Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung: Band 1 Abbaugerechtigkeiten - Kyffhäuserbund 9783111431635, 9783111066158


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German Pages 1152 [1144] Year 1928

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Table of contents :
Vorwort zur dritten Auflage
Verzeichnis der Mitarbeiter
Abkürzungen
A
B
C
D
E
F
G
H
I
K
Verzeichnis der Mitarbeiter
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Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung: Band 1 Abbaugerechtigkeiten - Kyffhäuserbund
 9783111431635, 9783111066158

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Bitter

Handwörterbuch der

Preußischen Verwaltung Dritte, vollständig umgearbeitete Auflage

Unter Mitwirkung zahlreicher hoher Reichs- und Preußischer Staatsbeamten

herausgegeben von

Dr. Bill Drews

und Dr. Franz Hoffmann

Staatsminister a.D. Wirkt. Geh. Oberregierungsrat Präsident des Preutz. Oberverwaltungsgerichts Berlin

Erster Band

Abbaugerechtigkeiten — Kyffhäuserbund

Berlin und Leipzig 1928

Walter de Gruyter & Co., Berlin — Carl Heymanns Verlag, Berlin Roßberg'sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig

Rotzberg'sche öo Buchdruckerei in Leipzig

Vorwort zur dritten Auflage Die zweite Auflage des Werkes ist Mitte 1911 erschienen. Der außergewöhnlich lange Zeitraum bis zur Neuauflage des Werkes erklärt sich durch die Zeitumstände. Die dritte Auflage sollte im Herbst 1914 in Angriff genommen werden. Die Ver­ wirklichung dieses Planes scheiterte aber am Ausbruch des Weltkrieges, der durch­ greifende Umwälzungen in der Verwaltung und Verfassung des Reichs und Preußens zur Folge hatte, deren Abschluß naturgemäß erst abgewartet werden mußte, ehe an eine Neubearbeitung des Handwörterbuchs gedacht werden konnte. Sie verzögerte sich in weiterer Folge dadurch, daß die unselige Geldentwertung der beginnenden Neubearbeitung Einhalt gebot. Wenn auch heute noch die Unruhe in der Gesetz­ gebung anhält, so erscheint doch die Veranstaltung einer neuen Auflage angezeigt und geboten, weil umfassende Gebiete eine abschließende Regelung gefunden haben, und für eine Darstellung des jetzt maßgebenden Rechtszustandes im Hinblick auf die tiefgehenden Änderungen ein in weiten Kreisen empfundenes Bedürfnis besteht. Auch in der neuen Auflage ist an dem ausgesprochenen Zweck des Werkes: ein Führer für die Praxis und nicht ein rein wissenschaftliches Nachschlagewerk zu sein, festgehalten. Infolgedessen sind auch dieses Mal alle Mitarbeiter aus der Zahl der höheren Reichs- und Staatsbeamten genommen, die mit den betreffenden Gegen­ ständen hinreichend vertraut sind. Hat sich soweit an der Art der Darstellung nichts geändert, so springt doch die außerordentliche Vermehrung der Stichworte in die Augen, die durch die Erweiterung der öffentlichen Aufgaben bedingt ist. Damit im Zusammenhang steht auch die wesentliche Vermehrung der Zahl der Mitarbeiter, die mehr als doppelt so groß ist als bei der zweiten Auflage. Naturgemäß ist dadurch auch die Schwierigkeit, eine gleichmäßige, insbesondere kurze, nur das Wesentliche bringende Darstellung zu erzielen, gewachsen, obwohl durch fest umrissene Grundsätze darauf hingewirkt ist, die in den früheren Auflagen bewährte Behandlung des Stoffes zu sichern. Abgesehen von dem durch die Staatsumwälzung bedingten Fortfall ganzer Materien ist im Hinblick auf den Namen und Zweck des Werkes das bürgerliche Recht und das Strafrecht in die Darstellung nur noch insoweit einbezogen, als es für die Verwaltung von Bedeutung ist und bei der Darstellung des Verwaltungs­ rechts nicht entbehrt werden kann. Ebenso sind, wie bisher, theoretische Rechtsfragen und damit zusammenhängende Streitfragen tunlichst ausgeschieden. Mögen dem Werke, das sich als unentbehrliches Hilfsmittel für die Anwendung der verwaltungsrechtlichen und öffentlichen Vorschriften bewährt hat, auch im neuen Gewände nicht nur die bisherigen Freunde erhalten, sondern auch neue Freunde gewonnen werden. Berlin, im Juni 1928

Die Herausgeber

Verzeichnis der Mitarbeiter Andres, Regierungsrat Dr., Berlin (G.A.). Ansorge, Ministerialrat Dr., Berlin (Ans.). Backhaus, Ministerialrat, Berlin (Backh.). Baehnisch, Regierungsassessor, Berlin (Bsch.)Bayrhoffer, Oberregierungsrat, Berlin (Bay.). Bergs, Ministerialrat, Berlin (Bs.). Berndt, Oberverwaltungsgerichtsrat, Berlin (Bt.). Berner, Vizepräsident Dr., Berlin (93.). von Bitter, Landrat a. D., Berlin (v. 93.). Borchard, Regierungsassessor Dr., Berlin(Bdt.). von Both, Ministerialrat, Berlin (Bo.). Brandt, Regierungs- und Baurat, Berlin (Br.). Burckhardt, Geheimer Regierungsrat, Ministe­ rialrat Dr., Berlin (93cf.). Büttner, Oberregierungs- und Steuerrat, Berlin (Bü.). Dorn, Ministerialdirektor Professor Dr., Berlin (Do.). Drews, Präsident des Oberverwaltungsgerichts, Staatsminister a. D., Berlin (Dr.). Eichler, Oberregierungsrat, Berlin (E.). Eiffler, Ministerialrat Dr., Berlin (Eis.), von Elbe, Oberverwaltungsgerichtsrat Dr., Berlin (v. E.). Erbes, Staatsfinanzrat, Berlin (Erb.). Fischer, Geh. Regierungsrat, Ministerialrat, Berlin (F. W. F.). Froh wein, Vortragender Legationsrat im Aus­ wärtigen Amt Dr., Berlin (Fro.). Gatermann, Oberregierungs- und Landes­ ökonomierat, Berlin (Gat.). von Geldern, Ministerialrat, Berlin (v. G.). Gernlein, Landforstmeister, Potsdam (Ger.). Grabower, Ministerialrat Dr., Berlin (Grab.). Große, Oberverwaltungsgerichtsrat, Berlin( Gr.). H a g e m a n n,Regierungsdirektor Dr. ,Berlin(Hg.). Hein, Georg, Ministerialrat, Berlin (Hei.). Hering, Ministerialdirigent, Berlin (He.). Hoffmann, Wirklicher Geheimer Oberregie­ rungsrat Dr., Berlin (F. H.). Hog, Ministerialdirektor Dr., Berlin (Hog). Jesse, Vizepräsident a. D., Berlin (Je.). Just, Exzellenz, Wirklicher Geheimer Rat, Berlin (I.). Kasper, Oberregierungs- und Landeskulturrat, Berlin (Ka.). Kaufmann, Oberregierungsrat Dr., Berlin (Kf.). Kisker, Senatspräsident, Berlin (Är.). f Kittel, Reichs-Eisenbahndirektor Dr., Berlin (Kttl.). Knipser, Mnisterialrat, Berlin (Kn.).

Kraske, Vortragender Legationsrat Dr., Berlin (Ke.). von Krosigk, Graf Schwerin, Ministerialrat, Berlin (v. Kr.). Lazarus, Regierungsrat Dr., Berlin (La.). Leist, Negierungsrat Dr., Berlin (Lt.). Lichter, Regierungsrat, Berlin (Li.), von Lympius, Oberverwaltungsgerichtsrat, Berlin (Ly.). Mager, Oberverwaltungsgerichtsrat, Berlin

(Ma.). Markull, Ministerialrat Dr., Berlin (Mark.). Meyer, Oberregierungsrat Dr., Berlin (Me.). Meyer, Ministerialrat, Berlin (Mey.). Michelly, Vizepräsident Dr., Berlin (Mi.), von Müller, Regierungsdirektor Dr., Berlin (Mü.). Norden, Ministerialdirigent, Geheimer Regie­

rungsrat, Berlin (No.). Oldenburg, Geheimer Oberregierungsrat Dr, Berlin (Old.). Paasche, Oberregierungsrat, Berlin (Paa.). Peltzer, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat, Berlin (Pr.). Pf affenberg er, Regierungsrat, Berlin (Pf.). Pflug, Ministerialrat, Berlin (Pfl.). Popitz, Staatssekretär Professor Dr., Berlin

(Pd-). Raps, Oberregierungsrat Dr., Berlin (Rps.). Renzi, Oberregierungs- und Steuerrat, Berlin (Rz.). Richter, Ministerialrat, Berlin (Ri.). Ro e ch n er, OberregierungsratDr., Berlin (Roe.). Ronde, Mnisterialrat, Berlin (R.). Roth, Legationsrat, Berlin (Nth.).

Scheche, Ministerialrat Dr., Berlin (Sch.). Schmidt, Wirklicher Geheimer Oberfinanzrat, Potsdam (Sdt.). Stengel, Direktor des Rechnungshofes, Berlin (St.). Storck, Regierungsrat Dr., Berlin (Stck.). von Strempel, Oberverwaltungsgerichtsrat Dr., Berlin (Stre.).

Tapolski, Regierungsrat, Berlin (Tap.). Trapp, Ministerialrat Dr., Berlin (Tpp.) Utpott, Oberregierungsrat, Berlin (Utp.). Vogels, Ministerialrat, Koblenz (Vo.). Voigt, Legationsrat Dr., Berlin (Vt.). Wahl, Ministerialrat Dr., Berlin (Wh.). Wellmann, Ministerialrat Dr., Berlin (Well.). Wündisch, Regierungsdirektor, Berlin (E. W.). Zarden, Ministerialdirektor Dr., Berlin (Za.).

Abkürzungen Abkürzungen allgemein gebräuchlicher Art, wie Aufl. für Auflage, Bek. für Bekanntmachung usw. sind ebensowenig wie die bei einzelnen Spezialartikeln, gebrauchten Abkürzungen in das Verzeichnis ausgenommen. Die Zahlen hinter den Gesetzsammlungen, Publikationsblüttern usw. bedeuten die Seitenzahl, hinter OVG. (Entscheidungendes Oberverwaltungsgerichts) und gleichartigen Sammelwerken die Band zahl des betreffenden Werkes, die darauf folgende Zahl die Seitenzahl.

A. = Ausschuß. Abg. = Abänderungsgesetz. AbgZBl. = Zentralblatt für die Abgabenverwaltung. ABl. = Amtsblatt. AblG. = Ablösungsgesetz. AbV. = Abänderungsverordnung. AE. = Allerhöchster Erlaß. AG. -- Ausführungsgesetz. AGBGB. --Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. AGO. = Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten. AllerhV. = Allerhöchste Verordnung. ALR. = Allgemeines Landrecht. AN. = Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts. ANJuAV. = Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts, Invaliden- und Alters­ versicherung. AnnDR. = Annalen des Deutschen Reichs. AO. = Reichsabgabenordnung. AOKK. = Allgemeine Ortskrankenkasse. AOrder = Allerhöchste Order. ArbG. = Arbeitsgericht. ArbGG. = Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 1926 (RGBl. I 507). ArblosVG. = Gesetz über Arbeitslosenversicherung. ArbBersorg. = „Arbeiter-Versorgung". Zentral-Organ für Versicherungswesen. ArchEBW. — Archiv für Eisenbahnwesen. ArchOffR. = Archiv für öffentliches Recht. AusA. = Auswärtiges Amt. AussAnw. = Ausführungsanw eisung. AusfB. = Ausführungsbestimmungen. AusfE. = Ausführungserlaß. AusfV. — Ausführungsverordnung. Av. = Angestelltenversicherung. AB. = Armenverband. AVBl. = Armeeverordnungsblatt. Avg. = Angestelltenversicherungsgesetz. AZollT. = Autonomer Zolltarif. BAH. = Bundesamt für das Heimatwesen, Entscheidungen des Bundesamts. BdG. = Beamtendiensteinkommensgeseh. BergA. = Bergausschuß. BezA. = Bezirksausschuß. BFürsV. = B ezirksfürs org everb and. BGB. — Bürgerliches Gesetzbuch. BGBl. = Bundesgesetzblatt. BKK. = Betriebskrankenkassen. BKn. = Bezirksknappschast. BO. --- Eisenbahnbau- und Betriebsordnung. BR. — Bundesrat. v. Brauchitsch ---von Brauchitsch, Die neuen preußischen Verwaltungsgesetze. BRG. = Betriebsrätegesetz. BVZBl. = Zentralblatt der Bauverwaltung.

VI

Abkürzungen

DIZ. = Deutsche Juristen-Zeitung. EG. -- Einführungsgesetz. EGBGB. --Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. EOKR. = Evangelischer Oberkirchenrat. Erl. -- Erlaß. EUG. = Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen. Eum. = Entscheidungen und Mitteilungen des Reichsversicherungsamtes. EBBI. = Eisenbahnverordnungsblatt. EBO. = Eisenbahnverkehrsordnung. FA. = Finanzamt. FAG. = Finanzausgleichsgesetz. FGG. = Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. FM. = Finanzminister (Finanzministerium). FreizügG. = Freizügigkeitsgesetz. frJ. = freie Innung. FürsV. = Fürsorgeverband. FürsBO. = Verordnung über die Fürsorgepflicht v. 13. 2. 1924 (RGBl. S. 100). G. = Gesetz. GBO. = Grundbuch Ordnung. GemO. — Gemeindeordnung. GemT. = G emeinh eitsteilung. GemTO. = Gemeinheitsteilungsordnung. GenSynO. = Generalsynodalordnung. GewArch. = Gewerbearchiv für das Deutsche Reich. GewO. = Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. Gew StB. = Verordnung über die vorläufige Neuregelung der Gewerbesteuer. GKG. = Gerichtskostengesetz. GS. = Gesetzsammlung. GVG. = Gerichtsverfassungsgesetz. Handb. = Handbuch der Unfallversicherung. HauptversA. = Hauptversorgungsamt. HdlVt. = Handelsvertrag. HGB. — Handelsgesetzbuch. HK. = Handwerkskammer. HM. — Ministerium für Handel und Gewerbe. HMBl. = Ministerialblatt der Handels- und Gewerbeverwaltung. HO. = Haushaltsordnung. HVBl. = Heeresverordnungsblatt. HZA. = Hauptzollamt. I. = Innung. JA. -- Jnnungsausschuß. IKK. = Innungkrankenkasse. JuM. = Justizminister (Justizministerium). JMBl. = Justizministerialblatt. JnB. = Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung. JB. — Jnnungsverbände. JuHK. = Industrie- und Handelskammer. IW. = Juristische Wochenschrift, Organ des Deutschen Anwalt-Vereins. KA. = Kulturamt. KabO. = Kabinettsorder. KAG. = Kommunalabgabengesetz. v. Kamptz = von Kamptz' Annalen. KG. = Kammergericht. KGJ. = Johow, Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts. KGVBl. = Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt. KinderschutzG. = Gesetz, bett. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben. Kirch G. = Kirchengesetz. Kirch O. = Kirch en ordnung. KK. = Krankenkasse. KKB. = Krankenkassenverband. KO. = Konkursordnung. Kom. = Kommission, Kommissar. KompGerH. = Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte. KonsGG. = Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit. KörpStG. = Körperschaftsteuergesetz. KR. = Kirch enrecht. KrA. = Kreisausschuß. KrO. = Kreisordnung. KrProvAbgG. = Kreis- itnb Provinzial-Abgabengesetz.

Abkürzungen

VII

KunstUG. = Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie. KV. = Krankenversicherung. L. = Lehrer. LFA. Landesfinanzamt. £$£). = Landgemeindeordnung. Lin. ■-:= Lehrerin. LitNG. = Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst. LKA. = Landeskulturamt. LKK. = Landkrankenkassen. LMK. = Landesmittelschulkasse. LR. = Landrat. LSK. = Landesschulkasse. LStG. = Preußisches Stempelsteuergesetz. LStT. = Tarif zum Preuß. Stempelsteuergesetz. LT- = Landtag. LVA. = Landesversicherungsanstalt, Landesversicherungsamt. LVG. = Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung. LWA. = Landeswasseramt. MBl. = Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung. MBlMfL. = Ministerialblatt für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. MdausA. = Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten. MDG. = Mittelschullehrerdiensteinkommengesetz. MdgA. = Minister (Ministerium) der geistlichen, Unterrichts-, Medizinalangelegenheiten, jetzt MfW. MdI. = Minister (Ministerium) des Innern. MfL. = Minister (Ministerium) für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. MsV. = Minister (Ministerium) für Volkswohlfahrt. MfW. = Minister (Ministerium) für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. MittdSt. = Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern. MMBl. = Ministerialblatt für Medizinal- und medizinische Unterrichtsangelegenheiten, jetzt BMBl. MS1GB. = Militärstrafgesetzbuch. MS1GO. = Militärstrafgerichtsordnung. NfdZ. = Nachrichtenblatt für die Zollstellen. OBA. = Oberbergamt. OKK. = Ortskrankenkasse. OLA. = Oberlandeskulluramt. OP. = Oberpräsident. OPB. -- Ortspolizeibehörde. ö. Pr. = östliche Provinzen. OTr. = Obertribunal, Entscheidungen des ehemaligen Preußischen Obertribunals. OVA. = Ob erv ersich erungsamt. OVG. = Oberverwaltungsgericht, Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts. PBV. = Preußische Besoldungsvorschrift. PensG. = Pensionsgesetz. PMZBl. = Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen. PolPräs. = Polizeipräsident von Berlin. PolStrafvG. = Gesetz, betr. den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen. Polv. = Polizeiverordnung. PolVerwBZ. = Zeitschrift für Polizei- und Verwaltungsbeamte. PrFGG. = Preußisches Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit. PrGKG. = Preußisches Gerichtskostengesetz. ProvO. = Provinzialordnung. PrB. = Preußische Verfassung. PrStempG. = Preußisches Stempelsteuergesetz. PrVBl. = Preußisches Verwaltungsblatt. PSG. = Postscheckgesetz. PStG. = Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung. RABl. = Reichsarbeitsblatt. RAGeO. = Gebührenordnung für Rechtsanwälte. RAM. — Reichsarbeitsminister (Reichsarbeitsministerium). RASt. = Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. RBG. = Reichsb eamtengeseh. RBnG. = Reichsbahngefetz. Reg. = Regierung. Reger = Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden. Reichspr. = Reichspräsident. REinkStG. = Reichseinkommensteuergesetz.

VIII

Abkürzungen

RErbStG. — Reichserbschaftssteuergesetz. RfA. = Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. RsbG. = Reichsminister (Reichsministerium) für die besetzten Gebiete. RfEuL- = Reichsminister (Reichsministerium) für Ernährung und Landwirtschaft. RFH- = Reichsfinanzhof. RFM. — Reichsfinanzminister. RFMBl. = Reichsfinanzministerialblatt. RG. = Reichsgericht. RGBl. = Reichsgesetzblatt. RGRspr. = Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen. RGSt. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. RGZ. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. RIM. = Reichsjustizminister (Reichsjustizministerium). RK. = Reichskanzler. RKG. = Reichsknappschaftsgesetz. RKv. = Reichsknappschaft. RMBl. = Reichsministerialblatt (früher ZBl.). RMdJ. — Reichsministerium des Innern. RP. = Regierungspräsident. RPAmtsbl. = Amtsblatt des Reichspostministeriums. RPM. = Reichspostminister (Reichspostministerium). RR. — Reiöysrat. RStempG. = Reichsstempelgesetz. RStT. — Reichsstempeltarif. RT. = Reichstag. RV. = Reichsverfassung. RVA. = Reichsversicherungsamt. RVBl. = Reichsverkehrsblatt. RVG. — Reichsversorgungsgericht. RViehseuchG. = Reichsviehseuchengesetz. RVM. = Reichsverkehrsminister (Reichsverkehrsministerium). RVO. -- Reichsversicherungsordnung. RWM. = Reichswehrminister (Reichswehrministerium). RWirtM. = Reichswirtschaftsminister (Reichswirtschaftsministerium). RZollBl. = Reichszollblatt. Sch. = Schule. SchAB. = Schulaufsichtsbehörde. Sch lH ölst. — Schleswig-Holstein. SchlHolstAnz. — Schleswig-Holsteinische Anzeigen, Glückstadt. SchBerb. = Schulverband. StA. = Stadtausschuß. StAngG. = Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes-und Staatsangehörigkeit. StempG. = Stempelsteuergesetz (GS. 1924 S. 627). StG. — Steuergesetz. StGB. — Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. StHG. — Gesetz, betr. den Staatshaushalt. StM. — Staats Ministerium. StO. = Städteordnung. StPO. = Strafprozeßordnung. StR. — Staatsrat. TSt. = Tarifstelle. UG. = Urheberschutzgesetz. UV. = Unfallversicherung. u5B. = untere Verwaltungsbehörde. UZ Bl. = Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung. V. = Verordnung. VA. --- Versicherungsamt. VDG. = VolksschuUehrerdiensteinkommengesetz. VermStG. = Gesetz über Vermögens- und Erbschaftssteuer. VersA. = Versorgungsamt. VersG. = Versorgungsgericht. VerwArch. = Berwaltungsarchiv; Zeitschrift für Berwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts, barkeit. Vf. -- Verfügung. VMBl. --- Volkswohlfahrt, Amtsblatt des Ministeriums für Volkswohlfahrt. BoArch. = Volksschularchiv. BSch. = Volksschule. VU. -- Berfassungsurkunde für den Preußischen Staat. VUG. = Gesetz, betr. die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen.

Abbaugerechtigteiten. In den vormals kgl. fächs. Landesteilen, in dem sog. Mandatsgebiete, d. h. in Ober- und Nlederlausitz, sowie einigen andern früher kursächsischen Landesteilen, wo die Stein- und Braunkohlen dem Verfügungs­ rechte des Grundeigentümers unterliegen, kann das Recht zum Stein- oder Braunkohlenbergbau von dem Eigentum am Grundstück, in welchem die Stein- oder Braunkohlen anstehen, abgetrennt und als selbständige Gerechtigkeit für den Grundeigentümer oder einen Dritten bestellt wer­ den (Kohlenabbaugerechtigkeit). Die A. wird nach Vorlage eines Situationsrisses in das Grundbuch eingetragen und aus Antrag gelöscht, wenn das Kohlenfeld nach dem Zeugnisse der Bergbehörde gänzlich abgebaut ist und auf dem Felde Gebäude oder sonstige zur Grube gehörende, unbewegliche Bestandteile nicht mehr vorhanden find. Die Vorschriften des BGB. über den Er­ werb des Eigentums und die Ansprüche aus dem Eigentum an Grundstücken finden entsprechende Anwendung. Die Anlegung eines Grundbuch­ blattes erfolgt auf Antrag; sie ist von Amts wegen vorzunehmen, wenn die A. veräußert oder be­ lastet werden soll (Art. 38 des G. vom 22. 2. 1869, GS. 104, in der Fassung des AGBGB. vom 20. 9. 1899, GS. 177; Art. 22—28 AGGBO. vom 26.9.1899, GS. 307; Art. 15—22 AGZVG. vom23.9.1899, GS. 291; Art. 76 PrFGG.). Auch solche bergbauliche Anlagen, die sich auf fremden Grundstücken befinden und dort mit dem Boden fest verbunden sind, können Bestandteil einer Kohlenabbaugerechtigkeit sein (RGZ. 61, 188). In der Prov. Hannover kann das Recht zur Ge­ winnung von Kali- und Steinsalzen gleichfalls als selbständige A. (Salzabbaugerechtigkeit) für den Grundeigentümer oder einen andern be­ stellt werden (V. vom 8. 5. 1867, GS. 601). Es finden die gleichen Vorschriften wie für Kohlensbbaugerechtigkeiten Anwendung, nur muß hier die A. bei ihrer Bestellung vom Grundstück ab­ beschrieben und auf ein besonderes Grundbuch­ blatt übertragen werden (G. vom 4. 8. 1904, GS. 235). F. H. Abbauten bedürfen, wenn sie mit Gründung einer neuen Ansiedelung (s. d.) verbunden sind, der Ansiedelungsgenehmigung. Pr. Abbildungen, d. h. bildnerische Darstellungen aller Art, stehen, soweit sie wissenschaftlicher oder technischer Art sind und ihrem Hauptzwecke nach als Kunst- oder Kunstgewerbeerzeugnisse nicht anzusehen sind, unter dem Schutz des LitUG. (§ 1 Ziff. 3 des G. vom 19. 6. 1901). Alle übrigen A. fallen unter das KunstUG. In diesem Falle können sie einen selbständigen Urheber­ schutz genießen, was bei Photographien, Radie-

rungen, Kupferstichen usw. der Fall ist; stellt sich dagegen die A. nicht als eine, eine Eigenart auf­ weisende Schöpfung dar, so handelt es sich um eine untersagte und daher gesetzwidrige Verviel­ fältigung (Nachbildung; s. § 15 KunstUG.). Ent­ scheidend ist bei A. der erstgedachten Art der Zweck, der auf Belehrung hinausgeht; wie die A. hergestellt ist, ist dagegen ohne Belang; sie kann auch in plastischer Darstellung erfolgen, doch muß die Darstellung stets eine eigentümliche sein, so daß z. B. bloße Abgüsse von antiken plastischen Kunstwerken, Münzen usw. nicht darunter fallen. Die Aufnahme einzelner solcher A. in ein frem­ des Schriftwerk in unveränderter Form ist zu­ lässig, wenn die A. nur zur Erläuterung des Inhalts des letzteren dienen sollen (§§ 23, 24 LitUG.). S. im übrigen Denkmale und Kunstwerke. Hg. Abbürdungtzklage s. Volksschulen 7 (Schul­ unterhaltung) IV A 2 a. Abdeckereien. I. Das Abledern gefallener Tiere (Abdecken) wurde in früheren Zeiten als ein schimpfliches Gewerbe angesehen und daher ge­ wissen Personen, vielfach den Scharfrichtern, als ausschließliches Recht in einem bestimmten Bezirk (ausschließliche Gewerbeberechtigung) verliehen. Der Abdecker muhte in seinem Bezirk alles ab­ gestandene Vieh beseitigen, während ihm die Be­ sitzer von Vieh dieses gegen ein geringfügiges Ent­ gelt für das Ansagen (Ansagegeld) zu überlassen hatten. Meistens war damit ein Zwangs- und Bannrecht (s. d.) verbunden. Durch die GewO, wurde das Abdeckereigewerbe aller Beschrän­ kungen entkleidet und für ein freies Gewerbe (s. d.) erklärt. Nur die A. bedurften nach wie vor als gewerbliche Anlagen (s. d.) der Genehmigung. Ferner wurden alle ausschließ­ lichen Gewerbeberechtigungen aufgehoben. Um die Entschädigungsfrage für die ausgehobenen Abdeckereiberechtigungen und die A. in den neuen Landesteilen zu regeln, erging das G., betr. die Aufhebung und Ablösung der auf den Betrieb des Abdeckereigewerbes bezüglichen Berechtigungen, vom 17.12.1872 (GS. 717). Danach wurden für das ganze Staatsgebiet die noch bestehenden aus­ schließlichen Gewerbeberechtigungen und alle Zwangs- und Bannrechte, die nach dem Inhalte der Verleihungsurkunde jederzeit aufhebbar waren, dem Fiskus, einer Gemeinde oder Kor­ poration für ihre Bezirke zustanden oder nach dem 1. 12. 1871 auf andere übergegangen waren, auf­ gehoben. Alle anderen Zwangs- und Bannrechte wurden für ablösbar erklärt. Für das Verfahren bei der Ablösung und für die Entschädigungen kommt das G. vom 17. 3. 1868 mit der Maßgabe zur Anwendung, daß eine Entschädigung für auf-

Sitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Ausl.

1

2

Abdeckereien

gehobene ausschließliche Abdeckereiberechtigungen nur gezahlt wird, wenn sie mit Zwangs- und Bannrechten nicht verbunden sind. Sowohl durch § 7 GewO, als auch durch das G. vom 17.12.1872 sind die Abdeckerei-Zwangs- und Bannrechte aus­ drücklich aufrechterhalten worden. Nach dem zu­ letzt genannten Gesetze können sie nur auf Antrag gegen Entschädigung abgelöst werden. Uber die Ablösung und die Entschädigung bei Aufhebung beschließt der BezA. (§ 133 ZG.). Zwangs- und Bannrechte bestehen in Preußen zur Zeit noch in größerer Zahl, sie sind noch in vollem Umfange gültig. Auch gilt das Publikandum vom 29.4.1772 in den im Jahre 1772 zu Preußen gehörigen Län­ dern noch (OVG. 21, 353). Danach sind ins­ besondere die Magistrate und Gerichtsobrigkeiten verpflichtet, vor den Städten und Dörfern den A. geeignete Luderstätten anzuweisen, wohin das krepierte oder beim Schlachten unrein befundene Vieh nach Ablederung von den Abdeckern zu fahren ist. II. Die A. sind genehmigungspflichtige An­ lagen (s. gewerbl. Anl. I) im Sinne des § 16 GewO. Änderungen einer A., die durch eine veterinärpolizeiliche Anordnung notwendig wer­ den, sind genehmigungspflichtig (KG. vom 9.11. 1914, HMBl.,542). Die Polizeibehörde kann gegen genehmigte Ä. nur wie gegen sonstige gewerbliche Anlagen (s. d.) einschreiten. Bei den privilegier­ ten A. schützt das Privilegium als solches den Inhaber nicht dagegen, daß die Polizeibehörde von ihrer gesetzlichen Befugnis, die nötigen An­ stalten zur Abwendung der dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern bevorstehenden Gefahren (II, 17 § 10 ALR.) zu treffen, Gebrauch macht (OBG. 35, 338; 49, 293). Eine Stillegung des Betriebes ist, wenn sie sich als notwendig heraus­ stellt, auf diesem Wege zulässig; OBG. vom 8.5. 1916 (LMBl. 1917,220). Bezieht sich das Privi­ legium auf eine bestimmte Betriebsstätte und auf eine bestimmte Betriebsart, so steht es einer Ge­ nehmigung nach § 16 GewO, gleich. Beschrän­ kungen solcher A. in der einen oder anderen Richtung können nur auf Grund § 51 GewO, er­ reicht werden (OBG. 49, 295). Die privilegier­ ten A. sind zur Abholung einzelner Tierteile nicht verpflichtet (OVG. 75, 400). In A. ist die Be­ schäftigung von Kindern (s. d.) verboten (§§ 4,12 KinderschutzG., RGBl. 1903, 113), abg. durch G. vom 31. 7. 1925 (RGBl. I 162). F. H. III. Nach § 16 Abs. 3 des RViehseuchG. vom 26. 6. 1909 (RGBl. 519) können die Betriebe von Abdeckern aus deren Kosten (§ 25 des AG. vom 25. 7. 1911, GS. 149) der amtstierärztlichen Beaufsichtigung unterstellt, nach § 17 Ziff. 14 VG. können Einrichtung und Be­ trieb der A. geregelt werden. Die amtstierärztliche Beaufsichtigung ist durch § 6 der vieh­ seuchenpolizeilichen Anordnung vom 1. 5. 1912 (Reichsanzeiger Nr. 105) allgemein angeordnet. §§ 57—76 a. a. O. treffen nähere Bestimmungen über Einrichtung und Betrieb der A. Die Be­ stimmungen gellen auch für privilegierte A. (KGJ. 47, 380); sie lassen die Vorschriften der GewO, unberührt, für ihre Anwendung sind lediglich die durch die GewO, nicht genügend geschützten veterinärpolizeilichen Rücksichten maßgebend. Auch § 3 des G. über die Beseiti­ gung von Tierkadavern vom 17. 6. 1911 (RGBl.

248) läßt ausdrücklich eine von der GewO, ab­ weichende Regelung des Abdeckereiwesens zu. Durch Polv. kann die Ablieferung von Kadavern an eine bestimmte A. vorgeschrieben werden, wenn dem Ablieferungszwang eine Abnahmeverpflich­ tung mit öffentlich-rechtlicher Wirkung gegenüber­ steht (KGJ. 40, 454; 41, 426; PrVBl. 31, 178). Der Ablieferungszwang kann auch auf adlige Rittergüter erstreckt werden, die mit Ab­ deckereiprivilegien ausgestattet sind (KG. in MBlMfL. 1927, 431). Dagegen wird KGJ. 36 C 88 eine Polv., die die Benutzung einer be­ stimmten A. zur unschädlichen Beseitigung des bei der Fleischbeschau beanstandeten Fleisches allgemein vorschreibt, für rechtsungültig gehal­ ten (die Benutzung der A. kann aber von Fall zu Fall polizeilich angeordnet werden). Auf die Erhaltung gut eingerichteter A. sollen die Polizei­ behörden hinwirken (Erl. vom 11. 4. 1926, MBlMsL. 248). Für die Benutzung einer Kreis­ abdeckerei dürfen Gebühren erhoben werden (OVG. vom 25. 4. 1913, PrVBl. 35, 211). Zu baulichen Veränderungen ist die sonst vorgeschrie­ bene bau- oder gewerbepolizeiliche Genehmigung, auch dann einzuholen, wenn die Veränderungen veterinärpolizeilich angeordnet worden sind (KGJ. 47, 380). Nach OVG. vom 8. 5. 1916, PrVBl. 38,495, MBlMfL. 1917,219) ist die Stillegung des Betriebs einer privilegierten A. zur Abwendung von Gefahren für das Gemeinwohl zulässig, die aber nach Entscheidung des RG. vom 4. 2. 1913 (VIIZ. 357 /1912) nur gegen Entschädigung desBetriebsinhabers erfolgen darf. — Nach V. vom 4.5.1920 (RGBl. 891) können die Landeszentral­ behörden oder die von ihnen bestimmten Be­ hörden die Zahlung von Vergütungen für die an A. zur Ablieferung gelangenden Tiere, Tierkörper und Tierkörperteile vorschreiben, die Höhe der Vergütung festsetzen und das Streitverfahren hin­ sichtlich dieser Vergütungen regeln. Durch Erl. vom 15. 5. 1920 (MBlMfL. 165) sind die RP. mit der Durchführung der V. beauftragt, die an der Hand eines mit Vertretern der Landwirt­ schaft und des Abdeckereigewerbes vereinbarten Normaltarifs entsprechende Gebührenordnungen erlassen haben. Die B. gilt auch fürprivilegierte A. (RGZ. 107, 378). Die Vergütungen können im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben werden (§ 54 Abs. 2, § 60 LBG.). IV. Die Bedeutung, die einer ordnungsmäßi­ gen Beseitigung der Tierkadaver in veterinär­ polizeilicher, hygienischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht beizumessen ist, hat den MfL. veranlaßt, einen „Ständigen Ausschuß für das Ab­ deckereiwesen" einzurichten. Nach der Bek. vom 29. 10. 1923 (MBlMfL. 932) hat der Ständige Ausschuß namentlich die Aufgabe, alle das Ab­ deckereiwesen betreffenden Gesetzentwürfe und wirtschaftlichen Fragen zu begutachten; auch können ihm Streitigkeiten zur schiedsgerichtlichen Schlichtung unterbreitet werden. Er besteht aus dem Vorsitzenden des Landesveterinäramts alsBorsitzenden und zehn Mitgliedern, von denen fünf durch die Hauptlandwirtschastskammer (s. d.), drei durch den Reichsverband deutscher Abdeckerei­ unternehmer und zwei durch den Verein der staat­ lich privilegierten Abdeckereibesitzer zu benennen sind. Der MfL. beruft die Mitglieder. Die ge­ nannten Berufsvertretungen können auch An-

Abdruck — Abgabenverteilung bei Grundstücksteilungen

regungen für Beratungen im Ständigen A. geben, über deren Zulässigkeit der Vorsitzende des Stän­ digen A. entscheidet. S. auch Kadaver (Be­ seitigung), Viehseuche^. Backh. Abdruck s. Schriftwerke.. Abessynien. Diplomatische Vertretung des Rei­ ches: Gesandtschaft in Adis Abeba. Keine Berusskonsularbehörden. Nichtsignatarmacht des Ver­ sailler Vertrags, Mitglied des Völkerbundes seit 28. 9. 1923. Deutsch-abessynischer Freundschaftsund Handelsvertrag vom 7. 3, 1905 (RGBl. 1906,470) mit konsularischen Bestimmungen. Kein Auslieferungsvertrag. Ä. hat am 12. 7. 1926 die Fakultativklausel zu dem Internationalen Stän­ digen Gerichtshof unterzeichnet. Fro. Abfahrtsgeld (gabella emigrationis) ist eine Ab­ gabe, welche nach §§ 140ff. II, 17 ALR. von Aus­ wanderern erhoben wurde. Durch die B. vom 21. 6. 1816 (GS. 199) und vom 11. 5, 1819 (GS. 134) sowie KabO. vom 11. 4. 1822 (GS. 181) wesentlich beschränkt, ist das A. (auch Ab­ zugsgeld genannt) ebenso wie der Abschoß (s. d.) durch Art. 11 Abs. 2 der preuß. Verf. vom 31. 1. 1850 gänzlich beseitigt worden. He. Abfindung. 1. Indirekte Steuern. A. ist eine Steuerform, bei der die Steuer auf Grund eines Übereinkommens zwischen dem Steuerschuldner und der Finanzverwaltung in Gestalt einer Ab­ findungssumme für einen gewissen Zeitraum ent­ richtet wird. Die A. gewährt in der Regel den Vorteil einer Erleichterung der Steuerüber­ wachung. Ein Beispiel für die A. bilden die Ab­ findungsbrauereien (s. Biersteuer II13) und die Abfindungsbrennereien auf dem Gebiet des Branntweinmonopols (s. d. unter C VI b). 2. Sozialversicherung s. Kapitalabfin­ dung. Sdt. Abflußhindernisse s. Vorflut, Freihal­ tung der Überschwemmungsgebiete, Un­ terhaltung der Wasserläufe zweiter und dritter Ordnung und ihrer Ufer. Avfuhrwefen. Das A. begreift die Entfernung der trockenen (Hausmüll, Straßenkehricht) und flüssigen (Küchen- und Hausabwässer, Urin und Fäkalien) Abfallstoffe der Bevölkerung größerer Gemeinden mittels Fuhren in sich; es ist kein Straßengewerbe (s. d.). Ein Verbot des gewerb­ lichen Betriebs läßt sich weder auf allgemeine polizeiliche Gründe und besondere örtliche Ver­ hältnisse, noch auf § 37 GewO, stützen. Dagegen kann eine Gemeinde durch besondere statutarische Anordnung das A. zu einer Gemeindeangelegen­ heit machen und die OPB. alsdann durch Polv. die Verpflichtung gegen die Grubenbesitzer aus­ sprechen, die Grubenreinigung durch die von der Gemeinde dazu bestimmten Personen ausführen zu lassen. Auf Grund einer solchen Ordnung der Verhältnisse darf auch anderen als den Gruben­ besitzern selbst die Vornahme der Abfuhrarbeiten verboten werden (OVG. 32 S. 295, 302; KGB. 17, 337; 21 C 65; 29 C 53; 31 C 46; RG. vom 12. 3. 1900, PrVBl. 21, 433; MErl. vom 16. 1. 1894, MBl. 29). Der polizeiliche Zwang kann sich darauf erstrecken, daß der Hausmüll in ver­ schiedenen Gefäßen zu sammeln und bis zur Ab­ fuhr aufzubewahren ist (KGJ. 41, 397). S. auch Abortanlagen, Kanalisation. F. H. Abgaben sind Leistungen, die der Staat oder eine andere Gebietskörperschaft zur Erzielung von

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Einnahmen kraft öffentlichen Rechtes auferlegt. Es handelt sich um eine Gruppe der öffentlichen Lasten und Pflichten überhaupt. Die Abgaben­ pflicht steht also neben der Wehrpflicht, der Ver­ pflichtung zu sonstigen Kriegsleistungen, der Quar­ tierlast, der Schulpflicht, der Pflicht zur Nothilfe (§ 360 Biff. 10 StGB.), der Pflicht zum Wege­ bau, der Pflicht zur Unterhaltung von Wasser­ straßen, der Deichpflicht, der Pflicht zur Annahme bestimmter Ämter usw. Sie unterscheidet sich von diesen Pflichten durch den Zweck der Erzielung von Einnahmen. Daher gehören nicht zu den A. — trotz ihrer Behandlung im I. Teil des KAG. — die Naturaldienste (Hand- und Spann­ dienste), denn durch sie werden nicht Einnahmen erzielt, sondern erspart (vgl. auch OVG. 30,137); ebensowenig Geldstrafen, die zwar tatsächlich Einnahmen des Staates sind, deren Erzielung aber nicht bezwecken. Die Leistung des Abgabe­ pflichtigen braucht nicht notwendig in Geld zu bestehen, der Staat kann sich auch in anderen Sach­ gütern, z. B. in Getreide, zahlen lassen, doch ge­ hört diese Form der Abgabenentrichtung im wesentlichen der Geschichte an. Die Leistung muß kraft öffentlichen Rechts geschuldet sein, es ge­ hören also nicht hierher die Zahlungen, die sich der Staat oder eine andere Gliedskörperschaft (Gemeinde) in der Eigenschaft als Unternehmer leisten läßt. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Zah­ lungen etwa gesetzlich oder durch gesetzlich fun­ dierte Verordnungen geregelt sind, wie z. B. bei der Post, und ob für ihre Beitreibung lediglich die Mittel des Zivilprozesses, das Verwaltungs­ zwangsverfahren, zu Gebote stehen. Der Gebrauch des Wortes A. ist in der Ge­ setzgebung und in der Verwaltungspraxis nicht einheitlich, entscheidend ist für den Begriff nicht der im einzelnen Falle gewählte Aus­ druck, sondern der Inhalt. Das deutsche und preußische Abgabenrecht kennt drei Arten von A.: 1. Steuern, 2. Gebühren und 3. Borzugs­ lasten oder Beiträge (vgl. § 1 AO.). Bon diesen nehmen die Steuern eine Sonderstellung ein, die in ihrer Voraussetzungslosigkeit beruht: sie werden unabhängig von der Beziehung der ein­ zelnen Pflichtigen zu den Leistungen des Staates erhoben, die beiden anderen Abgabenarten da­ gegen haben eine Leistung des Staates dem ein­ zelnen Abgabepflichtigen gegenüber zur Voraus­ setzung, sei es daß die A., wie bei der Gebühr, die Gegenleistung für die Inanspruchnahme einer Leistung des Staates darstellt, sei es daß sie, wie die Beiträge, die besonderen Vorteile abgelten sollen, die den Abgabepflichtigen durch Leistungen und Veranstaltungen des Staates entstehen. S. Beiträge, Gebühren, Steuern (dort auch Literatur), Häfen IV. Ptz.

Abgabenverteilung bei Grundstücksteilungen. Die Verteilung privatrechtlicher Lasten und Verpflichtungen bei Grundstücksteilungen unter­ liegt der freien Vereinbarung der Berechtigten und der beteiligten Grundstücksbesitzer; kommt eine solche nicht zustande, so werden die Lasten und Verpflichtungen im vollen Umfange auf die Teilstücke übertragen, soweit nicht ein Un­ schädlichkeitszeugnis erteilt wird (s. d.). Wegen Verteilung öffentlicher Lasten ist für die alten Provinzen (mit Ausnahme des Rhein­ lands) Abschn. I des G. vom 25. 8.1876 (GS. 405) 1*

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Abgänge von Fabriken — Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen

maßgebend, dessen hier einschlägige Vorschriften jedoch nach § 25 für Westfalen außer Anwendung bleiben. Vgl. zu dem G. die AusfJnstr. vom 10. 3. 1877 (MBl. 103). Die für die neueren Provinzen ergangenen G. — für Hannover vom 4. 7. 1887 (GS. 324), für SchlHolst. vom 13. 6. 1888 (GS. 243) außer dem Kreise Herzogtum Lauenburg, in dem das G. vom 22. 1. 1876 (Offizielles Wochenblatt S. 11) gilt — stimmen wesentlich damit überein. Es ist zu unterscheiden: 1. die bei gutsherrlich-bäuerlichen Regulierungen, Gemeinheilsteilungen und Ablösungen erforder­ lich werdende A.; 2. die Verteilung der Grund­ steuer; 3. die Verteilung von Abgaben und Lei­ stungen an Deich-, Meliorations-, Waldgenossen­ schafts- und ähnliche Verbände; 4. die Vertei­ lung der den Rentenbanken und Tilgungskassen sowie dem Domänensiskus zustehenden Renten; 5. die Verteilung der aus dem Kirchen-, Pfarr-, Schul- und Gemeindeverbande entspringenden Abgaben und Leistungen. Bezüglich der Abgaben zu 1 und 2 beläßt es der § 1 Abs. 1 des G. bei den bestehenden Vorschriften der Auseinandersetzungs­ und Grundsteuergesetzgebung. Die zu 3 bezeich­ neten Lasten werden durch die berechtigten Ver­ bände nach Maßgabe ihrer Verfassung verteilt (§ 1 Abs. 2 des G.). Im Falle der Ziff. 4 erfolgt die Verteilung der Renten durch den Kataster­ direktor (früher Katasterkontrolleur), und zwar nach dem Maßstabe der Grund- und Gebäude steuer oder, falls dieser Maßstab nicht anwendbar ist oder von der Wirklichkeit erheblich abweicht, nach dem im Anhalt an die Grund- und Ge­ bäudesteuergesetzgebung zu ermittelnden Ertrags (Nutzungs-) Werte (88 3, 4 des G.). Gegen den vom Katasterdirektor entworfenen, den Betei­ ligten bekanntzumachenden Rentenverteilungs­ plan steht ihnen innerhalb 21 Tagen nach der Bekanntmachung die bei dem Katasterdirektor an­ zubringende Beschn^rde offen (8 4 des G.). Die Bestätigung des Rentenverteilungsplans und die Entscheidung auf Beschwerden erfolgt durch die Rentenbankdirektion hinsichtlich der Rentenbankrenten, durch die Domänenbehörde (Reg.) hinsichtlich der Domänenrenten (8 5). Das Ver­ fahren ist durch die Anw. vom 17. 6. 1920 und MErl. vom 27. 9. 1920 (FMBl. 291 und MBlMfL. 1921, 267) eingehend geordnet. Die zu 5 bezeichneten Verbandslasten sind nur solche, die aus dem Grundbesitz haften oder mit Rücksicht auf den Grundbesitz zu entrichten sind. Sie werden durch den betreffenden Verbandsvertreter (Gemeindekirchenrat, Kirchen-, Schulvorstand, Gemeindevorsteher) verteilt. Sie wird in ur­ kundlicher Form festgesetzt und den Beteiligten und auch der Patronatsaufsichtsbehörde bekannt­ gemacht, der dagegen innerhalb 21 Tagen die Klage im BwStr. offensteht (88 7—9 des G.). Einer Genehmigung der kirchlichen Oberen be­ darf es nicht. Gegen eine Ablehnung durch den Ktrchenvorstand gibt es nur Beschwerde im Auf­ sichtswege (OVG. im VrVBl. 32, 6). Im VwStr. ist allein darüber zu entscheiden, ob der im Plan festgesetzte Anteil dem G. entspricht. Strei­ tigkeiten über das Bestehen der zu verteilenden Abgaben und Leistungen verbleiben der richter­ lichen Entscheidung (8 116 OVG. 12, 209; 28, 379; 37, 370; 54, 490). Keiner Verteilung unterliegen solche Verbandskasten, die auf Ge­

bäuden, Bauplätzen, Hofstetten oder Gärten inner­ halb einer Stadt oder einer Vorstadt ruhen, oder die von dem Besitzer eines jeden Grundstücks ohne Rücksicht aus dessen Beschaffenheit und Größe, oder die nach Verhältnis der Staatssteuern aufzubringen sind, oder endlich wenn irrt Falle der Vertauschung von Grundstücksteilen die wech­ selseitige Lastenübertragung unter Zustimmung der Abgabeberechtigten ausgemacht wird (8 10). Die über die Lastenverteilung getroffenen vor­ läufigen Festsetzungen sind irrt Verwaltungswege vollstreckbar (8 12). Pr. Abgänge von Fabriken. Der Behandlung der festen und flüssigen Fabrikabgänge ist bei der Ge­ nehmigung gewerblicher Anlagen (s. d.) besondere Sorgfalt zuzuwenden (TechnAnl., s. d., I). So­ weit es sich um die Ableitung der A. in Wasser­ läufe handelt, muß der Wasserpolizeibehörde Anzeige erstattet werden (8 23 WasserG. vom 7. 4. 1913, GS. 53). S. Abwässer. Uber die Unschädlichmachung der A. sind flk bestimmte Betriebe in der TechnAnl. (s. d.) Ziff. 11, 13, 16, 24—26, 30, 33 und für Pikrinsäuresabriken (s. d.) in den Vorschriften vom 24. 10. 1903 (HMBl. 349) besondere Bestimmungen vorge­ sehen. Auch in den Vorschriften über die Einrich­ tung und den Betrieb gewerblicher Anlagen (s. d. V 3) ist bei den einzelnen Anlagen die Beseitigung der A. näher geregelt, so z. B. Roßhaarspinne­ reien (s. d.), Steinhauereien (s. d.). S. auch Erl. vom 25. 6.1904 (HMBl. 348) über die Zuleitung der Kondens- und Kühlwässer in die Ausgleichs­ und Klärbassins. Nach ViehseuchG. vom 26. 6. 1909 (RGBl. 519) 8 17 Ziff. 15 kann zum Schutze gegen die ständige Gefährdung der Viehbestände die Beseitigung oder Reinigung der Abwässer und Abfälle der Gerbereien, Fell- und Häutehand­ lungen geregelt werden. S. auch Rohzucker­ fabriken. FHAbgraben und Abpflügen v§n fremden Grund­ stücken oder von Grenzrainen ist strafbar nach RStGB. 8 370 Ziff. 1. Pr. Ablagen (Abladeplätze, Umschlagplätze) s. Häfen V.

Ablehnung von Gerichtspersonen und Sach­ verständigen. Im Interesse einer unparteiischen Rechtspflege sind nicht bloß unter Umständen Gerichtspersonen (Richter und Gerichtsschreiber) rechtlich verhindert, ihr Amt im einzelnen Falle auszuüben (s. Ausschließung), sondern es können auch sie einschließlich der Schiedsrichter und ferner Sachverständige einschließlich der Dol­ metscher als ihre Gehilfen abgelehnt werden. Diese A. ist zulässig, entweder weil ein Fall der Ausschließung kraft Gesetzes gegeben ist, oder wegen Besorgnis der Befangenheit (judex sus­ pectus). Befangenheit besteht, wenn ein Grund vorliegt, ,welcher objektiv geeignet ist, das be­ hauptete Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit als wirklich begründet erscheinen zu lassen Dem preuß. Beschlußverfahren ist sie als etwas von der Ausschließung Verschiedenes nicht bekannt. Für das BwStr. aber schreiben §§ 61, 62, 75 LVG. an sich die sinngemäße Anwendung der Bestim­ mungen der bürgerlichen Prozeßgesetze über die A. vor, insbesondere gilt ebenfalls, daß eine A. demjenigen Richter gegenüber, bei dem die Partei ohne Geltendmachung des Ablehnungsgrundes

Ablösung der Reallasten

sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, nicht mehr stattfindet, es sei denn, daß der Grund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden ist. Dem Gerichts­ schreiber des Zivilprozeßgerichts steht der Pro­ tokollführer des Verwaltungsgerichts gleich. Es ist jedoch einmal eine grundsätzliche Abweichung dahin getroffen, daß gegenüber dem LR. und dem RP. aus der innerhalb ihrer Zuständigkeit geübten amtlichen Tätigkeit kein Grund zur A. wegen Besorgnis der Befangenheit entnommen werden darf. Außerdem ist noch bestimmt, daß über das stets in nichtöffentlicher Sitzung zu er­ ledigende Ablehnungsgesuch das Gericht, welchem der Abgelehnte angehört, bei A. des Vorsitzenden des Kreis- (Stadt-) oder Bezirksausschusses das nächsthöhere Gericht beschließt, daß der Beschluß, durch welchen das Gesuch für begründet erklärt wird, endgültig ist, wenn aber das Gesuch für unbegründet erklärt wird, der damit zurückgewie­ senen Partei innerhalb zwei Wochen die Be­ schwerde, auf welche § 110 LVG. anzuwenden ist, an das im Jnstanzenzuge zunächst höhere Ge­ richt zusteht, welches endgültig entscheidet und daß das im Jnstanzenzuge unächst vorgesetzte Gericht auch dann endgültig entscheidet, und dabei zugleich das zuständige Gericht bestimmt, wenn das Gericht, dem das abgelehnte Mitglied an­ gehört, bei dessen Ausscheiden beschlußunfähig wird. Nur bestimmte Mitglieder desjenigen Berwaltungsgerichts, das gesetzlich zur Entscheidung berufen ist, können abgelehnt werden, nicht ein ganzes Gericht oder eine Abteilung desselben als solche (OVG. 39, 449; 49, 5), auch nicht auf dem Wege, daß die A. äußerlich in der Form einer A. aller einzelnen Mitglieder erfolgt. Die abgelehnten Richter sind nicht verhindert, an der Beschlußfassung über ein gegen sie gerichtetes Ablehnungsgesuch teilzunehmen, wenn dieses nicht ernstlich oder in gutem Glauben, sondern nur gestellt ist, um die Tätigkeit des Gerichts zu lähmen oder doch die Sache zu verschleppen (RGZ. 44,402). Über ein auf Besorgnis der Be­ fangenheit gestütztes Ablehnungsgesuch, bei dem jede sachliche Angabe fehlt, die objektiv geeignet wäre, jene Besorgnis zu begründen, kann ohne weiteres hinweggegangen werden (OVG. 53, 448). Das Gericht darf nicht, nachdem es ein Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt hat, in der Sache selbst erkennen, ohne zunächst der Partei die Beschwerde ofsenzuhalten (OVG. 11, 279). Die A. von Sachverständigen im VwStr. nach dem LVG. wird als unzulässig anzu­ sehen sein, s. Näheres bei Schultzenstein im PrBBl. 29, 825. Nach der besonderen Vor­ schrift im § 22 des G., betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, vom 28. 10. 1905 (GS. 373) sollen Personen, bei welchen für den einzelnen Fall eine Befangenheit zu besorgen ist, zu Sachverständigen nicht verwandt werden. S. auch Beratung und Parteiinteresse. Je. Eine A. der Gerichtspersonen gibt es auch bei der Sozialversicherung, s. §§ 1643—1648, 1679, 1712, 1789 RVO., sowie im Verfahren vor den Arbeitsgerichten, s. § 49 Arbeitsgerichts^, im Verfahren vor dem Ehrengericht für Patent­ anwälte, f. § 103 des G., betr. die Patentanwälte, vom 2. 5. 1900 (RGBl. 233), im Verfahren vor den ärztlichen Ehrengerichten, s. Z 8 des G.,betr.

