Verwaltungswissenschaft: Band 2: Grundzüge der öffentlichen Verwaltung in Deutschland 3658408979, 9783658408978, 9783658408985

Das Lehrbuch enthält den Besonderen Teil der Verwaltungswissenschaft und knüpft an Bd. 1 mit dem Allgemeinen Teil an. Da

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German Pages 369 Year 2023

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Literatur
2 Verwaltungsbegriff
2.1 Aufgabenbegriff
2.2 Aufgabenarten
2.3 Normative Aufgabenbestimmungen
2.3.1 Verfassungsrechtliche Aufgabenbestimmung
2.3.2 Kommunalrechtliche Aufgabenbestimmung
2.3.3 Europäisierung der Verwaltungsaufgaben
2.3.4 Ökonomische Aufgabenbestimmung
2.3.5 Politische Ansätze der Aufgabenbestimmung
2.4 Zusammenfassung
Literatur
3 Bürger und öffentliche Verwaltung
3.1 Vom Untertan zum Bürger
3.2 Rollen des Bürgers im Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung
3.3 Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung
3.3.1 Grundrechte
3.3.2 Verfahrens- und Beteiligungsrechte
3.3.3 Von der Amtsverschwiegenheit zur Verwaltungstransparenz
3.4 Öffentlichkeit und öffentliche Verwaltung
3.4.1 Staat und Gesellschaft
3.4.2 Staat, Markt und Dritter Sektor
3.4.3 Verwaltungsvertrauen
3.5 Zusammenfassung
Literatur
4 Verwaltungsorganisation
4.1 Grundbegriffe
4.1.1 Verwaltung als formale und informale Organisation
4.1.2 Verwaltungsbegriff
4.1.3 Koordination als Hauptproblem der Verwaltung
4.1.4 Mehrebenensystem
4.1.5 Aufbau- und Ablauforganisation
4.1.6 Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung
4.1.7 Bürokratieabbau
4.1.8 Verwaltungsprivatisierung
4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau
4.2.1 Europäische Union
4.2.2 Bund
4.2.3 Länder
4.2.4 Kommunen
4.3 Interner Verwaltungsaufbau
4.3.1 Einlinienorganisation
4.3.2 Mehrlinienorganisation
4.3.3 Stablinienorganisation
4.3.4 Matrixorganisation
4.3.5 Organisationsgrundsätze
4.4 Koordination
4.4.1 Negative und positive Koordination
4.4.2 Koordinationsmechanismen
4.4.3 Selbstkoordination durch Netzwerke
4.4.4 Übernahme vom marktorientierten Managementansätzen
4.5 Bürokratieabbau
4.5.1 Struktur- und Funktionalreformen in Landes- und Bundesverwaltung
4.5.2 Gebietsreformen in Ländern und Bund
4.6 Verwaltungsprivatisierung
4.6.1 Privatisierungsformen
4.6.2 Öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform
4.6.3 Öffentlich-Private-Partnerschaften
4.7 Zusammenfassung
Literatur
5 Verwaltungshandeln
5.1 Steuerungsperspektive
5.2 Formen und Steuerungsmodi des Verwaltungshandelns
5.3 Digitalisierung des Verwaltungshandelns
5.3.1 Begriff
5.3.2 Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen
5.3.3 Automatisierung von Verwaltungsentscheidungen und Künstliche Intelligenz
5.3.4 Digitale Auswertung und Verknüpfung von Daten (Big Data/Blockchain)
5.3.5 Datenschutz
5.4 Verwaltungshandeln im Rahmen der Gesetzgebung
5.4.1 Gesetzesvorbereitung
5.4.2 Gesetzesfolgenabschätzung
5.5 Kontrolle des Verwaltungshandelns
5.5.1 Verwaltungsinterne Kontrollmechanismen
5.5.2 Parlamentarische Kontrollmechanismen
5.5.3 Gerichtliche Kontrollmechanismen
5.6 Zusammenfassung
Literatur
6 Öffentlicher Dienst
6.1 Angehörige des öffentlichen Dienstes
6.2 Funktionen und Strukturen des öffentlichen Dienstes
6.2.1 Funktionen
6.2.2 Strukturen
6.3 Berufsbeamtentum
6.3.1 Geschichtliche Entwicklung
6.3.2 Verfassungsrechtliche Grundlagen
6.3.3 Beamtenverhältnis
6.4 Arbeitnehmer
6.5 Extremismus im öffentlichen Dienst
6.6 Personalvertretung
6.7 Personalmanagement
6.7.1 Begriff des Personalmanagements
6.7.2 Funktionen des Personalmanagements
6.8 Personalsteuerung
6.8.1 Personalführung
6.8.2 Leistungsanreize
6.9 Korruptionsbekämpfung
6.9.1 Begriff und Arten von Korruption
6.9.2 Antikorruptionsmaßnahmen
6.9.3 Ämterpatronage
6.9.4 Amtsethos
6.10 Dienstrechtsreform
6.11 Zusammenfassung
Literatur
7 Öffentliche Finanzen
7.1 Grundlagen
7.1.1 Begriff der Öffentlichen Finanzwirtschaft
7.1.2 Staatliche Einnahmen
7.1.3 Staatliche Ausgaben
7.1.4 Finanzverwaltung
7.2 Steuern
7.2.1 Steuerarten
7.2.2 Steueraufkommen und -verteilung, Finanzausgleich
7.3 Staatsverschuldung
7.3.1 Begriff und Entwicklung der Staatsverschuldung
7.3.2 Institutionelle Grenzen der Staatsverschuldung
7.3.3 Hilfsmaßnahmen der EU für überschuldete Mitgliedstaaten
7.4 Haushalt
7.4.1 Grundlagen
7.4.2 Haushaltsfunktionen und Haushaltsgrundsätze
7.4.3 Haushaltskreislauf
7.4.4 Aufstellung und Feststellung des Haushalts als inkrementeller Entscheidungsprozess
7.4.5 Finanzkontrolle
7.4.6 Haushaltsreformen
7.5 Zusammenfassung
Literatur
8 Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung
8.1 Verwaltungstypen
8.2 Begriff der Polizei sowie der Allgemeinen und Sonderordnungsverwaltung
8.2.1 Polizei
8.2.2 Allgemeine Ordnungsverwaltung
8.2.3 Sonderordnungsverwaltung
8.3 Aufgaben und Rechtsgrundlagen
8.3.1 Polizei und Allgemeine Ordnungsverwaltung
8.3.2 Sonderordnungsverwaltungen
8.4 Aufbau
8.4.1 Bund
8.4.2 Länder
8.5 Hauptprobleme
8.5.1 Koordination durch Netzwerke
8.5.2 Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei
8.6 Zusammenfassung
Literatur
9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht
9.1 Begriff der Wirtschaftsaufsicht
9.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen
9.2.1 Wirtschaftsüberwachung
9.2.2 Regulierungsüberwachung
9.3 Aufbau der Wirtschaftsaufsicht
9.3.1 Wirtschaftsüberwachungsbehörden
9.3.2 Regulierungsüberwachungsbehörden
9.4 Hauptprobleme der Wirtschaftsaufsicht
9.5 Zusammenfassung
Literatur
10 Verwaltungstyp Umweltaufsicht
10.1 Begriff der Umwelt und der Umweltaufsicht
10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen
10.2.1 Naturschutz und Landschaftspflege
10.2.2 Bodenschutz
10.2.3 Gewässerschutz
10.2.4 Abfallwirtschaft
10.2.5 Immissionsschutz
10.2.6 Klimaschutz
10.2.7 Nukleare Sicherheit
10.2.8 Gefährliche Stoffe
10.2.9 Gentechnik
10.3 Aufbau der Umweltaufsicht
10.4 Hauptprobleme der Umweltaufsicht
10.5 Zusammenfassung
Literatur
11 Verwaltungstyp Leistungsverwaltung
11.1 Sozialverwaltung
11.1.1 Begriff der Sozialverwaltung
11.1.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen
11.1.3 Aufbau der Sozialverwaltung
11.1.4 Hauptprobleme der Sozialverwaltung
11.2 Subventionsverwaltung
11.2.1 Subventionsbegriff
11.2.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen
11.2.3 Aufbau der Subventionsverwaltung
11.2.4 Hauptprobleme der Subventionsverwaltung
11.3 Zusammenfassung
Literatur
12 Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung
12.1 Begriff der öffentlichen Infrastruktur
12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen
12.2.1 Verkehrswege
12.2.2 Strom- und Gasversorgungsnetze
12.2.3 Wasserversorgungsnetze
12.2.4 Abwasserentsorgungsnetze, Abfallentsorgungsanlagen
12.2.5 Nukleares Endlager
12.2.6 Bildungs- und Kultureinrichtungen
12.2.7 Krankenhäuser
12.2.8 Raumordnungsplanung
12.2.9 Gebietsbezogene Umweltplanung
12.3 Aufbau der Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen
12.3.1 Aufbau der technischen Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen
12.3.2 Aufbau der Umweltinfrastrukturverwaltung und Trägerstukturen
12.3.3 Aufbau der sozialen Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen
12.3.4 Aufbau der Gesamtplanungsverwaltung
12.4 Hauptprobleme der Infrastrukturverwaltung
12.4.1 Substanzerhalt und Ausbau der Infrastruktur
12.4.2 Planungsbeschleunigung
12.4.3 Akzeptanz der Planung und Genehmigung
12.5 Zusammenfassung
Literatur
13 Verwaltungstyp Koproduktion
13.1 Begriff der Koproduktion
13.2 Bereiche der Koproduktion
13.3 Organisationsformen der Koproduktion
13.4 Hauptprobleme der Koproduktion
13.5 Zusammenfassung
Literatur
Stichwortverzeichnis
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Verwaltungswissenschaft: Band 2: Grundzüge der öffentlichen Verwaltung in Deutschland
 3658408979, 9783658408978, 9783658408985

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Eberhard Bohne Christian Bauer

Verwaltungswissenschaft Band 2: Grundzüge der öffentlichen Verwaltung in Deutschland

Verwaltungswissenschaft

Eberhard Bohne · Christian Bauer

Verwaltungswissenschaft Band 2: Grundzüge der öffentlichen Verwaltung in Deutschland

Eberhard Bohne Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Deutschland

Christian Bauer Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Brühl, Deutschland

ISBN 978-3-658-40897-8 ISBN 978-3-658-40898-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Jan Treibel Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3

2

Verwaltungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Aufgabenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Aufgabenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Normative Aufgabenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Verfassungsrechtliche Aufgabenbestimmung . . . . . . . . 2.3.2 Kommunalrechtliche Aufgabenbestimmung . . . . . . . . . 2.3.3 Europäisierung der Verwaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . 2.3.4 Ökonomische Aufgabenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Politische Ansätze der Aufgabenbestimmung . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 5 9 9 9 16 22 27 29 32 33

3

Bürger und öffentliche Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Vom Untertan zum Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Rollen des Bürgers im Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Verfahrens- und Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Von der Amtsverschwiegenheit zur Verwaltungstransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Öffentlichkeit und öffentliche Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 38 40 40 42 44 49 49

V

VI

4

Inhaltsverzeichnis

3.4.2 Staat, Markt und Dritter Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Verwaltungsvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 51 53 53

Verwaltungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Verwaltung als formale und informale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Verwaltungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Koordination als Hauptproblem der Verwaltung . . . . . 4.1.4 Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Aufbau- und Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung . . . . . . 4.1.7 Bürokratieabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8 Verwaltungsprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Interner Verwaltungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Einlinienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Mehrlinienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Stablinienorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Matrixorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Organisationsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Negative und positive Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Koordinationsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Selbstkoordination durch Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Übernahme vom marktorientierten Managementansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Bürokratieabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Struktur- und Funktionalreformen in Landesund Bundesverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Gebietsreformen in Ländern und Bund . . . . . . . . . . . . . 4.6 Verwaltungsprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Privatisierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55 55 55 56 57 57 58 59 59 60 60 60 64 70 72 77 77 78 79 81 82 83 83 84 86 88 88 89 90 91 91

Inhaltsverzeichnis

5

6

VII

4.6.2 Öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform . . . . . . . 4.6.3 Öffentlich-Private-Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 93 94 95

Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Steuerungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Formen und Steuerungsmodi des Verwaltungshandelns . . . . . . 5.3 Digitalisierung des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen . . . . . . . . . 5.3.3 Automatisierung von Verwaltungsentscheidungen und Künstliche Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Digitale Auswertung und Verknüpfung von Daten (Big Data/Blockchain) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.5 Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Verwaltungshandeln im Rahmen der Gesetzgebung . . . . . . . . . 5.4.1 Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Kontrolle des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Verwaltungsinterne Kontrollmechanismen . . . . . . . . . . 5.5.2 Parlamentarische Kontrollmechanismen . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Gerichtliche Kontrollmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101 101 102 105 105 107

108 110 112 112 113 116 116 117 118 119 120

Öffentlicher Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Angehörige des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Funktionen und Strukturen des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . 6.2.1 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Berufsbeamtentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Extremismus im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Personalvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Personalmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.1 Begriff des Personalmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 123 127 127 129 131 131 133 135 138 139 144 145 145

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VIII

Inhaltsverzeichnis

6.7.2 Funktionen des Personalmanagements . . . . . . . . . . . . . Personalsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.1 Personalführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.2 Leistungsanreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Korruptionsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.1 Begriff und Arten von Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.2 Antikorruptionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.3 Ämterpatronage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.4 Amtsethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Dienstrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.11 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 153 153 160 163 164 166 168 170 171 174 175

Öffentliche Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Begriff der Öffentlichen Finanzwirtschaft . . . . . . . . . . 7.1.2 Staatliche Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Staatliche Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Steuerarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Steueraufkommen und -verteilung, Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Staatsverschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Begriff und Entwicklung der Staatsverschuldung . . . . 7.3.2 Institutionelle Grenzen der Staatsverschuldung . . . . . . 7.3.3 Hilfsmaßnahmen der EU für überschuldete Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Haushaltsfunktionen und Haushaltsgrundsätze . . . . . . 7.4.3 Haushaltskreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Aufstellung und Feststellung des Haushalts als inkrementeller Entscheidungsprozess . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5 Finanzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.6 Haushaltsreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183 183 183 184 187 189 192 192

6.8

7

193 196 196 199 204 208 208 211 214 220 222 226 227 230

Inhaltsverzeichnis

8

IX

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Verwaltungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Begriff der Polizei sowie der Allgemeinen und Sonderordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Allgemeine Ordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Sonderordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Aufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Polizei und Allgemeine Ordnungsverwaltung . . . . . . . 8.3.2 Sonderordnungsverwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Hauptprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.1 Koordination durch Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.2 Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei . . . . 8.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237 237 239 240 241 241 243 244 244 245 247 247 249 250 251

Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Begriff der Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Wirtschaftsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Regulierungsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Aufbau der Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Wirtschaftsüberwachungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Regulierungsüberwachungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Hauptprobleme der Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253 253 254 254 258 261 261 261 263 265 265

10 Verwaltungstyp Umweltaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Begriff der Umwelt und der Umweltaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Naturschutz und Landschaftspflege . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Bodenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Gewässerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Abfallwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.5 Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 269 269 271 273 274 275

9

235 235

X

Inhaltsverzeichnis

10.2.6 Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.7 Nukleare Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.8 Gefährliche Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.9 Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Aufbau der Umweltaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Hauptprobleme der Umweltaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276 277 278 279 281 282 284 284

11 Verwaltungstyp Leistungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Sozialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Begriff der Sozialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Aufbau der Sozialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Hauptprobleme der Sozialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Subventionsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Subventionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Aufbau der Subventionsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Hauptprobleme der Subventionsverwaltung . . . . . . . . . 11.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 285 285 286 292 293 295 295 296 297 298 299 301

12 Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Begriff der öffentlichen Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Verkehrswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Strom- und Gasversorgungsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Wasserversorgungsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.4 Abwasserentsorgungsnetze, Abfallentsorgungsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.5 Nukleares Endlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.6 Bildungs- und Kultureinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.7 Krankenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.8 Raumordnungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.9 Gebietsbezogene Umweltplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Aufbau der Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen . . . . 12.3.1 Aufbau der technischen Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 303 304 304 311 313 314 315 316 318 318 321 322 323

Inhaltsverzeichnis

XI

12.3.2 Aufbau der Umweltinfrastrukturverwaltung und Trägerstukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Aufbau der sozialen Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.4 Aufbau der Gesamtplanungsverwaltung . . . . . . . . . . . . 12.4 Hauptprobleme der Infrastrukturverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Substanzerhalt und Ausbau der Infrastruktur . . . . . . . . 12.4.2 Planungsbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Akzeptanz der Planung und Genehmigung . . . . . . . . . 12.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327 327 327 327 329 330 330 331

13 Verwaltungstyp Koproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Begriff der Koproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Bereiche der Koproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Organisationsformen der Koproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Hauptprobleme der Koproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

335 335 337 341 343 345 346

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

325

Abkürzungsverzeichnis

Abs. AbwAG AbWV ACER AEG AEUV AGRIFISH AMK AO ArbSchG ArbZG ARGEBAU ASiG ASMK ASOG Bln AsylbLG AtG AufenthG AWZ BaFin BAFöG BAnzAT BauGB

Absatz Abwasserabgabengesetz Abwasserverordnung Agency for the Cooperation of Energy Regulators Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Agriculture and Fisheries Council (Rat für Landwirtschaft und Fischerei) Agrarministerkonferenz Abgabenordnung Arbeitsschutzgesetz Arbeitszeitgesetz Arbeitsgemeinschaft der für das Bauwesen zuständigen Minister (Bauministerkonferenz) Arbeitssicherheitsgesetz Arbeits- und Sozialministerkonferenz Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin Asylbewerberleistungsgesetz Atomgesetz Aufenthaltsgesetz Ausschließliche Wirtschaftszone Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesanzeiger, Amtlicher Teil Baugesetzbuch

XIII

XIV

BayLStVG BayPAG BbesG BBG BbgOBG BbgPolG BBiG BBodSchG BDG BDSG BeamtStG BeamtVG BEEG BerlVerf BfDI BGastG BGB BHO BImSchG BImSchV BIP BJagdG BKA BKAG

BKKG BLBV BLV BMDV BMI BMVI BNatSchG BNetzA BPersVG BPol BPolG BremPolG

Abkürzungsverzeichnis

Landesstraf- und Verordnungsgesetz Bayern Polizeiaufgabengesetz Bayern Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Ordnungsbehördengesetz Brandenburg Polizeigesetz Brandenburg Berufsbildungsgesetz Bundesbodenschutzgesetz Bundesdisziplinargesetz Bundesdatenschutzgesetz Beamtenstatusgesetz Beamtenversorgungsgesetz Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Verfassung von Berlin Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Bundesgaststättengesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundesimmissionsschutzverordnung Bruttoinlandsprodukt Bundesjagdgesetz Bundeskriminalamt Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten Bundeskindergeldgesetz Bundesleistungsbesoldungsverordnung Bundeslaufbahnverordnung Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bundesministerium des Innern Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Bundesnaturschutzgesetz Bundesnetzagentur Bundespersonalvertretungsgesetz Bundespolizei Bundespolizeigesetz Polizeigesetz Bremen

Abkürzungsverzeichnis

BremVerf BRHG BSWAG BT-Drs. BVA BVerfGE BVWP BW PolG BWaldG BWV ChemG ChemOzonSchichtV CLP COMP DS-GVO DüngeMG EBA ECHA ECOFIN EEG EGovG EMK EMRK ENV EnWG EPSCO

EReG ESM EStG EuGH EU-GR Charta EUV EYCS

XV

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen Bundesrechnungshofgesetz Bundesschienenwegeausbaugesetz Bundestags-Drucksache Bundesverwaltungsamt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverkehrswegeplan Polizeigesetz Baden-Württemberg Bundeswaldgesetz Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung Chemikaliengesetz Chemikalien-Ozonschichtverordnung Classification, Labelling and Packaging Competitiveness Council (Rat für Wettbewerbsfähigkeit) Datenschutzgrundverordnung Düngemittelgesetz Eisenbahn-Bundesamt European Chemicals Agency Economic and Financial Affairs Council (Rat für Wirtschaft und Finanzen) Erneuerbare-Energiengesetz E-Government-Gesetz Europaministerkonferenz Europäische Menschenrechtskonvention Environment Council (Rat für Umwelt) Energiewirtschaftsgesetz Employment, Social Policy, Health and Consumer Affairs Council (Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz) Eisenbahnregulierungsgesetz Europäischer Stabilitätsmechanismus Einkommensteuergesetz Europäischer Gerichtshof Charta der Grundrechte der Europäischen Union Vertrag über die Europäische Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon Education, Youth, Culture and Sport Council (Rat für Bildung, Jugend, Kultur und Sport)

XVI

EZB FAC FAG FBA FlugDaG FluglärmG FSrtAbG FStrG FVG GAC GASIM GDWS GemO GenTG GETZ GewO GG GGO GLZ-See GMK GMLZ GO GO-BReg GTAZ HambVerf HambSOG HG NRW HGrG HwO IFG IfSG INPOL

Abkürzungsverzeichnis

Europäische Zentralbank Foreign Affairs Council (Rat für Auswärtige Angelegenheiten) Finanzausgleichsgesetz Fernstraßenbundesamt Fluggastdatengesetz Fluglärmgesetz Fernstraßenausbaugesetz Fernstraßengesetz Finanzverwaltungsgesetz General Affairs Council (Rat für allgemeine Angelegenheiten) Gemeinsames Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Gemeindeordnung Gentechnikgesetz Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Gewerbeordnung Grundgesetz Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gemeinsames Lagezentrum See Gesundheitsministerkonferenz Gemeinsames Melde- und Lagezentrum beim Bundesamt für Katastrophenschutz Gemeindeordnung Geschäftsordnung der Bundesregierung Gemeinsames Terrorabwehrzentrum Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Hamburg Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen Haushaltsgrundsätzegesetz Handwerksordnung Informationsfreiheitsgesetz Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen Polizeiliches Informationssystem

Abkürzungsverzeichnis

JArbschG JFMK JHA JUMIKO JuSchG KHG KMK KrO KrWG KSG KWG KWKG LBodSchG LFAG LFGB LGastG LKO LPlG SA LuftSiG LWG NRW MKRO MPK MuSchG NABEG NCAZ Nds. ROG NKR NKRG NPO NPOG NSM NSU NVwZ OBG OBG NRW

XVII

Jugendarbeitsschutzgesetz Jugend- und Familienministerkonferenz Justice and Home Affairs Council (Rat für Justiz und Inneres) Justizministerkonferenz Jugendschutzgesetz Krankenhausfinanzierungsgesetz Kultusministerkonferenz Kreisordnung Kreislaufwirtschaftsgesetz Bundes-Klimaschutzgesetz Kreditwesengesetz Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz Landesbodenschutzgesetz Landesfinanzierungsausgleichsgesetz Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Landesgaststättengesetz Landkreisordnung Landesplanungsgesetz Sachsen-Anhalt Luftsicherheitsgesetz Landeswassergesetz Nordrhein-Westfalen Ministerkonferenz für Raumordnung Ministerpräsidentenkonferenz Mutterschutzgesetz Netzausbaubeschleunigungsgesetz Nationales Cyberabwehrzentrum Niedersächsisches Raumordnungsgesetz Nationaler Normenkontrollrat Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates Non Profit-Organisation Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsgesetz Neues Steuerungsmodell Nationalsozialistischer Untergrund Neue Verwaltungsrechtszeitschrift Ordnungsbehördengesetz Ordnungsbehördengesetz Nordrhein-Westfalen

XVIII

OECD ÖPNV ÖPNVG NRW ÖPP OZG PflSchG POG POG NRW PolG NRW PPBS PrOVGE PSPP REACH RhPfPOG ROG SächsPBG SächsPVDG SchlärmschG SchlHLVwG SchulG NRW SGB SKSV SMK SOG LSA SOG M-V SPolG SRU StandAG StromStG StrWG NRW StVO StVZO

Abkürzungsverzeichnis

Organisation für Economic Co-operation and Development Öffentlicher Personennahverkehr Gesetz über den Öffentlichen Personennahverkehr Nordrhein-Westfalen Öffentlich-Private-Partnerschaften Onlinezugangsgesetz Pflanzenschutzgesetz Polizeiorganisationsgesetz Polizeiorganisationsgesetz Nordrhein-Westfalen Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen Planning, Programming, Budgeting System Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Public Sector Purchase Programme Registration, Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals Polizeiorganisationsgesetz Rheinland-Pfalz Raumordnungsgesetz Sächsisches Polizeibehördengesetz Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetz Schienenlärmschutzgesetz Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land SchleswigHolstein Schulgesetz Nordrhein-Westfalen Sozialgesetzbuch Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion Sportministerkonferenz Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern Polizeigesetz Saarland Sachverständigenrat für Umweltfragen Standortauswahlgesetz Stromsteuergesetz Straßen- und Wegegesetz Nordrhein-Westfalen Straßenverkehrs-Ordnung Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung

Abkürzungsverzeichnis

StWG SUP TEHG ThürOBG ThürPAG TKG TTE TÜV TVEntgO Bund TVG TVL TVöD UAbs. UhVorschG UMK UmwRG UVP UVPG UWG VAG VIG VMK VwGO VwORG VwVfG WaffG WaStrABG WaStrG WHG WMK WpHG WRV ZBBS ZKA

XIX

Stabilitäts- und Wachstumsgesetz Strategische Umweltprüfung Treibhausgasemissionshandelsgesetz Thüringisches Ordnungsbehördengesetz Thüringisches Polizeiaufgabengesetz Telekommunikationsgesetz Transport, Telecommunication and Energy Council (Rat für Verkehr, Telekommunikation und Energie) Technischer Überwachungsverein Tarifvertrag über die Entgeltordnung des Bundes Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst von Bund und Ländern Unterabsatz Unterhaltsvorschussgesetz Umweltministerkonferenz Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Versicherungsaufsichtsgesetz Verbraucherinformationsgesetz Verbraucherschutzministerkonferenz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsorganisationsreformgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Waffengesetz Bundeswasserstraßenausbaugesetz Bundeswasserstraßengesetz Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsministerkonferenz Wertpapierhandelsgesetz Weimarer Reichsverfassung Zero-Base Budgeting System Zollkriminalamt

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1 Abb. 2.2 Abb. 2.3 Abb. 2.4 Abb. 2.5

Abb. 2.6 Abb. 2.7

Abb. 3.1 Abb. 3.2

Abb. 4.1 Abb. 4.2

Öffentliche Aufgaben, Staatsaufgaben und Verwaltungsaufgaben. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . Merkmale der öffentlichen Verwaltung. (Quelle: Bohne 2023, Abb. 2.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionenplan nach § 11 Abs. 2 HGrG. (Quelle: Bundesministerium der Finanzen 2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dualistische und monistische Aufgabensysteme. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeitsvoraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeiten der EU nach Art. 3, 4 und 6 AEUV. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragenkatalog für die Aufgabenbewertung im Rahmen der Zweckkritik von Verwaltungsaufgaben. (Quelle: Bundesministerium des Innern und Bundesverwaltungsamt 2018 ff., Tab. 14 Sp 3) . . . . . . . . . . . Verfahrens- und Beteiligungsrechte des Bürgers. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutionenvertrauen der Öffentlichkeit. (Quelle: Gesellschaft für Konsum, Markt- und Absatzforschung – Global Trust Report 2017) . . . . . . . . . . . . Hauptorgane der Europäischen Union. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Äußerer Aufbau der Bundesverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 8 10 17

19 24

31 43

52 61 70

XXI

XXII

Abb. 4.3 Abb. 4.4 Abb. 4.5 Abb. 4.6 Abb. 4.7 Abb. 4.8

Abb. 4.9 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 6.1

Abb. 6.2

Abb. 6.3

Abb. 6.4

Abb. 6.5

Abb. 6.6

Abbildungsverzeichnis

Äußerer Aufbau der Landesverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Äußerer Aufbau der kommunalen Ebene. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interne Aufbauorganisation von EU-, Bundes-, Landesund Kommunalverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . Schema der Einlinienorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema der Mehrlinienorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema der Stablinienorganisation im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema der Matrixorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerungsmodi und Formen staatlichen Handelns. (Quelle: Bohne 2023, 6.1.2.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreislauf der Folgenabschätzung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentlicher Dienst nach Beschäftigungsverhältnissen und Beschäftigungsbereichen in 2020 (in Mio). (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2021; Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 6, S. 25 (gerundet)) . . . . . . . . . Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst von 1991–2020 (in Mio). (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteil des öffentlichen Dienstes an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in OECD-Staaten 2007 und 2019. (Quelle: OECD, Government at a glance 2021, S. 101) . . . . Die sechs personalintensivsten Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes (in %). (Quelle: Statistisches Bundesamt 2021, Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 6, S. 45 (eigene Berechnung)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturvergleich zwischen Beamten und Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst. (Quelle: Leppek 2019, Rn 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums i. S. des Art. 33 Abs 5 GG. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . .

73 76 79 80 80

81 82 103 114

124

125

126

127

130 134

Abbildungsverzeichnis

Abb. 6.7 Abb. 6.8 Abb. 6.9

Abb. 6.10 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 7.4 Abb. 7.5 Abb. 7.6

Abb. 7.7 Abb. 7.8 Abb. 7.9 Abb. 7.10

Abb. 8.1

Abb. 8.2 Abb. 8.3 Abb. 9.1

Funktionen des Personalmanagements. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätze aktivierender Personalführung. (Quelle: Landesregierung NRW 2004, S. 6 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielbereiche der Korruption. Korruptionsstraftaten in 2020 insgesamt 5510. (Quelle: Bundeskriminalamt 2021, S. 5, 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einnahmearten des Staates. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . Einnahmen des Staates in 2019–2021 in Mrd Euro. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgaben des Staates in 2019–2021 in Mrd Euro. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundstruktur der Finanzverwaltung in Bund und Ländern. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerarten nach Wirkung und Zugriffspunkt im Wirtschaftskreislauf. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . Verteilung des kassenmäßigen Steueraufkommens in 2020 nach der Ertragskompetenz. (Quelle; Statistisches Bundesamt, Steuerhaushalt, Fachserie 14, Reihe 4, 2021, S. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Defizitquoten in der EU in 2020 und 2021. (Quelle: Eurostat 2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldenstandsquote in der EU in 2020 und 2021 (Quelle: Eurostat 2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haushaltskreislauf. (Quelle: Leibinger et al. 2017, Rn 473) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufstellen und Feststellen des Haushaltsplans als inkrementelles Entscheidungsverfahren. (Quelle: Nach Wildavsky und Caiden 2004, S. 46 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trennungs- und Einheitssystem der Gefahrenabwehr auf Länderebene. (Quelle: Eigene Darstellung (Nach Schenke 2021, Rn 15, 504 ff.)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polizei Hessen. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . Polizei NRW. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Wirtschaftsaufsicht. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . .

XXIII

147 158

164 167 185 187 187 190 193

194 198 200 215

221

246 247 247 254

XXIV

Abb. 10.1 Abb. 11.1 Abb. 11.2

Abb. 11.3 Abb. 12.1 Abb. 12.2 Abb. 12.3 Abb. 12.4 Abb. 12.5 Abb. 13.1 Abb. 13.2

Abbildungsverzeichnis

Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Umweltaufsicht. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Sozialverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereiche und Umfang von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes in 2020. (Quelle: 28. Subventionsbericht des Bundes 2019–2022, S. 8,16) . . . . Subventionspolitische Leitlinien des Bundes. (Quelle: 27. Subventionsbericht des Bundes 2017–2020, S. 11) . . . . . System der gebietsbezogenen Planung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infrastrukturbereiche und Rechtsgrundlagen. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeiten im Planungsprozess für die Bundesverkehrswege. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . Zuständigkeiten im Planungsprozess für die Übertragungsnetze. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . Organisation der Raumplanung. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koproduktionskreislauf. (Quelle: Eigene Darstellung) . . . . . . Möglichkeiten der Koproduktion auf kommunaler Ebene. (Quelle: Nach Rappen 2022, 278) . . . . . . . . . . . . . . . .

269 287

296 299 305 306 324 326 328 339 343

1

Einleitung

Das Buch versteht sich als Besonderer Teil der Verwaltungswissenschaft und baut auf dem Buch „Verwaltungswissenschaft, Bd. 1: Theoretische und methodische Grundlagen“ auf, das den Allgemeinen Teil der Verwaltungswissenschaft behandelt. Die Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen und Besonderen Teil ist Voraussetzung für eine systematische, interdisziplinäre Verwaltungswissenschaft. Diese Unterscheidung ist beispielsweise üblich in der Betriebswirtschaftslehre (Wöhe et al. 2020, 44 f.) und in der Verwaltungsrechtswissenschaft (SchmidtAßmann 2018, 1 ff.). Die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre ist branchen- und funktionsübergreifend ausgerichtet und behandelt die wirtschaftlichen Sachverhalte, die bei allen Wirtschaftsunternehmen auftreten wie z. B. planerische, organisatorische und rechentechnische Entscheidungen. Demgegenüber befasst sich die Besondere bzw. Spezielle Betriebswirtschaftslehre mit einzelnen Wirtschaftsbranchen (z. B. Banken) oder Funktionsbereichen (z. B. Beschaffungswesen). Das Allgemeine Verwaltungsrecht umfasst die fachgebietsübergreifenden Rechtsprinzipien, Organisations- und Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung. Das Besondere Verwaltungsrecht behandelt die einzelnen Verwaltungsaufgaben und die spezifischen rechtlichen Merkmale der verschiedenen Verwaltungsbereiche. Die Unterscheidung zwischen einem Allgemeinen Teil und einem Besonderen Teil ist der herkömmlichen, monodisziplinären Verwaltungspolitologie und Verwaltungssoziologie fremd. Diese beschränken sich auf theoretische, methodische und historische Aspekte der Verwaltungswissenschaft sowie auf eine allgemeine Darstellung des institutionellen Aufbaus und der internen Strukturen und Prozesse (insbesondere Personal, Organisation und Haushalt) der öffentlichen Verwaltung. Einzelne Verwaltungsbereiche wie Polizei- und Ordnungsverwaltung, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_1

1

2

1

Einleitung

Wirtschafts-, Sozial- Umweltverwaltung etc. werden nicht systematisch behandelt, sondern allenfalls kursorisch erwähnt (vgl. z. B. Windoffer 2020, 50 ff.). Der Verzicht auf die Darstellung einzelner Verwaltungsbereiche ist ein Mangel, weil für das Verständnis der öffentlichen Verwaltung auch Kenntnisse über ihre wichtigsten Aufgabenbereiche erforderlich sind. Ohne diese Kenntnisse bleibt das Verständnis der öffentlichen Verwaltung oberflächlich. Der Allgemeine Teil der Verwaltungswissenschaft behandelt die theoretischen und methodischen Grundlagen der Verwaltungswissenschaft sowie alle Merkmale der öffentlichen Verwaltung, die unabhängig von nationalen Besonderheiten die öffentlichen Verwaltungen in allen rechtsstaatlichen und demokratischen Staaten westlicher Prägung kennzeichnen. Der Allgemeine Teil umfasst den Begriff der öffentlichen Verwaltung, die theoretischen und methodischen Grundlagen der Verwaltungswissenschaft sowie die Merkmale der öffentlichen Verwaltung, die unabhängig von nationalen Verwaltungsstrukturen und Verwaltungsbereichen bestehen, und zwar allgemeine Entscheidungsmethoden, die Informalität des Verwaltungshandelns als Teil informaler Staatlichkeit und den Europäischen Verwaltungsverbund. Der Besondere Teil der Verwaltungswissenschaft wird in diesem Buch behandelt. Er umfasst besondere Grundstrukturen und funktionale Grundtypen der deutschen öffentlichen Verwaltung. Die besonderen Strukturen der öffentlichen Verwaltung betreffen die Verwaltungsaufgaben, das Verhältnis der Verwaltung zum Bürger, die Verwaltungsorganisation, das Verwaltungshandeln und Verwaltungskontrollen, den öffentlichen Dienst sowie Finanzen und Haushalt sie werden in Kapiteln 2–7 behandelt. Aus dem Rollenverhältnis von öffentlicher Verwaltung und Bürger als Befehlsempfänger, Verbraucher, Benutzer und Ko-Produzent öffentlicher Leistungen, das in Kap. 3 dargestellt wird, ergeben sich die funktionalen Grundtypen der öffentlichen Verwaltung: Polizei und Ordnungsverwaltung, Wirtschaftsaufsicht, Umweltaufsicht, Leistungsverwaltung, Infrastrukturverwaltung und KoProduktion öffentlicher Leistungen durch öffentliche Verwaltung und Private. Sie werden in Kap. 8–13 behandelt. Die Darstellung ist praxisorientiert und greift auf langjährige praktische Erfahrungen in der Kommunal- und Bundesministerialverwaltung zurück. Das Lehrbuch richtet sich an Studierende der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie an Praktiker in Verwaltung, Wirtschaft und Politik.

Literatur

3

Literatur Bohne, Eberhard 2023. Verwaltungswissenschaft, Bd. 1: Theoretische und methodische Grundlagen, 2. Aufl., Wiesbaden: Springer VS Schmidt-Aßmann, Eberhard 2018. Einleitung: Besonderes Verwaltungsrecht und Allgemeines Verwaltungsrecht. Zusammenwirken und Lerneffekte, in: Schoch, Friedrich (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht, München: C.H. Beck, S. 1–10 Windoffer, Alexander 2020. Verwaltungswissenschaft, Potsdam: Universitätsverlag Wöhe, Günter/Döring, Ulrich/Brösel, Gerrit 2020. Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 27. Aufl., München: Franz Vahlen

2

Verwaltungsbegriff

2.1

Aufgabenbegriff

Der Begriff der Verwaltungsaufgaben ist ein Schlüsselbegriff der Verwaltungswissenschaft und der öffentlichen Verwaltung. In der Praxis beeinflussen die Verwaltungsaufgaben die Entwicklung der formalen Organisationsstrukturen und die formalen Entscheidungsprozesse1 , den Einsatz von Personal, Finanzen und sonstigen Ressourcen sowie Kontrollen und Reformen der öffentlichen Verwaltung. Der Aufgabenbegriff hat eine empirische und eine normative Dimension (vgl. Bull 2002, 77). In empirischer Hinsicht bezeichnet der Aufgabenbegriff die aktuellen und künftigen tatsächlichen Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung (Benz 2008, 216). Er bildet damit die Grundlage einer empirischen Aufgaben- und Organisationsanalyse. In normativer Hinsicht bezeichnet der Aufgabenbegriff diejenigen Aktivitäten, die die öffentliche Verwaltung aus politischen, rechtlichen oder sonstigen Gründen ausführen soll. Der normative Aufgabenbegriff überlappt sich mit den Begriffen Staatszweck, Staatsziel und Staatsfunktion. Diese Begriffe werden in den verwaltungsrelevanten Wissenschaftsdisziplinen nicht einheitlich verwendet. Staatszwecke bezeichnen in der Staatsphilosophie bzw. in der Allgemeinen Staatslehre die Rechtfertigungsgründe für die Existenz des Staates (Doehring 2004, Rn 185–207).

1

Siehe zum Begriff der öffentlichen Verwaltung als formale Organisation: Bohne 2023, 2.3.1.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_2

5

6

2 Verwaltungsbegriff

Staatsziele formulieren Leitbilder staatlicher Tätigkeit (Wimmer 2017, 150) und sind in Gestalt von Staatszielbestimmungen in der Verfassung festgelegt (vgl. Bull 2002, 81; Maurer 2010, § 6, Rn 9 f.), z. B. Rechts- und Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs 1 und 3 GG), Umweltschutz (Art. 20a GG). Verschiedentlich werden Staatsziele auch als Oberbegriff verwendet, aus denen sich Staatszwecke ableiten, die in Staatsaufgaben konkretisiert werden (Wimmer 2017, 150). Unter Staatsfunktionen werden in der Politikwissenschaft Leistungen des Staates verstanden, die die Gesellschaft zur Sicherung grundlegender gesellschaftlicher Bedürfnisse erwartet, z. B. äußere und innere Sicherheit, Wirtschaftsund Sozialordnung, Kulturwesen etc. (Benz 2008, 123–127). In ähnlicher Weise werden diese Leistungserwartungen gegenüber dem Staat in der Verwaltungswissenschaft verschiedentlich als staatliche Gewährleistungsfunktionen bezeichnet. Diesen korrespondieren die Bereitstellungsfunktionen der Rechtsordnung, die die Erfüllung der Gewährleistungsfunktionen durch geeignete Rechtsinstitute ermöglichen sollen (Schuppert 2000, 924–943). In der Staatsrechtswissenschaft werden herkömmlicherweise Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als Staatsfunktionen gekennzeichnet (Hesse 1995, 215 ff.; Poscher 2012). Schließlich findet sich der Begriff der Staatsfunktionen bzw. Systemfunktionen (des politisch-administrativen Systems) in der Verwaltungssoziologie. Auf der Grundlage der Systemtheorie werden dort unter Funktionen Leistungen verstanden, die den Bestand des Staates bzw. des politisch-administrativen Systems sichern (Mayntz 1997, 34 ff.). Diese Systemfunktionen können normativ postuliert oder empirisch-analytisch beschrieben werden. Beides wird in der Literatur gelegentlich vermengt. Auch bei der Verwendung des Aufgabenbegriffs besteht die Gefahr, nicht zwischen seiner empirischen und normativen Dimension zu unterscheiden. Denn bei der Bezeichnung einer Verwaltungstätigkeit als Verwaltungsaufgabe schwingt stets mit, dass diese Tätigkeit auch wahrgenommen werden soll. Beide Dimensionen sind jedoch auseinanderzuhalten. Bei allen Begriffsunterschieden im Einzelnen ist den Begriffen Staatszweck, Staatsziel, Staatsfunktion bzw. Systemfunktion im normativen Sinn gemeinsam, dass sie die Grundlage für die Ableitung von Verwaltungsaufgaben bilden. In terminologischer Hinsicht sind die Begriffe öffentliche Aufgaben, Staatsaufgaben und Verwaltungsaufgaben zu unterscheiden, die häufig synonym verwendet werden, was aber Verwirrung stiftet. Abb. 2.1 verdeutlicht die Abgrenzung der Begriffe.

2.1 Aufgabenbegriff

7

Abb. 2.1 Öffentliche Aufgaben, Staatsaufgaben und Verwaltungsaufgaben. (Quelle: Eigene Darstellung)

Öffentliche Aufgaben umfassen die Aufgaben des Staates und gemeinwohlbezogene Aufgaben privater Akteure, z. B. die sozialen Aufgaben kirchlicher Institutionen und sonstiger privater Non-Profit-Organisationen (z. B. Arbeiterwohlfahrt). Staatsaufgaben ist der Oberbegriff für die öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Aktivitäten staatlicher Stellen im Bereich von Legislative, Exekutive und Judikative. Verwaltungsaufgaben sind ein Unterfall öffentlicher und staatlicher Aufgaben und umfassen die öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung, wie sie in Abb. 2.2 definiert ist (dazu Bohne 2023, 2.3.1). Danach gehört zur öffentlichen Verwaltung auch die Regierung, da es theoretisch und praktisch keinen Sinn machen würde, die Regierung aus dem Gegenstand der Verwaltungswissenschaft heraus zu definieren. Somit sind Regierungsaufgaben – entgegen der in der rechtswissenschaftlichen Literatur anzutreffenden Abgrenzung von den Verwaltungsaufgaben (Zippelius 2017, 266 f.) – Teil der Verwaltungsaufgaben im verwaltungswissenschaftlichen Sinn. Regierungsaufgaben werden generell als staatsleitende Tätigkeit auf höchster

8

2 Verwaltungsbegriff

Ebene charakterisiert (Maurer 2010, § 14 Rn 45 ff.). Hierfür enthält das Grundgesetz je spezifische Kompetenzregelungen für den Bundeskanzler (z. B. Richtlinienkompetenz, Art. 65 Satz 1 GG), die Bundesminister (z. B. Ressortleitung in eigener Verantwortung, Art. 65 Satz 2 GG) und für die Bundesregierung als Kollegium (z. B. Zustimmung zu finanzwirksamen Gesetzen, Art. 113 GG). Darüber hinaus wird der Regierung – unabhängig von Kompetenzregelungen – die Aufgaben der Initiierung politischer Problemlösungen, der politischen Planung, der Information der Öffentlichkeit und der gemeinwohlorientierten Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen zugeschrieben (Schröder 2005, § 64 Rn 256 ff.). Entsprechend Nr. 1 b in Abb. 2.2 verdeutlicht Abb. 2.1, dass Legislative und Judikative in begrenztem Umfang auch Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (z. B. Bundestagsverwaltung, Registerführung von Gerichten).

Abb. 2.2 Merkmale der öffentlichen Verwaltung. (Quelle: Bohne 2023, Abb. 2.1)

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

2.2

9

Aufgabenarten

Die Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung werden häufig in Aufgabenkatalogen systematisiert. Diese Kataloge verbinden regelmäßig empirische und normative Elemente, indem sie Verwaltungsaufgaben nicht nur beschreiben, sondern implizieren, dass sie – aus Gründen, die der jeweilige Verfasser für sinnvoll hält, – auch wahrgenommen werden sollen (vgl. Schuppert 1980, 310 ff.; Wimmer 2017, 153 ff.). Für einen rein empirischen Aufgabenkatalog müssten alle tatsächlichen Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung erhoben werden, was angesichts der Vielfalt der Verwaltungstätigkeiten unmöglich ist. Mit einer Auswertung von Aufgabenvorschriften und behördlichen Geschäftsverteilungsplänen wäre in empirischer Hinsicht auch nicht viel gewonnen, da in der Praxis nicht von einer völligen Übereinstimmung der geregelten und tatsächlichen Verwaltungsaktivitäten ausgegangen werden kann.: Eine umfassende Darstellung der tatsächlichen Verwaltungsaktivitäten enthält der Funktionenplan nach § 11 Abs 2 HGrG, den Bund und Länder als Anlage zu ihren Haushaltsplänen aufzustellen haben (Bundesministerium der Finanzen 2021). Der Funktionenplan ist in Hauptfunktionen, Oberfunktionen und Funktionen gegliedert und enthält – überwiegend nach Verwaltungsträgern geordnet – die einnahme- und ausgabewirksamen Aktivitäten der Bundes- oder der jeweiligen Landesverwaltung. Da praktisch alle Verwaltungsaktivitäten finanzwirksamen sind – und sei es nur über Personal- und Sachausgaben -, ist der Funktionenplan der empirisch wohl zutreffendste Aufgabenkatalog der öffentlichen Verwaltung. Abb. 2.3 fasst die Haupt- und Oberfunktionen des Funktionenplans zusammen.

2.3

Normative Aufgabenbestimmungen

In normativer Hinsicht gibt es rechtliche, ökonomische und politische Ansätze zur Bestimmung der Verwaltungsaufgaben.

2.3.1

Verfassungsrechtliche Aufgabenbestimmung

2.3.1.1 Allgemein Das Grundgesetz enthält keinen Aufgabenkatalog für den Staat oder die öffentliche Verwaltung. Nur einzelne Verfassungsbestimmungen nennen ausdrücklich

10

0 01 02 03 04 05 06 1 11/12 13 14 15 16

18/19 2 21 22 23 24 25 26

2 Verwaltungsbegriff

Funktionentabelle Allgemeine Dienste Politische Führung und zentrale Verwaltung Auswärtige Angelegenheiten Verteidigung (nur Bund) Öffentliche Sicherheit und Ordnung Rechtsschutz Finanzverwaltung Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, kulturelle Angelegenheiten Allgemeinbildende und berufliche Schulen Hochschulen Förderung für Schülerinnen und Schüler, Studierende, Weiterbildungsteilnehmende und dgl. Sonstiges Bildungswesen Wissenschaft, Forschung, Entwicklung außerhalb der Hochschulen (ohne Wehrforschung und wehrtechnische Entwicklung, vgl. Funktion 036) Kultur und Religion Soziale Sicherung, Familie und Jugend, Arbeitsmarktpolitik Verwaltung für soziale Angelegenheiten Sozialversicherung einschließlich Arbeitslosenversicherung Familienhilfe, Wohlfahrtspflege u.ä. Soziale Leistungen für Folgen von Krieg und politischen Ereignissen Arbeitsmarktpolitik Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII

27 28

Kindertagesbetreuung nach dem SGB VIII Soziale Leistungen nach dem SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz

29 3 31 32 33 34 4

Sonstige soziale Angelegenheiten Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung Gesundheitswesen Sport und Erholung Umwelt- und Naturschutz Reaktorsicherheit und Strahlenschutz Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung und kommunale Gemeinschaftsdienste

41 42

Wohnungswesen, Wohnungsbauprämie Geoinformationen, Raumordnung und Landesplanung, Städtebauförderung Kommunale Gemeinschaftsdienste (ohne Straßenbeleuchtung, Abwasserentsorgung und Abfallwirtschaft)

43

Abb. 2.3 Funktionenplan nach § 11 Abs. 2 HGrG. (Quelle: Bundesministerium der Finanzen 2021)

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

5 51 52 53 6 61 62 63 64 65 66 68 7 71 72 73 74 75 77 79 8 81 82 83 84 85 86 87 88 89

11

Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (ohne Betriebsverwaltung) Landwirtschaft und Ernährung Forstwirtschaft und Jagd, Fischerei Energie- und Wasserwirtschaft, Gewerbe, Dienstleistungen Verwaltung für Energie- und Wasserwirtschaft, Gewerbe und Dienstleistungen Wasserwirtschaft, Hochwasser- und Küstenschutz Bergbau, verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung Handel und Tourismus Geld- und Versicherungswesen Sonstiges im Bereich Gewerbe und Dienstleistungen Verkehrs- und Nachrichtenwesen Verwaltung des Verkehrs- und Nachrichtenwesens Straßen Wasserstraßen und Häfen, Förderung der Schifffahrt Eisenbahnen und öffentlicher Personennahverkehr Luftfahrt Nachrichtenwesen Sonstiges Verkehrswesen Finanzwirtschaft Grund- und Kapitalvermögen, Sondervermögen Steuern und Finanzzuweisungen Schulden Beihilfen, Unterstützungen u.ä. Rücklagen Sonstiges Abwicklung der Vorjahre Globalposten Haushaltstechnische Verrechnung

Abb. 2.3 (Fortsetzung)

staatliche Aufgaben (vgl. Bull 1977, 149 ff.; Schulze-Fielitz 1990, 19 ff.). Beispiele sind • der Einsatz der Bundespolizei oder der Bundeswehr zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nach Art. 87a Abs 4 und Art. 91 GG, • die Durchführung eine antizyklischen Wirtschafts- und Haushaltspolitik nach Art. 109 Abs 2 GG und

12

2 Verwaltungsbegriff

• die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern bei der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes nach Art. 91a GG, bei der Bildungsplanung und Forschungsförderung nach Art. 91b GG, bei Planung, Errichtung und Betrieb informationstechnischer Systeme nach Art. 91c GG und bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach Art. 91e GG. Darüber hinaus werden staatliche Aufgaben aus den Vorschriften der Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 71–74 GG, aus den Grundrechten, aus den Rechts- und Sozialstaatsprinzipien (Art. 20 GG) und aus Staatszielbestimmungen (z. B. Umweltschutz, Art. 20a GG) abgeleitet (zum Ganzen Bull 1977, 152–189). Die Aufgabenregelungen des Grundgesetzes betreffen nicht nur Verwaltungsaufgaben, sondern auch die Aufgaben von Legislative und Judikative. Quantitativ dürfte aber der Schwerpunkt der geregelten Staatsaufgaben bei den Verwaltungsaufgaben – und da auf Länderseite – liegen (vgl. Bull 1977, 214). Die verfassungsrechtlich bestimmten Staatsaufgaben lassen sich nach Bull (1977, 224 ff.) in fünf allgemeinen Aufgabengruppen zusammenfassen: • Sicherung der natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen des einzelnen, • Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen des Gemeinwesens, • Sicherung der menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten, z. B. Schul- und Bildungswesen, Kultur, Unterhaltung, Sport, • Ordnung und Regelung des menschlichen Zusammenlebens, • Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit und Ordnung des Gemeinwesens. Diese Aufgabenbereiche sind – wenngleich zum Teil unter anderen Bezeichnungen (vgl. Baer 2022, § 13, Rn 26 ff.) – allgemein anerkannt.

2.3.1.2 Vorrang, nicht Vorbehalt der Verfassung Verschiedentlich wird in der Staatsrechtswissenschaft die These vertreten, dass alles staatliche Handeln auf die Verfassung zurückführbar sein müsse, dass also ein Regelungsvorbehalt der Verfassung für die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben bestehe (Bull 1977, 116; Schulze-Fielitz 1990, 16). Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht (E 98, Rn 121) festgestellt: „Dem Grundgesetz liegt nicht die Vorstellung zugrunde, dass sich jede vom Staat ergriffene Maßnahme auf eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zurückführen lassen müsse. Es geht vielmehr von der generellen Befugnis des Staates

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

13

zum Handeln im Gemeinwohlinteresse aus, erlegt ihm dabei aber sowohl formell als auch materiell bestimmte Beschränkungen auf.“ Das bedeutet, dass kein Verfassungsvorbehalt, sondern nur ein Verfassungsvorrang für Verwaltungsaufgaben besteht (vgl. Isensee 2006, § 73 Rn 44 ff.). Allerdings dürfte die Kontroverse keine große praktische Bedeutung besitzen. Denn der eben dargestellte Katalog verfassungsrechtlich bestimmter Staatsaufgaben ist so umfassend und allgemein, dass es in der Regel keine Mühe bereiten dürfte, Verwaltungsaktivitäten unter diesen „Verfassungsvorbehalt“ zu subsumieren.

2.3.1.3 Keine General- und Blankovollmacht des Staates In der Allgemeinen Staatslehre wird die Auffassung vertreten, der Staat besitze „die General- und Blankovollmacht, sich in freier Entschließung und in eigener Verantwortung diejenigen Aufgaben stellen zu dürfen, die er wegen der zu bewältigenden Lagen für erforderlich hält“ (Krüger 1966, 760 f.). Die Verwirklichung dieser These führt letztlich zur Schaffung eines totalen Staates und ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Daher besteht – trotz unterschiedlicher Staatsverständnis im einzelnen – Einigkeit, dass der Staat nach dem Grundgesetz zwar die Kompetenz-Kompetenz zur Bestimmung von Verwaltungsaufgaben besitzt, hierbei aber an formelle und materielle verfassungsrechtliche Anforderungen gebunden ist (Bull 1977, 91; Schulze-Fielitz 1990, 30; Isensee 2006, § 73 Rn 56 ff.).

2.3.1.4 Keine invarianten Verwaltungsaufgaben In der Literatur ist die Auffassung verbreitet, dass es geborene, originäre, zwingende, notwendige etc. Kernaufgaben des Staates gebe, die keinem Wandel unterliegen und vom Staat selbst wahrgenommen werden müssen, um sich nicht selbst aufzugeben (vgl. die Nachweise bei Bull 1977, 99 ff.). Diese Aufgaben werden meist aus dem „Wesen“ des Staates, der „Natur der Sache“ oder einem „gesellschaftlichen Konsens“ hergeleitet und umfassen z. B. innere Ordnung und äußere Sicherheit, Rechtspflege (Püttner 2007, § 5 Rn 11; Bogumil und Jann 2020, 66). Diese sog. Kernaufgaben sind allerdings nur auf einem hohen Abstraktionsniveau zeitlich invariant und bezeichnen der Sache nach das, was andere Autoren Staatszweck nennen, z. B. Gemeinwohl, Friedenssicherung nach innen und außen, Gewährleistung der Freiheit etc. (vgl. Link 1990, 18). Sobald diese Kernaufgaben aber näher beschrieben werden, wird ihre zeitliche Wandelbarkeit deutlich. So kann die Gewährleistung der inneren Sicherheit je nach Sachlage konkret durch Behörden oder private Sicherheitsdienste wahrgenommen werden. Die staatliche Gewerbe- und Umweltaufsicht ist im Laufe der Zeit durch

14

2 Verwaltungsbegriff

vielfältige Formen privater Eigenkontrollen zurückgedrängt oder abgelöst worden. Der Begriff der (invarianten) Kernaufgaben ist daher ohne Erkenntniswert (Schulze-Fielitz 1990, 30).

2.3.1.5 Kein verfassungsrechtliches Subsidiaritätsprinzip Nach verbreiteter Meinung (vgl. die Nachweise bei Bull 1977, 190 ff.) besitzen private Akteure den Vorrang gegenüber der öffentlichen Verwaltung bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, wenn sie hierzu bereit und fähig sind. Dies soll sich aus einem verfassungsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip ergeben, das vor allem im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankert sei (v. Arnim 1984, 474 ff.; Isensee 2006, § 73 Rn 67 ff.). Das Grundgesetz erwähnt nur in Art. 23 Abs 1 Satz 1 das Subsidiaritätsprinzip als einen Grundsatz des Europarechts (dazu unten 2.3.3.2). Ansonsten wird es in der Verfassung nicht erwähnt. Das Subsidiaritätsprinzip findet sich aber in den Gemeindeordnungen verschiedener Bundesländer (dazu unten 2.3.2.3). Als Verfassungsgrundsatz wird daher das Subsidiaritätsprinzip überwiegend abgelehnt und lediglich als eine politische Leitlinie verstanden (Bull 1977, 196 ff.; Link 1990, 26; Schulze-Fielitz 1990, 36 f.; Wolff u. a. 2017, § 18 Rn 36), mit der einer ausufernden Staatstätigkeit begegnet werden soll.

2.3.1.6 Erfüllungs- und Gewährleistungsverantwortung Aus der verfassungsrechtlichen Bestimmung von Staatsaufgaben folgt nicht, dass der Staat diese Aufgaben mit eigenen Behörden und Mitteln wahrnehmen muss, d. h. für die Erfüllung der Aufgaben verantwortlich ist (Erfüllungsverantwortung). Vielmehr kann er die Aufgabenerfüllung auch durch private Akteure vornehmen lassen. Der Staat muss allerdings sicherstellen, dass die Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt werden. Notfalls muss er eingreifen und die Aufgaben selbst wahrnehmen. Ihm obliegt also eine Gewährleistungsverantwortung. Die Unterscheidung von Erfüllungs- und Gewährleistungsverantwortung liegt dem politischen Leitbild des Gewährleistungsstaats zu Grunde, das in verschiedenen Verwaltungsbereichen rechtlich geregelt ist (vgl. Schuppert 2005, 27 ff.) und auch Eingang in das Grundgesetz gefunden hat. Beispiel für eine rechtliche Regelung dieses Leitbilds ist die betriebliche Eigenüberwachung im Umweltschutz (z. B. durch Betriebsbeauftragte für Immissionsschutz, Gewässerschutz, Abfall), die in gewissem Umfang an die Stelle behördlicher Überwachungsmaßnahmen tritt. Die Behörden müssen eingreifen, wenn die betriebliche Eigenüberwachung defizitär ist (vgl. Kloepfer 2016, § 4 Rn 139 f., 152). Die staatliche Gewährleistungsverantwortung kommt besonders deutlich in der Infrastrukturverwaltung zum Ausdruck,

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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für die Art. 87 f Abs 1 GG bestimmt, dass der Bund im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen „gewährleistet“. Die Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben ist nach dem Leitbild des Gewährleistungsstaats durch folgende Merkmale gekennzeichnet (vgl. Schuppert 2005, 38 ff.; Bohne und Bauer 2011, 295 ff.; Proeller und Schedler 2011, 39 ff.; Bauer 2014, 54 ff.): • Verantwortungsteilung zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren, • kooperatives und konsensuales Zusammenwirken zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren, • Mechanismen regulierter Selbstregulierung, • Gewährleistungsverantwortung der öffentlichen Verwaltung. Verantwortungsteilung heißt, dass öffentliche Verwaltung und private Akteure für jeweils unterschiedliche Aspekte der Aufgabenwahrnehmung verantwortlich sind. Während die Leistungserbringung privaten Akteuren obliegt, ist die Verantwortung der öffentlichen Verwaltung je nach Sachlage abgestuft und kann sich beziehen auf • die Kontrolle der privaten Akteure, deren sich die öffentliche Verwaltung zur Erfüllung der Verwaltungsaufgaben bedient, oder • die Überwachung der Folgen materiell privatisierter Verwaltungsaufgaben oder • die allgemeine Beobachtung, ob eine an sich ordnungsgemäße Leistungserbringung durch private Akteure die angestrebten Verwaltungsziele verwirklicht. In allen Fällen trägt die öffentliche Verwaltung die Letztverantwortung für das Ergebnis privater Leistungserbringung (Ergebnisverantwortung) und muss notfalls intervenieren, um die Verwirklichung der Verwaltungsziele zu gewährleisten (Gewährleistungsverantwortung). Die Verantwortungsteilung erfordert ein kooperatives und konsensuales Zusammenwirken von öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren, das formaler und informaler Natur sein kann. Hierfür bedarf es „Spielregeln“, nach denen öffentliche Verwaltung und private Akteure in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen tätig sind. Der Staat muss einen Regulierungsrahmen festlegen, innerhalb dessen die privaten Akteure die Art und Weise der Leistungserbringung selbst regeln, sog. regulierte Selbstregulierung (Schuppert 2001, 201 ff.).

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2 Verwaltungsbegriff

Musterbeispiel hierfür sind die EU-Umweltauditverordnung und das Umweltauditgesetz. Diese bilden den Rechtsrahmen, innerhalb dessen Unternehmen Strukturen und Verfahren eines umweltfreundlichen Managements einrichten. Durch das Umweltmanagementsystem werden staatliche Überwachungsmaßnahmen und ordnungsrechtliche Interventionen in vielen Fällen entbehrlich. Das Leitbild des Gewährleistungsstaats zielt darauf ab, der Überforderung der öffentlichen Verwaltung aufgrund wachsender Aufgabenkomplexität, Informationsdefizite und Ressourcenmängeln durch Einbeziehung privater Akteure entgegenzuwirken.

2.3.2

Kommunalrechtliche Aufgabenbestimmung

Die meisten Verwaltungsaufgaben, die den Bürger betreffen, werden von den Kommunen (Gemeinden und Landkreisen) wahrgenommen. Sie sind durch Art. 28 GG und die Gemeinde- bzw. Landkreisordnungen der Länder geregelt.

2.3.2.1 Allzuständigkeit Verfassungsrechtliche Grundlage der kommunalen Verwaltungsaufgaben ist das kommunale Selbstverwaltungsrecht in Art. 28 Abs 2 GG. Danach wird den Gemeinden das Recht gewährleistet, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Etwas eingeschränkter ist das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise. Sie besitzen das Selbstverwaltungsrecht nur „im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereich nach Maßgabe der Gesetze“ (Art. 28 Abs 2 Satz 2 GG). „Identitätsbestimmendes Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung“ ist „die Allzuständigkeit“ der Gemeinden für die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (BVerfGE 79, 127 ff., 146 f). „Hiernach gehört zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmter Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises, BVerfGE 79, 127 ff., 146). Unter „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ sind „diejenigen Bedürfnisse und Interessen“ zu verstehen, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“ (BVerfGE 79, 127 ff., 151 f). Der Grundsatz der Allzuständigkeit

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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umfasst das „Aufgabenfindungsrecht“ der Gemeinden in den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises. Beispiele für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind Energieversorgung und Abfallentsorgung. Allerdings kann die Aufgabenbestimmung auch in diesen Bereichen im Einzelfall zweifelhaft sein, wenn z. B. gemeindliche Energieversorgungsunternehmen landes- und europaweit tätig sind (dazu gleich 2.3.2.3 a. E.). Nicht zum örtlichen Wirkungskreis gehören außen- und verteidigungspolitische Angelegenheiten wie etwa die kommunalen Aktionen vieler Gemeinden, ihre Gemeindegebiete im Gefolge des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 zu atomwaffenfreien Zonen zu erklären, anders dagegen, wenn auf dem Gemeindegebiet Raketen stationiert werden sollen (Geis 2020, § 6, Rn 3).

2.3.2.2 Duales und monistisches Aufgabensystem Die Gemeindeaufgaben werden in den Gemeindeordnungen und Fachgesetzen der Länder konkretisiert. Der Bund darf den Gemeinden keine Aufgaben übertragen, Art. 84 Abs 1 Satz 7 GG. Die Aufgabenkonkretisierung erfolgt in den einzelnen Bundesländern nach zwei unterschiedlichen Aufgabensystemen: dem dualistischen und monistischen Aufgabensystem (dazu Geis 2020, §§ 3,7). Abb. 2.4 veranschaulicht die Aufgabensysteme. Nach dem dualistischen Aufgabensystem wird zwischen gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben und staatlichen Aufgaben unterschieden. Letztere

Abb. 2.4 Dualistische und monistische Aufgabensysteme. (Quelle: Eigene Darstellung)

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2 Verwaltungsbegriff

führen die Gemeinden im Auftrag des Landes durch. Die gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben unterteilen sich in freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben (z. B. Errichtung und Betrieb sozialer und kultureller Einrichtungen), bei denen die Gemeinden über das „ob“ und „wie“ der Aufgabenwahrnehmung entscheiden, und pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben (z. B. Erlass von Bauleitplänen, § 2 Abs 1 Satz 1 BauGB), bei denen die Gemeinden nur über das „wie“ der Aufgabenwahrnehmung frei entscheiden können. Bei Aufgaben, die die Gemeinden im Auftrag des Landes durchführen (z. B. Polizei- und Ordnungsangelegenheiten, §§ 89,92 POG-RLP) unterliegen die Gemeinden hinsichtlich des „ob“ und „wie“ der Aufgabenwahrnehmung den Weisungen des Landes. Das monistische Aufgabensystem beruht auf der Vorstellung, dass alle Aktivitäten der Gemeinden dem Selbstverwaltungsrecht unterfallen. Auch hier wird zwischen freiwilligen und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben unterschieden. Dagegen gibt es keine staatlichen Auftragsangelegenheiten, sondern gemeindliche Pflichtaufgaben nach Weisung (z. B. Polizei- und Ordnungsangelegenheiten, § 3 OBG-NRW). Praktische Unterschiede bestehen zwischen dem dualistischen und monistischen Aufgabensystem auf der Verwaltungsebene nicht. Lediglich vor Gericht besitzen Gemeinden nach dem monistischen Aufgabensystem die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs 2 VwGO, da aufsichtliche Weisungen des Landes eine mögliche Verletzung des Selbstverwaltungsrecht darstellen. Demgegenüber wird im dualistischen Aufgabensystem bei staatlichen Auftragsangelegenheiten eine Klagebefugnis der Gemeinden grundsätzlich verneint (Geis 2020, § 3, Rn 7).

2.3.2.3 Wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Betätigung Bei der Wahrnehmung der Gemeindeaufgaben wird – unabhängig vom dualistischen und monistischen Aufgabensystem – zwischen der wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden unterschieden, die spezifischen, in den Gemeindeordnungen der Länder geregelten Anforderungen unterliegen (Geis 2020, § 12 Rn 60 ff.). Die Gemeinden üben diese Tätigkeiten in der Regel nicht durch Behörden, sondern durch öffentlichrechtliche (z. B. Eigenbetrieb) oder privatrechtliche (z. B. GmbH) Unternehmen aus. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten ist die Gewinnerzielungsabsicht der Gemeinden, die wirtschaftliche Tätigkeiten kennzeichnet und bei nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten fehlt (vgl. § 107 Abs 1 Satz 3 GO-NRW). Die wesentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden (vgl. § 107 Abs 1 und 3, § 108 Abs 1 GO-NRW; Geis 2020, § 12 Rn 73 ff.) enthält Abb. 2.5.

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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Öffentlicher Zweck der Betätigung Leistungsfähigkeit der Gemeinde Subsidiaritätsprinzip Örtlichkeitsprinzip bei privatrechtlichen Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen der Gemeinden Haftungsbegrenzung der Gemeinde angemessener Einfluss der Gemeinde auf Unternehmensentscheidungen

Abb. 2.5 Zulässigkeitsvoraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde muss einem öffentlichen Zweck dienen. Durch diese Anforderung soll die private Wirtschaft vor staatlicher Konkurrenz geschützt werden. Die Gemeinden sind oft sehr erfinderisch bei der Wahrnehmung wirtschaftlicher Tätigkeiten, mit denen sie Gewinne für den Gemeindehaushalt erzielen, um andere Verwaltungsaufgaben (z. B. Betrieb von Schwimmbädern) finanzieren zu können. Allerdings stellt allein die Gewinnerzielungsabsicht der Gemeinde keinen öffentlichen Zweck dar. So ist es beispielsweise unzulässig, wenn das Garten- und Friedhofsamt einer Gemeinde gärtnerische Arbeiten für Private übernimmt, um freie Kapazitäten auszulasten. Denn die Ausnutzung freier Kapazitäten dient zwar der Gewinnerzielung, ist aber kein öffentlicher Zweck im Sinne des Gemeinderechts (Engels und Krausnick 2020, § 8 Rn 7,50). Dagegen ist ein öffentlicher Zweck der gemeindlichen Wirtschaftstätigkeit zu bejahen, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit die Erledigung anderer öffentlicher Aufgaben fördert, z. B. wenn die Gemeinde in der Kfz-Zulassungsstelle Räumlichkeiten an gewerbliche Schilderpräger vermietet. Hierdurch mögen andere private Anbieter von Ladenflächen Wettbewerbsnachteile erleiden; der Zulassungsvorgang wird jedoch beschleunigt und damit ein öffentlicher Zweck gefördert, wenn die Kfz-Schilder in unmittelbarer räumlicher Nähe der Zulassungsstelle erhältlich sind (Engels und Krausnick 2020, § 8 Rn 14,51). Die Gemeinden dürfen zu ihrem eigenen Schutz wirtschaftliche Tätigkeiten nur übernehmen, soweit hierfür ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ausreicht.

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2 Verwaltungsbegriff

Ebenfalls dem Schutz der privaten Wirtschaft vor staatlicher Konkurrenz dient das Subsidiaritätsprinzip. In einigen Bundesländern dürfen kommunale Unternehmen erwerbswirtschaftlich nur tätig werden, wenn sie den öffentlichen Zweck der Tätigkeit besser als private Unternehmen erfüllen können. D. h., dass die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde unzulässig ist, wenn sie nur gleich gut wie die Aufgabenwahrnehmung durch private Unternehmen ist (vgl. § 85 Abs 1 Nr. 3 GemO-RLP). Allerdings gilt dieser Subsidiaritätsgrundsatz nicht im Bereich der Energie- und Wasserversorgung sowie in einigen anderen Infrastrukturbereichen. In anderen Bundesländern gilt ein schwächeres Subsidiaritätsprinzip. Danach dürfen gemeindliche Unternehmen bereits tätig werden, wenn sie die Aufgaben gleich gut wie private Unternehmen wahrnehmen (vgl. § 107 Abs 1 Satz 1 Nr, 3 GO-NRW). Auch hier gilt der Subsidiaritätsgrundsatz nicht in der Energie- und Wasserversorgung und in anderen Infrastrukturbereichen. Selbstverwaltungsaufgaben sind – wie das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) festgestellt hat – dadurch gekennzeichnet, dass sie „in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln“. D. h.: die Gemeinden dürfen außerhalb des Gemeindegebiets grundsätzlich keine Aufgaben wahrnehmen. Allerdings lässt sich eine erfolgreiche wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden in der globalisierten und durch Wettbewerb geprägten Wirtschaft vielfach nicht auf das Gemeindegebiet beschränken. Dies zeigt sich besonders im Bereich der Strom-, Gas- und Wärmeversorgung, für die die Gemeinden bis Mitte der 1990er Jahre das Monopol auf dem Gemeindegebiet besaßen. Aufgrund der Liberalisierung des Energiemarktes durch die EU entfielen die geschlossenen Versorgungsgebiete der Gemeinden und andere private, auch ausländische Energieversorgungsunternehmen durften auf dem Gemeindegebiet tätig werden. Es wäre nun ungerechtfertigt gewesen, die Tätigkeit gemeindlicher Energieversorgungsunternehmen durch das Örtlichkeitsprinzip zu beschränken, gleichzeitig aber das Eindringen privater Wettbewerber in den gemeindlichen Markt zuzulassen. Daher haben die Gemeindeordnungen das Örtlichkeitsprinzip weitgehend eingeschränkt und verlangen nur, dass die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden außerhalb des Gemeindegebiets – auch auf ausländischen Märkten – einen (örtlichen) öffentlichen Zweck (mit)erfüllt und – im Inland – die berechtigten Interessen anderer betroffener Gemeinden wahrt, wobei in der Energieversorgung die Interessen anderer Gemeinden nur insoweit zu berücksichtigen sind, wie das Energiewirtschaftsgesetz Einschränkungen des Wettbewerbs zulässt (vgl. §§ 107 Abs 3, 107a Abs 3 GO-NRW; § 85 Abs 2 GemO-RLP).

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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Schließlich schreiben die Gemeindeordnungen der Länder zum Schutz der Gemeinden vor, das privatrechtliche Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen der Gemeinden im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung Haftungsbeschränkungen zugunsten der Gemeinden und einen angemessenen Einfluss der Gemeinden auf Unternehmensentscheidungen regeln. Die nichtwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden ist durch das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht gekennzeichnet und umfasst vor allem den Betrieb sozialer und kultureller Einrichtungen sowie von Einrichtungen, die Belangen des Umweltschutzes und der Deckung des gemeindlichen Eigenbedarfs dienen (vgl. § 107 Abs 2 GO-NRW; § 85 Abs 4 GemO-RLP). Diese Tätigkeiten müssen einen öffentlichen Zweck verfolgen. Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für wirtschaftliche Tätigkeiten – insbesondere das Subsidiaritätsprinzip – finden grundsätzlich keine Anwendung, wenngleich bei Konkurrenzkonflikten zwischen gemeindlichen und privaten Einrichtungen eine entsprechende Anwendung einzelner Zulässigkeitsvoraussetzungen für wirtschaftliche Tätigkeiten in Betracht kommen kann (vgl. Geis 2020, § 12 Rn 84).

2.3.2.4 Aufgaben der Landkreise Die Landkreise umfassen das Gebiet der kreisangehörigen Gemeinden und Gemeindeverbände sowie das von den Landkreisgrenzen umschlossene gemeindefreie Gebiet. Sie haben gemäß Art. 28 Abs 2 Satz 2 GG etwas eingeschränktere Selbstverwaltungsaufgaben als die Gemeinden. Sie besitzen nämlich keine Allzuständigkeit für die Kreisaufgaben, sondern nur das Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der ihnen durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben. Es gibt daher keine originären Zuständigkeiten der Kreise und ein Aufgabenfindungsrecht nur im Bereich gesetzlich zugewiesener, überörtlicher Angelegenheiten (Geis 2020, § 14 Rn 4, § 16 Rn 4). Die Kreisaufgaben lassen sich nach dem in Abb. 2.4 dargestellten Schema in weisungsfreie und weisungsabhängige Aufgaben unterteilen (vgl. § 2 KrO-NRW, § 2 LKO-RLP). Es gibt nach Maßgabe der Gesetze weisungsfreie, freiwillige und pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben sowie weisungsabhängige Pflichtaufgaben nach Weisung bzw. staatliche Auftragsangelegenheiten, z. B. im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts (vgl. § 3 OBG-NRW, § 92 POG-RLP). Schließlich ist zwischen Ergänzungs- und Ausgleichsaufgaben der Landkreise zu unterscheiden (dazu Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.2.1997, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1998, 63 ff., 64; Geis 2020, § 16 Rn 1 ff.). Der Landesgesetzgeber kann bestimmen, dass die Landkreise örtliche Angelegenheiten der Gemeinden ergänzend wahrnehmen (Ergänzungsaufgaben)

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2 Verwaltungsbegriff

oder durch administrative und finanzielle Hilfen unterstützen (Ausgleichsaufgaben) dürfen, „wenn und soweit kreisangehörige Gemeinden allein eine Aufgabe nicht zureichend bewältigen können“ (Bundesverwaltungsgericht a.a.O., S. 64).

2.3.3

Europäisierung der Verwaltungsaufgaben

Inhalt und Wahrnehmung der nationalen Verwaltungsaufgaben werden in erheblichem Maße durch Politik und Rechtsetzung der EU beeinflusst und gestaltet. Der Zugriff der EU auf nationale Verwaltungsaufgaben erfolgt in der Weise, dass Rechtsakte der EU entweder unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten (so bei Verordnungen) und von den nationalen Behörden vollzogen werden müssen oder dass die Mitgliedstaaten EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzen und dieses dann vollziehen. In der Öffentlichkeit wird häufig die Behauptung kolportiert, dass rd. 80 % der deutschen Gesetze auf EU-Recht zurückgehen. Danach würden die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung in erheblichem Umfang durch EU-Recht bestimmt. Die 80 %-These geht auf eine Aussage des ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission Jacques Delors zurück, der im Jahr 1988 prognostiziert hatte, dass in zehn Jahren 80 % der Wirtschaftsgesetzgebung gemeinschaftlichen Ursprung sein werde (siehe Töller 2008, 5). Diese Prognose verfestigte sich im Laufe der Zeit zu einer Tatsachenaussage, die jedoch durch spätere empirische Untersuchungen widerlegt wurde. So zeigt eine Analyse der Gesetzgebung in der 15. Wahlperiode (2002–2005), dass ca. 40 % der Gesetze auf EU-Impulsen (Richtlinien und andere Einflüsse) beruhen (Töller 2008, 11, 17). Allerdings ist der europäische Einfluss in einzelnen Politikbereichen durchaus unterschiedlich. Beispielsweise wurden im Umweltbereich rd. 81 %, im Bereich von Landwirtschaft und Ernährung 75 %, in den Bereichen Wirtschaft und Verkehr jeweils 40 % und im Bereich Arbeit und Soziales 15 % der Gesetze durch europäische Impulse beeinflußt. Wenngleich diese Zahlen die populäre 80 %-These widerlegen, so verdeutlichen sie jedoch den erheblichen Einfluss der EU auf die deutsche Gesetzgebung und die beträchtliche Europäisierung der Verwaltungsaufgaben. Letztere dürfte heute nicht abgenommen, sondern eher zugenommen haben. Es gibt im Vertrag über die Europäische Union (EUV) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) drei Prinzipien, die den europäischen Einfluss auf die nationale Gesetzgebung und die nationalen Verwaltungsaufgaben begrenzen sollen: das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip, Art. 5 EUV.

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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2.3.3.1 EU-Zuständigkeiten Die EU darf nach dem in Art. 5 Abs 2 EUV niedergelegten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur auf den Gebieten handeln, die ihr in den EU-Verträgen zugewiesen sind. Die EU besitzt also keine Allzuständigkeit, d. h. keine Kompetenz-Kompetenz, sich selbst zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben für zuständig zu erklären (Haltern 2017, Rn 747). Durch diese Regelung soll die „nationale Identität“ der Mitgliedstaaten geschützt werden, die zu achten gemäß Art. 4 Abs 2 EUV Pflicht der EU ist. Es sind drei Arten von EU-Zuständigkeiten zu unterscheiden: • ausschließliche Zuständigkeiten (Art. 3 AEUV), • geteilte Zuständigkeiten (Art. 4 AEUV) und • unterstützende Zuständigkeiten (Art.6 AEUV). Abb. 2.6 gibt einen Überblick über die Zuständigkeitsverteilung. Im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit darf allein die EU tätig werden (Art. 2 Abs 1 AEUV). Den Mitgliedstaaten ist ein Tätigwerden verboten. Die geteilte Zuständigkeit ist als Regelzuständigkeit der EU anzusehen (Art. 4 Abs 1 AEUV). Danach dürfen die Mitgliedstaaten in diesen Bereichen handeln, solange und soweit die EU nicht tätig geworden ist (Art. 2 Abs 2 AEUV). Es handelt sich um eine Art konkurrierende Kompetenz von EU und Mitgliedstaaten (Oppermann u. a. 2021, § 11 Rn 15). Parallele Kompetenzen zwischen EU und Mitgliedstaaten bestehen in den Bereichen, in denen die EU zur Unterstützung, Koordinierung und Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten handeln darf (Art. 6 AEUV). EU und Mitgliedstaaten werden nebeneinander tätig. Dabei wird die EU häufig nicht regulieren, sondern setzt rechtlich unverbindliche, „weiche“ Instrumente ein wie z. B. Leitlinien, Indikatoren, Monitoring etc. (vgl. Haltern 2017, Rn 791). In Durchbrechung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung bestehen zwei querschnittsartige Zuständigkeitsregelungen der EU: eine Flexibilitätsklausel in Art. 352 AEUV und eine Rechtsangleichungskompetenz in Art. 114 AEUV. Aufgrund der Flexibilitätsklausel nach Art. 352 AEUV darf die EU auch dann tätig werden, wenn die erforderlichen Befugnisse fehlen, um im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche vertragliche Ziele zu verwirklichen (dazu Haltern 2017, Rn 796 ff.). Schließlich ist die EU unabhängig von bestimmten Einzelermächtigungen gemäß Art. 114 AEUV befugt, mitgliedstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften mit Binnenmarktbezug einander anzugleichen (siehe Haltern 2017, Rn 803 ff.).

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Abb. 2.6 Zuständigkeiten der EU nach Art. 3, 4 und 6 AEUV. (Quelle: Eigene Darstellung)

Der Kompetenzüberblick veranschaulicht das überaus breite Zuständigkeitsspektrum der EU zur Europäisierung der Rechts- und Verwaltungsaufgaben der Mitgliedstaaten. Zum Schutze der nationalen Identität der Mitgliedsstaaten (Art. 4 Abs 2 EUV) soll die Ausübung der dargelegten EU-Zuständigkeiten möglichst schonend

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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erfolgen. Dies bestimmen das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Art. 5 Abs 3 und 4 EUV. Während das Subsidiaritätsprinzip regelt, ob die EU außerhalb ihrer ausschließlichen Zuständigkeiten überhaupt handeln darf, betrifft das Verhältnismäßigkeitsprinzip das „Wie“ der Kompetenzausübung, d. h. die Dichte und Tiefe des in die nationalen Rechtsordnungen eindringenden EU-Rechts (Haltern 2017, Rn 831). Zur Begrenzung der EU-Aktivitäten und der Verwaltungseuropäisierung ist das Subsidiaritätsprinzip von vorrangiger Bedeutung.

2.3.3.2 Subsidiaritätsprinzip Nach dem Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 Abs 3 EUV darf die EU außerhalb ihrer ausschließlichen Zuständigkeiten nur unter zwei Voraussetzungen tätig werden, die kumulativ vorliegen müssen: die Ziele vorgesehener Maßnahmen • können von den Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene nicht ausreichend verwirklicht werden (Effektivitätskriterium) und • lassen sich auf Unionsebene besser verwirklichen als auf nationaler Ebene (Mehrwertkriterium). Die EU-Kommission begnügt sich zur Rechtfertigung von Regelungsvorschlägen häufig mit Ausführungen zum Mehrwert einer EU-Maßnahme (Oppermann u. a. 2021, § 11 Rn 25). Der Europäische Gerichtshof hat sich bislang einer echten Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips verweigert (Albin 2006, 631 ff.; Haltern 2017, Rn 846). Von rd. 30 Klagen, in denen Mitgliedsstaaten eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips rügten, war keine einzige erfolgreich. Rechtlich ist das Subsidiaritätsprinzip also praktisch wirkungslos. Allerdings wird ihm politische Bedeutung bei Verhandlungen auf EU-Ebene nachgesagt (Albin 2006, 634). Eine verfahrensmäßige Stärkung des Subsidiaritätsprinzips erfolgte durch das Protokoll Nr. 2 „Über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ zum Vertrag von Lissabon vom 17.12.2007 (dazu Haltern 2017, Rn 848 ff.). Danach muss u. a. die EU-Kommission ihre Gesetzentwürfe den nationalen Parlamenten zuleiten. Diese können hierzu binnen acht Wochen eine „begründete Stellungnahme“ gegenüber Kommission, Rat und Europäischem Parlament abgeben und die Gründe für die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips darlegen. Die genannten Institutionen müssen die begründete Stellungnahme „berücksichtigen“, d. h. sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzen. Wenn die Zahl der begründeten Stellungnahme bestimmte, im Protokoll geregelte Quoren (in der Regel ein Drittel, in ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Hälfte aller Stimmen der nationalen Parlamente) erreicht, muss der

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Gesetzgebungsvorschlag „überprüft“ werden. Wird an dem Gesetzgebungsvorschlag festgehalten, muss diese Entscheidung besonders begründet werden. Wenn in weiteren Gesetzgebungsverfahren 55 % der Mitglieder des Rates oder eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Europäischen Parlament der Ansicht sind, dass der Gesetzgebungsvorschlag das Subsidiaritätsprinzip verletzt, endet das Gesetzgebungsverfahren. Schließlich können die nationalen Parlamente nach Art. 8 des Protokolls Nr. 2 i.V.m. Art. 263 AEUV die Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben und die Vereinbarkeit eines Rechtsaktes mit dem Subsidiaritätsprinzip überprüfen lassen. Art. 23 Abs 1a GG gibt dem Bundestag und dem Bundesrat die Befugnis, eine Subsidiaritätsklage wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsaktes der EU gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben. Einzelheiten regelt § 12 Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG). Darüber hinaus bestehen umfassende Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte der Länder in EUAngelegenheiten gegenüber dem Bund, die im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der EU vom 12.03.1993 (BGBl I, S. 313) und in einer Bund-Länder-Vereinbarung zu diesem Gesetz geregelt sind. Eine wirksame Begrenzung der Europäisierung nationalen Rechts und nationaler Verwaltungsaufgaben durch die EU dürften die dargelegten EU-rechtlichen Verfahrensregelungen nicht herbeiführen. Zwar haben die nationalen Parlamente bisher relativ häufig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips durch Gesetzgebungsvorschläge der EU zu rügen. Aber nur einmal wurde in den ersten fünf Jahren seit Erlass des Subsidiaritätsprotokolls ein Gesetzgebungsvorschlag von der Kommission aufgrund der Subsidiaritätsrüge nationaler Parlamente zurückgezogen. Im Wesentlichen dürfte die praktische Bedeutung des Subsidiaritätsprotokolls in der Intensivierung des Meinungsaustauschs zwischen EU-Kommission und nationalen Parlamenten bestehen (vgl. Haltern 2017, Rn 852, 854). Die nachteiligen Folgen eines rechtlich wirkungslosen Subsidiaritätsprinzips bestehen in der Tendenz zur Überregulierung durch die EU und damit in der Einschränkung nationaler und individueller Handlungsfreiheit, die vielfach als Bürokratismus und Bevormundung empfunden wird und die Akzeptanz der EU in der Bevölkerung beeinträchtigt. Schließlich birgt die Tendenz zur Überregulierung durch die EU die Gefahr, dass das EU-Recht allmählich seine normative Kraft verliert und zur Rechtsfassade wird, da die Mitgliedstaaten es nur formal umsetzen und nicht mehr wirksam vollziehen. Im Umweltrecht wird dies schon deutlich sichtbar (Bohne 2006, 535 ff., 549 ff.). Um dem Subsidiaritätsprinzip eine größere rechtliche Wirksamkeit zu verleihen, müssten die materiellen Kriterien seiner Anwendung präzisiert werden. Dies

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

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könnte durch den Europäischen Gerichtshof erfolgen, der hierzu allerdings wenig Neigung zeigt, oder durch eine Ergänzung des Protokolls Nr. 2 geschehen. Als Vorbild für eine materielle Protokollergänzung eignet sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs 2 GG von 1994 (ähnlich Papier 2007, 698), die auch für die Neufassung des Art. 72 Abs 2 GG von 2006 fortgilt (Maurer 2010, § 17, Rn 35). Ebenso wie in der EU besteht im Bundesstaat eine Tendenz zur Zentralisierung und Ausdehnung der Gesetzgebungsaktivitäten des Bundes auf Kosten der Länder. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, wurde 1994 Art. 72 Abs 2 GG dahingehend geändert, dass der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nur tätig werden darf, wenn dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse „erforderlich“ ist. Das Bundesverfassungsgericht (E 11 1, 226 ff., Rn 128) hat entschieden, dass die Erforderlichkeit einer Regelung zur Wahrung der Rechtseinheit oder zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse das Vorliegen einer „Gefahrenlage“ voraussetze, wonach sich ohne die bundesgesetzliche Regelung das Recht in den Ländern oder die Lebensverhältnisse zwischen den Ländern in unerträglicher Weise auseinander entwickeln würden. In ähnlicher Weise könnte das Subsidiaritätsprotokoll durch eine Regelung ergänzt werden, wonach die Mitgliedstaaten die Ziele einer vorgesehenen EU-Maßnahme nur dann nicht ausreichend im Sinne des Art. 5 Abs 3 EUV verwirklichen können, wenn eine „Gefahrenlage“, d. h. unerträgliche Missstände ohne die EU-Maßnahme bestehen würde(n). Da bei Verzicht auf EU-Regelungen in vielen Fällen keine Gefahrenlage für die EU oder die Mitgliedstaaten droht, dürfte das vorgeschlagene Subsidiaritätskriterium der Tendenz zur Überregelung durch die EU und damit der fortschreitenden Europäisierung nationaler Verwaltungsaufgaben entgegenwirken.

2.3.4

Ökonomische Aufgabenbestimmung

Nach dem klassischen Konzept einer freien Marktwirtschaft, das im 19. Jahrhundert vorherrschte, sollen sich die Aufgaben des Staates auf den Schutz des Privateigentums, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und auf die Gewährleistung eines Rechtsrahmens für die freie Marktwirtschaft beschränken (sog. Nachtwächterstaat). Dieses Konzept, das freilich in Reinform nie verwirklicht wurde, besitzt unter Kritikern wachsender Staatsaufgaben auch heute noch politische Anziehungskraft. Auf der Grundlage einer radikalen

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2 Verwaltungsbegriff

Individualrechtstheorie hat es in den USA zur Forderung nach einem Minimalstaat geführt (Nozick 1988; dazu Knoll 2008). Auch die Forderung nach einem „schlanken Staat“ in Deutschland hat geistige Wurzeln in diesem Konzept. Die vorherrschende Wohlfahrtsökonomik beschränkt die Staatsaufgaben nicht auf die Schutzaufgaben des Minimalstaats, sondern geht von einem Subsidiaritätsverhältnis zwischen staatlichem und privatem Handeln aus. D. h.: der Staat darf nur tätig werden, wenn der Markt bei der effizienten Allokation von knappen Gütern und Dienstleistungen versagt. Grundlage dieser normativen Theorie des Marktversagens ist das Modell eines vollkommenen Marktes. Unter einem Markt werden alle Tauschprozesse zwischen den Anbietern und Nachfragen knapper Güter und Dienstleistungen verstanden, durch die letztere auf der Grundlage vollständiger Konkurrenz nach Maßgabe des Preises den Verwendungen mit dem größten Nutzen zugeteilt werden (effiziente Allokation) (Fritsch 2018, 6 ff.). Das Modell der vollständigen Konkurrenz beruht auf einer Reihe extremer Annahmen wie z. B. gegebene Menge an Produktionsfaktoren, konstante Produktionstechnik, konstante Präferenzen der Wirtschaftssubjekte, vollständige Marktinformationen sämtlicher Akteure, Wahlfreiheit bei Entscheidungen, rationales und nutzenmaximierendes Handeln, atomistische Marktstruktur etc. (vgl. Fritsch 2018, 25 ff.; Mause und Müller 2018, 150 ff.). Die Allokation von Gütern und Dienstleistungen wird als effizient bezeichnet, wenn sie Pareto-optimal ist, das heißt: keine andere Verteilung der Güter und Dienstleistungen ist möglich, durch die mindestens ein Marktteilnehmer besser gestellt würde, ohne einen anderen schlechter zu stellen (Mause und Müller 2018, 151). Marktversagen liegt nach diesem Marktmodell also vor, wenn die Allokation von Gütern und Dienstleistungen nicht effizient (Pareto-optimal) ist. Dies ist der Fall, wenn eine der Voraussetzungen vollständiger Konkurrenz nicht erfüllt ist (Mause und Müller 2018, 153). Es werden im Wesentlichen vier Ursachenkomplexe für Marktversagen unterschieden (Fredebeul-Krein u. a. 2014, 59 f., 452 f.; Fritsch 2018, 76 ff.): • externe Effekte – Produktion oder Nutzung von Gütern beeinflussen den Nutzen anderer, unbeteiligter Wirtschaftssubjekte entweder positiv, ohne dass sie dafür bezahlen müssen (z. B. Verschönerung privater Hausfassaden erfreut die Nachbarn) oder negativ, ohne dafür Schadensersatz zu erhalten (z. B. Luftverschmutzung durch Autoabgase); • Bereitstellung öffentlicher Güter – Güter, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann – sei es aus technischen Gründen oder wegen unverhältnismäßig hoher Kosten (Nicht-Ausschließbarkeit) – und/oder deren Nutzung die Nutzung durch andere Akteure nicht behindert (Nicht-Rivalität), z. B. innere und äußere Sicherheit, saubere Luft und Gewässer; die Kosten für

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

29

die Bereitstellung dieser Güter fallen anderen Nutzern nicht zur Last, was zu einem „Trittbrettfahrerverhalten“ führt; • natürliche Monopole – es gibt nur einen Anbieter von Gütern, da die Produktionskosten in diesem Fall niedriger sind als bei mehreren Anbietern (z. B. Bau und Betrieb von Strom- und Gasnetzen); • Informationsdefizite – es besteht eine asymmetrische Informationsverteilung (z. B. über die Qualität eines Gutes) zu Ungunsten von Anbietern oder Nachfragen von Gütern. Bei Vorliegen eines der genannten Ursachenkomplexe kann eine effiziente Allokation von Gütern und Dienstleistungen durch den Markt nicht erfolgen. Dieses Marktversagen ist notwendige Bedingung für staatliche Maßnahmen. Hinreichend gerechtfertigt ist ein Staatseingriff allerdings nur, wenn der Staat auch tatsächlich in der Lage ist, eine effizientere Allokation von Gütern und Dienstleistungen herbeizuführen (Fritsch 2018, 78; Mause und Müller 2018, 153). Ist der Staat zu einer Korrektur des Marktversagens nicht in der Lage oder nicht willens, spricht man von einem Staatsversagen (Fritsch 2018, 374 ff.). Aus einem Marktversagen können sich für den Staat vielfältige Aufgaben ergeben. Diese reichen von schlichten Verhaltensappellen, über den Erlass von Geboten und Verboten, die Festsetzung von Steuern und die Gewährung von Subventionen bis hin zur Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen durch den Staat selbst. Welche praktische Bedeutung besitzt die normative ökonomische Theorie das Marktversagen für die Politik? Sie mahnt zur Zurückhaltung bei der Übernahme staatlicher Aufgaben und liefert Gesichtspunkte für ihre Ausgestaltung. Ihre praktische Wirkung ist jedoch im Wesentlichen appellativer Natur.

2.3.5

Politische Ansätze der Aufgabenbestimmung

Es lassen sich zwei Ansätze der politischen Aufgabenbestimmung unterscheiden: • Aufgabenplanung nach dem Rationalitätsprinzip, • Aufgabenbestimmung aufgrund Aufgabenkritik.

30

2 Verwaltungsbegriff

2.3.5.1 Aufgabenplanung Seit langem wird – vor allem in der Finanzwissenschaft – die Forderung erhoben, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung stärker nach dem Rationalitätsprinzip zu strukturieren, für einen längerfristigen Zeitraum zu planen und hieran Haushalts- und Finanzplanung zu orientieren (Zimmermann u. a. 2021, 205 ff.). Dies hat im Jahre 1969 u. a. zur Einführung der Mittelfristigen Finanzplanung geführt (§ 9 StWG). Entsprechend dem Modell rationalen Entscheidens (dazu Bohne 2023, 5.2.2) sollen die Verwaltungsaufgaben hierarchisch nach Zielen, Programmen, Maßnahmen und Ressourcen strukturiert werden. Bekanntestes Beispiel für diesen Ansatz war das amerikanische Planning, Programing, Budgeting System (PPBS) (Zimmermann u. a. 2021, 210). Es beruhte auf der Annahme, dass die rationale Form, in der die Informationen zu Aufgaben und Ressourcen aufbereitet werden, das Entscheidungsverhalten der öffentlichen Verwaltung steuert (Schick 1966, 257). Wenngleich dieser Rationalitätsformalismus den Einfluss politischer Entscheidungsfaktoren vernachlässigte und für den geringen Erfolg von PPBS und ähnlichen Planungssystemen verantwortlich war, ist er auch heute noch wesentlicher Bestandteil des am Rationalitätsprinzip orientierten öffentlichen Managements (Lamers 2018, 14 ff.).

2.3.5.2 Aufgabenkritik Seit Anfang der 1970er Jahre wird die Tendenz zur Zunahme der Staatsaufgaben bei gleichzeitiger Abnahme der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ressourcen beklagt (Fixemer 2015, 16). Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ (1997, 45) meinte, dass das Wachstum der Staatsaufgaben inzwischen die Grenzen der staatlichen Leistungsfähigkeit erreicht habe und begrenzt werden müsse. Das Mittel hierzu ist die Aufgabenkritik, die in einigen Bundesländern sogar gesetzlich vorgeschrieben ist (z. B. § 4 VwORG – Rheinland-Pfalz). Die Aufgabenkritik unterteilt sich in eine Zweckkritik und eine Vollzugskritik (Röber 2019, 678 ff.). Ziel der Zweckkritik ist die Überprüfung des Aufgabenkatalogs eines Verwaltungsträgers, ob und inwieweit die Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben noch gerechtfertigt ist Ziel der Vollzugskritik ist die Prüfung, ob und inwieweit die gegebenen Aufgaben eines Verwaltungsträgers effektiv und effizient wahrgenommen werden (zum Ganzen: Fixemer 2015, 23). Das Hauptproblem der Aufgabenkritik besteht in der Bewertung der Aufgaben (Fixemer 2015, 45 ff.). Im Rahmen der Zweckkritik gibt es keine objektiven Kriterien dafür, ob und inwieweit die Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben notwendig ist. Auch rechtliche Vorgaben können durch die Aufgabenkritik infrage gestellt werden, was zu Rechtsänderungen führen kann. Es ist daher üblich, für eine Zweckkritik einen

2.3 Normative Aufgabenbestimmungen

31

spezifischen Fragenkatalog zu der Aufgabenwahrnehmung aufzustellen, anhand dessen die Notwendigkeit der Aufgabenwahrnehmung qualitativ bewertet wird. Abb. 2.7 enthält einen Fragenkatalog, der vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesverwaltungsamt für die Zweckkritik vorgeschlagen wird. Als Ergebnis der Zweckkritik können die Verwaltungsaufgaben ganz oder teilweise gestrichen oder erweitert werden und/oder Intensität und Leistungsbreite der Aufgabenwahrnehmung reduziert oder erhöht werden.

Abb. 2.7 Fragenkatalog für die Aufgabenbewertung im Rahmen der Zweckkritik von Verwaltungsaufgaben. (Quelle: Bundesministerium des Innern und Bundesverwaltungsamt 2018 ff., Tab. 14 Sp 3)

32

2 Verwaltungsbegriff

Im Rahmen der Vollzugskritik werden Effektivität und Effizienz der Aufgabenwahrnehmung überprüft. Darüber hinaus werden auch hier spezifische Fragenkataloge zur Vollzugsbewertung aufgestellt, um festzustellen, ob die Aufgaben • • • •

wie bisher weitergeführt, gebündelt, innerhalb der öffentlichen Verwaltung verlagert oder (teil-) privatisiert

werden sollen (Bundesministerium des Innern und Bundesverwaltungsamt 2018 ff., Tab. 16 Sp 3). Wenngleich die Aufgabenkritik theoretisch immer wieder gefordert wird, ist sie in der Praxis jedoch unterentwickelt. So enthält beispielsweise der Bericht der Landesregierung von Rheinland-Pfalz aus dem Jahre 2021 zur Aufgabenkritik gemäß § 4 VwORG, der dem Landtag alle drei Jahre vorzulegen ist, keine Hinweise zu den Bewertungskriterien der Aufgabenkritik und keine Darstellung, welche Verwaltungsaufgaben gestrichen oder reduziert wurden. Es wird lediglich über zahlreiche Organisations- und Personalmaßnahmen in den Ministerien und nachgeordneten Behörden des Landes berichtet (Landesregierung Rheinland Pfalz 2021). Für die praktisch geringe Bedeutung der Aufgabenkritik dürften ihr hohes Konfliktpotenzial und der beträchtliche Aufwand solcher Untersuchungen maßgeblich sein.

2.4

Zusammenfassung

Verwaltungsaufgaben sind Teil der Staatsaufgaben, die zusammen mit den gemeinwohlbezogenen Aufgaben privater Akteure die öffentlichen Aufgaben bilden. Verwaltungsaufgaben besitzen eine empirische und normative Dimension. In empirischer Hinsicht umfasst der Aufgabenbegriff alle tatsächlichen Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung. Einen allgemein anerkannten Aufgabenkatalog der öffentlichen Verwaltung gibt es nicht. Dafür sind die Verwaltungsaufgaben zu vielgestaltig. Einen Eindruck von der Fülle der Verwaltungsaufgaben gibt der Funktionenplan nach § 11 HGrG, der die einnahme- und ausgabenwirksamen Aktivitäten der Bundes- bzw. der jeweiligen Landesverwaltung enthält. In normativer Hinsicht sind rechtliche, ökonomische und politische Ansätze zur Bestimmung der Verwaltungsaufgaben zu unterscheiden.

Literatur

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Allgemeine rechtliche Regelungen der Verwaltungsaufgaben enthalten das Grundgesetz, die Gemeinde- und Landkreisordnungen der Länder und das EU-Recht. Daneben gibt es vielfältige fachspezifische Aufgabenregelungen. Grundlage für die ökonomische Bestimmung der Verwaltungsaufgaben ist die Theorie des Marktversagens. Danach darf der Staat nur tätig werden, wenn und soweit der Markt keine effiziente Allokation von Gütern und Dienstleistungen herbeiführt. Bei der politischen Bestimmung von Verwaltungsaufgaben wird zwischen einer am Rationalitätsprinzip orientierten Aufgabenplanung und einer auf Begrenzung der Staatsaufgaben gerichteten Aufgabenkritik unterschieden.

