtsforschung, Berlin/Boston 2015 [X, 664 S.]. 881. (Als Herausgeber zus. mit Frank-Lothar Kroll), Historiker und Archivar im Dienste Preußens. Festschrift für Jürgen Kloosterhuis, Berlin 2015 [XII, 656 S.]. 882. Ein Königsberger Historiker: Otto Krauske (1859 – 1930), in: Hans-Christof Kraus/FrankLothar Kroll (Hrsg.), Historiker und Archivar im Dienste Preußens. Festschrift für Jürgen Kloosterhuis, Berlin 2015, S. 209 – 244. 883. Das Deutsche Kaiserreich als monarchischer Bundesstaat, in: Wilhelm Brauneder/Istvan Szabo (Hrsg.), Die bundesstaatlichen Staatsorganisationen, Budapest 2015, S. 47 – 64. 884. Das Deutsche Kaiserreich als monarchischer Bundesstaat, in: ZNR 37 (2015), S. 227 – 239 [leicht erweiterte Fassung von Nr. 883]. 885. Porträt eines Historikers – Theodor Schieder in seiner Zeit (Besprechung von: Christoph Nonn, Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2013), in: HZ 300 (2015), S. 720 – 727.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
886. Rez. von: Wolfgang Hardtwig, Deutsche Geschichtskultur im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, in: HZ 300 (2015), S. 280 – 282. 887. Rez. von: Wolfgang Stegmaier, Das Preußische Allgemeine Landrecht und seine staatsrechtlichen Normen. Über die Funktion der Rechtssätze des Allgemeinen Staatsrechts in AGB und ALR unter der Bedingung der uneingeschränkten Monarchie, Berlin 2014, in: Die Öffentliche Verwaltung 68 (2015), S. 240. 888. Rez. von: Monika Fink-Lang, Joseph Görres. Die Biografie, Paderborn 2013, in: HZ 300 (2015), S. 511 f. 889. Rez. von: Christoph Nonn, Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2013, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 124 f. 890. Rez. von: Rikako Shindo, Ostpreußen, Litauen und die Sowjetunion in der Zeit der Weimarer Republik. Wirtschaft und Politik im deutschen Osten, Berlin 2013, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 274 f. 891. Rez. von: Fabian Frommelt (Hrsg.), Zwangsadministrationen. Legitimierte Fremdverwaltung im historischen Vergleich (17. bis 21. Jahrhundert), Berlin 2014, in: Die Öffentliche Verwaltung 68 (2015), S. 660 f. 892. Rez. von: Ulrich Prehn, Max Hildebert Boehm. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die Bundesrepublik, Göttingen 2013, in: HZ 301 (2015), S. 275 f. 893. Rez. von: Gabriele B. Clemens (Hrsg.), Zensur im Vormärz. Pressefreiheit und Informationskontrolle in Europa, Ostfildern 2013, in: ZNR 37 (2015), S. 168 f. 894. Rez. von: Lorenz Waibel, Ludwig Häusser (1818 – 1867). Kleindeutsche politische Geschichtsschreibung an der Universität Heidelberg, Hamburg 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 354. 895. Rez. von: Alma Hannig/Martina Winkelhofer-Thyri (Hrsg.), Die Familie Hohenlohe. Eine europäische Dynastie im 19. und 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2013, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 355 f. 896. Rez. von: Schmittiana. Neue Folge. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. 2, hrsg. v. der Carl Schmitt-Gesellschaft, Berlin 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 361 f. 897. Rez. von: Bertrand Michael Buchmann, Weltpolitik seit 1945, Wien/Köln/Weimar 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 383. 898. Rez. von: Olga Weckenbrock, Adel auf dem Prüfstand. Strategien der Selbstbehauptung bei Ernst (1738 – 1813) und Ludwig (1774 – 1844) Freiherren von Vincke, Münster 2014, in: HZ 301 (2015), S. 440 f. 899. Rez. von: Marcus Mühlnikel, „Fürst, sind Sie unverletzt?“ Attentate im Kaiserreich 1871 – 1914, Paderborn 2014, in: HZ 301 (2015), S. 545 f. 900. Rez. von: Sebastian Hansen, Betrachtungen eines Politischen. Thomas Mann und die deutsche Politik 1914 – 1933, Düsseldorf 2013, in: HZ 301 (2015), S. 827 f. 901. Rez. von: Carl Schmitt, Der Schatten Gottes. Introspektionen, Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924, hrsg. v. Gerd Giesler/Ernst Hüsmert/Wolfgang H. Spindler, Berlin 2014, in: HZ 301 (2015), S. 830 f.
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902. Rez. von: Werner Rösener, Das Max-Planck-Institut für Geschichte (1956 – 2006). Fünfzig Jahre Geschichtsforschung, Göttingen 2014, in: HZ 301 (2015), S. 864 f. 903. Rez. von: Peter Häberle/Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Berlin/Boston 2014, in: Die Öffentliche Verwaltung 68 (2015), S. 1055 f. 904. Rez. von: Friedrich Wilhelm Graf (Hrsg.), Wendepunkte. Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Regensburg 2013, in: Passauer Jahrbuch 57 (2015), S. 233 f. 905. Rez. von: Ewald Grothe (Hrsg.), Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber. Briefwechsel 1926 – 1981. Mit ergänzenden Materialien, Berlin 2014, in: Der Staat 54 (2015), S. 615 – 617. 906. Rez. von: Günter Johannes Henz, Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung. Bd. I: Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte; Bd. II: Grundlagen und Wege der Forschung, Berlin 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 542 f. 907. Rez. von: Dörte Kaufmann, Anton Friedrich Justus Thibaut (1772 – 1840). Ein Heidelberger Professor zwischen Wissenschaft und Politik, Stuttgart 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 63 (2015), S. 476 f. 908. Rez. von: Thomas J. Hagen, Österreichs Mitteleuropa 1850 – 1866. Die Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion des Karl Ludwig Freiherrn von Bruck, Husum 2015, in: ZNR 37 (2015), S. 308 – 310. 909. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Holger Afflerbach u. a. Abt. III: 1871 – 1898. Schriften Bd. 8: 1888 – 1890, bearb. v. Andrea Hopp, Paderborn u. a. 2014, in: JbGMOD 61 (2015), S. 425 – 427. 910. Rez. von: Irene A. Diekmann A. (Hrsg.), Das Emanzipationsedikt von 1812 in Preußen. Der lange Weg der Juden zu „Einländern“ und „preußischen Staatsbürgern“, Berlin/Boston 2013 in: JbGMOD 61 (2015), S. 418 f. 911. Rez. von: Anne Baillot/Mildred Galland-Szymkowiak (Hrsg.), Grundzüge der Philosophie K. W. F. Solgers, Berlin/Zürich/Münster 2014, in: JbGMOD 61 (2015), S. 454 f. 912. Rez. von: Reimar Lindauer-Huber/Andreas Lindner (Hrsg.), Joachim Justus Breithaupt (1658 – 1732). Aspekte von Leben und Werk im Kontext, Stuttgart 2011, in: JbGMOD 61 (2015), S. 409 f. 913. Rez. von: Gisela Mettele/Andreas Schulz (Hrsg.), Preußen als Kulturstaat im 19. Jahrhundert, Paderborn 2015, in: JbGMOD 61 (2015), S. 419 – 421. 914. Rez. von: Christian Tilitzki (Hrsg.), Protokollbuch der Philosophischen Fakultät der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. 1916 – 1944, Osnabrück 2013, in: JbGMOD 61 (2015), S. 504 – 506.
2016 915. (Als Herausgeber zus. mit Frank-Lothar Kroll), Literatur in Preußen – preußische Literatur? (FBPG N.F., Beiheft 13/3), Berlin 2016 [216 S.]. 916. (Als Herausgeber zus. mit Maximilian Lanzinner), Neue Deutsche Biographie, Bd. 26, Berlin 2016 [XXVIII, 852 S.].
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
917. Gründung und Anfänge des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen, in: Jürgen Elvert (Hrsg.), Geschichte jenseits der Universität. Netzwerke und Organisationen in der frühen Bundesrepublik, Stuttgart 2016, S. 121 – 139. 918. Gustav Freytag und die „Kronprinzenpartei“ im Kaiserreich, in: Hans-Werner Hahn/Dirk Oschmann (Hrsg.), Gustav Freytag (1816 – 1895). Literat – Publizist – Historiker (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 48), Köln/Weimar/ Wien 2016, S. 67 – 83. 919. Preußische Literatur – Literatur in Preußen? Einige Bemerkungen zur preußischen Geistesgeschichte, in: Hans-Christof Kraus/Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Literatur in Preußen – preußische Literatur? (FBPG N.F., Beiheft 13/3), Berlin 2016, S. 11 – 25. 920. Preußischer Frührealismus nach 1848 – Karl Gutzkow und Friedrich Spielhagen, in: HansChristof Kraus/Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Literatur in Preußen – preußische Literatur? (FBPG N.F., Beiheft 13/3), Berlin 2016, S. 57 – 78. 921. Otto von Bismarck. Lehrjahre des Reichsgründers, in: Christiane Freudenstein (Hrsg.), Göttinger Stadtgespräche. Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erinnern an Größen ihrer Stadt, Göttingen 2016, S. 99 – 105. 922. Bismarck, die Konservativen und der Kulturkampf im Deutschen Reich, in: Studia historica Brunensia 63/2 (2016), S. 87 – 104. 923. Kontroversen um Puritanismus und Kapitalismus. Zur neuen kritischen Edition der „Protestantischen Ethik“ von Max Weber, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2015, S. 257 – 264. 924. Ein Friedenskongress – und seine Folgen – Neue Veröffentlichungen zum Wiener Kongress und zur Neuordnung Europas 1815, in: ZNR 38 (2016), S. 102 – 113. 925. Vincke, Friedrich Ludwig Wilhelm Philipp Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 26, Berlin 2016, S. 815 – 817. 926. Vincke, Georg Ernst Friedrich Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 26, Berlin 2016, S. 817 f. 927. Zwischen Abwehr und Anlehnung, Rez. von: Benjamin Conrad/Hans-Christian Maner/Jan Kusber (Hrsg.), Parlamentarier der deutschen Minderheit im Europa der Zwischenkriegszeit, Düsseldorf 2015, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 15, 19. 1. 2016, S. 6. 928. Rez. von: Walter Demel/Sylvia Schraut, Der deutsche Adel. Lebensformen und Geschichte, München 2014, in: HZ 302 (2016), S. 132 f. 929. Rez. von: Lothar Machtan, Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers. Eine Biographie, Berlin 2013, in: HZ 302 (2016), S. 243 – 245. 930. Rez. von: Stefan Koslowski (Hrsg.), Lorenz von Stein und der Sozialstaat, Baden-Baden 2014, in: Die Öffentliche Verwaltung 69 (2016), S. 389 f. 931. Rez. von: Emanuel V. Towfigh, Das Parteien-Paradox. Ein Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses von Demokratie und Parteien, Tübingen 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 75. 932. Rez. von: Günter Johannes Henz, Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung. Bd. I: Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte; Bd. II: Grundlagen und Wege der Forschung, Berlin 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 90 f.