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die ärztlichen Ehrengerichte, vom 25. 11. 1899 (GS. 565), im Reichssteuerrecht (s. Reichsfinanz­ verwaltung) usw. F. H. Jeb ens im PrBBl. 26 S. 301, 321. Ablösung der Reallasten. I. Das BGB. hat wie die übrigen dinglichen Rechte so auch die Reallasten geregelt. Es bestimmt in § 1105: „Ein Grundstück kann in der Weise belastet wer­ den, daß an denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück zu entrichten sind (Reallast)". Beschränkungen hinsichtlich der Reallasten schreibt es selbst nicht vor; dagegen hat es die Landes­ gesetze, welche die Begründung von Reallasten ausschließen oder beschränken, insbesondere nur gewisse Reallasten und auch diese nur mit Be­ schränkungen gestatten, ebenso die Bestimmungen über die Ablösbarkeit und A. d. R. unberührt gelassen (Art. 113—116 EGBGB.; vgl. Art. 30 u. 31 PrAG. z. BGB.). Die für die A. der älteren Reallasten — die nachstehend allein behan­ delt werden soll — maßgebenden früheren G. bestehen daher auch nach Erlaß des BGB. noch fort; sie beziehen sich aber selbstverständlich nur ans die zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. bestehenden Reallasten (Art. 184 EGBGB.). Wegen der Rentengutsrenten vgl. weiter unten. Der Begriff solcher Reallasten ist nach manchen Richtungen hin bestritten; im allgemeinen ver­ steht man darunter wiederkehrende Leistungen des privaten oder öffentlichen Rechts, die auf einem bestimmten Grundstück haften (nicht auch diejenigen, welche nur mit Rücksicht auf den Besitz eines bestimmten Grundstücks zu entrichten sind). Sie können in einem Tun oder Geben be­ stehen, in Geld oder Naturalien zu leisten sein, regelmäßig zu bestimmten Zeiten oder nur bei unregelmäßig wiederkehrenden Gelegenheiten ge­ schuldet werden, und endlich von ein für allemal bestimmter oder von veränderlicher Höhe sein. Die meisten von ihnen rühren aus den wirtschaft­ lichen Verhältnissen und aus der Agrarverfassung vergangener Jahrhunderte her. Doch können sie auch auf gesetzlicher Anordnung beruhen und ebenso durch Vertrag oder Verjährung entstanden sein (wegen Einschränkung dieser beiden letzten Erwerbsarten vgl. weiter unten). Bei der Mehr­ zahl liegt ihre Entstehung im Dunkeln. Bon der Dienstbarkeit (Servitut) unterscheiden sie sich hauptsächlich dadurch, daß sie zu einem aktiven Handeln verpflichten, während bei jener der Be­ lastete der Regel nach nur zu einem Dulden ver­ pflichtet ist (RG. in ZfA. 7, 283). Seit dem Anfänge des vorigen Jahrhunderts ist die Gesetz­ gebung auf eine Beseitigung der Reallasten ge­ richtet gewesen; teils sind sie ohne Entschädigung aufgehoben, teils für ablösbar erklärt worden (vgl. auch Gutsherrlich-bäuerliche Regulie­ rungen). Ohne Entschädigung der Berechtigten sind außer anderen Leistungen insbesondere auf­ gehoben alle auf einem ehemaligen schutzherr­ lichen Verhältnis beruhenden Lasten und Ab­ gaben; für ablösbar erklärt sind alle anderen be­ ständigen Abgaben und Leistungen, auch wenn sie aus dem gutsherrlichen Verhältnisse hervor­ gegangen sind, mögen sie auf eigentümlich oder auf bisher erbpachts- oder erbzinsweise besessenen Grundstücken und Gerechtigkeiten gehaftet haben, insbesondere also alle Natural- und Geldzinsen,

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Ablösung der Reallasten

Fronden (Hand- und Spanndienste), die Besitz­ veränderungsabgaben (Laudemien), der Erbzins, der Kanon bei der Erbpacht u. dgl. m. Aus­ geschlossen von der A. sind im allgemeinen die öffentlichen Lasten mit Einschluß der Gemeindelasten, Gemeindeabgaben und Ge­ meindedienste. Die Ausführung der A. gehört zur Zuständigkeit der Landeskulturbehörden (vgl. dort). Ein etwaiger Streit über das Bestehen einer Reallast unterliegt jedoch der Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte. Die Gesetzgebung über die A. d. R. ist nicht im ganzen Staatsgebiete einheitlich gestaltet. Für den ganzen Staat außer der Prov. Hannover gilt jedoch die Vorschrift, daß mit Ausnahme fester Geldrenten beständige Abgaben und Leistungen einem Grundstück als Reallasten nicht auferlegt werden können. Neu auferlegte feste Geldrenten können nach sechs­ monatiger Kündigung, die höchstens für 30 Jahre ausgeschlossen werden darf, mit dem 20fachen Betrage abgelöst werden. Durch dieses Verbot werden aber Kreditinstitute sowie die Vorschriften über Rentengüter nicht getroffen (§ 91 des AblG. vom 2. 3. 1850, GS. 77; § 18 des G. vom 28. 5. 1860, GS. 221; § 13 des G. vom 15. 2. 1872, GS. 165; § 54 des G. vom 3. 1. 1873, GS. 3; § 25 des G. vom 23. 7. 1876, GS. 357; Art. 30 u. 89 Ziff. 15 PrAG. z. BGB.). Derartige ver­ botene Reallasten können daher auch nicht mehr durch Verjährung neu entstehen. In der Prov. Hannover ist bei der Veräußerung von Grund­ stücken die Neubegründung von Reallasten, die nicht nur in festen Geldrenten, sondern auch in Abgaben von reinen Körnern und nutzbaren Erd­ arten sowie in Naturaldiensten bestehen können, gestattet; die Vereinbarung der Unablöslichkeit aber wie in den übrigen Provinzen ausgeschlossen (HannB. vom 23. 7. 1833; V. vom 28. 9. 1867, GS. 1670; B. vom 3. 4. 1869, GS. 554; vgl. auch unter II 5). — Ablösbare privatrechtliche Lasten, für die nach der Zerstückelung eines Grund­ stücks dessen einzelne Teile solidarisch hasten wür­ den, können durch den Kulturamtsvorsteher auf die einzelnen Teile verteilt werden (Art. 31 AG. z. GBO.). Neuerdings ist für den ganzen Staat das G. vom 9. 1. 1922 (GS. 7) ergangen — das sog. SperrG. —, wonach bis zum Erlaß eines anderweiten G. Reallasten nur noch abgelöst werden können, wenn über die Höhe des der Ab­ lösung zugrunde zu legenden Jahreswertes Ein­ verständnis besteht. Da außerdem die Mit­ wirkung der Rentenbank infolge der Inflation zum Stillstand gekommen ist, ruht das Ablösungs­ wesen zur Zeit fast völlig. — Abgesehen von diesen gemeinsamen Bestimmungen sind für die Gesetzgebung zu unterscheiden: 1. die älteren Ge­ bietsteile; 2. der RegBez. Kassel, ausschließlich der vormals großherzogl. Hess. Gebietsteile; 3. der RegBez. Wiesbaden, einschließlich der zum Reg­ Bez. Kassel gehörigen vormals großherzogl. Hess. Gebietsteile; 4. die Prov. SchlHolst., einschließ­ lich des Kreises Herzogtum Lauenburg; 5. die Provinz Hannover; 6. die hohenzollernschen Lande. II. 1. Die älteren Gebietsteile, und zwar die Provinzen Ostpreußen, Grenz­ mark, Brandenburg, Pommern, Oberund Niederschlesien, Sachsen, Westfalen und die Rheinprovinz. Nachdem durch zahl­

reiche G. in der ersten Hälfte des vorigen Jahr­ hunderts die A. von Reallasten geregelt war, führten die Ereignisse des Jahres 1848 zu den beiden G. vom 2. 3. 1850, betr. die A. d. R. und die Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Ver­ hältnisse (GS. 77; nachstehend als AblG. 50 bezeichnet) und über die Errichtung von Renten­ banken (GS. 112). Beide ergingen für den ganzen Umfang des Staates mit Ausnahme der auf dem linken Rheinufer belegenen Landesteile, in denen die franz. Gesetzgebung bereits eine große Anzahl Reallasten unentgeltlich ausgehoben, die übrigen aber den beweglichen Sachen gleichgestellt und für sie Kapitalablösung zugelassen hatte. Das AblG. 50 hat die älteren G. nahezu vollständig beseitigt und eine große Anzahl Berechtigungen, die der freien Verfügung über das Grundeigen­ tum hindernd in den Weg traten und entweder gar keinen Geldwert hatten oder nur einen rein zufälligen Vorteil gewährten, sowie die meisten aus dem früheren Gerichts- und schutzherrlichen Verbände, der früheren Erbuntertänigkeit oder der früheren Steuer- und Gewerbeverfassung herrührenden Berechtigungen ohne Entschä­ digung aufgehoben. Hierzu gehören u. a.: das Obereigentum des Lehnsherrn (mit Ausnahme der Thronlehne), des Guts- oder Grundherrn und des Erbzinsherrn, ebenso das Eigentumsrecht des Erbverpächters (mit dem Tage der Rechts­ kraft des G. haben daher der Erbzinsmann und der Erbpächter das volle Eigentum ihrer Stellen erlangt), die Borkaufs-, Näher- und Retraktrechte von Grundstücken mit Ausnahme der durch Verträge oder letztwillige Verfügungen begrün­ deten des aus dem Miteigentumsrecht ent­ springenden, sowie des gesetzlichen Vorkaufs­ rechts bei enteigneten Grundstücken, wenn diese nicht weiter notwendig sind und veräußert werden sollen. Im einzelnen ist auf die §§ 2, 3 des AblG. 50 zu verweisen. Hervorzuheben ist, daß mit der Aufhebung des Obereigentums des Grundherrn, Erbpächters usw. nicht etwa gleichzeitig auch die auf diesem Verhältnisse beruhenden Abgaben und Leistungen aufgehoben waren. Sofern, was viel­ fach noch vorkommt, die nach vorstehendem un­ entgeltlich aufgehobenen Berechtigungen in den Grundbüchern noch eingetragen stehen, können sie ohne weiteres gelöscht werden. Den ohne Entschädigung aufgehobenen Reallasten stehen diejenigen gegenüber, welche von der Ablös­ barkeit ausgeschlossen sind. Es sind das die öffentlichen Lasten mit Einschluß der Ge­ meindelasten, Gemeindeabgaben und Gemeinde­ dienste, die auf eine Deich- oder ähnliche Sozietät sich beziehenden Lasten, endlich die Abgaben und Leistungen zur Erbauung oder Unterhaltung von Kirchen-, Pfarr- und Schulgebäuden; falls letztere jedoch die Gegenleistung einer ablösbaren Reallast sind, so sind sie zugleich mit dieser abzulösen. Die Gemeinde- und Sozietätslasten sind von der Ab­ lösbarkeit ausgeschlossen, weil durch einen Be­ schluß der Gemeinde oder Sozietät die Aufhebung oder Umwandlung solcher Lasten jederzeit er­ folgen kann und weil außerdem die Mitglieder gewissermaßen Berechtigte und Verpflichtete in einer Person sind, daher gegen sich selbst ablösen würden. Lasten solcher Art sind mehr persönlicher Natur und nur mit Rücksicht auf den Grundbesitz verteilt. Soweit sie aber auf besonderen privat-

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rechtlichen Verhältnissen beruhen, sind sie von der Ablösbarkeit nicht ausgeschlossen. Die Kirchen-, Pfarr- und Schulbaulasten sind von der Ablös­ barkeit ausgenommen, weil, solange nicht die Auf­ bringung der Kosten für diese Zwecke gesetzlich anderweit geregelt und fichergestellt ist, die Er­ haltung jener unentbehrlichen Gebäude gefährdet werden könnte. — Abgesehen von den aufgehobe­ nen und den von der Ablösbarkeit ausgeschlossenen Lasten unterliegen alle beständigen Abgaben und Leistungen, die auf eigentümlich oder früher erbpachts- oder erbzinsweise besessenen Grundstücken oder Gerechtigkeiten haften (Reallasten), der Ab­ lösung, insbesondere Dienste, Abgaben in Kornern oder anderen Naturalien (auch Geld­ reallasten, deren einzelne Leistungen auf dem jeweiligen Geldwert einer von vornherein be­ stimmten Menge von Roggen beruhen, KG. in ZsA. 3, 115), Fruchtzehnten, Besitzveränderungs­ abgaben (Laudemien, Lehnwaren, Antrittsgelder, Gewinngelder), feste Geldabgaben, die Verpflich­ tung zur Haltung von Samenvieh u. dgl. m. Be­ treffs der aus Mühlengrundstücken hastenden Real­ lasten ist jedoch das G. vom 11. 3.1850 (GS. 146; s. Mühlenabgaben) maßgebend, und ebenso bestehen besondere Vorschriften für die A. von Gewerbeberechtigungen, Zwangs- und Bann­ rechten, Abdeckereiberechtigungen u. dgl. m. (s. die betreffenden Artikel). Die Ablösung erfolgt nur auf Antrag; diesen zu stellen, zu „pro­ vozieren", ist sowohl der Berechtigte wie der Ver­ pflichtete befugt. Die Provokation auf A. durch den Berechtigten muß sich stets auf die A. aller Reallasten erstrecken, die für ihn auf den Grund­ stücken desselben Gemeindeverbandes hasten; sind mit dem Provokaten Grundbesitzer einer anderen Gemeinde zum Naturalfruchtzehnt oder zu Dien­ sten gemeinschaftlich verpflichtet, so muß der Be­ rechtigte seine Provokation zugleich auch gegen die Grundbesitzer dieser Gemeinde hinsichtlich aller auf deren Grundstücken für ihn hastenden Real­ lasten richten. Die Provokation auf A. durch den Verpflichteten muß sich stets auf sämtliche seinen Grundstücken obliegende Neallasten erstrecken. Die Zurücknahme einer angebrachten Provokation ist unzulässig (§ 95 AblG. 50). — Zur A. ist zunächst die Feststellung des jährlichen Geld­ wertes der Reallast erforderlich. Für dessen Ermittlung waren früher eingehende Vorschriften (Martini-Marktpreise, Normalmarktpreise, Fest­ stellung von Normalpreisen usw.) gegeben. Diese haben aber (durch das SperrG.) ihre Bedeutung verloren (OLA. 14. 3. 1924 in ZfA. 3, 217). Steht der Jahreswert fest, so kann er von dem Verpflichteten durch Barzahlung des 18 fachen Betrags (s. aber weiter unten) an den Berechtig­ ten abgelöst werden; will der Verpflichtete das nicht, so erfolgte früher die A. durch Vermittlung der Rentenbank — also auch ohne daß deren Ver­ mittlung besonders beantragt wäre. In diesem Falle erhielt der Berechtigte von der Rentenbank den 20fachen Betrag des Jahreswertes, und zwar in 4%igen Nentenbriefen; der Verpflichtete hatte dagegen fortan an die Rentenbank den vollen Jahreswert der abzulösenden Last während 4P/12 Jahre, oder aber, wenn er das vorzog, 9/io dieses Jahreswertes während 56V12 Jahre zu entrichten, wodurch seine Schuld getilgt wurde (Tilgungsrente). Diese Berechnung beruhte auf

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der Annahme einer landesüblichen Verzinsung von 5%, so daß also die Rentenbank, weil sie die ausgegebenen Rentenbriefe nur mit 4% zu ver­ zinsen hatte, einen Überschuß erzielte, der zur Tilgung verwendet wurde. — Wollte der Ver­ pflichtete die A. durch Barzahlung des 18 fachen Betrags bewirken, so konnte der Berechtigte trotz­ dem Abfindung zum 20 fachen Betrage durch die Rentenbank verlangen; in diesem Falle zahlte der Verpflichtete den 18fachen Barbetrag an die Staatskasse, und diese entrichtete dafür an seiner Stelle die ihm obliegenden Zins- und Tilgungs­ quoten an die Rentenbank. Da diese 41/2°/o des Rentenbriefkapitals betrugen, setzte hierbei der Staat also zu (§ 64 AblG. 50; s. auch Renten­ banken); hervorzuheben ist nun aber, daß vor­ stehende Bestimmungen nur auf solche Real­ lasten Anwendung fanden, die mit einem gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnis in Zusam­ menhang standen; wo das erwiesenermaßen nicht der Fall war — und das war die Mehrzahl —, konnte die A. nur zum 20 fachen Betrage, und zwar aus den Antrag des Berechtigten nur durch Vermittlung der Rentenbank, auf den Antrag des Verpflichteten nur durch Barzahlung nach vorher­ gegangener sechsmonatiger Kündigung geschehen. Teilzahlungen waren zwar zulässig, aber, mangels anderer Vereinbarung, nicht unter 300 M (§ 65 AblG. 50). Ob die infolge der Inflation ruhende Mitwirkung der Rentenbanken wieder einsetzen wird, hängt von der in Aussicht stehenden gesetzlichen Neuregelung der Neallastenablösung ab. Die Reg. haben nach § 7 des Reglements vom 1. 8. 1850 (MBl. 302) die A. der dem Domänen­ fiskus als Berechtigtem zustehenden Reallasten nicht zu beantragen (vgl. auch Rentenbanken). Besondere Bestimmungen gelten für die A. der den Kirchen, Pfarren, Küstereien, son­ stigen geistlichen Instituten, kirchlichen Beamten, öffentlichen Schulen und deren Lehrern, höheren Unterrichts- und Er­ ziehungsanstalten, frommen und milden Stiftungen oder Wohltätigkeitsanstalten sowie den zur Unterhaltung aller vor­ gedachten Anstalten bestimmten Fonds zustehenden Realberechtigungen, soweit solche nach dem AblG. 50 überhaupt ablösbar sind (wegen ihrer früheren Behandlung vgl. § 65 Abs. 4 AblG. 50 und G. vom 15.4.1867, GS.363). Nach dem G. vom 27. 4. 1872 (GS. 417) sind nämlich derartige Berechtigungen, soweit sie nicht bereits in feste Geldrente verwandelt sind, aus den Antrag sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten auf ihren jährlichen Geldwert zu berechnen und unter Zugrundelegung der Mar­ tini-Marktpreise in eine Roggenrente zu ver­ wandeln. Diese Noggenrente ist aber nicht in na­ tura, sondern in Geld, und zwar ebenfalls unter Zugrundelegung der Martini-Marktpreise abzu­ führen. Die Höhe der jährlichen Zahlung ist hier­ nach von den jeweiligen Marktpreisen abhängig. Diese Roggenrenten sind also keine Tilgungsren­ ten. Sie sowohl als auch die schon rechtsverbind­ lich feststehenden Renten konnten aus den Antrag des Berechtigten wie des Verpflichteten völlig abgelöst werden. Zu dem Zwecke wurde ihr Jahreswert nach dem Durchschnittsmarktwerte der letzten 24 Jahre — mit Weglassung der beiden teuersten und der beiden wohlfeilsten — ermittelt

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und, wenn der Antrag vom Verpflichteten aus­ ging, zum 25fachen, wenn der Antrag vom Be­ rechtigten ausging, zum 227-fachen Betrage kapi­ talisiert. Die Abfindung erfolgte durch Vermitt­ lung der Rentenbank; dem Verpflichteten stand jedoch frei, bar abzulösen. Bei Vermittlung der Rentenbank hatte der Verpflichtete die von dieser gewährte Abfindungssumme 56712 Jahre hin­ durch durch Zahlung von 4y2 °/o zu verzinsen und zu tilgen, so daß er bei A. zum 227-fachen Be­ trage die Rente in der seitherigen Höhe weiter zu entrichten, bei A. zum 25 fachen Betrage aber etwas mehr zu zahlen hatte und nach Jahren von seiner Schuld befreit ist. Auch bei diesen Ab­ gaben ist jetzt infolge des SperrG. vom 9. 1. 1922 die A. nur noch möglich, wenn über den Jahres­ wert Einigung erzielt wird. Eine Mitwirkung der Rentenbank findet ebenfalls bis auf weiteres nicht statt. Der Vollständigkeit wegen ist hier schließlich noch hervorzuheben, daß durch G. vom 10. 4. 1865 (GS. 172) die auf der schles. Zehnt­ verfassung beruhenden Reallasten von Amts wegen abgelöst worden sind. 2. Der RegBez. Kassel mit Ausnahme der dazugehörigen vormals großherzog­ lich hessischen Gebietsteile. Für die A. der Reallasten, und zwar auch derjenigen, welche be­ reits nach vorpreuß. Gesetzgebung ablösbar waren, ist maßgebend das G. vom 23. 7. 1876 (GS. 357). [Söegen der Zusammensetzung des RegBez. Kassel vgl. unter Gemeinheitstei­ lungen unter IIB.] Durch dieses G. sind im all­ gemeinen die Grundsätze der AblG. vom 2. 3. 1850 und 27. 4. 1872 (s. vorstehend) eingesührt. Es genügt hier, auf dieses G. zu verweisen. 3. Der RegBez. Wiesbaden mit den zum RegBez. Kassel gehörigen vormals großherzoglich hessischen Gebietsteilen. Maßgebend sind die G. vom 5. 4.1869 (GS. 517), vom 15. 2. 1872 (GS. 165), vom 8. 6. 1874 (GS. 248) und vom 16. 6. 1876 (GS. 369), durch die ebenfalls ein Rechtszustand hergestellt ist, der mit dem in den alten Provinzen geltenden in der Hauptsache übereinstimmt, so daß hier auf An­ gabe von Einzelheiten verzichtet werden kann. Wegen fester Holzabgaben vgl. § 13 der GemTO. vom 5. 4. 1869 (GS. 526). 4. Die Provinz Schleswig-Holstein mit dem Kreise Herzogtum Lauenburg. Die A. der Reallasten wird für die Prov. SchlHolst. und den Kreis Herzogtum Lauenburg (G. vom 29. 5. 1903, GS. 189) erschöpfend geregelt durch das G. vom 3. 1. 1873 (GS. 3), das im allgemei­ nen den für die A. in den alten Provinzen maß­ gebenden Vorschriften entspricht, so daß hier auf das G. selbst verwiesen werden kann. 5. Die Provinz Hannover. Uber die A. der Reallasten besteht in Hannover eine umfang­ reiche Gesetzgebung, die zum Teil noch aus vor­ preuß. Zeit herrührt. Die dabei zu befolgenden Grundsätze sind zuerst in der V. vom 10. 11. 1831 (HannGS. Abt. I S. 209) niedergelegt und so­ dann in der V. vom 23. 7. 1833 (a. a. O. Abt. I S. 147) weitläufig aus geführt worden. Gegen­ stände der A. sind danach eigentliche Reallasten jeder Art von allen Grundstücken außer von Fehnund Moorkolonien; jedoch werden nicht dazu ge­ rechnet Staats-, Gemeinde- und Sozietätslasten, wozu auch Sie aus Gemeinde- und Sozietätsver­

hältnissen entspringenden Kirchen-, Pfarr- und Schuldienste und Lasten gehören. Grundstücke, welche in einem Meier-Eigenbehörigkeits-, Meierdings- oder ähnlichem Verbände mit erblichem Rechte des Besitzers standen, ebenso die Erbzinsund Erbpachtgrundstücke werden durch A. der darauf ruhenden gutsherrlichen Rechte und Lasten in volles Eigentum verwandelt. Ablösbar find hiernach: feste Geld-, feste Getreide- und andere feste Naturalabgaben, zufällige oder veränderliche Rechte wie Antrittsgelder, Besthaupt, Heimfall, Laudemien usw., Zehnten von Bodenerzeug­ nissen, Naturaldienste. Als Absindungsmittel ist Kapital-, Geld- oder Fruchtrente zulässig; der Jahreswert kann nach dem SperrG. vom 9. 1. 1922 nur durch Vereinbarung festgestellt werden. Nach der AblO. vom 23. 7. 1833 war im all­ gemeinen nur der Verpflichtete befugt, auf A. anzutragen. Durch V. vom28.9.1867 (GS. 1670) wurde auch dem Domänensiskus das Recht bei­ gelegt, die A. der ihm zustehenden Reallasten zu verlangen, insbesondere auch die der früher unab­ lösbaren, nach Maßgabe der V. vom 23. 7.1833 bei der erblichen Übertragung von Gütern und Grundstücken vorbehaltenen Abgaben (vgl. I am Schluß), ferner die der Allodifikationsrenten auf Grund des G. vom 13. 4. 1836, endlich die der auf Grundstücken des Hann. Harzes ruhenden Lasten (für die die AblO. vom 23. 7. 1833 keine Geltung hatte). Durch G. vom 3.4.1869(GS.544> wurden ferner die Vorschriften des G. vom 28. 9. 1867 auf die A. von Reallasten, welche an­ deren Berechtigten zustehen, ausgedehnt. Die Abfindung erfolgte durch Kapital (zum 18- oder 20fachen Betrage) oder durch Zahlung einer Rente während 4iy12 Jahre an den Domänen­ fiskus oder an die Rentenbank (nach Maßgabe der Bestimmungen des RentenbankG. vom 2. 3. 1850). Auch die vorher unablösbaren Ab­ gaben von Ziegeleien, Mühlen, Schänkwirt­ schäften und ähnlichen mit dem erblichen Besitze eines Grundstücks verbundenen gewerbsartigen Betrieben sind für ablösbar erklärt, soweit sie nicht dem G. vom 17. 3. 1868 (GS. 249) unter­ liegen. — Von der A. waren hiernach noch die Ab­ gaben der geistlichen Institute, sowie die in Fehnund Moorkolonien bestehenden Abgaben aus­ geschlossen. Für erstere erging demnächst das G. vom 15. 2. 1874 (GS. 21), durch das die auch in dem G. vom 27. 4. 1872 (s. oben) bezeichneten Abgaben für ablösbar nach den Vorschriften des G. vom 3. 4. 1869 erklärt werden; jedoch mit der Abweichung, daß der nach den Vorschriften der Hann. Ablösungsordnung festzustellende Jah­ reswert, entsprechend dem G. vom 27. 4. 1872 (GS. 417), zum 25fachen Betrage, wenn der Antrag vom Verpflichteten, zum 227g fachen Be­ trage, wenn der Antrag vom Berechtigten aus­ geht, abzulösen war. Die A. erfolgte durch Ver­ mittlung der Rentenbank, dem Verpflichteten stand aber Barablösung frei. — Die Ablösbarkeit der Erbenzins- und Erbpachtsverhältnisse in den Moor- und Fehnkolonien wird durch das G. vom 2. 7. 1876 (GS. 261) geregelt. Danach sind die aus solchen Verhältnissen entspringenden bestän­ digen Abgaben und Leistungen in derselben Weise wie andere Reallasten ablösbar, jedoch mit der Maßgabe, daß, wenn dem Berechtigten Gegen­ leistungen für öffentliche oder gemeinnützige Ein-

Ablösung der Wegebauverpslichtungen —Abortanlagen

richtungen (Kanäle, Schleusen, Brücken, Wege usw.) zürn Besten der Kolonie oder der Kolonisten obliegen, dem Ablösungsantrage erst stattgegeben werden darf, wenn die dauernde Forterhaltung sowie die weitere gedeihliche Entwicklung der für die Kolonie unentbehrlichen Einrichtungen nach er­ folgter A. sichergestellt ist. Für die Fälle, in denen Ausweisungen oder Verleihungen an Obererb­ pächter oder sonstige Mittelspersonen und von diesen wieder an Untererbpächter oder Kolonisten erfolgt sind, sind besondere Vorschriften hinsicht­ lich der Provokationsbefugnis gegeben; ebenso ist die Wertsermittlung für solche feste Abgaben, welche bis zu einem gewissen Zeitpunkte steigen und erst dann dauernd feststehen, besonders gereaelt. Endlich ist den Moor- (nicht den Fehn-) kolonisten die Befugnis beigelegt, bei der A. nur 9/io der vollen Rente, diese dann aber während 56712 Bahre zu zahlen. 6. Die hohenzollernschen Lande. Für diese hat das G. vom 28. 5. 1860 (GS. 221) eine A. der Reallasten von Amts wegen an­ geordnet. Diese ist inzwischen völlig durchgeführt. S. auch Gemeinheitsteilungen. Pr. Greiff, Die preußischen Gesetze über Landeskultur und landwirtschaftliche Polizei, Breslau 1866; Lette u. von Rönne, Die Landeskulturgesetzgebung des preußischen Staates, Berlin 1854; Zeitschrift für die Laudeskulturgesetz­ gebung der preußischen Staaten Bd. 1—40; Meyer, Landesökonomiegesetzgebung des Königreichs Hannover, Celle 1866.

Ablösung der Wegebauverpflichtungen. Die vertragsmäßige Übertragung der Wegebaulast oder einzelner wegebaulicher Verpflichtungen auf einen anderen unter Gewährung eines ent­ sprechenden Entgelts kann mit öffentlichrechtlicher Wirkung nur erfolgen, soweit nicht die Wegebau­ last dem Verpflichteten kraft G. derart ausschließ­ lich obliegt, daß nur er als öffentlichrechtlich Ver­ pflichteter in Betracht kommen kann. Letzteres ist z. B. bei den durch die §§ 44 Wo. für West­ preußen vom 27. 9. 1905 (GS. 357) und für Posen vom 15. 7. 1907 (GS. 243) aufrechterhal­ tenen bisherigen Verpflichtungen des Reiches zur Unterhaltung von Wegen und bei der auf § 11, II 15 ALR. beruhenden subsidiären, aber aus­ schließlichen Verpflichtung des Staates zur Unter­ haltung der Land- und Heerstraßen im Sinne des § 1, II 15 ALR. der Fall. Sie kann also vertraglich auf Dritte mit jener Wirkung nicht übertragen werden (OVG. 32, 241; 35 S. 241, 250; 45, 267). Die in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen und Posen in großem Umfange er­ folgte Übertragung der staatlichen Landstraßen­ unterhaltungslast auf kommunale Verbände, ins­ besondere aus die Kreise, war also zunächst nur privatrechtlich wirksam. In Westpreußen hat sie inzwischen durch §§ 39, 43 Wo. für diese Provinz vom 27. 9.1905 (GS. 357) bei gleichzeitiger Auf­ hebung der Verpflichtung des Staates zur Unter­ haltung der Landstraßen öffentlichrechtliche Wir­ kung erhalten, ebenso in der Provinz Posen durch §§ 38,42 Wo. für Posen vom 15. 7.1907, GS. 243 und in Ostpreußen durch §§ 38, 42 Wo. für diese Provinz vom 10. 7. 1911, GS. 99). Mehrfach ordnen die G. selbst die Ablösung. So überträgt die Bo. für Sachsen vom 11. 7. 1891 (GS. 316) in §§ 44ff. die Verpflichtung des Staates zur Unterhaltung gewisser Landstraßen, Landwege und Brücken auf den Provinzialverband gegen

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eine vom Staate zu zahlende Geldrente bzw. Ablösungssumme. Dasselbe G. läßt ferner in §§ 25 31 ff. die Ablösung der auf besonderen Titeln und aus Hebeberechtigung beruhen­ den Wegebauverpslichtungen zu, ebenso im § 35 die Ablösung von privatrechtlichen Verpflich­ tungen zur Unterhaltung von Wegen. Die §§ 25, 28, 33, 49 Wo. für Westpreußen, die §§ 24, 27, 32, 51 Wo. für Posen und die §§ 24, 27, 32, 50 Wo. für Ostpreußen haben diese Vorschriften zum Teil übernommen. Auch die hannoversche Wegegesetzgebung kennt die Ablösung unter ge­ wissen Voraussetzungen. Vgl. §§ 49, 50 des WegeG. vom 28. 7.1851 (Hann. GS. Abt. 1141). Durch AKabO. vom 23. 8. 1897 (MBl. 219) sind der MdöA. (jetzt der MfL.; s. Wege, öffent­ liche XVI) und der FM. ermächtigt, den Kom­ munalverbänden bei der Übernahme staatlicher Wegebaustücke das Eigentum des Staates an dem Wegegelände und dem Brückenbaugrunde zu übertragen. Ausführliche Bestimmungen über die Durchführung der Ablösung trifft die Anweisung zur A. v. W. der Staatsbauverwaltung vom 7.11. 1907 (MBl. 359). S. Landstraßen. B. Abolition s. Begnadigung. Abonnentenversicherung. In der A., die vor­ nehmlich als Unfall- und als Sterbegeldveriicherung vorkommt, unterscheidet man die beauf­ sichtigte und die unbeaufsichtigte Versicherung. Erstere liegt vor, wenn der Verleger seine Abon­ nenten bei einer zugelassenen Versicherungs­ unternehmung versichert; letztere, wenn der Ver­ leger selbst als Versicherer auftritt. Nach der Ansicht des RG. ist ein Betrieb letzterer Art dann als aufsichtspflichtig anzusehen, wenn der Versicherungsbetrieb die eigentliche oder haupt­ sächlichste Erwerbsquelle darstellt, nicht aber wenn die A. nur eine unselbständige Nebenabrede zum Abonnement einer Zeitung ist. Nach anderen Urteilen wird ein aufsichtspflichtiger Betrieb z. B. dann als vorliegend angesehen, wenn den Abonnenten ein mehrfaches Abonnement und ein dadurch entsprechend erhöhter Versicherungs­ schutz geboten wird. Pf. Abortanlagen. Die Ausführung der A. ist Gegenstand polizeilicher Regelung im Interesse der Gesundheit und Sittlichkeit. Bestimmungen hierüber finden sich in den verschiedenen Polv., namentlich in den Baupolizeiverordnungen (Erl. vom 4. 11. 1887, MBl. 246, betr. die Ab­ führung von Schmutzstoffen auf bewohnten Grundstücken). Der Polizeibehörde steht insbe­ sondere die Befugnis zu, auf eine solche Zahl und Einrichtung von Aborten in bewohnten Häusern zu dringen, als zur Fernhaltung von Gefahren für die Gesundheit der Hausbewohner und Nach­ barn sowie im sittenpolizeilichen Interesse ge­ boten ist (OVG. 16. 1. 1884, PrVBl. 5, 156), ebenso von dem ein Transportgewerbe (s. d.) Betreibenden die Herstellung von Aborten zu ver­ langen, die infolge der Ansammlung von Men­ schen auf dem dem Gewerbebetriebe dienenden Grundstücke erforderlich werden (OVG. 7, 389). Auch die Errichtung von Aborten (Bedürfnis­ anstalten) für das auf öffentlichen Straßen und Plätzen verkehrende Publikum kann beim Vor­ liegen der erforderlichen tatsächlichen Voraus­ setzungen von dem zur Tragung der Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung Verpflichteten poli-

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Abrundung von Steuern — Abschoß

zeilich gefordert werden (OBG. 12, 387). In den größeren Ortschaften bestehen von den Ge­ meinden eingerichtete Kanalisationsanstalten, die auch zur Abführung der Fäkalien dienen. Ein Zwang gegen die Hausbesitzer zum Anschluß ihrer Grundstücke an solche Kanalisation kann nicht im Wege des Ortsstatuts, sondern nur durch Polv. begründet werden (OBG. 26, 51). In gleicher Weise kann die Entleerung der Ab­ trittsgruben durch vorschriftsmäßige Apparate vorgeschrieben werden (KGJ. 13, 276). S. auch Abfuhrwesen und Kanalisation, sowie Ge­ werbliche Anlagen V 1. F. H. Abrundung von Steuern. Nach der AbrundungsB. vom 31. 10. 1923/21. 12. 1923 (RGBl. I 1089 u. 1238) wird bei der Festsetzung von Steuern der Steuerbetrag auf den nächsten durch 5 teilbaren Pfennigbetrag abgerundet. Die Ab­ rundungsvorschrift ist materiell-rechtlicher Natur, d. h. sie ist bestimmend für die Höhe der Steuer­ schuld selbst; der Steuerpflichtige kann, wenn er Steuern ohne Anforderung zahlt, die Abrun­ dung selbst vornehmen. Etwas anders ist die sog. Kleinbetragsregelung, sie stellt einen verwal­ tungsmäßigen Verzicht des Staates auf eine an sich geschuldete Steuer mit Rücksicht auf ihre Geringfügigkeit dar. Nach der KleinbetragsV. vom 3.10. 1922/28. 2. 1923 (RGBl. 1922 I 760; 1923 I 162) unterbleibt die Festsetzung einer Steuer, wenn sie 60 Pfg. nicht überschreitet, das gilt auch für Nachforderungen, Berichtigungen, Erstattungen und die Festsetzung von Auslagen. Als Abrundungsvorschrift wird vielfach auch die Vorschrift des § 70 Abs. 4 REinkStG. bezeichnet, wonach der Steuerabzug vom Arbeitslohn unter­ bleibt, wenn der Steuerbetrug bei Zahlung des Arbeitslohnes für volle Monate 0,80 RM, bei Zahlung für volle Wochen 0,20 RM nicht über­ steigt; tatsächlich handelt es sich um eine mittel­ bare Steuerbefreiungsvorschrift. Ptz. Abschied. I. über die unfreiwillige Lösung des Beamtenverhältnisses s. Dienstentlassung, über die freiwillige oder unfreiwillige Lösung im Falle der Dienstunfähigkeit s. die Artikel über Pensionierung. Daß der Beamte auch im Falle der Dienstfähigkeit jederzeit seinen A. fordern könne, gilt in der Literatur als Grundsatz des gemeinen Rechts. In Preußen sind indessen die Vorschriften des ALR. maßgebend. Danach ist der A. bei derjenigen Instanz, von welcher die Besetzung des Amtes abhängt, nachzusuchen (§ 94 II 10 ALR.), und soll nur bei erheblichem Nachteil für das gemeine Beste versagt werden (8 95 a. a. O.). Einem Beamten, dem aus diesem Grunde die Entlassung versagt wird, steht da­ gegen die Berufung auf die unmittelbare landes­ herrliche Entscheidung, jetzt Entscheidung des StM., offen (§ 96 er. a. O.). Der Rechtsweg — auch wegen etwaiger Entschädigungsansprüche aus der verweigerten Entlassung — ist also aus­ geschlossen (v. Rönne-Zorn 1 S. 536 Anm. 2). Nur die Minister können jederzeit von ihrem Amte zurücktreten (Art. 59 BU.; s. Staatsmini­ sterium). Die Anstellungsbehörde ist zur Er­ teilung des nachgesuchten A., sofern nicht Pension verlangt wird, selbständig befugt (§ 12 Nr. 3 RegJnstr. vom 23. 10. 1817; KabO. vom 31. 12. 1825, GS. 1826, DVI). Die §§ 94—97 II 10 ALR. gelten auch für Kündigungs- und Ehren­

beamte (OBG. 10, 370); wo eine Bestätigung eines mittelbaren Staatsbeamten stattgefunden hat, muß die Aufsichtsbehörde auch bei der Auf­ lösung des Beamtenverhältnisses mitwirken. Wegen der zu erteilenden Entlassungsurkun­ den s. Richtlinien des StM. vom 10. 3. 1927 (LMBl. 214) und Erl. des FM. vom 16. 3. 1926 (PrBesBl. 33). Bei einem Beamten, der sich nicht der neuen Staatsgewalt zur Verfügung stellen wollte, ist die ohne Gewährung eines Ruhegehal­ tes erfolgte Entlassung auch ohne daß ein Ent­ lassungsgesuch vorlag und ohne Erteilung einer Entlassungsurkunde gerechtfertigt (RG. vom 29.3. 1927, IW. 1927, 2197). Den auf ehrenhafte Weise entlassenen Beamten ist nicht untersagt, die ihnen zustehenden Amtsprädikate beizubehalten(E. vom 2. 2. 1843, MBl. 25). Das gleiche gilt von den durch Kommunalbehörden verliehenen Amts­ bezeichnungen (OBG. 51, 418). Die Reichs­ beamtenhaben nach herrschender Meinung jeder­ zeit das Recht, ihren A. zu fordern (s. Laband, Staatsrecht 1 § 52 S. 492). Ob dieses Recht von den in § 100 RBG. vom 31. 3. 1873/18. 5. 1907 bezeichneten Voraussetzungen, d. h. davon ab­ hängig ist, daß der Beamte seine Entlassung aus dem Reichsdienste mit Verzicht auf Titel, Gehalt und Pensionsanspruch nachsucht, und daß er seine amtlichen Geschäfte bereits erledigt und über eine ihm etwa anvertraute Verwaltung von Reichsvermögen vollständige Rechnung gelegt hat, ist nicht unstreitig, aber wohl zu bejahen (s. u. a. Arndt, RBG. 1923, Anm. 2 zu 8 100). Jedenfalls kann auch ihnen bei Erteilung des A. Rang und Titel belassen werden. Die Entlassung der Reichsbeamten verfügt der Reichspr. bzw. die von ihm dazu ermächtigte Stelle (s. Reichs­ präsident). Auch soweit der Beamte Anspruch auf die Erteilung des A. hat, kann er doch das Beamtenverhältnis nicht einseitig lösen; viel­ mehr hat er bis zur Erteilung des A. alle Rechte und Pflichten des Beamten. Für Preußen ist das ausdrücklich in 8 97 II 10 ALR. bestimmt, wonach der abgehende Beamte in keinem Fall seinen Posten eher verlassen darf, bis wegen Wiederbesetzung oder einstweiliger Verwaltung desselben Verfügung getroffen ist. Bei Zuwider­ handlungen kann er durch Zwangsstrasen gemäß 8 100 des DisziplinarG. vom 21. 7. 1852 zur Fortsetzung des Dienstes gezwungen werden (OBG. 10, 373; 30, 175; 58, 454; RGZ. 81, 382). Die Entlassung kann über den ursprünglich dafür festgesetzten Termin vorenthalten werden, wenn die Aufrechterhaltung des ordnungsmäßigen Dienstbetriebs es erfordert, insbesondere wenn der Beamte die ihm obliegende Übergabe der Dienstgeschäfte, Dienstutensilien usw. unterlassen oder nicht ordnungsmäßig ausgeführt hat (OBG. 51, 438; a. M. scheinbar; RGSt. 17. 1. 1902, IW. 1903, 89 Nr. 52; s. v. Kamptz-Delius, Rechtspr. auf den Gebieten des öff. Rechts 1,13). Über den Einfluß des Ausscheidens aus dem Dienst aus ein schwebendes Disziplinarverfahren s. Disziplinarrecht FIIB (Disziplinarstrafen). II. Wegen der besonderen Vorschriften bezüglich der Beamten der Schutzpolizei und der Angehö­ rigen der Wehrmacht s. die betr. Artikel. • Ly. Abschotz (gabella hereditaria) war eine Ab­ gabe, welcher nach 88 161 ff. II 17 ALR. außer­ halb Landes gehende Erbschaften von Landesein-

Abschreibungen — Abstimmung wohnern, sowie andere vermögensrechtliche Zu­ wendungen an auswärtige Untertanen unter­ worfen waren. Der A. und das Abfahrtsgeld (s. d.), beides unter dem Namen Abzugsgeld (jus detractus) begriffen, ist durch die V. vom 21. 6. 1816 (GS. 199) und vom 11. 5. 1819 (GS. 134) sowie die KabO. vom 11. 4. 1822 (GS. 181) wesentlich eingeschränkt und mit Ema­ nation der preuß. Verf. vom 31. 1. 1850 (Art. 11) gänzlich in Fortfall gekommen. He. Abschreibungen s. Einkommensteuer. Absetzungen s. Einkommensteuer. Absinth. Durch G. über den Verkehr mit A. vom 27.4. 1923 (RGBl. I 257) ist verboten den unter dem Namen A. bekannten Trinkbranntwein, ihm ähnliche Erzeugnisse oder die zur Herstellung solcher Getränke dienenden Grundstoffe einzu­ führen, herzustellen, zum Verkauf vorrätig zu hatten, anzukündigen, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen. Aus Trinkbranntwein, bei dessen Herstellung nur kleine Mengen Wermutkraut zur Geschmacksverbesserung verwendet werden, kann das Verbot durch die Reichs­ regierung mit Zustimmung des RR. ausgedehnt werden. Wermutöl oder Thugon (Tanaceton) darf bei der Herstellung von Trinkbranntwein oder anderen alkoholischen Getränken nicht ver­ wendet werden; auch darf es weder zu diesem Zweck vorrätig gehalten noch angekündigt oder verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht wer­ den. Verboten ist die Ankündigung oder der Ver­ kauf von Anweisungen zur Herstellung der vor­ bezeichneten verbotenen Getränke. Die Reichs­ regierung kann mit Zustimmung des RR. ver­ bieten, daß berauschende oder betäubende, im all­ gemeinen nicht als Genußmittel dienende Flüssig­ keiten, deren gewohnheitsmäßiger Genuß die Gesundheit schädigt, in Gast- und Schankwirt­ schaften zum Verkaufe vorrätig gehalten, ange­ kündigt, verkauft oder sonst an andere überlassen werden. F. H. Abstimmung. I. A. bei Gerichten und Be­ schlußbehörden. Kollegialbehörden erscheinen bei ihren Entscheidungen als Einheit. Als ihr Wille gilt der der Mehrheit. Um diesen Willen zu ermitteln, bedarf es einer A., regelmäßig auch einer vorhergegangenen Beratung. Uber beide treffen für die Gerichte, welche die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit ausüben, die §§ 192 bis 198 GVG. nähere Bestimmungen. Gleiche oder ähnliche Vorschriften gelten in den Angelegen­ heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (8 8 FGG.; Art. 1 PrFGG.) und in dem Verfahren vor den besonderen reichsgesetzlichen Gerichten und in dem der besonderen Gerichtsbarkeit in Preußen (§ 90 AGGBG. vom 24. 4. 1878, GS. 239). Bei den preußischen Beschlußbehörden, bei denen die nach § 118 LVG. teilnehmenden technischen Be­ amten nicht mitstimmen, und Verwaltungs­ gerichten leitet der Vorsitzende die A. in der Weise, daß er die Fragen stellt und die Stimmen sammelt. Meinungsverschiedenheiten über die Fragestellung oder über das Ergebnis der A. entscheidet jedoch das Kollegium, überall werden die Beschlüsse nach Stimmenmehrheit gefaßt. Ist im Kreis- (Stadt-) Ausschuß eine gerade Zahl von Mitgliedern anwesend, so nimmt das dem Lebensalter nach jüngste gewählte Mitglied an der A. nicht teil, wohl aber noch vorher an der

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Beratung. Dem Berichterstatter steht jedoch in allen Fclllen Stimmrecht zu, und zwar gibt er seine Stimme zuerst ab (§ 40 LVG.; § 9 des Regulativs für die KrA. vom 28. 2. 1884). Im Bezirksausschüsse scheidet bei gerader Stim­ menzahl, wenn außer dem Vorsitzenden zwei er­ nannte Mitglieder anwesend sind, das dem Dienst­ alter nach jüngst ernannte, d. i. dasjenige, dessen Ernennung zuletzt erfolgt ist, wenn außer dem Vorsitzenden nur ein ernanntes Mitglied an­ wesend ist, das dem Lebensalter nach jüngste gewählte Mitglied mit der Maßgabe aus, daß das Stimmrecht vorzugsweise unter den ernannten Mitgliedern einem zum Richteramte Befähigten, sofern es dessen zur Beschlußfassung bedarf, im übrigen dem Berichterstatter verbleibt. Auch hier gibt der Referent zuerst seine Stimme ab (§ 33 LVG.; § 9 des Regulativs für die BezA. vom 28. 2. 1884). Bei gleichem Dienst- oder Lebens­ alter wird nötigenfalls das Los zu entscheiden haben. Für die Bergausschüsse ist bestimmt, daß der Vorsitzende bei der A. die Fragen stellt und die Stimmen sammelt, vorbehaltlich der Ent­ scheidung des Kollegiums, falls über die Frage­ stellung oder über das Ergebnis der A. eine Meinungsverschiedenheit entsteht, und daß bei der A. der Berichterstatter seine Stimme zuerst abgibt (8 8 des Regulativs vom 8.12.1905, HMBl. 333). Beim Oberverwaltungsgerichte stimmt der Berichterstatter zuerst, nach ihm der zweite Be­ richterstatter, zuletzt der Senatspräsident, im Plenum zuletzt der Präsident, vor diesem die Senatspräsidenten und vor ihnen die sonstigen Mitglieder; beide letztgedachten Gruppen stimmen in der durch das Dienstalter, bei gleichem Dienst­ alter durch das Lebensalter bestimmten Reihen­ folge. Die A. der einzelnen Mitglieder darf keinen schriftlichen Ausdruck finden; jedes Mitglied ist jedoch berechtigt, seine abweichende Ansicht mit Gründen in einem dem Vorsitzenden überreichten Schriftstücke niederzulegen. Die Sondervota wer­ den mit den Urschriften und den vorbereitenden Arbeiten der Berichterstatter aufbewahrt (8 7 des Regulativs für das OBG. vom 22. 2. 1892). Im Provinzialrate gibt bei Stimmengleichheit da­ gegen, entsprechend der Vorschrift in 8 28 der RegJnstr. vom 23. 10. 1817 (GS. 248), die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag; der Referent stimmt aber ebenfalls zuerst (8 15 LVG.; 8 8 des Regulativs für die Provinzialräte vom 28. 2. 1884). Bt. Die Spruchbehörden der Reichsversicherung entscheiden nach Stimmenmehrheit (§§ 1667, 1679, 1698, 1701 RVO.). In den Spruchkam­ mern des OBA. gibt der Vorsitzende bei Stim­ mengleichheit den Ausschlag (8 78 RVO.). Das gleiche gilt für die Beschlußbehörden (8 1789 RVO.). F. H. II. Die A. in den Parlamenten geschieht nach Geschäftsordnungen entweder durch Auf­ stehen und Sitzenbleiben, wenn auch bei Gegen­ probe kein sicheres Ergebnis erzielt wird, durch Zählen; oder aber durch namentliche A. auf An­ trag mit Unterstützung einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern. Die absolute Mehrheit der Stimmen entscheidet; Stimmengleichheit gilt als Ablehnung. Die Wahlen des Präsidenten er­ folgen durch Stimmzettel, falls nicht Wahl durch Zuruf beschlossen wird (vgl. z. B. §§ 16, 18,

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Abtretung, Verpfändung usw. — Abwässer

103ff. der Geschäftsordnung für den RT. vom öffentlichen Anstalten, die Bezüge ihrer Hinter­ 17. 2. 1923, RGBl. II 101). Bt. bliebenen, sowie das Diensteinkommen der Unter­ Abtretung, Verpfändung und Pfändung von offiziere und Mannschaften der Wehrmacht nur Gehalts-, Ruhegehalts- usw. Ansprüchen. Neben insoweit der Pfändung unterworfen, als sie die den reichsrechtlichen Vorschriften (§ 400 BGB.; Summe von 195 RM monatlich übersteigen. Der § 850 ZPO.; sind in Art. 80, 81 EGBGB. die Mehrbetrag ist nur zu einem Drittel pfändbar. landesgesetzlichen Vorschriften aufrechterhalten, Zu den in Betracht kommenden Bezügen gehören welche die Übertragbarkeit der Ansprüche der auch der Wohnungsgeldzuschuß und die Stellen­ Beamten, der Geistlichen und der Lehrer an zulagen. Ausgeschlossen von der Pfändung sind öffentlichen Unterrichtsanstalten auf Besoldung, Dienstaufwandsentschädigungen, Frauen- und Wartegeld, Ruhegehalt, Witwen- und Waisen­ Kinderbeihilfen und nicht klagbare Ansprüche (z. B. geld noch weiter beschränken. Für die preußi­ Unterstützungen und die früheren Teuerungs­ schen Beamten haben bezüglich des Gehalts zulagen). Die Pfändungsgrenze gilt nicht hin­ die Vorschriften der AGO. vom 6. 6. 1793 sichtlich a) der Einkünfte aus einer etwaigen Anhang §§ 160 ff., auf die Provinzen des fran­ privaten entgeltlichen Tätigkeit, b) der gesetz­ zösischen Rechtes ausgedehnt in der KabO. vom lichen Unterhaltsansprüche der Ehegatten, Ver­ 23. 5. 1826 (GS. 54), Geltung behalten, deren wandten und, soweit nicht die Befriedigung dieser § 163 a. a. O. bestimmt, daß jede Verpfändung Ansprüche oder der eigene Unterhalt gefährdet ist, und Anweisung fixierter Besoldungen, Emolu­ der unehelichen Kinder. Die Pfändung erfaßt mente und Pensionen ohne alle rechtliche Wirkung auch später fällig werdende Bezüge, und zwar ist. Zu diesen Einkünften gehören nach Erl. vom auch solche aus Gehaltserhöhungen usw. (§§832, 19. 7. 1873 (MBl. 207) alle Bezüge in bar oder 833 ZPO.). Sie erfolgt nach dem für Pfändungen Naturalien, auf welche der Beamte gesetzlichen von Geldforderungen geltenden Verfahren. Ly. Anspruch hat, daher auch Wartegelder. Die Abtretung von Land zu Wegezwecken. Die Vorschrift bezieht sich nach § 161 a. a. O. auf alle zwangsweise Durchführung der A. geschieht in er­ im §§ 68, 69 II 10 ALN. gedachten Beamten, leichterter Form. Die Zulassung der Enteignung mithin auch auf die städtischen, geistlichen und erfolgt, wenn es sich um Grundeigentum han­ landschaftlichen. Auf die neuen Provinzen ist delt, das außerhalb der Städte und Dörfer liegt diese Vorschrift nicht ausgedehnt (V. vom 24. 6. und mit Gebäuden nicht besetzt ist, durch Be­ 1867, GS. 885); für sie ist daher § 411 BGB. schluß des BezA. (§ 3 EnteignungsG. vom 11. 7. maßgebend. Die A. oder V. des Rechtes auf 1874, GS. 221; § 150 ZG.). Wenn es sich den Bezug der Pension sowie des Witwen- um Wege innerhalb der Ortschaften handelt, für und Waisengeldes ist für solche Personen, auf die auf Grund des § 11 des FluchtlinienG. vom die das PensG. und das G., betr. Fürsorge für 2. 7. 1875 (GS. 561) Fluchtlinien festgesetzt sind Witwen und Waisen, Anwendung finden, eben­ und der Plan ausgelegt ist, so erhält die Ge­ falls ausdrücklich für rechtlich unwirksam erklärt meinde das Recht zur Enteignung mit dem Tage (§ 26 PensG. vom 27. 3. 1872, GS. 268; § 17 der Auslegung ohne weiteres (§ 8 a. a. O.). des G. vom 20. 5. 1882, GS. 298). Nach diesen In betreff der Entschädigungen sind §§ 13, 14 Vorschriften ist also die A. und V. auch über die a. a. O. und §§ 7, 24 des EnteignungsG. maß­ Grenze der Pfändbarkeit (f. unten) hinaus un­ gebend. Im Anschluß an § 7 cit. vgl. ferner zulässig. § 36 Wo. für Sachsen vom 11. 7. 1891 (GS. 316), Die Reichsbeamten dagegen können nach § 34 Wo. für Westpreußen vom 27. 9. 1905 § 6 RBG. vom 31. 3. 1873/18. 5. 1907 den auf (GS. 357), § 33 Wo. für Posen vom 15. 7.1907 die Zahlung von Diensteinkünften, Wartegeldern (GS. 243) und § 33 Wo. für Ostpreußen vom oder Pensionen ihnen zustehenden Anspruch mit 10. 7. 1911 (GS. 99). Über die grundbuchliche rechtlicher Wirkung insoweit verpfänden, als die Behandlung auf Grund Unschädlichkeitszeugnisses Bezüge der Beschlagnahme unterliegen. Hinsicht­ vgl. schließlich Art. 19 AGBGB. und Art. 120,1 lich der Bezüge der Hinterbliebenen sind ent­ EGBGB. nebst den dadurch aufrechterhaltenen sprechende Bestimmungen in den Hinterbliebenen- Vorschriften, betr. den erleichterten Abverkauf FürsorgeG. (RGBl. 1907 S. 208, 214) nicht mehr kleinerer Grundstücke in den einzelnen Landes­ enthalten; die Unzulässigkeit der A. und V. ergibt teilen (Germershausen, Wegerecht (3) 1, 764 ff.). sich aus den oben zit. § 400 BGB. und § 850 S. Baustoffe, Enteignung, Fluchtlinien, ZPO. Wird der übertragbare Teil abgetreten, Kunststraßen IV. I. so ist die auszahlende Kasse durch Aushändigung Abverkäufe (G. vom 3. 3. 1850, GS. 145) einer von dem bisherigen Gläubiger ausgestellten, öffentlich beglaubigten Urkunde von der A. zu s. Unschädlichkeitszeugnisse. benachrichtigen; bis zur Benachrichtigung gilt die Abwässer. Das WG. macht an verschiedenen A. als der Kasse nicht bekannt (§§ 411 f. BGB.). Stellen einen Unterschied zwischen Wasser und Pfändung. G. vom21. 6.1869 (BGBl. 242); A. Unter Wasser wird das in seinem natür­ G. vom 29. 3. 1897 (RGBl. 159); § 811 BGB.; lichen Zustande befindliche oder nach seinem G. vom 17. 5. 1898 (RGBl. 332); B. vom 25. 6. Gebrauche dahin zurückgekehrte Wasser (also 1919 (RGBl. 589); V. vom 23. 12. 1921 (RGBl. z. B. Dränagewasser, Kesselspeisewasser, das 1657); G. vom 26. 10. 1922 (RGBl. I 805); V. zur Kühlung von Maschinen verwendet gewesene vom 13. 12. 1923 (RGBl. I 1186); § 850 ZPO.; Wasser) verstanden. A. ist dagegen danr vor­ G. vom 17. 12. 1926 (RGBl. I 503); G. vom handen, wenn das Wasser bei seinem Gebrauch 27. 2. 1928 (RGBl. I 45). Nach § 850 ZPO. im hauswirtschaftlichen, landwirtschaftlichen, ge­ sind die Gehälter, Warlegelder und Ruhegehälter werblichen usw. Betrieb Zusätze erfahren hat, der Beamten, Offiziere (Deckoffiziere, Militär­ durch die es mehr oder weniger verunreinigt ärzte) und Geistlichen, der Ärzte und Lehrer an ist. Eine genaue Grenze zwischen beiden Arten

Abwässer von Flüssigkeiten gibt es nicht; bei Prüfung der Frage, ob es sich um A. handelt, wird daher im einzelnen Falle Herkunft, Beschaffenheit und Menge genau zu prüfen sein (OVG. in ZfA. 8, 322). Die A. werden der Regel nach durch Ein­ führung in die von der Natur geschaffenen Gewäs­ ser^ insbesondere in die Flüsse, die ihrer natür­ lichen Bestimmung nach zur Aufnahme und Ab­ führung von Flüssigkeiten dienen (RGZ. 16, 180; 38, 268) beseitigt. Die Befugnis, sie in dieser Weise abzuführen, unterlag nach dem früheren Rechte mannigfachen Beschränkungen, teils pri­ vatrechtlicher, teils öffentlich-rechtlicher Art. Infolge der durch die ständige Vermehrung der Bevölkerung und der auf die Benutzung der Wasserläufe angewiesenen Anlagen stetig zu­ nehmenden Verunreinigung der Gewässer sahen sich die zuständigen Minister zum Erl. der Allg. Berf. vom 20. 2. 1901 — MBl. 91 — (erläutert von Holtz, Berlin, Heymanns Verlag 1902) veranlaßt, in der die bestehenden gesetzlichen Vorschriften einer Würdigung hinsichtlich ihrer praktischen Anwendung unterzogen und die zu ihrer Anwendung berufenen Behörden zu einer sorgsamen Handhabung der bestehenden G. angehalten werden. In einer Anlage wurden die bestehenden gesetzlichen Vorschriften über die Reinhaltung der Gewässer erschöpfend und übersichtlich zusammengestellt. Durch die Hand­ habung polizeilicher Vorschriften konnte aber das öffentliche Interesse umso weniger genügend geschützt werden, als die Wirkungen der Ver­ unreinigung oft weit über den Geschäftsbereich der einzelnen Polizeiverwaltungen hinausreich­ ten, unter Umständen sogar erst außerhalb sich geltend machten, und als wegen des Zusammen­ hangs der Gewässer untereinander eine Be­ schränkung der die Reinhaltung betreffenden Vorschriften auf einzelne Arten von ihnen sich nicht rechtfertigen ließ. Das WG. vom 7. 4. 1913 (GS. 53) hat daher eine Neuregelung des Gegenstandes vorgenommen, durch die sowohl der Entstehung neuer Verschmutzung vorge­ beugt, als auch der Umfang bereits vorhan­ dener Einführung von Schmutzwässern auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden soll. Das G. hat davon abgesehen, die Art und die Menge der Stoffe, deren Zuleitung verboten werden soll, im G. selbst festzulegen oder die Bestimmung darüber für einzelne größere Ge­ bietsteile einer Behörde, z. B. dem OP. zu übertragen; es soll vielmehr in jedem einzelnen Fall eine Prüfung der in Betracht kommenden besonderen Verhältnisse — Wassermenge, Ge­ fälle, Beschaffenheit des Bettes eines Wasser­ laufs, bereits bestehende Verschmutzung, Ent­ wicklung der Industrie, landwirtschaftliche Aus­ nutzung der angrenzenden Grundstücke, Stand der Reinigungstechnik — in weitestem Umfange zulässig sein. Es gestattet zwar jedermann in die natürlichen Wasserläufe Wasser und andere flüssige Stoffe, soweit sie im Haushalt und Wirtschaft entstehen, einzuleiten, jedoch nur soweit andere dadurch nicht benachteiligt werden (§25 Abs. 1). Die Einleitung von Abwässern — nicht auch von Wasser — mittels gemeinsamer An­ lagen (Kanalisation) ist aber verboten, selbst wenn andere dadurch nicht benachteiligt werden (§ 25 Abs. 1 Satz 3). Da dieser „Gemeinge­

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brauch" kein Recht zur Benutzung fremder Grundstücke oder zur Errichtung von Anlagen im Wasserlaufe begründet (§ 38) und sogar aus Gründen des öffentlichen Wohles von der Wasserpolizeibehörbe geregelt, beschränkt oder verboten werden kann (§ 39), ist einem Miß­ brauch ausreichend vorgebeugt. Auch das dem Eigentümer als Ausfluß seines Eigentums zu­ stehende Recht, den Wasserlauf zur Einleitung von Wasser oder anderen flüssigen Stoffen zu benutzen (§40) ist an die Schranken gebunden, daß das Wasser nicht verunreinigt und die Unterhaltung des Wasserlaufs nicht (z. B. durch Ablagerung von Sinkstoffen) erschwert werden darf (§41). Damit hat der Grundsatz des RG. daß die Anlieger an natürlichen Wasserläufen berechtigt sind, in diese, weil von der Natur zur Ausnahme von Wasser und anderen Flüssig­ keiten bestimmt, solche einzuleiten, sofern dabei Maß und Art des Regelmäßigen, Gemein­ üblichen nicht überschritten werde (RGZ. 16,178; 21, 298; 38, 266), für die Zukunft seine Gel­ tung verloren. Will der Eigentümer über die ihm durch die §§ 40 ff gezogene Grenze hinaus­ gehen, oder will ein anderer als der Eigentümer bei Einleitung von flüssigen Stoffen in einen Wasserlauf weiter gehen, als es ihm die Vor­ schriften über den Gemeingebrauch oder ein ihm etwa bereits zustehendes besonderes Recht gestatten, so kann er das Recht dazu nur durch „Verleihung" erwerben (§46). Bei Erteilung der Verleihung ist aber dafür Sorge zu tragen, daß alle Vorkehrungen, die mit dem Unternehmen vereinbar und wirtschaftlich gerechtfertigt sind (mechanische Kläranlagen, biologische Reini­ gung, Rieselbetrieb u. dgl. m.) getroffen werden, um nachteilige Wirkungen für andere zu ver­ hüten (§50 Abs. 1 §55). Auch darf sie nur unter Vorbehalt — und das ist zwingende Vor­ schrift!— erhöhter Anforderungen in bezug auf die Reinigung der A. erteilt werden (§ 47 Abs. 3). Soweit nachteilige Wirkungen nicht verhütet werden können, ist Entschädigung zu gewähren. (§ 51 Abs. 1). Da die Verleihung auch auf Zeit erteilt werden kann (§47 Abs. 2), da sie ferner, wenn überwiegende Rücksichten des öffentlichen Wohles antgegenstehen, zu versagen oder nur unter Bedingungen zu erteilen ist, durch welche diese Rücksichten gewahrt werden (§49 Abs. 1), und da sie endlich allgemein der Zurücknahme unterliegt, wenn überwiegende Nachteile und Gefahren für das öffentliche Wohl es erfordern (§ 84), ist die Möglichkeit gegeben, in Zukunft jeder durch die wirtschaft­ lichen Verhältnisse nicht gerechtfertigten Verun­ reinigung der Wasserläufe wirksam zu begegnen. Schutz gegen eine nach vorstehendem unerlaubte Abwässereinleitung kann sowohl im ordent­ lichen Rechtswege als auch durch Eingreifen der Wasserpolizeibehörde erreicht werden. Nach § 24 haftet der Unternehmer der Anlage — und wenn es mehrere sind, diese als Gesamtschuldner — für den Schaden, der durch die unerlaubte Verunreinigung eines Wasserlaufes entsteht, es sei denn, daß er zur Verhütung der Verunrei­ nigung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Hierbei kommen der § 254, der § 840 Abs. 1, 2, und der § 852 BGB. ent­ sprechend zur Anwendung (LWA. 1, 23, 31;

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Abzahlungsgeschäfte

PrVBl. 41, 330; RGZ. 90, 172, 180). Der § 23, der vorschreibt, daß, wer Wasser oder an­ dere flüssige Stoffe über den Gemeingebrauch in einen Wasserlauf einleiten will, dies vorher der Wasserpolizeibehörde anzuzeigen hat, gibt dieser dadurch die Möglichkeit, frühzeitig, und ohne ihrem späteren polizeilichen Einschreiten vorzugreifen, ihre Forderungen zur Verhütung von Nachteilen für einzelne Beteiligte und für das Gemeinwohl geltend zu machen. Zuwider­ handlungen bedroht § 376 mit Geldstrafen. Die Wasserpolizeibehörde ist nach § 21 allge­ mein befugt, die Benutzung eines Wasserlaufs zu beschränken oder zu untersagen, soweit nicht ein Recht zur Benutzung besteht oder die Be­ nutzung nach den Vorschriften über den Gemein­ gebrauch gestattet ist. Wenn von diesem Unter­ sagungsrecht nach allgemeinen Grundsätzen des Polizeirechts auch nur Gebrauch gemacht werden wird, wenn polizeiliche Rücksichten ein Einschrei­ ten fordern, so liegt es doch in der Natur der Sache, daß damit auch den einzelnen Geschädig­ ten in vielen Fällen ein polizeilicher Schutz gewährt ist, da die Einleitung schädlicher A. weit größere Strecken des Wasserlaufs beein­ flussen und damit das von der Polizei zu schützende Interesse der Allgemeinheit verletzen wird. Gegen die schädliche Verunreinigung der nicht zu den Wasserläufen gehörenden Gewässer (Seen und unterirdisches Wasser) sind in dem § 109 Abs. 2, §§ 202, 375, 376 besondere Schutzvor­ schriften enthalten. Hervorzuheben ist noch, daß nach § 245 Ziff. 5 auch die Bildung von Wasser­ genossenschaften zur Reinhaltung der Gewässer, und zwar nicht nur unter Zustimmung aller Beteiligten, sondern auch durch Mehrheitsbe­ schluß unter Anwendung des Beitrittszwanges und unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Widerspruch der Mehrheit und selbst aller Beteiligten möglich ist und daß nach G. vom 14. 3. 1924 (GS. 137) Genossenschaften mit Beitrittszwang auch zur Verwertung städti­ scher A. im Interesse der Bodenkultur und der Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung begründet werden können. Die Beseitigung von A. wird häufig nicht möglich sein, ohne fremde Grundstücke in Anspruch zu nehmen. §§ 331 u. 332 gewähren daher den Anspruch gegen die Eigentümer von Wasserläufen und sonstigen Grundstücken, daß sie sich die zur Herbeiführung eines besseren Wasserabflusses erforderlichen Ver­ änderungen des Wasserlaufes oder die oberir­ dische oder unterirdische Durchleitung von Wasser und die Unterhaltung der Leitungen gefallen lassen müssen. Nach § 339 kann ebenso die Mit­ benutzung bereits bestehender Entwässerungs­ oder Abwässerbeseitigungsanlagen unter bestimten Voraussetzungen verlangt werden. Näheres s. Zwangsrechte. Die beim Inkrafttreten des WG. bereits bestehenden Rechte zur Einleitung von Flüssigkeiten in einen Wasserlauf, einen See oder in das unterirdische Wasser hat das WG., soweit sie auf besonderem Titel (Vertrag, Rezeß, Verjährung usw.) beruhen, in vollem Umfange aufrechterhalten (§ 379 Abs. 1, 4). Sie sind also einer Beschränkung durch die Wasserpolizeibehörde entzogen. Soweit die Ein­ leitungsbefugnis sich nicht aus besondere Titel gründet, kann sie ihren Grund nur in der Zweck­

bestimmung der natürlichen — nicht auch der künst­ lichen (LWA. 2, 53; NGZ. 59, 138) — Wasser­ läufe haben, auch einer Beseitigung von Flüssig­ keiten zu dienen. Soweit von dieser Zweckbe­ stimmung Gebrauch gemacht worden ist, ist die Einleitungsbefugnis, und zwar als Recht auf­ rechterhalten (LWA. 2, 21), aber nur soweit, als rechtmäßige Anlagen zu ihrer Ausübung, z. B. städtische Kanalisationsanlagen (LWA. 2, 54) bereits vor dem 1. 1. 1913 vorhanden waren oder als ihre Errichtung in Angriff genommen war. Der § 379 Abs. 4 a stellt aber ausdrück­ lich fest, daß eine Benutzung, die über das Ge­ meinübliche hinausgeht, auch bei solchen aufrecht­ erhaltenen Rechten unzulässig ist (s. auch Wäs­ se rrecht). Die Regelung des Wasserrechts er­ streckt sich grundsätzlich auch auf die Rechts­ verhältnisse des Bergbaues. Bei der Benutzung von Wasserläufen, denen keine bergrechtliche Ent­ eignung zugrunde liegt, gehen die Vorschriften des WG. vor. Für die Einleitung von Gruben­ wässern gelten daher die Vorschriften des WG. Da nach § 352 neben den Befugnissen der Wasser­ polizeibehörde die auf gesetzlicher Vorschrift beruhenden Befugnisse anderer Behörden be­ stehen geblieben sind, ist u. a. auch die Gesund­ heitspolizei berechtigt, gegen die aus einer Ab­ wässerbeseitigung sich ergebenden Mißstände polizeilich einzuschreiten (OWG. 68, 439; 72, 272). Pr. Abzahlungsgeschäfte sind Kaufgeschäfte über bewegliche Sachen, bei denen diese Sachen dem Käufer alsbald zur Benutzung übergeben werden, während er den Preis in Teilzahlungen von be­ stimmter Höhe und in bestimmten Fristen zu ent­ richten hat. Gewöhnlich wird hierbei die Be­ dingung vereinbart, daß dem Verkäufer das Eigentum der verkauften Sache bis zur Tilgung des Preises vorbehalten bleiben soll. Den eigent­ lichen A. stehen gleich diejenigen Verträge, welche darauf abzielen, die Zwecke eines A. in einer an­ deren Rechtsform, insbesondere durch mietweise Überlassung der Sache, zu erreichen, gleichviel, ob dem Empfänger der Sache ein Recht, später deren Eigentum zu erwerben, eingeräumt ist oder nicht. Die A. sind mit Rücksicht auf die mit ihnen verbundenen Mißstände (Förderung von über­ flüssigen, die Verhältnisse des Käufers über­ steigenden Anschaffungen zu unverhältnismäßigen Preisen, Schädigung des reellen Geschäfts, im Falle der Nichtentrichtung einer Rate den Käufer schwer schädigende Vertragsbestimmungen) durch das G. vom 16. 5. 1894 (RGBl. 450) ein­ schränkenden Bestimmungen unterworfen, die jedoch keine Anwendung finden, wenn der Emp­ fänger der Ware als Kaufmann in das Handels­ register eingetragen ist (§ 8). Hat der Verkäufer sich das Recht Vorbehalten, wegen Nichterfüllung der dem Käufer obliegenden Verpflichtungen vom Vertrage zurückzutreten, so ist im Falle dieses Rücktritts jeder Teil verpflichtet, dem anderen Teile die empfangenen Leistungen zurückzuge­ währen (§ 1). Für die Überlassung des Gebrauchs oder der Benutzung ist deren Wert zu vergüten. Entgegenstehende Vereinbarungen sind nichtig. Die Festsetzung der Vergütung erfolgt nach § 287 Abs. 1 ZPO. (§ 2). Zuungunsten des Käufers vereinbarte unverhältnismäßig hohe Vertrags­ strafen können durch Urteil auf den angemeffenen

Abzeichen - - Adel Betrag herabgesetzt werden (§ 4 Abs. 1). Die Abrede, daß die Nichterfüllung der Verpflich­ tungen des Käufers die Fälligkeit der Restschuld zur Folge haben solle, kann nur für den Fall ge­ troffen werden, daß der Käufer mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise im Verzug ist und der Betrag, mit dem er im Verzug ist, mindestens dem zehnten Teile des Kaufpreises der übergebenen Sache gleichkommt (§ 4 Abs. 2; RGZ. 64, 92). Der Ver­ kauf von Lotterielosen, Jnhaberpapieren mit Prämien (s. RGSt. 42, 439), Bezugs- oder An­ teilscheinen auf solche Lose oder Jnhaberpapiere gegen Teilzahlungen und deren Veräußerung durch sonstige, auf gleiche Zwecke abzielende Ver­ träge ist bei Strafe verboten (§ 7). Diese Vor­ schrift findet auch Anwendung, wenn der Ver­ käufer oder Veräußerer der Lotterielose usw. im Inland, der andere Vertragsschließende sich im Ausland aufhält (RGSt. 37, 288) oder wenn das Rechtsgeschäft im Ausland abgeschlossen wird, im Bnlande aber den Tatbestand der Veräußerung verwirklichende Handlungen vorgenommen sind (RGSt. 39, 258). Die Vorschrift der §§ 138, 817 BGB. findet auf A. Anwendung (RGZ. 63, 346). A. sind vom Gewerbebetrieb im Umher­ ziehen (s. d.) ausgeschlossen. F. HKommentar von Hoffmann-Wilke, 1910.