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2 Verwaltungsbegriff

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3

Bürger und öffentliche Verwaltung

3.1

Vom Untertan zum Bürger

Zur Zeit der Entstehung des modernen Staates im Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts war das Verhältnis von öffentlicher Verwaltung und Individuum durch eine strikte Unterordnung des Individuums unter die Staatsgewalt des Fürsten geprägt. Die öffentliche Verwaltung diente den Staatsinteressen, nicht den Interessen des einzelnen. Dieser war Untertan. Nach dem damaligen Verwaltungsverständnis wurde die gesamte innere Verwaltung als „Polizei“ bezeichnet (zum Polizeibegriff s. u. 8.2.1). Die Aufgaben der Polizei umfassten nicht nur die öffentliche Sicherheit, sondern die gesamte wirtschaftliche und soziale Wohlfahrt, das Kirchen- und Erziehungswesen und die Aufrechterhaltung der sittlichen Ordnung (Baer 2006, 93 ff.; Stolleis und Kremer 2021, A Rn 11–25). Die klassische Formulierung der polizeilichen Aufgaben findet sich in § 10 Abs 2 Satz 17 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwehr des dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“

Dabei wurden Ruhe, Sicherheit und Ordnung in dem genannten umfassenden Sinn der Wohlfahrtsfürsorge verstanden (Stolleis und Kremer 2021, A Rn 20). Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich auf der Grundlage des politischen Liberalismus die Rolle des einzelnen gegenüber der öffentlichen Verwaltung vom Untertan zum Bürger. Der Bürger besaß individuelle Freiheits- und Eigentumsrechte sowie Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen, deren Einhaltung zunehmend durch unabhängige Gerichte gewährleistet wurde. Die bürgerlichen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_3

37

38

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

und staatlichen Sphären waren getrennt, was im Grundsatz der Trennung von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck kam (Baer 2006, 111 f.). Außerdem wurden die Aufgaben der Polizei auf die Gefahrenabwehr beschränkt. Auslöser und maßgebend war das berühmte Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14.06.1882 (PrOVGE 9, 353 ff.). Dieses erklärte eine Polizeiverordnung des Berliner Polizeipräsidenten für unwirksam, die die Bauhöhe von Gebäuden beschränkte, um zur Förderung des Patriotismus den Ausblick auf das auf dem Kreuzberg befindliche Nationaldenkmal zu gewährleisten, das zur Erinnerung an die Siege der Freiheitskriege errichtet war. Das Gericht entschied, dass die Polizeiaufgaben nicht sämtliche Interessen des öffentlichen Wohls wie z. B. die Förderung des Patriotismus und nicht die Beurteilung der Ästhetik von Bauwerken im Sinne der öffentlichen Ordnung umfassten, sondern sich auf die Abwehr von Gefahren und Schäden für die Bürger beschränkten. Im demokratischen und sozialen Rechtsstaat hat sich das Verhältnis von Bürger und öffentlicher Verwaltung über die Gefahrenabwehr hinaus umfassend rechtlich ausdifferenziert. Der Bürger hat nicht nur Anspruch auf staatlichen Schutz, sondern besitzt Leistungsrechte im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, Informationsrechte und wirkt bei der Erledigung öffentlicher Aufgaben in vielfältiger Weise mit der öffentlichen Verwaltung zusammen. Im demokratischen und sozialen Rechtsstaat ist die öffentliche Verwaltung nicht primär vom Staat, sondern vom Bürger her zu denken, dem sie zu dienen bestimmt ist. Für diese Sichtweise ist das Konzept der sozialen Rolle zweckmäßig, mit der sich das Verhältnis von Bürger und öffentlicher Verwaltung beschreiben lässt.

3.2

Rollen des Bürgers im Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung

Soziale Rollen sind soziale Normen, die Positionen in einem sozialen Handlungssystem beschreiben, an die bestimmte Verhaltenserwartungen und im Falle der Nichtbefolgung soziale Sanktionen geknüpft sind (Popitz 1972, 21 ff., 39 ff.). Ein Beispiel ist die Rolle des ehrbaren Kaufmanns, von dem ein korrektes Geschäftsverhalten erwartet wird. Es ist zweckmäßig, zur Strukturierung und Analyse der vielfältigen Beziehungen zwischen Bürgern und öffentlicher Verwaltung verschiedene Rollen des Bürgers zu identifizieren und, hieran anknüpfend, entsprechende Typen der öffentlichen Verwaltung zu unterscheiden (siehe: Kap. 8–13):

3.2 Rollen des Bürgers im Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung

39

• Der Bürger befindet sich überwiegend in der Rolle des Befehlsempfängers im Bereich der Ordnungs- und Abgabenverwaltung, die die Polizei und zahlreiche Sonderordnungsverwaltungen (z. B. Bau-, Gewerbe-, Verkehrsaufsicht, Ausländerwesen) und die Steuerverwaltung umfasst. • Die Rolle des Verbrauchers hat der Bürger als Empfänger staatlicher Leistungen (z. B. Sozialleistungen, wirtschaftliche Förderung), deren Verteilung Aufgabe der Leistungsverwaltung ist. • Der Bürger tritt in der Rolle des Benutzers von Infrastruktur (z. B. Verkehrswege, öffentliche Strom- und Gasnetze, öffentliche Kultureinrichtungen) gegenüber der Infrastrukturverwaltung auf. • In der Rolle des Ko-Produzenten öffentlicher Leistungen befindet sich der Bürger, soweit Bürger und öffentliche Verwaltung bei der Leistungserstellung zusammenwirken (z. B. in der Flüchtlingshilfe). Nicht zweckmäßig als Rollenbeschreibung ist der Kundenbegriff, der vom New Public Management propagiert wird (Schedler und Proeller 2011, 71 ff.; Bohne 2023, 4.4.3.1). In Analogie zur Privatwirtschaft wird die öffentliche Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen und der Bürger generell als ihr Kunde betrachtet. Damit werden die dargestellten unterschiedlichen Rollen des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung in die generelle Kundenrolle eingeebnet, die zudem für viele Bereiche unzutreffend ist. Beispielsweise kann ein Führerschein nur rechtmäßig oder rechtswidrig, nicht aber „kundenfreundlich“ oder „kundenunfreundlich“ entzogen werden. Das Bild des Bürgers als „Kunden“ eignet sich allenfalls dazu, der öffentlichen Verwaltung eine bürgernahe Dienstleistungsorientierung nahezulegen. Die genannten Rollen sind nicht immer trennscharf. Der Bürger kann gegenüber der öffentlichen Verwaltung auch in mehreren Rollen auftreten, z. B. wenn er gegenüber der Steuerverwaltung die Rolle des Befehlsempfängers und des Nutzers von Informationstechnologien innehat. Beide Rollen prägen dann in spezifischer Weise das Verhältnis von Bürger und öffentlicher Verwaltung. So entstehen Mischformen der vorgenannten Verwaltungstypen. Die verschiedenen Rollen des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung werden durch individuelle Rechte des Bürgers strukturiert.

40

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

3.3

Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung

3.3.1

Grundrechte

Das Verhältnis von Bürger und Staat wird durch die Grundrechte der Verfassung geprägt. Dies wirkt sich für den Bürger im Alltag vor allem gegenüber der öffentlichen Verwaltung aus. An der Spitze der Grundrechte steht Art. 1 Abs 1 GG, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt und alle staatliche Gewalt verpflichtet, sie zu achten und zu schützen. Die übrigen Grundrechte sind Konkretisierungen der Menschenwürde. Es lassen sich allgemeine und spezielle Freiheitsrechte sowie allgemeine und spezielle Gleichheitsrechte unterscheiden. Das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs 1 GG wird durch spezielle Freiheitsrechte konkretisiert. Diese lassen sich unterteilen in (Maurer 2010, § 9 Rn 10) • Freiheit der Individualsphäre: Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs 2 Satz 1 GG), Freiheit der Person (Art. 2 Abs 2 Satz 2 GG), Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs 1 GG), Asylrecht (Art. 16a GG); • Schutz des persönlichen Umfelds: Ehe und Familie (Art. 6 GG), Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), Freizügigkeit (Artr. 11 GG); • kommunikative Freiheitsrechte: Meinungsäußerungs-, Presse-, Rundfunk- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs 1 GG), Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), Vereinigungsfreiheit (Artr.9 GG), Brief- und Postgeheimnis (Art. 10 GG); • kulturelle Freiheitsrechte: Religionsfreiheit (Art. 4 GG), Wissenschafts- und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs 3 GG), Rechte im Schulbereich (Art. 7 Abs 2–5 GG); • wirtschaftliche Freiheitsrechte: Koalitionsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (Art. 9 Abs 3 GG), Berufs- und Gewerbefreiheit (Art. 12 GG), Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG); • staatsbürgerliche Rechte: Petitionsrecht (Art. 17 GG), Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33. Abs 2 GG), Wahlrecht (Art. 38 Abs 1 GG); • Prozessgrundrechte: gerichtlicher Rechtsschutz (Art. 19 Abs 4 GG), Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs 1 Satz 2 GG), rechtliches Gehör (Art. 103 Abs 1 GG), strafprozessuale Grundrechte (Art. 103 Abs 2 und 3 GG). Das allgemeine Gleichheitsrecht (Art. 3 Abs 1 GG) gebietet, dass Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird.

3.3 Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung

41

Das bedeutet, dass eine Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt und verhältnismäßig sein muss (BVerfGE 121, 317, Rn 150; Maurer 2010, § 9, Rn 12). Das allgemeine Gleichheitsrecht wird durch spezielle Gleichheitsrechte konkretisiert. Hierzu gehören: • das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs 3 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf; eine Benachteiligung wegen einer Behinderung ist unzulässig; • die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs 2 Satz 1GG); • gleicher Zugang zu den öffentlichen Ämtern (Art. 33 Abs 2 GG); • Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs 1 Satz 1 GG). Die Grundrechte haben einen rechtlichen Doppelcharakter. Sie sind subjektive Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat und begründen zugleich eine objektivrechtliche Ordnung für das Gemeinwesen (Maurer 2010, § 9, Rn 17 ff., 23 ff.; Stern 2019, Rn 51 ff.). Traditionell haben die Grundrechte die Funktion von subjektiven Abwehrrechten des Bürgers gegenüber dem Staat. Ihre objektiv-rechtlichen Funktionen zeigen sich in der Begründung staatlicher Schutzpflichten, von Anforderungen an die staatliche Organisation und Verfahren und von staatlichen Leistungs- und Beteiligungspflichten gegenüber dem Bürger. In den Verfassungen der Bundesländer sind ebenfalls Grundrechte verbürgt (Stern 2019, Rn 22 ff.). Zum Teil gehen sie materiell über die Grundrechte des Grundgesetzes hinaus. Vier Landesverfassungen begnügen sich mit der Inkorporation der Bundesgrundrechte (Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen). Große praktische Bedeutung besitzen die Ländergrundrechte nicht. In Europa finden sich Grundrechtsverbürgungen in der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates und in der Charta der Grundrechte der EU (Stern 2019, Rn 46 ff.). Letztere ist gemäß Art. 6 Abs 1 EUV gleichrangig mit den europäischen Verträgen und rechtsverbindlich für die EU-Organe und Einrichtungen sowie für die Mitgliedstaaten, soweit sie EU-Recht ausführen (Art. 51 Abs 1 EU-GR Charta).

42

3.3.2

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

Verfahrens- und Beteiligungsrechte

Von zentraler Bedeutung für den Schutz des Bürgers vor Verwaltungswillkür sind seine Rechte in den Entscheidungsverfahren der öffentlichen Verwaltung. Diese Rechte sind in zahlreichen Verfahrens- und Fachgesetzen geregelt. So vielfältig wie ihre Entscheidungen sind die Verfahren der öffentlichen Verwaltung. Sie reichen vom Erlass von Rechtsnormen und Verwaltungsakten über den Abschluss öffentlich- und privatrechtlicher Verträge, die Abgabe von öffentlichund privatrechtlichen Willenserklärungen bis hin zu reinen Tathandlungen und verwaltungsinternen Entscheidungen. Einen einheitlichen Begriff des Verwaltungsverfahrens gibt es nicht, wenngleich gemeinsame normative Grundlage aller Entscheidungsformen des Verwaltungshandelns die Grundrechte und das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sind (Wolff u. a. 2017, § 58 Rn 1,9 ff.). Eine umfassende Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts fehlt. Stattdessen gibt es drei Teilkodifikationen – die sog. drei Säulen des Verfahrensrechts: die weitgehend inhaltsgleichen Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern, die Abgabenordnung und das Sozialgesetzbuch X. Außerdem sind eine Reihe abschließender, fachspezifischer Verfahrensregelungen anzutreffen, z. B. im Bauplanungsrecht und Immissionsschutzrecht (Wolff u. a. 2017, § 58 Rn 3). Der Begriff des Verwaltungsverfahrens beschränkt sich im Rechtssinne auf die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist (§ 9 VwVfG). Unter einem Verwaltungsakt ist jede behördliche Entscheidung zu verstehen, die zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen wird und unmittelbare Rechtswirkungen nach außen besitzt (§ 35 VwVfG). Die Rechte des Bürgers in Verwaltungsverfahren in diesem Sinne sind auf allen Rechtsgebieten weitgehend gleich (Maurer und Waldhoff 2020, § 19 Rn 28 ff.). Abb. 3.1 gibt einen Überblick über die Verfahrens- und Beteiligungsrechte des Bürgers in Steuer-, Sozialverwaltungs- und sonstigen Verwaltungsverfahren. Der Bürger ist in Verfahren, die ihn betreffen, Verfahrensbeteiligter und hat das Recht, sich von Dritten in Verwaltungsverfahren vertreten zu lassen. Er hat einen Anspruch gegen die Behörde auf Auskunft und Beratung über den Ablauf des Verfahrens, seine Rechte und die möglichst zweckmäßige, seinen Interessen entsprechende Gestaltung des Verfahrens. Die behördliche Auskunftsund Beratungspflicht besteht auch schon vor der Stellung eines Antrags durch den Bürger.

3.3 Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung

Rechte Verfahrensbeteiligung Vertretung Beratung und Auskunft Anhörung Akteneinsicht Geheimhaltung Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsbehelfe

43

Verwaltungsverfahrensgesetz §§ 11, 13

Abgabenordnung

Sozialgesetzbuch

§§ 78, 79

§§ 10, 12 SGB X

§ 14 § 25 Abs 1 und 2

§ 80 § 89

§ 13 SGB X §§ 13-15 SGB I

§§ 28, 66 § 29 § 30 §§ 25 Abs 3, 73

§ 91 § 30 -

§ 24 SGB X § 25 SGB X § 35 SGB I -

§ 79

§ 347

§ 62 SGB X

Abb. 3.1 Verfahrens- und Beteiligungsrechte des Bürgers. (Quelle: Eigene Darstellung)

Der Bürger hat das Recht, die Akten einzusehen und vor dem Erlass eines belastenden Verwaltungsakts angehört zu werden. Im Steuerverfahren ist allerdings kein allgemeines Akteneinsichtsrecht normiert. Aus der Regelung des Anhörungsrechts (§ 91 AO) wird jedoch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht gefolgert (Klein und Orlopp 2018, § 91 AO Rn 26). Der Bürger hat Anspruch darauf, dass seine persönlichen und geschäftlichen Geheimnisse nicht unbefugt offenbart werden. Im Planfeststellungsverfahren wird der Vorhabenplan in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird, öffentlich ausgelegt. Jeder Bürger, dessen Belange durch das Vorhaben berührt wird, hat das Recht, Einwendungen gegen das Vorhaben innerhalb einer Frist von sechs Wochen zu erheben und diese später in einem Erörterungstermin mit den zuständigen Behörden und dem Vorhabenträger zu erörtern. Umfassender sind die Beteiligungsrechte des Bürgers in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für gewerbliche Anlagen. Dort haben Einwendungsrechte nicht nur Bürger, deren Belange durch das Vorhaben berührt werden, sondern die Öffentlichkeit insgesamt (§ 10 Abs 3 Satz 4 BImSchG). Darüber hinaus erfolgt eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen und Programmen, die sich nicht – wie die genannten Planfeststellungsverfahren und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren – auf Einzelvorhaben beschränken, sondern auf die Nutzung eines Raumes durch mehrere Vorhaben beziehen, z. B. Bauleitpläne, Raumordnungspläne, Luftreinhalte- und andere gebietsbezogene Umweltpläne. Diese Pläne und Programme unterliegen einer

44

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

strategischen Umweltprüfung (SUP), die allerdings nur eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit vorschreibt, §§ 18, 35, 42 UVPG. Lediglich die Bauleitplanung bezieht alle Bürger in die Öffentlichkeitsbeteiligung ein, § 3 BauGB. Die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung beschränkt sich nicht auf den Schutz individueller Rechte und Interessen (Interessenvertretungsfunktion), sondern umfasst auch • die Gewährleistung der sachlichen Richtigkeit der Verwaltungsentscheidungen (Informationsfunktion), • die Förderung der öffentlichen Akzeptanz der Verwaltungsentscheidungen (Akzeptanzfunktion), • die Herstellung von Transparenz und Legitimation der Verwaltungsentscheidungen (Legitimationsfunktion) und • die Kontrolle der Verwaltungsentscheidungen (Kontrollfunktion). Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist in den letzten Jahren erheblich erweitert worden, um die Verwirklichung von Großprojekten wie z. B. den Ausbau der Stromund Gasnetze zu ermöglichen, der in der Bevölkerung oft auf Widerstand stößt (s. u. 12.2.2 und 12.4.3). Die Bilanz der hiervon erhofften Akzeptanz und Legitimation der Vorhaben ist aber durchaus zwiespältig (Bauer 2015, 273 ff.). In Steuerverfahren und Sozialverwaltungsverfahren gibt es naturgemäß keine Öffentlichkeitsbeteiligung, da Steuer- und Sozialangelegenheiten eines Bürgers keine generellen Auswirkungen auf andere Bürger oder die Öffentlichkeit haben. Schließlich hat der Bürger ein Recht auf Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung.

3.3.3

Von der Amtsverschwiegenheit zur Verwaltungstransparenz

Voraussetzung dafür, dass der Bürger seine Rechte und Interessen wirksam gegenüber der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen kann, ist, dass er über ausreichende Informationen verfügt. Die im vorigen Abschnitt beschriebenen Beratung, Auskunfts-, Anhörungs-, Akteneinsichts- und Beteiligungsrechte beschränken sich auf Verwaltungsverfahren im Rechtssinne und stehen nur den rechtlichen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung. Außerhalb von Verwaltungsverfahren gab es traditionsgemäß keine Informationsrechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung. Es galt der Grundsatz der Amtsverschwiegenheit.

3.3 Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung

45

Dieser Grundsatz ist ein Element des Staatsverständnisses im Absolutismus (Wegener 2006, 42 ff., 109 f.). Die Geheimhaltung staatlicher Angelegenheiten galt als Gebot politischer Klugheit und Tugend. Die Aufklärung diskreditierte die Geheimhaltungsideologie des Absolutismus. Sie forderte größtmögliche Öffentlichkeit aller staatlichen Einrichtungen (Wegener 2006, 197 ff.). In Deutschland konnte sich jedoch die öffentliche Verwaltung den Transparenzforderungen der Aufklärung weitgehend entziehen (Wegener 2006, 296 ff.). Die Wahrung des Amtsgeheimnisses war ein wesentliches Herrschaftsinstrument der Verwaltung in der Monarchie. In der Weimarer Republik blieb die öffentliche Verwaltung der obrigkeitsstaatlichen Tradition der Monarchie verpflichtet (Wegener 2006, 344). Im totalen Staat des Nationalsozialismus herrschte wiederum die Geheimhaltungsideologie des Absolutismus. Im Nachkriegsdeutschland bestand ein gewisses Misstrauen gegenüber der Öffentlichkeit, die – nicht zuletzt nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus – für manipulationsanfällig gehalten wurde. Man hielt daher am Prinzip der Regelgeheimhaltung in der öffentlichen Verwaltung fest. Der Zugang des Bürgers zu Informationen war die Ausnahme und bedurfte besonderer Rechtfertigung. Es wurde lediglich eine auf das Rechtsstaatsprinzip gestützte, beschränkte Aktenöffentlichkeit eingeräumt, wie sie im Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG ihren Niederschlag gefunden hat. Der Schritt vom Grundsatz der Amtsverschwiegenheit zur Verwaltungstransparenz fand in Deutschland erst aufgrund des Drucks durch die EU statt. Die EU erließ im Jahr 1990 eine Richtlinie über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90/313/EWG – ABl. Nr. L 158/56 v. 23.06.1990), die von Deutschland durch das Umweltinformationsgesetz umgesetzt werden musste. Ferner begründete die EU durch den Vertrag von Amsterdam im Jahre 1997 ein allgemeines Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU-Institutionen (Art. 255 EG-Vertrag, heute Art. 15 AEUV)1 , das inzwischen auch in die EU Grundrechte Charta (Art.42) aufgenommen wurde. Von diesen Regelungen ging politischer Druck auf Deutschland aus, ebenfalls ein allgemeines Informationsfreiheitsrecht einzurichten. Die EU-Informationsregelungen sind wesentlich vom anglo-amerikanischen Demokratieverständnis beeinflusst und haben ihr konzeptionelles Vorbild im US

1

Das Recht wird durch die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 (ABl. Nr. L 145/43 v. 30.05.2001) konkretisiert.

46

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

Freedom of Information Act von 1966. Während der Grundsatz der Amtsverschwiegenheit obrigkeitsstaatliche Wurzeln hat, wird das amerikanische Demokratieverständnis traditionsgemäß durch ein prinzipielles Misstrauen des Bürgers gegenüber staatlicher Herrschaft geprägt (Kranenborg und Voerman 2005, 25 f.; Vaughn und Messitte 2018, 192 ff.). Denn vor der Herrschaft der absoluten Fürsten waren einst die Menschen aus Europa nach Amerika geflohen. Das „Right to know“ des Bürgers hat daher grundsätzlich Vorrang vor den Geheimhaltungsinteressen der öffentlichen Verwaltung (Scherer 1978, 42). Präsident Obama versuchte, das Misstrauen des Bürgers gegenüber dem Staat durch das Konzept des Open Government abzubauen, das neben dem Grundsatz der Transparenz (dem Right to know) die Grundsätze der Partizipation und Kollaboration von Staat und Bürger umfasst (Wewer 2014, 18 f.). Demgegenüber hatte in Deutschland traditionsgemäß das Amtsgeheimnis Vorrang vor den Informationsinteressen des Bürgers. Vor rd. 100 Jahren hat Max Weber (1980, 573) dies prägnant mit der Bemerkung zum Ausdruck gebracht, der Begriff des Amtsgeheimnisses sei eine spezifische Erfindung der Bürokratie „und nichts wird von ihr mit solchem Fanatismus verteidigt wie eben diese … rein sachlich nicht motivierbare Attitüde“. Dieser Fanatismus wurde spürbar, als die EU-Umweltinformationsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden musste.2 Art. 3 Abs 1 der EUUmweltinformationsrichtlinie gewährte jedem Bürger das Recht, ohne Nachweis eines besonderen Interesses von der Behörde Zugang zu den dort vorhandenen Umweltinformationen zu erhalten. Das Bundesverkehrsministerium und insbesondere die süddeutschen Länder versuchten mit allen möglichen Tricks, den Informationsanspruch so weit wie möglich einzuschränken. Denn man befürchtete, dass die Informationsbegehren der Bürger die öffentliche Verwaltung überfluten und ihre Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigen würden. So verfügte das Bundesverkehrsministerium einseitig, dass die Richtlinie keine Anwendung auf die Straßenbaubehörden finde. Ferner wurde im Umweltinformationsgesetz (§ 7 Abs 1 Nr. 2 UIG a.F.) vorgesehen, dass Informationsbegehren abgelehnt werden durften, wenn sie Informationen aus einem laufenden „verwaltungsbehördlichen Verfahren“ betrafen. Mit dieser Regelung sollten vor allem Straßenbauprojekte von der Informationspflicht ausgenommen werden, deren Verfahren von der Linienbestimmung bis zur Planfeststellung oft viele Jahre laufen. Demgegenüber sah die Umweltinformationsrichtlinie lediglich bei laufenden

2

Bohne war damals im Bundesumweltministerium federführend für die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht zuständig.

3.3 Rechte des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung

47

straf-, ordnungswidrigkeits- und disziplinarrechtlichen Verfahren die Möglichkeit vor, ein hierauf bezogenes Informationsbegehren abzulehnen. Schließlich erlaubte das Umweltinformationsgesetz, Verwaltungsgebühren auch dann zu erheben, wenn keine Informationen geliefert, sondern Informationsbegehren abgelehnt wurden. Zweck dieser Regelung war es, die Bürger von Informationsanträgen abzuschrecken. Es kam, wie es kommen musste. Deutschland wurde vor dem EuGH verklagt, und das Gericht erklärte die genannten Regelungen des Umweltinformationsgesetzes für EU-rechtswidrig.3 Inzwischen hat sich der Widerstand von Politik und öffentlicher Verwaltung gegen die Informationsfreiheitsrechte der Bürger im Umweltschutz und in anderen Bereichen gelegt. Dies ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Informationsbegehren längst nicht so groß ist wie einst befürchtet wurde. Denn Informationsbegehren werden vornehmlich von Verbänden, Consultants und Anwaltskanzleien, dagegen seltener von einzelnen Bürgern gestellt. Darüber hinaus stellt die öffentliche Verwaltung viele Informationen auf Internetportalen online zur Verfügung, so dass sich Anträge nach dem Umweltinformationsgesetz erübrigen. Politik und öffentliche Verwaltung haben daher ihren Frieden mit dem durch die EU erzwungenen Wandel vom Grundsatz der Amtsverschwiegenheit zum Grundsatz der Verwaltungstransparenz gemacht. Die Umweltinformationsrechte des Bürgers wurden durch die EUUmweltinformationsrichtlinie von 2003 (2003/4/EG – ABl. Nr. L 41/26 v. 14.02.2003) und durch die Aarhus- Konvention von 1998 auf eine neue Grundlage gestellt und präzisiert sowie durch das novellierte Umweltinformationsgesetz von 2004 in deutsches Recht umgesetzt. Insbesondere sind nun die Behörden nicht nur verpflichtet, Zugang zu den in ihrem Besitz befindlichen Umweltinformationen zu gewähren, sondern auch aktiv und systematisch die Öffentlichkeit über Umweltangelegenheiten zu informieren (§ 10 UIG). Aus kompetenzrechtlichen Gründen findet das Umweltinformationsgesetz nur auf informationspflichtige Stellen des Bundes Anwendung. Für informationspflichtige Stellen der Länder gelten die jeweiligen Umweltinformationsgesetze der Länder. Das Umweltinformationsgesetz ebnete politisch-atmosphärisch auch den Weg für das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes von 2005 (Maurer und Waldhoff 2020, § 19 Rn 32 ff.; Schwartmann und Lohmann 2017). Nach § 1 IFG hat jeder Bürger gegenüber einer Bundesbehörde Anspruch auf Zugang 3

Urteil v. 09.09.1999, C-217/97, NVwZ 1999, 1209.

48

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

zu amtlichen Informationen. Der Anspruch besteht nicht, wenn bestimmte schutzbedürftige öffentliche Belange entgegenstehen (§ 3 IFG). Außer Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen verfügen alle übrigen Bundesländer über Landesinformationsfreiheitsgesetze. Im Jahr 2007 wurde das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) erlassen (Grube u. a. 2013). Dieses gewährt jedem Bürger einen Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über Rechtsverstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch und das Produktsicherheitsgesetz sowie über Gesundheits- und Sicherheitsrisiken von Verbraucherprodukten und über sonstige verbraucherrelevante Eigenschaften (§ 2 VIG). Ferner verpflichtet § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) die zuständigen Behörden, die Öffentlichkeit aktiv über gesundheitliche und sonstige Risiken von Lebens- und Futtermitteln und Bedarfsgegenständen unter Nennung der beteiligten Unternehmen zu informieren. Im Ergebnis ist festzustellen, dass in Deutschland ein Paradigmenwechsel vom Grundsatz der Amtsverschwiegenheit der öffentlichen Verwaltung zum Grundsatz der Verwaltungstransparenz eingetreten ist. Hiergegen wird verschiedentlich polemisiert. Die Informationsfreiheitsgesetze hätten ihre Ziele klar verfehlt (Wewer 2014, 93). Die Demokratie in Deutschland sei nicht gestärkt, die Kontrolle staatlichen Handelns durch den Bürger nicht verbessert und die Korruption nicht eingedämmt worden. Insgesamt würden sich die Bürger für diese Gesetze nicht interessieren und sie nicht nutzen. Die Gesetze sollten daher wieder abgeschafft werden. Diese Polemik trifft nur die gelegentlich anzutreffende ideologische Überhöhung von Transparenzgesetzen als Allheilmittel gegen alle Übel der Politik, dem einseitig Vorrang gegenüber anderen Prinzipien staatlichen Handelns wie Effektivität, Effizienz, Verantwortung, Vertraulichkeit etc. eingeräumt wird. In ihrer Verallgemeinerung verkennt diese Polemik jedoch die positiven Auswirkungen der Informationsfreiheitsgesetze auf die Verwaltungskultur. Sie schaffen in der Verwaltung ein Verständnis dafür, dass der Bürger – um es überspitzt auszudrücken – nicht eine potentielle Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt, sondern ein „right to know“ besitzt. Die Existenz der Informationsfreiheitsgesetze wirkt wie eine „fleet in being“ auf das Verhalten der öffentlichen Verwaltung, die Sorge haben muss, mit politisch oder rechtlich fragwürdigen Handlungen aufzufliegen. Allerdings dürften die Informationsfreiheitsgesetze auch die Tendenz fördern, „die Akten sauber zu halten“ und die in der öffentlichen Verwaltung immer schon bestehende Praxis privater Handakten zu verstärken, in die Informationen aufgenommen werden, die Dritten nicht

3.4 Öffentlichkeit und öffentliche Verwaltung

49

zugänglich sein sollen. Im Einzelnen sind die Wirkungen der Informationsfreiheitsgesetze schwer messbar. Wer aber die öffentliche Verwaltung von innen kennt und sich an ihre ablehnende Haltung gegenüber Informationsbegehren des Bürgers in den 1970er und 1980er Jahren erinnert, wird nicht für die Abschaffung der Informationsfreiheitsgesetze plädieren.

3.4

Öffentlichkeit und öffentliche Verwaltung

Das Verhältnis von Bürger und öffentlicher Verwaltung betrifft nicht nur die dargestellten Beziehungen des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung, sondern auch die Beziehungen der als Handlungssystem verstandenen Gesamtheit aller Bürger zur öffentlichen Verwaltung. Dieses Handlungssystem besteht aus den Handlungen aller privaten Akteuren, die sich auf das Gemeinwesen beziehen. Es wird auch als bürgerliche Öffentlichkeit bezeichnet, die „als die Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“ begriffen wird (Habermas 1990, 86).

3.4.1

Staat und Gesellschaft

Das Verhältnis von bürgerlicher Öffentlichkeit und öffentlicher Verwaltung wird herkömmlicherweise durch die Trennung von Staat – der die öffentliche Verwaltung einschließt – und Gesellschaft gekennzeichnet. Historisch entstand die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in der Zeit des Absolutismus und bezeichnete das Gegenüber von absolutem Fürsten und Untertanen. Im nachfolgenden politischen Liberalismus kennzeichnete das Begriffspaar die Befreiung der bürgerlichen Gesellschaft von staatlicher Bevormundung (Zippelius 2017, 216). Der Trennungsgedanke des Begriffspaars ist heute überholt. Staat und Gesellschaft sind in vielfältiger Weise miteinander verflochten. Sie werden daher als interdependente Handlungssysteme mit unterschiedlichen Rollen verstanden. Die Gesellschaft besteht aus privaten Organisationen, die der individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen, die aber auch gesamtgesellschaftliche Funktionen erfüllen können (z. B. Gewerkschaften, Presseunternehmen). Der Staat – und namentlich die öffentliche Verwaltung – ist ein in der Gesellschaft wirkendes Organisationssystem, dem die Rolle zukommt, regulierend für einen Interessenausgleich zwischen gesellschaftlichen Organisationen zu sorgen (Benz 2008, 75 f., 87; Zippelius 2017, 217 ff.). So gesehen sind Staat und Gesellschaft – und damit

50

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

Öffentlichkeit und öffentliche Verwaltung – Handlungssysteme, die funktional aufeinander angewiesen sind.

3.4.2

Staat, Markt und Dritter Sektor

Der Bereich der Gesellschaft lässt sich weiter unterteilen in die Handlungssysteme des Marktes und des sog. Dritten Sektors. Hieraus ergibt sich die Unterscheidung zwischen Markt (erster Sektor), Staat (zweiter Sektor) und Dritter Sektor. Diese Unterscheidung stammt aus der amerikanischen Sozialwissenschaft, wohl geprägt von Amitai Etzioni (1973, 315). Der Dritte Sektor unterscheidet sich vom Markt durch die gemeinwirtschaftliche Zielsetzung der Akteure anstelle des Gewinnstrebens der Marktteilnehmer. Vom Staat unterscheidet sich der Dritte Sektor dadurch, dass er ausschließlich private Akteure umfasst (Wimmer 2017, 168). Zum Dritten Sektor gehören Wohlfahrtsverbände, Genossenschaften, kirchliche Organisationen, Bürgerinitiativen, Kulturvereine, Sportorganisationen und alle sonstigen privaten Organisationen, die gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen, die sie von den gewinnorientierten Zielen der Marktteilnehmer unterscheiden (Schuppert 2000, 365; Wimmer 2017, 171). Diese Organisationen werden auch als Non-Profit- Organisationen (NPO) bezeichnet. Sie sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet (Wimmer 2017, 169 f.): • formale Organisation: auf Dauer angelegte formale Organisationsstruktur; adhoc Gruppierungen scheiden somit aus; • private Organisation im Unterschied zu staatlichen Organisationen; • Gemeinwohlorientierung: primäres Ziel ist nicht die Gewinnerzielung, sondern die Erfüllung sozialer, kultureller, ökologischer und sonstiger öffentlicher Aufgaben; nach dem Prinzip der beschränkten Gewinnausschüttung dürfen Gewinne zwar erwirtschaftet, aber nicht oder nur in geringem Umfang an die Organisationsmitglieder ausgeschüttet werden; vielmehr müssen Gewinne im Wesentlichen in die Aufgabenwahrnehmung reinvestiert werden; • Selbstverwaltung: soweit die Organisation durch staatliche Mittel gefördert wird, sind die Grundsätze der Effektivität, Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Unparteilichkeit einzuhalten; • Freiwilligkeit: Mitarbeit in der Organisation umfasst ehrenamtliche Tätigkeiten, auch bei der Leitung von Organisationen; • Finanzierung erfolgt aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Leistungsentgelten und öffentlichen Mitteln.

3.4 Öffentlichkeit und öffentliche Verwaltung

51

Die Einrichtung von Non-Profit-Organisationen wird vielfach als Form der Verwaltungsprivatisierung, Entbürokratisierung und Deregulierung propagiert. Richtig hieran ist, dass öffentliche Aufgaben auf private Organisationen übertragen werden. Dabei ist die primäre Zielsetzung jedoch nicht – im Gegensatz zur Verwaltungsprivatisierung, Entbürokratisierung und Deregulierung – die Effizienzsteigerung der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung oder der Rückzug des Staates aus der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Vielmehr ist kennzeichnend für Non-Profit-Organisationen das altruistische Engagement der Bürger für öffentliche Belange.

3.4.3

Verwaltungsvertrauen

Voraussetzung für das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung und des Staats ist ein Grundvertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen. Es gibt zwar kein empirisches Maß dafür, wie viel Vertrauen die öffentliche Verwaltung und der Staat brauchen, um effektiv und effizient funktionieren zu können (Niedermayer 2005, 65); das Beispiel der sog. „gescheiterten Staaten“ (failed states) zeigt jedoch, dass die öffentliche Verwaltung und andere staatliche Institutionen zusammenbrechen, wenn ein Grundvertrauen der Bevölkerung fehlt. Dann beherrschen Parteilichkeit und Korruption die staatlichen Institutionen. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren für das Vertrauen der Bürger in die öffentliche Verwaltung und andere Institutionen gehören (Rölle 2009, 227 ff.): • • • •

Zufriedenheit mit der Leistungsfähigkeit der Institutionen, Gefühl, dass die öffentliche Sicherheit gewährleistet ist, Wahrnehmung institutioneller Unparteilichkeit und Transparenz, Einschätzung, dass individuelle Belange des Bürgers berücksichtigt werden (Responsivität), • positive bzw. negative Erfahrungen bei persönlichen Kontakten mit der öffentlichen Verwaltung und anderen Institutionen. Abb. 3.2 gibt einen Überblick über das Institutionenvertrauen der Bürger in Deutschland seit 2013. Bemerkenswert ist, dass die Polizei mit 80 % der Befragten und mehr das höchste Vertrauen der Öffentlichkeit besitzt, gefolgt von den staatlichen Institutionen Justiz/Gerichte, öffentliche Verwaltung, Militär und von Nichtregierungsorganisationen mit jeweils über 50 %. Vergleichsweise gering ist das

52

3

Institutionen Polizei

Bürger und öffentliche Verwaltung

Vertrauen in Institutionen* 2013 2015 2017 81 80 85

Justiz, Gerichte

65

64

67

Öffentliche Verwaltung Militär, Armee

58

60

65

57

55

64

59

63

64

38

57

58

Medien (TV, Radio, Zeitung) Kirche

43

47

45

39

35

40

Regierung

34

40

38

Internet

34

31

35

Großunternehmen,

26

27

30

Politische Parteien

16

19

18

Nichtregierungsorganisationen Währung

*Ich vertraue voll und ganz/ überwiegend in %, N = 2016

Abb. 3.2 Institutionenvertrauen der Öffentlichkeit. (Quelle: Gesellschaft für Konsum, Markt- und Absatzforschung – Global Trust Report 2017)

Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung (unter 40 %) und in die politischen Parteien (unter 20 %). Der hohe Vertrauensanteil der Polizei zeigt, dass die Bürger ganz überwiegend die öffentliche Sicherheit gewährleistet sehen. Auch die öffentliche Verwaltung insgesamt genießt das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung. Ähnliche Ergebnisse zeigen frühere Befragungen (Niedermayer 2005, 67 ff.; Rölle 2009, 231). Allerdings ist das Institutionenvertrauen in Ostdeutschland deutlich geringer als in Westdeutschland. Insbesondere öffentliche Verwaltung und Justiz genießen in Ostdeutschland ein geringeres Vertrauen, das aber immer noch bei rd. 50 % der Befragten vorhanden ist (GfK Verein 2017, 39). Diese Diskrepanz mag sich mit den – teilweise als negativ empfundenen – politisch-sozialen Umbrüchen nach der Wiedervereinigung erklären. Insgesamt lassen sich die Zahlen als Beleg für die

Literatur

53

traditionell hohe Wertschätzung der Deutschen für den Staat bei gleichzeitigem Misstrauen gegenüber der Politik interpretieren.

3.5

Zusammenfassung

Im demokratischen und sozialen Rechtsstaat ist die öffentliche Verwaltung nicht primär vom Staat, sondern vom Bürger her zu denken. Das Verhältnis von Bürger und öffentlicher Verwaltung lässt sich durch bestimmte soziale Rollen des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung beschreiben, an die unterschiedliche Verwaltungstypen anknüpfen. Das Verhältnis von Bürger und Verwaltung wird durch die Grundrechte, Verfahrens-, Beteiligungs- und Informationsrechte geprägt. Der im Obrigkeitsstaat wurzelnde Grundsatz der Amtsverschwiegenheit der öffentlichen Verwaltung wurde auf Druck der EU durch den Grundsatz der Verwaltungstransparenz abgelöst. Das Verhältnis von Bürger und öffentlicher Verwaltung betrifft nicht nur die Beziehungen des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung, sondern auch die Beziehungen der als Handlungssystem verstandenen Gesamtheit aller Bürger zur öffentlichen Verwaltung. Letztere werden herkömmlicherweise durch das Begriffspaar „Staat und Gesellschaft“ beschrieben. Zur Kennzeichnung der vielfältigen Verflechtungen von Staat und Gesellschaft wird vielfach die Unterscheidung von Staat, Markt und Dritter Sektor herangezogen. Letzterer besteht aus Non-Profit-Organisationen. Voraussetzung für das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung ist das Bestehen eines gewissen Grundvertrauens der Bürger in die öffentliche Verwaltung. Empirische Befragungen zeigen, dass die Mehrheit der Bürger in Deutschland traditionell ein Grundvertrauen gegenüber der öffentlichen Verwaltung besitzt.

Literatur Baer, Susanne 2006. „Der Bürger“ im Verwaltungsrecht, Tübingen: Mohr Bauer, Christian 2015. Stiftung von Legitimation oder Partizipationsverflechtungsfalle, Der moderne Staat 8, S. 273–293 Benz, Arthur 2008. Der moderne Staat, 2. Aufl., München: Oldenbourg Bohne, Eberhard 2023. Verwaltungswissenschaft, Bd. 1: Theoretische und methodische Grundlagen, 2. Aufl., Wiesbaden: Springer VS Etzioni, Amitai 1973. The third sector and domestic missions, Public Administration Review 33, S. 314–323

54

3

Bürger und öffentliche Verwaltung

Gesellschaft für Konsum, Markt- und Absatzforschung/GfK Verein) 2017. Global Trust Report 2017, Nürnberg, zugänglich unter https://www.nim.org/sites/default/files/medien/ 135/dokumente/global_trust_report_2017.pdf, Zugang am 14.12.2022 Grube, Markus/Immel, Manuel/Wallau, Rochus 2013.Verbraucherinformationsrecht, Köln: Carl Heymanns Habermas, Jürgen 1990. Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp Klein, Franz/Orlopp, Gerd 2018. Abgabenordnung, Kommentar, 14. Aufl., München: C.H. Beck, § 91 Kranenborg, Herke/Voermans, Wim 2005. Access to information in the European Union, Groningen: Europa Law Publishing Maurer, Hartmut 2010. Staatsrecht I, 6. Aufl., München: C. H. Beck Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian 2020. Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl., München: C.H. Beck Niedermayer, Oskar 2005. Bürger und Politik, 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Popitz, Heinrich 1972. Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, 3. Aufl., Tübingen: Mohr Rölle, Daniel 2009. Vertrauen in die öffentliche Verwaltung – Zwischen Systemstabilität und Modernisierungsdruck, Der moderne Staat 2, S. 219–242 Schedler, Kuno/Proeller, Isabella 2011. New Public Management, 5. Aufl., Stuttgart: Haupt Scherer, Joachim 1978. Verwaltung und Öffentlichkeit, Baden-Baden: Nomos Schuppert, Gunnar Folke 2000. Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden: Nomos Schwartmann, Rolf/Lohmann, Sebastian 2017. Informationsfreiheitsrecht in der behördlichen Praxis, Köln: Bundesanzeiger Verlag Stern, Klaus 2019. Einleitung. Die Hauptprinzipien des Grundrechtssystems des Grundgesetzes, in: ders./ Becker, Florian (Hrsg.), Grundrechte – Kommentar, 3. Aufl., Köln: Carl Heymanns, S. 1–90 Stolleis, Michael/Kremer, Carsten 2021. Geschichte der Polizei in Deutschland, in: Bäcker, Matthias/Denninger, Erhard/Graulich, Kurt (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl., München: C.H. Beck, A, Rn 1–161 Vaughn, Robert G./ Messitte, Peter J. 2018. Access to information under the Federal Freedom of Information Act in the United States, in: Blanke, Hermann-Josef/Perlingeiro, Ricardo (Hrsg.), The right of access to public information, Berlin: Springer, S. 191–234 Weber, Max 1980. Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen: Mohr Wegener, Bernhard W. 2006. Der geheime Staat, Göttingen: Morango Wewer, Göttrik 2014. Open Government, Staat und Demokratie, Berlin: edition sigma Wimmer, Norbert 2017. Dynamische Verwaltungslehre, 4. Aufl., Wien: Verlag Österreich Wolff, Hans J./ Bachof, Otto/Stober, Rolf/Kluth, Winfried 2017. Verwaltungsrecht I, München: C.H. Beck Zippelius, Reinhold 2017. Allgemeine Staatslehre, 17. Aufl., München: C.H. Beck

4

Verwaltungsorganisation

4.1

Grundbegriffe

4.1.1

Verwaltung als formale und informale Organisation

Die öffentliche Verwaltung besteht aus sog. formalen Organisationen, die auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Weisungen oder anderen rechtsverbindlichen Entscheidungen beruhen, die die Ziele der Organisationen festlegen, ihnen Aufgaben zuweisen und/oder ihre Arbeitsabläufe regeln (vgl. Bohne 2023, 6.1.2.2). Daneben bestehen informale Organisationen, die alle ungeregelten Strukturen und Prozesse innerhalb der Organisation umfassen. Diese basieren auf Tauschmechanismen und fungieren als Alternative oder Ergänzung zur formalen Organisation (vgl. u. a. Bohne 2023, 6.1.2.3; Mayntz 1997, 113). Ein typisches Beispiel hierfür ist der sog. „kleine Dienstweg“, bei dem der vorgeschriebene Dienstweg nicht eingehalten wird, um einen direkten Informationsaustausch (z. B. zwischen verschiedenen Hierarchieebenen) zu ermöglichen. Die informale Organisation ist einerseits für die Funktionsfähigkeit und die Zielerreichung der formalen Organisation von besonderer Bedeutung, da sie Problemlösungen ermöglicht, die innerhalb der formalen Organisationsstrukturen nicht oder nur schwer zu erreichen wären. Andererseits kann die informale Organisation aber auch rechtswidriges Handeln begünstigen.1 Ein Beispiel für informale Organisationen liefern die Ministerpräsidenten- und Fachministerkonferenzen der Länder, die als inoffizielle Gremien der Selbstkoordination der Länder fungieren. (s. u. 4.4.2).

1

Siehe ausführlich zur formalen und informalen öffentlichen Verwaltung: Bohne 2023, Kap. 6.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_4

55

56

4.1.2

4 Verwaltungsorganisation

Verwaltungsbegriff

Die „öffentliche Verwaltung“ ist als ein System gemeinwohlorientierter formaler Organisationen zu definieren (Bohne 2023, 2.3.1). Ausgehend vom Gewaltenteilungsprinzip gehören hierzu alle Organisationen der Exekutive, aber auch Organisationen im Bereich von Legislative und Judikative, soweit sie dort keine Rechtsetzung oder Rechtsprechung, sondern materielle Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (z. B. die Bundestagsverwaltung oder das Grundbuchamt beim Amtsgericht). Die Organisationen der öffentlichen Verwaltung können eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationsform besitzen. Im letzten genannten Fall muss hinzukommen, dass öffentlich-rechtliche Organisationen die unmittelbare oder mittelbare Kontrolle über die privatrechtliche Organisation ausüben, indem sie die Mehrheit der Vereinsmitglieder stellen, die Mehrheit der Gesellschaftsanteile besitzen oder die privatrechtliche Organisation aufgrund von Rechtsvorschriften oder Vertrag beherrschen. Erfolgt die Aufgabenerfüllung durch öffentlich-rechtliche Organisationen, dann spricht man von Behörden. Verwaltungsaufgaben können auch von Privaten in Form der Beleihung oder der Verwaltungshilfe wahrgenommen werden. Die Beleihung einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts mit hoheitlichen Aufgaben erfolgt durch oder aufgrund einer gesetzlichen Regelung (Ibler 2022, Rn 75). Beliehene nehmen selbständig – aber unter Aufsicht des Staates – hoheitliche Befugnisse wahr und treten nach außen als selbständiger Hoheitsträger auf, das heißt sie handeln anderen gegenüber als Behörde im Sinn des Verwaltungsverfahrensrechts und können rechtsverbindliche Verwaltungsakte gegenüber Privaten erlassen. Die Beleihung kann als Form der Aufgabenprivatisierung oder der funktionalen Privatisierung (s. u. 4.6.1) eingeordnet werden, je nachdem, wie die staatliche Aufsicht über den Beliehenen ausgestaltet ist und welcher Aufgabenumfang mit der Beleihung übertragen wird. Ein Beispiel für eine Beleihung stellen die Ingenieure der technischen Überwachungsvereine (TÜV) dar, die die Hauptuntersuchung von Kraftfahrzeugen durchführen und deren Prüfergebnis darüber entscheidet, ob ein Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen darf oder nicht. Die Verwaltungshilfe ist von der Beleihung abzugrenzen, da Verwaltungshelfer nicht mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind und nicht als Behörde nach außen handeln. Verwaltungshilfe umfasst alle Vorgänge, bei denen Teilbeiträge der staatlichen Aufgabenerfüllung im Wege funktionaler Privatisierung durch Private unter Aufsicht und Weisung von Behörden wahrgenommen werden. Die Beauftragung von Verwaltungshelfern kann im Wege von Leistungs- oder Konzessionsverträgen oder als Öffentlich-Private-Partnerschaft erfolgen (s. u. 4.6.3).

4.1 Grundbegriffe

57

Ein typisches Beispiel für Verwaltungshilfe ist das Abschleppunternehmen, das im Auftrag eines Ordnungsamtes tätig wird.

4.1.3

Koordination als Hauptproblem der Verwaltung

In der Praxis ist die sinnvolle Zerlegung von einzelnen Aufgaben in Teilaufgaben und die effektive und effiziente Koordination der Erledigung äußerst voraussetzungsvoll. Es kann beispielsweise zu unproduktiven Arbeitsteilungen kommen, wenn Aufgabenelemente, die keine Gemeinsamkeit haben, zu einem Aufgabenbereich zusammengefasst werden oder sich die Aufgabenbereiche von Organisationen bzw. Organisationseinheiten überschneiden. Hinzu kommt, dass einzelne Organisationen oder Organisationseinheiten keine interessenlosen Aufgabenerfüllungsautomaten sind, sondern neben der Erledigung ihrer Aufgaben auch eigene Interessen verfolgen, wie die Sicherung der eigenen Existenz und die Vergrößerung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Entscheidungen müssen häufig unter großer Unsicherheit und großem Handlungsdruck gefällt werden, weshalb sich die Auswirkungen von Koordinationsproblemen vergrößern. Die öffentliche Verwaltung muss bei ihrer Aufgabenerfüllung grundsätzlich unterschiedliche Interessen, Ansprüche und Erwartungen von einzelnen Organisationen oder Organisationseinheiten innerhalb und außerhalb der Verwaltung koordinieren, weshalb die Koordination das zentrale Problem der öffentlichen Verwaltung darstellt (Wilke 2014, 7 ff.; Behnke 2019, 257).

4.1.4

Mehrebenensystem

Die Aufteilung von Verwaltungsaufgaben in der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem Mehrebenensystem (Kuhlmann et al. 2021, 3 ff.; Bogumil und Jann 2020, 73 f.). Der Begriff Mehrebenensystem wird in der Sozial- und Politikwissenschaft verwendet, um die Verknüpfung zwischen horizontal oder vertikal vernetzen politischen Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen zu beschreiben und zu untersuchen. Ein Merkmal im Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 Abs. 1 GG der zweigliedrige Staatsaufbau in Form der „Bundestaatlichkeit“. Diese führt dazu, dass Bund und Länder jeweils über eigene staatliche Kompetenzen und Zuständigkeiten in den Bereichen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung verfügen.

58

4 Verwaltungsorganisation

Nach Art. 30 GG ist die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben und der Vollzug der Gesetze die Aufgabe der Länder, sofern das Grundgesetz keine andere Regelung trifft. Insofern stellt der Vollzug von Gesetzen durch bundeseigene Verwaltung eine Ausnahme dar. Art. 83 ff. GG regelt die Kompetenzen des Bundes zur Einwirkung auf den Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder und zur Einrichtung von eigener Verwaltung. Die Kommunen bilden eine dritte Ebene im Verwaltungsaufbau. Der Begriff „Kommunen“ fungiert als Oberbegriff für Gemeinden und Gemeindeverbände im Sinne von Art. 28 Abs. 2 GG (Burgi 2019, 3). Zwar sind die Kommunen staatsrechtlich Teil der Länder und unterliegen ihrem Aufsichts- und Weisungsrecht, aber Art. 28 Abs. 2 GG garantiert ihnen das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten, weshalb sie auch eigene Kompetenzen und Zuständigkeiten im Bereich der örtlichen Rechtsetzung und der vollziehenden Gewalt besitzen (Mehde 2022, Rn 12). Die drei Ebenen der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik werden durch die öffentliche Verwaltung der Europäischen Union überlagert, der auf der Grundlage von Art. 23 GG Hoheitsrechte übertragen wurden und die diese für die Mitgliedstaaten ausübt. Unionsrecht genießt Anwendungsvorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten, weshalb die deutschen Behörden zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Unionsrechts verpflichtet sind. Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen wird auch als „Verwaltungsföderalismus“ bezeichnet (Behnke und Kropp 2021, 35 ff.; Bogumil und Jann 2020, 90 ff.; Mayntz 1997, 26).

4.1.5

Aufbau- und Ablauforganisation

Die Aufbauorganisation legt fest, welche Organisationen und Organisationsbereiche für welche Aufgabe bzw. Teilaufgabe zuständig sind, und bündelt die für die Aufgabenerledigung erforderlichen Befugnisse und Verantwortlichkeiten (Möltgen-Sicking und Winter 2018, 76; BMI/BVA 2018, 25; Frank 2018, 47). Sie gliedert hierzu die Organisation in unterschiedliche organisatorische Einheiten mit unterschiedlichen Organisations- und Hierarchieebenen bis zur einzelnen Stelle. Man kann zwischen der äußeren und inneren Aufbauorganisation unterscheiden. Die äußere Aufbauorganisation der Europäischen Union, des Bundes, der Länder und Kommunen regelt, welche Organisationen es gibt und wofür sie zuständig sind. Hierzu gehört beispielweise der Zuschnitt der Bundesministerien und ihrer nachgeordneten Behörden. Die innere Aufbauorganisation regelt, welche Organisationseinheiten es innerhalb einer Organisation gibt und wofür diese

4.1 Grundbegriffe

59

zuständig sind. Hierzu gehören beispielsweise die Abteilungen und Referate in den Bundesministerien. Die Aufbauorganisation bildet die statische Organisationsstruktur mit Blick auf Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnissen zwischen und innerhalb von Organisationen ab. Die Ablauforganisation legt hingegen Geschäftsprozesse fest, die Vorgänge bei der Aufgabenerfüllung durchlaufen müssen, um eine koordinierte Aufgabenerfüllung sicherzustellen (Möltgen-Sicking und Winter 2018, 88 ff.; Frank 2018, 97 ff.). Ein Beispiel hierfür ist die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), die regelt, welche Prozesse ein Gesetzentwurf eines Ministeriums durchlaufen muss und welche anderen Ministerien wann und in welcher Form zu beteiligen sind, bevor die Regierung den Entwurf annimmt. Die Geschäftsordnung eines Ministeriums regelt hingegen, welche Referate wann und wie zu beteiligen sind, bevor der Entwurf durch die Hausspitze angenommen und die Beteiligung nach der GGO eingeleitet wird.

4.1.6

Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung

Die Staatsverwaltung von Bund und Ländern kann in unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung eingeteilt werden (Ibler 2022, Rn 1–179.; Bogumil und Jann 2020, 102 ff.). Die unmittelbare Staatsverwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass sie im hierarchischen Verhältnis zur Regierung steht und ihren Weisungen unterliegt. Sie wird durch rechtlich unselbstständige Verwaltungsorganisationen (z. B. Ministerien oder Bundes- oder Landesbehörden) wahrgenommen, deren rechtsfähige Gebietskörperschaft als Verwaltungsträger der Bund oder das Land ist. Sie verfügen über keinen eigenen Haushalt, sondern bewirtschaften nur den ihnen zustehenden Teil des Bundes- oder Landeshaushalts. Die mittelbare Staatsverwaltung zeichnet sich durch die rechtliche Verselbstständigung von Verwaltungsorganisationen in Form von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts aus, die Sonderaufgaben wahrnehmen (z. B. Deutsche Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Gemeinden und Gemeindeverbände oder Hochschulen). Diese sind selbst Verwaltungsträger und bewirtschaften einen eigenen Haushalt.

4.1.7

Bürokratieabbau

Im Zusammenhang mit der Verwaltungsorganisation spielt die Diskussion um Bürokratieabbau eine zentrale Rolle, da die öffentliche Verwaltung regelmäßig

60

4 Verwaltungsorganisation

als aufgebläht und schwerfällig dargestellt wird (Seibel 2017, 134 ff.; Graeber 2017: 7 ff.). Seit Jahrzehnten versuchen Bundes- und Landesregierungen Bürokratieabbau und Bürokratieerleichterungen durch Reformen von Aufbau- und Ablauforganisation der öffentlichen Verwaltung zu verwirklichen (s. u. 4.5). Treiber dieser Bemühungen ist die Erwartung, dass Reformen zu effektiveren und effizienteren Strukturen und Abläufen führen (Kuhlmann und Bogumil 2021, 273 ff.; Reiners 2008). Im Ergebnis bleiben die meisten Reformen allerdings hinter den Erwartungen zurück (s. u. 4.5.).

4.1.8

Verwaltungsprivatisierung

Umstritten ist, inwieweit öffentliche Aufgaben von der öffentlichen Verwaltung oder von privaten Unternehmen im Rahmen der Marktwirtschaft wahrgenommen werden sollten. Aus ökonomischer Sicht ist ein staatliches Eingreifen nur erforderlich, wenn der Markt versagt oder unter Unvollkommenheiten leidet, weil es zu wenige oder gar keine Anbieter gibt oder ein Überlassen der Aufgabe an Private mit zu hohen Risiken verbunden ist (Knieps 2007, 181; ders. 2010, 88 ff.) Dies gilt beispielsweise für die Öffentliche Sicherheit oder Verteidigung. In vielen Fällen können Teilleistungen von Verwaltungsaufgaben durch Private wirtschaftlicher erbracht werden als eine Eigenerzeugung durch die öffentliche Verwaltung (Frank 2018, 65; Picot et al. 2015, 201 ff.). Deshalb haben sich unterschiedliche Formen der Einbindung von Privaten in die Erledigung von Verwaltungsaufgaben herausgebildet (s. u. 4.7).

4.2

Äußerer Verwaltungsaufbau

4.2.1

Europäische Union

Nach Art. 13 Abs. 1 EUV verfügt die EU über eine eigenständige institutionelle Grundstruktur. Diese besteht nach Art. 13 Abs. 2 EUV aus den folgenden Hauptorganen: Europäisches Parlament; Europäischer Rat; Rat; Europäische Kommission; Gerichtshof der Europäischen Union; Europäische Zentralbank; Rechnungshof. Grundsätzlich handelt es sich beim Zusammenspiel der einzelnen Organe um ein komplexes System der Gewalteinteilung und -verschränkung. Abb. 4.1 zeigt die zentralen Aufgaben und das Zusammenwirken der Organe. Im Folgenden werden die wichtigsten Hauptorgane vorgestellt, die die Regierungen der Mitgliedstaaten und ihre öffentliche Verwaltung mit der Europäischen

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

61

Abb. 4.1 Hauptorgane der Europäischen Union. (Quelle: Eigene Darstellung)

Union verknüpfen und die für die Verwaltung der Europäischen Union zuständig sind.

4.2.1.1 Europäischer Rat Der Europäische Rat fungiert als das politische Leitorgan und entwickelt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und politischen Leitlinien der Union (vgl. hierzu u. a.: Herdegen 2022, 139 ff.; Kumin 2021, Rn 1–115; Pechstein 2018, Rn 1–18; Calliess 2016a, Rn 1–39). Diese Zielvorstellung und Leitlinien sind von den anderen Organen in der Rechtsetzung, bei der Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und beim Vollzug des Unionsrechts zu berücksichtigen. Er setzt sich nach Art. 15 Abs. 2 EUV aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission zusammen, wobei nur die Staats- und Regierungschefs stimmberechtigt sind (Art. 235 Abs. 1 AEUV), wenn Abstimmungen vorgesehen sind. Im Regelfall müssen Entscheidungen vom Europäischen Rat im Konsens getroffen werden (Art. 15 Abs. 4 EUV). Den Vorsitz bei den Sitzungen hat der Präsident des Europäischen Rates (Art. 15 Abs. 6 UAbs. 1 EUV). Dieser wird nach Art. 15 Abs. 5 EUV vom Europäischen Rat für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren gewählt. Der Präsident kann einmal wiedergewählt werden. Hierbei handelt es sich bislang immer um einen ehemaligen Regierungschef der Mitgliedstaaten:

62

4 Verwaltungsorganisation

von 2009 bis 2014 der ehemalige belgische Premierminister Hermann Van Rompuy, von 2014 bis 2019 der ehemalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk und seit 2019 der ehemalige belgische Premierminister Charles Michel.

4.2.1.2 Rat Der Rat – auch Ministerrat genannt – ist das Unionsorgan mit der größten Kompetenzfülle und übernimmt als Bindeglied zwischen der EU und der Ministerialbürokratie der Mitgliedstaaten eine Scharnierfunktion (vgl. hierzu u. a. Herdegen 2022: 117 ff.; Ziegenhorn 2021, Rn 1–74; Obwexer 2018, Rn 1–115; Calliess 2016b, Rn 1–22). Der Rat und das Europäische Parlament teilen sich die Gesetzgebungs- und Haushaltskompetenz. Nach Art. 16 Abs. 2 EUV setzt sich der Rat aus Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene zusammen, die befugt sind, für die Mitgliedstaaten verbindlich zu handeln. Der Rat tagt nach Art. 16 Abs. 6 UAbs. 1 EUV in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Derzeit gibt es zehn unterschiedliche Zusammensetzungen: (1.) Rat für Allgemeine Angelegenheiten (GAC), (2.) Rat für Auswärtige Angelegenheiten (FAC), (3.) Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO), (4.) Rat für Bildung, Jugend, Kultur und Sport (EYCS), (5.) Rat für Justiz und Inneres (JHA), (6.) Rat für Landwirtschaft und Fischerei (AGRIFISH), (7.) Rat für Umwelt (ENV), (8.) Rat für Verkehr, Telekommunikation und Energie (TTE), (9.) Rat für Wettbewerbsfähigkeit (COMP) und (10.) Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN). Der Vorsitz des Rates wird gemäß Art. 16 Abs. 9 i. V. m. Art. 236 AEUV durch den Europäischen Rat festgelegt. Diese Festlegung hat nach dem Prinzip der gleichberechtigten Rotation zu erfolgen. Nach Art. 16 Abs. 3 EUV beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit, sofern in den Verträgen keine andere Regelung vorgesehen ist. Nach Art. 16 Abs. 4 EUV setzt eine qualifizierte Mehrheit mindestens 55 % der Stimmen der Mitglieder des Rates voraus, deren Mitgliedstaaten mindestens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren. Insofern gilt das Prinzip der doppelten Mehrheit. Für eine Sperrminorität bedarfs es allerdings mindestens vier Mitglieder des Rates (Art. 16 Abs. 4 UAbs. 2 EUV). Dies bedeutet, dass ein Mehrheitsbeschluss auch dann zustande kommt, wenn drei dagegen stimmende Ratsmitglieder mehr als 35 % der EU-Bevölkerung repräsentieren. Dadurch soll verhindert werden, dass wenige bevölkerungsreiche Länder Mehrheitsentscheidungen blockieren können. Der Rat wird bei seiner Arbeit durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedsstaaten unterstützt (Ar. 16 Abs. 7 EUV, Art. 240 Abs. 1 AEUV). Dieser Ausschuss erstellt die Tagesordnungen für die Ratssitzungen, macht Entscheidungsvorschläge für Bereiche, bei denen zwischen den

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

63

Mitgliedstaaten Einigkeit besteht, und versucht für die Bereiche, in denen keine Einigung besteht, gemeinsame Standpunkte zu finden. Die Mitarbeiter des Ausschusses liefern Berichte, Auswertungen und Empfehlungen an ihre Regierungen, um diese bei der Festlegung ihrer Ratspolitik zu unterstützen.

4.2.1.3 Europäische Kommission Die Europäische Kommission ist das supranationale Organ der Union, in dem die Willensbildung von den Mitgliedstaaten gelöst ist (vgl. hierzu u. a. Herdegen 2022, 139 ff.; Martenczuk 2021, Rn 1–117; Kugelmann 2018, Rn 1–123; Ruffert 2016, Rn 1–60). Nach Art. 17 UAbs. 3 EUV übt die Kommission ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit von den Mitgliedstaaten und den anderen Unionsorganen aus. Mitglieder der Kommission dürfen weder Weisungen von einer Regierung, einem Organ, einer Einrichtung oder anderen Stelle entgegennehmen oder einholen. Die Mitglieder der Kommission müssen sich jeder Handlung enthalten, die mit ihrem Amt oder der Erfüllung ihrer Aufgaben unvereinbar ist. Die Kommission nimmt in erster Linie Exekutivaufgaben war und wirkt bei der Gesetzgebung mit. Sie wird auch als „Hüterin der Verträge“ und „Motor der Integration“ bezeichnet. Die Anzahl der Mitglieder der Europäischen Kommission ergibt sich aus Art. 17 Abs. 5 EUV. Eigentlich war nach Art. 17 Abs. 5 EUV für 2014 eine Verkleinerung der Kommission vorgesehen, die zwei Dritteln der Anzahl der Mitgliedstaaten entspricht. Die Verteilung der Kommissionsposten sollte durch die Einführung eines Rotationsprinzips erfolgen. Allerdings sah Art. 17 Abs. 5 EUV auch vor, dass der Europäische Rat mit einer einstimmigen Entscheidung eine Änderung dieser Anzahl beschließen kann. Dies hat er durch den Beschluss (2013/272/EU) getan. Dieser sieht vor, dass weiterhin jeder Mitgliedstaat mit einem Mitglied in der Kommission vertreten ist. Nach Art. 1 des Beschlusses besteht die Kommission einschließlich ihres Präsidenten und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik aus einer Anzahl von Mitgliedern, die der Zahl der Mitgliedstaaten entspricht. Das Verfahren zur Neubesetzung der Kommission ergibt sich aus Art. 17 Abs. 7 EUV und setzt ein Zusammenwirken von Europäischem Rat und Europäischen Parlament bei der Auswahl und Bestätigung der Mitglieder voraus. Nach Art. 17 Abs. 3 UAbs. 1 EUV beträgt die Amtszeit der Kommission fünf Jahre. Diese Amtszeit ist mit der Amtszeit des Europäischen Parlaments verknüpft, um zu gewährleisten, dass bei der Zusammenstellung der Kommission die Ergebnisse der Parlamentswahlen berücksichtigt werden können. Die Anforderungen an die Mitglieder ergeben sich aus Art. 17 Abs. 3 UAbs. 2 EUV. Demnach werden die Mitglieder der Kommission „aufgrund ihrer allgemeinen Befähigung und ihres

64

4 Verwaltungsorganisation

Einsatzes für Europa unter Persönlichkeiten ausgewählt, die volle Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten“. Sie dürfen keine Weisungen von einer Regierung eines Mitgliedstaates, einem Organ oder jeder anderen Stelle der EU entgegennehmen. Der Kommissionspräsident nimmt eine herausgehobene Stellung in der Kommission ein (Art. 17 Abs. 6 EUV). Er legt die Leitlinien für die Kommissionsarbeit fest, beschließt über die interne Organisation der Kommission und ernennt mit Ausnahme des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik seine Vizepräsidenten. Der Hohe Vertreter wird vom Europäischen Rat ernannt und trägt die Verantwortung für die Durchführung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union. Der Verwaltungsunterbau der Kommission gliedert sich in Generaldirektionen – vergleichbar mit Abteilungen in Ministerien –, Dienststellen und Exekutivagenturen (programmbezogene und temporäre Agenturen), die jeweils einem Kommissionsmitglied zugeordnet und für einen Politikbereich zuständig sind.

4.2.1.4 Dezentrale Agenturen Neben den Haupt- und Nebenorganen sowie ihrem Verwaltungsunterbau gibt es noch weitere Institutionen, die Verwaltungsaufgaben der EU wahrnehmen (Herdegen 2022, 163 ff.). Eine besondere Rolle nehmen hierbei dezentrale Agenturen ein, die neben unterstützenden beratenden und koordinierenden Funktionen auf der EU-Ebene vereinzelt auch Exekutivaufgaben gegenüber den Mitgliedstaaten wahrnehmen (Weiß 2016: 631 ff.). Dezentrale Agenturen sind über den gesamten Unionsraum verteilt und werden durch Rechtsakte der Union eingerichtet. Ein Beispiel hierfür wäre die Chemikalienaufsichtsagentur ECHA (European Chemicals Agency) in Helsinki oder die Behörde für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden für Strom und Gas ACER (Agency for the Cooperation of Energy Regulators) in Lubljana, die Vollzugsaufgaben übernehmen oder den Vollzug des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten unterstützen.

4.2.2

Bund

4.2.2.1 Bundesregierung Die Bundesregierung ist ein Verfassungsorgan, das sich nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern zusammensetzt und der Bundesverwaltung vorsteht. Der Bundeskanzler wird nach Art. 63 GG durch den Deutschen Bundestag gewählt und ist ihm gegenüber für die Regierung verantwortlich (Art.

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

65

65 S. 1 GG). Sollte der Bundestag dem Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen wollen, dann kann er dies tun, indem er einen anderen Bundeskanzler nach Art. 67 GG wählt und dadurch den amtierenden Bundeskanzler abwählt. Die Amtszeit eines Bundeskanzlers und seiner Regierung ist nach Art. 69 Abs. 2 GG beendet, wenn ein neu gewählter Bundestag zusammentritt. Allerdings bleibt die Regierung so lange geschäftsführend im Amt, bis der Bundestag einen neuen Bundeskanzler gewählt hat (Art. 69 Abs. 3 GG). Für die Organisation der Bundesregierung ergeben sich drei grundlegende Prinzipien aus Art. 65 GG: Kanzlerprinzip; Ressortprinzip und Kollegialprinzip (Herzog 2022, Rn 1–121; Nierhaus 2021, Rn 5–8; Bogumil und Jann 2020, 95 ff.; Rudzio 2019, 227 ff.; von Beyme 2017, 333 ff.). Nach dem Kanzlerprinzip ist der Bundeskanzler für die Zusammensetzung der Organisation der Bundesregierung (Art. 64 Abs. 1 GG) und die Bestimmung der Richtlinien der Politik (Art. 65 GG) der Bundesregierung verantwortlich. Er entscheidet über die Zahl der Bundesminister in seinem Kabinett und die Zuständigkeiten ihrer Bundesministerien. Vom Grundgesetz her vorgesehen sind folgende Ministerposten: Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG); Bundesjustizminister (Art. 96 Abs. 2 S. 4 GG.) und Bundesminister der Finanzen (Art. 108 Abs. 3 S. 2 GG). In diesem Zusammenhang wird auch von Ressorts gesprochen: dieser Begriff umfasst das Ministerium und seinen nachgeordneten Bereich, da ein Minister nicht nur für das Ministerium, sondern auch für die nachgeordneten Behörden verantwortlich ist. Die Gesamtzahl der Bundesminister und ihrer Ministerien unterliegt Schwankungen, die sich einerseits aus den Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung und andererseits aus dem Wegfall von Aufgaben (z. B. Verwaltung der Mittel des Marshallplans) und der Entstehung neuer Aufgaben (z. B. digitale Infrastruktur) ergeben (Fleischer et al. 2018; von Beyme 2017, 334; König 2015, 252). Die Spannbreite der Schwankungen der Anzahl der Ministerien reichte von 13 im Kabinett Adenauer I im Jahr 1949 bis zu 21 im Kabinett Ehrhard I im Jahr 1963 und hat sich seit dem Kabinett Merkel I im Jahr 2005 bei rund 15 eingependelt. Als „klassischer Kanon“ gelten die folgenden Ressorts, die sich in fast allen parlamentarischen Systemen finden lassen: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Finanzen, Justiz (von Beyme 2017, 334). König (2015, 255) merkt an, dass dieser Kanon inzwischen durch „neuklassische“ Ressorts wie Wirtschaft, Landwirtschaft, Arbeit und Verkehr ergänzt würde, die inzwischen ebenfalls in allen parlamentarischen Systemen zu finden seien. Es kann auch Minister ohne eigenen Geschäftsbereich geben, die besondere Aufgaben erfüllen, ohne ein eigenes Ressort zu leiten. In der Vergangenheit waren die Chefs des Bundeskanzleramts häufig Minister

66

4 Verwaltungsorganisation

für besondere Aufgaben. Aufgabenzuschnitt und -verteilung zwischen den einzelnen Ressorts unterliegen mehr oder minder großen Schwankungen (Fleischer et al. 2018, 74 ff.), weshalb diese häufig durch ein „und“ abgegrenzt werden (König 2015, 264) und dadurch zwischen einzelnen Ressorts bei Regierungsneubildungen verschoben werden können. Ein Beispiel hierfür ist der Bereich „Bau“, der im Kabinett Merkel I und II (2005–2013) im „Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung“, im Kabinett Merkel III (2013–2018) im „Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit“ und Kabinett Merkel IV (2018–2021) im „Ministerium des Innern, für Bau und Heimat“ untergebracht wurde. Der Bundeskanzler leitet die Geschäfte der Bundesregierung auf der Grundlage einer von der Bundesregierung beschlossenen Geschäftsordnung (GOBReg). Zur Koordination, Entwicklung sowie der Umsetzung und Überwachung seines Regierungsprogramms bedient er sich des Bundeskanzleramts. Das Bundeskanzleramt ist eine oberste Bundesbehörde und nutzt zur Koordinierung und Kontrolle des Regierungshandelns ein System von Spiegelreferaten, dass spiegelbildlich zu den Zuständigkeiten der Bundesministerien aufgebaut ist, um die innerministerielle Arbeit in den Ministerien verfolgen zu können (Rudzio 2019, 232). Nach dem Ressortprinzip sind die Bundesminister in ihren Ressorts voll verantwortlich und leiten diese in eigener Angelegenheit zur Umsetzung des Regierungsprogramms (Art. 65 GG). Ihnen obliegt auch die Aufsicht über ihre Bundesministerien als oberste Bundesbehörden und die den Bundesministerien nachgeordnete Bundesverwaltung. Aus dem Ressortprinzip ergibt sich auch, dass der Bundeskanzler in der Regel nicht in die Organisation und Arbeit der einzelnen Ressorts eingreift (Rudzio 2019, 237). Obwohl die Stellung der einzelnen Ressorts in der Bundesregierung gleich ist, genießt der Finanzminister Sonderrechte, die sich aus Art. 112 und Art. 114 Abs. 1 GG ergeben und ihm eine Koordinierungs- und Vetoposition im Kabinett verleihen (von Beyme 2017, 337). Er muss überplan- und außerplanmäßigen Ausgaben von Ressorts zustimmen und er ist für die Rechnungslegung der Bundesregierung verantwortlich. Eine Aufweichung des Ressortprinzips wird durch die Einrichtung von Beauftragen der Bundesregierung für bestimmte Politikfelder bewirkt, die nicht in die Verwaltung der Ressorts integriert sind und diese beratend unterstützen sollen (Rudzio 2019, 237), wie beispielsweise der Beauftragte der Bundesregierung für die Digitalisierung, dessen Amt dem Bundeskanzleramt zugeordnet ist und das Bundeskabinett hierzu beraten soll. Das Kabinettsprinzip sieht vor, dass bestimmte Entscheidungen durch die Bundesregierung als Kabinett beschlossen werden. Hierzu gehören beispielsweise Entscheidungen über die Geschäftsordnung der Bundesregierung (Art.

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

67

65 GG), Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern (Art. 65 GG) und Vorlagen der Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess (Art. 76 GG). Auch wenn der Bundeskanzler formal durch Richtlinienentscheidungen die Politik seiner Regierung vorgeben könnte, werden wichtige Entscheidungen durch die Bundesregierung im Kabinett im Konsens gefällt. Das Kabinett nimmt bei der Konfliktlösung innerhalb der Bundesregierung eine zentrale Rolle ein (von Beyme 2017, 336). Dadurch wird das Kabinett in Entscheidungsprozessen der Bundesregierung häufig auch zu einem Flaschenhals, vor dem sich Entscheidungen aufstauen, wenn diese nicht im Vorfeld von Kabinettsitzungen ausgehandelt werden konnten und auch nicht durch das Kabinett aufgelöst werden können (Rudzio 2019, 236). Im Rahmen des Kabinetts können von der Bundesregierung Kabinettsausschüsse gebildet werden, um Kabinettsentscheidungen vorzubereiten. Solchen Ausschüssen können alle Mitglieder oder nur ein Teil der Regierung sowie weitere Akteure angehören. Beispiele für solche Ausschüsse in der Regierung Merkel IV sind das „Klimakabinett“, dem die Bundeskanzlerin, der Finanzminister, der Bauminister, der Verkehrsminister, die Agrarministerin, der Wirtschaftsminister, der Kanzleramtschef sowie der Sprecher der Bundesregierung angehören, oder dass „Digitalkabinett“, dem alle Regierungsmitglieder, Staatsekretäre und die Staatsministerin für Digitales angehören. Rahmenregelungen für die Koordination zwischen den Bundesministerien ergeben sich aus Kap. 5 Abschn. 1 der GGO. Nach § 19 Abs. 1 GGO sind Angelegenheiten, die die Geschäftsbereiche mehrerer Bundesministerien berühren, von diesen zusammen zu bearbeiten. Für die rechtzeitige und umfassende Beteiligung ist das federführende Ressort verantwortlich. Eine mündliche Beteiligung ist unzulässig, da die Beteiligung aktenkundig festzuhalten ist. Ist für eine Angelegenheit das Einvernehmen eines anderen Ressorts erforderlich, dann darf das federführende Ressort nach § 19 Abs. 2 GGO so lange keine Entscheidung treffen, bis dieses erteilt wurde. Zur Verbesserung der Koordination zwischen den einzelnen Ressorts sind nach § 20 GGO ressortübergreifende Ausschüsse für Angelegenheiten der Organisation, Information und Koordination der Regierungszusammenarbeit eingerichtet worden.

4.2.2.2 Bundesverwaltung Mit Blick auf Art. 30 GG stellt die Bundesverwaltung eine begründungspflichtige Ausnahme dar, da das Grundgesetz davon ausgeht, dass die Ausübung der staatlichen Befugnisse schwerpunktmäßig durch die Länder erfolgt. Nach Art. 86 GG gibt es zwei Formen der Bundesverwaltung zur Unterstützung der Bundesregierung und zur Ausführung von Bundesgesetzen: die bundeseigene Verwaltung, die auch als unmittelbare Bundesverwaltung bezeichnet wird, und die Verwaltung

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4 Verwaltungsorganisation

durch Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, die auch als mittelbare Bundesverwaltung bezeichnet wird (Ibler 2022, Rn 1 ff.; Bogumil und Jann 2020, 102 ff.). Die unmittelbare Bundesverwaltung besteht in erster Linie aus Staatsbehörden, die dem Rechtsträger Bund angehören und die sich wie folgt aufgliedern (von Beyme 2017, 346 ff.; Bogumil und Jann 2020, 95 ff.; Döhler 2005; Mayntz 1997, 83 ff.): • Oberste Bundesbehörden: Hierzu gehören das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt, die Ministerien, sowie die Bundestagsverwaltung und das Sekretariat des Bundesrates, die zur Verwaltung zählen, soweit sie nicht nur Regierungsaufgaben wahrnehmen. Ebenfalls zu den obersten Bundesbehörden gehören die Bundesbank und der Bundesrechnungshof, da sie über eine besondere Unabhängigkeit verfügen. Die obersten Bundesbehörden üben die Aufsicht über die Bundesoberbehörden sowie Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts aus, die für die Ausführung von Bundesgesetzen zuständig sind. Darüber hinaus nimmt die Ministerialverwaltung gesetzesvorbereitende und unterstützende Aufgaben wahr. • Bundesoberbehörden sind Behörden, die einem Ministerium unmittelbar nachgeordnet und bundesweit für die Ausführung von Bundesgesetzen zuständig sind und über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen. Sie können als Zentralstellen über einen eigenen Verwaltungsunterbau verfügen (z. B. Generalzolldirektion; Bundespolizeipräsidium) oder selbständige bestimmte Aufgaben wahrnehmen (z. B. Bundesverwaltungsamt; Bundesnetzagentur). • Bundesmittel- und Bundesunterbehörden sind durch einen vertikalen und horizontalen Verwaltungsaufbau gekennzeichnet, der sich in einer örtlichen Zuständigkeit für Teile des Bundesgebiets (Mittelbehörden) und im nachgeordneten Bereich für kleinere Gebiete (Unterbehörden) auszeichnet. Sie sind auf die Verwaltungsaufgaben des Bundes aus Art. 87, 87b und 87d GG beschränkt (Grenzschutz, Verwaltung der Bundeswasserstraßen, Bundeswehrverwaltung etc.), weshalb der Großteil der Bundesverwaltung durch Bundesoberbehörden ohne eigenen Verwaltungsunterbau erfolgt. Ebenfalls zur unmittelbaren Bundesverwaltung gehören nicht rechtsfähige Anstalten des Bundes ohne eigene Vollzugsaufgaben, wie beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung oder das Technische Hilfswerk sowie bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts, wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau oder die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (Bach et al. 2010, 31; von Beyme 2017, 347).

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

69

Die Unübersichtlichkeit wird dadurch weiter erhöht, dass wissenschaftlichtechnische Bundesoberbehörden vereinzelt den Begriff „Anstalt“ im Titel verwenden, obwohl sie als Oberbehörden unmittelbar in den Geschäftsbereich von Bundesministerien eingebunden sind. Ein Beispiel hierfür ist die PhysikalischTechnische Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Insofern ist es gar nicht so einfach, den Gesamtbestand der Bundesverwaltung richtig zu erfassen, da die Anzahl der bundesunmittelbaren Behörden regelmäßigen Schwankungen unterliegt und unterschiedliche Definitionen zu unterschiedlichen Zählungsergebnissen führen (vgl. Bogumil und Jann 2020, 104; Döhler 2007, 58). In einer kleinen Anfrage der FDP-Fraktion aus dem Jahr 2006 (BT-Drs. 16/2945) wurde von 570 Institutionen des Bundes gesprochen, die 62 Bundesoberbehörden, 38 Bundesmittelbehörden, 249 untere Bundesbehörden, 56 Bundesanstalten und 40 Bundesbeauftragten umfassen würden. Die Bundesregierung wies in ihrer Antwort darauf hin, dass man durch die Auflösung von Mittelinstanzen von 1996 bis 2006 die Zahl der Bundesbehörden von 645 auf 445 reduziert habe. Allerdings wird aus der Antwort nicht ersichtlich, welche Behörden dazu gezählt wurden. Die Homepage des Bundes führt in ihrem Behördenverzeichnis in 2020 22 Oberste Bundesbehörden, 94 Obere Bundesbehörden, 25 Mittlere Bundesbehörden und 156 Untere Bundesbehörden (service.bund.de). Insofern scheint sich der Trend zur Behördenreduzierung fortgesetzt zu haben. In einer kleinen Anfrage zu Standorten von Bundesbehörden der Fraktion der Linken aus dem Jahr 2018 (BT-Drs. 19/1155) verweist die Bundesregierung auf 225 Bundeseinrichtungen im Geschäftsbereich der Bundesministerien, des Bundeskanzleramts und des Bundespresseamts sowie 137 außeruniversitäre Forschungsinstitute, die durch Bundesmittel finanziert werden. Bundesgesetze können nach Art. 86 GG auch durch Stellen mit eigener Rechtspersönlichkeit in Form von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ausgeführt werden (z. B. Deutsche Rentenversicherung oder die Stiftung Preußischer Kulturbesetz), die auch als mittelbare Bundesverwaltung bezeichnet werden. Bei ihren Aufgaben handelt es sich in der Regel um Sonderaufgaben. Hinzu kommen noch weitere Anstalten, Stiftungen und Körperschaften, die unter der Rechtsaufsicht von Bundesbeauftragten oder anderen Bundesoberbehörden stehen. Abb. 4.2 zeigt den äußeren Aufbau der Bundesverwaltung.

70

4 Verwaltungsorganisation

Abb. 4.2 Äußerer Aufbau der Bundesverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung)

4.2.3

Länder

4.2.3.1 Landesregierungen Der Regierungsaufbau auf der Ebene der Länder spiegelt den Regierungsaufbau auf der Bundesebene im Wesentlichen wider. Landesregierungen sind Verfassungsorgane der Länder, die den Landesverwaltungen vorstehen. Die Landesregierungen unterscheiden sich hinsichtlich der Bezeichnung des Regierungschefs und der Kabinettsmitglieder. In den Flächenländern werden diese

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

71

Ministerpräsidenten und Minister genannt. In den Stadtstaaten werden die Regierungschefs als Regierender Bürgermeister (Berlin), Bürgermeister (Bremen) und Erster Bürgermeister (Hamburg) und die Minister als Senatoren bezeichnet. In allen Bundesländern wird der Regierungschef durch die Landesparlamente gewählt (Rudzio 2019, 296). Im Regelfall verfügen sie auch in den Ländern über Organisations-, Personal- und Richtlinienkompetenz. Eine Ausnahme von der Personalkompetenz besteht in Bremen, wo nicht nur der Bürgermeister, sondern auch die Mitglieder des Senats nach Art. 107 Abs. 2 BremVerf vom Parlament (Bürgerschaft) direkt gewählt werden. Ebenso werden in Bremen die Richtlinien für den Senat durch die Bürgerschaft vorgegeben (Art. 118 Abs. 1 BremVerf). In Berlin bedürfen die Richtlinien des Regierenden Bürgermeisters nach Art. 52 Abs. 2 BerlVerf der Billigung des Parlaments (Abgeordnetenhaus). Für die Minister und Senatoren auf der Landesebene gilt ebenfalls das Ressortprinzip, und die Landesregierungen treffen wesentliche Entscheidungen ebenfalls nach dem Kabinettsprinzip. Die Größe der Landeskabinette schwankte im Jahr 2020 zwischen sieben (Saarland) und 13 (Bayern und Nordrhein-Westfalen) Mitgliedern. Der Zuschnitt der Ressorts auf der Landesebene unterscheidet sich von dem auf der Bundesebene, da einerseits landesspezifische Aufgaben aufgenommen werden (z. B. „Weinbau“ in Rheinland-Pfalz) und andererseits alleinige Kompetenzen des Bundes, wie Verteidigung und äußere Angelegenheiten, entfallen. Grundsätzlich finden sich die Politikfelder, die von den Bundesministerien bearbeitet werden, auch auf der Landesebene in unterschiedlicher Zusammensetzung wieder. Die Länder sind im Regelfall für den Vollzug der Bundesgesetze zuständig und müssen deshalb in der Lage sein, die Gesetzgebungsaktivitäten des Bundes zu begleiten und mögliche negative Folgen für ihre Verwaltungen abzuschätzen und gegebenenfalls abzuwehren. Der konkrete Zuschnitt der Ressorts ist – wie auch auf der Bundesebene – im Regelfall das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen.

4.2.3.2 Landesverwaltung Nach Art. 30 GG ist die Erfüllung der staatlichen Aufgabe Sache der Länder, soweit das GG keine andere Regelung trifft. Deshalb findet der Schwerpunkt der Verwaltungstätigkeit in der Bundesrepublik auf der Länderebene statt. Die Verwaltungen der Länder sind dabei nicht nur für den Vollzug von Landesgesetzen zuständig, sondern übernehmen im Regelfall auch den Vollzug der Bundesgesetze, da der Vollzug von Bundesrecht durch Bundesbehörden eine Ausnahme darstellt. Dies erfolgt grundsätzlich als eigene Angelegenheit (Art. 83 GG), so dass die Länder selbst über die Organisation und das Verfahren des Vollzugs entscheiden können und der Bund nur die Rechtsaufsicht ausübt (Art. 84 GG). In

72

4 Verwaltungsorganisation

Ausnahmefällen kann der Vollzug auch als Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) erfolgen, bei der der Bund über die Rechts- und Fachaufsicht verfügt. Letztere beschränkt sich auf die Bereiche Erzeugung und Nutzung der Kernenergie (Art. 87c GG), Luftverkehrsverwaltung (Art. 87d Abs. 2 GG), Bundeswasserstraßen (Art. 89 Abs. 2 GG), Verwaltung der Bundesfernstraßen durch die Länder (Art. 90 Abs. 3 GG), Ausgabenverteilung (Art. 104 Abs. 3 S. 2 GG), Landesfinanzverwaltung (Art. 108 Abs. 3 GG) und Lastenausgleich (Art. 120a Abs. 2 GG). Die großen Flächenstaaten (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen) verfügen in ihrer unmittelbaren Landesverwaltung über einen dreistufigen Verwaltungsaufbau. Dort übernehmen regionale Mittelinstanzen in Form von Bezirksregierungen, Regierungspräsidien oder Regierungen für einen bestimmten Teil des Landes Bündelungs-, Koordinierungs- und Kontrollfunktionen für ein besonders breites Aufgabenspektrum (Bogumil und Jann 2020, 114 ff.). Die anderen Flächenstaaten zeichnen sich durch einen zweistufigen Aufbau aus, bei dem es keine Mittelinstanzen gibt (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein) oder Strukturreformen zu Sonderbehörden mit funktionalen Zuständigkeiten geführt haben (Reiners 2008). Neben der unmittelbaren Verwaltung durch Landesbehörden gibt es wie beim Bund eine mittelbare Staatsverwaltung, die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts umfasst (z. B. Hochschulen, Kammern, Versicherungs- und Rundfunkanstalten). Hierzu gehören auch Gemeinden und Landkreise in den Bereichen, in denen sie staatliche Vollzugsaufgaben übernehmen (z. B. im Bereich der Umwelt- und Infrastrukturverwaltung). Abb. 4.3 zeigt einen Überblick über die Landesverwaltung.

4.2.4

Kommunen

4.2.4.1 Aufbau der kommunalen Ebene Die kommunale Ebene stellt eine eigene Ebene im Verwaltungsaufbau der Bundesrepublik dar, die über eine eigene Volksvertretung und eine eigene Verwaltungsorganisation verfügt. Staatsorganisationsrechtlich sind Gemeinden in die Länder eingegliedert und mittelbare Staatsverwaltung der Länder (Mehde 2022, Rn 12). Der Begriff Kommune ist ein Oberbegriff für Gemeinden und Gemeindeverbände im Sinne von Art. 28 Abs. 2 GG (Burgi 2019, 2).

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

Abb. 4.3 Äußerer Aufbau der Landesverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung)

73

74

4 Verwaltungsorganisation

Der Begriff „Stadt“ bezeichnet in diesem Kontext lediglich eine durch eine besondere Größe gekennzeichnete Gemeinde. Die Stadtstaaten Hamburg und Berlin verfügen über keine Gemeinden und unterscheiden nicht zwischen staatlicher und gemeindlicher Verwaltungstätigkeit. Allerdings sind bestimmte örtliche Verwaltungsaufgaben Bezirken zur selbständigen Erledigung übertragen worden (Art. 66 Abs. 2 BerlVerf; Art. 4 Abs. 2 HambVerf), und auf der Bezirksebene wird auch eine Bezirksversammlung gewählt (Art. 69 BerlVerf; Art. 4 Abs. 3 HambVerf). In Bremen wird zwischen den Gemeinden Bremen und Bremerhaven unterschieden, die jeweils über eine eigene Gemeindevertretung und Gemeindeverwaltung verfügen (Art. 143 BremVerf). Die wichtigste Erscheinungsform des Gemeindeverbands ist der Landkreis bzw. Kreis (Bezeichnung in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein). Unterhalb der Landkreise gibt es in mehreren Flächenländern Gemeindeverbände, die Verwaltungsaufgaben für mehrere kleinere Gemeinden bündeln und unter dem Begriff „Gesamtgemeinden“ (Ausnahmen Nordrhein-Westfalen und das Saarland) zusammengefasst werden können (Burgi 2019, 320). Diese heißen Verwaltungsgemeinschaft in Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Gemeindeverwaltungsverband in Baden-Württemberg und Hessen, Verbandsgemeinde in Rheinland-Pfalz, Samtgemeinde in Niedersachsen, Verwaltungsverbände in Sachsen und Ämter in Schleswig-Holstein, Brandenburg und MecklenburgVorpommern. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es oberhalb der Kreisebene noch Landschaftsverbände bzw. Landschaften, die für ihre Kreise bestimmte Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Art. 28 Abs. 1 und 2 GG sieht vor, dass es eine gewählte Volksvertretung auf der Gemeinde und Kreisebene geben muss und Gemeinden und Gemeindeverbände ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalten (Selbstverwaltungsgarantie). Dies führt dazu, dass zahlreiche Rahmenbedingungen des täglichen Lebens durch die politischen Entscheidungsträger der Kommunen gestaltet und durch die Kommunalverwaltungen verwaltet werden (z. B. Bebauung des Gebiets, Infrastrukturversorgung, Schulträgerschaft, kulturelle und soziale Angebote). Hinzu kommt, dass auf kommunaler Ebene Aufgaben der Länder als untere Staatsverwaltung wahrgenommen werden. Hierbei kann man zwischen einem dualistischen und monistischen Aufgabenverständnis unterscheiden (Burgi 2019, 92 ff.). Im Aufgabendualismus werden staatliche Aufgaben als übertragene Angelegenheiten oder Auftragsangelegenheiten durch die Kommunen wahrgenommen, während diese im monistischen Aufgabenverständnis als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung durch die Kommunen erledigt werden. Im Ergebnis verfügt die Landesverwaltung in beiden Fällen über die Rechts- und Fachaufsicht, sowie ein Weisungsrecht gegenüber den Kommunen.

4.2 Äußerer Verwaltungsaufbau

75

Die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Rahmenbedingungen der kommunalen Selbstverwaltung liegt bei den Ländern. Diese haben ihre Kommunalverfassungen in Gemeinde- und (Land-)Kreisordnungen niedergelegt, wobei die Bezeichnungen (wie auch bei den kommunalen Organisationsformen selbst) variieren können. Im Rahmen dieser Kommunalverfassungen können Gemeinden und Kreise aufgrund ihrer Organisationshoheit ihre Verwaltungsorganisation in Hauptsatzungen und Geschäftsordnungen selbst festlegen (Bogumil und Jann 2020, 127; Burgi 2019, 208 ff.).

4.2.4.2 Bürgermeister, Beigeordnete und Gemeindeverwaltung Bürgermeister sind im Regelfall direkt vom Volk gewählte Wahlbeamte (Ausnahme: kleine Gemeinden in Schleswig–Holstein, in denen der Vorsitzende der Gemeindevertretung das Amt übernimmt), denen der Vorsitz im Gemeinderat und die Leitung der Gemeindeverwaltung obliegt (Burgi 2019, 190 ff.). Die Kompetenzverteilung zwischen Bürgermeister und Rat variiert je nach Bundesland, was zu Unterschieden bei der Unabhängigkeit und den Entscheidungsspielräumen der Bürgermeister gegenüber dem Gemeinderat führt (Bogumil und Jann 2020, 126; Bogumil und Holtkamp 2015, 179 ff.). In kreisfreien Städten in den Flächenländern tragen Bürgermeister die Bezeichnung Oberbürgermeister. Im Regelfall üben Bürgermeister ihre Tätigkeit als hauptamtliche Beamten auf Zeit aus. Lediglich in kleineren Gemeinden, die über keine eigene Verwaltung verfügen, wird das Amt als Ehrenamt (Ehrenbeamte) ausgeübt. In den einzelnen Ländern bestehen unterschiedliche Amtsdauern, die von fünf bis zehn Jahren reichen. Ebenso gibt es in einigen Ländern ein Mindestalter, das über der Vollendung des 18. Lebensjahrs liegt (21–27 Jahre) und/oder ein Höchstalter (60–68 Jahre). In den meisten Bundesländern werden zur Unterstützung des Bürgermeistes hauptamtliche Beigeordnete bestellt, die in einigen Ländern auch Dezernenten genannt werden. Sie werden durch den Gemeinderat und nicht direkt durch das Volk gewählt und unterstehen dem Bürgermeister (Burgi 2019, 181 f.). Hauptamtliche Bürgermeister sind in nahezu allen Flächenländern mit der Leitung der Gemeindeverwaltung betraut. Anders ist es in Hessen, wo der Gemeindevorstand bzw. Magistrat (Bezeichnung in kreisfreien Städten), der aus dem Bürgermeister und seinen Beigeordneten besteht, als Kollegialorgan für die Gemeindeverwaltung gemeinsam verantwortlich ist. In anderen Ländern bedürfen lediglich bestimmte Entscheidungen des Bürgermeisters der Zustimmung eines solchen Kollegialorgans, welches in Brandenburg Hauptausschuss, in Niedersachsen Verwaltungsausschuss, in Nordrhein-Westfalen Verwaltungsvorstand und in Rheinland-Pfalz Stadtvorstand genannt wird (Burgi 2019, 182).

76

4 Verwaltungsorganisation

Abhängig von der Gemeindegröße ist auch die Größe und Ausdifferenzierung der Gemeindeverwaltung, die dem Bürgermeister untersteht. Der Bürgermeister verfügt über die Geschäftsleistungs- und Organisationsgewalt und ist Dienstvorgesetzter der Beamten und Angestellten der Gemeindeverwaltung (Burgi 2019, 185). Formal sind die einzelnen Dezernate, Ämter, Abteilungen und Sachgebiete der Gemeindeverwaltung unselbständig, weshalb ihre Entscheidungen (z. B. Gebührenbescheide oder Genehmigungen) nach außen als Verwaltungsakte des Bürgermeisters ergehen (Burgi 2019, 183).

4.2.4.3 Landräte und Landratsämter Auf der Kreisebene ist der Landrat der Vorsitzende des Kreistages (Volksvertretung auf der Kreisebene) und der Leiter des Landratsamts (Kreisbehörde). Der Landrat ist für die Umsetzung der Beschlüsse des Kreistages verantwortlich und vertritt den Landkreis oder Kreis (Bezeichnung für Landkreise in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) nach außen. Das Landratsamt ist Behörde des Kreises bzw. Landkreises und zugleich untere Verwaltungsbehörde des Landes, soweit es staatliche Aufgaben wahrnimmt. Landräte sind Wahlbeamte auf Zeit, die entweder direkt durch die Kreisbürger oder den Kreistag (in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein) gewählt werden. Abb. 4.4 zeigt den äußeren Aufbau der Kommunalverwaltung.

Abb. 4.4 Äußerer Aufbau der kommunalen Ebene. (Quelle: Eigene Darstellung)

4.3 Interner Verwaltungsaufbau

4.3

77

Interner Verwaltungsaufbau

Die interne Aufbauorganisation legt fest, welche Organisationen und Organisationsbereiche für welche Aufgabe bzw. Teilaufgabe zuständig sind, und bündelt die für die Aufgabenerledigung erforderlichen Befugnisse und Verantwortlichkeiten (Möltgen-Sicking und Winter 2018, 76; BMI/BVA 2018, 25; Frank 2018, 47). Sie gliedert hierzu die Organisation in unterschiedliche organisatorische Einheiten mit unterschiedlichen Organisations- und Hierarchieebenen bis zur einzelnen Stelle. Die Entscheidungskompetenz nimmt in diesem Aufbau von oben nach unten ab. Die Amtsspitze ist in der Lage, alle die Organisation betreffenden Entscheidungen zu fällen, während einzelne Referate oder Sachgebiete nur für eine bestimmte Teilaufgabe zuständig sind und auch nur in diesem Bereich über eigene Entscheidungskompetenzen verfügen. Innerhalb der einzelnen Organisationseinheiten übernehmen die Beschäftigten auf ihren Stellen die Teilaufgaben dieser Organisationseinheit war. Die Zahl der Beschäftigten einer Organisationseinheit wird auch als Leitungsspanne bezeichnet (Rechnungshöfe des Bundes und der Länder 2016, 7). Die interne Aufbauorganisation kann durch unterschiedliche Organisationsansätze geprägt sein: Einlinienorganisation, Mehrlinienorganisation, Stablinienorganisation oder Matrixorganisation (Möltgen-Sicking und Winter 2018, 76 ff.; Frank 2018, 72 ff.; Picot et al. 2015, 319 ff.; Kieser und Walgenbach 2010, 128 ff.; Schreyögg und Geiger 2016, 60 ff.; Mayntz 1997, 110 ff.). In Linienorganisationen verläuft die Zuständigkeit und das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den einzelnen Organisationseinheiten entlang einer Entscheidungslinie, die von der Amtsspitze über die unterschiedlichen Organisationsebenen bis zu den untersten Organisationseinheiten reicht. Die übergeordneten Organisationseinheiten sind gegenüber den nachgeordneten Organisationseinheiten weisungsbefugt und für die Aufgabenerledigung durch ihre nachgeordneten Organisationseinheiten verantwortlich. Der Informations- und Kommunikationsaustausch erfolgt über die Organisationslinien von oben nach unten und umgekehrt.

4.3.1

Einlinienorganisation

In der Einlinienorganisation gibt es von den übergeordneten Organisationseinheiten zu den nachgeordneten Organisationseinheiten jeweils nur eine Linie. Diese Linie ist der Entscheidungs-, Informations- und Kommunikationsweg, der sicherstellen soll, dass nachgeordnete Organisationseinheiten immer nur einer übergeordneten Organisationseinheit gegenüber verantwortlich sind und nur

78

4 Verwaltungsorganisation

von ihr ihre Anweisungen erhalten. Wenn sich unterschiedliche Organisationseinheiten auf den nachgeordneten Ebenen abstimmen müssen, dann läuft die Kommunikation über die Linien, also zunächst nach oben und dann wieder nach unten. Ein Vorteil dieses Organisationsansatzes liegt in seiner Übersichtlichkeit und der klaren Zuteilung von Verantwortung. Nachteile ergeben sich aus langen Informations-, Kommunikations- und Entscheidungswegen, wenn mehrere Organisationseinheiten auf derselben Ebene beteiligt werden müssen. Eine solche Form der Organisation bietet sich an, wenn sich Aufgaben der Organisation in Teil- und Unteraufgaben aufteilen lassen, die getrennt voneinander bearbeitet werden können und deren Teilergebnisse auf den übergeordneten Ebenen ohne größere Verluste wieder zusammengeführt werden können. Im Regelfall ist die öffentliche Verwaltung als Einlinienorganisation konzipiert, die sich in den Organigrammen von Ministerien, Bundes- und Landesbehörden, sowie Kommunen widerspiegeln. Abb. 4.5 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Organisationsebenen des internen Verwaltungsaufbaus auf der EU-Ebene, der Bundesund Landes- sowie der Kommunalverwaltung von der höchsten Eben bis zur untersten Organisationsebene. Abb. 4.6 verdeutlich das Schema der Einlinienorganisation.