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933. Rez. von: Susan Richter, Pflug und Steuerruder. Zur Verflechtung von Herrschaft und Landwirtschaft in der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2015, in: VSWG 103 (2016), S. 230 f. 934. Rez. von: James Stone/Winfried Baumgart (Hrsg.), Heinrich VII. Prinz Reuß. Botschafter unter Bismarck und Caprivi. Briefwechsel 1871 – 1894, Paderborn 2015, in: HZ 302 (2016), S. 828 f. 935. Rez. von: Robert Meyer, Europa zwischen Land und Meer. Geopolitisches Denken und geopolitische Europamodelle nach der „Raumrevolution“, Göttingen 2014, in: HZ 302 (2016), S. 881 f. 936. Rez. von: Werner Heun, Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit im Vergleich, Tübingen 2014, in: Die Öffentliche Verwaltung 69 (2016), S. 570 f. 937. Rez. von: Hannes Leidinger, Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress. Eine andere Geschichte, Innsbruck/Wien 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 149. 938. Rez. von: Joachim Rückert, Abschiede vom Unrecht. Zur Rechtsgeschichte nach 1945, Tübingen 2015, in: Die Öffentliche Verwaltung 69 (2016), S. 692. 939. Rez. von: Dirk Werle, Ruhm und Moderne. Eine Ideengeschichte (1750 – 1930), Frankfurt a. M. 2014, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2015, S. 264 – 266. 940. Rez. von: Willi Jung (Hrsg.), Napoléon Bonaparte oder der entfesselte Prometheus, Göttingen 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 268. 941. Rez. von: Caroline Elisabeth Weber, Der Wiener Frieden von 1864. Wahrnehmungen durch die Zeitgenossen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein bis 1871, Frankfurt a. M. 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 268 f. 942. Rez. von: Ludwig Freiherr Vincke, Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789 – 1844. Bde. 8 u. 9: 1819 – 1824, 1825 – 1829, bearb. v. Hans-Joachim Behr, Münster 2015, in: HZ 303 (2016), S. 235 – 237. 943. Rez. von: Marcus Llanque/Daniel Schulz (Hrsg.), Verfassungsidee und Verfassungspolitik, Berlin/München/Boston 2015, in: ZNR 38 (2016), S. 132 – 134. 944. Rez. von: Karl Vocelka/Michaela Vocelka, Franz Joseph I. – Kaiser von Österreich und König von Ungarn 1830 – 1916. Eine Biographie, München 2015, in: geschichte für heute 9 (2016), S. 124 f. 945. Rez. von: Brendan Simms, Kampf um Vorherrschaft. Eine deutsche Geschichte Europas 1453 bis heute, München 2014, in: HZ 303 (2016), S. 497 – 499. 946. Rez. von: Udo Wengst, Theodor Eschenburg. Biographie einer politischen Leitfigur 1904 – 1999, Berlin 2015 in: HZ 303 (2016), S. 596 f. 947. Rez. von: Peter Raina, The House of Lords Reform: A History, Bde. I/1–IV/2, Bern 2011 – 2015, in: Der Staat 55 (2016), S. 420 – 424. 948. Rez. von: Friedrich Hermann Schubert, Ludwig Camerarius (1573 – 1651). Eine Biographie. Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus. 2. Aufl., mit Beiträgen zu Leben und Werk des Verfassers hrsg. v. Anton Schindling unter Mitarbeit von Markus Gerstmeier, Münster 2013, in: Das HistorischPolitische Buch 64 (2016), S. 344 f.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
949. Rez. von: Sigrid Bauschinger, Die Cassirers. Unternehmer, Kunsthändler, Philosophen. Biographie einer Familie, München 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 358 f. 950. Rez. von: Markus Junkelmann, Napoleon und Bayern. Eine Königskrone und ihr Preis, Regensburg 2014 in: Passauer Jahrbuch 58 (2016), S. 368. 951. Rez. von: Waltraud Seidel-Höppner, Wilhelm Weitling (1808 – 1871). Eine politische Biographie, Frankfurt a. M. 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 463 f. 952. Rez. von: Roland Kopp, Hans-Carl von Schlick (1874 – 1957). Eine Biographie. Mit den Tagebüchern aus 1945, Frankfurt a. M. 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 464 f. 954. Rez. von: Peter Baumgart (Hrsg.), Politische Correspondenz Friedrichs des Großen, Bd. 48 (Januar bis Juni 1783), bearb. v. Frank Althoff, Berlin 2015 in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 473 f. 955. Rez. von: Guy Tourlamain, Völkisch Writers and National Socialism. A Study on RightWing Political Culture in Germany, 1890 – 1960, Bern 2014 in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 536 f. 956. Rez. von: Sven Kriese (Hrsg.), Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus. Die preußischen Staatsarchive vor und nach dem Machtwechsel von 1933, Berlin 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 566 f. 957. Rez. von: Wolfgang Kämmerer, Friedrich Meinecke und das Problem des Historismus, Frankfurt a. M. 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 567 f. 958. Rez. von: Barbara Schneider, Erich Maschke. Im Beziehungsgeflecht von Politik und Geschichtswissenschaft, Göttingen 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 583 f. 959. Rez. von: Walter Rauscher, Die fragile Großmacht. Die Donaumonarchie und die europäische Staatenwelt 1866 – 1914, 2 Teile, Frankfurt a. M. 2014, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 603 f. 960. Rez. von: David Johst, Begrenzung des Rechtsgehorsams. Die Debatte um Widerstand und Widerstandsrecht in Westdeutschland 1945 – 1968, Tübingen 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 630 f. 961. Rez. von: Joseph Lemberg, Der Historiker ohne Eigenschaften. Eine Problemgeschichte des Mediävisten Friedrich Baethgen, Frankfurt a. M./New York 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 64 (2016), S. 645 f. 962. Rez. von: Christoph Brüning/Utz Schliesky (Hrsg.), Lorenz von Stein und die rechtliche Regelung der Wirklichkeit, Tübingen 2015, in: ZNR 38 (2016), S. 313 f. 963. Rez. von: Militär und Gesellschaft in Preußen. Quellen zur Militärsozialisation 1713 – 1806. Archivalien in Berlin, Dessau und Leipzig, hrsg. v. Jürgen Kloosterhuis u. a., bearb. v. Peter Bahl, Claudia Nowak u. Ralf Pröve, Teil I, Bde. 1 – 2, Teil II, Teil III (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 15, 1 – 4), Berlin 2015, in: JbGMOD 62 (2016), S. 256 f. 964. Rez. von: Herzeleide Henning (Bearb.), Bibliographie Friedrich der Große. Nachträge 1786 – 1986. Neuerscheinungen 1986 – 2013 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 18), Berlin 2015, in: JbGMOD 62 (2016), S. 257 f.
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965. Rez. von: Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften. Bd. 8: Tragischer Vollender (Preußen 1813), hrsg. v. Johannes Kunisch i. Verb. mit Michael Sikora, bearb. v. Tilman Stieve (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 52, 8), Köln/ Weimar/Wien 2014, in: JbGMOD 62 (2016), S. 288 – 290. 966. Rez. von: Rafal Biskup (Hrsg.), Gustav Freytag (1816 – 1895). Leben – Werk – Grenze, Leipzig 2015, in: JbGMOD 62 (2016), S. 291 f. 967. Rez. von: Herbert Graf von Bismarck, Erinnerungen und Aufzeichnungen 1871 – 1895, hrsg. v. Winfried Baumgart, Paderborn 2015, in: JbGMOD 62 (2016), S. 292 – 294. 968. Rez. von: Jonas Flöter/Gerald Diesener (Hrsg.), Karl Lamprecht (1856 – 1915). Durchbruch in der Geschichtswissenschaft, Leipzig 2015, in: JbGMOD 62 (2016), S. 294 – 296. 969. Rez. von: Anne C. Nagel, Johannes Popitz (1884 – 1945). Görings Finanzminister und Verschwörer gegen Hitler. Eine Biographie, Köln/Weimar/Wien 2015, in: JbGMOD 62 (2016), S. 304 – 306. 970. Rez. von: Riccarda Henkel, Die Gesellschaft der freyen Künste zu Leipzig. Eine „Gottschedsche“ Sozietät als Beispiel des aufklärerischen Wissenschaftsdiskurses (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 38), Stuttgart 2014, in: JbGMOD 62 (2016), S. 363 – 365.