Abzeichen ist ein Wort, welches in verschiedener Beziehung gebraucht wird. Es werden darunter verstanden Firmen- und Warenbezeich­ nungen (s. u. a. Warenbezeichnungen, Wappen, Rotes Kreuz); ferner Orden und Ehrenzeichen (s. Orden); Amtsabzeichen (s. d.); endlich auch Abzeichen von Ver­ einen, insbesondere von Krieger-, Schützen-, Turn-, Feuerwehrvereinen usw. Betreffs dieser A. bestimmt Erl. vom 7. 7. 1897 (MBl. 132), daß gegen die Anlegung der von privatrechtlichen Verbänden und Vereinen verliehenen Auszeich­ nungen, A. usw. nichts zu erinnern ist, wenn dieselben ihrer Form nach in Verbindung mit dem zugehörigen Bande zu Verwechslungen mit — inländischen oder ausländischen — Orden und Ehrenzeichen keinen Anlaß bieten. Andernfalls ist aus Grund § 360 Zisf. 8 StGB, strafrechtlich und auf Grund § 10II17 ALR. Polizeilich einzu­ schreiten. Die in diesem Erlasse vorbehaltene Regelung wegen der in einzelnen Landesteilen von öffentlichrechtlichen Verbänden, insbesondere von Stadt- und Landgemeinden, verliehenen, ordensähnlichen Auszeichnungen ist durch Erl. vom 16. 3. 1899 (MBl. 52) dahin erfolgt, daß der Form nach ordensartige und auch ordensartig getragene Auszeichnungen als Orden zu betrachten sind und daher nicht verliehen werden dürfen. Die Auszeichnung hat vielmehr in anderer Form (durch Litzen und Tressen an der Feuerwehr­ uniform, nicht zum Tragen bestimmte Medaillen usw.) zu erfolgen. Diese Vorschriften dürften auch jetzt noch gelten, da Art. 109 RV. zwar die Neuverleihung von Orden durch den Staat und die Annahme von Ordensverleihungen einer ausländischen Reg., nicht aber das Weiter­ tragen der vor Erlaß der NB. verliehenen Orden verboten, und in Art. 175 RV. Orden und Ehren­ zeichen für Verdienste in den Kriegsjahren 1914 bis 1919 von dem Verleihungsverbot des Art. 109 RV. ausgenommen hat. Der durch die Verbote

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des § 360 Ziff. 8 StGB, und des Erl. vom 16. 3. 1899 gewährte Schutz betrifft also ein noch heute bestehendes, wenn auch eingeschränktes Recht (s. Orden). Für die ausgebildeten Sanitäts­ mannschaften der freiwilligen und Pflichtfeuer­ wehren (s. auch Sanitätskolonnen) ist als Abzeichen das rote Kreuz in der Form des Eiser­ nen Kreuzes auf weißem Felde bestimmt worden (Erl. vom 16. 9. 1905, MBl. 148). Bei den be­ sonders großen Pflicht- und freiwilligen Feuer­ wehren sind durch AOrder vom 15. 6. 1905 (Erl. vom 4. 12. 1906, MBl. 1907, 50) den Führern Amtsabzeichen beigelegt worden. Das mit Strafe bedrohte allgemeine Verbot einer Polv., Ko­ karden, Bänder und Abzeichen in anderen als den Farben desjenigen Landes, in welchem der Träger staatsangehörig ist, öffentlich zu tragen, entbehrt der Rechtsgültigkeit (KGJ. 15, 350). Durch Beschluß des StM. vom 15. 7. 1925 (MBl. 857) ist das Tragen außerdienstlicher A. jeder Art und Form während des Dienstes verboten. S. auch Amtsabzeichen. Ly. Abzüge s. Einkommensteuer. Ackergeräte. Der unbefugte Gebrauch fremder A. ist strafbar nach § 24 Ziff. 1 des Feld- und ForstpolizeiG. vom 1. 4.1880 (GS. 230) in der Fassung vom 21. 1. 1926 (GS. 83). Nach § 811 Ziff. 4 ZPO. und nach § 25 der V. vom 15. 11. 1899 (GS. 545) ist das zum Wirtschaftsbetrieb er­ forderliche Ackergerät und sonstige Inventar der Pfändung nicht unterworfen. Pr. Ackernahrung s. Anerbenrecht, Landwirtschastskammern, Gutsherrlich bäuerliche Regulierung, Land- und forstwirtschaft­ liche Betriebe, Kolonisation, innere. Adel. I. Art. 109 RV. schreibt als Grundsatz vor, daß öffentlichrechtliche Vorrechte der Geburt oder des Standes aufzuheben sind. Zu den hier­ von betroffenen Geburtsständen gehören die vor­ mals regierenden Fürstenhäuser, die standesherrlichen und depossedierten Familien und in ge­ wissem Maße auch der A. Die Aufhebung bezieht sich jedoch nur auf öffentlichrechtliche Vorrechte, Privatrechtliche, z. B. auf Genuß von Stiftungen, bleiben unberührt. Für Preußen ist das G. über die Aufhebung der Standesvorrechte des A. und die Auflösung der Hausvermögen vom 23. 6.1920 (GS. 367) ergangen; dazu AussB. vom 1. 3.1921 (JMBl. 173), ÜberlB. vom 3. 3. 1921 (GS. 339) und V. vom 23. 9. 1922 (GS. 296). Aufgehoben sind insbesondere das Recht eigener Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, das Recht, durch besondere Behörden oder Beamte öffentlichrechtliche Be­ fugnisse auszuüben oder Staatsbeamte mit haus­ rechtlichen Aufgaben zu betrauen, die Ehrenrechte (Prädikate, Titelverleihungen usw.), das Recht auf Befreiung von öffentlichrechtlichen Pflichten, Lasten und Abgaben, des besonderen Strafschutzes und Gerichtsstandes (§ 1) — s. Familiengüter, Fürstenabfindung. Die nach dem bis­ herigen Rechte besonderen Behörden oder Be­ amten zur amtlichen Verwahrung übergebenen Vf. von Todes wegen sind dem zuständigen Amts­ gericht zuzuführen. Ist in Ehepakten anstatt des Erb- oder Pflichtteilsrechts dem überlebenden Ehegatten ein Wittum oder Witwensitz ausgesetzt, so bleiben die Ehepakten für das Erbrecht maß­ gebend. Werden die Ehepakten aufgehoben, gilt das BGB. Scheidung und Aufhebung der ehe-

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Aeronautisches Observatorium in Lindenberg — Agrargesetzgebung

lichen Gemeinschaft ergibt fernerhin das BGB., und zwar auch dann, wenn eine vor dem Inkraft­ treten des G. vom 23. 6. 1920 begangene Ver­ fehlung gemäß §§ 1565—1568 BGB. nach dem bisherigen Rechte nicht ausgereicht haben würde (Ziff. 1, 4, 5 der V. vom 3. 3. 1921). Für das oberschlesische Abstimmungsgebiet sind diese Vor­ schriften nach der V. vom 23. 9.1922 (GS. 296) erst am 1. 10. 1922 in Kraft getreten. II. Adelsbezeichnungen gelten fernerhin nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr ver­ liehen werden (Art. 109 Abs. 3 RV.). Es gelten also die allgemeinen öffentlich- und bürgerlich­ rechtlichen Vorschriften über Familiennamen; alle abweichenden bisherigen Vorschriften des Landes­ rechts, z. B. hinsichtlich unehelicher Kinder und bei Adoption sind aufgehoben, und zwar schon durch die RV. selbst. Nach dem Inkrafttreten der RV. ge­ borene uneheliche Kinder einer vormals Adeligen erhalten demnach den vollen Familiennamen der Mutter (§ 1706 BGB.) mit der Adelsbezeichnung. Für vor dem Inkrafttreten der RV. geborene oder angenommene Personen verbleibt es jedoch bei dem von ihnen bisher geführten Namen, die neuen Vorschriften haben auf den erworbenen Namen keinen Änsluß (RGZ. 103,194; 109,251). Die V. vom 3.11.1919 (GS. 179) gestattete aller­ dings preußischen Staatsangehörigen, die beim Inkrafttreten der RV. infolge unehelicher Geburt den Familiennamen ihrer adeligen Mutter oder auf Grund Annahme an Kindes Statt den Familien­ namen des adeligen Annehmenden ohne Adelsbezeichnung führen, ihrem Namen die Adelsbezeich­ nung der Mutter oder des Annehmenden durch Er­ klärung vor dem Standesbeamten, in dessen Ge­ burtsregister ihre Geburt beurkundet ist, hinzuzu­ fügen. Diese V. ist aber mit Wirkung vom 1.7.1922 ab aufgehoben (V. vom 12.5.1922, GS. 115). Bei folgerichtiger Durchführung des Grundsatzes, daß die bisherige Adelsbezeichnung nur Name ist und daß für diesen die Grundsätze des bürgerlichen Rechts gelten, würde man dahin kommen, daß auf weibliche Personen die männliche Benennung (z. B. Frauen und eheliche Töchter: Prinz, Graf, Freiherr), andererseits auf uneheliche männliche Nachkommen einer Adeligen die bisher für diese üb­ liche weibliche Bezeichnung (Gräfin, Freifräulein) zur Anwendung zu kommen hätte. Nach RGZ. 113, 107 hat es aber bei dem bisherigen Sprach­ gebrauch zu verbleiben. Wegen des Namens der Mitglieder der vormals landesherrlichen Familie vgl. V. vom 27. 11. 1923 (GS. 548). Bt. Adventisten f. Volksschulen 17 (Schul­ pflicht) 1.

Aeronautisches Observatorium in Lindenberg (Kreis Beeskow) ist dazu bestimmt, die physikali­ schen Verhältnisse der Atmosphäre mittels Luft­ ballons, Flugzeugen und anderen Hilfsmitteln zu erforschen. Mit dem O. verbunden ist die Zentrale des deutschen Höhenwetterdienstes, deren Aufgabe die Organisation und Durchführung der Wettersicherungen der deutschen Luftfahrt ist, ferner die Flugwetterwarte Berlin im Flughafen Tempelhos für den Berliner Luftverkehr und das AerO. in Staaken bei Berlin für wissenschaftliche Flugzeugaufstiege zur Erforschung der Atmosphäre (s. Meteorologisches Institut). Lt. Afghanistan. Diplomatische Vertretung des Reiches: Gesandtschaft Kabul. Keine Berufs-

konsularbehörden. Nichtsignatarmacht des Ver­ sailler Vertrags, Nichtmitglied des Völkerbundes. Deutsch-afghanischer Freundschaftsvertrag vom 3. 3. 1926 (RGBl. 1927 II 9). Kein Konsular­ oder Auslieferungsvertrag. Fro.

Afterverpachtung (Weiterverpachtung, usw. bei der Jagd) s. Jagd und Jagdbezirke. Agende s. Union. Agenten (Handlungsagenten) sind Personen, die, ohne als Handlungsgehilfen (s. d.) angestellt zu sein, ständig damit betraut sind, für das Han­ delsgewerbe eines anderen Geschäfte zu ver­ mitteln oder im Namen des anderen abzuschließen. Die rechtlichen Beziehungen zwischen dem A. und dem Geschäftsherrn sind durch §§ 84—92 HGB. geregelt. A. haben Anspruch auf Ausstel­ lung einer Legitimationskarte (§44 Abs. 1 GewO, in der Fassung des G. vom 14. 10. 1905, RGBl. 759). A. und Unteragenten für Feuerversicherung müssen die Eröffnung des Gewerbebetriebs be­ sonders anzeigen. S. Stehender Gewerbe­ betrieb, Versicherungsagenten, Auswan­ derungswesen, Umsatzsteuer. F. H. Agrargesetzgebung. Den Ausgangspunkt der neuen preuß. A. bildet das Edikt, betr. den er­ leichterten Besitz und freien Gebrauch des Grund­ eigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner vom 9. 10. 1807 (GS. 171). Bei seinem Erlaß bestand noch die aus dem Mittel­ alter überkommene, auf der strengen Gliederung der Stände beruhende Erwerbs- und Wirtschafts­ ordnung, namentlich befanden sich mehr als zwei Drittel der gesamten Bevölkerung in einem Per­ sönlichen und dinglichen Abhängigkeitsverhältnisse von ihrem Gutsherrn, der Guts- und Ge­ richtsobrigkeit. Das Edikt stellte demgegenüber den Grundsatz auf, daß es einer wohlgeordneten Staatswirtschaft gemäß sei, alles zu entfernen, was den einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu erlangen, den er nach dem Maße seiner Kräfte zu erreichen fähig wäre. Demgemäß strebte es selbst und die ihm folgende Gesetzgebung die Auf­ hebung der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, die Schaffung vollen Eigentums an den nur unter Beschränkungen besessenen Gütern, ferner die Ab­ lösung der den Grundbesitz belastenden Reallasten (soweit diese nicht dem öffentlichen Rechte an­ gehörten), endlich die Beseitigung der zahlreichen kulturschädlichen Servituten an. In Ausführung dieses Programms wurde zunächst, und zwar noch durch das Edikt selbst, die Gutsuntertänigkeit im ganzen Staate aufgehoben; mit dem Martinitage 1810 gab es nur noch freie Leute! Gleichzeitig beseitigte das Edikt alle Einschränkungen, die hin­ sichtlich des Eigentumserwerbs an Grundstücken bis dahin bestanden hatten, so daß fortan der Edelmann zum Besitz nicht bloß adliger, sondern auch unadliger, bürgerlicher und bäuerlicher Güter aller Art und umgekehrt der Bürger und Bauer auch zum Besitz adliger Grundstücke berechtigt war; ebenso hob es die bis '.dahin bestehende Geschlossenheit der Grundstücke auf. — Durch diese Maßregeln, so weittragend sie auch waren, wurde die zwischen den Gutsherren und den Bauern bestehende dingliche Abhängigkeit nur erst wenig berührt. Die wichtigste Folge dieses auf jahrundertelanger Entwicklung beruhenden Ver­ hältnisses bestand darin, daß den Bauern an

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Agrargesetzgebung ihren Besitzungen meist kein Eigentum, sondern nur ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes, teils erbliches, teils nichterbliches Besitzrecht zu­ stand und daß sie den Gutsherren zu Abgaben und Diensten der mannigfachsten Art verpflichtet waren- Hier Wandel zu schaffen, war der Zweck des Edikts über die Regulierung der gutsherrttchen und bäuerlichen Verhältnisse vom 14. 9. 1811 (GS. 281), das Bestimmungen traf, nach welchen die Lösung jenes Verhältnisses gegen Entschä­ digung der Gutsherren mit dem Erfolge herbei­ geführt werden konnte, daß fortan die Bauern freie Eigentümer des ihnen verbliebenen Landes wurden. Durch die Deklaration vom 29. 5. 1816 (GS. 154) wurde diese „Regulierungsfähigkeit" zwar auf die größeren „spannfähigen" Stellen eingeschränkt; aber Abschn. III des G-, betr. die Ablösung der Reallasten und die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, vom 2. 3. 1850 (GS. 77) gewährte die Regulierungs­ fähigkeit uneingeschränkt allen nicht zu Eigen­ tums-, Erbzins- oder Erbpachtsverhältnissen be­ sessenen Stellen. (Näheress. unter Gutsherrlich­ bäuerliche Regulierungen.) — War durch diese Maßregeln für die Selbständigmachung der bis dahin zu geringeren Rechten besessenen bäuer­ lichen Besitzungen gesorgt, so galt es auch noch die zahlreichen Dienste und Abgaben zu be­ seitigen, die auf denjenigen Stellen hafteten, welche zu Eigentum, Erbzins- oder Erbpachtrecht besessen wurden und die ihre Besitzer in ihrer Existenz und Bewegungsfreiheit schwer beein­ trächtigten. Diesem Zwecke diente die AblO. vom 7. 6. 1821 (GS. 77). Diese ließ zwar das Ober­ eigentum der Gutsherren bestehen, gestattete aber eine Ablösung der Hand- und Spanndienste, Natural- und Geldleistungen, jedoch mit der Ein­ schränkung, daß die Hand- und Spanndienste nur von den größeren, spannfähigen Ackernah­ rungen. abgelöst werden konnten. Auch hier kam erst das bereits erwähnte AblG. vom 2. 3. 1850 zu einer endgültigen Regelung, indem es sowohl das Obereigentum des Guts- oder Grundherrn aufhob, als auch alle beständigen Abgaben und Leistungen, welche auf eigentümlich oder bisher erbpachts- oder erbzinsweise besessenen Grund­ stücken oder Gerechtigkeiten hafteten (Reallasten), für ablösbar erklärte. Für die an KirchenPfarren, Küstereien und Schulen zu entrichten­ den Abgaben wurde darin zwar noch ein Vor­ behalt gemacht, durch das G. vom 27. 4. 1872 (GS. 417) hat aber auch dieser seine Erledigung ge­ funden. — Außer mit den insbesondere den Guts­ herren geschuldeten Reallasten waren die länd­ lichen Grundstücke vielfach auch noch mit Rechten zu ihrer gemeinschaftlichen Benutzung belastet; es bestanden Gemeinheiten der mannigfachsten Art, namentlich Weide-, Mast- und Holzungsberechti­ gungen, sei es, daß sie auf einem gemeinschaft­ lichen Eigentum oder einem Gesamteigentum, oder auf einem einseitigen oder wechselseitigen Dienstbarkeitsrechte beruhten. Diese schränkten den einzelnen in der Benutzung seiner Grund­ stücke erheblich ein (Dreifelderwirtschaft, Flur­ zwang). Ihnen trat zunächst das Edikt zur Be­ förderung der Landkultur vom 14. 9. 1811 (GS. 300) und demnächst die Gemeinheits­ teilungsordnung vom 7. 6. 1821 (GS. 53) ent­ gegen, indem die Aufhebung der wichtigsten und

lästigsten von ihnen für zulässig erklärt wurde. Das ErgänzungsG. vom 2. 3. 1850 (GS. 139) hat demnächst noch den Kreis der ablösbaren Berechtigungen erheblich erweitert. — Mit dem Jahre 1850 war die A. zunächst abgeschlossen. Aus der folgenden Zeit kommt zunächst die Gesetz­ gebung für die 1866 mit dem preuß. Staate ver­ einigten Landesteile in Betracht. In diesen hatte teils ein regulierungsfähiger Besitz überhaupt nicht bestanden, teils waren seine Rechtsverhält­ nisse bereits anderweit geordnet. Hier lag daher zu einem Eingreifen der preuß. Gesetzgebung keine Veranlassung vor. Wohl aber führte diese die für die Ablösung der Reallasten und die Aus­ hebung der Dienstbarkeiten (Gemeinheitstei­ lungen) in den alten Provinzen maßgebenden Grundsätze alsbald auch in jene Gebietsteile ein. In den folgenden Jahren ergingen mehrere G., durch die sowohl die Zusammenlegungsgesetz­ gebung in den neuen Provinzen teils eingeführt, teils ausgebaut und namentlich ermöglicht wurde, eine Zusammenlegung auch in solchen Feldmarken durchzuführen, deren Grundstücke einer gemein­ schaftlichen Benutzung nicht unterlagen, in denen daher eine Gemeinheitsteilung nicht in Betracht kam. Ihren Abschluß hat die Gesetzgebung in der für den ganzen Staat erlassenen Umlegungs­ ordnung vom 21. 9. 1920 (GS. 453) gefunden. — Mehrere Höfe- und Landgüterordnungen suchten dahin zu wirken, daß beim Eintritt eines Erbfalls solche Besitzungen nicht zersplittert, vielmehr möglichst in die Hand eines Erben, des Anerben, übergingen. — Die immer mehr zunehmende Er­ kenntnis, daß die Beseitigung der Erbpacht durch das AblG. vom 2. 3. 1850 namentlich den klei­ neren Leuten den Erwerb einer eigenen Stelle zu Eigentum außerordentlich erschwert hatte, führte, und zwar zunächst nur für den Geschäfts­ bereich der Ansiedlungskommission für West­ preußen und Posen (G. vom 26.4.1886, GS. 131), sodann für den ganzen Staat zur Einführung der neuen Rechtsform des Rentenguts (G. vom 27. 6. 1890, GS. 109, und vom 7. 7. 1891, GS. 279). Damit war der Förderung der inneren Kolonisation und auch der Besiedlung der Moorund Heideländereien der Weg geebnet. In den folgenden Jahren wurde eine Reihe von G. er­ lassen, durch die die Tätigkeit auf diesen Gebieten immer mehr erleichtert werden sollte. Die weit­ gehendsten Änderungen brachte insbesondere das in Ausführung des Art. 155 RV. ergangene ReichssiedlungsG. vom 11. 8.1919 (RGBl. 1429) mit dem zugehörigen preuß. AusfG. vom 15. 12. 1919 (GS. 1920, 31), G., die die Herbeiführung einer gesunden Mischung von Groß-, Mittel- und Kleinbesitz befördern sollten. Um dabei auch die Moore und anderen Odländereien beschleunigter kultivieren zu können, erging unter dem 5. 5.1920 (GS. 351) ein G., das die Bildung von Boden­ verbesserungsgenossenschaften in vereinfachter Form ermöglichte (eine weitere Vereinfachung brachte noch die V. vom 13. 2. 1924, RGBl. I 111). Ein für die Beaufsichtigung von Privat­ waldungen in Aussicht genommenes G. ist seit­ her noch nicht zustande gekommen, doch hat die vom Reiche erlassene V. vom 7. 2. 1924 (RGBl. I 50) zur Förderung der Forstwirtschaft die LandesG. ermächtigt, dem Eigentümer und auch dem Nutzungsberechtigten gewisse Verpflichtungen

Bitter, Handwörterbuck der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

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Ägypten — Akademie der Künste zu Berlin

aufzuerlegen. — Im Anschluß an den vorgenannt ten Art. 155 RV. wurden auch die zur Auflösung der Fideikommisse erforderlichen Preuß. G. erlassen und durch die V. über das Erbbaurecht vom 15. 1. 1919 (GS. 72) und durch das ReichsheimstättenG. vom 10. 5. 1920 (RGBl. 962) die Mög­ lichkeit eröffnet, kleine landwirtschaftliche oder gärtnerische Anwesen, zu deren Bewirtschaftung der. Regel nach fremde Arbeitskräfte nicht heran­ zuziehen sind, zu Eigentum auszugeben. Zu er­ wähnen ist schließlich auch noch die Bek. über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken vom 15. 3. 1918 (RGBl. 123), die eine Genehmigung zu Grundstücksverkäufen vorschreibt, um zu ver­ hindern, daß landwirtschaftlicher Grundbesitz in nicht sachverständige Hände oder solche von Güterchlächtern gerät, die ihn zu unwirtschaftlichen Preisen verkaufen würden. — Die Ausführung der älteren AgrarG. war besonderen Behörden, den Generalkommissionen, übertragen. Ihre Haupt­ aufgabe bestand zunächst in der Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse. Trotzdem ihnen im Lause der Zeit immer mehr Geschäfte zugewiesen wurden (so die Gemeinheitsteilungen, die Ablösung der Reallasten, die Zusammen­ legung der Grundstücke und endlich die Begrün­ dung von Rentengütern), galten sie immer noch für nur vorübergehend bestehende Behörden. Ihre Organisation und ihr Verfahren war in­ folgedessen auch den neueren Anschauungen nicht angepaßt worden. Da somit zu befürchten stand, daß sie den ihnen auf dem Gebiete der A. zu­ gedachten neuen Aufgaben nicht mehr gewachsen sein möchten, sind sie durch G. vom 3. 6. 1919 (GS. 109) völlig umgestaltet worden. Über alle vorstehend behandelten Punkte s. die Einzel­ artikel. Pr. Ägypten. Diplomatische Vertretung des Rei­ ches: Gesandtschaft Kairo. Berufskonsularbehör­ den: Konsulat Alexandria. Nichtsignatarmacht des Versailler Vertrags, Nichtmitglied des Völker­ bundes. Kein Handelsvertrag, aber vereinbarte Meistbegünstigung. B. über die Konsulargerichts­ barkeit vom 31. 7. 1925 (RGBl. II 735). Fro. Akademie der Künste zu Berlin. I. Ge­ schichte, Bestimmung. Gestiftet vom Kurfürsten Friedrich III. am 1. 7. 1696, gegründet durch Edikt vom 16. 3. 1696, mit einem neuen Re­ glement „für die Akademie der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften zu Berlin", vom 26. 1. 1790 (Rabe, Gesetze Bd. I Abt. 7 511 ff.; Bd. II 3) versehen, sollte der „End­ zweck des Instituts dahin gehen, daß es auf der einen Seite zum Flor der Künste sowohl über­ haupt beitrage, als insbesondere den vaterländi­ schen Kunstfleiß erwecke, befördere und durch Ein­ fluß auf Manufakturen und Gewerbe dergestalt veredele, daß einheimische Künstler in geschmack­ vollen Arbeiten den auswärtigen nicht ferner nach­ stehen, auf der anderen Seite aber diese Akademie als eine hohe Schule für die bildenden Künste sich in sich selber immer mehr vervollkommne, um in Sachen des Geschmacks, deren Beurteilung ihr obliegt, durch vorzügliche Kunstwerke jeder Art selbst Muster sein zu können". Außer der A. oder hohen Schule für die bildenden Künste und der Zeichenschule umfaßte das Institut daher auch die Kunst- und Gewerbeschule. 1833 trat ihr das „Musikinstitut" zur Ausbildung von Organisten,

Kantoren, Gesang- und Musiklehrern, 1869 eine Musikhochschule, 1875 das Institut für Kirchen­ musik hinzu. 1882 ist die Kunst- und Gewerbe­ schule abgetrennt, 1927 ist eine Abteilung für Dichtkunst eröffnet. — Die A. d. K. ist danach eine der Förderung der bildenden Künste, der Musik und der Dichtkunst gewidmete Staatsanstalt. Sie besitzt die Rechte einer juristischen Person und steht unmittelbar unter dem MfW. als ihrem Kurator (§ 1 des Statuts). Sie umfaßt den Senat, die Genossenschaft der Mitglieder und Abteilungen: A. Für die bildenden Künste: 1. die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, 2. die akademischen Meister­ ateliers für die bildende Kunst. B. Für die Musik: 1. die Akademische Hochschule für Musik, 2. die Akademische Meisterschule für musikalische Komposition, 3. die A. für Kirchen- und Schul­ musik. C. für die Dichtkunst. II. Der Präsident der A. wird vom Senat aus der Zahl der Senatoren unter Vorbehalt der Bestätigung durch das StM. auf ein Jahr gewählt. Der Präsident vertritt die A. nach außen. Er erledigt selbständig unter Mitwirkung des ersten Sekretärs die laufenden Verwaltungs­ geschäfte, soweit sie nicht des Vortrags im Senate bedürfen (§ 7). Dem Präsidenten stehen zwei ständige Sekretäre der A. zur Seite, die auf Antrag des Ministers von dem StM. ernannt werden (§ 11). Zum Geschäftskreis des ersten ständigen Sekretärs gehören die Angelegenheiten der A. in ihrer Gesamtheit sowie der Sektion des Senats für die bildenden Künste. Zum Ge­ schäftskreise des zweiten ständigen Sekretärs ge­ hören die Angelegenheiten der Senatssektion für Musik und für Dichtkunst sowie die Verwaltungs­ geschäfte bei der akademischen Hochschule für Musik (§ 12). III. Der Senat ist technische Kunstbehörde und künstlerischer Beirat des Ministers. Er ist berufen, das Kunstleben zu beobachten und An­ träge im Interesse desselben an den Minister zu stellen bzw. mit seinem Gutachten zu über­ mitteln. Er beschließt über die Angelegenheiten der A. als juristische Person und über ihre Ver­ waltung, soweit sie nicht anderen Organen über­ tragen ist (§ 13). Die Mitglieder des Senats (Senatoren) werden vom Minister berufen. Die­ jenigen Senatoren, die dem Senat als Inhaber eines bestimmten Amts angehören, werden für die Dauer ihrer Amtsführung, die übrigen jedes­ mal auf drei Jahre berufen (§ 14). Der Senat besteht aus Sektionen für die bildenden Künste,, für Musik und für Dichtkunst. Zum Geschäfts­ kreise des Gesamtsenats gehören: 1. die Wahl des Präsidenten der A. und seines Stellvertreters^ 2. die Erörterung und Begutachtung allgemeiner Kunst- und Unterrichtsfragen, 3. die Beschluß­ fassung über Organisationsfragen der Gesamt­ akademie und über die Verwaltung ihres Ver­ mögens, 4. die Abgabe von Vorschlägen für die Ernennung der ausländischen Ritter des Ordens pour le merite für Wissenschaften und Künste^ 5. die Erstattung der vom Minister sonst noch erforderten Berichte (§ 16). Zum Geschäftskreise der Senats sektion für die bildenden Künste gehören u. a. die Ausschreibung der akademischen Kunstausstellungen mit Genehmigung des Ministers und ihre Leitung nach den festgelegten

Akademie der Wissenschaften in Berlin Bestimmungen, die Vorschläge zur Verleihung der goldenen Medaille für Kunst bei Gelegenheit der Kunstausstellungen unter Beteiligung der im Besitz der Großen goldenen Medaille befind­ lichen Mitglieder, fowie die Wahl der durch den Minister aus dem Senat indieLandeskommisfion zur Begutachtung der Verwendungen des Kunstfonds zu berufenden Künstler. Zum Geschäftsbereich der Senatssektionen für Musik und für Dichtkunst gehören u. a. die Aus­ schreibungen von Wettbewerben und Entscheidung über Vergebung von Preisen und Stipendien. IV. Die Mitglieder der A. zerfallen in ordentliche und Ehrenmitglieder (§ 29). Die ordentlichen Mitglieder bilden eine Genossen­ schaft, die sich durch Wahl aus hervorragenden Berliner und auswärtigen Künstlern ergänzt. Sie scheidet sich wie der Senat in eine Sektion für die bildenden Künste, in eine Sektion für Musik und in eine Sektion für Dichtkunst. V. Die Bereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst (vormals Hochschule für die bildenden Künste und Unterrichtsanstalt des Kunst­ gewerbemuseums; Erl. vom 8. 9. 1924, UIV Nr. 1226). Sie gliedern sich in drei Abteilungen; 1. die Abteilung für freie Kunst, 2. die Abteilung für angewandte Kunst, 3. die Abteilung für Archi­ tektur. Jede der drei Abteilungen besteht aus einem Unterbau (Fachabteilung)und einem Ober­ bau (Ateliers). Der Unterricht in den allgemeinen Klassen, Hilfsfächern und Werkstätten ist gemein­ sam. An der Spitze steht ein vom MsW. berufener Direktor. Er leitet den Unterricht im Einver­ nehmen mit den drei Abteilungsvorstehern. Für die Besetzung der Lehrstellen hat er dem MsW. die Vorschläge des Lehrerkonvents mit seiner Stellungnahme vorzulegen. Er vertritt die Ver­ einigten Staatsschulen nach außen; zu seiner Unterstützung sind ihm Kustoden beigegeben. In Unterrichtsangelegenheiten steht ihm ein aus sieben Mitgliedern bestehender Lehrerkonvent zur Seite. Der Lehrerkonvent stellt aus seiner Mitte die drei Abteilungsvorsteher, die ihre Abteilungen im Einvernehmen mit dem Direktor selbständig leiten. Die Leiter der Fachabteilungen bestimmt der Direktor nach Benehmen mit den Lehrern der Abteilungen. Für die Aufnahme der Schüler gelten die Bestimmungen des Erl. vom 10.2.1923, U IV 2658, Punkt I und III. Die Gesamtheit der Schüler der drei Abteilungen bildet die Schülerschaft der Vereinigten Staatsschulen. Die Satzungen des Schülerausschusses sind dem Lehrerkonvent und dem Direktor vorzulegen und bedürfen der endgültigen Genehmigung des MsW. Die Vereinigten Staatsschulen haben das Recht, Personen, die sich um die Anstalt oder um die freien oder angewandten Künste besondere Ver­ dienste erworben haben, dem MsW. für die Er­ nennung zu Ehrenmitgliedern der Vereinigten Staatsschulen vorzuschlagen. Die Ehrenmitglieder gehören dem Kuratorium an; das Kuratorium besteht aus dem Kommissar des MfW. als Vor­ sitzenden, einem Kommissar des HM., dem Präsi­ denten der A. d. K., dem Vorsteher der Akademi­ schen Meisterateliers, dem Generaldirektor der staatlichen Museen, dem Direktor der National­ galerie, dem Direktor der Vereinigten Staats­ schulen und je einem Vertreter des Kunsthand­ werks, der Kunstindustrie und der freien Künste.

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Das Kuratorium nimmt den Berwaltungsbericht des Direktors entgegen. Es kann Anregungen, die sich auf die Organisation und die Unterrichts­ angelegenheiten der Vereinigten Staatsschulen beziehen, geben; außerdem kann der MfW. das Kuratorium zu gutachtlichen Äußerungen über wichtige Fragen des Kunstschulwesens auffordern. VI. Staatliche Akademische Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg, Fasanen­ straße 1. Sie bezweckt die allseitige höhere Aus­ bildung für alle Gebiete der Musik, wie der darstellenden Kunst und die Veranstaltung musi­ kalischer Aufführungen unter Verwertung der von ihr ausgebildeten Kräfte. Ferner wird durch Vor­ lesungen und seminaristische Übungen auf eine allgemeine musikalische Erziehung hingewirkt. Die Hochschule umfaßt mehrere Abteilungen (für Komposition und Theorie, Gesang, Geige und Violoncello, Seminar für Musikerziehung, Opern­ schule, Orchesterschule usw.). In allen Abteilungen wird sowohl für die Ausübung als auch für den Lehrberuf ausgebildet. Die Hochschule steht unter einem Direktor, die administrative Leitung führt der stellvertretende Direktor. Beide werden vom MfW. ernannt; die Lehrer der Hochschule (Pro­ fessoren) beruft der MfW. teils unmittelbar, teils auf Vorschlag des Direktors der Hochschule, die außerordentlichen Lehrer verpflichtet der Direktor teilweise mit Genehmigung des MfW. — Mit der Hochschule für Musik ist eine Schauspielschule verbunden; sie hat einen eigenen Leiter und dient der allseitigen Ausbildung für alle Gebiete der Schauspielkunst. Die Schule gliedert sich in drei Kurse; die Ausbildungszeit dauert zwei Jahre, Senter ist der Hochschule für Musik der Staats­ und Domchor unter einem besonderen Direktor angegliedert. Er soll ein Musterchor für Chor­ gesang sein und den Chorgesang bei Gottesdiensten, liturgischen Andachten und bei besonderen feier­ lichen Anlässen der Berliner Domkirche aussühren. Ferner soll er Konzertaufführungen und Übungen im allgemeinen erzieherischen und unterrichtlichen Interesse der Hochschule für Musik veranstalten und auf Anordnung des MfW. bei feierlichen Staatshandlungen mitwirken. Der Chor besteht aus einem kleineren Chor (25 Herren), einer Knabenhauptklasse (100 Knaben) und einer Knabenvorklasse (50 Knaben). VII. Staatliche Akademie für Kirchenund Schulmusik in Berlin-Charlottenburg, Hardenbergstr. 36 (früher Institut für Kirchen­ musik), hat eine kirchen- und schulmufikalische Ab­ teilung. In der ersten werden Organisten, Kan­ toren und Chordirigenien ausgebildet, in letzterer wird auf die Prüfung für das künstlerische Lehr­ amt an höheren Schulen in Preußen vorbereitet (V. vom 22. 5. 1922, UZBl. 257). Für die Auf­ nahme ist eine besondere Prüfung abzulegen. Die A. untersteht einem Direktor, der vom MfW. er­ nannt wird. Hinsichtlich der Professoren und außer­ ordentlichen Lehrer vgl. das bei der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik Gesagte. Lt. Akademie der Wissenschaften in Berlin, ge­ gründet 11. 7. 1700, vollständig eingerichtet durch Edikt vom 3. 6. 1710, neu organisiert durch Statut vom 24.1.1744 (Rabe, Gesetze I 1 S. 197, 293; 2,190). Erster Präsident war Leibniz. 1812 wurde sie in vier Klassen geteilt (Physik, Mathematik, Philosophie, Geschichte), erhielt eine anderweite 2*

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Akademie des Bauwesens — Akademie, pädagogische

Ordnung unter dem 31. 3. 1838, neue Statuten durch AOrder vom 28. 3. 1881 (UZBl. 510). Die Akademie ist eine Gesellschaft von Gelehrten, welche zur Förderung und Erweiterung der all­ gemeinen Wissenschaften, ohne einen bestimmten Lehrzweck eingesetzt ist (§ 1 des Statuts). Sie hat die Rechte einer privilegierten Korporation, eigenes Vermögen und ein eigenes etatsmäßiges Einkommen, worüber sie verfügt (§ 3 a. a. O.). Die Akademie sondert sich in zwei einander gleichgestellte Klassen: die physikalisch-mathema­ tische und die philosophisch-historische (§ 4 des Statuts). Sie besteht aus: 1. ordentlichen Mit­ gliedern, 2. auswärtigen, 3. Ehrenmitgliedern, 4. korrespondierenden Mitgliedern. Jedes Mit­ glied — mit Ausnahme der Ehrenmitglieder — gehört einer Klasse an (§ 5). Ordentliche Mit­ glieder können nur solche sein, die in Berlin oder einem in dessen Nähe nicht über 30 km entfernten (s. UZBl. 1881, 511) Orte wohnen (§ 6). Die Wahl der Mitglieder steht der Gesamtheit der ordentlichen Mitglieder auf Vorschlag der betref­ fenden Klasse zu und bedarf der Bestätigung des preußischen Staatsministeriums (§§ 8—15). Aus­ wärtige Mitglieder sind die nicht in Berlin oder dessen Nähe wohnenden Mitglieder. Jede Klasse hat zehn Stellen (§ 20). Ehrenmitglie­ der sind entweder Gelehrte, die bei sonstiger vor­ handener Qualifikation die Pflichten eines ordentlichen Mitgliedes nicht erfüllen können oder Personen, die sich durch Interesse für wissenschaft­ liche Forschungen auszeichnen und geeignet er­ scheinen, dies Interesse zu betätigen (§ 21). Korrespondierende Mitglieder können Ge­ lehrte werden, die außerhalb wohnen. Sie können an den Sitzungen der Akademie teil­ nehmen und wissenschaftliche Mitteilungen ma­ chen. Jede Klasse hat 100 einzelnen Fächern zu­ geteilte Stellen (§ 22). Die ordentlichen Mit­ glieder haben die Befugnis, an jeder preuß. Universität Vorlesungen zu halten. Sie sind be­ rechtigt und verpflichtet, an den Arbeiten der Aka­ demie teilzunehmen und haben Sitz und Stimme in den Gesamtsitzungen und in ihrer Klasse (§§ 17, 18). In den ordentlichen Sitzungen wird ein wissenschaftlicher Vortrag gehalten, zu dem die Mitglieder nach ihrer Anciennität verpflichtet sind. Die Akademie hat wissenschaftliche Unter­ nehmungen ihrer Mitglieder oder anderer Ge­ lehrten zu fördern, insonderheit solche, für welche die gemeinsame Tätigkeit verschiedener Gelehrten nötig erscheint, sowie solche, welche durch ihren Umfang, ihre Dauer oder ihre Kostspieligkeit das Eintreten der Akademie erfordern. Sie ist er­ mächtigt, zur Ehrung besonderer Verdienste um die Förderung ihrer Aufgaben, alljährlich an ihrem Leibniztage Leibnizmedaillen zu verleihen (AE. vom 27. 1. 1906, UZBl. 286). Ferner gehört es zu ihren Aufgaben, rein wissenschaftlichen Zwecken gewidmete Stiftungen zu verwalten oder bei deren Verwaltung mitzuwirken, sowie endlich durch Er­ teilung von Preisen Forschungen auf bestimmten Gebieten anzuregen oder zu begünstigen (§ 40). Die Akademie gibt Sitzungsberichte und Denk­ schriften heraus. Für die Aufnahme einer wissen­ schaftlichen Mitteilung oder Abhandlung in die akademischen Publikationen bedarf es einer aus­ drücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Klassen (§ 41). — Die Akademie hat vier

ständige Sekretäre, je zwei aus jeder Klasse. Die­ selben haben das Recht, bei feierlichen Gelegen­ heiten ein Amtszeichen, bestehend oii§ einer gol­ denen Medaille an einer silbernen vergoldeten Kette, zu tragen (AE. vom 27. 1. 1905, UZBl. 203). Die Sekretarstellen werden auf Lebenszeit verliehen. Jede der beiden Klassen wählt den aus ihrer Mitte zu bestellenden Sekretär für sich allein (§25). Die Sekretäre haben die Geschäfte der Aka­ demie zu leiten und ihre Beschlüsse auszuführen. Sie beraten und beschließen als Kollegium über die ihnen obliegenden Geschäfte und können einzelne derselben unter sich verteilen. Im Vor­ sitz und der damit verbundenen Leitung der Ge­ schäfte der Gesamtakademie wechseln die Sekretäre von vier zu vier Monaten, mangels einer ander­ weiten Übereinkunft in der Reihenfolge nach der Anciennität (§ 26). Der Vorsitzende Sekretär ver­ tritt die Akademie, hat die Oberaufsicht über die Beamten (§ 27). Im Vorsitz und der damit ver­ bundenen Leitung der Geschäfte der einzelnen Klassen wechseln die beiden derselben Klasse an­ gehörigen Sekretäre von vier zu vier Monaten oder nach Übereinkunft (§ 28). — Größere Unter­ nehmungen, welche von Kommissionen der Akade­ mie geleitet werden, sind u. a. die Herausgabe der Monumenta Borussica, d. h. die Herausgabe der auf die innere Verwaltung Preußens bezüglichen Akten aus der Zeit von 1713—1786 (s. UZBl. 1888, 512). Lt. Akademie deS Bauwesens. Sie ist auf Grund des AE. vom 7. 5. 1880 (GS. 261) an die Stelle der aufgelösten technischen Baudeputation ge­ treten als eine dem FM. unterstellte, in bedeu­ tungsvollen Fragen des öffentlichen Bauwesens beratende Behörde. Sie ist berufen, das gesamte Baufach in künstlerischer und wissenschaftlicher Beziehung zu vertreten und fortzubilden, insbe­ sondere auch die Entwürfe wichtiger öffentlicher Bauunternehmungen zu beurteilen. Die Akade­ mie ist in die Abteilung für den Hochbau und die für das Ingenieur- und Maschinenwesen geteilt. Ihre im Ehrenamte wirkenden, teils ordentlichen, teils außerordentlichen Mitglieder werden vom StM. aus Vorschlag des FM. ernannt. Alle drei Jahre scheidet ein Drittel aus. Die Mitglieder wählen den Präsidenten der Akademie und die beiden Abteilungsdirigenten ebenfalls aus drei Jahre. Die Wahl unterliegt der Bestätigung des StM. Der Geschäftsgang bei der Akademie ist durch die Instruktion vom 27. 8. 1880 (MBl. 212) geregelt. Lt. Akademie für forstliches Bildungswesen s. Forstliche Hochschulen. Akademie für Kirchen- und Schulmusik s. Akademie der Künste VII. Akademie, medizinische, in Düsseldorf. Sie wurde 1907 von der Stadt Düsseldorf gegründet und 1923 als medizinische Hochschule vom Staat übernommen. Ihre Aufgabe liegt darin, Studie­ rende vor der Vorprüfung bis zur ärztlichen Hauptprüfung und während des praktischen Jahres auszubilden, Fortbildungskurse für prak­ tische Ärzte abzuhalten und die gesamte Medizin nach der wissenschaftlichen und der praktischen Seite zu fördern. An ihr werden auch ärztliche Staatsexamen abgehalten. Bsch. Akademie, pädagogische, s. Pädagogische Akademie.

Akademien, lozialhygienijche — Akademische Würden

Akademien, sozialhygienische, dienen der Fach­ ausbildung von staatlichen und kommunalen Me­ dizinalbeamten und Fürsorgeärzten in Sozial­ hygiene, sozialer Pathologie, Sozialgesetzgebung und Versicherungsmedizin. Sie bestehen seit 1920 in Breslau (ostdeutsche), Düsseldorf (westdeutsche) und in Charlottenburg (A. für soziale und prak­ tische Medizin). Bsch. Akademie, theologische, s. Fakultäten der Universitäten II 2. Akademische Hochschule für Musik s. Akade­ mie der Künste VI. Akademische Würden. I. Allgemeines. Die Vorschriften über die Erlangung der a. W. sind im einzelnen in den Promotionsordnungen der Fakultäten enthalten. Die Promotionsord­ nungen sind in den Universitäts- und Fakul­ tätsstatuten verankert. Die Promotion findet unter der Autorität der gesamten Universität statt. Für die medizinischen und philosophischen Doktorpromotionen sind Vereinbarungen mit den übrigen deutschen Ländern über die An­ wendung gemeinsamer Grundsätze geschlossen. Die Promotionsordnungen haben eine dement­ sprechende Fassung erhalten. — Außer der Doktor­ würde wird von den beiden theologischen Fakul­ täten noch eine niedere unter dem Namen eines Lizentiaten übertragen. Früher kam die letztere vielfach auch in der juristischen Fakultät vor. Dies ist nicht mehr üblich. Ebenso wurde in der philosophischen Fakultät eine niedere Würde eines Magisters erteilt. Auch diese ist meist außer Gebrauch gekommen, jedenfalls wird dieselbe nie für sich allein, sondern stets in Verbindung mit der Doktorwürde gewährt. Die Doktorwürde wird in jeder Fakultät teils durch feierliche Promotion, teils mittels bloßer Überreichung des Diploms erteilt. Sie wird gegeben an Männer von ausgezeichneten Verdiensten, ohne weitere Leistungen honoris causa. In den theologischen Fakultäten ist nur die Doktorwürde honoris causa üblich. Denn „zu den Erfordernissen des theo­ logischen Doktorats ist neben anerkanntem kirch­ lichen oder theologisch-wissenschaftlichem Verdienst auch noch eine höhere kirchliche oder akademische Stellung oder ein ehrwürdiges Alter zu rechnen". Eine Bewerbung ist nicht gebräuchlich; als a. W. kommt also hier nur die Lizentiatenwürde in Be­ tracht. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte nach § 33 StGB, zieht auch den Verlust des Doktortitels nach sich. Der RP. benachrichtigt die Fakultät (Erl. vom 13. 3. 1895, UI 301), welche das Diplom zurückzieht und dies bekannt­ macht (Erl. vom 4. 7. 1893, UI 903). Preuß. Staatsangehörige, die einen akademischen Grad einer Hochschule außerhalb Preußens erworben haben, bedürfen zur Führung dieses Grades in Preußen der Genehmigung des MfW. Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn es sich um den akademischen Grad einer deutschen Hoch­ schule handelt, der auf Grund einer schon vor dem 1. 1. 1923 bestehenden Satzung verliehen worden ist (das ist der Fall bei allen deutschen Hochschulen, außer der inzwischen eingegangenen Hochschule in Detmold). Für nichtpreußische Reichsangehörige und für Ausländer, die sich in Preußen aufhalten, gilt dasselbe, sofern sie sich nicht nur vorübergehend, und zwar nicht zu Er­ werbszwecken oder ausschließlich im amtlichen

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Auftrag in Preußen aufhalten. Dann genügt es, wenn sie nach dem Rechte ihres Heimatstaates zur Führung des akademischen Grades befugt sind (V. über die Führung akademischer Grade vom 30. 9. 1924, GS. 605). II. Die einzelnen Fakultäten. In der evangelisch-theologischen Fakultät ist Erforder­ nis der Bewerbung um den Lizentiatengrad in der Regel ein dreijähriges theologisches Studium nach erlangtem Reifezeugnis, ferner die Ein­ reichung einer Abhandlung über einen selbst­ gewählten Gegenstand aus derjenigen theologi­ schen Disziplin, welcher der Kandidat sich beson­ ders widmen will und eine mündliche Prüfung vor der ganzen Fakultät. Die katholisch-theo­ logische Fakultät fordert gewöhnlich außerdem, daß der Bewerber um die Lizentiatenwürde wenigstens eine der höheren Weihen zum geist­ lichen Stande erhalten hat, mithin Subdiakon ist, und wenigstens ein Semester auf der Universität studiert hat, wenn er seine Studien auf einer anderen anerkannten theologischen Lehranstalt, insbesondere auf einem bischöflichen Seminar gemacht hat. — Die juristischen Fakultäten er­ teilen die Würde eines Doctor juris. Der Be­ werber muß auf Grund des Reifezeugnisses vier Jahre auf einer Universität studiert haben, eine Dissertation— bei einzelnen Fakultäten daneben noch Textauslegungen — einreichen, und ein mündliches Examen ablegen, welches sich über alle Zweige der Rechtswissenschaft erstreckt. — In der medizinischen Fakultät gelten jetzt für die Erlangung der Doktorwürde diejenigen Grund­ sätze, welche zwischen den Regierungen hier­ über in neuerer Zeit vereinbart worden sind (Erl. vom 16.7.1900, UZBl. 747ff.; eine Pro­ motionsordnung für die Berliner Universität s. ebenda 752ff.). Die Zulassung von Inländern zur Doktorprüfung darf in der Regel erst er­ folgen, nachdem sie die Approbation als Arzt für das Reichsgebiet beigebracht haben. — In bezug auf Erlangung des Doktorgrades in der philo­ sophischen Fakultät enthalten die einzelnen Pro­ motionsordnungen eingehende Vorschriften über Fächerzusammenstellung. — In den Wirtschastsund Sozialwissenschaftlichen Fakultäten, bei den Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten Königsberg, Greifswald, Bres­ lau, Halle, Göttingen, Kiel und Münster, bei den Juristischen und Philosophischen Fakultäten der Universitäten Berlin, Marburg und Bonn sowie an der Handelshochschule in Berlin muß der Bewerber vier Jahre studiert haben und vor­ her (nach einem dreijährigen Studium) die Diplom­ prüfung für Volkswirte, die erste juristische Prü­ fung, Prüfung für Forstreferendare, Diplom­ landwirte, Diplomingenieure, Diplomkaufleute oder Diplomhandelslehrer abgelegt haben. In besonderen Fällen können die Fakultäten aus­ nahmsweise ohne vorausgegangene Fachprüfung die Zulassung zur Doktorpromotion beschließen. Von dem Erfordernis eines achtsemestrigen Stu­ diums kann nicht befreit werden. III. Doktoringenieur. Das Recht, die Würde eines Doktoringenieurs zu verleihen, ist den Preußischen Technischen Hochschulen durch den kgl. Erl. vom 11. 10.1899 (Dammann, „Die Technischen Hochschulen Preußens", 291) bei­ gelegt worden. Im Anschluß hieran hat der MfW.

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Akkumulatoren, elektrische — Aktiengesellschaften

die Bestimmungen vom 19. 6. 1900 getroffen (vgl. „Die Prüfungen an den Technischen Hoch­ schulen in Preußen", Weidmannsche Buchhand­ lung 1926, 58). Die Würde eines Doktor­ ingenieurs kann auch ehrenhalber als seltene Aus­ zeichnung an Männer, die sich um die Förderung der technischen Wissenschaften verdient gemacht haben, auf einstimmigen Antrag einer Fakultät durch Beschluß von Rektor und Senat verliehen werden. Lt. Akkumulatoren, elektrische. E. A. sind Appa­ rate zur Aufspeicherung elektrischer Energie. Auf Grund § 120e GewO- hat der BR. Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb von An­ lagen zur Herstellung elektrischer Akkumulatoren aus Blei oder Bleiverbindungen erlassen (Bek. vom 6. 5. 1908, RGBl. 172). Über die Verwen­ dung von Arbeiterinnen (s. d.) und jugendlichen Arbeitern (s. d.) sowie über die Arbeitszeit der Arbeiter sind in den §§ 15, 17 Beschränkungen vorgesehen. F. H. Akten. I. A. sind nach Gegenständen in be­ stimmter Reihenfolge geordnete Sammlungen der bei den Behörden eingehenden und bei ihnen entstehenden Schriftstücke (Blattsammlungen). Die Aufbewahrung der A. erfolgt in den Re?istraturen und den Archiven der Behörden, lber die Aussonderung und Kassation unbrauch­ barer A. der Staatsverwaltungsbehörden sind zahlreiche Bestimmungen ergangen (s. die Zu­ sammenstellung vom 10. 11. 1876, MBl. 254), aus denen hervorzuheben ist, daß Verzeichnisse der zur Vernichtung ausgesonderten A. und sonstigen Schriftstücke vor der Kassation dem be­ treffenden Provinzialarchiv mitzuteilen find, da­ mit die zur Aufnahme in das Archiv geeigneten ausgewählt und dahin abgeliesert werden können; daß von den Unterbehörden die Genehmigung zur Kassation bei der vorgesetzten Provinzial­ behörde nachzusuchen ist; daß der Verkauf in der Regel im Wege des öffentlichen Meistgebots und nur zum Einstampfen gleich nach Empfang oder zu einem sonstigen vernichtenden Gebrauch an zuverlässige Personen stattzufinden hat (s. auch JMBl. 1900, 575; 1907, 483; 1918, 417; 1921, 653; 1924, 80). Wegen Vernichtung von Rech­ nungen, Kassenbüchern und Belegen s. Erl. des StM. vom 3. 6. 1902 in der Fassung vom 30. 9. 1918 (JMBl. 417) und Erl. vom 14. 1. 1925 (PrBesBl. 8). Die Gewährung einer Remunera­ tion an die bei der Aussonderung beteiligten Be­ amten findet nicht mehr statt; ebenso ist die Be­ kanntgabe der zu vernichtenden A. im Regierungs­ amtsblatt fortgefallen (MBl. 1924, 285). Die Mitteilung von A. der Verwaltungsbehörden ein­ schließlich der Verwaltungsgerichte an ausländische Behörden ist untersagt (Erl. vom 2. 3. 1892, MBl. 80; vom 10. 6. 1894 Ziff. 8, MBl. 102; vom 11. 11. 1898, MBl. 252). Wegen vorsätz­ licher Vernichtung, Beiseiteschaffung oder Beschä­ digung von amtlichen A. s. § 133. StGB. II. A. im Berwaltungs-, Beschlußund Verwaltungsstreitverfahren. Ihre An­ legung ist in den G. als selbstverständlich voraus­ gesetzt (vgl. z. B. § 18 des Regul. für die KrA. qom28.2.1884; §§ 18,19 des Regul. für die BezA. vom 28. 2. 1884; § 17 des Regul. für die BergA. vom 8. 12. 1905; § 9 Abs. 5 des Regul. für das OVG. vom 22. 2. 1892; § 18 des Regul. für die

Provinzialräte vom 28. 2. 1884). Über die Ein­ forderung der A. der Kreisverwaltung und der Provinzialverwaltung durch die Aufsichtsbehörde s. § 177a KrO. bzw. § 116 ProvO. Wegen der Einreichung der Untersuchungsakten im Di­ sziplinarverfahren an die Berufungsinstanz vgl. § 45 des G. vom 21. 7. 1852 (GS. 465) und die Vf. vom 15. und 31. 1.1853 (MBl. 30, 41), vom 23. 2. 1898 (MBl. 40), 21. 2. und 5. 10. 1899 UZBl. 783); Erl. vom 18. 2. 1919 (GS. 29). Über die A. im Pensionierungs- und Disziplinar­ verfahren gegenüber Reichsbeamten bestimmen die §§ 65, 96, 97, 101 RBG. in der Fassung vom 18. 5. 1907 (RGBl. 245). Die A. der Stadt­ gemeinde hat der Magistrat aufzubewahren; die Stadtverordnetenversammlung kann von dem Magistrat die Einsicht der A. verlangen (§§ 56 Ziff. 7, 37 StO.). Die Aufbewahrung der A. liegt dem Magistrat als Ortsobrigkeit ob, ist keine Angelegenheit der Gemeindeverwaltung (OVG. 35,92). Die A. der Landgemeinde aufzubewahren liegt dem Gemeindevorsteher ob (§ 88 Ziff. 6 LGO.). über die Anlegung von A. bei den Boll­ streckungsbehörden bestimmt Art. 30 der Ausfanw. vom 28. 11. 1899. Für die Prozeßakten der Verwaltungsgerichte ist den Parteien ein gleiches Recht auf Einsicht und Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen und Abschriften zuzugestehen, wie es § 299 ZPO. bei den Zivilprozeßakten gewährt (vgl. auch § 34 FGG.). Ein Recht auf die Ein­ sicht von als Beiakten der Prozeßakten dienenden A. einer anderen Behörde als des Prozeßgerichts besteht nur für diejenigen in ihnen enthaltenen Schriftstücke, welche dadurch, daß sie im Prozeß in Bezug genommen worden sind und deshalb einen Teil des Tatsachen- und Beweisstoffs im Prozesse bilden, als Hilfsakten des Prozeß­ gerichts und damit als dessen Verfügung unter­ liegend anzusehen sind (OVG. vom 22. 9. 1902 PrVBl. 24, 375). Im BwStr. bildet die Be­ zugnahme auf A. im allgemeinen ohne jede spezielle Bezeichnung der zu verwertenden ein­ zelnen Schriftstücke keinen genügenden Beweis­ antritt (OVG. 27,105). über die Voraussetzungen, unter denen in diesem Verfahren die Antretung von Beweis durch Berufung aus A. stattfindet, die sich in den Händen des Gegners befinden sollen, s. OVG. 44, 199. Der bloße Auftrag zur Einsicht von A. unterliegt nicht dem Vollmacht­ stempel, KGJ. 32 B 63; vgl. auch Rechtsmittel­ verfahren nach der AO. III. Wegen Personalakten s. Beamte VII. Ly. Aktienchausseen sind die von Aktienvereinen er­ bauten Kunststraßen (vgl. KabO. vom 21. 7. 1809 und Erl. vom 3. 5. 1816 bei v. Rönne, Wege­ polizei 178 ff. und das Verzeichnis der A. ebd. 196ff.). S. Kunststraßen I. I.

Aktiengesellschaften

(§§

178—319 HGB.).