4.3.2

Mehrlinienorganisation

Als Gegenmodell zur Einlinienorganisation kann der Mehrlinienansatz gesehen werden, bei dem nachgeordnete Organisationseinheiten mehreren übergeordneten Organisationseinheiten gegenüber verantwortlich sind (Möltgen-Sicking und Winter 2018, 80). Hier sind Weisungsbefugnisse und Aufgabenverantwortung auf unterschiedliche Organisationseinheiten verteilt. Dies führt dazu, dass untergeordnete Organisationseinheiten mehreren übergeordneten Organisationseinheiten unterstehen und von diesen abhängig sind. Sie nehmen von diesen Aufgabenstellungen und Weisungen entgegen und arbeiten ihnen zu. Die ist beispielsweise der Fall, wenn die Rechts- und Fachaufsicht auf unterschiedliche übergeordnete Organisationseinheiten aufgeteilt ist. Ein weiteres Standardbeispiel für Mehrlinienorganisationen liefern Organisationseinheiten, die für technische Infrastruktur verantwortlich sind und von allen anderen Organisationseinheiten Weisungen erhalten, wenn diese eingerichtet werden müssen oder Störungen aufweisen. Abb. 4.7 zeigt das Schema einer Mehrlinienorganisation.

4.3 Interner Verwaltungsaufbau

Ebene

79

EU-

Ministerium

Bundes-/

Bezirks-

Kommission

(Bund/Land)

Landes-

regierung

Kommune

oberbehörde Obere

Mittlere

Untere

Kommissar,

Minister,

General-

Staats-

direktion

sekretär

Direktion

Abteilung,

Referat

Präsident

Oberbürger-

präsident

meister/ Bürgermeister

Abteilung,

Unter-

Unter-

abteilung

abteilung

Referat

Regierungs-

Referat

Abteilung

Dezernat

Dezernat

Amt

Abb. 4.5 Interne Aufbauorganisation von EU-, Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung)

4.3.3

Stablinienorganisation

Eine Kombination aus Einlinien- und Mehrlinienorganisation ist die so genannte Stablinienorganisation (Frank 2018, 77). In der Stablinienorganisation wird die Linienorganisation durch Beratungsinstanzen in Form von Stäben unterstützt (z. B. Krisenstäbe), die bei der Identifikation von Handlungsalternativen und der Auswahl der geeigneten Lösungsmöglichkeiten helfen, aber selbst über keine Entscheidungskompetenzen gegenüber den Organisationseinheiten in der Linie verfügen (Schreyögg und Geiger 2016, 62). Stäbe ergänzen die Linienorganisation und ihre Mitarbeiter rekrutieren sich aus der Linie. Mit Blick auf die Linienorganisation sind Stäbe einer Organisationseinheit zugeordnet, der sie zuarbeiten und die über die erforderlichen Weisungsbefugnisse verfügt. Deshalb sind sie in der Regel auf den oberen Organisationsebenen angesiedelt. Ein Beispiel hierfür ist die Stabsstelle „Grundsatzangelegenheiten“ im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, die unter der Leitung einer Staatssekretärin steht.

80

4 Verwaltungsorganisation

Abb. 4.6 Schema der Einlinienorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 4.7 Schema der Mehrlinienorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 4.8 veranschaulicht die Stablinienorganisation dieses Ministeriums im Jahr 2022.

4.3 Interner Verwaltungsaufbau

81

Abb. 4.8 Schema der Stablinienorganisation im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. (Quelle: Eigene Darstellung)

4.3.4

Matrixorganisation

Neben statischen Linienorganisationen existieren auch flexible Formen der Organisation wie Projekt- und Arbeitsgruppen, die organisationsintern und -extern Querverbindungen zwischen unterschiedlichen Organisationseinheiten und Organisationen erzeugen, um komplexe Aufgaben gemeinschaftlich zu lösen. Solche aufgabenbezogenen Organisationsbeziehungen können durch eine Matrixorganisation abgebildet werden. Sie führt für die ausführenden Organisationseinheiten zwei Dimensionen ein, bei der in der Linie getrennte organisatorische Einheiten zur Erledigung von bestimmten Aufgaben miteinander verknüpft werden (Bea und Göbel 2019, 357 ff.; Mayntz 1997, 112). Die erste Dimension bildet die Organisationseinheiten der Linienorganisation ab, während die zweite Dimension die Querschnittsaufgabe abbildet, die durch Angehörige unterschiedlicher Organisationseinheiten wahrgenommen wird. Ein typisches Beispiel für diesen Ansatz wäre die Zusammenarbeit in organisationseinheitenübergreifenden Projektgruppen, für die Mitarbeitende der einzelnen Organisationseinheiten abgestellt werden. Die Matrixorganisation kann auch genutzt werden, um organisationseinheitenübergreifende Geschäftsprozesse abzubilden, wenn es um die

82

4 Verwaltungsorganisation

Abb. 4.9 Schema der Matrixorganisation. (Quelle: Eigene Darstellung)

Ablauforganisation geht. Abb. 4.9 verdeutlich das Schema einer Matrixorganisation, bei der sich drei Arbeitsgruppen aus Mitarbeitern unterschiedlicher Referate zusammensetzen.

4.3.5

Organisationsgrundsätze

Die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder (2016, 6 f.) haben Grundsätze aufgestellt, die bei der Aufstellung der internen Aufbauorganisation durch die Bundes- und Landesbehörden berücksichtigt werden sollen: • Gebot des Sachzusammenhangs: Zusammengehörende Aufgaben sollen nach Möglichkeit derselben Organisationseinheit zugeordnet werden. • Gebot des organisatorischen Minimums: Die Anzahl der Hierarchieebenen und Organisationsebenen soll so gering wie möglich sein. • Möglichst große Leitungsspannen: Grundsätzlich hängt die Zahl der Beschäftigten, die eine Führungskraft führen kann, von der zur erledigenden Aufgabe ab, aber die Rechnungshöfe empfehlen mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit nicht die Leitungsspanne von 1:5 zu unterschreiten.

4.4 Koordination

83

• Selbstständige Organisationseinheiten nur im Ausnahmefall: Stabstellen und andere selbständige Organisationseinheiten auf der Ebene der Behördenspitze sollten nur in begründeten Ausnahmefällen eingerichtet werden.

4.4

Koordination

4.4.1

Negative und positive Koordination

Ein Standardproblem der Arbeitsteilung in der öffentlichen Verwaltung ist, dass eine Organisation oder Organisationseinheit sich im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung mit anderen Organisationen oder Organisationseinheiten abstimmen muss, da sie deren Zuständigkeitsbereiche berührt. Es kann sein, dass Entscheidungen nur im Benehmen oder Einvernehmen mit anderen Stellen getroffen werden können. Bei ersterem ist die andere Stelle nur zu beteiligen, während bei letzterem auch ihr Einverständnis vorliegen muss. Grundsätzlich lassen sich hierbei zwei Formen der Koordination in der öffentlichen Verwaltung beobachten: negative und positive Koordination. Ausgangspunkt für die „negative Koordination“ ist eine Veto-Position der zu beteiligenden Stellen, die dazu führt, dass durch die handelnde Organisationseinheit negative Auswirkungen auf diese Stellen – so weit wie möglich – vermieden werden. Das Musterbeispiel hierfür ist eine Ressortabstimmung im Gesetzgebungsprozess (Mayntz und Scharpf 1975, 100 ff.). Eine Ressortabstimmung ist erforderlich, wenn ein Ministerium mit seinem Entwurf die Zuständigkeitsbereiche anderer Ministerien berührt, so dass diese den Entwurf mitzeichnen müssen. Ins Kabinett gehen nur Entwürfe, die von allen mitzeichnungsberechtigten Ministerien mitgezeichnet wurden. Die Tatsache, dass die Zustimmung der mitzeichnenden Ministerien erforderlich ist, führt dazu, dass das federführende Ministerium automatisch versucht, negative Auswirkungen seines Entwurfs auf den Zuständigkeitsbereich anderer Ministerien zu vermeiden, um deren Mitzeichnung sicherzustellen (Scharpf 2000, 193). Im Ergebnis führt ein solches Verhalten (die negative Koordination) zu einer Selbstbeschränkung der handelnden Organisationseinheit bei der Auswahl von geeigneten Lösungsalternativen. Die negative Koordination führt im Ergebnis dazu, dass sich nur Lösungen durchsetzen können, die keine grundlegenden Veränderungen des Status Quo zur Folge haben. Sie gilt auch als Standardform der Koordination zwischen unterschiedlichen Stellen der öffentlichen Verwaltung (Bogumil und Jann 2020, 183), da sie gegenüber der positiven Koordination einen geringeren Zeit- und Personaleinsatz verlangt.

84

4 Verwaltungsorganisation

Im Gegensatz dazu kommt es zur „positiven Koordination“ (Scharpf 2000, 225 ff.), wenn die handelnde Organisationseinheit und die zu beteiligenden Stellen gemeinsam nach geeigneten Lösungen suchen. Das Beispiel hierfür sind interministerielle Projektgruppen, die vom Kabinett eingesetzt werden, um Probleme zu lösen, die die Zuständigkeit mehrerer Ministerien betreffen und deren Lösung die Zusammenarbeit dieser Ministerien erfordert. Der Erfolg solcher Projektgruppen hängt von der Verhandlungsbereitschaft und Kompromissfähigkeit der beteiligten Ressorts ab.

4.4.2

Koordinationsmechanismen

4.4.2.1 Hierarchie Koordination ist in der Hierarchie durch Befehle und Weisungen, Programme und Pläne gekennzeichnet, die von der übergeordneten Ebene für die nachgeordnete Ebene vorgegeben werden. Der Ermessens- und Entscheidungsspielraum, den die übergeordnete Ebene der nachgeordneten Ebene überlässt, kann variieren. Grundsätzlich gilt in der Hierarchie: je wesentlicher eine Entscheidung ist, desto höher muss die Entscheidungsebene sein, die befugt ist, diese Entscheidung zu treffen. Im Entscheidungsprozess werden im Regelfall die für die Entscheidung erforderlichen Grundlagen in den nachgeordneten Ebenen vorbereitet, dann an die nächsthöhere Ebene weitergeleitet, die – sofern sie entscheidungsbefugt ist – die Entscheidung trifft oder die Entscheidungsvorlage weiter nach oben bis zur entscheidungsbefugten Entscheidungsebene durchreicht. Das Grundgesetz sieht für den Verwaltungsaufbau der Ministerialverwaltung des Bundes und der Länder ein hierarchisch-bürokratisches Organisationsmodell vor, um die politische Verantwortung der Bundes- und Landesregierungen für die Bundes- und Landesverwaltung gegenüber ihren Parlamenten durch Aufsichtsund Weisungsbefugnisse zu gewährleisten (Grzesick 2022, Rn 140 ff.). Eine ausdrückliche Weisungsfreiheit ist im Grundgesetz lediglich für die Gerichte in Art. 97 GG niedergelegt, während die öffentlichen Verwaltungen von Bund und Ländern grundsätzlich an Weisungen ihrer Regierung gebunden sind. Allerdings gibt es in der Verwaltungswirklichkeit unterschiedliche Grade der Unabhängigkeit, die die Weisungsbefugnisse der Regierung auf bestimmte Bereiche einschränken (z. B. Rechtsaufsicht) oder für bestimmte Bereiche ausschließen (z. B. Regulierungsentscheidungen), weshalb es auch einige weisungsfreie Behörden oder Organisationseinheiten gibt (Mayen 2004, 45 f.; Bauer und Seckelmann 2014, 953 f.). Beispiele hierfür sind die Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der Länder, die nach Art. 57 Abs. 4 und 5 der Richtlinie (EU) 2019/944 keine

4.4 Koordination

85

direkten Weisungen von Regierungsstellen bezüglich ihrer Regulierungsaufgaben im Strommarkt entgegennehmen oder einholen dürfen.

4.4.2.2 Markt Markt bedeutet in struktureller Hinsicht eine Gleichordnung unterschiedlicher Anbieter, die in Konkurrenz zueinanderstehen. Funktionierende Märkte gelten als optimales Mittel zur Allokation knapper Güter (Kieser und Walgenbach 2010, 114 ff.; Erlei et al. 2016, 43 ff.). Preise entstehen auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage und dem Wettbewerb zwischen den Anbietern, die auf Preissignale reagieren. Häufig werden Teilleistungen von Verwaltungsaufgaben durch Private erbracht, da diese auf dem Markt wirtschaftlicher beschafft werden können als durch Eigenerzeugung durch die öffentliche Verwaltung (Frank 2018, 65; Picot et al. 2015, 201 ff.). Ebenso wird mitunter darüber diskutiert, ob eine Verwaltungsaufgabe überhaupt eine Verwaltungsaufgabe sein sollte und/oder diese Aufgabe mit Blick auf die Verwaltungskosten nicht günstiger durch einen Markt erbracht werden kann. Ein staatliches Eingreifen ist nur erforderlich, wenn Märkte unter Unvollkommenheiten leiden, wie z. B., dass es zu wenige Anbieter gibt oder ein Überlassen der Aufgabe an Private zu riskant oder rechtsstaatlich unzulässig ist, oder ein Marktversagen vorliegt, weil es keine Anbieter gibt (Knieps 2007, 181, 2010 88 ff.). Nur in diesen Fällen sollte der Staat aus wirtschaftstheoretischer Sicht eine Aufgabe übernehmen, die für das Gemeinwohl erforderlich ist (z. B. Öffentliche Sicherheit oder Verteidigung). Es gibt auch staatlich simulierte Märkte, wie den Emissionshandel, die dieselben Anreizwirkungen wie funktionierende Märkte entfalten sollen (Kobes 2004, 513 ff.; Kreiter-Kirchhof 2019, 398).

4.4.2.3 Selbstkoordination Selbstkoordination liegt in struktureller Hinsicht zwischen Hierarchie und Markt. Sie findet entweder über die formale oder informale Organisation der öffentlichen Verwaltung statt. Selbstkoordination in der formalen Organisation liegt vor, wenn Organisationen oder Organisationseinheiten über organisatorische Selbstständigkeit und/oder über eigene Ermessens- und Entscheidungsspielräume verfügen, um abgegrenzte Aufgaben eigenständig zu erledigen oder Querschnittsaufgaben zu koordinieren. Entsprechende Regelungen ergeben sich aus Organisationsplänen, Geschäftsordnungen oder Geschäftsverteilungsplänen. Die Selbstkoordination kann sich auch aus der informalen Organisation ergeben (Bohne 2023, 6.1.2.3.; Mayntz 1997, 113). Während die formale Organisation verbindlich die Zuständigkeiten und Prozesse innerhalb der Organisation regelt,

86

4 Verwaltungsorganisation

besteht die informale Organisation aus den ungeschriebenen Strukturen und Prozessen innerhalb von Organisationen, die auf Tauschmechanismen basieren, die sich beispielsweise in Ausdrücken wie dem „kleinen Dienstweg“ wiederfinden und als Alternative oder Ergänzung zur Koordination über die hierarchische Linienstruktur fungieren. In prozessualer Hinsicht befindet sich die Selbstkoordination zwischen Befehl und Tausch bzw. formaler und informaler Organisation. Je nachdem, ob sie über die formale Organisation oder die informale Organisation erfolgt. In Bezug auf die Linienorganisation spricht man auch von „horizontaler Selbstabstimmung“ (Schreyögg und Geiger 2016, 82), wenn an der Linienstruktur und den damit verbundenen Zustimmungsprozessen vorbei eine Koordination zwischen einzelnen Organisationseinheiten erfolgt. Mit Blick auf die Effizienz bei der Aufgabenerledigung ist Selbstkoordination in hierarchischen Organisationsstrukturen oftmals geboten, um umständliche Entscheidungswege über die Linie zu vermeiden und eine schnelle Aufgabenerledigung zu ermöglichen. Selbstkoordination ist ein zentrales Element der Regierungs- und Verwaltungssteuerung in der Bundesrepublik. Sie findet häufig im „Schatten der Hierarchie“ statt, der die Voraussetzungen und Bedingungen für eine erfolgreiche Selbstkoordination schafft (Scharpf 2000,197). Die Verhandlungsbereitschaft und Konsensorientierung zwischen den betroffenen Verwaltungsorganisationen und Organisationseinheiten wird dadurch erhöht, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, Konflikte auf der nächsthöheren Ebene durch hierarchische Entscheidungen klären zu können. Dies führt dazu, dass sich unterschiedliche Foren entwickelt haben, in denen Selbstkoordination stattfindet. Hinzu kommt, dass der nachgeordnete Verwaltungsbereich keiner ständigen hierarchischen Kontrolle unterliegt und über mehr oder minder große Gestaltungs- und Handlungsspielräume zur Selbstkoordination verfügt, die er zur Verfolgung eigener Organisationsziele und Interessen nutzen kann (Bogumil und Jann 2020, 110; Döhler 2005, 2007, 323 ff.).

4.4.3

Selbstkoordination durch Netzwerke

Die Länder nutzen als Gremien der Selbstkoordination die Ministerpräsidentenund Fachministerkonferenzen.

4.4 Koordination

87

4.4.3.1 Ministerpräsidentenkonferenz Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) gilt als das wichtigste „Gremium der Selbstkoordination“ der Länder (Behnke und Kropp 2021, 43; Lennartz und Kiefer 2014,190), um gemeinsame Positionen abzustimmen und ein einheitliches Vorgehen zu ermöglichen. Sie ist seit 1954 eine ständige Einrichtung, und es sind mindesten vier Treffen der Regierungschefs der Länder pro Jahr vorgesehen. Bei zwei dieser vier Treffen ist auch eine Einbeziehung des Bundeskanzlers vorgesehen. Der Vorsitz rotiert zwischen den Ländern und wechselt jährlich im Herbst. Die MPK ist kein Verfassungsorgan des Bundes, sondern ein informales Koordinierungsgremium der Länderregierungen, weshalb ihre Beschlüsse auch keine rechtliche, sondern nur eine politische Bindungswirkung haben. In der Vergangenheit war die Voraussetzung für die gemeinsame Beschlussfassung ein Konsens zwischen den Ländern, aber seit 2004 reicht die Zustimmung von 13 von 16 Länderchefs für einen gemeinsamen Beschluss aus (Niedersachsen 2022). In der Corona-Pandemie war die MPK ein wichtiges Gremium zur Koordination der Infektionsschutzmaßnahmen der Länder nach dem Infektionsschutzgesetz.

4.4.3.2 Fachministerkonferenzen Neben der Ministerpräsidentenkonferenz haben sich noch Fachministerkonferenzen als ständige Einrichtungen etabliert, die der Selbstkoordination der Fachebene dienen. Auch wenn es sich hierbei um Einrichtungen der Länder handelt, sind die Bundesminister in diese Gremien eingebunden. In 2020 gab es folgende Konferenzen: Agrarministerkonferenz (AMK); Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK), Bauministerkonferenz (ARGEBAU), Europaministerkonferenz (EMK), Finanzministerkonferenz (FMK), Gesundheitsministerkonferenz (GMK), Gleichstellungs- und Frauenminister der Länder (GFMK), Innenministerkonferenz (IMK), Integrationsministerkonferenz (IntMK), Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK), Justizministerkonferenz (JUMIKO), Kultusministerkonferenz (KMK), Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO), Sportministerkonferenz (SMK), Umweltministerkonferenz (UMK), Verbraucherschutzministerkonferenz (VMK), Wirtschaftsministerkonferenz (WMK). Die Konferenzen tagen im Regelfall im Konsens. Das heißt, gemeinsame Beschlüsse kommen nur zustande, wenn kein Land ein Veto einlegt. Die Beschlüsse haben ebenfalls keine rechtliche, sondern nur eine politische Bindungswirkung. Im Zuständigkeitsbereich dieser Fachministerkonferenzen sind Bund-/LänderArbeitsgemeinschaften oder gemeinsame Arbeitskreise angesiedelt, die dem fachlichen Austausch und der Abstimmung der Fachebene in der Ministerialverwaltung dienen. Diese Gremien werden auch zur Klärung von Vollzugsproblemen

88

4 Verwaltungsorganisation

und zur Abstimmung von rechtlich unverbindlichen Vollzugshilfen für die Verwaltung genutzt (vgl. zum Umweltrecht: Ziekow et al. 2018, S. 60, 70, 193). Sie sind eine zentrale Säule bei der Herstellung eines bundeseinheitlichen und länderübergreifenden Vollzugsverständnisses.

4.4.4

Übernahme vom marktorientierten Managementansätzen

In den 1990er Jahren wurde in der kommunalen Verwaltungssteuerung ein Management-orientierter Ansatz eingeführt, der betriebswirtschaftliche Überlegungen auf die öffentliche Verwaltung übertragen hat und als Neues Steuerungsmodell (NSM) bezeichnet wird (Proeller und Siegel 2021, 394). Ziel der Einführung des NSM war es, das Kostenbewusstsein für die Leistungserbringung zu verbessern und ein produktorientiertes Denken einzuführen (Hill 2019, 973). Dies gilt insbesondere für die Kommunalverwaltung, aber auch bei Reformprojekten der Bundesverwaltung spielten Managementüberlegungen eine zentrale Rolle, wie beispielsweise die Neuorganisation der Zollverwaltung im Jahr 2015 zeigt (vgl. BT-Drs. 18/5294, 16). Allerdings ist umstritten, ob und inwieweit die verfolgten Ziele erreicht wurden (Holtkamp 2008, 423 ff.; Bohne 2023, 4.4.3.2). Was allerdings von dieser Reformbewegung bleibt, ist der Versuch, Managementansätze aus der Privatwirtschaft auf die Verwaltungssteuerung zu übertragen (Hill 2018, 2019; Frederickson et al. 2016, 127 f.). Diese Ansätze werden oftmals als Alternative oder Ergänzung zur hierarchischen Koordination der Verwaltung gesehen.

4.5

Bürokratieabbau

Eng mit der Verwaltungsorganisation sind Prozesse des Bürokratieabbaus verbunden , die einerseits die Verwaltung effektiver, effizienter und bürgernäher gestalten sollen und anderseits vor dem Hintergrund zunehmender Verschuldung der öffentlichen Hand, des demographischen Wandels und regionaler Strukturwandel notwendig werden. Bürokratieabbau ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche rechtliche sowie aufbau- und ablauforganisatorische Reformmaßnahmen, die für private Akteure den bürokratischen Zeit- und Kostenaufwand reduzieren und die Handlungsspielräume erweitern und für staatliche Akteure den Verwaltungs-, Personal- und Zeitaufwand reduzieren sollen (Bohne 2006, 62). Synonyme für

4.5 Bürokratieabbau

89

Bürokratieabbaumaßnahmen sind auch Entbürokratisierung oder Deregulierung, wenn sie Entlastungen für private Akteure beispielsweise dadurch bringen sollen, dass gesetzliche Meldepflichten wegfallen oder vereinfacht werden. Die folgenden Ausführungen fokussieren sich auf aufbau- und ablauforganisatorische Bürokratieabbaumaßnahmen, die die Struktur der Verwaltung betreffen.

4.5.1

Struktur- und Funktionalreformen in Landes- und Bundesverwaltung

4.5.1.1 Strukturreformen Strukturreformen verändern den Verwaltungsaufbau von Bundes- und Landesverwaltungen und zielen in der Regel auf die Reduzierung von Behörden ab. Durch Zentralisierung oder Dezentralisierung von Aufgaben soll eine effektivere und effizientere Aufgabenerledigung ermöglicht werden (Kuhlmann und Bogumil 2021, 273 ff.; Reiners 2008). Hierunter fällt beispielsweise die Abschaffung von Mittelbehörden in der Bundes- und Landesverwaltung. In den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland und SchleswigHolstein wurde der ursprüngliche dreistufige Aufbau der Landesverwaltung mit regionalen Mittelinstanzen durch einen zweistufigen Aufbau oder Sonderbehörden mit funktionalen Zuständigkeiten ersetzt (Reiners 2008). Gleiches gilt auf der Bundesebene für die Bundespolizei und den Zoll, die ebenfalls von einem dreistufigen zu einem zweistufigen Aufbau ihrer Behörden gewechselt haben.

4.5.1.2 Funktionalreformen in den Ländern Bei Funktionalreformen handelt es sich um Aufgabenverlagerungen von der Landesverwaltung auf die Kommunalverwaltung, weshalb man in diesem Kontext auch von „Kommunalisierung“ spricht (Kuhlmann und Bogumil 2021, 273 ff.; Kremer 2011). Diese Aufgabenverlagerung bedeutet allerdings nicht, dass die Kommunen über große Gestaltungspielräume verfügen, da sie hierbei als untere Verwaltungsbehörden der Landesverwaltung handeln und der Rechts- und Fachaufsicht durch das Land unterliegen. Solche Kommunalisierungen haben beispielsweise im Rahmen des Umweltschutzes in Baden-Württemberg stattgefunden (SRU 2007).

90

4.5.2

4 Verwaltungsorganisation

Gebietsreformen in Ländern und Bund

4.5.2.1 Kommunale Gebietsreformen Die Länder sind nicht nur zuständig für die Regelung der Rahmenbedingungen der kommunalen Selbstverwaltung, sondern auch für die Zuordnung ihres Hoheitsgebiets zu Gemeinden und Kreisen. Hier präsentiert sich ein äußert heterogenes Bild, da Zuschnitt, Größe und Anzahl der Gemeinden zwischen den Ländern deutlich variieren. Dies gilt nicht nur zwischen den Ländern, da es auch innerhalb der Länder große regionale Unterschiede gibt. Es gibt in einzelnen Ländern Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern und Gemeinden mit über 100.000 Einwohnern (Großstädte). In den alten Bundesländern haben alle Länder bis auf Rheinland-Pfalz und Schleswig–Holstein ihre kommunalen Gebietsstrukturen bis in die 1980er Jahre drastisch reduziert (Kuhlmann und Bogumil 2021, 279 ff.; Bogumil und Jann 2020, 118; Wallerath 2011, 289). In den 1990er Jahren wurde dies in den neuen Bundesländern nachgeholt (Mehde 2022, Art. 28 Abs. 2 GG, Rn 152). Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wurde eine neue Welle von Gebietsreformen in mehreren Ländern eingeleitet, um auf neue Herausforderungen – wie den demographischen Wandel und Haushaltsnotlagen – zu reagieren. Allerdings sind diese Reformen aufgrund des teilweise großen Widerstands der betroffenen Kommunen weniger radikal verlaufen als noch in den 1970er Jahren (Mehde 2022, Art. 28 Abs. 2 GG, Rn 152).

4.5.2.2 Reform des Bundesgebiets Bereits in der Weimarer Reichsverfassung waren Vorschriften über die Neugliederung des Reichsgebiets in Art. 18 WRV enthalten. Hintergrund war die Feststellung, dass die 25 Gliedstaaten aus historischer und dynastischer Zufallsbildung entstanden waren und der Zuschnitt mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Staatsaufbaus modernisiert werden müsste (Scholz 2022, Rn 1). Trotz der großen Ambitionen blieb der Neugliederungsprozess hinter den Erwartungen zurück, und es gelang lediglich, das Land Thüringen neu zu gründen und Coburg mit Bayern zu fusionieren (Scholz 2022, Rn 1). Ebenso wie die Gliedstaaten der Weimarer Republik sind die Länder der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg das Ergebnis historischer Zufallsbildungen in den einzelnen Besatzungszonen (Schubert 2021, Rn 2). Zwar sieht das Grundgesetz in Art. 29 GG die Möglichkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes vor, wenn die betroffene Bevölkerung per Volksentscheid zustimmt, aber es ist lediglich gelungen, den Südwesten 1951 neu zu ordnen und die bis dato bestehenden Länder Baden, Württemberg-Baden, und Württemberg-Hohenzollern zum Land

4.6 Verwaltungsprivatisierung

91

Baden-Württemberg zu fusionieren. In den 1950 und 1970er Jahren empfahlen unterschiedliche Regierungskommissionen, die Anzahl der Bundesländer auf fünf bis sechs zu reduzieren, um leistungsfähigere Strukturen zu schaffen (Schubert 2021, Rn 4). Allerdings blieb die Empfehlung folgenlos. Im Rahmen der Wiedervereinigung kam die Diskussion wieder auf, wurde jedoch durch die Wiederherstellung der „alten“ Länderstrukturen im Gebiet der ehemaligen DDR wieder verworfen (Scholz 2022, Rn 10; Schubert 2021, Rn 5). Auch die Föderalismusreform von 2006 wurde nicht genutzt, um das Thema Neugliederung anzugehen. Mit Blick auf die Haushaltsentwicklung der Länder in den letzten Jahrzehnten kommen Teile des Schrifttums zu dem Ergebnis, dass eine Neugliederung mittelfristig „unausweichlich“ sein wird, um die Funktionsfähigkeit im Bundesstaat zu erhalten (Schubert 2021, Rn 75).

4.6

Verwaltungsprivatisierung

4.6.1

Privatisierungsformen

Unter dem Begriff Privatisierung können unterschiedliche Formen der Neuorganisation verstanden werden, die sich in die folgenden Bereiche aufteilen lassen (vgl. u. a. Ibler 2022, Rn 80 ff.; Windthorst, Art. 87e GG, Rn 35 ff. und Art. 87 f. GG, Rn 22 ff.; Schmitz 2018, Rn 120 ff.): • Organisationsprivatisierung: Hierbei richtet der Träger der öffentlichen Verwaltung zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben Eigengesellschaften in privat-rechtlicher Form ein. Dies ist beispielsweise in Art. 87e Abs. 3 GG für die Eisenbahnen des Bundes vorgeschrieben. Dadurch können Personalbeschaffung, -einsatz und -entlohnung flexibilisiert werden. Öffentliche Unternehmen des Bundes sind die Deutsche Bahn AG, die Deutsche Post AG und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). • Aufgabenprivatisierung: Eine Aufgabenprivatisierung liegt vor, wenn eine Aufgabe nicht mehr durch die öffentliche Verwaltung, sondern durch Private erledigt werden soll. Hierbei ist zu beachten, dass sich die öffentliche Verwaltung nicht ihrer Pflichtaufgaben durch Privatisierung entledigen darf und bei einer durch Private erbrachten Leistung noch Aufsichts- und Gewährleistungspflichten bestehen, um die Aufgabenerledigung sicherzustellen. In Art. 87 f. Abs. 1 GG wird der Bund verpflichtet, für flächendeckende, angemessene und ausreichende Dienstleistungen im Bereich des Post- und Telekommunikationswesens zu sorgen. Die für private Anbieter liberalisierten Bereiche

92

4 Verwaltungsorganisation

Telekommunikation, Post, Energieversorgung und Schienenverkehr werden durch die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde beaufsichtigt. • Vermögensprivatisierung: Hierunter versteht man die Veräußerung von öffentlichem Eigentum an Private (z. B. Veräußerung von Beteiligungen an Unternehmen im Eigentum des Bundes). • Funktionale Privatisierung: Bei der funktionalen Privatisierung wird der Vollzug der Aufgabe auf einen Privaten übertragen, der als Verwaltungshelfer fungiert. Die Zuständigkeit und Verantwortung für die Aufgabenerledigung verbleiben beim Träger der öffentlichen Verwaltung. Ein Beispiel hierfür sind Öffentlich-Private Partnerschaften, die in Abschn. 4.6.3 behandelt werden.

4.6.2

Öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform

Insgesamt gibt es in Deutschland rund 15.000 Unternehmen in öffentlicher Hand, von denen sich rund 90 % im Besitz von Kommunen befinden (Friedländer et al. 2021, 294). Zu den durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Selbstverwaltungsrechten der Kommunen gehört auch das Recht der eigenen wirtschaftlichen Betätigung, um insbesondere Aufgaben der Daseinsvorsorge (z. B. Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Abfallbeseitigung, Stromversorgung etc.) zu erfüllen (Mehde 2022, Rn 92; Burgi 2019, 256 ff.). Das bedeutet, dass die Kommunen in diesen Bereichen bestimmte Leistungen (z. B. Strom- und Wasserversorgung, Abfall- und Abwasserentsorgung, Personennahverkehr etc.) für ihre Bürgerinnen und Bürger selbst anbieten oder für ein entsprechendes Angebot durch Private sorgen. Kommunale Unternehmen, die privatwirtschaftlich organisiert sind, spielen hierbei eine zentrale Rolle (Schmidt 2014, 357 f.; Pitschas und Schoppa 2009, 469). Während man in der Vergangenheit vor allem auf eine Leistungserbringung durch Private gesetzt hat, konnte man in den letzten Jahren einen Trend zur „Rekommunalisierung“ von Leistungen durch kommunale Unternehmen oder Öffentlich-Private-Partnerschaften beobachten (Friedländer et al. 2021, 300; Schmidt 2014, 358; Leisner-Egensperger 2013, 1111). Dieser Trend wird zum einen durch die Aussicht, Gewinne erzielen zu können, und zum anderen durch eine bessere Steuerbarkeit der Leistungserbringung befeuert (Friedländer et al. 2021, 300). Auf der Bundesebene ist es in den 1990er Jahren in der Bundesverwaltung zu mehreren Organisations- und Aufgabenprivatisierungen in den Bereichen Telekommunikation, Post und Eisenbahnverkehr gekommen, die in den Art. 87e Abs. 3 und 87 f. Abs. 1 GG verankert wurden. Daraus hervorgegangen sind

4.6 Verwaltungsprivatisierung

93

die Deutsche Telekom AG, die Deutsche Post AG, und die Deutsche Bahn AG, die sich noch in Teilen oder vollständiger Eigentümerschaft des Bundes befinden.

4.6.3

Öffentlich-Private-Partnerschaften

Im Kontext der funktionalen Privatisierung spielen so genannte Public Private Partnerships bzw. Öffentlich-Private-Partnerschaften eine besondere Rolle. Sie haben mit Art. 90 Abs. 2 GG inzwischen auch Einzug in die Verfassung gefunden. Demnach wird eine Beteiligung Privater bei Verwaltung und Bau der Bundesautobahnen nicht mehr vollkommen ausgeschlossen (Bauer und Meier 2020, 41). Im Rahmen von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften erfolgt die Erledigung öffentlicher Aufgaben durch eine vertragliche Zusammenarbeit von öffentlicher Verwaltung und Privaten (Bauer 2020, Rn 68; Sack 2019, 276; Schmitz 2018, Rn 274). Man kann zwischen organisatorischen und vertraglichen ÖPP unterscheiden (Sack 2019, 277). Organisatorische ÖPP sind Kooperationen, bei denen staatliche und private Akteure eine gemeinsame Organisation gründen, wie beispielsweise bei einer Teilprivatisierung von Stadtwerken. Vertragliche ÖPP sind durch Aufgabenspezifizierungen gekennzeichnet, in denen die dauerhafte Erbringung einer bestimmten Leistung zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren auf vertraglicher Basis festgelegt wird, wie beispielsweise der Bau und Betrieb einer Teilstrecke der Autobahn. In diesem Kontext haben sich unterschiedliche Modelle herausgebildet, die hierbei in Betracht kommen (vgl. hierzu Bauer 2020, Rn 71 ff.; Siegel 2018, Rn 77 ff.): • Betreibermodell: Ein Privater übernimmt (Teil-)Aufgaben aus den Bereichen Planung, Errichtung oder Betrieb von öffentlichen Einrichtungen auf der Grundlage eines vertraglich vereinbarten Entgelts; • Kooperationsmodell: Der Unterschied zum Betreibermodell besteht darin, dass die Planung, Errichtung oder der Betrieb von öffentlichen Einrichtungen durch ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen erfüllt wird, beim dem die öffentliche Verwaltung über die Mehrheit in der Gesellschaft verfügt; • Konzessionsmodell: Der Private verpflichtet sich vertraglich zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko. Dieses Modell spielt im Infrastrukturbereich eine zentrale Rolle (z. B. Fernstraßenbau). Die Finanzierung der Aufgabenerfüllung erfolgt über Nutzungsentgelte (z. B. Mautgebühren).

94

4 Verwaltungsorganisation

• Leasingmodell: Ein Privater (Leasinggeber) wird vertraglich von der öffentlichen Verwaltung (Leasingnehmer) mit Planung, Bau und Finanzierung eines Objekts beauftragt. Er bleibt zunächst Eigentümer desselben und überlässt dieses der öffentlichen Verwaltung zur Nutzung. Vertraglich geregelt sind Höhe und Dauer der Leasingraten sowie die Option eines späteren Erwerbs des Objekts durch die öffentliche Verwaltung. Diese Betrachtung ist nicht abschließend, und es sind noch weitere Konstellationen möglich. Die Grundidee, dass die Partnerschaft zwischen öffentlicher Verwaltung und Privaten vertraglich geregelt wird, bleibt hierbei gleich. Diese Regelungen sind häufig komplex, anspruchsvoll und problemanfällig. Beispielsweise umfasst das Vertragswerk zum Betrieb der LKW-Maut durch Toll Collect rund 17.000 Seiten (Bauer 2020, Rn 70).

4.7

Zusammenfassung

Die öffentliche Verwaltung besteht aus formalen Organisationen, die auf Rechtsund Verwaltungsvorschriften, Weisungen oder anderen rechtsverbindlichen Entscheidungen beruhen, die die Ziele der Organisationen festlegen, ihnen Aufgaben zuweisen und/oder ihre Arbeitsabläufe regeln. Die formale Organisation der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik ist durch hierarchische Strukturen und Prozesse geprägt, weshalb sie in der Literatur häufig auch als Prototyp einer hierarchischen Organisation bezeichnet wird. Diese hierarchische Organisation spiegelt sich in der Aufbau- und Ablauforganisation der unmittelbaren Bundesund Landesverwaltung wider, bei denen die übergeordneten Behörden (z. B. Bundesministerium des Innern und für Heimat) über Weisungsbefugnis gegenüber den nachgeordneten Behörden (z. B. Bundeskriminalamt) verfügen. Die einzelnen Behörden sind als mehrstufige Linienorganisationen aufgebaut, bei denen die übergeordneten Organisationseinheiten (z. B. Abteilung) über Weisungsbefugnis gegenüber den nachgeordneten Organisationseinheiten (Referaten) verfügen. Die Verantwortung für die Bundes- und Landesverwaltung liegt bei den Regierungen, deren Mitglieder den obersten Bundes- und Landesbehörden, den Ministerien in den Flächenstaaten oder den Senaten in den Stadtstaaten, vorstehen. Der Geschäftsbereich dieser Ministerien umfasst alle Bundes- und Landesbehörden, die diesen nachgeordnet sind. Auf der kommunalen Ebene liegt die Verantwortung für die Kreisverwaltung beim Landrat und für die Gemeindeverwaltung beim Bürgermeister.

Literatur

95

Daneben bestehen aber auch informale Organisationen, die alle ungeregelten Strukturen und Prozesse innerhalb formaler Organisationen umfassen. Diese basieren auf Tauschmechanismen und fungieren als Alternative oder Ergänzung zur formalen Organisation und erfüllen eine zentrale Rolle bei der Befriedigung von Organisationsbedürfnissen. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Element der informalen Organisation als „kleiner Dienstweg“ bekannt, der quer zur Linienorganisation verläuft, um Probleme ohne die Einschaltung der übergeordneten weisungsbefugten Organisationseinheiten zu regeln. Grundsätzlich ist die öffentliche Verwaltung als arbeitsteilige Organisation angelegt, bei der Teilaufgaben durch unterschiedliche Organisationseinheiten wahrgenommen werden und für die Aufgabenerledigung wieder zusammengeführt werden müssen. Ein Vorteil der Arbeitsteilung ist, dass Spezialisierung von Organisationseinheiten zu einer größeren Effizienz bei der Aufgabenerledigung führt und straffere Organisationen ermöglicht. Ein Nachteil ist der damit verbundene Koordinationsbedarf, weshalb die Koordination unterschiedlicher Organisationseinheiten die zentrale Herausforderung der öffentlichen Verwaltung darstellt. Das Problem wird dadurch verstärkt, dass die föderalen Strukturen der Bundesrepublik und die Verteilung von Verwaltungskompetenzen auf unterschiedliche Ebenen keine hierarchische Steuerung von oben nach unten durch Weisung zulassen, da Bundes- und Landesverwaltung voneinander getrennt sind und der Bund nur in Ausnahmefällen über Weisungsrechte gegenüber den Ländern verfügt. Insofern bedarf es im Mehrebenensystem nicht-hierarchischer Koordinationsmechanismen, die von der Bundes- und Landesverwaltung genutzt werden, um ihre Ziele zu verfolgen und ihre Aufgaben zu erledigen. Beispiele hierfür sind die Ministerpräsidentenkonferenz und die Fachministerkonferenzen. Das Erfordernis an die öffentliche Verwaltung, sich ständig zu koordinieren und abzustimmen, führt dazu, dass man sich immer beim kleinsten gemeinsamen Nenner trifft, weshalb es nur zu inkrementellen Reformen kommt. Notwendige Gebiets- und Strukturreformen kommen, wenn überhaupt, nur zustande, wenn der Problemdruck groß genug ist.

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5

Verwaltungshandeln

5.1

Steuerungsperspektive

Allgemein lassen sich zwei Arten des Verwaltungshandelns unterscheiden: • Verwaltungshandeln mit Steuerungsfunktion, d. h. die Verwaltung bezweckt die Beeinflussung des Verhaltens anderer Menschen, und • Verwaltungshandeln ohne Steuerungsfunktion, d. h. die Verwaltung führt rein tatsächliche Verrichtungen durch wie z. B. den Bau eines Hauses oder die Pflege der städtischen Grünanlagen. Im Folgenden wird nur Verwaltungshandeln mit Steuerungsfunktionen behandelt.1 Zwang als Steuerungsmodus ist die Drohung mit und gegebenenfalls der Einsatz von physischer Gewalt. Dieser Steuerungsmodus beruht auf dem Gewaltmonopol des Staates. Seine Instrumente sind Gebote und Verbote. Der Zwangsmodus ist gemeint, wenn von Steuerung durch Hierarchie die Rede ist. Tausch als Steuerungsmodus ist die wechselseitige Gewährung von Leistungen durch zwei oder mehrere Akteure (z. B. Subventionen gegen private Investitionsmaßnahmen). „Leistung“ ist dabei in einem weiten Sinn zu verstehen und umfasst jede Verhaltensweise, einschließlich Unterlassen, an der eine Seite ein Interesse hat. Beispielsweise nimmt die Chemieindustrie bestimmte umweltschädliche Stoffe aus der Produktion; im Gegenzug unterlässt es der Staat, Verbotsregelungen zu treffen.

1

Die Ausführungen zur Steuerungsfunktion und zu den Formen des Verwaltungshandelns sind teilweise übernommen aus Bohne 2023, 5.1.2.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_5

101

102

5 Verwaltungshandeln

Überredung (moral suasion) als Steuerungsmodus erfolgt meist in Gestalt von Informationsbereitstellung, Empfehlungen, Warnungen, Appellen etc. in der Erwartung, dass der Steuerungsadressat hiervon Gebrauch macht und sich in der gewünschten Weise verhält. Überredung besteht also in einer einseitigen Informations- oder sonstigen Leistung. Eine Gegenleistung wird vom Steuerungsadressaten nicht erbracht. Das heißt: Der Steuerungsadressat soll zu einem bestimmten Verhalten „überredet“ werden. Beispiele sind außer Empfehlungen, Warnungen und Appellen indikative gebietsbezogene Pläne (z. B. Regionalpläne), die die erwünschte Nutzung von Gebieten anzeigen, oder die Bereitstellung von Informationen (z. B. Berichte zu bestimmten Themen), die die öffentliche Meinung oder bestimmte Adressatengruppen (z. B. Unternehmen) beeinflussen sollen.

5.2

Formen und Steuerungsmodi des Verwaltungshandelns

Das Verwaltungshandeln lässt sich in drei Handlungsformen unterteilen, in denen die genannten Steuerungsmodi zur Anwendung kommen: formales, informales und schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln.2 Abb. 5.1 verbindet Formen und Steuerungsmodi des Verwaltungshandelns. Formales Verwaltungshandeln umfasst alle Aktivitäten der öffentlichen Verwaltung, die durch Rechtsvorschrift, Verwaltungsvorschrift, allgemeine und besondere Weisungen geregelt und/oder auf das Setzen von Rechtsfolgen gerichtet sind (siehe Abb. 5.1, Sp 2). Handlungsformen sind Verwaltungsakt, Verwaltungsvertrag, öffentlich-rechtliche Willenserklärung, Rechtsverordnung, Satzung, Pläne, Verwaltungsvorschrift, Weisung und privatrechtliche Rechtsgeschäfte (vgl. Maurer und Waldhoff 2020, 201). Informales Verwaltungshandeln bezeichnet rein faktische Handlungen (Realakte), die als Alternative bzw. Ergänzung formalen Verwaltungshandelns auftreten. Es ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: • rechtliche Nichtregelung und Fehlen eines Rechtsfolgewillens, • Tauschprinzip, • Alternativ- bzw. Ergänzungsverhältnis zwischen informalen und formalen Aktivitäten.

2

Dazu ausführlich Bohne 2023, 6.1.2.

5.2 Formen und Steuerungsmodi des Verwaltungshandelns

Steuerungsmodi

Formen staatlichen Handelns Formal

Zwang

Tausch

Überredung

103

Informal

Schlicht

- Gesetz Androhung oder - Rechtsverordnung Einsatz von Zwang - Satzung - Verwaltungsakt - Öffentlich- und privatrechtliche Willenserklärungen - Verwaltungsvorschrift - Allgemeine Weisung - Einzelweisung Geregelte - Normvertretende wirtschaftliche, Absprachen politische und -Vollzugsabsprachen sonstige Anreize -Verfahrensabsprachen -Tauschbasierte soziale Regeln (Institutionen) Geregelte unverbindliche Pläne

Moduskombination - Öffentlich- und privatrechtliche Verträge (Zwang und Tausch) - Rechtsverbindliche Pläne (Zwang und Überredung)

Nicht geregelte einseitige Informations- und Sonstige Leistungen Unverbindliche Planungsabsprachen (Tausch und Überredung)

Abb. 5.1 Steuerungsmodi und Formen staatlichen Handelns. (Quelle: Bohne 2023, 6.1.2.2)

Typisch für informale Handlungsformen sind rechtlich unverbindliche Absprachen, die anstelle von Verwaltungsakten oder öffentlich- bzw. privatrechtlichen Verträgen eingesetzt werden (siehe Abb. 5.1, Sp 3). Schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln besteht aus einseitigen Realakten der öffentlichen Verwaltung, die auf eine bestimmte Verhaltensbeeinflussung abzielen. Beispiele sind staatliche Empfehlungen, Warnungen oder sonstige einseitige Handlungen, die das Verhalten des Bürgers beeinflussen sollen.

104

5 Verwaltungshandeln

Der Steuerungsmodus Zwang ist vor allem für formales Verwaltungshandeln kennzeichnend (siehe Abb. 5.1, Zeile 2). Typisch sind Ge- und Verbote, die bei Nichtbefolgung zwangsweise vollstreckt werden. Ausnahmsweise kann aber auch schlicht hoheitliches Handeln mit der Androhung bzw. dem Einsatz von Zwang verbunden sein. Beispiele sind die Festnahme eines Einbrechers auf frischer Tat und andere Maßnahmen des Sofortvollzugs i. S. des § 6 Abs 2 VwVfG und der Polizeigesetze. In der Praxis können Androhung und Einsatz von Zwang als schlicht hoheitliche Handlungen auftreten, ohne dass die Voraussetzungen des Sofortvollzugs vorliegen. Ein Beispiel ist die Androhung von Folter durch die Polizei, um Informationen zu erhalten, die in einer bestimmten Situation zur Rettung menschlichen Lebens oder zur Verhinderung sonstiger erheblicher Schäden notwendig sind. Dies ist zwar rechtswidrig, kommt aber empirisch vor, wie der Fall des ehemaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten von Frankfurt Daschner zeigt, der einem mutmaßlichen Kindesentführer Folter androhte, wenn er nicht das Versteck des Opfers preisgebe. Tausch ist der zentrale Steuerungsmodus informalen Verwaltungshandelns (siehe Abb. 5.1, Zeile 3). Im Bereich formalen Verwaltungshandelns beruht die Steuerungswirkung wirtschaftlicher und sonstiger Anreizregelungen ebenfalls auf dem Tauschprinzip. Überredung ist der Steuerungsmodus schlicht hoheitlichen Verwaltungshandelns. Im Bereich formalen Verwaltungshandelns kann dieser Steuerungsmodus ausnahmsweise auch auftreten, z. B. bei geregelten, aber rechtlich unverbindlichen gebietsbezogenen Plänen (siehe Abb. 5.1, Zeile 4). Die Kombination verschiedener Steuerungsmodi kennzeichnet öffentlich- und privatrechtliche Verträge der Verwaltung sowie den Planungsbereich. So beruhen Verträge inhaltlich auf dem Tauschprinzip, bedürfen aber gegebenenfalls zur Durchsetzung gerichtlichen Zwangs oder im Falle einer Vollstreckungsklausel nach § 61 VwVfG des Verwaltungszwangs. Die Festlegungen rechtsverbindlicher Pläne (z. B. Bebauungspläne) werden ebenfalls im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt. Bei rechtlich unverbindlichen Planungsabsprachen (z. B. in der Regionalplanung) beruht die Verhaltenssteuerung auf den Steuerungsmodi des Tauschs und der Überredung (siehe Abb. 5.1, Zeile 5).

5.3 Digitalisierung des Verwaltungshandelns

5.3

Digitalisierung des Verwaltungshandelns

5.3.1

Begriff

105

Unter dem Begriff „Digitalisierung“ werden Transformationsprozesse zusammengefasst, die Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung tiefgreifend verändern, indem die fortschreitende Abbildung unserer Realität in maschinenlesbarer Sprache und die Vernetzung von intelligenten Systemen über das Internet es erlauben, Arbeitsprozesse teilweise oder vollständig auf computergesteuerte Algorithmen zu übertragen (Denkhaus 2019, 51). Digitalisierung soll dazu beitragen, dass eine „daten-gestützte“ und „daten-getriebene“ Verwaltung ihre Aufgaben intelligenter erfüllt, ihre Arbeitsprozesse optimiert und politische Entscheidungsprozesse analytischer vorbereitet (Wewer 2019, 202). Beispielsweise ist es möglich, durch die Analyse von Massendaten (Big Data Analytics), neue Erkenntnisse über Zusammenhänge zu gewinnen, die sich bei der Betrachtung von einzelnen Daten nicht ergeben würden. Hierzu gehört beispielsweise die Bestimmung von Verbrechenswahrscheinlichkeiten für möglichst kleinräumige Gebiete, um die Kriminalitätsbekämpfung besser organisieren zu können (Weber 2019, 136). Das Thema Digitalisierung bzw. E-Government ist schon länger auf der Agenda von Politik und Verwaltung auf europäischer und nationaler Ebene, um öffentliche Leistungs- und Beteiligungsprozesse durch den Einsatz des Internets zu optimieren (Schuppan 2019, 506). Bereits im Jahr 2010 wurde auf der Grundlage von Art. 91c GG durch Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern ein IT-Planungsrat eingerichtet, der die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Digitalisierung der Verwaltung koordinieren soll. Der Planungsrat hat bereits 2010 eine Nationale E-Government-Strategie veröffentlicht, die 2015 fortgeschrieben wurde. Demnach soll die Digitalisierung folgende Vorteile für Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung bringen (IT-Planungsrat 2015, 8): • Wirtschaft und Gesellschaft sollen möglichst viele ihrer Anliegen orts- und zeitunabhängig bei gebündelten Anlaufstellen über das Internet erledigen können; • Behörden sollen vernetzt und ebenenübergreifend zusammenarbeiten, um den Verwaltungsaufwand für Wirtschaft und Gesellschaft zu minimieren. Der rechtliche Rahmen hierfür wurde durch das E-Government-Gesetz (EGoVG) und das Onlinezugangsgesetz (OZG) des Bundes sowie entsprechende Gesetze der Länder geschaffen. Allerdings setzt der Einsatz digitaler Systeme auch voraus, dass diese über ein hohes Sicherheitsniveau verfügen, um die Vertraulichkeit,

106

5 Verwaltungshandeln

Integrität und Verfügbarkeit der verwendeten Daten zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere für die Verwendung von personenbezogenen Daten, für die mit Blick auf das Missbrauchspotential hohe Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit zu beachten sind. Insofern sind im Rahmen der Digitalisierung auch datenschutzrechtliche Regelungen, wie das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie entsprechende Regelungen der Länder, bei der Umsetzung zu beachten. Gegenwärtig hinkt die Bundesrepublik bei der Entwicklung und Bereitstellung von digitalen Angeboten deutlich hinter den geweckten Erwartungen her (vgl. u. a. Guckelberger 2019, Rn 155; Schuppan 2019, 512; Nationaler Normenkontrollrat 2021, 14 ff.), weshalb das Thema Digitalisierung der Verwaltung auch im Wahlkampf 2021 eine Rolle gespielt hat. Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag zur Regierungsbildung im Jahr 2021 noch einmal die Notwendigkeit betont, dass Deutschland einen digitalen Aufbruch benötige und die Menschen vom Staat einfach zu handhabende, zeitgemäße, medienbruchfreie und flächendeckende digitale Leistungen erwarten würden (SPD/Grüne/FDP 2021, 15). Grundsätzlich liegt die Digitalisierung quer zu den unterschiedlichen Formen des Verwaltungshandelns, da sie sowohl zu formalem, informalem und schlichtem Handeln genutzt werden kann: • Formales Handeln: Teil- und vollautomatisierte Programme sollen zukünftig in der Lage sein, gebundene Verwaltungsentscheidungen in rechtsverbindlicher Weise zu treffen. • Informales Handeln: Absprachen zwischen Verwaltung und Adressaten können auch auf elektronischem Wege getroffen werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass selbstlernende Maschinen auch in naher Zukunft nicht in der Lage sein werden, als Ersatz für Verwaltungspersonal solche Absprachen zu treffen. • Schlichtes Verwaltungshandeln: Die Bearbeitung von Anfragen, die Erteilung von Auskünften und die Versendung von Informationen kann zukünftig auch durch teil- oder vollautomatisierte Programme erfolgen. Folgende Themenfelder spielen im Rahmen der Digitalisierung der Verwaltung eine zentrale Rolle: die Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen, die Automatisierung von Verwaltungsentscheidungen, die Auswertung und Verknüpfung von Daten sowie der Datenschutz.

5.3 Digitalisierung des Verwaltungshandelns

5.3.2

107

Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen

Die Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen soll dazu führen, dass Vorgänge nicht mehr in Papierform, sondern überwiegend elektronisch bearbeitet werden. Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern, die Prüfung der Anliegen und die Verwaltungsentscheidung sollen zukünftig medienbruchfrei in elektronischer Form bearbeitet werden. Dies setzt einerseits voraus, dass die Verwaltung ihre Aktenführung von der Papierform auf elektronische Aktenführung umstellt und anderseits, dass es für Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit gibt, Anfragen, Anträge, Widersprüche etc. in elektronischer Form an die Verwaltung zu richten. Auch wenn die elektronische Aktenführung schon seit über zehn Jahren auf der Agenda von Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung steht (Denkhaus et al. 2019, Rn. 1 ff.), um medienbruchfrei, ortsunabhängig und parallel auf Vorgänge zugreifen und diese bearbeiten zu können (Braun-Binder 2019), ist immer noch kein flächendeckender Einsatz von E-Akten zur Vorgangsbearbeitung festzustellen. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Diese Verwaltungsportale sollen in Portalverbünden verknüpft werden, so dass der Nutzer über ein zentrales Nutzerkonto die Verwaltungsleistungen abrufen kann, die er benötigt (Martini und Wiesner 2019, 606 ff.). Seit September 2018 ist eine Beta-Version des Bundesportals online (https://www.beta.bund.de), welches allerdings bislang über keine richtige Funktionalität verfügt (Stand September 2022). Der Nationale Normenkontrollrat geht davon aus, dass die Fristen des OZG nicht eingehalten werden und es zu teilweise erheblichen Verzögerungen bei der Umsetzung kommen wird (Nationaler Normenkontrollrat 2021, 14).

5.3.3

Automatisierung von Verwaltungsentscheidungen und Künstliche Intelligenz

Ein zentraler Baustein der Digitalisierung wird die Voll- oder Teilautomatisierung von Verwaltungsentscheidungen sein, um Vorgänge zu beschleunigen und den Personalbedarf drastisch zu reduzieren (Braun-Binder 2019, 312; Guckelberger 2019, Rn 79). Den rechtlichen Rahmen hierfür liefert unter anderem § 35a VwVfG, der die Vollautomatisierung von Verwaltungsakten bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen ohne Ermessens- und Beurteilungsspielraum vorsieht. Fraglich ist, ob lernende Algorithmen zukünftig auch in Verfahren eingesetzt werden können, um Ermessensentscheidungen zu treffen und Beurteilungen

108

5 Verwaltungshandeln

vorzunehmen. In diesem Kontext sieht man großes Potential im Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die zur Prüfung von Anträgen, Entscheidungen über die Bewilligung und die Auszahlung genutzt werden könnten (Guckelberger 2019, Rn 134 ff.). Hinter dem Begriff Künstliche Intelligenz verbirgt sich die Vision, die Lern-, Verarbeitungs- und Problemlösungsprozesse des menschlichen Gehirns in einer Maschine bzw. Software nachzubilden, damit diese selbstständig lernen und verstehen kann. Selbstlernende Programme spielen inzwischen auch schon eine wichtige Rolle bei der Auswertung von Daten und der Mustererkennung (z. B. Krebsvorsorge). Mit Blick auf Entscheidungen von künstlicher Intelligenz muss sichergestellt werden, dass diese ethisch und im Interesse von Menschen sind. Die OECD und die Europäische Kommission haben hierzu bereits Leitlinien und Rahmenvorgaben entwickelt, um die damit verbundenen Gefahren zu adressieren (Guckelberger 2019, Rn 120 ff.). Mit Blick auf den Einsatz in der Verwaltung stellt sich die Frage, ob und in welcher Form automatisierte Entscheidungen einer Nachkontrolle durch Menschen unterzogen werden und wie Künstliche Intelligenzen in der Verwaltung beaufsichtigt werden müssen, um die Rechte der Adressaten zu schützen, die Nachvollziehbarkeit von Maschinenentscheidungen zu gewährleisten und gegebenenfalls korrigierende Eingriffe vornehmen zu können (Braun-Binder 2019, 320; Guckelberger 2019, Rn 83).

5.3.4

Digitale Auswertung und Verknüpfung von Daten (Big Data/Blockchain)

Digitalisierung eröffnet auch neue Möglichkeiten bei der Auswertung und Verknüpfung von Informationen und Daten der Verwaltung, wie beispielsweise die Erstellung und Auswertung von Massendaten (Big Data) oder der Einsatz von Blockchain-Technologie. Die inzwischen zur Verfügung stehende Rechenleistung ermöglicht es, große Datenmengen nach Zusammenhängen zu durchsuchen, um die Informationsgrundlagen zu verbessern. In diesem Zusammenhang wird von Big Data bzw. Big Data Analytics gesprochen (Weber 2019, 136). Im privaten Sektor spielen solche umfangreichen Analysen eine immer größere Rolle, um beispielsweise Zusammenhänge zwischen Präferenzen und Kaufverhalten von unterschiedlichen Kundengruppen zu analysieren und Angebote zu optimieren. Für die öffentliche Verwaltung werden die Möglichkeiten zur Erstellung von Massendaten aus Verwaltungsbeständen und die Analyse dieser Massendaten durch die Grundrechte beschränkt, da personenbezogene Daten nur für einen bestimmten Zweck erhoben und ausgewertet werden dürfen (Guckelberger 2019, Rn 90). Insofern ist

5.3 Digitalisierung des Verwaltungshandelns

109

noch gesellschaftlich und politisch zu klären, ob zukünftig in größerem Umfang Massendaten durch die Verwaltung erstellt und systematisch analysiert werden dürfen. Einen ersten Anwendungsfall gibt es bereits in § 4 des Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten (FlugDaG), der eine Zusammenführung und Auswertung der Fluggastdaten der Luftfahrunternehmen durch die Fluggastdatenzentrale des BKA vorsieht, um Personen zu identifizieren, bei denen mit Blick auf die Informationssysteme der Polizeien Anhaltspunkte vorliegen, dass sie bestimmte Straftaten begangen haben oder begehen werden (Guckelberger 2019, 96 ff.). Blockchain-Technologie wird eingesetzt, um Daten dezentral zu speichern und zu verwalten. Hierbei handelt es sich im Kern um eine große Datenbank, die mit einem Ursprungsblock startet, an den weitere Blöcke als Kette angehängt werden. Das besondere daran ist, dass die Datenbank dezentral organisiert ist, das heißt alle Blöcke werden an alle Teilnehmer der Blockchain übermittelt. Dadurch können größere Datenmengen miteinander verknüpft und manipulations- und ausfallsicher gespeichert werden (Guckelberger 2019 Rn 128 ff.). Eine Veränderung von gespeicherten Daten ist nur möglich, wenn diese von allen Speicherpunkten validiert wird. Die Kontrolle der Authentizität von gespeicherten Daten wird durch alle Speicherpunkte vorgenommen, so dass Daten aus der Blockchain einer ständigen Kontrolle unterliegen. Dieses hohe Maß an Daten- und Manipulationssicherheit wird für bestimmte Dienstleistungen – wie den Vertrieb von Kryptowährungen – benötigt. Großes Potential wird in der Blockchain für Dienstleistungen im Kontext von Vertragsgestaltungen und Verifizierung von Verträgen gesehen, da die Blockchain teilweise die Aufgaben von Anwaltskanzleien oder Notaren übernehmen könnte. Bislang wird diese Technologie noch nicht von der öffentlichen Verwaltung eingesetzt, aber man sieht darin ein großes Potenzial. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition sieht beispielweise die Prüfung des Einsatzes der Technologie beim Grundbuch vor (SPD/Grüne/FDP 2021, 72). Denkbare Einsatzfelder sind öffentlich geführte Register, die automatisierte Auszahlungen von Leistungen oder Herkunftsnachweise, Verifikations- oder Bestätigungsdienste (Guckelberger 2019, Rn 138). Ein großer Nachteil der Blockchain ist der hohe Speicherbedarf, da die Datenkette an zahlreichen Speicherpunkten abgelegt werden muss, um eine sichere Blockchain zu garantieren.

110

5.3.5

5 Verwaltungshandeln

Datenschutz

Eine zentrale Herausforderung im Zusammenhang mit der Digitalisierung ist der Datenschutz, da die öffentliche Verwaltung verpflichtet ist, einen grundrechtskonformen Schutz von personenbezogenen Daten zu gewährleisten. In diesem Kontext spielt das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das vom Bundesverfassungsgericht (1983, Rn 147 ff.) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet worden ist, eine zentrale Rolle. Es erweitert den Schutz der Privatsphäre, indem es dem Einzelnen die Befugnis einräumt, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu entscheiden (Di Fabio 2022, Rn 173 ff.). Hierdurch soll verhindert werden, dass staatliche Stellen personenbezogene Informationen zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen miteinander verknüpfen und auswerten. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb für technisch mögliche Verfahren der Datenerhebung und -auswertung enge Schranken aufgezeigt. Beispiele hierfür sind die Vorratsdatenspeicherung und der Staatstrojaner. Die Vorratsdatenspeicherung verpflichtet die Anbieter öffentlicher Kommunikationsdienste bestimmte Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer für die Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten zu speichern und den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. In einem ersten Urteil hierzu stellte das Bundesverfassungsgericht fest (2010, Rn 224 ff.), das die Pflicht zur anlasslosen und allgemeinen Speicherung dieser Daten nicht generell grundrechtswidrig sei, aber die gesetzlichen Regelungen zur Abrufung und Auswertung strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügen müssen, um einem möglichen Missbrauch vorzubeugen. In der Folge ist es zwar zu Anpassungen der Rechtsgrundlagen gekommen, aber auch diese waren weiterhin umstritten, weshalb die Anwendung ausgesetzt wurde. Der Europäische Gerichtshof hat am 20.09.2022 (Rs. C-793/19, C-794/19) entschieden, dass eine anlasslose Pflicht zur Speicherung von Nutzerdaten nicht mit europäischem Datenschutzrecht vereinbar sei, sondern bestimmte Voraussetzungen vorliegen müssen, um Speicherpflichten zu begründen. Insofern ist eine weitere Überarbeitung der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung zu erwarten, da es eine anlasslose Pflicht zur Datenspeicherung mit dem europäischen Datenschutzrecht unvereinbar ist. Eine anlassbezogene Regelung muss mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit auf den Verdacht von schweren und staatsgefährdenden Straftaten beschränkt werden. In die gleiche Richtung geht die Rechtsprechung zum so genannten Staatstrojaner, also der Möglichkeit der Infiltration und Online-Durchsuchung von

5.3 Digitalisierung des Verwaltungshandelns

111

Computern durch Strafverfolgungsbehörden. In diesem Kontext hat das Bundeverfassungsgericht (2008, Rn 182 ff.) aus dem Recht der informationellen Selbstbestimmung i. V. m. mit dem Telekommunikationsgeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet, das Computersysteme vor einer anlasslosen Ausspähung schützen soll. Die gesetzlichen Regelungen zur Infiltration und Manipulation durch Strafverfolgungsbehörden ist an enge Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu knüpfen und unter Richtervorbehalt zu stellen. In der Diskussion zur Digitalisierung der Verwaltung wird das besonders hohe Niveau des Datenschutzes in der Bundesrepublik, das auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen ist, häufig als Hindernis für Digitalisierungsprozesse gesehen, da Verstöße mit erheblichen verfassungs- und haftungsrechtlichen Konsequenzen versehen sind (Böllhoff und Botta 2021, 425). Dies führt dazu, dass man verwaltungsseitig Digitalisierungsprozessen oftmals skeptisch gegenübersteht, da man die mögliche Gefahr von datenschutzrechtlichen Verstößen und damit verbundene Haftungsansprüche fürchtet. Hinzu kommt, dass das Datenschutzrecht weitgehend europäisiert worden ist und die Rahmenvorgaben für private Akteure und die öffentliche Verwaltung beim Umgang mit personenbezogenen Daten sich aus der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) ergeben. Die DS-GVO dient dem Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten und gewährleistet ein unionsweites Schutzniveau in den Mitgliedstaaten, um den freien Verkehr mit personenbezogenen Daten innerhalb der Union zu gewährleisten (Herbst 2019, 376). Die Grundlogik hierbei ist, dass die Betroffenen als Inhaber von datenschutzrechtlichen Ansprüchen dem für den Datenschutz Verantwortlichen als Verpflichtetem gegenüberstehen. Für den Verpflichteten bestehen beispielsweise Informationspflichten gegenüber den Betroffenen, die wiederum Auskunfts-, Sperr- und Löschpflichten gegenüber dem Verpflichteten geltend machen können, sodass sich auch auf der EU-Ebene das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wiederfindet. Eine große Herausforderung bei der Digitalisierung – insbesondere in miteinander verbundenen Portallösungen – ist die Frage, wer am Ende die Verantwortung für den Datenschutz trägt, wenn beispielsweise Anträge, die personenbezogene Daten enthalten, über das gemeinsam genutzte Portal gestellt werden (Böllhoff und Botta 2021, 425). Für die behördliche Eigenkontrolle der Einhaltung von datenschutzrechtlichen Vorgaben sind die behördlichen Datenschutzbeauftragten und die zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden verantwortlich (Franck 2021, 431 ff.). Für den Bereich des Bundes übernimmt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz

112

5 Verwaltungshandeln

und die Informationsfreiheit (BfDI) diese Aufgabe als unabhängige oberste Bundesbehörde.

5.4

Verwaltungshandeln im Rahmen der Gesetzgebung

5.4.1

Gesetzesvorbereitung

Sowohl auf der nationalen als auch auf der der EU-Ebene ist das Parlament der Gesetzgeber, aber die Vorbereitung des Gesetzgebungsprozesses wird durch die öffentliche Verwaltung dominiert. Nach Art. 76 Abs. 1 GG verfügen die Bundesregierung, der Bundesrat und die Mitte des Bundestages im Gesetzgebungsprozess über das Initiativrecht und können Gesetzesentwürfe in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess einbringen. Im Gesetzgebungsprozess selbst gehen aber über 70 % der Gesetzentwürfe auf die Bundesregierung zurück. Diese Entwürfe werden durch die Ministerialbürokratie vorbereitet. Auf der EU-Ebene verfügt nur die Europäische Kommission im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU nach Art. 294 AEUV über das Initiativrecht, so dass hier alle Entwürfe durch die Kommissionsverwaltung vorbereitet werden. Im Folgenden wird nur das Verfahren zur Erstellung von Gesetzentwürfen durch die Ministerialbürokratie des Bundes vorgestellt. Dies geschieht in ähnlicher Form durch die Europäische Kommission auf EU-Ebene und die Ministerialbürokratie der Länder auf der Landesebene. Auf der Bundesebene ist das Verfahren zur Vorbereitung von Gesetzesentwürfen der Bundesregierung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sowie dem Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) geregelt. Die Federführung für die Erarbeitung einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung obliegt dem Ressort, dem das entsprechende Sachgebiet in der Geschäftsverteilung der Bundesregierung zugewiesen ist (BMI 2012, Rn 78). Innerhalb des federführenden Ressorts ist die für das Sachgebiet zuständige Organisationseinheit für die Ausarbeitung der Vorlage verantwortlich. Die Ausarbeitung selbst erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren. In der Vorphase wird eine Gesetzesfolgenabschätzungen (s. u.) vorgenommen und der rechtsförmliche Referentenentwurf ausgearbeitet. Hierbei wird auch schon ermittelt, wer im Verfahren zu beteiligen ist (§ 41 GG) und das Bundeskanzleramt informiert (§ 40 GGO). Das Abstimmungsverfahren beginnt mit der Hausabstimmung des Referentenentwurfs mit den organisatorisch und fachlich betroffenen Referaten des Ressorts (§ 15 GGO). Nach der Billigung durch

5.4 Verwaltungshandeln im Rahmen der Gesetzgebung

113

die Hausleitung werden andere betroffene Ressorts im Rahmen der Ressortabstimmung beteiligt (§ 45 GGO). In der Haus- und Ressortabstimmung spielt die negative Koordination (Abschn. 4.4.1) eine zentrale Rolle. Letztlich muss zwischen den Ressorts über den Entwurf Einvernehmen hergestellt werden, damit das Kabinett einer Vorlage zustimmen kann. Neben den Ressorts werden auch der nationale Normenkontrollrat (§ 45 GGO), die Länder (§ 47 GGO), die kommunalen Spitzenverbände (§ 47 GGO) und betroffene Fachkreise und Verbände (§ 47 GGO) in Anhörungs- und Abstimmungsprozesse mit eingebunden. Abschließend wird nach entsprechenden Überarbeitungen eine Kabinettvorlage erstellt, die dann als Regierungsentwurf nach § 76 Abs. 1 GG durch das Kabinett beschlossen und in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gegeben wird. Ziel des umfassenden Beteiligungsprozesses ist es, mögliche Probleme, die bei der Erstellung des Referentenentwurfs nicht gesehen wurden oder im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess – insbesondere durch einen möglichen Widerstand der Länder – auftauchen könnten, frühzeitig auszuräumen.

5.4.2

Gesetzesfolgenabschätzung

Zu Beginn des Jahrtausends wurden auf EU-Ebene und in fast allen EUMitgliedstaaten Mechanismen und Instrumente der „Besseren Rechtsetzung“ verankert, um Überregulierung durch unnötige Rechtsvorschriften zu verhindern, den Gesamtbestand der Rechtsnormen auf das notwendige Maß zu reduzieren und die Effektivität und Effizienz der Rechtsnormen zu verbessern (Jantz und Veit 2019, 509; Bohne 2009, 63 ff.). Ziel ist die Rationalisierung und Verbesserung der Transparenz des Rechtsetzungsprozesses für die politischen Entscheidungsträger und die betroffenen Adressaten. Die damit verbundene Gesetzesfolgenabschätzung, die durch die gesetzesvorbereitende Verwaltung vorzunehmen sind, kann in drei unterschiedliche Phasen eingeteilt werden: • Prospektive Gesetzesfolgenabschätzung: Bestimmung des Ausgangsproblems, Ermittlung und Vergleich von geeigneten Lösungsansätzen und Identifikation der am besten geeigneten Lösung; • begleitende Gesetzesfolgenabschätzung: Ermittlung und Bewertung der möglichen Auswirkung eines rechtsförmlichen Entwurfs (insbesondere der Kosten für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung); • retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung: Ermittlung und Bewertung der tatsächlichen Auswirkungen (z. B. Zielerreichung, Kosten etc.) von in Kraft

114

5 Verwaltungshandeln

getretenen Rechtsvorschriften, weshalb man hier auch von Evaluationen spricht (Abb. 5.2). Diesen Kreislauf spiegeln auf der nationalen Ebene die Anforderungen des § 44 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) an Gesetzesentwürfe der Bundesregierung wider, die eine prospektive und begleitende GFA durchlaufen haben müssen, bevor sie durch das Kabinett beschlossen werden können: • Nach § 44 Abs. 1 GGO sind die intendierten Wirkungen, mögliche unbeabsichtigte Nebenwirkungen sowie die Nachhaltigkeit des Regelungsvorhabens darzustellen;

polische Willensbildung

retrospekve

prospekve

GFA

GFA

begleitende GFA

Abb. 5.2 Kreislauf der Folgenabschätzung. (Quelle: Eigene Darstellung)

5.4 Verwaltungshandeln im Rahmen der Gesetzgebung

115

• Nach § 44 Abs. 2 GGO sind die Auswirkungen des Vorhabens auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte darzustellen; • nach § 44 Abs. 3 GGO sind, sofern erforderlich, die Auswirkungen auf die Haushalte der Länder und Kommunen auszuweisen; • nach § 44 Abs. 4 GGO ist der Erfüllungsaufwand i. S. d. § 2 des NKRG für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung zu ermitteln; • nach § 44 Abs. 5 GGO sind die sonstigen Kosten für die Wirtschaft, insbesondere für mittelständische Unternehmen, und die Auswirkungen auf das Preisniveau darzustellen. Gesetzesinitiativen mit wesentlichen Auswirkungen sind nach ihrem Inkrafttreten einer Evaluation zu unterziehen. Entsprechende Evaluationsklauseln sind nach § 44 Abs. 7 GGO in den Gesetzentwurf der Bundesregierung aufzunehmen. Die in der GGO vorgeschriebene Folgenabschätzung wurde seit 2006 schrittweise ausgeweitet, weshalb inzwischen über 30 unterschiedliche Leitfäden und Arbeitshilfen bei der Ausarbeitung von Gesetzen durch die gesetzesvorbereitende Verwaltung berücksichtigt werden sollen, um allen Anforderungen zu entsprechen. Die Ergebnisse der Folgenabschätzung sind im Vorblatt unter A. „Problem und Ziel“, B. „Lösung“ und C. „Alternativen“ auszuweisen. Die Ergebnisse der begleitenden Folgenabschätzung, die sich vor allem auf die Kosten des Entwurfs beziehen sind unter D. „Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand“, E „Erfüllungsaufwand“ und F. „Weitere Kosten“ auszuweisen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Berechnung des so genannten „Erfüllungsaufwands“. Hierbei handelt es sich um eine näherungsweise Abschätzung des gesamten messbaren Zeitaufwands und der Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen (Bundesregierung et al. 2022, 4). Für die Berechnung werden die Vorschriften des Entwurfs in Vorgaben und Prozesse heruntergebrochen, die bei den Adressatengruppen zu Aufwand führen (z. B. Umrüstung einer Anlage oder Erhebung und Übermittlung von Informationen an die Verwaltung). Der durchschnittliche Aufwand wird dann abgeschätzt und mit der Zahl der Fälle und der jährlichen Häufigkeit multipliziert. Die Ergebnisse der Folgenabschätzung, insbesondere die Berechnung des Erfüllungsaufwands, werden durch ein unabhängiges Expertengremium, den Nationalen Normenkontrollrat (NKR), überprüft (Seckelmann 2010, 213 ff.). Entwürfe der Bundesregierung dürfen nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) erst nach dieser Prüfung vorgelegt werden, wenn der NKR hierzu seine Stellungnahme abgegeben hat.

116

5 Verwaltungshandeln

Trotz des hohen Grads der Formalisierung wird die Qualität der einzelnen Folgenabschätzungen und ihre Darstellung in den Gesetzesvorlagen der Bundesregierung regelmäßig kritisiert, da sie nur oberflächlich durchgeführt wurde oder nicht nachvollziehbar ist (Jantz und Veit 2019, 519 f.; Färber und Zeitz 2015, 355; Veit 2010, 180). Ebenso ist aufgrund der zahlreichen und unterschiedlichen Abschätzungsverfahren und Schwerpunkte eine zunehmende Fragmentierung des Verfahrens und der Ergebnisdarstellung zu beklagen, die zu einer zunehmenden Unübersichtlichkeit des Gesamtergebnisses führt.

5.5

Kontrolle des Verwaltungshandelns

Eines der wichtigsten Staatstrukturprinzipien des Art. 20 GG ist das Rechtsstaatsprinzip, das Gewaltenteilung durch besondere Organe der Rechtsetzung, des Vollzugs und der Rechtsprechung, die Bindung der öffentlichen Verwaltung an Verfassung und Gesetz sowie die Möglichkeit zur gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns vorsieht (Grezeszick 2022, Rn 107 ff.; Jarass 2022, Rn 37 ff.; Sachs 2021, Rn 74 ff.). Bezogen auf das Verwaltungshandeln lassen sich aus dem Rechtsstaatsprinzip verwaltungsinterne, parlamentarische und gerichtliche Kontrollmechanismen ableiten.

5.5.1

Verwaltungsinterne Kontrollmechanismen

Grundsätzlich verpflichtet Art. 20 GG zur Gesetzmäßigkeit hoheitlichen Handelns, weshalb innerhalb der Verwaltung unterschiedliche Formen der Kontrolle errichtet wurden, um rechtmäßiges Verwaltungshandeln sicherzustellen. Die erste Form der Kontrolle ergibt sich aus dem hierarchisch-bürokratischen Aufbau der öffentlichen Verwaltung, der ein Aufsichts- und Weisungsrecht der übergeordneten Stellen und Behörden gegenüber den nachgeordneten Stellen vorsieht (Grzeszick 2022, Rn 139). Man kann hierbei zwischen Rechts- und Fachaufsicht unterscheiden. Die Rechtsaufsicht ist lediglich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns bezogen, während die Fachaufsicht auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns prüft. Bezogen auf den Verwaltungsaufbau lassen sich unterschiedliche Formen der Aufsicht im Grundgesetz, den Verfassungen der Länder und den Kommunalverfassungen der Länder finden. Beispielsweise sieht Art. 84 Abs. 3 GG die Rechtsaufsicht des Bundes über den Vollzug von Bundesrecht durch die Länder vor, wenn dieser von den Ländern als eigene Angelegenheit wahrgenommen wird und sie für die Einrichtung

5.5 Kontrolle des Verwaltungshandelns

117

der Behörden und des Verfahrens selbst verantwortlich sind. Führen die Länder Bundesgesetze im Auftrag des Bundes aus, dann steht dem Bund nach Art. 85 Abs. 3 GG nicht nur die Rechts- sondern auch die Fachaufsicht und ein damit verbundenes Weisungsrecht zu. Ergänzend zur behördeninternen und behördenübergreifenden Rechts- und Fachaufsicht gibt es innerhalb von Behörden Beauftragte, die die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns in bestimmten Bereichen zu kontrollieren haben. Hierzu gehört beispielsweise der Beauftrage für den Datenschutz (vgl. § 5 Bundesdatenschutzgesetz) oder der Beauftragte für den Haushalt (vgl. § 9 Bundeshaushaltsordnung). Daneben gibt es in Form von Datenschutzbehörden (z. B. Bundesbeauftragter für den Datenschutz) und Rechnungshöfen (z. B. Bundesrechnungshof) unabhängige Behörden, die die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns der Behörden in den Bereichen überprüfen, für die sie zuständig sind. Ein weiteres Beispiel sind Ombudssysteme, die in bestimmten Bereichen der öffentlichen Verwaltung wie der Kommunalverwaltung, der Pflege und sozialen Arbeit oder der Wissenschaft eingerichtet wurden, um unabhängige Ombudspersonen als Ansprechpartner für mögliche Rechtsverstöße und zur Beaufsichtigung der Einhaltung von Rechtsvorschriften einzusetzen.

5.5.2

Parlamentarische Kontrollmechanismen

In der parlamentarischen Demokratie trägt die Regierung die Verantwortung gegenüber dem Parlament für das Handeln ihrer Verwaltung. Sie verfügt über das erforderliche Aufsichts- und Weisungsrecht, um die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns ihrer Verwaltung sicherzustellen (Abschn. 4.2.2.1). Das Grundgesetz und die Verfassungen der Länder kennen unterschiedliche parlamentarische Kontrollmechanismen, um die Gesetz- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu überprüfen. Folgende Elemente gehören üblicherweise zu diesen parlamentarischen Kontrollmechanismen (vgl. u. a. Austermann und Waldhoff 2020, Rn 531 ff.): • Frage- und Informationsrecht: Die Regierung muss dem Parlament schriftliche Fragen zum Verwaltungshandeln beantworten und damit verbundene Informationen zur Verfügung stellen (vgl. Art. 100 ff. Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages). Regierungsmitglieder können in das Parlament zitiert werden, um dort Fragen direkt zu beantworten (vgl. Art. 43 Abs. 2 GG).

118

5 Verwaltungshandeln

• Untersuchungsrecht: Parlamente können Untersuchungsausschüsse einrichten, um konkretes Verwaltungshandeln (z. B. Vergabe von Beraterverträgen oder Großprojekten) auf Rechtsverstöße und Missstände hin zu überprüfen (vgl. Art. 44 GG). • Bewilligungspflicht: Der Haushalt (vgl. Art. 110 GG) der Verwaltung und bestimmte Regierungsentscheidungen zum Einsatz der öffentlichen Verwaltung – wie beispielsweise Auslandseinsätze der Bundeswehr (vgl. § 3 Parlamentsbeteiligungsgesetz) – bedürfen der Zustimmung durch das Parlament. • Wahl- und Abwahlrecht: Abschließend ist das Parlament noch für die Wahl bzw. Abwahl der Regierung verantwortlich (vgl. Art. 63 GG und Art. 67 GG).

5.5.3

Gerichtliche Kontrollmechanismen

Ein zentraler Baustein der Gewaltenteilung ist die unabhängige Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns durch die Gerichtsbarkeit. Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht jedermann der Rechtsweg offen, der durch die öffentliche Gewalt in seinem Rechten verletzt wird (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann 2022, Rn. 1 ff.). Die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns wird durch die einschlägigen Gerichtsordnungen geregelt. In den meisten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ist hier die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einschlägig. Diese sieht beispielsweise im Rahmen des Individualrechtsschutzes vor, dass man die Aufhebung eines Verwaltungsakts (rechtsverbindliche Einzelfallentscheidung) durch eine Anfechtungsklage oder die Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsaktes im Wege einer Verpflichtungsklage durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit begehren kann (vgl. Art. 42 Abs. 1 VwGO). Im Regelfall muss vor der Einleitung eines Gerichtsverfahrens ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden, das als Vorverfahren dem Adressaten der Entscheidung die Möglichkeit gibt, die erneute Prüfung der Entscheidung durch die zuständige Widerspruchsbehörde zu verlangen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist mehrstufig aufgebaut und reicht vom Verwaltungsgericht über das Oberverwaltungsgericht bzw. den Verwaltungsgerichtshof (in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen) bis zum Bundesverwaltungsgericht. Für bestimmte Streitigkeiten über Verwaltungshandeln sind besondere Gerichtszweige wie die Sozial-, Finanzgerichtsbarkeit oder ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig. Letztere entscheidet beispielsweise über die Beantragung von Untersuchungshaft durch die Strafverfolgungsbehörden. Natürlich spielt auch die Verfassungsgerichtsbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht bei der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns eine

5.6 Zusammenfassung

119

zentrale Rolle. Es kann als letzte Instanz im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Grundrechtsverletzung nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG angerufen werden und ist für die Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern in Fragen der Rechtsaufsicht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zuständig. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden nach Art. 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

5.6

Zusammenfassung

Grundsätzlich lässt sich Verwaltungshandeln drei unterschiedlichen Steuerungsmechanismen zuordnen, um die mit dem Handeln verbundenen Ziele zu erreichen. Diese sind Zwang, Tausch und Überredung. Die Wahl des Mechanismus hängt von den der Verwaltung zur Verfügung stehenden Handlungsformen ab. Diese sind formales Handeln, das auf rechtsförmliche Entscheidungen ausgerichtet ist (z. B. Anordnung zur Auflösung einer Versammlung durch die Polizei), informales Handeln, das als Alternative oder Ergänzung zum formalen Handeln genutzt wird (z. B. Absprache zur Sanierung einer Industrieanlage zwischen Umweltbehörde und Anlagenbetreiber, damit diese wieder den rechtlichen Anforderungen entspricht) und schlichtes Verwaltungshandeln. Während formales und informales Verwaltungshandeln eine Interaktion zwischen Verwaltung und Adressat voraussetzt, ist schlichtes Verwaltungshandeln, einseitiges Handeln durch die Verwaltung (z. B. Information über die Gesundheitsschädlichkeit von bestimmten Stoffen). Aktuell erfährt die öffentliche Verwaltung durch die Digitalisierung eine Erweiterung ihres Handlungsspektrums, da es zukünftig möglich sein wird, dass Verwaltungshandeln nicht mehr nur durch menschliche Verwaltungsmitarbeiter, sondern auch durch intelligente und lernende Maschinen vorgenommen werden kann. Hierbei sind die Einhaltung der Grundrechte der Adressaten des Verwaltungshandelns – insbesondere in Bezug auf die personenbezogenen Daten – sowie die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung von Maschinenentscheidungen zu gewährleisten. Auch wenn die Gesetzgebung mit Blick auf die Gewaltenteilung keine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ist, spielt sie dennoch bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen eine entscheidende Rolle. Die Entwürfe der Europäischen Kommission, der Bundesregierung und der Landesregierungen werden durch ihre jeweiligen Verwaltungen erstellt. Zur Rationalisierung des Prozesses und zur Verbesserung der Transparenz für die politischen Entscheidungsfinder sind dabei

120

5 Verwaltungshandeln

unterschiedliche Formen der Gesetzesfolgenabschätzung vorzunehmen und in den Entwürfen auszuweisen. Das Verwaltungshandeln der öffentlichen Verwaltung unterliegt verwaltungsinternen, parlamentarischen und gerichtlichen Kontrollmechanismen, die dessen Recht- und Zweckmäßigkeit sicherstellen sollen.

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5 Verwaltungshandeln

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6

Öffentlicher Dienst

6.1

Angehörige des öffentlichen Dienstes

Der öffentliche Dienst umfasst alle Beschäftigten, die für eine juristische Person des öffentlichen Rechts tätig sind (Leppek 2019, Rn 1). Das sind Bund, Länder, Kommunen und sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Nicht zum öffentlichen Dienst gehören die Beschäftigten von privatrechtlichen Unternehmen der öffentlichen Hand, z. B. Deutsche Bahn AG. Der Begriff des öffentlichen Dienstes ist also enger als der Begriff der öffentlichen Verwaltung, die auch vom Staat beherrschte Unternehmen in Privatrechtsform umfasst (Bohne 2023, 2.3.1). Im öffentlichen Dienst werden öffentlichrechtliche und privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse unterschieden. Öffentlichrechtliche Beschäftigungsverhältnisse – in Art. 33 Abs 4 GG als öffentlichrechtliche Dienst- und Treueverhältnisse bezeichnet – werden durch Verwaltungsakt, privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse durch Dienst- bzw. Arbeitsvertrag begründet und ausgestaltet. Angehörige des öffentlichen Dienstes aufgrund eines öffentlichrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses sind Beamte, Richter und Soldaten. Nicht zum öffentlichen Dienst zählen die besonderen öffentlichrechtlichen Amtsverhältnisse des Bundespräsidenten, der Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen, der Parlamentarischen Staatssekretäre, des Wehrbeauftragten, des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und der Direktoriumsmitglieder der Deutschen Bundesbank sowie die öffentlichrechtlichen Statusverhältnisse von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der Länderparlamente und kommunaler Vertretungskörperschaften. Auch die Bediensteten von Religionsgesellschaften, die den Status öffentlichrechtlicher Körperschaften besitzen, gehören wegen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_6

123

124

6

Beschäftigungsbereich

Insgesamt

Bund Länder Kommunen Sozialversicherung Insgesamt

0,5 2,5 1,6 0,4 5,0

Beamte und Richter 0,2 1,3 0,2 0,03 1,7

Öffentlicher Dienst

Soldaten

Arbeitnehmer

0,17

0,1 1,2 1,4 0,3 3,0

0,17

Abb. 6.1 Öffentlicher Dienst nach Beschäftigungsverhältnissen und Beschäftigungsbereichen in 2020 (in Mio). (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2021; Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 6, S. 25 (gerundet))

der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs 1 WRV) nicht zum öffentlichen Dienst. Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die auf der Grundlage von privatrechtlichen Dienst- und Arbeitsverträgen tätig sind, sind überwiegend Tarifbeschäftigte. Die Dienst- und Arbeitsverträge der Beschäftigten von Bund und Kommunen sind im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und der Beschäftigten der Länder im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) geregelt. Abb. 6.1 gibt einen Überblick über die Anzahl der öffentlichen Bediensteten nach Beschäftigungsverhältnis und Beschäftigungsbereich im Jahre 2020. Der öffentliche Dienst umfasst rd 5 Mio Angehörige. Davon sind die Mehrzahl Tarifbeschäftigte (3 Mio). 1,7 Mio sind Beamte und Richter. Soldaten sind rd 170000. Die meisten Angehörigen des öffentlichen Dienstes sind bei den Ländern beschäftigt. Es folgt der Kommunalbereich. Die Zahl der Bundesbediensteten beträgt nur etwa 1/5 der Landesbediensteten und 1/3 der Bediensteten im Kommunalbereich. Abb. 6.2 zeigt die Entwicklung der Beschäftigungszahlen im öffentlichen Dienst von 1991–2020. Durch die Wiedervereinigung stieg die Zahl der öffentlichen Bediensteten auf 6,7 Mio im Jahr 1991. Bis zum Jahr 2008 wurde die Zahl der Beschäftigten auf rd 4,5 Mio reduziert. Vor allem in Ostdeutschland wurde der in der DDR aufgeblähte und stark politisierte öffentlichen Dienst verkleinert. Außerdem führte die in den 1990er Jahren vorherrschende neoliberale Ideologie des „schlanken Staates“ (Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ 1997) zum Personalabbau im öffentlichen Dienst. Seit 2008 stieg die Zahl der öffentlichen Bediensteten wieder an, vor allem im Schul- und Hochschulbereich, bei der Kindertagesbetreuung und bei der Polizei (Altis 2018, 58).

6.1 Angehörige des öffentlichen Dienstes

125

Abb. 6.2 Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst von 1991–2020 (in Mio). (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2022)

Entgegen verbreiteten Stammtischparolen ist der öffentliche Dienst in Deutschland nicht aufgebläht. Abb. 6.3 zeigt, dass der Anteil der öffentlichen Bediensteten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen im Jahre 2019 mit 10,6 % im internationalen Vergleich erheblich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten von 17,9 % lag. Das Durchschnittsalter der öffentlichen Bediensteten betrug im Jahre 2017 44,5 Jahre; 49 % aller Beschäftigten waren 47 Jahre und älter, sodass voraussichtlich mehr als die Hälfte des Personals in den nächsten 20 Jahren altersbedingt sowie aufgrund vorzeitiger Pensions- und Renteneintritte in den Ruhestand treten wird (Altis 2018, 62). Angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung stellt der demographische Wandel die Alterssicherungssysteme des öffentlichen Dienstes vor große Herausforderungen. Wie Abb. 6.2 zeigt, waren im Jahr 2020 mehr Frauen (rd 2,8 Mio, 57 %) als Männer (rd 2,1 Mio, 43 %) im öffentlichen Dienst beschäftigt. Ein besonders hoher Frauenanteil findet sich vor allem in kommunalen Kindertagesstätten, Hochschulen und Schulen (Altis 2018, 60). Allerdings ist der Frauenanteil an Führungspositionen wesentlich geringer (21 % bezogen auf die B- Besoldung von Führungskräften) als der Männeranteil. Die allgemeinen Verdienstunterschiede zwischen Männer und Frauen werden im öffentlichen Dienst auf 5,6 % zum Nachteil der Frauen geschätzt. Für die Privatwirtschaft wird die Verdienstlücke allerdings etwa viermal so groß angesetzt (Altis 2018, 65). Abb. 6.4 gibt einen Überblick über die Verteilung der öffentlichen Bediensteten insgesamt auf die sechs personalintensivsten Aufgabenbereiche sowie über

126

6

Öffentlicher Dienst

Abb. 6.3 Anteil des öffentlichen Dienstes an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in OECDStaaten 2007 und 2019. (Quelle: OECD, Government at a glance 2021, S. 101)

die Verteilung der Bediensteten in diesen Aufgabenbereichen jeweils bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung. Die meisten Bediensteten sind im Bereich der Schulen und Hochschulen beschäftigt, die überwiegend Ländereinrichtungen sind. Der zweitgrößte Anteil der Beschäftigten entfällt auf den Sozialbereich mit dem Schwerpunkt bei den Kommunen. Es folgt der Bereich der politischen Führung und zentralen Verwaltung, der ebenfalls auf Kommunalebene am personalintensivsten ist, da überwiegend die Kommunalverwaltung für die Angelegenheiten der Bürger zuständig ist. Die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung werden vornehmlich auf Landesebene wahrgenommen und sind dort nach Schulen und Hochschulen der Aufgabenbereich mit dem zweitgrößten Anteil der Landesbediensteten. Umweltschutz, Gesundheitswesen, Sport und Erholung sind vor allem auf kommunaler Ebene personalintensiv. Die Landesverteidigung ist naturgemäß eine Aufgabe des Bundes und dort der bei weitem personalintensivste Bereich. Die Personalausgaben für den öffentlichen Dienst betrugen im Jahr 2016 insgesamt 271 Mrd Euro (Statistisches Bundesamt 2017, 28 f.). Der Anteil der Personalausgaben für den öffentlichen Dienst an den Gesamtausgaben des Staates

6.2 Funktionen und Strukturen des öffentlichen Dienstes

Aufgabenbereich

Aufgabenträger insgesamt

Gesamtaufgaben

100 (4968020)

Schulen, Hochschulen Soziale Sicherung, Familie, Jugend, Arbeitsmarktpolitik Politische Führung und zentrale Verwaltung Öffentliche Sicherheit und Ordnung Gesundheit, Umwelt, Sport, Erholung Verteidigung

Bund

Länder

100 100 (509920) (2493310)

127

Kommunen Sozialversicherung

100 (1596810)

31,2

0,1

57,8

7,0

17,1

0,6

0,7

27,8

10,7

8,2

6,0

21,6

10,1

11,9

12,2

8,9

5,2

1,8

1,9

13,0

4,8

47,5

100 (367975)

100

Abb. 6.4 Die sechs personalintensivsten Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes (in %). (Quelle: Statistisches Bundesamt 2021, Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 6, S. 45 (eigene Berechnung))

belief sich auf 20,4 %. Am höchsten war die Personalausgabenquote bei den Ländern mit 37,6 %. Sie betrug bei den Kommunen 26 % und beim Bund 13 %. Diese Zahlen spiegeln die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen wider, die auf Landes- und Kommunalebene besonders personalintensive Aufgaben umfaßt.

6.2

Funktionen und Strukturen des öffentlichen Dienstes

6.2.1

Funktionen

Der öffentliche Dienst hat für das Gemeinwesen Aufgabenerledigungs-, Ausgleichs- und Stabilisierungsfunktionen. Eine Funktion des öffentlichen Dienstes ist die effektive, effiziente und gesetzmäßige Erledigung der Aufgaben von öffentlicher Verwaltung, Gerichten und

128

6

Öffentlicher Dienst

Militär. Zu den Verwaltungsaufgaben gehören der Gesetzesvollzug, die Planung und Gestaltung wirtschaftlicher, sozialer, ökologischer und sonstiger Lebensverhältnisse des Bürgers sowie die Vorbereitung von Gesetzen und der Erlass untergesetzlicher Rechtsvorschriften. Die Daseinsvorsorge – d. h. die Aufrechterhaltung zufriedenstellender kollektiver Lebensbedingungen – ist eine zentrale Aufgabe des öffentlichen Dienstes. Eine zweite Funktion des öffentlichen Dienstes besteht darin, auf einen Ausgleich der vielfältigen, oft widerstreitenden Interessen im pluralistischen Gemeinwesen hinzuwirken. Insbesondere die Belange nicht oder schwach organisierter Bürger muss er wahren. Der öffentliche Dienst ist oft der einzige Akteur, der ausreichende Sachkenntnisse und Ressourcen besitzt, um der rücksichtslosen Durchsetzung mächtiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen entgegenzutreten. Ein spektakuläres Beispiel hierfür ist die Aufdeckung und Unterbindung der betrügerischen Manipulation der Abgaswerte von Kraftfahrzeugen durch die Automobilindustrie. Schließlich besitzt der öffentliche Dienst die Funktion, durch sachkompetente, politisch neutrale und gesetzestreue Arbeit zur Stabilität des Gemeinwesens beizutragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung für das Berufsbeamtentum die genannten Funktionen dahingehend formuliert, „dass das Grundgesetz in Anknüpfung an die deutsche Verwaltungstradition im Berufsbeamtentum eine Institution sieht, die gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen soll“ (BVerfGE 7,155,162; ähnlich E 114,258,288). Allerdings darf die Ausgleichsfunktion des Berufsbeamtentums gegenüber den „politischen Kräften“ nicht – wie es häufig unter Berufung auf die deutsche Verwaltungstradition geschieht (z. B. Kenntner 2007, 1326) – dahingehend missverstanden werden, dass das Berufsbeamtentum ein Gegengewicht gegen politische Parteien, Parlamente und Regierungen bildet. Hierfür besitzt das Berufsbeamtentum keine verfassungsrechtliche Legitimation (Bull 2007, 1031; Leppek 2019, Rn 4). Lediglich rechtswidrigen Maßnahmen der genannten Akteure hat sich der Beamte entgegenzustellen. Die Funktionsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts für das Berufsbeamtentum ist generell für den öffentlichen Dienst – und damit auch für privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse – maßgebend. So verpflichten die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst die Beschäftigten, „sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im

6.2 Funktionen und Strukturen des öffentlichen Dienstes

129

Sinne des Grundgesetzes (zu) bekennen“ (Hebeler 2008, 254)1 , wobei nach der sog. Funktionstheorie der Umfang der Treuepflicht von der jeweils ausgeübten Tätigkeit abhängt, d. h. dem Lehrer im Angestelltenverhältnis wird eine gesteigerte politische Treuepflicht abverlangt, dem Hausmeister nicht (Domgörgen in Hömig und Wolff 2022, Art. 33 GG, Rn 6).

6.2.2

Strukturen

Das grundlegende Strukturmerkmal des öffentlichen Dienstes ist die Zweiteilung in Beamte und Arbeitnehmer (dazu Mayntz 1997, 135 ff.). Zu den Rechtsgrundlagen gehören für Bundesbeamte (Leppek 2019, Rn 36) u. a, das Bundesbeamtengesetz (BBG), das Bundesbesoldungsgesetz (BBesG), das Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) und das Bundesdisziplinargesetz (BDG) sowie für Landes- und Kommunalbeamte die entsprechenden Beamtengesetze der Länder. Hinzu kommt das Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) des Bundes, das die Statusrechte und -pflichten der Landes- und Kommunalbeamten einheitlich regelt (Art. 74 Abs 1 Nr. 27 GG). Länderspezifische Regelungen gelten für Laufbahnen, Besoldung und Versorgung der Beamten. Zu den wichtigsten Rechtsgrundlagen für Arbeitnehmer gehören das Bürgerliche Gesetzbuch (insbesondere §§ 611 ff. BGB) und die Gesetze des individuellen Arbeitsrechts. Hinzu kommt für Tarifbeschäftigte das Tarifvertragsgesetz (TVG) in Verbindung mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für die Beschäftigten von Bund und Kommunen sowie in Verbindung mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) für die Beschäftigten der Länder (Hoffmann 2018, 3 ff.). Die wichtigsten Strukturmerkmale und -unterschiede von Beamten und Arbeitnehmern sind in Abb. 6.5 aufgeführt. Hauptunterschied ist der öffentlichrechtliche bzw. privatrechtliche Rechtscharakter der Beschäftigungsverhältnisse. Hieraus folgen jeweils unterschiedliche

1

Vgl. § 3 Abs 1 TV-L vom 12.10.2006 i. F. v. 07.11.2017; § 41 TVöD – Besonderer Teil Verwaltung vom 18.04.2018 und § 3 Abs 1.1 TVöD – Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber – jeweils mit der Einschränkung auf Beschäftigte bei Arbeitgebern, „in deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden“. Da sich diese Einschränkung nicht auf die konkrete Tätigkeit der Beschäftigten, sondern generell auf den Aufgabenbereich der Arbeitgeber bezieht, dürfte die Einschränkung ohne große praktische Bedeutung sein, denn Kommunen und andere öffentliche Arbeitgeber nehmen stets auch hoheitliche Aufgaben wahr, so daß sämtliche Beschäftigten dieser Arbeitgeber der Pflicht zur Verfassungstreue unterliegen.