2017 971. Der Wendepunkt des Philosophen von Sanssouci, Berlin 2017 [65 S.]. 972. (Als Herausgeber zus. mit Martin Hille u. Marc von Knorring), Franz Reiner Erkens, Sachwalter Gottes. Der Herrscher als christus domini, vicarius Christi und sacra majestas. Zum 65. Geburtstag herausgegeben (Historische Forschungen, 116), Berlin 2017 [564 S.]. 973. Bismarck und die preußischen Konservativen, in: Ulrich Lappenküper (Hrsg.), Otto von Bismarck und das „lange 19. Jahrhundert“. Lebendige Vergangenheit im Spiegel der „Friedrichsruher Beiträge“ 1996 – 2016, Paderborn 2017, S. 202 – 225 [Wiederabdruck von Nr. 329]. 974. Kulturkämpfe in Europa – Epochale Bedeutung und Grenzen, in: Ulrich Lappenküper/ André Ritter/Arnulf von Scheliha (Hrsg.), Europäische Kulturkämpfe und ihre gegenwärtige Bedeutung (Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe, 24), Paderborn 2017, S. 17 – 36. 975. Von der Friedrich-Wilhelms- zur Humboldt-Universität 1810 – 2010. Bemerkungen zur neuen Darstellung der Berliner Universitätsgeschichte, in: Blätter zur deutschen Landesgeschichte 151 (2015), S. 637 – 650. 976. Carl Schmitts „Verfassungslehre“ – Systementwurf und Zeitdiagnose, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), Verfassungsdenker. Deutschland und Österreich 1870 – 1970, Berlin 2017, S. 263 – 288. 977. Versailles 1871 – Versailles 1919 – Versailles 1940. Zu Carl Schmitts Deutung Max Webers, in: ZNR 39 (2017), S. 100 – 106.
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978. Grenzen der Persönlichkeit / Epilog, in: Ulrich Lappenküper (Hrsg.), Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung. Biographische Perspektiven seit 1970 (Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe, 25), Paderborn 2017, S. 217 – 223. 979. Der konservative Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Bedeutung und Problematik, in: Barbara Zehnpfennig (Hrsg.), Politischer Widerstand. Allgemeine theoretische Grundlagen und praktische Erscheinungsformen in Nationalsozialismus und Kommunismus, Baden-Baden 2017, S. 181 – 204. 980. Wilhelm Hasbach: Theorie und Kritik der modernen Demokratie, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), „Das deutsche Volk und die Politik“. Hugo Preuß und der Streit um „Sonderwege“ (Historische Demokratieforschung, 12), Berlin 2017, S. 109 – 128 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 981. Bismarcks Gesandtenzeit in Frankfurt am Main, in: Bernd Heidenreich/Evelyn Brockhoff (Hrsg.), 1866 – Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich. Deutschland – Hessen – Frankfurt, Berlin/Boston 2017, S. 135 – 150. 982. Bismarck und Bayern, in: Passauer Jahrbuch 59 (2017), S. 211 – 228. 983. Die Anfänge der lexikalisch-biographischen Forschung bei Herbert Schöffler, in: Ágoston Zéno Bernád/Christine Gruber/Maximilian Kaiser (Hrsg.), Europa baut auf Biographien. Aspekte, Bausteine, Normen und Standards für eine europäische Biographik, Wien 2017, S. 67 – 80. 984. Vorwort, in: Cristiana Senigaglia, Max Weber’s Theory of Parliamentary Democracy. The Protestant Ethic and the Spirit of Bureaucracy, Lewiston, NY/Lampeter, Wales 2017, S. IX–XVII. 985. Neues von und über Carl Schmitt, in: Jahrbuch Politisches Denken 26 (2016), S. 211 – 216. 986. Rez. von: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften. Bd. 3: Das Verfassungswerk von Weimar, hrsg. u. eingeleitet v. Detlef Lehnert, Christoph Müller u. Dian Schefold, Tübingen 2015, in: Die Öffentliche Verwaltung 70 (2017), S. 33 f. 987. Rez. von: Lisa Medrow/Daniel Münzer/Robert Radu (Hrsg.), Kampf um Wissen. Spionage, Geheimhaltung und Öffentlichkeit 1870 – 1940, Paderborn 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 11. 988. Rez. von: Reto Heinzel, Theodor Mayer. Ein Mittelalterhistoriker im Banne des „Volkstums“ 1920 – 1960, Paderborn 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 21 – 22. 989. Rez. von: Schmittiana. Neue Folge. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. III, hrsg. v. der Carl-Schmitt-Gesellschaft, Berlin 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 133. 990. Rez. von: M. Rainer Lepsius, Max Weber und seine Kreise. Essays, Tübingen 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 203 f. 991. Rez. von: Michael C. Schneider, Wissensproduktion im Staat. Das königlich preußische statistische Bureau 1860 – 1914, Frankfurt a. M./New York 2013, in: FBPG N.F. 26 (2017), S. 111 f. 992. Rez. von: Ulrike Lötzsch, Joachim Georg Darjes (1714 – 1791). Der Kameralist als Schulund Gesellschaftsreformer, Köln/Weimar/Wien 2016, in: ZNR 39 (2017), S. 121 – 123.
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993. Rez. von: Ewald Grothe (Hrsg.), Ernst Rudolf Huber. Staat – Verfassung – Geschichte, Baden-Baden 2015, in: ZNR 39 (2017), S. 141 f. 994. Rez. von: Peter Landau, Deutsche Rechtsgeschichte im Kontext Europas – 40 Aufsätze in vier Jahrzehnten, Badenweiler 2016, in: HZ 305 (2017), S. 146 – 148. 995. Rez. von: Friedrich Nicolai, Sämtliche Werke – Briefe – Dokumente. Kritische Ausgabe mit Kommentar, hrsg. v. Rainer Falk u. a. Literarische Schriften I. Bd. 1.1: Sebaldus Nothanker; Bd. 1.2: Freuden des jungen Werthers u. a. (Berliner Ausgaben), Stuttgart/Bad Cannstatt 2015, in: HZ 305 (2017), S. 232 f. 996. Rez. von: Herbert Hömig, Altenstein. Der erste preußische Kultusminister. Eine Biographie, Münster 2015, in: Die Öffentliche Verwaltung 70 (2017), S. 1040 f. 997. Rez. von: Albrecht Beutel/Martha Nooke (Hrsg.), Religion und Aufklärung, Tübingen 2016, in: HZ 305 (2017), S. 849 – 851. 998. Rez. von: Jörn Retterath, „Was ist das Volk?“. Volks- und Gemeinschaftskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917 – 1924, Berlin/Boston 2016, in: HZ 305 (2017), S. 883 f. 999. Rez. von: Aurel Kolnai, Der Krieg gegen den Westen, hrsg. u. eingeleitet v. Wolfgang Bialas, Göttingen 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 315 f. 1000. Rez. von: Lothar Graf zu Dohna, Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie, Göttingen 2013, in: FBPG N.F. 26 (2017), S. 288 – 290. 1001. Rez. von: Joachim Rückert, Savigny-Studien, Frankfurt a. M. 2011, in: FBPG N.F. 26 (2017), S. 293 f. 1002. Rez. von: Johannes Willms, Mirabeau oder die Morgenröte der Revolution. Eine Biographie, München 2017 in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 387 f. 1003. Rez. von: Frederick Bacher, Friedrich Naumann und sein Kreis, Stuttgart 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 396 f. 1004. Rez. von: Wilhelm Hartmut Pantenius, Alfred Graf von Schlieffen. Stratege zwischen Befreiungskriegen und Stahlgewittern, Leipzig 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 399 f. 1005. Rez. von: Theodor von Schön, Persönliche Schriften. Bd. 2: Reisen durch Deutschland, England und Schottland. Die Berichte an Schrötter und weitere Korrespondenzen 1795 – 1799. Mit einem einführenden Teil, hrsg. v. Bernd Sösemann, bearb. v. Albrecht Hoppe (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 53,2), Berlin 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 410 f. 1006. Rez. von: Hinnerk Bruhns, Max Weber und der Erste Weltkrieg, Tübingen 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 523 f. 1007. Rez. von: Evelyn Brockhoff/Bernd Heidenreich/Michael Maaser (Hrsg.), Frankfurter Historiker, Göttingen 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 65 (2017), S. 532 f. 1008. Rez. von: Theodor von Schön, Persönliche Schriften. Bd. 2: Reisen durch Deutschland, England und Schottland. Die Berichte an Schrötter und weitere Korrespondenzen 1795 – 1799. Mit einem einführenden Teil hrsg. v. Bernd Sösemann, bearb. v. Albrecht Hoppe (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 53,2), Berlin 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 314 – 316.