I. Allgemeines. Die A. ist eine Gesellschaft, deren Gesellschafter mit Einlagen auf das in Ak­ tien zerlegte Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für deren Verbindlichkeiten zu haften (§ 178). Die Aktien sind unteilbar, sie können auf den Namen (§ 222) oder auf den Inhaber lauten, im Zweifel sind sie auf den Namen auszustellen (§ 183). Aktien und Anteilscheine, die den Aktio­ nären vor der Ausgabe der Aktien ausgestellt werden (Jnterimsscheine), dürfen nicht aus den

Aktiengesellschaften

Inhaber lauten, wenn sie vor der vollen Leistung des Nennbetrags oder des Ausgabebetrags aus­ gegeben werden (§ 179). Die Aktien und Jnterimsscheine müssen auf einen Betrag von min­ destens 1000 RM lauten. Ausnahmen, und zwar Aktien im Betrage von 200 RM, kann der NR. für gemeinnützige Unternehmen und für solche Unter­ nehmen zulassen, auf deren Aktien das Reich, ein Land, ein Gemeindeverband, eine Gemeinde oder eine öffentliche Körperschaft einen bestimmten Er­ trag gewährleistet hat (§ 180). Wegen Zulassung der Aktien zum Börsenhandel s. § 41 BörsenG. (RGBl. 1908, 215). Die A. wird als solche erst mit der Eintragung in das Handelsregister existent (§ 200). Zur Gründung einer A. bedarf es zunächst der Feststellung des Gesellschaftsver­ trags (§ 182), der Übernahme der Aktien durch die Gründer (§ 188) oder durch Zeichnung (§ 189), der Wahl des Vorstands und Aufsichtsrats (§ 190), der Erstattung des Gründerberichts, falls die Gründer eingebrachte Gegenstände auf das Grundkapital anrechnen (§§ 186, 191), der Prü­ fung des Hergangs der Gründung durch Vor­ stand und Aufsichtsrat oder durch besondere Revisoren (§§ 192—194), der Anmeldung zum Handelsregister (§ 195), bei der Zeichnungsgrün­ dung einer vom Gerichte berufenen konstituieren­ den Generalversammlung (§ 196), der Eintragung in das Handelsregister und der Veröffentlichung (§§ 198—200). Die Gründer haften der Gesellfchaft nach Maßgabe der §§ 202—206. Verträge der Gesellschaft, nach denen sie vorhandene oder herzustellende Anlagen, die dauernd zu ihrem Geschäftsbetriebe bestimmt sind, oder unbeweg­ liche Gegenstände für eine den zehnten Teil des jeweiligen Grundkapitals übersteigende Ver­ gütung erwerben soll, bedürfen nach § 207 der Zustimmung der Generalversammlung, wenn sie vor dem Ablaufe von zwei Jahren seit der Eintragung geschlossen werden (Nachgrün­ dung). II. Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter. Die A. hat juristifche Persönlichkeit, sie ist stets eine Handelsgesell­ schaft (§ 210). Die Aktionäre sind, soweit nicht im Gesellschaftsvertrage die Verpflichtung zu wiederkehrenden, nicht in Geld bestehenden Lei­ stungen vorgesehen ist, nur zur Leistung von Kapitaleinlagen bis zur Höhe des Nenn- oder Ausgabebetrags der Aktie verpflichtet (§§ 211, 212). Sie haben Anspruch auf Gewinnanteil, aber nicht auf Rückzahlung der Einlagen (§§ 213 bis 216). Ein Aktionär, der mit der Einzahlung des auf die Aktie eingeforderten Betrags rück­ ständig ist, hat 5 v. H. Zinsen (§ 352) und eine etwa vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Auch kann er, wenn er der Aufforderung zur Zahlung nicht nachkommt, seines Anteils für verlustig erklärt werden (§§ 218—221). Rechte aus Aktien meh­ rerer Mitberechtigten können nur durch einen ge­ meinschaftlichen Vertreter ausgeübt werden igen Schatz­ anweisungen K 1924, 4. je 1000 Goldmark der im Entschädigungsverfahren für Kriegsschäden ausgegebenen unverzinslichen Schatzanweisungen, 5. je 1000 M Nennbetrag der übrigen Mark­ anleihen des Reichs werden in 25 RM Nenn­ betrag Anleiheablösungsschuld umgetauscht. Ein Anspruch aus den Umtausch bestand jedoch nur soweit Anleiheablösungsschuld im Nennbeträge von 12,50 RM oder einem Vielfachen davon zu gewähren war. Für den weitaus größten Teil der zum Umtausch gelangenden Anleihen be­ deutete das praktisch, daß ein Betrag von 500 M oder einem Vielfachen davon erforderlich war, um Anleiheablösungsschuld zu erhalten. Wer weniger als 500 M hatte oder beispielsweise 900 Ms konnte durch Zukauf von Spitzen auf den abgerundeten Betrag von 500 M oder ein Viel­ faches davon kommen. Den sog. Anleihe-Altbesitzern wurden Aus­ losungsrechte eingeräumt. Das G. enthält nämlich für die Altbesitzer den Vorteil, daß die regelmäßigen Aufwendungen, die das Reich wäh­ rend der Erfüllung der Reparationsverpslichtungen macht, allein ihnen zugute kommen. An­ gesichts des verhältnismäßig geringen Betrags, den das Reich für den Dienst der Markanleihen zur Verfügung stellen konnte, erwies sich diese Unterscheidung zwischen Altbesitzern und Neu­ besitzern als notwendig. Hätte man den für den Dienst zur Verfügung stehenden Betrag aus die gesamten Anleihen verteilt, so wäre eine sehr geringe Leistung für die langjährigen Eigentümer von Markanleihen herausgekommen. Die Lei­ stungen wären aber verhältnismäßig groß ge­ wesen für die, die erst in den letzten Jahren vor­ der Stabilisierung der Währung die Markanleihen mit entwertetem Gelde gekauft, also nur sehr geringe Goldbeträge aufgewendet hatten. Da sich eine ziemlich starke Spekulation in den Mark-

Anleiheablösung anleihen des Reichs entwickelt hatte, so war ins­ besondere der NT. nicht geneigt, die sog. Neu­ besitzer an den aus geldlichen Leistungen des Reichs sich ergebenden Vorteilen der Aufwertung teilnehmen zu lassen; er wollte vielmehr, daß alles das, was gewährt wird, denen zugute kommt, die zum Goldwert oder annäherndem Goldwert die Markanleihen des Reichs erworben und sie seit langem im Besitz haben. Es sollte insbesondere denen damit gedient werden, die während des Krieges dem Reich durch Erwerb der Kriegsanleihe geholfen hatten. Das Recht der Altbesitzer besteht darin, daß sie schon jetzt an einer Tilgung der Anleiheablösungsschuld teil­ nehmen (Auslosungsrecht), zu welchem Zwecke ihnen besondere Auslosungsscheine zugeteilt wor­ den sind. Ein weiteres Recht des Altbesitzers ist das Recht auf die Vorzugsrente (§ 8). Altbesitzanleihen sind Markanleihen, die der Gläubiger nachweislich vor dem 1. 7. 1920 er­ worben hat und die ihm von dem Erwerb bis zur Anmeldung ununterbrochen gehört haben. Unter bestimmten Voraussetzungen (§ 10 des Anleihe­ ablösungs G. und § 3 der 1. V. zur Ausführung des G. über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 8. 9. 1925, RGBl. I 345) gellen auch später erworbene Markanleihen als vor dem 1. 7. 1920 erworben. Ferner ist der Begriff des Altbesitzes besonders geregelt für Fälle, in denen der Gläu­ biger vor dem 1. 7.1923 Markanleihen auf Grund gesetzlichen oder satzungsmäßigen Zwanges zur mündelsicheren Anlage erworben hat (8 11). Der Nennbetrag des dem Anleihealtbesitzer zustehen­ den Auslosungsrechts deckt sich regelmäßig mit dem Betrage der Anleiheablösungsschuld, den er beim Umtausch seiner Altbesitzanleihen zu er­ halten hat. Das kleinste Stück des Auslosungs­ rechts ist also auch 12,50 RM, d. h. 21/2% von 500 M. Erhält eine natürliche Person mehr als 12 500 RM Nennbetrag der Anleiheablösungs­ schuld, so vermindert sich der Betrag der Aus­ losungsrechte in bestimmtem Verhältnis (§ 12). Anleiheablösungsschuld und Auslosungsrechte können in das Neichsschuldbuch eingetragen wer­ den (§§ 4 und 17). Die Ziehung der Auslosungs­ rechte hat im Jahre 1926 begonnen und wird in 30 Jahren durch gleichmäßige Tilgungen durch­ geführt. (Eine Verstärkung der Tilgung ist für den Fall vorgesehen — § 28 —, daß das Reich Einnahmen als Eigentümer von Stammaktien der Deutschen Neichsbahngesellschaft hat. Ferner sollte eine verstärkte Tilgung dann eintreten, wenn der Betrag der Altbesitzanleihen hinter 20 Mil­ liarden Mark zurückbleibt. Tatsächlich ist etwa der doppelte Betrag als Altbesitzanleihen festgestellt.) Ein gezogenes Auslosungsrecht wird durch Bar­ zahlung des Fünffachen seines Nennbetrags zu­ züglich der vom 1. 1. 1926 an ausgelaufenen Zinsen von jährlich 41/2% eingelöst. Eine Zahlung von Zinsen vor der Einlösung des ausgelosten Auslosungsrechts findet nicht statt; vielmehr akku­ mulieren sich die Zinsen bis zum Zeitpunkt der Tilgung des Auslosungsrechts (§ 14). Wer ein Auslosungsrecht einlöst, hat in Höhe des Nenn­ betrags des Auslosungsrechts Anleiheablösungs­ schuld abzuliefern. Es wird demnach so viel An­ leiheablösungsschuld getilgt, wie Auslosungsrechte nach Maßgabe des festgestellten Altbesitzes aus­ gegeben worden sind. Bon den gesamten Mark­

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anleihen des Reichs in Höhe von mehr als 70 Milliarden sind ungefähr 40 Milliarden Ä als Altbesitz anerkannt worden. Für die Einlösung des Auslosungsrechts ist ein Anleihetilgungssonds gebildet worden; in diesen sind die Beträge auf­ zunehmen und verzinslich anzulegen, die jährlich auf Grund des Reichshaushaltplans dem Til­ gungsfonds zur Verausgabung in späteren Rech­ nungsjahren zuzuführen sind. Die dem Tilgungs­ fonds zuzuleitenden Beträge sind so zu bemessen, daß sie unter Hinzurechnung der Zinseinnahmen, die bei einem Zinssatz von 6% zu erzielen sind, den gesamten Tilgungsaufwand erreichen. Für die Erlangung von Auslosungsrechten ist, ebenso wie für die Erlangung von Anleiheablösungs­ schuld, ein Betrag von mindestens 500 M oder eines Vielfachen davon, wie schon oben aus­ geführt, erforderlich. Um nun Anleihegläubiger, die in beschränkten Verhältnissen leben, nicht völlig mit ihrem Anspruch auf Aufwertung ausfallen zu lassen (ein Hinzukauf von alten Markanleihen hätte zwar zur Erlangung von Anleiheablösungs­ schuld, aber nicht von Auslosungsrechten wegen des fehlender Altbesitzcharakters der hinzugekauf­ ten Anleihen genügt), ist im § 47 des AnleiheablösungsG. bestimmt, daß bedürftigen, im Jnlande wohnenden deutschen Reichsangehörigen, die Altbesitzanleihen im Gesamtnennbetrage von weniger als 1000 M haben, auf Antrag unter Fortfall eines ihnen etwa nach § 5 zustehenden Anspruchs auf Anleiheablösungsschuld eine Bar­ abfindung von 15 RM für je 100 M des Nenn­ betrags zu gewähren ist. Darüber hinaus sollen die Altbesitzanleihen von Personen, die ein Ein­ kommen von nicht mehr als 1500 RM haben, mit 8% eingelöst werden. (Über die Durchführung des Verfahrens s. 3. B. zur Durchführung des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 4. 12. 1926, RGBl. I 494). Das Recht auf eine Borzugsrente setzt zu­ nächst voraus, daß dem Anleihegläubiger ein Aus­ losungsrecht zusteht, und zwar muß er das Aus­ losungsrecht entweder selbst als Anleihealtbesitzer oder als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Ehegatten oder eines verstorbenen Verwandten ersten Grades (Eltern, Kinder), dem das Aus­ losungsrecht als Anleihealtbesitzer gewährt worden ist, erlangt haben. Wer das Auslosungsrecht von seinem Vater oder seiner Mutter erlangt hat, erhält jedoch die Borzugsrente nur, solange er nicht volljährig ist, es sei denn, daß er wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen dauernd erwerbsunfähig ist (§ 18). Auf Grund von Aus­ losungsrechten, die mehreren Gläubigern gemein­ schaftlich zustehen, kann stets nur einem Gläu­ biger eine Vorzugsrente gewährt werden, sofern die Gläubiger das Auslosungsrecht nicht unter sich aufteilen und auf Grund der einzelnen An­ teile getrennt Vorzugsrenten beantragen. Per­ sonen, denen der Nießbrauch an Auslosungsrechten zusteht, haben an sich nach den Bestimmungen des AnleiheablösungsG. auf Grund des Nieß­ brauchs kein Recht auf eine Vorzugsrente, da bei ihnen die nach dem AnleiheablösungsG. erforder­ lichen Voraussetzungen für die Erlangung des Auslosungsrechts nicht erfüllt sind. In Ausübung der ihm durch § 18 Abs. 2 erteilten Befugnis hat indes der RFM. die Neichsschuldenverwaltung ermächtigt, unter folgenden Voraussetzungen eine

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Anleiheablösung

außerordentliche Vorzugsrente nach § 18 Abs. 2 AnleiheablösungsG. zu gewähren: Ein Nieß­ braucher kann eine außerordentliche Vorzugsrente erhalten, wenn a) der Nießbrauch an einem Aus­ losungsrecht besteht, das der gegenwärtige Eigen­ tümer als Anleihealtbesitzer oder als Rechtsnach­ folger seines verstorbenen Ehegatten oder eines verstorbenen Verwandten ersten Grades erlangt hat, dem das Auslosungsrecht als Anleihealt­ besitzer gewährt worden ist; b) der Nießbraucher bedürftig ist (und zwar auch dann, wenn der Eigentümer des Auslosungsrechts Ausländer ist oder im Auslande seinen Wohnsitz hat); c) der Nießbrauch von Todes wegen vor dem 1. 7. 1925 oder in der Absicht, den Nießbraucher auf Lebens­ zeit zu versorgen, unter Lebenden vor dem 1. 7. 1920 begründet worden ist; d) der Eigentümer des Auslosungsrechts mit der Gewährung der Vorzugsrente an den Nießbraucher einverstanden ist und e) der Eigentümer für seine Person aus den in Frage kommenden Auslosungsrechten auf eine Vorzugsrente für seine Person verzichtet, solange der Nießbraucher eine Vorzugsrente be­ zieht. Allgemeine Voraussetzungen für den Empfang der Vorzugsrente sind, daß der An­ leihegläubiger bedürftig ist, im Jnlande wohnt und deutscher Reichsangehöriger ist (Ausnaymen sind hinsichtlich der Reichsangehörigkeit und des Jnlandwohnfitzes auf Grund von § 18 Abs. 2 AnleiheablösungsG. gemacht worden). Für das Borzugsrentenverfahren ist ein besonderer Bedürftigkeitsbegriff maßgebend, der im § 19 AnleiheablösungsG., abgeändert durch § 19 des G. über die Verzinsung aufgewerteter Hypo­ theken und ihre Umwandlung in Grundschulden sowie über Vorzugsrenten vom 9. 7. 1927 (RG­ Bl. I 171) festgelegt ist. Bedürftig ist hiernach eine Person, deren Jahreseinkommen den Betrag von 1000 RM nicht übersteigt. Maßgebend ist nicht das Einkommen im laufenden Kalenderjahr, sondern das Gesamteinkommen in dem der Antrag stellung vorhergehenden Kalenderjahr. Zum Ein­ kommen gehören gemäß § 14 EinkStG. alle dem Anleihegläubiger zufließenden Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen; hierzu zählen ins­ besondere auch der Wert der Nutzung einer Woh­ nung im eigenen Haus und einer dem Anleihe­ gläubiger ganz oder teilweise unentgeltlich über­ lassenen Wohnung. Einkünfte, die nicht in Geld, sondern in Sachwerten bestehen, sind mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsortes anzu­ setzen. Einkommen im Sinne des Anleihe­ ablösungsG. sind nicht Bezüge aus öffent­ lichen Mitteln, die wegen Hilfsbedürstigkeit gewährt werden; sie bleiben daher bei der Fest­ stellung des Einkommens außer Betracht. Hierzu gehören insbesondere die Leistungen der öffent­ lichen Fürsorge, ferner auch Bezüge aus Mitteln des Reichs, der Länder und Gemeinden, die wegen Bedürftigkeit bewilligt worden sind (z. B. Unterstützungen aus dem Dispositionsfonds des Reichspr., die Kriegsteilnehmerbeihilfen, die Ellernbeihilfen, Unterstützungen aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung u. a.). Von dem durch Zu­ sammenstellung aller Einkünfte ermittelten Ein­ kommensbetrage sind zunächst die Werbungs­ kosten abzuziehen, d. h. die Aufwendungen, die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einkünfte gemacht worden sind. Die Vorschriften

des § 16 REinkStG. gelten entsprechend. Ab­ zuziehen sind ferner die Sonderleistungen (Versicherungs-, Sterbekassenbeiträge, Kirchensteuern, Organisationsbeiträge u. a.), soweit sie nach § 17 REinkStG. abzugsfähig sind. Gemäß § 19 Abs. 2 bleiben ferner bei der Berechnung des Ein­ kommens bestimmte Einkünfte des Anleihegläubi­ gers außer Ansatz: Zunächst dürfen Leistungen, die ein anderer aus Grund gesetzlicher Unter­ haltspflicht oder ohne rechtliche Verpflichtung gewährt, nur dann als Einkommen gerechnet werden, wenn sie von einem Ehegatten, ge­ schiedenen Ehegatten oder Verwandten aufsteigen­ der Linie (Eltern, Großeltern) gewährt werden, der unterhaltspflichtig ist und die Leistungen ohne Gefährdung seines eigenen standesgemäßen Unter­ halts gewähren kann. Unterhaltsleistungen z. B., welche Eltern nur unter Gefährdung ihres eigenen standesgemäßen Unterhalts ihren Kindern ge­ währen (vgl. § 1603 Abs. 2 BGB.), sind daher nicht als Einkommen zu rechnen; ebenso bleiben stets außer Ansatz Unterhaltsleistungen, welche Kinder ihren Eltern gewähren, und Leistungen, die ein anderer ohne rechtliche Verpflichtung ge­ währt (z. B. alle privaten Unterstützungen, die jederzeit eingestellt werden können, Leistungen von Geschwistern, entfernteren Verwandten, früheren Arbeitgebern; ferner auch Leistungen der freien Wohlfahrtspflege). Außer Ansatz bleiben endlich die Versorgungsbezüge von Kriegs­ beschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Renten der Reichsversicherung sowie — was erst für die spätere Nachprüfung der Bedürftigkeit in Betracht kommt — die Vorzugsrenten selbst. Neben dem schematischen Maßstab der Ein­ kommenshöhe schreibt § 19 Abs. 3 die Berück­ sichtigung individueller Tatsachen vor, wenn sie die Annahme rechtfertigen, daß der Anleihe­ gläubiger eine Hilfe nicht benötigt. Liegen solche Tatsachen vor, so ist die Bedürftigkeit auch dann zu verneinen, wenn das maßgebende Jahres­ einkommen nicht mehr als 1000 RM beträgt. Die Beurteilung der Frage, ob solche Tatsachen vor­ liegen, richtet sich nach den Umständen des ein­ zelnen Falles; hierbei sind die gesamten Lebens­ verhältnisse des Anleihegläubigers angemessen zu berücksichtigen. Eine Änderung der Erwerbs- und Einkommensverhältnisse im laufenden Kalender­ jahr (z. B. erhebliche Mehreinkünfte aus Haus­ oder Grundbesitz) ist dann in Betracht zu ziehen, wenn sie die Vermögenslage des Anleihegläubi­ gers grundlegend und nicht nur vorübergehend beeinflußt. Tatsachen, die die Bedürftigkeit aus­ schließen, können im übrigen auch in Leistungen gesunden werden, die nach § 19 Abs. 2 bei Be­ rechnung des Einkommens außer Ansatz zu bleiben haben (Unterhaltsleistungen und Zuwendungen ohne rechtliche Verpflichtung; z. B. die Tatsache, daß ein sonst einkommensloser Anleihegläubiger von einem entfernteren Verwandten eine ansehn­ liche laufende Rente bezieht). Auch hier ist jedoch stets davon auszugehen, daß solche Leistungen die Verneinung der Bedürftigkeit nur insoweit recht­ fertigen können, als sie das gewöhnliche Maß wesentlich übersteigen und die wirtschaftliche Lage des Anleihegläubigers entscheidend bestimmen. Die Vorzugsrente erhält nur, wer im Inland wohnt. Personen, die im Auslande wohnen oder überhaupt keinen Wohnort haben, haben kein

Anleiheablösung Recht auf die Vorzugsrente. Der Begriff des „Wohnens" unterscheidet sich von dem des Wohn­ sitzes (§§ 7—11 BGB.) dadurch, daß er lediglich auf die Tatsache eines nicht nur vorübergehenden und zufälligen, sondern auf eine gewisse Dauer berechneten Verweilens an einem Ort unter Jnnehabung einer Wohnung oder sonstigen Un­ terkunft abgestellt ist. Wiederholter Wohnungsund Ortswechsel (z. B. besuchsweiser Aufent­ halt bei Angehörigen) schließen das Vorhanden­ sein eines Wohnortes an sich noch nicht aus. Das Recht auf die Vorzugsrente besteht nur, sofern der Anleihegläubiger deutscher Reichsangehöriger ist. Für die Reichsangehörigkeit ist das Reichs­ und StaatsangehörigkeitsG. vom 22. 7. 1913 (RGBl. 583) maßgebend. Die Vorzugsrente be­ trägt im Normalfall 80% des Nennbetrages des Auslosungsrechts, auf Grund dessen sie gewährt wird, für eine Person jedoch höchstens 800 RM jährlich. Dieser Höchstbetrag wird bei einem Anleihealtbesitz an Kriegs- und Vorkriegsanleihen von 40 000 M Nennbetrag erreicht. Der Anleihe­ gläubiger kann eine erhöhte Vorzugsrente erhalten, wenn er auf das die Borzugsrente be­ gründende Auslosungsrecht verzichtet. Der Ver­ zicht wirkt endgültig; der Rentenberechtigte er­ hält also das Auslosungsrecht auch dann nicht zu­ rück, wenn die ihm gewährte Vorzugsrente später wegfällt. Außerdem hat sich der Anleihegläubiger, der eine erhöhte Vorzugsrente beantragt zu ver­ pflichten, einen entsprechenden Betrag von An­ leiheablösungsschuld auf das Reich zu übertragen. Die erhöhte Vorzugsrente beträgt 25% mehr als die Vorzugsrente im Normalfall, höchstens jedoch 1000 RM jährlich. Hat der Gläubiger zur Zeit des Verzichts das 60. Lebensjahr bereits vollendet, so beträgt die erhöhte Vorzugsrente 50% mehr als die Borzugsrente irrt Normalfall, höchstens jedoch 1200 RM jährlich (§ 20). Auslosungsrechte, auf Grund deren eine Vorzugsrente gewährt wird, nehmen während der Dauer der Vorzugsrente an der Ziehung nicht teil, weil der Besitz des Aus­ losungsrechts die Voraussetzung der Vorzugs­ rente bildet, dieses also durch Auslosung während der Dauer der Vorzugsrente nicht fortfallen darf. (Auch ist zur Wahrung des Rechts aus eine spätere Borzugsrente ein Verzicht auf die Teil­ nahme an der Auslosung möglich; § 24). Soweit bereits Auslosungsscheine ausgestellt sind, sind sie bei der Reichsschuldenverwaltung für diese Zeit zu hinterlegen; im Neichsschuldbuch eingetragene Auslosungsrechte werden für die gleiche Zeit von Amts wegen gesperrt (§ 23). Empfänger einer er­ höhten Vorzugsrente sind infolge ihres Verzichts auf das Auslosungsrecht von der Teilnahme an der Ziehung endgültig ausgeschlossen; die Einlösung der wegen Gewährung der einfachen Vorzugs­ rente hinterlegten oder gesperrten Auslosungs­ rechte findet auch noch nach Schluß der auf 30Jahre bemessenen Ziehung von Auslosungsrechten statt. Die Vorzugsrente erlischt, wenn der Anleihe­ gläubiger die deutsche Reichsangehörigkeit verliert, wenn er nicht mehr im Jnlande wohnt oder seine Bedürftigkeit wegfällt. Die Bedürftigkeit wird zum ersten Male fünf Jahre nach Beginn der Vor­ zugsrente, später nach je drei Jahren nachgeprüft. Bei Personen, die bei Zuerkennung der Borzugs­ rente das 60. Lebensjahr vollendet haben oder es während des Bezuges der Borzugsrente vollen­

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den, findet später eine Nachprüfung der Bedürf­ tigkeit nicht statt, so daß die Rente aus dem Grunde des Fortfalls der Bedürftigkeit nicht entzogen werden kann (§ 21). Die Vorzugsrente ist unver­ äußerlich, unpfändbar und nicht vererblich. Da­ gegen besteht, wie sich aus den vorhergehenden Ausführungen ergibt, die Möglichkeit, daß der Ehegatte und die Verwandten ersten Grades eines verstorbenen Vorzugsrentenempfängers alD seine Rechtsnachfolger auf Grund des auf sie über­ gegangenen Auslosungsrechts selbständig eine Vorzugsrente beantragen können (§§ 18, 25).' • Juristische Personen können die Vorzugsrente nicht erhalten, vielmehr nur physische Personen. Dies folgt aus den im § 18 für die Gewährung der Vorzugsrente geforderten Voraussetzungen, die in der Person des Gläubigers erfüllt sein müssen. Um bestimmten gemeinnützigen Einrich­ tungen eine laufende Einnahme aus ihren Aus­ losungsrechten, die an sich vor ihrer Einlösung einen Ertrag nicht bringen, zu geben, bestimmt § 27: Anstalten und Einrichtungen der freien und kirchlichen (Art. 137 NB.) Wohlfahrtspflege, die Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrtspflege erfüllen, sowie Anstalten und Einrichtungen zur Förderung wissenschaftlicher Ausbildung und Forschung ist auf Antrag 15 Jahre hindurch eine Wohlfahrtsrente zu gewähren. Voraussetzung für den Bezug der Wohlfahrtsrente ist in jedem Falle, daß dem Antragsteller ein Äuslosungsrecht zusteht, und zwar muß er das Aus­ losungsrecht entweder selbst als Anleihealtbesitzer oder während des Laufs der Rente von einem Träger einer Einrichtung der freien Wohlfahrts­ pflege (§ 9 der 3. V. zur Durchführung des G. über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 4.12.1926, RGBl. 1494) bzw. von einem Träger einer wissenschaftlichen Einrichtung (§ 29 a. a. O.) erlangt haben. (Der Antrag ist in letzterem Falle nach §§ 17, 33 a. a. O. innerhalb von zwei Mona­ ten nach dem Übergang des Auslosungsrechts ein­ zureichen.) Die Höhe der Wohlfahrtsrente ist. anders wie bei der Vorzugsrente, nicht durch das G. festgesetzt. Sie ist in zwiefacher Weise be­ dingt, einmal durch die Gesamtbetrag der zu be­ rücksichtigenden Auslosungsrechte und zweitens durch das Aufkommen der erforderlichen Beträge. Die Mittel für die Wohlfahrtsrente sind nämlich nach näherer gesetzlicher Bestimmung „den Ein­ nahmen aus Zöllen auf landwirtschaftliche Er­ zeugnisse zu entnehmen". Die nähere gesetzliche Bestimmung ist der § 7 des G. über Zolländerun­ gen vom 17. 8. 1925 (RGBl. I 261). Der für die Wohlfahrtsrente zu verausgabende Betrag darf 10 Mill. RM nicht überschreiten. Drei Viertel des Jahresbetrages der Renten sind den Anstalten und Einrichtungen der Wohlfahrts­ pflege, ein Viertel den der wissenschaftlichen Aus­ bildung und Forschung zuzuwenden. Der Be­ griff der Anstalten und Einrichtungen, die Auf­ gaben der öffentlichen Wohlfahrtspflege erfüllen, ist bereits im § 61 des FAG. vom 23. 6. 1923 (RGBl. I 494) verwandt. Schon bei der Ab­ fassung dieser Vorschrift war man sich darüber klar, daß dieser Begriff so vieldeutig und elastisch ist, daß aus dem Wortlaut der Bestimmung allein eine Abgrenzung des Kreises dieses Anstalten und Einrichtungen nicht gewonnen werden kann. Die nähere Feststellung des Kreises überließ man

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Anleiheablösung

einer V. der Reichsregierung. Derselbe Weg wurde im § 27 Abs. 1 des AnleiheAblG. be­ schritten (vgl. hierzu die 3. V. zur Durchfüh­ rung des G. über die Ablösung der öffentlichen Anleihen vom 4. 12. 1926, RGBl. I 494). Die Feststellung des Altbesitzes (§§ 3, 32 1. DurchführungV.) erfolgte im Jnlande durch die bei den Finanzämtern errichteten An­ leihealtbesitzstellen und bei großen Beträgen durch eine für diesen Zweck ins Leben gerufene Be­ hörde, den Reichskommissar für die Ablösung der Reichsanleihen alten Besitzes (V. des Reichspr. vom 17. 8. 1925, RGBl. I 346). Anträge aus dem Auslande wurden in allen Fällen durch den Reichskommissar entschieden. Beschwerdestelle gegen Entscheidungen der Anleihealtbesitzstellen war der Reichskommissar für die Ablösung der Reichsanleihen alten Besitzes, Beschwerdestelle gegen dessen Entscheidungen die Reichsschulden­ verwaltung (§ 34 I. DurchführungV. und 4. DurchsührungsV. vom 18. 7. 1927, RGBl. I 222). Den Anleihealtbesitzern von Schuld­ buchforderungen waren, soweit sich der Alt­ besitz aus dem Schuldbuch oder den Schuldbuch­ akten ergab, die Auslosungsrechte von Amts wegen zu gewähren. Soweit Anleihealtbesitzern von Schuldbuchsorderungen die Auslosungsrechte nicht von Amts wegen zu gewähren waren, konnte ein entsprechender Antrag an die Schuldenverwaltung gerichtet werden. Die Entscheidung traf, soweit die Schuldbuchsorderung von der Reichsschulden­ verwaltung verwaltet wurde, ein Mitglied oder ein Hilfsarbeiter der Reichsschuldenverwaltung, im übrigen die zuständige Landesschuldenverwal­ tung bei früheren Staatsanleihen, die Markanleihen des Reichs geworden wa­ ren. Beschwerdestelle war das Kollegium der Reichsschuldenverwaltung (§§ 37ff. 1. Durchsüh­ rungsV. und 4. DurchsührungsV. vom 18. 7. 1927). B eh ördend es Vorzugsrentenb erfahrens sind die Bezirkssürsorgestellen, die Ausschüsse für Vorzugsrenten, die Oberausschüsse für Vorzugs­ renten und die Reichsschuldenverwaltung. Die Bezirksfürsorgestelle prüft die Angaben des An­ tragstellers über die Person und die Einkommens­ verhältnisse des Anleihegläubigers nach. Den An­ trag und das Ergebnis der Prüfung legt sie dem Ausschuß für Vorzugsrenten vor. Der Ausschuß entscheidet, ob der Anleihegläubiger nach § 18 und § 19 des AnleiheAblG. als bedürftiger im Jn­ lande wohnender Reichsangehöriger zu gelten hat. Der Ausschuß für Vorzugsrenten besteht aus einem Beamten der Bezirksfürsorgestelle (§ 3 Abs. 1 der V. über die Fürsorgepflicht vom 13. 2. 1924, RGBl. I 100) und einem Beamten desjenigen Versorgungsamtes, in dessen Bezirk die Bezirks­ fürsorgestelle ihren Sitz hat. Der Oberausschuß für Vorzugsrenten besteht aus einem Beamten des Hauptversorgungsamtes und einem Be­ amten der Landesfürsorgestelle oder einer ande­ ren, von der obersten Landesbehörde bestimmten höheren Verwaltungsbehörde. Für die Entschei­ dungen des Ausschusses ist Übereinstimmung ihrer beiden Mitglieder erforderlich. Wird eine solche nicht erzielt, so gilt der Antrag, über den ent­ schieden werden soll, als abgelehnt, im Be­ schwerdeverfahren die Beschwerde als zurückge­ wiesen. Die Geschäfte des Ausschusses für Vor­

zugsrenten werden bei der Fürsorgestelle, diejeni­ gen des Oberausschusses bei der Landesfürsorge­ stelle oder, falls die oberste Landesbehörde einen Beamten einer anderen Behörde bestimmt, bei dieser Behörde geführt. Die Entscheidung des Ausschusses oder Oberausschusses für Vorzugsren­ ten, daß der Anleihegläubiger als bedürftiger im Inland wohnender Reichsangehöriger zu gelten hat, ist der Reichsschuldenverwaltung unter Bei­ fügung des Antrags mitzuteilen. Über den An­ trag auf Gewährung der Vorzugsrente entschei­ det die Reichsschuldenverwaltung. Sie ist hierbei an die Entscheidungen der Ausschüsse und Ober­ ausschüsse für Vorzugsrenten uno der Behörden des Verfahrens für die Gewährung von Auslosungsrechten gebunden. Die Reichsschuldenverwaltung hat die Urkunden über die Vorzugsren­ ten auszustellen und die Vorzugsrente zu zahlen. Für die Ausstellung der Urkunden gilt § 5 der Reichsschuldenordnung vom 13. 2. 1924 (RGBl. I 95). Die Urkunde über eine Vorzugsrente darf erst ausgehändigt werden, und die Zahlung der Rente darf erst beginnen, nachdem sichergestellt ist, daß das Auslosungsrecht, aus Grund dessen die Vorzugsrente gewährt werden soll, von der Teilnahme an der Ziehung ausgeschlossen ist. Wird die Gewährung einer erhöhten Vorzugsrente beantragt (§ 20 Abs. 2), so darf die Urkunde über die erhöhte Rente erst ausgehändigt werden und die Zahlung der erhöhten Rente erst beginnen, nachdem der Verzicht auf das Auslosungsrecht erklärt und Anleiheablösungsschuld oder der An­ spruch aus deren Gewährung auf das Reich in Höhe des Nennbetrages des Auslosungsrechtes übertragen ist. (Näheres über das Durchfüh­ rungsverfahren für die Feststellung des Alt­ besitzes und für die Gewährung von Auslosungs­ rechten und Vorzugsrenten in der 1. Durchsüh­ rungsV. des G. über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 8. 9. 1925, RGBl. I 335). Als Behörden des Verfahrens für die Gewährung der sozialen Wohlfahrts­ rente (bestimmt für Anstalten und Einrichtungen der freien und kirchlichen Wohlfahrtspflege, welche Aufgaben der öffentlicher: Wohlfahrtspflege er­ füllen) sind im G. vorgesehen die Ausschüsse für die soziale Wohlsahrtsrente, der Oberausschuß für die soziale Wohlfahrtsrente und die Reichs­ schuldenverwaltung. Die Ausschüsse bestehen aus je einem Vertreter des Reichs und der obersten Landesbehörde; Vertreter des Reichs ist ein Be­ amter des Hauptversorgungsamts, in dessen Be­ zirk der Vertreter der obersten Landesbehörde seinen Sitz hat. Der Oberausschuß für die soziale Wohlfahrtsrente besteht aus zwei Vertretern der Reichsregierung, von denen der eine dem Dienst­ bereich des RFM., der andere dem Dienstbereich eines Fachministeriums angehört, ferner aus einem Vertreter des Landes, in dessen Gebiet der zu­ ständige Ausschuß seinen Sitz hat, und aus einem einem anderen Lande angehörenden Vertreter des RR. Die Ausschüsse haben zu entscheiden darüber, ob der Antragsteller Träger einer in­ ländischen Einrichtung der freien Wohlfahrts­ pflege ist und ob die Auslosungsrechte, auf Grund deren die Rente beantragt wird, für Markanleihen zugeteilt wurden, die beim Inkrafttreten des G. einer Einrichtung der freien Wohlfahrts­ pflege in erkennbarer Form nicht nur vorüber-

Anleiheablösung gehend gewidmet waren. Verneint der Ausschuß eine der Fragen, über die er zu entscheiden hat, so lehnt er damit den Antrag auf die Gewährung der sozialen Wohlfahrtsrente ab. Gegen die ablehnende Entscheidung kann der Antragsteller Beschwerde einlegen. Über die Beschwerde ent­ scheidet der Oberausschuß für die soziale Wohlsahrtsrente. Lehnt der Ausschuß oder Oberaus­ schuß einen Antrag nicht ab, so legt er ihn mit seiner Entscheidung der Reichsschuldenverwaltung vor. Die Reichsschuldenverwaltung entscheidet über den Antrag in seiner Gesamtheit. Die Reichs­ schuldenverwaltung ist bei dieser Gesamtentschei­ dung an die Entscheidung des Ausschusses oder Oberausschusses gebunden. Als Behörden des Verfahrens für die Anträge auf Gewährung einer kulturellen Wohlfahrtsrente (be­ stimmt für Anstalten und Einrichtungen zur Förderung wissenschaftlicher Ausbildung und Forschung) wurden als zuständig erklärt die oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle, der Ausschuß für die kulturelle Wohlfahrtspflege und die Reichsschuldenverwaltung. Die zuständige Stelle hat den Antrag abzulehnen, wenn nach dem Ergebnis der Prüfung der Antragsteller nicht Träger einer inländischen wissenschaftlichen Ein­ richtung ist oder wenn die Auslosungsrechte, auf Grund deren die Rente beantragt wird, nicht für Markanleihen zugeteilt sind, die bei dem Inkraft­ treten des G. einer wissenschaftlichen Einrich­ tung in erkennbarer Form nicht nur vorüber­ gehend gewidmet waren. Lehnt die zuständige Stelle den Antrag ab, so ist die Beschwerde an den Ausschuß für die kulturelle Wohlfahrtspflege zu­ lässig. Lehnt die zuständige Stelle den Antrag nicht ab, so legt sie ihn nicht der Reichsschulden­ verwaltung mit ihrer Entscheidung vor, sondern sie hat ihn mit einem Gutachten dem Ausschuß für die kulturelle Wohlfahrtsrente zur Entschei­ dung zuzuleiten. Der Ausschuß besteht aus zwei Vertretern der Reichsregierung, von denen der eine dem Dienstbereich des RFM., der andere dem Dienstbereich eines Fachministeriums anzu­ gehören hat, ferner aus einem Vertreter des Landes, in dessen Gebiet der Antragsteller seinen Sitz hat, und aus einem einem anderen Lande angehörenden Vertreter des RR. Lehnt der Ausschuß den Antrag nicht ab, so hat er ihn der Reichsschuldenverwaltung vorzulegen, die über den Antrag in seiner Gesamtheit zu entscheiden hat. Sie ist hierbei an die Entscheidung des Ausschusses für die kulturelle Wohlfahrtspflege gebunden. (Näheres über das Durchführungsver­ fahren für die Wohlfahrtsrente in der 3. Durch­ führungsB. des G. über die Ablösung öffentlicher Anleihen.) 2. Markanleihen der Länder. Die Ab­ lösung der Markanleihen der Länder schloß sich, insbesondere hinsichtlich des Altbesitzes und der Vorzugsrenten, eng an die für das Reich getroffene Regelung an. Auch hier fand eine Ablösung in der Weise statt, daß gegen die alten Anleihen eine auf Reichsmark lautende Ablösungsanleihe zum Umtauschsatze von 2%% gegeben wurde. Hier­ bei wurde kein Unterschied gemacht, ob die Mark­ anleihen durch dingliche Rechte gesichert waren oder nicht. Die Regelung bezog sich — aus­ genommen die unverzinslichen Schatzanweisun­ gen — auf alle Markanleihen, die Schulden der

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Länder geblieben waren, insbesondere auch auf Schuldscheindarlehen. Nicht einbezogen in diese Regelung wurden aber die wertbeständigen An­ leihen (vgl. Artikel Anleihen). Ferner wurden nicht einbezogen Schuldverschreibungen der Län­ der, die sie als Inhaber staatlicher Grundkredit­ anstalten oder als Inhaber solcher öffentlichrecht­ lichen Kreditanstalten begründet haben, deren Schuldverschreibungen nach § 51 Abs. 3 des G. über die Aufwertung von Hypotheken und ande­ ren Ansprüchen (AufwertungsG. vom 16. 7. 1925, RGBl. I 117) auf der Grundlage der §§ 47—50 dieses G. aufgewertet werden. Die rechtliche Konstruktion der Ablösung der Länder­ anleihen ist allerdings verschieden von der der Reichsanleihen. Für Reichsanleihen ist bestimmt, was und wieviel das Reich überhaupt seinen Gläubigern gibt. Bei den Länderanleihen hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt festzusetzen, was der einzelne Anleiheschludner nach privat­ rechtlichen Vorschriften seinen Anleihegläubigern gewähren muß. Dagegen lag es in der freien Entschließung der einzelnen Anleiheschuldner, ob sie bei ihren Leistungen über diese Vorschriften hinausgehen wollten. Es blieb also den Ländern überlassen, ihren Anleihegläubigern eine bessere Ablösung zu geben, als das Reichsgesetz vorge­ schrieben hat. Bei den Markanleihen der Länder wird, ebenso wie bei denen des Reichs, nach Anleihealt- und Anleiheneubesitz unterschieden. Die Ablösungsanleihen, die im Umtausch gegen Markanleihen alten Besitzes ausgegeben wurden, sind in 30 gleichen Jahresraten zum fünffachen des Nennbetrages einzulösen unter Zuwachs von 4y2% Zinsen für das Jahr. Über die Tilgung des Neubesitzes können die Länder besondere Bestimmungen erlassen; doch muß, falls die Tilgung durch Auslosung erfolgt, die Ein­ lösung mindestens zum Nennbeträge stattfinden. Der Nennbetrag der gegen die Markanleihen zu gewährenden Ablösungsanleihe bestimmt sich in seiner Höhe nach dem Goldwert der abzulösenden Markanleihen zur Zeit ihrer Begründung. Für solche Markameihen der Länder, die vor dem 1.1. 1919 begründet find, ist der Goldwert ihrem Marknennbetrage gleich. War die abzulösende Markanleihe nach dem 31. 12. 1918 begründet, so wurde ihr Goldwert nach der Umrechnungs­ tabelle des AufwertungsG. ermittelt. Für die Um­ rechnung war der Goldwert des zugeflossenen Markbetrages an dem Tage, an dem er dem An­ leiheschuldner zugeslossen ist, maßgebend. War der Betrag aus der Anleihe in Teilen an ver­ schiedenen Tagen beim Schuldner eingegangen, dann waren die eingezahlten Teilbeträge nach ihrem Eingangstage in den Goldwert umzurech­ nen, und der Goldwert der gesamten Anleihe war gleich der Summe der Goldwerte der einzelnen Teilbeträge. Besondere Vorschriften enthält das G. für die bereits getilgten Anleihen. Sie be­ zweckten den Schutz der Anleihegläubiger nach zwei Richtungen. Haben sich die Anleihegläubiger bei der Annahme des Tilgungsbetrages ihre Rechte Vorbehalten oder befanden sie sich noch im Besitz von, auf Grund Kündigung oder Auslosung be­ reits abgerechneter Stücke, so wurden sie wie Gläubiger ungekündigter Anleihen behandelt. Markanleihen, die bei Banken zur Einlösung ein­ gereicht waren und sich noch in deren Besitz be-

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Anleihen

fanden, waren zugunsten des einzureichenden Gläubigers auch dann umzutauschen, wenn be­ reits eine Abrechnung mit dem Schuldner oder eine Hinterlegung zugunsten des Gläubigers statt­ gesunden hatte (vgl. §§ 30 ff. AnlAblG ). Preu­ ßen hat unter dem 10. 7. 1926 eine V. über die Ablösung der auf Mark lautenden Anleihen und Schuldscheindarlehen des Freistaates Preußen er­ lassen (GS. 195), die Bestimmungen enthält für die Ablösung der 5% igen Preußischen Schatzanwei­ sungen von 1921 und 1922 und der 7 bis 15% igen Schatzanweisungen von 1923 durch Barablösung, anstatt durch Umtausch in Ablösungsschuld (siehe hierzu auch die Bek. vom 11. 7. 1926, GS. 211); und zwar wurden gewährt für die 5% igen Schatzanweisungen von 1921 und 1922 5% und im Falle des Altbesitzes 12%%, für die 7 bis 16% igen Schatzanweisungen von 1923 einheit­ lich 12%% des Goldmarkbetrages, der dem Frei­ staat Preußen aus der Begebung dieser Anleihe zugeflossen ist. 3. Markanleihen der Gemeinden. Die Regelung umfaßt alle Markanleihen der Ge­ meinden und Geweindeverbände, unter denen die Kommunalverbände (Kreise, Provinzen usw.) sowie Zweckverbände zu verstehen sind. Aus­ genommen sind die wertbeständigen Anleihen und die Kreditanleihen der Gemeinden als Inhaber kommunaler Kreditanstalten usw. (vgl. hierzu das oben unter Länderanleihen Ausgeführte). Auch bei den Gemeindeanleihen trifft das G. nur über die privatrechtlichen Ansprüche der Anleihe­ gläubiger Bestimmung. Es schreibt nur vor, was die Anleihegläubiger fordern können (vgl. die Ausführungen über Markanleihen der Länder). Es war in die Hand der Länder gegeben, im Wege der Landesgesetzgebung dem Anleiheschuldner höhere Leistungen aufzuerlegen und den Anleihe­ gläubigern einen Anspruch auf sie einzuräumen. Grundsätzliche Abweichungen zwischen der Rege­ lung der Ablösung der Gemeindeanleihen tittb der Länderanleihen bestehen in folgenden Punkten: Vorzugsrenten werden auf Grund von Gemeinde­ anleihen nicht gewährt. Der Einlösungsbetrag der Gemeindeablösungsanleihen, der gegen Mark­ anleihen alten Besitzes ausgegeben wurde, konnte in einem besonderen Verfahren bis auf 25% heraufgesetzt werden, d.h.für die im Umtausch gegen Markanleihen der Gemeinden und Gemeinde­ verbände ausgegebene Ablösungsanleihe im Nenn­ beträge von 2%% des Goldwertes, den die um­ zutauschenden Markanleihen zur Zeit ihrer Be­ gründung hatten, konnte eine Einlösung statt mit dem fünffachen bis zum zehnfachen vorgesehen werden. Die Feststellung des Goldwertes er­ folgte wie bei den Länderanleihen. Die Ablö­ sungsanleihen, die gegen Gemeindeanleihen alten Besitzes ausgegeben worden sind, müssen zum Satze von 5% (statt 4%% bei den Länder­ anleihen) verzinst werden. Die Zinsen werden aber, ebenso wie bei den Länderanleihen, erst dann gezahlt, wenn das Anleihestück selbst zurückgezahlt wird. Als Tilgungsdauer für die gegen Markan­ leihen alten Besitzes ausgegebenen Ablösungsan­ leihen ist, wie bei den Länderanleihen, eine Zeit von 30 Jahren vorgesehen, doch konnte, abwei­ chend von den für Länderanleihen geltenden Be­ stimmungen, die Dauer der Tilgung bis auf 20 Jahre herabgesetzt werden, wenn diese der Lei­

stungsfähigkeit des Schuldners entsprach, oder sie konnte aus mehr als 30 Jahre erstreckt werden, wenn eine solche Regelung mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners und die Er­ füllung seiner öffentlichen Aufgaben unabweis­ bar war und wenn der Anleiheschuldner durch Vorschriften des Vertrages von Versailles eine besondere starke Beeinträchtigung erfahren hatte (dies konnte vorliegen, z. B. bei Verlust von Ver­ mögenswerten durch Liquidation der alliierten Staaten nach Art. 297 b des Vertrages von Ver­ sailles, bei Abtrennung von Teilgebieten des An­ leiheschuldners durch die neue Grenzziehung u. dgl.). Der Antrag auf eine Erstreckung der Til­ gung über 30 Jahre hinaus war vom Schuldner zu stellen. Der Antrag auf die Herabsetzung der Tilgungsdauer konnte von einem für die Wahr­ nehmung der Rechte der Gläubiger bestellten Treuhänder gestellt werden. Ebenso konnte der Treuhänder die Erhöhung des Einlösungsbe­ trages beantragen. Die Anträge waren bei der obersten Landesbehörde oder bei der von ihr be­ stellten Stelle einzureichen. In der Praxis ist die Regelung so erfolgt, daß der größte Teil der Städte an der Laufzeit von 30 Jahren und an der Tilgung zum fünfachen Satze, also an den Vorschriften, wie sie für die Markanleihen des Reichs und der Länder gelten, festgehalten hat. Unzulässig war von vornherein (dies bestimmt das Anleihe-AblösungsG. im § 43 Abs. 2) eine Heraufsetzung des Einlösungsbetrages bei solchen Markanleihen, die der Anleiheschuldner aus Grund des § 59 Abs. 3 des LandessteuerG. vom 30. 3. 1920 (RGBl. 402), bzw. § 68 Abs. 3 FAG. vom 23. 6. 1923 (RGBl. I 494) für Rechnung des Reichs ausge­ nommen hat. Das Reich hatte nach dieser Vorschrift den Ländern für Aufwendungen zu sozialen Zwecken Ersatz zu leisten. Das Reich konnte zum Zwecke der Ersatzleistung die ersatzanspruchsberechtigten Gemeinden und Gemeindeverbände ermächtigen, für Rechnung des Reichs Anleihen aus­ zunehmen. Auf Grund dieser Vorschrift haben Ge­ meinden und Gemeindeverbände Markanleihen ausgegeben; da sie hierbei für Rechnung des Reichs gehandelt haben, ist der eigentliche Schuldner aus den Anleihen das Reich. Daher kann für die Frage der Ablösung dieser Anleihen die Leistungs­ fähigkeit des formellen Anleiheschuldners nicht in Betracht kommen, da ihn im Endergebnis die Lei­ stungen aus der Ablösung dieser Anleihen nicht treffen. No. Referentenentwurf einer Denkschrift über die Aufwer­ tung, verfaßt im Reichssinanzministerium, Berlin 1925; Heinriei, Gesetz über die Ablösung öffentlicher An­ leihen vom 16. Juli 1925, Berlin 1925; Neufeld, Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925, Mannheim 1926; Schlegelb erger-Harmening, Das Aufwertungsgeseh vom 16. Juli 1925, Berlin 1925; Quassowsky, Gesetz über die Aufwertung von Hypo­ theken und anderen Ansprüchen vom 16. Juli 1925, Mannheim 1926.

Anleihen. I. Begriff. A. sind umfassende Darlehn der öffentlichen Körperschaften oder von Erwerbsgesellschasten. Hier sind nur die öffent­ lichen A. zu behandeln, also die A., die ein Staat (das Reich), ein Land, ein Gemeindeverband oder eine Gemeinde aufnimmt. Im engeren Sinne werden zu ihnen nur die sog. fundierten A. ge­ rechnet, worunter namentlich solche A. verstanden werden, für die eine Rückzahlung zu einem be­ stimmten Zeitpunkte nicht vorgesehen ist. Ins-

Anleihen besondere rechnen nicht zu den A. im eigentlichen Sinne die sog. Schatzanweisungen, die im all­ gemeinen nur eine kurze Laufzeit haben. In der Praxis sind so feine Unterschiede nicht immer ge­ macht worden. Die Mannigfaltigkeit der Aus­ stattung, die bei den Anleiheemissionen ange­ wendet werden mußte, um den jeweiligen Zeitund namentlich Geldverhältnissen und damit dem Geschmack des Publikums Rechnung zu tragen, haben es mit sich gebracht, daß die Unterschei­ dungsmerkmale zwischen A. und Schatzanwei­ sungen sich teilweise verwischt haben. Man kann, wenn man der praktischen Entwicklung Rechnung trägt, sagen, daß jede Schuldenaufnahme eines Staates, eines Landes, einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes, die im Gegensatze zu einer Darlehensaufnahme an eine unbekannte Vielheit von Gläubigern sich wendet, namentlich wenn die Schuldaufnahme durch die Ausferti­ gung von Jnhaberpapieren erfolgt, als eine A. anzusehen ist. Dagegen gehören hierzu nicht die sog. unverzinslichen Schatzscheine (vgl. Schwebende Schulden); unverzinslich im all­ gemeinen in dem Sinne, daß der Staat sie nicht wie eine A. zum bestimmten Zeitpunkte verzinst, vielmehr kommt der Gläubiger derartiger Schuld­ verschreibungen des Staates dadurch in einen Zinsgenuß, daß er beim Kauf den Kapitalbetrag abzüglich der Zinsen für die ganze Laufzeit zu erlegen hat, d. h. er bringt einen Diskont in Abzug. Als A. wird man auch nicht Kassen­ scheine ansehen können. So waren die vom Reiche früher ausgegebenen Reichskassenscheine (s. d.) und ebenso die während des Krieges ent­ standenen Darlehenskassenscheine (f. Darlehnskassen), die beide als Zahlungsmittelim Umlauf waren, eine unverzinsliche Schuld, für die keine vertragliche Rückzahlung und keine Ver­ zinsung vorgesehen war. Zweckmäßiger als die Unterscheidung zwischen sog. fundierten und nicht­ fundierten A. ist die Unterscheidung nach tilgungs­ pflichtigen und nichttilgungspflichtigen A. und hier wieder nach solchen mit kürzerer oder mit längerer Laufzeit, nach inneren und äußeren A., nach A., zu deren Erwerbe sich der Gläubiger frei­ willig entschlossen hat, und nach Zwangsanleihen, die nur das Gewand einer A. tragen, in Wirk­ lichkeit eine Art Vermögenssteuer sind. II. Anleihearten nach Tilgung und Lauf­ zeit. Die Unterscheidung nach nichttilgungspflich­ tigen und tilgungspflichtigen A. besagt: Entweder wird dem Gläubiger gegenüber gar keine Ver­ pflichtung, zu einem bestimmten Zeitpunkte zu tilgen, übernommen (tilgungsfreie Rentenschuld), oder es wird eine Verpflichtung eingegangen, daß nach bestimmten Grundsätzen und zu be­ stimmten Zeitpunkten zu tilgen ist. Die Haupt­ typen der bei A. üblichen Tilgung sind: 1. die allmähliche Tilgung nach einem feststehenden Tilgungsplan; 2. die ganze Schuld wird zu einem feststehenden Zeitpunkt auf einmal zurückgezahlt. Am häufigsten findet die Tilgung durch allmäh­ liche Einziehung statt. Doch wird vielfach auch bei A., für die ein bestimmter Tilgungsplan vor­ gesehen ist, die Möglichkeit einer verstärkten oder völligen Rückzahlung des Kapitals zu einem früheren Zeitpunkt als dem, den der Tilgungs­ plan vorsieht, ausbedungen. Für die praktische Durchführung der Tilgung gibt es zwei Methoden,

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entweder die Tilgung durch Auslosung oder die Tilgung durch Rückkauf. Am häufigsten ist die Verbindung beider Methoden, d. h. der Schuldner behält sich das Recht vor, durch Auslosung oder Rückkauf die A. zu tilgen, und zwar macht er von der Auslosung keinen Gebrauch, wenn der Rück­ kauf unter dem Nennwerte möglich ist oder unter dem Nennwerte zuzüglich Aufgeld, wenn ein solches für die Tilgung vorgesehen ist. Ist eine A. im Zeitpunkte der Tilgung beispielsweise mit 98% zu kaufen, so wird der Schuldner hiervon Gebrauch machen, denn er spart auf diese Weise 2%. Ist hingegen der Kurs über 100, so wird er die Auslosung zu 100% vornehmen. Ist die Tilgung durch Auslosung zu einem höheren Be­ trage als dem Nennbeträge vorgesehen, dann ist der Rückkauf auch über den Nennwert noch rentabel, solange der Rückkaufskurs sich unter dem Nennwert zuzüglich Aufgeld hält. Das Tilgungs­ system nach einem Tilgungsplan eröffnet zwei Möglichkeiten. Entweder ist eine feste Summe Jahr für Jahr für die Verzinsung und Tilgung zusammen (Annuität) aufzuwenden, oder es wird eine feste Summe jährlich für Tilgung neben dem Zinsbeträge verwendet. In dem ersterwähn­ ten Falle hat der Schuldner während der ganzen Laufzeit den gleichen Prozentsatz der A. als Annuität aufzubringen, nur daß, je mehr die Tilgung fortschreitet, der aufzubringende Betrag in immer stärkerem Maße zur Tilgung Verwen­ dung findet; denn das Verzinsungserfordernis verringert sich automatisch durch die nach und nach eintretende Rückzahlung der A. Man nennt diese Art der Tilgung die Tilgung zu einem bestimmten Prozentsatz „unter Zuwachs der ersparten Zinsen". Während bei dieser Art der Tilgung der jährlich zur Tilgung kommende Betrag sich immer mehr vergrößert, bleibt er, falls eine feste Summe jähr­ lich für Tilgung neben dem Zinsenbedarf ver­ wendet wird, während der ganzen Laufzeit gleich. Werden für die Tilgung einer 4%igen A. jähr­ lich gleichmäßig 6% verwendet, so ist sie in 20 Jahren getilgt. Die Belastung des Schuld­ ners beträgt dann jährlich 6% für Tilgung und im ersten Jahre 4% des Gesamtbetrags der A. für Verzinsung, in den kommenden Jahren wird das Erfordernis für die Verzinsung geringer. Ande­ rerseits ist auch dann schon eine 4%ige A. in 20 Jahren völlig amortisiert, wenn sie zu 3,35% zuzüglich ersparter Zinsen getilgt wird. In vielen Fällen wird bei der Aufnahme einer A. die Ver­ pflichtung übernommen, die Tilgung nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt beginnen zu lassen. Das geschieht besonders dann, wenn man Käufer für die A. dadurch heranzuziehen hofft, daß man ihnen durch die Ausschließung der Tilgung für eine gewisse Zeit die vereinbarte, zumeist ver­ hältnismäßig hohe Verzinsung sichert. Eine Variation hiervon wiederum ist, daß eine ver­ stärkte oder eine Gesamttilgung nicht vor einem bestimmten Zeitpunkte stattfinden darf. Die Laufzeiten der tilgungspflichtigen A. sind sehr verschieden. Es gibt solche mit einer Lauf­ zeit von 30 und mehr Jahren, es gibt aber auch A., die schon nach wenigen Jahren wieder zurück­ gezahlt werden. Hierzu gehören insbesondere, wie oben ausgeführt, die Schatzanweisungen. (Vereinzelt sind allerdings auch Schatzanwei­ sungen mit sehr langer Laufzeit emittiert worden,

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Anleihen

so während des Krieges seitens des Deutschen Reiches.) Diese kurzfristigen verzinslichen Schatz­ anweisungen werden begeben werden, wenn es sich um die Deckung eines befristeten Geldbedarfs handelt, oder als Vorläufer langfristiger A. Zu solcher Zwischenlösung kann in den Zeiten ge­ spannter Geldverhältnisse Anlaß gegeben sein. Einerseits lassen sich in solchen Zeiten kurzfristige A. besser unterbringen als langfristige, anderer­ seits braucht der Schuldner die hohe Verzinsung, die in Zeiten gespannter Geldverhältnisse zuge­ standen werden muß, nur auf eine beschränkte Anzahl von Jahren zu gewähren. Allerdings kann der Schuldner auch den Zinsfuß langfristiger A., vorausgesetzt, daß er sich das Recht vorzeitiger Gesamtkündigung Vorbehalten hat, auf dem Wege der Konvertierung herabsetzen. Der Schuld­ ner bietet in solchen Fällen den Gläubigern den Umtausch ihrer A. in eine niedriger verzinsliche an und zahlt denjenigen, die von diesem Angebot keinen Gebrauch machen wollen, den Nennwert­ betrag der A. zurück. Zu einer besonderen Art tilgungspflichtiger A. gehören die Prämien­ anleihen (wenn sie nicht verzinslich sind, auch Prämienlose genannt). Die Eigenart dieser Prämienanleihen besteht darin, daß die Stücke nach einem festen Plan ausgelost werden und daß bei der jeweiligen Auslosung einige Num­ mern mit besonderen Prämien gezogen werden. Die Verzinsung der verzinslichen Prämienanleihe ist meist geringer als die anderer A., weil die Aus­ sicht, mit einer Prämie in der Auslosung gezogen zu werden, den Gläubiger dazu veranlaßt, sich mit geringeren Zinsen zu begnügen. Der größte Teil der Anleihestücke wird freilich bei den Aus­ losungen nur mit dem Nennwerte gezogen, den man in diesem Falle als „Niete" bezeichnet, und, da die Prämienanleihen im allgemeinen einen hohen Kurs haben, so bedeutet die Auslosung zum Nennwerte für den Anleihegläubiger einen tatsächlichen oder relativen Verlust. Derartige Prämienanleihen wurden namentlich früher in Staaten mit schwierigen Kreditverhältnissen ausgegeben, weil die gewöhnliche Anleiheform nicht mehr hinreichend zur Beteiligung an öffentlichen A. anreizte (z. B. seinerzeit in Österreich und Rußland). In Preußen erfolgte im Jahre 1855 die Ausnahme einer Prämienanleihe. In neuerer Zeit ist man mehr und mehr von dieser Art der Anleihebegebung zurückgekommen. Allerdings hat das Deutsche Reich, als nach dem Kriege die Geldbeschaffung besonders schwierig war, den Versuch mit der sog. Sparprämienanleihe gemacht, die aber zu keinem großen Erfolge führte. (Die Sparprämienanleihe ist wie die anderen Markanleihen des Reiches durch die Inflation entwertet und dann nach dem AnleiheablösungsG. vom 16. 7.1925, RGBl. 1137, behandelt worden.) Im übrigen ist im Deutschen Reiche die Ausgabe von Jnhaberpapieren mit Prämien (G. vom 8. 6. 1871, RGBl. 210) nur auf Grund eines ReichsG. und „lediglich zum Zwecke der A. des Reiches oder eines Bundesstaates" gestattet. Ein Kündi­ gungsrecht der Gläubiger ist bei den öffent­ lichen A. fast stets ausgeschlossen. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch die Gläubiger würde unter Umständen den Anlehensschuldner schwer gefährden, weil ihm zumeist gerade dann ge­ kündigt werden würde, wenn er am wenigsten

imstande wäre, zurückzuzahlen. Zum mindesten würde die Verwaltung des Schuldenwesens für Staaten und öffentliche Korporationen dadurch erheblich erschwert werden, da es ihnen an jedem Maßstabe für die Berechnung und Bereitstellung der für die Rückzahlung der jeweilig gekündigten Kapitalien erforderlichen Gelder fehlen wurde. III. Die Unterscheidung nach inneren und äußeren A. besagt folgendes: Eine innere A. ist eine A., die von einer im eigenen Lande des borgenden Staates erfolgenden Emission her­ rührt. Die Nationalität der Zeichner der A. oder der späteren Eigentümer spielt dabei keine Rolle. Eine äußere A. ist eine A., bei der die Emission ganz oder teilweise an ausländischen Plätzen er­ folgt. Im allgemeinen kann man den Satz auf­ stellen, daß die äußeren A. höher verzinst werden müssen als die einheimischen; jedoch haben die Verhältnisse nach dem Kriege auch hierin, wenn auch vielleicht nur vorübergehend, einen Wandel geschaffen. In den Jahren 1925 bis 1927 war es angesichts der starken Kapitalnot in Deutsch­ land vom Standpunkte' der Zinsbelastung des Schuldners aus günstiger, A. im Auslande als im Jnlande unterzubringen. IV. Schließlich unterscheidet man noch zwischen freiwilligen und Zwangsanleihen. Die letzteren sind ihrer Entstehung nach Besteuerungs­ maßregeln, indem der Staat seine Angehörigen zur Kapitalhingabe gegen Ausstellung von Schuld­ verschreibungen zwingt. Sie stehen aber im übrigen ihrer Wirkung und Verwaltung nach den sonstigen A. gleich. Die vom Deutschen Reich ausgegebenen Schuldverschreibungen der Zwangs­ anleihe vom Jahre 1922 (G. vom 20. 7. 1922, RGBl. 601) sind bei der Aufwertung allerdings im Gegensatz zu den anderen A. des Reiches nicht in Anleiheablösungsschuld umgetauscht wor­ den (vgl. § 3 des G. über die Ablösung öffent­ licher A. vom 16. 7. 1925, RGBl. I 137). Rechte können nach dem AnleiheablösungsG. aus ihnen überhaupt nicht mehr hergeleitet werden. Konnte man die Zwangsanleihe vom Jahre 1922 ihrer Entstehung nach als ein Mittelding zwischen Steuer und A. ansehen, so wurde sie durch das AnleiheablösungsG. zu einer reinen Steuer. Begründet wurde die Nichtberücksichtigung u. a. damit, daß die Einzahlung auf die Zwangs­ anleihe sich aus einen langen Zeitraum erstreckte, in dem der Wert der Mark ständig sank. In Gold gerechnet sind die dem Reiche durch die Zwangs­ anleihe zugeflossenen Beträge sehr gering gewesen. V. Die leichteste Übertragbarkeit wird für A. durch die Eigenschaft des Jnhaberpapiers ge­ währleistet. Um Gläubigern, die die A. zu dauern­ dem Besitz erwerben, entgegenzukommen und sie gegen die Gefahr leicht übertragbarer Papiere zu sichern, ist insbesondere die Einrichtung des Schuldbuches (s. S taa ts sch ul d b u ch) ge­ schaffen. VI. Die durch die Inflation eingetretenen Verhältnisse haben es mit sich gebracht, daß die öffentlichen A., die bis dahin auf die Landes­ währung, d. h. auf Mark lauteten, in der letzten Zeit vor der Stabilisierung der Währung mit einer Wertbeständigkeitsklausel ausgestattet wur­ den. Teilweise wurde der Nennwert und die Verzinsung der A. auf eine bestimmte Menge Feingold, aber auch auf Getreide, Kali, Kohle usw.

Anleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände

gestellt. In anderen Fällen wurde eine fremde Währung substituiert, insbesondere die Dollar­ währung. Nach der Stabilisierung der Währung wurde in den meisten Fällen zunächst noch an der Goldklausel festgehalten. Das Deutsche Reich begab allerdings im Jahre 1927 eine auf Reichs­ mark lautende A. VII. Die A. des Reiches, der Länder und der inländischen Gemeinden und Gemeindeverbände sind nach § 26 KörpStG. wertpapiersteuerfrei. Die Anschafsungsgeschäfte sind börsenumsatzsteuer­ pflichtig (f. Börsenumsatzsteuer). VIII. Vgl. im übrigen Auslosung, Zinsscheine, Reichsschuld, Staatsanleihen (Preußen), Anleihender Gemeinden,Aus­ landskredite, Anleiheablösung. No. Freund, Die Rechtsverhältnisse der öffentlichen A., Berlin 1907; Lotz, Finanzwissenschaft, Tübingen 1917; Lotz, Die Technik des Emissionsgeschäftes, Leipzig 1890; Saling, Börsenpapiere.

Anleihen der Gemeinden und Gemeinde­ verbände. I. Anleihen, durch welche die Gemeinde (Gemeindeverband) mit einem Schuldenbestande belastet oder der vorhandene vergrößert wird, können durch Beschluß der Bertretungskörperfchasten ausgenommen werden und bedürfen der Genehmigung des KrA. bei Landgemeinden rmd Zweckverbänden (ohne Beteiligung von Städten und Kreisen); der Genehmigung des BezA. bei Kreisen, Städten, Zweckverbänden (mit Beteili­ gung von Städten und Kreisen; bei Berlin des OP.); der Genehmigung des MdI. bei Pro­ vinzen (StO. f. d. ö. Pr. § 50 Ziff. 3, Wests. § 49 Ziff. 3, Rheinpr. § 46 Ziff. 3, SchlHolst. § 71 Ziff. 3, Frankfurt a. M. § 60 Ziff. 3, Hess.Nass. § 56, Hann. § 97 Ziff. 3, § 119 Abs. 2 Ziff. 2; § 84 hohenz. GemO.; LGO. f. d. ö. Pr. und SchlHolst. § 114, Hess.-Nass. §78, Wests. § 53 Ziff. 3, Rheinpr. § 97, Hann. § 41 Ziff. 6, § 42 Ziff. 5; ZG. § 16 Abs. 3 und § 31; KrO. f. d. ö. Pr. § 176, Wests. § 91, Rheinpr. § 91, Hann. § 103, SchlHolst. § 139, Hess.-Nass. § 104; hohenz. A. u. LO. § 80; ProvO. § 119, Hess.-Nass. §§ 86, 92; ZweckverbandsG. § 24). Genehmi­ gungspflichtige A. sind nach Erl. vom 27. 1. 1925 (MBl. 134); 1. 8.1925 (MBl. 857) nicht nur die sog. fundierten Anleihen (s. Anleihen), sondern alle langfristigen und kurzfristigen Kredite mit Ausnahme vorübergehender,lediglich einen kassen­ technischen Notbehelf darstellender, zur Bestrei­ tung laufender ordentlicher Ausgaben bestimmter Kredite, und zwar ohne Rücksicht auf ihren Ver­ wendungszweck. Der Begriff der A. setzt als Schuldgrund ein Darlehnsverhältnis voraus. Verpflichtungen aus Kaufverträgen sind daher keine A., können aber durch Novation in solche umgewandelt werden (NGZ. vom 26. 1. 1927 IW. 1927, 760). Die Grundsätze, welche bei der aufsichtlichen Genehmigung zu beobachten sind, finden sich zusammengestellt in den Erl. vom 1. 6. 1891 (MBl. 84), 6. 8. 1892 (MBl. 321), 23. 8. 1907 (MBl. 261), 3. 12. 1907, 11. 1. 1908, 2. 6. 1910 (MBl. 1908, 11; 1910, 170), 9. 1. 1924 (MBl. 46), 27. 1. 1925 (MBl. 134), 30. 5. 1925 (MBl. 634), 30. 6. 1926 (MBl. 627). Hier­ nach sollen A. — abgesehen von den im Erl. vom 9. 1. 1924 vorübergehend zugelassenen Erleichterungen — nur bewilligt werden zur Deckung unaufschiebbar dinglicher, ohne Uberbürdung der Steuerpflichtigen aus den ordentlichen

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Einnahmen nicht zu bestreitender außerordent­ licher Ausgaben für gemeinnützige, nicht bloß der Gegenwart, sondern auch der ferneren Zukunft zugute kommende Zwecke, also nicht zur Balan­ cierung eines Etats („Zuschußanleihen"), auch nicht für unbestimmte Zwecke, für Unterhaltung bereits bestehender Anlagen oder für neue An­ lagen, die in ganz kurzen Zwischenräumen von neuem erforderlich werden, endlich nicht für Zwecke, deren Ausführung einer späteren, vor­ läufig noch nicht näher zu bestimmender Zeit überlassen bleiben soll. Im einzelnen sind daher 1. die Mittel zu Schulbauten in rasch wachsenden Gemeinden regelmäßig durch Ansammlung von Baufonds und nur, bis diese hinlänglich leistungs­ fähig sind, ausnahmsweise aus Anleihemitteln zu entnehmen; 2. nur für die Neuherstellung und erste Pflasterung, nicht auch für die Unterhaltung und Neupflasterung von Straßen, Anleihemittel zu verwenden; namentlich Städten mit rasch zu­ nehmender Bevölkerung ist durch den Erl. vom 23. 8. 1907 erneut zur Pflicht gemacht, zur Deckung auch anderer, häufig wiederkehrender Ausgabezwecke als Schulbauten, z. B. Pflaste­ rungen, besondere Fonds anzusammeln bzw. diese wie die zu Schulbauten zu verstärken. A. dürfen nur für eigene Zwecke der Gemeinden, zu denen auch der Wohnungsbau in eigener Regie gehört, aber nicht für Zwecke der Privatwirtschaft ausgenommen werden. Die Aufnahme von A. durch die Provinzen für Zwecke der provinziellen Kreditanstalten, insbesondere zur Weitergabe an Gemeinden oder zu Grundkreditzwecken wird hierdurch nicht berührt. Im übrigen ist durch Erl. vom 27. 1. 1925 den Gemeinden äußerste Zurück­ haltung in der Bemessung ihrer Anleihewünsche ausgegeben worden. Grundsätzlich sollen die A. auf Reichsmark lauten. Solange sich der lang­ fristige Kredit jedoch noch nicht vollständig auf die neue Währung umgestellt hat, kann eine Goldsiche­ rung in erster Linie bei Schuldscheinanleihen, aber auch bei Jnhaberanleihen zugelassen werden. Kurz­ fristiger Kredit ist in der Regel unzulässig für nicht werbende Anlagen, bei denen die für eine kurzfristige Tilgung erforderlichen Mehrbeträge nicht herausgewirtschastet werden können. Aus­ nahmen können zugelassen werden mit Rücksicht auf etwaige Schwierigkeiten, langfristigen Kredit zu erhalten. Es ist jedoch dafür zu sorgen, daß die Liquidität der Gemeinden nicht gefährdet wird. Die Sicherstellung der A. durch Spezialpsänder ist untersagt, da hierdurch eine ungerechtfertigte Bevorzugung eines Teiles der Gläubiger erfolgt und die auf der Steuerhoheit beruhende Kredit­ fähigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände beeinträchtigt wird (Erl. vom 27. 1. 1925, MBl. 134). (Ausnahmsweise ist die Bestellung von Hypotheken zwecks Finanzierung von Wohnungs­ bauten zugelassen worden.) Geht die Unter­ nehmung über den engeren Kreis der Verwal­ tungsausgaben der Gemeinden hinaus, so soll die A. nur genehmigt werden, wenn Verzin­ sung und Tilgung entweder durch die Erträg­ nisse der Anlage gedeckt erscheinen oder die Finanz­ lage der Gemeinde und die Steuerkraft ihrer Bewohner nicht gefährdet werden, ebenso eine Anleihe für an und für sich nützliche, aber ertrag­ lose Herstellungen, wie Straßendurchbrüche und -Verbreiterungen nur, wenn der Aufwand in

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angemessenem Verhältnis zur Leistungsfähig­ keit der Gemeinde steht oder die Herstellung zur Beseitigung gesundheitswidriger Zustände oder im Interesse der Verkehrssicherheit geboten ist. Einmalige Ausgaben für minder erhebliche Bauausführungen und Beschaffungen, wie sie in größeren Städten regelmäßig wiederkehren, sind, insbesondere wenn ihnen keine Nückeinnahmen gegenüberstehen, nicht durch A., sondern aus laufenden Einnahmen unter tunlichst gleich­ mäßiger Verteilung auf die einzelnen Jahre zu bestreiten (Erl. des MdI. und des FM. vom 6. 8. 1892, MBl. 321). II. Die Höhe des Zinsfußes richtet sich nach der Marktlage. Unter Verzinsung ist die effektive Verzinsung bei Berücksichtigung von Agio und Disagio sowie etwaiger Provisionen zu verstehen. Letztere sind möglichst niedrig zu halten. Im Hinblick auf die Höhe des augenblicklichen Zins­ fußes sollen sich die Gemeinden das Recht vor­ zeitiger Kündigung vorbehalten. Damit ein gegen­ seitiger Wettbewerb vermieden wird, soll darauf hingewirkt werden, einen einheitlichen und mög­ lichst günstigen Anleihetyp zu schaffen und zu erhalten. Die Tilgung der A. soll nach dem Erl. vom 23. 8. 1907 in der Regel erfolgen mit min­ destens P/4% des ursprünglichen Schuldkapitals und den durch die fortschreitende Tilgung er­ sparten Zinsen; es ist jedoch von Fall zu Fall zu prüfen, ob und inwieweit über diesen Tilgungs­ satz von iy4% hinauszugehen ist, insbesondere auch ob bei A. zu gewinnbringenden Anlagen die demnächstigen Betriebsüberschüsse ganz oder teil­ weise zu einer verstärkten Schuldentilgung zu ver­ wenden seien; dabei sind die Finanzlage der Ge­ meinde und die Grundsätze über die Abschrei­ bungen auf das Anlagekapital in Betracht zu ziehen. Jedenfalls ist der Tilgungssatz so zu be­ messen, daß der Zweck der A. nicht schon vor deren völliger Tilgung erschöpft ist, also z. B. 1. bei A. zu Straßenpflasterungen so, daß die Schuld getilgt ist, wenn nach Ablauf der Ab­ nutzungsperiode eine Neupflasterung erforderlich wird, bei Ortsstraßen und besonders stark ab­ genutzten Chausseen mindestens auf 2V2%; 2. bei A. zu Schulbauten so, daß die Tilgung beendet ist, wenn voraussichtlich infolge Zunahme der Kinder ein neuer Schulbau nötig wird; 3. bei A. zu Kanalisationen, da letztere neben dem ein­ maligen, für ihre Herstellung aufgewendeten, in der Regel sehr bedeutenden Kostenbeträge, auch noch fortdauernd infolge der Kostspieligkeit der Unterhaltung Anforderungen an die Gemeinde­ kasse stellen, auf mindestens 2%, in allen Fällen zu 1—3 zuzüglich der durch die Tilgung ersparten Zinsen; 4. bei A. zur Tilgung einer älteren Schuld so, daß die Tilgung der neuen nicht später beendet wird, als es die der älteren sein würde, was auch für den Fall der Konvertierung gilt; 5. A. zur Neuherstellung von Straßen sind außer mit dem regelmäßigen Tilgungssatz außerordentlich mit dem Auskommen an Anliegerbeiträgen zu tilgen. Wird eine A. für mehrere Verwendungszwecke ausgenommen, für deren einzelne, für sich be­ trachtet, verschiedene Tilgungssätze anzuwenden sind, so ist die ganze A. nach einem entsprechen­ den durchschnittlichen Tilgungssatze zu tilgen. Bei A. für Zwecke des Grunderwerbs, der Fluß­ regulierung und der Schaffung von Betriebsfonds I

kann eine Tilgung mit 1% zugelassen werden. Die Zinsen und Tilgungsraten sind, wenn die A. für Unternehmungen verwendet wird, die einzelnen Klassen von Gemeindeangehörigen oder Teilen des Gemeindebezirks ausschließlich oder vorzugsweise zugute kommen, nach dem das KAG. beherrschenden Grundsätze von Leistung und Gegenleistung durch entsprechende Bemessung der Preise bei gewerblichen Unternehmungen, durch Gebühren, Beiträge, steuerliche Mehr- oder Minderbelastung und Belastung der Realsteuern aufzubringen. III. Zur Aufnahme von A. bedienen sich die Gemeinden und Gemeindeverbände entweder der Vermittlung von Kreditanstalten, oder sie nehmen durch Ausgabe von Schuldverschrei­ bungen den Kapitalmarkt unmittelbar in An­ spruch. Das letztere Verfahren wenden neuer­ dings im allgemeinen nur noch größere Städte und Provinzen an, da kleinere Verbände mit verhältnismäßig geringem Geldbedarf nicht in der Lage sind, eigene Emissionen zu annehm­ baren Kursen durchzuführen. Zur Ausgabe von Schuldverschreibungen an den Inhaber durch Gemeinden bedarf es nach Art. 8 AusfB. z. BGB. vom 16. 11. 1899 (GS. 562) der Genehmigung des MdI. und des FM., bei denen sie nach Ge­ nehmigung der A. seitens der zuständigen Be­ schlußbehörde durch Vermittlung des RP. zu be­ antragen ist. Die Genehmigung soll nur erteilt werden, wenn es sich um einen größeren Betrag handelt, welcher anderweitig und unter gleich gün­ stigen Bedingungen wie durch Ausgabe von Jnhaberpapieren nicht zu beschaffen wäre. Um prüfen zu können, ob die Mittel der A. für die an­ gegebenen Verwendungszwecke einerseits erfor­ derlich, andererseits auch ausreichend sind, brauchen zwar keine detaillierten Kostenanschläge vorgelegt zu werden, wohl aber Kostenüberschläge, die übri­ gens schon als Grundlage für die Beschlußfassung der Gemeinde und der zur Genehmigung der A. berufenen Beschlußbehörde nicht zu entbehren sind (vgl. den obenerwähnten Erl. vom 1. 6. 1891). Für die Schuldverschreibungen, die Zinsscheine (Coupons) und Erneuerungsscheine (Talons) so­ wie die Genehmigungsurkunde sind bestimmte Muster vorgeschrieben, von denen nicht ohne Grund abgewichen werden soll. Den Schuld­ verschreibungen können Zinsscheine für fünf bis zehn Jahre beigefügt werden. Eine Änderung der — in der Schuldverschreibung nicht an­ gegebenen — Verwendungszwecke bedarf der ministeriellen Genehmigung. Die Ausgabe von Jnhaberpapieren mit Prämien ist den Gemein­ den durch § 1 des G. vom 8. 6.1871 (RGBl. 210) versagt. — Als anleihevermittelnde Insti­ tute kommen für diejenigen Gemeinden, die nicht selbst Jnhaberschuldverschreibungen aus­ geben, neben den Hypothekenbanken, die auf Grund der den Gemeinden gewährten Schuld­ scheindarlehen ihrerseits Kommunalobligationen ausgeben, in erster Linie die Landesbanken und Girozentralen in Betracht, zu deren Hauptauf­ gaben die Befriedigung des langfristigen kommu­ nalen Kreditbedarfs durch Aufnahme von Sam­ melanleihen gehört (s. Kommunale Banken). Die Kommunalobligationen (s. d.) der Boden­ kreditanstalten können auf Grund des § 21 Zifs. 3 des BankG. vom 30. 8.1924 (RGBl. II235) zum

Anlieger

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in Ostpreußen §§ 14, 15 Wo. vom 10. 7. 1911 (GS. 99). Nur in Pommern ruht de jure die Wegebaulast noch auf dem Grundbesitz. In Posen, wo noch mit dem Vorhandensein kom­ munalfreien Grundbesitzes zu rechnen ist, sind die Anlieger subsidiär wegebaupflichtig, soweit Wege über solche Grundstücke führen (§ 50 Wo. für Posen). Die Verteilung der kommunalen Wegebaulast der Gemeinden auf die A. als solche ist in einigen neueren Gesetzen verboten worden, um nicht auf diesem Wege die Unzuträglichkeiten der Anliegerunterhaltung mittelbar beizuhalten. So § 19 Wo. für Sachsen, § 17, 2 Wo. für Westpreußen und § 16, 2 Wo. für Posen vom 15. 7. 1907 (GS. 243). Anders Wo. für Ost­ preußen. S. Anschußprinzip. Wegen der Stellung der Anlieger von Ortsstraßen s. unten 5 und Straßenherstellungskosten (Anlieger­ beiträge) II 2 ff. Bm übrigen können die A. mannigfache öffent­ lichrechtliche Verpflichtungen in Beziehung auf den Wegebau haben. So z. B.: 1. Die Reinigung. Sie liegt vielfach den A. observanzmäßig ob (OVG. 23, 378; 29, 438; 45, 162). Observanzen usw. dieser Art sind durch § 3 des G. über die Reinigung öffentlicher Wege vom 1. 7. 1912 (GS. 187) aufrechterhalten. 2. Die Anlegung und Unterhaltung von Fußwegen zur Seite der Fahrstraßen. § 38 Wo. für Sachsen, § 18 Wo. für Westpreußen, § 17 Wo. für Posen und § 16 Wo. für Ostpreußen, welche die ortsstatutarische Begründung dieser Ver­ pflichtung der A. auch bei Bürgersteigen zulassen. 3. Die Unterhaltung der Seilengräben an Land- und Heerstraßen. Sie lag im Geltungs­ bereich des ostpreuß. Provinzialrechts von 1801 nach Zusatz 226 § 5 daselbst dem A. ob. Diese Verpflichtung ist durch § 46 Wo. für Westpreußen für die unter ostpreuß. Provinzialrecht stehenden Teile dieser Provinz und für Ostpreußen durch § 45 der dortigen Wo. aufrechterhalten. Auch das schleswig-holst. Wegerecht kennt für die Nebenlandstraßen und Nebenwege eine Neinigungspflicht der A. unter der Voraussetzung, daß die Seitengräben zugleich „zur Befriedigung der anliegenden Felder", d. h. für deren Ent­ wässerung unentbehrlich sind (§§ 159, 221, 1 der WegeV. für die Herzogtümer Schleswig und Hol­ stein vom 1. 3. 1842 Samml. der B. 191; OVG. 38, 245). 4. Die Verpflichtung zur Freihaltung ihrer Grundstücke von baulichen Anlagen, Bäu­ men usw. (§ 40 Wo. für Sachsen, § 37 Wo. für Westpreußen, § 36 Wo. für Posen und § 35 Wo. für Ostpreußen) oder zur AnP f l anzu n g von Bäumen auf ihren Grundstücken in gewisser Entfernung von den Wegen, vgl. Germershausen 1, 797 ff. 5. Die Verpflichtung zu Straßenbaubeiträg e n gemäß § 15 des FluchtlinienG. vom 2. 7.1875 (GS. 561) und 6. die Verpflichtung zur Übernahme ent­ behrlicher Wegeteile. § 36 Wo. für Sachsen, § 34 Wo. für Westpreußen, § 33 Wo. für Posen und § 33 Wo. für Ostpreußen. 7. Die Verpflichtung im Falle der Unpassier­ barkeit des öffentlichen Weges den Verkehr über sein Grundstück zu gestatten. Zwar wird nach § 10 des Feld- und ForstpolizeiG. vom 1. 4. 1880 (GS. 230) mit Geldstrafe bis zu 10 M oder B itter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. 5

Lombardverkehr der Neichsbank zugelassen werden im Gegensatz zu langfristigen A. einzelner Ge­ meinden und Gemeindeverbände. Das kommu­ nale Anleihewesen, das früher zersplittert und unübersichtlich war, ist durch bett Ausbau der Landesbanken und Girozentralen verbessert und rationeller gestaltet worden. Die kommunale An­ leihepolitik verfolgt das Ziel, durch Zusammen­ fassen vieler kleinen A. in größeren Sammel­ anleihen die Unterbringung zu erleichtern und die Anleihebedingungen zu verbessern. Äußer den vorgenannten Kreditanstalten sind die Sparkassen als Geldgeber für Gemeinden und Gemeinde­ verbände von Bedeutung. Neben kurzfristigen Krediten legen sie ihre Vermögensbestände auch in langfristigen Kommunaldarlehen an. Die Ent­ nahme von Darlehen aus der eigenen Sparkasse seitens einer Gemeinde (Gemeindeverbandes) bedarf außer der Genehmigung der Aufsichts­ behörde der Genehmigung des RP. Die Spar­ kassen dürfen höchstens 50% ihresGesamteinlagenbestandes in Gemeindedarlehen anlegen, und zwar hiervon bis Ende 1928 30%, nach dieser Zeit 25% in Darlehen des Garantieverbandes. Erl. vom 5. 11. 1902 (MBl. 190), 30. 11.1920 (MBl. 409), 28. 12. 1925 (MBl. 1926, 13). IV. Wegen der besonderen, die Aufnahme von Auslandskrediten betreffenden Vorschriften s. Auslandskredite (Beratungsstelle für). Mit Rücksicht auf diese Vorschriften sind die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Vermei­ dung von Umgehungen angewiesen, bei Begebung von Inlandsanleihen mit den übernehmenden Stellen zu vereinbaren, daß die Begebung auf das Inland beschränkt bleibt (Erl. vom 12. 11. 1926, MBl. 996). V. Die Schuldverschreibungen der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie ihrer Kreditan­ stalten sind, sofern sie von selten des Gläubigers kündbar sind oder einer regelmäßigen Tilgung unterliegen, nach § 1807 BGB., Bck. vom 7. 7. 1901 (RGBl. 263). zur Anlegung von Mün­ delgeldern geeignet. Wegen der durch Gold­ klausel gesicherten Schuldverschreibungen s. G. vom 29. 10. 1927 (RGBl. I 325). Nach § 26 KapBerkStG. (s. d.) sind die Schuldverschrei­ bungen der Gemeinden und Gemeindeverbände wertpapiersteuerfrei. v. B. Anlieger. I. Anliegerverpflichtung en und -rechte in bezug auf den Wegebau. Unter primitiveren Verhältnissen des Wegewesens war ehedem vielfach die Tatsache, daß ein Weg ein Grundstück berührte, der einzige Rechtsgrund für die Unterhaltungspflicht des Eigentümers. Mit einem entwickelteren Verkehr ist diese Begründung der Wegebaulast nicht verträglich. Er verlangt bei höheren Anforderungen an den Zustand der Wege leistungsfähige Träger der Wegebaulast. Das sind abgesehen vom Staate im wesentlichen nur die weiteren und engeren Kommunalver­ bände. So ist der A. als öfsentlichrechtlicher Träger der Wegebaulast fast ganz aus der Ge­ setzgebung verschwunden. Vgl. aus neuerer Zeit §§ 14ff. Wo. für Westpreußen vom 27. 9. 1905 (GS. 357) und §§ 13ff. Wo. für Posen vom 15. 7. 1907 (GS. 243) in Verb, mit § 5 des Wegereglements für Westpreußen und die Netze­ distrikte vom 4. 5. 1796. Ebenso in Sachsen, s§ 15, 16 Wo. vom 11. 7. 1891 (GS. 316) und

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Anliegerbeiträge bei städtischen Straßen — Anschläge und Anschlagzettel (Plakate)

Haft bis zu drei Tagen bestraft, wer, abgesehen von den Fällen des § 368 Ziff. 9 StGB-, un­ befugt über Grundstücke reitet, karrt, fährt, Vieh treibt oder über Acker, deren Bestellung vorbe­ reitet oder in Angriff genommen ist, geht. Der Zuwiderhandelnde bleibt straflos, wenn er durch die schlechte Beschaffenheit eines an dem Grund­ stück vorüberführenden und zum gemeinen Ge­ brauch bestimmten Wegs oder ein anderes auf dem Wege befindliches Hindernis zu der Über­ tretung genötigt worden ist. Mit anderen Worten, er erhält unter den obigen Voraussetzungen die Befugnis zur straflosen Benutzung der angrenzen­ den Grundstücke. Die gleiche Befugnis gewährt § 4 des schles. Wegereglements vom 11. 1. 1797 für den Fall, daß Landstraßen nicht in vorgeschrie­ bener Breite hergestellt oder unterhalten waren (s. Anlieger). Ebenso implizite Nr. 16 des Pomm. Wegereglements vom 25. 6. 1752 und für Posten, Extraposten, Kuriere und Estafetten § 17 des ReichspostG. vom 28. 10. 1871 (RGBl. 347). Im letzteren Falle ist dem Eigentümer An­ spruch auf Schadensersatz ausdrücklich Vorbehal­ ten, aber auch sonst dürfte er in der Lage sein, sich an den Wegebaupflichtigen zu halten; vgl. Ger­ mershausen, Wegerecht (3) 1, 208. Wer A. ist, ist Tatfrage. Als solcher gilt ins­ besondere auch ein Grundstücksbesitzer, dessen Grundstück durch einen Graben, eine Böschung oder einen sonstigen zum Wege gehörigen Land­ streifen, welcher kein selbständiges Grundstück bildet (PrVBl. 12, 616) vom Wege getrennt ist, sofern er von seinem Grundstück auf den Weg einen Ausgang hat (PrVBl. 26, 13; 27, 176). Es kommt nur darauf an, daß man von seinem Grundstück ohne Benutzung eines fremden auf den Weg gelangen kann (OVG. 73, 352). Diesen genannten Verpflichtungen stehen beson­ dere Rechte derA. nur in beschränktem Umfange gegenüber. Ihr Recht auf den Gemeinge­ brau ch der öffentlichen Wege ist kein anderes als das des Publikums überhaupt (OVG. 32,213 sowie 39, 230) mit dem selbstverständlichen, wege­ polizeilich zu schützenden Sonderinteresse an der Benutzung des Weges nicht nur zum Durchgangs-, sondern auch zum Anwohnerverkehr (OVG. 36, 232). Auch haben die A. kein Recht, nach Be­ lieben Zuwegungen von öffentlichen Wegen nach ihren Grundstücken anzulegen. Sie bedürfen viel­ mehr dazu außer der Genehmigung der Wege­ polizeibehörde der Zustimmung des Wegeeigen­ tümers, und soweit eine Erschwerung der Unter­ haltungslast die Folge ist, auch des Unterhaltungs­ pflichtigen. S. Germershausen 1, 128. Im übrigen stehen ihnen nur an den Bürgersteigen gewisse Nutzungsrechte und im Falle der Ver­ änderung von Wegen gewisse Ansprüche zu. In ersterer Beziehung sind sie im Geltungsbereich des ALR. nach §§ 81, 78 I, 8 berechtigt, den Bürgersteig, soweit sie das Steinpflaster zu unterhalten haben, mit der Maßgabe zu nutzen, daß dadurch die Straßen und öffentlichen Plätze nicht verengt, verunreinigt oder sonst ver­ unstaltet werden. Der Umfang des Nutzungs­ rechts kann nach § 82 a. a. O. durch Polv. ge­ ordnet werden. Das Nähere vgl. bei Germers­ hausen 1, 140 ff. Bei Veränderungen der Höhen­ lage öffentlicher Wege können die A. verlangen, daß etwa bestehende nachbarrechtliche Bor-

schriften, insbesondere §§ 907, 909 BGB. und §§ 185—186 I, 8 ALR. beachtet werden. Ge­ schieht dies nicht, so haben sie Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 BGB. Uber die Ansprüche des A. für Schäden, die er durch die Veränderung erleidet, obschon die nachbarrecht­ lichen Vorschriften beachtet sind, haben die Auf­ fassungen in der Wissenschaft und Judikatur ge­ schwankt. Das Nähere vgl. bei Germershausen 1,150ff. und RGZ. 44, 282, wo das Recht des A. auf Entschädigung bei Veränderung öffentlicher städtischer Straßen bejaht wird, sowohl für den Fall der völligen Aufhebung der Verbindung zwischen Straße und Haus, als auch für den Fall ihrer dauernden erheblichen Erschwerung. Schließ­ lich gewähren die neueren Wo. unter gewissen Voraussetzungen dem A. ein Recht auf entbehr­ liche Wegeteile (vgl. die oben zu 6 angeführten Vorschriften). Nicht zu verwechseln mit den wege­ baulichen Verpflichtungen der A. sind die Be­ schränkungen des Grundeigentums im Interesse des Wegebaues. S. Anschußprinzip, Baum­ pflanzungen, Bürgersteige, Fußwege, Kunststraßen, Chausseegräben, Straßen­ herstellungskosten, Wege, öffentliche, V, VII, Wegeteile (entbehrliche), Wasserläufe erster Ordnung, VII. II. Anliegerrechte und -Verpflichtungen in bezug auf die Ufer von Wasserläufen s. Ufer­ recht an Wasserläufen erster Ordnung. I. Anliegerbeiträge bei städtischen Straßen s. Straßenherstellungskosten. Anliegersiedlung s. Kolonisation, innere V. Anmeldeschein, Anmeldestellen s. Waren­ verkehr mit dem Auslande I. Anpflanzungens. Anlandungen, Anlieger, Baumpflanzungen. Anrechnungswerte s. Lehrer an Volks­ schulen 5. Anschaffungsgeschäfte s. Kapitalverkehr­ steuer. Anschläge und Anschlagzettel (Plakate) sind (handschriftlich hergestellte oder mechanisch ver­ vielfältigte Schriftstücke oder Abbildungen), die zum Zwecke der Kenntnisnahme durch das Publikum öffentlich angeschlagen, angeheftet oder sonst ausgestellt werden (vgl. KGJ. 2, 244). Durch Polv. kann ihre Zulässigkeit im Interesse der Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beschränkt werden. Demgemäß dürfen sie von einer besonderen polizeilichen Genehmi­ gung abhängig gemacht werden. A., welche nicht das Interesse des Grundstücks oder seiner Be­ wohner berühren, können durch Polv. ganz ver­ boten und den polizeilich hierfür zugelassenen An­ schlagsäulen oder Anschlagstafeln vorbehalten werden (OVG. 39, 410; KGJ. 26 0 19; OVG. vom 12. 5. 1908, abgedr. im PrVBl. 30, 71). Diese Regelung durch Polv. kann sich auch auf Plakate erstrecken, die nicht an der öffentlichen Straße angebracht, aber von ihr aus sichtbar sind (KG. vom 29. 12. 1902, KGJ. 25 0 65; OVG. 39, 413 und OVG. im PrVBl. 30, 24). Durch Polv. den Besitzern von Grundstücken gestattete A., welche „lediglich ihr eigenes Interesse be­ treffen", sind nur solche, welche eine Beziehung zu dem Grundstücke haben, aber nicht alle A., welche irgendeinem Interesse des Eigentümers oder des Mieters des Grundstücks entsprechen

Anschließung an Rechtsbehelfe (Adhäsion) — Ansiedlung

vom 12. 7. 1901 (PrVBl. 24, 119) ist das A. in Hannover durch das KAG. nicht beseitigt worden. Ebenso gilt in den zum ehemaligen Herzogtum Berg gehörigen Teilen der Rhein­ provinz auf Grund der Polizeiverordnung vom 10. 10. 1554 das A. noch heute bezüglich der Vgl. Ebner, Das Anschlagwesen in Preußen, PrV- sog. Nachbarwege als Grundlast der anschießen­ Bl. 30, 365. den Grundstücke, ergänzt durch eine subsidiäre Anschlietzung an Rechttzbehelse (Adhäsion). Wegebaupflicht der Gemeinde im Falle des Un­ An sich kann ein Rechtsbehelf für denjenigen, vermögens der angrenzenden Grundbesitzer. Vgl. I. der von ihm Gebrauch gemacht hat, nur einen Ecker, Rheinisches Wegerecht, 529. Ansiedlung. I. Allgemeines. Die preußische Vorteil schaffen oder erfolglos bleiben, nicht aber ihn, abgesehen von einer Belastung mit Kosten, Gesetzgebung hat schon bisher das Recht auf An­ schlechter stellen. Eine Beschränkung dieses Grund­ siedlung anerkannt und die Ansiedlungsfreiheit satzes tritt jedoch ein, wenn und soweit es dem nur soweit beschränkt, als es die Wahrung be­ Gegner gestattet ist, sich ohne Anbringung eines rechtigter privater oder öffentlicher Interessen er­ eigenen Rechtsbehelfs dem bereits angebrachten forderte. In der neuesten Gesetzgebung tritt da­ Rechtsbehelf anzuschließen. Eine solche A. ist neben das Bestreben hervor, eine planmäßige nicht an die Frist für einen eigenen Rechtsbehelf landwirtschaftliche Ansiedlung zu fördern. Die gebunden. Sie ist aber von dem Rechtsbehelse, Vermehrung der ansässigen landwirtschaftlichen dem gegenüber sie erfolgt ist, in der Weise ab­ Bevölkerung wird immer mehr als Staatsaufgabe hängig, daß sie ihre Kraft verliert, wenn dieser erkannt. Wenn auch die Gründung einer neuen Rechtsbehelf unzulässig ist ober zurückgenommen Wohnstätte im Einzelfalle lediglich Privatsache ist, wird, sie müßte denn zu einer Zeit stattgefunden so liegt es im öffentlichen Interesse, die Schaffung haben, als der sich Anschließende noch selbst den von Kolonien unter die Aussicht der staatlichen Rechtsbehelf anbringen konnte. In diesem Falle Behörden oder in die Hand der vom Staate ins wird der Anschluhrechtsbehelf als ein selbständiger Leben gerufenen Siedlungsorganisationen zu Rechtsbehelf behandelt. Wesentliche Voraus­ bringen. Zur Behebung dringender Wohnungs­ setzung ist stets, daß es ein Gegner ist, an dessen not kann sogar zwecks Durchführung von Bau- und Rechtsbehelf die A. erfolgt, nicht ein Streit­ Siedlungsvorhaben der Bezirkswohnungskom­ genosse. — Im Disziplinarverfahren nach dem missar von den landesgesetzlichen Vorschriften G. vom 21. 7. 1852 (GS. 485) und in den Streit­ über die Ansiedlung befreien (§ 7 der V. vom sachen der FürsB. gibt es keine A. an die Be­ 9. 12. 1919, RGBl. 1968). Hierbei handelt es rufung der Gegenpartei. Ebenso findet sie nicht sich um reine Wohnsiedlungen innerhalb oder an die Klage im VwStr. nach dem LBG. und im Anschluß an bestehende Ortschaften, im Gegen­ an den Antrag auf mündliche Verhandlung im satz zu ländlichen Siedlungen. Nach der preußi­ VwStr. statt (OVG. 53, 184), wohl aber an die schen Gesetzgebung bedarf grundsätzlich jede An­ Berufung (s. Berufung) und die Revision siedlung — Errichtung eines Wohnhauses oder (s. Revision); ob auch an eine Beschwerde, ist Einrichtung eines vorhandenen Gebäudes zum zweifelhaft. Ihre Zulässigkeit an die Beschwerde Wohnhause außerhalb einer im Zusammenhang im Beschlußverfahren ist anerkannt (s. Be­ gebauten Ortschaft — der Erteilung einer be­ schwerde). Vgl. auch Rechtsmittel. Je. sonderen Genehmigung. Anschlußbahnen s. Privatanschlußbahnen. II. Die gesetzliche Regelung unterscheidet Anschutzprinzip. Unter A. — nicht Anschluß­ Ansiedlungen, die in Ausführung des § 1 des prinzip, wie es infolge eines Druckfehlers in Reichssiedlungsgesetzes (RSG.) vom 11. 8. 1919 § 19, 2 Wo. für Sachsen vom 11. 7. 1891, von den gemeinnützigen provinziellen Siedlungs­ GS. 316 heißt — wird die Verteilung der Wege­ gesellschaften oder unter Mitwirkung der Landes­ baulast unter die einzelnen Verpflichteten inner­ kulturbehörden geschaffen werden, und andere halb der Gemeinde nach örtlich begrenzten Wege­ Ansiedlungen. Für erstere gilt das G. vom strecken verstanden. Auch Pfandwirtschaft ge­ 1. 3. 1923 über die Genehmigung von Siedlungen nannt. Vgl. §§ 24, 45, 29 des WegeG. vom nach § 1 RSG. (GS. 49), dazu AusfAnw. vom 28. 7. 1851 (Hann. GS. 141); OVG. 25 S. 101, 12. 4. 1923. Für letztere ist die ältere Gesetz­ 106; ferner OVG. vom 15. 5. 1888 (PrBBl. gebung in Kraft geblieben, und zwar gilt in den 10, 21) und vom 3. 1. 1893 (PrVBl. 14, 296). Provinzen Ostpreußen, Brandenburg, Pommern, Mit einer zweckmäßigen Wegeunterhaltung un­ Grenzmark Posen-Westpreußen, Niederschlesien, vereinbar wird sie von mehreren modernen Wege­ Oberschlesien, Sachsen und Westfalen Abschn. II gesetzen ausdrücklich verboten. § 19 Wo. für des G. vom 25. 8. 1876 in der Fassung des G. Sachsen, § 17, 2 Wo. für Westpreußen und vom 10. 8.1904, dazu AusfAnw. vom 28. 12.1904 § 17 Wo. für Posen. Eine entsprechende Vorschrift (GS. 1904,227). Es ist durch G. vom 18. 12.1923 ist in die Wo. für Ostpreußen nicht übergegangen (GS. 555) auch auf die Rheinprovinz, wo früher mit Rücksicht insbesondere auf die im PrVBl. keine gesetzliche Regelung bestand, ausgedehnt 23, 118 abgedruckte Entscheidung des OVG. vom worden. In Hannover gilt das G. vom 4. 7. 1887 15. 5. 1901, wonach sie neben dem KAG. vom (GS. 324), in Hessen-Nassau das G. vom 11. 6. 14. 7. 1893 (GS. 125) nicht nötig sei. Eine beson­ 1888 (GS. 173), in Schleswig-Holstein (außer dere Stellung wird den öffentlichen Fußwegen Kreis Herzogtum Lauenburg) das G. vom 13. 6. neben Fahrstraßen in ländlichen Ortschaften und 1888 (GS. 243) und im Kreise Herzogtum Lauen­ Bürgersteigen eingeräumt. Vgl. außer den voran­ burg das G. vom 14.11.1874 (offizielles Wochen­ geführten Stellen § 16 Wo. für Ostpreußen. Nach blatt S. 291). Das G. vom 1. 3. 1923 gilt nicht OVG. vom 14. 12. 1900 (PrVBl. 24, 39) und für das Gebiet der Stadt Berlin (§ 21 des G. 5*

(OVG. in der „Selbstverwaltung" 36, 320). — Eine weitere polizeiliche Beschränkung der A. ist durch § 3 des G. gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Ge­ genden vom 16.7. 1907 (GS. 260) zugelassen wor­ den. Näheres s. dieserhalb Verunstaltung. Hg.

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Ansiedlung

vom 1. 3. 1923); für diese ist vielmehr das G. vom 25. 8. 1876 in Kraft geblieben (Entsch. des OVG. vom 21. 10. 1926 in Sachen Stadt Berlin gegen städtische Baupolizei). Unter das G. vom 1. 3. 1923 und den § 1 RSG. fallen grundsätzlich nur landwirtschaftliche oder überwiegend land­ wirtschaftlichen Interessen dienende Siedlungen, nicht dagegen geschlossene industrielle Siedlungen auf dem Lande. Bei Stellen über zwei Morgen Größe wird in der Regel der landwirtschaftliche Charakter überwiegen. Bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit zwischen den Behörden der all­ gemeinen Landesverwaltung und den Landes­ kulturbehörden entscheiden die zuständigen Mi­ nister. In materiellrechtlicher Hinsicht stimmen das G. vom 1. 3.1923 und das G. vom 10. 8. 1904 sowie die anderen erwähnten G. im allgemeinen überein. Die folgende Darstellung kann daher die Gesetzesvorschriften gemeinsam behandeln. III. Erfordernis der Ansiedlungsgeneh­ migung. Es bedarf der Ansiedlungsgenehmi­ gung, um außerhalb einer im Zusammenhänge gebauten Ortschaft ein Wohnhaus zu errichten oder ein vorhandenes Gebäude zum Wohnhaus einzurichten (§ 13 Abs. 1 G. von 1904; § 2 G. von 1923). Nicht erforderlich ist sie für Wohnhäuser, die in den Grenzen eines nach dem G. vom 2. 7. 1875 festgestellten Bebauungsplanes oder auf einem bereits bebauten Grundstücke im Zusammenhänge mit bewohnten Gebäuden er­ richtet oder eingerichtet werden sollen (§ 13 Abs. 2 G. von 1904, § 3 G. von 1923). Vgl. hierzu OBG. vom 11. 4. 1907, MBl. 1907, 172). Die zu § 13 des G. von 1904 und den übereinstimmen­ den Paragraphen des G. von 1876 ergangene reichhaltige Judikatur des OBG. bleibt auch für die Auslegung des G. von 1923 anwendbar. Die Ansiedlungsgenehmigung ist ferner auch inner­ halb einer im Zusammenhänge gebauten Ort­ schaft und in den Grenzen eines festgestellten Bebauungsplanes erforderlich, wenn infolge oder zum Zwecke der Umwandlung eines Landgutes oder eines Teiles davon in mehrere ländliche Stellen ein Wohnhaus errichtet oder eingerichtet werden soll (§ 13a G. von 1904; §4G. von 1923). Auch nur zwei ländliche Stellen sind mehrere im Sinne dieser Vorschrift. Vor Erteilung der Ansiedlungsgenehmigung darf die polizeiliche Bauerlaubnis nicht erteilt werden (§ 2 Abs. 2 G. von 1923). Wer vorher mit einer Ansiedlung beginnt, macht sich strafbar, auch kann die Weiter­ führung der Ansiedlung von der Ortsbehörde ver­ hindert und das Begonnene beseitigt werden (§ 20 G. von 1904; § 14 G. von 1923). 2. Antragsteller ist der Siedlungsunter­ nehmer (§ 2 Abs. 2 G. von 1923). Die dem Sied­ lungsunternehmer (z. B. provinzielle Siedlungs­ gesellschaft oder selbstsiedelnder Gutsbesitzer) er­ teilte Ansiedlungsgenehmigung wirkt zugunsten der einzelnen Siedler, wenn sie nach dem ge­ nehmigten Plane bauen. Es ist andererseits nicht unbedingt erforderlich, daß der Antrag­ steller Eigentümer des Grundstücks ist (OVG. 44, 410), doch sind vorgeschobene Personen nicht antragsberechtigt, die ihnen erteilte Genehmigung wirkt nicht zugunsten anderer (OVG. 50, 223). 3. Versagungsgründe. Die Ansiedlungs­ genehmigung muß versagt werden, wenn die Zugänglichkeit der Ansiedlung durch einen jeder­

zeit offenen, regelmäßig fahrbaren Weg nicht ge­ sichert, in Moorgegenden auch, wenn die Ent­ wässerung des Bodens nicht geregelt ist (§ 14 Ges. von 1904; § 6 G. von 1923). Die Ver­ sagungsgründe im Interesse der Förderung des Deutschtums in Westpreußen, Posen, Ostpreußen, Schlesien und RegBez. Frankfurt a. d. O., Stettin und Köslin (§ 13b G. von 1904) sind fortgefallen (V. vom 6. 12. 1918, GS. 194). Die Ansiedlungsgenehmigung kann versagt werden auf Einspruch benachbarter Interessenten oder Gemeinde- (Guts-) Vorsteher, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Ansiedlung den Schutz der Nutzungen benachbarter Grund­ stücke aus der Land- oder Forstwirtschaft, dem Gartenbau, der Jagd oder der Fischerei gefährden (§ 15 G. von 1904; § 6 von 1923) oder ge­ wisse bergbauliche Belange benachteiligen werde (§ 15a G. von 1904; §7 0). von 1923). Im Falle der Versagung auf Einspruch der bergbaulichen Interessenten ist der Grundstückseigentümer zu entschädigen (§ 19 G. von 1904; § 16 G. von 1923). 4. Auflagen im öffentlichen Interesse. Die Genehmigungsbehörde hat in dem Ansiedlungsbescheide sestzusetzen oder einem besonderen Bescheide vorzubehalten, ob und in welchem Maße der Antragsteller zu den Leistungen oder zu den Kosten beizutragen hat, die durch die Änderung oder Neuordnung der Gemeinde-, Schul- und Kirchenverhältnisse sowie für Anlagen im öffentlichen Interesse erforderlich werden. Die Ansiedlungsgenehmigung kann von dem Nach­ weise der Erfüllung der auferlegten Leistung oder Sicherheitsbestellung abhängig gemacht werden. Macht der Antragsteller von der Ansiedlungs­ genehmigung Gebrauch, so ist er zu den Leistungen verpflichtet (§§ 17 u. 17a G. von 1904; § 12 G. von 1923). Ob und wie eine Änderung oder Neuordnung der öffentlichen Verhältnisse infolge der Siedlung zu erfolgen hat, ist den ordentlichen dafür zuständigen Behörden Vorbehalten. Die Ansiedlungsgenehmigungsbehörde hat nur den Beitrag des Siedlungsunternehmers zu dieser Neuordnung usw. festzusetzen (Ausführungs­ anweisung 1904 zu Art. I § 17; Ziff. VI AusfAnw. von 1923). Dabei ist zu beachten, daß zu hohe Anforderungen geeignet sind, jede Ansied­ lungstätigkeit zu unterbinden (§ 17 Abs. 3 Art. I AussAnw. von 1904; Ziff. VI AusfAnw. von 1923), daß auch in dem arm gewordenen Staate alle beteiligten Personen, Verbände und Be­ hörden sich auf das unbedingt Notwendige be­ schränken müssen. Um den aus zu hohen Anforde­ rungen entstandenen Hemmungen der Siedlung zu begegnen, hat der § 12 des G. von 1923 für die Festsetzung des Beitrags des Siedlungsunter­ nehmers bestimmte Anweisungen gegeben. Es sind die Nachteile und Vorteile zu berücksichtigen, die den beteiligten öffentlichen Verbänden aus der Siedlung entstehen; es dürfen in der Regel nur einmalige Leistungen zur erstmaligen Ein­ richtung auserlegt werden. Die Hingabe von Ab­ findungskapitalien für laufende Ausgaben soll in der Regel nicht stattfinden. Nach dem G. von 1923 gewährt der Staat zur Entlastung des An­ tragstellers Beihilfen bis zu 50% der Gesamt­ kosten für die Neuordnung der öffentlichrechtlichen Verhältnisse und der Anlagen im öffentlichen In­ teresse (§ 12 Ziff. 4 G. von 1923).

Ansiedlung

5. Behörden und Verfahren. Diese sind nach den G. von 1904 und 1923 verschieden. a) Ansiedlungsgenehmigungsbehörde nach dem G. von 1904 ist der Kreisausschuß (in Stadt­ kreisen die OPB.). Er hat von dem Ansiedlungs­ antrag die beteiligten Gemeinde- (Guts-) Vor­ steher in Kenntnis zu setzen. Diese haben zu prüfen, ob für sie Anlaß vorliegt, Einspruch zu erheben (s. oben Ziff. 3 Satz 3). Sie haben ferner den Antrag ortsüblich bekannt zu machen mit dem Bemerken, daß von den Eigentümern der benachbarten Grundstücke innerhalb 21 Tagen Einspruch erhoben werden kann. Geht Bergbau unter dem zu besiedelnden Grundstück oder in dessen Nähe um, so ist der Bergrevierbeamte in Kenntnis zu setzen behufs Benachrichtigung ein­ spruchsberechtigter Bergwerksbesitzer. Ist anzu­ nehmen, daß infolge der Ansiedlung eine Ände­ rung oder Neuordnung der Gemeinde-, Kirchenund Schulverhältnisse erforderlich wird, so sind die beteiligten Gemeinde- (Guts-)Vorsteher, Kir­ chen- und Schulvorsteher von dem Anträge in Kenntnis zu setzen mit dem Eröffnen, daß sie innerhalb 21 Tagen die Festsetzung besonderer Leistungen des Antragstellers beantragen können (§§ 16 u. 17 G. von 1904). Die Genehmigungs­ behörde hat übrigens auch von Amts wegen die Interessen dieser Verbände wahrzunehmen und ist an deren Anträge nicht gebunden. Wird die Ansiedlungsgenehmigung versagt oder nicht schlechthin erteilt, oder werden Einsprüche aus §§ 15, 15a u. 16 zurückgewiesen, so ist der mit Gründen versehene Bescheid den Beteiligten zu eröffnen. Dagegen ist binnen zwei Wochen Anstrag auf mündliche Verhandlung im VwStr. (gegen den- Bescheid der OPB. in Stadtkreisen beim BezA.) zulässig. Insoweit der Bescheid Fest­ setzungen besonderer Leistungen des Antragstellers nach §§ 17 u. 17 a enthält, ist die Beschwerde an den BezA. und von da an den Provinzialrat ge­ geben. Die Beschwerde steht auch dem Vor­ sitzenden des KrA. zu (§ 18). Im Bezirke des Ruhrkohlensiedlungsverbandes sind die Befug­ nisse des KrA. aus den Siedlungsverband über­ gegangen (G. vom 5. 5. 1920). b) Nach dem G. vom 1. 3. 1923 ist Genehmi­ gungsbehörde die Landeskullurbehörde, und zwar in den ganz einfach liegenden Sachen der örtlich zuständige Kulturamtsvorsteher (§ 10), im übrigen der Landeskulturamtspräjident nach An­ hörung der Spruchkammer (§ 11). In dringen­ den Fällen kann ein vorläufiger Bescheid vor An­ hörung der Spruchkammer ergehen. Alle Ansiedlungsanträge sind beim Kulturamtsvorsteher einzureichen (§ 2 Abs. 2). Dieser hat die be­ teiligten Gemeinde- (Guts-) Vorsteher und, im Falle das zu besiedelnde Gebiet für Bergbau in Frage kommt, auch den Bergrevierbeamten von dem Anträge in Kenntnis zu setzen. Diese ver­ fahren in gleicher Weise wie bei den Anträgen unter a; auch die Änspruchsfristen sind die gleichen. Der Kulturamtsvorsteher hat ferner den Borsitzenden des KrA. (in Stadtkreisen Gemeinde­ vorstand) darüber zu hören, ob Änderungen der Gemeinde- und Schulverhältnisse oder Anlagen im öffentlichen Interesse in Frage kommen. Für die kirchlichen Verhältnisse sind die beteiligten kirchlichen Verbände zu hören. Im Bejahungs­ fälle sind die Gemeinde- usw. Vorsteher zu benach­

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richtigen und berechtigt, innerhalb 21 Tagen die Festsetzung besonderer Leistungen zu beantragen. Im Bezirk des Ruhrkohlensiedlungsverbands ist neben dem Vorsitzenden des KrA. der Siedlungs­ verband zu hören. Werden keine Einsprüche er­ hoben und keine Anträge auf Festsetzung beson­ derer Leistungen gestellt, kommen solche auch bei pflichtmäßiger amtlicher Prüfung nicht in Frage, so hat der Kuliuramtsvorsteher über den An­ siedlungsantrag zu entscheiden. Der Bescheid ist dem Antragsteller und dem Vorsitzenden des KrA. (in Stadtkreisen dem Gemeindevorstand) schrift­ lich zuzustellen. Ablehnende Bescheide müssen mit Gründen versehen sein. Alle anderen An­ träge sind mit Unterlagen dem Präsidenten des Landeskulturamts zur Entscheidung ein­ zureichen. Zur Erörterung etwaiger streitiger Punkte wird die Anberaumung eines örtlichen Verhandlungstermins empfohlen, zu dem alle Interessenten und die in Frage kommenden Be­ hörden zuzuziehen sind (V Abs. 5 und VI Abs. 1 AusfAnw. von 1923). Der Bescheid des Landes­ kulturamtspräsidenten ist mit Gründen zu ver­ sehen und dem Antragsteller, dem Vorsitzenden des KrA. (in Stadtkreisen Gemeindevorstand) und den beteiligten Gemeinde-, Kirchen- und Schul­ verbänden zuzustellen. Bei Zurückweisung von Einsprüchen auch denen, die Einspruch erhoben haben. Gegen den Bescheid des Kulturamts­ vorstehers (§ 10) steht die Beschwerde an den Landeskulturamtspräsidenten offen, der nach An­ hörung der Spruchkammer endgültig entscheidet (§ 14). Gegen den in erster Instanz ergehenden Bescheid des Landeskulturamtspräsidenten (§§ 11, 12, 13) richtet sich die Beschwerde an das Ober­ landeskulturamt (§ 15). Der Vorsitzende des KrA. (Gemeindevorstand) hat das Beschwerderecht zur Wahrung der öfsentlichrechtlichen Interessen für Gemeinde, Schule, öffentliche Anlagen. Die beteiligten kirchlichen Verbände haben das Be­ schwerderecht zur Wahrung ihrer Interessen (§§ 14, 15). Das Ansiedlungsgenehmigungsver­ fahren ist kostenfrei (§ 17 G. von 1923). Die Kosten der vorgeschriebenen Bekanntmachungen sind solche der örtlichen Polizeiverwaltung (Ziff. IV Abs. 3 AusfAnw. von 1923). Durch das G. vom 1. 3.1923 sind die in Art. III des G. vom 10.8.1904 enthaltenen besonderen Vorschriften betreffend die Ansiedlungen, die durch Rentengutsbildung unter Vermittlung der Generalkommission entstehen, aufgehoben. 6. Die in den Provinzen Hannover, HessenNassau und Schleswig-Holstein an Stelle des G. vom 10. 8. 1904 geltenden G. (s. vorstehend unter I) unterscheiden zwischen Ansiedlung und Kolonie. Genehmigungsbehörde ist für Ansied­ lungen die OPB., in Hessen-Nassau der LR. (in Stadtkreisen die OPB.), für Kolonien der KrA., in Stadtkreisen die OPB. Aber schon für die Einzelansiedlung ist die Genehmigung zu ver­ sagen, wenn und solange die Gemeinde-, Kirchenund Schulverhältnisse der Ansiedlung nicht in einer dem öffentlichen Interesse und den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Weise geordnet sind, eine Vorschrift, die wesentlich schärfer ist, als die in § 17 des G. von 1904. Eine Berücksichtigung der erforderlich werdenden öffentlichen Anlagen findet nur bei der Koloniebildung statt, und zwar derart, daß mit dem Anträge aus Genehmigung ein

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Ansiedlungen in Westpreußen und Posen — Anstand

Plan vorzulegen ist, in welchem diese Anlagen dar­ zulegen, die künftige Unterhaltungspflicht fest­ zustellen und nachzuweisen ist, daß die nötigen Mittel zur ordnungsmäßigen Ausführung und dauernden Unterhaltung vorhanden sind. v. Bo. Petersen, Ansiedlungsgesetz, 2. Auf!., Berlin 1911, Carl Heymanns Verlag; Haack, Gesetz über die Genehmigung von Siedlungen nach § 1 RSG., Berlin 1923, Deutsche L and buchh andlung.

Ansiedlungen in Westpreutzen und Posen. I. Durch das G., betr. die Beförderung deutscher A. in den Prov. Westpreußen und Posen, vom 26. 4.1886 (GS. 131) und spätere ErgänzungsG. wurden der Staatsregierung erhebliche Geld­ mittel zur Verfügung gestellt, um der unter Ver­ drängung der vorhandenen deutschen Elemente sich vollziehenden Ausbreitung der polnischen Nationalität in den beiden genannten Provinzen durch A. deutscher Bauern und Arbeiter entgegen­ zuwirken. Zu diesem Zwecke sollten vom Staate Grundstücke nach dem G. vom 20. 3. 1908 (GS. 29) nötigenfalls im Wege der Enteignung erworben und neue Stellen kleineren und mitt­ leren Umfangs, sei es aus den besonders dazu er­ worbenen, sei es aus sonstigen dem Staate ge­ hörenden Grundstücken, gebildet werden. Auch die Bildung größerer Restgüter war zulässig. Die entstehenden Kosten sowie die Kosten für die erst­ malige Regelung der Gemeinde-, Kirchen- und Schulverhältnisse der neugebildeten Stellen waren aus den zur Verfügung gestellten Mitteln zu be­ streiten (§ 1). Die Stellen konnten den Ansiedlern zu Eigentum gegen Kapital oder Rente oder auch in Zeitpacht überlassen werden. Die Regel bil­ dete die Überlassung zu Eigentum gegen Rente (Rentengüter). Um dem Staate einen dauernden Einfluß auf die von ihm gebildeten Ansiedler­ stellen zu sichern, wurde in der Praxis regel­ mäßig vereinbart, daß der zehnte Teil der Rente ohne Zustimmung des Staates nicht ab gelöst werden durste. Ferner wurde stets auf Grund des Art. 29 AG. z. BGB. zugunsten des Staates ein Wiederkaufsrecht ausbedungen. Soweit die Stellen zu Eigentum ausgegeben wurden, fand auf sie das G., betr. das Anerbenrecht bei Rentenund Ansiedlungsgütern, vom 8. 6.1896 (GS. 124) Anwendung (s. Anerbenrecht IVa). Durch das G. vom 20. 3. 1908 (Art. 1 Zifs. 4) wurde der Staatsregierung ein weiterer Betrag von 50 Mill. RM zur Verfügung gestellt, um größere Güter mit der Bestimmung zu erwerben, sie im ganzen oder geteilt als Rentengüter wieder zu veräußern. Hiervon wurde namentlich Gebrauch gemacht zwecks Besitzstandsbefestigung von Gütern, die sich in sicherer deutscher Hand be­ finden. Das geschah in der Weise, daß die aus den Gütern hastenden hochverzinslichen Privat­ hypotheken mit dem dem Veräußerer vom Staate zu zahlenden Kaufpreis unter Vermittlung der deutschen Bauernbank in Danzig oder der Mittel­ standskasse in Posen abgelöst werden und das Gut alsdann dem früheren Eigentümer als Rentengut gegen eine billige Rente wieder über­ lassen wurde, wogegen dieser sein Gut allerdings dem Anerbenrecht und dem Wiederkaufsrechte des Staates (s. oben), in der Regel auch einer Verschuldungsgrenze (s. Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes) unterwerfen mußte. II. Zur Ausführung des AnsiedlungsG. wurde ursprünglich durch B. vom 21. 6. 1886 (GS. 159),

an deren Stelle die B. vom 29. 9.1908 (GS. 195) trat, eine besondere Kommission eingesetzt, die die Benennung „Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen" führte und ihren Sitz in der Stadt Posen hatte (§§ 1, 3). Sie bestand aus dem OP. von Westpreußen und Posen und den vom König auf je drei Jahre er­ nannten sonstigen Mitgliedern, von denen zwei auf Vorschlag der Landwirtschaftskammern für die Prov. Posen und Westpreußen zu berufen waren, die zu diesem Zwecke je eine mindestens drei Personen enthaltende Vorschlagsliste aufzu­ stellen hatten. Der Vorsitzende und dessen Stellvertteter wurden aus der Zahl der Mitglieder vom König ernannt. Nachdem schon durch B. vom 12. 3. 1919 (GS. 51) die die Enteignung er­ möglichenden Vorschriften des G. vom 20. 3. 1908 aufgehoben waren, wurde, als Preußen durch den Versailler Friedensverttag die Prov. Westpreußen und Posen verloren hatte, durch G. vom 10. 3. 1924 (GS. 126) auch die Ansiedlungskommission selbst aufgehoben. Ihr Geschäftskreis und die Rechte und Pflichten des Präsidenten gingen vom 1. 4.1924 über: soweit es sich um die Verwaltung, Besiedlung und Beaufsichtigung der Ansiedlungs­ grundstücke und Ansiedlerstellen handelt, auf den örtlich zuständigen Landeskulturamtspräsidenten, der mit der Bearbeitung der ihm obliegenden Ge­ schäfte die ihm unterstellten Kulturamtsvorsteher beauftragen kann; soweit es sich um die Regelung der Versorgungsgebührnisse usw. der Ruhegehalts­ empfänger und ihrer Hinterbliebenen handelt, auf die Reg. und die Bau- und Finanzdirektion in Berlin, im übrigen auf den Präsidenten und die Kasse der Bau- und Finanzdirektion in Berlin. Nach Erl. des MfL. vom 11. 5. 1926 (MBlMsL. 290) ist mit der Bearbeitung der Angelegen­ heiten der früheren Ansiedlungskommission, so­ weit sie auf den Landeskulturamtspräsidenten in Frankfurt a. d. O. übergegangen sind, vom I. 6. 1926 der Vorsteher des Kulturamts Grenz­ mark in Schneidemühl beauftragt. Pr. „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit 1886—1906", Drucks. Abg.-Haus 1907 Nr. 501; Belgard, Parzellierung und innere Kolonisation in den sechs östlichen Provinzen Preußens 1875—1906 (namentlich der 5. Teil S. 296ff.).

Anstaltsforsten s. Gemeinde- und Anstalts­ forsten.