130

6

Öffentlicher Dienst

Beamte

Arbeitnehmer

Öffentliches Recht

Privatrecht

Ernennung durch Verwaltungsakt

Begründung durch Arbeitsvertrag

Regelung durch oder aufgrund von

Ausgestaltung ist einzel- oder

Gesetzen, kein Gestaltungsspielraum

tarifvertraglich geregelt

Laufbahnprinzip (amtsbezogen)

tätigkeitsbezogen

Beendigung nur durch oder aufgrund

Beendigung durch ordentliche oder

einer gesetzlichen Regelung

außerordentliche Kündigung

Alimentationsprinzip

Arbeitsentgelt als Gegenleistung für die

Eigenständige Versorgung

Gesetzliche Rentenversicherung

Streikverbot

Streikrecht

Rechtsweg zu den

Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten

vertraglich geschuldete Leistung

Verwaltungsgerichten

Abb. 6.5 Strukturvergleich zwischen Beamten und Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst. (Quelle: Leppek 2019, Rn 6)

Akte der Begründung, Ausgestaltung und Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse. Hervorzuheben ist die unterschiedliche Organisationsstruktur der Beschäftigungsverhältnisse. Das Beamtentum ist nach dem Laufbahnprinzip organisiert (Leppek 2019, Rn 58 ff.). Eine Laufbahn umfasst alle statusrechtlichen Ämter (Abschn. 6.3.2), die verwandte und gleichwertige Vor-und Ausbildungen voraussetzen, § 16 Abs 1 BBG. Auf Bundesebene gibt es vier Laufbahngruppen: einfacher, mittlerer, gehobener und höherer Dienst. Beispielsweise umfasst letzterer die Ämter Regierungsrat, Oberregierungsrat, Regierungsdirektor und Ministerialrat und setzt ein mit einem Master abgeschlossenes Hochschulstudium und einen in der Regel zweijährigen Vorbereitungsdienst voraus. Jede Laufbahngruppe enthält bis zu acht verschiedene Laufbahnen. Die Laufbahngruppen sind Anknüpfungspunkt für Besoldung und Amtsbezeichnung (siehe Anlage 1 zu § 9 Abs 1 BLV). Auf Länderebene sind die Laufbahngruppen – außer in Brandenburg und im Saarland – auf drei bzw. zwei Laufbahngruppen reduziert oder – wie in Bayern und Rheinland-Pfalz – durch vier Qualifikationsebenen ersetzt worden.

6.3 Berufsbeamtentum

131

Demgegenüber gliedern sich die Beschäftigungsverhältnisse der Tarifbeschäftigten nach Entgeltgruppen. Diese sind tätigkeits-, nicht amtsbezogen. Die Beschäftigten werden in die Entgeltgruppen eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihnen auszuübende Tätigkeit entspricht, § 12 TVöD. Die Eingruppierung erfolgt z. B. für Bundesbedienstete nach dem Tarifvertrag über die Entgeltordnung des Bundes (TV EntgO Bund). Für die Einordnung in Entgeltgruppen sind die Qualifikation der Beschäftigten und die Dauer der Beschäftigung maßgebend. Nach der Entgeltgruppe bestimmt sich der Arbeitslohn, der in Tabellen festgelegt ist. Es gibt 15 Entgeltgruppen (E 1 – E 15), die – in Anlehnung an das Laufbahnprinzip der Beamten – in vier Kategorien eingeteilt sind, die dem einfachen (E 1 – E 4), mittleren (E 5 – E 8), gehobenen (E 9 – E 12) und höheren (E 13 – E 15) Dienst entsprechen (vgl. Mayntz 1997, 143; Hebeler 2008, 111).

6.3

Berufsbeamtentum

6.3.1

Geschichtliche Entwicklung

Das deutsche Berufsbeamtentum ist stark durch seine Tradition geprägt. So bestimmt Art. 33 Abs 5 GG, dass der öffentliche Dienst „unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln“ sei. Zum Verständnis des Berufsbeamtentums ist daher ein kurzer Überblick über seine geschichtliche Entwicklung erforderlich (Hattenhauer 1993; Bull 2007, 1032; Leppek 2019, Rn 12 ff.). Die Anfänge des heutigen Berufsbeamtentums wurzeln im Zeitalter des Absolutismus. Während im Mittelalter die Bediensteten des Landesherren öffentliche Aufgaben auf lehens- und privatrechtlicher Grundlage wahrnahmen, führen der Ausbau der Territorialstaaten, die Entwicklung der Geldwirtschaft und eine zunehmende Reglementierung weiter Lebensbereich im Absolutismus zur Herausbildung einer fachlich kompetenten, dem absoluten Fürsten treu ergebenden Beamtenschaft. Das Beamtenverhältnis beruhte nicht auf vertraglicher Grundlage, sondern wurde durch einen öffentlichrechtlichen Hoheitsakt des absoluten Fürsten begründet und beendet. Der Beamte stand in einem engen Treueverhältnis zum absoluten Fürsten. Als Begründer des deutschen Beamtentums gilt der preußische König Friedrich Wilhelm I (1688–1740), der Grundsätze wie Treue, Fleiß, Unbestechlichkeit, Sparsamkeit und Pünktlichkeit seinen Beamten vorschrieb, die später als typisch preußisches Beamtenethos angesehen wurden (Hattenhauer 1993, 100 ff.). Sein Sohn Friedrich II von Preußen (1712–1786) baute das Beamtentum weiter aus und entwickelte das Beamtenverhältnis von

132

6

Öffentlicher Dienst

einem landesherrlichen Treueverhältnis zu einem Treueverhältnis zum Staat. Er selbst bezeichnete sich als ersten Diener des Staates. Mit dem Verhältnis des Beamten als Diener des Staates waren bestimmte Rechte und Pflichten verbunden, z. B. Ausschluss einer willkürlichen Entlassung. Erste beamtenrechtliche Regelungen enthielt das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (Teil II, Titel 10, §§ 68 ff.), die sich auch heute noch im Beamtenrecht finden, z. B. das Leistungsprinzip (§§ 70 ff.). Das erste selbstständige Beamtengesetz wurde 1805 in Bayern erlassen, die sog. Hauptlandespragmatik (Fisch 2008, 92). Im 19. Jahrhundert wurde das Beamtentum auch in anderen Ländern geregelt. Für Richter erfolgten selbstständige Regelungen. Die Beamten waren den Monarchen in Treue ergeben und von ihnen abhängig. Die Parlamente hatten keinen Einfluss auf die Verwaltung. Die Beamten genossen eine Sonderstellung und verstanden sich als Hüter der Staatlichkeit. Eine konservative Grundhaltung und das unbedingte Eintreten für die Politik der Regierung waren neben der fachlichen Qualifikation Voraussetzung für die Tätigkeit als Beamter. Beispielsweise galten Sozialdemokraten als Staatsfeinde und konnten nicht Beamte werden. In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wurde die politische Bindung der Beamten an die Regierung aufgehoben. Den Beamten wurden die Freiheit der politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistet, Art. 130 WRV. Ferner enthielt die Weimarer Reichsverfassung einige Grundsatzregelungen des Beamtenstatus, die als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums i. S. des Art. 33 Abs 5 GG heute noch Gültigkeit haben, z. B. das Lebenszeitprinzip, Anspruch auf angemessene Versorgungsbezüge, Pflicht zur parteipolitischen Neutralität, Art. 129,130 WRV. Trotz der im Vergleich zur Vorzeit großzügigen Beamtenregelungen in der Weimarer Reichsverfassung blieb die Einstellung der Beamten gegenüber dem demokratisch-parlamentarischen System überwiegend skeptisch bis ablehnend. Die Beamten sahen sich weiterhin in der Tradition des monarchisch geprägten Beamtentums und verstanden sich als Hüter der Staatlichkeit. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das herkömmliche Berufsbeamtentum abgeschafft und durch ein auf den Führer Adolf Hitler eingeschworenes, rassistisch orientiertes Personalregime ersetzt. Aktiver Widerstand wurde nicht geleistet (Landau und Steinkühler 2007, 134; Leppek 2019, Rn 20). Die Haltung der Beamtenschaft gegenüber dem nationalsozialistischen Regime war überwiegend opportunistisch bis zustimmend. Die Beamtenverhältnisse aus der NS- Zeit sind – wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat (BVerfGE 3,58,115 ff.) – mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches am 08.05.1945 erloschen. Das bisherige Berufsbeamtentum erfuhr somit in der Bundesrepublik

6.3 Berufsbeamtentum

133

keine Fortsetzung, sondern wurde durch das Grundgesetz neu begründet (Landau und Steinkühler 2007, 134).

6.3.2

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutscher nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu allen öffentlichen Ämtern. Unter einem öffentlichen Amt ist jede „vom Staat bereitgestellte Position“ (BAGE 155,29–43, Rn 16) zu verstehen, gleichgültig ob der Staat in einer öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Organisationsform tätig wird. Für den öffentlichen Dienst kommen allerdings nur Positionen bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in Betracht. Das Amt in diesem Sinne ist ein institutionalisierter, auf eine Person zugeschnittener Aufgabenbereich, z. B. Regierungspräsident (Voßkuhle und Kaiser 2022, Rn 2; Maurer und Waldhoff 2020, § 21, Rn 37). Die Unterscheidung zwischen Amt und Person ermöglicht es, die Amtshandlung von der konkret handelnden Person zu abstrahieren und ihr eine objektive Amtsautorität und damit erhöhte Akzeptanz zu verleihen. Daneben wird der Amtsbegriff im Dienstrecht im statusrechtlichen und funktionalen Sinn verwendet (Leppek 2019, Rn 55–57). Im statusrechtlichen Sinn bezeichnet der Amtsbegriff die von der Funktion des Beamten losgelöste allgemeine Rechtsstellung, die durch die Zugehörigkeit des Beamten zu einer bestimmten Laufbahngruppe und Besoldungsgruppe sowie durch die Amtsbezeichnung gekennzeichnet ist. Im funktionalen Sinn bezeichnet der Amtsbegriff die Tätigkeit des Beamten entweder abstrakt (z. B. Ministerialrat im Ministerium) oder konkret (z. B. Leiter des Rechtsreferats im Ministerium X). Ferner sind in Art. 33 Abs 2 GG der Grundsatz der Chancengleichheit und das Leistungsprinzip sowie hiermit korrespondierend in Art. 33 Abs 3 GG eine Reihe von Diskriminierungsverboten verankert (Voßkuhle und Kaiser 2022, Rn 75). Art. 33 Abs 4 GG enthält einen Funktionsvorbehalt für hoheitsrechtliche Befugnisse, die in der Regel nur Beamten übertragen werden dürfen. Hauptmerkmale und Grundstruktur des deutschen Beamtentums ergeben sich aus „den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ i. S. des Art. 33 Abs 5 GG. Abb. 6.6 gibt einen Überblick über die wichtigsten Grundsätze, die allgemein anerkannt und zum Teil in den Beamtengesetzen von Bund und Ländern positiviert sind (Voßkuhle und Kaiser 2022, Rn 72 f.; Leppek 2019, Rn 30).

134

6

Öffentlicher Dienst

Allgemein

Beamtenpflichten

Beamtenrechte

Öffentlichrechtliches Dienstverhältnis

Treuepflicht, insbesondere Verfassungstreue Pflicht zur parteipolitischen Neutralität

Anspruch auf Fürsorge durch den Dienstherren

Leistungsprinzip

Lebenszeitprinzip

Pflicht zum vollen, persönlichen Einsatz im Dienst, insbesondere Verbot von Nebenberufen Streikverbot

Laufbahnprinzip

Pflicht zur Amtsverschwiegenheit

Anspruch auf angemessene Dienst- und Versorgungsbezüge (Alimentationsprinzip) Anspruch auf angemessene Beschäftigung Anspruch auf amtsangemessene Bezeichnung Recht auf Beamtenvertretung in Berufsverbänden und Gewerkschaften Beendigung des Beamtenverhältnisses durch oder aufgrund einer gesetzlichen Regelung

Abb. 6.6 Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums i. S. des Art. 33 Abs 5 GG. (Quelle: Eigene Darstellung)

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 148, 296 ff., Rn 118,119) hat in ständiger Rechtsprechung die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums i. S. des Art. 33 Abs 5 GG als institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums qualifiziert und definiert als den „Kernbestand von Strukturprinzipien“…, „die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“ (Merkmal der Traditionalität). „In ihrem Bestand geschützt“, seien aber nur diejenigen Regelungen, „die das Bild des Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, sodass ihre Beseitigung das Berufsbeamtentum als solches antasten würde“, … „mithin die Grundsätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass damit zugleich die Einrichtung selbst in ihrem Charakter grundlegend verändert würde…“ (Merkmal der Substanzialität). Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sollen aber das Beamtentum nicht vergangenheitsorientiert

6.3 Berufsbeamtentum

135

konservieren; vielmehr sind sie gemäß Art. 33 Abs 5 GG zukunftsoffen „fortzuentwickeln“, z. B. im Hinblick auf Frauen- und Familienförderung, Teilzeit- und Telearbeit etc. Die dargestellten Grundsätze des Berufsbeamtentums haben auch Eingang in das Bürokratiemodell von Max Weber gefunden, da sie das preußische Beamtentum prägten, an dem sich Weber orientierte (Bohne 2023, 4.2.3.1).

6.3.3

Beamtenverhältnis

Das Beamtenverhältnis ist ein öffentlichrechtliches Dienst- und Treueverhältnis zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn (§ 4 BBG), i.e. Bund, Länder, Kommunen oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts, denen die Dienstherrenfähigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes verliehen wurde. Das Beamtenverhältnis ist ein Über- und Unterordnungsverhältnis und überwiegend hierarchisch organisiert. Das Treueverhältnis bindet beidseitig den Beamten und den Staat. Die Beamtenpflichten sind in den Beamtengesetzen von Bund und Ländern geregelt. Insbesondere soll sich der Beamte „mit vollem persönlichem Einsatz“ (§ 61 Abs 1 BBG) seinem Beruf widmen. Demzufolge stellt die Besoldung kein Entgelt für bestimmte Dienstleistungen dar, sondern ist eine Gegenleistung des Dienstherrn dafür, dass sich der Beamte ihm mit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung stellt und gemäß den jeweiligen Anforderungen seine Dienstpflicht nach Kräften erfüllt (BVerfGE 114,258,288). Der Treuepflicht des Beamten korrespondiert die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Er hat für den Beamten und seine Familie – auch nach der Beendigung des Beamtenverhältnisses – zu sorgen und ihn zu schützen (§ 78 BBG). Einzelheiten sind in den Beamtengesetzen von Bund und Ländern geregelt. Die Beamtenpflichten haben Grundrechtseinschränkungen für den Beamten zur Folge, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu erhalten (Schnellenbach und Bodanowitz 2020, § 7; Leppek 2019, Rn 200 ff.). Grundsätzlich gelten die Grundrechte auch im Beamtenverhältnis. Sie werden jedoch durch die Grundrechte Dritter, Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (BVerfGE 138,296, Rn 98) und die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (BVerfGE 148,296, Rn 139) in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt. So müssen Polizeivollzugsbeamte, Feuerwehrleute und beamtete Ärzte ihren Dienst ggfs unter Gefährdung von Leben und Gesundheit ausüben.

136

6

Öffentlicher Dienst

Beamte haben bei politischer und weltanschaulicher Betätigung und Meinungsäußerung innerhalb und außerhalb des Dienstes Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren (§ 60 BBG). Dabei ist beispielsweise umstritten, inwieweit die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art.4 Abs 1 GG muslimische Lehrerinnen zum Tragen eines Kopftuchs im Dienst berechtigt. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen im öffentlichen Dienst (Hecker 2020, 425 ff.). Muslimische Lehrerinnen sind nach Auffassung des Gerichts (BVerfGE 138, Rn 80 ff.) zum Tragen eines Kopftuchs in bekenntnisoffenen Schulen berechtigt, solange der Schulfrieden hierdurch nicht gefährdet wird. Ein generelles Kopftuchverbot ist dort nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden gerechtfertigt. Anders hat das Gericht (BVerfG v. 14.01.2020–2 BvR 1333/17, Rn 90 ff.,104, NVwZ 2020, 464 ff.) für den Bereich der Justiz entschieden. Im Unterschied zur bekenntnisoffenen Schule, in der sich die religiös-pluralistische Gesellschaft widerspiegeln soll, sind gerichtliche und gerichtsähnliche Verfahren (z. B. vor Anhörungausschüssen in der Verwaltung) aufgrund von Vorschriften und Tradition durch strenge hoheitliche Formalisierungen geprägt (z. B. Pflicht zum Tragen einer Robe, Erheben bei wichtigen Prozesssituationen, Formalien der Sitzungsleitung). Diese sollen die Neutralität des Staates gewährleisten und gegenüber dem Bürger manifestieren sowie die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sicherstellen. Daher ist es im Bereich der Justiz grundsätzlich zulässig, beispielsweise Rechtsreferendarinen das Tragen eines islamischen Kopftuchs im Rahmen gerichtlicher oder gerichtsähnlicher Verfahren zu verbieten. Die Gesetzgeber besitzt insoweit eine Einschätzungsprärogative. Wie weit generelle Kopftuchverbot in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes zulässig sind, ist umstritten. Je stärker hoheitliche Funktionen des öffentlichen Dienstes betroffen sind (z. B, Polizei, Bundeswehr), umso eher werden generelle Kopftuchverbote zulässig sein. Ferner wird kontrovers diskutiert, ob das Streikverbot für Beamte mit der Vereinigungsfreiheit i. S. des Art. 9 Abs 3 GG und mit Art. 11 Abs 1 EMRK vereinbar ist, der das Streikrecht für jedermann garantiert. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 148,296, Rn 121,144 ff.) hat die Vereinbarkeit des Streikverbots für Beamte mit Art. 9 Abs 3 GG mit der Begründung bejaht, dass das Streikverbot ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums sei, der das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit einschränke. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in einem Fall zum türkischen Streikverbot für Beamte entschieden, dass Art. 11 Abs 1 EMRK das Streikrecht auch für Beamte gewährleiste. Das Bundesverfassungsgericht (E 148,296, Rn 176 ff.) ist jedoch der Auffassung, dass diese Entscheidung für das deutsche Beamtenrecht nicht einschlägig sei. Das deutsche Streikverbot werde durch Art. 11 Abs 2 EMRK

6.3 Berufsbeamtentum

137

gerechtfertigt, der die Einschränkung der Vereinigungsfreiheit zur „Aufrechterhaltung der Ordnung“ und für Angehörige der „Staatsverwaltung“ ausdrücklich zulasse. Die Begründung und funktionelle Änderung des Beamtenverhältnisses erfolgt durch Verwaltungsakt. Die Beendigung des Beamtenverhältnisses tritt durch Tod, Verwaltungsakt oder kraft Gesetzes ein (§§ 10 ff., §§ 27 ff., §§ 30 ff. BBG). Arten des Beamtenverhältnisses sind das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, Zeit, Probe, Widerruf und das Ehrenbeamtenverhältnis (§ 6 BBG). Eine besondere Art des Beamtenverhältnisses ist das des politischen Beamten. Beamte auf Lebenszeit können in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden wenn sie ein Amt bekleiden, bei dessen Ausübung sie „in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen“ (§ 30 BeamtStG). Auf Bundesebene gehören hierzu Staatssekretäre, Ministerialdirektoren, Botschafter ab Besoldungsgruppe A 16 und die Präsidenten einer Reihe von Bundesoberbehörde (z. B. Bundeskriminalamt u. a.). Auf Landesebene sind – je nach Landesregelung – politische Beamte u. a. Staatssekretäre, Regierungs- und Polizeipräsidenten (z. B. § 37 LBG NRW). Der politische Beamte kann jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Auf Verlangen des Dienstherren muss er einer erneuten Berufung in ein Amt mit demselben Endgrundgehalt Folge leisten (§ 57 BBG). In der Praxis ist die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand jedoch meistens endgültig. Finanziell ist für den politischen Beamten im Fall seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand großzügig gesorgt. Er erhält drei Monate weiter seine vollen Bezüge (§ 4 Abs 1 BBesG) und anschließend bis zu drei Jahre lang die Höchstpension aus der Endstufe der Besoldungsgruppe, in der sich bei der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand befand (§ 14 Abs 6 BBesG). Ferner wird ein zusätzliches privates Einkommen (z. B. als Rechtsanwalt) nur im begrenzten Umfang auf die Pensionsbezüge angerechnet (§ 53 Abs 10 BeamtVG). Die Einrichtung des politischen Beamten ist rechtlich und politisch umstritten. Manche sehen hierin eine Gefährdung des beamtenrechtlichen Leistungsprinzips (Franz 2009, 1141 f.) und des Prinzips der politischen Neutralität, die Ämterpatronage begünstigt (Juncker 1974, 206 ff.). Das Bundesverwaltungsgericht (E 128,329) hat klargestellt, dass das Leistungsprinzip uneingeschränkt auch für politische Beamte gilt: „objektive Defizite hinsichtlich … Eignung, Befähigung und Leistung“ politischer Beamter können „nicht durch ‚politisches Vertrauen‘ kompensiert werden.“ Auch das Prinzip der politischen Neutralität gilt für politische Beamte, z. B. bei Personalentscheidungen. Hiermit vereinbar ist die Pflicht politischer Beamte,

138

6

Öffentlicher Dienst

ihre Aufgaben so erledigen, dass sie die politischen Ziele der Regierung – nicht der Opposition – verwirklichen. Hierauf muss die Regierung – etwa nach einem Regierungswechsel – vertrauen können (Schuppert 2000, 683; Voßkuhle und Kaiser 2022, Rn 69). Denn Staatssekretäre, Abteilungsleiter und andere leitende Beamte können den Erfolg einer (neuen) Regierung schon allein durch politisch motivierte Passivität gefährden. Daher bildete sich mit der Entstehung des modernen Beamtentums auch die Institution des politischen Beamten heraus; eine entsprechende Verfügung erging in Preußen schon im Jahre 1848 (Fisch 2008, 95). Die notwendige, aufgabenorientierte politische Funktionalität des politischen Beamten ist zu unterscheiden von einer rein parteipolitischen Funktionalität ohne Aufgabenbezug. Letztere ist eine verfassungswidrige Ämterpatronage (Schuppert 2000, 684). Allerdings wird diese begünstigt durch die üppige Versorgung politischer Beamter im Falle ihrer Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Die schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten ist ein Dienstvergehen (§ 77 BBG), bei dessen Vorliegen von Amts wegen oder auf Antrag des Beamten ein Disziplinarverfahren durchgeführt wird (§§ 17,18 BDG). Soll bei besonders schweren Dienstvergehen eine Zurückstufung oder Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis erfolgen, ist eine Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben (§ 52 BDG). Das Disziplinarverfahren endet durch Einstellungsverfügung (§§ 32,33 BDG) oder im Falle einer Disziplinarklage durch gerichtlichen Beschluss bzw. Urteil (§ 59 BDG).

6.4

Arbeitnehmer

Der öffentliche Dienst umfasst Beamte und Arbeitnehmer. Letztere sind auf der Grundlage eines privatrechtlichen Dienst- bzw. Arbeitsvertrages beschäftigt. Dieser Vertrag ist durch ein gegenseitiges Austauschverhältnis zwischen Dienstherrn und Arbeitnehmer geprägt und unterscheidet sich dadurch vom beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Es werden drei Gruppen von Arbeitnehmern unterschieden: • Tarifbeschäftigte: Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag inhaltlich durch den TVöD (Bedienstete von Bund und Kommunen) oder durch den TV-L (Bedienstete der Länder) gestaltet wird; • außertarifliche Angestellte: Arbeitnehmer, die aufgrund besonders qualifizierter Tätigkeiten ein regelmäßiges Entgelt erhalten, das über das Tabellenentgelt der höchsten Entgeltgruppe (15) hinausgeht (§ 1 Abs 2 Buchst. b TVöD);

6.5 Extremismus im öffentlichen Dienst

139

• leitende Angestellte i. S. des § 5 Abs 3 BetrVG, deren Arbeitsbedingungen einzelvertraglich besonders vereinbart sind (§ 1 Abs 2 Buchst. a TVöD). Übertarifliche Arbeitnehmer sind Tarifbeschäftigte, deren Arbeitsvertrag ein Entgelt über dem üblichen Tarifgehalt vorsieht, im Übrigen aber durch den Tarifvertrag inhaltlich bestimmt wird. TVöD und TV-L sind jeweils in einen Allgemeinen Teil und in mehrere Besondere Teile für einzelne Berufssparten gegliedert. Der Tarifvertrag besteht aus einem schuldrechtlichen und einem normativen Teil (Hoffmann 2018, 224 ff.). Der schuldrechtliche Teil beinhaltet insbesondere die Friedenspflicht. Diese verpflichtet die Tarifvertragsparteien während der Laufzeit des Tarifvertrages Arbeitskämpfe zu unterlassen. Der normative Teil des Tarifvertrages enthält Rechtsnormen, die Inhalt, Abschluss und Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Tarifbeschäftigten gestalten (§§ 1,4 TVG). Zwischen den Regelungen des TVöD bzw. TV-L und dem Beamtenrecht bestehen zahlreiche Gemeinsamkeiten, z. B. Pflicht der Bediensteten zur Verfassungstreue.

6.5

Extremismus im öffentlichen Dienst

Beamte stehen zum Staat in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis und sind zur Verfassungstreue verpflichtet (Art. 33 Abs 4 GG, § 33 Abs 1 Satz 3 BeamtStG, § 7 Abs 1 Nr. 2 BBG). Diese umfasst die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: Menschenwürde sowie Demokratieund Rechtsstaatsprinzip (Art. 1,20 GG, § 4 Abs 2 BVerfSchG). Die Pflicht zur Verfassungstreue besteht auch für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (BVerfGE 39,335) und ergibt sich aus den Arbeits- und Tarifverträgen.2 Das Bundesverfassungsgericht (E 39,334,360) hat die Pflicht zur Verfassungstreue u. a. wie folgt konkretisiert: „Die politische Treuepflicht fordert mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten insbesondere, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. … Der Umstand, dass die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidung über 2

Siehe die Nachweise in Fn 1.

140

6

Öffentlicher Dienst

die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei nicht ergangen ist, hindert nicht, dass die Überzeugung gewonnen und vertreten werden darf, die Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele und sei deshalb politisch zu bekämpfen.“

Um eine einheitliche Anwendung der Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, beschlossen die Regierungschefs von Bund und Ländern3 im Jahre 1972, dass • Bewerber für den öffentlichen Dienst im Falle verfassungsfeindlicher Aktivitäten nicht eingestellt und im Falle einer Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation in der Regel nicht eingestellt werden, • Angehörige des öffentlichen Dienstes wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten oder wegen der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation nach Lage des Einzelfalls entlassen werden können. Zur Umsetzung dieses Beschlusses erließen die Länder Durchführungsbestimmungen4 , die u. a. eine Regelanfrage der Einstellungsbehörde beim Innenministerium des Landes vorsahen, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Einstellung des Bewerbers in den öffentlichen Dienst begründen. Diese Regelungen führten dazu, dass eine Vielzahl vor allem von Anhängern der Deutschen Kommunistischen Partei, des Marxistischen Studentenbundes Spartakus, des Kommunistischen Bundes Westdeutschland und anderer linksextremistischer Organisationen, die z. B. die Einführung der Diktatur des Proletariats und die Beseitigung der bestehenden Verfassungsordnung propagierten, nicht in den öffentlichen Dienst eintreten konnten oder aus ihm entlassen wurden. Für diese Entscheidungen reichte die schlichte Mitgliedschaft in einer linksextremistischen Organisation aus. Diese Praxis stieß im In- und Ausland auf heftige Kritik. Vor allem die anlasslose Regelabfrage sowie die Bewertung der schlichten Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation als Beleg für die fehlende Verfassungstreue eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst oder eines öffentlichen Bediensteten wurden als grundrechtswidrig und Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz betrachtet (Hebeler 2008, 141). Der Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern von 1972 und die Durchführungsbestimmungen der Länder wurden daher in den 1980er Jahren wieder aufgehoben. 3

Ministerialblatt für Nordrhein-Westfalen, 2350, 1972, 342. Vgl. Rundschreiben der Landesregierung von Rheinland-Pfalz vom 05.12.1972, Ministerialblatt Rheinland-Pfalz 1973, Sp 41–50.

4

6.5 Extremismus im öffentlichen Dienst

141

Die Bedrohung des öffentlichen Dienstes durch politischen Extremismus ist jedoch geblieben. Diese Bedrohung geht heute vor allem vom Rechtsextremismus aus. Im Jahre 2021 wurden über dreimal so viele rechtsextremistisch motivierte Straftaten (20201) registriert wie linksextremistisch motivierte Straftaten (6142) (Bundesministerium des Innern 2021, 27, 34). Das Bundesministerium des Innern (2021, 48) kennzeichnet Rechtsextremismus als eine nationalistische, völkische Weltanschauung, die durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie durch eine grundsätzliche Demokratiefeindlichkeit geprägt ist. Der öffentliche Dienst ist durch den Rechtsextremismus besonders gefährdet, da letzterer die öffentliche Verwaltung, Polizei, Bundeswehr und Justiz von innen heraus zu zersetzen droht. Insbesondere können Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden5 eine erhebliche Gefahr für Staat und Gesellschaft darstellen, da sie teilweise über spezielle Fähigkeiten, Zugang zu Waffen und mitunter über sensible Informationen verfügen (Bundesministerium des Innern 2022, 68; siehe auch unten Abschn. 8.5.2 zu Rechtsextremisten in der Polizei.). So ruft der Rechtsextremist6 Björn Höcke, Sprecher der AfD Thüringen und seit 2014 Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag, die „frustrierten Teile des Staats- und Sicherheitsapparates“ auf, ihr Remonstrationsrecht zum Widerstand gegen „die Wahnsinnspolitik der Regierenden“ zu nutzen. Er bezeichnet „die Fach- und Funktionseliten im Mittelbau“ des Staates, „die von einer verantwortungslosen Führung in die falsche Richtung gedrängt werden und zu großen Teilen unzufrieden mit der herrschenden Politik sind“ als „natürliche Verbündete“ der AfD (Höcke und Hennig 2020, 233, 287). Ähnliche Aufrufe zum Widerstand gegen die Regierung wurden auch von anderen Rechtsextremisten an Polizei und Bundeswehr gerichtet (Jakob und Litschko 2019, 59 ff.). Rechtsextreme Netzwerke bestehen in der Polizei, Bundeswehr, Justiz und im Verfassungsschutz (Kleffner und Meisner 2019, 14; von Bebenburg und Voigts 2019, 132 ff., 143). Ermittlungsdaten über Rechtsextremisten wurden von Polizei- und Justizangehörigen an die Betroffenen durchgestochen (Schwarz 5

Zu den Sicherheitsbehörden gehören das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei (BPOL), die Bundestagspolizei (PolDBT), der Bundesnachrichtendiens (BND), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst(BAMAD) mit der Bundeswehr, die Zollverwaltung (Zoll), die Landesverfassungsschutzbehörden (LfV) und die Polizeien der Länder, siehe Bundesamt für Verfassungsschutz 2022, 15. 6 Gemäß Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 26.09.2019 (2 E 1194/19 Me) darf Höcke auch als Faschist bezeichnet werden; zugänglich unter http://www.thovg.thu eringen.de/webthfj/webthfj.nsf/CA8D0148CC67A0D5C125848600482F6C/$File/19-2E01194-B-A.pdf?OpenElement, Zugang am 24.03.2022.

142

6

Öffentlicher Dienst

2019, 71 ff.). Die Bundeswehr hat Probleme mit Rechtsextremismus und Antisemitismus (Walter 2019, 260 ff.). Von 332 gemeldeten rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr in den Jahren 2017 und 2018 betrafen 42 % die Verwendung von NS-Symbolen (z. B. Hitlergruß) und antisemitische Äußerungen (Bundesregierung 2019, 10 ff.). Auffällig viele Mandatsträger der AfD waren früher Angehörige der Polizei oder der Bundeswehr. In der AfD-Bundestagsfraktion sind prozentual (15,4 %) mehr ehemalige Bundeswehrangehörige als in den übrigen Fraktionen (Hock und Naumann 2019, 51; Fiedler 2019, 272). Da Repräsentanten der AfD häufig durch rechtsextremistische Provokationen in der Öffentlichkeit von sich reden machen, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz ein umfangreiches Gutachten zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD, des Flügels, einem informalen Zusammenschluss innerhalb der AfD, und der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der Partei, Anfang 2019 erstellt. Untersucht wurde, inwieweit „tatsächliche Anhaltspunkte“ (§ 4 Abs 1 Satz 3 BVerfSchG) dafür vorliegen, dass Aussagen und Aktivitäten von Führungsfunktionären, sonstigen Funktionären und Mitgliedern und von Organisationseinheiten der AfD sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes, d. h. gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip, richten sowie durch Geschichtsrevisionismus und Verbindung zur nationalsozialistischen Ideologie geprägt sind (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019, B II 1,2 und III 2). Datengrundlage sind Grundsatztexte und programmatische Schriften, Parteitags- und Wahlkampfreden sowie Verlautbarungen im Internet, insbesondere Facebook, der untersuchten Organisationen, ihrer Funktionäre und Mitglieder (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019, B III 1). Das Bundesamt für Verfassungsschutz (2019, A I, II) kommt zu dem Ergebnis, dass „tatsächliche Anhaltspunkte“ für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Aktivitäten von AfD, der Jungen Alternative und des Flügels vorliegen. Demzufolge werden die Junge Alternative und der Flügel als „Verdachtsfälle“ eingestuft, d. h. beide Organisationen werden weiter beobachtet, wobei der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die Speicherung personenbezogener Daten zulässig ist. Anfang 2020 wurden der Flügel und Anfang 2023 die Junge Alternative als „gesichert rechtsextremistische Bestrebungen“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz hochgestuft.

6.5 Extremismus im öffentlichen Dienst

143

Die AfD wurde zunächst als „Prüffall“ und wird seit 2022 als Verdachtsfall7 behandelt, d. h. die Partei wird vom Verfassungsschutz unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet. Der Flügel hat sich aufgrund der Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz im März 2020 aufgelöst. Allerdings dürfte dies ohne praktische Wirkungen sein. Denn der Flügel ist nur ein loser Zusammenschluss von rd. 7000 AfD-Mitgliedern – Gesamtpartei: 30.200 Mitglieder (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019, B IV 1) – um die Führungsfiguren Höcke und Kalbitz, der keine festen Organisationsstrukturen besitzt, sondern nur aus Internet-, E-Mail- und sonstigen tatsächlichen Kommunikationen und Interaktionen besteht (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019, C III 1). Hieran hat sich auch nach Auflösung des Flügels nichts geändert. Vielmehr werden die rechtsextremistischen Aktivitäten der bisherigen Flügel-Mitglieder innerhalb der AfD fortgesetzt. Dies und die Einstufung der AfD als Verdachtsfall muss Folgen haben für die Einstellungspraxis von AfD- Mitgliedern in den öffentlichen Dienst. Zwar ist die schlichte Mitgliedschaft in der AfD dienstrechtlich ohne Bedeutung, da die Partei vom Bundesverfassungsgericht nicht verboten wurde. Rechtlich relevant ist aber, dass insbesondere die Mitglieder des Flügels als eine erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurden und auch nach der Auflösung des Flügels innerhalb der Partei weiterhin aktiv sind. Bewerber für den öffentlichen Dienst, die Mitglied der AfD sind und dem Flügel angehören oder in seine Nachfolgeaktivitäten involviert sind, bieten nicht die Gewähr der Verfassungstreue und dürfen daher gemäß § 7 Abs 1 Nr. 2 BeamtStG nicht in ein Beamtenverhältnis berufen werden (siehe allgemein Siems 2014, 340). Die Prüfung dieser Voraussetzungen erfordert, dass Bewerber für den öffentlichen Dienst nach der Mitgliedschaft in der AfD befragt werden und dass im Falle der Mitgliedschaft eine sog. Bedarfsanfrage (Bundesregierung 2012, 2) bei den Verfassungsschutzbehörden gestellt wird, ob der Bewerber in rechtsextremistische Aktivitäten involviert ist. Letzteres stellt bei Beamten ein Dienstvergehen i. S. der §§ 33, 47 Abs 1 BeamtStG dar und führt zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens (z. B. gemäß § 17 Abs 1 BDG) mit der möglichen Entfernung aus dem öffentlichen Dienst.

7

Verwaltungsgericht Köln, Pressemitteilung v. 08.03.2022, zugänglich unter https://www. vg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen/06_08032022/index.php, Zugang am 24.03.2022.

144

6.6

6

Öffentlicher Dienst

Personalvertretung

Zur Wahrnehmung der Interessen der Beamten und Arbeitnehmer gegenüber der öffentlichen Verwaltung werden aufgrund der Personalvertretungsgesetze von Bund und Ländern in allen Dienststellen mit mindestens fünf Beschäftigten Personalräte durch Wahlen der Beschäftigten gebildet (vgl. § 12 Abs 1 BPersVG). Die Aufgaben der Personalräte sind in umfangreichen gesetzlichen Katalogen geregelt (vgl. § 68 BPersVG). Die Personalräte besitzen Mitbestimmungs-, Mitwirkungs- und Anhörungsrechte. Funktionen der Personalräte sind (Hebeler 2008, 321) • Befriedungsfunktion: Personalrat und Dienststelle haben alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden der Dienststelle zu beeinträchtigen (§ 66 Abs 2 BPersVG), • Interessenausgleichsfunktion: Personalrat und Dienststelle haben darüber zu wachen, dass alle Angehörigen der Dienststelle nach Recht und Billigkeit behandelt werden (§ 67 Abs 1 BPersVG), • Konfliktregelungsfunktion: Personalrat und Dienststelle sollen Konflikte möglichst einvernehmlich beilegen (§ 66 Abs 1 BPersVG), gegebenenfalls findet ein förmliches Einigungsverfahren statt (§§ 69–71 BPersVG). Zwischen den Mitbestimmungsrechten des Personalrats und dem Demokratieprinzip besteht ein Spannungsverhältnis (Hebeler 2008, 329 f.). Nach dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs 2 GG) unterliegen die Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung dem Weisungs- und Aufsichtsrecht der durch Wahlen demokratisch legitimierten Regierung. Es würde dem Demokratieprinzip widersprechen, wenn das Handeln der öffentlichen Verwaltung an die Zustimmung des Personalrats gebunden wäre, dessen Mitglieder von den Beschäftigten gewählt, nicht aber durch Wahlen des Volkes legitimiert sind (BVerfGE 93,37 ff., 67 f.). Die Mitbestimmungsrechte des Personalrats dürfen sich demnach nur auf innerdienstliche Maßnahmen erstrecken und müssen durch die spezifischen, in dem Beschäftigungsverhältnis angelegten Interessen der Beschäftigten gerechtfertigt sein. Bei Entscheidungen von allgemeiner Bedeutung für die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben muss die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gewährleistet sein (BVerfGE 93,37 ff., 70 f.). Die Personalvertretungsgesetze von Bund und Ländern wurden – nach früheren Versuchen, die Mitbestimmungsrechte der Personalräte nach dem Vorbild der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in wirtschaftlichen Unternehmen auszudehnen, – an diese Grundsätze angepasst.

6.7 Personalmanagement

6.7

Personalmanagement

6.7.1

Begriff des Personalmanagements

145

Die Behandlung von Personalangelegenheiten wurde früher überwiegend unter der Bezeichnung „Personalwesen“ oder „Personalwirtschaft“ zusammengefasst und bestand in der Führung der Personalakten, administrativen Maßnahmen und in der Erledigung dienst-und arbeitsrechtlicher Fragen (Oechsler und Paul 2019, 4 ff.). Dabei betonte der Begriff der Personalwirtschaft den ökonomischen Zusammenhang von Personal und Kosten (Berthel und Becker 2017, 20). Heute wirken diese Bezeichnungen etwas verstaubt. Stattdessen werden die Begriffe „Personalmanagement“ oder „Human Resource Management“ bevorzugt. Denn das rein administrative Verständnis der Personalarbeit wurde in der Wirtschaft durch eine unternehmerische Planungsorientierung abgelöst, die die Personalarbeit als eine Funktion der Unternehmensleitung begreift (Steinmann et al. 2013, 695; Oechsler und Paul 2019, 6 ff.). Dort hat sich inzwischen der Begriff des Human Resource Management durchgesetzt, der dem internationalen Sprachgebrauch entspricht und zugleich den Anschein der Modernität vermittelt (Berthel und Becker 2017, 27). Für den öffentlichen Dienst ist der Begriff des Human Resource Management, der den Bediensteten auf das Objekt einer Personalressource reduziert angesichts des Dienst- und Treueverhältnisses zwischen Bediensteten und Dienstherrn nicht sinnvoll. Dagegen ist der Begriff des Personalmanagements auch für den öffentlichen Dienst den Begriffen „Personalwesen“ und „Personalwirtschaft“ vorzuziehen, da er auf die planerisch-gestaltende und aufgabenorientierte Funktion der Personalarbeit hinweist. Im öffentlichen Dienst engen zwar der haushaltsrechtliche Stellenplan, über den das Parlament entscheidet, Laufbahnvorschriften und andere dienstrechtliche Regelungen den Entscheidungsspielraum der öffentlichen Verwaltung, insbesondere im nachgeordneten Bereich erheblich ein. Betriebswirtschaftliche Konzepte des Personalmanagements können daher nur begrenzt auf die öffentliche Verwaltung übertragen werden. Auf der Ministerialenebene, die auch für den nachgeordneten Bereich Personalvorgaben trifft, ist jedoch ein planerisches, an den Verwaltungsaufgaben orientiertes Personalmanagement möglich.

146

6.7.2

6

Öffentlicher Dienst

Funktionen des Personalmanagements

Abb. 6.7 gibt einen Überblick über die Funktionen des Personalmanagements (vgl. Oechsler und Paul 2019, 186 ff.; Bundesministerium des Innern/Bundesverwaltungsamt 2021).

6.7.2.1 Aufgabenanalyse Grundlage des Personalmanagements in der öffentlichen Verwaltung ist die Analyse der Verwaltungsaufgaben, für die ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Personal zur Verfügung stehen muss. Diese umfasst auch eine Aufgabenkritik (Abschn. 2.3.5.2), wieviel Personal für Verwaltungsaufgaben bereitgestellt werden soll, deren Durchführung notwendig ist. Im Hinblick auf die möglichst genaue, vorzugsweise quantitative Ermittlung des Personalbedarfs werden drei Arten von Verwaltungsaufgaben unterschieden (Bundesministerium des Innern/Bundesverwaltungsamt 2021, 38 ff.): quantifizierbare Aufgaben, dispositiv-kreative Aufgaben und neue Aufgaben. Quantifizierbare Aufgaben sind wiederholt anfallende Aufgaben mit gleichen oder ähnlichen Bearbeitungsschritten und Bearbeitungszeiten. Ihre Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsmengen lassen sich exakt messen. Beispiele quantifizierbarer Aufgaben sind regelmäßige Erstellung und Präsentation von Jahresberichten innerhalb eines fest definierten Berichtswesen, Genehmigung von Urlaubs- und Dienstreiseanträgen, turnusmäßige Referats- und andere Besprechungen sowie sonstige Routineaufgaben. Dispositiv-kreative Aufgaben sind konzeptioneller, gestalterischer oder planender Art und erfordern eine geistig-schöpferische Bearbeitung. Bearbeitungszeiten und -mengen sind nicht quantifizierbar. Sie sind inhaltlich einmalig. Die Arbeitsabläufe sind nicht normierbar, sondern orientieren sich situativ an den aktuellen Erfordernissen. Beispiele sind die Erstellung von Gesetzesvorlagen, wissenschaftliche Aufgaben, Leitungsaufgaben. Aufgaben können quantifizierbare und dispositiv-kreative Teilaufgaben umfassen. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung verbreitet. Rein dispositiv-kreative Aufgaben sind eher selten. So umfasst die Öffentlichkeitsarbeit nicht nur konzeptionelle und kreative Aufgaben, sondern auch eine Fülle quantifizierbarer Routinetätigkeiten wie die Erstellung von Pressespiegeln, die Kontrolle von Druckerzeugnissen für die Öffentlichkeitsarbeit, Verbreitung und Durchführung von Pressekonferenzen. Die Aufgabenanalyse erfordert eine möglichst genaue

6.7 Personalmanagement

Abb. 6.7 Funktionen des Personalmanagements. (Quelle: Eigene Darstellung)

147

148

6

Öffentlicher Dienst

Abgrenzung dispositiv-kreativer von quantifizierbaren Teilaufgaben. Dispositivkreative Teilaufgaben sind im Unterschied zu quantifizierbaren Teilaufgaben eher strategisch als operativ, politisch als administrativ-dienstleistend, rechtssetzend als rechtsanwendend, eher konzeptionell als ausführend (Bundesministerium des Innern/Bundesverwaltungsamt 2021, 42). Neue Aufgaben sind Aufgaben, die erstmals anfallen. In diesem Fall sind objektive Werte zu Arbeitsmengen und Bearbeitungsaufwand (noch) nicht bekannt. Nach einem gewissen Erfahrungszeitraum sind neue Aufgaben als dispositiv-kreative oder quantifizierbare Aufgaben einzustufen.

6.7.2.2 Personalbedarfsermittlung Nach der Aufgabenanalyse wird für die festgestellten Verwaltungsaufgaben der Personalbedarf ermittelt. Für die Ausbringung von Planstellen schreibt Nr. 4.4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 17 BHO eine Personalbedarfsermittlung ausdrücklich vor. Unter (Netto-) Personalbedarf ist die Differenz zwischen dem derzeitigen Personalbestand (Ist) und dem für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Personalbestand (Soll) zu verstehen (Berthel und Becker 2017, 314). Zur Ermittlung des Personal-Solls sind die Arbeitsmengen (z. B. Fallzahlen) und die durchschnittlichen Bearbeitungszeiten zu berechnen bzw. zu schätzen. Hierfür sind – je nach Aufgabenart – quantitative oder qualitative Verfahren heranzuziehen (Bundesministerium des Innern/Bundesverwaltungsamt 2021, 130 ff., 154 ff.). Für die Ministerialenebene ist ein vereinfachtes, auf Schätzungen beruhendes Verfahren der Personalbedarfsermittlung vorgesehen, da dort überwiegend politische, dispositiv-kreative Aufgaben zu erledigen sind (Bundesministerium des Innern/Bundesverwaltungsamt 2018, 2.4.4).

6.7.2.3 Personalbeschaffung Zur Deckung das ermittelten Personalbedarfs wird das benötigte Personal verwaltungsintern oder verwaltungsextern auf dem Arbeitsmarkt beschafft (Oechsler und Paul 2019, 212 ff.). Hierzu werden die zu besetzenden Stellen ausgeschrieben. Die Auswahlentscheidungen erfolgen auf der Grundlage der Bewerbungsunterlagen und von Auswahlgesprächen. Seltener werden für die Personalauswahl in der öffentlichen Verwaltung auch Tests und Assessment Center eingesetzt, z. B. bei Neueinstellungen für den höheren Dienst. Sofern die Personalbedarfsermittlung für bestimmte Verwaltungsbereiche eine Personalüberdeckung ergibt, ist der Personalbestand dort zu reduzieren. Im öffentlichen Dienst erfolgen hierzu keine Entlassungen, was bei Beamten rechtlich ohnehin nicht möglich wäre. Vielmehr

6.7 Personalmanagement

149

wird die bereichsspezifische Personalüberdeckung durch Umsetzungen oder den Verzicht auf Nachbesetzung freiwerdender Stellen reduziert.

6.7.2.4 Personaleinsatz Das Management des Personaleinsatzes umfasst theoretisch Entscheidungen über Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit der Beschäftigten (Oechsler und Paul 2019, 256 ff.). Im öffentlichen Dienst ist die Arbeitszeit der Beamten in Rechtsverordnungen und der Arbeitnehmer in Tarifverträgen und Arbeitsverträgen geregelt. Arbeitsort sind der Sitz oder Außenstellen der Beschäftigungsbehörde. Zunehmende Bedeutung gewinnt die Einrichtung von Heimarbeitsplätzen, um die Familienfreundlichkeit des öffentlichen Dienstes zu erhöhen. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, in Situationen, in denen schwierige konzeptionelle Arbeiten anfallen, fallbezogen Heimarbeit zu gestatten, damit die Aufgabe ungestört vom Behördenbetrieb erledigt werden kann. In der Praxis geschieht dies meist auf informellem Wege durch Absprachen zwischen dem Bediensteten und seinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten. Arbeitsinhalte ergeben sich aus Geschäftsverteilungsplänen, generellen und besonderen Weisungen der Dienstvorgesetzten und bei Arbeitnehmern auch aus Arbeitsverträgen.

6.7.2.5 Personalentwicklung Es gibt keinen allgemein anerkannten Begriff der Personalentwicklung, sondern enge und weite Begriffsverständnisse (Oechsler und Paul 2019, 441; Heyder 2019a, 4). Teilweise wird der Begriff der Personalentwicklung auf Aus- und Fortbildung beschränkt. Teilweise umfasst er zusätzlich die Organisationsentwicklung und alle sonstigen Maßnahmen, die die optimale Aufgabenerfüllung durch die Mitarbeiter ermöglichen sollen. Zweckmäßig erscheint für den öffentlichen Dienst, unter Personalentwicklung die Aus- und Fortbildung der Bediensteten sowie alle Maßnahmen der Mitarbeiterförderung und -qualifizierung zu verstehen (Reichard und Röber 2019, 396). Nach § 46 Abs 2 BLV gehören zur Personalentwicklung die dienstliche Qualifizierung, die Führungskräfteentwicklung, Kooperationsgespräche, dienstliche Beurteilungen, Zielvereinbarungen, die Einschätzung der Vorgesetzten durch ihre Mitarbeiter und qualifizierungsfördernde Wechsel der Verwendung, insbesondere auch die Tätigkeiten bei internationalen Organisationen. Bei der Ausbildung der Bediensteten wird zwischen Beamten und Arbeitnehmern unterschieden (Hebeler 2008, 92 ff.). Die Ausbildungsanforderungen

150

6

Öffentlicher Dienst

für Beamte sind im Beamtenrecht von Bund und Ländern geregelt. Anknüpfungspunkt sind Laufbahngruppen bzw. Qualifikationsebenen (Abschn. 6.2.2). Es besteht ein Mischsystem aus verwaltungsexternem Schul- bzw. Hochschulabschluss und verwaltungsinternem Vorbereitungsdienst (§ 17 BBG). Die Ausbildungsanforderungen für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sind nicht laufbahn-, sondern tätigkeitsbezogen (Hebeler 2008, 110 ff.). Sie richten sich nach der Funktion, für die die Arbeitnehmer eingestellt wurden. Ein verwaltungsinterner Vorbereitungsdienst ist nicht obligatorisch. Maßgebend für die Ausbildung der Arbeitnehmer in Tätigkeitsbereichen, die dem einfachen, mittleren und gehobenen Dienst der Beamten vergleichbar sind, ist die Ausbildung in staatlich anerkannten Ausbildungsberufen nach §§ 4 ff. BBiG in Verbindung mit den einschlägigen Ausbildungsordnungen. Hierzu gehören auch Ausbildungsberufe, die auf eine Verwendung in der öffentlichen Verwaltung zugeschnitten sind, z. B. die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Ausbildungsvoraussetzung für Angestellte in Tätigkeitsbereichen, die dem höheren Dienst der Beamten vergleichbar sind, ist ein Hochschulstudium (Hebeler 2008, 113). Die Fortbildung der Bediensteten dient der Erhaltung und Erweiterung ihrer beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Eine Trennung von Fortbildungsmaßnahmen für Beamte und Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten erfolgt nicht. Es gibt keinen allgemein anerkannten Begriff der Fortbildung. Verschiedentlich wird unterschieden zwischen (Püttner 2007, § 12 Rn 107; Hebeler 2008, 114) • Einführungsfortbildung: Einarbeitung in einen neu übernommenen Aufgabenbereich, meist für Berufsanfänger, • Anpassungsfortbildung: Vermittlung neuer Methoden, Verfahren, Techniken und Kenntnisse, z. B. im IT- Bereich, und • Führungs- und Aufstiegsfortbildung: Vorbereitung auf höherwertige Tätigkeiten, insbesondere auf Leitungsaufgaben. Spezielle Rechtsvorschriften für die Fortbildung fehlen. Lediglich § 5 TVöD enthält unter der Bezeichnung „Qualifizierung“ einige allgemeine Hinweise zu Zweck, Inhalt und Verfahren der Fortbildung. Ein Schwerpunkt der Fortbildung liegt bei der Schulung von Angehörigen des höheren Dienstes und Angestellten in vergleichbaren Positionen für Führungsaufgaben. Ziel ist die Förderung (Heyder 2019b, 6 ff.) • fachlich-kognitiver Kompetenzen: fachübergreifendes Wissen, Methodenkenntnisse, Organisationsfähigkeit, strategisches Denken etc.,

6.7 Personalmanagement

151

• sozialer Kompetenzen: Zielorientierung, Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Konfliktmoderationsfähigkeit etc. und • der Selbstmanagement-Kompetenz: Verantwortungsbewusstsein, Zeitmanagement-Kompetenz, Belastbarkeit etc. Zur Fortbildung von Führungskräften haben die Länder – außer BadenWürttemberg, Bayern, Bremen und Hessen – und die Bundesagentur für Arbeit das Führungskolleg Speyer (FKS) an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer eingerichtet. Die übrigen Länder führen die Fortbildung mit eigenen Facheinrichtungen durch. Für Bundesbedienstete findet die Fortbildung in der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV), die Teil des Bundesinnenministeriums ist, sowie für den Sicherheits-und Finanzbereich in speziellen Bundesakademien statt (Hebeler 2008, 116 ff.). In der Praxis der Fortbildung besteht das Dilemma, das gerade besonders leistungsfähige Bedienstete wegen Personalknappheit am Arbeitsplatz nicht entbehrt werden können, so daß ihre Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen vom Vorgesetzten oft auf den Sanktnimmerleinstag hinausgeschoben wird. An dieser Praxis ändert auch die Regelung der Fortbildungsteilnahme als Dienstpflicht (§ 61 Abs 2 BBG) nichts. So besteht gelegentlich die Tendenz zur Negativauslese bei Fortbildungsteilnehmern. Böse Zungen sprechen sogar von einem „Beamtentourismus“ bei der Fortbildung (Püttner 2007, § 12 Rn 109). Zur Ermittlung des Fortbildungsbedarfs sind die Personalbeurteilungen der Bediensteten von Bedeutung, da sie Informationen über die Ist- Qualifikation der Bediensteten liefern (Steinmann et al. 2013, 761). Personalbeurteilungen und Maßnahmen der Führungs- und Aufstiegsfortbildung sollten theoretisch die Grundlage für eine systematische Beförderungs- und Aufstiegsplanung als Teil der Personalentwicklung bilden. In der Praxis findet letztere aber nicht statt (Novak 1994, Rn 1030). Die Besetzung von Stellen folgt weitgehend dem aktuellen Personalbedarf und dient meist der Schließung von Personallücken. Beförderungen richten sich vornehmlich nach dem Dienstalter, außerdem sind politische Beziehungen von Bedeutung (Mayntz 1997, 167 f.). Karrierefördernd sind insbesondere Tätigkeiten als persönlicher Referent des Ministers oder Staatssekretärs. Personalbeurteilungen erfolgen regelmäßig (Regelbeurteilung) – auf Bundesebene in Abständen von höchstens drei Jahren – oder aus besonderem Anlass (Anlassbeurteilung), § 48 Abs 1 BLV. Gegenstand der Beurteilung sind fachliche Leistungen, Befähigung und Eignung des Bediensteten, § 49 Abs 1 BLV. Die Beurteilung der fachlichen Leistung bezieht sich auf die qualitativen und quantitativen Arbeitsergebnisse. Die Beurteilung der Befähigung betrifft die persönlichen Eigenschaften des Bediensteten. Die Einschätzung der Eignung

152

6

Öffentlicher Dienst

besteht in einer Prognose, ob der Bedienstete für bestimmte Aufgaben (z. B. bei einer Beförderung) tauglich ist (Schnellenbach und Bodanowitz 2020, § 11 Rn 16 ff.). Die Beurteilungsmaßstäbe sind meist in Beurteilungsrichtlinien und Beurteilungsformularen standardisiert.8 Fachliche Leistungsmerkmale umfassen u. a. Fachkenntnisse, Qualität und Verwertbarkeit der Arbeitsergebnisse, Zeitmanagement, Darstellungsvermögen etc. Zu den Befähigungsmerkmalen gehören Lernfähigkeit, Auffassungsgabe, Denk- und Urteilsfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit etc. Die beispielhaft aufgeführten Beurteilungsmerkmale zeigen, dass ihre praktische Anwendung unvermeidbar durch subjektive Faktoren der Beurteiler (z. B. Sympathie, Antipathie, Bequemlichkeit, Konfliktscheu, Orientierung an bisherigen Beurteilungen, Vorurteile etc.) beeinflusst wird (Mayntz 1997, 167; Püttner 2007, § 12 Rn 98; Oechsler und Paul 2019, 398). In der Praxis ist eine Tendenz zu Gefälligkeitsbeurteilungen zu beobachten (Vogel 2019, 409 f.). Denn durch gute Beurteilungsnoten vermeidet der Beurteilende Konflikte, gegebenenfalls auch Rechtsstreitigkeiten, oder kann unter Umständen einen lästigen Mitarbeiter „wegloben“. Zur Begrenzung von Gefälligkeitsbeurteilungen sind Richtwerte für die Vergabe guter Noten festgelegt. So soll die höchste Note 10 % und die zweithöchste Note 20 % der Angehörigen einer Besoldungsgruppe oder Funktionsebenen nicht überschreiten, § 50 Abs 2 BLV. Zur Verbesserung von Personalbeurteilungen werden vielfach Zielvereinbarungen zwischen Bediensteten und Vorgesetzten propagiert (Wimmer 2017, 269 ff.). Sie sind auch ein Instrument des New Public Management (Bohne 2023, Abb. 4.4). Die Ziele, die von den Bediensteten erreicht werden sollen, werden aus den Verwaltungsaufgaben abgeleitet. Die Zielerreichung muss objektiv messbar sein, z. B. mittels Kennzahlen (Wimmer 2017, 276). Man erhofft sich von Zielvereinbarungen eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft der Bediensteten und eine Objektivierung der Leistungsbeurteilung. In der Praxis stoßen Zielvereinbarungen vielfach auf die Schwierigkeit, dass die Ziele der öffentlichen Verwaltung oft nicht quantifizierbar und damit nicht objektiv messbar sind. Zudem besteht die Gefahr, dass qualitative Ziele zugunsten quantitativer Ziele vernachlässigt werden (Oechsler und Paul 2019, 402 f.). Zielvereinbarungen sind daher als Instrument der Personalbeurteilung in der öffentlichen Verwaltung nur sehr begrenzt sinnvoll einsetzbar.

8

Vgl. z. B. die Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Finanzen Rheinland-Pfalz v. 20.02.2019 zur Beurteilung der Beamtinnen und Beamten des Landesamtes für Finanzen, zugänglich unter https://landesrecht.rlp.de/bsrp/document/VVRP-VVRP000004441, (Zugang am 12.12.2022).

6.8 Personalsteuerung

153

6.7.2.6 Personalkosten Angesichts des hohen Personalkostenanteils an den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen (siehe Abschn. 6.1 a. E.) sind – wie aus Abb. 6.7 ersichtlich – in allen Funktionsbereichen des Personalmanagements Kostenüberlegungen von Bedeutung, um effiziente Personallösungen zu erreichen. Wichtigstes Instrument ist der Stellenplan, der die verfügbaren Planstellen für Beamte festlegt und Teil des Haushaltsplans ist (Hebeler 2008, 74). Die Ermittlung des Personalbedarfs bildet die Grundlage für den Stellenplan (vgl. Nr. 4.4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 17 BHO) sowie für Personalbeschaffung, Personaleinsatz und Personalentwicklung.

6.8

Personalsteuerung

Während das Personalmanagement im öffentlichen Dienst alle Maßnahmen umfasst, die die personellen Voraussetzungen für die Erledigung der Verwaltungsaufgaben schaffen, wird hier unter Personalsteuerung die zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung der Bediensteten zur Aufgabenerfüllung verstanden. Wie bei der Erörterung des Entscheidungsbegriffs dargelegt (Bohne 2023, 5.1.2), stehen für die Verhaltenssteuerung allgemein drei Steuerungsmodi zur Verfügung: Hierarchie, Tausch und Überredung. Instrumente hierarchischer Verhaltenssteuerung sind Gebote und Verbote. Tausch als Steuerungsmodus besteht in der wechselseitigen Gewährung von Leistungen durch zwei oder mehrere Akteure. Dabei ist „Leistung“ in einem weiten Sinn zu verstehen und umfasst jede Verhaltensweise, einschließlich Unterlassen, an der eine Seite ein Interesse hat. Überredung (moral suasion) als Steuerungsmodus erfolgt durch Empfehlungen, Warnungen, Appelle oder allgemein durch Bereitstellung von Informationen in der Erwartung, dass der Steuerungsadressat hiervon Gebrauch macht und sich in der gewünschten Weise verhält. Die Verhaltenssteuerung der Bediensteten durch Vorgesetzte wird als Personalführung bezeichnet (Berthel und Becker 2017, 165; Ritz 2019, 421).

6.8.1

Personalführung

Es gibt zahlreiche theoretische Ansätze, die die Personalführung empirisch beschreiben und erklären sollen oder die normative Handlungsanleitungen für eine erfolgreiche Personalführung geben (vgl. Weibler 2016, 95 ff.; Oechsler und

154

6

Öffentlicher Dienst

Paul 2019, 290 ff.). Diese Führungsansätze beziehen sich auf die Privatwirtschaft. Verwaltungsspezifische Theorieansätze der Personalführung gibt es nicht (Ritz 2019, 426). Daher werden privatwirtschaftliche Führungsansätze auf die öffentliche Verwaltung übertragen, wobei vielfach Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung vernachlässigt werden.

6.8.1.1 Empirische Führungsansätze Vereinfacht lassen sich die zahlreichen empirischen Führungsansätze nach ihrem Gegenstand in eigenschaftsbezogene, interaktionsbezogene und situative Ansätze zusammenfassen. Eigenschaftsorientierte Theorieansätze versuchen, den Führungserfolg bzw. mißerfolg mit den besonderen Eigenschaften des Führenden zu erklären (Oechsler und Paul 2019, 290 ff.; Ritz 2019, 422 f.). Nach dem sog. „Big Five“-Ansatz werden fünf Eigenschaftsgruppen als wesentliche Einflussfaktoren für die Effektivität bzw. Ineffektivität der Personalführung angesehen (Weibler 2016, 101 ff.):

• • • • •

Neurotizismus, z. B. Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Stressanfälligkeit, Extraversion, z. B. Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Selbstbewusstsein, Offenheit, z. B. für neue Erfahrungen und neue Ideen, Gefühle, Verträglichkeit, z. B. Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Altruismus, Gewissenhaftigkeit, z. B. Leistungsorientierung, Pflichtbewusstsein, Kompetenz.

Zwischen Führungserfolg und neurozistischen Eigenschaften bestehen negative Korrelationen. Für den Zusammenhang von Führungserfolg und den übrigen Eigenschaftskategorien wurden positive Korrelation nachgewiesen. Besonderes Interesse richtet sich seit jeher auf die Frage, welche Eigenschaften einen charismatischen Führer ausmachen. Schon Max Weber (1980, 140 ff.) betrachtete das Charisma einer Person, d. h. außeralltägliche Eigenschaften, die von den Geführten als vorbildlich, übermenschlich, gottgesandt etc. anerkannt werden, als Legitimationsgrundlage von Herrschaft (Führung). Zu charismatischen Führungseigenschaften gehören Visionen von einer besseren Zukunft, Überzeugung von der moralischen Richtigkeit des eigenen Handelns, Selbstvertrauen und Entschlossenheit, Risikobereitschaft, Fähigkeit positiver Selbstdarstellung etc. (Weibler 2016, 125 f.). Dabei erfordert charismatische Führung, dass diese Eigenschaften von den Geführten anerkannt und als außeralltäglich bewertet werden. Eigenschaftsorientierte Theorieansätze der Personalführung weisen auf bedeutsame Führungsfaktoren hin. Allerdings werden die Art und Weise

6.8 Personalsteuerung

155

und Instrumente der Personalführung nicht thematisiert. Die Theorieansätze sind daher allein nicht geeignet, die Effektivität bzw. Ineffektivität der Personalführung zu erklären (Oechsler und Paul 2019, 295). Interaktionsorientierte Theorieansätze erklären den Führungserfolg bzw. mißerfolg mit Verhaltens- und Beziehungsmerkmalen von Vorgesetzten und Bediensteten. Drei Beziehungsmuster werden unterschieden (Berthel und Becker 2017, 168): • Verhaltensbeeinflussung der Bediensteten durch den Vorgesetzten, z. B. per Weisung (hierarchische Führung), • interpersonale, gegenseitige Verhaltensabstimmung zwischen Gleichgestellten (laterale Führung) und • Verhaltensbeeinflussung des Vorgesetzten durch die Bediensteten (Führung von unten). In der Praxis herrschen Mischformen hierarchischer und lateraler Führung vor (Kühl und Matthiesen 2012, 534 ff.). Es werden verschiedene Führungsstile von Vorgesetzten unterschieden. Unter Führungsstil wird die Art und Weise verstanden, in der Vorgesetzte sich gegenüber den Bediensteten relativ konsistent und wiederkehrend verhalten (Berthel und Becker 2017, 175). Auf Untersuchungen in den 1930er Jahren geht die Unterscheidung der Führungsstile autoritärer, demokratischer und Laissez-faireFührung zurück. Diese Stil-Trias wurde inzwischen durch eine Vielzahl weiterer Führungsstile zwischen den Polen autoritärer und Laissez-faire-Führung aufgefächert (vgl. Püttner 2007, § 16 Rn 16 ff.; Berthel und Becker 2017, 176). Tauschbasierte Führungsbeziehungen sind dabei in der Praxis von besonderer Bedeutung (Ritz 2019, 424). Zu den interaktionsorientierten Führungsansätzen können auch verschiedene Führungstechniken gerechnet werden. Hierunter sind standardisierte Methoden der Verhaltenssteuerung zu verstehen (Weibler 2016, 366). Da in Großorganisationen wie der öffentlichen Verwaltung nicht alle Entscheidungen auf der Leitungsebene getroffen werden können, die hierdurch überlastet würde, müssen Aufgaben und Entscheidungsverantwortung nachgeordnete Verwaltungsebenen verlagert werden. Es werden vier Grundformen der Aufgaben- und Entscheidungsverlagerung unterschieden (Wimmer 2017, 257 ff.; Dincher und Scharpf 2018, 47): • Management by Objectives – zwischen verschiedenen Hierarchieebenen werden Ziele durch Vorgesetzte entweder autoritativ festgesetzt oder zwischen

156

6

Öffentlicher Dienst

Vorgesetzten und Bediensteten vereinbart. Innerhalb des übertragenen Zielbereichs handeln die Bediensteten in Eigenverantwortung. • Management by Delegation – Aufgaben und Entscheidungsverantwortung werden im vollen Umfang nach unten verlagert. • Management by Exception – Aufgaben und Entscheidungen werden zur selbstständigen Erledigung nach unten verlagert; der Vorgesetzte behält sich aber in Ausnahmefällen die Letztentscheidung vor. • Management by System – Aufgaben- und Entscheidungsverlagerung nach unten auf der Grundlage computergestützter Informations- und Steuerungssysteme. Die Führungsstiltypologien und Führungstechniken geben Hinweise, welche Wirkungen mit verschiedenen Arten Verhaltensbeeinflussung tendenziell erzielt werden, können aber allein Führungserfolge bzw. –mißerfolge nicht erklären (Weibler 2016, 361 ff.). Situative Führungsansätze gehen von der Einsicht aus, dass es allgemeingültige Führungseigenschaften und Führungsstile als Erklärungsvariablen der Personalführung nicht gibt. Vielmehr bedingen diese Variablen erst im Zusammenwirken mit situativen Einflussfaktoren Erfolg bzw. Mißerfolg der Personalführung (Berthel und Becker 2017, 193 f.). Zu diesen Einflussfaktoren gehören situationsspezifische Aufgaben-, Organisations-, Ressourcen-, Kulturund Technologiemerkmale etc. Im Ergebnis sind also eigenschafts-, interaktionsund situationsbezogene Ansätze miteinander zu verbinden, um die Wirkungen der Personalführung zu erklären. Aus steuerungstheoretischer Sicht stellen diese Führungsansätze Variationen der oben erläuterten drei Grundmodi der Verhaltenssteuerung dar: Hierarchie, Tausch und Überredung. Im Unterschied zu empirischen Führungsansätzen stellen normative Führungsansätze Handlungsanleitungen für eine effektive und effiziente Personalführung dar (Weibler 2016, 415; Mautsch und Metzger 2019, 175 ff.; Hill 2020, 917 ff.). Da es keine allgemeingültige empirische Erklärungsgrundlage der Personalführung gibt, entbehren normative Führungsgrundsätze einer wissenschaftlichtheoretischen Fundierung. Sie beruhen auf Praktikererfahrungen, Alltagswissen und Wertvorstellungen hinsichtlich einer guten Führung und gehen jeweils von zeitgeistabhängigen Menschenbildern aus. Seit Beginn dieses Jahrhunderts haben drei normative Führungskonzepte für die öffentliche Verwaltung besondere Konjunktur: die aktivierende Personalführung, Public Leadership und die agile Personalführung.

6.8 Personalsteuerung

157

6.8.1.2 Aktivierende Personalführung Die aktivierende Personalführung ist ein Personalführungskonzept, das von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Jahre 2004 propagiert wurde. Abb. 6.8 faßt die Führungsgrundsätze zusammen. Konzeptionelle Grundlage dieser Führungsgrundsätze ist das Leitbild des aktivierenden Staates, das seit Ende der 1990er Jahre vorherrschte und dem neoliberalen Zeitgeist entsprach (Beer 2011, 57 ff.; Bohne 2023, 3.2.2.3 a. E.). Dieses Leitbild postulierte die gemeinsame Verantwortung von Staat und Zivilgesellschaft für die Erledigung öffentlicher Aufgaben und setzte – auch verwaltungsintern – auf Selbstregulierung, d. h. Mitarbeiter sollten durch Maßnahmen der Personalführung in die Lage versetzt („aktiviert“) werden, die Verwaltungsaufgaben möglichst eigenverantwortlich zu erledigen. Das Konzept der aktivierenden Personalführung setzt ausschließlich auf Kooperation und Teamgeist und vernachlässigt dabei das Element hierarchischer Führung. Zeitliche, politische und sonstige Restriktionen machen es in der öffentlichen Verwaltung jedoch erforderlich, Richtungsfragen, Probleme, Konflikte etc. gelegentlich auch durch hierarchische Entscheidungen zu lösen. Solchen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen und sich auf „Aktivierungen“ zu beschränken, ist ein Mangel der Personalführung.

6.8.1.3 Public Leadership Public Leadership ist ein Führungskonzept, das auf der Grundannahme beruht, dass Vertrauen der Kern erfolgreicher Personalführung sei, und das sich an Systemwerten (z. B. Demokratie), instrumentellen Werten (z. B. Managementprinzipien) und ethisch-moralischen Werten (z. B. Ehrlichkeit) orientiert (Ritz 2019, 426 ff.). Ähnlich wie das Konzept der aktivierenden Führung vernachlässigt es Elemente der hierarchischen Führung und unterliegt daher den gleichen Bedenken wie die aktivierende Führung.

6.8.1.4 Agile Personalführung Die agile Personalführung9 (Sauter et al. 2018, 55 ff.) ist ein Führungskonzept, das seinen Ursprung in der amerikanischen Software-Entwicklung hat, und dessen Grundregeln im „agilen Manifest“ von 2001 in den USA formuliert wurden (Michl 2018, 4). Es ist durch Beschleunigung, Dezentralisation und Selbstorganisation der Entscheidungsprozesse gekennzeichnet (Bornewasser 2020, 63) und wird verschiedentlich als ein neues Paradigma der öffentlichen Verwaltung popularisiert (Hill 2015, 402 und 2018, 497). 9

Siehe zu den Entscheidungskonzepten von Agilität und Design Thinking Bohne 2023, 5.7.

158

Führungsfunktion Vorbild

Innovation Flexibilität

Information

Delegation

Zielorientierung Kontrolle

Zusammenarbeit

6

Öffentlicher Dienst

Führungskräfte sollen ihrer Vorbildfunktion dadurch gerecht werden, da sie selbst bereit sind, das zu leisten und zu leben, was sie von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlangen; sich mit den Visionen, Leitbildern zielen ihre Organisation identifizieren; ihre Kompetenzen durch Fortbildung und durch die Bereitschaft zu einem Arbeitsplatz- und Aufgabenwechsel erweitern; ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeitnah über Zusammenhänge informieren, die deren Aufgabengebiet und deren persönliche Belange in der Organisation betreffen; Aufgaben, Entscheidungsbefugnis und Verantwortung an die ihnen unmittelbar nachgeordneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegieren; sich den übergeordneten Organisationszielen verpflichtet fühlen, die sie effektiv und effizient verfolgen sollen; in einem regelmäßigen und offenen Dialog mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über den Stand der Zielerreichung stehen; den Teamgeist fördern, die Leistungen des Teams und des Einzelnen anerkennen und auch Schwächeren eine Chance geben, den Anforderungen des Arbeitsplatzes gerecht zu werden;

Kritik- und Kontaktfähigkeit

sich durch Kritik- und Kontaktfähigkeit auszeichnen, indem sie Probleme rechtzeitig und offen ansprechen, konstruktive Kritik auch am eigenen Verhalten zulassen und bereit sind, eigenes Handeln zu überdenken und zu verändern; Personalentwicklung die stetige Aktualisierung der Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen, um sie zu befähigen, auch unter sich ändernden Bedingungen selbstständig und fachgerecht tätig zu sein.

Abb. 6.8 Grundsätze aktivierender Personalführung. (Quelle: Landesregierung NRW 2004, S. 6 f.)

6.8 Personalsteuerung

159

Ausgangspunkt des Konzepts ist die Annahme, dass wir in einer „VUCAWorld“ leben, die durch Sprunghaftigkeit (volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity) gekennzeichnet ist und die die öffentliche Verwaltung vor neue, bisher unbekannte Probleme stellt (Lévesque und Vonhof 2018, 18). Die Bewältigung dieser Probleme soll „eine ganz grundlegende Änderung der Arbeitskultur in der öffentlichen Verwaltung“ erfordern, nämlich den „(weitgehenden) Übergang von der Arbeit in Einzelzuständigkeiten und ‚Silos‘ zu einer Arbeit in kollaborativen Zusammenhängen, in Teams“ (Michl und Steinbrecher 2018, 27). Demzufolge wird die herkömmliche, hierarchische, nach Zuständigkeiten strukturierte Linienorganisation der öffentlichen Verwaltung in komplexen Aufgabenbereichen durch eine Projektstruktur ersetzt, die durch drei neue, jeweils projektbezogene Akteure gekennzeichnet ist: das Team, der Product Owner und der Scrum Master (Schwaber und Sutherland 2017; Fischbach 2018, 65 ff.).10 Im Mittelpunkt der neuen Struktur steht das Team aus in der Regel nicht mehr als neun Personen. Das Team ist selbstorganisierend, interdisziplinär zusammengesetzt und hierarchisch nicht weiter unterteilt. Der Projektverantwortliche (product owner) legt die Handlungsziele, Schwerpunkte und den allgemeinen Handlungsrahmen des Teams in einer Liste (product backlog) fest. Diese Liste ist die einzige Anforderungsquelle für die Projektgestaltung. Der Teamtrainer (scrum master) berät und unterstützt das Team bei seiner Arbeit, ist aber nicht weisungsbefugt. Die iterative Arbeitsweise des Teams besteht aus einem oder mehreren „Sprints“ von jeweils 1–4 Wochen, die mit der Sprint-Planung beginnen, tägliche Treffen (daily scrums) von maximal 15 min zur Besprechung des jeweiligen Sachstandes umfassen und die mit einer Überprüfung – zusammen mit dem Projektverantwortlichen (product owner) – der für den Sprint geplanten Arbeitsergebnisse (sprint review) und einer kritischen Analyse der Arbeitsabläufe (sprint retrospective) enden oder aufgrund des Feedbacks zu weiteren Sprints führen (Fischbach 2018, 67). Diese Vorgehensweise soll ganzheitliche und crossfunktionale Problemlösungen gewährleisten, alle Betroffenen einbeziehen, mit überschaubaren Änderungen und Teilergebnissen experimentieren und ein regelmäßiges Feedback innen und außen verschaffen (Lévesque und Vonhof 2018, 10

Deutsche Bezeichnungen sind hierfür (bislang) unüblich. Die Literatur ist durch das deutsch-englische Kauderwelsch der Software- und Produktentwickler geprägt. Man könnte den Product Owner als „Produktverantwortlichen“ und den Scrum Master als „Teamtrainer“ bezeichnen, der für die reibungslose Zusammenarbeit des Teams verantwortlich ist, aber keine inhaltlichen Weisungsbefugnisse besitzt. Der Begriff „scrum“ bezeichnet im Rugby das Gedränge der Spieler und wird als Metapher für erfolgreiche Produktentwicklungsteams verwendet.

160

6

Öffentlicher Dienst

18). In der Sache ist agile Verwaltung eine Sonderform der Projektgruppenorganisation, die für die Ministerialverwaltung des Bundes gemäß § 10 Abs 2 GGO zur Erledigung zeitlich befristeter, komplexer Aufgaben mit einem übergreifenden Personaleinsatz vorgeschrieben ist.11 Projekt- und Arbeitsgruppen können in höchst unterschiedlicher Weise organisiert sein, wozu auch agilitätsähnliche Organisationsformen zählen, aber mit einem Unterschied: Projekt- und Arbeitsgruppenleiter sind – anders als Project Owner und Scrum Master – Mitglieder des Arbeitsteams. Während agile Personalführung aus einer Kombination von Selbstorganisation (Team), Rahmensetzung (project owner) und Beratung (scrum master) besteht, besitzt die Projekt- und Arbeitsgruppenleitung stärker ausgeprägte hierarchische Elemente (Wegge und Schmidt 2018, 210). Letzteres ist in der öffentlichen Verwaltung unverzichtbar. Denn komplexe öffentliche Aufgaben sind stets durch interne und externe politische Interessenkonflikte gekennzeichnet. Praktische Erfahrungen12 mit der Leitung von Projekt- und Arbeitsgruppen zeigen, daß diese Konflikte notfalls hierarchisch entschieden werden müssen. Selbstorganisation allein hat die Tendenz zu Formelkompromissen und Nichtentscheidungen, wenn man sich nicht einigt. Ohne Hierarchie kommt daher auch eine agile Personalführung in der öffentlichen Verwaltung nicht aus (Bornewasser 2020, 81).

6.8.2

Leistungsanreize

Zur Steigerung der Effektivität und Effizienz des Handelns der öffentlichen Verwaltung gelten Leistungsanreize als besonders geeignetes Instrument der Verhaltenssteuerung. Ihre Einführung ist eine zentrale Forderung des New Public Management (Schedler und Proeller 2011, 258 f.). Vorrangige Bedeutung besitzen finanzielle Anreize in Form von Leistungsentgelten. Daneben gibt es immaterielle Anreize, die die Arbeitsbedingungen betreffen wie Arbeitszeit, Personalentwicklung, Verantwortungsübertragung und sonstige die Arbeitszufriedenheit fördernde Maßnahmen (Thieme 1984, Rn 642; Berthel und Becker 2017, 54).

11

Siehe dazu den Praxisleitfaden des Bundesministeriums des Innern (2012) für das Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung. 12 Bohne war langjähriger Leiter von Projekt- und Arbeitsgruppen im Bundesumweltministerium.

6.8 Personalsteuerung

161

6.8.2.1 Leistungsentgelte Leistungsentgelte sind für Beamte im Besoldungsrecht von Bund und Ländern und für Arbeitnehmer tarifvertraglich geregelt. Auf Bundes- und Landesebene gibt es für Beamte drei leistungsbezogene Besoldungsinstrumente: Leistungsstufe, Leistungsprämie und Leistungszulage (siehe für den Bund §§ 27 Abs 6, 42a BBesG i. V. m. der Bundesleistungsbesoldungsverordnung – BLBV; z. B. für Rheinland-Pfalz §§ 29, 33 LBesG). Leistungsentgelte knüpfen daran an, dass das Gehalt nach sieben Leistungsstufen bemessen wird, in denen der Beamte in unterschiedlichen Zeitintervallen aufsteigt (§ 27 Abs 3 BBesG). Bei „dauerhaft herausragenden Leistungen“ kann einem Beamten für den Zeitraum bis zum Erreichen der nächsten Stufe das Grundgehalt der nächsthöheren Stufe gezahlt werden. Der Beamte erhält damit früher und länger das Grundgehalt der nächsthöheren Stufe (Schnellenbach und Bodanowitz 2020, § 13 Rn 4). Die Gewährung von Leistungsstufen darf einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreiten (§ 27 Abs 6 Satz 2 BBesG). Ferner besteht ein negativer Leistungsanreiz darin, dass der Beamte in der Leistungsstufe nicht vorrückt, wenn seine Leistungen nicht den mit dem Amt verbundenen Anforderungen entsprechen (§ 27 Abs 4 BBesG). Leistungsprämien sind Einmalzahlungen, die als Anerkennung einer „herausragenden besonderen Leistung“ gewährt werden und bis zur Höhe des Anfangsgrundgehalts der Besoldungsgruppe des Empfängers betragen können (§ 4 BLBV). Leistungszulagen sind zeitlich befristete Zahlungen, die als Anerkennung einer „herausragenden besonderen Leistung“ gewährt werden, die bereits über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten erbracht worden ist und auch für die Zukunft erwartet wird. Die Höhe der Leistungszulage kann monatlich bis zu 7 % des Anfangsgrundgehalts der Besoldungsgruppe des Empfängers betragen (§ 5 BLBV). Die Gewährung von Leistungsprämien und Leistungszulagen darf – wie Leistungsstufen – einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreiten (§ 6 Abs 2 BLBV). Hochschullehrer können befristete oder unbefristete variable Leistungsbezüge oder Einmalzahlungen neben dem Grundgehalt erhalten (§ 33 Abs 1 BBesG), und zwar • aus Anlass von Berufungs- und Bleibeverhandlungen, • für besondere Leistungen in Forschung, Lehre, Kunst, Weiterbildung und Nachwuchsförderung sowie

162

6

Öffentlicher Dienst

• für die Wahrnehmung von Funktionen oder besonderen Aufgaben im Rahmen der Hochschulverwaltung oder der Hochschulleitung. Für Arbeitnehmer auf Bundes- und Kommunalebene gibt es in § 18 TVöD geregelte Leistungs- und Erfolgsprämien sowie Leistungszulagen. Auf Landesebene bestehen keine besonderen tariflichen Leistungsentgelte. Dort sind finanzielle Leistungsanreize in der allgemeinen Gehaltstabelle berücksichtigt. Die Einzelheiten der Leistungsprämien und Leistungszulagen sind auf Bundesebene im Tarifvertrag über das Leistungsentgelt für die Beschäftigten des Bundes (LeistungsTV-Bund) und in Dienstvereinbarungen sowie auf Kommunalebene ausschließlich durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen (Hoffmann 2018, 85) geregelt. Darüber hinaus findet für Arbeitnehmer des Bundes die Bundesleistungsbesoldungsverordnung entsprechende Anwendung.13 Die Effektivitäts- und Effizienzwirkungen von Leistungsentgelten sind im öffentlichen Dienst gering (Sitzer 2015, 260). Wesentliche Ursache hierfür ist bei der Beamtenbesoldung, dass Leistungsentgelte auf Bundes- und Länderebene wegen fehlender Finanzmittel und wegen des hiermit verbundenen Verwaltungsaufwandes nicht oder nur in geringem Umfang angewandt werden (Oechsler 2007, 549 ff.). Hinzu kommt, dass Leistungskriterien für die Vergabe von Leistungsentgelten weitgehend fehlen (Sitzer 2015, 262). Zur Vermeidung von Konflikten und Verteilungskämpfen erfolgt die Vergabe von Leistungsentgelten daher weitgehend nach dem „Gießkannenprinzip“. Letzteres ist auch kennzeichnendes Merkmal für die Vergabe variabler Leistungsbezüge an Hochschullehrer. Die bei der Einführung der leistungsorientierten Hochschullehrerbesoldung verbreitete Fundamentalkritik, die in der Besoldungsreform vor allem mit Blick auf die Absenkung des Grundgehalts eine Abwertung der Wissenschaft sah, ist aber inzwischen einer differenzierteren Sicht gewichen. Nach einer Hochschullehrerbefragung wird die Orientierung der Besoldung am Leistungsprinzip grundsätzlich befürwortet. Leistungszulagen werden auch als persönliche soziale Anerkennung wahrgenommen (Biester 2013, 225 ff.). Tarifliche Leistungsentgelte nach § 18 TVöD sind auf Bundesebene nahezu flächendeckend eingeführt (Stellermann et al. 2009, 17). Das gleiche gilt für die kommunale Ebene (Meerkamp und Dannenberg 2014, 239 ff.). Die Effektivitätsund Effizienzwirkungen werden überwiegend gering eingeschätzt. Die Vergabe 13

Siehe BMI-Rundschreiben v. 20.02.2014 zur leistungsorientierten Bezahlung, Nr. 2, zugänglich unter https://www.bmi.bund.de/RundschreibenDB/DE/2014/RdSchr_20140220. pdf;jsessionid=1C30AC5C0196EB05703D88265413618E.1_cid373?__blob=publicationF ile&v=2, Zugang am 31.03.2022.

6.9 Korruptionsbekämpfung

163

von Leistungsentgelten erfolgt ebenfalls weitgehend nach dem Gießkannenprinzip, um den Betriebsfrieden zu wahren (Stellermann et al. 2009, 6, 25; Meerkamp und Dannenberg 2014, 239 ff.).

6.8.2.2 Immaterielle Anreize Schließlich lässt sich die relativ geringe Anreizwirkung von Leistungsentgelten auch damit – zumindest teilweise – erklären, dass immaterielle Leistungsanreize oft eine größere Motivationswirkung besitzen als Leistungsentgelte und daher in der Praxis bevorzugt eingesetzt werden. Diese Anreize sind meist rechtlich nicht geregelt und daher informaler Natur. Hierzu gehören beispielsweise Maßnahmen, die • zufriedenstellende Arbeitsbedingungen schaffen und ein gutes Arbeitsklima gewährleisten, • Gestaltungsverantwortung übertragen, • soziale Anerkennung verschaffen (z. B. Lob des Ministers oder Staatssekretärs), • Belohnung von Leistungen durch individuelle Arbeitszeitgestaltung (z. B. Ermöglichen von Home Office) oder Sonderurlaub. Angesichts einer auskömmlichen Besoldung und eines sicheren Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst sind diese und andere immaterielle Vorteilsgewährungen für die Arbeitsmotivation der Bediensteten meist wichtiger als Leistungsentgelte, die mit Aufwand und Überprüfungen verbunden und ohnehin in der Regel niedrig sind.

6.9

Korruptionsbekämpfung

Nach den Feststellungen des Bundeskriminalamtes (2021, 18) ist der öffentliche Dienst seit Jahren die bevorzugte Zielgruppe – mit 64 % aller Korruptionsstraftaten in 2020 – für Bestechungen und Bestechungsversuche. AntiKorruptionsmaßnahmen sind daher eine vorrangige Aufgabe von öffentlicher Verwaltung und Justiz. Abb. 6.9 gibt einen Überblick über die Zielbereiche der Korruption.

164

6

Öffentlicher Dienst

Korruptionsstraftaten in 2020 insgesamt 5510.

Abb. 6.9 Zielbereiche der Korruption. Korruptionsstraftaten in 2020 insgesamt 5510. (Quelle: Bundeskriminalamt 2021, S. 5, 18)

6.9.1

Begriff und Arten von Korruption

Unter Korruption ist nach der verbreiteten Definition von Transparency International, einer Nicht-Regierungsorganisation, die sich der Korruptionsbekämpfung widmet, „der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“ (Klug 2020, Rn 51; ähnlich Bundeskriminalamt 2021, 4). Korruption im öffentlichen Dienst beruht auf einem Tauschverhältnis zwischen einem privaten Geber von Vorteilen (dem Bestechenden) und einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes (dem Bestochenen), der die ihm anvertrauten öffentlichen Befugnisse dazu missbraucht, dem Geber oder einem Dritten Vorteile als Gegenleistung für die empfangenen Leistungen zu gewähren. Eine besondere Form des Tauschverhältnisses stellt die Ämterpatronage dar (dazu unten Abschn. 6.9.3). Das Tauschverhältnis besteht zwischen einem Privaten oder einem öffentlichen Bediensteten und dem Inhaber von Personalbefugnissen in der öffentlichen Verwaltung (z. B. Abteilungsleiter, Staatssekretär), der diese Befugnisse missbraucht, indem er dem Privaten oder dem öffentlichen Bediensteten rechtswidrig, insbesondere unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Leistungsprinzips und des Gleichbehandlungsgrundsatzes, ein Amt verleiht bzw. eine Beförderung gewährt. Amtsverleihung und Beförderung sind Gegenleistungen für erwartetes loyales, die eigene Macht stützendes Verhalten des Begünstigten (Herrschaftspatronage oder Belohnungen für vergangene Dienste (Versorgungspatronage).

6.9 Korruptionsbekämpfung

165

Das Bundeskriminalamt (2022) unterscheidet zwei Arten von Korruption: • als situative Korruption werden Korruptionshandlungen bezeichnet, die auf einer spontanen Willensentscheidung beruhen und ohne Vorplanung oder Vorbereitung als Reaktion auf eine Amtshandlung erfolgen, z. B. Angebot eines Geldbetrages durch einen alkoholisierten Autofahrer bei einer Verkehrskontrolle, um Sanktionen zu vermeiden; • unter struktureller Korruption werden Korruptionshandlungen verstanden, die von langer Hand vorbereitet und auf Wiederholung angelegt sind, z. B. im Beschaffungsbereich. Soweit es sich bei der strukturellen Korruption um groß angelegte, meist international organisierte Wirtschaftskriminalität handelt, wird sie im Schrifttum auch als systemische Korruption bezeichnet (Louis 2020, Rn 17). Korruption ist in allen Staaten verbreitet. Angesichts hoher Dunkelziffern ist es schwierig, belastbare Aussagen über die tatsächliche Verbreitung von Korruption zu treffen. Daher wird die subjektive Wahrnehmung von Amtsträgern, Politikern, Wirtschaftsvertretern und Experten hinsichtlich der Verbreitung von Korruption im öffentlichen Sektor Deutschlands und anderer Staaten herangezogen, um einen subjektiven, vergleichenden Eindruck von der internationalen Verbreitung von Korruption zu vermitteln. Transparency International veröffentlicht seit 1995 jährlich einen sog. Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perception Index – CPI), der auf 13 standardisierten Datenquellen beruht und 180 Staaten auf einer Skala von 100 (keine Korruptionswahrnehmung) bis 0 (sehr hohe Korruptionswahrnehmung) in eine Rangliste einordnet. Dieser Index ist trotz verbreiteter methodischer Kritik das derzeit beste verfügbare Mittel zur Einschätzung der weltweiten Korruptionsverbreitung (Louis 2020, Rn 8 ff.). Nach dem CPI 2021 besteht die geringste Korruptionswahrnehmung für Dänemark und die höchste für Süd Sudan. Deutschland rangiert in der Korruptionswahrnehmung an 10. Stelle (Transparency International 2021). Nach den Feststellungen des Bundeskriminalamtes (2021, 12 ff.) ergab sich im Jahre 2020 folgendes Bild der Korruption in Deutschland: • Vorrangige Zielbereiche von Bestechungen und Bestechungsversuchen waren öffentliche Verwaltung und Justiz (64 % aller Korruptionsstraftatn). • 71 % der Empfänger von Bestechungsleistungen waren Amtsträger. • Die Bestechungen erfolgten überwiegend (51 %) auf der Sachbearbeiterebene, im Vorjahr auf der Leitungsebene (56 %).

166

6

Öffentlicher Dienst

• Die gewährten Vorteile waren in den meisten Fällen Bargeld; ferner gehörten Sachzuwendungen, Bewirtungen, sonstige Arbeits- und Dienstleistungen zu den gewährten Vorteile. • Die meisten Bestechungen und Bestechungsversuche erfolgten durch Unternehmen des Dienstleistungsgewerbes, gefolgt von der Bau-, Pharmazie-, Chemie-und Automobilbranche. • In rd 12 % aller Korruptionsstraftaten konnten monetäre Schäden ermittelt werden, die ca 81 Mio Euro betrugen. Der tatsächliche Gesamtschaden dürfte wesentlich größer sein, lässt sich aber wegen der Dunkelziffer von Schäden und wegen Schwierigkeiten der Schadensbemessung (z. B. bei der korruptionsbedingten Erlangung von Genehmigungen) nicht angeben.

6.9.2

Antikorruptionsmaßnahmen

Repressive Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung enthalten das Strafrecht (§§ 331 ff. StGB) und das Dienstrecht. Diese Regelungen besitzen zugleich eine präventive Wirkung, indem sie von Korruptionshandlungen abschrecken. Für rein präventive Antikorruptionsmaßnahmen gibt es vor allem drei Ansatzpunkte: Personal, Organisation und Information von öffentlicher Verwaltung und Öffentlichkeit (Reichard 2019, 211 ff.). Abb. 6.10 enthält eine Übersicht über häufig anzutreffende Antikorruptionsmaßnahmen. Die meisten Maßnahmen sind für den Bund in der Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung vom 30.07.200414 geregelt. Nach einer repräsentativen Befragung von 500 Bundes-, Landes-und Kommunalbehörden aus dem Jahre 2010 (Salvenmoser et al. 2010, 42) sind personalbezogene Präventionsmaßnahmen am verbreitetsten, insbesondere die Beteiligung mehrerer Personen bei Vorgängen in korruptionsgefährdeten. Arbeitsgebieten (Mehr-Augen-Prinzip), Aus-und Fortbildungsmaßnahmen und Regelungen zur Annahme von Belohnungen und Geschenken. Weniger häufig finden sich organisationsbezogene Präventionsmaßnahmen, wobei verwaltungsinterne Richtlinien zur Korruptionsbekämpfung und verwaltungsinterne Kontrollsysteme am häufigsten vorkommen. Informationsbezogene Präventionsmaßnahmen, insbesondere Hinweisgebersysteme besitzen die geringste Verbreitung. 14

Bundesanzeiger Nr. 148, S. 17.745, abgedruckt in Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2018.

6.9 Korruptionsbekämpfung

167

Abb. 6.10 Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung. (Quelle: Eigene Darstellung)

Auch der jedermann zustehende Informationsanspruch gegenüber der öffentlichen Verwaltung nach dem Informationsfreiheitsgesetz ist für die Aufdeckung von Korruptionshandlungen von nachrangiger Bedeutung. Insgesamt wird die Effizienz der Korruptionsprävention als unbefriedigend angesehen (Salvenmoser et al. 2010, 37).

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Öffentlicher Dienst

Vor allem die unzureichende Verbreitung von Hinweisgebersystemen ist eine Schwachstelle der Korruptionsprävention. Denn die Aufdeckung von Korruptionsfällen ist in den weitaus meisten Fällen auf verwaltungsinterne und verwaltungsexterne Hinweise zurückzuführen (Salvenmoser et al. 2010, 38). Einige Bundesländer haben hieraus die Konsequenz gezogen und elektronische Systeme für anonyme Hinweisgeber (Whistleblower) und Vertrauensanwälte eingerichtet, an die sich Hinweisgeber wenden können (Würtenberger und WolfMarinova 2020, Rn 79 ff.; Glinder 2020, Rn 119 ff.). Darüber hinaus sind die Rechtslage im Falle von Whistleblowing schwer überschaubar (Niermann 2019, 125 ff., 209) und der rechtliche Schutz anonymer Hinweisgeber verbesserungsbedürftig. Die derzeitige Rechtslage birgt für Hinweisgeber oft unkalkulierbare persönliche Risiken (Király 2010, 41; Herold 2013, 13; Gerdemann 2020, 14). Der Schutz von Hinweisgebern dürfte durch die EU-Richtlinie (2019/1937) vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. L 305/17), verbessert werden, die bis zum 17.12.2021 in deutsches Recht umzusetzen ist (Gerdemann 2020, 15 ff.). Die Richtlinie sieht u. a. die Einrichtung nationaler verwaltungsinterner Whistleblowing-Stellen und externer Whistleblowing-Behörden (Art. 8–12) sowie einen antidiskriminierungsrechtlichen Schutz von Hinweisgebern (Art. 19–22) vor. Zwar betrifft die Richtlinie aus kompetenzrechtlichen Gründen nur Hinweise auf europarechtliche Verstöße; ihr Anwendungsbereich sollte jedoch bei der Umsetzung auch auf nationale Regelungssachverhalte ausgedehnt werden. In diesem Sinne hat die Bundesregierung im September 2022 den Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie vorgelegt (BT-Drs 20/3442), der mit Änderungen vom Deutschen Bundestag am 16.12.2022 beschlossen wurde.

6.9.3

Ämterpatronage

Eine besondere Art der Korruption stellt die Ämterpatronage dar. Die Vorteilsgewährung durch den Amtsträger besteht in der rechtswidrigen Verleihung eines öffentlichen Amtes oder in der rechtswidrigen Beförderung in ein öffentliches Amt als Belohnung entweder für geleistete treue Dienste in der Vergangenheit (Versorgungspatronage) oder für künftige loyalen Dienste, die die Macht des Amtsträgers in der öffentlichen Verwaltung festigen sollen (Herrschaftspatronage). Verschiedentlich werden noch zwei weitere Arten von Ämterpatronage unterschieden (Schuppert 2000, 656 f.): Von Proporzpatronage spricht man, wenn die Sitze von Kollegialorganen proportional zur zahlenmäßigen Stärke der politischen Parteien aufgeteilt oder wenn

6.9 Korruptionsbekämpfung

169

leitende öffentliche Ämter turnusmäßig und abwechselnd mit Angehörigen oder Sympathisanten der verschiedenen politischen Parteien besetzt werden. Die Feigenblattpatronage besteht darin, dass gelegentlich auch Angehörige der Oppositionspartei von der Regierungspartei bewusst befördert werden, nachdem üblicherweise die Mitglieder der Regierungspartei bevorzugt wurden.; hierdurch soll das Ausmaß der Bevorzugung der eigenen Parteimitglieder verschleiert werden. Gemeinsames Merkmal der verschiedenen Arten von Ämterpatronage ist, dass die Verleihung eines öffentlichen Amtes oder die Beförderung in ein öffentliches Amt verfassungsrechtswidrig, unter Verstoß gegen das Leistungsprinzip und den Gleichbehandlungsgrundsatz erfolgt, die in § 9 BeamtStG konkretisiert sind. In der Praxis sind die genannten Arten von Ämterpatronage verbreitet (v. Arnim 2001, 159 ff.), da sie zu den wirksamsten Mitteln der Personalsteuerung gehören. Wer eine Weile in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet hat, wird vielfach Fälle politischer Ämterpatronage beobachtet haben oder auch von ihr betroffen sein. Von der öffentlichen Verwaltung wird die Problematik oft bagatellisiert. Die Bundesregierung behauptete sogar in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Grünen im Jahr 1987, dass es keinen parteipolitischen Zugriff auf öffentliche Ämter gebe und dass sie sich daher nicht mit Abhilfevorschlägen für „ein nicht vorhandenes Problem“ befassen wolle (BT-Drs 11/209, S. 2 f.). Die Methoden der parteipolitischen Ämterpatronage sind vielfältig und umfassen (Lindenschmidt 2004, 24 ff.; Braun 2019, 1586 ff.) • das Unterlassen von Stellenausschreibungen, • individualisierte Stellenausschreibungen, deren Anforderungsprofil auf eine bestimmte Person zugeschnitten ist, • gezielte Einrichtung von Stellen für bestimmte Personen, • manipulierte dienstliche Beurteilungen, die den Wunschkandidaten stützen und/oder andere Bewerber nachteilig bewerten, • die Nichteinbeziehung unerwünschter Bewerber in das Auswahlverfahren, • keine Dokumentation der Auswahlerwägungen und des Ergebnisses, • manipulierte Vorstellungsgespräche. Die parteipolitische Ämterpatronage ist im Parteienstaat zum Teil systembedingt (Wahl 2005, 114 ff.). Die Bekämpfung der Ämterpatronage muss daher auch von außerhalb der öffentlichen Verwaltung kommen. Insbesondere Gerichte, die ein benachteiligter Bewerber im Wege der Konkurrentenklage anrufen kann, und

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6

Öffentlicher Dienst

die öffentlichen Medien, die Patronagefälle aufdecken und hierdurch öffentlichen Druck erzeugen können, sind wichtige Akteure bei der Bekämpfung der Ämterpatronage. Allerdings ist die Wirksamkeit der Konkurrentenklage stark eingeschränkt (Lindenschmidt 2004, 167 ff.; Wahl 2005, 121 ff.; Braun 2019, 1591 ff.), da die herrschende Meinung die Klage nach dem Grundsatz der Ämterstabilität als unzulässig betrachtet, sobald das Amt mit dem begünstigten Bewerber besetzt ist. Es steht daher in der Regel lediglich der vorläufige Rechtsschutz nach § 123 VwGO zur Verfügung, der aber nur geltend gemacht werden kann, wenn der benachteiligte Bewerber rechtzeitig von seiner Nichtberücksichtigung durch die Behörde erfährt. Hierzu ist die Behörde verpflichtet. Im Unterlassensfall können die Ernennung des bevorzugten Bewerbers unter Durchbrechung des Grundsatzes der Ämterstabilität gerichtlich aufgehoben und ein neues Auswahlverfahren angeordnet werden (BVerwGE 138,102). Gleichwohl dürfte es im Interesse einer wirksamen Bekämpfung der Ämterpatronage zweckmäßig sein, diese durch einen Sondertatbestand im Strafgesetzbuch unter Strafe zu stellen (Lindenschmidt 2004, 178 ff.). Schließlich sollten die in der öffentlichen Verwaltung von Bund und Ländern vorgesehenen „Ansprechpersonen für Korruptionsprävention“15 fortentwickelt und mit Klagebefugnissen, insbesondere auch in Fällen der politischen Ämterpatronage versehen werden.