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1009. Rez. von: Heinz Reif, Adel, Aristokratie, Elite. Sozialgeschichte von Oben (Elitenwandel in der Moderne, 13), Berlin/Boston 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 316 – 318. 1010. Rez. von: Michael Maurer, Wilhelm von Humboldt. Ein Leben als Werk, Köln/Weimar/ Wien 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 318 – 320. 1011. Rez. von: Christian Juranek/Diana Stört (Hrsg.), Otto von Bismarck und die Innenpolitik. Positive und organische Reformen (Edition Schloß Wernigerode, 18), Wettin/Löbejün 2015, in: JbGMOD 63 (2017), S. 335 f. 1012. Rez. von: Luise Schorn-Schütte/Mircea Ogrin (Hrsg.), „Über das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte“. Der Briefwechsel zwischen Karl Lamprecht und Ernst Bernheim sowie zwischen Karl Lamprecht und Henri Pirenne 1878 – 1915, bearb. v. Marie Elisabeth Grüter, Charlotte Beisswingert u. Geneviève Walland (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 46), Köln/Weimar/Wien 2017, in: JbGMOD 63 (2017), S. 336 f. 1013. Rez. von: Uta Motschmann (Hrsg.), Handbuch der Berliner Vereine und Gesellschaften 1786 – 1815, 2 Bde., Berlin/München/Boston 2015 – 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 361 – 363. 1014. Rez. von: Dominik Glorius, Der Kampf mit dem Verbrechertum. Die Entwicklung der Berliner Kriminalpolizei von 1811 bis 1925. Eine rechtshistorische Betrachtung (Berliner juristische Universitätsschriften. Grundlagen des Rechts, 57), Berlin 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 363 – 365. 1015. Rez. von: Daniel Morat u. a., Weltstadtvergnügen. Berlin 1880 – 1930, Göttingen 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 367 f. 1016. Rez. von: Bernhard Jähnig/Jürgen Kloosterhuis/Wulf D. Wagner (Hrsg.), Preußenland und Preußen. Polyzentrik im Zentralstaat (Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung, 29), Osnabrück 2016, in: JbGMOD 63 (2017), S. 407 f.
2018 1017. „Merry England“ – ein Nationalstereotyp und seine Spuren in der britischen Verfassungshistoriographie seit der Zwischenkriegszeit (DTIEV-Online. Hagener Online-Beiträge zu den Europäischen Verfassungswissenschaften, 2018, 2), Hagen 2018 [19 S.]. 1018. Die politische Neuordnung Deutschlands nach der Wende von 1866, in: Winfried Heinemann/Lothar Höbelt/Ulrich Lappenküper (Hrsg.), Der preußisch-österreichische Krieg von 1866 (Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe, 26), Paderborn 2018, S. 317 – 332. 1019. Monarchie und Volk – Idee und Problem der ,Volksmonarchie‘ in Deutschland. Eine Skizze, in: Benjamin Hasselhorn/Marc von Knorring (Hrsg.), Vom Olymp zum Boulevard: Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte? (Prinz-Albert-Forschungen N.F., 1), Berlin 2018, S. 223 – 240. 1020. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes (1918/1922), in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert, Berlin 2018, S. 113 – 128. 1021. Parlamente und Parteien in liberalen und konservativen deutschen Staatslexika des 19. Jahrhunderts, in: ZNR 40 (2018), S. 16 – 26 [Wiederabdruck in Nr. 1170].
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1022. „Preußen“ als politische Chiffre. Zum Preußenbild der Konservativen Revolution, in: Michael Bienert/Lars Lüdicke (Hrsg.), Preußen zwischen Demokratie und Diktatur. Der Freistaat, das Ende der Weimarer Republik und die Errichtung der NS-Herrschaft, 1932 – 1934 (Zeitgeschichte im Fokus, 5), Berlin 2018, S. 221 – 240. 1023. Die Heilige Allianz als politische Idee im Denken der preußischen Konservativen, in: Anselm Schubert/Wolfram Pyta (Hrsg.), Die Heilige Allianz. Entstehung – Wirkung – Rezeption, Stuttgart 2018, S. 234 – 247. 1024. Geistesgeschichtliche Voraussetzungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Karl-Peter Sommermann/Bert Schaffarzik (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Europa, Bd. 1, Berlin 2018, S. 51 – 76. 1025. Demokratiekritik und antidemokratisches Denken in Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg, in: Ivan Jordovic´/Uwe Walter (Hrsg.), Feindbild und Vorbild. Die athenische Demokratie und ihre intellektuellen Gegner (HZ, Beihefte N.F. 74), Berlin/Boston 2018, S. 311 – 327 [Wiederabdruck in Nr. 1170]. 1026. Preußen im deutschen Geschichtsbild nach 1945, in: FBPG 28 (2018), S. 125 – 139. 1027. Nation und Nationalstaat. Historische Voraussetzungen und gegenwärtige Bedeutung, in: Carlo Masala (Hrsg.), Zur Lage der Nation. Konzeptionelle Debatten, gesellschaftliche Realitäten, internationale Perspektiven (Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, 36), Baden-Baden 2018, S. 9 – 27. 1028. Ein Metternich für unsere Zeit? Zu Wolfram Siemanns Biographie (Metternich – Stratege und Visionär, München 2016), in: geschichte für heute 11 (2018), S. 90 – 94. 1029. Geopolitik, in: Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, hrsg. v. der Görres-Gesellschaft und dem Verlag Herder. Bd. II: Eid – Hermeneutik, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2018, Sp. 1144 – 1148. 1030. Deutsche Außenpolitik im Schatten von Versailles, in: Akademie Aktuell. Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, H. 3, 2018, S. 46 – 49. 1031. Neues von und über Max Weber, in: Jahrbuch Politisches Denken 27 (2017), S. 217 – 223. 1032. Kern des Problems war der deutsche Geist. Friedrich Meineckes Gespräche mit Hermann Kaiser, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 12. 2018, S. N 3. 1033. Rez. von: Herbert Hömig, Altenstein. Der erste preußische Kultusminister, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 270 (2018), S. 164 – 172. 1034. Rez. von: Guenther Roth/John C. G. Röhl (Hrsg.), Aus dem Großen Hauptquartier. Kurt Riezlers Briefe an Käthe Liebermann 1914 – 15, Wiesbaden 2016, in: HZ 306 (2018), S. 255 f. 1035. Rez. von: Munro Price, Napoleon. Der Untergang, München 2015, in: HZ 306 (2018), S. 574 f. 1036. Rez. von: Gottfried Benn – Friedrich Wilhelm Oelze, Briefwechsel 1932 – 1956, hrsg. v. Harald Steinhagen/Stephan Kraft/Holger Hof, Bde. I–IV, Stuttgart/Göttingen 2016, in: HZ 306 (2018), S. 894 – 898. 1037. Rez. von: Ute von Lüpke, Zäsuren – Katastrophen – Neuanfänge. Friedrich Meinecke und die Umbrüche der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, Hamburg 2015, in: HZ 306 (2018), S. 936 f.
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1038. Rez. von: Philipp Gatzka, Hermann Pünder – Persönlichkeit und Wirken eines deutschen Spitzenbeamten in der Weimarer Republik, Aachen 2016, in: ZNR 40 (2018), S. 167 – 169. 1039. Rez. von: Jack Nasher, Die Staatstheorie Karl Poppers. Eine kritisch-rationale Methode, Tübingen 2017, in: ZNR 40 (2018), S. 174 – 176. 1040. Rez. von: Dieter Krüger, Hans Speidel und Ernst Jünger. Freundschaft und Geschichtspolitik im Zeichen der Weltkriege, Paderborn 2016, in: HZ 307 (2018), S. 265 f. 1041. Rez. von: Patrice Gueniffey, Bonaparte 1769 – 1802, Berlin 2017, in: HZ 307 (2018), S. 522 f. 1042. Rez. von: Peter Häberle/Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland – Österreich – Schweiz, 2. Aufl. Berlin/Boston 2018, in: ZNR 40 (2018), S. 321 f. 1043. Rez. von: Mark Bevir (Hrsg.), Historicism and the Human Sciences in Victorian Britain, Cambridge 2017, in: Neue Politische Literatur 63 (2018), S. 469 – 471. 1044. Rez. von: Thomas Arne Winter, Traditionstheorie. Eine philosophische Grundlegung, Tübingen 2017, in: Jahrbuch Politisches Denken 27 (2017), S. 252 – 254. 1045. Rez. von: Ian Kershaw, Höllensturz. Europa 1914 bis 1949. Aus d. Engl. v. Klaus Binder, Bernd Leineweber u. Britta Schröder, München 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 80. 1046. Rez. von: Christoph Rohde, Reinhold Niebuhr. Die Geburt des Christlichen Realismus aus dem Geist des Widerstandes, Berlin 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 123. 1047. Rez. von: Lucas Burkart u. a. (Hrsg.), Mythen, Körper, Bilder. Ernst Kantorowicz zwischen Historismus, Emigration und Erneuerung der Geisteswissenschaften, Göttingen 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 124. 1048. Rez. von: Jochen Strobel, August Wilhelm Schlegel. Romantiker und Kosmopolit, Darmstadt 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 200. 1049. Rez. von: Mark A. Fraschka, Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer, Göttingen 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 201. 1050. Rez. von: Siegfried Müller, Kultur in Deutschland. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Stuttgart 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 288. 1051. Rez. von: Carl Schmitt, Tagebücher 1925 bis 1929, hrsg. v. Martin Tielke/Gerd Giesler, Berlin 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 381. 1052. Rez. von: Rainer Orth, „Der Amtssitz der Opposition“? Politik und Staatsumbaupläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933 – 1934, Köln 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 403 f. 1053. Rez. von: Barbara Stollberg-Rilinger, Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 66 (2018), S. 477 f. 1054. Rez. von: Hubertus Fischer, Märkisches und Berlinisches. Studien zu Theodor Fontane, Berlin 2014, in: FBPG 28 (2018), S. 238 f. 1055. Rez. von: Rüdiger von Voss, Julius von Voss. Offizier, Aufklärer und Schriftsteller im Zeitalter der Revolutionen, Berlin 2017, in: JbGMOD 64 (2018), S. 263 f.