Anstaltsfürsorge. Die Bewahrung, Kur und Pflege anstaltspflegebedürftiger Geisteskranker, Idioten, Epileptischer, Taubstummer,Blinder und Krüppel in geeigneten Anstalten, die als sog. außerordentliche Armenpflege nach § 31 des preuß. AG. z. UWG. in der Fassung des G. vom II. 7. 1891 und des G., betr. die öffentliche Krüppelfürsorge, vom 6. 5. 1920 den Land­ armenverbänden oblag, ist auch jetzt — zufolge §§ 6—9 der AusfV. (zur FV.) vom 17. 4. 1924 (GS. 210) — Aufgabe und Pflicht der Landes­ fürsorgeverbände (s. Fürsorge, öffentliche III c). Sie erfolgt teils in eigenen, für diese Zwecke errichteten Provinzialanstalten, teils durch Unterbringung in Privatanstalten auf Kosten des Fürsorgeträgers. Die Pflicht des Landesfür­ sorgeverbandes zur Aufnahme besteht von dem Zeitpunkte ab, in welchem ihre gesetzlichen Vor­ aussetzungen tatsächlich vorliegen (BAH. 30, 144). v. G. Anstand (Einrichtungen zur Erhaltung des A.). Die Unternehmer gewerblicher Be-

Ansteckende Blutarmut — Ansteckende Lymphgefäßentzündung der Pferde

triebe find verpflichtet, diejenigen Einrichtungen treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter im Be­ triebe zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des A. zu sichern. Insbesondere muß, soweit es die Na­ tur des Betriebs zuläßt, bei der Arbeit die Tren­ nung der Geschlechter durchgeführt werden, so­ fern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des A. durch die Einrichtungen ohnehin ge­ sichert ist (§ 120b GewO.). Die Unternehmer können hierzu durch polizeiliche Verfügungen an­ gehalten werden (s. Gewerbliche Anlagen V 2). In den Vorschriften, betr. den Betrieb von Anlagen zur Herstellung von Präservativs ist im Interesse der Sittlichkeit eine getrennte Be­ schäftigung der Geschlechter vorgeschrieben (s. Gummiwaren). Nach § 62 Abs. 1 HGB. ist der Prinzipal ver­ pflichtet, die Geschäftsräume und die für den Ge­ schäftsbetrieb bestimmten Vorrichtungen und Ge­ rätschaften so einzurichten und zu unterhalten, auch den Geschäftsbetrieb und die Arbeitszeit so zu regeln, daß der Handlungsgehilfe gegen eine Gefährdung seiner Gesundheit, soweit die Natur des Betriebes es gestattet, geschützt und die Auf­ rechterhaltung der guten Sitten und des A. ge­ sichert ist. Zur Erfüllung dieser Verpflichtungen kann er nach § 139g GewO, durch die Polizei­ behörde angehalten werden. S. auch Offene Verkaufsstellen. Die Aufsicht der Bergbehörden erstreckt sich auf die Aufrechterhaltung des A. und der guten Sitten in Bergwerken, Aufbereitungsanstalten und Salinen. Die Oberbergämter können hier­ über Polv. erlassen und der Revierbeamte kann in dringenden Fällen polizeiliche Anordnungen treffen (§§ 196ff. BergG. vom 24. 6. 1865, GS. 705, in der Fassung des G. vom 24.6.1892, GS. 131). F. H. Ansteckende Blutarmut (infektiöse Anämie) der Pferde. Die a. B. ist während des Welt­ krieges unter den Pferden des West- und Ost­ heeres ausgebrochen und in die Pferdebestände der Zivilbevölkerung Deutschlands eingeschleppt worden, unter denen sie zeitweise starke Verluste verursacht hat. Der Ansteckungsstoff ist unbekannt; er befindet sich im Blut und wird durch den Urin sowie den Kot aus dem Tierkörper ausgeschieden; im Speichel und Schweiß ist er nicht enthalten. Deshalb erfolgt die Verschleppung nicht unmittel­ bar von Tier zu Tier, sondern durch Zwischen­ träger, namentlich auf Weiden mit hohem Grund­ wasserstand, wo der ansteckende Harn nicht schnell versickert, sondern lange an der Bodenoberfläche verbleiben und mit dem Grase ausgenommen werden kann, ferner in Ställen mit unhygienischen Verhältnissen, bei denen die Möglichkeit besteht, daß gesunde Pferde Futter oder Wasser auf­ nehmen, das durch den Harn eines kranken Tieres verunreinigt ist. Auch durch blutige Operationen kann die Krankheit übertragen werden. Bei Weidepferden kann sie rasch eine starke Ausbrei­ tung erfahren. Der Ansteckungsstoff widersteht der Austrocknung und der Fäulnis (in Dünger­ jauche) monatelang. Außer dem Pferde sind auch die übrigen Einhufer (Esel, Maultiere, Maul­ esel) sür die Krankheit empfänglich, ferner soll das Schwein dafür empfänglich sein. — Tiere,

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die den Ansteckungsstoff ausgenommen haben, zeigen die Krankheitserscheinungen erst nach einer Inkubationszeit, die bei künstlicher Ansteckung (durch Verimpfung oder Verfütterung von Blut oder Harn) zwischen 5 und 30 Tagen schwankt, aber auch erheblich längere Zeit betragen kann. Der Krankheitsverlauf ist bald rasch, bald schlei­ chend in Form einer Allgemeinerkcankung mit wesentlicher Beteiligung des Blutes (Zerstörung der roten Blutkörperchen) und der mit der Blut­ bildung im Zusammenhang stehenden Organe (Milz, Lymphknoten, Knochenmark). — Die vete­ rinärpolizeiliche Bekämpfung der Seuche ist durch viehseuchenpolizeiliche Anordnung des MfL. vom 18. 5. 1921 (Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 120) geregelt. Für das Verfahren zur Feststellung der Seuche sind durch Erl. des MfL. vom 23. 12.1925 (MBlMfL. 1926, 15) nähere Bestimmungen ge­ troffen worden. Das Feststellungsverfahren bietet zur Zeit erhebliche Schwierigkeiten. In erster Linie kommt die klinische Beobachtung mit regel­ mäßigen Messungen der Körpertemperaturen in Betracht. Daneben dienen als Hilfsmittel nament­ lich die Blutuntersuchung (s. Rotzkrankheit) in den Staatlichen Veterinäruntersuchungsämtern (s. d.) in Königsberg, Oppeln, Potsdamund Han­ nover-Linden sowie die von diesen Ämtern anzu­ stellenden Kleintierversuche (Tauben, Kaninchen), ferner bei gefallenen oder getöteten Tieren der Zerlegungsbefund und die im Pathologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Berlin aus­ zuführende histologische Untersuchung von Organ­ proben. Von der Einführung der Anzeigepflicht (s. Viehseuchen V) ist mit Rücksicht auf die schwere Erkennbarkeit der Seuche für Preußen abgesehen (sür Württemberg durch Bek. vom 19. 12. 1921, RGBl. 1592, eingeführt). Wegen der für die Viehseuchenstatistik (s. Vieh­ seuchen VII) zu erstattenden Berichte s. Erl. vom 5. 5. 1927 (MBlMfL. 476). — Auf den Menschen ist die a. B. nicht übertragbar. Das Fleisch von Tieren, die an a. B. gelitten haben, ist an sich, sofern nicht andere Gründe eine Be­ anstandung rechtfertigen, genußtauglich ohne Ein­ schränkung. Mit Rücksicht auf die Gefahr der Ver­ schleppung der Seuche durch die dem Fleische anhaftenden Ansteckungskeime ist durch vieh­ seuchenpolizeiliche Anordnung des MfL. vom 4. 12. 1926 (MBlMfL. 584) bestimmt worden, daß das Fleisch von Einhufern, die mit akuten Formen der a. B. behaftet sind, vor jeder Ver­ wertung nach den Vorschriften in § 39 AusfB. A zum FleischbeschauG. (s. Fleischbeschau) zu kochen oder zu dämpfen ist, falls das Fleisch nicht nach § 33 a. a. O. als genußuntauglich zu be­ urteilen ist. — Wegen der Gewährung von Beihilfen für Verluste an a. B. s. Viehseuchen VID. Backh. AnsteckendeLymphgefäßentzündung der Pferde trat während des Weltkrieges zuerst in größerem Umfange unter den Heerespserden aus und wurde in die Pferdebestände der Zivilbevölkerung ein­ geschleppt. Die Krankheit hatte vorübergehend eine stärkere Verbreitung erlangt, ist aber nach den Jahresveterinärberichten der beamteten Tierärzte für 1924 ,fo gut wie erloschen. Nach dem Erl. des MfL. vom 23. 2. 1920 (MBlMfL. 93) sind in Fällen, in denen die a. L. vereinzelt und unter rotzähnlichen Erscheinungen auftritt, die Pferde

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Ansteckendes (seuchenhaftes) Verkalben der Kühe — Anzugsgeld, Einzugsgeld, Eintrittsgeld

zur Sicherung der Diagnose auf Grund des § 12 RViehseuchG. vom 26. 6. 1909 (RGBl. 519) zu töten. In Fällen, in denen die Seuche einwand­ frei festgestellt ist, sind bestimmte Bekämpfungs­ maßnahmen aus Grund des § 79 Abs. 2 a. a. O. anzuordnen (Absonderung kranker und seuchenverdächtiger Tiere, Gehöftwechsel nur mit Erlaubnis des RP., polizeiliche Beobachtung an­ steckungsverdächtiger Tiere und amtstierärztliche Untersuchung in vierwöchentlichen Zwischen­ räumen, Desinfektion der Ställe nach Abheilung der Seuche). Eine Anzeigepflicht (s. Vieh­ seuchen V) besteht nicht. Backh.

Ansteckendes (seuchenhaftes) Berkalben der Kühe (Abortus Bang). Das a. V. der Kühe ist eine Seuche, die in Preußen so weit verbreitet ist und vielfach so schwere wirtschaftliche Schädi­ gungen hervorruft, daß sich die Aufmerksamkeit der Behörde darauf hingelenkt hat. Das Reichs­ gesundheitsamt hat über das Wesen und die Be­ deutung der Krankheit sowie über die zur Be­ kämpfung und Vorbeugung zu ergreifenden Maß­ nahmen ein Merkblatt ausgearbeitet, das in zahl­ reichen Abdrücken unter der landwirtschaftlichen Bevölkerung verbreitet ist (vgl. den Abdruck MBlMfL. 1909, 200). Gegen die Seuche werden Impfungen mit lebenden oder abgelöteten Kul­ turen angewendet. Durch viehseuchenpolizeiliche Anordnung vom 16. 1. 1923 (MBlMfL. 113) ist bestimmt, daß mit lebenden Kulturen nur von Tierärzten und nur in solchen Beständen geimpft werden darf, in denen die Seuche durch besondere Untersuchungen festgestellt ist und in größerem Umfange herrscht. Die Jmpfstofswerke und Ver­ triebsstellen dürfen lebende Kulturen nur an Tier­ ärzte abgeben. Weitere Bekämpfungsvorschriften bestehen zur Zeit nicht. Die Anzeigepflicht (s. Vieh­ seuchen V) ist bisher nicht eingeführt. Backh. AnsteNungsgrundsätze s. Versorgungsanwärter. Anstellung von Lehrern s. Lehrer an mitt­ leren Schulen I 2 (Anstellung); Lehrer an Volksschulen 2 (Anstellung ^Berufung)). Anstreicher. Für Betriebe, in denen Maler-, Anstreicher-, Tüncher-, Weißbinder-- oder Lackierer­ arbeiten ausgeführt werden, hat nach Bek. vom 27. 6. 1905 (RGBl. 555) der BR. auf Grund des § 120e GewO. Vorschriften erlassen. S. dazu Erl. vom 15. 7. 1905 (HMBl. 232) sowie wegen Ausführung von Anstreicherarbeiten in Schiffs­ räumen V. vom 2. 2. 1921 (RGBl. 142). In Werkstätten der Maler und Anstreicher ist nach §§ 4, 12 KinderschutzG. (RGBl. 1903, 113) die Beschäftigung von Kindern verboten. F. H. Antiquare s. Stehender Gewerbebetrieb II. Antisklavereikonvention. Aus der Antisklaverei­ konferenz in Brüssel von 1890, die dazu bestimmt war, im Anschluß an frühere internationale Ver­ einbarungen einheitliche Regeln zur Bekämpfung des afrikanischen Sklavenhandels festzusetzen, ging die „Generalakte der Brüsseler Antisklaverei­ konferenz" hervor (RGBl. 1892, 605ff.). Die Generalakte ist später durch Konventionen vom 8.6. 1899 (RGBl. 1900, 823) und vom 3. 11. 1906 (RGBl. 1908, 5) ergänzt worden. Auf Grund des Versailler Vertrags (Art. 282 Abs. 1) ist Deutsch­ land als Vertragsmacht aus der Generalakte und den dazu gehörigen Ergänzungskonventionen aus­ geschieden (vgl. auch Art. 126 Versailler Vertrag).

Die Generalaktc ist am 10.9.1919 durch die Kon­ vention von St. Germain en Lape (abgedruckt im Recueil desTraites des Völkerbundes 8, 27) ersetzt worden. Nach Art. 11 dieser Konvention sollen die Signatarstaaten bemüht sein, die vollkommene Unterdrückung der Sklaverei zu erreichen. Im Jahre 1922 übernahm der Völkerbund die Rege­ lung der gesamten Sklavenfrage. Unter seinen Auspizien kam am 25. 9.1926 in Genf eine neue Konvention über die Sklaverei zustande, die auch Deutschland unterzeichnet, bis jetzt (Dezember 1927) aber noch nicht ratifiziert hat. Die Kon­ vention — abgedruckt im Journal Officiel des Völkerbundes 1926, S. 1654 — ist gegenwärtig für folgende Staaten in Kraft getreten: Britisches Reich, Australien, Südafrikanische Union, Neusee­ land, Indien, Bulgarien, Dänemark, Lettland, Österreich, Ungarn, Belgien, Spanien, Norwegen, Finnland, Portugal, Haiti, Sudan, Nikaragua, Schweden. Von 21 weiteren Signatarstaaten steht die Ratifikation noch aus. Fro. Antrag auf mündliche Verhandlung. Das VwStr. nach dem LVG. erster Instanz beginnt entweder durch Erhebung einer Klage (8 63 LVG.) oder durch Stellung des A. a. m. V. Dieser A. bewirkt die Überleitung eines bereits anhängigen Beschlußversahrens in das VwStr. (§ 69 LVG.). Außerdem findet der A. a. m. V. noch innerhalb des letzteren als Rechtsbehelf gegen die ohne mündliche Verhandlung erlassenen Vorbescheide (s. Bescheid) statt (§§ 64, 67 LVG.). Form und geschäftliche Behandlung sind in beiden Fällen gleich. Der A. bedarf keiner Begründung, doch muß er im ersteren Falle alles enthalten, was nach § 63 LVG. für den Klagantrag — richtiger: die Klagschrift — erfordert wird, soweit es sich nicht aus den Vorverhandlungen bei der Behörde ergibt (§ 69 Abs. 2). Er kann bis zum Schlüsse der darauf anberaumten mündlichen Verhandhmfl zurückgenommen werden. Im Falle des § 69 ist auf den A. stets die mündliche Verhand­ lung anzuberaumen — ein Vorbescheid ist also selbst dann unzulässig, wenn der A. a. m. V. unzweifelhaft verspätet oder aus anderen Grün­ den formell unzulässig ist — und auf Grund derselben über seine formelle und materielle Zu­ lässigkeit zu entscheiden. Eine Anschließung (s. d.) an den A. a. m. V. ist nicht zulässig (OVG. 53, 184). S. auch Rechtsmittelvcrfahren nach der AO. Je.

Anwärterordnung für Studienassessoren s. Höhere Lehranstalten, Lehrer A IV. Anwerbung von Deutschen für den Militär­ dienst einer ausländischen Macht oder Zuführung von Deutschen zu Werbern einer solchen wird nach § 141 StGB, mit Gefängnis von drei Mo­ naten bis zu drei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. Der neue Entwurf eines StGB, sieht in § 118 Verschärfung der Strafen vor. Bt. Anzeiger (öffentlicher) s. Amtsblätter, Publikationsorgane. Anzugsgeld, EinzugSgeld, Eintrittsgeld war eine Abgabe, die die Gemeinden von den in eine Gemeinde neu Hinzuziehenden erheben konnte. Für Preußen sind die Einzugsgelder und gleich­ artigen Kommunalabgaben durch das G. vom 2. 3. 1867 (GS. 361) aufgehoben worden und sodann durch § 8 des FreizügG. vom 1. 11. 1867

Anzugsgut oder Umzugsgut — Apotheken

(BGBl. 55) für das gesamte Gebiet des Nord­ deutschen Bundes (s. Freizügigkeit). St. AnzugSgut oder Umzugsgut (im Zollverkehr) s. Zoll II 6b 5. Apotheken. I. Die Errichtung und Ver­ legung von A. regelt sich nach Landesrecht (§ 6 Abs. 1 GewO.). 1. In Preußen zeigt das Apo­ thekenrecht mit mehrfachen Schwankungen die Entwicklung vom dinglichen, vererblichen und ver­ äußerlichen Privileg, als selbständiger Gewerbe­ berechtigung zur reinen, an die Person des In­ habers geknüpften, unveräußerlichen und unver­ erblichen Personalkonzession. Das ALR. II, 8 §§ 462,463 behielt das Recht, zur Anlegung neuer A. die Erlaubnis zu geben, dem Staate vor und bestimmte, daß dergleichen Konzessionen nach den Vorschriften der Privilegien zu beurteilen seien. Auch die Rev. Apothekerordnung vom 11. 10. 1801 verlangte noch zur Ausübung der Apotheker­ kunst ein landesherrliches Privileg und bestimmte in § 2, daß die A., welche einmal an einem Orte fundiert sind, sowohl erblich als überhaupt ver­ äußerlich seien, es sei denn, daß sie nur dem Be­ sitzer für seine Person verliehen worden. Diese Regel des vererblichen und veräußerlichen Pri­ vilegs wurde aufgegeben durch das Edikt vom 2.11.1810 (GS. 79), betr. Einführung einer all­ gemeinen Gewerbesteuer, welches für neue A. die persönliche Konzession einsührte (§§ 7,16,17, 21 a. a. O-). Die nach Einführung des Edikts vom 2. 11. 1810 verliehenen Konzessionen sind daher persönliche, indessen wurde den Inhabern auch dieser Konzessionen durch AKabO. vom 9. 12. 1827 die Berechtigung zugestanden, daß ihre Witwen die A. durch einen qualifizierten Pro­ visor verwalten lassen könnten, bis ein großjähri­ ger, qualifizierter Sohn oder Schwiegersohn die A. übernähme (§§ 4, 5 Rev. Apothekerordnung). Die.PrGewO. vom 17.1.1845 ließ diesen Rechts­ zustand unberührt, indem sie im § 54 für die nicht im Besitz eines Realprivilegiums befindlichen Apotheker eine Konzession forderte, die Grund­ sätze über Erteilung der Konzession aber uner­ örtert ließ. Demnächst wurde auf Grund einer nicht veröffentlichten AKabO. vom 5. 10. 1846 durch Reskript vom 21. 10. 1846 (MBl. 209) all­ gemein nachgelassen, daß beim Ausscheiden eines nicht privilegierten Apothekers die Konzession dem von ihm präsentierten Geschäftsnachfolger erteilt werde, sofern dieser vorschriftsmäßig quali­ fiziert sei. Diese Befugnis wurde indessen auf Grund AKabO. vom 7. 7. 1886 durch Erl. vom 21. 7. 1886 (MBl. 900) für neu zu errichtende A. dahin eingeschränkt, daß innerhalb der nächsten zehn Jahre nach der Errichtung der Inhaber ohne besondere Genehmigung der Aufsichtsbehörde nicht zur Präsentation eines Geschäftsnachfolgers berechtigt sein solle. Endlich ist durch AKabO. vom 30. 6.1894 und Erl. vom 5. 7. und 5. 9.1894 (MBl. 119, 146) als ausnahmslose Regel fest­ gestellt, daß neue Konzessionen nur noch als rein persönliche, ohne das Recht zur Präsentation eines Geschäftsnachfolgers verliehen werden dürfen. Damit ist die Entwicklung zur reinen Personal­ konzession abgeschlossen. Der heutige Rechtszustand ist folgender: a) privilegierte A. dürfen frei veräußert wer­ den, und der Erwerber hat nur eine Befähigung zur Betreibung des Apothekergewerbes dem RP.

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nachzuweisen; b) vor der AKabO. vom 30. 6. 1894 konzessionierte A. sind ebenfalls frei ver­ äußerlich. Der Erwerber bedarf zwar einer Kon­ zession durch den RP., doch muß ihm diese erteilt werden, sofern er vorschriftsmäßig qualifiziert ist. Die durch die KabO. vom 7. 7. 1886 eingeführte zehnjährige Beschränkung der Veräußerlichkeit ist gegenstandslos, seit die letzte auf Grund dieser Vorschrift neu errichtete A. älter als zehn Jahre ist; c) bei Erledigung einer nach der KabO. vom 30. 6. 1894 erteilten Konzession ist die Präsentation eines Geschäftsnachfolgers nicht mehr gestattet. Vielmehr wird die Konzession seitens des OP. neu ausgeschrieben und nach Maßgabe des Erl. vom 13. 7. 1840 (MBl. 310) verliehen. Jedoch besteht auch hier das Witwenund Waisenprivileg gemäß § 4 Tit. I der Rev. Apothekerordnung vom 11. 10. 1801. — Neben den erwähnten Vorschriften kommen heute für die Errichtung der A. noch in Betracht die Rev. Apothekerordnung vom 11. 10. 1801 (mit dem Fortfall der Privilegerteilung), die V. vom 24.10. 1811 (GS. 358). Danach darf die Konzession zur Errichtung einer A. nur nach Prüfung des ört­ lichen Bedürfnisses und nur an einen appro­ bierten Apotheker (§ 29 GewO.) erteilt werden. Die Konzession erteilt der OP. laut § 11 Zisf. 4b der Oberpräs.-Jnstr. vom 31.12.1825 (GS. 1826, 1). Der Neuerrichtung steht die Verlegung gleich (Erl. vom 24. 2. 1892, MBl. 190). 2. Die Ver­ waltungspraxis hat die Vorschriften der Rev. Apothekerordnung vom 11. 10. 1801, des Edikts vom 2. 11. 1810, der V. vom 24. 10. 1811 und der hierzu ergangenen Ausführungsvorschriften ohne weiteres auch auf die später erworbenen Landes­ teile angewandt, jedoch ohne ausreichende Rechts­ unterlage (s. KGJ. 7, 225). In diesen bestehen daher noch die alten Vorschriften zu Recht (Kon­ sularische V. vom 25. Termidor XI — über die Apothekenpolizei vom 13. 8. 1803, Kurfürstl. Medizinalverordnung für die Herzogtümer Jü­ lich und Berg vom 8.6.1773, dänische Medizinalund Apothekerordnung vom 4. 12. 1672, Corp. const. Regio-Holsaticarum 1749 S. 767), soweit sie nicht durch §§ 54, 190 der PrGewO. vom 17. 1. 1845 beseitigt sind. In den erst nach Erl. der GewO, mit Preußen vereinigten Fürsten­ tümern Sigmaringen und Hechingen ist die B., betr. Bek. einer allgemeinen Apothekerordnung vom 4. 5.1835 (s. das GVBl. f. d. F. H. 1833—37, 255), im Jadegebiet die V. vom 30. 3. 1832, betr. das collegium medicum (Oldenb. GS. 7, 266) als noch gültig anzusehen. Für die im Jahre 1866 Preußen einverleibten Gebietsteile sind die bei der Einverleibung bestehenden Vorschriften noch in Kraft und durch die V. vom 13. 5. 1867 (GS. 667) unberührt geblieben sind (OVG. 29, 129; 33 S. 357 u. 362). Es gelten danach noch die Hann. V., betr. das Apothekenwesen, vom 19. 12. 1820 (Hann. GS. 1821, 17), die MedizinalO. für das Landgrafentum Hessen vom 1. 6. 1831 (Arch. der landg. Hess. G. 1816—1866, 89), das Herzogs, nassauische Edikt, betr. die Einrich­ tung der Medizinalverwaltung, vom 14. 3. 1818 (Samml. der landesherrl. Edikte 3, 139), die Medizinalordnung für die freie Stadt Frankfurt vom 29. 7.1841 (Samml. der G. der freien Stadt Frankfurt 7, 231), die dänische Medizinal- und Apothekerordnung vom 4. 12. 1672 oder die

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Apotheken

Apothekerordnung für das Königreich Bayern vom 27. 1. 1842 (RegBl. für das Königreich Bayern S. 258). Für die Konzession von A. werden Gebühren nach Maßgabe 4 des Ge­ bührentarifs zur Verwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926 (GS. 327) erhoben. II. Apotheker. Gemäß § 29 GewO, bedarf der Apotheker der staatlichen Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähi­ gung erteilt wird. Letzterer ist geregelt durch die gemäß § 29 Abs. 2 GewO, vom BR. er­ lassene Prüfungsordnung für A. vom 18. 5. 1904 (ZBl. 150, vom 7. 12. 1910, ZBl. 672, vom 24. 7. 1920, RMBl. 1316, 18. 3. und 10. 12. 1921, RMBl. 651 und 968, 3. 4. 1923, RMBl. 281); s. dazu AusfErl. vom 15. 9. 1904 (MMBl. 328 und 334). Danach ist zur Erlangung der Appro­ bation erforderlich: 1. allgemeine wissenschaftliche Vorbildung durch Erlangung des Reifezeugnisses einer neunstufigen höheren Lehranstalt nebst ent­ sprechender Kenntnis des Lateinischen; 2. zwei­ jährige praktische Ausbildung bei einem appro­ bierten A.; 3. Absolvierung der pharmazeutischen Vorprüfung; 4. danach mindestens einjährige praktische Arbeit als Gehilfe eines approbierten A.; 5. mindestens zweijähriges Studium an einer deutschen Universität oder an den technischen Hochschulen zu Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt oder Braunschweig und Ablegung der pharma­ zeutischen Hauptprüfung; 6. endlich zweijähriges weiteres Praktikum als geprüfter Gehilfe bei einem approbierten A. und Zeugnisse des letz­ teren über die erfolgreiche Absolvierung dieses Praktikums. Beim Nachweis dieser Vorbildung wird die Approbation mit Gültigkeit für das Reichsgebiet erteilt von den Zentralbehörden der Länder, welche eine Universität besitzen oder von dem braunschw. StM. Sie kann nur zurückge­ nommen werden (§ 53 GewO.), wenn die Un­ richtigkeit der Nachweise dargetan wird, auf Grund deren sie erlangt ist, oder wenn und solange dem Inhaber die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt werden. Die Zurücknahme erfolgt aus Klage der OPB. im VwStr. (§ 120 ZG.). Auf Grund der Approbation ist der A. zur selbständigen Verwal­ tung einer fremden A. sowie zum Erwerbe einer mit Realprivileg versehenen oder einer mit dem Recht der Prätentation des Nachfolgers aus­ gestatteten A. und, sofern ihm die Konzession für eine Neugründung erteilt wird, zur Errich­ tung einer neuen A. befugt. Ein strafrechtlicher Schutz des Titels A. besteht nicht. Für die Er­ teilung der Approbation wird nach Zisf. 5 des Tarifs zur Verwaltungsgebührenordnung eine Gebühr von 10,30 bis 150 RM erhoben. Über die Befugnis der Polizeibehörde zum Einschreiten gegen mißbräuchliche Führung durch nicht appro­ bierte Personen oder durch Drogenhändler s. OVG. 4, 342; 28, 327; 33, 350, v. 9. 2. 1881 (PrVBl. 2, 214) und vom 10. 9. 1884 PrVBl. 6, 54). III. Der Gewerbebetrieb des A. fällt unter die GewO., soweit nicht ausschließlich der Ver­ kauf von Arzneimitteln in Frage kommt (§ 6 Satz 2) oder die Geltung für das Apothekerge­ werbe ausdrücklich ausgeschlossen wird (§ 41 Abs. 2). A. unterliegen den Vorschriften über Sonntagsruhe im Handelsgewerbe (s. d.). Der RP., in Berlin der PolPräs., kann für eine Ge­ meinde oder für benachbarte Gemeinden mit

mehreren A. an Sonn- und Feiertagen oder während bestimmter Stunden dieser Tage ab­ wechselnd einen Teil der A. schließen. Die Schließung kann bis 8 Uhr morgens des nächsten Tages ausgedehnt werden. An der geschlossenen A. ist an sichtbarer Stelle ein Aushang anzu­ bringen, welcher die zur Zeit offene A. angibt. Wird von dem Rechte der Schließung kein Ge­ brauch gemacht oder bleibt die A. an Sonn- und Feiertagen länger als sechs Stunden geöffnet, so müssen die pharmazeutischen Angestellten für jeden Sonn- und Feiertag, an dem sie beschäftigt werden, ein Wochentag oder zwei Nachmittage sreigegeben werden (V. vom 5. 2. 1919, RGBl. 176). Die Beaufsichtigung regelt sich nach Landes­ recht. Über den Betrieb und die Beaufsichtigung s. Apothekenbetriebsordnung vom 18. 2. 1902 (MMBl. 63ff.) nebst Erl. vom 27. 8. 1903 (MMBl. 332), vom 31. 3. 1924 (VMBl. 182), vom 13. 3. 1925 (VMBl. 198) und der Anweisung für die amtliche Besichtigung der Apotheken vom 18. 2. 1902 (MMBl. 74ff.). Danach findet noch eine eidliche Verpflichtung des approbierten A. auf seine Berufspflichten statt — über Eidesnorm s. Erl. vom 13.11.1888 (bei Pistor Bd. 1) —; in seinem Betriebe untersteht er der medizinal­ polizeilichen Aufsicht und Revision des Kreis­ arztes (vgl. § 6 Zisf. 3 des G., betr. Dienststel­ lung des Kreisarztes, vom 16. 9. 1899, GS. 172, und §§ 47—53 der Dienstanweisung für die Kreis­ ärzte vom 1.9.1909, MMBl. 381) und innerhalb dreier Jahre wenigstens einmal der Besichtigung durch den Regierungs- und Medizinalrat und einen vom RP. auf Grund von Vorschlägen der Apothekerkammer berufenen pharmazeutischen Bevollmächtigten (§§ 1—3 der Anw. für die amtl. Besichtigung der Apotheken). Die Ausübung der Heilkunst ist den A. untersagt, ausgenommen die selbständige Verabreichung geeigneter Mittel in eiligen Notfällen beim Mangel rechtzeitiger ärztlicher Hilfe (§ 11 der Nev. Apothekerordnung vom 11. 10.1801 und § 37 der Betriebsordnung); zu Nebengeschäften bedürfen sie der Genehmi­ gung des NP. (§ 39 a. a. O.). — Wegen Ver­ tretung, Beurlaubung s. §§ 40,41 a. a. O. — Soweit diese Vorschriften dem Reichsrecht wider­ sprechen, sind sie ungültig (OVG. 48, 298; 50, 381; 33, 357; 80, 334). Ein Ordnungs­ strafrecht über A. besteht nicht (OVG. 33, 357 und Erl. vom 21. 1. 1902, MMBl. 21); die Me­ dizinalpolizeibehörden sind zur Durchsetzung ihrer Anordnungen auf die Zwangsmittel des § 132 LVG. angewiesen. Zuständig ist die OPB., nicht der NP. (OVG. 44, 354). Die Verletzung der Vorschriften über die Zubereitung und das Feil­ halten von Arzneien ist auch nach § 367 Zisf. 5 StGB, strafbar; bei Körperverletzung infolge fahrlässigen Betriebes findet § 230 Abs. 2 StGB. Anwendung. Für die Zubereitung der Arznei­ mittel gilt das Arzneibuch für das Deutsche Reich, 6. Ausg. 1926, VMBl. 1927, 67). Gewisse Arzneimittel und Gifte sind gemäß § 6 Abs. 2 GewO, dem Vertriebe der A. ausschließlich Vor­ behalten (s. V., betr. Verkehr mit Arzneimitteln, vom 22.10.1901, RGBl. 380, nebst Abänderun­ gen). Für die Preisbemessung der Arzneimittel gilt die deutsche Arzneitaxe (s. Taxen B). Wegen des Handels mit Süßstoffen s. SüßstoffG. II6ck. Die Forderungen der A. aus dem Arznei-

Arbeit (Recht aus A.) — Arbeiter

verkauf verjähren in zwei Jahren (§ 196 Zisf. 1 BGB.); sie genießen ein Vorrecht im Konkurse § 61 Ziff. 4 KO-); die zum Betriebe der Apotheke unentbehrlichen Geräte, Gefäße und Waren sind unpfändbar (§ 811 Ziff. 9 ZPO.). A. unterliegen der Gewerbesteuer (s. d.). IV. Apothekerkammern sind die gesetzlichen Standesvertretungen der Apotheker; ihre Ein­ richtung beruht zunächst auf der V. vom 2. 2.1901 (GS. 49); s. auch Erl. dazu vom 23. 4. 1901 (MMBl. 127). Jetzt ist das G. vom 21. 4. 1923 (GS. 123) mit den AusfB. vom 30. 4. 1923 nebst Wahlordnung vom 30.IV. 1923 (VMBl.231) maßgebend. Ihr Geschäftskreis umfaßt die Erörte­ rung aller Fragen und Angelegenheiten, welche den Apothekerberuf oder die Arzneiversorgung be­ treffen und auf die Wahrnehmung und Vertretung der Standesinteressen der Apotheker gerichtet sind. Sie sind befugt, Vorstellungen und Anträge inner­ halb ihres Geschäftskreises an die Staatsbehörden zu richten und sollen von diesen geeignetenfalls über einschlägige Fragen gutachtlich gehört wer­ den. Für jede Provinz besteht eine Apothekerkam­ mer in der Regel am Sitze des OP-, der die Staats­ aufsicht über sie führt. Sie sind rechtsfähig. Die Kammermitglieder werden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt von den approbierten Apothekern des Kammerbezirks soweit sie Reichs­ deutsche und im Besitz der bürgerlichen Ehren­ rechte sind; das Wahlrecht ruht während der Dauer einer gerichtlichen Untersuchung, welche den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nach sich ziehen kann, sowie wenn die gerichtliche Hast verfügt ist. Die aktiv Wahlberechtigten sind auch passiv wahlberechtigt. Wahlkreise sind die RegBez.; die Wahlen erfolgen alle vier Jahre; auf je 40 Wahlberechtigte ist ein Mitglied und ein Stell­ vertreter zu wählen, mindestens aber für jede Kammer sechs Mitglieder und sechs Stellvertreter; die Mitgliedschaft ist ein Ehrenamt. Jede Kammer wählt einen Vorstand aus einem Vorsitzenden, mindestens zwei Mitgliedern, sowie drei Stell­ vertretern; der Vorstand vertritt die Kammer nach außen und vermittelt ihren Verkehr mit den Staatsbehörden. Der Vorstand der Kammer hat bei erheblichen Pflichtverletzungen eines Apo­ thekers, ausgenommen solcher, welche ein un­ mittelbares oder mittelbares Staatsamt bekleiden, die zeitweise oder dauernde Entziehung des akti­ ven und passiven Wahlrechts auszusprechen. Zu dem Verfahren ist ein vom OP. zu ernennender Beauftragter zuzuziehen; gegen den Beschluß steht dem Betroffenen binnen vier Wochen nach der Zustellung die Beschwerde an den MfV. zu (§ 4). Die erforderlichen Mittel zur Deckung der Kosten ihrer Geschäftsführung haben dieKammern durch Umlage aufzubringen(§Z38—10). DemHerangezogenen steht, binnen einem Monat der Ein­ spruch an den Kammervorstand und gegen dessen Entscheidung innerhalb der gleichen Frist die Be­ rufung an den OP. zu, der endgültig entscheidet (§ 40). — Als Zentralorgan sämtlicher Kammern fungiert der Apothekerkammerausschuß in B erlin unter unmitelbarer Aussicht des MfV. Jede Kammer entsendet ein Mitglied, die drei größten zwei, und ebensoviel Stellvertreter; die Mitglieder des Ausschusses wählen aus ihrer Mitte den Vorsitzenden und dessen Stellver­ treter, dem die Geschäftsleitung obliegt. Der

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Ausschuß hat innerhalb der den Kammern zuge­ wiesenen Zuständigkeit eine vermittelnde Tätig­ keit auszuüben zwischen dem Minister und den Kammern zwischen letzteren untereinander; ins­ besondere liegt ihm ob die Beratung und Be­ richterstattung der vom Minister ihm überwiesenen Vorlagen, sowie die Beratung und Erledigung der von den Kammern ihm zugehenden Anträge. Die Kosten seiner Geschäftsführung zu decken, ist Sache der Kammern. Der durch KabO. vom 29.4.1896 errichtete Apothekerrat ist ebenso wie die technische Kommission für phar­ mazeutische Angelegenheiten mit der Ein­ richtung des Landesgesundheitsrates (s. d.) auf­ hoben worden. Bsch. Arbeit (Recht auf A.). Der französische So­ zialist Considerant hat in seinem im Jahre 1848 er­ schienenen Buche Theorie du droit du propriete et du droit au travail ein Recht auf A. wissen­ schaftlich zu begründen versucht. Er geht davon aus, daß der Grund und Boden ursprünglich Ge­ meingut sei, daß daher rechtmäßigerweise nur die durch Kapitalaufwendung und A. erzielte Er­ höhung des Wertes des Grund und Bodens Gegenstand des Privateigentums sein dürfe, nicht aber sein ursprünglicher Wert. Da indessen aus Zweckmäßigkeitsgründen das Privateigentum am Grund und Boden aufrechtzuerhalten sei, so müsse den Personen, die keinen Grundbesitz haben, als Entgelt für die Entziehung dieses Ge­ meinguts das Recht auf A. eingeräumt werden. — Art. 163 Abs. 2 RV. lautet; „Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirt­ schaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen Unter­ halt gesorgt" (s. Erwerbslosenfürsorge). Das Privateigentum an Produktionsmitteln und da­ mit die Möglichkeit der Beschäftigung anderer mit der Möglichkeit des Gewinns ist nicht be­ seitigt. ,F-HArbeiter. I. Gewerbliche Arbeiter (Tit. VII GewO.) sind alle Personen, welche auf Grund eines ausdrücklichen oder stillschweigenden Dienst­ vertrags für die Zwecke eines Gewerbebetriebs in einem solchen als Gesellen (Gehilfen), Lehr­ linge, Betriebsbeamte (s. d.), Werkmeister, Tech­ niker, Fabrikarbeiter oder in ähnlichen Stellungen tätig sind. Auf die Dauer des Dienstverhältnisses kommt es dabei nicht an (KGJ. 17, 433; RGvom 25. 9. 1890). Ob die Personen mit Arbeiten, welche technische Kenntnisse verlangen, oder mit anderen Arbeiten beschäftigt werden, macht für den Begriff keinen Unterschied. In der Regel ist daran festzuhalten, daß eine wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeit keine gewerbliche Arbeit ist. Auch die Art der Lohnzahlung (Akkord- oder Stundenlohn) ist gleichgültig, jedoch ist nicht er­ forderlich, daß überhaupt Lohn gezahlt wird. Kinder, die auf Grund eines gewerblichen Arbeits­ vertrags beschäftigt werden, sind gewerbliche A. (Mot. z. KinderschutzG. vom 30. 3.^1903, RTDrucks. Nr. 557 S. 12). Auch die in einem Handelsgeschäfte tätigen A. sind gewerbliche A. (§ 83 HGB.; KG. vom 18. 6. 1900, MBl. 297); s. wegen Anwendung der Arbeiterschutzbestim­ mungen § 154 Abs. 1 Ziff. 3 GewO. Ebenso Kell­ nerinnen (OVG. 38, 317) und die Mannschaften der Binnenschiffe (s. Binnenschiffahrt) und

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Arbeiter

Flöße (s. Flößerei). Nicht zu den gewerblichen A. gehören A. in Staats-, Reichs- und Kommunal­ betrieben, doch wird nach herrschender Meinung und im Hinblick auf § 155 Abs. 3 GewO, ange­ nommen, daß die Vorschriften des Tit. VII auf sie Anwendung finden, wenn es sich um Betriebe handelt, die, wenn sie von Privatpersonen ge­ werbsmäßig betrieben würden, unter die GewO, fallen würden (Erl. vom 25. 5. 1892, MBl. 230, abgeändert durch Erl. vom 16. 5. 1898, MBl. 125, sowie Erl. vom 15. 6. 1892). Ferner gehören nicht zu den gewerblichen A. diejenigen Personen, welche in Gewerbebetrieben beschäftigt sind, aus die die GewO, keine Anwendung findet oder aus die nur einzelne Bestimmungen der GewO. An­ wendung finden (s. Gewerbeordnung). Dahin gehören außer den land- und forstwirtschaftlichen A. (s. unter II) u. a. die Bergarbeiter (s. d.). Auch die A. in Eisenbahnbetrieben einschließlich der A. in den Werkstätten sind keine gewerblichen A., daher werden aus sie die Vorschriften von Tit. VII GewO, nicht angewendet (MErl. vom 18. 2. 1905, HMBl. 45; vom 1. 5. 1905, MBl. 91, und vom 11. 8. 1907, HMBl. 320). F. H. II. Land-und forstwirtschaftliche A. Das Arbeitsverhältnis der landwirtschaftlichen A., gleichviel welcher Gruppe, beruht auf freier Vereinbarung. Die Rechtsgrundlage für den Arbeitsvertrag geben heute die vorläufige Land­ arbeitsordnung vom 24. 1. 1919, das BGB., das BRG. vom 4. 2. 1920 und das G. über die Be­ schäftigung von Schwerbeschädigten vom 6. 4. 1920 nebst den verschiedenen Abänderungen. Die vielen früheren Gesindeverordnungen sind ge­ fallen, damit auch sämtliche Einschränkungen bezüglich der Koalitionsfreiheit und Freizügigkeit, ebenso sind die während der Demobilmachung eingeführten Einschränkungen über die Beschäf­ tigung früherer landwirtschaftlicher A. seit 1924 wieder beseitigt. Die allgemeine Norm der Arbeitsverträge wird gegenwärtig überwiegend durch die Arbeitstarifverträge festgelegt, die aus Grund der B. vom 23. 12. 1918 über Tarifver­ träge und Arbeiter- und Angestelltenausschüsse oder auf Grund der SchlichtungsB, vom 30. 10. 1923 zustandegekommen und in den meisten Fällen für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind, bilden die unterste Grenze des Inhalts des Arbeitsvertrags, weil ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag für den Geltungsbereich und die Berufsgruppen zu­ ungunsten der Arbeitnehmer unabdingbar ist. Die GewO, und die gesetzlichen Vorschriften über die Regelung der Arbeitszeit nach dem G. vom 14. 4. 1927 gelten mit Ausnahme der gewerb­ lichen Nebenbetriebe der Landwirtschaft für die Land- und Forstwirtschaft nicht, wie auch das im Entwurf vorliegende ArbeitsschutzG. aus die Land­ wirtschaft keine Anwendung finden soll. Die Streitigkeiten aus dem Arbeitsvertrag werden ab 1. 7. 1927 für alle A. und somit auch für die Landarbeiter jeglicher Art vor dem ArbG. ver­ handelt und ausgetragen. Hatte schon die Auf­ hebung der Gesindeordnung mit den Befugnissen der Polizei Schluß gemacht, so ist jetzt auch das Amtsgericht bei allen Streitversahren aus dem Arbeitsvertrag ausgeschaltet. Als Arbeitergruppen sind in der Landwirtschaft vorhanden; die ge­

hobenen A. (Handwerker, Vorarbeiter, Aufseher usw.), die Deputanten mit ihren Hofgängern (Scharwerkern), die Freiarbeiter und Freiarbeite­ rinnen und das Gesinde. Dazu kommt im Westen Preußens das Heuerlingssystem. Der Heuerling hat eine Zwitterstellung. Er pachtet eine Heuer­ lingsstelle auf ein Jahr oder mehrere Jahre und übernimmt damit gewisse Arbeitsverpslichtungen, die in der Regel genau umschrieben werden, auf dem Hofe oder Gute. Ein reiner landwirtschaft­ licher A. ist der Heuerling bestimmt nicht. Wäh­ rend im Osten und Norden der Deputant, d. h. der Naturallohnempfänger, vorherrscht und der Naturallohn den Barlohn übersteigt, ändert sich dieses Bild, je weiter man nach dem Westen und dem Süden kommt. Im Westen und Süden übersteigt der Barlohn ganz erheblich den Natural­ lohn. Der Naturallohn ist dort am ausgedehn­ testen, wo der Jahresvertrag besteht imd wo auch die übrigen Mitglieder der Arbeiterfamilie, Frau und Kinder, vom Arbeitsvertrag am stärksten er­ saßt werden. Die Mitarbeit der Fran ist in Schlesien am ausgeprägtesten. Der Tarifvertrag sieht eine Beschäftigung der Frau an vier Tagen in der Woche vor. In anderen Bezirken wird die Mitarbeit der Frau durch die Steigerung des Lohnes des Mannes zu erreichen versucht. Im Westen ist die Frauenarbeit meistens absolut frei­ willig und dient hier nur zur Abbiegung der Spitzenarbeitszeiten. Zu der Mitarbeit der Frau tritt im Osten, aber auch heute schon in Mittel­ und Norddeutschland, das System des Hofgängers, d. h. der Deputant muß eine oder mehrere Ar­ beitskräfte aus Grund des Arbeitsvertrags für das Gut stellen, bei sich in der Wohnung aufneh­ men und beköstigen und erhält dafür ein bestimm­ tes Deputat. Früher war der Deputant mit einem Hofgänger die Regel, heute werden aber vielfach zwei und drei Hofgänger verlangt. Hat der Deputant eigene Kinder, so geht es noch an, hat er diese aber nicht, so ist das System mit recht gefährlichen Begleiterscheinungen verbunden Nach den Berichten der ArbN. und Landes­ arbeitsämter suchen Deputanten mit einem oder ohne Hofgänger Stellung, während solche mit zwei oder mehreren Hofgängern immerfort ge­ sucht werden. Auch heute noch überwiegt bei dem eigentlichen Landarbeiter der Jahresarbeitsver­ trag mit dem für das ganze Jahr festgesetzten, aber in monatlichen Raten gewährten Deputat. Der Lohn ist für alle Gruppen durchweg im Tarifvertrag geregelt und im Sommer und Winter pro Stunde in der Regel gleich. In den letzten Jahren treten im Sommer zu dem Lohn sog. Erntezulagen. Die Lohnunterschiede zwischen Sommer und Winter ergeben sich aus den ver­ schiedenen Arbeitszeiten pro Tag. Im Winter schwankt diese zwischen 61/2 und 71/2 Stunden, während im Sommer bis 11 Stunden gearbeitet wird. Der Lohnunterschied im Sommer und Winter wird aber besonders dadurch erhöht, daß immer mehr und mehr die Akkordarbeit in der Landwirtschaft Eingang findet. Alle Tarifver­ träge sehen diese vor und enthalten durchweg die Bestimmung, daß bei Akkordarbeiten ein Mehr­ verdienst von 25—30% erzielt werden muß. Wurde früher in der Regel nur beim Dreschen und in der Kartoffelernte im Akkord gearbeitet, so werden heute Düngen, Pflügen, Säen, Mähen,

Arbeiterinnen Rübenhacken, Verziehen usw. vielfach in dieser Weise ausgeführt. Hierbei gilt nicht der rohe Akkord, sondern wir haben neben dem Einzel­ akkord den Gruppenakkord, den Pensumlohn, den Prämienpensumlohn, den Familienakkord usw. Das Gebiet der Landarbeit ist zur Zeit in voller Umgestaltung begriffen und bildet eine Wissen­ schaft für sich. Versuchsgüter, wie Oldenburg bei Landsberg a. d. W., Pommeritz und Bornim sind entstanden. Die Namen Prof. Seedorf, Nies stehen im Vordergründe. Der Verlag Parey gibt eine Beilage zur Landwirtschaftlichen Presse über Landarbeitslehre heraus. Zu allem kommt, daß die Umwälzung der Arbeitsmethoden durch die Maschinen in der Landwirtschaft die gegenteilige Entwicklung gebracht hat wie im Gewerbe. Wäh­ rend im Gewerbe die Maschine zuerst den ge­ lernten und qualifizierten A. zurücktreten ließ, bedingt die stärkere Technifizierung der Landwirt­ schaft sofort den qualifizierten oder doch den Spezialarbeiter. Diese Entwicklung wird die Lohn­ frage insofern immer mehr beeinflussen, als die Stundenlohnhöhe gegenüber der gewünschten Leistung zurücktritt, d. h. wir werden höhere Löhne und wesentlich gesteigerte Tagesleistungen und schließlich erheblich über den Tagelohn liegende Berdienstziffern haben. Mit dieser Entwicklung tritt das Problem der Saisonarbeit stärker in den Vordergrund. Die Frage, ob die deutsche Landwirtschaft in den vieharmen Großbetrieben nicht vollständig zum Saisongewerbe wird, ist in der Presse mehrfach behandelt worden. Trotzdem hat die neuzeitliche Entwicklung den eigentlichen ausländischen Saisonarbeiter (Polen) der Zahl nach stark zurückgedrängt. Vor dem Kriege wur­ den in Deutschland auf der gleichen Fläche 390000 Ausländer, heute nur etwas über 100000 beschäftigt. Früher konnte jeder Arbeitgeber Aus­ länder sich beschaffen, das ist heute nicht mehr der Fall. Auf Grund des § 26 des ArbeitsNG. vom 13. 7.1922 regelt das Reichsamt für Arbeits­ vermittlung Beschäftigung, Anwerbung und Ver­ mittlung der ausländischen A. Die grundlegende V. dieserhalb datiert vom 22. 7. 1922 (RGBl. I 657). Das Reichsamt für Arbeitsvermittlung bzw. der RAM. setzt auf Grund des ArbNG. die Gesamtzahl der zuzulassenden Ausländer fest, nachdem der landwirtschaftliche Fachaus­ schuß der NAVw. gehört worden ist. Der ein­ zelne Arbeitgeber hat bei dem für ihn zu­ ständigen öffentlichen ArbN. den Antrag auf Ge­ nehmigung der Beschäftigung von Ausländern zu stellen. Der landwirtschaftliche Fachausschuß des übergeordneten Landesarbeitsamts prüft nun, ob ein Bedürfnis zur Beschäftigung von Ausländern vorliegt und setzt auf Grund des dem Bezirke zustehenden Kontingents die Zahl fest. Die An­ werbung der Ausländer ist, soweit Polen in Be­ tracht kommt, zwischenstaatlich geregelt, und in Deutschland hat die Deutsche Arbeiterzentrale (früher Feldarbeiterzentrale), die unter der pari­ tätischen Leitung von Arbeitgebern und Arbeit­ nehmern steht, das Anwerbungs- und Vermitt­ lungsmonopol. Der Anwerbung und Verpflich­ tung des Ausländers wird ein vom landwirtschaft­ lichen Fachausschuß der RAVw. aufgestellter Normalarbeitsvertrag zugrunde gelegt. Es wird die restlose Beseitigung der Ausländer ange­ strebt. Das Gelingen ist hier abhängig von

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dem Verbleiben genügender Arbeitskräfte auf dem Lande. Dieses Verbleiben ist nur mög­ lich, wenn der Arbeiter auf dem Lande eine eigene Familie gründen und vorwärts kommen kann. Somit steht das Problem im Zusammen­ hang mit der ländlichen Arbeitsverfassung, der Art der Arbeit, der Arbeitszeit, dem Lohn auf dem Lande, der sozialen Stellung des A., der Befriedigung des Kulturbedürfnisses, der Aus­ bildungsmöglichkeit der Kinder, der Lösung des Wohnungsproblems usw. Die Förderung des Wohnungsbaues ist heute Gegenstand eingehend­ ster Maßnahmen. Es werden dafür Darlehen aus der Hauszinssteuer und der produktiven Erwerbs­ losenfürsorge, und zwar sowohl für den Eigenbau wie für die genossenschaftliche Bauweise, des­ gleichen für die Errichtung von Werkwohnungen und den Um- und Ausbau von sonstigen Gebäuden zu landwirtschaftlichen Arbeiterwohnungen ge­ geben. Die Hauszinssteuern sind mit 3% + 1% Amortisation zu verzinsen, während die Darlehen aus der produktiven Erwerbslosenfürsorge durch­ weg zinslos gegeben und mit 4% amortisiert werden müssen. Aus Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge sind von 1921—1927 ins­ gesamt 30114 Landarbeiterwohnungen, darunter 19505 Werkwohnungen und 10609 Eigenheime gefördert worden. Seit 1925 überwiegen die Eigenheime. Die Hauszinssteuermittel kommen nur für Eigenheime in Frage. An Umfang und Einrichtung der Wohnung werden natürlich seitens des Staates bestimmte Anforderungen gestellt. Bei der Durchführung der Maßnahme wirken Reg., Landesarbeitsamt und Landwirtschafts­ kammer mit. Die Lösung des Landarbeiterpro­ blems hängt auch mit der Siedlung eng zusammen. Entstehen in menschenarmen Gebieten Dörfer, wächst die Zahl der für die Abbiegung der Spitzen­ arbeitszeiten erforderlichen Arbeitskräfte. Albm. Otto Gerlnch in Conrad, Handwörterbuch der Et.'atswiüeuichnsten, 3. Aufl. 1910, Bd. 6 S. 354 ff., daselbst erschöpfende Literalurangaben.

Arbeiterinnen. I. Allgemeines. Für die Beschäftigung von A. an Sonn- und Festtagen gelten die allgemeinen Vorschriften über die Sonntagsruhe (s. d.) und für die Beschäftigung an Werktagen die allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit (s. d.). Besonderheiten bestehen insofern, als A. über 16 Jahre in zwei- und mehr­ schichtigen Betrieben bis 10 Uhr abends beschäftigt werden dürfen, wenn ihnen nach Beendigung der Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhepause von mindestens 16 Stunden gewährt wird. In diesem Falle können an Stelle der einstündigen Mittagspause eine halbstündige oder zwei viertel­ stündige Pausen treten, die auf die Dauer der Arbeitszeit anzurechnen sind. A. die höchstens vier Stunden täglich beschäftigt sind, braucht keine Pause gewährt zu werden. Bei einer täglichen Beschäftigung von mehr als vier, aber nicht mehr als sechs Stunden ist eine viertelstündige Pause, bei einer täglichen Beschäftigung von mehr als sechs, aber nicht mehr als acht Stunden sind eine halbstündige oder zwei viertelstündige Pausen und bei längerer Beschäftigung die in §§ 136, 137 GewO, vorgesehenen Pausen zu gewähren (Ziff. V der Anordnung vom 23. 11. 1918, RGBl. 1334). Soweit durch diese Vor­ schriften die bestehenden Vorschriften über die

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Arbeiterinnen

Beschäftigung von A. nicht beeinflußt sind, gelten können, und für Sonn- und Festtage überhaupt sie unverändert fort. Insbesondere behält es bei nicht. Die Polizeibehörde kann in den Fällen, den weitergehenden Beschränkungen sein Be­ wo zuviel Arbeit mitgegeben wird, im Wege der wenden. Die durch die Novelle zur GewO, vorn Verfügung nach Anhörung der Gewerbeaussichts­ 28. 12. 1908 (RGBl. 667) vorgesehenen Be­ beamten, der wiederum vorher beteiligten Arbeit­ schränkungen der Beschäftigung der A. erstrecken gebern und Arbeitern oder dem Betriebsrat sich aus alle Betriebe, in denen in der Regel Gelegenheit zur Äußerung geben muß, für ein­ mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden. zelne Betriebe die Mitgabe von Arbeit weiter Ausgenommen sind Apotheken (s. d.), das Han­ beschränken oder von besonderen Bedingungen delsgewerbe (s. d.), Genesungsheime und Heil­ abhängig machen. Hiergegen ist binnen zwei anstalten (s. b.)f Musikausführungen (s. d.), Schau­ Wochen die Beschwerde an den NP., in Berlin stellungen (s. d.), theatralische Vorstellungen (f. d.) an den PolPräs., und gegen dessen Entscheidung oder sonstige Lustbarkeiten (f. d.), Gärtnereien binnen vier Wochen die weitere Beschwerde an (s. Gartenbau), Gast- und Schankwirtschasten den HM. zugelassen (§ 137a GewO.). III. Anzeige, Aushang. Sollen A. m Be­ (f. d.), das Verkehrsgewerbe (s. d.) und Bade­ anstalten (s. d.), letztere soweit es sich um die trieben, in denen ihre Beschäftigung Beschrän­ Beschäftigung von A. an Vorabenden von Sonn- kungen unterliegt, beschäftigt werden, so hat der und Festtagen handelt. Ohne Rücksicht aus die Arbeitgeber vor dem Beginne der Beschäftigung Zahl der beschäftigten Arbeiter gelten die Be­ der OPB. eine schriftliche Anzeige zu machen. schränkungen in Hüttenwerken (s. d.), Zimmer­ In der Anzeige sind die Betriebe, die Wochentage, plätzen und anderen Bauhöfen (s. d.), Wersten an welchen die Beschäftigung stattfinden soll, (s. d.), Werkstätten der Tabakindustrie (s. d.), Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen Salmen (f. d.), Aufbereitungsanstalten (s. d.), sowie die Art der Beschäftigung anzugeben. Eine unterirdisch betriebene Brüche oder Gruben (s. d.), Änderung hierin darf, abgesehen von Verschie­ während in Ziegeleien (s. d.) sowie in über Tage bungen, welche durch Ersetzung behinderter Ar­ betriebenen Brüchen oder Gruben die Beschrän­ beiter für einzelne Arbeitsschichten notwendig kungen nur Platz greifen, wenn in der Regel werden, nicht erfolgen, bevor eine entsprechende mindestens fünf Arbeiter beschäftigt werden. Die weitere Anzeige der Behörde gemacht ist (vgl. etwas abweichenden Vorschriften über die Be­ RGSt. 26, 243). Der Arbeitgeber hat in den schäftigung von A. in Motorwerkstätten (s. d.) Räumen, in denen A. beschäftigt werden, eine sowie in Werkstätten der Kleider- und Wäsche­ Tafel auszuhängen, die in der vom HM. be­ konfektion (s. d.) gelten nach dem 1. 1. 1910 nur stimmten Fassung und in deutlicher Schrift einen noch für Betriebe mit weniger als zehn Arbeitern. Auszug aus den Vorschriften über die Beschäf­ tigung von A. enthält (§ 138 GewO.; Ziff. 224, S. auch Erl. vom 25. 11. 1909 (HMBl. 506). II. Verboten ist die Beschäftigung von A. unter 225 der AussAnw. zur GewO, in der Fassung des Tage in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs­ Erl. vom 25. 11. 1909, HMBl. 506, sowie Erl. anstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen vom 11. 5. 1910, HMBl. 170). IV. Ausnahmen für einzelne Betriebe. oder Gruben sowie über Tage bei der Förderung, mit Ausnahme der Aufbereitung (Separation, Für einzelne Betriebe können Ausnahmen in der Wäsche), bei dem Transport und der Verladung. Beschäftigung von A. nur im Nahmen der Arbeits­ In Kokereien (s. d.) und zum Transport von zeitverordnung (s. Arbeitszeit) gestattet werden. Materialien bei Bauten (s. d.) aller Art dürfen Im Rahmen der Beschäftigung nach der GewO, A. nicht verwendet werden (§ 137 Abs. 7 GewO.). würden folgende beiden Ausnahmen noch als zuIn den unter I Abs. 1 bezeichneten Betrieben, lässig anzusehen sein: 1. An Sonnabenden und Vorabenden vor Fest­ in denen die Beschäftigung von A. Beschrän­ kungen unterliegt, dürfen in der Nachtzeit von tagen kann von dem Gewerbeinspeltor (Berg­ 8 Uhr abends bis 6 Uhr morgens und an Vor­ revierbeamten) eine Beschästigung von A. über abenden von Sonn- und Festtagen nach 5 Uhr 16 Jahre, die lein Hauswesen zu besorgen haben nachmittags A. nicht beschäftigt werden. Nach und eine Fortbildungsschule nicht besuchen, in der Beendigung der täglichen Arbeitszeit muß eine Zeit von 5—8 nachmittags gestattet werden, und ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf zwar mit Arbeiten zur Reinigung und Instand­ Stunden gewährt werden. A., welche ein Haus­ haltung, durch welche der regelmäßige Fortgang wesen zu besorgen haben, sind auf ihren Antrag des eigenen oder fremden Betriebs bedingt ist, eine halbe Stunde vor der Mittagspause zu ent­ mit Arbeiten, von welchen die Wiederausnahme lassen, sofern diese nicht mindestens ein und eine des werltägigen Betriebs abhängig ist, und mit halbe Stunde beträgt. Wegen der Beschäftigung Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens oder vor und nach ihrer Niederkunft s. Mutterschutz des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen erforder­ und Wochenhilfe. Für die Tage, an denen lich sind. Die Erlaubnis ist schriftlich zu erteilen; A. die gesetzlich zulässige Arbeitszeit hindurch eine Abschrift derselben ist in den Räumen, in beschäftigt waren, darf ihnen Arbeit zur Ver­ denen die A. beschäftigt werden, an einer in die richtung außerhalb des Betriebs vom Arbeit­ Augen fallenden Stelle auszuhängen (§ 138a geber überhaupt nicht übertragen oder für Rech­ 2161-5 GewO.; Ziff. 236 der AusfAnw. zur nung Dritter überwiesen werden. Für Tage, GewO, in der Fassung des Erl. vom 25.11.1909, an denen die Beschäftigung kürzere Zeit gedauert HMBl. 506, sowie Erl. vom 11. 5. 1910, HMBl. hat, ist die Mitgabe von Arbeit nach Haus nur 170). 2. Wegen der Natur des Betriebs oder aus in dem Umfange zulässig, in welchem Durchschnittsarbeiterinnen ihrer Art die Arbeit voraus­ Rücksichten aus die Arbeiter kann nach Anhörung sichtlich in dem Betriebe während des Restes der der Arbeiter oder des Betriebsrats für einzelne gesetzlich zulässigen Arbeitszeit würden herstellen Betriebe durch den NP., in Berlin durch den