6.9.4

Amtsethos

Die Korruptionsbekämpfung stößt oft an inhärente Wirksamkeitsgrenzen, da korruptes Verhalten durch Heimlichkeit und Kollusion der beteiligten Akteure geprägt ist. Eine wirksame Korruptionsbekämpfung erfordert daher auch eine ethische „Selbststeuerung“ der Amtsträger. D. h.: Werte wie Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit, Verantwortung für das Gemeinwohl etc. steuern das Handeln des Amtsträgers, so dass er aufgrund seines Gewissens korrupte Handlungen als unanständig empfindet und unterlässt (Stadler 2013, 1485; Rabl 2019, 93). Die Frage ist: gibt es ein besonderes Amtsethos des öffentlichen Dienstes in diesem Sinne? Der Begriff des Amtsethos – traditionell auch als Beamtenethos bezeichnet – ist historisch belastet. Denn es werden mit ihm autoritäre und antidemokratische Grundeinstellungen des preußischen Beamtentums verbunden. Gleichwohl ist die Auffassung verbreitet, dass es auch heute ein besonderes Amtsethos des öffentlichen Dienstes gibt. Dieses sei gekennzeichnet „durch eine die gesamte 15

Siehe Nr 5 der Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung v. 30.07.2004 (Fn 13).

6.10 Dienstrechtsreform

171

Persönlichkeit prägendes hohes Maß an Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein, unbedingte Loyalität gegenüber dem Rechtsstaat, aktives Eintreten für diesen Staat, die Zurücknahme privater Bedürfnisse und Empfindlichkeiten zugunsten des Amtes sowie dessen würdevolle Ausübung“ (Landau und Steinkühler 2007, 138). Die Existenz eines besonderen Amtsethos in diesem Sinne lässt sich empirisch kaum nachweisen und wird daher generell verneint (Hebeler 2008, 292 f.). Allerdings ist empirisch belegt, dass der Eintritt in den öffentlichen Dienst oft auch durch ein besonderes Verantwortungsgefühl für das öffentliche Wohl motiviert ist, das für die Wahl eines Berufs in der Wirtschaft nicht bestimmend ist (Bohne 2006, 511). Es findet sich daher durchaus eine gemeinwohlorientierte Motivationslage im öffentlichen Dienst, die man als Amtsethos bezeichnen mag. Hieran müssen Antikorruptionsmaßnahmen anknüpfen. Die Personalführung, insbesondere das Vorbild der Vorgesetzten und Schulungen müssen die Integrität und das Verantwortungsbewusstsein der Bediensteten für das Gemeinwohl stärken (Rabl 2019, 94; Ritz 2019, 427). Vielfach wird auch zur Korruptionsbekämpfung ein Ethikkodex für den öffentlichen Dienst gefordert, wie er in angelsächsischen Ländern verbreitet ist (Sommermann 1998, 299 ff.; Behnke 2006, 260 ff.; Milakovich und Gordon 2023, 241 f.).

6.10

Dienstrechtsreform

Die Reform des öffentlichen Dienstrechts, bestehend aus Beamtenrecht und Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes, ist seit langem ein Dauerthema des öffentlichen Dienstes. Es gab in der Vergangenheit eine Vielzahl kleiner Reformen und Anpassungen des Dienstrechts (Reintjes 2019, 1 f.). Es wurde jedoch auch immer wieder eine grundlegende Strukturreform des Dienstrechts gefordert, die die Zweiteilung des Dienstrechts in Beamtenrecht und Arbeitsrecht der öffentlichen Bediensteten beseitigen und ein einheitliches Dienstrecht für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes schaffen sollte. Anfang der 1970er Jahre schlug die vom Bundestag eingesetzte Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973, Rn 882 ff.) ein einheitliches gesetzliches Dienstrecht für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes und damit eine De-facto-Verbeamtung der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst vor. Der Vorschlag scheiterte an seiner fehlenden politischen Durchsetzbarkeit, insbesondere für die erforderlichen Verfassungsänderungen. In die entgegengesetzte Richtung gehen die seit vielen Jahren erhobenen Forderungen der Gewerkschaften, das Beamtenrecht abzuschaffen und alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes dem allgemeinen Arbeitsrecht zu unterstellen.

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Öffentlicher Dienst

In diesem Sinne hat die von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen eingesetzte Regierungskommission Zukunft des öffentlichen Dienstes – Öffentlicher Dienst der Zukunft im Jahr 2003 Reformvorschläge unterbreitet (siehe auch Bull 2006, der Vorsitzender der Kommission war). Nach Auffassung der Regierungskommission (2003, 38 ff., 44 f.) weist der öffentliche Dienst u. a. folgende Mängel auf: • Die hohe Regelungsdichte behindert Initiative und Kreativität der Bediensteten. – Regel- statt Zielorientierung der Behörden beeinträchtigt die Effizienz des Verwaltungshandelns. – Es besteht zu wenig Wettbewerb und Kunden- bzw Bürgerorientierung sowie zu wenig wirtschaftliches Denken in der öffentlichen Verwaltung. – Es gibt zu wenig Leistungsanreize für die Bediensteten, insbesondere fehlen Leistungsentgelte im Besoldungssystem. – Die Führungsqualität der Vorgesetzten ist mittelmäßig bis schlecht. – Die generelle Ungleichbehandlung von Beamten und Arbeitnehmern ist sachlich nicht gerechtfertigt. Wesentliche Ursache für diese und andere Mängel des öffentlichen Dienstes sei die Zweiteilung des Dienstrechts in Beamtenrecht und Arbeitsrecht. Zur Beseitigung der Mängel des öffentlichen Dienstes wurde von der Regierungskommission (2003, 144 ff.) vorgeschlagen: • Der Grundstatus alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes wird durch Gesetz, die Vergütung durch Tarifvertrag geregelt. • Grundlage des Dienstverhältnisses ist ein privatrechtlicher Arbeitsvertrag mit Streikrecht und dem in der Privatwirtschaft geltenden Kündigungsschutz. • Für bestimmte hoheitliche Beschäftigungsbereiche (diplomatischer Dienst, Finanz- und Zollverwaltung, innere und äußere Sicherheit einschließlich Katastrophenschutz und Feuerwehr, Justiz und Leitungsfunktionen im Ministerialbereich) gelten zur Sicherung der persönlichen Unabhängigkeit der Bediensteten ein verstärkter Kündigungsschutz und ein verstärkter gerichtlicher Rechtsschutz; die Adressaten dieser Regelungen werden als „Beamte im neuen Sinn“ bezeichnet (Regierungskommission 2003, 146). Zur Verwirklichung der Reformvorschläge müssten der verfassungsrechtliche Funktionsvorbehalt für die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses nach Art. 33 Abs 4

6.10 Dienstrechtsreform

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GG sowie die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs 5 GG aufgehoben werden. Es ist das Verdienst der Kommissionsvorschläge, grundsätzliche Alternativen zum geltenden Dienstrecht aufgezeigt und zu seinem besseren Verständnis beigetragen zu haben. Allerdings war ihre Verwirklichung politisch chancenlos, da die Mehrheiten für die erforderlichen Verfassungsänderungen fehlten. Darüber hinaus war die zentrale These, dass die Zweiteilung von Beamtenrecht und Arbeitsrecht wesentliche Ursache für Fehlentwicklungen des öffentlichen Dienstes sei, nicht plausibel. Denn die vorgenannten Mängel wie Regelungsdichte des Dienstrechts, Regel- statt Zielorientierung des Verwaltungshandelns, fehlender Wettbewerb und geringe Kundenorientierung, fehlende Leistungsanreize und geringe Führungsqualität der Vorgesetzten können auch in einem arbeitsrechtlich verfassten Dienstrecht auftreten bzw. im geltenden Dienstrecht behoben werden. Schließlich kommt die Konzeption der Regierungskommission auch nicht ohne Zweiteilung des Arbeitsrechts aus, wie die Sonderregelungen für „Beamte im neuen Sinn“ zeigen (Landau und Steinkühler 2007, 142). Die konzeptionelle Zweiteilung des Dienstrechts in Beamten- und Arbeitsrecht ist damit nicht kausal für die Mängel des öffentlichen Dienstes. Letztlich besitzt die aufwändige Neukonzeption eines einheitlichen privaten Dienstrechts für die Effektivität und Effizienz des öffentlichen Dienstes daher keinen praktischen Mehrwert (Wichmann und Langer 2017, Rn 10; Reintjes 2019, 248). Im Jahre 2006 wurden im Rahmen der Föderalismusreform I die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein bundeseinheitliches Dienstrecht auf die Statusrechte und –pflichten der Beamten und Richter in den Ländern und der Beamten in den Kommunen gemäß Art. 74 Abs 1 Nr. 27 GG beschränkt und den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für die Laufbahn, Besoldung und Versorgung des öffentlichen Dienstes auf Landes- und Kommunalebene eingeräumt. Auf dieser Grundlage wurden in den Folgejahren eine Reihe inkrementeller Neuregelungen des Dienstrechts von Bund und Ländern vorgenommen. Hinzuweisen ist auf das Beamtenstatusgesetz des Bundes, das die beamtenrechtlichen Statusrechte und –pflichten für den öffentlichen Dienst auf Bundes- und Landesebene regelt, auf das Dienstrechtsneuordnungsgesetz des Bundes, das u. a. zahlreiche neue Regelungen des Laufbahn- und Besoldungsrechts enthält (Leppek 2019, Rn 11 ff.) sowie auf die Neuordnungen des Laufbahn-, Besoldungs- und Versorgungsrechts in verschiedenen Bundesländern (Battis 2009, 100 ff.; Reintjes 2019, 327 f.). Letztere haben zu einer unterschiedlichen Attraktivität des öffentlichen Dienstes, insbesondere zu nicht unerheblichen Besoldungsunterschieden zwischen finanzstarken Ländern (z. B. Baden-Württemberg, Bayern) und finanzschwächeren Ländern geführt (Leppek 2019, Rn 24; Dose et al. 2020, 27 ff.). Diese

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Öffentlicher Dienst

Entwicklung ist im Hinblick auf einen qualitativ einheitlichen, leistungsfähigen öffentlichen Dienst in den Ländern nicht unproblematisch.

6.11

Zusammenfassung

Der öffentliche Dienst umfasst Beamte, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Staat stehen, und Arbeitnehmer, die auf der Grundlage von privatrechtlichen Arbeits- und Tarifverträgen tätig sind. Im Jahre 2020 gab es rd 5 Mio öffentliche Bedienstete; davon sind 1,7 Mio Beamte. Der Anteil der öffentlichen Bediensteten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen betrug im Jahre 2019 10,6 % und lag erheblich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten von 17,9 %. Der öffentliche Dienst hat für das Gemeinwesen Aufgabenerledigungs-, Ausgleichs- und Stabilisierungsfunktionen. Sein grundlegendes Strukturmerkmal ist die Zweiteilung in Beamte und Arbeitnehmer. Die Beseitigung dieses Strukturmerkmals zugunsten eines einheitlichen, privatrechtlichen Dienstrechts ist nicht sinnvoll. Inhaltlich wird das Beamtenrecht vor allem durch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs 5 GG geprägt. Der öffentliche Dienst wird seit der deutschen Wiedervereinigung von einer Unterwanderung durch Rechtsextremisten bedroht. Das Personalmanagement umfasst die Funktionen der Aufgabenanalyse, der Personalbedarfsermittlung, der Personalbeschaffung, des Personaleinsatzes und der Personalentwicklung. Die Personalsteuerung erfolgt durch Personalführung sowie durch finanzielle und immaterielle Leistungsanreize. Der öffentliche Dienst ist seit Jahren die bevorzugte Zielgruppe für Bestechungen und Bestechungsversuche (Korruption). Dabei wird zwischen situativer Korruption, die auf eine spontanen Willensentscheidung beruht, und struktureller Korruption unterschieden, die von langer Hand vorbereitet und auf Wiederholung angelegt ist. Die Korruptionsbekämpfung umfasst Personal-, Organisations- und Informationsmaßnahmen. Eine besondere Form der Korruption ist die Ämterpatronage. Sie besteht darin, dass einer Person rechtswidrig ein öffentliches Amt verliehen oder eine Beförderung gewährt wird, um sie für geleistete treue Dienste in der Vergangenheit zu belohnen (Versorgungspatronage) oder zu künftigen loyalen Diensten zu veranlassen, die die Macht der herrschenden politischen Partei im öffentlichen Dienst festigen soll (Herrschaftspatronage). Da die Korruptionsbekämpfung oft an inhärente Wirksamkeitsgrenzen aufgrund der

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Heimlichkeit von Korruption und der Kollusion der Beteiligten stößt, erfordert die Verhinderung von Korruption letztlich eine „ethische Selbststeuerung“ der Amtsträger durch Werte wie Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit und Verantwortung für das Gemeinwohl, die im Begriff des Amtsethos zusammengefaßt werden. Die Personalführung, insbesondere durch das Vorbild der Vorgesetzten, Schulungen und Ethikkodizes für den öffentlichen Dienst sollen die Integrität und das Verantwortungsbewusstsein der öffentlichen Bediensteten stärken.

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Öffentliche Finanzen

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Grundlagen

7.1.1

Begriff der Öffentlichen Finanzwirtschaft

Öffentliche Finanzen sind die Gesamtheit der Einnahmen und Ausgaben des Staates. Die effektive und effiziente Beschaffung, Verwaltung und Verwendung der Finanzmittel zur staatlichen Aufgabenerfüllung wird als „Öffentliche Finanzwirtschaft“ bezeichnet (Leibinger et al. 2021, Rn 1 ff.). Diese betrifft nicht nur Einnahmen und Ausgaben im engeren Sinn, sondern umfasst das gesamte wirtschaftliche Handeln des Staates (Scherf 2011, 2). Neben der Bedarfsdeckungsfunktion für den Staat soll die Öffentliche Finanzwirtschaft auch gesamtwirtschaftliche Funktionen (z. B. bei der Bekämpfung von Konjunktur- und wirtschaftlichen Wachstumsstörungen), insbesondere im Rahmen der Haushaltsund Finanzplanung, sowie sonstige politische Lenkungsfunktionen (z. B. in der Sozialpolitik) erfüllen (Leibinger et al. 2021, Rn 3). Träger der Öffentlichen Finanzwirtschaft sind Bund, Länder und Kommunen sowie Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen und über Finanzquellen mit Zwangscharakter verfügen (sog. Parafisci), z. B. Sozialversicherungen, Berufskammern (Scherf 2011, 22). Die Öffentliche Finanzwirtschaft ist Gegenstand • der Finanzwissenschaft unter ökonomischen Aspekten, • des Finanzverfassungs- und Verwaltungsrechts unter rechtlichen Aspekten, • der Politikwissenschaft unter Gesichtspunkten der Gewinnung und Erhaltung politischer Macht und

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_7

183

184

7

Öffentliche Finanzen

• der Verwaltungswissenschaft unter Gesichtspunkten von Verwaltungsaufgaben und -organisation sowie der Integration der vorstehenden Wissenschaftsaspekte. Die verwaltungswissenschaftliche Perspektive steht hier im Vordergrund.

7.1.2

Staatliche Einnahmen

Einen Überblick über die Einnahmen des Staates (Korioth 2022, Rn 33 ff.; Leibinger et al. 2021, Rn 21 ff., 46 ff.) enthält Abb. 7.1. Die wichtigste Einnahmequelle des Staates sind Abgaben. Diese sind Geldleistungen an den Staat, die den Bürgern durch öffentliches Recht einseitig auferlegt werden. Am ertragsreichsten sind Steuern, die in § 3 Abs 1 AO definiert sind als „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzeugung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.“ Neben der Einnahmenerzielung können Steuern auch einen politischen Lenkungszweck verfolgen, z. B. Öko-Steuern. Im Gegensatz hierzu stellen Gebühren, eine Gegenleistung für staatliche Leistungen dar, z. B. für Verwaltungshandlungen (Verwaltungsgebühr) oder für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (Benutzungsgebühr). Die Höhe der Gebühr muss dem Wert der Verwaltungsleistung entsprechen (Äquivalenzprinzip) und darf dabei lediglich die tatsächlichen Kosten des Verwaltungshandelns decken (Kostendeckungsprinzip). Eine Gewinnerzielung durch die Gebührenerhebung ist nicht zulässig. Falls Gebühren darüber hinaus eine bestimmte Verhaltenslenkung verfolgen, muss die Gebührenhöhe auch die Verwirklichung des Lenkungszwecks berücksichtigen. Beiträge sind Gegenleistungen für das Angebot staatlicher Leistungen. Kennzeichnend ist die Möglichkeit der rechtlichen Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, nicht die tatsächliche Inanspruchnahme. Beispiele sind Erschließungs-und Anliegerbeiträge, Studien- und Sozialversicherungsbeiträge. Sonderabgaben sind Geldleistungen des Bürgers, die zur Erfüllung spezifischer Verwaltungsaufgaben nur von einer bestimmten Gruppe von Bürgern erhoben werden, die homogen ist und in einer besonderen Sachnähe und Verantwortung zu der Verwaltungsaufgabe steht. Ein Beispiel ist die Abwasserabgabe nach dem Abwasserabgabengesetz, die zur Finanzierung der Abwasserreinigung von der Gruppe derjenigen Bürger erhoben wird, die Abwasser direkt in einen

7.1 Grundlagen

185

Einnahmen

Merkmale Steuern

Hoheitliche Zwangsabgabe ohne Gegenleistung Gebühren Entgelt für staatliche Leistungen Abgaben zur Kostendeckung Beiträge staatlicher Einrichtungen ohne Abgaben Rücksicht auf tatsächliche Inanspruchnahme Abgaben ohne Gegenleistung für bestimmten Sachzweck, Sonderabgaben erhoben von homogener Gruppe mit Nähe zum Sachzweck Einkünfte aus staatlichen Beteiligungen an öffentlichen Beteiligungseinkünfte und privaten Unternehmen Erwerbseinkünfte Erlöse aus der Veräußerung von staatlichen VermögensVeräußerungserlöse gegenständen Vermögenserträge Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Darlehen Kredite zur Überbrückung Kassenverstärkungskredite vorübergehender Liquiditätsengpässe Kredite Deckungskredite Kredite zur Erhöhung der Haushaltseinnahmen Versteigerungserlöse Gegenleistung für die staatliche Zuteilung knapper Güter Sonstige Einnahmen aus der Differenz Einnahmen zwischen dem Nennwert von Münzen und Papiergeld und Geldschöpfungsgewinn ihren insgesamt niedrigeren Herstellungs-und Bereitstellungskosten

Abb. 7.1 Einnahmearten des Staates. (Quelle: Eigene Darstellung)

186

7

Öffentliche Finanzen

Vorfluter einleiten. Die Verwendung von Sonderabgaben ist für die Erfüllung der spezifischen Verwaltungsaufgaben zweckgebunden. Sonderabgaben sind parafiskalische Abgaben, da sie nicht in das allgemeine Steueraufkommen fließen und insoweit dem Prinzip des Steuerstaates widersprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen daher enge Grenzen gezogen (BVerfGE 108, 186, 217 ff.; 113, 128, 150 ff.). Erwerbseinkünfte sind privatrechtliche Einnahmen des Staates aus der Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr. Hierzu gehören Einkünfte aus • der Beteiligung an öffentlichen Unternehmen in Privatrechtsform (z. B. Stadtwerke als GmbH, Deutsche Bahn AG) und in öffentlich-rechtlicher Form (z. B. kommunale Eigenbetriebe, Sparkassen und Landesbanken als öffentlich-rechtliche Anstalten), • der Veräußerung von Grundstücken und anderen Vermögensgegenständen, • der Nutzung von Sachen und Rechten, z. B. Vermietung, Verpachtung, Zinsen. Kredite sind zukünftig rückzahlbare und grundsätzlich zu verzinsende Geldmittel, die sich der Staat am Kapitalmarkt beschafft. Zu den Kreditformen gehören Anleihen, Obligationen und Schatzbriefe. Kreditaufnahmen dienen der Finanzierung staatlicher Aufgaben oder der Überbrückung vorübergehender Liquiditätsengpässe. Versteigerungserlöse sind Geldleistungen des Bürgers, die als Gegenleistung für die staatliche Zuteilung knapper Güter im Rahmen eines hoheitlichen Versteigerungsverfahrens entrichtet werden, z. B. Erlöse aus der Versteigerung von Mobilfunklizenzen oder CO2-Emissionsrechten. Geldschöpfungsgewinne (in der Finanzwissenschaft auch Seigniorage1 genannt) sind Einnahmen des Bundes aufgrund seines Geldschöpfungsmonopols, die sich aus der Differenz zwischen dem Nennbetrag von Münzen und Papiergeld und den insgesamt niedrigeren Herstellungs- und Bereitstellungskosten ergeben (Wirtschaftslexikon 2020, 2 f.). Abb. 7.2 gibt einen Überblick über die staatlichen Einnahmen in den Jahren 2019–2021. Die Gesamteinnahmen des Staates waren im Jahr 2020 deutlich gesunken, was mit der Corona-Pandemie erklärt wird (Statistisches Bundesamt 2022). Im Jahr 2021 stiegen die Einnahmen aufgrund der wirtschaftlichen Erholung wieder an.

1

Die Bezeichnung geht auf das französische Wort „Seigneur“ zurück, der im Mittelalter als Feudalherr das ausschließliche Recht zur Münzprägung besaß.

7.1 Grundlagen

187

Staat

2019

2020

2021

Bund

411,8

381,8

424,7

Länder

433,9

453,8

510,8

Kommunen

282,4

295,2

308,0

Sozialversicherung

688,1

720,7

774,2

Insgesamt*

1542,7

1489,4

1629,3

*Die Spalten sind nicht zu einem Gesamtwert addierbar, weil sich die Einnahmen von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung überschneiden. Derselbe Euro kann mehrfach in den Einnahmen der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung auftauchen. Die Zeile „insgesamt“ ist um solche Doppelzählungen bereinigt.

Abb. 7.2 Einnahmen des Staates in 2019–2021 in Mrd Euro. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2022)

7.1.3

Staatliche Ausgaben

Abb. 7.3 zeigt die Gesamtausgaben des Staates in den Jahren 2019–2021. Ein Vergleich der Gesamteinnahmen in Abb. 7.2 mit den Gesamtausgaben in Abb. 7.3 zeigt, daß in 2021 ein Finanzierungsdefizit des Gesamthaushalts von 133,1 Mrd e bestand. Dieses war auch eine Folge der Corona-Pandemie. Die Höhe der Ausgaben von Bund und Ländern bewegt sich in der gleichen Größenordnung. Die Finanzierung der Länderausgaben erfolgt aber in einem nicht unerheblichen Umfang durch den Bund. Zwar gilt nach Art. 104a Abs

Staat

2019

2020

2021

Bund

397,0

511,7

560,5

Länder

417,2

487,2

507,2

Kommunen

276,7

293,2

303,4

Sozialversicherung

679,9

748,6

779,7

Insgesamt*

1497,4

1678,6

1762,4

*Die Spalten sind nicht zu einem Gesamtwert addierbar, weil sich die Ausgaben von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung überschneiden. Derselbe Euro kann mehrfach in den Ausgaben der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung auftauchen. Die Zeile „insgesamt“ ist um solche Doppelzählungen bereinigt.

Abb. 7.3 Ausgaben des Staates in 2019–2021 in Mrd Euro. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2022)

188

7

Öffentliche Finanzen

1 GG der Grundsatz, dass Bund und Länder die Ausgaben für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben jeweils selbst tragen. Das Grundgesetz lässt jedoch durch Art. 104a, 104b, 91a–91e in einer Reihe von Aufgabenbereichen Ausnahmen von diesem Grundsatz zu (Leibinger et al. 2021, Rn 82 ff.). Danach werden die Ausgaben für diese Länderaufgaben ganz oder teilweise vom Bund finanziert (Mischfinanzierung). Mischfinanzierungstatbestände sind beispielsweise • die Bundesauftragsverwaltung (z. B. im Bereich der Nutzung der Kernenergie, des Luftverkehrs, der Bundeswasserstraßen, der Bundesstraßen, der Landesfinanzverwaltung), der Ausführung von Geldleistungsgesetzen, die die Länder zur Gewährung von Geldleistungen verpflichten wie Wohngeld, Kindergeld etc., Art. 104a Abs 2 GG, • Finanzhilfen für bedeutsame Investitionen der Länder, Art. 104b GG, • die Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben, z. B. Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (Art. 91a GG), Bildungsplanung und Forschungsförderung (Art. 91b GG), Planung, Errichtung und Betrieb informationstechnischer Systeme (Art. 91c GG). Der beträchtliche Umfang der Mischfinanzierungen beeinträchtigt faktisch die Haushaltsautonomie der Länder und führt zu einer undurchsichtigen Verantwortungsteilung zwischen Bund und Ländern. Die Staatsausgaben lassen sich nach dem Ressortprinzip oder nach dem Funktionalprinzip gliedern (Scherf 2011,14 ff.). Der Haushaltsplan ist nach dem Ressortprinzip gegliedert und besteht aus den Einzelplänen der Ministerien. Diese Struktur legt die politische Verantwortlichkeit und administrative Zuständigkeit für die staatlichen Ausgaben fest. Um zu erkennen, für welche staatlichen Aufgaben die Ausgaben erfolgen, insbesondere im Falle einer ressortübergreifenden Aufgabenwahrnehmung, werden die Ausgaben gemäß dem Funktionalprinzip nach Aufgabenbereichen gegliedert. Dies geschieht im Funktionenplan nach § 11 Abs 2 HGrG, der eine Anlage zum Haushaltsplan ist. Die bei weitem meisten Ausgaben des Bundes entfallen auf die soziale Sicherung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Im Haushaltsplan 2022 machten sie 36,8 % der Gesamtausgaben des Bundes aus, gefolgt von den Ausgaben für Verteidigung (11,4 %), Allgemeine Finanzverwaltung (10,6 %) und für Verkehr und digitale Infrastruktur (8,1 %) (Bundesministerium der Finanzen 2021, 21). Bei den Ländern stellen die Personalausgaben den größten Anteil an den Gesamtausgaben dar, weil die Länder

7.1 Grundlagen

189

für besonders personalintensive Aufgabenbereiche (z. B. Schulwesen, Polizei) zuständig sind (siehe oben 6.1 a.E.). Zur Kennzeichnung des finanzwirtschaftlichen Umfangs staatlicher Aktivitäten ist es üblich, die Gesamtausgaben des Staates ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu setzen (Brümmerhoff und Büttner 2018, 34 ff.). Die Verhältniszahl wird als Staats(ausgaben)quote bezeichnet. Sie betrug in Deutschland im Jahre 2021 51,3 % und entsprach damit in etwa dem EU-Durchschnitt von 51,5 % (Eurostat 2023). Staatsausgabenquoten werden für zeitliche und internationale Vergleiche der Staatsausgaben genutzt (Corneo 2018,11 ff.; Zimmermann et al. 2021, 33 f.). Aus einer langfristigen Perspektive hat sich die Staatsausgabenquote seit dem 1. Weltkrieg ständig erhöht und lag in den meisten EU-Staaten im Jahre 2020 zwischen 40 und 50 %, in rd einem Drittel der Staaten über 50 %, in Frankreich über 60 %. Die internationale Vergleichbarkeit von Staatsausgabenquoten ist nur begrenzt gegeben, da die jeweils berücksichtigten Staatsausgaben von Land zu Land verschieden sein können und dementsprechend die Staatsausgabenquote beeinflussen (Schratzenstaller 2013, 206). Die Quoten sind daher zurückhaltend zu interpretieren. Wenig plausibel ist die verbreitete These, dass ein hoher Anteil der Staatsausgaben am BIP generell zu einer Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums führe. Die skandinavischen Staaten mit einer Staatsausgabenquote von teilweise über 50 % und einem hohen Lebensstandard stehen dieser These entgegen. Mit einiger Zuverlässigkeit wird man daher nur sagen können, dass hohe Staatsausgabenquoten eine umfangreiche Verwaltungs- und Wohlfahrtstätigkeit des Staates anzeigen (Zimmermann et al. 2021, 35 f.). Die Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten dürfte auch den Anstieg der Staatsausgabenquoten am ehesten erklären.

7.1.4

Finanzverwaltung

Der Aufbau der Finanzverwaltung von Bund und Ländern ist in seinen Grundzügen im Finanzverwaltungsgesetz (FVG) geregelt. Abb. 7.4 gibt einen Überblick über die Grundstruktur der Finanzverwaltung. Oberste Finanzbehörden sind die Finanzministerien von Bund und Ländern. Für Spezialaufgaben gibt es Bundes- und Landesoberbehörden, die bundes- bzw. landesweit zuständig sind. Bundesoberbehörden bestehen für bestimmte steuerliche Aufgaben, für die Leitung der Bundeszollverwaltung und für IT-Angelegenheiten.

190

7

Öffentliche Finanzen

Abb. 7.4 Grundstruktur der Finanzverwaltung in Bund und Ländern. (Quelle: Eigene Darstellung)

Auf Landesebene ist die Struktur der Finanzverwaltung höchst unterschiedlich. Landesoberbehörden sind in einigen Ländern die Landesämter für Finanzen, zuständig u. a. für Besoldung und Versorgung des öffentlichen Dienstes (z. B. in (Rheinland-Pfalz) sowie die Landesämter für Steuern (z. B. in Rheinland-Pfalz, Sachsen). In anderen Ländern (z. B. in Bayern, Niedersachsen) sind die Landesämter für Steuern Mittelbehörden. In den Ländern, in denen Landesämter für Finanzen und Steuern bestehen, wurden die Oberfinanzdirektionen aufgelöst, die traditionell als Mittelbehörden fungierten. Oberfinanzdirektionen gibt es noch in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Auf Bundesebene gibt es keine Mittelbehörden. Örtliche Finanzbehörden des Bundes sind die Hauptzollämter und Zollfahndungsämter. Die Finanzämter sind örtliche Finanzbehörden der Länder. Die kommunalen Steuern werden von kommunalen Steuerämtern verwaltet. Die Gemeinschaftssteuern (Umsatz-, Einkommens-, Körperschaftssteuern), die Bund und Ländern nach bestimmten Schlüsseln gemeinsam zustehen (Art. 107 Abs. 1 GG), werden von den Länderfinanzverwaltungen im Auftrag des Bundes verwaltet (Art. 108 Abs. 3 GG).

7.1 Grundlagen

191

Die föderale Struktur der Finanzverwaltung, insbesondere die Bundesauftragsverwaltung, ist seit langem Gegenstand heftiger Kritik. Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre wird der Vollzug der Steuergesetze vom Bundesrechnungshof (1993, 2006, 2007, 2018) regelmäßig als gesetzeswidrig gerügt. Viele sprechen von einem „Vollzugsnotstand“ in der Steuerverwaltung (Bundesrechnungshof 2006, 19 f.). Der Bundesrechnungshof (2007, 46) sieht die föderale Struktur der Finanzverwaltung als wesentliche Ursache für den Vollzugsnotstand. Diese Struktur führe dazu, dass die Länder vor allem im Bereich der Gemeinschaftssteuern • aufgrund der geltenden Finanzverfassung kein ausreichendes Eigeninteresse hätten, die Steuern vollständig und rechtzeitig zu erheben2 , • Außenprüfungen der Steuerpflichtigen (z. B. Betriebsprüfungen, Umsatzsteuer-Sonderprüfungen, Lohnsteuer-Außenprüfungen) aus Personalmangel nur im geringen Umfang durchführten, z. B. bei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen mit einer Prüfquote im Bundesdurchschnitt von 1,4 %, sodass Unternehmer rechnerisch nur alle 71 Jahre mit einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung rechnen müssten (Bundesrechnungshof 2018, 289), • einen einheitlichen Steuervollzug und damit die Steuergerechtigkeit nicht gewährleisteten, • die Einführung moderner IT- Systeme behinderten. Neben der föderalen Struktur der Finanzverwaltung sei die permanente Änderung der Steuergesetze sowie die Flut an Verwaltungsvorschriften, Erlassen, allgemeinen Weisungen und Rundschreiben für den Steuernotstand ursächlich (Bundesrechnungshof 2006, 27 ff.). Zur Beseitigung des Vollzugsnotstandes in der Steuerverwaltung hat der Bundesrechnungshof (2006, 181 ff.; 2007, 53) immer wieder die Abschaffung der Bundesauftragsverwaltung und die Einführung einer Bundessteuerverwaltung vorgeschlagen. Die Verwirklichung dieses Vorschlags scheiterte am Widerstand der Länder. Ein Schritt zur Verbesserung des Vollzugs der Steuergesetze könnte die Abschaffung des bisherigen Finanzausgleichs sein, die im Jahre 2017 aufgrund

2

Nach den bis Ende 2019 geltenden Finanzausgleichsregeln hätten die Geberländer den weit überwiegenden Teil etwaiger Steuermehreinnahmen an die Nehmerländer abführen und die Nehmerländer sich etwaige Steuermehreinnahmen im Rahmen des Finanzausgleichs anrechnen lassen müssen (Bundesrechnungshof 2006, 78).

192

7

Öffentliche Finanzen

einer Verfassungsänderung mit Wirkung zum 01.01.2020 erfolgte.3 Nunmehr ist der Bund dafür verantwortlich, einheitliche Lebensverhältnisse in den Ländern sicherzustellen. Der Finanzausgleich erfolgt über Ab- und Zuschläge bei der Umsatzsteuerverteilung (Art. 107 Abs. 2 GG). Außerdem wurden die Weisungsrechte des Bundes gestärkt (Art. 108 GG). Allerdings sind weitere personelle und administrative Reformen auf Länderebene erforderlich.

7.2

Steuern

Steuern sind – wie oben (7.1.2) dargelegt – die ertragreichste Einnahmequelle des Staates. § 3 Abs 1 AO definiert Steuern als öffentlich-rechtliche Zwangsabgabe ohne Gegenleistung zur Erzielung von Einnahmen. Dabei kann die Einnahmenerzielung Nebenzweck der Steuer sein, während ihr primärer Zweck die Herbeiführung eines bestimmten, sozial erwünschten Verhaltens ist, z. B. Umweltschutz bei Ökosteuern.

7.2.1

Steuerarten

Die Steuerarten lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren (Tipke und Lang 2021, Rn 7.19 ff.). Verbreitet ist die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuern. Bei direkten Steuern sind Steuerschuldner und Steuerträger identisch, z. B. bei der Einkommensteuer. Indirekte Steuern werden vom Steuerschuldner auf einen anderen Steuerträger überwälzt. Beispielsweise wird die Umsatzsteuer über den Preis auf die Kunden überwälzt. Allerdings lassen sich je nach Marktlage auch direkte Steuern überwälzen, z. B. die den Grundeigentümer treffende Grundsteuer auf den Mieter als Teil der Mietnebenkosten. Unter systematischen Gesichtspunkten erscheint es daher zweckmäßiger, drei Arten von Steuern nach dem Zugriffspunkt im Wirtschaftskreislauf zu unterscheiden, d. h. nach Entstehung, Bestand und Transfer sowie Verwendung von Einkommen und Vermögen. Abb. 7.5 gibt eine Übersicht über wichtige Steuerarten nach dem Zugriffspunkt im Wirtschaftskreislauf sowie nach ihrer direkten oder indirekten Wirkung. 3

Siehe Beschluß der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern vom 14.10.2016, zugänglich unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/konfer enz-der-regierungschefinnen-und-regierungschefs-von-bund-und-laendern-am-14-oktober2016-in-berlin-beschluss-430850, Zugang am 14.12.2022.

7.2 Steuern

Wirtschaftskreislauf Wirkung

Direkt

Indirekt

193

Entstehung von Einkommen und Vermögen

Bestand und Transfer von Einkommen und Vermögen

Verwendung von Einkommen und Vermögen

Erbschaftssteuer Einkommensteuer SchenkungsKörperschaftssteuer steuer Gewerbesteuer Grundsteuer Grunderwerbssteuer Vermögenssteuer* Umsatzsteuer Versicherungssteuer Kfz-Steuer Energiesteuer Stromsteuer Sonstige Verbrauchs- und Aufwandssteuern

*Die Vermögensteuer wird aus verfassungsrechtlichen Gründen derzeit nicht erhoben (Tipke/Lang 2021, Rn 7.43)

Abb. 7.5 Steuerarten nach Wirkung und Zugriffspunkt im Wirtschaftskreislauf. (Quelle: Eigene Darstellung)

Einkommensteuer und Körperschaftsteuer werden direkt auf die Entstehung von Einkommen erhoben und sind die ertragreichsten Steuern. Sie machten in 2020 42,5 % des gesamten Steueraufkommens (739,7 Mrd e) aus. Am zweit ertragreichsten war die Umsatzsteuer mit einem Anteil von 22,8 % am Steuergesamtaufkommen in 2020 (berechnet nach Statistisches Bundesamt 2021).

7.2.2

Steueraufkommen und -verteilung, Finanzausgleich

Nach der Ertragshoheit, d. h. nach dem Empfänger der Steuern, werden unterschieden Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern sowie Gemeinschaftssteuern (Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer), die zwischen Bund und Ländern quotenmäßig aufgeteilt werden. Abb. 7.6 zeigt die Anteile von Bund, Ländern und Gemeinden am gesamten Steueraufkommen in 2020. Dabei sind

194

7

Öffentliche Finanzen

Abb. 7.6 Verteilung des kassenmäßigen Steueraufkommens in 2020 nach der Ertragskompetenz. (Quelle; Statistisches Bundesamt, Steuerhaushalt, Fachserie 14, Reihe 4, 2021, S. 5)

die Gemeinschaftssteuern die bei weitem ertragreichsten Steuern und betrugen in 2020 540,3 Mrd e (Statistisches Bundesamt 2021). Am ergiebigsten sind von • den Bundessteuern: die Energiesteuer (37,6 Mrd e), • den Landessteuern: die Grunderwerbsteuer (16,1 Mrd e) und • den Gemeindesteuern: die Gewerbesteuer (45,3 Mrd e). Der Anteil des gesamten Steueraufkommens am BIP (Steuerquote) betrug in 2019 24,1 % (Bundesministerium der Finanzen 2021, 356). Die Gemeinschaftssteuern werden zwischen Bund und Ländern wie folgt verteilt: Das Aufkommen der Einkommens- und Körperschaftssteuer steht gemäß Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG Bund und Ländern je zur Hälfte zu. Allerdings erhalten die Gemeinden gemäß Art. 106 Abs. 5 GG i.V.m. § 1 Satz 1 Gemeindefinanzreformgesetz vom Aufkommen der Einkommensteuer 15 % vorab, sodass Bund und Ländern von der Einkommensteuer insgesamt 85 % verbleiben, die hälftig aufgeteilt werden. Von der Körperschaftssteuer erhalten Bund und Länder jeweils 50 %.

7.2 Steuern

195

Die Aufteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern wurde im Jahre 2017 mit Wirkung zum 01.01.2020 neu geregelt.4 Die Neuregelung trat zugleich an die Stelle des bisherigen horizontalen Länderfinanzausgleichs. Dieser hatte vorgesehen, dass die finanzstarken Länder nach dem Solidaritätsprinzip durch angemessene Ausgleichszahlungen an finanzschwache Länder für annähernd gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland sorgen. In der Vergangenheit waren vor allem Baden-Württemberg und Bayern, aber auch Hessen und Hamburg gegenüber den übrigen zwölf Bundesländern ausgleichspflichtig. Die Neuregelung ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Zentralisierung und Vertikalisierung (Holler und Nürnberger 2017, 14; Berlit 2018, 14 f.). An die Stelle der bisherigen dezentralen, solidarischen Verantwortung der Länder für den Finanzausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern tritt die zentrale Verantwortung des Bundes dafür, dass die Länder ausreichende Finanzmittel für ihre Aufgabenerfüllung haben und einheitliche Lebensverhältnisse in Deutschland sichergestellt sind (Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG). Für diesen Zweck fließen ab 2020 mehr Finanzmittel vertikal vom Bund zu den Ländern. D. h.: • Der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer wird auf Kosten des Bundes erhöht. Gemäß § 1 FAG erhalten von der Umsatzsteuer der Bund 52,8 %, die Länder 45,2 % und die Gemeinden 2,0 %. Zusätzlich erhöhen sich die Anteile von Ländern und Gemeinden zu Lasten des Bundes jährlich um ca. 9–11 Mrd e. • Der Länderanteil an der Umsatzsteuer wird gemäß §§ 2,4 ff. FAG nach dem Verhältnis der Einwohnerzahlen auf die Länder verteilt. Dabei werden – im einzelnen geregelte – Zuschläge für finanzschwache Länder zu und Abschläge für finanzstarke Länder von der Finanzkraft hinzugerechnet. • Schließlich gewährt der Bund leistungsschwachen Ländern Bundesergänzungszuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs und zum Ausgleich von Sonderlasten, § 11 Abs 1 FAG. Die Neuregelung des Finanzausgleichs stärkt die Finanzkraft der Länder auf Kosten des Bundes. Dafür wird die Handlungsfähigkeit des Bundes im Bereich der Bundesfernstraßenverwaltung, der IT-Infrastruktur und der Steuerverwaltung auf Kosten der Länder verbessert – insgesamt ein vernünftiger Kompromiss (Wieland 2017, 259). Von manchen Autoren wird die Neuregelung allerdings wegen des Wegfalls des horizontalen Länderfinanzausgleichs kritisiert, weil hierdurch 4

Gesetz zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichsystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften vom 14.08.2017, BGBl I,3122

196

7

Öffentliche Finanzen

das bewährte Prinzip föderaler Solidarität und eines „brüderlichen“ Finanzausgleichs verletzt werde (Renzsch 2017, 877; Berlit 2018, 23). Bedenkt man jedoch, dass der horizontale Länderfinanzausgleich – wie oben dargelegt (7.1.4 a.E.) – einen schlampigen, gesetzeswidrigen Vollzug der Steuergesetze durch die Länder begünstigte, so scheint die Kritik eher auf föderaler Ideologie als auf Fakten zu beruhen. Ein vertikaler Finanzausgleich besteht nicht nur im Bund-Länderverhältnis, sondern ist gemäß Art. 106 Abs 7 GG auch innerhalb der Flächenländer in Gestalt eines kommunalen Finanzausgleichs erforderlich (Schmidt 2012, 8; Zimmermann und Döring 2019, 272 ff.). Der kommunale Finanzausgleich hat eine • fiskalische Funktion: Stärkung der Finanzkraft finanzschwacher Kommunen, • redistributive Funktion: Schwächung von Finanzkraftunterschieden zwischen Kommunen, • raumordnerische Funktion: Förderung zentraler Orte, • gesamtökonomische Funktion: Stärkung der Kommunen als Investor und Nachfrager von Leistungen (Schmidt 2012, 9). Das Grundprinzip des kommunalen Finanzausgleichs besteht darin, dass die Länder einen prozentualen Anteil ihrer Steuereinnahmen an finanzschwache Kommunen nach bestimmten Schlüsseln verteilen. Liegt die Steuerkraft einer Kommune unter ihrem Finanzbedarf, so wird die Differenz zu einem bestimmten Prozentsatz aufgefüllt. Liegt die Steuerkraft einer Kommune über ihrem Finanzbedarf, erhält sie nichts. In diesem Fall erheben einige Länder eine Finanzausgleichsumlage, die der Finanzausgleichsmasse zufließt (z. B. § 3 Abs 1 LFAG-Rheinland-Pfalz). Einzelheiten des kommunalen Finanzausgleichs sind in den jeweiligen Finanzausgleichsgesetzen der Länder geregelt.

7.3

Staatsverschuldung

7.3.1

Begriff und Entwicklung der Staatsverschuldung

Kredite sind nach Steuern die zweitwichtigste Einnahmequelle des Staates. Im Unterschied zu den ordentlichen Einnahmen der Steuern werden sie als außerordentliche Einnahmen bezeichnet. Die staatliche Kreditaufnahme erfolgt am Kapitalmarkt zur Finanzierung von Haushaltsdefiziten und begründet die Staatsverschuldung. Es wird zwischen Kassenkrediten und Haushaltskrediten unterschieden (Scherf 2011, 401).

7.3 Staatsverschuldung

197

Kassenkredite – auch Kassenverstärkungskredite genannt – dienen bei einer vorübergehenden, fehlenden Liquidität der Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen öffentlichen Kassenwirtschaft und dürfen nur für einen Zeitraum von sechs Monaten nach Ablauf des Haushaltsjahres gewährt werden, in dem sie aufgenommen wurden (§ 18 Abs 2 Nr. 2 BHO). Haushaltskredite in Form von beispielsweise Bundesobligationen, Bundesschatzbriefe, Anleihen und Schuldscheine dienen der mittel- oder langfristigen Finanzierung von Staatsausgaben. Dabei ist zu unterscheiden zwischen konjunkturbedingter und struktureller Staatsverschuldung (Scherf 2011, 398). Die konjunkturbedingte Staatsverschuldung beruht auf geringeren Steuereinnahmen und höheren Sozialausgaben in Zeiten wirtschaftlicher Rezession. Darüber hinaus nimmt der Staat Kredite auf (Neuverschuldung), um die staatliche Nachfrage in der Rezession zu erhöhen und die private Nachfrage zu stimulieren. In diesem Fall spricht man von einem „antizyklischen Defizit“, das Teil der antizyklischen Haushaltspolitik ist, die auf der Wirtschaftstheorie von John Maynard Keynes beruht. Die strukturelle Staatsverschuldung ist Folge einer dauerhaften Überlastung des Haushalts durch nicht finanzierte Ausgaben. Auch bei guter Konjunktur wird es langfristig nicht abgebaut. D. h.: strukturelle Staatsverschuldung liegt vor, wenn eine Gesellschaft über ihre Verhältnisse lebt. Dies ist langfristig mit Wachstumsverlusten und mit einer Belastung künftiger Generationen durch höhere Steuern verbunden, die zur Finanzierung des Schuldendienstes erforderlich sind (Sachverständigenrat Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2007, 1). Die strukturelle Staatsverschuldung ist daher konsolidierungsbedürftig. Für ökonomische Analysen und internationale Vergleiche ist es üblich, zwischen Defizitquote und Schuldenstandsquote zu unterscheiden (Scherf 2011, 403 f.). Die Defizitquote misst die jährliche Nettokreditaufnahme (Neuverschuldung) im prozentualen Verhältnis zum BIP. Die Schuldenstandsquote bezeichnet die gesamte Staatsverschuldung im prozentualen Verhältnis zum BIP. Abb. 7.7 gibt einen Überblick über die prozentualen Anteile der Finanzierungssalden (Haushaltsdefizit bzw. Haushaltsüberschuss) am BIP in 2019 und 2020 in der EU (Eurostat 2021, 2 ff.). Wegen der wirtschaftlichen Hilfen als Folge der Corona Pandemie stieg die durchschnittliche Defizitquote in der EU von - 0,5 % in 2019 auf - 6,7 % in 2020 und sank wieder auf -4,5% in 2021. Die höchste Defizitquote in 2021 hatte Malta mit -7,9 %; %; kein Defizit hatten als einzige EU-Mitgliedstaaten Dänemark (+3,6%) und Luxemburg (+0,8%). Die deutsche Defizitquote betrug -3,7% % in 2021.

7

Abb. 7.7 Defizitquoten in der EU in 2020 und 2021. (Quelle: Eurostat 2021)

198 Öffentliche Finanzen

7.3 Staatsverschuldung

199

Abb. 7.8 gibt einen Überblick über die Schuldenstandsquoten in der EU in 2020 und 2021. In Deutschland stieg die Schuldenstandsquote von 58,9 % in 2019 auf 68,6 % in 2021. . Am höchsten war sie in 2021 in Griechenland mit 194,5% und am niedrigsten in Estland mit 17,6%. Die Durchschnittsquote in der EU betrug 87,9% in 2021.

7.3.2

Institutionelle Grenzen der Staatsverschuldung

Zum Abbau der bestehenden Staatsverschuldung und zur Verhinderung einer ausufernden künftigen Staatsverschuldung wurden nationale und europäische Regelungen erlassen, die die Höhe der zulässigen Staatsverschuldung der Mitgliedsstaaten begrenzen sollen.

7.3.2.1 Schuldenbremse des Grundgesetzes In Deutschland sind diese als „Schuldenbremse“ bezeichneten Regelungen in Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 2 GG niedergelegt (Kramer et al. 2012, 898 ff.; Disselbeck 2017, 137 ff.). Grundlage ist das Gebot, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG). Dieses Gebot gilt für den Bund als erfüllt, wenn die jährliche strukturelle Neuverschuldung nicht mehr als 0,35 % des BIP beträgt. Die Länder haben diesen Verschuldungsspielraum nicht (Art. 109 Abs. 3 Satz 4 und 5 GG). Es bestehen zwei Ausnahmen vom Verbot der Kreditaufnahme: • bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Rezession ist eine konjunkturell bedingte Verschuldung von Bund und Ländern zulässig, die allerdings in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs konjunkturgerecht wieder zurückzuführen ist (Art. 109 Abs. 3 Satz 2 und Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG); • im Fall von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, kann der Bundestag die Überschreitung der Kreditobergrenzen beschließen. Der Beschluß ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden, der die Rückführung der aufgenommenen Kredite innerhalb eines angemessenen Zeitraums vorsieht (Art. 115 Abs. 2 Satz 6–8 GG). Diese Regelung ermöglichte die erhebliche Verschuldung des Bundes zum Ausgleich der Beeinträchtigungen der Wirtschaft durch die Corona-Pandemie. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Kreditobergrenze für

7

Abb. 7.8 Schuldenstandsquote in der EU in 2020 und 2021 (Quelle: Eurostat 2021)

200 Öffentliche Finanzen

7.3 Staatsverschuldung

201

die strukturelle und konjunkturbedingte Staatsverschuldung sind auf einem Kontrollkonto zu erfassen. Bei Überschreitung der Kreditobergrenzen um mehr als 1,5 % des BIP ist die Verschuldung konjunkturgerecht zurückzuführen (Art. 115 Abs. 2 Satz 4 GG). Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen wurde ein Stabilitätsrat eingerichtet, der die Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern fortlaufend überwacht (Art. 109a GG). Die Einzelheiten der Schuldenbremse sind gesetzlich geregelt.5 Eine systematische Evaluierung der Schuldenbremse steht noch aus. Praktische Erfahrungen zeigen, dass die Kreditobergrenzen umgangen werden können, z. B. auf Landesebene durch Verlagerung der Verschuldung in haushaltsrechtlich selbstständige öffentliche Unternehmen (Brümmerhoff und Büttner 2018, 561). Allerdings hat ein Verstoß gegen die Schuldenbremse auch schon dazu geführt, dass ein Haushaltsgesetz vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt wurde. Der Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen6 hat den Nachtragshaushalt 2010 der Landesregierung für nichtig erklärt, weil die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und die Eignung der Kreditaufnahme zur Beseitigung dieser Störung nicht nachvollziehbar dargelegt worden seien. Bei Erlass des Nachtragshaushalts bestand gerade kein Konjunkturrückgang, sondern eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Schuldenbremse dürfte es also zumindest erschweren, Kreditaufnahmen – wie in der Vergangenheit üblich – mit unbegründeten Behauptungen zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu rechtfertigen.

7.3.2.2 Schuldenregelungen der EU Die deutsche Schuldenbremse ist eingebettet in das EU-Recht, aber etwas strenger als dieses. Art.121 und 126 AEUV enthalten die Regelungen des sog. Stabilitätsund Wachstumspakts, der 1997 im Rahmen des Vertrags von Amsterdam geschlossen wurde (Agostini 2020, 26 ff.). Grundlage der EU- Schuldenregeln ist die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Koordinierung ihrer Wirtschaftspolitik, deren Grundzüge vom Rat beschlossen wird (Art. 121 Abs 2 AEUV). Zu den Grundzügen gehört auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, übermäßige Haushaltsdefizite zu vermeiden (Art. 126 Abs. 1 AEUV). Hierfür sind zwei Kriterien (sog. Maastricht-Kriterien) maßgebend (Art. 126 Abs. 2 AEUV i.V.m. Protokoll Nr. 12 zum AEUV). Die jährliche Neuverschuldung (Defizitquote) darf 5

Gesetz zur Ausführung von Art. 115 GG, Art. 2 des Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform vom 10.08.2009, BGBl I, Nr. 53, 2702. 6 Urteil vom 15.03.2011 (VerfGH 20/10), 36 ff., zugänglich unter https://www.vgh.nrw.de/ rechtsprechung/entscheidungen/2011/110315_20-10.pdf, Zugang am 14.12.2022.

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Öffentliche Finanzen

3 % des BIP und die Schuldenstandsquote darf 60 % des BIP nicht überschreiten. Diese Referenzwerte gelten trotz Überschreitung ausnahmsweise als eingehalten, wenn die Überschreitung nur vorübergehend ist (z. B. aufgrund eines außergewöhnlichen Ereignisses, das sich der Kontrolle des Mitgliedstaats entzieht, oder aufgrund eines schwerwiegenden Wirtschaftsabschwungs) oder wenn die Überschreitung hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert (Art. 126 Abs. 2 lit a und b AEUV).7 Im Falle einer drohenden oder tatsächlichen Überschreitung eines Kriteriums oder beider Kriterien greift gemäß Art. 121 Abs 4 und Art. 126 Abs 5–11 AEUV ein komplexes, abgestuftes System von Verwarnungen und Berichten der Kommission, Stellungnahmen der betroffenen Mitgliedstaaten sowie rechtlich unverbindlichen Empfehlungen und rechtlich verbindlichen Beschlüssen des Rates ein (Agostini 2020, 40 f.). Stellt der Rat fest, daß ein Mitgliedsstaat keine wirksamen Maßnahmen gegen die Überschreitung der Defizitkriterien getroffen hat, kann er Sanktionen gemäß Art. 126 Abs 11 AEUV gegen den Mitgliedsstaat verhängen, z. B. Geldbußen oder Verpflichtung zur Hinterlegung unverzinslicher Einlagen bei der EU. Diese Sanktionen können allerdings nur gegen Mitgliedstaaten aus dem Euro-Raum getroffen werden (Art. 139 Abs 2 lit b AEUV). Im Hinblick auf die übrigen Mitgliedsstaaten beschränken sich die Sanktionsmöglichkeiten darauf, die Mittelbindungen aus dem Kohäsionsfond für diese Mitgliedstaaten ganz oder teilweise auszusetzen8 (Agostini 2020, 28). Dieses Überwachungs- und Sanktionssystem war in der Vergangenheit wenig effektiv. So liefen im Jahr 2011 Defizitverfahren gegen 24 von 28 Mitgliedstaaten. Auch Deutschland wirkte politisch mehrfach darauf hin, dass die Überschreitung der Defizit- und Verschuldensgrenzen sanktionslos blieb. Die Hauptschwäche des Sanktionssystems bestand darin, dass bei Überschreitung der Defizit- und Verschuldensgrenzen Sanktionen nicht automatisch eingriffen (Zimmermann et al. 2021, 284), sondern dass hierfür ein Beschluss des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister erforderlich war. Da jeder Mitgliedsstaat in die Rolle eines „Defizitsünders“ geraten konnte, waren die Ratsentscheidungen nach dem Motto „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ oft zu milde. Daher wurden die Regelungen des Sanktionssystems im Jahre 2011 durch fünf

7

Einzelheiten sind in der Verordnung Nr. 1467/97 v. 07.07.1997 in der Fassung der Verordnung Nr. 1177/2011 v. 08.11.2011 zur Änderung der Verordnung Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit geregelt. 8 Art. 4 Abs 1 der Verordnung Nr. 1084/2006 v. 11.07.2006 zur Errichtung des Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1164/94.

7.3 Staatsverschuldung

203

Verordnungen und eine Richtlinie (sog. Six-Pack)9 und im Jahr 2013 durch zwei Verordnungen (sog. Two-Pack)10 für die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone verschärft (Agostini 2020, 135 ff.). Außerdem schlossen 25 Mitgliedstaaten im Jahre 2012 den völkerrechtlichen „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschaftsund Währungsunion“(SKSV), sog. Europäischer Fiskalpakt, der in Art. 3 eine Schuldenbremse einführte (Agostini 2020, 217 ff.). Der Vertrag gilt für die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone in vollem Umfang und für die übrigen Mitgliedstaaten mit Einschränkungen. Nach Art. 3 Abs. 1 lit a SKSV muss der Haushalt eines Mitgliedstaates ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen. Diese Verpflichtung gilt als erfüllt, wenn das strukturelle Defizit des Mitgliedstaates 0,5 % des BIP nicht überschreitet (Art. 3 Abs 1 lit b SKSV). Diese Grenze wird auf 1 % des BIP angehoben, wenn die Schuldenstandsquote erheblich unter 60 % des BIP liegt und die Risiken für die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gering ist (Art. 3 Abs 1 lit d SKSV). Abweichungen von den Defizitgrenzen sind vorübergehend bei einem schweren Konjunkturabschwung oder bei außergewöhnlichen Ereignissen zulässig, die sich der Kontrolle der betroffenen Mitgliedsstaaten entziehen und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen haben (Art. 3 Abs 1 lit c und Abs 3 lit b SKSV). Bei Überschreitung des Schuldenstandskriteriums von 60 % des BIP ist ein Mitgliedsstaat verpflichtet, die Schuldenstandsquote jährlich um durchschnittlich 1/20 zu verringern (Art. 4 SKSV). Die Überschreitung der strukturellen Defizitgrenzen löst automatisch einen Sanktionsmechanismus aus (Art. 3 Abs 1 lit e SKSV), der sich nur vermeiden lässt, wenn dies eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten beschließt (Art. 7 SKSV). Damit werden die in der Vergangenheit verbreiteten politischen Manöver erschwert, die Wirksamkeit der Schuldenregeln aufzuweichen (Zimmermann et al. 2021, 285). Wie aus Abb. 7.8 ersichtlich, überschritten im Jahre 2020 etwa die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten das Schuldenstandskriterium von 60 % des BIP, während das Kriterium für die jährliche Neuverschuldung von 3 % des BIP – wie Abb. 7.7 zeigt – in 2020 nur von Dänemark und Schweden eingehalten wurde. Die begrenzte Wirksamkeit der Maastricht-Kriterien ist auch auf die umfangreichen finanziellen Hilfsmaßnahmen des Staates in der Corona Pandemie zurückzuführen.

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Verordnung Nr. 1173/2011 v. 16.11.2011; Verordnung Nr. 1174/2011 v. 16.11.2011; Verordnung Nr. 1175/2011 v. 16.11. 2011; Verordnung Nr. 1176/2011 v. 16.11.2011; Verordnung Nr. 1177/2011 v. 08.11.2011; Richtlinie 2011/85/EU v. 08.11.2011 10 Verordnung Nr. 472/2013 v. 21.05.2013; Verordnung Nr. 473/2013 v. 21.05.2013.

204

7.3.3

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Öffentliche Finanzen

Hilfsmaßnahmen der EU für überschuldete Mitgliedstaaten

Die Schuldenregelungen der EU werden ergänzt durch Hilfsmaßnahmen für überschuldete Mitgliedstaaten.

7.3.3.1 Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) Im Jahre 2012 wurde durch einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Euro-Zone der Europäische Stabilitätsmechanismus gegründet (Zimmermann et al. 2021, 282). Er ist einer von der EU unabhängige Institution mit Sitz in Luxemburg und einem Stammkapital von 700 Mrd e (deutscher Anteil 27 %). Seine Aufgabe ist es, überschuldete Mitgliedstaaten durch an Reformbedingungen geknüpfte Kredite und Bürgschaften vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Der ESM finanziert sich regelmäßig am Finanzmarkt

7.3.3.2 Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) Von besonderer Bedeutung für die Unterstützung überschuldeter Mitgliedstaaten der Euro-Zone ist seit der europäischen Finanzkrise von 2011 die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank geworden. Die EZB ist ein Organ der EU mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie ist unabhängig von den Mitgliedstaaten und anderen Institutionen der EU (Art. 282 Abs 3 AEUV). Sie bildet zusammen mit den nationalen Zentralbanken das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), das die gemeinsame Währungspolitik der EU betreibt (Art. 282 Abs 1 AEUV). Die vorrangige Aufgabe der EZB ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten; ferner unterstützt sie die allgemeine Wirtschaftspolitik (Art. 282 Abs 2 AEUV). Zur Präzisierung des Preisstabilitätsziels hat die EZB festgelegt, dass die Preisstabilität gewährleistet ist, wenn der Anstieg des harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) gegenüber dem Vorjahr unter, aber nahe 2 % liegt. In der Vergangenheit war das wichtigste Instrument zur Sicherung der Preisstabilität die Festlegung der Leitzinsen durch die Zentralbank. Der Leitzins ist der Zinssatz, zu dem die Kreditinstitute bei der Zentralbank Geld leihen können. Dies wirkt sich auf die Kreditkonditionen der Banken gegenüber privaten Kunden aus. Eine Erhöhung des Leitzinses verteuert und verringert dementsprechend die private Kreditaufnahme, was der Gefahr einer Inflation entgegenwirkt. Eine Senkung des Leitzinses verbilligt und begünstigt dementsprechend die private Kreditaufnahme, was in Zeiten einer Wirtschaftsflaute (Deflation) die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Investitionen und Konsum durch verbilligte Kredite fördern soll.

7.3 Staatsverschuldung

205

Auf die Bankenkrise und den damit verbundenen Konjunktureinbruch reagierten die EZB sowie amerikanische, britische, japanische und andere Zentralbanken zunächst mit den konventionellen Mitteln der Leitzinssenkung, z. B. senkte die EZB den Leitzins von 4,25 % in 2008 auf 0,15 % in 2014. Mit dem Erreichen der Nullzinsgrenze hatten die Zentralbanken aber ihr zinspolitisches Pulver verschossen. Der Wirtschaftsflaute musste daher mit unkonventionellen Maßnahmen begegnet werden (Donges 2018, 11). Hierzu gehörte, daß die EZB ab 2010 in großem Umfang Staatsanleihen der hochverschuldeten Euroländer Griechenland, Italien, Spanien und Portugal am Sekundärmarkt11 aufkaufte (sog. Public Sector Purchase Programme – PSPP; Donges 2018, 14 ff.). Ende 2019 hatte das Europäische System der Zentralbanken Wertpapiere von rd. 2,5 Billionen e erworben, wovon rd. 2 Billionen auf das PSPP entfielen.12 Aufgrund der unkonventionellen Geldpolitik konnten sich die hochverschuldeten Mitgliedsstaaten zu niedrigen Zinsen Geld beschaffen und einen Staatsbankrott verhindern. Niedrige Zinsen förderten ferner die Kreditvergabe in der stagnierenden Wirtschaft und stimulierten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Hierdurch wurde der Verlust von Arbeitsplätzen vermieden, Staatsschulden konnten abgebaut werden. Der deutsche Exportboom seit 2010 wird wesentlich der Stabilisierung des Euro durch die Geldpolitik der EZB zugeschrieben (Fratzscher und Wolff 2019). Allerdings wurden auch negative Wirkungen EZB-Geldpolitik kritisiert (Donges 2018, 26 f.). So soll die Nullzinspolitik faktisch zur Enteignung von Sparern führen, da die Sparguthaben keine Zinsen mehr abwerfen. Das billige Geld hält ökonomisch ineffiziente Unternehmen am Leben und verhindert dringend notwendige wirtschaftliche Strukturreformen in den hochverschuldeten Euroländern. Nicht zuletzt wird das Risiko der Staatsinsolvenz hochverschuldete Euroländer zu einem erheblichen Teil auf das Europäische System der Zentralbanken und damit auf die solventen Euroländer verschoben. Diese Risiken sind vor allem in Deutschland seit Jahren Ansatzpunkt einer populären Kritik an der unkonventionellen Geldpolitik der EZB. Letzterer wird vorgeworfen, ihre Kompetenzen zu überschreiten und damit gegen EU-Recht zu verstoßen. Höhepunkt der Kritik ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.05.2020.13 Das Gericht (Rn 167 ff.) entschied, dass die Beschlüsse der EZB zum PSPP gegen den Grundsatz 11

Der Ankauf von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt, d. h. unmittelbar von den emittierenden Mitgliedstaaten, ist der EZB verboten (Art. 123 Abs 1 AEUV). 12 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht November 2019, 24 13 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, zugänglich unter http:// www.bverfg.de/e/rs20200505_2bvr085915.html, Zugang am 14.12.2022.

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Öffentliche Finanzen

der Verhältnismäßigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV verstießen. Die möglichen nachteiligen wirtschaftspolitischen Auswirkungen des PSPP wie z. B. die Nachteile für den Bankensektor, für Sparguthaben, für die Wirtschaftsstruktur etc. seien nicht angemessen berücksichtigt und mit den währungspolitischen Zielen abgewogen worden (Rn 176). Das PSPP sei daher ein Ultra-Vires-Akt der EZB, dem Bundesregierung und Bundestag zum Schutz des Demokratieanspruchs des Bürgers aus Art. 38 Abs 1 Satz 1 und Art. 20 Abs 2 Satz 1 GG hätten entgegentreten müssen (Rn 229 ff.). Demgegenüber hatte der EuGH aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 11.12.2018 (Rechtssache C493/17,Rn 71 ff., 100)14 festgestellt, dass das PSPP nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen erkennt das Gericht erstmalig den Vorrang des EuGH nicht an, über Auslegung und Anwendung des EU-Rechts abschließend zu entscheiden. Zum anderen reiht sich das Gericht in die große Schar der Kritiker ein, die sich in Deutschland schon seit langem gegen die Geldpolitik der EZB wenden. Das Bundesverfassungsgericht (Rn 117 ff.) begründet die Nichtbeachtung des EuGH-Urteils mit der These, dass die Prüfung des PSPP anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch das Gericht mangels Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Programms „methodisch nicht mehr vertretbar“ sei. Der EuGH überschreite somit „offenkundig“ sein Mandat nach Art. 19 Abs 1 Satz 2 EUV und handele „ultra vires“ mit der Folge, dass das Urteil in Deutschland keine Bindungswirkung besitze (Rn 119, 163). Mit dieser Argumentation setzt sich das Gericht in Widerspruch zu seiner Rechtsprechung zur „Identitätskontrolle“ des EU-Rechts. Danach entfällt der Anwendungsvorrang des EU-Rechts gegenüber dem deutschen Recht nur dann, wenn die durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze – also die Verfassungsidentität des Grundgesetzes – durch eine Maßnahme der EU berührt werden (BVerfGE 140, 317 ff., Rn 43; Haltern 2017, Rn 1218 ff.). Die bloße, vom Bundesverfassungsgericht behauptete Kompetenzüberschreitung von EZB und EuGH berührt nicht die Verfassungsidentität des Grundgesetzes, wie das Gericht (Rn 116, 228) selbst festgestellt hat. Folglich war das Bundesverfassungsgericht an das Urteil des EuGH gebunden (Calliess 2020, 902).

14

Zugänglich unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=208 741&pageIndex=0&doclang=de. Zugang am 14.12.2022

7.3 Staatsverschuldung

207

Aber auch hiervon abgesehen, ist die Begründung des Bundesverfassungsgerichts unzutreffend, der EuGH habe die Verhältnismäßigkeit der EZBEntscheidungen nicht ausreichend geprüft. Der EuGH (Rn 71 ff.) hat die Verhältnismäßigkeit der EZB-Entscheidungen zum PSPP anhand des Art. 5 Abs 4 EUV überprüft. Dabei folgte er nicht genau der deutschen Rechtsdogmatik, aber einem ähnlichen Prüfverfahren. Der EuGH (Rn 30, 91) betonte das weite Ermessen der EZB in geldpolitischen Angelegenheiten und die Notwendigkeit, den wirtschaftlichen Kontext des PSPP zu berücksichtigen (Rn 33, 34, 80). Der EuGH bejahte die Geeignetheit des PSPP zur Erreichung des währungspolitischen Zieles der Preisstabilität (Rn 74) und die Erforderlichkeit der Maßnahmen (Rn 79 ff.). Im Rahmen des gegebenen wirtschaftspolitischen Kontextes habe es kein milderes Mittel gegeben, um dem drohenden Deflationszyklus und der damit verbundenen Wirtschaftskrise zu begegnen. Die verschiedenen beteiligten Interessen seien so gegeneinander abgewogen worden, dass Nachteile vermieden wurden, die offensichtlich außer Verhältnis zu den währungspolitischen Zielen standen (Rn 93). Der EuGH hat bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung – was das Bundesverfassungsgericht rügt – die möglichen wirtschaftlichen Nachteile der EZB-Geldpolitik nicht im einzelnen aufgeführt. Das erscheint auch nicht erforderlich, weil die allgemeine Wirtschaftskrise und die katastrophalen Folgen eines Staatsbankrotts der überschuldeten Euroländer evident waren, die alle, vornehmlich in Deutschland gerügten Risiken der EZB-Geldpolitik in den Schatten stellten. Im übrigen hatte die EZB speziell zur Widerlegung der deutschen Kritik Untersuchungen vorgelegt (Bindseil et al. 2015), so daß nicht behauptet werden kann, die kritisierten Nachteile der Geldpolitik seien von der EZB nicht berücksichtigt worden. Schließlich sind die eigenen Verhältnismäßigkeitserwägungen des Bundesverfassungsgerichts (Rn 170 ff.), mit denen die Unzulänglichkeit der EuGH-Prüfung illustriert werden sollen, höchst einseitig. Es wird nur eine Reihe von wirtschaftlichen Risiken des PSPP aufgeführt. Vorteile des Programms wie günstige Kreditvergabe, Schaffung neuer Arbeitsplätze, Exportboom (Fratzscher und Wolff 2019) und die Vermeidung eines Zusammenbruchs der Euro-Zone werden mit keinem Wort erwähnt. Das Bundesverfassungsgericht bedient sich zur Rechtfertigung seiner Nichtbeachtung des EuGH-Urteils einer vernichtenden Methodenkritik am EuGH. Es bezeichnet die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH als „objektiv willkürlich“ (Leitsatz 2), „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“ (Rn 116, 153), „methodisch nicht mehr vertretbar“ (Rn 119,141), „methodisch nicht nachvollziehbar“ (Rn 133). Methodenverstöße sind das fachlich Schlimmste, was man einem

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Öffentliche Finanzen

Richter vorwerfen kann, sodass die vernichtende Methodenkritik des Bundesverfassungsgerichts die Richter des EuGH als juristische Trottel erscheinen lässt. Mit jovialer Herablassung meinte der Berichterstatter Huber des Urteils kurz nach der Entscheidung in einem Interview „Wir wollen also mehr EuGH, wir wollen, dass er seinen Job besser macht.“15 Im Ergebnis ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein unschönes Beispiel deutscher juristischer Überheblichkeit (Bohne 2022, 496).

7.3.3.3 Corona-Hilfsprogramm des Europäischen Rates vom 17.-21.07.2020 Die Corona- Pandemie hat seit Anfang 2020 in der EU zu erheblichen, in den südlichen Mitgliedstaaten zu dramatischen Einbrüchen in Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitssysteme geführt. Daher hat der Europäische Rat am 17.-21.07.2020 ein außerordentlich umfangreiches Hilfsprogramm für die EU-Mitgliedstaaten beschlossen.16 Es wurde ein Sonderfond von 750 Mrd Euro geschaffen. Hierfür wurde die Kommission erstmalig ermächtigt, Finanzmittel an den Kapitalmärkten im Namen der EU bis Ende 2026 aufzunehmen. Die Anleihen sollen bis zum 31.12.2058 laufen. Aus dem Sonderfond werden den bedürftigen Mitgliedstaaten Darlehen bis zu 360 Mrd e gewährt. Bis zu 390 Mrd Euro werden Hilfen als (nicht rückzahlbare) Zuschüsse zur Verfügung gestellt. Damit wird indirekt im begrenzten Umfang von dem Grundsatz abgewichen, dass nationale Schulden nicht vergemeinschaftet werden dürfen (Art. 125 AEUV). Denn die Zuschüsse wirken sich faktisch wie die Übernahme von Schulden der Empfängerstaaten aus.

7.4

Haushalt

7.4.1

Grundlagen

Der öffentliche Haushalt ist die systematische und zusammenfassende Darstellung aller Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen jeweils von 15

Janisch, Wolfgang/Kornelius, Stefan, Eine „geradezu homöopathische Botschaft“ an die EZB, Süddeutsche Zeitung v. 12.05.2020, zugänglich unter https://www.sueddeutsche.de/ politik/nach-urteil-zu-anleihekaeufen-eine-geradezu-homoeopathische-botschaft-an-dieezb-1.4905591, Zugang am 14.12.2022. 16 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen vom 21.07.2020, EUCO 10/20, CO EUR 8 CONCL 4, zugänglich unter https://www.consilium.europa.eu/media/45136/210720-euco-final-con clusions-de.pdf. Zugang am 14.12.2022

7.4 Haushalt

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Bund, Ländern und Kommunen sowie von Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts für ein oder zwei Jahre.

7.4.1.1 Rechtsgrundlagen Inhalt und Verfahren des öffentlichen Haushalts sind in Art. 109–115 GG, in den Haushaltsordnungen von Bund und Ländern sowie in den Gemeindeordnungen und Gemeinde-Haushaltsverordnungen der Länder geregelt. Gemeinsame, für Bund und Länder verbindliche Grundsätze der Haushaltswirtschaft enthält das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG). Gesamtwirtschaftliche Ziele für die Haushaltswirtschaft sind im Stabilität- und Wachstumsgesetz (StWG) festgelegt.

7.4.1.2 Haushaltssystematik Der Haushalt besteht aus dem Haushaltsplan und dem Haushaltsgesetz. Inhalt, Aufbau und Gliederung des Haushaltsplans (Haushaltssystematik) sind bundesund landesrechtlich geregelt (zur Systematik des Bundeshaushaltsplans siehe: Bundesministerium der Finanzen 2015, 12 ff.; Leibinger et al. 2021, Rn 172 ff.). Der Haushaltsplan gliedert sich auf Bundes-und Landesebene in den Gesamtplan und die Einzelpläne für jedes Ressort, für Verfassungsinstitutionen (z. B. auf Bundesebene: Bundespräsident, Bundestag, Bundesverfassungsgericht, Bundesrechnungshof) und für bestimmte Sachbereiche (z. B. Bundesschuld). Der Gesamtplan enthält eine Reihe von Übersichten (§ 10 Abs. 4 HGrG): • eine Zusammenfassung aller Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen (Haushaltsübersicht), • eine Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben (Finanzierungsübersicht), • eine Darstellung der Einnahmen aus Krediten und Tilgungsausgaben (Kreditfinanzierungsplan). Bei doppisch basierten Haushaltsplänen tritt an die Stelle der Finanzierungsübersicht und des Kreditfinanzierungsplans der doppische Finanzplan, der eine Übersicht über den Zahlungsfluss von Ein- und Auszahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit, Investitionstätigkeit, Finanzierungstätigkeit und aus den sich daraus ergebenden zahlungswirksamen Veränderungen des Zahlungsmittelbestandes enthält (Bundesministerium der Finanzen 2015, 13). Der Gesamtplan des Bundeshaushalts enthält außerdem eine Berechnung der nach der Schuldenbremse zulässigen Kreditaufnahme (§ 13 Abs. 4 Nr. 2 BHO). In den Einzelplänen sind die Haushaltsmittel detailliert aufgeführt. Die Einzelpläne sind in Kapitel und Titel eingeteilt (§ 10 Abs. 2 HGrG). Kapitel enthalten

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die Haushaltsmittel für einzelne Behörden im Geschäftsbereich eines Ministeriums, für bestimmte Fachaufgaben und für zentral veranschlagte Einnahmen und Ausgaben (Leibinger et al. 2021, Rn 203 ff.). Innerhalb eines Kapitels werden Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen in Titeln dargestellt. Der Haushaltsplan hat eine Reihe von Anlagen (§ 11 HGrG). Hierzu gehören die Funktionsübersicht, die die Einnahmen und Ausgaben nach Aufgabengebieten darstellt (siehe Abb. 2.3), die Gruppierungsübersicht bestimmter Arten von Einnahmen und Ausgaben nach ökonomischen Gesichtspunkten und der Personal-und Stellenplan für Beamte und Arbeitnehmer.

7.4.1.3 Mittelfristiger Finanzplan Die ein-bis zweijährige Perspektive des Haushaltsplans hat den Nachteil, dass der Haushaltsplan nicht erkennen lässt, • welche mittelfristigen Folgekosten Investitionen und andere haushaltswirksamen Maßnahmen voraussichtlich haben und • welchen Einfluss die öffentlichen Finanzen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung (z. B. Wirtschaftswachstum, Beschäftigung) ausüben werden (Zimmermann et al. 2021, 205 ff.). Diese Problematik kann nicht durch eine längere Laufzeit des Haushaltsplans gelöst werden, weil dann eine halbwegs realistische Schätzung der öffentlichen Einnahmen nicht mehr möglich wäre und ständig Nachforderungen der Exekutive wegen der überalterten Haushaltsansätze erforderlich würden. Der Vermeidung der aufgezeigten Nachteile der ein-bis zweijährigen Haushaltsplanung dient die mittelfristige Finanzplanung, die einen Planungszeitraum von fünf Jahren umfasst (§ 9 StWG). Das erste Jahr des mittelfristigen Finanzplans ist das laufende Haushaltsjahr, das zweite Planungsjahr entspricht dem Haushaltsplanentwurf für das neue Haushaltsjahr. Nur die anschließenden drei Jahre sind neue Planungsjahre (§ 50 Abs. 2 HGrG). Der mittelfristige Finanzplan berücksichtigt für diese Jahre die Folgekosten haushaltswirksamer Maßnahmen und ermöglicht die Abschätzung der Auswirkungen der öffentlichen Finanzen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Diese finanzwirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Funktionen kann die mittelfristige Finanzplanung allerdings nur erfüllen, wenn die Regierung der Versuchung widersteht, die jährliche Fortschreibung der Planung an kurzfristigen Haushaltsüberlegungen anzupassen. Dann würde sich der mittelfristige Finanzplan am kurzfristigen Haushaltsplan und nicht umgekehrt der Haushaltsplan am mittelfristigen Finanzplan orientieren

7.4 Haushalt

211

(Zimmermann et al. 2021, 208). Nicht immer widersteht die Regierung dieser Versuchung. Im Unterschied zum Haushaltsplan wird der mittelfristige Finanzplan nicht gesetzlich festgestellt, sondern dem Parlament von der Regierung nur zur Kenntnisnahme vorgelegt.

7.4.2

Haushaltsfunktionen und Haushaltsgrundsätze

7.4.2.1 Haushaltsfunktionen Dem öffentlichen Haushalt werden – mit leicht variierenden Bezeichnungen – politische, finanzwirtschaftliche, gesamtwirtschaftliche, sozialpolitische, administrativ-rechtliche und Kontrollfunktionen zugeschrieben (Leibinger et al. 2021, Rn 263 ff.; Zimmermann et al. 2021, 197 ff.). Die politische Funktion besteht in der Festlegung des finanzwirksamen Handlungsprogramms der Regierung. Die gesamtwirtschaftliche Funktion zielt darauf ab, dass Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts berücksichtigen, d. h. dass der Haushalt gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beiträgt (Art. 109 Abs. 2 GG, § 2 BHO, § 1 StWG). Die sozialpolitische Funktion begreift den Haushalt auch als Instrument zur Korrektur einer ungerechten Vermögens- und Einkommensverteilung. Die administrativ-rechtliche Funktion besteht in der Lenkung der öffentlichen Verwaltung und schafft die rechtliche Grundlage für ihre finanzwirksamen Tätigkeiten (§ 3 BHO). Aufgrund seiner Kontrollfunktion bildet der Haushaltsplan die Grundlage für die Haushaltskontrolle in Form der Rechnungslegung durch das Finanzministerium, der Rechnungsprüfung durch den Rechnungshof und der Entlastung durch das Parlament.

7.4.2.2 Haushaltsgrundsätze Grundgesetz, Haushaltsgrundsätzegesetz und die Haushaltsordnungen von Bund und Ländern enthalten eine Reihe von rechtsverbindlichen Grundsätzen für die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans. Die Haushaltsgrundsätze haben zum Teil eine lange Tradition und spiegeln den Kampf des Parlaments um Budgetrechte gegenüber der Exekutive wider, die immer wieder versucht hatte und

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Öffentliche Finanzen

versucht, die Kontrollrechte des Parlaments zu unterlaufen. Die Haushaltsgrundsätze werden ergänzt durch ein System von Ausnahmeregeln, die ein flexibles Reagieren auf neue Problemlagen ermöglichen sollen. Zu den wichtigsten Haushaltsgrundsätzen gehören (Bundesministerium der Finanzen 2015, 7 ff.; Leibinger et al. 2021, Rn 314 ff.): • Einheit und Vollständigkeit (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG, § 11 BHO): Alle Einnahmen und Ausgaben sind in einem einzigen Haushaltsplan einzustellen. Eine Ausnahme besteht für Bundesbetriebe und Sondervermögen, bei denen nur die Zuführungen und Ablieferungen in den Haushaltsplan einzustellen sind. • Haushaltsausgleich (Art. 110 Abs. 1 Satz 2 und Art. 115 Abs. 2 GG): Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen, und zwar grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten. Allerdings darf vom Verbot des Haushaltsausgleichs durch Kreditaufnahme unter den Voraussetzungen der Schuldenregelung des Art. 115 Abs. 2 GG in begrenztem Umfang abgewichen werden (s.o, 7.3.2.1). • Jährlichkeit und zeitliche Bindung (Art. 110 Abs. 2 GG, § 1 BHO): Der Haushaltsplan kann für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, aufgestellt werden. Auf Bundesebene ist nur ein Haushaltsplan für ein Rechnungsjahr oder für zwei Rechnungsjahre (Doppelhaushalt) zulässig (§ 1 BHO). Allerdings wird vom Doppelhaushalt kein Gebrauch gemacht, weil die Prognoseunsicherheiten wegen der Konjunkturabhängigkeit des Haushalts groß sind und häufig Nachtragshaushalte erforderlich machen würden (Bundesministerium der Finanzen 2015, 9). Aufgrund des Jährlichkeitsprinzips gelten Ausgaben- und Verpflichtungsermächtigungen nur für das Rechnungsjahr, für das der Haushaltsplan festgestellt ist, sog. Grundsatz der zeitlichen Bindung (§ 45 Abs. 1 BHO). • Vorherigkeit (Art. 110 Abs. 2 GG): Der Haushaltsplan ist vor Beginn des jeweiligen Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festzustellen. Wenn sich die Verkündung des Haushaltsgesetzes über den Jahreswechsel hinaus verschiebt (z.B. wegen der Diskontinuität des Haushaltsgesetzgebungsverfahrens nach einer Bundestagswahl oder wegen eines vom Bundesrat veranlassten Vermittlungsverfahrens), so findet eine vorläufige Haushaltsführung zur Aufrechterhaltung der Verwaltung und zur Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen nach Maßgabe des Art. 111 GG statt. Dabei darf sich die Bundesregierung die erforderlichen Finanzmittel bis zur Höhe von 25 % der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplans durch Kreditaufnahme beschaffen (Art. 111 Abs. 2 GG).

7.4 Haushalt

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• Bepackungsverbot (Art. 110 Abs. 4 Satz 1 GG): In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich sachlich auf die Einnahmen und Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Das bedeutet: die Mittelbewilligung darf z.B. nicht von sachfremden politischen Bedingungen abhängig gemacht werden, wie es in den USA in Form sog. „riders“ zu den Mittelbewilligungen vom Haushaltsausschuss des Kongresses praktiziert wird, wenn etwa die Bewilligung von Straßenbaumitteln an die Einführung eines Abtreibungsverbotes geknüpft wird (Wildavsky und Caiden 2004, 5). • Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 7 BHO, § 6 HGrG): Bei allen Haushaltsbewilligungen sind die Maßnahmen mit der günstigsten Ziel-Mittel-Relation auszuwählen. D. h.: die Maßnahmen müssen entweder mit einem bestimmten Mitteleinsatz die angestrebten Ziele im größtmöglichen Umfang verwirklichen (Maximumprinzip) oder bestimmte Ziele mit dem geringsten Mitteleinsatz erreichen (Minimumsprinzip) oder das günstigste Verhältnis von Zielverwirklichung und Mitteleinsatz (Optimumprinzip) aufweisen (dazu Bohne 2023, 5.2.1.1 a.E.). Dabei ist Sparsamkeit ein Unterfall des Wirtschaftlichkeitsprinzips. • Gesamtdeckung (§ 8 BHO): Alle Einnahmen dienen grundsätzlich als Deckungsmittel für alle Ausgaben (Non- Affektationsprinzip). Daher dürfen Haushaltsmittel nicht für bestimmte Ausgaben reserviert werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur zulässig, wenn sie – gesetzlich bestimmt sind (z. B. Art. 1 Straßenbaufinanzierungsgesetz, der einen bestimmten Anteil der Mineralölsteuer für Zwecke des Straßenwesens vorhält) oder – im Haushaltsplan durch Haushaltsvermerk vorgesehen sind. • Fälligkeit (§ 11 Abs. 2 BHO, § 8 HGrG): In den Haushaltsplan dürfen nur diejenigen Einnahmen und Ausgaben eingestellt werden, die im Haushaltsjahr fällig und damit kassenwirksam werden. Hierdurch wird sichergestellt, dass der tatsächliche Mittelbedarf im Haushaltsjahr erkennbar ist. • Bruttoprinzip (§ 15 Abs. 1 BHO, § 12 HGrG): Einnahmen und Ausgaben sind im Haushaltsplan grundsätzlich in voller Höhe und getrennt voneinander auszuweisen. Demzufolge dürfen Einnahmen vorweg weder von Ausgaben abgezogen noch auf Ausgaben angerechnet oder mit Ausgaben in der Weise verrechnet werden, dass eine Veranschlagung und

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Öffentliche Finanzen

Buchung unterbleibt. Denn bei einem Nettobudget würden gleich hohe Einnahmen und Ausgaben unsichtbar bleiben. Eine Ausnahme gilt für Einnahmen aus Krediten und den hiermit verbundenen Tilgungsausgaben • Einzelveranschlagung (§ 17 Abs. 1 BHO, § 12 Abs. 4 HGrG): Einnahmen sind nach dem Entstehungsgrund, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen nach Zwecken getrennt zu veranschlagen. Hierdurch sollen die Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf die Gestaltung des Haushaltsplans und die Bindung der Verwaltung an den Haushaltsplan bei seinem Vollzug gewährleistet werden. • Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit: Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG) folgen die ungeschriebenen Gebote der materiellen Haushaltswahrheit und der formellen Haushaltsklarheit. Danach sind Einnahmen und Ausgaben mit größtmöglicher Genauigkeit zu errechnen oder zu schätzen sowie übersichtlich und systematisch zu gliedern. • Öffentlichkeit: Aus dem Demokratieprinzip folgt, dass der Haushalt in allen wesentlichen Punkten während des Haushaltskreislaufs für die Öffentlichkeit zugänglich sein muss. Ausnahmen gelten für geheimhaltungsbedürftige Fonds des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes.

7.4.3

Haushaltskreislauf

Als Haushaltskreislauf wird der Ablauf des Haushaltsverfahrens bezeichnet, der vier Phasen vom Beginn der Haushaltsaufstellung durch Exekutive und Parlament bis zum Abschluss des parlamentarischen Entlastungsverfahrens umfasst (Bundesministerium der Finanzen 2015, 29 ff.; Leibinger et al. 2017, Rn 472 ff.). Abb. 7.9 gibt einen modellhaften Überblick. Die Dauer eines Haushaltskreislaufs beträgt ungefähr dreieinhalb Jahre.

7.4 Haushalt

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Abb. 7.9 Haushaltskreislauf. (Quelle: Leibinger et al. 2017, Rn 473)

7.4.3.1 Aufstellung des Haushaltsplans Die erste Phase des Haushaltskreislaufs umfasst die Aufstellung des Haushaltsplans durch die Exekutive und beginnt beim Bundeshaushalt17 etwa im November/Dezember des zweitletzten Jahres vor dem neuen Haushaltsjahr mit dem Aufstellungsrundschreiben des Bundesfinanzministeriums an die Bundesressorts und betroffenen Verfassungsorgane, das Hinweise zum Ablauf des Aufstellungsverfahrens und haushaltstechnische Hinweise enthält. Das Bundesministerium der Finanzen erarbeitet dann einen Eckwertevorschlag für den Haushaltsplan, der auf dem geltenden Finanzplan, auf einer aktualisierten Einschätzung der mittelfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und einer hierauf aufbauenden internen Steuerschätzung beruht und der den durch die Schuldenregel gesetzten Rahmen, die durch Koalitionsvertrag oder Kabinettsbeschluss vorgegebenen politischen Ziele und die Ergebnisse von Ressortgesprächen über die zu erwartende Einnahmen- und Ausgabenentwicklung berücksichtigt. Der Eckwertevorschlag enthält Einnahmen- und Ausgabenplafonds für die jeweiligen Einzelpläne und wird in der Regel im März vom Bundeskabinett beschlossen (sog. Eckwertebeschluss). Auf der Grundlage des Eckwertebeschlusses erstellen die Bundesressorts 17

Der Haushaltskreislauf auf Landesebene unterscheidet sich nicht wesentlich vom Haushaltskreislauf auf Bundesebene (Reus und Mühlhausen 2014, Rn B 137).

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Öffentliche Finanzen

ihre Haushaltsvoranschläge. Nicht an den Eckwertebeschluss gebunden sind die Voranschläge von Bundespräsident, Bundestag, Bundesverfassungsgericht, Bundesrechnungshof und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (§ 28 Abs. 3 BHO). Alsdann folgen die Haushaltsverhandlungen zwischen dem Bundesfinanzministerium und den Bundesressorts bzw. den vorgenannten Verfassungsorganen und Institutionen. Das Bundesfinanzministerium beschränkt sich in der Regel auf die Prüfung der Plausibilität der vorgelegten Voranschläge und ihre Konformität mit dem Eckwertebeschluss. Es ist allerdings nicht an die Voranschläge gebunden. Streitpunkte müssen ggfs auf Minister- oder Kabinettsebene entschieden werden. Schließlich erstellt das Bundesfinanzministerium den Regierungsentwurf des Bundeshaushalts, der vom Bundeskabinett Ende Juni oder Anfang Juli beschlossen wird.

7.4.3.2 Feststellung des Haushaltsplans Die zweite Phase des Haushaltskreislaufs beginnt mit der Zuleitung des Haushaltsplanentwurfs nebst mittelfristigem Finanzplan gleichzeitig an Bundestag und Bundesrat. Damit wird das Gesetzgebungsverfahren für den Haushalt eingeleitet (Art. 110 Abs. 3 GG). Die Beratung und Beschlussfassung des Haushaltsentwurfs erfolgt im Bundestag in drei Lesungen. Zunächst wird der Haushaltsentwurf vom Bundestag in 1. Lesung und vom Bundesrat im 1. Durchgang beraten. Nach der 1. Lesung wird der Haushaltsentwurf zusammen mit der Stellungnahme des Bundesrates und einer Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu an den Haushaltsausschuss des Bundestages zur Detailberatung überwiesen. Der Haushaltsausschuss fasst die Ergebnisse und Empfehlungen seiner Beratungen in einem Bericht zusammen. Dieser bildet die Grundlage für die 2. Lesung des Haushalts im Plenum des Bundestages. Die 2. Lesung geht in die 3. Lesung über, in der eine politische Generaldebatte stattfindet und der Haushaltsplan als Gesetz verabschiedet wird. Beides wird dem Bundesrat zum 2. Durchgang zugeleitet. Nachdem der Bundesrat zugestimmt hat oder Meinungsverschiedenheiten im Vermittlungsausschuss beigelegt wurden bzw. ein Einspruch des Bundesrates gegen den Haushaltsplan vom Bundestag zurückgewiesen wurde, werden Haushaltsgesetz und Haushaltsplan im Bundesgesetzblatt verkündet.

7.4.3.3 Ausführung des Haushaltsplans Die dritte Phase des Haushaltskreislaufs umfasst die Ausführung des Haushalts (Leibinger et al. 2021, Rn 528 ff.). Die Verwaltung wird durch den Haushaltsplan ermächtigt, aber nicht verpflichtet, die bewilligten Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen (§ 3 HGrG, § 3 BHO). Einnahmen sind rechtzeitig und vollständig zu erheben (§ 19 HGrG, § 34 BHO). Für die Ausführung des

7.4 Haushalt

217

Haushaltsplans ist der Beauftragte für den Haushalt verantwortlich, der bei den bewirtschaftenden Dienststellen bestellt wird und unmittelbar der Behördenleitung unterstellt ist (§ 9 BHO und § 9 der jeweiligen Landeshaushaltsordnungen, Reus und Mühlhausen 2014, Rn B 139). Im Falle über- und außerplanmäßiger Ausgaben ist ein Nachtragshaushalt erforderlich, der vom Parlament beschlossen wird. Soweit ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis für die Ausgaben besteht, können diese mit Einwilligung des Finanzministers geleistet werden (Art. 110 GG, § 37 BHO). Zentrales Steuerung- und Kontrollinstrument für die Ausführung des Haushaltsplans ist das Rechnungs- und Buchungssystem. Traditionell findet die kamerale Buchführung Anwendung. Verbreitet ist heute aber auch die doppelte Buchführung in Konten (Doppik). Nach § 1a Abs. 1 HGrG haben Bund und Länder die Wahl zwischen beiden Buchführungssystemen. Sie legen in einem gemeinsamen Gremium einheitliche Standards für kamerale und doppische Haushalte fest (§ 49a HGrG). Der Begriff der kameralen Buchführung – auch Kameralistik genannt – leitet sich von dem lateinischen Wort „camera“ her, das im Zeitalter des Absolutismus die Schatzkammer des Fürsten bezeichnete. Ihre Verwaltung, d. h. die fürstliche Finanzverwaltung, oblag hohen Beamten, den Kameralisten. Die Bezeichnung findet sich heute noch im Begriff des Kämmerers. Die kamerale Buchführung besteht in der Gegenüberstellung der Sollansätze des Haushaltsplans mit den erzielten Ist-Ergebnissen der Haushaltsplanausführung (Höptner et al. 2017, 435). Auf diese Weise werden Haushaltsansätze, tatsächliche Zahlungen und noch verfügbare Finanzmittel umfassend und genau dokumentiert. Die Dokumentation bildet die Grundlage für die Steuerung des Haushaltsvollzugs und für seine Kontrolle durch das Parlament (Leibinger et al. 2021, Rn 648 ff.). Allerdings ist das kamerale Rechnungs-und Buchführungssystem input-basiert und liefert daher keine Informationen über das Ergebnis – also den Output – der öffentlichen Aufgabenerfüllung, da es nur Zahlungsströme von Einnahmen und Ausgaben abbildet. Diesem Mangel soll das doppische Rechnungs- und Buchführungssystem abhelfen, das gemäß § 7a Abs. 1 HGrG den Regeln der kaufmännischen Buchführung nach §§ 238 ff. HGB folgt. Während die Kameralistik auf dem Geldverbrauchskonzept beruht, ist Grundlage der Doppik das Ressourcenverbrauchskonzept (Adam 2019, 444). D. h.: das gesamte Ressourcenaufkommen und der gesamte Ressourcenverbrauch – also alle Erträge und Aufwendungen – werden im doppischen Rechnungs- und Buchführungssystem erfasst

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Öffentliche Finanzen

und abgebildet. Dieses System umfasst die drei Komponenten Vermögensrechnung (Bilanz), Ergebnisrechnung und Finanzrechnung (Raupach und Stangenberg 2009, 23 f.; Adam 2019, 445 ff.). Die Vermögensrechnung ist eine Gegenüberstellung aller Aktiva und Passiva der jeweiligen Gebietskörperschaft. Es wird zwischen der jährlichen Eröffnungsund Abschlussbilanz unterschieden (Schauer 2016, 16 f.). Der Vergleich der Bilanzen läßt erkennen, wie sich das Vermögen im Laufe des Jahres verändert hat. Die Ergebnisrechnung erfasst alle Erträge und Aufwendungen einer Periode, deren Vergleich den Erfolg (Überschuss oder Fehlbetrag) des Verwaltungshandelns ausweist. Die Finanzrechnung weist alle Ein- und Auszahlungen einer Rechnungsperiode aus und strukturiert die Einzahlungen nach der Mittelherkunft und die Auszahlungen nach der Mittelverwendung. Nach dem Prinzip der doppelten Buchführung muss jeder Gutschrift auf einem Konto die Belastung eines anderen Kontos entsprechen. Dabei wird zwischen aktivischen und passivischen Bestandskonten der Vermögensrechnung sowie den Erfolgskonten (Aufwands- und Ertragskonten) der Ergebnisrechnung unterschieden (Engels und Eibelshäuser 2010, Teil 2, Rn 55). Durch die doppelte Buchführung wird ein systematischer Verbund zwischen Einnahmen und Ausgaben sowie Vermögen und Schulden hergestellt (Raupach und Stangenberg 2009, 19). Das doppische Rechnungs- und Buchführungssystem ist ein zentraler Bestandteil des am New Public Management orientierten Neuen Steuerungsmodells (Jann 2019, 137; Bohne 2023, 4.4.3.2). Zahlreiche Länder haben unter Bezeichnungen wie Neues Kommunales Finanzmanagement (NKF) in Nordrhein-Westfalen oder dgl. das doppische Rechnungs- und Buchführungssystem eingeführt (zum Stand: Bundesministerium der Finanzen 2015, 109 f.). Die hiermit in der Theorie vielfach verbundenen Hoffnungen auf eine größere Steuerungswirksamkeit sowie auf mehr Effizienz und Transparenz der Haushaltsführung (Engels und Eibelshäuser 2010, Teil 2, Rn 64 ff.) haben sich verschiedenen, empirischen Evaluierungsstudien zufolge in der Praxis kaum erfüllt (Rechnungshof Rheinland-Pfalz 2011, 70 f.; Sielof et al. 2013; Bogumil 2017, 128 f.; Weiß und Schubert 2020, 143 ff., 159). So sei die Doppik in der Praxis bisher vor allem intransparent und ineffizient. Insbesondere wird bezweifelt, dass der hohe personelle und finanzielle Aufwand für die Einführung der Doppik in einem vernünftigen Verhältnis zu ihrem Nutzen stehe. Befürworter der Doppik sehen in den gerügten Mängeln nur vorübergehende Kinderkrankheiten der Einführungsphase (Reichard 2011, 286). Wie dem auch sei. Der Bund hat sich jedenfalls für die grundsätzliche Beibehaltung der

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Kameralistik und ihre Fortentwicklung zu einer „erweiterten Kameralistik“ entschieden, die durch Daten zum Ressourcenverbrauch und insbesondere durch eine Kosten- und Leistungsrechnung ergänzt wird (Engels und Eibelshäuser 2010, Teil 2, Rn 51; Adam 2019, 45).

7.4.3.4 Haushaltskontrolle Die Haushaltskontrolle umfasst drei Phasen: Rechnungslegung, Rechnungsprüfung und Entlastung. Sie ist – weitgehend inhaltsgleich – für den Bund in Art. 114 GG und in §§ 80 ff. BHO sowie für die Länder in den Landesverfassungen und in den Landeshaushaltsordnungen geregelt. Allgemeine Grundsätze enthalten §§ 37 ff. HGrG. Auf Bundesebene stellt sich die Haushaltskontrolle wie folgt dar (Leibinger et al. 2021, Rn 772 ff.): Die Rechnungslegung erfolgt in Form einer Jahresrechnung aus Haushalts-und Vermögensrechnung durch das Bundesfinanzministerium. Dies umfasst für das abgeschlossene Haushaltsjahr auf der Grundlage der Buchführung alle Einnahmen und Ausgaben, die Verpflichtungen und Forderungen sowie das Vermögen des Bundes. Die Jahresrechnung wird vom Bundesfinanzminister dem Bundestag, dem Bundesrat und dem Bundesrechnungshof zugeleitet. Die Rechnungsprüfung erfolgt durch den Bundesrechnungshof und erstreckt sich auf die gesamte Haushalts-und Wirtschaftsführung des Bundes (§ 88 Abs. 1 BHO). Der Bundesrechnungshof fasst das Ergebnis seiner Prüfungen jährlich in sog. „Bemerkungen“ zusammen und übersendet diese an den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung (§ 97 Abs. 1 BHO). Die Entlastung der Bundesregierung wird vom Bundesfinanzminister zusammen mit der Zuleitung der Jahresrechnung an Bundestag und Bundesrat beantragt. Die Jahresrechnung wird im Bundestag vom Rechnungsprüfungsausschuss, einem Unterausschuss des Haushaltsausschusses, und im Bundesrat vom Finanzausschuss auf der Grundlage der Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes geprüft. Entsprechend den Beschlussempfehlungen dieser Ausschüsse beschließen Bundestag und Bundesrat die Entlastung der Bundesregierung. Der Entlastungsbeschluss hat keine rechtlichen Wirkungen und hat auch politisch keine große Bedeutung. So wurde die Entlastung der Bundesregierung in der Vergangenheit erst einmal vom Bundesrat für die Jahresrechnungen 1972 und 1973 teilweise verweigert (BT-Drs 8/1138; Leibinger et al. 2021, Rn 784).

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7.4.4

7

Öffentliche Finanzen

Aufstellung und Feststellung des Haushalts als inkrementeller Entscheidungsprozess

In den vorstehenden Abschnitten wurden vornehmlich die rechtlichen und sonstigen normativen Merkmale des Haushalts dargestellt. Es fragt sich, welche Merkmale das tatsächliche Entscheidungsverhalten im Haushaltskreislauf kennzeichnen. Hierzu fehlen in Deutschland systematische empirische Untersuchungen. Es finden sich in der Literatur nur Impressionen von Praktikern. Daher ist es zweckmäßig, einen vergleichenden Blick auf das Haushaltsverfahren in den USA zu werfen. Dort gibt es seit langem zahlreiche systematische, empirische Untersuchungen zum Budgetverfahren.18 Die Aufstellung und Feststellung des Haushaltsplans ist nach den Untersuchungen das klassische Beispiel für einen inkrementellen Entscheidungsprozeß (zum Inkrementalismus: Bohne 2023, 5.3). Praktische Erfahrungen zeigen, dass die Merkmale des Inkrementalismus, die für das amerikanische Budgetverfahren im präsidialen Verfassungssystem beschrieben wurden, auch im deutschen Budgetverfahren anzutreffen sind, das Bestandteil eines parlamentarischen Verfassungssystems ist. Abb. 7.10 gibt einen Überblick über die inkrementellen Merkmale des Budgetverfahrens. Die wichtigsten Einflussfaktoren von Haushaltsentscheidungen sind nicht programmatische Vorgaben, sondern die Haushaltsansätze des Vorjahres. Die Abweichungen vom status quo sind das „increment“, das Haushaltsentscheidungen als inkrementell kennzeichnet. Haushaltsentscheidungen werden nicht einseitig von der Regierung, sondern durch Verhandlungen im Konsens mit den Abgeordneten der Regierungspartei(en) getroffen. Für diese Verhandlungen sind eher eine an der Vergangenheit orientierte Perspektive als fachliche Anforderungen maßgebend. Vereinfachungen der Entscheidungszusammenhänge und Vertrauensbeziehungen zwischen Regierungsvertretern und Abgeordneten bestimmen das Entscheidungsverhalten. Im Ergebnis werden zufriedenstellende, nicht optimale Problemlösungen angestrebt. Dies begünstigt Einzellösungen und (zersplitterte) Einzelprozesse statt umfassender Gesamtentscheidungen.