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1056. Rez. von: Walther Rathenau, Schriften der Wilhelminischen Zeit 1885 – 1914, hrsg. v. Alexander Jaser (Walther Rathenau-Gesamtausgabe, I), Düsseldorf 2016, in: JbGMOD 64 (2018), S. 271 f. 1057. Rez. von: Hartwin Spenkuch (Bearb.), Wissenschaftspolitik in der Weimarer Republik. Dokumente zur Hochschulentwicklung im Freistaat Preußen und zu ausgewählten Professorenberufungen in sechs Disziplinen (1918 bis 1933) (Acta Borussica. N.F. 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat, Abt. II, 9), Berlin/Boston 2016, in: JbGMOD 64 (2018), S. 276 f. 1058. Rez. von: Jessica Hänsel u. a. (Hrsg.), Baumeister – Ingenieure – Gartenarchitekten (Berlinische Lebensbilder, 11), Berlin 2016, in: JbGMOD 64 (2018), S. 296 – 298. 1059. Rez. von: Wolfgang Radtke, Brandenburg im 19. Jahrhundert (1815 – 1914/18). Die Provinz im Spannungsfeld von Peripherie und Zentrum (Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen, 5), Berlin 2016, in: JbGMOD 64 (2018), S. 312 – 315. 1060. Rez. von: Benjamin Conrad, Umkämpfte Grenzen, umkämpfte Bevölkerung. Die Entstehung der Staatsgrenzen der Zweiten Polnischen Republik 1918 – 1923 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 84), Stuttgart 2014, in: JbGMOD 64 (2018), S. 365 f.
2019 1061. (Als Herausgeber), Fritz Hartung – Korrespondenz eines Historikers zwischen Kaiserreich und zweiter Nachkriegszeit (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, 76), Berlin 2019 [889 S.]. 1062. Der „schaffende Spiegel“ der Geschichte, in: Matei Chihaia/Georg Eckert (Hrsg.), Kolossale Miniaturen. Festschrift für Gerrit Walter, Münster 2019, S. 239 – 247. 1063. Panajotis Kondylis und sein „Konservativismus“-Werk – Zu einem Klassiker neuerer Ideengeschichtsschreibung, in: Falk Horst (Hrsg.), Panajotis Kondylis und die Metamorphosen der Gesellschaft. Ohne Macht lässt sich nichts machen. Aufsätze und Essays, Berlin 2019, S. 25 – 45. 1064. Das Staatsverständnis des jungen Otto von Bismarck, in: Ulrich Lappenküper/Ulf Morgenstern (Hrsg.), Überzeugungen, Wandlungen und Zuschreibungen. Das Staatsverständnis Otto von Bismarcks (Staatsverständnisse, 130), Baden-Baden 2019, S. 15 – 33. 1065. Der Versailler Vertrag und die deutsche Außenpolitik 1919 bis 1933, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreich 9 (2019), S. 408 – 417. 1066. Zwischen Frankreich und Russland – Großbritannien und der Krimkrieg, in: Carl-Christian Dressel/Frank-Lothar Kroll/Glyn Redworth (Hrsg.), Der Wiener Kongress und seine Folgen (Prinz-Albert-Studien, 35), Berlin 2019, S. 173 – 189. 1067. Denker, Homo politicus – Praeceptor Germaniae? Karl Jaspers im Spiegel seiner Korrespondenzen, in: HZ 308 (2019), S. 414 – 423. 1068. Frieden ohne Versöhnung. Die Pariser „Vorortverträge“ von 1919/20, in: Opus. Das Kulturmagazin der Großregion, Nr. 72 (März/April 2019), S. 64 – 66. 1069. Gerlach, Gebrüder von, in: Heinzpeter Hempelmann/Uwe Swarat (Hrsg.), Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe, Bd. 2, Holzgerlingen 2019, S. 523.
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Veröffentlichungen von Hans-Christof Kraus
1070. Kommentar zu: Constant Bougeois du Castelet, Entrevue de Napoléon Ier et du baron Dalberg a Aschaffenbourg / Treffen Napoleons I. und Fürstprimas Dalbergs in Aschaffenburg (1812), in: Christof Paulus u. a. (Hrsg.), 100 Schätze aus 1000 Jahren. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2019/20, Augsburg 2019, S. 239 – 241. 1071. Rez. von: Ludwig Freiherr Vincke, Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789 – 1844, hrsg. v. Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abt. Münster, Historische Kommission für Westfalen und Landesarchiv NRW. Bd. 10: 1819 – 1824, bearb. v. Heide Barmeyer-Hartlieb, Münster 2018, in: HZ 308 (2019), S. 220 f. 1072. Rez. von: Helmuth Kiesel, Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, 10), München 2017, in: HZ 308 (2019), S. 251 – 253. 1073. Rez. von: Leonard S. Smith, The Expert’s Historian. Otto Hintze and the Nature of Modern Historical Thought, Eugene/Oregon 2017, in: HZ 308 (2019), S. 280 f. 1074. Rez. von: Jens Meierhenrich/Oliver Simons (Hrsg.), The Oxford Handbook of Carl Schmitt, Oxford 2016, in: HZ 308 (2019), S. 538 f. 1075. Rez. von: Katrin Rack, Unentbehrliche Vertreter. Deutsche Diplomaten in Paris 1815 – 1870, Berlin/Boston 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 56. 1076. Rez. von: David Koser, „Abbruch und Neubau“. Die Entstehung der Berliner City, Berlin 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 102. 1077. Rez. von: Gilbert H. Gornig/Adrianna A. Michel (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg und seine Folgen für das Zusammenleben der Völker in Mittel- und Osteuropa, Teil I, Berlin 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 105. 1078. Rez. von: Ulrich Keller, Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914, Paderborn 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 110. 1079. Rez. von: Raphaël Cahen, Friedrich Gentz 1764 – 1832. Penseur post-Lumières et acteure du nouvel ordre européen, Berlin/Boston 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 120. 1080. Rez. von: Stefan Jonsson, Masse und Demokratie. Zwischen Revolution und Faschismus. Aus d. Engl. übersetzt v. Norbert Juraschitz, Göttingen 2015, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 128. 1081. Rez. von: Roman B. Kremer, Autobiographie als Apologie. Rhetorik der Rechtfertigung bei Baldur von Schirach, Albert Speer, Karl Dönitz und Erich Raeder, Göttingen 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 165. 1082. Rez. von: Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864 – 1943). Liberaler Sozialist, Zionist, Utopist, Köln 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 185 f. 1083. Rez. von: Luigi Sturzo, Über italienischen Faschismus und Totalitarismus, hrsg. u. eingeleitet v. Uwe Backes u. Günther Heydemann unter Mitarbeit v. Giovanni de Ghantuz Cubbe u. Annett Zingler, Göttingen 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 192. 1084. Rez. von: Irina Knyazewa, Europavorstellungen der Konservativen Revolution, Berlin 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 236 f. 1085. Rez. von: Christian Thomasius, Briefwechsel. Bd. 1: 1679 – 1692, hrsg. v. Frank Grunert/ Matthias Hambrock/Martin Kühnel, Berlin/Boston 2017, in: HZ 309 (2019), S. 130 f.
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1086. Rez. von: Paul Nolte, Lebens Werk. Thomas Nipperdeys Deutsche Geschichte – Biographie eines Buches, München 2018, in: HZ 309 (2019), S. 276 f. 1087. Rez. von: Hubertus Seibert (Hrsg.), Bayern und die Protestanten, Regensburg 2017, in: Passauer Jahrbuch 61 (2019), S. 308 – 310. 1088. Rez. von: Hans-Peter Schwarz, Von Adenauer zu Merkel. Lebenserinnerungen eines kritischen Zeitzeugen, hrsg. v. Hanns Jürgen Küsters, München 2018, in: HZ 309 (2019), S. 855 – 857. 1089. Rez. von: Steffen Kailitz (Hrsg.), Nach dem „Großen Krieg“. Vom Triumph zum Desaster der Demokratie 1918/19 bis 1939, Göttingen 2017, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 496 f. 1090. Rez. von: Uwe Schultz, Jongleur der Macht. Kardinal Mazarin, der Lehrmeister des Sonnenkönigs, Darmstadt 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 467. 1091. Rez. von: Stephan Meder, Der unbekannte Leibniz. Die Entdeckung von Recht und Politik durch die Philosophie, Wien/Köln/Weimar 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 492. 1092. Rez. von: Christoph Kienemann, Der koloniale Blick gen Osten. Osteuropa im Diskurs des Deutschen Kaiserreiches von 1871, Paderborn 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 494. 1093. Rez. von: Albert Dikovich/Alexander Wierzock (Hrsg.), Von der Revolution zum Neuen Menschen. Das politische Imaginäre in Mitteleuropa 1918/19: Philosophie, Humanwissenschaften und Literatur, Stuttgart 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 543. 1094. Rez. von: Wilhelmine von Bayreuth, Memoiren einer preußischen Königstochter. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort v. Günter Berger, Berlin 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 561. 1095. Rez. von: Anja Stanciu, „Alte Kämpfer“ der NSDAP. Eine Berliner Funktionselite 1926 – 1949, Köln/Weimar/Wien 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 67 (2019), S. 504 f. 1096. Rez. von: Jürgen von Gerlach, Von Gerlach. Lebensbilder einer Familie in sechs Jahrhunderten, Insingen 2015, in: FBPG 29 (2019), S. 258 – 260. 1097. Rez. von: Steffen Martus, Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert – Ein Epochenbild, Berlin 2015, in: FBPG 29 (2019), S. 260 – 262.
2020 1098. (Als Herausgeber), Neue Deutsche Biographie, Bd. 27, Berlin 2020 [XXX, 930 S.]. 1099. Die „böhmische Zitadelle“ und der „Herr Europas“. Entstehung, Bedeutung und Instrumentalisierung eines gefälschten Bismarck-Zitats, in: HZ 310 (2020), S. 306 – 332. 1100. Das russische und das deutsche 19. Jahrhundert, in: Helmut Altrichter u. a. (Hrsg.), Deutschland – Russland. Stationen gemeinsamer Geschichte, Orte der Erinnerung. Bd. 2: Das 19. Jahrhundert, Berlin/Boston 2020, S. 20 – 28. 1101. Der verhinderte Großkonflikt. Orientalische Krise und Berliner Kongress 1875 – 1878, in: Helmut Altrichter u. a. (Hrsg.), Deutschland – Russland. Stationen gemeinsamer Geschichte, Orte der Erinnerung. Bd. 2: Das 19. Jahrhundert, Berlin/Boston 2020, S. 215 – 226.