Arbeiterkolonien PolPräs. eine andere Regelung der Mittagspause, durch den RK. eine andere Regelung der täglichen Beschäftigung ohne Überschreitung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit und ohne Abkürzung der vorgeschriebenen Ruhezeit durch schriftlichen Be­ scheid gestattet werden (§ 139 Abs. 2 GewO.; Ziff. 242—244, 247 der AusfAnw. zur GewO, in der Fassung des Erl. vom 25. 11. 1909, HMBl. 506, sowie Erl. vom 11. 5. 1910, HMBl. 170). Soweit Abweichungen von den Beschränkungen der Arbeitszeit im öffentlichen Interesse nötig erscheinen, bietet Ziff. VII der Anordnung vom 23. 11. 1918 hierfür die geeignete Grundlage (Erl. vom 14. 6. 1921, HMBl. 144). V. Ausnahmen für gewisse Gewerbe­ zweige (§ 139a GewO.). Der BR. (jetzt die Reichsregierung mit Zustimmung des RR.) kann mit zeitlicher Begrenzung für gewisse Gewerbe­ zweige des Reichs oder bestimmter Bezirke Aus­ nahmen für die Beschäftigung von A. zulassen. Zunächst kann die Verwendung von A. für ge­ wisse Gewerbezweige, die mit besonderen Ge­ fahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich untersagt oder von besonderen Be­ dingungen abhängig gemacht werden. Ferner können für Anlagen, die mit ununterbrochenem Feuer betrieben werden, oder die sonst durch die Art des Betriebs auf eine regelmäßige Tag- und Nachtarbeit angewiesen sind, sowie für solche Anlagen, deren Betrieb eine Einteilung in regel­ mäßige Arbeitsschichten von gleicher Dauer nicht gestattet oder seiner Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt ist, Ausnahmen hinsicht­ lich der Nachtarbeit, der Dauer der täglichen Beschäftigung und der Pausen gestattet werden. Die Tagschichten und Nachtschichten müssen wöchentlich wechseln. Weiter können für Gewerbe­ zweige, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis ein­ tritt, Ausnahmen hinsichtlich der Nachtarbeit, der täglichen Beschästigungsdauer mit) der Ruhezeit zugelassen werden. In der ununterbrochenen Ruhezeit von zehn Stunden müssen die Stunden zwischen 10 Uhr abends und 5 Uhr morgens liegen. Die Erlaubnis zur Überarbeit darf für mehr als 40 Tage, jedoch nicht für mehr als 50 Tage im Jahre und nur dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit in der Weise geregelt ist, daß ihre tägliche Dauer im Durchschnitte der Betriebstage des Jahres die regelmäßige gesetz­ liche Arbeitszeit nicht überschreitet. Endlich können die Nachtarbeit, die tägliche Arbeits- und Ruhe­ zeit sowie die Mittagspausen für Gewerbszweige, in denen die Verrichtung der Nachtarbeit zur Verhütung des Verderbens oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen dringend erforderlich er­ scheint, mit der Maßgabe abweichend geregelt werden, daß die ununterbrochene Ruhezeit von höchstens 60 Tagen im Jahr bis auf 8% Stunden täglich herabgesetzt werden darf. Auf Grund dieser Ermächtigung, die durch die Arbeitszeit­ verordnung vom 24. 4. 1927 und die Anordnungen vom 23. 11. 1918 (RGBl. 1334) und vom 17. 12. 1918 (RGBl. 1436) wesentlich eingeschränkt ist, hatte der BR. für zahlreiche Betriebszweige Aus­ nahmen zugelassenvon, denen aber im Hinblick aus die veränderte Rechtslage für A. nur noch zwei gelten, und zwar der V. über a) die Beschäftigung von A. und jugendlichen Arbeitern in Glashütten,

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Glasschleisereien und Glasbeizereien und Sandbläsereien vom 9.3.1913 (RGBl. 129), abgeändert durch V. vom 23. 1. 1920 (RGBl. 75), deren Gültigkeit nach V. vom 25. 3. 1927 (RGBl. I 82) erst am 1. 4. 1929 abläuft mit der Maßgabe, daß sich die Dauer der Beschäftigung und Arbeits­ pausen nach der Arbeitszeitverordnung richtet; b) die Beschäftigung von A. in Walz- und Ham­ merwerken vom 20. 5. 1912 (RGBl. 511), die nach V. vom 25. 3. 1927 (RGBl. I 82) bis zum 31. 3. 1929 mit der Maßgabe gilt, daß sich die Dauer der Beschäftigung und der Pausen nach der Arbeitszeitverordnung richtet. VI. Strafvorschriftenin § 146 Abs.l Ziff.2, § 149 Abs. 1 Ziff. 7 GewO. Wegen der straf­ rechtlichen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, insbesondere über den Begriff „Beschäftigung im Betriebe", s. Junge Leute VI. F. H. Arbeiterkolonien ist im allgemeinen die Be­ zeichnung der Niederlassungen von ländlichen Ar­ beitern und Arbeiterfamilien. Im engeren Sinne werden hierunter Einrichtungen zur Aufnahme von Personen, die durch Betteln und Landstreichen heruntergekommen sind und sich des Arbeitens entwöhnt haben, und zwar meist auf dem platten Lande aber auch in der Umgebung der Städte verstanden. In diesen A. soll Personen der ge­ dachten Art zeitweise Arbeit, Verpflegung und ein geregeltes Leben gewährt und ihnen so die Rückkehr zur Ordnung erleichtert werden. Die notwendige Voraussetzung der Verpflegung ist dabei die Leistung von Arbeit, sonst aber ist die Dauer der Verpflegung nicht beschränkt. Die erste A. ist die in Wilhelmsdorf bei Bielefeld, welche 1882 von dem Pastor v. Bodelschwingh zu dem Zwecke eingerichtet worden ist, 1. arbeitslustige und arbeitslose Männer jeder Konfession und jeden Standes so lange in ländlichen und anderen Arbeiten zu beschäftigen, bis es möglich ge­ worden ist, ihnen anderweit lohnende Arbeit zu beschaffen, und ihnen so die Hand zu bieten, vom Vagabundenleben loszukommen, 2. arbeits­ scheuen Vagabunden jede Entschuldigung abzu­ schneiden, daß sie keine Arbeit hätten. Nach ihrem Muster sind dann zahlreiche andere in Preußen und Deutschland geschaffen worden (Erl., bett. Handhabung des Stationswesens der deut­ schen A., vom 13. 6. 1889, MBl. 226), darunter auch solche für weibliche Personen. Die A. haben sich zu einem Verbände, dem Zentralverbande deutscher A., zusammengeschlossen, dessen Organ „Der Wanderer" ist. Mit ihnen sind meist Ar­ beitsnachweisestellen verbunden (vgl. Erl., bett. Fürsorge für Arbeitslose durch Arbeitsnachweise­ stellen, vom 13. 5. 1901, MBl. 148 und Erl., bett. Ausstellung von Gutscheinen für Eisenbahn­ fahrkarten durch Arbeitsnachweisestellen, vom 13. 5. 1901, MBl. 149; HMBl. 74). Die Mittel zur Unterhaltung der A. werden durch Beiträge der Mitglieder sowie durch Liebesgaben, Ver­ mächtnisse usw., zum Teil auch durch Zuschüsse öffentlicher Körperschaften, insbesondere der Pro­ vinzen und Kreise, aufgebracht. Neben den eigent­ lichen A. gibt es mehrere Abarten; Zweigkolonien als Filialen der Hauptkolonien, ferner die sog. Heimatskolonien, die den Zweck haben,Kolonisten, die sich als tüchtig erwiesen haben, die Möglich­ keit zu gewähren, sich seßhaft zu machen und durch eigene landwirtschaftliche Arbeit ihr Brot zu ver-

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Arbeiterschutz

dienen, über die A. als Bewahranstalten im Sinne des § 9 der FürsVO. s. BAH. 31, 7. Über die Befreiung der in A. beschäftigten Per­ sonen von Krankenversicherungspflicht s. § 174 RVO. und wegen der Invalidenversicherung der in A. Beschäftigten s. Zisf. 23e, 30 VI, 36 der An­ leitung, über den Kreis der nach der NVO. gegen Invalidität und Krankheit versicherten Personen, vom 26. 4.1912 (AN. 720ff.), ferner auch wegen der gleichzeitig eingerichteten Naturalverpflegungsstationen sowie wegen der Wanderarbeits­ stätten diese Artikel und wegen einer weiteren be­ sonderen ArtvonA. Strafgefangenen. F. H. Arbeiterschutz. Unter A. werden diejenigen Beschränkungen des freien Arbeitsvertrags (s. d.) verstanden, welche auf den Schutz des Arbeiters gegen seine Ausbeutung durch den wirtschaftlich stärkeren Unternehmer und gegen die aus der Art und Dauer seiner Beschäftigung für Leben, Gesundheit, Familienleben und Sittlichkeit sich ergebenden Gefahren und Nachteile abzielen. Der A. beschränkt sich nicht auf gewerbliche Arbeiter (s. d.), sondern ist im Laufe der Zeit auch für Handlungsgehilfen und -lehrlinge einschließlich der im Handelsgewerbe (s. d.) beschäftigten Ar­ beiter, auf Hausgewerbetreibende (s. d.), auf eigene Kinder (s. d.) sowie aus die Besatzung der Seeschiffe (s. Schiffsmannschaft) ausgedehnt. Die Gesetzgebung über den A. bezieht sich auf die Beschäftigung von gewerblichen Arbeitern, Hand­ lungsgehilfen und -lehrlingen an Sonn- und Fest­ tagen (s.Sonntagsruhe im Gew erbeb etrieb, Sonntagsruhe im Handelsgewerbe), auf die Beschäftigung Minderjähriger (s. d.), aus die Lohnzahlung (s. Lohn), die Sicherung gegen willkürliche Kündigung, die Einrichtung der Betriebsräume (s. Gewerbliche Anlagen), auf die Beschäftigung von Gesellen und Gehilfen (s. d.), von Betriebsbeamten (s. d.), Werkmeistern und Technikern, von Lehrlingen (s. d.), aus die Beschäftigung von Arbeiterinnen (s. b.) und jugendlichen Arbeitern (s. d.), auf die Arbeits­ zeit (s. d.), aus die Beaufsichtigung der Beschäf­ tigung von Arbeitern (s. Gewerbeaufsicht), aus die Beschäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern in offenen Verkaufsstellen (s. d.), auf die Hausarbeit (f. d.), auf die Beschäftigung von Kindern (s. d.) und von Schifssleuten auf See­ schiffen (s. Schiffsmannschaft). — Die gesetz­ lichen Vorschriften über die Sonntagsruhe sind in den §§ 105—105i GewO, enthalten und be­ ruhen auf der Nov. vom 1. 6. 1891 (RGBl. 261). über die Beschäftigung Minderjähriger, die insbesondere ein Arbeitsbuch haben und die Berufsschule (s. d.) besuchen müssen, enthält die GewO, in §§ 106—114, 120, 154a Abs. 1 nähere Vorschriften. Mit der Lohnzahlung (Lohn­ bücher und Arbeitszettel, Verbot des Truck­ systems, Verbot der Lohnzahlung in Gast- und Schankwirtschasten, Lohneinbehaltungen) befassen sich die §§ 114a—119a GewO. Der Sicherung des Arbeitnehmers dient auch die Regelung der Lohnbeschlagnahme (s. Lohn). Über die Einrich­ tung der Betriebsräume, Maschinen und Betriebsvorrichtungen gewerblicher Anlagen enthalten die §§ 120—120e GewO, die näheren Vorschriften, während die V. über die Arbeits­ zeit (RGBl. 1927,1 109) und die Anordnung vom 23. 11. 1918 (RGBl. 74) die Arbeitszeit gewerb­

licher Arbeiter regelt. Die Reichsregierung mit Zustimmung des RR., die Landeszentralbehörden und die Polizeibehörden sind berechtigt, weitere Aussührungsbestimmungen zu erlassen. In Er­ gänzung und Abänderung des BGB. werden die Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Gesellen und Gehilfen sowie der Betriebsbeamten in den §§121—125, 133a—133t geregelt. Über die Siche­ rung gegen willkürliche Kündigung findensich Vorschriften in §§ 122, 133aa, 133ac GewO., §§ 67—69 HGB., §§ 84, 96ff. BRG. Auch die Vorschriften über die Zeugnisse (§ 113 GewO.) sollen den Arbeiter gegen Willkür schützen. Das Halten und Anleiten von Lehrlingen ist namentlich in Handwerksbetrieben an erschwerte Bedingungen gebunden (§§ 126—132). Geregelt ist die Beschäftigung der Arbeiterinnen (s. d.) und jugendlichen Arbeiter (s. d.) — Ar­ beitszeit, Nachtarbeit, Pausen — in Betrieben mit mindestens 10 Arbeitern (§§ 135—139a GewO.), während für Betriebe mit mindestens 20 Arbeitern eine Arbeitsordnung erlassen wer­ den muß (§§ 133h bis 134h). S. a. Betriebs­ räte. Den Betrieben mit 10 Arbeitern stehen nach §§ 154 Abs. 2, 154a Abs. 1 GewO, zum Teil ohne Rücksicht auf die Zahl der Arbeiter andere Betriebe gleich; nach § 154 Abs. 3, 4 GewO, können andere Betriebe durch Beschluß der Reichsregierung mit Zustimmung des RR. gleich­ gestellt werden. Ausnahmen von der Beschäfti­ gung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter können nach § 139a GewO, zugelassen werden. Die Beschäftigung von Kindern ist, soweit die betreffenden Vorschriften der GewO, keine An­ wendung finden, durch das G., betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, vom 30. 3.1903 (RG­ Bl. 183), abgeändert durch G. vom 31. 7. 1925 (RGBl. I 162) geregelt worden. Über die Be­ schäftigung in der Hausarbeit enthält das G. (RGBl. 1923, 472) das Nähere. In offenen Verkaufsstellen mit mindestens 20 Gehilfen und Lehrlingen muß eine Arbeitsordnung er­ lassen werden (§ 139k GewO ). Durch § 9 der V. über die Regelung der Arbeitszeit der Ange­ stellten vom 18. 3. 1919 (RGBl. 315) ist für alle Angestellten eine bestimmte Ruhezeit vorgeschrie­ ben. Außerdem sind die Verkaufsstellen von 7 Uhr abends bis 7 Uhr morgens geschlossen zu halten. Über die Einrichtung der Laden-, Arbeits­ und Lagerräume können von der Reichsregierung mit Zustimmung des NR. von der Landeszentral­ behörde oder von den Polizeibehörden Bestim­ mungen erlassen werden (§§ 139g, 139h). Bin übrigen findet sich die Regelung der Verhältnisse der Handlungsgehilfen und -lehrlinge in §§ 59 bis 81 HGB. Auch hier besteht die Verpflichtung, den Angestellten zum Besuch der Fachschule freie Zeit zu lassen. Die Aufsicht über die Durch­ führung der Arbeiterschutzvorschristen steht den OPB. zu; daneben sind hinsichtlich der Durch­ führung der Vorschriften über die Sonntagsruhe und über die Einrichtung der Betriebsräume und Betriebsvorrichtungen der gewerblichen Anlagen sowie der Vorschriften der GewO, über bie Be­ schäftigung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter besondere Gewerbeaufsichtsbeamte be­ stellt (§ 139b GewO.). Für Handwerksbetriebe können I. und HK. Beauftragte (s. d.) bestellen. Der A. hinsichtlich der Schiffsmannschaft aus See-

Arbeitervereine — Arbeitgeber schiffen ist durch die Seemannsordnung vom 2. 6. 1902 (RGBl. 175) geregelt, während der Mannschaft der Binnenschiffe nach G., betr. die Privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (RGBl. 1898, 868), § 21 GewO, untersteht. Die Vorschriften über die Sonntagsruhe finden aber keine Anwendung (§ 105i GewO.), auch finden sich in den §§ 22—25 a. a. O. einige besondere Vorschriften über den Dienstvertrag. S. auch Internationaler Arbeiterschutz. F. H. Evert, Handbuch 1899; Io 6l, Die Arbeitsschutz­ gesetzgebung in Deutschland und im Ausland 1891; Nel­ ken, Die deutschen Handwerker- und Arbeiterschutzgesetze 1901; Bail, Das Rechtsverhältnis zwi.chen Arbeitern und Arbeitnebmern in Handwerk, Industrie und Handels­ gewerbe 1904.

Arbeitervereine, kommunistische, s. Gewerk­ schaften.

Arbeiterversicherung. Unter A., die ein Teil der Sozialversicherung (s. d.) ist, werden Einrich­ tungen verstanden, durch die den Arbeitern und ihren Angehörigen eine teilweise Entschädigung für die wirtschaftlichen Nachteile zugesichert wird, welche Krankheiten, die Erwerbsunfähigkeit, das Alter, die Arbeitslosigkeit oder der Tod des Er­ nährers im Gefolge haben. Diesem Zwecke dien­ ten früher die Hilfskassen (s. d.), die auf freiwilli­ gem Zusammenschluß der Beteiligten beruhten, immerhin aber auch mit Zwangscharakter aus­ gestattet werden konnten. Eine A. großen Stils ist durch die Kais. Botschaften vom 17. 11. 1881 und vom 14. 4. 1883 in die Wege geleitet worden, indem eine allgemeine Zwangsversicherung der Arbeiter im ganzen Deutschen Reich eingerichtet wurde. Zuerst erfolgte durch G., betr. die Kran­ kenversicherung der Arbeiter, vom 15. 6. 1883 (RGBl. 73), die Versicherung der Arbeiter gegen Krankheit und gegen die durch Krankheit herbei­ geführte Erwerbsunfähigkeit. Ihr folgte alsbald die Unfallversicherung nach; s. G. vom 6. 7. 1884 (RGBl. 69), vom 28. 5. 1885 (RGBl. 159), vom 5. 5. 1886 (RGBl. 132), vom 11. 7. 1887 (RGBl. 287) und vom 13. 7. 1887 (RGBl. 239), die durch die Nov. vom 30. 6. 1900 (RGBl. 335) geändert sind. Den vorläufigen Abschluß bildete die Ver­ sicherung gegen Invalidität und Alter, die durch G. vom 22.6.1889 (RGBl. 97) — später JnBG. (RGBl. 1899,463) genannt — eingeführt wurde. Alle diese G. sind dann in die RVO. (s. d.) zusammengearbeitet, wobei eine wesentliche Er­ weiterung des Kreises der gegen Krankheit ver­ sicherten Personen und auch eine Erweiterung der gegen Unfallversicherung versicherten Be­ triebe vorgenommen wurde. In die JnV. wurde auch die Witwen- und Waisenversicherung (s. d.) ausgenommen. Den Schlußstein der A. bildet die Arbeitslosenversicherung, die durch G. vom 16. 7. 1927 (RGBl. I 187), abgeändert durch G. vom 16. 12. 1927 (RGBl. I 337) eingeführt worden ist. F. H. Arbeitgeber ist derjenige, für dessen Rechnung die Arbeiter (s. d.) angenommen und beschäftigt werden. Erfolgt die Annahme der Arbeiter durch eine Mittelsperson (Akkordant), so kommt es für die Beurteilung der Frage, ob diese Person der A. ist, darauf an, ob sie die Arbeitsleistung als selbständiger Gewerbetreibender zur selbständigen Ausführung für eigene Rechnung übernommen hat (KG. vom 28. 1. 1898, Arb Versorg. 1898, 171; RGSt. 41, 408; OVG. 42, 5; 20, 382;

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27, 85). Bei Aktiengesellschaften usw. sind die zur Vertretung berufenen Gesellschafter Arbeit­ geber (OVG. 50, 1). Der Konkursverwalter ist Arbeitgeber, wenn er das Unternehmen fortführt (RGZ. 55, 266; AN. 25, 531). Das Verhältnis des A. zu den Arbeitern wird durch den Arbeits­ vertrag (s. d.) geregelt. Soweit nicht reichsgesetz­ lich Beschränkungen bestehen, ist beim stehenden Gewerbebetrieb der A. Gewerbegehilfen in be­ liebiger Zahl und Art zu beschäftigen berechtigt (s. Gewerbegehilfen). Er ist dafür verant­ wortlich, daß bei der Beschäftigung die Vor­ schriften über den Arbeiterschutz (s. d.) beachtet werden. Er kann seine Verantwortung auf einen Stellvertreter (s. d.) oder Betriebsleiter (s. d.) übertragen. Die A. sind entweder Fabrikanten (s. d.), Handwerker (s. d.) oder sonstige Gewerbe­ treibende. Je nach der Art ihres Betriebs finden die Vorschriften für Betriebe über zehn Arbeiter (s. d.), für handwerksmäßige Betriebe (s. Hand­ werker), für Werkstätten (s. d.), für das Handels­ gewerbe (s. d.) und für offene Verkaufsstellen (s. d.) Anwendung. Für die Durchführung der Arbeiterversicherung ist der Begriff des A. von besonderer Wichtigkeit. Bei der Krankenversicherung ist für die Zu­ gehörigkeit des Versicherten zu einer KK. der Be­ trieb, oder wo eine Beschäftigung in einem Be­ triebe nicht stattfindet, der Wohnort des A. maß­ gebend. Der A. muß die von ihm beschäftigten versicherungspslichtigen Personen zur Versiche­ rung an- und abmelden und, sofern er nicht für zahlungsunfähig erklärt worden ist, die Beiträge einzahlen. A. nehmen an der Verwaltung der KK. teil, doch kann ihnen, von IKK. abgesehen, nie mehr als ein Drittel der Stimmen eingeräumt werden. Auf dem Gebiete der Krankenversiche­ rung sind folgende Entscheidungen über den Be­ griff des A. zu erwähnen: RGSt. 26,120; 27, 85; RGZ. 42, 6; OVG. 18, 348; 20, 382; OVG. vom 6. 4. 1891 (PrVBl. 12, 414) und vom 12. 5. 1902 (PrVBl. 24, 39). Für den Bereich der Unfallversicherung ist der Begriff des A. nicht von gleicher Bedeutung, da hier die Versicherung aus Kosten der Unter­ nehmer, d. h. derjenigen, für deren Rechnung der Betrieb erfolgt, durchgesührt wird. Diese sind namentlich da, wo die Ausführung der Arbeiten einem Akkordanten oder die Beschaffung und Löhnung der Arbeiter einer Mittelsperson über­ tragen ist, nicht A. Bei der Invalidenversiche­ rung haben die A. die Hälfte der Beiträge aus eigenen Mitteln zu leisten, die Beitragsmarken einzukleben und die Quittungskarte, falls der Ver­ sicherte mit einer solchen nicht versehen ist, auf dessen Kosten zu beschaffen. Die A. nehmen zu gleichen Teilen mit den Versicherten an der Ver­ waltung in der LVA. teil. Der Begriff des A. ist mit demjenigen auf dem Gebiete der KB. über­ einstimmend. Auf dem Gebiete der Angestell­ tenversicherung ist der Begriff des A. der gleiche wie auf dem Gebiete der JnV. Auch hier hat der A. hinsichtlich der Ausstellung der Quittungs­ karten und der Tragung der Beiträge die gleiche Verpflichtung, wie auch die Versicherten in den Organen des NVA. mit den A. gleichberechtigt sind. Im Bereiche des RKG. ist auf allen Ge­ bieten der Versicherung (KB., JnB., Av. und Pensionsversicherung) der Begriff des A. der

Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

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Arbeitgeberverbände — Arbeitsbuch

gleiche wie bei den übrigen Versicherungen. Die Beiträge für die KV. und Pensionsversicherung werden zu zwei Fünftel von dem Arbeitgeber und zu drei Fünfteln von dem Versicherten (§§ 117, 130 RKG.) getragen. In der Verwaltung der Organe des RKG. ist das Stimmrecht entspre­ chend geteilt (§§ 147, 169 RKG.). Für die UV. knappschaftlicher Betriebe ist die KnappschastsBG. (s. d.) zuständig. Das RBA. hat zahlreiche Entscheidungen über den Begriff des A. in der Sozialversicherung gefällt (Handb. I 356ff.). Für die Arbeitslosenversicherung ist der Begriff des A. mit dem Begriff des A. auf anderen Ge­ bieten der Arbeiterversicherung gleichbedeutend. Dem A. fällt die Hälfte der Beiträge zur Last; ihm obliegt die Zahlungspflicht für die ganzen Beiträge. Dementsprechend ist das Stimmrecht in den Organen der Reichsanstalt für Arbeits­ vermittlung und Arbeitsversicherung bemessen (§§ 143ff., § 198 ArblosVG.). F. H. Arbeitgeberverbände haben den Zweck, die In­ teressen der Arbeitgeber gegenüber den Organi­ sationen der Arbeitnehmer (s. Gewerkschaften) zu wahren. Ihre Spitzenorganisation ist der Zen­ tralausschuß der A. Daneben gibt es noch einen Reichsverband der deutschen Industrie und den deutschen Industrie- und Handelstag. F. H. Arbeitsamt (internationales) in Genf ist durch den Versailler Friedensvertrag (s. d.) ins Leben gerufen; s.JnternationalerArbeiterschutz. Arbeitsbuch. I. Erfordernis eines A. Eines A. bedürfen die aus der Volksschule entlassenen minderjährigen Arbeiter ohne Unterschied des Ge­ schlechts, auf die die Vorschriften des Titels VII der GewO. Anwendung finden (§ 107 GewO.). Das gleiche gilt nach §§ 85 b bis 85h des BergG. vom 24. 6. 1865 (GS. 705) in der Fassung des G. vom 24. 6. 1892 (GS. 131) für minderjährige Arbeiter in Bergwerken (s. d.), in Aufbereitungs­ anstalten (s. d.), in unterirdisch betriebenen Brü­ chen und Gruben (s. d.) und in Salinen (s. d.). Ob die Arbeiter ausdrücklich als Gesellen, Ge­ hilfen, Lehrlinge, Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker oder Fabrikarbeiter angenommen sind oder nur tatsächlich als solche beschäftigt werden, ob sie von Handwerkern oder von größeren Unter­ nehmern angenommen sind, ob sie in deren Behau­ sung, ob sie in Werkstätten, in Fabriken, im Freien, auf Bauplätzen oder bei Bauten arbeiten, ist gleich­ gültig. Die Arbeiter in Hüttenwerken, auf Zimmer­ plätzen und anderen Bauhöfen sind zur Führung eines A. verpflichtet. Eines A. bedürfen nicht: 1. Kinder, die bei ihren Angehörigen und für diese, und zwar nicht auf Grund eines Arbeitsvertrags, mit gewerblichen Arbeiten beschäftigt sind; 2. Haus­ gehilfen (s. d.); 3. die mit gewöhnlichen auch außer­ halb des Gewerbes vorkommenden Arbeiten be­ schäftigten Tagelöhner und Handarbeiter; 4. Ge­ hilfen und Lehrlinge in Apotheken und Handels­ geschäften (Zisf. 181, 182, AusfAnw. zur GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123). S. auch Kinder. II. Formular. Das Formular für das A. gewerblicher Arbeiter ist vom RK. auf Grund des § 110 Abs. 2 GewO, unter dem 7. 11. 1900, das A. für minderjährige Bergarbeiter durch Abschnitt A AusfAnw. zum G. vom 24. 6. 1893 in der Fassung der Anw. vom 5. 3.1901 (HMBl. 190) festgestellt (AusfAnw. zur GewO. Nr. 183).

III. Ausstellung. Das A. wird auf Antrag oder mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§§ 1627, 1630, 1648, 1685, 1773 BGB.) durch die Polizeibehörde desjenigen Ortes, an welchem der Arbeiter zuletzt seinen dauernden Aufenthalt gehabt hat, wenn aber ein solcher im Gebiete des Deutschen Reichs nicht stattgefunden hat, von der Polizeibehörde des von ihm zuerst erwählten deutschen Arbeitsorts kosten- und stempelfrei aus­ gestellt. Die Zustimmung des gesetzlichen Ver­ treters kann durch den Gemeindevorstand ergänzt werden. Vor der Ausstellung ist nachzuweisen, daß der Arbeiter zum Besuche der Volksschule nicht mehr verpflichtet ist, und glaubhaft zu machen, daß bisher ein A. für ihn noch nicht aus­ gestellt war (§ 108 GewO.). Wenn das A. voll­ ständig ausgefüllt oder nicht mehr brauchbar, oder wenn es verloren gegangen oder vernichtet ist, so wird an Stelle desselben ein neues A. aus­ gestellt. Das ausgefüllte oder nicht mehr brauch­ bare A. ist durch einen amtlichen Vermerk zu schließen (§ 109 GewO.). Ist das A. unbrauchbar geworden, verloren gegangen oder vernichtet, oder sind von dem Arbeitgeber unzulässige Merk­ male, d. s. Kennzeichen, deren Bedeutung Un­ eingeweihten nicht ohne weiteres erkennbar sind (RGSt. 22, 200), Eintragungen oder Vermerke in oder an dem A. gemacht, oder wird von dem Arbeitgeber ohne rechtmäßigen Grund die Aus­ händigung des A. verweigert (s. unter IV), so kann die Ausstellung eines neuen A. beansprucht werden (8 112 GewO. Abs. 1). Hierfür ist eine Gebühr bis 50 Pf. zu entrichten (G. vom 16. 7. 1925, RGBl. I 145), und zwar vom Arbeitgeber, wenn durch sein Verschulden die Ausstellung eines neuen A. notwendig geworden ist (Ziff. 190 Ausf­ Anw. zur GewO.). IV. Verpflichtungen des Arbeitgebers. Bei dem Eintritte des Arbeiters in das Arbeits­ verhältnis hat der Arbeitgeber das A. einzu­ fordern. Er ist verpflichtet, dasselbe zu ver­ wahren, auf amtliches Verlangen vorzulegen und nach rechtmäßiger Lösung des Arbeitsverhäldnisses wieder auszuhändigen (§ 107 GewO.). Bei Beginn des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeit­ geber an der dafür bestimmten Stelle des A. die Zeit des Eintritts und die Art der Beschäftigung, am Ende des Arbeitsverhältnisses die Zeit des Austritts und, wenn die Beschäftigung Änderun­ gen erfahren hat, die Art der letzten Beschäftigung des Arbeiters einzutragen. Die Eintragungen sind mit Tinte zu bewirken und von dem Arbeitgeber oder dem dazu bevollmächtigten Betriebsleiter zu unterzeichnen; sie dürfen nicht mit einem Merk­ male versehen sein, das den Inhaber des A. günstig oder nachteilig zu kennzeichnen bezweckt. Die Eintragung eines Urteils über die Führung oder die Leistungen eines Arbeiters und sonstige in der GewO, nicht vorgesehene Eintragungen oder Vermerke in oder an dem A. sind unzulässig (§ 111 GewO.). Ein Arbeitgeber, der das A. seiner gesetzlichen Verpflichtung zuwider nicht rechtzeitig ausgehändigt oder die vorschrifts­ mäßigen Eintragungen zu machen unterlassen oder unzulässige Merkmale, Eintragungen oder Vermerke gemacht hat, ist dem Arbeiter ent­ schädigungspflichtig. Der Anspruch auf Ent­ schädigung erlischt, wenn er nicht innerhalb vier Wochen nach seiner Entstehung im Wege der Klage

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Arbeitsfähigkeit — Arbeitsgerichte oder Einrede geltend gemacht ist (§ 112 Abs. 2 GewO.). Die Eintragungen in das A. sind auf Antrag des Arbeiters von der OPB. kosten- und stempelfrei zu beglaubigen (§ 114 GewO.). V. Strasvorschriften in § 146 Abs. 3, § 150 Abs. 1 Ziff. 1—3 GewO. VI. Streitigkeiten über die Aushändigung oder den Inhalt des A. sowie über gesetzwidrige oder unrichtige Eintragungen in dieses entscheiden die Arbeitsgerichte (s. d.). F. H. Arbeitsfähigkeit und ihr Gegensatz, die Ar­ beitsunfähigkeit, spielen in der Durchführung der Sozialversicherung eine wesentliche Rolle, indem sie eine der Voraussetzungen für die Ge­ währung der Leistungen aus der Sozialversiche­ rung darstellen. A. bildet eine der Voraus­ setzungen für den Anspruch auf Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung (f. d.). Im Bereiche der übrigen Sozialversicherung ist die Arbeits­ unfähigkeit Voraussetzung für die Leistungspflicht der Versicherungsträger. So wird auf dem Ge­ biete der KV. der Anspruch auf Krankengeld (f. d.), bei Arbeitsunfähigkeit (f. d.) begründet. Auf dem Gebiete der UV. (f. d.) wird die Arbeitsunfähig­ keit als Erwerbsunfähigkeit bezeichnet; nach dem Maße der verbleibenden Erwerbsunfähigkeit wird die Höhe der Rente bestimmt. In der JnV. (s. d.) heißt die Arbeitsunfähigkeit Invalidität. Liegt sie vor, so wird Invalidenrente gezahlt. Auf dem Gebiete der Angestellten- und Reichsknappschafts­ versicherung ist die Berufsinvalidität Voraus­ setzung für den Bezug des Ruhegeldes, des Knappschastsruhegeldes oder der Knappschafts­ pension. F. H. Arbeitsfiirsorge (BerusSfürsorge). A. ist der­ jenige Zweig der — öffentlichen und privaten — Wohlfahrtspflege (Fürsorge), der zum Ziele hat, die Not des Einzelnen dadurch zu beheben oder zu verhüten, daß ihm Arbeit und Arbeitsverdienst verschafft wird. Muß dem Hilfsbedürftigen erst zu einem Berufe verhalfen werden — wie bei Jugendlichen, die zu einer Berufsarbeit noch nicht ausgebildet sind, oder bei Berufsarbeitern, die wegen Erwerbslosigkeit oder aber wegen Über­ füllung des Arbeitsmarktes ihres Berufs für einen anderen Beruf ausgebildet (umgeschult) werden müssen —, so hat die A. den Charakter der Berufsfürsorge. Die A. ist nach Art. 163 RV. eine Pflicht des Staates. Dieser Pflicht des Staates, jedem Deutschen die Möglichkeit zu geben, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unter­ halt zu erwerben, entspricht die Pflicht jedes Ein­ zelnen, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert. Der Verfassungsvorschrift gemäß sind für die Träger der öffentlichen Fürsorge in den §§ 19ff. der Reichsfürsorgeverordnung und den §§ 1 Abs. 2, 7 der Reichsgrundsätze über Voraus­ setzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (s. Fürsorge, öffentliche VI u. VII) Vor­ schriften über A. und Arbeitspflicht erlassen. Die Maßnahmen der A. (B.) bestehen in Arbeits­ vermittlung, Arbeitsberatung, Einrichtung von Notstandsarbeiten, Einrichtung von Werkstätten für Erwerbsbeschränkte, von Arbeitslehrkolonien und Lehrwerkstätten für berufsschwache Jugend­ liche, Veranstaltungen zur beruflichen Fortbildung und Umschulung, Verlängerung der Schulpflicht (s. auch Arbeitslosenversicherung VI,Wohl­

fahrtspflege II, Krüppelfürsorge, Blin­ denfürsorge). Zur A. gehören auch die Be­ strebungen zur Verwertung der Arbeitskraft der Insassen der Anstalten der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege. Eine besondere Art der A. (in der Form von Einstellungszwang und Kün­ digungsschutz) ist die durch ReichsG. geregelte Schwerbeschädigtenfürsorge (s. d.), ferner der Kündigungsschutz für ältere Angestellte gemäß dem G. vom 9. 7.1926 (s. Angestellte). v. G. Die Verwertung der Arbeitskraft als Problem der Für­ sorge Vorbericht für den 40. Deutschen Fürsorgetag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 23.-25. 5. 1927, Neue Folge der Schriften dieses Vereins, 9. Heft.

Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber und Ar­ beitnehmer ist am 15. 11. 1918 zwischen den großen Arbeitgeberverbänden und den Gewerk­ schaften vereinbart worden, vgl. Erl. vom 2. 12. 1918 (HMBl. 298), doch haben sie keine wesent­ liche Bedeutung gewonnen, ganz abgesehen da­ von, daß im weiteren Verlauf durch die Gesetz­ gebung das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern entsprechend ausgestaltet worden ist. S. auch Lehrer an Volksschulen 7 (Prü­ fungen). F. H. Arbeitsgerichte. I. Geschichtliche Entwick­ lung. Der § 120a GewO, in der Fassung der Bek. vom 1. 7. 1883, der durch die Nov. zur GewO, vom 17. 7. 1879 (RGBl. 199) mit nur unerheblichen Änderungen an die des § 108 der GewO, vom 21. 6. 1869 gesetzt worden war, verwies die Entscheidung der Streitigkeiten der selbständigen Gewerbetreibenden mit ihren Ar­ beitern, soweit nicht für die Angelegenheiten be­ sondere Behörden bestanden, an den Gemeinde­ vorsteher, ließ aber zu, daß statt dessen durch Orts­ statut Schiedsgerichte, welche durch die Gemeinde­ behörde unter gleichmäßiger Zuziehung von Ar­ beitgebern und Arbeitern zu bilden waren, mit der Entscheidung betraut wurden. Die Einsetzung gewerblicher Schiedsgerichte wurde auf diesem Wege nur in beschränktem Maße erreicht. Nach­ dem verschiedene gesetzgeberische Versuche sehl­ geschlagen waren, kam eine allgemeine Regelung der Gewerbegerichte erst durch G., betr. die Gewerbegerichte, vom 29. 7. 1890 (RGBl. 141) zustande. Zur Beseitigung der in der Praxis hervorgetretenen Lücken wurden Abänderungen herbeigeführt, mit dem das G. als GewerbegerichtsG. irrt RGBl. 1901, 353 veröffentlicht wurde. Zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst- und Lehrverhältnisse zwischen Kauf­ leuten einerseits und ihrer Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlinge andererseits wurde so­ dann im G., betr. Kaufmannsgerichte, vom 6. 7. 1904 (RGBl. 266) die Möglichkeit und für Ge­ meinden mit mehr als 20000 Einwohnern die Verpflichtung zu ortsstatutarischer Errichtung von Kaufmannsgerichten vorgeschrieben. Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte mußten nur in Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern errichtet werden, während in den übrigen Gemeinden die Entschließung über die Errichtung den Gemeinden überlassen wurde, sofern nicht der HM. auf Antrag beteiligter Ar­ beitgeber oder Arbeiter die Errichtung anordnete. Soweit Gewerbe- und Kaufmannsgerichte nicht bestanden, konnte jede Partei die Entscheidung des Gemeindevorstehers anrufen, die in Rechts­ gy

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Arbeitsgerichte

kraft überging, wenn sie nicht binnen zehn Tagen sitzer der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer tätig. von einer der Parteien durch Klage bei dem Jeder Senat des Reichsarbeitsgerichts entscheidet ordentlichen Gericht angefochten wurde. Durch in der Besetzung von einem Vorsitzenden, zwei die V. über das Schlichtungswesen vom 30. 10. richterlichen Beisitzern und je einem Beisitzer der 1923 (RGBl. I 1043) wurde den Gewerbe- und Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Kaufmannsgerichten bis zur Errichtung all­ III. Zuständigkeit. Die A. sind nach § 2 gemeiner A. bei Streitfällen, in denen aus Ar­ des ArbeitsgerichtsG. unter Ausschluß der ordent­ beitnehmerseite nur Handlungsgehilfen und Hand­ lichen Gerichte ohne Rücksicht auf den Wert des lungslehrlinge beteiligt waren, die Aufgaben der Streitgegenstandes zuständig: 1. für bürgerliche A. übertragen. In Bezirken, in denen ein Ge­ Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien werbegericht oder Kaufmannsgericht nicht be­ oder zwischen diesen und Dritten aus Tarifver­ stand, galt der Schlichtungsausschuß (s. d.) als trägen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen A. Die Kammer bestand in diesem Falle aus dem von Tarifverträgen und für bürgerliche Rechts­ unparteiischen Vorsitzenden und je einem Bei­ streitigkeiten zwischen tarifvertragsfähigen Par­ sitzer der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer teien oder zwischen diesen und Dritten aus un­ (Art. II § 2 o. a. O.). Durch das ArbeitsgerichtsG. erlaubten Handlungen, sofern es sich um Maß­ vom 23. 12. 1926 (RGBl. I 507) wurde in der nahmen zu Zwecken des Arbeitskampfes oder um Gestalt der A. eine einheitliche Gerichtsbarkeit Fragen der Vereinigungsfreiheit handelt; 2. für für fast alle Streitigkeiten aus dem Arbeits­ bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeit­ privatrecht und für Streitigkeiten zwischen dem gebern und Arbeitnehmern, dazu gehören auch Unternehmer und seiner Betriebsvertretung ge­ die Hausgewerbetreibenden (§ 5), aus dem Arschaffen. Dabei wurde in allen Instanzen der beits- oder Lehrverhältnis, über das Bestehen Grundsatz durchgeführt, daß neben rechtskundigen oder Nichtbestehen eines Arbeits- oder Lehrver­ Richtern Beisitzer aus den Kreisen der Arbeit­ trags, aus Verhandlungen über die Eingehung geber und Arbeitnehmer herangezogen werden. eines Arbeits- oder Lehrverhältnisses und aus II. Aufbau und Besetzung. 1. A. erster dessen Nachwirkungen sowie für bürgerliche Instanz sind als selbständige staatliche Gerichte Rechtsstreitigkeiten aus unerlaubten Handlungen, im Einvernehmen mit dem HM. — Erl. vom soweit diese mit dem Arbeits- oder Lehrverhält­ 18. 3. 1927 (HMBl. 101) — durch den JuM. nis im Zusammenhang stehen; ausgenommen regelmäßig für den Bezirk eines Amtsgerichts sind Streitigkeiten, deren Gegenstand die Er­ errichtet. Sie stehen außerhalb der ordentlichen findung eines Arbeitnehmers bildet, soweit es Gerichtsbarkeit. Die Vorsitzenden sind richterliche sich nicht nur um Ansprüche aus eine Vergütung Beamte; die Beisitzer („Arbeitsrichter") werden oder Entschädigung für die Erfindung handelt, von dem RP., in Berlin vom OP. im Einver­ und Streitigkeiten der nach § 481 des HGB. zur nehmen mit dem Präsidenten des Landgerichts, Schifssbesatzung gehörenden Personen; 3. für bei dem das übergeordnete Landesarbeitsgericht bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeit­ besteht, aus Vorschlag der örtlichen Arbeitgeber- nehmern aus gemeinsamer Arbeit und aus un­ und Arbeitnehmerverbände berufen (Erl. vom erlaubten Handlungen, soweit diese mit dem 30. 4. 1927, HMBl. 140). Bei den A. sind in der Arbeits- oder Lehrverhältnis im Zusammenhang Regel getrennte Kammern für Arbeiter und An­ stehen; 4. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten gestellte zu bilden; für Streitigkeiten des Hand­ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus werks müssen Fachkammern (Handwerksgerichte) den §§ 86, 87 BRG.; 5. in folgenden Fällen des gebildet werden. BRG.: für die Entscheidung über das Erlöschen 2. A. zweiter Instanz sind die Landesarbeits­ der Mitgliedschaft in Vetriebsvertretungen (§§ 39, gerichte, die bei bestimmten Landgerichten (s. V. 56 Abs. 2, § 60), für die Entscheidung über die vom 10.6.1927, GS. 97) bestehen. Die Vorsitzen­ Auflösung von Betriebsvertretungen (§§ 41, 44, den werden aus den Direktoren und den ständigen § 56 Abs. 2), für die Berufung vorläufiger Be­ Mitgliedern des Landgerichts oder aus Ober­ triebsvertretungen (§ 43 Abs. 2, § 44 Abs. 4, landesgerichtsräten, die Beisitzer („Landesarbeits­ § 56 Abs. 2, § 60), für die Entscheidung über Bil­ richter") wie die Beisitzer der A. berufen. Bei dung und Auflösung gemeinsamer Betriebsver­ den Landesarbeitsgerichten können mehrere Kam­ tretungen (§§ 52, 53), für die Festsetzung von mern vom JuM. im Einvernehmen mit dem Strafen nach § 134b GewO. (§ 80 Abs. 2), für die Entscheidung über das Vorliegen eines Ver­ HM. gebildet werden. 3. Als dritte Instanz ist das Reichsarbeits­ stoßes gegen vereinbarte Richtlinien über die Ein­ gericht beim Reichsgericht vorgesehen. Vor­ stellung von Arbeitnehmern (§§ 82, 83), für die sitzender ist ein Senatspräsident des Reichs­ Entscheidung von Streitigkeiten über die Er­ gerichts, richterliche Beisitzer sind Reichsgerichts­ richtung, Zusammensetzung und Tätigkeit von räte. Die nichtrichterlichen Beisitzer („Reichs­ Betriebsvertretungen und aus Wahlen zu ihnen arbeitsrichter") werden vom RAM. im Einver­ (§ 93), für die Ersetzung der Zustimmung von nehmen mit dem RMdJ. auf Grund von Vor­ Betriebsvertretungen zur Kündigung oder Ver­ schlägen der Spitzenverbände der Arbeitgeber und setzung ihrer Mitglieder (§§ 97, 98). Die in Arbeitnehmer berufen. Beim Reichsarbeits- Zisf. 1—4 begründete Zuständigkeit besteht auch gericht können mehrere Senate nach Bestimmung in den Fällen, in denen der Rechtsstreit durch einen des RIM. im Einvernehmen mit dem RAM. ge­ Rechtsnachfolger oder durch eine Person geführt bildet werden. Die Kammern des A. und des wird, die kraft G. an Stelle der ursprünglichen Landesarbeitsgerichts entscheiden in der Besetzung Partei hierzu befugt ist. Die Zuständigkeit ist mit einem Vorsitzenden und je einem Beisitzer dahin erweitert, daß auch andere Klagen gegen der Arbeitgeber und der Arbeiter. Bei Streitig­ Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie von solchen keiten zwischen Tarisparteien sind je zwei Bei­ gegen Dritte von den A. entschieden werden, die

Arbeitsgerichte mit einer beim A. anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitig­ keit der unter Zifs. 1—4 bezeichneten Art im rechtlichen oder unmittelbar wirtschaftlichen Zu­ sammenhänge stehen und für ihre Geltendmachung nicht eine ausschließliche Zuständigkeit gegeben oder die Zuständigkeit des A. ausdrücklich aus­ geschlossen ist. Auch bürgerliche Rechtsstreitig­ keiten zwischen juristischen Personen des Privat­ rechts und ihren gesetzlichen Vertretern können durch Vereinbarung vor die A. gebracht werden. Für Strafsachen und Bußen (f. Hausarbeit) sind die A. nicht zuständig (§ 3). Die Landes­ arbeitsgerichte entscheiden über die Berufung gegen Urteile der A., mit Ausnahme der Ver­ säumnisurteile, und über Rechtsbeschwerden gegen die ein Beschlußverfahren abschließenden Be­ schlüsse der A. Das Neichsarbeitsgericht ist für die Entscheidung über die Revision, gegen die Urteile der Landesarbeitsgerichte und in Aus­ nahmefällen auch über Rechtsbeschwerden gegen Beschlüsse der A. zuständig (§ 8). IV. Verfahren. Das Verfahren vor dem A. richtet sich im allgemeinen nach den für das Ver­ fahren vor den Amtsgerichten maßgebenden Vor­ schriften der ZPO., doch gelten folgende Be­ sonderheiten: 1. das Verfahren ist zu beschleu­ nigen. Gerichtsferien sind nicht zu berücksich­ tigen; 2. ein Mahnverfahren und der Erlaß von Zahlungsbefehlen ist ausgeschlossen; 3. das Be­ schlußverfahren ist nur bei Streitigkeiten aus dem BRG. zugelassen, im übrigen entscheiden die A. im Urteilsverfahren. Während das Klagever­ fahren wie vor den Amtsgerichten durch Klage der Partei eingeleitet wird, ist für das Beschwerde­ verfahren ein Antrag nötig. Eine mündliche Ver­ handlung gibt es in diesem Verfahren nicht, doch findet eine mündliche oder schriftliche Anhörung der Beteiligten statt; 4. die Einlassungs- und Ladungsfrist beträgt mindestens zwei Tage, wenn die beklagte Partei am Sitze des A. wohnt, min­ destens drei Tage, wenn der Ort der Zustellung im Bezirke des A. liegt, im übrigen mindestens drei Wochen. Vor den Landesarbeitsgerichten und dem Reichsarbeitsgericht beträgt die Einlassungs­ frist mindestens zwei Wochen; 5. alle Zustellungen und Ladungen erfolgen von Amts wegen; 6. das persönliche Erscheinen der Parteien kann jeder­ zeit angeordnet werden; 7. Rechtsanwälte und Personen, die das Verhandeln vor den Gerichten geschäftsmäßig betreiben, werden vor den A. als Prozeßbevollmächtigte oder als Beistand nicht zugelassen. Das gilt aber nicht für Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, so­ weit sie für den Verband oder für Verbands­ mitglieder austreten und nicht neben dieser Ver­ tretung die Tätigkeit als Rechtsanwalt ausüben oder sonst das Verhandeln vor Gericht gewerbs­ mäßig betreiben. Bor den Landesarbeitsgerichten und dem Reichsarbeitsgericht besteht Anwalts­ zwang, doch können vor den ersteren Vertreter von beteiligten Arbeitgeber- oder Arbeitnehmer­ verbänden an ihre Stelle treten (§ 11); 8. die mündliche Verhandlung beginnt mit einem Güte­ verfahren durch den Vorsitzenden. Erscheint eine Partei dazu nicht, so schließt sich die weitere Ver­ handlung unmittelbar an. Ergeht das Urteil ohne mündliche Verhandlung auf Grund eines Versäumnisses, eines Anerkenntnisses oder einer

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Zurücknahme der Klage oder in der sich an das Güteverfahren anschließenden Verhandlung auf übereinstimmenden Antrag der Parteien, so ent­ scheidet der Vorsitzende allein. Sonst erläßt der Vorsitzende einen Beweisbeschluß und bestimmt Termin zur Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die möglichst in einem Termin zu Ende zu führen ist. Die Leistung eines zugeschobenen oder zu­ rückgeschobenen Eides wird durch Beweisbeschluß angeordnet; ein richterlicher Eid darf nur durch ein eidbedingtes Endurteil auferlegt werden (§§ 51—58); 9. das Urteil wird am Schluß der Verhandlung vor der Kammer verkündet; das gleiche gilt für den Beschluß im Beschlußversahren. Nur aus besonderen Gründen darf ein beson­ derer Termin für die Verkündung angesetzt werden; 10. Rechtsmittel im Verfahren vor den A. sind der Einspruch gegen Versäumnis­ urteile, die Berufung gegen Urteile und die Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse der A. Der Einspruch muß binnen drei Tagen nach der Zu­ stellung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes 300 RM übersteigt oder das A. die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechts­ streits zugelassen hat. Die Berufungsfrist und die Frist für die Begründung der Berufung betragen zwei Wochen. Neue Tatsachen und Beweis­ mittel sind in der ersten mündlichen Verhandlung vorzubringen (§§ 64—71). Gegen die Urteile der A. kann unter Übergehung des Landesarbeits­ gerichts unmittelbar beim Reichsarbeitsgericht Revision (Sprungrevision) eingelegt werden, wenn die Revisionsgrenze vom Wert des Streit­ gegenstandes überschritten wird und der Gegner einwilligt oder der RAM. die Sprungrevision für notwendig erklärt. Gegen die Urteile der Landes­ arbeitsgerichte findet binnen zwei Wochen die Re­ vision bei einem Wert des Streitgegenstandes von 4000 RM statt oder wenn das Landesarbeits­ gericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits die Revision zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Nichtanwendung oder der unrich­ tigen Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift oder eine die Regelung der einzelnen Arbeitsverträge betreffende Bestimmung des Tarifvertrags be­ ruht (§§ 72—77). Gegen Beschlüsse des A. greift das Beschwerdeverfahren Platz. Betrifft das Beschlußverfahren Unternehmungen der Verwal­ tungen, die sich über den Bezirk eines Landes hinaus erstrecken oder die hinsichtlich der dienst­ lichen Verhältnisse der Arbeitnehmer der Auf­ sicht des Reiches unterstehen, so ist das Reichs­ arbeitsgericht zuständig (§ 85). Die Rechts­ beschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß der Beschluß des Amtsgerichts auf der Nicht­ anwendung oder der unrichtigen Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift beruht (§ 86); 11. die Urteile des A., gegen die Einspruch oder Berufung zugelassen ist, sind von Amts wegen für vor­ läufig vollstreckbar zu erklären, sofern nicht der Beklagte glaubhaft macht, daß ihm die Voll­ streckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil zu­ fügen würde. In diesem Fall ist die vor­ läufige Vollstreckbarkeit im Urteil ausgeschlossen (§ 62); 12. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeits- oder Lohnverhältnis, das

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Arbeitshäuser — Arbeitslosenfürsorge

sich nach einem Tarifvertrag bestimmt, können die Parteien die Arbeitsgerichtsbarkeit im Tarif­ verträge ausschließen und dafür die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbaren (§§91 bis 100). Auf dem gleichen Wege und unter den gleichen Voraussetzungen kann vereinbart werden, daß dem arbeitsgerichtlichen Verfahren ein Einigungsverfahren vor einer vereinbarten Gütestelle vorausgehen soll (Gütevertrag §§ 101 bis 105) oder daß Tatfragen, die für die Ent­ scheidung des Rechtsstreits erheblich sind, durch ein Schiedsgutachten entschieden werden soll (§§ 106, 107 Schiedsgutachtenvertrag). V. Gebühren, Auslagen, Aufbringung der Mittel. 1. Gebühren und Auslagen werden im Beschlußverfahren nicht erhoben. Im Urteilsverfahren werden Kostenvorschüsse nicht erhoben; die Kosten und Auslagen sind erst nach Abschluß des Verfahrens fällig. Das gleiche gilt für die Zwangsvollstreckung. Vor den A. wird eine einmalige Gebühr, und zwar bei einem Streitwert bis einschließlich 20 RM 1 RM, von mehr als 20 bis zu 60 RM einschließlich 2 RM, von mehr als 60 bis zu 100 RM einschließlich 3 RM und von da ab für jede angefangenen 100 RM je 3 RM bis zu höchstens 500 RM er­ hoben (§ 129). Schreibgebühren werden nicht angefetzt. Vergleiche sind gebührenfrei. Bei An­ erkenntnisurteilen oder Zurücknahme der Klage ohne Verhandlung wird keine Gebühr, bei Verfäumnisurteilen ohne streitige Verhandlung nur die halbe Gebühr erhoben. 2. Ausbringung der Mittel. Die Kosten der A. und Landesarbeitsgerichte tragen die Län­ der; das Reich trägt die Kosten des Reichs­ arbeitsgerichts. Die Gemeinden und Gemeinde­ verbände müssen den Ländern die bisherigen Räume der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte mit ihrer Ausstattung unentgeltlich zur Ver­ fügung stellen. Das Vermögen der königlichen Gewerbegerichte in der Rheinprovinz geht aus das Land über. VI. Aufsicht. Die Geschäfte der Verwaltung und Dienstaufsicht über die A. und Landes­ arbeitsgerichte führt der JuM. im Einvernehmen mit dem HM. als oberste Landesbehörde für Sozialverwaltung (Erl. vorn 18. 3. 1927, HMBl. 101). F. H. Arbeitshäuser. Ursprünglich meist vor: den Gemeinden, später von größeren Verbänden er­ richtet, um die in ihrer Armenpflege befindlichen Personen zu beschäftigen, ober um Arbeitsscheue wieder an Arbeit zu gewöhnen, sind die jetzigen A. — ihre Einführung in Preußen ist 1843 er­ folgt und ihre Bezeichnung durch § 362 StGB, festgesetzt — in Unterscheidung von den Armen­ häusern für Arbeitsunfähige diejenigen — auch Besserungs-, Korrektions-, Korrigenden-, Ar­ beitsanstalten genannten — Anstalten, in welchen die mit korrektioneller Nachhaft bestraften Per­ sonen unterzubringen sind (§§ 285a, 361 Ziff. 3 bis 8 StGB.). Mit Ausnahme einiger unter städtischer Verwaltung befindlicher unterstehen sie den Landesfürsorgeverbänden und sind von diesen zu unterhalten (s. Korrektionelle Nach­ haft). Ihre Einrichtung und ihre Verwaltung sind durch besondere Bestimmungen geordnet (G. vom 8. 3. 1871, GS. 130; § 120 der ProvO. vom 29. 6. 1875, GS. 335; 1881, 233; 3 25 des

DotationsG. vom 30. 4. 1873, GS. 187). Wegen der körperlichen Züchtigung in ihnen s. Vf. vom 12. 4. 1873 (MBl. 124.) Insassen von A. unter­ liegen, da die Arbeiterversicherung nur freie Arbeiter ergreift, weder der KV. (s. d.) noch der UV. (s. d.) noch der JV. (s. d. und Anl. des RVA. vom 6. 12. 1905, AN. 613; HMBl. 1906 Beil, zu Nr. 2, Nr. 18d). Wegen der Unfallfürsorge s. Ge­ fangene. Für sie ruht, wenn die Unterbringung über einen Monat dauert, das Recht aus Bezug der Unfall-, Invaliden- und Altersrenten nach § 94 Ziff. 1 GUVG., § 100 Ziff. 1 LUVG., § 37 BUVG., § 98 Ziff. 1 SUVG., § 48 Ziff. 3 und Abs. 2 JnvVG. (Vf. vom 16. 10. 1906, MBl. 253). In den 24 in Preußen vorhandenen Korrektions- und Arbeitsanstalten hat bei den auf Grund des § 362 StGB, internierten Personen 1907 betragen: der Zugang an männlichen Korrigenden 6716, an weiblichen 731 und der Abgang an jenen 6839, an diesen 892. Öffentliche preuß. Arbeitsanstalten haben keine Stempelsteuer zu zahlen, außerpreuß. nicht bei Verbürgung der Gegenseitigkeit § 5 Abs. Ick u. 3 LStG.). — Hinsichtlich der Erbschafts- und Schenkungssteuer gelten § 12 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 3, 4 sowie § 55 RErbStG., wo­ nach öffentliche inländische A., denen die Rechte juristischer Personen zustehen, für Anfälle bis ein­ schließlich 5000 RM keine Erbschafts- und Schen­ kungssteuer, für größere Anfälle dagegen 5% ohne weitere Staffelung zahlen. Ausländischen A. kann bei Verbürgung der Gegenseitigkeit die gleich Vergünstigung zugestanden werden (vgl. Korrektionsanstalten, Nachhaft, korrektionelle). Hg. Monte Müller, Korrektionsanstolt und Landarmen­ haus.