18

Die immer noch maßgebende empirische Analyse des amerikanischen Budgetverfahrens stammt von Aaron Wildavsky, The politics of the budgetary process, 1964, heute in der 5.Aufl. mit Naomi Caiden, The new politics of the budgetary process, 2004.

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1. Status-quo-Orientierung (The largest determining factor of this year‘s budget is last year‘s.) 2. Konsensorientierung (consensual) 3. Vergangenheitsorientierung (historical) 4. Zersplitterung des Entscheidungsprozesses (fragmented) 5. Vereinfachung von Entscheidungszusammenhängen (simplified) 6. Orientierung an fachlicher Kompetenz und Vertrauen in bestimmte Personen (social) 7. Streben nach zufriedenstellenden („satisficing“), nicht optimalen Entscheidungen 8. Lösung von Einzelkonflikten und -problemen statt programmatischer (Gesamt-)Entscheidungen (non-programmatic) 9. Problemlösungen sind nicht abschließend, sondern sich wiederholend (repetitive) 10. Problemlösungen erfolgen schrittweise, nicht auf einen Schlag und umfassend (sequential)

Abb. 7.10 Aufstellen und Feststellen des Haushaltsplans als inkrementelles Entscheidungsverfahren. (Quelle: Nach Wildavsky und Caiden 2004, S. 46 ff.)

Problemlösungen im Haushaltsplan sind daher nicht abschließend, sondern erfolgen in sich wiederholenden, kleinen Schritten über einen längeren Zeitraum. Die Entscheidungsstrategien im Budgetprozess sind nicht nur an Sachzielen, sondern wesentlich auch an der Erhaltung und Gewinnung politischer Macht orientiert (Wildavsky un Caiden 2004, 57 ff.). Demzufolge ist jeder Akteur darauf bedacht, den bisherigen Umfang der für seine Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel zu erhalten und möglichst zu erweitern. Diesen Zielen dienen eine Reihe von Entscheidungsstrategien wie z. B • Ausgabenansätze über mehrere Jahre so verteilen, dass Ausgaben zunächst niedrig sind und erst in späteren Jahren steigen, • Beziehungen zu verbündeten Interessengruppen pflegen, um ihre politische Unterstützung in Haushaltskonflikten mobilisieren zu können, • vertrauensvolle Beziehungen zu wichtigen Entscheidungsträgern aufbauen und pflegen. Verschiedentlich wird die Auffassung vertreten, dass der Budgetprozess seinen inkrementellen Charakter verloren habe, weil die meisten Ausgaben heute gesetzlich festgelegt seien und somit kaum noch Spielräume für inkrementelle

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Öffentliche Finanzen

Budgetentscheidungen vorhanden seien (Rubin 2008, 186 ff.). Es ist zwar zutreffend, dass gesetzliche Ausgabenfestlegungen den Haushaltsprozess dominieren. In Deutschland sind etwa 80 % der Staatseinnahmen gesetzlich oder vertraglich für bestimmte Aufgaben festgelegt (Streeck und Mertens 2010, 4). Der größte Anteil hiervon entfällt auf Sozialausgaben, die über 50 % des Haushalts ausmachen. Diese rechtlichen Ausgabenfestlegungen bestätigen jedoch den inkrementellen Charakter des Haushaltsverfahrens, weil sie den status quo der Mittelveranschlagungen zementieren. Schließlich ändert auch der im Jahre 2012 eingeführte Eckwertebeschluss der Bundesregierung für die Haushaltsaufstellung (s. o. 7.4.3.1) nicht die inkrementelle Natur des Budgetprozesses. Denn zum einen weist das Zustandekommen des Eckwertebeschlusses selbst inkrementelle Merkmale auf. Zum anderen finden innerhalb der Ausgabenplafonds, die den Ministerien jeweils zugewiesen sind, inkrementelle Verhandlungen statt.

7.4.5

Finanzkontrolle

Unter Finanzkontrolle im weiteren Sinn ist die Prüfung der staatlichen Haushaltsund Wirtschaftsführung durch Rechnungshof und Parlament zu verstehen. Finanzkontrolle im engeren Sinn ist die Prüfung der öffentlichen Finanzen durch die Rechnungshöfe (v. Arnim 1983, 664). Sie folgt auf Bundes- und Landesebene den weitgehend gleichen Regeln. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Tätigkeit des Bundesrechnungshofs. Der Bundesrechnungshof ist eine oberste Bundesbehörde (§ 1 BRHG), aber keinen Weisungen der Bundesregierung unterworfen. Seine Mitglieder besitzen richterliche Unabhängigkeit (Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Aufgaben des Bundesrechnungshofs umfassen die Prüfung der jährlichen Haushaltsrechnung der Bundesregierung sowie der gesamten rechnungsunabhängigen Haushaltsund Wirtschaftsführung des Bundes, einschließlich seiner Sondervermögen und Betriebe (§ 88 Abs. 1 BHO). Die Prüfung der Haushaltsrechnung bildet die Grundlage für die parlamentarische Haushaltskontrolle und die Entlastung der Bundesregierung (s. o. 7.4.3.4). Die Prüfung der rechnungsunabhängigen Haushalts- und Wirtschaftsführung umfasst alle Einnahmen und Ausgaben sowie alle finanzwirksamen Maßnahmen der Verwaltung, der Sondervermögen und Betriebe des Bundes, insbesondere ihrer Organisation und Personalwirtschaft. Diese Prüfungen sind in der Praxis besonders bedeutsam, weil sie gegenwartsnah bereits vor der Rechnungslegung erfolgen (Schwarz in Gröpl 2019, § 88 BHO, Rn 6). Die Prüfungen können vor

7.4 Haushalt

223

der Durchführung von finanzwirksamen Maßnahmen, begleitend zu ihrer Durchführung oder nachträglich vorgenommen werden (Reus und Mühlhausen 2014, Rn A 744). Prüfungsmaßstäbe sind die Ordnungsmäßigkeit (rechnerische Richtigkeit und Rechtmäßigkeit) und die Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung (Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG). Nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip (Bohne 2023, 5.2.1.1.) muss die öffentliche Verwaltung • ihre Ziele mit dem geringsten möglichen Mitteleinsatz verwirklichen (Minimumsprinzip), • ihre Ziele mit den vorhandenen Mitteln im größtmöglichen Umfang erfüllen (Maximumprinzip) oder • Maßnahmen treffen, die das günstigste Verhältnis von Zielverwirklichung und Mitteleinsatz aufweisen (Optimumprinzip). Neben der Prüfungstätigkeit obliegt dem Bundesrechnungshof die Aufgabe, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und einzelne Bundesministerien aufgrund von Prüfungserfahrungen zu beraten (§ 88 Abs. 2 BHO). Unter Beratung in diesem Sinne sind gutachterliche Stellungnahmen des Bundesrechnungshofs zu verstehen, die außerhalb konkreter Prüfungsverfahren abgegeben werden (Reus und Mühlhausen 2014, Rn A 762). Die Wahrnehmung der Beratungsaufgaben liegt im Ermessen des Bundesrechnungshofs. Dieser wird sich aber in der Praxis Beratungsbitten kaum entziehen. Darüber hinaus kann der Bundesrechnungshof von sich aus jederzeit den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung „über Angelegenheiten von besonderer Bedeutung“ unterrichten (§ 99 BHO). Schließlich bestehen eine Reihe besonders geregelter Beratungsfunktionen (Reus und Mühlhausen 2014, Rn A 764 ff.) wie z. B. Stellungnahmen des Bundesrechnungshofs zu Voranschlägen im Verfahren der Haushaltsaufstellung (§ 27 Abs. 2 BHO), zu Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung (§ 102 Abs. 3 BHO) oder zu den Entwürfen von Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der Bundeshaushaltsordnung (§ 103 Abs. 1 BHO). Eine besondere Form der Beratung sind die Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), dessen Aufgaben vom Präsidenten des Bundesrechnungshofs in Personalunion wahrgenommen werden. Die Einrichtung und Tätigkeit des BWV beruhen auf der Organisationsgewalt der Bundesregierung (Art. 86 Satz 2 GG) und den Richtlinien der Bundesregierung für die Tätigkeit des BWV vom 08.06.2016 (BAnzAT vom 15.06.2016, B 1). Der BWV nimmt seine Aufgaben nach eigenem Ermessen wahr. Im Unterschied zur Beratung im Sinne des § 88 Abs. 2 Satz 1 BHO kann der

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Öffentliche Finanzen

BWV auch ohne vorangegangene, besondere Prüfungserfahrungen tätig werden und politische Beurteilungen abgeben. Ziel der BWV-Gutachten ist es, auf eine wirtschaftliche Erfüllung der Verwaltungsaufgaben und eine dementsprechende Verwaltungsorganisation hinzuwirken (Reus und Mühlhausen 2014, Rn A 773). Die Prüfungsbemerkungen und Empfehlungen des Bundesrechnungshofs haben keine rechtlichen Wirkungen. Ihre Nichtbeachtung bleibt folgenlos. Allerdings werden verwaltungstechnische Mängelrügen des Bundesrechnungshofs von den Behördenleitungen meist aufgegriffen und befolgt. Anders ist es, wenn der Bundesrechnungshof an politisch bedeutsamen Handlungen der Bundesregierung oder eines Ministers Kritik übt. In diesen Fällen kann der Bundesrechnungshof nur versuchen, durch Veröffentlichung seiner Bemerkungen und Berichte im Internet (§§ 97 Abs. 5 und 99 BHO) und durch Unterrichtung des Parlaments Druck auf die Regierung auszuüben. Allerdings haben die Regierungsparteien wenig Motivation, die eigene Regierung oder von ihnen gestellte Minister öffentlich zu kritisieren und in politische Schwierigkeiten zu bringen. In der Regel stellen sich die Regierungsparteien schützend vor ihre Regierung und Minister (v. Arnim 1983, 666). So kommt es, dass der Bundesrechnungshof zwar immer wieder Steuerverschwendungen in Millionen- und Milliardenhöhe aufdeckt, außer öffentlicher Empörung geschieht aber nichts. Beispiele sind die Finanzskandale um die Pkw-Maut, die weitgehend wirkungslose Digitalisierung der Bundeswehr, die überteuerte Renovierung des Segelschulschiffs Gorch Fock (Gammelin und Herrmann 2019) oder die jahrelange vergebliche Kritik des Bundesrechnungshofs am mangelhaften Vollzug der Steuergesetze (s. o. 7.1.4 a.E.). Um den Prüfungsbemerkungen und Berichten des Bundesrechnungshofs in politischen Angelegenheiten mehr Wirksamkeit zu verleihen, wird vorgeschlagen, dem Bundesrechnungshof Klagerechte einzuräumen (v. Arnim 1983, 668; Wissenschaftlicher Dienst des schleswig-holsteinischen Landtags 2013, 3 ff.) oder eine finanz- und haushaltsrechtliche Verbandsklage einzuführen (Jochum 2004, 103 ff.). Für den Bundesrechnungshof werden folgende Klagearten in Erwägung gezogen: • abstrakte Normenkontrolle i.S. des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, mit der der Bundesrechnungshof die Verfassungsmäßigkeit des Haushaltsgesetzes oder anderer, im Einzelfall haushalts- und finanzrelevanter Gesetze vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen könnte, • verfassungsrechtliches Beanstandungsverfahren, in dem auf Antrag des Bundesrechnungshofs konkrete Maßnahmen des Haushaltsvollzugs vom Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden,

7.4 Haushalt

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• haushaltsrechtliche Feststellungsklage in Fortentwicklung des § 43 VwGO zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit einzelner finanzwirksamer Maßnahmen. Allerdings fragt sich, welchen praktischen Mehrwert die gerichtliche Feststellung haushalts- und finanzrechtlicher Verstöße der öffentlichen Verwaltung im Vergleich zu den entsprechenden Feststellungen des Bundesrechnungshofs besitzt. Die gerichtliche Feststellungsentscheidung hat keine rechtsgestaltende Wirkung und führt nicht zur Aufhebung oder zum Erlass bestimmter Verwaltungsentscheidungen. Sie bleibt ebenso folgenlos wie die Feststellungen des Bundesrechnungshofs. Die gerichtliche Feststellung einer rechtswidrigen Haushalts- und Wirtschaftsführung erwächst lediglich – im Unterschied zu Feststellungen des Bundesrechnungshofs – in formeller Rechtskraft und besitzt daher (vielleicht) eine größere rechtliche und politische Autorität als Rechnungshofentscheidungen. Hierdurch könnte aber gerade die fachliche Autorität des Bundesrechnungshofs beeinträchtigt werden, wenn nämlich das Gericht eine andere Auffassung vertritt als der Bundesrechnungshof. Klagebefugnisse des Bundesrechnungshofs werden daher überwiegend abgelehnt. Den genannten Bedenken unterliegt nicht die Einführung einer finanz- und haushaltsrechtlichen Verbandsklage nach dem Vorbild der Verbandsklagen im Umweltrecht gemäß § 64 BNatSchG, § 2 UmwRG und im Verbraucherschutzrecht gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Ebenso wie im Umwelt- und Verbraucherschutzrecht geht es auch im Finanz- und Haushaltsrecht um den Schutz kollektiver Belange und des Gemeinwohls. Die früher gegen die Verbandsklage erhobenen rechtsdogmatischen Einwände sowie die Sorge vor einer Klageflut und Überlastung der Gerichte haben sich als unbegründet erwiesen. Ihre positiven Effekte überwiegen (Jochum 2004, 106 ff.; Kloepfer 2016, § 12 Rn 542; Töller 2020, 293). Daher empfiehlt es sich, Verbänden unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis zu erteilen, gerichtliche Rechtsbehelfe gegen haushaltsund finanzwirksame Verwaltungsentscheidungen einzulegen. Die Rechtsbehelfe würden nicht nur Feststellungsklagen umfassen, sondern könnten auch in Form einstweiligen Rechtsschutzes vorbeugend durch gerichtliche Anordnung Einfluss auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Verwaltung nehmen (Jochum 2004, 109). Auf diese Weise könnte Mängeln des Vollzugs von Steuergesetzen begegnet werden, die der Bundesrechnungshof seit Jahren vergeblich rügt.

226

7.4.6

7

Öffentliche Finanzen

Haushaltsreformen

Der vorstehend (s. o. 7.4.4) beschriebene inkrementelle Charakter des Haushaltsprozesses ist vielen Ökonomen und Vertretern des Public Management schon seit langem ein Dorn im Auge (Polzer 2019, 472; Holtkamp 2019, 486). Seit Jahrzehnten werden daher am ökonomischen Rationalprinzip orientierte Haushaltsreformen gefordert. Insbesondere soll das kamerale Haushaltssystem durch ergebnis- und wirkungsbezogene Budgetsysteme ersetzt werden. Die zahlreichen Reformansätze sind stark von angelsächsischen Konzepten beeinflusst. Mitte der 1960er Jahre führte die Johnson-Regierung das „Planning, Programming, Budgeting System“ (PPBS) in den USA ein. PPBS fand weltweite Beachtung und beeinflusste auch die deutsche Reformdiskussion (Reinermann 1975). PPBS war ein umfassendes Aufgabenplanungs- und Budgetierungssystem, das entsprechend dem Rationalprinzip streng hierarchisch aufgebaut war und Regierungstätigkeiten in politische Ziele, Programmstrukturen (Programmbudgets), Maßnahmen und Kosten gliedern sollte (Böhret 1970, 175 f., 181 ff.; Hovey 1972). PBBS wurde 1971 von der Nixon- Regierung wieder abgeschafft, weil Aufwand und Nutzen des Systems in keinem vernünftigen Verhältnis zueinanderstanden. Im Jahre 1979 führte die Carter- Regierung das System des Zero-Base Budgeting (ZBBS) in die amerikanische Bundesverwaltung ein (Leppert 2014). ZBBS war eine besondere Form des Programmbudgets mit dem Unterschied zu PPBS, daß alte und neue Aktivitäten bei jeder Budgetaufstellung gleichermaßen von Grund auf (am „Nullpunkt“) kritisch geprüft wurden und sich nicht an den Vorjahresansätzen orientierten (Rubin 2017, 8; Zimmermann et al. 2021, 209 f.). Auf diese Weise sollte der inkrementelle Charakter des Budgetprozesses durch ein am Rationalprinzip orientiertes, ziel-und ergebnisbezogenes Verfahren ersetzt werden. Im Jahr 1981 teilte ZBBS das Schicksal von PPBS und wurde von der Reagan-Regierung abgeschafft. Seit den 1990er Jahren wurde in Deutschland ein neuer Reformanlauf im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells unternommen (Reichard 2017, 145 ff.), das die deutsche Version des New Public Management darstellt, einer weltweiten Verwaltungsreformbewegung seit Beginn der 1980er Jahre. Zentrale Bestandteile des Reformansatzes, der vornehmlich auf Landes- und Kommunalebene verfolgt wird, sind ergebnisorientierte Produkthaushalte (Performance Budget), Globalhaushalte (Vorgabe von Pauschalsummen für Organisationseinheiten), doppische Haushalte sowie Kosten-und Leistungsrechnung (Polzer 2019, 473 ff.). Die Erfolgsbilanz des Neuen Steuerungsmodells wird insgesamt als “ernüchternd“ (Bogumil 2017, 120) bezeichnet. Das gilt insbesondere für die Haushaltsreformen. Nutzen und

7.5 Zusammenfassung

227

Aufwand dieser Reformen stehen in keinem vernünftigen Verhältnis. So wird mit Recht die rhetorische Frage gestellt, weshalb diese Reformansätze heutzutage dauerhaft funktionieren sollen, die 50 Jahre vorher auch keine nachhaltige Wirkung entfalten konnten (Reichard 2017, 151). Die wesentliche Ursache für das weitgehende Scheitern der genannten Haushaltsreformen ist die Missachtung des politischen, an Machterhalt und Machtgewinnung orientierten Charakters des Budgetprozesses und der Versuch, den politischen Prozess durch Verfahren ökonomischer Rationalität zu ersetzen. Diese Verfahren waren und sind zu technisch und zu aufwendig. Viele der generierten Informationen, insbesondere zu voraussichtlichen Ergebnissen und Wirkungen von Budgetmaßnahmen sind zwar „nice to know“, aber doch unzuverlässig und nicht wirklich von politischem Nutzen für die Akteure (Reichard 2017, 149). Man mag den politischen Charakter des Budgetprozesses aus ökonomischnormativer Sicht noch so heftig kritisieren. Empirisch wird sich hieran nichts ändern. Politische Macht ist sicherlich nicht alles, aber alles ist ohne politische Macht nichts. Daher laufen die skizzierten Reformansätze letztlich auf einen ökonomisch-rationalen „Modellplatonismus“ (Holtkamp 2019, 492) hinaus. Allerdings ist hieraus nicht zu folgern, dass rationale Reformansätze gänzlich unterbleiben sollten. Ihr praktischer Nutzen besteht darin, dass sie in der Verwaltung bestehende Seilschaften, Entscheidungsroutinen und Interessengeflechte „aufmischen“, auch wenn die erhofften Reformwirkungen ausbleiben und allenfalls kleine Effektivitäts- und Effizienzgewinne erzielt werden. Ein permanenter „Reformstachel“ ist erforderlich, um Verkrustungen des Budgetprozesses und der öffentlichen Verwaltung entgegenzuwirken.

7.5

Zusammenfassung

Die Öffentliche Finanzwirtschaft umfasst die Beschaffung, Verwaltung und Verwendung der Finanzmittel zur Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben. Die Öffentliche Finanzwirtschaft erfüllt Bedarfsdeckungs- und gesamtwirtschaftliche Funktionen sowie politische Lenkungsfunktionen. Träger der Öffentlichen Finanzwirtschaft sind Bund, Länder und Kommunen sowie Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen und über Finanzquellen mit Zwangscharakter verfügen (z. B. Sozialversicherungen). Einnahmen des Staates sind Abgaben (z. B. Steuern), Gebühren, Beiträge, Sonderabgaben, Erwerbseinkünfte, Kredite, Versteigerungserlöse und Geldschöpfungsgewinne.

228

7

Öffentliche Finanzen

Die Ausgaben lassen sich nach Institutionen und Aufgabenbereichen gliedern. Die bei weitem meisten Ausgaben entfallen auf den Sozialbereich. Der Anteil der Sozialausgaben an den Gesamtausgaben des Staates beträgt etwas über 50 %. Der Anteil der staatlichen Gesamtausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) (Staatsausgabenquote) lag im Jahre 2020 bei 50,8 % und damit etwas unter dem EU-Durchschnitt von 53,1 %. Der Aufbau der Finanzverwaltung von Bund und Ländern ist in seinen Grundzügen im Finanzverwaltungsgesetz geregelt. Oberste Finanzbehörden sind die Finanzministerien von Bund und Ländern. Bundes- und Landesoberbehörden bestehen für bestimmte Aufgabenbereiche. Mittelbehörden gibt es nur auf Landesebene. Örtliche Finanzbehörden sind auf Bundesebene die Hauptzollämter und Zollfahndungsämter sowie auf Landesebene die Finanzämter. Im Bereich der Steuerverwaltung wird vom Bundesrechnungshof seit vielen Jahren ein Notstand beim Vollzug der Steuergesetze kritisiert, der auf die föderale Struktur der Finanzverwaltung, die permanente Änderung der Steuergesetze und auf die Flut an Verwaltungsvorschriften, Erlassen, Weisungen und Rundschreiben zurückgeführt wird. Steuern sind die wichtigste Einnahmequelle des Staates. Nach dem Empfänger der Steuern wird zwischen Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern sowie Gemeinschaftssteuern (Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer) unterschieden, die zwischen Bund und Ländern quotenmäßig aufgeteilt werden. Am ertragsreichsten sind Einkommens- und Körperschaftssteuern, gefolgt von der Umsatzsteuer. Letztere wurde zum 01.01.2020 neu geregelt. Die Neuregelung tritt an die Stelle des bisherigen horizontalen Länderfinanzausgleichs. Nunmehr ist der Bund zentral für den Finanzausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern verantwortlich. Kredite sind nach Steuern die zweitwichtigste Einnahmequelle des Staates. Sie werden am Kapitalmarkt aufgenommen und begründen die Staatsverschuldung. Dabei ist zwischen konjunkturbedingter und struktureller Staatsverschuldung zu unterscheiden. Das prozentuale Verhältnis von jährliche Nettokreditaufnahme des Staates zum BIP wird als Defizitquote bezeichnet. Die Schuldenstandsquote misst das prozentuale Verhältnis der gesamten Staatsverschuldung zum BIP. Nach EURecht dürfen die jährliche Defizitquote 3 % des BIP und die Schuldenstandsquote 60 % des BIP nicht überschreiten (sog, Maastricht-Kriterien). Beide Defizitkriterien wurden in der Vergangenheit – auch von Deutschland – häufig überschritten. Das Sanktionssystem war wenig effektiv. Zum Abbau der bestehenden Staatsverschuldung und zur Verhinderung einer ausufernden künftigen Staatsverschuldung wurden zusätzliche nationale und europäische Regelungen erlassen, die die Höhe

7.5 Zusammenfassung

229

der zulässigen Staatsverschuldung begrenzen sollen und als „Schuldenbremse“ bezeichnet werden. Die Schuldenregelungen der EU werden ergänzt durch Hilfsmaßnahmen für überschuldete Mitgliedstaaten. Diese Maßnahmen umfassen • den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der überschuldeten Mitgliedsstaaten an Reformbedingungen geknüpfte, günstige Kredite Verfügung stellt, • die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, die in großem Umfang Staatsanleihen hochverschuldete Euroländer (z. B. Griechenland, Italien) aufkauft, und • das Corona-Hilfsprogramm, das aus einem Sonderfond von 750 Mrd Euro besteht. Alle Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen des Staates werden in Haushaltsplänen von Bund, Ländern und Kommunen dargestellt. Die Haushaltspläne gliedern sich in Gesamt- und Einzelpläne und sind auf Bundesund Landesebene in mittelfristige (fünfjährige) Finanzpläne eingebettet. Der öffentliche Haushalt besitzt politische, finanzwirtschaftliche, gesamtwirtschaftliche, sozialpolitische, administrativ-rechtliche und Kontrollfunktionen. Für die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans bestehen eine Reihe rechtsverbindlicher Haushaltsgrundsätze, die zum Teil eine lange Tradition besitzen und den Kampf des Parlaments um Budgetrechte gegenüber der Exekutive widerspiegeln. Das Haushaltsverfahren wird als Haushaltskreislauf bezeichnet und umfasst vier Phasen: Aufstellung, Feststellung, Ausführung und Kontrolle des Haushalts. Die Dauer eines Haushaltskreislaufs beträgt ungefähr dreieinhalb Jahre. Aufstellung und Feststellung des Haushalts sind weitgehend inkrementelle Entscheidungsprozesse, die wesentlich durch die Haushaltsansätze des Vorjahres bestimmt werden. Unter Finanzkontrolle ist die Prüfung der staatlichen Haushalts- und Wirtschaftsführung durch Rechnungshöfe und Parlamente zu verstehen. Die Aufgaben der Rechnungshöfe umfassen die Prüfung der jährlichen Haushaltsrechnung der Regierung sowie der gesamten rechnungsunabhängigen Haushalts- und Wirtschaftsführung des Staates. Die Prüfung der Haushaltsrechnung bildet die Grundlage für die parlamentarische Haushaltskontrolle und die Entlastung der Regierung.

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7

Öffentliche Finanzen

Die Prüfungsbemerkungen und Empfehlungen der Rechnungshöfe haben keine rechtliche Wirkung. Ihre Nichtbeachtung bleibt folgenlos. Zwar werden verwaltungstechnische Mängelrügen von den Behördenleitungen meist befolgt. Kritik an politisch bedeutsamen Handlungen der Regierung oder eines Ministers werden dagegen in der Regel von der Regierung zurückgewiesen. So werden immer wieder Steuerverschwendungen in Millionen- und Milliardenhöhe von den Rechnungshöfen aufgedeckt. Außer öffentlicher Empörung geschieht aber nichts. Daher wird empfohlen, eine finanz- und haushaltsrechtliche Verbandsklage nach dem Vorbild der Verbandsklagen im Umwelt- und Verbraucherschutzrecht einzuführen. Seit Jahrzehnten werden immer wieder am ökonomischen Rationalprinzip orientierte Haushaltsreformen gefordert. Insbesondere soll das input-basierte, kamerale Haushaltssystem durch ein ergebnis- und wirkungsbezogenes Budgetsystem ersetzt werden. Die zahlreichen Reformansätze von PPBS in den 1960er Jahren, über ZBBS in den 1970er Jahren, New Public Management und Neues Steuerungsmodell in den 1980er und 1990er Jahren bis zum Neuen Kommunalen Finanzmanagement in den beiden ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts haben die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. Sie waren zu technisch und zu aufwendig. Sie ignorierten weitgehend den politischen, an Machterhalt und Machtgewinnung orientierten Charakter des Budgetprozesses und liefen letztlich auf einen ökonomisch-rationalen Modellplatonismus hinaus. Dennoch sind Reformansätze wichtig, da sie etablierte Interessengeflechte und Seilschaften sowie eingefahrene bürokratische Routinen „aufmischen“ und zumindest kleine Verbesserungen bewirken können, auch wenn sie die großen Reformziele meist nicht erfüllen.

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Öffentliche Finanzen

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Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

8.1

Verwaltungstypen

Die Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung sind durch eine große Vielfalt geprägt. Eine allgemein anerkannte Systematisierung der Verwaltungstätigkeiten gibt es nicht. In der Rechtswissenschaft ist die Unterscheidung zwischen Eingriffsverwaltung, die gegenüber den Bürgern mittels Ge- und Verboten handelt, und Leistungsverwaltung verbreitet. Dabei wird der Begriff der Leistungsverwaltung in einem sehr weiten Sinn verstanden (Wolff et al. 2017, § 4, Rn 16 ff.; Maurer und Waldhoff 2020, § 1, Rn 16 ff.). Die Leistungsverwaltung umfasst danach außer der gezielten Unterstützung Einzelner (z. B. Sozialhilfe) generell die Schaffung und Sicherung der kollektiven Lebensbedingungen für die Gesellschaft – auch Daseinsvorsorge genannt – durch Bereitstellung von Infrastruktureinrichtungen sowie durch Regulierung und Gewährleistung der Funktionsfähigkeit gesellschaftlich benötigter privater Einrichtungen (z. B. in der Energieversorgung). Darüber hinaus gibt es weitere Unterscheidungen einzelner Tätigkeitsbereiche der öffentlichen Verwaltung wie z. B. die planende, die bewahrende und risikoorientierte, die wirtschaftende Verwaltung und die Bedarfsverwaltung (Wolff et al. 2017, § 4, Rn 32 ff.). In der Verwaltungswissenschaft wird auf eine systematische Unterscheidung der Verwaltungstätigkeiten verzichtet. Meist wird lediglich die historische Entwicklung der Verwaltungsaufgaben nachgezeichnet (Thieme 1984, Rn 170 ff.; Püttner 2007, § 5, Rn 11 ff.). In der Politikwissenschaft wird teilweise funktional zwischen Ordnungs, Dienstleistungs-, wirtschaftender, Organisations- und politischer Verwaltung unterschieden (Hesse und Ellwein 2012, 464 ff.).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_8

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236

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Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Insgesamt sind die verschiedenen Systematisierungsversuche der Verwaltungstätigkeiten unübersichtlich und entbehren eines einheitlichen Grundgedankens. Wie in Abschn. 3.2 dargelegt, ist die öffentliche Verwaltung vom Bürger her zu denken. D. h.: die Verwaltungstätigkeiten sind primär nach den Rollen zu typisieren, die der Bürger im Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung einnimmt. Danach sind vier Grundtypen der öffentlichen Verwaltung zu unterscheiden. Diese sind gekennzeichnet durch die Rolle des Bürgers • als Befehlsempfänger bei der Ordnungs- und Abgabenverwaltung, • als Verbraucher staatlicher Geld-, Sach- und Dienstleistungen bei der Leistungsverwaltung, • als Benutzer von öffentlichen Infrastruktureinrichtungen bei der Infrastrukturverwaltung und • als Ko-Produzent öffentlicher Leistungen, soweit öffentliche Verwaltung und Bürger bei der Leistungserstellung zusammenwirken. Die Ordnungsverwaltung lässt sich nach dem Gegenstand der Verwaltungstätigkeit in Polizei, Allgemeine Ordnungsverwaltung, Sonderordnungsverwaltungen, Wirtschaftsaufsicht und Umweltaufsicht gliedern. Die Abgabenverwaltung1 unterteilt sich nach der Abgabenart in Steuerverwaltung, Verwaltungen von Gebühren, Beiträgen und Sonderabgaben. Die Leistungsverwaltung beschränkt sich entsprechend der Rolle des Bürgers als Verbraucher auf die staatliche Leistung von Geld-, Sach- und Dienstleistungen. Die Infrastrukturverwaltung umfasst die staatliche Bereitstellung technischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und informationsbezogener Einrichtungen (z. B. Raumplanung) zur Benutzung durch den Bürger. Die Ko-Produktion staatlicher Leistungen durch Bürger und öffentliche Verwaltung findet sich beispielsweise im Sozialbereich, wenn Bürger die öffentliche Verwaltung bei der Flüchtlingshilfe unterstützen. Außer den genannten Grundtypen der öffentlichen Verwaltung, die auf dem Rollenverhältnis von Verwaltung und Bürger beruhen, gibt es auch Verwaltungsbereiche, in denen ein Rollenverhältnis zum Bürger fehlt. Dies ist bei internen Verwaltungstätigkeiten der Fall. Beispiele sind die Personal- und Haushaltsverwaltung sowie das Sammeln und Auswerten wissenschaftlicher, fachlicher und sonstiger Informationen, z. B. durch wissenschaftliche Oberbehörden. Gemeinsam ist diesen Verwaltungsbereichen, dass sie sich auf die Ressourcen der 1

Sie wurde oben (7.1.4) dargestellt und wird im Folgenden nicht weiter behandelt.

8.2 Begriff der Polizei sowie der Allgemeinen und Sonderordnungsverwaltung

237

öffentlichen Verwaltung beziehen: Personal, Finanzen und Informationen (Ressourcenverwaltung). Die Personalverwaltung wurde in Kap. 6 und die Finanzverwaltung in Kap. 7 dargestellt. Die Verwaltung von Informationsressourcen ist Teil des jeweiligen Aufgabenbereichs von Ordnungs-, Leistungs- und Infrastrukturverwaltung sowie der Koproduktion von öffentlicher Verwaltung und Bürgern.

8.2

Begriff der Polizei sowie der Allgemeinen und Sonderordnungsverwaltung

Nach dem heutigen Begriffsverständnis umfassen die Begriffe Polizei und Allgemeinen Ordnungsverwaltung die staatlichen Tätigkeiten, die der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dienen und durch die Polizei und allgemeinen Ordnungsbehörden wahrgenommen werden (Schenke 2021, Rn 1). Gefahren sind absehbare zukünftige Schäden, die in den Bereichen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auftreten können (Gusy 2017, Rn 103 ff.). Die Öffentliche Sicherheit bezeichnet in diesem Kontext die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt (Gusy 2017, Rn 39 ff.). In diesem Sinne stellen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten Verletzungen der öffentlichen Sicherheit dar, die von Polizei- und Ordnungsbehörden bekämpft werden. Beispiele hierfür wären der Diebstahl einer Handtasche oder das Abstellen eines Fahrzeugs im absoluten Halteverbot. Die Öffentliche Ordnung ist gegenüber der Öffentlichen Sicherheit subsidiär und umfasst in diesem Kontext die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung als unentbehrlich für ein geordnetes menschliches Zusammenleben innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (Gusy 2017, Rn 96 ff.). Hierbei handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Aggressives Betteln wird beispielsweise als Verletzung der öffentlichen Ordnung betrachtet und ggf. durch Polizei- und Ordnungsbehörden mit Platzverweisen unterbunden, da es rechtlich nicht verboten ist, aber zu Belästigungen von Passanten führt.

8.2.1

Polizei

In der Polizeigeschichte gibt es keinen eindeutigen Polizeibegriff, da sich die Wortverwendung und das Verständnis der damit verbundenen Staatsstätigkeit in den letzten Jahrhunderten mehrfach gewandelt haben (Schenke 2021, Rn 2;

238

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Stolleis 2018 Rn 1; Gusy 2017, Rn 4). Der Begriff Polizei beschrieb in seiner ursprünglichen Verwendung einen Zustand guter Ordnung, der durch die Reichspolizeiordnung sowie Landespolizeiordnungen im 16. Jahrhundert erreicht werden sollte (Schenke 2021, Rn 2). Der Zuständigkeitsbereich der Polizei war unbestimmt und umfasste im 17. und 18. Jahrhundert tendenziell die gesamte innere Verwaltung des absolutistischen Staates mit Ausnahme der auswärtigen Angelegenheiten, dem Finanzwesen, dem Militär sowie der Justiz (Schenke 2021, Rn 2; Stolleis 2018 Rn 11; Gusy 2017, Rn 5). Im Verfassungsstaat des 18. Jahrhunderts begann ein Wandel des Polizeiverständnisses, der die Aufgaben der Polizei zunehmend im Bereich der Sicherheit und nicht mehr im Bereich der Wohlfahrt verortete (Schenke 2021, Rn 3; Stolleis 2018, Rn 20; Gusy 2017, Rn 5). Hierzu gehörte auch eine schrittweise Beschränkung der Polizeibefugnisse auf die Gefahrenabwehr (Schenke 2021, Rn 2), um die Eingriffsmöglichkeiten der Polizei in die Freiheit des Einzelnen zu begrenzen. Die Verwaltungszweige, die wir heute als besondere Ordnungsverwaltung bezeichnen, waren bis in das 20. Jahrhundert als Fachpolizeibehörden organisiert, beispielsweise in Form von Gewerbepolizei, Baupolizei oder Lebensmittelpolizei. Eine konsequente Entpolizeilichung dieser Verwaltungszweige erfolgte erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Stolleis 2018, Rn 36; Gusy 2017, Rn 56 ff.). Die Entstehung von spezialisierten Polizeibehörden nach unserem heutigen Polizeiverständnis, in Form von uniformierter Schutzpolizei, Kriminalpolizei und politischer Polizei (die wir heute als Verfassungsschutzbehörden kennen), erfolgte gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Kaiserreich, da Industrialisierung und Landflucht auch zu einem Anstieg der Kriminalität in den industriellen Zentren führten (Stolleis 2018, Rn 27 ff.). Die Polizeiorganisation war in dieser Zeit stark dezentralisiert und fand auf Landes- oder Kommunalebene statt. Auf der Reichsebene gab es keine eigene Polizeiorganisation. Es gab mit Blick auf die Innere Sicherheit auch keine klare Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Militär und Polizei, weshalb man im Krisenfall das Deutsche Heer zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung eingesetzt hätte (Harnischmacher und Semerak 1986, 72). Die Entstehung von materiellem Polizei- und Ordnungsrecht im heutigen Sinne und die Vision von der uniformierten Polizei als „Freund und Helfer“ erfolgte erst in der Weimarer Republik (Stolleis 2018, Rn 52 ff.). In der NSDiktatur wurde die Polizeiorganisation auf der Reichsebene zentralisiert und als nicht an Recht gebundenes Unterdrückungsinstrument des NS-Staates eingesetzt, sodass im Ergebnis alle Polizeiorganisationen an den Verbrechen des NS-Staates beteiligt waren (Stolleis 2018, Rn 62 ff.; Harnischmacher und Semrak 1986, 92 ff.). Insofern stellte sich nach der Besetzung Deutschlands durch die

8.2 Begriff der Polizei sowie der Allgemeinen und Sonderordnungsverwaltung

239

Alliierten die Frage, wie die zukünftigen Strukturen der Sicherheitsbehörden aussehen müssen, um Missbräuche auszuschließen. Leitlinien ergaben sich aus den Oberzielen Demokratisierung, Dezentralisierung und Entnazifizierung der Besatzungsmächte (Schulte 2017, 24). Als das Grundgesetz für die Bundesrepublik ausgearbeitet wurde, legten die Militärgouverneure im so genannten Polizeibrief die Grundstrukturen der Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern und zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten fest, die die Bundesrepublik bis heute prägen. Hierzu gehört das Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten, die Beschränkung des Bundes auf Sonderpolizeien und die Zuständigkeit der Länder für die allgemeine Polizei sowie der Ausschluss eines allgemeinen Weisungsrechts von Polizeien des Bundes gegenüber Polizeien der Länder (Schulte 2017, 25). Diese Prinzipien prägen das Grundgesetz und die Organisation der Sicherheitsbehörden bis heute.

8.2.2

Allgemeine Ordnungsverwaltung

Betrachtet man die Landesebene, dann kann man hier zwischen zwei Gruppen von Ländern hinsichtlich des Aufbaus der Polizei unterscheiden. Auf der einen Seite stehen die Länder, die das Trennungs- und Ordnungsbehördensystem eingeführt haben und bei denen Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr nicht von der Polizei, sondern von Behörden der allgemeinen Verwaltung wahrgenommen werden (Schenke 2021, Rn 7). In diesen Ländern beschränkt sich die Zuständigkeit der Polizei auf die Gefahrenabwehr in Eilfällen, die Mitwirkung bei der Verfolgung von Straften und Ordnungswidrigkeiten, die Vollzugshilfe sowie sonstige gesetzlich der Polizei zugewiesenen Aufgaben (Schenke 2021, Rn 15). Auf der anderen Seite stehen Länder, bei denen nach dem Einheitssystem die Gefahrenabwehr grundsätzlich der Polizei übertragen ist (Schenke 2021, Rn. 16). Der Unterschied ist im Ergebnis marginal, da auch in diesen Ländern eine Aufteilung der Polizeiorganisation zwischen Polizeiverwaltungsbehörden und Polizeivollzugsbehörden vorgenommen wird. Insofern lässt sich mit Blick auf die beiden Systematiken für die weitere Begriffsverwendung festhalten: • Polizeirecht ist die Gesamtheit der Rechtsnormen zur Organisation, Berechtigung und Verpflichtung von Polizei(vollzugs)behörden; • Ordnungsrecht ist die Gesamtheit der Rechtsnormen zur Organisation, Berechtigung und Verpflichtung der Ordnungsbehörden (bzw. Polizeiverwaltungsbehörden) (Gusy 2017, Rn 9).

240

8.2.3

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Sonderordnungsverwaltung

Grundsätzlich nehmen die Polizei- und allgemeine Ordnungsverwaltung die allgemeine Gefahrenabwehr wahr und ihre Kompetenzen ergeben sich aus dem Polizei- und Ordnungsrecht von Bund und Ländern. Daneben gibt es spezialgesetzliche Regelungen der Gefahrenabwehr, die von Behörden wahrgenommen werden, die vorrangig gegenüber der Polizei und allgemeinen Ordnungsverwaltung für die Gefahrenabwehr in eng umrissenen Bereichen zuständig sind, weshalb diese Behörden auch als Sonderpolizeibehörden (Bremen, Saarland) oder Sonderordnungsbehörden (Berlin, Brandenburg, Hesse, Nordrhein-Westfalen, Rheinlad-Pfalz, Schleswig–Holstein) bezeichnet werden (Rachor und Roggan 2021, Rn. 24 f.). Diese Behörden verfügen über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, um besondere Gefahren abwehren zu können (Kugelmann 2021, Rn. 1). Sie können neben ihren spezialgesetzlichen Regelungen auch auf die allgemeinen Polizei- und Ordnungsbehördengesetze zurückgreifen, wenn das Spezialgesetz keine abschließende Regelung enthält (Rachor und Roggan 2021, Rn. 26). Dies kommt beispielsweise in § 12 OBG NRW zum Ausdruck: 1. Sonderordnungsbehörden sind die Behörden, denen durch Gesetz oder Verordnung auf bestimmten Sachgebieten Aufgaben der Gefahrenabwehr oder in ihrer Eigenschaft als Sonderordnungsbehörden andere Aufgaben übertragen worden sind. 2. Für die Sonderordnungsbehörden gelten die Vorschriften dieses Gesetzes, soweit nicht durch Gesetz oder Verordnung Abweichendes bestimmt ist. Die Einordnung von Behörden als Sonderordnungsbehörden folgt keiner einheitlichen Systematik und kann unter anderem Bauordnungsbehörden, Naturschutzbehörden, Gewerbeaufsichtsämter, Gesundheitsämter, Immissionsschutzbehörden, Ausländerbehörden, Denkmalschutzbehörden, Straßenbaubehörden, Straßenverkehrsbehörden, Jagdbehörden, Forstbehörden, Abfallbehörden und Hafensicherheitsbehörden umfassen (Rachor und Roggan 2021, Rn. 24 f). Umgekehrt kann es auch dazu kommen, dass der Polizei- und allgemeinen Ordnungsverwaltung in Spezialgesetzen besondere Aufgaben der Gefahrenabwehr zugewiesen werden und diese dadurch Aufgaben der Sonderordnungsverwaltung übernehmen (Kniesel et al. 2018, Rn. 30 ff.). Solche Zuweisungen finden sich beispielsweise im Ausländerrecht (§ 71 Abs. 4 und 5 AufenthG), Gesundheitsrecht (§ 43 Abs. 1 LFGB; § 30 Abs. 2 IfSG), Waffenrecht (§ 35 WaffG) oder Jagdrecht (§ 15 BJagdG).

8.3 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

8.3

Aufgaben und Rechtsgrundlagen

8.3.1

Polizei und Allgemeine Ordnungsverwaltung

241

Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht liegt nach Art. 70 Abs. 1 GG in der Gesetzgebungskompetenz der Länder, da das GG dem Bund hierfür keine Kompetenzen zuweist. Allerdings verfügt der Bund über eine Reihe von spezialpolizeilichen Kompetenzen, die sich aus unmittelbaren Zuweisungen (z. B. Art. 73 Nr. 9a, Nr. 10 lit. b, Nr. 12 und Nr. 14 sowie Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) oder dem Gesichtspunkt der Annexkompetenz ergeben (Schenke 2021, Rn 26). Letztere ermöglicht dem Bund, Regelungen zur Gefahrenabwehr in den Sachbereichen zu erlassen, für die er die Kompetenz besitzt. Dies gilt beispielsweise für Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG „Luftverkehr“, in dem der Bund die Gefahrenabwehr für diesen Bereich im Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) geregelt hat. Aus der unterschiedlichen Organisation der Gefahrenabwehr auf der Ebene der Länder ergeben sich die Rechtsgrundlagen aus dem allgemeinen und besonderem Polizei- und Ordnungsrecht. Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht umfasst die allgemeinen Grundsätze des Rechts der Gefahrenabwehr, während das besondere Polizei- und Ordnungsrecht spezialgesetzliche Regelungen zur Gefahrenabwehr umfasst, wie beispielsweise die versammlungspolizeilichen Vorschriften in den Versammlungsgesetzen (Schenke 2021, Rn 22). Die Polizei- und Ordnungsbehördengesetze von Bund und Ländern enthalten zwei unterschiedliche Formen von Ermächtigungen: Aufgabenzuweisungsnormen und Befugnisnormen (Gusy 2017, Rn 12). Erstere regeln die Zuständigkeit der Behörden, währende Letztere die Eingriffsbefugnisse regeln. Die Zuständigkeit zwischen einzelnen Polizei- und Ordnungsbehörden wird unter den Gesichtspunkten der sachlichen, örtlichen und funktionellen Zuständigkeiten abgegrenzt. Die sachliche Zuständigkeit der Aufgaben der Gefahrenabwehr wird in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen geregelt. Die funktionelle Zuständigkeit ergibt sich aus dem Behördenaufbau. Die höheren Polizei- und Ordnungsbehörden führen in diesem Kontext die Aufsicht über die nachgeordneten Behörden. Die örtliche Zuständigkeit bezeichnet den Raum, in dem die sachliche und funktionell zuständige Behörde handeln darf (Schenke 2021, Rn 509 ff.). Die generelle Zuständigkeit von Polizei- und allgemeinen Ordnungsbehörden im Bereich der Gefahrenabwehr ergibt sich aus so genannten Generalklauseln. Ein Beispiel hierfür ist § 1 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes von Nordrhein-Westfalen (OBG NRW): „Die Ordnungsbehörden haben die Aufgabe,

242

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr).“ Adressat von polizeilichen und ordnungsbehördlichen Verfügungen zur Gefahrenabwehr ist der Handlungs- oder Zustandsstörer, der für die Gefahr verantwortlich ist. Die Polizei- und Ordnungsbehörden können hierzu den Einzelnen zur Beseitigung der Gefahr durch rechtsverbindlichen Verwaltungsakt verpflichten und diesen notfalls auch mit Zwangsmitteln durchsetzen. Dies schließt auch den Einsatz von körperlicher Gewalt mit ein (z. B. Einsatz eines Schlagstockes). Als ultima ratio ist der Polizei auch der Schusswaffengebrauch gegen Personen gestattet, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben abzuwehren (vgl. § 64 PolG NRW). Wichtigster Maßstab für die Rechtmäßigkeit polizeilicher Zwangsmaßnahmen – wie bei allen Grundrechtseingriffen durch die öffentliche Verwaltung – ist die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel. Ein zweiter Zuständigkeitsbereich der Polizei- und allgemeinen Ordnungsverwaltung besteht in der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (Gusy 2017, Rn 147 ff.). Hierbei ist nicht die „Gefahr“, sondern der „Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit“ für die Auslösung und Legitimation polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Handelns verantwortlich. Während bei der Verfolgung von Straftaten (z. B. Körperverletzung) die Staatsanwaltschaft die Herrin des Ermittlungsverfahrens ist und über ein Weisungsrecht gegenüber der Polizei verfügt, da sie darüber entscheiden muss, ob Anklage erhoben wird, ist bei Ordnungswidrigkeiten (z. B. Parken im Halteverbot) die Ordnungsbehörde selbst die Verfolgungsbehörde, da für die Verhängung von Bußgeldern kein gerichtliches Verfahren erforderlich ist (Denninger 2018, Rn 182 ff.). Ein dritter Zuständigkeitsbereich der Polizei- und allgemeinen Ordnungsverwaltung ergibt sich aus Aufgabenübertragungen durch Gesetze. Dies lässt sich am Beispiel des Straßenverkehrs aufzeigen. Die Ordnungsbehörde ist als Straßenverkehrsbehörden für die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Straßenverkehr (§ 68 StVZO), die Regelung der Straßenbenutzung durch Eröffnung, Beschränkung oder Sperrung des Verkehrs zuständig (§ 45 Abs. 1 StVO), während die Polizei für die Verkehrsregelung, Verkehrsüberwachung und den ersten Zugriff bei Gefahrenlagen zuständig ist (§ 44 Abs. 2 StVO) (Gusy 2017, Rn 156 ff.) Grundsätzlich weisen Polizei- und Ordnungsgesetze so genannte Standardmaßnahmen als Befugnisse zur Aufgabenwahrnehmung auf. Zu diesen Maßnahmen gehören (Schenke 2021, Rn 124 ff.): • Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen (z. B. Führerschein); • Erkennungsdienstliche Maßnahmen (z. B. Abnahme von Fingerabdrücken);

8.3 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

243

• Platzverweise, Aufenthaltsverbote, Wohnungsverweisungen (z. B. gewalttätiger Ehepartner), Kontaktverbote und elektronische Aufenthaltsüberwachung; • Ingewahrsamnahme von Personen; • Durchsuchung und Untersuchung von Personen; • erkennungsdienstliche Maßnahmen (z. B. Abnahme von Fingerabdrücken); • Durchsuchung von Sachen (z. B. Autos); • Sicherstellung und Beschlagnahmung von Sachen (z. B. Waffen); • Betreten und Durchsuchung von Wohnungen; • Verwertung, Einziehung und Vernichtung von Sachen (z. B. illegale Drogen).

8.3.2

Sonderordnungsverwaltungen

Die Gebiete des besonderen Polizei- und Ordnungsrecht weisen spezielle Aufgaben der Gefahrenabwehr entweder der Sonderordnungsverwaltung oder der allgemeinen Polizei- und Ordnungsverwaltung als besondere Aufgaben zu. Sie umfassen unter anderem Gefahrenabwehrregelungen aus den folgenden Rechtsgebieten: Versammlungsrecht, Vereinsrecht, Feuerwehrrecht, Gesundheitsschutzrecht, Rettungsdienstrecht, Katastrophenschutzrecht, Waffenrecht, Ausländer- und Asylrecht, Luftsicherheitsrecht und das Gewerberecht (Kniesel et al. 2018, Rn. 39 ff.). Dies lässt sich am Beispiel des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verdeutlichen. Nach § 1 Abs. 1 AufenthG ist der Zweck des Gesetzes die „Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland“. Einreise, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit von Ausländern stehen unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, um die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten (Kniesel et al. 2018, Rn. 993 ff.). Das AufenthG regelt die Voraussetzungen für die Erteilung und des Entzugs von Erlaubnissen sowie aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Nach § 71 Abs. 2 AufenthG sind für die Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretung, nach Abs. 2 für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen die Ausländerbehörden der Länder und nach Abs. 3 für Zurückweisungen, Abschiebungen an der Grenze und Rückführungen die Bundespolizei zuständig. Sonderordnungsbehörden im Bereich des Umweltschutzes sind über die Gefahrenabwehr hinaus mit naturwissenschaftlich-technischen Aufgaben der Umweltvorsorge betraut (s. u. 10.1). Durch (Bau-) Technik geprägt sind auch die Aufgaben der Bauordnungsbehörden.

244

8

8.4

Aufbau

8.4.1

Bund

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Grundsätzlich nehmen Bundesbehörden nur in Ausnahmefällen Aufgaben der Gefahrenabwehr war. Aus Art. 87 Abs. 1 GG ergibt sich die Kompetenz des Bundes zur Einrichtung der Bundespolizei (früher des Bundesgrenzschutzes) und des Bundeskriminalamtes. Nach der Wiedervereinigung wurden die begrenzten Kompetenzen des Bundesgrenzschutzes erheblich erweitert und die Behörde in Bundespolizei umbenannt. Die Bundespolizei ist neben dem Grenzschutz (§ 2 BPolG) für die Gefahrenabwehr im Bereich der Bahnanlagen (§ BPolG) und des Luftverkehrs (§ 4 f. BPolG), den Schutz von Bundesorganen (§ 5 BPolG), Aufgaben auf hoher See (§ 6 BpolG), die Unterstützung anderer Bundesbehörden (§ 9 BPolG) sowie die Verfolgung von Straftaten in ihrem Zuständigkeitsbereich (§ 12 BPolG) verantwortlich (Schenke 2021, Rn 492; Gusy 2017, Rn 42 ff.). Das Bundeskriminalamt (BKA) nimmt sowohl einzelne Polizeiaufgaben des Bundes als auch Aufgaben der Koordination der Zusammenarbeit zwischen Bundes-, Landes- und internationalen Polizeibehörden wahr (Gusy 2017, Rn 50 ff.). Das Bundeskriminalamt ist zuständig für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus (§ 5 BKAG), den Schutz von Mitgliedern der Verfassungsorgane (§ 6 BKAG) sowie die Strafverfolgung in bestimmten Fällen (z. B. organisierte Kriminalität), wenn diese dem BKA in § 4 BKAG zugewiesen werden. Die Koordination zwischen dem BKA und den Landeskriminalämtern erfolgt auf der Grundlage der §§ 1 und 2 BKAG. Darüber hinaus nehmen noch weitere Bundesbehörden (z. B. Wasserund Schifffahrtsverwaltung, Kraftfahrt-Bundesamt, Bundesamt für Güterverkehr, Eisenbahn-Bundesamt) sektorspezifische Polizeiaufgaben zur Gefahrenabwehr wahr. Keine Polizeidienststellen des Bundes sind das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und der militärische Abschirmdienst, da sie über keine polizeilichen Exekutivbefugnisse verfügen. Dies entspricht nach wie vor dem Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten, das die Alliierten beim Aufbau der Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik vorgaben, auch wenn es verfassungsrechtlich nicht geboten und in anderen Staaten unbekannt ist (Schenke 2021, Rn 497 ff.). Gleichwohl spielen die Nachrichtendienste bei der polizeilichen Gefahrenabwehr eine zentrale Rolle, da sie über weitreichende Eingriffsbefugnisse zur Informationserhebung und -auswertung verfügen und diese den Polizeibehörden zur Verfügung stellen.

8.4 Aufbau

8.4.2

245

Länder

Mit Blick auf die Organisation der allgemeinen Gefahrenabwehr auf der Länderebene kann man, wie oben bereits erwähnt, zwischen Ländern mit Trennungs- und Einheitssystem unterscheiden. Abb. 8.1 gibt einen Überblick über die Zuordnung der Länder, die Bezeichnung der Ordnungs- bzw. Polizeiverwaltungsbehörden sowie der Rechtsgrundlagen für die Zuständigkeitsabgrenzung. In den Ländern mit Einheitssystem gliedert sich die Polizei in Polizeibehörden (im Saarland: Polizeiverwaltungsbehörde) und Polizeivollzugsdienst (im Saarland: Vollzugspolizei). Die Polizeibehörden erfüllen alle Polizeiaufgaben, die nicht dem Polizeivollzugsdienst übertragen wurden. Der Polizeivollzugsdienst ist in Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Bereitschaftspolizei organisiert. Die uniformierte Schutzpolizei ist für die allgemeine Gefahrenabwehr bei Gefahr in Verzug, die Kriminalpolizei für die Verfolgung und Aufklärung von Straftaten und die in Verbänden organisierte uniformierte Bereitschaftspolizei für Unterstützungen bei Großlagen (z. B. Demonstrationen, Absicherung von Fußballspielen etc.) zuständig (Schenke 2021, Rn 504 ff.). In den Ländern mit Trennungssystem sind für die allgemeine Gefahrenabwehr die entpolizeilichten Ordnungsbehörden und die Polizei zuständig. Grundsätzlich ist die Polizei gegenüber Ordnungsbehörden im Bereich der Gefahrenabwehr subsidiär zuständig (Gusy 2017, Rn 135). Das bedeutet, dass bei Zuständigkeit einer anderen Ordnungsbehörde die Polizei nur Maßnahmen ergreifen darf, wenn ein Handeln der zuständigen Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Die Polizei ist genau wie bei den Ländern mit Einheitssystem in Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Bereitschaftspolizei organisiert. Die Aufgaben der Polizeibehörden bzw. Ordnungsbehörden werden in den Ländern im Regelfall durch kommunale Sicherheitsbehörden in Form von Ordnungsämtern, Stadtpolizeien, Kommunalpolizeien etc. wahrgenommen, denen durch Gesetz polizeiliche Befugnisse übertragen wurden (Rachor und Roggan 2021, Rn 173 ff.). Diese sind für die örtlichen Aufgaben mit sicherheitsrelevantem Charakter verantwortlich (z. B. Straßenverkehrsrecht, Versammlungsrecht, Waffenrecht). Der Aufgabenkatalog kann zwischen einzelnen Ländern und Kommunen, die sich nach Art. 28 GG selbst organisieren dürfen, variieren. Der Aufgaben der Vollzugspolizei oder Polizei werden durch Landesbehörden wahrgenommen, die dem Innenministerium unterstehen. Der Aufbau kann zwei- oder dreistufig sein. Abb. 8.2 zeigt dies am Beispiel von Hessen und Abb. 8.3 am Beispiel von Nordrhein-Westfalen. In Hessen gibt es noch sieben regionalen Polizeipräsidien also obere Polizeibehörde, denen eine unterschiedliche Anzahl an Polizeidirektionen als mittlere Polizeibehörde unterstehen, denen

246

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Land

Prinzip

Behördenbezeichnung

Rechtsgrundlagen

Baden-

Einheit

Polizeibehörde

§ 105 BW PolG

Württemberg Bayern

Trennung Sicherheitsbehörde

Art. 6 BayLStVG, Art. 1 BayPAG

Berlin

Trennung Ordnungsbehörde

§§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 ASOG Bln

Brandenburg

Trennung Ordnungsbehörde

§ 1 BbgOBG, §§1, 72 BbgPolG

Bremen

Einheit

Hamburg

Trennung Verwaltungsbehörde

Polizeibehörde

§3 HambSOG

Hessen

Trennung Gefahrenabwehrbehörde

§§ 82 ff., 1, 91 ff. HSOG

Mecklenburg-

Trennung Ordnungsbehörde

§§ 2 Abs. 1, 3 SOG M-

Vorpommern

§ 65 ff. BremPolG

V

Niedersachsen

Trennung Verwaltungsbehörde

§ 1 Abs. 1 NPOG

Nordrhein-

Trennung Ordnungsbehörde

§§ 1, 3 OBG NRW

Westfalen

§ 1 PolG NRW, § 2 POG NRW

Rheinland-Pfalz

Trennung Ordnungsbehörde

§§ 1 Abs. 1, 95 ff., 103 ff. RhPfPOG

Saarland

Einheit

Sachsen

Trennung Polizeibehörde

Polizeiverwaltungsbehörde § 75 ff. SPolG

Sachsen-Anhalt

Trennung Sicherheitsbehörde

§ 1 SächsPBG, § 1 SächsPVDG §§ 1 Abs. 1, 3 Nr. 8-10 SOG LSA

Schleswig-

Trennung Ordnungsbehörde

Holstein Thüringen

§ 163 Abs. 1 SchlHLVwG

Trennung Ordnungsbehörde

§ 1 ThürOBG, § 1 ThürPAG

Abb. 8.1 Trennungs- und Einheitssystem der Gefahrenabwehr auf Länderebene. (Quelle: Eigene Darstellung (Nach Schenke 2021, Rn 15, 504 ff.))

8.5 Hauptprobleme

247

Abb. 8.2 Polizei Hessen. (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 8.3 Polizei NRW. (Quelle: Eigene Darstellung)

wieder eine unterschiedliche Anzahl an Polizeistationen als unterste Polizeibehörden unterstehen. In Nordrhein-Westfalen ist die Polizei in Kreispolizeibehörden oder Polizeipräsidien in den kreisfreien Städten organisiert, die direkt dem Innenministerium als oberste Polizeibehörde unterstehen.

8.5

Hauptprobleme

8.5.1

Koordination durch Netzwerke

Die Zersplitterung der Sicherheitsbehörden erfordert bei länderübergreifenden Bedrohungslagen (z. B. Internationaler Terrorismus, Organisierte Kriminalität) eine enge Vernetzung zwischen den zuständigen Behörden von Bund und Ländern. Grundsätzlich enthalten alle Polizeigesetze Ermächtigungsgrundlagen zum Informationsaustausch und zur Informationsweitergabe, um solche Vernetzungen zu ermöglichen. Bereits in den 1970er Jahren haben die Polizeien ein gemeinsames polizeiliches Informationssystem (INPOL) eingerichtet, das beim BKA

248

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

angesiedelt ist (vgl. § 13 BKAG), dem Abgleich von personen- und gegenstandsbezogenen Daten dient und als Mittel zur Ausschreibung und Fahndung eingesetzt werden kann. Mit Blick auf die Gefahrenabwehr können hier auch Informationen zu potenziellen Gefährdern (z. B. Terrorverdächtigen) hinterlegt werden, die von den zuständigen Behörden überwacht werden. Wenn die überwachten Personen den Zuständigkeitsbereich einer Behörde verlassen, dann werden die nun zuständigen Behörden im Regelfall von den zuvor zuständigen Behörden informiert. Zur Erleichterung der Koordination der terroristischen und rechtsextremistischen Gefährderüberwachung wurden die deutschen Sicherheitsbehörden im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin und im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) in Köln vernetzt. Das GTAZ ist als Reaktion auf den islamistischen Terror im Jahr 2003 und das GETZ als Reaktion auf die Anschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) 2012 eingerichtet worden. In beiden Lagezentren sollen Informationen der Polizeibehörden und Nachrichtendienste zu potenziellen Gefährdern durch Angehörige der beteiligten Behörden gebündelt, verdichtet und bewertet werden. Hierbei handelt es sich um Netzwerke ohne eigene organisationsrechtliche Grundlage, weshalb sich die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit aus den Einzelgesetzen der beteiligten Behörden ergeben (Weisser 2011, 142 ff.). Sie werden deshalb auch als informale Strukturen oder Behördennetzwerke im Sicherheitsbereich bezeichnet (Rachor und Roggan 2021, Rn. 137). Diese Vernetzungen werden in der Literatur auch als schrittweise Abkehr vom Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten bewertet (Kutscha 2013, 324 ff.). Gleichwohl erscheinen sie notwendig, da mit Blick auf Bedrohungen durch Terrororganisationen wie den „Islamischen Staat“ die Grenzen zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit zunehmend verwischen, im Ausland Anschläge vorbereitet, Attentäter angeworben werden und die Durchführung im Inland erfolgt. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidtplatz im Jahr 2016 hat Lücken bei der Vernetzung der deutschen Sicherheitsbehörden offenbart (Ebert 2018, 399), weshalb im Jahr 2018 ein Untersuchungsausschuss des 19. Deutschen Bundestages eingerichtet wurde, um der Frage nachzugehen, wie die Koordination der deutschen Sicherheitsbehörden optimiert werden kann. Aus Sicht der Bundesregierung hat sich das GTAZ grundsätzlich bewährt, da bereits zahlreiche Anschlagsvorhaben verhindert werden konnten und man die Prozesse nach dem Anschlag von 2016 optimiert habe (Bundesregierung 2019, 2). 2017 wurde für die Arbeitsgruppe „Risikomanagement“ ein neues Bewertungsinstrument eingeführt (regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus), das zu einer

8.5 Hauptprobleme

249

besseren gemeinsamen Früherkennung von potenziellen Gefährdern führen soll (Bundesregierung 2019, 4). Neben diesen Zentren lassen sich zahlreiche weitere Behördennetzwerke im Sicherheitsbehördenbereich finden, die dem Informationsaustausch von Sicherheitsbehörden dienen, wie das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ), das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration (GASIM), das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (GMLZ), das Gemeinsame Lagezentrum See (GLZ-See), die Gemeinsame Finanzermittlungsgruppe BKA/ZKA (GFG BKA/ZKA) (Rachor und Roggan 2021, Rn. 137 ff.). Es ist zu erwarten, dass diese Netzwerkstrukturen weiter verdichtet und auch auf weitere Deliktsfelder erweitert werden (z. B. Clankriminalität).

8.5.2

Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei

In den letzten Jahren kam es in den Polizeibehörden immer wieder zu Vorfällen im Bereich des Rechtsextremismus in Form von rechtsextremen Netzwerken und Chatgruppen, Fällen von rechtsextremen Äußerungen und Rassismus, sowie zur Weitergabe von polizeilichen Informationen an Rechtsextreme durch Polizeiangehörige (Hunold und Wegner 2020, 27; Kopke 2019, 36).2 Deshalb wird in jüngster Zeit verstärkt eingefordert, die Grundeinstellung der Polizeiangehörigen wissenschaftlich zu überprüfen und rechtsextremen Positionen entgegenzutreten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (2020 und 2022) hat im September 2020 einen Lagebericht „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ und im Mai 2022 einen Lagebericht „Rechtsextremisten, ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ in Sicherheitsbehörden“ veröffentlicht. Im Erhebungszeitraum von Januar 2017 bis März 2020 kam es zu 319 Verdachtsfällen in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, die zur Einleitung von 261 strafrechtlichen Verfahren führten (Bundesamt für Verfassungsschutz 2020, 10 f.). Das Problem ist nicht neu. Bereits in den 1990er Jahren haben einzelne Vorfälle dazu geführt, dass man damit begonnen hat, immer wieder einzelne Studien zur Fremdenfeindlichkeit und politischen Einstellung von Polizeiangehörigen durchzuführen. Bislang lassen die Ergebnisse dieser Studien keine pauschalen Rückschlüsse über eine strukturelle oder systematische Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Grundeinstellungen innerhalb der Polizei zu (Hunold und Wegner

2

Allgemein zum Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst s. o. 6.5

250

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

2020, 27; Kopke 2019, 38). Gleichwohl zeigte sich hierbei aber, dass die befragten Polizeiangehörigen häufig eine skeptische Grundhaltung gegenüber Personen einnehmen, die als „fremd“ wahrgenommen werden. Dies wird mitunter darauf zurückgeführt, dass sie diese Personengruppen häufig nur in Konfliktsituationen erleben würden (Hunold und Wegner 2020, 28). Dies führe dazu, dass sich rechtsextreme Positionen etablieren und verfestigen können. In einer im Jahr 2019 vom hessischen Innenministerium durchgeführten Studie, an der rund 17.000 Polizistinnen und Polizisten teilnahmen, gab jede und jeder vierte Befragte an, dass er/sie befürchte, dass Deutschland ein „islamisches Land“ werde (Hunold und Wegner 2020, 27). Hierbei handelt es sich um ein rechtsalternatives Narrativ, das in Beziehung zu rechtsextremen Positionen steht. Im 19. Deutschen Bundestag waren sieben Abgeordnete der 91-köpfigen AFD-Fraktion Polizeiangehörige (Steffen 2019). Neben der Grundeinstellung wird auch angenommen, dass die Aufgaben und Befugnisse der Polizei rassistisches Polizeihandeln wie das so genannte „Racial Profiling“ begünstigen würden (Hunold und Wegner 2020, 27; Kopke 2019, 39). Bestimmten Personengruppen werden mit Blick auf ihre Erscheinung (z. B. Hautfarbe) polizeilich relevante Verhaltensmuster zugeschrieben, die als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen herangezogen werden (z. B. Kontrollen). Zwar ist Racial Profiling mit Blick auf die Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 3 GG verfassungswidrig, aber in der polizeilichen Praxis werden Verdachtsmomente häufig mit subkulturellen bzw. milieuspezifischen Zuschreibungen verknüpft (Hunold und Wegner 2020, 31). Im Dezember 2020 reagierte das Bundesministerium des Innern auf öffentlichen Druck und gab eine umfassende Studie zur „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“ bei der Hochschule der Polizei in Auftrag, die aussagekräftige empirische Erkenntnisse zu dieser Problematik bis 2024 liefern soll (Bundesministerium des Innern 2020).

8.6

Zusammenfassung

Die zentrale Aufgabe der Polizei und der allgemeinen Ordnungsverwaltung ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Nach dem zweiten Weltkrieg wollte man eine Zentralisierung der Sicherheitsbehörden, wie im NS-Staat, verhindern, um die mit den weitreichenden Eingriffsrechten der Behörden verbundenen Missbrauchsgefahren zu reduzieren. Das ist der Grund für den dezentralen Aufbau der Sicherheitsarchitektur in Deutschland.

Literatur

251

Die Aufgaben der allgemeinen Polizeiverwaltung sind Ländersache. Hier haben sich zwei Organisationsansätze herausgebildet: Es gibt Länder, in denen zwischen polizeilichen und ordnungsbehördlichen Aufgaben unterschieden wird (Trennungsprinzip) und Länder, in denen innerhalb der Polizei zwischen Vollzugs- und Verwaltungsaufgaben unterschieden wird (Einheitsprinzip). Im Ergebnis führt dies dazu, dass einige Länder über Allgemeine Ordnungsbehörden neben ihren Polizeien verfügen, während andere Länder zwischen Vollzugsund Verwaltungspolizei unterscheiden. Der Bund verfügt nur in ausgewählten Bereichen über besondere Polizeiaufgaben (z. B. Grenzschutz durch die Bundespolizei). Eine große Herausforderung der Dezentralisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur liegt darin, dass bestimmte Gefahrenlagen (z. B. internationaler Terrorismus) Koordination und Kooperation zwischen den unterschiedlichen deutschen Sicherheitsbehörden erfordern. Hierzu haben sich unterschiedliche Netzwerke herausgebildet, die der gemeinsamen Gefahrenanalyse und Bewertung dienen. In den letzten Jahren ist vermehrt kritisch darüber diskutiert worden, inwieweit Polizeibehörden strukturellem Rassismus bei ihrer Aufgabenwahrnehmung unterliegen und bezüglich der Auswahl und Ausbildung des Personals andere Schwerpunkte gesetzt werden sollten.

Literatur Bundesamt für Verfassungsschutz 2020. Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden, Lagebericht, Köln: September 2020 Bundesamt für Verfassungsschutz 2022. Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sicherheitsbehörden, Lagebericht, Köln: Mai 2022 Bundesministerium des Innern und für Heimat 2020. Pressemitteilung 07.12.2020, Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten – MEGAVO, online abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/12/ studie-polizeialltag.html, Zugang am 14.12.2022 Bundesregierung 2019. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Weiterentwicklung der Zusammenarbeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ der FDPFraktion, BT-Drs 19/10379 vom 13.06.2019 Ebert, Frank 2018. Situation der Polizei in der Bundesrepublik, in: Landes- und Kommunalverwaltung 28, S. 399-403 Denninger, Erhard 2018. Kapitel D. Polizeiaufgaben, in: Lisken, Hans/Ders. (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., München: C.H. Beck, S. 217–318 Gusy, Christoph 2017. Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck

252

8

Allgemeine Verwaltungstypen, Polizei und Ordnungsverwaltung

Harnischmacher, Robert/Semerak, Arved 1986. Deutsche Polizeigeschichte: Eine allgemeine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer Hesse, Joachim Jens/Ellwein, Thomas 2012. Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl., Baden-Baden: Nomos Hunold, Daniela/Wegner, Maren 2020. Rassismus und Polizei: Zum Stand der Forschung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe 42–44, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 27–32 Kopke, Christoph 2019. Polizei und Rechtsextremismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe 21–23, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 36–41 Kniesel, Michael/Braun, Frank/Keller, Christoph 2018. Besonderes Polizei- und Ordnungsrecht, Stuttgart: W. Kohlhammer Kugelmann, Dieter 2021. § 12 OBG, in: Möstel, Markus/Ders. (Hrsg.), Beck OnlineKommentar Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 19. Aufl., München: C.H.Beck Kutscha, Martin 2013. Die Antinomie des Verfassungsschutzes, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 32, S. 324–327 Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian 2020. Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl., München: C.H. Beck Püttner, Günter 2007. Verwaltungslehre, 4. Aufl., München: C.H. Beck Rachor, Frederik/Roggan, Frederik 2021. C. Organisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste in Deutschland, in: Lisken, Hans/Denninger, Erhard (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., München: C.H. Beck, S. 161 Schenke, Wolf-Rüdiger 2021. Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl., Heidelberg: C.F. Müller Steffen, Tillman 2019. Wie nah stehen sich AFD und Polizei? ZEIT-Online, abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-06/afd-polizei-naehe-parteien-cdu-friedr ich-merz, Zugang am 14.12.2022 Stolleis, Michael 2018. Geschichte der Polizei in Deutschland, in: Lisken, Hans/Denninger, Erhard (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl., München: C.H. Beck, S. 1–67 Schulte, Wolfgang 2017. Entwicklung der Polizeiorganisation in der Bundesrepublik Deutschland, in: Stierle, Jürgen u. a. (Hrsg.): Handbuch Polizeimanagement. Polizeipolitik – Polizeiwissenschaft – Polizeipraxis, Wiesbaden: Springer, S. 23–47 Thieme, Werner 1984. Verwaltungslehre, 4. Aufl., Köln: Carl Heymanns Weisser, Niclas-Frederic 2011. Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) – Rechtsprobleme, Rechtsform und Rechtsgrundlage, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 30, S. 142–146 Wolff, Hans J./Bachof, Otto/Stober, Rolf/Kluth, Winfried 2017. Verwaltungsrecht I, 13. Aufl., München: C.H. Beck

9

Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

9.1

Begriff der Wirtschaftsaufsicht

Die Wirtschaftsaufsicht lässt sich unterteilen in Wirtschaftsüberwachung und Regulierungsüberwachung (Ziekow 2020, § 5, Rn 6).1 Unter dem Begriff der Wirtschaftsüberwachung werden alle konkreten und generellen ordnungsrechtlichen Regelungen und Maßnahmen zusammengefasst, die die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch privatwirtschaftliche Tätigkeiten und die Beseitigung eingetretener Störungen bezwecken. Die Regulierungsüberwachung zielt darauf ab (Ruthig und Storr 2005, Rn 368, 376; Kluth 2019, 18, Rn 5 ff.; Ludwigs 2019, § 12, Rn 1), • einen wirksamen, unverfälschten Wettbewerb auf dem Markt zu gewährleisten, insbesondere nach der Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen (z. B. Post), • im Falle eines Marktversagens (z. B. aufgrund natürlicher Monopole wie im Strom-und Gasmarkt oder infolge von Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern wie im Bereich der Finanzdienstleistungen) die negativen Folgen fehlenden Wettbewerbs zu verhindern und • die Grundversorgung der Bürger mit Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen.

1

Verschiedentlich wird der Begriff der Wirtschaftsaufsicht auf den Bereich behördeninterner Kontrollen beschränkt (Stober und Korte 2019, Rn 884). Dies erscheint nicht zweckmäßig, weil der Aufsichtsbegriff in der Praxis auch für die Überwachung privatwirtschaftlicher Aktivitäten verbreitet ist (z. B. Gewerbeaufsicht, Bankenaufsicht etc.). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_9

253

254

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

Die Begriffe der Wirtschafts- und Regulierungsüberwachung sind nicht völlig trennscharf. So enthält die Regulierungsüberwachung auch Elemente der Gefahrenabwehr (Ruthig und Storr 2005, Rn 371), während die ordnungsrechtliche Wirtschaftsüberwachung (z. B. im Bereich der Gewerbeüberwachung nach der Gewerbeordnung) teilweise auch der Aufrechterhaltung von Wettbewerb dient. In beiden Fällen handelt die öffentliche Verwaltung mittels Ge- und Verboten sowie Genehmigungen, sodass sich der Bürger gegenüber der Verwaltung in der Rolle des Befehlsempfängers befindet.

9.2

Aufgaben und Rechtsgrundlagen

Abb. 9.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Aufgabenbereiche der Wirtschaftsaufsicht.

9.2.1

Wirtschaftsüberwachung

Kernbereiche der Wirtschaftsüberwachung sind Gewerbe, Handwerk und Gaststätten. Weitere wichtige Überwachungsbereiche sind

Wirtschaftsüberwachung Gewerbe

Rechts-

Regulierungs-

Rechts-

grundlagen

überwachung

grundlagen

GewO

Leitungsgebundene EnWG Energieversorgung

Handwerk

HwO

Telekommunikation

TKG

Gaststätten

BGastG, LGastG

Finanzsystem

KWG, VAG, WpHG

Abb. 9.1 Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Wirtschaftsaufsicht. (Quelle: Eigene Darstellung)

9.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

255

• die Personen- und Güterbeförderung zu Lande, zu Wasser und in der Luft2 , • Herstellung, Inverkehrbringen, Behandeln und Verzehr von Lebensmitteln sowie der Verkehr mit Futtermitteln und Bedarfsgegenständen3 , • die Bereitstellung, Ausstellung und erstmalige Verwendung von Produkten4 . Der folgende Überblick beschränkt sich auf die oben genannten Kernbereiche der Wirtschaftsüberwachung.

9.2.1.1 Gewerbe Aufgabe der Gewerbeüberwachung ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch gewerbliche Tätigkeiten und die Beseitigung eingetretener, gewerblich bedingter Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Instrumente die Gewerbeüberwachung sind Ge- und Verbote, Erlaubnisse und Anzeigepflichten. Die Gewerbeüberwachung ist ein klassisches Feld der Sonderordnungsverwaltung (Ziekow 2020, § 10, Rn 1). Ihre Anfänge gehen zurück auf die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Gewerbefreiheit durch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 eingeführt wurde (Ruthig und Storr 2005, Rn 8 f.). Die Gewerbeordnung gilt bis heute als das „Grundgesetz“ der Wirtschaftsaufsicht (Korte 2019, § 9, Rn 1). Allerdings gibt es keine Legaldefinition des Gewerbebegriffs. Allgemein anerkannt ist jedoch die Definition des Gewerbes als „jede erlaubte und nicht sozial unwertige, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbstständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe und bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens“ (Ziekow 2020, § 10, Rn 4). Es gibt drei Gewerbearten: stehendes Gewerbe (§§ 14 ff. GewO), Reisegewerbe (§§ 55 ff.) und Marktgewerbe (§§ 64 ff.). Unter einem stehenden Gewerbe werden alle gewerblichen Tätigkeiten verstanden, die nicht im Reisegewerbe oder Marktverkehr ausgeführt werden (Ziekow 2020, § 10, Rn 29). Stehende Gewerbe sind grundsätzlich nur anzeigepflichtig, um der zuständigen Behörde die Überwachung der Gewerbeausübung zu ermöglichen. Bestimmte Gewerbetätigkeiten unterliegen einem Erlaubnisvorbehalt. Hierzu gehören der Betrieb von Privatkrankenanstalten, die Schaustellung von Personen, die Aufstellung von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeiten u. s. w. (§§ 30 ff. GewO). Zweck der Anzeigepflichten und Erlaubnisvorbehalte ist 2

Geregelt im Personenbeförderungsgesetz, Güterkraftverkehrsgesetz, Allgemeinen Eisenbahngesetz, Binnenschifffahrtsaufgabengesetz und Luftverkehrsgesetz. 3 Geregelt im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände-und Futtermittelgesetzbuch. 4 Geregelt im Produktsicherheitsgesetz.

256

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

in erster Linie, die behördliche Prüfung zu ermöglichen, ob der Gewerbetreibende die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung des Gewerbes besitzt. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Gewerbetreibende „nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird“ (Ziekow 2020, § 10, Rn 42). Im Falle der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ist das Gewerbe zu untersagen (§ 35 Abs 1 GewO) oder die erforderliche Erlaubnis zu versagen (§ 30 Abs 1 GewO). Ein Reisegewerbe liegt vor, wenn die gewerblichen Tätigkeiten außerhalb der Räume einer gewerblichen Niederlassung stattfinden (§§ 42 Abs 2: 55 Abs 1 GewO). Hierfür ist eine Reisegewerbekarte (Erlaubnis) erforderlich. Zweck der Erlaubnispflichtigkeit ist der Schutz der Verbraucher vor unzuverlässigen Gewerbetreibenden (Ziekow 2020, § 10, n 69). Märkte sind „in der Regel wiederkehrende Verkaufs-, Vertriebs- und Informationsveranstaltungen an einem bestimmten Ort (Stober und Eisenmenger 2019, Rn 291). Hierzu gehören Messen, Ausstellungen und verschiedene Arten von Märkten, z. B. Großmärkte, Wochenmärkte, Jahrmärkte etc., die landesrechtliche Besonderheiten aufweisen können. Veranstalter können juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts (z. B. Kommunen) sowie natürliche Privatpersonen sein. Der Veranstalter hat einen Anspruch auf behördliche Festsetzung der Veranstaltung nach Gegenstand, Zeit, Öffnungszeiten und Platz, sofern er zuverlässig ist und keine sonstigen Ablehnungsgründe vorliegen (§§ 69, 69a GewO). Die Festsetzung ist keine behördliche Zulassung des Marktes, da dieser auch ohne Festsetzung durchgeführt werden könnte. Vielmehr begründet sie eine Reihe von Marktprivilegien für den Veranstalter, z. B. keine Anwendung der Vorschriften über das stehende Gewerbe und das Reisegewerbe, Lockerung arbeitsrechtlicher Vorschriften etc. (Ziekow 2020, § 10, Rn 88). Jedermann, der zu dem in der Festsetzung festgelegten Teilnehmerkreis der Veranstaltung (Anbieter, Aussteller, Besucher) gehört, hat einen Teilnahmeanspruch gegen den Veranstalter (§ 70 GewO).

9.2.1.2 Handwerk Unter Handwerk wird ein stehendes Gewerbe verstanden, für das die Handwerksordnung spezialgesetzliche Regelungen enthält, die vor allem den Schutz von Gesundheit und Leben Dritter bezwecken und darüber hinaus eine hohe Ausbildungsbereitschaft und -leistung des Handwerks sicherstellen sollen (Ziekow 2020, § 11, Rn 1,13). Das Handwerk umfasst drei Arten von Gewerbebetrieben: zulassungspflichtiges Handwerk, zulassungsfreies Handwerk und handwerksähnliches Gewerbe.

9.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

257

Ein zulassungspflichtiges Handwerk liegt vor, wenn es in der Anlage A zu § 1 Abs. 2 HwO aufgeführt ist und handwerksmäßig betrieben wird. Das Merkmal der Handwerksmäßigkeit dient der Abgrenzung des Handwerksbetriebes vom Industriebetrieb. Allerdings gibt es keine Legaldefinition des Begriffs der Handwerksmäßigkeit. Vielmehr besteht eine schwer überschaubare Kasuistik, die auf das Zusammentreffen und das Gesamtbild mehrerer Abgrenzungskriterien abstellt. Je größer beispielsweise der Betrieb, der Grad der Arbeitsteilung, der Personalaufwand und der Kapitaleinsatz sind, umso eher liegt ein Industriebetrieb vor (Stober und Eisenmenger 2019, Rn 382; Ziekow 2020, § 11, Rn 18). Die Ausübung eines zulassungspflichtigen Handwerks ist nur natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften gestattet, die in der Handwerksrolle eingetragen sind (§ 1 Abs 1 HwO). Die Handwerksrolle ist ein Register, das von der Handwerkskammer geführt wird (§ 6 Abs. 1 HwO). Die Eintragung in die Handwerksrolle entspricht der Erteilung einer Gewerbeerlaubnis. Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle ist, dass der Inhaber oder Betriebsleiter des Handwerksbetriebs die Meisterprüfung oder eine andere gleichwertige Prüfung abgelegt hat oder eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung besitzt (§ 7 HwO). Zulassungsfreies Handwerk und handwerksähnliches Gewerbe sind der zuständigen Handwerkskammer nur anzuzeigen. Ein zulassungsfreies Handwerk liegt vor, wenn es in der Anlage B Abschn. 1 zu § 18 Abs. 2 HwO aufgeführt ist und handwerksmäßig betrieben wird. Handwerksähnliche Gewerbe ergeben sich aus Anlage B Abschn. 2 zu § 18 Abs. 2 HwO. Im Falle von Verstößen gegen die Handwerksordnung oder der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kann die Fortsetzung des Handwerksbetriebs von der zuständigen Behörde untersagt werden (§ 16 Abs. 3 HwO, § 35 GewO).

9.2.1.3 Gaststätten Die Überwachung des Gaststättengewerbes war ursprünglich in der Gewerbeordnung, später im Gaststättengesetz des Bundes geregelt. Seit 2006 liegt die Gesetzgebungskompetenz für Gaststätten bei den Ländern (Art. 74 Abs. 1 Nr 11). Soweit die Länder bisher keine eigenen Regelungen getroffen haben, gilt das Bundesgaststättengesetz fort (Art. 125a Abs. 1 GG). Neun Länder haben Gaststättengesetze erlassen, die vielfach identische oder ähnliche Vorschriften wie das Bundesgaststättengesetz enthalten (Stober und Eisenmenger 2019, Rn 318, 321). Auf letzteres bezieht sich daher im wesentlichen die Darstellung. Die Gaststättenüberwachung dient primär der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die vom Gaststättenbetrieb ausgehen. Hinzu

258

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

kommen Ziele des Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzes (Stober und Eisenmenger 2019, Rn 316). Das Gaststättengewerbe kann als stehendes Gewerbe oder als Reisegewerbe ausgeübt werden. Es umfasst die Schankwirtschaft und die Speisewirtschaft, die jeweils jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich sein müssen (§ 1 BGastG). Der Gaststättenbetrieb bedarf in neun Bundesländern grundsätzlich die Erlaubnis, auf deren Erteilung ein Rechtsanspruch besteht, wenn keine Versagungsgründe vorliegen (§§ 2,4 BGastG). In den übrigen Ländern genügt die Anzeige der Betriebsaufnahme (Ziekow 2020, § 12, Rn 13). Der Gaststättenbetrieb kann untersagt werden, wenn die Erlaubnis nachträglich zurückgenommen oder widerrufen wurde, z. B. bei Unzuverlässigkeit des Gaststättenbetreibers (§§ 15,31 BGastG, § 15 Abs. 2 GewO).

9.2.2

Regulierungsüberwachung

Kernbereiche der Regulierungsüberwachung sind die leitungsgebundene Energieversorgung, die Telekommunikation und der Kapitalmarkt (Ruthig und Storr 2005, Rn 372 ff.). Hinzu kommen Post und Eisenbahn, die nach der Privatisierung als ehemalige Staatsunternehmen der Regulierung unterliegen, um einen wirksamen Wettbewerb in diesen Bereichen zu gewährleisten. Der folgende Überblick beschränkt sich auf die erst genannten Kernbereiche der Regulierungsüberwachung.

9.2.2.1 Leitungsgebundene Energieversorgung Aufgabe der Regulierungsüberwachung der leitungsgebundenen Energieversorgung ist, eine sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Strom, Gas und Wasserstoff sicherzustellen (§ 1 Abs. 1 EnWG). Da Bau und Betrieb der Leitungsnetze natürliche Monopole darstellen – d. h. mehrere konkurrierende Leitungsnetze zu betreiben, wäre wirtschaftlich und ökologisch sinnlos –, kann ein Wettbewerb bei der Netznutzung nicht von selbst entstehen, sondern bedarf der Regulierung. Zu diesem Zweck werden Bau, Betrieb und Nutzung der Netze durch Ge- und Verbote, Genehmigungen, Festlegungen und Anzeigepflichten geregelt (§§ 29,30, 65 EnWG; Franke 2016, § 10, Rn 87 ff.). So unterliegt die Aufnahme des Betriebs eines Energieversorgungsnetzes einer Genehmigung, auf die bei Vorliegen der erforderlichen technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der personellen Zuverlässigkeit des Betreibers ein Rechtsanspruch besteht (§ 4 Abs. 2 EnWG). Ferner stellt die Regulierungsüberwachung sicher, dass die Energienetze

9.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

259

trotz ihres Monopolcharakters von Dritten zu angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen benutzt werden können. So müssen Netzbetreiber die Letztverbraucher und andere gleich- oder nachgelagerte Strom- und Gasnetze an ihr Netz anschließen (§ 17 Abs. 1 EnWG). Jedermann hat gegen einen Netzbetreiber Anspruch auf Netzzugang, der die Einspeisung und Entnahme von Strom oder Gas aus dem Netz ermöglicht (§ 20 EnWG). Für den Netzzugang sind Entgelte zu zahlen (§ 21 EnWG), deren Höhe sich nach den Kosten des Netzbetriebs (§ 21 Abs. 2 EnWG) oder nach effizienzbasierten, behördlich festgelegten Erlösobergrenzen (§ 21a EnWG) richtet. Schließlich ist Gegenstand der Regulierungsüberwachung die Entflechtung vertikal integrierter Energieversorgungsunternehmen (Franke 2016, § 10, Rn 20). D. h.: Energieversorgungsunternehmen, die außer dem Betrieb von Leitungsnetzen Energie erzeugen und/oder vertreiben, müssen den Netzbetrieb von den anderen Unternehmensbereichen durch rechtliche, organisatorische, informatorische und/oder buchhalterische Maßnahmen trennen, sodass sie aus ihrer Monopolstellung keine Wettbewerbsvorteile (z. B. durch Quersubventionierung) ziehen können.

9.2.2.2 Telekommunikation Aufgabe der Regulierungsüberwachung im Bereich der Telekommunikation ist es, durch technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten (Art. 87 f. Abs 1 GG, § 1 TKG). Unter „Telekommunikation“ wird der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen verstanden (§ 3 Nr 22 TKG). Letztere sind technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können (§ 3 Nr 23 TKG). Der gewerbliche Betrieb eines öffentlichen Telefonkommunikationsnetzes und das gewerbliche Erbringen von Telekommunikationsdiensten bedürfen keiner Genehmigung, müssen aber der BNetzA gemeldet werden (§ 6 Abs. 1 TKG). Ausnahmen von der Genehmigungsfreiheit bestehen, soweit für diese Tätigkeiten die Nutzung knapper Ressourcen erforderlich ist. Daher werden Frequenzen und Nummern von der BNetzA zugeteilt (§§ 55,66 TKG; Fetzer 2016, § 8, Rn 17). Zur Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs im Telekommunikationsmarkt ist ein dreistufiges Marktregulierungsverfahren vorgesehen (Fetzer 2016, § 8, Rn 19 ff.; Ludwigs 2019, § 12, Rn 45 ff., 55). In einem ersten Schritt definiert die BNetzA die sachlich und räumlich relevanten Märkte, die für eine

260

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

Regulierung in Betracht kommen. Dies sind die Märkte, die durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts nicht ausreicht, dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken (§ 10 TKG). In einem zweiten Schritt erfolgt eine Marktanalyse der relevanten Märkte, um festzustellen, ob und inwieweit ein wirksamer Wettbewerb besteht. Letzteres ist zu verneinen, wenn ein oder mehrere Unternehmen auf diesem Markt über beträchtliche Marktmacht verfügen, d. h. eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, die es gestattet, sich in beträchtlichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern und Endnutzern zu verhalten (§ 11 TKG). Im dritten Schritt erfolgt schließlich eine Regulierungsverfügung, die den Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht bestimmte wettbewerbsfördernde Verpflichtungen auferlegt (§ 13 TKG). Hierzu gehören Verpflichtungen, anderen Unternehmen Netzzugang zu gewähren, einschließlich einer nachfragegerechten Entbündelung (§ 21 TKG). Im Übrigen ist jeder Netzbetreiber unabhängig von seiner Marktmacht kraft Gesetzes (§ 16 TKG) oder auf Anordnung der BNetzA (§ 18 TKG) verpflichtet, sein Netz mit den Telekommunikationsnetzen anderer Betreiber zusammenzuschalten, um die Kommunikation der Nutzer, die Bereitstellung von Telekommunikationsdiensten und deren Interoperabilität in der EU zu gewährleisten. Die Entgelte für den Netzbetreibern auferlegte Zugangsleistungen unterliegen einer Genehmigung; sie können auch nachträglich reguliert werden, wenn dies zur Erreichung der gesetzlichen Regulierungsziele ausreicht (§ 30 Abs. 1 TKG). Falls die getroffenen wettbewerbsfördernden Regulierungsmaßnahmen wirkungslos bleiben, kann die BNetzA mit Zustimmung der Europäischen Kommission vertikal integrierten Unternehmen die Entflechtung bestimmter Unternehmensbereiche auferlegen (§ 40 TKG).

9.2.2.3 Finanzsystem Aufgabe der Regulierungsüberwachung des Finanzsystems, bestehend aus Banken, Finanzdienstleistungsunternehmen, Börsen, Pensionskassen, Versicherungen und sonstigen Finanzunternehmen, sind die Sicherung der Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzsystems und der Schutz der Finanzkunden. Dabei steht die Gewährleistung der Zahlungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit der Finanzinstitute im Vordergrund (Kaufhold 2019, § 14, Rn 27). Instrumente der Regulierungsüberwachung sind • ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für gewerblich betriebene Bankgeschäfte (§ 32 Abs. 1 KWG) und für Versicherungsgeschäfte (§ 8 VAG),

9.3 Aufbau der Wirtschaftsaufsicht

261

• behördliche Auskunfts- und Prüfungsbefugnisse und • umfangreiche Anordnungsbefugnisse zur Einhaltung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen und zur Beseitigung von Missständen im Banken-, Versicherungs- und Wertpapierhandelsbereich (§ 6 Abs. 3 KWG, § 298 VAG, § 6 WpHG; Kaufhold 2019, § 14, Rn 64 ff., 95 ff.).

9.3

Aufbau der Wirtschaftsaufsicht

Der Aufbau der Wirtschaftsverwaltung orientiert sich am allgemeinen Staatsaufbau, wie er sich aus Art. 20, 30,70 und 83 GG ergibt (Gärditz 2019, § 4, Rn 35 ff.; Stober und Korte 2019, Rn 1164). Träger der Wirtschaftsaufsicht sind Bund und Länder, gelegentlich auch die Kommunen. Hinzu kommen in verschiedenen Bereichen EU-Organe mit Entscheidungs- und Mitwirkungsbefugnissen bei Aufsichtsmaßnahmen, insbesondere im Bereich der Regulierungsüberwachung.

9.3.1

Wirtschaftsüberwachungsbehörden

Im Bereich der Gewerbe-, Handwerks- und Gaststättenaufsicht sind nach Landesrecht überwiegend die Kreise und kreisfreien Städte, in einigen Ländern auch die Kommunen für Aufsichtsmaßnahmen zuständig. Bestimmte Aufgaben werden von Regierungspräsidien – soweit vorhanden – und/oder Landesämtern und Landesministerien wahrgenommen. Den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern sind ebenfalls einzelne Aufgaben übertragen. Ähnliches gilt für die übrigen Bereiche der Wirtschaftsüberwachung.

9.3.2

Regulierungsüberwachungsbehörden

Da die Aufgaben der Regulierungsüberwachung wie die Kontrolle eines funktionierenden Wettbewerbs wesentlich komplexer sind als die Gewerbeaufsicht und andere Bereiche der Wirtschaftsüberwachung, sind sie nicht in die ordnungsbehördliche Struktur der Landesverwaltungen eingegliedert, sondern bei bundesweit zuständigen Fachbehörden mit einer fachlich ausdifferenzierten Binnenorganisation konzentriert (Gärditz 2019, § 4, Rn 36).

262

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

9.3.2.1 Leitungsgebundene Energieversorgung und Telekommunikation Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) ist für die Regulierungsüberwachung in den Bereichen der leitungsgebundenen Energieversorgung und der Telekommunikation zuständig. Sie ist eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums mit Sitz in Bonn. Die BNetzA entscheidet durch Beschlusskammern aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern in einem justizähnlichen Verfahren. Sie steht mit den Regulierungsbehörden der anderen EU-Mitgliedstaaten im Rahmen europäischer Koordinierungsgremien in einem Regulierungsverbund (Ludwigs 2019, § 12, Rn 27). Die BNetzA unterliegt aufgrund EU-Rechts im Bereich der Energieregulierung (Art. 35, 37 EltRL2009/72/EG; Art. 39, 41 GasRL-2009/73/EG) keinen nationalen gesetzlichen Vorgaben und keinen Weisungen der Ministerialverwaltung (EuGH, Urteil v. 02.09.2021 – Rs C-718/18). Die völlige Unabhängigkeit der BNetzA widerspricht dem traditionellen deutschen Verständnis des Demokratieprinzips, das eine ununterbrochene Legitimationskette vom Parlament zur öffentlichen Verwaltung verlangt. Weisungsfreie Behörden sind danach unzulässig. Der EuGH (a. a. O., Rn 125 ff.) sieht das Demokratieprinzip jedoch aufgrund des Gesetzgebungsverfahrens auf EU-Ebene gewahrt. Die Umsetzung des EuGH-Urteils erfordert eine umfangreiche Anpassung des deutschen Energierechts und schließt auch Einzelweisungen nach § 61 EnWG im Regulierungsbereich aus.

9.3.2.2 Finanzsystem Die Regulierungsüberwachung der bedeutenden Kreditinstitute (Banken mit Aktiva über 30 Mrd Euro oder in Höhe von 20 % des BIP; Kaufhold 2019, § 14, Rn 59) obliegt der EZB. Die übrigen Banken werden von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht. Dies ist eine bundesunmittelbare, rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, die neben der Bankenaufsicht auch die Überwachung der Versicherungen und des Wertpapierhandels wahrnimmt (§ 4 FinDAG). Sie übt ihre Aufsichtsbefugnisse vielfach im Zusammenwirken mit der Deutschen Bundesbank aus. Die BaFin steht in einem Regulierungsverbund mit europäischen und nationalen Regulierungsbehörden in ihren verschiedenen Aufgabenbereichen (Kaufhold 2019, § 14, Rn 77 ff.).

9.4 Hauptprobleme der Wirtschaftsaufsicht

9.4

263

Hauptprobleme der Wirtschaftsaufsicht

Die Wirtschaftsaufsicht ist durch eine Fülle komplexer Regelungen und durch insgesamt unübersichtliche Behördenzuständigkeiten geprägt. Seit Jahrzehnten werden daher Verwaltungsvereinfachung und Deregulierung gefordert, da der Wirtschaftsstandort Deutschland – so die politische Parole in den 1990er Jahren – durch Überregulierung und Bürokratisierung gefährdet sei. Seit den 1970er Jahren wurden unzählige Kommissionen und Arbeitsgruppen eingesetzt, die Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung und zur Deregulierung entwickelten (Bohne 2006, 61; Notbohm 2019, 33 ff.). Wichtige Impulse zur Deregulierung und Verwaltungsvereinfachung kamen aus der EU. Das EU-Programm „Bessere Rechtsetzung“ (better regulation) zielte seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auf Abbau und Vermeidung von Überregulierung sowie auf eine qualitative Verbesserung der Rechtsetzung ab (Jantz und Veit 2019, 511 f.). In diesem Zusammenhang wurde im Jahr 2006 die Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) erlassen, die die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes für Dienstleistungen, insbesondere durch verwaltungsvereinfachende Maßnahmen fördern sollte (Kluth 2019, § 7, Rn 146 ff.). Hierzu gehörte die Einführung eines Einheitlichen Ansprechpartners. Dies ist eine Behörde, die den Dienstleister z. B. bei Genehmigungsverfahren durch den Dschungel der zahlreichen Verwaltungszuständigkeiten führt und das Zusammenwirken der beteiligten Behörden koordiniert. Allerdings hat der Einheitliche Ansprechpartner keine Entscheidungsbefugnisse. Die Länder haben zur Einführung einheitlicher Koordinierungsstellen unterschiedliche Umsetzungsmodelle gewählt, z. B. Kreise und kreisfreie Städte (NRW), Regierungspräsidien (Hessen), Landesverwaltungsamt (Sachsen-Anhalt) oder Industrie- und Handelskammern (Baden-Württemberg). Diese Organisationsvielfalt widerspricht dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung und wird für Rechtsunsicherheiten verantwortlich gemacht (Stober und Eisenmenger 2019, Rn 20,44). Die nationalen Entbürokratisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen konzentrierten sich auf Konzepte des New Public Management bzw. des Neuen Steuerungsmodells (NSM) und auf die Verminderung regulierungsbedingter Bürokratiekosten. Die marktorientierten Entbürokratisierungskonzepte des New Public Management und des Neuen Steuerungsmodells zielen insbesondere auf die Dezentralisierung der Führungs- und Organisationsstrukturen und auf eine kundenorientierte Organisation der öffentlichen Verwaltung sowie auf anreiz- und marktorientierte Vereinfachungen der Entscheidungsverfahren ab (Bohne 2023, 4.4.3.1).