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1102. Oswald Spengler, Deutschland und die „Große Parallele“, in: Andreas Fahrmeir (Hrsg.), Deutschland. Globalgeschichte einer Nation, München 2020, S. 521 – 525. 1103. Ein zeitgemäßes Bild Stauffenbergs? – Bemerkungen zu einer neuen Biographie, in: Frank-Lothar Kroll/Rüdiger von Voss (Hrsg.), Für Freiheit, Recht, Zivilcourage – Der 20. Juli 1944, Berlin 2020, S. 133 – 143. 1104. Erich Kaufmanns Kritik der Parteiendemokratie, in: Detlef Lehnert (Hrsg.), Parteiendemokratie. Theorie und Praxis in Deutschland und den Nachbarländern (Historische Demokratieforschung, 17), Berlin 2020, S. 197 – 212. 1105. Eine philosophische Novelle – Reinhard Mehrings „Landwehrkanal“, in: Jahrbuch Politisches Denken 28 (2018), S. 171 – 177. 1106. Political Religion in the Nineteenth Century: Two New Studies on the German Awakening Movement, in: German Historical Institute London Bulletin 42/2 (2020), S. 25 – 32. 1107. Poesie, Zeitkritik und Politik. Zur neueren Literatur über Theodor Fontane (1819 – 1898), in: HZ 311 (2020), S. 677 – 688. 1108. Wagener, Friedrich Wilhelm Hermann, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 27, Berlin 2020, S. 187 – 189. 1109. Waldersee, Alfred Heinrich Karl Ludwig Gf. v., in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 27, Berlin 2020, S. 301 – 303. 1110. Politik und Frieden. Konfessionsfragen: Zum Tod des Historikers Anton Schindling, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 5, 7. 1. 2020, S. 11. 1111. Rez. von: Alexander Demandt, Untergänge des Abendlandes. Studien zu Oswald Spengler, Köln 2017, in: geschichte für heute 13 (2020), S. 101 f. 1112. Rez. von: Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs. Neuausgabe mit drei weiteren Aufsätzen des Autors und einem Nachwort von Jürgen W. Falter, 5., erweiterte Neuaufl. Reinbek 2017, in: geschichte für heute 13 (2020), S. 114 – 116. 1113. Rez. von: Gabriele Metzler, Der Staat der Historiker. Staatsvorstellungen deutscher Historiker seit 1945, Frankfurt a. M. 2018, in: HZ 310 (2020), S. 830 – 832. 1114. Rez. von: Herbert Spencer, Mensch versus Staat, hrsg. u. übersetzt v. Hardy Bouillon, Berlin 2019, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 17. 1115. Rez. von: Christian Voller/Gottfried Schnödl/Jannis Wagner (Hrsg.), Spenglers Nachleben. Studien zu einer verdeckten Wirkungsgeschichte, Springe 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 18. 1116. Rez. von: Anna-Lena Strelitz-Risse, Das Zensuswahlrecht. Erscheinungsformen, Begründung und Überwindung am Beispiel Frankreichs und Deutschlands, Berlin 2018, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 92. 1117. Rez. von: Hans Fenske, Auf dem Weg zur Demokratie. Das Streben nach deutscher Einheit 1792 – 1871, Reinbek bei Hamburg 2018, in: ZNR 42 (2020), S. 157 – 159. 1118. Rez. von: Max Weber, Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden. Bd. 12: Verstehende Soziologie und Werturteilsfreiheit. Schriften und Reden 1908 – 1917, hrsg. v. Johannes Weiß in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer, Tübingen 2018 in: Jahrbuch Politisches Denken 28 (2018), S. 191 f.
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1119. Rez. von: Max Weber, Gesamtausgabe, Abteilung II/11: Briefe. Nachträge und Gesamtregister, hrsg. v. Rita Aldenhoff-Hübinger/Edith Hanke, Tübingen 2019 in: Jahrbuch Politisches Denken 28 (2018), S. 192 – 194. 1120. Rez. von: Jörn Ipsen, Das Reformwerk Johann Carl Bertram Stüves, Göttingen 2019, in: HZ 311 (2020), S. 217 f. 1121. Rez. von: Anna Rothfuss, Korruption im Kaiserreich. Debatten und Skandale zwischen 1871 und 1914, Göttingen 2019, in: HZ 311 (2020), S. 511 f. 1122. Rez. von: Briefwechsel zwischen Christian Wolff und Ernst Christoph von Manteuffel 1738 – 1748. Historisch-kritische Edition in drei Bänden, hrsg. v. Jürgen Stolzenberg u. a., Hildesheim/Zürich/New York 2019, in: HZ 311 (2020), S. 794 – 797. 1123. Rez. von: Ludwig Freiherr Vincke, Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789 – 1844, hrsg. v. Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abt. Münster, Historische Kommission für Westfalen und Landesarchiv NRW. Bde. 7, 11: 1813 – 1818, 1840 – 1844, Münster 2019, in: HZ 311 (2020), S. 813 f. 1124. Rez. von: Daniel Rittenauer, Das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten in der NSZeit, München 2018, in: Passauer Jahrbuch 62 (2020), S. 337 f. 1125. Rez. von: Andreas Anter, Max Weber und die Staatsrechtslehre, Tübingen 2016, in: ZNR 42 (2020), S. 292. 1126. Rez. von: Stefan Hermanns, Carl Schmitts Rolle bei der Machtkonsolidierung der Nationalsozialisten. Ein Engagement auf Zeit, Wiesbaden 2018, in: ZNR 42 (2020), S. 311 f. 1127. Rez. von: Magnus Brechtken/Władyslaw Bułhak/Jürgen Zarusky (Hrsg.), Political and Transitional Justice in Germany, Poland and the Soviet Union from the 1930s to the 1950s, Göttingen 2019, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 255. 1128. Rez. von: Friederike Sattler, Herrhausen. Banker, Querdenker, Global Player. Ein deutsches Leben, München 2019 in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 277.
2021 1129. Historikerbriefe in den „Deutschen Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts“, in: Matthias Berg/Helmut Neuhaus (Hrsg.), Briefkultur(en) in der deutschen Geschichtswissenschaft zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert, Göttingen 2021, S. 323 – 334. 1130. 18. Januar 1871. Proklamation des Deutschen Kaiserreiches in Versailles [18. 1. 2021], URL: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/pro klamation-des-deutschen-kaiserreiches-in-versailles [9 S.]. 1131. Der Reichsgründer und sein Reich – Preußen als Strukturelement der Reichsverfassung 1871 bis 1918, in: Holger Afflerbach/Ulrich Lappenküper (Hrsg.), 1918 – Das Ende des Bismarck-Reiches? (Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe, 29), Paderborn 2021, S. 43 – 58. 1132. War das Deutsche Kaiserreich von 1871 ein ,Halbhegemon‘? – Zur Kritik einer umstrittenen Deutung, in: Tilman Mayer (Hrsg.), 150 Jahre Nationalstaatlichkeit in Deutschland. Essays, Reflexionen, Kontroversen, Baden-Baden 2021, S. 223 – 243.
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1133. Gewaltenbeschränkung. „Checks and balances“ und Parlamentssouveränität in Großbritannien, in: Tilman Mayer/Paul-Ludwig Weinacht (Hrsg.), Gewaltenteilung. Grundsätzliches – Historisches – Aktuelles (Staatsdiskurse, 39), Stuttgart 2021, S. 41 – 61. 1134. Karl Wilhelm Ferdinand Solger als Rektor der Universität Berlin. Seine Rede zum Königsgeburtstag am 3. August 1815, in: FBPG N.F. 30 (2020), S. 127 – 145. 1135. Der Historiker und das Orakel von San Casciano. Zum Briefwechsel Reinhart Koselleck – Carl Schmitt, in: Jahrbuch Politisches Denken 29 (2019), S. 205 – 215. 1136. Spätkonfessionalismus und Frühaufklärung. Christian Wolff zwischen August Hermann Francke und Friedrich II., in: Klaus Neitmann (Hrsg.), Vom ein- zum mehrkonfessionellen Landesstaat. Die Religionsfrage in den brandenburgisch-preußischen Territorien vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert (FBPG, Beiheft 16), Berlin 2021, S. 371 – 409. 1137. Josef Kohler – eine Gelehrtengestalt des Wilhelminismus, in: Eva Inés Obergfell/Louis Pahlow (Hrsg.), Rechtswissenschaft zwischen Industrialisierung und Republik. Josef Kohler (1849 – 1919), Tübingen 1921, S. 21 – 33. 1138. Gustav Schmollers Staatsverständnis, in: Walter Pauly/Klaus Ries (Hrsg.), Staat und Historie. Leitbilder und Fragestellungen deutscher Geschichtsschreibung vom Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts (Staatsverständnisse, 157), Baden-Baden 2021, S. 101 – 112. 1139. Die deutsche Reichsgründung im Kontext der europäischen Geschichte, in: Prague Papers on the History of International Relations 2020/1, S. 121 – 130. 1140. Deutschlands doppelte Niederlage und die Hohenzollern, in: Frank-Lothar Kroll/Christian Hillgruber/Michael Wolffsohn (Hrsg.), Die Hohenzollerndebatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit, Berlin 2021, S. 165 – 174. 1141. [In serbischer Übersetzung:] Panajotis Kondylis und seine Kritik der These vom „deutschen Sonderweg“, in: Serbian Political Thought (Sonderheft Panajotis Kondylis), Belgrad 2021, S. 41 – 57. 1142. Leopold Ranke, Politisches Gespräch (1836), in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Das 19. Jahrhundert, Berlin 2021, S. 251 – 264. 1143. Heinrich von Treitschke, Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin (1897/98), in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Das 19. Jahrhundert, Berlin 2021, S. 844 – 857. 1144. Der deutsche Nationalstaat – zum Scheitern verurteilt?, in: Ulrich Lappenküper/Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71 – Reichsgründung in Versailles, Friedrichsruh 2021, S. 150 – 158. 1145. Altes und Neues zur Weimarer Reichsverfassung, in: ZNR 43 (2021), S. 244 – 248. 1146. Wilhelm Dilthey, Briefwechsel, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 273 (2021), S. 83 – 94. 1147. Altes und Neues zur Weimarer Reichsverfassung, in: ZNR 43 (2021), S. 244 – 248. 1148. Rez. von: Micha Brumlik, Preußisch, konservativ, jüdisch. Hans-Joachim Schoeps. Leben und Werk, Wien/Köln/Weimar 2019, in: HZ 312 (2021), S. 345 f. 1149. Rez. von: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, hrsg. v. Holger Afflerbach u. a. Abt. III: 1871 – 1898. Schriften Bd. 7: 1886 – 1887, bearb. v. Ulf Morgenstern, Paderborn u. a. 2018, in: JbGMOD 65 (2019), S. 271 – 274.
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1150. Rez. von: Mattias Berg u. a., Die versammelte Zunft. Historikerverband und Historikertage in Deutschland 1893 – 2000, 2 Bde., Göttingen 2018, in: JbGMOD 65 (2019), S. 284 – 286. 1151. Rez. von: Max Toeppen, Historisch-comparative Geographie von Preußen. Text nach den Quellen, namentlich auch archivalischen. Neudruck der Ausgabe Gotha 1858 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, 43). Münster/Westfalen 2018, in: JbGMOD 65 (2019), S. 339 – 341. 1152. Rez. von: Tim Blanning, Friedrich der Große – König von Preußen. Eine Biographie. Aus d. Engl. übersetzt v. Andreas Nohl, München 2019, in: geschichte für heute 14 (2021), S. 108 – 110. 1153. Rez. von: Jens Herold, Der junge Gustav Schmoller. Sozialwissenschaft und Liberalkonservatismus im 19. Jahrhundert, Göttingen 2019, in: FBPG N.F. 30 (2020), S. 251 – 254. 1154. Rez. von: Thomas Olechowski, Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers, Tübingen 2020, in: HZ 312 (2021), S. 835 – 837. 1155. Rez. von: Max Weber, Gesamtausgabe, Abteilung III/2: Praktische Nationalökonomie. Vorlesungen 1895 – 1899, hrsg. v. Hauke Janssen in Zusammenarbeit mit Cornelia MeyerStoll u. Ulrich Rummel, Tübingen 2020, in: Jahrbuch Politisches Denken 29 (2019), S. 251 – 253. 1156. Rez. von: Moritz von Kalckreuth/Gregor Schmieg/Friedrich Hausen (Hrsg.), Nicolai Hartmanns Neue Ontologie und die Philosophische Anthropologie. Menschliches Leben in Natur und Geist (Philosophische Anthropologie, 11), Berlin/Boston 2019, in: Jahrbuch Politisches Denken 29 (2019), S. 255 f. 1157. Rez. von: Volker Neumann, Volkswille. Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormärz bis heute, Tübingen 2020, in: HZ 313 (2021), S. 446 – 448. 1158. Rez. von: Ludwig Freiherr Vincke, Die Tagebücher des Ludwig Freiherrn Vincke 1789 – 1844, hrsg. v. Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abt. Münster, Historische Kommission für Westfalen und Landesarchiv NRW. Bd. 3: 1793 – 1800, Münster 2020, in: HZ 313 (2021), S. 796 f. 1159. Rez. von: Christian Thomasius, Briefwechsel. Bd. 2: 1693 – 1698, hrsg. v. Frank Grunert/ Matthias Hambrock/Martin Kühnel, Berlin/Boston 2020, in: HZ 313 (2021), S. 792 – 794. 1160. Rez. von: Felix Schumacher, Der preußische Diplomat und Historiker Alfred von Reumont (1808 – 1887). Ein Katholik in Diensten Preußens und der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen (Historische Forschungen, 121), Berlin 2019, in: QuFiAB 101 (2021), S. 821 f. 1161. Rez. von: Björn Spiekermann, Der Gottlose. Geschichte eines Feindbilds in der Frühen Neuzeit. (Das Abendland, Neue Folge 44), Frankfurt a. M. 2020, in: Jahrbuch Politisches Denken 30 (2020), S. 191 – 193. 1162. Rez. von: Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik, Göttingen 2020, in: Jahrbuch Politisches Denken 30 (2020), S. 201 – 203. 1163. Rez. von: Bayern im Umbruch. Die Korrespondenz der Salzburger Vertreter in München mit Fürsterzbischof Hieronymus von Colloredo und Hofkanzler Franz Anton von Kürsinger zu Beginn der Bayerischen Erbfolgekrise (Dezember 1777–April 1778). Unter Mitwirkung von Hans-Christian Werzinger bearb. v. Ferdinand Kramer u. Ernst Schütz (Quellen zur
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neueren Geschichte Bayerns, VI: Quellen zur bayerischen Erbfolgefrage), München 2018, in: Passauer Jahrbuch 63 (2021), S. 447 f. 1164. Rez. von: Matthias Oppermann, Triumph der Mitte. Die Mäßigung der „Old Whigs“ und der Aufstieg des britischen Liberalkonservatismus, 1750 – 1850 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 83), Berlin/Boston 2020, in: Die Politische Meinung 66 (2021), Nr. 568, S. 110 – 114. 1165. Rez. von: Arthur Kuhle, Die preußische Kriegstheorie um 1800 und ihre Suche nach dynamischen Gleichgewichten (QuFBPG, 49), Berlin 2018, in: JbGMOD 66 (2020), S. 354 – 356. 1166. Rez. von: Michael Dreyer, Hugo Preuß. Biografie eines Demokraten (Weimarer Schriften zur Republik, 4), Stuttgart 2018, in: JbGMOD 66 (2020), S. 374 – 376. 1167. Rez. von: Agnes Laba, Die Grenze im Blick. Der Ostgrenzen-Diskurs in der Weimarer Republik (Studien zur Ostmitteleuropaforschung, 45), Marburg 2019, in: JbGMOD 66 (2020), S. 387 – 389. 1168. Rez. von: Winfried Heinemann, Unternehmen „Walküre“. Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944 (Zeitalter der Weltkriege, 21), Berlin/Boston 2019, in: JbGMOD 66 (2020), S. 389 – 391. 1169. Rez. von: Regina Stürickow, Pistolen-Franz & Muskel-Adolf. Ringvereine und Organisiertes Verbrechen in Berlin 1920 – 1960, Berlin 2019, in: JbGMOD 66 (2020), S. 417 f.
2022 1170. Wege und Abwege der Ideen. Studien zur politischen Geistesgeschichte der Deutschen. Kleine Schriften I, Berlin 2022 [449 S.]. 1171. Parlamentarismuskritik, Antiparlamentarismus und Modelle alternativer Repräsentation, in: Andreas Biefang u. a. (Hrsg.), Parlamentarismus in Deutschland von 1815 bis zur Gegenwart. Historische Perspektiven auf die repräsentative Demokratie, Düsseldorf 2022, S. 145 – 173. 1172. Westliche Hemisphäre und euro-asiatischer Block: Ein Aspekt deutscher und amerikanischer Strategiediskurse im Ersten Weltkrieg, in: Christian Bremen (Hrsg.), Amerika, Deutschland und Europa von 1917 bis heute. Festschrift zum 90. Geburtstag von Klaus Schwabe, Bd. 1, Mainz 2022, S. 125 – 141. 1173. „Weltgesellschaft“ oder planetarische Politik? – Panajotis Kondylis’ weltpolitische Analysen 1991 bis 1999, in: Falk Horst (Hrsg.), Kondylis heute. Anthropologie im Werk von Panajotis Kondylis, Berlin 2022, S. 23 – 54. 1174. Werner Schochow (1925 – 2020), in: FBPG N.F. 31 (2021), S. 279 – 287. 1175. Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung als historisches Problem, in: Milan Hlavacˇ ka u. a. (Hrsg.), „Die Heimstatt des Historikers sind die Archive“. Festschrift für Lothar Höbelt, Wien/Köln 2022, S. 517 – 528. 1176. Londoner Realpolitik aus deutscher Perspektive. Fontane, Bucher und Marx als politische Korrespondenten, in: Peer Trilcke (Hrsg.), Fontanes Medien, Berlin/Boston 2022, S. 41 – 52.