264

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

Verschiedene Evaluierungsuntersuchungen des New Public Management (Pollitt und Bouckaert 2017, 219 f.) und des Neuen Steuerungsmodells (Oechsler 2008, 53 ff.; Bogumil et al. 2011, 171 ff.) zeigen, dass zwischen Reformrhetorik und Praxis große Lücken klaffen. Insbesondere übersteigt der Aufwand der Reformmaßnahmen oft ihren praktischen Nutzen. Etwas positiver wird die Arbeit des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) beurteilt, der im Jahre 2006 als unabhängiges Kontrollgremium beim Bundeskanzleramt eingesetzt wurde und in Gesetzgebungsverfahren die Bürokratiekosten neuer Bundesregelungen infolge von rechtlichen Informationspflichten sowie den gesamten Erfüllungsaufwand (Zeitaufwand und Folgekosten) der geplanten Regelungen prüft (Böllhoff 2015, 252 ff., 266 ff.). Allerdings wird die Tendenz kritisiert, im wesentlichen nur solche Verwaltungsvereinfachungsmaßnahmen umzusetzen, die aus anderen Gründen ohnehin durchgeführt worden wären (Jantz und Veit 2019, 517). Die begrenzten Erfolge von Entbürokratisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen beruhen vor allem auf zwei Ursachenkomplexen (Bohne 2006, 61 f.): • Es gibt keine allgemein anerkannten, objektiven und operationalen Kriterien, mit deren Hilfe sich abbauwürdige Bürokratieformen im konkreten Fall identifizieren ließen. Meist muss man sich mit abstrakten Gesichtspunkten wie Überregelung, Kompliziertheit, Schwerfälligkeit, Intransparenz, Innovationsfreundlichkeit und ähnliches behelfen, um Verwaltungsvereinfachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. • Bürokratiebeurteilungen sind interessenabhängig. So sind beispielsweise die Abschaffung von Genehmigungsvorschriften oder die Einschränkung von Drittwidersprüchen in Verwaltungsverfahren Akte der Entbürokratisierung aus der Sicht von Wirtschaftsunternehmen, während diese Maßnahmen aus der Sicht betroffener Bürger Nachbarschafts- oder andere individuelle Rechte und Interessen beeinträchtigen. Demzufolge gibt es keine allgemein gültigen Lösungen für Verwaltungsvereinfachung und Deregulierung. Vielmehr sind diese Maßnahmen stets das Ergebnis situationsbezogener, politischer Abwägungsprozesse. Dabei zu berücksichtigende Kriterien sind insbesondere • aus der Sicht privater Akteure die Erweiterung individueller Handlungsspielräume, die Verminderung individueller Kosten und des Zeitaufwandes sowie

Literatur

265

• aus der Sicht der öffentlichen Verwaltung die Verminderung von Personal- und Verwaltungskosten und des Zeitaufwandes. Trotz der meist wohl nur kleinen Reformerfolge ist ein permanenter politischer und öffentlicher Druck erforderlich, Entbürokratisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen durchzuführen, um Verwaltungsmissbrauch, Ressourcenverschwendung und Freiheitsbeschränkungen durch die öffentliche Verwaltung entgegenzuwirken.

9.5

Zusammenfassung

Die Wirtschaftsaufsicht unterteilt sich in Wirtschaftsüberwachung und Regulierungsüberwachung. Aufgabe der Wirtschaftsüberwachung ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch privatwirtschaftliche Tätigkeiten und die Beseitigung eingetretener Störungen. Aufgabe der Regulierungsüberwachung ist über die Gefahrenabwehr hinaus die Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs, die Verhinderung der negativen Folgen eines Marktversagens und die Sicherung der Grundversorgung der Bürger mit Gütern und Dienstleistungen. Kernbereiche der Wirtschaftsaufsicht sind im Bereich der Wirtschaftsüberwachung Gewerbe, Handwerk und Gaststätten sowie im Bereich der Regulierungsüberwachung die leitungsgebundene Energieversorgung, die Telekommunikation und das Finanzsystem. Wirtschaftsüberwachungbehörden sind überwiegend nach Landesrecht die Kreise und kreisfreien Städte. Bestimmte Aufgaben werden von Bezirksregierungen und/oder Landesämtern und Landesministerien wahrgenommen. Die Regulierungsüberwachung obliegt im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung und der Telekommunikation der Bundesnetzagentur. Für die Finanzaufsicht sind die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Bundesbank zuständig. Hauptprobleme der Wirtschaftsaufsicht sind Entbürokratisierung und Deregulierung.

Literatur Böllhoff, Dominik 2015. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR): Herausforderungen nach Erweiterung des Prüfungsmandats, in: Döhler, Marian/Franzke, Jochen/Wegrich, Kai

266

9 Verwaltungstyp Wirtschaftsaufsicht

(Hrsg), Der gut organisierte Staat, Festschrift für Werner Jann zum 65. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos, S. 251–269 Bogumil, Jörg/Ebinger, Falk/Holtkamp, Lars 2011. Vom Versuch, das Neue Steuerungsmodell verpflichtend einzuführen, Verwaltung & Management 17, S. 171–180 Bohne, Eberhard 2006. Kriterien und institutionelle Voraussetzungen des Bürokratieabbaus, Verwaltung & Management 12, S. 60–64 Bohne, Eberhard 2023. Verwaltungswissenschaft, Bd. 1: Theoretische und methodische Grundlagen, 2. Aufl., Wiesbaden: Springer VS Fetzer, Thomas 2016. Telekommunikationsrecht, in: Schulte, Martin/Kloos, Joachim (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, München: C.H. Beck Franke, Peter 2016. Energiewirtschaftsrecht, in: Schulte, Martin/Kloos, Joachim (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 10, München: C.H. Beck Gärditz, Klaus Ferdinand 2019. Die Organisation der Wirtschaftsverwaltung, in: Schmidt, Reiner/Wollenschläger, Ferdinand (Hrsg), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., § 4, Heidelberg: Springer Jantz, Bastian/Veit, Sylvia 2019. Entbürokratisierung und bessere Rechtsetzung, in: Veit, Sylvia/Reichard, Christoph/Wewer, Göttrik (Hrsg), Handbuch zur Verwaltungsreform, 5. Aufl., Wiesbaden: Springer VS, S. 509–520 Kaufhold, Ann-Katrin 2019. Finanz- und Börsenaufsicht, in: Schmidt, Reiner/Wollenschläger, Ferdinand (Hrsg), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., § 14, Heidelberg: Springer Kluth, Winfried 2019. Öffentliches Wirtschaftsrecht, München: C.H. Beck Korte, Stefan 2019. Gewerberecht, in: Schmidt, Reiner/Wollenschläger, Ferdinand (Hrsg), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., § 9, Heidelberg: Springer Ludwigs, Markus 2019. Netzregulierungsrecht (mit Schwerpunkt TKG), in: Schmidt, Reiner/Wollenschläger, Ferdinand (Hrsg), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., § 12, Heidelberg: Springer Notbohm, Robert 2019. Wirkungen und Grenzen von Institutionen exekutiver Folgenabschätzungskontrolle – Nationaler Normenkontrollrat und Ausschuß für Regulierungskontrolle im Vergleich, Berlin: Duncker und Humblot Oechsler, Walter A. 2008. Anwendung von betriebswirtschaftlichen Verfahren in der öffentlichen Verwaltung – Gefahren, Risiken und Nebenwirkungen am Beispiel der neuen Steuerungsinstrumente Baden-Württemberg, in: Fisch, Rudolf/Müller, Andrea/Beck, Dieter (Hrsg), Veränderungen in Organisationen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 53–63 Pollitt, Christopher/Bouckaert, Geert 2017. Public management reform, 4. Aufl., Oxford: Oxford University Press Ruthig, Josef/Storr, Stefan 2005. Öffentliches Wirtschaftsrecht, Heidelberg: C.F. Müller Stober, Rolf/Korte, Stefan 2019. Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 19. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer Stober, Rolf/Eisenmenger, Sven 2019. Öffentliches Wirtschaftsrecht – Besonderer Teil, 17. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer Ziekow, Jan 2020. Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., München C.H. Beck

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

10.1

10

Begriff der Umwelt und der Umweltaufsicht

Umwelt ist alles um uns herum: Pflanzen und Tiere, Luft und Wasser, Land und Meere, aber auch Häuser, Autos und Straßen sowie alle Menschen. Dieser weite Umweltbegriff bedarf der Präzisierung (Hartkopf und Bohne 1983, 2 f.; Kloepfer 2016, § 1 Rn 52 ff.). Es ist zwischen der natürlichen und der sozialen Umwelt des Menschen zu unterscheiden. Wasser, Boden und Luft sind die Lebensräume von Pflanzen und Tieren und bilden mit diesen die natürliche Umwelt des Menschen. Die soziale Umwelt des Menschen besteht aus den Akteuren, Prozessen und Produkten menschlichen Handelns. Natürliche und soziale Umwelt sind allerdings in der Wirklichkeit keine streng voneinander getrennten Bereiche. Vielmehr bilden Elemente der Natur und Erscheinungen menschlichen Handelns häufig eine untrennbare Einheit, die sich weder der natürlichen Umwelt noch der sozialen Umwelt ausschließlich zuordnen lässt. Städte und Dörfer sind hierfür Beispiele. Natürliche Umwelt und soziale Umwelt lassen sich daher als Gegenstandsbereiche oft nur analytisch unterscheiden. Gleichwohl ist diese Unterscheidung wichtig. Denn zu den Schutzgütern von Umweltmaßnahmen gehören außer den natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen auch Elemente der sozialen Umwelt, soweit diese durch Beeinträchtigungen der natürlichen Umwelt gefährdet oder geschädigt werden. In diesem Sinne faßt § 2 Abs 1 UVPG, der für den gesamten Umweltschutz vorbildhaft ist, die Schutzgüter des Umweltschutzes wie folgt zusammen: • Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit, • Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt,

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_10

267

268

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

• Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, • das kulturelle Erbe und sonstige Sachgüter und • die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern. Die Umweltaufsicht ist im Kern Sonderordnungsverwaltung zur Abwehr von Umweltgefahren. Darüber hinaus umfasst sie zwei über die Gefahrenabwehr hinausgehende Aufgaben: Umweltvorsorge und Umweltintegration. Das Prinzip der Umweltvorsorge (Hartkopf und Bohne 1983, 91 ff.; Kloepfer 2016, § 4 Rn 22 ff.) verlangt, Umweltbeeinträchtigungen auch unterhalb der Gefahrenschwelle zu vermeiden oder zu vermindern. Hieraus folgt die Minimierungsaufgabe, alle Umweltbelastungen – auch räumlich und zeitlich entfernt liegende Belastungen – so gering wie möglich zu halten, Umweltgüter so schonend wie möglich zu verbrauchen und die Eintrittswahrscheinlichkeit von Umweltschäden (z. B. infolge von Unfällen) so weit wie möglich zu senken. Der Umfang der Minimierungsaufgabe ist für einzelne Umweltbereiche unterschiedlich geregelt. So werden Maßnahmen verlangt beispielsweise nach dem Stand der Technik für gewerbliche Anlagen (§ 5 Abs 1 Nr 2 BImSchG), nach dem Stand von Wissenschaft und Technik für Atomanlagen (§ 7d AtG) oder entsprechend guter fachlicher Praxis im Pflanzenschutz, die sich u. a. am Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse orientiert. Nach dem Prinzip der Umweltintegration bilden die oben genannten Umweltschutzgüter ein Gesamtsystem, sodass Umweltmaßnahmen sich nicht auf den Schutz einzelner Umweltgüter beschränken (z. B. Luft- oder Gewässerreinhaltung), sondern Schutzmaßnahmen für alle im konkreten Fall betroffenen Bestandteile des Umweltsystems integrieren sollen. Denn ohne die Integration besteht die Gefahr, dass einzelne Umweltmaßnahmen zur Verlagerung von Umweltbelastungen von einem Umweltmedium auf ein anderes Umweltmedium führen (z. B. Verlagerung von Schadstoffen aus den Abgasen eine Industrieanlage in Abwässer aufgrund einer Rauchgaswäsche zwecks Luftreinhaltung). In zahlreichen Umweltgesetzen ist der integrierte Umweltschutz rechtlich festgelegt (z. B. § 1 Abs 3 BNatSchG, § 1 Abs 2 BImSchG; § 6 Abs 1 Satz 2 WHG). Instrumente der Umweltaufsicht sind ordnungsrechtliche Ge- und Verbote sowie Genehmigungen. Soweit die Umweltbehörden gebietsbezogene Umweltpläne (z. B. Landschaftspläne, Luftreinhaltepläne, wasserwirtschaftliche Pläne etc.) aufstellen, handelt es sich um Infrastrukturverwaltung (Abschn. 12.1 und 12.2.9), da der Bürger in diesen Fällen der öffentlichen Verwaltung nicht in der Rolle des Befehlsempfängers, sondern als Benutzer der beplanten Umweltgüter gegenübersteht.

10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

10.2

269

Aufgaben und Rechtsgrundlagen

Abb. 10.1 enthält einen Überblick über die wichtigsten Aufgabenbereiche und Rechtsgrundlagen der Umweltaufsicht.

10.2.1 Naturschutz und Landschaftspflege Die Aufgaben der Umweltaufsicht umfassen im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege • den Schutz vor Beeinträchtigungen der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes durch Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder durch Veränderungen des Grundwasserspiegels, der mit der belebten Bodenschicht in Verbindung steht (§§ 14,17 BNatSchG), • den Flächen- und Objektschutz (§§ 20 ff. BNatSchG), • den Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten (§§ 37 ff. BNatSchG), • den Meeresumweltschutz (§§ 56 ff. BNatSchG),

Umweltbereiche

Rechtsgrundlagen

Naturschutz und Landschaftspflege

BNatSchG, BWaldG

Bodenschutz

BBodSchG

Gewässerschutz

WHG, AbwAG

Abfallwirtschaft

KrWG

Immissionsschutz

BImSchG, FluglärmG, SchlärmschG

Klimaschutz

KSG, TEHG, EEG, KWKG, StromStG EU-VO 1005/2009, ChemOzonSchichtV

Nukleare Sicherheit

AtG

Gefährliche Stoffe

EU-REACH-VO, EU-CLP-VO, ChemG, PflSchG, DüngeMG

Gentechnik

GenTG

Abb. 10.1 Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Umweltaufsicht. (Quelle: Eigene Darstellung)

270

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

• die Erhaltung des Waldes (§§ 9,10 BWaldG) und • die Gewährleistung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung (§ 11 BWaldG). Wichtigstes Instrument der Umweltaufsicht zum Schutz von Natur und Landschaft vor Beeinträchtigungen durch Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen und durch Veränderungen des Grundwasserspiegels ist die Eingriffsregelung der §§ 13 ff. BNatSchG. Danach treffen den Verursacher von Veränderungen von Natur und Landschaft der genannten Art (sog. Eingriffe) drei gesetzliche Grundpflichten (§ 15 BNatSchG): • Unterlassung vermeidbarer Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft, • Kompensation unvermeidbarer erheblicher Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, • Kompensation durch Ersatz in Geld, soweit bei unvermeidbaren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht möglich sind. Maßnahmen zur Erfüllung dieser Grundpflichten werden von der zuständigen Behörde im Rahmen von Zulassungs- und Anzeigeverfahren angeordnet (§ 17 BNatSchG). Der Flächen- und Objektschutz umfasst den Schutz, die Pflege und die Entwicklung erhaltens- und wiederherstellungswerter Natur- und Landschaftsteile. Teile von Natur und Landschaft können geschützt werden (§ 20 Abs 2 BNatSchG) als Naturschutzgebiet, Nationalpark, Biosphärenreservat, Landschaftsschutzgebiet, Naturpark, Naturdenkmal oder geschützter Landschaftsbestandteil. Die Unterschutzstellung dieser Natur- und Landschaftsteile erfolgt durch Erklärung der zuständigen Behörde (§ 22 BNatSchG), die den Schutzgegenstand, den Schutzzweck, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote und, soweit erforderlich, die Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen festlegt. Form und Verfahren der Erklärung richten sich nach Landesrecht und ergehen meist als Rechtsverordnung, teilweise auch als Gesetz oder Satzung (Kloepfer 2016, § 12 Rn 422). Ferner sollen Netze verbundener Biotope (Biotopverbund) geschaffen werden, die mindestens 10 % der Fläche eines Landes umfassen (§ 20 Abs 1 BNatSchG). Ein Biotopverbund besteht aus Kernflächen, Verbindungsflächen und Verbindungselementen (§ 21 Abs 3 BNatSchG). Biotopverbünde zum Artenschutz von Vögeln schreiben die EU-Vogelschutzrichtlinie und zum Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen die EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie vor. Hierdurch soll ein

10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

271

zusammenhängendes europäisches, ökologisches Netz „Natura 2000“ entstehen (§§ 31 ff. BNatSchG). Der Schutz wild wachsender Pflanzen- und wild lebender Tierarten gehört zu den traditionellen Aufgaben von Naturschutz und Landschaftspflege. Die Aufgaben umfassen • den Schutz der Tiere und Pflanzen und ihrer Lebensgemeinschaften vor Beeinträchtigungen durch den Menschen und die Gewährleistung ihrer sonstigen Lebensbedingungen, • den Schutz von Lebensstätten und Biotopen wild lebender Tier- und Pflanzenarten sowie • die Wiederansiedlung verdrängter wild lebender Tier- und Pflanzenarten in geeigneten Biotopen innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes. Zur Erfüllung dieser Aufgaben bestehen eine Fülle von Verboten und Geboten nationaler, EU-rechtlicher und völkerrechtlicher Art. Der Meeresnaturschutz umfasst die oben dargestellten Verursacherpflichten und die Eingriffsregelung nach § 15 BNatSchG sowie den maritimen Arten- und Gebietsschutz im Bereich der Küstengewässer, der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels (Kloepfer 2016, § 12 Rn 502). Der Schutz des Waldes als einer der wichtigsten Bestandteile der Natur verbindet ökologische und forstwirtschaftliche Verwaltungszwecke (§ 1 BWaldG). Der Wald ist zu erhalten und darf nur mit Genehmigung der zuständigen Landesbehörde gerodet oder in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden. Dabei sind die wirtschaftlichen Interessen der Waldbesitzer und die Belange der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Der Wald ist im Hinblick auf seine Schutz-, Nutzund Erholungsfunktionen nachhaltig zu bewirtschaften. D. h.: der Wald darf nur in einem Umfang genutzt werden, der dem natürlichen Zuwachs entspricht und in etwa gleichbleibende Erträge sichert (Kloepfer 2016, § 12 Rn 574).

10.2.2 Bodenschutz Die Aufgaben des Bodenschutzes umfassen (§ 1 BBodSchG) • die Abwehr schädlicher Bodenveränderungen, • die Sanierung geschädigter Böden und hierdurch verursachter Gewässerverunreinigungen sowie • die Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden.

272

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

Schädliche Bodenveränderungen sind Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen (§ 2 Abs 3 BBodSchG). Der Boden erfüllt • natürliche Funktionen als Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen, als Bestandteil des Naturhaushalts, insbesondere mit seinen Wasser- und Nährstoffkreisläufen, sowie als Abbau-, Ausgleichs- und Aufbaumedium für stoffliche Einwirkungen aufgrund der Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften, • Funktionen als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte sowie • Nutzungsfunktionen als Rohstofflagerstätte, Fläche für Siedlung, Verkehr, Verund Entsorgung, Land- und Forstwirtschaft sowie Erholung. Bodenbeeinträchtigungen werden verursacht durch Flächenverbrauch und Bodenverschmutzung (Kloepfer 2016, § 13 Rn 7 ff.). Der Flächenverbrauch beruht insbesondere auf der Bodenversiegelung zu Bau- und Verkehrszwecken, der Landschaftszersiedelung, der Bodennutzung durch Industrieanlagen und Abfalldeponien sowie auf modernen Formen der Freizeitgestaltung (z. B. Erschließung von Skigebieten). Bodenverschmutzungen erfolgen u. a. durch Ablagerung von Abfällen und schadstoffhaltigen Produktionsrückständen in der Vergangenheit (Altlasten), durch den übermäßigen landwirtschaftlichen Einsatz von Klärschlämmen, Pflanzenschutz- und Düngemitteln sowie durch Luft- und Gewässerverunreinigungen. Die Abwehr von Gefahren durch Flächenverbrauch und Bodenverschmutzungen sowie die Vorsorge gegen diese Bodenbeeinträchtigungen ist im Kern Sonderordnungsverwaltung (vgl. § 15 Abs 1 LBodSchG-NRW). Ihre Instrumente sind vor allem Gebote, Verbote, Genehmigungen und Anzeigepflichten. Diese Instrumente sind aber überwiegend nicht im Bundesbodenschutzgesetz, sondern in anderen Fachgesetzen geregelt. Beispielsweise unterfallen Maßnahmen gegen den Flächenverbrauch weitgehend dem Bau- und Verkehrswegerecht und Maßnahmen gegen Bodenverschmutzungen dem Kreislaufwirtschaftsgesetz, dem Düngemittel- und Pflanzenschutzrecht oder dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (dazu im einzelnen § 3 BBodSchG und Kloepfer 2016, § 13 Rn 172 ff.). Soweit andere Fachgesetze Einwirkungen auf den Boden nicht regeln, können notwendige Bodenschutzmaßnahmen nach § 10 BBodSchG angeordnet werden.

10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

273

10.2.3 Gewässerschutz Gewässer sind oberirdische Gewässer, Küstengewässer und das Grundwasser (§ 2 Abs 1 WHG). Aufgabe des Gewässerschutzes ist die Bewirtschaftung der Gewässer, die sich in Wassergüte- und Wassermengenwirtschaft unterteilen lässt. Sie umfasst (§ 6 WHG): • Erhaltung und Verbesserung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Gewässer als Bestandteile des Naturhaushalts und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, insbesondere durch Schutz vor nachteiligen Veränderungen von Gewässereigenschaften, • Vermeidung und ggfs Ausgleich von Beeinträchtigungen von Feuchtgebieten und der direkt von den Gewässern abhängenden Landökosysteme, • Vorbeugung gegen mögliche Folgen des Klimawandels, • Erhaltung oder Schaffung von Nutzungsmöglichkeiten der Gewässer zum Wohle der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm im Interesse einzelner, insbesondere Schutz der öffentlichen Wasserversorgung, • Vorbeugung gegen nachteilige Hochwasserfolgen, • Schutz der Meeresumwelt. Allgemeine Ziele der Bewirtschaftung von oberirdischen und Küstengewässern sind (§§ 27, 44 WHG) • Vermeidung einer Verschlechterung des ökologischen und chemischen Gewässerzustandes, • Erhaltung oder Erreichung eines guten ökologischen und guten chemischen Gewässerzustandes. Die gleichen Bewirtschaftungsziele gelten – mit leichten Modifizierungen – auch für Meeresgewässer (§ 45a WHG). Die Gewässerbewirtschaftung hat im Sinne des integrierten Umweltschutzes ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu gewährleisten. Die Gewässer im Bundesgebiet sind zur Bewirtschaftung in zehn Flussgebietseinheiten eingeteilt (§ 7 WHG).1 Für jede Flussgebietseinheit sind ein Maßnahmenprogramm und ein Bewirtschaftungsplan aufzustellen (§§ 82, 83 WHG). Da diese wasserwirtschaftlichen Pläne zur Verwirklichung der Bewirtschaftungsziele neben Schutzmaßnahmen auch die Nutzungsstruktur

1

Donau, Rhein, Maas, Ems, Weser, Elbe, Eider, Oder, Schlei/Trave, Warnow/Peene.

274

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

der Flussgebietseinheiten für den Bürger festlegen, sind sie Teil der wasserwirtschaftlichen Infrastrukturverwaltung und werden im Zusammenhang mit der gebietsbezogenen Umweltplanung (Abschn. 12.2.9) behandelt. Die Gewässeraufsicht ist Sonderordnungsverwaltung. Ihre Instrumente sind Gebote, Verbote, Erlaubnisse und Bewilligungen von Gewässerbenutzungen, Genehmigungen der Errichtung und des Betriebs von Abwasseranlagen und der Einleitung von Abwasser in öffentliche Abwasseranlagen sowie Planfeststellungen von Gewässerausbauten (§§ 8, 58, 60, 68, 100 WHG). Ferner wird für das Einleiten von Abwasser in Gewässer eine Abwasserabgabe erhoben (§ 9 AbwAG).

10.2.4 Abfallwirtschaft Abfälle sind Stoffe oder Gegenstände, deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss (§ 3 Abs 1 KrWG). Oberstes Gebot ist die Vermeidung von Abfällen. Ist die Vermeidung nicht möglich, sind Abfälle vorrangig zu verwerten und, wenn auch dies nicht möglich ist, schadlos zu beseitigen (§ 6 Abs 1 KrWG). Die Abfallvermeidungspflicht wird durch zahlreiche gesetzliche und verordnungsrechtliche Vorschriften konkretisiert. Diese betreffen die Entwicklung, Herstellung, Be- und Verarbeitung oder den Vertrieb von Produkten und regeln mittels Ge- und Verboten die Produktverantwortung der Produzenten (Kloepfer 2016, § 21 Rn 187 ff.), d. h. u. a. den vorrangigen Einsatz von verwertbaren Abfällen oder sekundären Rohstoffen (Rezyklaten), den sparsamen Einsatz von kritischen Rohstoffen, die Senkung des Gehalts an gefährlichen Stoffen, die Rücknahme der Produkte und der nach Gebrauch entstandenen Abfälle etc. (§ 23 KrWG). Die Verwertung und Beseitigung von Abfällen ist prinzipiell Aufgabe der privaten Abfallerzeuger und Abfallbesitzer ( §§ 7 Abs 2, 15 Abs 1 KrWG). Die Errichtung und der Betrieb von Abfallbeseitigungsanlagen bedürfen der behördlichen Zulassung. Abfalldeponien erfordern eine Planfeststellung; sonstige Abfallbeseitigungsanlagen werden nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt ((§ 35 Abs 1 KrWG). Die Einhaltung der abfallrechtlichen Vorschriften unterliegt der behördlichen Überwachung (§§ 47 ff. KrWG) und der Eigenüberwachung durch die Erzeuger und Besitzer von Abfällen, insbesondere durch die Bestellung von Betriebsbeauftragten für Abfall (§§ 58 ff. KrWG). Über die ordnungsbehördlichen Aufgaben hinaus hat die öffentliche Verwaltung die Aufgabe, Abfälle aus privaten Haushalten und Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen zu entsorgen, soweit letztere nicht von den Abfallerzeugern und -besitzern in eigenen Anlagen beseitigt werden (§ 17 Abs 1 KrWG). Schließlich

10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

275

haben die Länder für ihr Gebiet Abfallbewirtschaftungspläne nach überörtlichen Gesichtspunkten aufzustellen, die u. a. die Flächen für Deponien und sonstige Abfallbeseitigungsanlagen ausweisen (§ 30 KrWG). Die Abfallbeseitigung durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger und die Abfallwirtschaftsplanung betreffen die Benutzung staatlicher Einrichtungen durch den Bürger und sind Teil der staatlichen Infrastrukturverwaltung (Abschn. 12.2.4 und 12.2.9).

10.2.5 Immissionsschutz Die Aufgaben des Immissionsschutzes umfassen, Mensch, Umwelt, Kultur- und Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen (§ 1 Abs 1 BImSchG). Unter schädlichen Umwelteinwirkungen sind Immissionen, d. h. Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und nicht ionisierende Strahlen (z. B. elektromagnetische Wellen) zu verstehen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 BImSchG). Zu den Hauptquellen von Luftverunreinigungen gehören Industrieanlagen, Straßen- und Luftverkehr sowie private Feuerungsanlagen (sog. Hausbrand). Hauptverursacher von Lärmbelästigungen und Erschütterungen sind Industrieanlagen, Straßen-, Luft- und Schienenverkehr sowie Wohn- und Freizeitaktivitäten. Nicht ionisierende Strahlen gehen insbesondere von Stromleitungen und Mobilfunknetzen aus. Nach dem Anknüpfungspunkt für Immissionsschutzmaßnahmen wird zwischen anlagen-, produkt- und gebietsbezogenem Immissionsschutz unterschieden (§§ 4 ff., 32 ff., 44 ff. BImSchG). Immissionsschutz ist im Kern Sonderordnungsverwaltung mit der Besonderheit, dass bei genehmigungsbedürftigen Anlagen über die Gefahrenabwehr hinaus Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen, sonstige Gefahren sowie erhebliche Nachteile und Belästigungen zutreffen ist und im Sinne des integrierten Umweltschutzes ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt gewährleistet sein muss. Demzufolge sind Instrumente des Immissionsschutzes Ge- und Verbote sowie Genehmigungen. Luftreinhalte- und Lärmminderungsplanungen regeln, inwieweit der Bürger besonders belastete Gebiete für Emissionen in Anspruch nehmen darf. Diese Planungen sind Teil der Infrastrukturverwaltung (Abschn. 10.2.9).

276

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

10.2.6 Klimaschutz Der Klimaschutz befasst sich mit den globalen Umweltbelastungen der Atmosphäre durch Stoffeinträge, während der Immissionsschutz lokale und regionale Umweltbelastungen durch Stoffeinträge in die bodennahe Grenzschicht der Atmosphäre betrifft (Kloepfer 2016 § 17 Rn 20 f.). Globale Umweltbelastungen sind der Klimawandel aufgrund der Erderwärmung, die durch CO2 und andere, insbesondere bei Verbrennungsprozessen freigesetzten Treibhausgase verursacht wird, sowie der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, für den Fluorchlorkohlenwasserstoffe und andere Halone ursächlich sind. Aufgabe des Klimaschutzes ist die Reduktion der genannten Schadstoffe. Minderungsziele für Treibhausgase enthält das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG). Danach sollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2030 im Vergleich zum Jahre 1990 um mindestens 55 % vermindert werden (§ 3 KSG). Zur Erreichung dieses Ziels sind zulässige Jahresemissionsmengen für einzelne Wirtschaftsbranchen festgelegt (§ 4 KSG). Das Bundesverfassungsgericht2 hat im Jahre 2021 entschieden, dass der Gesetzgeber zum Schutz künftiger Generationen weitere Klimaschutzziele für die Zeit nach 2030 spätestens bis zum 31.12.2022 festlegen muss. Das zentrale Instrument zur Begrenzung von Treibhausgasen ist ein EUweites Emissionshandelssystem, das ein Regelungssystem aus Geboten, Verboten und Genehmigungen darstellt (Kloepfer 2016, § 17 Rn 181 ff.). Die Konzeption des Emissionshandelssystems beruht auf dem Prinzip des „cap and trade“. D. h. die EU-Kommission3 legt jährlich für rd 11.000 Anlagen der Energiewirtschaft und energieintensiver Industrien sowie für den Luftverkehr eine Obergrenze zulässiger Treibhausgasemissionen und eine entsprechende Menge von Emissionszertifikaten, sog. Emissionsberechtigungen, fest (1 Zertifikat pro 1 Tonne Treibhausgasemissionen). Die Anlagen- und Luftfahrzeugbetreiber müssen für ihre Emissionen Berechtigungen erwerben und jährlich bis zum 30.4. eine Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde abgeben, die der im Vorjahr verursachten Emissionsmenge entspricht (§ 7 TEHG). Der Erwerb der Berechtigungen erfolgt im Wege der Versteigerung durch die zuständige Behörde; unter bestimmten Voraussetzungen werden Berechtigungen aber auch kostenlos zugeteilt (§§ 8–11 TEHG). Zur Freisetzung von Treibhausgasen bedarf der Anlagenbetreiber einer Genehmigung (§ 4 TEHG). Ferner muss er jährlich einen

2 Beschluss vom 24.03.2021 – BvR 2656/18, zugänglich unter https://www.bverfg.de/e/rs2 0210324_1bvr265618.html, Zugang am 14.12.2022. 3 Für 2021 Beschluss der Kommission vom 16.11.2020, ABl v. 18.11.2020, S. L 386/26.

10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

277

Emissionsbericht und einen Überwachungsplan der zuständigen Behörde vorlegen, die der Ermittlung der verursachten Emissionen dienen (§§ 5,6 TEHG). Die Emissionsberechtigungen sind übertragbar, was durch Einigung und Eintragung in einem Emissionshandelsregister erfolgt. Auf diese Weise bildet sich ein Markt, auf dem mit Emissionsberechtigungen gehandelt werden kann. Damit der Markt funktioniert, muss die Menge der zugeteilten Emissionsberechtigungen geringer sein als die prognostizierten Emissionen. Denn nur so entsteht auf die Emissionsverursacher ein Druck, ihre Emissionen zu senken. Diese Funktionsvoraussetzungen wurden in der Vergangenheit nicht eingehalten. Es bestand ein Überangebot an Emissionsberechtigungen, das eine Anreizwirkung zur Emissionsreduktion verhinderte. Inzwischen hat die EU-Kommission rd 900 Mio Emissionsberechtigungen aus dem Markt herausgenommen. Ferner wurde eine jährliche Reduktion der Emissionshöchstmenge (bis 2024) von 2,2 % eingeführt.4 Die Wirksamkeit des Emissionshandelssystems ist aber weiter umstritten. Ferner dienen verschiedene Regulierungssysteme (EEG, KWKG, StromStG) der Verminderung von Treibhausgasemissionen durch Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie durch Effizienzsteigerung der Strom- und Wärmeerzeugung. Ordnungsrechtlichen Regelungen zum Schutz der Ozonschicht enthalten vor allem die EU-Verordnung Nr. 1005/2009 und die ChemikalienOzonschichtverordnung vom 15.02.2012 (Kloepfer 2016, § 17 Rn 209 ff.).

10.2.7 Nukleare Sicherheit Seitdem im Jahre 2011 die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität eingestellt wurde5 , umfassen die Aufgaben der nuklearen Sicherheit vor allem (§§ 1, 3 ff., 19 AtG) • die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung, • die Überwachung der Ein- und Ausfuhr, der Beförderung, des Besitzes und der Aufbewahrung von Kernbrennstoffen außerhalb der staatlichen Verwahrung sowie

4

Art. 1 Nr 12 der EU-Richtlinie 2018/410 vom 14.3.2018, ABl v. 19.3.2018, S. L 76/3. Im Herbst 2022 beschloß die Bundesregierung, daß die letzten, in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland am 15.4.2023 abgeschaltet werden sollen.

5

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10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

• die Entsorgung radioaktiver Abfälle durch Errichtung von Zwischen-und Endlagern für Abfälle. Es handelt sich hierbei um Sonderordnungsverwaltung mit den Instrumenten ordnungsrechtlicher Gebote, Verbote und Genehmigungen. Die Errichtung von Zwischen- und Endlagern für radioaktive Abfälle ist Teil der staatlichen Infrastrukturverwaltung (Abschn. 12.2.5).

10.2.8 Gefährliche Stoffe Der Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Stoffen ist Aufgabe der Chemikalienaufsicht. Dieser Aufgabenbereich ist weitgehend durch EUVerordnungen6 geregelt. Dem nationalen Recht, namentlich dem Chemikaliengesetz kommen nur ergänzende Funktionen zu (Kloepfer 2016, § 19 Rn 27). Die Gefährlichkeit von Stoffen und Gemischen ist im Anhang I der CLP- Verordnung definiert. Es werden vier Gefahrenklassen unterschieden (§ 3 GefStoffV): physikalische Gefahren (z. B. explosionsgefährlich, entzündlich), Gesundheitsgefahren (z. B. akut toxisch, erbgutschädigend, krebserregend), Umweltgefahren (z. B. gewässergefährdend) und Gefahren für die Ozonschicht. Die Aufgaben der Chemikalienaufsicht gehen über die herkömmliche Gefahrenabwehr hinaus. Im Vordergrund steht die medienübergreifende Vorsorge gegen schädliche Einwirkungen durch gefährliche Stoffe und – als Voraussetzung hierfür – die Gewinnung von Informationen über die Eigenschaften und die Gefährlichkeit von Stoffen (Art 1 REACH-VO, § 1 ChemG). Die Instrumente der Chemikalienaufsicht umfassen nach der REACH-VO • die Registrierung von Stoffen (Art 5 ff. REACH-VO), • die Bewertung des Registrierungsdossiers und der Stoffdaten (Art 40 ff. REACH-VO), • die Zulassung besonders besorgniserregender Stoffe, die in Anhang XIV der REACH-VO aufgeführt sind (Art 55 ff. REACH-VO),

6

Zentrale Vorschriften sind die EU-Verordnung Nr 1907/2006 v vom 18.12.2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH: Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) und die EU-Verordnung Nr 1272/2008 v 16.12.2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP: Classification, Labelling and Packaging).

10.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

279

• die Beschränkung der Herstellung, des Inverkehrbringens und der Verwendung bestimmter Stoffe nach Maßgabe des Anhangs XVII der REACH-VO (Art 67 ff. REACH-VO). Alle Stoffe, die in einer Menge von mindestens 1 Tonne pro Jahr hergestellt oder eingeführt werden, müssen bei der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki registriert werden. Nach der Überprüfung und Bewertung des Registrierungsdossiers durch die Europäische Chemikalienagentur und der Stoffbewertung durch die für bestimmte Stoffe jeweils zuständige Behörde eines Mitgliedstaats folgt für die Stoffe aus Anhang XIV der REACH-VO ein Zulassungsverfahren bei der Europäischen Chemikalienagentur. Die Stellungnahme der Agentur zu dem Zulassungsantrag bildet die Grundlage für die Zulassungsentscheidung der Europäischen Kommission. Falls die Herstellung, die Verwendung oder das Inverkehrbringen eines Stoffs mit unannehmbaren Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt verbunden ist, kann die Europäische Kommission auf der Grundlage von Stellungnahmen der Agentur und hierfür zuständiger Expertenausschüsse Beschränkungen für die Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen von Stoffen festlegen. Weitergehende Beschränkungen kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung im Rahmen des EU-Rechts anordnen (§ 17 ChemG). Die vorgenannten Aufsichtsinstrumente werden durch ein Informationsmanagement ergänzt, das in zahlreichen Vorschriften Informationsaustausch- und Mitteilungspflichten begründet, die das für die Chemikalienaufsicht notwendige Wissen über Stoffeigenschaften und ihre Wirkungen sicherstellen sollen (Kloepfer 2016, § 19 Rn 143 ff.). Schließlich enthält die CLP-VO detaillierte Verpflichtungen der Hersteller, Importeure und Anwender von Stoffen zur Gefahreneinstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen, die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu überwachen und durchzusetzen sind (Art 43 ff. CLP-VO). Für Agrarchemikalien (Pflanzenschutzmittel, Düngemittel, Biozide) gibt es spezielle gesetzliche Stoffregelungen und Verwaltungsaufgaben (Kloepfer 2016, § 19 Rn 241 ff.).

10.2.9 Gentechnik Der Begriff „Gentechnik“ bezeichnet Verfahren, mit denen das Erbgut von Organismen künstlich verändert wird. Beispielsweise können das Erbgut eines

280

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

Organismus neu kombiniert oder Teile des Erbguts eines anderen Organismus übertragen werden. Diese Techniken werden an Pflanzen und Tieren eingesetzt in • der Landwirtschaft zur Pflanzenzüchtung und zur Tierzucht, • der Medizin zur Entwicklung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren und zur Herstellung von Arzneimitteln für Menschen und Tiere, • der Industrie zur Herstellung von Enzymen und Chemikalien sowie in der Mikrobiologie und Umweltschutztechnik. Der Schutz vor und die Vorsorge gegen schädliche Auswirkungen gentechnischer Verfahren und Produkte in diesen Anwendungsbereichen ist Aufgabe der gentechnischen Umweltaufsicht (§ 1 GenTG). Die Humangenetik, d. h. die Anwendung gentechnischer Verfahren am Menschen, unterfällt nicht der Umweltaufsicht (§ 2 Abs 3 GenTG). Sie ist Gegenstand u. a. des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellengesetzes. Der Schwerpunkt der gentechnischen Umweltaufsicht liegt im Vorsorgebereich (Kloepfer 2016, § 20 Rn 56). Die konkrete Gefährlichkeit gentechnisch veränderter Organismen ist schwer abschätzbar. Langfristig werden Schädigungen der Artenvielfalt durch gentechnisch veränderte Organismen erwartet, die in die Umwelt gelangt sind. Die Aufsichtsinstrumente knüpfen daher an gentechnischen Tätigkeiten und nicht – wie in der Chemikalienaufsicht – an die Gefährlichkeit von Stoffen und Organismen an (Kloepfer 2016, § 20 Rn 16). Dementsprechend bedürfen einer Genehmigung (§§ 8 ff., 14 ff. GenTG) • die Errichtung und der Betrieb gentechnischer Anlagen, • gentechnische Arbeiten, die aber nur in gentechnischen Anlagen durchgeführt werden dürfen, • die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen und • das Inverkehrbringen von Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten. Seit 2011 ist in Deutschland der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen wegen der schwer abschätzbaren schädlichen Langzeitwirkungen auf die Umwelt nicht mehr zugelassen.7 Die zuständigen Behörden können zur

7

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Gentechnik: Was genau ist das?, 03.01.2022, zugänglich unter https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/gruene-gen technik/gentechnik-wasgenauistdas-definition.html, Zugang am 14.12.2022.

10.3 Aufbau der Umweltaufsicht

281

Beseitigung und Verhütung von Verstößen gegen gentechnische Vorschriften die erforderlichen Anordnungen treffen (§ 26 GenTG).

10.3

Aufbau der Umweltaufsicht

Die Behörden der Umweltaufsicht in den herkömmlichen Bereichen des Umweltschutzes (Naturschutz und Landschaftspflege, Bodenschutz, Gewässerschutz, Abfallwirtschaft und Immissionsschutz) sind in die allgemeine Landes- und Kommunalverwaltung eingegliedert, überwiegend auf Kreisebene, in einigen Ländern auch in die Bezirksregierungen. Daneben gibt es Sonderbehörden, die überwiegend für technische und wissenschaftliche Aufgaben zuständig sind, z. B. Wasserwirtschaftsämter im Gewässerschutz oder auf Bundesebene das Bundesamt für Naturschutz und Artenschutz. In den Bereichen von Klimaschutz, nuklearer Sicherheit, gefährlichen Stoffen und Gentechnik spielen Landesbehörden eine eher nachrangige Rolle. Überwiegend sind Behörden auf Bundes- und EU-Ebene wegen der bundes- bzw. europaweiten Bedeutung der umweltrelevanten Aktivitäten für die Aufgaben der Umweltaufsicht zuständig. Im Klimaschutz obliegt die Überwachung des Emissionshandelssystems dem Umweltbundesamt mit der Deutschen Emissionshandelsstelle. Die Landesimmissionsschutzbehörden sind im Rahmen des Emissionshandelssystems für die Erteilung der Emissionsgenehmigung (§ 4 TEHG) bei genehmigungsbedürftigen Anlagen i. S. des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zuständig (§ 19 Abs 1 TEHG). Die Bundesnetzagentur überwacht die Verminderung von Treibhausgasen durch erneuerbare Energien im Rahmen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (§ 85 EEG). Die Aufgaben zur Beschränkung oder zum Verbot von Chemikalien, die die Ozonschicht abbauen, obliegen Landesbehörden, z. B. den Gewerbeaufsichtsämtern, Bezirksregierungen oder Landesämtern für Umweltschutz. Für die Aufgaben der Umweltaufsicht im Bereich der nuklearen Sicherheit sind zuständig • das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung im Bereich der Beförderung und Verwahrung von Kernbrennstoffen und der Entsorgung radioaktiver Abfälle (§ 23d AtG), • das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle für die Genehmigung der Ein- und Ausfuhr von Kernbrennstoffen (§ 22 AtG),

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10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

• das Eisenbahn-Bundesamt im Bereich der Beförderung radioaktiver Stoffe im Schienen- und Schiffsverkehr (§ 24 AtG). Die Chemikalienaufsicht obliegt für Stoffregistrierungen der Europäischen Chemikalienagentur und für Stoffzulassungen der Europäischen Kommission. Beim Vollzug des EU-Chemikalienrechts wirken mit (§ 4 ChemG) • die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin als Bundesstelle für Chemikalien und als Bewertungsstelle für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten, • das Umweltbundesamt als Bewertungsstelle Umwelt, • das Bundesinstitut für Risikobewertung als Bewertungsstelle Gesundheit und Verbraucherschutz. Die Länder – meist die Gewerbeaufsicht – überwachen die Einhaltung der Chemikalienvorschriften (Kloepfer 2016, § 19 Rn 234 ff.). Die gentechnische Umweltaufsicht liegt für das Inverkehrbringen und die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen bei der Europäischen Kommission, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Für Anzeigen, Anmeldungen und Genehmigungen gentechnischer Anlagen und Arbeiten sind – in den Bundesländern unterschiedlich geregelt – Bezirksregierungen, Gewerbeaufsichtsämter und/oder Landesoberbehörden im Bereich der Lebensmittelsicherheit zuständig.

10.4

Hauptprobleme der Umweltaufsicht

Seit Beginn der modernen Umweltaufsicht Anfang der 1970er Jahre ist der wirksame und ordnungsgemäße Vollzug des Umweltrechts ein zentrales Problem des Umweltschutzes. Schon in seinem ersten Umweltgutachten von 1974 (S. 180 ff.) beklagte der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen das Bestehen eines „Vollzugsdefizits“ im Umweltrecht. Hierunter ist ein Verwaltungshandeln zu verstehen, das die gesetzlichen Vorgaben nicht oder nicht im rechtlich möglichen Umfang durchsetzt (Bohne 1981, 26 f.). Die Ursachen hierfür sind vor allem darin begründet, dass die ordnungsrechtlichen Ge- und Verbote der Umweltaufsicht einen hohen Informationsstand hinsichtlich wissenschaftlich-technischer Sachverhalte und betrieblicher Abläufe erfordern, über den die Behörden oft nicht verfügen. Hinzu kommen ökonomische und politische Interessenkonflikte, die die

10.4 Hauptprobleme der Umweltaufsicht

283

Durchsetzung umweltrechtlicher Anforderungen beeinträchtigen (Kloepfer 2016, § 5 Rn 773). In der Praxis der Umweltaufsicht ist daher ein Verwaltungshandeln verbreitet, das als „informal“ bzw. „informell“ bezeichnet wird (Kloepfer 2016, § 5 Rn 1575 f.; Bohne 2023, 6.3.1.1). Hierunter sind vor allem rechtlich unverbindliche Absprachen zwischen Behörden und privaten Akteuren über vorzunehmende Umweltschutzmaßnahmen zu verstehen, die an die Stelle von Verwaltungsakten oder Verwaltungsverträgen treten und auf dem Tauschprinzip beruhen. Diese Absprachen bleiben hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück, haben aber oft den Vorteil, dass überhaupt Umweltschutzmaßnahmen getroffen werden und nicht jahrelange Rechtsstreitigkeiten stattfinden. Diese Praxis ist rechtlich und umweltpolitisch umstritten. Die Umweltaufsicht unterscheidet sich von traditionellen Sonderordnungsverwaltungen durch die Aufgaben der Umweltvorsorge und der Umweltintegration. Unter Umweltvorsorge ist – über die Vermeidung und Beseitigung unmittelbarer Umweltschäden hinaus – die Vermeidung und Minimierung von • zeitlich und räumlich entfernten Gefahren und Risiken, • Gefahren mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit bis hin zum bloßen Gefahrenverdacht und • Umweltbelastungen, die für sich genommen ungefährlich, aber insgesamt schädlich sind, sowie die Schonung von Umweltressourcen für künftige Generationen zu verstehen (Kloepfer 2016, § § 4 Rn 39, 54 ff.). Eng verknüpft mit den Aufgaben der Umweltvorsorge sind die Aufgaben der Umweltintegration. Diese erfordern, dass Umweltschutzmaßnahmen medien- und sektorübergreifend alle Auswirkungen von Vorhaben und Stoffen auf die Umwelt insgesamt berücksichtigen. In Abkehr von dem traditionellen, überwiegend auf einzelne Umweltmedien bezogenen Ansatz ist die Umwelt als ein ungeteiltes Ganzes und in der Wechselbezüglichkeit ihrer Bestandteile zu begreifen und sicherzustellen, dass Umweltschutzmaßnahmen nicht einfach Umweltbelastungen von einem Umweltmedium auf ein anderes verlagern (Kloepfer 2016, § 4 Rn 155 ff.). Zur Verwirklichung des integrativen Ansatzes wurde durch EU-Recht ein Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung für bestimmte Vorhaben, Pläne und Programme eingeführt, das im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) geregelt ist. Die Schwierigkeit bei der integrativen, medien- und sektorübergreifenden Berücksichtigung der Umweltauswirkungen von Vorhaben und Stoffen liegt darin, dass es keine Verrechnungseinheiten für unterschiedliche Umweltbelastungen gibt. D. h.: es lassen sich z. B. die Luftverunreinigungen

284

10

Verwaltungstyp Umweltaufsicht

eines Vorhabens nicht mit den Umweltbeeinträchtigungen durch seine toxischen Abwässer verrechnen, um festzustellen, durch welche Umweltschutzmaßnahmen eine Entlastung der Umwelt insgesamt herbeigeführt wird. Es sind nur qualitative Abwägungen zwischen verschiedenen medialen Umweltbelastungen möglich, die durch Unsicherheit und Subjektivität geprägt sind. Dies macht integrative Entscheidungen anfällig gegen ökonomische und politische Interessenkonflikte. Insgesamt sind daher Vollzugsdefizite bei der Wahrnehmung von Vorsorge- und Integrationsaufgaben verbreitet.

10.5

Zusammenfassung

Aufgabe der Umweltaufsicht ist die Abwehr von Gefahren durch schädliche Umweltauswirkungen. Dies ist im Kern Sonderordnungsverwaltung. Darüber hinaus obliegen der Umwelt auf sich die Aufgaben der Umweltvorsorge und der medien- und sektorübergreifenden Umweltintegration. Herkömmliche Aufgaben der Umweltaufsicht sind Naturschutz und Landschaftspflege, Bodenschutz, Gewässerschutz, Abfallwirtschaft und Immissionsschutz. In diesen Bereichen ist die Umweltaufsicht überwiegend in die allgemeine Landes- und Kommunalverwaltung integriert. Neuartige Umweltrisiken mit europa- und weltweiten Auswirkungen umfassen den Klimaschutz, gefährliche Stoffe, Gentechnik und nukleare Sicherheit. Für diese Aufgaben sind überwiegend Behörden auf Bundesund Europaebene zuständig. Hauptproblem der Umweltaufsicht ist ein verbreitetes Vollzugsdefizit des Umweltrechts, insbesondere in den Bereichen der Umweltvorsorge und der Umweltintegration.

Literatur Bohne, Eberhard 1981. Der informale Rechtsstaat, Berlin: Duncker und Humblot Bohne, Eberhard 2023. Verwaltungswissenschaft, Bd. 1: Theoretische und methodische Grundlagen, 2. Aufl., Wiesbaden: Springer VS Hartkopf, Günter/Bohne, Eberhard 1983. Umweltpolitik 1, Opladen: Westdeutscher Verlag Kloepfer, Michael 2016. Umweltrecht, 4. Aufl., München: C.H. Beck

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

11

Unter Leistungsverwaltung wird vielfach die gezielte Unterstützung Einzelner (z. B. Sozialhilfe) und die Bereitstellung öffentlicher Infrastrukturen verstanden, beides auch als Daseinsvorsorge bezeichnet (Wolff et al. 2017, § 4 Rn 17; Maurer und Waldhoff 2020, § 1 Rn 16 f.). Diese Begriffsbildung ist konturenlos und vermengt verschiedene Rollen des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung. Ausgehend von der Rolle des Bürgers als Verbraucher staatlicher Leistungen, wird hier diejenige Verwaltung als Leistungsverwaltung bezeichnet, deren Geld-, Sach- und Dienstleistungen der Bürger in der Rolle des Verbrauchers in Anspruch nimmt. Dieses die Leistungsverwaltung prägende Rollenverhältnis schließt Ordnungsbefugnisse der Verwaltung nicht aus, sodass sich der Bürger im Einzelfall auch in der Rolle des Befehlsempfängers gegenüber der Leistungsverwaltung befinden kann. Die Leistungsverwaltung in diesem Sinne lässt sich in Sozial- und Subventions-(bzw. Förderungs-)verwaltung unterteilen (Wolff et al. 2017, § 4 Rn 29 f.).

11.1

Sozialverwaltung

11.1.1 Begriff der Sozialverwaltung Sozialverwaltung ist keine Bezeichnung für eine einheitliche Verwaltung, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Verwaltungen im Bereich der Sozialpolitik (Eichhorn et al. 2003, 974). Allgemein werden unter dem Begriff der Sozialverwaltung alle staatlichen und nichtstaatlichen Verwaltungsträger zusammengefasst, die mit der Anwendung des Sozialrechts befasst sind (Bossong 2010, 39). Das Sozialrecht umfasst die 12 Bücher des Sozialgesetzbuchs (SGB) und die in © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_11

285

286

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

§ 68 SGB I aufgeführten Einzelgesetze, die als Besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs gelten (z. B. Reichsversicherungsordnung, Wohngeldgesetz etc.). Umgangssprachlich werden einige der in diesen Gesetzesbereichen tätigen Verwaltungsträger auch als Arbeitsverwaltung, Jugendverwaltung etc. bezeichnet. Sachlich gehören diese Behörden aber zur Sozialverwaltung (Bossong 2010, 38).

11.1.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen Die Aufgaben der Sozialverwaltung werden in § 1 Abs. 1 SGB I allgemein bestimmt als Sozialleistungen, die zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit dazu beitragen sollen, • ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, • gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen, • die Familie zu schützen und zu fördern, • den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und • besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben folgt drei Grundprinzipien, die sich historisch entwickelt haben: Eigenverantwortung, Solidarität und Subsidiarität (Boeckh et al. 2017, 129). Eigenverantwortung heißt, dass Sozialleistungen die Leistungsfähigkeit des Bürgers berücksichtigen und leistungsgerecht sein sollen. Nach dem Grundsatz der Solidarität sind soziale Risiken von den Bürgern gemeinsam zu tragen, was sich in Sozialversicherungssystemen niederschlägt. Das Prinzip der Subsidiarität räumt privaten Wohlfahrtsverbänden und kirchlichen Einrichtungen Vorrang gegenüber der öffentlichen Verwaltung bei der Erbringung von Sozialleistungen ein. Eine allgemein anerkannte Systematisierung der Aufgaben der Sozialverwaltung gibt es nicht. In Anlehnung an die Dreiteilung des Sozialrechts in soziale Hilfe und Förderung, Vorsorge und Entschädigung (v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 34 f.) lassen sich die in Abb. 11.1 aufgeführten Aufgabenfelder der Sozialverwaltung unterscheiden.

11.1 Sozialverwaltung

287

Rechtsgrundlagen

Aufgaben Grundsicherung für Arbeitssuchende, Bürgergeld

SGB II

Grundsicherung

Soziale Hilfe und Förderung

Arbeitsförderung

Sozialhilfe Leistungen für Asylbewerber Aktive Arbeitsförderung (z.B. Beratung, Vermittlung, Aus- u. Weiterbeldung) Entgeltersatzleistungen Familienleistungen

Gruppenbezogene Hilfen Kinder- und Jugendhilfe

Vorsorge

Behindertenhilfe Krankenversicherung Pflegeversicherung Sozialversicherung Rentenversicherung Unfallversicherung Arbeitslosenversicherung Arbeitsschutz, Arbeitszeitschutz, Arbeitnehmerschutz Arbeitssicherheit

Soziale Entschädigungen

Kriegsopferfürsorge, Entschädigungen im Rahmen von Wehrdienst, Gewalttaten etc.

SGB XII AsylbLG

SGB III, BAföG SGB III BEEG, BKKG, MuSchG, UhVorschG SGB VIII, JuSchG, JArbSchG SGB IX SGB V SGB XI SGB VI SGB VII SGB III ArbSchG, ArbZG, ASiG § 68 Nr. 7 SGB I i.V.m. den dort aufgeführten Gesetzen

Abb. 11.1 Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Sozialverwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung)

11.1.2.1 Soziale Hilfe und Förderung Zum Bereich der sozialen Hilfe und Förderung gehören die Grundsicherung, die Arbeitsförderung und gruppenbezogene Hilfen:

288

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

Zweck der Grundsicherung ist es, ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Abs. 1 SGB II, § 1 SGB XII). Die Grundsicherung unterteilt sich in die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II und die Sozialhilfe für alle übrigen Personen nach dem SGB. Entscheidendes Abgrenzungskriterium beider Sicherungssysteme ist die Erwerbsfähigkeit der Anspruchsteller: Erwerbsfähige unterfallen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, Nichterwerbsfähige der Sozialhilfe. Die Sicherungssysteme sind ähnlich geregelt und setzen insbesondere die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers voraus. Dabei ist die Grundsicherung für Arbeitssuchende gegenüber der Sozialhilfe vorrangig (§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II und § 21 Satz 1 SGB XII). Die Grundsicherung für Arbeitssuchende ist geprägt durch die Grundsätze der Eigenverantwortung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB II) und des Förderns und Forderns (§ 1 Abs. 2 Satz 2–4; § 2 SGB II). Die zentrale Leistung ist das Bürgergeld (§ 19 SGB II). Im Einzelnen sind die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Kap. 3 des SGB II geregelt. Das Bürgergeld hat zum 01.01.2023 das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld (sog. Hartz IV Regelungen) abgelöst. Zentrale Neuerungen des Bürgergelds sind (BT-Drs. 20/3873, S. 46 ff. und BT-Drs. 20/4600) • die Erhöhung des Regelbedarfs, • die verstärkte Förderung der Qualifizierung, Weiterbildung und Ausbildung von Arbeitssuchenden, • Karenzzeiten von einem Jahr, in denen das Vermögen des Leistungsberechtigten bis zu 40.000 e nicht in Anspruch genommen wird und die bisherigen Aufwendungen für die Unterkunft ohne Berücksichtigung der Angemessenheit übernommen werden, • ein Kooperationsplan, der auf der Grundlage einer Potenzialanalyse des Leistungsberechtigten vom Jobcenter und dem Leistungsberechtigten vereinbart wird und der das Eingliederungsziel und die wesentlichen Schritte zur Eingliederung festhält, • Abmilderungen der Sanktionen bei Pflichtverletzungen durch den Leistungsberechtigten. Die Sozialhilfe nach dem SGB XII ist das unterste Netz der sozialen Absicherung (v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 733). Anspruch auf Sozialhilfe haben nicht erwerbsfähige Personen, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu bestreiten (§ 9 SGB I). Der Anspruch entsteht, sobald die zuständige Behörde Kenntnis von der Bedürftigkeit erhält. Ein Antrag ist – anders als bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 37 Abs. 1 Satz 1

11.1 Sozialverwaltung

289

SGB II) – nicht erforderlich (§ 18 Abs. 1 SGB XII). Die Leistungen der Sozialhilfe sind in den Kap. 3–9 des SGB XII geregelt und umfassen u. a. die Hilfe zum Lebensunterhalt, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Hilfen zur Gesundheit. Auch Ausländer haben einen – allerdings eingeschränkten – Anspruch auf Sozialhilfe (§ 23 SGB XII). Keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben Asylbewerber. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht ein eigenes Leistungssystem vor. Die Arbeitsförderung zielt darauf ab (§ 1 Abs 1 SGB III), • dem Entstehen von Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, • die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen und • den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildung- und Arbeitsmarkt zu unterstützen. Die Leistungen der Arbeitsförderung unterteilen sich in aktive Arbeitsförderung und Entgeltersatzleistungen (§ 3 SGB III; v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 620 ff.). Die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sind im 3. Kapitel des SGB III geregelt und umfassen u. a. die Berufsberatung der Arbeitssuchenden und die Arbeitsmarktberatung der Arbeitgeber (§§ 29 ff., 34 SGB III), die Arbeitsvermittlung, die berufliche Aus-und Weiterbildung (§§ 56 ff., 81 ff. SGB III) etc. Für Personen unter 30 bis 35 darin besteht ein Förderungsanspruch auf Ausbildung u. a. in weiterführenden allgemeinen Schulen und Berufsfachschulen, Abendschulen und Hochschulen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), das zum Besonderen Teil des Sozialgesetzbuchs gehört (§ 68 Nr. 1 SGB I; Althammer et al. 2021, 295).Entgeltersatzleistungen sind Arbeitslosengeld und Insolvenzgeld bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Kap. 4 des SGB III; v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 634 ff.). Zentrale Leistungen gruppenbezogener Hilfen sind Familienleistungen, Kinder-und Jugendhilfe sowie Behindertenhilfe. Familienleistungen umfassen das Elterngeld nach dem Bundeselterngeld-und Elternzeitgesetz, das Kindergeld in Form eines Kinderfreibetrags in der Einkommensteuer (§ 32 EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz, das Muttergeld nach dem Mutterschutzgesetz und Unterhaltsvorschüsse für alleinerziehende Elternteile, die keine Unterhaltsleistungen vom anderen Elternteil erhalten, nach dem Unterhaltsvorschußgesetz (v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 854 ff.). Kinder- und Jugendhilfen sind sozialpädagogische Leistungen (z. B. Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege, §§ 22 ff. SGB VIII), die Kinder und Jugendliche außerhalb von Familie, Schule und Ausbildung erhalten (Althammer et al. 2021, 295 f.). Sie sind

290

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

im SGB VIII geregelt. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdungen, die ihre Entwicklung beeinträchtigen, dienen Maßnahmen nach dem Jugendschutzgesetz und dem Arbeitsschutzgesetz. Behindertenhilfe werden Personen gewährt, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind oder denen eine solche Behinderung droht (§ 10 SGB I). Die Hilfen zielen darauf ab, die Selbstbestimmung dieser Personen und ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern sowie Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (§ 1 Satz 1 SGB IX). Die Hilfeleistungen sind im SGB IX und in zahlreichen Spezialgesetzen geregelt. Das Sozialgesetzbuch hat eine bereichsübergreifende Kodifikationsfunktion. Es wird durch das Bundesteilhabegesetz in vier Stufen von 2018–2022 neu strukturiert (v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 945).

11.1.2.2 Vorsorge Kernelement des Sozialstaatsprinzips ist die gesetzliche Sozialversicherung. Jeder hat gemäß § 4 Abs 1 SGB I ein Recht auf Zugang zur Sozialversicherung. Für Beamte und freie Berufe bestehen eigenständige Versorgungssysteme. Gesetzlich versichert sind die sozialen Risiken von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, Alter und Arbeitslosigkeit. Geregelt sind die • • • • •

Gesetzliche Krankenversicherung im SGB V, Soziale Pflegeversicherung im SGB XI, Gesetzliche Unfallversicherung im SGB VII, Gesetzliche Rentenversicherung im SGB VI und die Arbeitslosenversicherung im SGB III.

Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung enthält das SGB IV. Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung gehen auf die Bismarcksche Sozialversicherungsgesetzgebung zurück; die Arbeitslosenversicherung stammt aus dem Jahre 1927 und die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt. Fast 90 % der Bevölkerung sind in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert; rd 80 % der Bevölkerung gehören der Rentenversicherung an; alle Arbeitnehmer sind in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert; in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung sind die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer versichert (Bäcker et al. 2020, 224 f.). Die Sozialversicherung beruht auf den Prinzipien der gesetzlichen Versicherungspflicht, der Beitragspflicht und der Solidarität. Sie ist eine Zwangsversicherung, die auf dem Zusammenschluss gleichartig Gefährdeter zu einer Gefahrengemeinschaft beruht. Die Versicherungspflicht ist notwendig, um einerseits einen umfassenden Schutz der Versicherten auf

11.1 Sozialverwaltung

291

der Grundlage eines Solidarausgleichs zu ermöglichen und andererseits die Allgemeinheit vor einer unzureichenden Vorsorge und Belastung durch steuerfinanzierte Sozialhilfe zu schützen, die bei einer freiwilligen Versicherung eintreten würde (Bäcker et al. 2020, 225). Anknüpfungspunkt der Versicherungspflicht ist das Beschäftigtenverhältnis der Versicherten im Sinne einer nichtselbstständigen Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Nicht versichert sind also beruflich Selbstständige. In der Krankenund Pflegeversicherung sind außerdem Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei, deren Jahresarbeitsentgelt bestimmte, durch Rechtsverordnung festgelegte Einkommensgrenzen überschreitet (§ 6 Abs. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 SGB XI).1 Allerdings können diese Personen freiwillig der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung beitreten. Die Sozialversicherung wird im wesentlichen durch lohnbezogene Beiträge finanziert, die je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber gezahlt werden (Bäcker et al. 2020, 234 f.). Lediglich in der Unfallversicherung trägt der Arbeitgeber die Beiträge allein, weil seine privatrechtliche Haftung durch die Unfallversicherung ausgeschlossen wird (§ 104 SGB VII). Weitere Finanzierungsquellen der Sozialversicherung sind Steuerzuschüsse und sonstige Einnahmen. Die staatlichen Zuschüsse machen rd ein Drittel der Finanzierung der Sozialversicherung aus (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020, 14). Die Beitragshöhe richtet sich – im Unterschied zu privaten Versicherungen – nicht nach dem versicherten, individuellen Risiko, sondern nach der Leistungsfähigkeit der Versicherten. D. h.: der Beitrag beruht auf einem bestimmten Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten, gleichgültig wie alt, krank oder pflegebedürftig er ist. Alle Versicherten erhalten dieselben Leistungen. Hinzu kommt in der gesetzlichen Krankenversicherung, dass Kinder und Ehepartner des Versicherten bei Unterschreiten bestimmter Altersbzw. Einkommensgrenzen beitragsfrei mitversichert sind. In diesen Regelungen kommt das Prinzip des solidarischen Sozialausgleichs der Sozialversicherung zum Ausdruck (v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 112; Bäcker et al. 2020, 236 ff.). Teil einer vorsorgenden Sozialpolitik ist der Arbeitnehmerschutz (Althammer et al. 2021, 143 ff.). Er umfasst den Arbeitszeitschutz, Betriebs- oder Gefahrenund Unfallschutz, Lohnschutz und den Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse. Der Arbeitnehmerschutz wird durch gesetzliche Ge- und Verbote (z. B. Verbot Die Jahresarbeitsentgeltgrenze betrug im Jahr 2021 64.350 e, § 4 Abs 1 Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2021 v. 30.11.2020, BGBl I v. 03.12.2020, S. 2612.

1

292

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

der Sonn- und Feiertagsarbeit) sowie durch Anordnungen im Einzelfall verwirklicht, deren Adressaten die Arbeitgeber sind. Letztere befinden sich insoweit in einem Befehlsempfängerverhältnis gegenüber der Sozialverwaltung. Für den geschützten Personenkreis beinhalten die Regelungen jedoch Leistungen, die z. B. die Gesundheit erhalten, Bildungsmöglichkeiten gewährleisten und die freie Entfaltung der Persönlichkeit ermöglichen.

11.1.2.3 Entschädigung Soziale Entschädigungen sind von der Sozialverwaltung zu leisten, wenn jemand einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen der Staat in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einzustehen hat (§ 5 SGB I; v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 981 ff.). Klassisches Beispiel ist die Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz, auf das zahlreiche Entschädigungsgesetze verweisen (§ 68 Nr 7 SGB I).

11.1.3 Aufbau der Sozialverwaltung Der Aufbau der Sozialverwaltung ist äußerst unübersichtlich. Folgende Grundstruktur ist sichtbar (Bossong 2010, 42 f.; Bäcker et al. 2020, 30 f.): • Die Träger der Sozialversicherung sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (§ 29 Abs. 1 SGB IV) sowie mit berufsbezogenen und regionalen Untergliederungen: – Die Kranken- und Pflegeversicherung umfasst die einzelnen Krankenkassen (z. B. Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen) mit Pflegekassen (§§ 21 Abs. 2; 21 a Abs. 2 SGB I); – die Rentenversicherung besteht aus der Deutschen Rentenversicherung mit regionalen und berufsbezogenen Untergliederungen (§ 23 Abs. 2 SGB I); – Träger der Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften (§ 22 Abs. 2 SGB I); – für die Arbeitslosenversicherung ist die Bundesagentur für Arbeit mit regionalen und örtlichen Gliederungen zuständig (§ 19 Abs. 2 SGB I). Die Sach- und Dienstleistungen der Sozialversicherungen werden überwiegend auf vertraglicher Grundlage durch private Träger erbracht. Die Sozialversicherungen unterliegen der Aufsicht des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) und der Landesversicherungsämter (§§ 91 ff. SGB IV). • Die Grundsicherung erfolgt für

11.1 Sozialverwaltung

293

– Arbeitssuchende (einschließlich Arbeitslosengeld II) durch gemeinsame Einrichtungen (Jobcenter) der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen nach Maßgabe des Landesrechts (§§ 6, 44b SGB II; v. KoppenfelsSpies 2018, Rn 728), – Sozialhilfeempfänger durch Landessozialämter, Kreise und kreisfreie Städte oder in einigen Bundesländern durch höhere Kommunalverbände (§ 3 Abs. 2 SGB XII; v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 767). • Für die Arbeitsförderung sind die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter zuständig (§ 19 Abs. 2 SGB I). • Gruppenbezogene Hilfen (z. B. Wohngeld, Jugendhilfe) werden von den Kommunen als Pflichtaufgaben wahrgenommen. Behindertenhilfen werden außerdem von der Bundesagentur für Arbeit und den Trägern der Sozialversicherung erbracht (§ 29 Abs. 2 SGB I, v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 939). • Entschädigungsleistungen (z. B. Kriegsopferfürsorge) erfolgen durch die Versorgungs- und Landesversorgungsämter in der Regel auf Kreisebene (§ 24 Abs. 2 SGB I; v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 1027).

11.1.4 Hauptprobleme der Sozialverwaltung Es ist zu unterscheiden zwischen Problemen des Sozialstaats und der Sozialverwaltung. Probleme des Sozialstaats betreffend die Konzeption und Prinzipien der Sozialpolitik. Probleme der Sozialverwaltung beziehen sich auf die Umsetzung der Sozialpolitik und den Vollzug der Sozialgesetze. Der Sozialstaat ist mit den Problemen zweier säkularer Entwicklungen konfrontiert: der Alterung der Bevölkerung und der Globalisierung der Wirtschaft (Althammer et al. 2021, 397 ff.). Die demographische Entwicklung in Deutschland ist durch einen deutlichen Rückgang der Geburtenhäufigkeit und durch einen kontinuierlichen Anstieg der Lebenserwartung gekennzeichnet. Die Geburtenhäufigkeit liegt bei 1,4 Kindern pro Frau, während die erforderliche Rate zur Bestandserhaltung der Bevölkerung 2,1 beträgt. Diese Entwicklung führt zu einem zunehmenden Bedarf an altersbedingten Sozialleistungen wie wachsende Gesundheitsausgaben und Renten für ältere Menschen. Gleichzeitig geht der Anteil der Erwerbstätigen zurück und der arbeitende Teil der Bevölkerung, der die Sozialleistungen erwirtschaften muss, wird immer stärker belastet.

294

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

Die Globalisierung führt zu einem Wettbewerb der nationalen Sozialsysteme mit der Folge, dass die wirtschaftlichen Akteure tendenziell in Gebiete mit niedrigeren Steuer-und Abgabenlasten wandern. Dies bewirkt eine Schwächung bestehender Sozialsysteme, die reagieren müssen mit der Folge, dass ein sozialpolitisches „race to the bottom“ eintreten kann (Althammer et al. 2021, 404). Der Sozialstaat befindet sich somit in der Zange von demographischen Alterungsprozessen und Globalisierungseffekten, die eine grundlegende Reform Sozialstaats unabweisbar machen. Daneben gibt es einen erheblichen Reformbedarf in der Sozialverwaltung. Schon seit den 1960er Jahren werden folgende Fehlentwicklungen der Sozialverwaltung kritisiert (Althammer et al. 2021, 391 ff.): • • • •

die die die die

Dominanz des Kausalprinzips gegenüber dem Finalprinzip, Trägervielfalt, Kompetenzzersplitterung und. fehlende Systemtransparenz.

Die Sozialverwaltung ist überwiegend nach dem Kausalprinzip organisiert; d. h. die Organisation richtet sich nach den Ursachen für Leistungen (z. B. Alter, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit etc.), nicht nach dem finalen Leistungsbedarf (v. Koppenfels-Spies 2018, Rn 984). Die Folgen sind eine Vielzahl von Leistungsträgern, Kompetenzüberschneidungen, Ungleichbehandlungen und eine hohe Intransparenz des Leistungsrechts (Klenk 2019, 80; Althammer et al. 2021, 391). Um eine wirksamere Eingliederung von Arbeitssuchenden in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, wurde das Bürgergeld zum 01.01.2023 eingeführt. Für die Sozialversicherung wird in der Literatur eine Bürgerversicherung vorgeschlagen, um die Finanzierungsprobleme aufgrund der demographischen Entwicklung und der Globalisierung zu bewältigen (Bäcker et al. 2020, 154 ff.; Althammer et al. 2021, 230). Die Bürgerversicherung sieht eine Ausweitung der Finanzierungsgrundlage der Sozialversicherung in zweifacher Hinsicht vor. Zum einen sind alle Bürger versicherungspflichtig, also auch Beamte, Selbstständige und Arbeitnehmer mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze. Zum anderen sollen alle Einkunftsarten – neben Einkommen aus unselbstständiger Beschäftigung auch Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit und Kapitaleinkünfte – der Beitragspflicht unterliegen. Die Bürgerversicherung scheint auf den ersten Blick finanzielle Entlastungseffekte für die Sozialversicherung zu bewirken. Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch, dass Einheitslösungen

11.2 Subventionsverwaltung

295

angesichts der Vielgestaltigkeit der Versicherungszweige vielfach zu keinen sinnvollen Ergebnissen führen. Beispielsweise macht eine Bürgerversicherung in der Arbeitslosenversicherung für Beamte keinen Sinn, da letzteren keine Arbeitslosigkeit droht. Ferner stehen den Mehreinnahmen der Bürgerversicherung erhebliche Mehrausgaben gegenüber, sodass finanzielle Entlastungseffekte höchst zweifelhaft sind. Nicht zuletzt würde die Einbeziehung aller Einkommensarten in die Beitragspflicht vor allem den Arbeitgebern zugutekommen, da die Beiträge allein von den Versicherten zu tragen wären, während die Arbeitgeber von niedrigeren Beitragssätzen aufgrund der erweiterten Beitragspflicht profitieren würden (Bäcker et al. 2020, 156). Inwieweit das Konzept der Bürgerversicherung sinnvoll ist, dürfte also für die einzelnen Versicherungszweige unterschiedlich zu beantworten sein.

11.2

Subventionsverwaltung

11.2.1 Subventionsbegriff Subventionen „sind vermögenswerte Leistungen einer rechtsfähigen Einrichtung der öffentlichen Hand an eine natürliche Person, eine juristische Person des Privatrechts oder – unter bestimmten Voraussetzungen – des öffentlichen Rechts ohne marktmäßige Gegenleistung zur Verwirklichung im öffentlichen Interesse liegender Ziele“ (Ziekow 2020, § 6, Rn 5). Subventionen sind eine Form der Wirtschaftsförderung (Stober und Eisenmenger 2019, Rn 763), die sich außer auf Subventionen auch auf staatliche Dienstleistungen für die Wirtschaft (z. B. im Bereich der Digitalisierung) erstreckt (Stober und Korte 2019, Rn 951). Es lassen sich fünf Subventionstypen unterscheiden (Ziekow 2020, § 6 Rn 9): • Zahlungssubventionen in Form nicht zurückzuzahlender Geldleistungen (verlorene Zuschüsse), • Darlehenssubventionen, • Gewährleistungssubventionen (z. B. Übernahme von Bürgschaften), • Realsubventionen in Form kostenloser oder vergünstigter Sachleistungen (z. B. Zurverfügungstellung von Baugrundstücken unter Verkehrswert), • Verschonungssubventionen (auch als indirekte Subventionen bezeichnet), z. B. Steuer- und Abgabenvergünstigungen.

296

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

11.2.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen Subventionsgeber sind Bund, Länder und Kommunen. Zu den Subventionen des Bundes legt die Bundesregierung alle zwei Jahre einen Subventionsbericht gemäß § 12 StWG vor. Abb. 11.2 gibt einen Überblick über Bereiche und Umfang von Subventionen des Bundes im Jahr 2022 (Bundesministerium der Finanzen 2021, 15 ff., 24 f.). Der größte Subventionsbereich ist – wie in der Vergangenheit – die gewerbliche Wirtschaft. Maßgeblich sind hierfür vor allem die Finanzhilfen im Bereich der rationellen Energieverwendung und erneuerbaren Energien. Der zweitgrößte Subventionsbereich umfasst das Wohnungswesen, wo auf Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung und auf das „Baukindergeld“ ein erheblicher Subventionsanteil entfällt. Der drittgrößte Subventionsbereich ist das Verkehrswesen, wo vor allem die Anschaffung von Nutzfahrzeugen mit klimaschonenden Antrieben und die Errichtung von Tank- und Ladeinfrastruktur subventioniert wurden. Insgesamt betrugen die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes im Jahr 2022 47,2 Mrd EUR. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird ein wesentlich größerer Subventionsumfang angegeben. So betrugen nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft die Finanzhilfen des Bundes in 2020 63,8 Mrd EUR, die

Subventionsbereiche Gewerbliche Wirtschaft

Subventionsumfang in Mrd Euro 21,9

Wohnungswesen

8,3

Verkehrsswesen

6,9

Sonstige

6,7

Ernährung und Landwirtschaft

2,7

Sparförderung

0,7

Insgesamt

47,2

Abb. 11.2 Bereiche und Umfang von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes in 2020. (Quelle: 28. Subventionsbericht des Bundes 2019–2022, S. 8,16)

11.2 Subventionsverwaltung

297

Steuervergünstigungen 67,5 Mrd EUR und die Subventionen insgesamt – einschließlich der Subventionen von Ländern und Kommunen – 206,1 Mrd EUR (Laaser und Rosenschon 2020, 10). Die unterschiedlichen Subventionszahlen beruhen vor allem darauf, dass aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht alle Finanzhilfen und Steuervergünstigungen in den Subventionsbegriff einbezogen werden, die den Wettbewerb verfälschen, die Allokation verzerren und die Marktanreize mindern können (Laaser und Rosenschon 2020, 58)2 . Demzufolge ist auch der berücksichtigte Empfängerkreis von Subventionen wesentlich größer als im Subventionsbericht des Bundes und umfasst u. a. auch halbstaatliche Organisationen wie z. B. die Gesetzliche Krankenversicherung. Rechtsgrundlage für Subventionen ist vor allem das Haushaltsgesetz in Verbindung mit dem Haushaltsplan, wobei Einzelheiten durch Subventionsrichtlinien festgelegt werden (Ziekow 2020, § 6 Rn 13). Darüber hinaus gibt es in bestimmten Bereichen auch Subventionsgesetze, z. B. das Filmförderungsgesetz. Subventionen, die den wirtschaftlichen Wettbewerb verfälschen können, unterfallen dem europäischen Beihilferecht und sind nach Art. 107 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verboten (Ziekow 2020, § 6 Rn 17 ff.). Allerdings enthält Art. 107 Abs. 2 AEUV Ausnahmen von dem Verbot. Auch kann der Rat weitere Ausnahmen einstimmig beschließen, Art. 108 Abs. 2 Satz 3 AEUV.

11.2.3 Aufbau der Subventionsverwaltung Es gibt keine spezielle Subventionsverwaltung. Subventionsgeber kann jede rechtsfähige Einrichtung der öffentlichen Hand sein (Ziekow 2020, § 6 Rn 7). Hierzu zählen Bund, Länder und Kommunen sowie andere juristische Personen des öffentlichen Rechts und juristische Personen des Privatrechts, die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts beherrscht werden. In die Abwicklung der Subventionsvergabe können private Akteure (z. B. Banken) einbezogen sein, die dadurch aber nicht zu Subventionsgebern werden.

2

Für eine Übersicht über verschiedene Subventionsabgrenzungen siehe Donges et al. (2006, 12 ff).

298

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

11.2.4 Hauptprobleme der Subventionsverwaltung Seit langem wird – vor allem von Wirtschaftswissenschaftlern – ein Abbau der Subventionen gefordert. Zur Begründung wird angeführt, dass Subventionen die Informations-, Lenkungs- und Anreizfunktionen der Preise im Markt beeinträchtigen und dadurch den wirtschaftlichen Strukturwandel hemmen, das Wirtschaftswachstum reduzieren, Arbeitsplätze vernichten und nicht zuletzt Verwaltungskosten verursachen, die häufig größer sind als der wirtschaftlich-soziale Nutzen der Subventionen (Donges et al. 2006, 9; Laaser und Rosenschon 2020, 63). Daher sind Subventionen aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht nur gerechtfertigt, wenn ein Marktversagen – z. B. infolge von Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern, natürlichen Monopolen oder negativen externen Effekten wie Umweltbeeinträchtigungen etc. – vorliegt und die Subventionen geeignet sind, ein besseres wirtschaftliches Ergebnis herbeizuführen. Die politische Praxis folgt diesen Theorieanforderungen nicht. Vielmehr verfolgt sie mit Subventionen bestimmte allokative Ziele (z. B. Förderung ökologischer, kultureller, sozialer und sonstiger Belange), stabilitätspolitische Ziele (z. B. Sicherung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsstand) und verteilungspolitische Ziele (z. B. regionale und sektorale Einkommenssicherung) (Brümmerhoff und Büttner 2018, 192 f.). Dabei wird die Subventionspolitik in erheblichem Umfang von Interessengruppen beeinflusst, was sie insgesamt höchst intransparent macht. Da die Subventionspolitik letztlich auch durch die Aussicht auf Wählerstimmen getrieben wird, dürfte das theoretische Modell des Marktversagens im politischen Prozess der Subventionsvergabe und der Aufhebung bestehender Subventionen ohne große praktische Bedeutung sein. Daher ist es für die Begrenzung neuer und den Abbau bestehender Pensionen allein sinnvoll, Transparenz und Kontrollen der Subventionspolitik zu verstärken. In diesem Sinne hat die Bundesregierung im Jahr 2015 subventionspolitische Leitlinien erlassen, die bei jeder Neueinführung oder Änderung von Subventionen zu berücksichtigen sind (Bundesministerium der Finanzen 2019, 11). Abb. 11.3 enthält die Leitlinien. Nach diesen Leitlinien sollen Finanzhilfen nur noch befristet und grundsätzlich degressiv gewährt werden. Außerdem sollen Subventionen regelmäßig auf Effektivität, Effizienz und Transparenz evaluiert werden. Schließlich sind auch bestehende Finanzhilfen nachträglich zu befristen und degressiv auszugestalten. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Subventionen künftig auch wieder abgebaut werden. Diese und gegebenenfalls strengere Subventionsrichtlinien sollten für Bund und Länder rechtlich verbindlich gemacht und in das

11.3 Zusammenfassung

299

Abb. 11.3 Subventionspolitische Leitlinien des Bundes. (Quelle: 27. Subventionsbericht des Bundes 2017–2020, S. 11)

Haushaltsgrundsätzegesetz aufgenommen werden (hierzu bereits Werner 1995, 70 ff.).

11.3

Zusammenfassung

Die Leistungsverwaltung unterteilt sich in Sozial- und Subventionsverwaltung. Aufgaben der Sozialverwaltung sind

300

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

• die Grundsicherung für Arbeitssuchende und die Sozialhilfe für alle übrigen Personen, • die Arbeitsförderung, • gruppenbezogene Hilfen (z. B. Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe), • die Sozialversicherung (Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung), • der Arbeitnehmerschutz und • soziale Entschädigungsleistungen (z. B. Kriegsopferfürsorge). Die Wahrnehmung dieser Aufgaben folgt den Grundprinzipien der Eigenverantwortung, Solidarität und Subsidiarität. Die Aufgaben sind im Sozialgesetzbuch und in zahlreichen Fachgesetzen geregelt. Träger der Sozialverwaltung sind insbesondere • die Sozialversicherungen in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts, • die Bundesagentur für Arbeit und ihre Jobcenter, die gemeinsam mit den Kommunen betrieben werden, • die Kommunen und • die Versorgungsämter. Die Hauptprobleme der Sozialverwaltung ergeben sich aus dem demographischen Wandel und der Globalisierung. Der demographische Wandel ist durch einen Rückgang der Geburtenhäufigkeit und einen Anstieg der Lebenserwartung gekennzeichnet. Der hieraus folgende Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen macht es in Zukunft zunehmend schwierig, die erforderlichen Sozialleistungen zu erwirtschaften. Die Globalisierung führt dazu, dass die wirtschaftlichen Akteure tendenziell in Gebiete mit niedrigeren Steuer- und Abgabenlasten abwandern. Dies schwächt die. bestehenden Sozialsysteme. Eine grundlegende Reform des Sozialstaats erscheint unabweisbar. Zur Subventionsverwaltung gehören alle rechtsfähigen Einrichtungen von Bund, Ländern und Kommunen, die Subventionen gewähren. Subventionen sind vermögenswerte Leistungen des Staates an Privatpersonen, die ohne marktmäßige Gegenleistung zur Verwirklichung im öffentlichen Interesse liegender Ziele erbracht werden. Zu unterscheiden sind • Zahlungsubventionen, • Darlehenssubventionen,

Literatur

301

• Gewährleistungssubventionen (z. B. Bürgschaften), • Realsubventionen (z. B. kostenlose Sachleistungen) und • Verschonungssubventionen (z. B. Steuervergünstigungen). Hauptproblem der Subventionsverwaltung ist der Abbau von Subventionen, die tendenziell die Informations-, Lenkungs- und Anreizfunktionen der Preise im Markt beeinträchtigen. Zur Begrenzung und zum Abbau von Subventionen sollen diese nach den subventionspolitischen Leitlinien des Bundes nur noch befristet und grundsätzlich degressiv gewährt werden.

Literatur Althammer, Jörg/Lampert, Heinz/Sommer, Maximilian 2021. Lehrbuch der Sozialpolitik, 10. Aufl., Berlin: Springer Gabler Bäcker, Gerhard/Naegele, Gerhard/Bispinck, Reinhard 2020. Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Bd. 1, 6. Aufl., Wiesbaden: Springer VS Boeckh, Jürgen/Huster, Ernst-Ulrich/Benz, Benjamin/Schütte, Johannes D. 2017. Sozialpolitik in Deutschland, 4. Aufl., Wiesbaden: Springer VS Bossong, Horst 2010. Sozialverwaltung, 2. Aufl., Weinheim: Juventa Brümmerhoff, Dieter/Büttner, Thiess 2018. Finanzwissenschaft, 12. Aufl., Berlin: de Gruyter Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020. Sozialbudget 2019, Bonn Bundesministerium der Finanzen 2019. 27. Subventionsbericht des Bundes 2017–2020, Berlin Bundesministerium der Finanzen 2021. 28. Subventionsbericht des Bundes 2019–2022, Berlin Donges, Juergen B./Eekhoff, Johann/Franz, Wolfgang/Fuest, Clemens/Möschel, Wernhard/Neumann, Manfred J.M. 2006. Den Subventionsabbau umfassend voranbringen, Berlin: Stiftung Marktwirtschaft Eichhorn, Peter/Friedrich, Peter/Jann, Werner/Oechsler, Walter A./Püttner, Günter/Reinermann, Heinrich 2003. Verwaltungslexikon, 3. Aufl., Baden-Baden: Nomos Klenk, Tanja 2019. Akteure der Sozialpolitik, in: Obinger, Herbert/Schmidt, Manfred G. (Hrsg.), Handbuch Sozialpolitik, Wiesbaden: Springer VS, S. 77-95 Koppenfels-Spies, Katharina von 2018. Sozialrecht, Tübingen: Mohr Siebeck Laaser, Claus-Friedrich/Rosenschon, Astrid 2020. Kieler Subventionsbericht 2020: Subventionen auf dem Vormarsch, Kiel: Institut für Weltwirtschaft Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian 2020. Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl., München: C.H. Beck Stober, Rolf/Korte, Stefan 2019. Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 19. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer Stober, Rolf/Eisenmenger, Sven 2019. Öffentliches Wirtschaftsrecht – Besonderer Teil, 17. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer

302

11

Verwaltungstyp Leistungsverwaltung

Werner, Georg 1995. Subventionsabbau – gesetzliche Zwänge schaffen, Wiesbaden: KarlBräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler Wolff, Hans J./Bachof, Otto/Stober, Rolf/Kluth, Winfried 2017. Verwaltungsrecht I, 13. Aufl., München: C.H. Beck Ziekow, Jan 2020. Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., München C.H. Beck

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

12.1

12

Begriff der öffentlichen Infrastruktur

Unter „Infrastruktur“ werden vielfach alle staatlichen und privaten Einrichtungen verstanden, die für eine ausreichende Daseinsvorsorge und für die wirtschaftliche Entwicklung eines Raumes unabdingbar sind (Eichhorn et al. 2003, 504). Diese Begriffsbildung ist konturenlos. Für die öffentliche Verwaltung empfiehlt sich die Begrenzung des Infrastrukturbegriffs auf technische, soziale und ökologische Einrichtungen, die unter die Verantwortung des Staates fallen und vom Bürger als Benutzer in Anspruch genommen werden (vgl. die Beispiele bei Wolff et al. 2017, § 4 Rn 18 ff.). Der Staat ist entweder selbst Träger und Betreiber dieser Einrichtungen oder veranlasst und beaufsichtigt die Bereitstellung dieser Einrichtungen durch Private wie z. B. bei Strom- und Gasnetzen. Technische Infrastrukturen umfassen unter anderem Verkehrswege, öffentliche Ver- und Entsorgungsnetze; soziale Infrastrukturen sind Krankenhäuser, Bildungsund Forschungseinrichtungen sowie sonstige Kultureinrichtungen; und zu den ökologischen Infrastrukturen gehören beispielsweise Abwasserentsorgungsnetze, nukleare Entsorgungsanlagen sowie unter Naturschutz gestellte Flächen und Räume. Letztere sind oben (Abschn. 10.2.1) als Teil der Umweltaufsicht im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege behandelt, da die Unterschutzstellung weniger der Nutzung durch den Bürger als vielmehr dem Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen und der Erhaltung der Funktionen des Naturhaushalts dient sowie darüber hinaus durch Ge- und Verbote geprägt ist. Eine besondere Rolle im Infrastrukturbereich spielen staatliche Planungen. Die große Herausforderung der Planung besteht darin, den Bedarf der Bevölkerung nach entsprechenden Infrastrukturangeboten und die Verfügbarkeit der knappen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_12

303

304

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Ressourcen Boden und Umwelt in Ausgleich zu bringen, um die benötigten Infrastrukturen planen, bauen und betreiben zu können. Hierbei kommt es regelmäßig zu Konflikten und gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den von den negativen Auswirkungen der Infrastruktur (z. B. Lärm) betroffenen Bürgern und den staatlichen Planungs- und Genehmigungsbehörden. Bei der Planung kann zwischen Objektplanung und gebietsbezogener Planung unterschieden werden. Objektplanungen betreffen einzelne Projekte und umfassen Entscheidungen über die Projektzulassung (Planfeststellung, Plangenehmigung) oder über die Trassenführung einzelner Verkehrswege (z. B. Linienbestimmung) und Ver- und Entsorgungsleitungen. Gebietsbezogene Planungen legen die Gestaltung und Nutzung von Flächen und Räumen fest (z. B. Bundesverkehrswegeplan, Raumordnungsplan) und betreffen zahlreiche Einzelprojekte. Für den Begriff der öffentlichen Infrastruktur ist zwischen gebietsbezogenen Plänen zu unterscheiden, die der Staat für die Verwirklichung eigener Infrastrukturmaßnahmen aufstellt (z. B. Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen), und gebietsbezogenen Plänen, die die Nutzung oder Inanspruchnahme von Flächen und Räumen durch den Bürger betreffen (z. B. Bauleitplanung). Diese Planungen sind ebenfalls als öffentliche Infrastruktur zu begreifen. Soweit sie wirtschaftliche und soziale Nutzungen durch den Bürger betreffen, sind sie zur sozialen Infrastruktur zu rechnen. Betreffen die Planungen die Nutzung oder den Schutz von Umweltgütern (z. B. Bewirtschaftungspläne für Gewässer, Landschaftspläne) handelt es sich um ökologische Infrastruktur. Abb. 12.1 gibt einen Überblick über das gebietsbezogene Planungssystem in den Bereichen, die in den folgenden Abschnitten vorgestellt werden.

12.2

Aufgaben und Rechtsgrundlagen

Die Aufgaben der öffentlichen Infrastrukturverwaltung umfassen Bau und Betrieb von Infrastruktureinrichtungen. Abb. 12.2 fasst wesentliche Infrastrukturbereiche zusammen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen und die Bereiche der technischen, sozialen und ökologischen Infrastrukturen repräsentieren.

12.2.1 Verkehrswege Verkehrswege sind für den öffentlichen Verkehr mit unterschiedlichen Verkehrsträgern bestimmt. Zu ihnen zählen Straßen, Wasserstraßen und Schienenwege. Durch die Anbindung von Umschlagplätzen wie Bahnhöfen, Flug-, See- und

Abb. 12.1 System der gebietsbezogenen Planung. (Quelle: Eigene Darstellung)

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen 305

306

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Infrastrukturbereiche

Technisch

Rechtsgrundlagen

Straßen

FStrG, FStrAbG

Schienenwege

AEG, BSWAG

Wasserstraßen

WaStrG, WaStrABG

Strom- und Gasnetze

EnWG, NABEG

Wasserversorgungsnetze

WHG, Landeswassergesetze

Bildungs- und Kultureinrichtungen

Schul-, Hochschul- und

Sozial

Kommunalrecht der Länder Gesundheitseinrichtungen

KHG

Raumordnungsplanung

ROG, BauGB

Abwasserentsorgungsnetze,

WHG, Landeswassergesetze,

Abfalldeponien

AbwAG, AbWV, KrWG,

Ökologisch

Kreislaufwirtschaftsgesetze der Länder Nukleares Endlager

StandAG

Gebietsbezogene Umweltplanung

BNatSchG, WHG, BImSchG u.a.

Abb. 12.2 Infrastrukturbereiche und Rechtsgrundlagen. (Quelle: Eigene Darstellung)

Binnenhäfen an die Verkehrswege besteht die Möglichkeit des Verkehrsträgerwechsels, wie beispielsweise von der Schiene auf die Straße. Die Verkehrswege werden durch die Verkehrsverwaltung von Bund, Ländern und Kommunen geplant, finanziert, gebaut und in Stand gehalten und sind im Verkehrsnetz miteinander verbunden. Das Verkehrssystem ist so ausgestaltet, dass an Umschlagplätzen – wie beispielsweise Häfen oder Bahnhöfen – der Verkehrsträger gewechselt werden kann (z. B. Verlagerung eines Transports von der Schiene auf die Straße). Das Grundgesetz weist in den Artikeln 87e, 89 und 90 dem Bund die Verantwortung für die Finanzierung, den Bau und den Erhalt der Bundesverkehrswege in Form von Bundesautobahnen und Bundestraßen, Bundesschienenwegen und Bundeswasserstraßen zu. Diese Verkehrswege dienen dem überörtlichen Verkehr. Die rechtlichen Rahmenregelungen für die Finanzierung, den Bau und

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

307

den Erhalt der Bundesverkehrswege ergeben sich aus den jeweiligen Fachgesetzen, wie dem Bundesfernstraßengesetz, dem allgemeinen Eisenbahngesetz, dem Bundeswasserstraßengesetz, dem Bundesfernstraßenausbaugesetz, dem Bundesschienenwegeausbaugesetz und dem Bundeswasserstraßenausbaugesetz. Die Ausbaugesetze beinhalten die Bedarfspläne, die auf der Grundlage des Bundesverkehrswegeplans erstellt wurden und Voraussetzung für die Finanzierung von Bauvorhaben durch den Bundeshaushalt sind. Das Planungssystem für die Bundesverkehrswege ist gestuft aufgebaut. Zunächst erfolgen eine verwaltungsinterne gebietsbezogene Bedarfsermittlung und vorhabenübergreifende gebietsbezogene Gesamtplanung, um diesen Bedarf zu decken. Diese dienen als Grundlagen für die vorhabenspezifischen Objektplanungen. Zur Bedarfsermittlung im integrierten Verkehrssystem wird im Zyklus von zehn bis15 Jahren ein Bundesverkehrswegeplan (BVWP) erstellt, der für einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren den Bedarf an Verkehrsinfrastruktur auf der Grundlage von Verkehrsprognosen sowie ökonomischen, ökologischen und raumordnerischen Bewertungsverfahren vornimmt (BMVI 2017, 5). Wichtigstes Ziel des BVWP ist die Absteckung des Finanzierungsrahmens für Neu-, Ausbauund Erhaltungsmaßnahmen mit Blick auf ihren Bedarf und ihre Dringlichkeit. Allerdings verfügt der BVWP weder über Gesetzescharakter noch ist er ein Finanzierungsplan, sondern dient lediglich als Ausgangspunkt für die verkehrsträgerspezifische Ausbauplanung (Kupfer 2020, Rn 84). Für die Erstellung des BVWP ist das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zuständig, welches den Ländern, Kommunen, Verkehrsträgergesellschaften (z. B. Deutsche Bahn AG) und der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Einbringung von Projektvorschlägen und zur Abgabe von Stellungnahmen einräumt. Abschließend wird der BVWP durch das Bundeskabinett beschlossen. Der Bundesverkehrswegeplan dient der Bedarfsermittlung, während die Bedarfsfeststellung in den verkehrsträgerspezifischen Ausbaugesetzen durch den Bundesgesetzgeber erfolgt (Kupfer 2020, Rn 95). Die Gesetze enthalten als Anlage die geplanten Ausbauprojekte, die alle fünf Jahre überprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen (z. B. §. 4 FStrAbG). Die gesetzliche Bedarfsplanung ermöglicht die Aufnahme der Ausbauprojekte in den Bundeshaushalt und eine Finanzierung durch den Bund. Sie ist auch die Voraussetzung für die Finanzierung von einzelnen Projekten aus dem Bundeshaushalt. Hierfür werden vom BMDV Fünfjahrespläne aufgestellt (z. B. § 5 FStrAbG), die als Grundlage für die Erstellung der jährlichen Haushaltsaufstellung dienen.

308

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Die Länder sind mit Blick auf Art. 30 GG für die Finanzierung, den Bau und den Erhalt der Landesverkehrswege zuständig. Die rechtlichen Rahmenregelungen ergeben sich aus den einschlägigen Fachgesetzen der Länder.

12.2.1.1 Straßen Öffentliche Straßen sind Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Sie werden durch die Straßenbauverwaltungen von Bund und Ländern geplant, gebaut und in Stand gehalten. Die rechtlichen Rahmenregelungen ergeben sich aus dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG), dem Fernstraßenausbaugesetz (FStrtAbG) und dem Straßen- und Wegerecht der Länder. Die Straßen teilen sich in folgende Kategorien (Leidel 2015, 233): • Bundesautobahnen sind für den weiträumigen Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt (§ 1 FStrG); • Bundestraßen mit Ortsdurchfahrten dienen dem weiträumigen Verkehr (§ 1 FStrG); • Landesstraßen verfügen über überregionale Bedeutung und bilden mit den Bundesfernstraßen (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) ein zusammenhängendes Verkehrsnetz (z. B. § 3 Abs. 2 StrWG NRW); • Kreisstraßen verfügen über überörtliche Bedeutung und dienen der zwischenörtlichen Verkehrsverbindung und dem Anschluss an das Verkehrsnetz (z. B. § 3 Abs. 3 StrWG NRW); • Gemeindestraßen dienen vorwiegend dem Verkehr innerhalb des Gemeindegebiets (z. B. § 3 Abs. 3 StrWG NRW). Der Straßenbaulastträger ist für alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straßen zusammenhängenden Aufgaben verantwortlich. Für die Bundesfernstraßen (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) ist nach § 5 Abs. 1 FStrG der Bund der Träger der Straßenbaulast. Ausgenommen hiervon sind Ortsdurchfahrten durch Gemeinden mit mehr als 80.000 Einwohnern, für die die Gemeinde nach § 5 Abs. 2 FStrG die Baulast trägt. Für Landesstraßen ist das Land Träger der Straßenbaulast (z. B. § 43 Abs. 1 StrWG NRW), für Kreisstraßen der Kreis oder die kreisfreie Stadt (z. B. § 43 Abs. 1 StrWG NRW) und für Gemeindestraßen die Gemeinde (z. B. § 47 Abs. 1StrWG NRW). Die vorhabenbezogene Planung und Genehmigung des Baus und Ausbaus für Straßen erfolgt auf Antrag des Baulastträgers bei den zuständigen Behörden. Das Verfahren für Bundesfernstraßen richtet sich nach dem Bundesfernstraßengesetz in Verbindung mit den Planungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes. Das Verfahren für Landesstraßen, Kreisstraßen und Gemeindestraßen richtet sich nach

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

309

dem Straßenrecht der Länder in Verbindung mit den Planungsvorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder. Das Verfahren für Bundesfernstraßen ist gestuft. Zunächst wird auf Antrag des Vorhabenträgers (Träger der Bundesfernstraßen) ein Raumordnungsverfahren nach § 15 ROG durchgeführt. Hierbei prüfen die zuständigen Landesbehörden die Raumverträglichkeit der geplanten Ausbauvorhaben unter überörtlichen Gesichtspunkten, um ernsthaft in Betracht kommende Trassenverläufe zu identifizieren. In dieses Verfahren werden die betroffenen Gemeinden, Behörden und die Öffentlichkeit eingebunden. Im Rahmen von Raumordnungsverfahren muss das Vorhaben auch einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach §§ 15 ff. UVPG unterzogen werden, um bereits in diesem Planungsstadium erhebliche Umweltbeeinträchtigungen zu vermeiden oder anderweitig berücksichtigen zu können. Das Raumordnungsverfahren endet mit der raumordnerischen Beurteilung des Vorhabens in Form eines verwaltungsinternen Gutachtens, das im nachfolgenden Planungsprozess berücksichtigt werden muss (Kupfer 2020, § 72 Rn 97 ff.). Anschließend wird nach § 16 FStrG durch das Fernstraßenbundesamt im Benehmen mit den Landesplanungsbehörden die Linienführung des Vorhabens bestimmt, die einen Trassenkorridor für den endgültigen Verlauf des Vorhabens festgelegt. Abschließend wird auf Antrag des Vorhabenträgers das Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungsverfahren nach §§ 17 FStrG i. V. m. §§ 72–78 VwVfG durch das Fernstraßen-Bundesamt durchgeführt, das verbindlich den endgültigen Verlauf der Trasse innerhalb des Korridors festlegt. In das Planfeststellungsverfahren sind die betroffenen Gemeinden, Behörden und Bürger eingebunden. Im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens muss auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung des Vorhabens durchgeführt werden, um Umweltbeeinträchtigungen zu vermeiden oder zu vermindern. Die Rahmenregelungen ergeben sich aus dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG). Das Verfahren wird durch einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung durch das Fernstraßen-Bundesamt beendet. Der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung können als Verwaltungsakt durch betroffene Dritte angefochten werden (Schoch 2021, Rn 62), weshalb es regelmäßig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der Planung zwischen Planfeststellungsbehörden und betroffenen Bürgern kommt. Die Feststellung des Bedarfs durch den Gesetzgeber führt dazu, dass die fachgerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses auf die Rechtmäßigkeit beschränkt wird und Fragen des Bedarfs ausgeklammert werden können (Kupfer 2020, Rn 121).

310

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Landesstraßen und Kreisstraßen bedürfen ebenfalls der Planfeststellung durch die zuständigen Landesbehörden (z. B. § 38 Abs. 1 StrWG NRW). Gemeindestraßen können im Rahmen der örtlichen Bebauungsplanung (s. u. Abschn. 12.2.5) durch die Gemeinden geplant werden (z. B. § 38 Abs. 5 StrWG NRW).