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1177. Kontrafaktische Geschichte – „An den Feuern der Leyermark“, in: Günter Koch (Hrsg.), Carl Amery – Global denkender Lokalpatriot und retrospektiver Visionär (Pataviensia, 7), Passau 2022, S. 115 – 128. 1178. Der Traum vom Heiligen Reich. Preußens und Österreichs Konservative im 19. Jahrhundert, in: Wolfgang Dvorak-Stocker (Hrsg.), Europa und das Reich, Graz 2022, S. 119 – 133 [Wiederabdruck von Nr. 63]. 1179. Ein Preuße aus Schwaben. Bemerkungen zu einer neuen Hegel-Biographie, in: FBPG N.F. 31 (2021), S. 217 – 230. 1180. Neue und alte Perspektiven auf das Kaiserreich. Zu einigen neuen Publikationen zur deutschen Geschichte 1871 bis 1918, in: HJb 142 (2022), S. 463 – 477. 1181. [In japanischer Übersetzung:] Gustav Schmoller und Max Webers These über den „Geist“ des Kapitalismus, in: „Riso“ (Ideal), No. 707 (2022), S. 35 – 50. 1182. Rez. von: Peter Sprengel, Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1830 – 1870 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, 8), München 2020, in: HZ 324 (2022), S. 512 f. 1183. Rez. von: David Engels, Oswald Spengler. Werk, Deutung, Rezeption, Stuttgart 2021, in: HZ 314 (2022), S. 520 f. 1184. Rez. von: Frank Pohle (Hrsg.), Alfred von Reumont (1808 – 1887) – Ein Diplomat als kultureller Mittler (Historische Forschungen, 107), Berlin 2015, in: FBPG N.F. 31 (2021), S. 296 f. 1185. Rez. von: Wolfgang Schluchter, Mit Max Weber, Tübingen 2020, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 325. 1186. Rez. von: Brendan Simms, Die Briten und Europa. Tausend Jahre Konflikt und Kooperation, München 2016, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 331 f. 1187. Rez. von: Marco Bellabarba, Das Habsburgerreich 1765 – 1918. Aus d. Ital. v. Barbara Kleiner. Mit einem Vorwort von Günther Platter, Berlin/Boston 2020, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 335. 1188. Rez. von: Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 359 f. 1189. Rez. von: Jan Eike Dunkhase (Hrsg.), Reinhart Koselleck – Carl Schmitt. Der Briefwechsel 1953 – 1983 und weitere Materialien, Berlin 2019, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 372 f. 1190. Rez. von: Jan Bürger, Zwischen Himmel und Elbe. Eine Hamburger Kulturgeschichte, München 2020, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 477. 1191. Rez. von: Norbert Dietka, Der Siedlingshauser Kreis. Carl Schmitt, Konrad Weiß, Josef Pieper und Friedrich Georg Jünger treffen auf Gleichgesinnte, Berlin 2020, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 499. 1192. Rez. von: Heinz Duchhardt, Abgebrochene Forschung. Zur Geschichte unvollendeter Wissenschaftsprojekte, Tübingen 2020, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 511 f.
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1193. Rez. von: Josef Isensee, Staat und Religion. Abhandlungen aus den Jahren 1974 – 2017, hrsg. v. Ansgar Hense (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, 59), Berlin 2019, in: Das Historisch-Politische Buch 68 (2020), S. 528 f. 1194. Rez. von: Anthony Seldon, The Impossibe Office? The History of the British Prime Minister, Cambridge 2021, in: HZ 315 (2022), S. 142 f. 1195. Rez. von: Marianne Taatz-Jacobi/Andreas Pecˇ ar, Die Universität Halle und der Berliner Hof (1691 – 1740) (Wissenschaftskulturen III, 55), Stuttgart 2021, in: HZ 315 (2022), S. 242 – 244. 1196. Rez. von: Wilhelm Schmidt-Biggemann, Der Dämon des 19. Jahrhunderts. Anatomie eines überforderten Säkulums (Problemata, 160), Stuttgart/Bad Cannstatt 2021, in: HZ 315 (2022), S. 514 f. 1197. Rez. von: Heinrich Triepel, Parteienstaat und Staatsgerichtshof. Gesammelte verfassungspolitische Schriften zur Weimarer Republik, hrsg. v. Armin von Bogdandy/Reinhard Mehring (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, 300), BadenBaden 2021, in: Die Öffentliche Verwaltung 75 (2022), S. 865 f. 1198. Rez. von: Robert-Tarek Fischer, Wilhelm I. – Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser, Wien/Köln/Weimar 2020, in: JbGMOD 67 (2022), S. 393 – 395. 1199. Rez. von: Heinz Duchhardt, Rankes Sekretär. Theodor Wiedemann und die Bücher-Werkstatt des Altmeisters, Berlin 2021, in: JbGMOD 67 (2022), S. 395 – 398. 1200. Rez. von: Heinz Duchhardt, Blinde Historiker. Erfahrung und Bewältigung von Augenleiden im frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 2021, in: JbGMOD 67 (2022), S. 398 f. 1201. Rez. von: Stefan Breuer, Max Weber in seiner Zeit. Politik, Ökonomie und Religion 1890 – 1920 (Kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, 22), Wiesbaden 2022, in: Online-Rezensionen des Jahrbuchs zur Liberalismus-Forschung 2/2022 [5. 12. 2022], URL: https:// www.freiheit.org/sites/default/files/2022 – 12/04-online-2 – 22-kraus-breuer-1.pdf 1202. Rez. von: Josef Isensee, Grenzen. Zur Territorialität des Staates, Berlin 2018, in: ZNR 44 (2022), S. 305 f. 1203. Rez. von: Elke-Vera Kotowski/Sarah Jaglitz (Hrsg.), Dynamiken des Erinnerns. Der Zukunft ein Gedächtnis geben. Festschrift zum 80. Geburtstag von Julius H. Schoeps, Berlin/ Leipzig 2022, in: Das Historisch-Politische Buch 69 (2021), S. 37 f. 1204. Rez. von: Grégoire Chamayou, Die unregierbare Gesellschaft. Eine Genealogie des autoritären Liberalismus. Aus d. Französ. v. Michael Halfbrodt, Berlin 2019, in: Das Historisch-Politische Buch 69 (2021), S. 222 f.
2023 1205. Das Manifest der Kommunistischen Partei – Entstehung und historisch-politische Bedeutung, in: Zeitgeschichte Aktuell, Nr. 10, Februar 2023 [21. 2. 2023], URL: https://www.kas. de/de/zeitgeschichte-aktuell/detail/-/content/zeitgeschichte-aktuell-das-manifest-der-kommu nistischen-partei [15 S.]. 1206. Rez. von: Barbora Pásztorová, Metternich, the German Question and the Pursuit of Peace. 1840 – 1848, Berlin/Boston 2022, in: FBPG N.F. 32 (2022), S. 240 f.
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1207. Rez. von: Heinrich Assel (Hrsg.), Karl Holl. Leben – Werk – Briefe, Tübingen 2021, in: FBPG N.F. 32 (2022), S. 254 – 256.
Autorenverzeichnis Baumgart, Winfried, *1938, Dr. phil., Professor em. für Mittlere und Neuere Geschichte, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Brauneder, Wilhelm, *1943, Dr. iur. Dr. h. c., Professor em. für Österreichische Rechtsgeschichte, Universität Wien Brechenmacher, Thomas, *1964, Dr. phil., Professor für Neuere Geschichte, Universität Potsdam Geppert, Dominik, *1970, Dr. phil., Professor für Geschichte des 19./20. Jahrhunderts, Universität Potsdam Hahn, Hans-Werner, *1949, Dr. phil., Professor i. R. für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Friedrich-Schiller-Universität Jena Hasselhorn, Benjamin, *1986, Dr. phil. Dr. theol., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neueste Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg Hille, Martin, *1964, Dr. phil., apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Passau Höbelt, Lothar, *1956, Dr. phil., Professor i. R. für Neuere Geschichte, Universität Wien Hoeres, Peter, *1971, Dr. phil., Professor für Neueste Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg Höroldt, Ulrike, *1961, Dr. phil., Direktorin des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Honorarprofessorin für Historische Hilfswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Jesse, Eckhard, *1948, Dr. phil., Professor i. R. für Politische Systeme, Politische Institutionen, Technische Universität Chemnitz Knorring, Marc von, *1971, Dr. phil., apl. Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Passau Kroll, Frank-Lothar, *1959, Dr. phil., Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Technische Universität Chemnitz Lappenküper, Ulrich, *1959, Dr. phil., Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung, Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg Löffler, Bernhard, *1965, Dr. phil., Professor für Bayerische Landesgeschichte, Universität Regensburg Mayer, Tilman, *1953, Dr. phil., Professor für Politische Theorie, Ideen- und Zeitgeschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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Autorenverzeichnis
Meier, Desiderius, *1985, Dr. phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Passau Möller, Horst, *1943, Dr. phil. Dr. h. c. mult., Direktor a. D. des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin, Professor em. für Neuere und Neueste Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München Neitmann, Klaus, *1954, Dr. phil., Direktor a. D. des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, apl. Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Potsdam Neuhaus, Helmut, *1944, Dr. phil., Professor em. für Neuere Geschichte, Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg Otto, Martin, *1974, Dr. iur., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Privatrechtsgeschichte sowie Handels- und Gesellschaftsrecht, FernUniversität in Hagen Pachtner, Laura, *1980, Dr. phil., wissenschaftliche Projektleiterin, Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising Planert, Ute, *1964, Dr. phil., Professorin für Neuere Geschichte, Universität zu Köln Prietzel, Sven, *1987, Dr. phil., Politikberater Pyta, Wolfram, *1960, Dr. phil., Direktor der Forschungsstelle Ludwigsburg, Professor für Neuere Geschichte, Universität Stuttgart Rose, Andreas, *1976, Dr. phil., Fellow am Forschungskolleg normative Gesellschaftsgrundlagen, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Schmidt, Rainer F., *1955, Dr. phil., Professor em. für Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg Senigaglia, Cristiana, Dr. phil., Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Passau Stickler, Matthias, *1967, Dr. phil., apl. Professor für Neueste Geschichte, Julius-MaximiliansUniversität Würzburg Thies, Christian, *1959, Dr. phil., Professor für Philosophie, Universität Passau Walter, Uwe, *1962, Dr. phil., Professor für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Alten Geschichte, Universität Bielefeld Wienfort, Monika, *1961, Dr. phil., Professorin für Brandenburgisch-Preußische Geschichte, Universität Potsdam