12.2.1.2 Schienenwege Schienenwege werden durch Eisenbahnen genutzt, um öffentliche Eisenbahnverkehrsdienste zum Transport von Personen und Gütern zu erbringen. Nach Art. 87e Abs. 3 GG ist der Bund Träger der Eisenbahnen des Bundes und für den Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes verantwortlich. Die rechtlichen Rahmenregelungen hierfür ergeben sich aus dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) und Schienenwegeausbaugesetz (BSWAG). Der Eisenbahnverkehr ist wie andere Sektoren auch (z. B. Strom- und Gasversorgung) aufgrund EU-rechtlicher Vorgaben liberalisiert worden, weshalb der Bund seine Schienenwege auch für private Wettbewerber zur Verfügung stellen muss. Die regulatorischen Rahmenregelungen hierfür ergeben sich aus dem Eisenbahnregulierungsgesetz (EReG). Neben den Eisenbahnen des Bundes übernehmen Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) den Betrieb von Schienenanlagen und Eisenbahnverkehrsdiensten im Regional-, Stadt- oder Vorortverkehr, die durch Kreise, kreisfreie Städte oder Zweckverbände betrieben werden (z. B. § 3 ÖPNVG NRW). Die rechtlichen Rahmenregelungen hierfür ergeben sich aus den Landesgesetzen über den öffentlichen Nahverkehr (z. B. ÖPNVG NRW) und den Landesplanungsgesetzen (z. B. LPlG NRW). Wie beim Bundesverkehrswegeplan werden für den ÖPNV auf der Landesebene Bedarfspläne aufgestellt, die der vorhabenübergreifenden gebietsbezogenen Ausbau- und Finanzierungsplanung durch die Länder dienen (vgl. § 7 ÖPNVG NRW). Die Planfeststellung, Plangenehmigung oder Bauleitplanung erfolgt durch die zuständigen Landesbehörden oder Gemeinden. Die vorhabenbezogene Planung und Genehmigung des Baus und Ausbaus der Bundesschienenwege ist – wie bei den Bundesfernstraßen – gestuft geregelt. Zunächst wird ebenfalls ein Raumordnungsverfahren zur Festlegung eines Trassenkorridors auf Antrag des Vorhabenträgers durchgeführt. Auf den Ergebnissen des Raumordnungsverfahrens baut dann das Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren nach § 18 bzw. § 18b AEG auf. Im Gegensatz zu den Bundesfernstraßen findet kein Linienbestimmungsverfahren zwischen Raumordnungsund Planfeststellungsverfahren statt. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Planfeststellungsvorhaben bei größeren Vorhaben regelmäßige mehrere Jahre in Anspruch nehmen (Ziekow et al. 2018, 152 ff.).

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

311

12.2.1.3 Binnenwasserstraßen Öffentliche Binnenwasserstraßen dienen dem Verkehr mit Güter- und Fahrgastschiffen sowie der Sport- und Freizeitschifffahrt. Die größeren und länderübergreifenden Binnenwasserstraßen unterliegen der Trägerschaft des Bundes. Die rechtlichen Rahmenregelungen für die Bundeswasserstraßen ergeben sich aus dem Wasserstraßengesetz (WaStrG) und Wasserstraßenausbaugesetz (WaStrABG). Die Bundeswasserstraßen sind in Anlage 1 des WaStrG aufgeführt. Die Länder sind Träger der schiffbaren Landesgewässer. Die Rahmenregelungen hierfür ergeben sich aus dem jeweiligen Landeswassergesetz (z. B. § 118 LWG NRW). Wie bei den anderen Bundesverkehrswegen ist der Aus- und Neubau von Bundeswasserstraßen ebenfalls gestuft geregelt und lässt sich wie bei den Bundesfernstraßen in Raumordnungsverfahren, Linienbestimmung nach § 13 WaStrG und Planfeststellung oder Plangenehmigung nach § 14 oder 14b WaStrG aufteilen. Auf der Landesebene ist der Gewässerausbau für die Schifffahrt ebenfalls planfeststellungspflichtig (z. B. § 107 LWG NRW).

12.2.2 Strom- und Gasversorgungsnetze Strom- und Gasversorgungsnetze werden durch private oder kommunale Unternehmen gebaut und betrieben, die für den Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau verantwortlich sind und diesen durch Nutzungsentgelte finanzieren. Die Übertragungsnetze für Strom und die Fernleitungsnetze für Gas befinden sich überwiegend in privater Eigentümerschaft. Lediglich die TransnetBW GmbH ist als hundertprozentige Tochter der EnBW AG ein Übertragungsnetzbetreiber in öffentlicher Hand. Der Bau und Betrieb der Übertragungsnetze und Fernleitungsnetze erfolgt durch die Eigentümer. Bei den Übertragungsnetzbetreibern erfolgt die Planung des Aus- und Neubaus der Infrastruktur im Verbund zwischen den Eigentümern und der Bundesnetzagentur (s. u. und Abb. 12.1). Die rechtlichen Rahmenregelungen für die Energieversorgung ergeben sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) sowie den darauf beruhenden Verordnungen und dem Bauordnungsund Kommunalrecht der Länder. Die Netze der Energieversorgung sind in Übertragungsnetze (Strom), Fernleitungsnetze (Gas) und Verteilnetze (Strom und Gas) unterteilt und zur flächendeckenden Versorgung miteinander verbunden (Held und Wiesner 2015, 148 ff.). Die Übertragungs- und Fernleitungsnetze sind für die überörtliche

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Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Versorgung zuständig und transportieren Strom und Gas von den Erzeugungsstandorten bzw. Importpunkten zu den Verteilnetzen, an die die Verbraucher angeschlossen sind. Die Energieversorgung ist durch die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte gekennzeichnet. Das bedeutet, dass die Verbraucher ihre Energie nicht mehr vom örtlichen Energieversorger beziehen müssen, sondern ihren Anbieter frei wählen können. Die Netzbetreiber sind verpflichtet, jedermann gegen eine angemessene Gebühr an ihr Netz anzuschließen und ihre Netze diskriminierungsfrei allen Versorgern zu Verfügung zu stellen. Netzzugangsbedingungen und Netzentgelte (Netznutzungsgebühren) werden durch die Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der Länder reguliert. Die rechtlichen Rahmenregelungen hierfür ergeben sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz, dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz und den daraus hervorgegangen Netzzugangs- und Netzentgeltverordnungen. Die Netzbetreiber sind verpflichtet, Verbraucher an ihre Netze anzuschließen (§ 17 EnWG). Mit Blick auf die Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG entscheiden die Gemeinden selbst, ob sie ein Verteilnetz durch ein eigenes Unternehmen betreiben oder dies privaten Unternehmen überlassen wollen. Das Eigentum am Netz, der Betrieb und die Pflicht zum Ausbau werden durch die Gemeinden in so genannten Konzessionsverträgen geregelt (vgl. u. a. Wessel 2014, 912 ff.; Held und Wiesner 2015, 179 ff.). Die Vergabe dieser Verträge erfolgt nach den Rahmenregelungen der §§ 46 ff. EnWG. Ihre Laufzeit ist nach § 46 Abs. 2 EnWG auf maximal 20 Jahre beschränkt. Die Genehmigung des Ausbaus von kommunalen Verteilnetzen erfolgt nach dem Bauordnungsrecht der Länder und nach der kommunalen Bauleitplanung (Held und Wiesner 2015, 370 f.). Der Ausbau von Hochspannungs- und Fernleitungsnetzen ist nach § 43 EnWG planfeststellungspflichtig. Wie bei der Verkehrswegeplanung ist das Verfahren gestuft (siehe Abb. 12.1). Zunächst wird, wie beim Bundesverkehrswegeplan, der gebietsbezogene Netzausbaubedarf ermittelt und festgelegt. Die Bedarfsermittlung erfolgt hierbei im Verbund zwischen den Übertragungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur (Bauer 2017, 127 ff.; Held und Wiesner 2015, 349 ff.). Nach § 12a EnWG erstellen die Übertragungsnetzbetreiber unter Beteiligung der Öffentlichkeit alle zwei Jahre für die Bedarfsermittlung einen Szenariorahmen, der unterschiedliche Entwicklungspfade für den Bedarf der nächsten 15 Jahre abdeckt. Der Szenariorahmen muss durch die BNetzA genehmigt werden (§ 12a Abs. 3 EnWG) und dient als Grundlage für die Entwicklung des Netzentwicklungsplans durch die Übertragungsnetzbetreiber. Der Netzentwicklungsplan wird ebenfalls alle zwei Jahre unter Beteiligung der Öffentlichkeit aufgestellt und soll alle erforderlichen Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung und Verstärkung des Ausbaus der Übertragungsnetze beinhalten (§ 12b EnWG). Er

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

313

muss ebenfalls durch die BNetzA genehmigt werden und dient als Grundlage für den Bundesbedarfsplan. Dieser wird alle vier Jahre durch die Bundesregierung dem Gesetzgeber vorgelegt (§ 12e EnWG), der im Bundesbedarfsplan den Bedarf feststellt. Insofern bestehen hier Parallelen zu den Ausbaugesetzen auf der Grundlage des Bundesverkehrswegeplans (s. o. Abschn. 12.2.1). Die vorhabenspezifische Planung erfolgt für länderübergreifende und grenzüberschreitende Vorhaben im Rahmen der Bundesfachplanung und Planfeststellung durch die Bundesnetzagentur. Bei Vorhaben, die Landesgrenzen nicht überschreiten erfolgt die Planfeststellung oder Plangenehmigung durch die zuständigen Planungsbehörden der Länder. Die Rahmenregelungen hierfür ergeben sich aus dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Dieses sieht ein besonderes Raumordnungsverfahren zur Bestimmung der Trassenkorridore vor, das als Bundesfachplanung bezeichnet wird. Wie beim Raumordnungsverfahren wird auch die Bundesfachplanung auf Antrag des Vorhabenträgers (§ 6 NABEG) und unter Beteiligung von Fachbehörden und Öffentlichkeit durchgeführt (§ 9 NABEG). Wie die Ergebnisse des Raumordnungsverfahrens und der Linienbestimmung bei der Verkehrswegeplanung erzeugt auch das Ergebnis der Bundesfachplanung keine unmittelbare Außenwirkung gegenüber Privaten (§ 15 Abs. 3 NABEG). Allerdings haben die Entscheidungen der Bundesfachplanung Vorrang gegenüber der staatlichen und kommunalen Gesamtplanung (§ 15 Abs. 1 NABEG) und werden im Bundesnetzplan (§ 17 NABEG) festgehalten. Auf den Ergebnissen der Bundesfachplanung baut das abschließende Planfeststellungsverfahren auf, das ebenfalls auf Antrag des Vorhabenträgers unter Beteiligung von Fachbehörden und Öffentlichkeit durch die Bundesnetzagentur durchgeführt wird und mit dem Planfeststellungsbeschluss endet (§ 24 NABEG). Zur Beschleunigung des Verfahrens und zur Abmilderung von Konflikten soll die umfassende und frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit beitragen (Bauer 2015, 273). Für Netzausbauvorhaben bei Übertragungsnetzen, die nicht über das Gebiet eines Bundeslandes hinausreichen, werden – wie bei den Bundesverkehrswegen – auf Antrag des Vorhabenträgers Raumordnungsverfahren und Planfeststellungsverfahren durch die zuständigen Planungsbehörden der Länder durchgeführt (Held und Wiesner 2015, Rn 957 ff.).

12.2.3 Wasserversorgungsnetze Der Rechtsrahmen für die Planung, Errichtung und den Betrieb der Wasserversorgungsnetze ergibt sich aus dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und den

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Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Wassergesetzen der Länder. Nach § 50 WHG ist die öffentliche Wasserversorgung eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Die Länder haben hierzu in ihren Wassergesetzen die Gemeinden verpflichtet (z. B. § 38 Abs. 1 LWG NRW). Die Gemeinden können die Versorgung durch eigene oder private Unternehmen durchführen lassen (z. B. § 38 Abs. 1 LWG NRW). Dies wird wie bei den Verteilnetzen für Strom- und Gas durch Konzessionsverträge geregelt (vgl. Schröder 2017, 504 ff.). Im Regelfall erfolgt die Versorgung durch Eigenbetriebe der Gemeinden oder kommunale Zweckgemeinschaften (Köck 2012, 146 f. und ders. 2015, 8). Während im liberalisierten Energie- und Telekommunikationsbereich der Anbieter frei gewählt werden kann, der über die verbundenen Netzstrukturen die Versorgung übernimmt, besteht bei der Wasserversorgung ein Anschluss- und Benutzungszwang der Gemeindemitglieder zu Gunsten des kommunalen Versorgers (Erbguth et al. 2015, Rn 266 ff.), der durch Gemeindesatzungen festgelegt wird (vgl. § 114a GO NRW). Der Ausbau der Wasserversorgungsnetze erfolgt auf der Grundlage des Bauordnungsrechts der Länder und der kommunalen Bauleitplanung.

12.2.4 Abwasserentsorgungsnetze, Abfallentsorgungsanlagen Der Rechtsrahmen für die Planung, Errichtung und den Betrieb von Abwasserentsorgungsnetzen ergibt sich aus dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG), dem Abwasserabgabengesetz (AbwAG) und den Wassergesetzen der Länder. Ergänzt wird das WHG durch die Abwasserverordnung (AbwV), welche allgemeine Anforderungen an den Stand der Technik bei der Entsorgung und Vorgaben zu Analyse- und Messverfahren enthält. Das Abwasserabgabengesetz legt den bundesweit einheitlichen Rechtsrahmen für die Erhebung von Abwasserabgaben für die Entsorgung fest. Nach § 56 WHG ist die Abwasserbeseitigung von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorzunehmen, die hierzu durch Landesrecht verpflichtet sind. Die Länder haben hierzu in ihren Wassergesetzen die Gemeinden verpflichtet (z. B. § 46 Abs. 1 LWG NRW). Nach § 56 Satz 3 WHG können sich die Verpflichteten zur Erledigung ihrer Pflichten Dritter bedienen (Köck 2015, 3 f). Im Regelfall erfolgt die Entsorgung wie die Versorgung durch Eigenbetriebe oder Zweckgemeinschaften der Gemeinden (Köck 2012, 146 f.; Köck 2015, 8). Ebenso besteht ein Anschluss- und Benutzungszwang zu Gunsten des kommunalen Entsorgers (Erbguth et al. 2015, Rn 266 ff.), der durch Gemeindesatzungen festgelegt wird (vgl. § 114a GO NRW). Der

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

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Ausbau der Abwasserentsorgungsnetze erfolgt ebenfalls auf der Grundlage des Bauordnungsrechts der Länder und der kommunalen Bauleitplanung. Der Rechtsrahmen für die Planung, Errichtung und den Betrieb von Abfallentsorgungsanlagen ergibt sich aus dem Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (KrWG) und den Kreislaufwirtschaftsgesetzen der Länder. Nach § 15 KrWG ist der Erzeuger oder Besitzer von Abfällen verpflichtet, diese zu beseitigen. Für die Beseitigung von Abfällen aus Privathaushalten ist nach § 20 KrWG der öffentlichrechtliche Entsorgungsträger verantwortlich. Die Länder haben diese Aufgabe den Kreisen und kreisfreien Städten übertragen (z. B. § 5 LKrWG NRW). Diese sind nach § 21 KrWG verpflichtet, ein Abfallwirtschaftskonzept über die Verwertung, Wiederverwendung und Beseitigung der in ihrem Gebiet anfallenden Abfälle zu erstellen. Sie können nach § 22 KrWG Dritte mit der Entsorgung beauftragen. Die Planung von Abfallentsorgungsanlagen erfolgt in einem gestuften Verfahren. Ausgangspunkt sind nach § 30 KrWG die Abfallwirtschaftspläne der Länder, die den Bedarf an Abfallentsorgungsanlagen für die nächsten zehn Jahre darstellen müssen und die zugelassenen Abfallentsorgungsanlagen und die Flächen, die für Deponien und andere Formen der Abfallbeseitigung geeignet sind, ausweisen müssen. Darauf aufbauend kann die Errichtung und der Betrieb von einzelnen Abfallentsorgungsanlagen durchgeführt werden. Hierfür ist nach § 35 Abs. 1 KrWG eine Genehmigung nach den Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und für Deponien nach § 35 Abs. 2 KrWG eine Planfeststellung durch die zuständige Behörde erforderlich.

12.2.5 Nukleares Endlager Einen besonderen Fall der Infrastrukturplanung im Rahmen der Abfallentsorgung ist die Suche nach einem geeigneten Endlager für hochradioaktive Abfälle. Die Gefährlichkeit dieser Abfälle stellt besondere Anforderungen an den möglichen Endlagerstandort. Ziel ist es, für einen möglichst langen Zeitraum das Austreten von radioaktiven Stoffen in die Umwelt zu verhindern, sodass ein möglicher Austritt erst erfolgt, wenn das Strahlungsniveau des radioaktiven Abfalls dem Strahlungsniveau der Umwelt entspricht. Dies erfordert nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine unterirdische Einlagerung in Gesteinsschichten, die einen möglichen Eintritt von Grundwasser ausschließen. Das Endlager muss nach der Einlagerung so verschlossen werden, dass ein Austritt radioaktiver Stoffe aufgrund von Naturkatastrophen oder einer ungewollten Freilegung durch den Menschen so weit wie möglich ausgeschlossen werden kann. Der mögliche

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Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Standort soll nach § 23 Standortauswahlgesetz (StandAG) Mindestanforderungen für einen sicheren Einschluss des strahlenden Materials für eine Million Jahre gewährleisten. Aus diesem Grund kommen nur bestimmte Wirtsgesteine (Steinsalz, Tongestein und Kristallingestein) in Betracht. Für die Standortsuche wurden im Rahmen des Standortauswahlgesetzes neue Instrumente der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung für den Auswahlprozess eingerichtet (Haug und Zeccola 2018: 75 f.; Bauer 2017: 127.), die die Akzeptanz des Verfahrens und der Entscheidung erhöhen sollen. Hierzu gehört die Einrichtung eines unabhängigen nationalen Begleitgremiums sowie von Fach- und Regionalkonferenzen in den in Betracht kommenden Standortregionen, um die unterschiedlichen öffentlichen und privaten Interessen in den Auswahlprozess einzubinden (§§ 8–11 StandAG). Für das Standortauswahlverfahren ist das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zuständig (§ 4 StandAG). Das Verfahren ist schrittweise angelegt, um zunächst geeignete Standortregionen, dann in Betracht kommende Standorte und am Ende den am besten geeigneten Standort zu bestimmen. Im Gegensatz zu anderen Standortauswahlverfahren wird hierbei kein reguläres Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Die Standortentscheidung soll stattdessen nach § 20 StandAG durch Bundesgesetz erfolgen. Im Ergebnis führt dies zu einer erheblichen Reduktion der Rechtsschutzmöglichkeiten von betroffenen Gemeinden und Anwohnern. Nach § 17 Abs 3 Satz 3 StandAG und § 2 Abs 1 UmwRG können diese und nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigungen gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, der den Abschluss des Verfahrens feststellt und den Standortvorschlag an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit beinhaltet, in erster und letzter Instanz beim Bundesverwaltungsgericht klagen.

12.2.6 Bildungs- und Kultureinrichtungen Im Bereich der sozialen Infrastrukturen spielen Bildungs- und Kultureinrichtung eine zentrale Rolle. Mit wenigen Ausnahmen verfügt der Bund im Bereich Bildung und Kultur über keine eigenen Kompetenznormen, weshalb die Infrastrukturen in diesem Bereich unter die Verantwortung der Landesgesetzgebung und der Landes- und Kommunalverwaltung fallen (Winkler 2018, 2187). Ausnahmen stellen beispielsweise Art. 91b und 104c GG dar, die ein mögliches Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre mit überregionaler Bedeutung und Finanzhilfen des Bundes

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

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zur Steigerung der Leistungsfähigkeit kommunaler Bildungsinfrastruktur vorsehen. Diese Zusammenarbeit ist Gegenstand von gemeinsamen Förderprogrammen (Seckelmann 2021, Rn 83 ff.). Die Trägerschaft im Bildungsbereich bestimmt sich nach den Schul- und Hochschulgesetzen der Länder. Im Schulbereich sind im Regelfall die Gemeinden Träger der öffentlichen Schulen (z. B. § 78 Abs. 1 SchulG NRW) und im Hochschulbereich die Länder Träger der öffentlichen Hochschulen (z. B. § 2 Abs. 1 HG NRW). Daneben gibt es auch Schulen und Hochschulen in privater bzw. nicht-staatlicher Trägerschaft. Während beim Betrieb von privaten Schulen und Hochschulen wirtschaftliche Motive hinter dem Betrieb stehen, stehen bei anderen nicht-staatlichen Trägern, die auch als freie Träger bezeichnet und häufig als gemeinnützige Vereine betrieben werden, bestimmte pädagogische und wertebezogene Motive hinter dem Schul- und Hochschulbetrieb (z. B. Waldorfschulen). Die Träger sind wie bei den technischen Infrastrukturen für Planung, Ausbau und Finanzierung der Bildungseinrichtungen verantwortlich. Im Bereich der öffentlichen Schulen erfolgt die Schulentwicklungsplanung durch die benachbarten Schulträger, um ein gleichmäßiges alle Schulformen und -arten umfassendes Bildungs- und Ausbildungsangebot sicherzustellen (z. B. § 80 SchulG NRW). Sie bedarf der Genehmigung durch die zuständige Schulaufsichtsbehörde des Landes (z. B. § 81 SchulG NRW). Die Finanzierung des öffentlichen Schulwesens wird von Ländern und Kommunen gemeinsam getragen. Die Kommunen tragen im Regelfall die Sachkosten und die Kosten für das nicht-lehrende Personal, während das Land die Personalkosten der Lehrkräfte trägt (KMK 2019, 81). Der Bau und Ausbau von Schulen erfolgt auf der Grundlage des Bauordnungsrechts der Länder und der kommunalen Bauleitplanung. Zur Steuerung des Hochschulwesens erfolgt die Hochschulentwicklungsplanung durch die zuständigen Landesministerien (z. B. § 6 HG NRW). Hierbei werden Ziele, Schwerpunktsetzungen und Aufgabenverteilungen festgelegt, die durch die Hochschulen wahrgenommen werden. Die Finanzierung wird überwiegend durch die Länder getragen, wobei der Bund sich an unterschiedlichen Hochschulförderprogrammen beteiligt (KMK 2019, 87 ff.). Der Bau und Ausbau von Hochschulen erfolgt ebenfalls auf der Grundlage des Bauordnungsrechts der Länder und der kommunalen Bauleitplanung. Grundsätzlich sind die Kommunen mit Blick auf ihre Selbstverwaltungsgarantien nach Art. 28 Abs. 2 GG in der Lage, öffentliche Kultureinrichtungen selbst einzurichten und zu betreiben. Kommunen übernehmen deshalb für öffentliche Kultureinrichtungen wie beispielsweise öffentliche Schwimmbäder, Theater oder Bibliotheken die Planungs-, Finanzierungs-, Bau- und Instandhaltungsverantwortung. Neben den Kommunen übernehmen die Länder selbst auch die Planungs-,

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Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Finanzierungs-, Bau- und Instandhaltungsverantwortung für öffentliche Kultureinrichtungen wie beispielsweise Museen oder Landesbühnen.

12.2.7 Krankenhäuser Die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern wird durch öffentliche und private Krankenhausträger wahrgenommen. Krankenhäuser sind über das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in ein gesetzliches Planungsund Finanzierungssystem eingebunden (Chandna-Hope 2020, 81). Dieses verpflichtet die Länder in § 6 KHG zur Aufstellung von Krankenhausplänen und Investitionsprogrammen, um den Bedarf zu decken. Diese Vorgaben werden in den Krankenhausgesetzen der Länder weiter konkretisiert. Für die Aufstellung und Fortschreibung der Pläne sind die Gesundheitsministerien verantwortlich (vgl. § 12 Abs. 1 KHG NRW). Hieraus ergeben sich Vorgaben für die regionale Verteilung der Versorgungsangebote in den Flächenländern (vgl. § 13 KHG NRW), die dann mithilfe regionaler Planungskonzepte konkretisiert werden (vgl. § 14 KHG NRW). Diese Konzepte werden beispielsweise in Nordrhein-Westfalen von den Krankenhausträgern, Verbänden der Krankenkassen und den Bezirksregierungen ausgehandelt, mit den Kommunen beraten und anschließend durch das Ministerium genehmigt und in den Krankenhausplan aufgenommen (Partnerschaft Deutschland 2019, 94). Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan aufgenommen worden sind, haben einen Rechtsanspruch auf Erstattung ihrer Investitionskosten (Partnerschaft Deutschland 2019, 95).

12.2.8 Raumordnungsplanung Neben der konkreten Fachplanung von technischen Infrastrukturen wird in Deutschland auch eine fachübergreifende und überörtliche Gesamtplanung durchgeführt, um die unterschiedlichen Anforderungen an den Raum aufeinander abzustimmen und auftretende Konflikte auszugleichen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ROG). Grundsätzlich gliedert sich die Gesamtplanung in vier unterschiedliche Planungsebenen: Bundesraumordnung, Raumordnung der Länder, Regionalplanung und Bauleitplanung (siehe Abb. 12.1). Diese Planungen entfalten bis auf den Bebauungsplan in der Bauleitplanung keine Rechtsverbindlichkeit nach außen und erzeugen nur verwaltungsinterne Bindungswirkung. Allerdings geben sie einen

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

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Planungsrahmen vor, der in der Fachplanung im Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren durch die zuständigen Behörden berücksichtigt werden muss. Während die unteren Planungsebenen raumbezogene Pläne in ihrem Zuständigkeitsbereich erstellen, formuliert der Bund im Raumordnungsgesetz allgemeine Leitvorstellungen und Grundsätze für die nachgeordnete Raumplanung auf der Landesebene (Scholl et al. 2007, 20). Der Bund selbst ist lediglich für die raumbezogene Planung des Seegebiets, das von der 12-Seemeilen-Zone bis zur maximal 200-Seemeilen-Grenze reicht, zuständig, das als ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) bezeichnet wird. Ein Grundproblem der Leitvorstellungen und Grundsätze besteht darin, dass es keine Prioritäten und Rangstufen gibt und Zielkonflikte bestehen, die im Planungsprozess im Sinne einer nachhaltigen Raumordnung abgewogen werden müssen (Battis 2017, Rn 86). Nach allgemeinem Verständnis gelten die Leitvorstellungen und Grundsätze des Raumordnungsgesetzes (ROG) nur im staatsinternen Bereich und müssen durch die jeweiligen Planungsträger auf den unterschiedlichen Planungsebenen in raumbezogenen Planungen konkretisiert werden (Battis 2017, Rn 90). Private Akteure können durch die Grundsätze weder berechtigt noch verpflichtet werden, noch können sie aus ihnen Ansprüche auf ein bestimmtes Planungsergebnis ableiten. Im Ergebnis ist ein Raumordnungsplan einer nachgeordneten Planungsebene nur ermessensfehlerfrei, wenn er in seiner Gesamtheit die Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung widerspiegelt (Weiland und Wohlleber-Feller 2007, 51). In § 7 formuliert das Raumordnungsgesetz (ROG) allgemeine Anforderungen an die Raumordnungspläne auf Bundes- und Landesebene. Sie entsprechen den Anforderungen, die das Baugesetzbuch für die Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung der Bauleitplanung in den §§ 2–10 BauGB regelt. Nach § 7 ROG sind für einen bestimmten Planungszeitraum rechtsverbindliche Ziele und Grundsätze der Raumordnung zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung der Nutzung und Funktion des Raumes aufstellen. Dies schließt Festlegungen zur Raumstruktur ein, indem für bestimmte Gebiete raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen vorgesehen sind (Vorranggebiete), vorbehalten bleiben sollen (Vorbehaltsgebiete) oder geeignet sind (Eignungsgebiete). Nach § 13 Abs. 1 ROG sind die Länder zur Aufstellung eines übergeordneten und zusammenfassenden Raumordnungsplans für ihr Gebiet verpflichtet. Diese haben hierfür landesweite Programme (Mecklenburg-Vorpommern, RheinlandPfalz, Sachsen-Anhalt), Landesentwicklungspläne (Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen) oder Landesentwicklungsprogramme (Hessen) aufgestellt, um zentrale Orte, Achsen, Freiraumstrukturen, Standorte

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Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

und Trassen festzulegen (Battis 2017, Rn 94). In den Stadtstaaten übernimmt ein Flächennutzungsplan nach § 5 BauGB die Funktion des Raumordnungsplans für das Land (§ 13 Abs. 1 ROG). Unterhalb der landesweiten Raumordnungspläne sind in den Flächenländern Raumordnungspläne für die Teilräume zu erstellen, die als Regionalpläne bezeichnet werden (§ 13 Abs. 1 ROG). Diese Regionalpläne sind in verdichteten Räumen nach § 13 Abs. 3 ROG länderübergreifend aufzustellen, um länderübergreifende Verflechtungen in dicht besiedelten Räumen wie der RheinMain-Region zu berücksichtigen. Die Regionalpläne sind aus dem landesweiten Raumordnungsplan zu entwickeln und aufeinander abzustimmen. Die Regionalplanung wird in einigen Ländern als rein staatliche Aufgabe und in anderen Ländern als gemeinsame Aufgabe des Staats und der sich selbst verwaltenden Kommunen verstanden, da die Regionalplanung die kommunale Bauleitplanung beeinflusst (Battis 2017, Rn 98). Träger der Planung können entweder regionale Planungsgemeinschaften sein, die aus Gemeinden oder Gemeindeverbänden bestehen, oder staatliche Stellen, die Gemeinden und Gemeindeverbände im Planungsprozess zu beteiligen haben. Den rechtlichen Rahmen und die Organisation regeln die Landesplanungsgesetze der Länder (Scholl et al. 2007, 26). In Mecklenburg-Vorpommern werden Regionalpläne als Rechtsverordnungen durch die Landesregierung erlassen, in Niedersachsen und Sachsen werden sie als Satzungen (vgl. § 5 Abs. 5 Nds ROG; § 7 Abs. 2 LPlG SA) durch die kommunalen Planungsverbände der Regionalplanung erlassen, die durch die Landesplanungsbehörde genehmigt werden müssen, während sie in Rheinland-Pfalz, Thüringen und Nordrhein-Westfalen nach Genehmigung durch die Landesplanungsbehörde und in Hessen nach Genehmigung durch die Landesregierung verkündet werden (Battis 2017, Rn 100). Insofern erfüllen nicht alle Regionalpläne die Anforderungen, die an nach außen wirksame Rechtsätze gestellt werden, aber sie unterscheiden sich in ihrer Verbindlichkeit deutlich von den Grundsätzen der Raumordnung (Battis 2017, Rn 100). Die unterste Ebene der Gesamtplanung ist die kommunale Bauleitplanung, die von den Gemeinden in eigener Verantwortung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung aufgestellt werden (§ 2 Abs. 1 BauGB). Die Bauleitplanung ist zweistufig angelegt und besteht aus Flächennutzungs- und Bebauungsplänen (Scholl et al. 2007, 28). Im Flächennutzungsplan wird zunächst die Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde festgelegt (§ 5 Abs. 1 BauGB). Der Flächennutzungsplan verfügt nur über eine verwaltungsinterne Rechtswirkung und dient als Grundlage für die Entwicklung des rechtsverbindlichen Bebauungsplans. Der Flächennutzungsplan bedarf der Genehmigung der kommunalen Aufsichtsbehörde, um im Rahmen der kommunalen

12.2 Aufgaben und Rechtsgrundlagen

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Rechtsaufsicht die Vereinbarkeit mit den Planungen auf den übergeordneten Ebenen sicherstellen zu können (Battis 2017, Rn 131). Der Bebauungsplan legt die Art und das Maß der baulichen Nutzung für eine Teilfläche der Gemeinde fest und gilt für jedes einzelne Grundstück (Scholl et al. 2007, 28).

12.2.9 Gebietsbezogene Umweltplanung Im Rahmen des europäisierten Umweltrechts haben sich gebietsbezogene Formen der Umweltplanung in Form von umweltspezifischen Programmen und Plänen etabliert, die den Bürger als Umweltnutzer vor unterschiedlichen Umweltbeeinträchtigungen schützen und den Umweltzustand verbessern sollen (siehe Abb. 12.1). Diese Planungen binden die Infrastrukturverwaltung wie ein Regional- oder Flächennutzungsplan und sind bei anderen gebiets- oder vorhabenbezogenen Planungsentscheidungen zu berücksichtigen (Sparwasser und Engel 2010, 1513). Im Bereich des Lärmschutzes sind nach § 47d BImSchG die zuständigen Behörden der Länder verpflichtet, für Orte in der Nähe von Hauptverkehrsstraßen und Ballungsräume Lärmkarten aufzustellen und auf dieser Grundlage Lärmaktionspläne zur Regelung von Lärmproblemen und Lärmauswirkungen aufzustellen. Im Bereich der Luftreinhaltung sind nach § 47 BImSchG bei der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten durch die zuständigen Behörden Luftreinhaltepläne zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen und nach § 28 der 39. BImSchV Aktionspläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufzustellen. Im Bereich der Kreislaufwirtschaft sieht § 33 KrWG vor, dass der Bund ein Abfallvermeidungsprogramm erstellt, das Abfallvermeidungsziele und maßnahmen umfassen soll. Die Länder können sich an diesem Programm beteiligen oder müssen – sofern sie sich nicht beteiligen – eigene Abfallvermeidungsprogramme aufstellen. Darüber hinaus sind die Länder nach § 30 KrWG verpflichtet, überörtlichen Abfallwirtschaftspläne zur Abfallvermeidung aufzustellen, die neben Zielen und Maßnahmen der Abfallvermeidung auch die zugelassenen Abfallentsorgungsanlagen und die Flächen für Deponien ausweisen. Im Bereich der Wasserbewirtschaftung sind nach § 82 und § 83 WHG für Flussgebietseinheiten Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne durch die zuständigen Behörden aufzustellen, um die umweltbezogenen Bewirtschaftungsziele des WHG umzusetzen.

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Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Im Bereich des Naturschutzes sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) Landschaftsprogramme, Landschaftsrahmenpläne, Landschaftspläne und Grünordnungspläne aufzustellen. Nach § 10 Abs. 1 BNatSchG können die überörtlichen Ziele, Erfordernisse und Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf der Landesebene in Landschaftsprogrammen festgelegt werden, die wie Raumordnungsprogramme für den Naturschutz und die Landschaftspflege wirken (s. o. Abschn. 12.2.8). Nach § 10 Abs. 2 BNatSchG sind darauf aufbauend Landschaftsrahmenpläne für alle Teile des Landes aufstellen, die die Ziele, Erfordernisse und Maßnahmen des Naturschutzes für diesen Teil des Landes konkretisieren. Während die Aufstellung von Landschaftsrahmenprogrammen für die Länder optional ist, müssen sie Landschaftsrahmenpläne aufstellen, soweit das Landschaftsrahmenprogramm nicht schon diese Funktion übernimmt (vgl. § 10 Abs. 2 BNatSchG). Die Landschaftsprogramme und Landschaftsrahmenpläne sind nach § 10 Abs. 4 BNatSchG mindestens alle zehn Jahre fortzuschreiben. Für die örtliche Ebene sind nach § 11 Abs. 1 BNatSchG die Landschaftsrahmenpläne in Landschaftsplänen durch die Gemeinden zu konkretisieren. Die Gemeinden sind verpflichtet, diese Pläne aufzustellen, wenn wesentliche Veränderungen von Natur und Landschaft im Planungsraum eingetreten, vorgesehen oder zu erwarten sind (§ 11 Abs. 2 BNatSchG). In den Stadtstaaten kann auf die Aufstellung von Landschaftsplänen verzichtet werden, wenn die Landschaftsprogramme oder Landschaftsrahmenpläne ihre Funktion erfüllen (§ 11 Abs. 5 BNatSchG). Landschaftspläne sind wie Landschaftsprogramme und Landschaftsrahmenpläne nach § 11 Abs. 4 BNatSchG mindestens alle zehn Jahre zu überprüfen und sofern erforderlich fortzuschreiben. Für Teile des Gemeindegebiets können nach § 11 Abs. 6 BNatSchG Grünordnungspläne aufgestellt werden, die zur Freiraumsicherung, Gestaltung des Ortsbildes und der grünen Infrastruktur genutzt werden können.

12.3

Aufbau der Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen

Träger von Infrastrukturverwaltung sind Bund, Länder und Kommunen. Ihre Zuständigkeit für die Planung, Einrichtung und den Betrieb von Infrastrukturen ergibt sich aus den infrastrukturspezifischen Rechtsgrundlagen in Verbindung mit den Zuständigkeiten im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht. Bund, Länder und Kommunen sind nicht nur Träger der Infrastrukturverwaltung, sondern auch Träger von Infrastrukturen. Hierzu richten sie Körperschaften oder

12.3 Aufbau der Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen

323

Anstalten des öffentlichen Rechts, Eigenbetriebe oder privatrechtlich organisierte Trägergesellschaften ein.

12.3.1 Aufbau der technischen Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen Im Bereich der technischen Infrastrukturverwaltung ist der Bund zuständig für die Verwaltung und den Betrieb der Bundesverkehrswege, mit Ausnahme der Bundesstraßen, die durch die Länder weiterhin in Auftragsverwaltung betrieben werden. Die letzte große Reform bei den Bundesverkehrswegen erfolgte 2017 durch die Änderung von Art. 90 GG, die zur Überführung der Bundesautobahnverwaltung von der Bundesauftragsverwaltung durch die Länder in die bundeseigene Verwaltung zum 1. Januar 2021 geführt hat (Faßbender 2021, 296). Nach Art. 90 Abs. 4 GG können die Länder beantragen, dass der Bund auch die Verwaltung für die Bundesstraßen übernimmt. Dies haben bislang nur die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen gemacht, sodass in diesen Ländern der Bund auch für den Betrieb und die Verwaltung der Bundesstraßen verantwortlich ist (Kohls und Gerbig 2020, 1081). Die Aufsicht und Planfeststellung erfolgt durch verkehrsträgerspezifische Bundesoberbehörden in Form des Fernstraßen-Bundesamts (FBA) und das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) sowie der Bundeswasserstraßenverwaltung, die durch die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) geleitet wird. In den Planungs- und Genehmigungsprozess sind das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) und die Planungsbehörden der Länder eingebunden. Abb. 12.3 gibt hierzu einen Überblick. Träger der Bundesverkehrswege sind für die Autobahnen die Autobahn GmbH des Bundes, für die Bundesschienenwege die Deutsche Bahn AG, und für die Bundeswasserstraßen die Bundeswasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Die Bundesstraßen werden durch die Länder im Auftrag des Bundes verwaltet, sofern sie nicht beantragt haben, dass der Bund diese Aufgabe übernimmt. Unabhängig von der Organisationsform ist der Bund alleiniger Eigentümer der Bundesverkehrswege. Der Bund darf die deutsche Autobahn GmbH nicht veräußern und auch keine Dritten mit Anteilen an dieser Gesellschaft beteiligen (Art. 90 Abs. 2 GG). Bei der Deutschen Bahn AG darf der Staat Anteile an Dritte veräußern, ist aber verpflichtet, die Mehrheit der Anteile zu halten (Art. 87e Abs. 3 GG).

324

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Abb. 12.3 Zuständigkeiten im Planungsprozess für die Bundesverkehrswege. (Quelle: Eigene Darstellung)

Für die Verwaltung und den Betrieb der Landesverkehrswege sind die Länder zuständig. Die Planfeststellung erfolgt durch die Landesbehörden, der Betrieb durch Landesbetriebe wie beispielsweise der Landesbetrieb Straßenbau NRW. Für die Verwaltung und den Betrieb der Kreis- und Gemeindestraßen sind die Straßenbauverwaltungen in den Kommunalverwaltungen verantwortlich. Im Bereich der Energieversorgungsnetze erfolgt die Verwaltung durch Bundes, Landes- und Gemeindeverwaltung. Die Bundesnetzagentur und die zuständigen Landesplanungsbehörden beaufsichtigen und genehmigen den Ausbau der Übertragungs- und Fernleitungsnetze. Die Vergabe von Konzessionen für

12.3 Aufbau der Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen

325

Verteilnetze und die Aufsicht über ihren Ausbau erfolgt durch die Kommunalverwaltung. Abb. 12.4 zeigt die Zuständigkeiten im Planungsprozess im Bereich der Übertragungsnetze. Der Betrieb von Übertragungs-, Fernleitungs- und Verteilnetzen wird durch privatrechtlich organisierte Unternehmen übernommen, die sich teilweise oder vollständig in staatlicher Hand befinden. Gerade im Bereich der Verteilnetze nehmen kommunale Unternehmen (Stadtwerke) eine zentrale Rolle ein (Podszun und Palzer 2015, 1497 f.). Für die Planung und Gewährleistung der Wasserversorgung ist die Kommunalverwaltung verantwortlich. Der Bau und Betrieb wird im Regelfall durch kommunale Eigenbetriebe, Unternehmen oder Zweckgemeinschaften wahrgenommen.

12.3.2 Aufbau der Umweltinfrastrukturverwaltung und Trägerstukturen Für die Planung und Gewährleistung der Abwasserentsorgung ist die Kommunalverwaltung verantwortlich. Der Bau und Betrieb wird im Regelfall durch kommunale Eigenbetriebe, Unternehmen oder Zweckgemeinschaften wahrgenommen. Die überörtliche Planung der Abfallentsorgung erfolgt durch die Landesverwaltung in Form von Abfallwirtschaftsplänen, die im Regelfall durch die Umweltministerien der Länder aufgestellt werden. Für die Planung und Gewährleistung der kommunalen Abfallentsorgung ist die Kreisverwaltung oder bei kreisfreien Städten die Gemeindeverwaltung zuständig. Im Regelfall wird die private Abfallentsorgung als Dienstleistungskonzession an private Unternehmen vergeben, die sich um die Einrichtung und den Betrieb von Entsorgungsanlagen kümmern. Im Bereich der Suche nach einem nuklearen Endlager ist das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung die Behörde, die die Verantwortung für den Standortauswahlprozess trägt, während die Bundesgesellschaft für die Endlagerung als Vorhabenträger das Endlager planen und betreiben wird. Im Bereich der gebietsbezogenen Umweltplanung werden durch die zuständigen Umweltbehörden der Länder Lärmaktionspläne, Luftreinhaltepläne sowie Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne für Flussgebietseinheiten aufgestellt. Hierfür sind entweder die örtlich zuständigen Mittelbehörden (z. B.

326

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Abb. 12.4 Zuständigkeiten im Planungsprozess für die Übertragungsnetze. (Quelle: Eigene Darstellung)

12.4 Hauptprobleme der Infrastrukturverwaltung

327

Bezirksregierungen) oder spezialisierte Mittelbehörden (z. B. Landesumweltämter) zuständig. Bei der gestuften Landschaftsplanung sind für die Landschaftsprogramme die Umweltministerien der Länder, für die Landschaftsrahmenpläne die zuständigen Mittelbehörden und für die Landschaftspläne und Grünordnungspläne die Gemeinden zuständig.

12.3.3 Aufbau der sozialen Infrastrukturverwaltung und Trägerstrukturen Im Bereich der sozialen Infrastrukturen liegt die Versorgungsverantwortung auf der Ebene der Länder und Kommunen. Die Planung und Genehmigung erfolgen durch die zuständige Landes- und Kommunalverwaltung. Auch wenn die Versorgungsverantwortung bei den Ländern und Kommunen liegt, beschränkt sich ihre Trägerschaft auf den Bereich der Schulen, Hochschulen und Landeskrankrenhäuser und Universitätskliniken, während der Großteil der sozialen Infrastruktur durch Wohlfahrtsverbände und private Akteure betrieben wird (Winkler 2018, 2187).

12.3.4 Aufbau der Gesamtplanungsverwaltung Die Gesamtplanung wirkt sich auf die gesamte Infrastrukturplanung aus und schränkt die Planungsspielräume in der Fachplanung und von Vorhabenträgern ein. Sie erstreckt sich über alle Verwaltungsebenen, auf denen Bundes-, Landesund Kommunalverwaltung unterschiedliche Planungsaufgaben im Rahmen der Gesamtplanung wahrnehmen. Abb. 12.5 liefert hierzu einen Überblick.

12.4

Hauptprobleme der Infrastrukturverwaltung

12.4.1 Substanzerhalt und Ausbau der Infrastruktur Die größte Herausforderung im Bereich der Infrastrukturverwaltung ist der Erhalt der vorhandenen Infrastruktursubstanz und der bedarfsgerechte Ausbau mit Ausblick auf zu erwartende Entwicklungen. Dies erfordert einen kreislaufartigen Verlauf von Bedarfsermittlung, Planung und Sanierung. Betrachtet man beispielsweise den Straßenverkehr, dann bewegen sich heute deutlich mehr und schwerere Fahrzeuge auf den Straßen als noch vor 30 Jahren. Zahlreiche Fahrbahnen,

328

Ebene

12

Planungsebene Bundesplanung

Planungsinstrumente Raumordnungs -plan (AWZ)

Landesplanung

Landesweite Programme und Pläne

Regionalplanung

Regionalpläne

Bauleitplanung

Flächennutzun gspläne

Bund

Länder

Kommunen

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

Inhalte

Zuständigkeit

Festlegung der Ziele der Raumordnung für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone (§ 17 ROG) Festlegung der Ziele der Raumordnung (§ 13 Abs. 1 ROG i.v.m Planungsrecht der Länder) Konkretisierung der Ziele der Raumordnung und Festlegung der reg. Flächennutzungsp läne auf der Grundlage von landesweiten Plänen oder Programmen (§ 13 Abs. 2 ROG i.v.m Planungsrecht der Länder) Festlegung der Art der Bodennutzung unter Beachtung der Regionalplanung (§ 13 Abs. 2 ROG i.v.m Planungsrecht der Länder)

Bundesministerium des Innern und für Heimat

Landesregierungen

Landesplanungsbeh örde oder regionale Planungsgemeinsch aften

Gemeinde

Abb. 12.5 Organisation der Raumplanung. (Quelle: Eigene Darstellung)

12.4 Hauptprobleme der Infrastrukturverwaltung

329

Brücken und Tunnel sind für andere Belastungen ausgelegt worden und nutzen deutlich schneller ab als ursprünglich angenommen. Im Herbst 2022 waren von rund 22.000 Brücken auf deutschen Autobahnen rund 4.000 Brücken sanierungsbedürftig, wobei pro Jahr rund 400 weitere Brücken hinzukommen und deutlich weniger Sanierungsvorhaben abgeschlossen werden, weshalb die Zahl in den letzten Jahren deutlich angewachsen ist (Bundesregierung 2022, 1). Sanierungsmaßnahmen finden bei mehr oder minder laufendem Betrieb statt, weshalb sie im Infrastrukturbereich regelmäßig zur Beeinträchtigung der Nutzer führen. Streckenabschnitte mit zahlreichen Talbrücken sind davon besonders betroffen, weshalb es hier mitunter zu größeren Beeinträchtigungen kommt.

12.4.2 Planungsbeschleunigung Ein Dauerproblem bei der Verwirklichung von Infrastrukturprojekten sind die langen Planungszeiten. Bereits in den 1970er Jahren wurden Debatten über Ansätze zur Beschleunigung des Planungsprozesses für Großprojekte geführt (Groß 2021, 75). Mit Blick auf das gestufte Planungssystem vergehen oftmals Jahrzehnte von der Bedarfsermittlung bis zur Planfeststellung von konkreten Vorhaben. Die Planfeststellung selbst kann sich über mehrere Jahre erstrecken (Ziekow 2018, 152 ff.). Zur Beschleunigung wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Anpassungen des Planungs- und Verwaltungsprozessrechts vorgenommen, um das Verfahren zu straffen. So wurden Planungsaufgaben auf die Bundesebene verlagert, um diese in einer Behörde zu bündeln (z. B. im Bereich der Fernstraßen und Übertragungsnetze). Wichtige Infrastrukturprojekte sollen in den nächsten Jahren durch den Bundestag in Form von Maßnahmengesetzen zugelassen werden. Im Ergebnis schränkt die Planung durch Gesetz die Rechtschutzmöglichkeiten von Betroffenen ein, um langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zu reduzieren (Groß 2021, 78; Ziekow 2020, 681 f.). Fraglich ist, ob dies tatsächlich zu einer Beschleunigung führt, da es bislang kaum empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Ursachen gibt (hierzu Ziekow 2020, 685) und man sich in der Diskussion auf die rechtlichen Grundlagen versteift (Groß 2020, 76). Es gibt Anzeichen, dass der Großteil der Verzögerungen nicht durch Probleme des Planungsrechts entstehen, sondern Personalprobleme bei Planungsbehörden, Vorhabenträgern und Gutachtergesellschaften sowie ein fehlendes Qualitäts- und Vorgangsmanagement größere Auswirkungen haben (Ziekow et al. 2018, 72 ff.).

330

12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

12.4.3 Akzeptanz der Planung und Genehmigung Neben der Planungsdauer ist die Akzeptanz von Infrastrukturprojekten ein weiteres Problem, das zu lokalen Widerständen und langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen führen kann. Alle wollen Infrastruktur nutzen, aber niemand möchte gerne auf eine Übertragungsleitung oder einen Windpark schauen oder neben einer Abfallbeseitigungsanlage wohnen. Zum Synonym für Akzeptanzprobleme ist das Projekt „Stuttgart 21“ geworden, da es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen bei Baubeginn zwischen Demonstranten und Landespolizei gekommen ist. Eine der Lehren, die man hieraus gezogen hat, war, dass man die Öffentlichkeit stärker in die gestuften Planungsprozesse einbinden muss, um das Verständnis für die Planungsergebnisse zu verbessern (Antweiler 2019, 29). Ein Beispiel hierfür ist das Planungsrecht für Übertragungsnetze oder die gesetzliche Regelung der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle (Bauer 2017, 127 ff.). Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass diese Beteiligung nicht zum erhofften Verständnis bei den Betroffenen führt (Bauer 2015, 273 ff.), da diese nicht an komplexen Bedarfsermittlungen und den Kriterien der Standortauswahl interessiert sind, sondern in erster Linie wissen wollen, ob sie von den Planungen konkret betroffen sind oder nicht und wie sich ggf. dagegen wehren können. Insofern scheint gerade eine Trendwende einzusetzen und die Rolle der Öffentlichkeit im Planungsprozess wieder stärker beschränkt zu werden, da man sich davon eine Beschleunigung verspricht (Antweiler 2019, 30). Sollte die Transformation der Energieversorgung zu größeren Landschaftsveränderungen durch Windparks führen, dann wird sicherlich auch das Thema Widerstand gegen Infrastrukturprojekte und Möglichkeiten zur Steigerung der Akzeptanz wieder in den Vordergrund rücken.

12.5

Zusammenfassung

Als Infrastruktur werden technische, soziale und ökologische Einrichtungen verstanden, die unter die Verantwortung des Staates fallen und vom Bürger als Benutzer in Anspruch genommen werden. Beispiele hierfür sind Verkehrswege (technische Infrastrukturen), Schulen und Hochschulen (soziale Infrastrukturen) oder Abfalldeponien (ökologische Infrastrukturen). Der Staat ist entweder selbst Betreiber dieser Einrichtungen oder veranlasst und beaufsichtigt ihre Bereitstellung durch Private.

Literatur

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Eine besondere Rolle im Infrastrukturbereich spielen staatliche Planungen. Die große Herausforderung der Planung besteht darin, den Bedarf der Bevölkerung nach entsprechenden Infrastrukturangeboten und die Verfügbarkeit der knappen Ressourcen Boden und Umwelt in Ausgleich zu bringen, um die benötigten Infrastrukturen planen, bauen und betreiben zu können. Hierbei kommt es regelmäßig zu Konflikten und gerichtlichen Auseinandersetzungen, weshalb die großen Reformthemen der letzten Jahre die Planungsbeschleunigung und die Verbesserung der Akzeptanz von Planungs- und Genehmigungsprozessen waren. Hinzu kommt, dass sich die Infrastruktur teilweise in einem schlechten Zustand befindet und der Substanzerhalt zunehmend zum Problem wird, wenn man sich beispielsweise den Zustand von Autobahnbrücken anschaut.

Literatur Antweiler, Clemens 2019. Planungsbeschleunigung für Verkehrsinfrastruktur – Rückabwicklung der Lehren aus „Stuttgart 21“, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 38, S. 29–33 Battis, Ulrich 2017. Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 7. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer Bauer, Christian 2015. Stiftung von Legitimation oder Partizipationsverflechtungsfalle: Welche Folgen hat die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Stromnetzausbau?, Der moderne Staat 8., S. 273–293 Bauer, Christian 2017. Entpolitisierung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren für Energiewendeprojekte? In: Schomaker, Rahel (Hrsg.), Die europäische Energiewende, Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft Nr. 104, Berlin: De Gruyter Oldenbourg, S. 127–148 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2017. Bundesverkehrswegeplan 2030, online abrufbar unter: https://www.bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Publikationen/ G/bundesverkehrswegeplan-2030-gesamtplan.pdf?__blob=publicationFile, Zugang am 14.12.2022 Bundesregierung 2022. Antwort auf die Kleine Anfrage DIE LINKE. Brückenmodernisierung an Bundesautobahnen, BT-Drs. 20/3812 vom 04.10.2022 Chandna-Hoppe, Katja 2020. Grundstrukturen des Krankenhausfinanzierungsrechts, Neue Zeitschrift für Sozialrecht29, S. 81–84 Eichhorn, Peter/Friedrich, Peter/Jann, Werner/Oechsler, Walter A./Püttner, Günter/Reinermann, Heinrich 2003. Verwaltungslexikon, 3. Aufl., Baden-Baden: Nomos Erbguth, Wilfried/Mann, Thomas/Schubert, Matthias 2015. Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Heidelberg: C.F.Müller Faßbender, Kurt 2021. Die Reform der Bundesfernstraßenverwaltung: nunmehr verfassungsrechtlich abgesichert?, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 40, S. 296–299 Groß, Thomas 2021. Beschleunigungsgesetzgebung – Rückblick und Ausblick, Zeitschrift für Umweltrecht 31, S. 75–80

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12

Verwaltungstyp Infrastrukturverwaltung

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Verwaltungstyp Koproduktion

13.1

13

Begriff der Koproduktion

Der Verwaltungstyp Koproduktion hat in den letzten 20 Jahren besondere Aufmerksamkeit gefunden, seitdem sich die Bürgerinnen und Bürger zunehmend in öffentlichen Angelegenheiten engagieren, z. B. im Umweltschutz oder Sozialbereich. Unter Koproduktion von öffentlicher Verwaltung und Zivilgesellschaft werden wirkungsorientierte Formen der Zusammenarbeit verstanden, die nicht auf staatlichen Regulierungen oder Anreizen beruhen und die darauf angelegt sind, die gemeinsamen Fähigkeiten, Ressourcen und Stärken im Interesse aller Beteiligten besser zu nutzen, um erwünschte Wirkungen oder Effizienzgewinne zu erzielen (vgl. Löffler et al. 2015, 12 ff.; Löffler 2021, 27). Es gibt vielfältige Formen des Zusammenwirkens von öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren. Nicht alle Formen unterfallen dem Begriff der Koproduktion. Letztere beruht auf Freiwilligkeit des Handelns der Bürgerinnen und Bürger und wird nicht vom Staat veranlasst. Demzufolge gehören zur Koproduktion nicht Formen des Zusammenwirkens, die staatlich angeordnet, reguliert oder durch wirtschaftliche und sonstige Anreize veranlaßt sind. Der Staat kann im Rahmen von Anordnungen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes die Erledigung bestimmter Aufgaben auf private Akteure abwälzen, indem er ihnen bestimmte Handlungs- und Leistungspflichten auferlegt (Ibler 2022, Rn 120). Die unfreiwillig Verpflichteten werden so zur privatrechtlichen Besorgung öffentlicher Aufgaben herangezogen. Sie bekommen hierfür keine Hoheitsrechte übertragen, und ihr Handeln wird nicht der öffentlichen Verwaltung zugeordnet, aber die Aufgabenerledigung steht unter staatlicher Aufsicht (Zellenberg 2017, 142). Die sogenannte Indienstnahme ist in bestimmten Sektoren – wie dem Energiesektor – verbreitet, um die Versorgungssicherheit

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5_13

335

336

13

Verwaltungstyp Koproduktion

sicherzustellen. Beispiele hierfür sind die Verpflichtungen zur Brennstoffbevorratung und Beibehaltung der Betriebsbereitschaft von Ersatzkraftwerken durch die Übertragungsnetzbetreiber nach § 50b EnWG oder von Füllstandvorgaben für die Gasspeicherbetreiber nach §§ 35a ff. EnWG, die durch die Bundesnetzagentur überwacht werden (Ludwigs 2022, 1086 ff.). Im Rahmen der Regulierung erzeugt der Staat ebenfalls durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmte Handlungs- und Leistungspflichten für private Akteure, die gewährleisten, dass bestimmte Dienstleistungen erbracht oder technische Infrastrukturen betrieben und ausgebaut werden. Dies gilt für privatisierte Dienstleistungen wie den Postbetrieb oder die Telekommunikation und ebenso für die Regulierungsaufsicht (s. o. 9.2.2) bei netzgebundenen Infrastrukturen, um den Wettbewerb auf den Versorgungsmärkten zu ermöglichen. Dies schließt auch die Zusammenarbeit zwischen privaten Akteuren und staatlichen Behörden bei der Planung des Infrastrukturausbaus ein. Ein Beispiel hierfür wäre die Kooperation zwischen den Übertragungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur bei der Planung des Stromnetzausbaus (s. o. 12.2.2). Unter den Begriff Koproduktion fallen ebenfalls nicht Formen der Zusammenarbeit von öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren, die durch wirtschaftliche und andere Anreize des Staates veranlasst wurden (vgl. u. a. Sicilia et al. 2016, 9; Löffler et al. 2015, 13; Osborne et al. 2021, 648). Hierzu gehören beispielsweise Beleihungen, Verwaltungshilfe (s. o. 4.1.2) oder Öffentlich-PrivatePartnerschaften (s. o. 4.6.3). Die Zusammenarbeit wird in diesem Fällen dadurch vorangetrieben, dass Private für ihre Handlungen und Leistungen, an denen sie kein genuines Interesse haben, in irgendeiner Form kompensiert werden. Dies kann durch eine unmittelbare Leistungsvergütung oder die Möglichkeit zur Erzeugung von Einnahmen erfolgen. Beispielsweise darf der beliehene Technische Überwachungsverein (TÜV) nach bestandener Hauptuntersuchung Prüfplaketten für Kraftfahrzeuge ausstellen und hierfür Gebühren von den Kraftfahrzeughaltern verlangen. Ein Abschleppunternehmen, das als Verwaltungshelfer der Polizei tätig wird, bekommt seine Kosten durch den Fahrzeughalter oder die Polizei erstattet. Der private Partner in einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft verfolgt langfristige wirtschaftliche Interessen, die sich aus Gebühren oder anderen vertraglich geregelten Einnahmequellen ergeben können. Schließlich ist die reine Selbsthilfe durch die Zivilgesellschaft als Alternative zur staatlichen Aufgabenerfüllung auch nicht als Koproduktion zu verstehen, weshalb rein ehrenamtliches Engagement keine Form der Koproduktion darstellt. Wenn also ein privater Verein kostenlose Verpflegung für wohnungslose Menschen auf der Straße anbietet, dann liegt keine Koproduktion vor. Koproduktion ist die gezielte Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft (Abt

13.2 Bereiche der Koproduktion

337

2022, 253). Mit Blick auf das vorige Beispiel würde eine Form der Koproduktion vorliegen, wenn die Kommunalverwaltung eine Wohnungslosenunterkunft zur Verfügung stellen würde und der Betrieb dieser Unterkunft und die Versorgung von wohnungslosen Menschen durch einen privaten Verein übernommen wurde. In diesem Fall würden Kommune und Zivilgesellschaft bei der Versorgung von Wohnungslosen zusammenarbeiten. Allgemein ist festzustellen, dass Koproduktion dann vorliegt, wenn die Motivation zur Zusammenarbeit auf privater Seite nicht durch die Angst vor Sanktionierung bei der Nichtbefolgung von Anordnungen oder Regulierungsvorgaben oder durch rein wirtschaftliche Interessen hervorgerufen wird, sondern wenn ein genuines Interesse an der gemeinsamen Aufgabenerledigung mit der öffentlichen Verwaltung besteht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein privater Verein, der sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, in Zusammenarbeit mit der Ausländerverwaltung Geflüchtete bei Behördengängen unterstützt und begleitet. Der Verein hat kein Interesse daran, mit dieser Tätigkeit einen wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen, sondern möchte die Verwaltungsgänge und -verfahren für Geflüchtete erleichtern (Abt 2022, 255 ff.). Die Ausländerbehörden haben ein Interesse an der Zusammenarbeit mit solchen Vereinen, da diese den Umgang mit Geflüchteten erleichtern und mögliche Missverständnisse in der Kommunikation und im Verwaltungsverfahren verhindern. Auch wenn das Phänomen der Koproduktion nicht neu ist, ist es erst in den letzten Jahren in den Fokus der verwaltungswissenschaftlichen Forschung gerückt, weshalb es bislang nur wenige allgemeine Erkenntnisse über die Erscheinungsformen, Voraussetzungen und Erfolgsbedingungen von Koproduktionsstrukturen gibt, die sich vor allem auf Einzelfallstudien aufbauen (Bovaird und Löffler 2020, 711).

13.2

Bereiche der Koproduktion

Die öffentliche Verwaltung kann in vielen Bereichen ihre Aufgaben nicht allein wahrnehmen, da sie keinen Überblick über die tatsächliche Problemsituation und den Kreis der Betroffenen hat und außerdem nicht überall über die Informationen und Ressourcen verfügt, um angemessene Lösungen entwickeln und umsetzen zu können. Beispielsweise hat eine Kommunalverwaltung nur Kenntnis über wohnungslose Menschen, die sich registrieren lassen und öffentliche Wohnungslosenunterkünfte nutzen. Die tatsächliche Zahl der wohnungslosen Menschen in der Kommune kann durch die Kommunalverwaltung nur abgeschätzt werden. Rein behördliche Hilfsangebote werden durch wohnungslose Menschen nur

338

13

Verwaltungstyp Koproduktion

selten in Anspruch genommen, da Angst oder Scham eine direkte Kontaktaufnahme erschweren. Insofern sind Kommunalverwaltungen in diesem Bereich auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft angewiesen, die im Bereich der Wohnungslosenhilfe unterstützen. Gerade im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge spielt die Koproduktion eine zentrale Rolle, indem freie Wohlfahrtsverbände, Genossenschaften, Vereine, soziale Netze oder Einzelpersonen als Bestandteil eines staatlich-privat organisierten Wohlfahrtmixes sich um die Belange von pflegebedürftigen, behinderten oder armutsbedrohten Personen kümmern und unterschiedliche Unterstützungsleistungen wie Beratung, Verpflegung, Fahrdienste oder soziale Interaktionen in Koproduktion mit staatlichen Akteuren anbieten (Abt 2022, 257). Einige Beispiele für Koproduktion sind: • Der gemeinsame Betrieb eines Vereins zur Unterstützung von suchtkranken Menschen durch Kommunalverwaltungen und Akteure des Dritten Sektors (Rappen 2022, 294). • Die Schulung von Seniorinnen und Senioren durch die Polizei als Sicherheitsberater für andere Senioren, um Trickdiebstählen und Trickbetrügereien vorzubeugen sowie die eigene Wohnung einbruchssicherer zu gestalten (Löffler et al. 2015, 30). • Die Vermittlung von Mentorinnen und Mentoren durch die Kommunalverwaltung, um Jugendliche beim Übergang von der Schule in die Lehre zu unterstützen (Löffler et al. 2015, 47). • Öffentliche Förderprogramme, die kommunale Projekte von Kindern und Jugendlichen zur Freizeitgestaltung unterstützen, wie die Errichtung von Skateparks (Löffler et al. 2015, 20). Die Formen, in denen Koproduktion stattfinden können, reichen vom Mitsteuern (Festlegung von Zielen und Prioritäten bei der Leistungserbringung), über das Mitentwickeln (Identifikation von Lösungsansätzen) und Mitumsetzen (Umsetzung durch zivilgesellschaftliche Akteure) bis zum Mitbewerten (Evaluation von Lösungsansätzen) (Löffler et al. 2015, 16; Osborne et al. 2021, 648; Löffler 2021, 75 ff.). Abb. 13.1 veranschaulicht den Kreislauf der Koproduktion. Zum Mitsteuern gehört die gemeinsame Entwicklung von Strategien, die gemeinsame Festlegung von Prioritäten und die gemeinsame Finanzierung von Projekten und Angeboten (Löffler 2021, 86). Eine Grenze für die Ausgestaltung von Koproduktionsbeziehungen in diesem Bereich ergibt sich aus dem

13.2 Bereiche der Koproduktion

339

Abb. 13.1 Koproduktionskreislauf. (Quelle: Eigene Darstellung)

Mitsteuern

Mitentwickeln

Mitbewerten

Mitumsetzen

Rechtsstaatsprinzip, das die Öffnung von strategischen und planerischen Entscheidungsprozessen für Bürgerinnen und Bürgern nur begrenzt zulässt, da der Staat die Entscheidungsverantwortung zu tragen hat (Wewer 2014, 31). Insofern würde die Bürgerbeteiligung im Rahmen von Planungs- und Genehmigungsverfahren, wie sie beispielsweise das Standortauswahlgesetz für die Suche nach dem Endlager für hochradioaktiven Müll vorsieht, nicht als Form der Mitsteuerung eingestuft werden, da es hierbei darum geht, mögliche Planungsfehler auszuschließen und die Rechte von Betroffenen zu wahren, und nicht darum, eine kollektive Entscheidung zu treffen. Anders sieht es bei Bürgerhaushalten aus, bei denen die Bürgerinnen und Bürger in unterschiedlicher Form in die Planung und Aufstellung von kommunalen Haushalten eingebunden werden und eigene Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung machen können. Am Ende muss der Rat zwar die Verantwortung für die Festlegung des Haushalts übernehmen, aber er kann sich die konkreten Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger zu eigen machen, sodass man hier von einer Koproduktion bei der Haushaltsplanung sprechen kann (Geißel et al. 2015, 192 ff.; Lucke und Gollasch 2022, 75 ff.). Bei der Entwicklung von Finanzierungsmodellen der Koproduktion kommen beispielsweise Genossenschaften, Bürgerstiftungen oder Bürgeraktiengesellschaften in Betracht, um eine bestimmte Leistung (z. B. Wohnungsbau oder Energieversorgungsanlagen im Bereich der Erneuerbaren Energien) finanzieren zu können (Abt 2022, 255). In diesen Fällen unterstützt die öffentliche Verwaltung die privaten Akteure

340

13

Verwaltungstyp Koproduktion

durch kommunale Beteiligungen oder die Zurverfügungstellung von öffentlichen Flächen für das Projekt. Zur Mitentwicklung gehört die Mitentwicklung von öffentlichen Räumen, Projekten oder Leistungen (Löffler 2021, 100). Dies schließt auch die Mitentwicklung von neuen Ideen, Experimenten und Prozessen ein, die zur Linderung von bestimmten Problemen beitragen sollen (Löffler 2021, 100 f.; Wascher 2022, 435 ff.). Ein Beispiel für die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die Entwicklung von öffentlichen Räumen liefert die Stadt Mannheim. Die Bürgerinnen und Bürger wurden zur Einreichung von Ideen zur Neugestaltung von rund 500 Hektar militärisch genutzter Fläche im Stadtgebiet aufgefordert. Die hierzu eingebrachten Ideen wurden in vier Weißbüchern zusammengefasst, die der Rat sich bei seinen Entscheidungen über die zukünftige Nutzung der Fläche zu eigen gemacht hat (Löffler 2021, 102). In Dortmund und Wuppertal wurden im Rahmen von Innovationslaboren Orte und Prozesse zur Förderung von Experimenten zur Verbesserung der Stadtgesellschaft aufgebaut, die Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt haben (Wascher 2022, 451 ff.). Bei der Mitumsetzung von Projekten, Programmen und Leistungen werden öffentliche und bürgerschaftliche Ressourcen und Fähigkeiten eingesetzt, um das gemeinsame Ziel zu erreichen (Löffler 2021: 115; Abt 2022, 254). Ein Beispiel hierfür liefern Bürgerbusse, die bestimmte Orte oder Ortsteile an den öffentlichen Nahverkehr anbinden (Rappen 2022, 293). In der Regel kümmert sich ein durch Spenden, Crowdfunding oder Mitgliedsbeiträge getragener Bürgerbusverein um die Planung und Organisation des Verkehrsangebots, während die Kommune Fahrzeuge bereitstellt, versichert oder Finanzierungsdefizite ausgleicht. Ein weiteres Beispiel wäre die kommunale Suchthilfe und Suchtprävention, die in der Regel durch eingetragene Vereine übernommen wird, die wiederum durch Kommunen finanziell und/oder organisatorisch unterstützt werden (Rappen 2022, 294). Wenn man den Kreislauf am Beispiel der Bürgerbusse durchspielt, dann würde es in der Mitsteuerung darum gehen, ob ein solches Angebot zur Anbindung von bestimmten Orten oder Ortsteilen aus der Sicht von Kommune und Bürgerschaft erforderlich ist und welche Bedarfe abzudecken sind. Hierbei ist auch zu klären, wie die Finanzierung laufen soll und welche Kosten von der Kommune und der Bürgerschaft zu tragen sind. Bei der Mitentwicklung geht es um die konkrete Ausgestaltung des Angebots und die Aufteilung von Aufgaben zwischen der Kommune und Bürgerschaft. Wie viele Haltepunkte werden benötigt? Soll es einen festen Fahrplan oder eine Rufbereitschaft geben? Wer übernimmt die Organisation des Fahrbetriebs? Bei der Mitumsetzung geht es um die Umsetzung und Aufrechterhaltung des Fahrbetriebs, wie beispielsweise die Rekrutierung und

13.3 Organisationsformen der Koproduktion

341

Einteilung von Fahrern. Bei der Mitbewertung wird überprüft, ob das Angebot einen Mehrwert für die Gemeinschaft erzeugt und angenommen wird.

13.3

Organisationsformen der Koproduktion

Es gibt keinen festen rechtlichen Rahmen zur Ausgestaltung von Kooperationsbeziehungen, da diese in unterschiedlichen Organisationsformen in Erscheinung treten können. Auf der privaten Seite steht im Regelfall ein institutioneller Träger des dritten Sektors in Form von Vereinen, gemeinnützigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Stiftungen oder Genossenschaften als Kooperationspartner (Rappen 2022, 288). Auf der öffentlichen Seite steht im Regelfall die Kommunalverwaltung, da Koproduktion vor allem ein Phänomen auf der kommunalen Ebene ist. Der Beitrag der öffentlichen Seite zur Koproduktion kann in Form von öffentlichen Fördermitteln, Zuwendungen oder der Zurverfügungstellung von öffentlichen Flächen oder öffentlichem Eigentum in Form von Räumen oder Gerätschaften bestehen. Hierzu können förmliche Rechtsbeziehungen zwischen den Privaten und der öffentlichen Verwaltung in Form von Verträgen oder Zuwendungsbescheiden bestehen oder informale Absprachen über Nutzungen etc. getroffen worden sein. Typische Organisationsformen der Koproduktion sind Netzwerke, zuwendungsbasierte Koproduktion oder hybride Organisationsformen (Rappen 2022, 290 ff.). In Netzwerken bringen Vertreter der öffentlichen Verwaltung, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft ihre Expertise und Ressourcen ein, um bestimmte Probleme gemeinsam zu bearbeiten. Die Netzwerkbildung kann aufgrund von gesetzlichen Vorgaben erfolgen oder auf eine Initiative von öffentlicher oder privater Seite zurückgehen. Ein Beispiel für gesetzlich geregelte Netzwerkbildung sind Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII, die durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, mit den anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe und Trägern öffentlich geförderter Maßnahmen aufgebaut werden sollen, um Maßnahmen aufeinander abzustimmen und zusammenzuwirken. Ein Beispiel für ein freiwilliges Netzwerk bietet die Frankfurter Drogenpolitik, die in der Montagsrunde Vertreter der kommunalen und privaten Träger der Drogenhilfe, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der im Bahnhofsviertel ansässigen Privatwirtschaft zusammenbringt, um Angebote, Leistungen und Handlungsempfehlungen abzustimmen (Rappen 2022, 291 f.). In der zuwendungsbasierten Koproduktion sind Aufgaben- und Finanzierungskompetenzen zwischen privaten und öffentlichen Akteuren aufgeteilt. Der Beitrag

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13

Verwaltungstyp Koproduktion

der öffentlichen Verwaltung zur Koproduktion besteht in diesen Fällen in erster Linie in der finanziellen Unterstützung privater Akteure durch unterschiedliche Fördermittel, um diese bei der Erledigung von bestimmten Aufgaben zu unterstützen (z. B. Betrieb eines Bürgerbusses). Im Regelfall reicht die öffentliche Unterstützung in der zuwendungsbasierten Koproduktion nicht aus, um alle Kosten zu decken, sodass neben öffentlichen Geldern immer auch private Mittel benötigt werden, um die Angebote weiter aufrechtzuerhalten. Zuwendungsbasierte Koproduktion ist vor allem im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge vorzufinden. Ein Beispiel hierfür ist die Flüchtlingshilfe, bei der die meisten privaten Akteure einen Teil ihrer Kosten durch öffentliche Fördermittel decken können (Karakayali 2022, 35 ff.). Hybride Organisationsformen liegen vor, wenn öffentliche Verwaltung und private Akteure in gemeinnützigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften, Stiftungen oder Vereinen zusammenwirken und im Rahmen des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung über das Leistungsangebot und die Finanzierung der Organisation entscheiden (Rappen 2022, 293). Ein Beispiel hierfür sind kommunale Stiftungen, die dem Willen des Stifters nach durch eine Kommune verwaltet werden sollen und Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnehmen (Werner 2013, 1521), wie beispielsweise die Bereitstellung von Wohnraum, Pflege oder Alltagshilfen für Senioren. Ein weiteres Beispiel wäre die Suchthilfe in Duisburg und Leverkusen, die auf einen eingetragenen Verein ausgelagert wurde, der von der Stadt und Wohlfahrtsverbänden als Vereinsmitglieder gemeinsam betrieben wird (Rappen 2022, 294). Nach Rappen (2022, 278) ist Koproduktion für Kommunalverwaltungen nur dort in größerem Umfang möglich, wo diese auch über eigene Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume verfügen. Das bedeutet mit Blick auf die Verwaltungsaufgaben, dass die Spielräume in den Bereichen größer sind, in denen Kommunen freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben (z. B. Armenfürsorge, Altenpflege, Suchtberatung etc.) oder pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben (z. B. Trägerschaft von Kindergärten, Schulen, Abfallentsorgung etc.) erfüllen, da sie hier Einfluss auf Organisation und Verfahren der Aufgabenerledigung haben. In den Bereichen, in denen sie Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (z. B. Bauaufsicht, Ordnungsverwaltung) oder Auftragsangelegenheiten für Bund oder Länder (z. B. Untere Naturschutzbehörde, Pass- und Meldewesen, Gesundheitsämter etc.) wahrnehmen verfügen sie hingegen über keine oder nur geringe Gestaltungsspielräume bezüglich der Organisation und des Verfahrens der Aufgabenerledigung. Abb. 13.2 fasst dies zusammen.

13.4 Hauptprobleme der Koproduktion

343

Eigener Wirkungskreis

Übertragener Wirkungskreis

Aufgabenart

Freiwillige

Pflichtige

Pflichtaufgabe

Auftragsangelegen-

Selbst-

Selbstverwaltungs-

zur Erfüllung

heiten

verwaltungs-

aufgabe

nach

für

Weisung

Bund und Land

aufgabe Entscheidungsspielraum

Ob und Wie

Wie ist der

Ermessens-

Ob und Wie

sind der

Gemeinde

spielraum

sind geregelt

Gemeinde

überlassen

beim Wie

überlassen Aufsicht

Rechtsaufsicht

Koproduktion

Rechtsaufsicht

möglich

Rechts- und

Rechts- und

Fachaufsicht

Fachaufsicht

nicht oder nur eingeschränkt möglich

Abb. 13.2 Möglichkeiten der Koproduktion auf kommunaler Ebene. (Quelle: Nach Rappen 2022, 278)

13.4

Hauptprobleme der Koproduktion

Ein zentraler Befund im Zusammenhang mit der Koproduktion ist, dass es in vielen Bereichen nicht mehr ohne sie geht. Beispielsweise wäre für die öffentliche Verwaltung allein die Versorgung von Flüchtlingen im Sommer 2015 nicht ohne die Unterstützung der Zivilgesellschaft und engagierter Bürgerinnen und Bürger möglich gewesen (Abt 2022, 255). Die Koproduktionsstrukturen, die sich damals entwickelt haben, sind inzwischen zu einem festen Bestandteil der Flüchtlingshilfe geworden. Insofern ist mit Koproduktion immer auch die Befürchtung verbunden, dass sich der Staat schrittweise bestimmter Aufgaben entledigt und auf ein stärkeres Engagement der Zivilgesellschaft baut. Dieser Eindruck kann aber auch dadurch hervorgerufen werden, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Koproduktion jung ist, während Formen der Koproduktion deutlich älter sind (Loeffler 2021, 422). Die Frage, welche Aufgaben der Staat in welcher Form wahrnehmen soll, wird regelmäßig durch die Politik neu verhandelt, so dass es hier auch immer wieder zu Veränderungen kommt. Abt (2022, 255) merkt an, dass die gestiegene Wahrnehmung von Koproduktion nicht zwingend mit dem Rückzug des Staates in Verbindung zu bringen sei, sondern auch einen stärkeren Mitgestaltungs- und Beteiligungswillen der Zivilgesellschaft widerspiegeln würde. Es gehe den privaten Akteuren nicht darum, staatliche Defizite auszugleichen, sondern dafür zu sorgen, dass bestimmte Leistungen in einer

344

13

Verwaltungstyp Koproduktion

bestimmten Form für die Bürgerinnen und Bürger angeboten werden, und dafür würde man sich engagieren. Von Seiten der privaten Akteure ist Koproduktion nur dort möglich, wo auch ein originäres Interesse am gemeinsamen Handeln besteht und die erforderlichen Ressourcen und Fähigkeiten vorhanden sind, um sich zielgerichtet einbringen zu können. Insofern ist Koproduktion abhängig von der örtlichen Engagementund Unterstützungskultur der Bürgerschaft, welche vor allem in strukturstarken Regionen ausgeprägt ist, weshalb Koproduktion in strukturschwachen Regionen zur Herausforderung werden kann (Abt 2022, 263). Ein Großteil der Forschung zur Koproduktion ist der Frage gewidmet, welche Bedingungen vorliegen müssen, damit Koproduktion funktioniert (Bovaird und Löffler 2020, 711). Hierbei spielen sicherlich Förderprogramme für kommunale Initiativen von Bund und Ländern eine zentrale Rolle, um diesem Problem zu begegnen. Abt (2022, 261 ff.) hat folgende Anforderungen für die erfolgreiche Etablierung von nachhaltigen Koproduktionsstrukturen identifiziert: • Verantwortungsteilung: Die Verantwortung für die Koproduktion muss zwischen Verwaltung und privaten Akteuren ausgeglichen aufgeteilt werden, was rechtlich nicht immer möglich oder politisch nicht immer gewollt ist. • Organisationsstrukturen: Problembezogene Anliegen und Initiativen müssen in dauerhafte Organisationsstrukturen überführt werden, die von der öffentlichen Verwaltung und der Bürgerschaft mitgetragen werden, um die Koproduktion langfristig abzusichern. • Dauerhaftigkeit: Koproduktionslösungen sollten nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft angelegt sein, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen. Dies schließt insbesondere die Finanzierung durch die öffentliche Verwaltung und die Bürgerschaft mit ein. • Qualitätsstandards: Koproduktionslösungen müssen den Qualitätsansprüchen der öffentlichen Verwaltung und der Bürgerschaft genügen. Häufig scheitern Koproduktionsvorhaben, weil eine oder mehrere dieser Anforderungen nicht erfüllt werden können. Ein weiteres Problem liegt darin, dass Koproduktion von den Interessen der beteiligten privaten Akteure abhängt, die bereit sind, sich einzubringen, weshalb mitunter nur bestimmte Partikularinteressen (z. B. Verbesserung des örtlichen Personennahverkehrs, Kinderbetreuung etc.) durch Koproduktion bedient werden (Abt 2020, 263). Allerdings zeigen unterschiedliche Formen der Koproduktion, dass hier nicht nur eigene, sondern auch gesamtgesellschaftliche Interessen verfolgt werden. Personen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, tun dies

13.5 Zusammenfassung

345

nicht aus eigenem Interesse, sondern weil sie darin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehen. Besonders großes Potential für die Koproduktion wird in der zunehmenden Digitalisierung der Verwaltung gesehen, die es mittelfristig einfacher machen wird, die Bürgerschaft in Prozesse der Problemdefinition, Politikdefinition, implementierung und -evaluierung einzubinden (Geiger 2012, 98; Lucke und Gollasch 2022, 112). Wewer (2014, 43) merkt hierzu kritisch an, dass es den Engagierten mitunter nicht nur darum geht, dem Staat bei der Erledigung von Aufgaben helfen zu wollen, sondern auch um die Forderung, unmittelbarer an staatlichen Entscheidungen beteiligt zu werden, was nicht immer möglich ist, da mit Blick auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip bestimmte Entscheidungswege und Entscheidungsformen unumgänglich sind. Gleichwohl kann sich ein Gemeinderat an Empfehlungen oder Vorlagen aus der Bürgerschaft (z. B. im Rahmen von Bürgerhaushalten) selbst binden. Zur Verbreitung und Förderung von Koproduktion sind inzwischen auf der internationalen und nationalen Ebene unterschiedliche Netzwerke und Plattformen etabliert worden. Hierzu gehören beispielsweise Governance International (http://www.govint.org/) oder das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (https://www.b-b-e.de/).

13.5

Zusammenfassung

Koproduktion ist erst in den letzten 20 Jahren in den Fokus der Forschung gerückt. Hierbei handelt es sich um eine Form der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren, die auf freiwilliger Basis erfolgt, um die gemeinsamen Fähigkeiten, Ressourcen und Stärken im Interesse aller Beteiligten besser zu nutzen und so erwünschte Wirkungen oder Effizienzgewinne zu erzielen. Sie unterscheidet sich von anderen Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Akteuren dadurch, dass die privaten Akteure ein genuines Interesse an der Aufgabenerledigung haben und sich nicht aufgrund von sanktionsbewehrten Anordnungen (z. B. Indienstnahme) oder wirtschaftlichen Anreizen (z. B. Dienstleistungsauftrag zur Verwaltungshilfe) an der Aufgabenerledigung beteiligen. Koproduktion ist vor allem im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge zu finden und widmet sich den Belangen von pflegebedürftigen, behinderten oder armutsbedrohten Personen durch Unterstützungsleistungen wie Beratung, Verpflegung, Fahrdienste oder soziale Interaktionen in Koproduktion mit staatlichen Akteuren. Ein Beispiel hierfür wäre

346

13

Verwaltungstyp Koproduktion

ein eingetragener Suchthilfeverein, dessen Mitglieder aus Vertretern der Kommunalverwaltung und Vertretern des dritten Sektors bestehen, der sich der Beratung und Versorgung von Suchtkranken auf kommunaler Ebene widmet. Grundsätzlich kann Koproduktion in unterschiedlichem Formen stattfinden und das Spektrum reicht vom Mitsteuern und Mitentwickeln über das Mitumsetzen und Mitbewerten. Beispielsweise bringt sich die Zivilgesellschaft bei der Planung eines örtlichen Nahverkehrsangebots für den ländlichen Raum im Rahmen eines Bürgerbusses mit ein, hilft bei der Organisation, übernimmt einen Teil der Aufgaben und Kosten und wirkt bei der Evaluation und Verbesserung des Angebotes mit. Eine Sorge, die mit der zunehmenden Wahrnehmung von Koproduktion verbunden ist, besteht darin, dass der Staat sich seiner Aufgaben entledigt und sich zunehmend auf die Zivilgesellschaft verlässt. Als Gegenargument kann hier angeführt werden, dass die Zivilgesellschaft inzwischen einen stärkeren Mitgestaltungs- und Mitbestimmungswillen entwickelt hat, wenn es um die Erledigung bestimmter Aufgaben geht, so dass Koproduktion nicht das Verschwinden des Staates, sondern andere Formen der Zusammenarbeit mit staatlichen und privaten Akteuren zur Folge hat.

Literatur Abt, Jan 2022. Koproduzieren – eine lebenswerte Stadt gemeinschaftlich entwickeln, umsetzen und bewahren, in: ders./Blecken, Lutke/Bock, Stephanie/Diringer, Julia/Fahrenkurg, Katrin (Hrsg.), Von Beteiligung zur Koproduktion. Wege der Zusammenarbeit von Kommunen und Bürgerschaft für eine zukunftsfähige kommunale Entwicklung, Wiesbaden: Springer VS, S. 251–268 Bovaird, Tony/Löffler, Elke 2020. Developing Evidence Based Co-Production: A Research Agenda, in: dies. (Hrsg.), The Palgrave Handbook of Co-Production, Cham: Palgrave Macmillan, S. 693–713 Geiger, Christian 2012. Bürger.Macht.Staat: Integration von Bürgern und Gesellschaft in den Staat, in: Jansen, Stephan/Schröter, Eckhard/Stehr, Nico (Hrsg.), Bürger.Macht.Staat? Neue Formen gesellschaftlicher Teilhabe, Teilnahme und Arbeitsteilung, Wiesbaden: Springer VS, S. 91–108 Geißel Brigitte/Neunecker, Martina/Kolleck, Alma 2015. Dialogorientierte Beteiligungsverfahren: Wirkungsvolle oder sinnlose Innovationen? Das Beispiel Bürgerhaushalt, Zeitschrift für Parlamentsfragen 46, S. 151–165. Ibler, Martin 2022, Art. 86 GG, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 98. Ergänzungslieferung, München, C.H.Beck Karakayali, Serhat 2022. Fördermittel in der Flüchtlingshilfe. Was gebraucht wird – was ankommt, Bertelsmann Stiftung, online abrufbar unter: https://www.bertelsmann-sti ftung.de/fileadmin/files/Projekte/90_Synergien_vor_Ort/Foerdermittel_in_der_Fluechtli ngshilfe_web.pdf. Zugang am 14.12.2022

Literatur

347

Löffler, Elke 2021. Co-Prodution of Public Services and Outcome, Cham: Palgrave Macmillan Löffler, Elke/Timm-Arnold, Peter/Bovaird, Tony 2015. Koproduktion in Deutschland. Studie zur aktuellen Lage und den Potenzialen einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern, Bertelsmann Stiftung, online abrufbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Studie_ Koproduktion_in_Deutschland_Web.pdf. Zugang am 14.12.2022 Ludwigs, Markus 2022. Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in Krisenzeiten, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 41, S. 1086–1093 Lucke, Jörn von/Gollasch, Katja 2022. Open Government, Offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln – Leitbilder, Ziele und Methoden, Wiesbaden: Springer Gabler Osborne, Stephen P./Nasi, Greta/Powell, Madeline 2021. Beyond Co-Production: Value Creation and Public Services, Public Administration 99, S. 641–657 Rappen, Herrmann 2022. Koproduktion kommunaler Daseinsvorsorge – Chancen und Risiken, in: Abt, Jan/Blecken, Lutke/Bock, Stephanie/Diringer, Julia/Fahrenkurg, Katrin (Hrsg.), Von Beteiligung zur Koproduktion. Wege der Zusammenarbeit von Kommunen und Bürgerschaft für eine zukunftsfähige kommunale Entwicklung, Wiesbaden: Springer VS, S. 269–302 Sicilia, Mariafrancesca/Sancino, Allessandro/Andreani, Martino/Ruffini, Renato 2016. Public Services Management and Co-Production in Multi-Level Governance Settings, International Review of Administrative Sciences 82, S. 8–27 Wascher, Eva 2022. Kommunale Innovationslabore für eine nachhaltige Stadtgesellschaft, in: Abt, Jan/Blecken, Lutke/Bock, Stephanie/Diringer, Julia/Fahrenkurg, Katrin (Hrsg.), Von Beteiligung zur Koproduktion. Wege der Zusammenarbeit von Kommunen und Bürgerschaft für eine zukunftsfähige kommunale Entwicklung, Wiesbaden: Springer VS, S. 435–464 Werner, Rüdiger 2013. Kommunale Stiftungstätigkeit und ihre Schranken, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 32, S. 1520–1525 Wewer, Göttrik 2014. Kollaborative Verwaltung: zu Herkunft und Nutzen eines Modebegriffs, in: Hill, Hermann/Martini, Mario/Wagner, Edgar (Hrsg.), Transparenz, Partizipation, Kollaboration. Die digitale Verwaltung neu denken. Baden-Baden: Nomos, S. 27–43 Zellenberg, Ulrich E. 2017. Die Inpflichtnahme, in: Fuchs, Claudia/Merli, Franz/Pöschl, Magdalena/Sturm, Richard/Wiederin, Ewald/Wimmer, Andreas W. (Hrsg), Staatliche Aufgaben, private Akteure – Band 2: Konzepte zur Ordnung der Vielfalt, Wien: Manz, S. 129–166

Stichwortverzeichnis

A Abfall, 272, 274, 278, 281, 315, 330 Abgabe, 39, 42, 186, 227, 236, 294, 295, 300, 307 Absolutismus, 37, 45, 49, 131, 217 Akteneinsicht, 43–45 Alternative für Deutschland (AfD), 141–143 Ämterpatronage, 137, 138, 164, 168–170, 174 Amtsethos, 170, 171, 175 Amtsgeheimnis, 45, 46 Amtsverschwiegenheit, 44–48, 53 Ansprechpartner, einheitlicher, 263 Arbeitnehmerschutz, 291, 300 Arbeitsförderung, 287, 289, 293, 300 Arbeitslosengeld, 288, 289, 293 Arbeitslosenversicherung, 290, 292, 295, 300 Artenschutz, 270, 281 Asylbewerberleistungsgesetz, 289 Aufgabe öffentliche, 6, 7, 51, 60, 131, 160, 183, 227 Aufgabenkritik, 29, 30, 32, 33 Aufgabenplanung, 30, 33, 226 Aufgabensystem, 18 duales, 17 dualistisches, 17 monistisches, 17 Automatisierung von Verwaltungsvorgängen, 107

B Bauleitplanung, 304, 310, 312, 314, 315, 317–320 Beamtenpflicht, 135 Beamter, politischer, 137 Beauftragte für den Datenschutz, 111 Begriff des öffentlichen Dienstes, 123 Behindertenhilfe, 289, 290, 293, 300 Beihilferecht, 297 Beitrag, 184, 227, 236 Berufsbeamtentum, 128, 131–136, 173, 174 Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst, 125 Bessere Rechtsetzung, 113 Beteiligungsrecht, 26, 42–44 Bewirtschaftung der Gewässer, 273 Big Data, 105, 108 Biotopverbund, 270 Blockchain, 108, 109 Bodenverschmutzung, 272 Bundesagentur für Arbeit, 59, 151, 292 Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), 292 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), 262 Bundesfachplanung, 313 Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA), 262 Bundesrechnungshof, 68, 117, 191, 216, 219, 222–225, 228

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Bohne und C. Bauer, Verwaltungswissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-40898-5

349

350 Bundesverwaltung, 64, 67–69, 88, 92, 166, 226 Bürgergeld, 288, 294 Bürgermeister, 71, 75, 94 Bürgerversicherung, 294 Bürokratiekosten, 263, 264

Stichwortverzeichnis Erwerbseinkunft, 186, 227 Europäische Kommission, 60, 63, 108, 112, 279 Europäischer Rat, 60, 61 Europäische Union, 22, 60 Europäische Zentralbank, 60 Europäisierung der Verwaltungsaufgaben, 22

C Chemikalienaufsicht, 278–280, 282

D Daseinsvorsorge, 128, 235, 285, 303, 314, 342, 345 soziale, 338 Datenschutz, 106, 110, 111, 117, 123, 216 Defizitquote, 197, 228 Deregulierung, 51, 89, 263–265 Dienstleistungsrichtlinie, 263 Dienstrechtsreform, 171 Dienst- und Treueverhältnis, 123, 135, 138, 139 Digitalisierung, 105–108, 110, 111, 119, 224, 345 Doppik, 217, 218 Dritter Sektor, 50, 53

E E-Government, 105 Eingriffsregelung, 270, 271 Einheitssystem, 239, 245, 246 Einlinienorganisation, 77, 78 Eisenbahn, 91, 92, 244, 258, 262, 282, 310, 323 Emissionsberechtigung, 276, 277 Emissionshandelssystem, 276, 281 Energieversorgung leitungsgebundene, 258, 262, 265 Entflechtung, 259, 260 Entgelt, 93, 131, 135, 138, 259, 260 Entgeltersatzleistung, 289 Entwicklung, demografische, 293, 294 Erfüllungsaufwand, 115 Erfüllungsverantwortung, 14

F Fachministerkonferenz, 55, 86, 87, 95 Fachplanung, 318, 327 Finanzausgleich, 191, 195, 196, 228 Finanzplan mittelfristiger, 210 Finanzsystem, 260, 262, 265 Flächenverbrauch, 272 Flüchtlingshilfe, 39, 236, 337, 342–344 Funktionalreform, 89 Funktion des öffentlichen Dienstes, 136 Funktionenplan, 9, 32, 188

G Gaststätte, 254, 257, 258, 261, 265 Gaststättengewerbe, 257 Gebietsreform, 90 Gebühr, 184, 236, 312, 336 Gefahrenabwehr, 38, 238–241, 243–246, 248, 254, 265, 268, 275, 278 Geldschöpfungsgewinn, 186, 227 Gemeinde, 18–21, 58, 72, 74, 75, 90, 194, 195, 312 Gemeindeaufgabe, 17, 18 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), 248 Gentechnik, 279, 281 Gewährleistungsverantwortung, 14, 15 Gewerbe, 255–258 Gewerbefreiheit, 40, 255 Gewerbeordnung, 254, 255, 257 Gewerbeüberwachung, 254, 255 Globalisierung, 293, 294, 300 Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität

Stichwortverzeichnis informationstechnischer Systeme, 111 Grundrechte, 40–42, 45, 119, 135 Grundsatz, hergebrachter des Berufsbeamtentums, 132 Grundsicherung, 12, 288, 289, 292, 300 Grundversorgung, 253, 265

H Handwerk, 254, 256, 261 Handwerksrolle, 257 Haushaltskreislauf, 214, 216, 220, 229 Haushaltsplan, 188, 209–214, 216, 221, 297 Hilfe, gruppenbezogene, 287, 293, 300

I Immission, 42, 275, 321 Informationsasymmetrie, 253, 298 Informationsfreiheit, 40, 45, 47, 48, 112 Infrastruktur, 39, 78, 188, 304, 311, 322, 327, 330, 331 Insolvenzgeld, 289

J Jobcenter, 288, 293, 300

K Kameralistik, 217, 219 Kapitalmarkt, 186, 196, 228, 258 Kausalprinzip, 294 Klimawandel, 273, 276 Kommunalverwaltung, 74, 78, 88, 107, 126, 281, 284, 316, 324, 325, 327, 337, 338, 341, 342, 346 Kontrolle der öffentlichen Verwaltung, 7 gerichtliche der Verwaltung, 118 parlamentarische der Verwaltung, 117 Kontrollmechanismus, 116 Koordination, 57, 66, 67, 83, 84, 86, 87, 244, 247, 248 hierarchische, 88

351 negative, 83 positive, 83 Koproduktion, 237, 335–339, 341, 343–345 Korruption, 48, 51 Korruptionsbegriff, 164 Korruptionsbekämpfung, 163 Krankenversicherung, 290, 291, 297 Kredit, 186, 196, 199, 201, 204, 209

L Landesregierung, 32, 60, 70, 71, 84, 119, 123, 157, 172, 201, 320 Landesverwaltung, 9, 32, 70–74, 89, 94, 261, 263, 325 Landkreis, 16, 21, 74 Landrat, 76, 94 Landratsamt, 76 Lärmbelästigung, 275 Laufbahnprinzip, 130, 131 Leistungsprinzip, 132, 133, 137, 162, 164, 169 Leistungsverwaltung, 2, 235, 236, 285, 299 Liberalismus, 37, 49 Linksextremismus, 139

M Markt, 20, 28, 29, 33, 50, 53, 60, 85, 253, 260, 277, 298, 301 Marktgewerbe, 255 Marktregulierung, 259 Marktregulierungsverfahren, 259 Marktversagen, 28, 29, 33, 85, 253, 260, 265, 298 Matrixorganisation, 77, 81, 82 Meeresnaturschutz, 271 Mehrlinienorganisation, 77–80 Ministerpräsidentenkonferenz, 87, 95 Mischfinanzierung, 188 Mitbewerten, 338, 346 Mitentwickeln, 338, 346 Mitsteuern, 338, 346 Mitumsetzen, 338, 346 Monopol, natürliches, 29, 258

352 N Netzausbau, 312, 313 Netzwerk, 86, 141, 247–249, 251, 341, 345 Netzzugang, 259, 260, 312 Neues Steuerungsmodell, 88, 230 New Public Management, 152, 263 Non-Profit-Organisation (NPO), 7, 50, 51 Normenkontrollrat, nationaler, 106

O Öffentlichkeit, 8, 22, 43, 45, 47–52, 142, 146, 166, 214, 307, 309, 312, 313, 316, 330 Öffentlichkeitsbeteiligung, 43 Öffentlich-Private-Partnerschaft, 56, 92, 93 Ombudsperson, 117 Onlinezugangsgesetz (OZG), 105, 107 Ordnungsbehörde, 237, 239–242, 245 Organisation formale, 50, 55, 85 informale, 55, 85 private, 50 Organisationsgrundsatz, 82 Ozonschicht, 276–278, 281

P Personalausgabe, 126, 188 Personalbeurteilung, 151, 152 Personalführung, 153, 154, 156, 157, 160, 171, 174, 175 agile, 156, 157, 160 aktivierende, 156, 157 Personalmanagement, 145, 146, 153, 174 Personalvertretung, 144 Pflegeversicherung, 290, 292 Planfeststellung, 304, 309–311, 313, 315, 316, 319, 323, 324, 329 Planung, 210, 303, 308–311, 313, 315, 319, 320, 325, 327, 329–331, 336, 339, 340, 346 gebietsbezogene, 304, 305 Polizei, 141, 235, 237–242, 245, 249, 250, 336, 338

Stichwortverzeichnis Polizeibehörde, 238, 239, 244, 245, 248, 249 Produktverantwortung, 274

R Rat der Europäischen Union, 60 Raumordnung, 316, 318–320 Raumordnungsverfahren, 309, 310, 313 Rechtsextremismus, 141, 142, 249 Regierungsaufgabe, 7, 68 Regionalplan, 102, 320 Regulierungsüberwachung, 253, 258–262, 265 Reisegewerbe, 255 Rentenversicherung, 59, 69, 290, 292 Ressourcenverwaltung, 237 Rolle, soziale, 38

S Schuldenbremse, 199, 201, 203, 209, 229 Schuldenstandsquote, 197, 202, 203, 228 Selbstbestimmungsrecht, informelles, 110, 111 Solidarität, 195, 286, 290, 300 Sonderabgabe, 184, 227, 236 Sonderordnungsbehörde, 240, 243 Sozialleistung, 39, 286, 293, 300 Sozialversicherung, 126, 183, 184, 227, 286, 290–292, 294 Sozialverwaltung, 42, 44, 285, 286, 292–294, 299, 300 Staatsaufgabe, 6, 7, 12–14, 27, 30, 33 Staatsausgabenquote, 189, 228 Staatsfunktion, 5, 6 Staatsversagen, 29 Staatszielbestimmung, 6, 12 Staatszweck, 5, 6, 13 Stablinienorganisation, 77 Steuern, 184, 190–192, 194, 196, 197, 228 Steuerquote, 194 Steuerung der öffentlichen Verwaltung, 211 Steuerungsmodus, 101, 104 Stoff, gefährlicher, 278, 284 Struktur des öffentlichen Dienstes, 127

Stichwortverzeichnis Strukturreform, 72, 89, 95, 171, 205 Subsidiaritätsprinzip, 14, 20–22, 25, 26 Subvention, 29, 101, 295, 297, 298, 300 Subventionsbericht, 296, 297 Subventionsgeber, 296, 297

T Tarifbeschäftigte, 124, 129, 138 Tarifbeschäftigten, 131 Telekommunikation, 258–260, 262, 265, 314 Telekommunikationsdienst, 260 Trennungsgebot, 239, 244, 248 Trennungssystem, 245

U Umweltbegriff, 267 Umweltinformation, 45–47 Umweltintegration, 268, 283, 284 Umweltverträglichkeitsprüfung, 283, 309 Umweltvorsorge, 243, 283 Unfallversicherung, 290, 291 Untertan, 37, 49

V Verantwortungsteilung, 15, 188, 344 Verbraucherinformation, 48 Verfassungsvorbehalt, 13

353 Verfassungsvorrang, 13 Verkehrsinfrastruktur, 307 Verkehrsweg, 39, 272, 312, 313, 330 Versteigerungserlös, 186, 227 Verwaltungsaufgabe, 2, 5–9, 12, 13, 15, 16, 19, 22, 235, 251, 279, 342 Verwaltungsreform, 226 Verwaltungstransparenz, 44, 45, 48, 53 Verwaltungsvereinfachung, 263, 264 Verwaltungsverfahren, 42, 56, 264, 308, 337 Verwaltungsvertrauen, 51 Verwaltungswissenschaft, 1, 151, 184, 235 Allegemeiner Teil, 2 Besonderer Teil, 1 Vollzugsdefizit, 282, 284

W Wettbewerb, 20, 85, 172, 173, 253, 258, 259, 261, 265, 294, 297, 336 Whistleblower, 168 Wirtschaftsaufsicht, 2, 236, 253, 255, 261, 263, 265 Wirtschaftsförderung, 295 Wohnungslosenhilfe, 338

Z Zivilgesellschaft, 157, 335, 336, 338, 341, 343, 346