Arbeitskarte. Bis zum Inkrafttreten der Novelle zur GewO, vom 1. 6. 1891 (RGBl. 261) war für die Beschäftigung von Kindern über 12 Jahren in Fabriken — die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jähren war verboten — eine A. notwendig. Nachdem durch die genannte Novelle die Beschäftigung von Kindern in Fabriken über­ haupt verboten wurde (§ 135 GewO.), siel auch die A. fort. Sie ist durch das KinderschutzG. vom 30. 3. 1903 (RGBl. 113), abg. durch G. vom 30. 7. 1925 (RGBl. II 162) für die Beschäftigung fremder Kinder im stehenden Gewerbebetriebe wieder eingeführt. Das Verfahren bei Ausstel­ lung von Ä. ist im wesentlichen das gleiche wie bei der Ausstellung von Arbeitsbüchern (s. d.); Ziff. H ff.,AusfAnw. vom 3.5.1926 (HMBl. 125) wo auch das Formular festgesetzt ist. Der Arbeit­ geber hat die A. in gleicher Weise wie das Arbeitsbllch zu behandeln. Streitigkeiten über die Aushän­ digung der A. und den Inhalt der Eintragungen werden durch die ArbG. (s. d.) entschieden. F. H. Arbeitslosenfürsorge ist, soweit es sich um Barleistungen an die Arbeitnehmer handelt, durch die Arbeitslosenversicherung (s. d.) ersetzt. Zur Förderung von Maßnahmen, die die Arbeits­ losigkeit verringern, insbesondere zur Beschaffung zusätzlicher Arbeitsgelegenheit für Arbeitslose kann der Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts (s. Arbeitsvermittlung II) Darlehen und Zu­ schüsse aus Mitteln der Reichsanstalt für Arbeits­ vermittlung und Arbeitslosenversicherung inso­ weit zur Verfügung stellen, als die Mittel der Reichsanstalt durch die Maßnahme entlastet wer-

Arbeitslosenversicherung den (wertschaffende A.). Die Befugnis kann auf die Arbeitsämter übertragen werden. Es dürfen nur solche Maßnahmen gefördert werden, die für die Volkswirtschaft von produktivem Werte sind, und insbesondere solche, die geeignet sind, die Menge einheimischer Nahrungsmittel, Roh­ stoffe oder Betriebsstoffe zu vermehren. Dar­ lehen und Zuschüsse an private, auf Erwerb ge­ richtete Unternehmungen dürfen nicht gewährt werden. Der Verwaltungsrat der Reichsanstalt erläßt mit Zustimmung des RAM. bindende Richt­ linien. Für Maßnahmen dieser Art, die für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt besonders wert­ voll sind, kann der RAM. zur Verstärkung der Förderung Darlehen und Zinszuschüsse aus den verfügbaren Haushaltsmitteln des Reiches zur Verfügung stellen, und die Reichsanstalt oder die obersten Landesbehörden mit der Bewilligung im einzelnen beauftragen. In der Regel ist Be­ dingung, daß das betreffende Land auch Darlehen und Zinszuschüsse in gleicher Höhe gewährt, deren Bewilligung im einzelnen mit Zustimmung des Vorstandes der Reichsanstalt den Vorsitzenden der Landesarbeitsämter übertragen werden kann. Der Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts kann eine obere Grenze für die Entlohnung der Notstandsarbeiter festsetzen und die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrags festsetzen. Im übrigen sind die Notstandsarbeiter freie Arbeiter. S. Bek. des NAM. über öffentliche Notstands­ arbeiten vom 30. 4. 1925 (RABl. 53) in der Fas­ sung der V. vom 29. 9. 1927 (RGBl. I 311); AussB. für die Förderung des Baues von Land­ arbeiterwohnungen aus Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge vom 22. 3. 1925 (RABl. 126); Erl., betr. Errichtung von Arbeitsnachweis­ gebäuden aus Mitteln der Erwerbslosenfürsorge, vom 23. 7. 1925 (RABl. 325). F. H. Arbeitslosenversicherung. I. Geschichtliche Entwicklung. Die Versuche, im Rahmen der Arbeiterversicherung eine Versicherung gegen die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitslosigkeit her­ beizuführen, gehen weit zurück. Für eine allge­ meine Regelung erschien damals die Frage nicht reif, zumal die Arbeitslosigkeit in erster Linie die Gemeinden mit ihren verschiedenen Wirtschafts­ verhältnissen angehe und daher zunächst von diesen zu beseitigen sei. Infolgedessen wurde tattächlich in einzelnen Gemeinden der Versuch unternommen, Einrichtungen zum Schutze gegen Arbeitslosigkeit zu treffen, wobei das sog. Genter System eine wichtige Rolle spielte. Dieses be­ stand in der Gewährung von Zuschüssen aus Ge­ meindemitteln an Arbeitnehmerverbände, die sich die Ausgabe der Unterstützung arbeitsloser Ange­ höriger gestellt hatten, soweit nicht durch Arbeits­ vermittlung oder Arbeitsbeschaffung durch die Gemeinden ausreichende Hilfe gebracht wurde. Eine selbständige öffentliche Arbeitslosenkasse gab es nur in Köln, deren Einnahmen aus einem ständigen Zuschuß der Stadt sowie aus Beiträgen der Arbeitgebervereine, Patrone und der Ver­ sicherten selbst bestanden. Die Unterstützung der Arbeitslosen nahm erst einen bedeutsamen Um­ fang mit Beginn des Weltkrieges und der damit verbundenen Massenarbeitslosigkeit an, der gegen­ über sich die freiwilligen Unterstützungen der Ge­ werkschaften bei weitem nicht gewachsen zeigten. Gleich zu Beginn des Krieges wurde aus Reichs­

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mitteln ein Betrag von 200 Millionen Mark zur Unterstützung von Gemeinden und Gemeinde­ verbänden auf dem Gebiete der Kriegswohlsahrtspflege zur Verfügung gestellt, über dessen Zweck­ bestimmung die Bek. vom 14.12.1914 (ZBl. 619) nähere Bestimmung traf. Dabei war der Grund­ satz zum Ausdruck gebracht, daß die Arbeitslosen­ fürsorge nur arbeitsfähigen und arbeitswilligen Gemeindeangehörigen, die sich infolge des Krieges in bedürftiger Lage befanden, gewährt werden dürfe. Als mit Beendigung des Weltkrieges die gewaltige Not der Arbeitslosen einsetzte, erschien nur eine allgemeine Erwerbslosenfürsorge geeignet, die schlimmsten Folgen der ausgedehn­ ten Arbeitslosigkeit hintanzuhalten. Zu dem Zwecke erging die V. über Erwerbslosenfürsorge vom 13. 11. 1918 (RGBl. S. 1305). Danach waren die Gemeinden verpflichtet, eine Für­ sorge für Erwerbslose einzurichten, die nicht die Eigenschaft einer Armenunterstützung haben durfte. Zur Unterstützung der Gemeinden wur­ den Reichsmittel zur Verfügung gestellt, während an dem Kreis der Bezugsberechtigten gegenüber der Bek. vom 14. 12. 1914 ebenso wenig etwas wesentliches geändert wurde, wie hinsichtlich der Durchführung und Ausbringung der Mittel. Ob­ wohl als Maßnahme der Demobilmachung ge­ dacht, wurde die Einrichtung der Erwerbslosen­ fürsorge im Hinblick auf die immer wieder ein­ tretende Steigerung der Erwerbslosigkeit nach zahlreichen Abänderungen als feststehende Maß­ nahme beibehalten, die ihre letzte allgemeine Regelung durch die B. vom 16. 2. 1924 (RGBl. I 127), abgeändert durch V. vom 11. 8. 1924 (RGBl. I 682), vom 23. 10. 1924 (Reichsbe­ soldungsblatt 289), vom 17. 1. 1926 (RGBl. I 89) und vom 10. 12. 1926 (RGBl. I 493) ge­ funden hat. Der Grundzug dieser Regelung be­ stand darin, daß immer nach beut Vorbilde der Versicherung eine Beitragspflicht bestand, die Unterstützungen aber im Rahmen der Fürsorge, also nach freiem Ermessen, ohne Bestehen eines Rechtsanspruchs bewilligt wurden. Bei Ein­ führung der A. erschien es bei dem engen Zu­ sammenhang zwischen der A. und der Arbeitsver­ mittlung angezeigt, den Arbeitsnachweis zu­ gleich in einem G. zu regeln. So entstand das G. über Arbeitsvermittlung und A. vom 16. 7. 1927 (RGBl. 1187ff.), das bereits am 1.10.1927 in Kraft getreten und durch G. vom 16. 12. 1927 (RGBl. I 337) abgeändert worden ist. II. Umfang der Versicherung. Die Bersicherungspflicht erstreckt sich auf Personen, die tatsächlich gegen Krankheit versichert sind, d. h. auf alle Personen, die der Krankenversicherungs­ pflicht unterliegen, sofern sie von ihr nicht nach Maßgabe der Vorschriften der RVO. befreit sind (s. Krankenversicherung II). Darüber hinaus sind aber versicherungspflichtig Angestellte mit einem Jahresarbeitsverdienst von 3600—6000 RM (s. Ange stellte nversicherung II) und die Schiffsbesatzung (Schiffsmannschaft) eines deut­ schen Seefahrzeugs (s. Seefahrt). Von den hierdurch gegen Arbeitslosigkeit versicherungs­ pflichtigen Personen können einzelne Gruppen von der Versicherungspflicht befreit werden und zwar 1. die in der Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten, die selbst Eigentümer oder Päch­ ter land- imt) forstwirtschaftlichen Grundbesitzes

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von solcher Größe sind, daß sie von dessen Ertrag mit ihren Angehörigen in der Hauptsache leben können und als Arbeitnehmer üblicherweise nur weniger als die Hälfte des Jahres tätig sind. Die Beschäftigung dieser Art ist auch dann versiche­ rungsfrei, wenn der Ehegatte oder der Ab­ kömmling eines solchen Eigentümers oder Päch­ ters sie ausschließlich ausübt und der Angehörige mit diesem in häuslicher Gemeinschaft lebt, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Eigen­ tümer oder Pächter selbst als Arbeitnehmer be­ schäftigt ist oder nicht. Der Verwaltungsaus­ schuß des Landesarbeitsamts bestimmt die Min­ destfläche des Grundbesitzes bei der die Befreiung eintritt (§ 70). S. V. vom 20. 9. 1927 (NGBl. I 303). Versicherungsfrei ist ferner eine Be­ schäftigung in der Land- und Forstwirtschaft, wenn der Arbeitnehmer auf Grund eines schrift­ lichen Arbeitsvertrages von mindestens ein­ jähriger Dauer beschäftigt wird oder aus Grund eines schriftlichen Arbeitsertrages auf unbe­ stimmte Zeit beschäftigt wird und ihm ohne wich­ tigen Grund nur mit mindestens sechsmonatiger Frist gekündigt werden darf. Bei einem Tarif­ vertrag genügt die schriftliche gemeinsame Er­ klärung, daß sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften dieses Vertrages regelt. In Fällen dieser Art erlischt die Versicherungsfreiheit bei befristeten Verträgen 6 Monate vor Ablauf der Bertragszeit, sofern nicht vorher der Arbeitsver­ trag um ein weiteres Jahr verlängert wird und bei unbefristeten Verträgen mit dem auf die Kündigung folgenden Tage (§ 71). Endlich ist die Beschäftigung des ländlichen Gesindes ver­ sicherungsfrei 72). 2. Bon der Bersicherungspflicht sind ferner die in der Küsten- und Binnenfischerei und in der großen mit Baggern betriebenen Herings­ fischerei auf Anteil am Fange beschäftigten Per­ sonen oder solche in der Küsten- und Binnen­ fischerei beschäftigten Personen, welche selbst oder deren Ehegatte oder Abkömmlinge alleinige Ei­ gentümer oder Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks in dem unter Ziff. 1 bezeichneten Umfang sind (§§ 70, 73). 3. Versicherungsfrei sind Lehrlinge bei einem schriftlichen Lehrvertrag von mindestens zwei­ jähriger Dauer, in der Land- und Forstwirtschaft von einjähriger Dauer. Die Versicherungsfrei­ heit erlischt sechs Monate vor dem Tage, an dem das Lehrverhältnis durch Zeitablauf endet (§74). 4. In der Seeschiffahrt ist eine Beschäfti­ gung versicherungsfrei, deren Entgelt im Jahre mehr als 6000 RM (ohne Frauen- und Kinder­ zuschläge) beträgt und die als Beschäftigung des einen Ehegatten durch den anderen, als vorüber­ gehende Dienstleistung, als Beschäftigung nur gegen freien Unterhalt, als Beschäftigung bei Invalidität oder gleichzeitigem Bezug einer Wit­ wen- oder Witwerrente der Invalidenversiche­ rung oder einer Witwenrente in der Angestellten­ versicherung oder nur in bestimmter Jahreszeit für nicht mehr als 12 Wochen oder überhaupt nicht mehr als an 50 Tagen bei sonstiger selb­ ständiger Erwerbsarbeit oder der Beschäftigung ohne Entgelt von der Invalidenversicherungs­ pflicht befreit sein würde (§§ 75, 76). 5. Die Bersicherungsfreiheit tritt nur bei der

Seeschiffahrt kraft G. ein, im übrigen auf Grund einer gemeinsamen von Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer unterzeichneten Anzeige an die KK. Bei der Beschäftigung in der Land- und Forst­ wirtschaft bei mindestens einjähriger oder bei un­ bestimmter Vertragsdauer sowie bei Lehrlingen genügt die Anzeige durch den Arbeitgeber allein, der der schriftliche Arbeits- oder Lehrvertrag oder die gemeinsame schriftliche Erklärung über die Anwendbarkeit des Tarifvertrags beizufügen ist. Wenn die KK. feststellt, daß die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nicht gegeben sind, so kann hiergegen die Entscheidung des VA. (Be­ schlußausschuß) und gegen dessen Entscheidung das OVA. (Beschlußkammer) angerufen werden. Die Versicherungsfreiheit beginnt mit dem Montag der Woche, in der die Anzeige eingeht. Wird diese mit der Anmeldung zur KB. verbunden, so be­ ginnt die Versicherungsfreiheit bei rechtzeitiger Anmeldung mit dem Beginn des Beschäftigungs­ verhältnisses. Die Versicherungsfreiheit erlischt wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vollständig gegeben sind (§ 77). Alle nicht bean­ standeten Anzeigen prüft der Vorsitzende des Landesarbeitsamts oder in seinem Auftrag der Vorsitzende des Arbeitsamts nach. Der Vor­ sitzende kann die Entscheidung des VA. herbei­ führen, dessen Entscheidung durch Beschwerde beim OVA. angefochten werden kann. 6. Unständig Beschäftigte, die Mitglieder der AOKK. oder LKK. sind und die Beschäfti­ gung nur als Nebenerwerb und in der Regel weni­ ger als 26 Wochen im Jahre ausüben, werden auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht be­ freit. Uber den Antrag beschließt die KK., deren Mitglied der unständig Beschäftigte ist. 7. Arbeitgeber, die seit mindestens einem Jahr eine nach Ansicht des Präsidenten der Reichsan­ stalt mit Zustimmung des RAM. finanziell ge­ sicherte Einrichtung zur Versorgung der Ar­ beitnehmer mit höheren Leistungen in Fällen der Arbeitslosigkeit vorgesehen haben, können die Befreiung ihrer Arbeiter beantragen. Darüber, ob die Voraussetzungen für die Befreiung vor­ liegen, entscheidet der RAM (§ 80). 8. Der RAM. kann Beschäftigungen, die im In- und Ausland im Bezirk des Grenzverkehrs ausgeübt werden, sowie Beschäftigungen aus­ ländischer landwirtschaftlicher Wanderarbeiter für versicherungsfrei erklären (§§ 208, 209). Auch in diesen Fällen ist eine Anzeige an die KK. er­ forderlich, oder eine Nachprüfung durch die KK. oder das Landesarbeitsamt zulässig (s. unter 5). 9. Eine freiwillige Versicherung gibt es im Rahmen der Weiterversicherung für Ange­ stellte, die wegen Erreichens eines Jahresarbeits­ verdienstes von 6000 RM aus der Versicherungs­ pflicht ausscheiden (§ 86). III. Träger der Versicherung ist die Reichs­ anstalt für Arbeitsvermittlung und A., in Berlin, der auch die öffentliche Berufsberatung und Lehr­ stellenvermittlung obliegt und die eine öffentlichrechtliche Körperschaft ist. Die Reichsanstalt glie­ dert sich in die Hauptstelle, die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter s. Arbeitsvermittlung. Organe der Reichsanstalt sind die Verwaltungs­ ausschüsse derArbeitsämterund der Landesarbeits­ ämter, der Verwaltungsrat und der Vorstand der Reichsanstalt. Alle Verwaltungsausschüsse

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bestehen aus einem Vorsitzenden oder einem seiner Stellvertreter und Vertretern der Arbeitgeber, Ar­ beitnehmer, darunter mindestens ein Angestellter, und der öffentlichen Körperschaften nebst Stellver­ treter. Die Vertreter der Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer im Verwaltungsausschuß des Arbeits­ amts ernennt der Vorsitzende des Landesarbeits­ amts auf Grund von Vorschlagslisten, die Ver­ treter im Ausschuß des Landesarbeitsamts der Vorstand der Reichsanstalt. Die Vertreter der öffentlichen Körperschaften sind Vertreter der Ge­ meinden und Gemeindeverbände, die auf Vor­ schlag der beteiligten Gemeindevorstände im Bezirk desArbeitsamtes, von der gemeinsamenGemeindeaufsichtsbehörde bestellt werden; bei den Landes­ arbeitsämtern bestellt die oberste Landesbehörde die Vertreter der öffentlichen Körperschaften im Bezirk des Landesarbeitsamts. Die Verwaltungs­ ausschüsse der Arbeitsämter und Landesarbeits­ ämter bilden einen geschäftsführenden Ausschuß, in dem unter Vorsitz des Vorsitzenden des Ver­ waltungsausschusses die 3 Gruppen gleichmäßig vertreten sein müssen und dessen Beisitzer auf Grund gesonderter Vorschlagslisten vom Vorsitzen­ den bestellt werden. Soweit das G. es nicht ver­ bietet, können diesem Ausschuß die Rechte und Pflichten des Verwaltungsausschusses übertragen werden (§§ 1—8). Der Berwaltungsrat besteht aus dem Vorsitzenden der Reichsanstalt oder sei­ nem Stellvertreter als Vorsitzenden und minde­ stens je 10 Vertretern der drei Gruppen. Die Zahl setzt die Satzung fest. Unter den Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich Ver­ treter der Landwirtschaft, unter den Vertretern der Arbeitnehmer mindestens zwei Angestellte und unter den Vertretern der öffentlichen Körper­ schaften mindestens zwei Personen befinden, die beruflich gemeindliche Interessen vertreten. Der Berwaltungsrat kann ein oder mehrere Unter­ ausschüsse bilden, denen er seine Rechte und Pflichten, soweit es nicht gesetzlich verboten ist, übertragen kann. Der Vorstand der Reichsanstalt besteht aus ihrem Präsidenten oder einem seiner Stellvertreter als Vorsitzenden und je fünf Vertretern der drei Gruppen, die der RAM. auf Grund von Vorschlagslisten der drei Gruppen im Verwaltungsrat bestellt. In allen Organen sollen Frauen vertreten sein; die Amtsdauer be­ trägt fünf Jahre; Beisitzer können nur Reichsan­ gehörige fein, die mindestens 24 Jahre alt, im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind, und mindestens 6 Monate in dem Bezirk wohnen oder regelmäßig tätig sind, auf den sich die Zuständig­ keit des Organes erstreckt. Die Beisitzer sind ehrenamtlich tätig. Der Vorstand vertritt die Reichsanstalt gerichtlich und außergerichtlich. Die Berwaltungsausschüsse werden meistens viertel­ jährlich einberufen. Weigert sich ein Organ die Geschäfte der Anstalt zu führen, so führt sie auf Kosten der Anstalt der Präsident (§§ 9—28). Die Kosten der Anstalt werden durch die Bei­ träge zur A. ausgebracht und nach Maßgabe des Haushalts der Anstalt verwendet. Geschäftsjahr ist das Haushaltsjahr des Reichs. Die Satzung der Reichsanstalt beschließt der Verwaltungsrat und regelt die Geschäftsführung durch eine Ge­ schäftsordnung und dehnt nun die Verwaltungs­ ausschüsse aus. Auf dem Gebiet der A. wirken die Vertreter der öffentlichen Körperschaften

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nicht mit. Die Aufsicht führt der RAM. Der Reichspr. ernennt nach Anhörung des Ver­ waltungsrats und des RK. den Präsidenten und seine ständigen Stellvertreter sowie die Vor­ sitzenden und ständigen Stellvertreter der Landes­ arbeitsämter nach Benehmen mit dem Vorstand der Reichsanstalt und der obersten Landesbehörde, während den Vorsitzenden der Arbeitsämter und ihre ständigen Stellvertreter der Vorstand der Reichsanstalt ernennt, sofern nicht die Satzung die Erennung dem Vorsitzenden des Landesar­ beitsamtes übertragen hat. Der Präsident der Reichsanstalt, seine ständigen Stellvertreter so­ wie die Vorsitzenden der Landesarbeitsämter und ihre Stellvertreter haben die Rechte und Pflichten der Reichsbeamten; diese können auch nach An­ hörung des Berwaltungsrats den Vorsitzenden der Arbeitsämter, ihren ständigen Stellvertretern, sowie den Mitgliedern der Hauptstelle, die nicht ständige Vertreter des Präsidenten sind, übertra­ gen werden. Der Verwaltungsrat erläßt eine Dienstordnung, in der die Dienstbezüge der Beamten sowie vorbehaltlich eines etwa abge­ schlossenen Dienstvertrags die Gehaltsbezüge und die Grundsätze für Anstellung, Dienstentlassung, Ruhestandsversorgung und Hinterbliebenenfür­ sorge der Angestellten zu regeln sind. Die Dienst­ verträge bedürfen der Zustimmung des RAM. Die Gehälter der Beamten sind denen der ver­ gleichbaren Reichsbeamten anzupassen. Die Be­ züge der Beamten, Angestellten und Arbeiter einschließlich der Hinterbliebenenbezüge trägt die Reichsanstalt (§§ 34 bis 40). IV. Gegenstand der Versicherung ist 1. die Gewährung einer Arbeitslosenunter­ stützung an Versicherte die a) arbeitsfähig, b) arbeitswillig, aber c) unfreiwillig arbeitslos sind, d) die Anwartschaftszeit erfüllt und e) den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung nicht er­ schöpft haben (§ 87). Zu a) Arbeitsfähig ist, wer imstande ist, durch eine Tätigkeit, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihm unter billiger Be­ rücksichtigung seiner Ausbildung und seines bis­ herigen Berufes zugemutet werden kann, wenig­ stens ein Drittel dessen zu erwerben, was geistig und körperlich gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. Sind für einen Arbeitnehmer während 26 Wochen Beiträge ent­ richtet, so darf er nur dann als arbeitsunfähig an­ gesehen werden, wenn sich sein körperlicher und geistiger Zustand nach dem Ausscheiden aus der Beschäftigung so verändert hat, daß die Voraus­ setzungen für die Arbeitsfähigkeit nicht mehr vor­ liegen (8 88). Zu d) Arbeitswilligkeil liegt nicht vor, wenn der Versicherte trotz Belehrung über die Rechts­ folgen ohne berechtigten Grund die Annahme einer Arbeit, auch wenn sie außerhalb seines Wohnorts zu verrichten ist, verweigert. Bei Arbeitslosen unter 21 Jahren, bei denen die Voraussetzungen einer Berussumschulung oder -fortbildung nicht ge­ geben sind, und bei Arbeitslosen, die eine Krisen­ unterstützung erhalten, ist die Gewährung einer Unterstützung von einer Arbeitsleistung abhängig, soweit dazu Gelegenheit besteht (§§ 90, 91). Wer die Arbeitsleistung verweigert, oder sich weigert, sich der Berufsumschulung oder -fortbildung zu

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unterziehen, erhält vier Wochen lang keine Ar­ beitslosenunterstützung (§§ 90, 92). Zu c) Unfreiwillig arbeitslos ist nicht, wer seine Arbeitsstelle ohne berechtigten Grund aufgegeben oder durch sein Verhallen, das zur fristlosen Entlassung berechtigt, oder durch einen inländischen Streik oder eine inländische Aus­ sperrung verloren hat. Während der Arbeits­ losigkeit infolge Streiks oder Aussperrung wird keine Arbeitslosenunterstützung gezahlt, bei son­ stiger freiwilliger Arbeitslosigkeit fällt die Unter­ stützung für die ersten vier Wochen und bei mil­ derer Beurteilung für die ersten zwei Wochen weg. Ist bei Streiks oder Aussperrungen die Arbeitslosigkeit mittelbar verursacht, so ist Arbeits­ losenunterstützung zu gewähren, wenn ihre Ver­ weigerung eine unbillige Härte darstellen würde (§§ 93, 94). Zu d. Die Anwartschaftszeit ist erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten während 26 Wochen in einer versicherungspslichtigen Beschäftigung gestanden hat. Die zwölf Monate müssen dem Tage unmittelbar voraus­ gehen, an dem sich der Arbeitslose als solcher bei dem zuständigen Arbeitsamt erstmals meldet. In die Frist von zwölf Monaten werden bestimmte nicht versicherungspflichtige Tätigkeiten einge­ rechnet, vorausgesetzt, daß der Arbeitslose in den drei Jahren vor dem Tage der Arbeitslosmeldung während 26 Wochen in einer versicherungspslichtigen Beschäftigung gestanden hat. Eine in der Land- und Forstwirtschaft ausgeübte, wegen eines einjährigen Arbeitsvertrags oder eines Arbeits­ vertrags von unbestimmter Dauer versicherungs­ freie Beschäftigung gilt als versicherungspflichtige Beschäftigung, wenn das Arbeitsverhältnis vorzeitig gelöst wird. Ebenso die Zeit der Weiter­ versicherung (§§ 95—98). Zu e. Der Anspruch auf Arbeitslosen­ unterstützung ist erschöpft, iveiin die Unterstützung für insgesamt 26 Wochen gewährt ist. Sie darf dann erst wieder gewährt werden, wenn die Anwartschaftszeit von neuem erfüllt ist. Bei besonders ungünstigem Arbeitsmarkt kann der Verwaltungsrat der Reichsanstalt die Höchstdauer der Arbeitslosenunterstützung auf 39 Wochen für bestimmte Bezirke oder Berufe oder allgemein ausdehnen. Diese Befugnis kann den Verwaltungsausfchüssen der Landesarbeitsämter über­ tragen werden. Für Angehörige von Berufen oder Gewerben mit regelmäßig wiederkehrender Arbeitslosigkeit kann der Berwaltungsrat der Reichsanstalt die Höchstdauer der Arbeitslosen­ unterstützung abweichend festsetzen (§§ 99, 100). V. Die Arbeitslosenunterstützung besteht aus der Hauptunterstützung und den Fa­ milienzuschlägen. Diese sind nur für solche Angehörige des Arbeitslosen, die einen familien­ rechtlichen Unierhaltsanspruch gegen ihn haben oder im Falle seiner Leistungsfähigkeit haben wür­ den, sowie für Stief- und Pflegekinder bestimmt. Sie dürfen nur gewährt werden, wenn der Ar­ beitslose den Angehörigen bis zum Eintritt der Ar­ beitslosigkeit ganz oder überwiegend unterhalten hat. Diese Beschränkung gilt nicht, wenn ein Unterhaltsanspruch erst nach Eintritt der Arbeits­ losigkeit entstanden ist oder im Falle der Lei­ stungsunfähigkeit des Arbeitslosen entstanden

wäre oder wenn es sich um ein eheliches, für ehe­ lich erklärtes, an Kindes Statt angenommenes oder uneheliches Kind des Arbeitslosen handelt. Bei Stiefkindern gilt die Einschränkung nur, wenn das Stiefkind keinen familienrechtlichen Unterhaltsanspruch gegen einen Dritten hat. Der Familienzuschlag wird an Angehörige, die die Hauptunterstützung beziehen, nicht gewährt (§103). Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung wird durch das Arbeitsentgelt bestimmt, das der Arbeitslose im Durchschnitt der letzten drei Mo­ nate seiner Beschäftigung vor der Arbeitslos­ meldung bezogen hat. Für die Bemessung der Arbeitslosenunterstützung sind elf Wochenbeitragsklassen vorgesehen. In jeder Klasse wird der Bemessung der Unterstützung ein Einheits­ wochenlohn zugrunde gelegt. Die Unterstützungen betragen einen mit den höheren Klassen fallenden Hundertsatz des Einheitswochenlohns und zwar sowohl für die Hauptunterstützung als auch für die Familienzuschläge (§§ 104—107). Die Ar­ beitslosenunterstützung wird nur für die sechs Werktage gewährt: auf jeden Tag entfällt ein Sechstel des wöchentlichen Einheitslohnes. Die Zahlung beginnt nach Ablauf von sieben Tagen, jedoch schon mit dem Tage der Arbeitslosmeldung, wenn die Arbeitslosigkeit im unmittelbaren An­ schluß an eine Beschäftigung von weniger als sechs Wochen oder an Kurzarbeit von mindestens zweiwöchiger Dauer, infolge deren das Arbeits­ entgelt um mindestens ein Drittel gekürzt war oder an Arbeitsunfähigkeit von mindestens ein­ wöchiger Dauer oder an eine mindestens ein­ monatige Verwahrung aus behördliche Anord­ nung in einer Anstalt eintritt. Der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung ist der Pfändung nicht unterworfen und verjährt in drei Monaten. Ver­ dienst durch Gelegenheitsarbeit wird nur an­ gerechnet, wenn er 20% der Arbeitslosenunter­ stützung übersteigt und zwar mit 50%. Keine Arbeitslosenunterstützung wird gewährt für Zei­ ten, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt bezieht, oder in denen er für seinen eigenen oder für einen fremden Betrieb ohne Entgelt tätig ist oder wenn er anläßlich des Ausscheidens aus der Beschäf­ tigung eine Entschädigung erhalten hat, die durch die Zahl der Tage geteilt einen ausreichenden Arbeitsentgelt darstellt oder in denen er als Seemann vom Reeder die Kosten seiner Kranken­ verpflegung erhält oder für die er die Meldungen beim Arbeitsamt ohne genügende Entschuldigung unterläßt (§§ 104—116). 2. Auf Kosten der Reichsanstalt werden die Arbeitslosen während des Bezugs der Haupt­ unterstützung gegen Krankheit versichert, wo­ bei der Bezug der Hauptunterstützung an die Stelle der versicherungspslichtigen Beschäftigung tritt. Zuständig ist die AOKK. oder, sofern eine solche nicht vorhanden, die LKK. oder auf An­ ordnung des Verwaltungsausschusses des Arbeits­ amts eine andere KK. Bergleute werden bei der zuständigen Bezirksknappschaft versichert. Sind Arbeitslose bei einer KK. zur Weiterversicherung berechtigt, lo können sie dort Mitglieder bleiben, wenn sie binnen einer Woche nach Antrag auf Arbeitslosenunterstützung und vor Feststellung einer Kassenleistung aus der AOKK. die Absicht, sich weiterversichern zu wollen, erklären. Das Arbeitsamt hat die Meldungen zu erstatten, für

Arbeitslosenversicherung die die Frist auf zwei Wochen festgesetzt ist (§§ 117 bis 128). 3. Die Reichsanstalt zahlt während des Bezugs der Hauptunterstützung die Anerkennungsge­ bühren für die Erhaltung der Anwartschaft in der JnB-, AB. und RKv. (§ 12). 4. Der Berwaltungsrat der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung kann mit Zustimmung des RAM. anordnen oder zulassen, daß versicherungspflichtige Arbeitnehmer, die infolge Arbeitsmangels in einer Kalender­ woche die in ihrer Arbeitsstätte übliche Zahl an Arbeitsstunden nicht erreichen und deswegen Lohn­ kürzungen unterworfen sind, Kurzarbeiter­ unterstützung aus Mitteln der Reichsanstalt er­ halten. Die Unterstützung darf nicht höher als die Arbeitslosenunterstützung sein. Kurzarbeiterunter­ stützung und Arbeitsentgelt dürfen nicht mehr als fünf Sechstel des vollen Arbeitsentgelts aus­ machen (§ 130). S. a. unter VI. VI. Außer den unter IV aufgeführten Lei­ stungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, kann die Reichsanstalt aus den Versicherungsbeiträgen noch folgende freiwillige Leistungen zur Ver­ hütung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit übernehmen; 1. Die Kosten der Reise für einen Empfänger der Arbeitslosenunterstützung von einem anderen Ort zum Antritt einer Arbeit einschließlich der Reisekosten für seine zur häuslichen Gemeinschaft gehörenden Familienangehörigen (§ 132). So­ lange die Übersiedlung der zuschlagsberechtigten Angehörigen nicht möglich ist, können diesen die Familienzuschläge fortgewährt werden (§ 133). 2. Mitgabe eines Führers an eine Gruppe von Empfängern der Arbeitslosenunterstützung beim Antritt einer auswärtigen Arbeit (§ 134). 3. Vorstrecken oder Hingabe der Mittel zur Be­ schaffung der erforderlichen Arbeitsausrüstung zwecks Aufnahme einer längeren Arbeit (§ 135). 4. Gewährung eines Zuschusses zum Arbeits­ entgelt zwecks Erlangung der für eine bestimmte Arbeitsstelle erforderlichen Fähigkeiten. Zu­ schuß und Arbeitsentgelt dürfen zusammen den vollen Verdienst, der Zuschuß allein das andert­ halbfache der zuletzt gezahlten Arbeitslosen­ unterstützung nicht übersteigen (§ 136). 5. Berufliche Fortbildung und Umschu­ lung durch Einrichtung oder Unterstützung befonberer Veranstaltungen oder Zahlung des Schulgeldes, wenn dadurch ein Empfänger der Arbeitslosenunterstützung der Arbeitslosigkeit ent­ zogen wird (§ 137). Der Verwaltungsrat der Reichsanstalt kann für die Durchführung dieser Leistungen Richtlinien aufstellen und die Be­ fugnis hierzu den Verwaltungsausschüssen der Landarbeitsämter übertragen (§ 138). S. dazu V. vom 20. 9. 1927 (RAM. 444). VII. Unterstützungsverfahren. Den An­ trag auf Arbeitslosenunterstützung hat der Ar­ beitslose persönlich beim Arbeitsamt seines Wohn­ orts oder in Ermangelung eines solchen seines Aufenthaltsorts zu stellen. Männlichen unter­ stützungsberechtigten Arbeitslosen, die eine Lehr­ zeit beendet haben, kann auf Antrag des Ver­ sicherten ein Wanderschein für eine Zeit von höchstens zehn Wochen im Jahr zum Bezug der Arbeitslosenunterstützung in Orten der Wander­ schaft ausgestellt werden (§§ 168, 169). Der An­

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tragsteller muß glaubhaft machen, daß und wie lange er in einem versicherungspflichtigen Arbeits­ verhältnisse gestanden hat. Er hat ferner die Höhe seines Arbeitsentgelts in den letzten drei Monaten und den Grund, aus dem sein letztes Arbeitsver­ hältnis gelöst worden ist, sowie diejenigen in seinen Familienverhältnissen liegenden Tatsachen darzulegen, deren Kenntnis für die Gewährung der Familienzuschläge erforderlich ist. Wer als Arbeitgeber einen Versicherten beschäftigt hat, hat ihm nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Verlangen eine Bescheinigung auszustellen, aus der Art, Beginn, Ende und Lösungsgrund des Arbeitsverhältnisses sowie die Höhe des Arbeits­ verdienstes und einer anläßlich des Ausscheidens aus der Beschäftigung etwa gewährten Abfindung oder Entschädigung hervorgeht. Uber den Antrag auf Arbeitslosenunterstützung entscheidet der Vorsitzende des Arbeitsamts, gegen dessen Entscheidung binnen zwei Wochen der Ein­ spruch beim Spruchausschusse des Arbeitsamts zulässig ist. Die Entscheidung des Spruchaus­ schusses kann binnen zwei Wochen durch Berufung bei der Spruchkammer des Landesarbeitsamts angefochten werden. Der Spruchausschuß wird bei jedem Arbeitsamt und die Spruchkammer bei jedem Landesarbeitsamt nach Maßgabe der V. vom 29. 9. 1927 (RGBl. I 312) gebildet. Für die Entscheidung über grundsätzliche Fra­ gen wird ein Spruchsenat beim RVA. gebildet. Das Verfahren vor den Spruchausschüssen und Spruchkammern richtet sich nach den entsprechen­ den Vorschriften der RVO. über das Verfahren vor den Spruchausschüssen der VA. und der Spruchkammer der OVA. (§§ 29—33,168—186), V. vom 29. 9. 1927 (RGBl. 1312). Die Sitzun­ gen der Spruchbehörden sind öffentlich; für die SitzungsPolizei gelten die entsprechenden Vor­ schriften des GBG. VIII. Beiträge. Die Mittel, welche die Reichsanstalt zur Durchführung der Arbeitsver­ mittlung und Arbeitslosenversicherung benötigt, werden, abgesehen von der Krisenunterstützung, deren Kosten dem Reiche zu vier Fünfteln, im übrigen den zuständigen Gemeinden zur Last fallen, durch Beiträge der Arbeitgeber und Ar­ beitnehmer zu gleichen Teilen aufgebracht. Ver­ sicherungspflichtige Angestellte tragen die ganzen Beiträge. Die Beiträge für Bersicherungspflichtige haben die Arbeitgeber zu entrichten, soweit die Versicherten für den Fall der Krankheit ver­ sichert sind, als Zuschläge zu den Krankenversiche­ rungsbeiträgen und mit diesen, soweit die Ver­ sicherten nicht für den Fall der Krankheit ver­ sichert aber angestelltenversicherungspflichtig sind, an die KK., bei der sie für den Fall der Krankheit pflichtversichert wären, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst nicht die Grenze der Kran­ kenversicherungspflicht (§ 165 RVO.) überstiege, für knappschaftlich versicherte Angestellte jedoch an die Reichsknappschaft. Bersicherungsberechtigte zahlen die Beiträge an die Kasse, bei der sie versichert sind. Da Ersatzkassen als KK. gelten, so hat der Erwerbslose diese Beiträge für die A. mit seinen Beiträgen an die Ersatz­ kasse abzuführen. Der Arbeitgeber hat zu sei­ nem Arbeitgeberteil für die Ersatzkasse dem Ver­ sicherten die Hälfte der Beiträge für die A. bei der Lohn- oder Gehaltszahlung auszuhändigen.

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Arbeitsordnung

Der Beitrag zur A. besteht aus einem Bezirks­ anteil und einem Reichsanteil, die einheitlich er­ hoben werden. Den Landesanteil setzt der Ver­ waltungsausschuß des Landesarbeitsamis für sei­ nen Bezirk nach Bedarf fest und zwar in Bruch­ teilen des Grundlohns der KK., für nicht kranken­ versicherte Angestellte in Bruchteilendes wirklichen Arbeitsverdienstes, fürSeeleute in Bruchteilen des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes der Berufs­ klasse, der der Versicherte angehört. Der Verwal­ tungsrat der Reichsanstalt setzt einen Hundertsatz des Arbeitsentgelts als Reichshöchstsatz und ei­ nen Hundertsatz als Reichsanteil fest. Die Stellen, an die Beiträge eingezahlt sind, führen sie an das Landesarbeitsamt ab; die Beiträge liefert die Seekasse an die Hauptstelle der Reichsanstalt ab. Das Landesarbeitsamt führt den Reichsanteil, der mit dem Landesanteil den Reichshöchstsatz (3% des Arbeitsentgelts) nicht übersteigen darf, an die Hauptstelle der Reichsanstalt ab. Der Ver­ waltungsausschuß des Landesarbeitsamts kann anordnen, daß die KK. die Beiträge an das Ar­ beitsamt abführen. Ergibt sich am Schlüsse eines Kalendermonats bei einem Landesarbeitsamt ein Uberschuß des Beitragsaufkommens über den Bedarf, so ist die Hälfte des Überschusses an die Hauptstelle der Reichsanstalt abzuführen, wobei der Berwaltungsausschuß sofort zu prüfen hat, wieweit die Beiträge herabzusetzen sind. Deckt in einem Kalendermonat das Beitragsaufkommen eines Landesarbeitsamts den Bedarf nicht, ob­ wohl während dieser Zeit im ganzen Bezirk der Reichshöchstsatz erhoben worden ist und sind keine Überschüsse aus dem Aufkommen früherer Mo­ nate vorhanden, so erstattet der Vorstand der Reichsanstalt den Fehlbetrag. Uber die Ver­ wendung der von der Seekasse abgeführten Bei­ träge für einen etwaigen Ausgleich bestimmt der Verwaltungsrat der Reichsanstalt. Mittel der Hauptstelle der Reichsanstalt, die nicht zur Deckung von Fehlbeträgen verwandt werden, bil­ den den Notstock der Versicherung. Dieser soll mindestens in der Höhe des Bedarfs gehalten werden, der zur Unterstützung von 600000 Ar­ beitslosen für drei Monate erforderlich ist. So­ lange diese Höhe nicht erreicht ist, darf der Reichs­ höchstsatz nur mit Zustimmung des RAM. und des RFM. niedriger als 3% des für die Be­ messung der Beiträge maßgebenden Arbeits­ entgelts festgesetzt werden. Droht eine Er­ schöpfung des Notstocks, so setzt der Verwaltungs­ rat der Reichsanstalt den Beitrag einheitlich für das Reichsgebiet fest. Schließlich gibt der RAM. mit Zustimmung des RFM. Darlehen. Für die Einziehung der Beiträge und die Prüfung der Befreiungsgesuche erhält die KK., der RKV. und die Seekasse eine vom RAM. festzusetzende Ver­ gütung (§§ 142—167). S. V. vom 15. 12. 1924 (RABl. 483) in der Fassung der V. vom 23. 9. 1927 (RGBl. I 305). IX. Verhältnis zu Dritten. Schadens­ ersatzansprüche, die dem Versicherten durch Ar­ beitslosigkeit oder Kurzarbeit erwachsen sind, gehen insoweit auf die Reichsanstalt über, als diese dem Entschädigungsberechtigten Leistungen nach die­ sem Gesetz zu gewähren hat. F. H.

verstanden, welche der Arbeitgeber im Interesse der Ordnung im Betrieb und an Stelle besonderer Dienstverträge festsetzt und nach denen sich der Ar­ beiter bei den ihm übertragenen Arbeiten und während seines Aufenthalts im Betriebe zur Ver­ meidung einer etwaigen Bestrafung oder sonstiger Nachteile zu richten hat. Der Inhalt der A. ist, so­ weit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich (§ 134c GewO.). Es gibt A. in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitern, offenen Verkaufsstellen, in Berg­ werken und in Betrieben der Land- und Forst­ wirtschaft. II. Betriebe mit mehr als 20 Arbeitern (§§ 134a bis 134c, 134t bis 134g GewO., § 104 BRG.). 1. Erlaß. Für jeden Betrieb, in wel­ chem in der Regel mindestens 20 Arbeiter be­ schäftigt werden, ist innerhalb vier Wochen nach Eröffnung des Betriebs eine A. zu erlassen. Für die einzelnen Abteilungen des Betriebs oder für die einzelnen Gruppen der Arbeiter können be­ sondere A. erlassen werden. Die A. ist zwischen dem Arbeitgeber und der zuständigen Betriebs­ vertretung (Arbeiterrat, Angestelltenrat, Be­ triebsrat) zu vereinbaren. Der Erl. erfolgt durch Aushang. Die A. und Nachträge zu denselben treten frühestens zwei Wochen nach ihrem Erl. in Geltung. Die A. sowie jeder Nachtrag ist binnen drei Tagen nach dem Erlaß in zwei Ausferti­ gungen der uV. (s. d.) einzureichen. Die A. ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zu­ gänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muß stets in lesbarem Zustande erhalten werden. Die A. ist jedem Arbeiter bei seinem Eintritt in die Beschäftigung zu behändigen. Auch für andere Betriebe ist der Arbeitgeber zum Erlaß einer A. befugt. 2. Inhalt. Die A. muß den Zeitpunkt ihres In­ krafttretens, das Datum sowie die Unterschrift des Arbeitgebers und des Vorsitzenden des Arbeiter­ rats usw. angeben. Außerdem muß sie Bestim­ mungen enthalten: a) über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen. Anfang und Ende der Arbeitszeit müssen bestimmt angegeben, können aber nach den Jahreszeiten verschieden festgesetzt werden. Es kann bestimmt werden, daß und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise Abweichungen von der regel­ mäßigen Dauer und Lage der Arbeitszeit statt­ finden können; Ziff. 220 AusfAnw. z. GewO, vom 1. 5.1904 (HMBl. 123); b) über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung (s. Lohn) mit der Maßgabe, daß die regelmäßige Lohnzahlung nicht am Sonntage stattfinden darf. Ausnahmen können von der uV. zugelassen werden; c) über die Kün­ digungsfristen und die Gründe für die sofortige Entlassung des Arbeiters oder für das sofortige Verlassen der Arbeit, sofern es nicht bei den ge­ setzlichen Vorschriften (s. Arbeitsvertrag) sein Bewenden behalten soll; d) sofern Strafen vor­ gesehen werden über Art und Höhe sowie über die Art ihrer Festsetzung und, wenn sie in Geld be­ stehen, über ihre Einziehung und über ihre Ver­ wendung. Strafbestimmungen, welche das Ehr­ gefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in Kommentare von Weigert, Hennstedt, Hoffmann ufw. die A. nicht ausgenommen werden. Geldstrafen Arbeitsordnung. I. Begriff. UnterA. wird dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesar­ eine Zusammenstellung derjenigen Bestimmungen beitsverdienstes nicht übersteigen; jedoch können

Arbeitsräume — Arbeitsscheu Tätlichkeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Ver­ stöße gegen die guten Sitten sowie gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung des Betriebs, zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs oder zur Durchführung der Vorschriften der GewO, er­ lassenen Bestimmungen mit Geldstrafen bis zum vollem Betrage des durchschnittlichen Tagesar­ beitsverdienstes belegt werden. Alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter der Fabrik ver­ wendet werden. Das Recht des Arbeitgebers, Schadenersatz zu fordern, wird nicht berührt; e) sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen im Falle des Vertragsbruchs (s. Kontraktbruch) durch A. oder Arbeitsvertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Beträge. Der Unternehmer kann noch weitere die Ord­ nung des Betriebs und das Verhalten der Ar­ beiter im Betriebe betreffende Bestimmungen in die A. aufnehmen. Mit Zustimmung des Betriebs­ rats (s. d.) können Vorschriften über das Ver­ halten der Arbeiter bei Benutzung der zu ihrem Besten getroffenen mit der Fabrik verbundenen Einrichtungen sowie Vorschriften über das Ver­ halten der minderjährigen Arbeiter außerhalb des Betriebs ausgenommen werden. Weitere Be­ stimmungen über den Inhalt der A. finden sich in einigen Bestimmungen über Einrichtung und Be­ trieb gewerblicher Anlagen (s. d. V 3). 3. Abänderungen können nur durch Erl. von Nachträgen oder in der Weise erfolgen, daß eine neue A. erlassen wird. A. und Nachträge, die nicht vorschriftsmäßig erlassen sind, oder deren Inhalt den gesetzlichen Vorschriften zuwiderläuft, sind aus Anordnung der uV. durch gesetzmäßige A. zu ersetzen oder den gesetzlichen Vorschriften ent­ sprechend abzuändern (Ziff. 218—222 AusfAnw. z. GewO.). III. Offene Verkaufsstellen (§ 139k GewO.). Für jede offene Verkaufsstelle (s. d.), in welcher außer Arbeitern in der Regel minde­ stens 20 Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt wer­ den, muß eine A. erlassen werden. Aus den Erlaß, den Inhalt und die Abänderung derselben finden die Vorschriften für A. in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitern entsprechende Anwendung (Ziff. 269, 270 AusfAnw. z. GewO.). IV. Bergwerke (§§ 80aff., 207dff. BergG. vom 24. 6. 1865 in der Fassung des G. vom 24. 6. 1892, GS. 131; des G. vom 14. 7. 1905, GS. 307; des G. vom 28. 7. 1909, GS. 677; des G. vom 18. 12. 1920, GS. 1921, 97). Für jedes Bergwerk ({. d.) und die mit ihm verbundenen, unter Aufsicht der Bergbehörden stehenden An­ lagen muß eine A. erlassen werden. Die Vor­ schriften des BergG. entsprechen im allgemeinen den Vorschriften der GewO, über A. in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitern. Nur müssen noch Be­ stimmungen ausgenommen werden: a) über die zur Festsetzung des Schichtlohnes und zum Ab­ schlüsse sowie zur Abnahme des Gedinges ermäch­ tigten Personen, über den Zeitpunkt, bis zu welchem nach Übernahme der Arbeit gegen Ge­ dingelohn das Gedinge abgeschlossen sein muß, über die Beurkundung des abgeschlossenen Ge­ dinges und die Bek. an die Beteiligten, über die Voraussetzungen, unter welchen der Bergwerks­ besitzer oder der Arbeiter eine Veränderung oder Aufhebung des Gedinges zu verlangen berechtigt ist, sowie über die Art der Bemessung des Lohns

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für den Fall, daß eine Vereinbarung über das Gedinge nicht zustande kommt; b) über Qeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung, über das Verfahren zur Feststellung des bei der Lohnbe­ rechnung zu berücksichtigenden Teiles ungenügend oder vorschriftswidrig beladener Fördergesäße und über die Bewachung dieses Verfahrens durch Ver­ trauensmänner der Arbeiter sowie über Vertreter des Bergwerksbesitzers bei diesem Verfahren und über den gegen die Feststellung des Lohnanteils zulässigen Beschwerdeweg; c) über die ettoaige Verabfolgung und Berechnung der Betriebs­ materialien und Werkzeuge. Eine Beschränkung des Inhalts der A. besteht, abgesehen von der Um­ rechnung des Inhalts der Fördergefäße (s. Lohn III), insofern, als der Gesamtbetrag der Geld­ strafen eines einzelnen Arbeiters im Monat den Betrag von 5 RM nicht übersteigen darf. Die Strafgelder müssen in eine Unterstützungskasse fließen, an deren Verwaltung der Betriebsrat mit­ zuwirken hat. Die Grundsätze für die Verwendung und Verwaltung sind in der A. aufzunehmen oder in besonderen Satzungen festzulegen. Für die Be­ rechnung des Lohns auf Grund abgeschlossener Gedinge enthält § 80k a. a. O. Vorschriften, die beachtet werden müssen. V. Strasvorschriften in § 147 Abs. 1 Nr. 5, § 148 Abs. 1 Nr. 11,12, § 150 Abs. 1 Nr. 5 GewO, und in §§ 207 b bis 207 e BergG. VI. In Betrieben der Land- und Forstwirt­ schaft mit mehr als 20 ständigen Arbeitnehmern ist nach Anhörung des Betriebsrats eine A. zu erlassen und an sichtbarer Stelle auszuhängen. Sie muß Bestimmungen enthalten über die Arbeits­ zeit, sowie über etwaige Strafen und über die Ver­ wendung der Strafgelder, die nur zum Besten der Arbeiter des Betriebs zulässig sind. § 13 der vor­ läufigen Landarbeitsördnung vom 24. 1. 1919 (RGBl. 111). F. H. Köhne, Die Arbeitsordnungen im deutschen Gewerbe­ recht, 1901. Rehm, in HirihsAnn. 1894, 132. Blanken­ stein im ArchOffN. 13, 119. Neukamp in SozPr. 11, 718. Ortmann, Die rechtliche Natur der Arbeitsordnung, 1905. Apt im ArchvffR. 15, 321; sowie die Kommentare zur GewO.

Ardeitsräume. Zu den A. gehören nicht bloß Räume, welche unmittelbar und ausschließlich den Arbeiten dienen, sondern alle Räume, in denen die Arbeiter ihres Berufs wegen verkehren oder sich aufhalten; es können darunter auch Schlaf­ räume fallen (OBG. 36, 382; Erl. vom 13. 2. 1900—MBl. 127). Es kommen nur solche Aufent­ halts- und Schlasräume von Arbeitern in Frage, die dem Betriebe zu dienen bestimmt sind. Die Einrichtung und Ausstattung anderer Schlaf- und Wohnräume von Arbeitern darf durch Polv. nur insoweit geregelt werden, als es der Schutz der Gesundheit, der Feuersicherheit usw. gegen nicht anders zu beseitigende drohende Gefahren ver­ langt (KGJ. 24 C 12). Die Polizeibehörde kann den Gewerbeunternehmer zu einer ordnungs­ mäßigen Einrichtung der A. zwangsweise an­ halten (s. Gewerbliche Anlagen V). Ähnliche Verpflichtungen bestehen für die Kaufleute hin­ sichtlich der Einrichtung der Geschäftsräume (s. Offene Verkaufs st el le nVI) und für alle Dienst­ berechtigten nach §§ 618, 619 BGB. S. auch Unfallverhütung, Werkstätten. F. H. Arbeitsscheu. Mit Haft, während der Zwang zu Arbeiten, die den Fähigkeiten und Verhältnissen

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Arbeitsschule — Arbeitsvermittlung

angemessen sind, innerhalb und bei Trennung von anderen freien Arbeitern auch außerhalb der Strafanstalt statthaft ist, wird bestraft, wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unter­ stützung empfängt, sich aus A. weigert, die ihn: von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten. Als Neben­ strafe kann die Überweisung an die Landespolizei­ behörde zur korrektionellen Nachhaft erkannt wer­ den (§§ 361 Ziff. 7, 362 StGB.)- Nach § 57 Zifs. 4 GewO, muß der Wandergewerbeschein Personen versagt werden, die wegen A. übel­ berüchtigt sind; wegen der Beschränkung der Hilfe für Arbeitsscheue § 13 des G. vorn 4. 12. 24 (RG­ Bl. I 765); s. auch Bettelei, Landstreicher, Wanderarbeitsstätten. Hg. Arbeitsschules. Volksschulen 20 (Schulunter­ richt) II a. Arbeits- und Arbeiterkammern. Die Aus­ drücke sind nicht gleichbedeutend. Unter Arbeits­ kammern werden paritätische, aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzte Kammern verstanden, die zur Vertretung und Förderung von gemeinsamen Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer berufen sind. Dagegen sind Arbeiterkammern einseitige Vertretungen der Arbeiterinteressen, deren Mitglieder nur aus Arbeitern bestehen. Die Frage nach Errichtung von Arbeilskammern ist zuerst in dem Kais. Erl. vom 4. 2. 1890 erwähnt worden. Für die Pflege des Friedens zwischen Arbeitgebern und Arbeit­ nehmern sollten gesetzliche Vorschriften über die Formen in Aussicht genommen werden, in denen die Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung gemeinsamer Ange­ legenheiten beteiligt und zur Wahrnehmung ihrer Interessen bei Verhandlungen mit den Arbeit­ gebern und den Behörden befähigt werden sollen. Die drei dem NT. in den Jahren 1908,1910,1918 vorgelegten Entwürfe über Arbeitskammern sind nicht G. geworden. Soweit die Arbeitskammern zur Schlichtung von Streitigkeiten als Einigungs­ ämter berufen sein sollten, sind sie durch Schlichtungsausschüsle und Schlichter (s. Schlichtungs­ ordnung) ersetzt. Die übrigen Aufgaben sollen nach Art. 165 RB. auf die Wirtschaftsräte und Arbeiterräte übergehen. Diese sind noch nicht ge­ bildet. Arbeitskammern gibt eö für den Berg­ bau gemäß V. vom 8. 2. 1919 (RGBl. 202) nebst AusfBest. vom 6. 4. 1926 (HMBl. 78). F. H.

ArbeitSunterricht an den höheren Lehranstal­ ten s. d., Geschichte und Aufbau CIII 2 b. Arbeitsvermittlung. I. Allgemeines. Die A. hat den Zweck, Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Damit pflegt die Berufsberatung und Lehrfiellenvermitt­ lung verbunden zu sein. Vorläufer in der heutigen organisierten A. ist die zünftige 91., die sich in den Herbergen der Zünfte unter Leitung eines Zunft­ meisters abspielte. Bis in die neueste Zeit war daher die Fürsorge für den Arbeitsnachweis eine Pflichtsausgabe der I., die erst durch das ArbeitsnachweisG. vom 22. 7. 1927 (RGBl. I 657) im Hinblick auf die neue Organisation be­ seitigt worden ist. Die erste umfassende gesetz­ liche Regelung der A. betraf die gewerbsmäßige Stellenvermittlung in der GewO., deren Vor­ schriften durch das StellenvermittlerG. vom 2. 6. 1910 abgelöst wurden (s. Stellenver­

mittler). Dieses G. enthält auch Vorschriften über die nicht gewerbsmäßige A. und ermächtigt die obersten Verwaltungsbehörden sowohl für gewerbsmäßige als auch nicht gewerbsmäßige A. Vorschriften zu erlassen. Während das Gewerbe eines Stellenvermittlers vom 1. 1. 1931 richt mehr ausgeübt werden darf, bleibt die nicht ge­ werbsmäßige A. erhalten. Zu dieser gehört die A. durch Arbeitnehmer oder durch Arbeit­ geberorganisationen, die gemeinnützige A. ein­ schließlich der sog. charitativen A. Die bedeut­ samste Rolle in der nichtgewerbsmäßigen A. spielen die öffentlichen A., über die früher im HMBl. alljährlich eine Übersicht für Preußen veröffentlicht wurde. Sie waren daher die ge­ gebene Grundlage für die Neuregelung der A., wie sie durch das ArbeitsnachweisG. herbeigesührt wurde. Die öffentlichen Arbeitsnachweise waren durch Einrichtungen der Gemeinden, deren Kosten zu vier Fünftel durch Beiträge der Arbeit­ geber und Arbeitnehmer gedeckt, zu ein Fünftel von den Errichtungsgemeinden aufgebracht wur­ den. Über den öffentlichen Arbeitsnachweisen standen als Einrichtung der Länder, die Landes­ ämter für A. und über diesen das Reichsami für A., das durch V. vom 5. 5. 1920 (RGBl. 876) ins Leben gerufen war und durch V. vom 30. 9. 1922 (RGBl I 759) die Bezeichnung „Reichs­ arbeitsverwaltung" erhalten hatte. II. Jetzige Einrichtung der A. Durch das G. über A. und Arbeitslosenversicherung vom 16. 7. 1927 (RGBl. I 187) ist als Trägerin der A. eine Reichsanstalt für A. und Arbeitslosen­ versicherung in Berlin errichtet. In diese sind die öffentlichen Arbeitsnachweise als Arbeits­ ämter, die Landesämter für A. als Landesarbeits­ ämter und das Reichsamt für A. als Haupt­ stelle nach den in den §§ 220 bis 237 a. a. O. aus­ gestellten Grundsätzen eingegliedert. Diese Amts­ stellen der Reichsanstalt sind keine selbständige Körperschaften, sondern öffentliche Behörden. Für die Durchführung der Arbeitslosenversiche­ rung sind den Arbeitsämtern und Landesarbeits­ ämtern Verwaltungsausschüsse und der Haupt­ stelle der Vorstand und ein Verwaltungsrat bei­ gegeben, die Organe der Reichsanstalt sind (s. Arbeitslosenversicherung III). Nach Be­ darf sind bei den Arbeitsämtern, den Landes­ arbeitsämtern und der Hauptstelle Fachabtei­ lungen gebildet. Für mehrere Arbeitsämter und mehrere Landesarbeitsämter können ge­ meinsame Fachabteilungen gebildet werden. Die Bildung bei Arbeitsämtern wird vom Ver­ waltungsausschuß des Landesarbeitsamtes, bei einem Landesarbeitsamt und der Hauptstelle vom Vorstand der Reichsanstalt angeordnet, wenn sie von den betreffenden gesetzlichen Berufsver­ tretungen und wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgeschlagen werden. Für jede Fachabteilung wird ein Fach­ ausschuß gebildet, der soweit nicht allgemeine An­ ordnungen des Berwaltungsrats oder die Ge­ schäftsordnung entgegenstehen, in allen Ange­ legenheiten, die ausschließlich das Fach betreffen, an die Stelle des Verwaltungsausschusses oder Verwaltungsrats tritt. Der Fachausschuß be­ steht aus dem Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses oder Verwaltungsrats und einer gleichen Zahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Bei

Arbeitsvermittlung der Hauptstelle ist eine Fachabteilung für Land­ wirtschaft, bei den Arbeitsämtern und Landes­ arbeitsämtern nach Bedarf eine Abteilung für Angestellte und bei der Hauptstelle eine Abtei­ lung und ein Ausschuß für Angestellte zu bilden (§§ 1—28). S. auch das Verzeichnis der Arbeits­ ämter im Erl. vom 12. 9. 1927 (RAM. 410) und das Verzeichnis der Landesarbeitsämter in der Bek. vom 2. 11. 1927 (RAM. 517). III. A. außerhalb der Reichsanstalt. Diese ist entweder eine gewerbsmäßige oder eine nicht gewerbsmäßige, Die gewerbsmäßige A. bleibt vom 1. 1. 1931 ab verboten (s. Stellenver­ mittler). Die gewerbsmäßige Berufsberatung ist vom 1. 10. 1927 ab nicht mehr gestattet. Die nichtgewerbsmäßige A. untersteht der Aufsicht der Reichsanstalt die sie durch die Hauptstelle oder die Landesämter ausüben kann. Der RAM. kann über den Geschäftsgang nicht gewerbs­ mäßiger Arbeitsnachweise nach Benehmen mit dem Berwaltungsrat Vorschriften erlassen; s. B. vom 29. 9. 1927 (RGBl. I 321). Nicht gewerbs­ mäßige Einrichtungen, deren Träger eine poli­ tische Partei oder eine parteipolitische Organi­ sation ist, sind unzulässig. Eine nichtgewerbsmäßige Einrichtung kann durch Beschluß des Vor­ standes in die Reichsanstalt überführt werden und zwar entweder auf Antrag oder zwangs­ weise, wenn ihr Teilgebiet ohne nennenswerte Bedeutung oder trotz wiederholter Aufforderung den Anforderungen des Geschäfts nicht entspricht. Statt der Überführung kann auch die Schließung angeordnet werden, wenn mindestens zwei Drittel der Mitglieder zustimmen. Gegen den Beschluß des Vorstandes ist Beschwerde an den Verwaltungsrat der Reichsanstalt zulässig, dessen Beschluß bei Ablehnung der Überführung oder Schließung endgültig, im übrigen durch weitere Beschwerde an den RAM. angefochten werden kann. Der Berwaltungsausschuß des Landesar­ beitsamtes kann zulassen, daß nicht gewerbs­ mäßige Einrichtungen außerhalb der Reichsan­ stalt errichtet oder in ihrer Selbständigkeit wieder­ hergestellt werden, wenn nach der Eigenart des Berufs oder den Ansprüchen der Beteiligten an die A. und Berufsberatung diese, zumindest für einen nennenswerten Teil der Beteiligten, aus absehbare Zeit besser durch solche Einrichtungen als durch die Reichsanstalt ausgeübt wird. Geht die Tätigkeit der Einrichtung über den Bezirk des Landesarbeitsamtes hinaus, so tritt der Vorstand der Reichsanstalt an die Stelle des Verwaltungs­ ausschusses des Landesarbeitsamtes. Gegen den Beschluß des Verwaltungsausschusses des Landes­ arbeitsamtes ist Beschwerde an den Vorstand der Reichsanstalt zulässig. Läßt dieser die Neuerrich­ tung oder Wiederherstellung zu, so ist der Beschluß endgültig, lehnt er sie ab, so ist weitere Beschwerde an den RAM. zulässig. Gegen den Beschluß des Vorstandes, der an die Stelle des Verwaltungs­ ausschusses tritt, ist Beschwerde an den Verwal­ tungsrat der Reichsanstalt zulässig. Lehnt dieser die Neuerrichtung oder Wiederherstellung ab, so ist Beschwerde an den RAM. zulässig. Die Fach­ beratung unterliegt weder der Aufsicht noch kannsie überführt oder neuerrichtet oder zugelassen werden, wenn sie von gesetzlichen Berufsvertretungen oder von Berufsvereinen ausgeübt wird, die für das Fach bestehen. Für die A. der Seeleute be­

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stehende seemännischeHeuer stellen in Kö­ nigsberg, Stettin, Rostock, Lübeck, Flensburg, Kiel Hamburg, Bremen, Nordenham und Emden, die die Hauptstellen der Reichsanstalt beaufsichtigt (§§ 49—53). S. dazu B. über seemännische Heuer­ stellen vom 8.11.1924 (RGBl. 1739), abgeändert durch V. vom 20. 9. 1927 (RGBl. 303). IV. Vermittlungsgrundsätze und Berufs­ beratung. Aufgabe der A., zu der auch die Lehrstellenvermittlung gehört, ist, dahin zu wir­ ken, daß freie Stellen durch möglichst geeignete Arbeitskräfte besetzt werden. Dabei sind einer­ seits die besonderen Verhältnisse der freien Ar­ beitsplätze anderseits die berufliche und körper­ liche Eignung sowie die persönlichen und Familien­ verhältnisse, und die Dauer der Arbeitslosigkeit des Bewerbers zu berücksichtigen, soweit die Lage des Arbeitsmarktes es gestattet. Die Berufsbe­ ratung hat einesteils die körperliche und geistige Eignung, die Neigung und die wirtschaftlichen und Familienverhältnisse der Ratsuchenden an­ derseits die Lage des Arbeilsmarktes und die Be­ rufsaussichten angemessen zu berücksichtigen. Sie hat die Interessen eines besonderen Berufs allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Ge­ sichtspunkten unterzuordnen. A. und Berufsbe­ ratung sind unparteiisch insbesondere ohne Rück­ sicht auf die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung auszuüben. Die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung ist nur zulässig, soweit es sich um Betriebe handelt, die politischen, ge­ werkschaftlichen, militärischen, konfessionellen, wissenschaftlichen, künstlerischen und ähnlichen Be­ strebungen dienen, oder wenn die A. von einem Arbeitsnachweis ausgeübt wird, der von einer wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitnehmern errichtet ist und satzungsmäßig nur an deren Mit­ glieder Arbeit vermittelt. Dem Arbeitsnachweise ist es untersagt, einen Arbeitnehmer zum Zwecke der Nichteinstellung ungünstig zu kennzeichnen oder sonst an einer Maßregelung von Arbeit­ nehmern oder an einer entsprechenden Maßnahme gegen Arbeitgeber mitzuwirken. Die Reichsan­ stalt übt die A. und Berufsberatung unentgeltlich aus. Nichtgewerbsmäßige Einrichtungen außer­ halb der Reichsanstalt dürfen nach näherer Be­ stimmung des RAM., die nach Anhörung des Verwaltungsrats der Reichsanstalt zu erlassen ist, Gebühren zur Deckung der Unkosten erheben. Art. 9 der V. vom 29. 9. 1927 (RAM. 437). A. und Berufsberatung für Frauen soll in der Regel in besonderen Abteilungen für Frauen unter weiblicher Leitung durch Frauen ausge­ übt werden. Soweit ein Tarifvertrag besteht, darf die Vermittlung beteiligter Arbeitnehmer, ofern dem Vermittler die Beteiligung bekannt ist und zu tariflichzulässigen Bedingungen bewirkt werden. Der Vermittler hat den Abschluß eines Arbeitsvertrags, der gegen die im Beruf ortsüb­ lichen Mindestsätze verstoßen würde, abzulehnen. Im übrigen hat sich der Vermittler jeder Ein­ wirkung auf die Lohnhöhe zu enthalten. , Aus­ kunftserteilung über die ortsübliche Lohnhöhe ist zulässig. Die Arbeitgeber sind bei Vermeidung einer Geldstrafe bis zu 150 RM (§ 256) ver­ pflichtet und die wirtschaftlichen Bereinigungen berechtigt, bei Ausbruch oder Beendigung eines Ausstandes sowie bei Vornahme oder Beendi­ gung einer Aussperrung dem ^Arbeitsamt schrift-

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Arbeitsvertrag

lich Anzeige zu erstatten. Der Vorstand der Reichsanstalt erläßt nähere ^Bestimmungen über die hierbei einzuhaltenden Fristen und Formen sowie darüber, in welchen Fristen die Anzeige statt von dem einzelnen Arbeitgeber von einer öffentlichen Berufsvertretung oder wirtschaft­ lichen Vereinigung zu erstatten ist. S. Vorschriften vom 17. 11. 1923 (RABl. 699), vom 10. 11. 1923 RABl. 46); Anordnung vom 27. 6.1923 (NABl. (418), alle in der Fassung der V. vom 28. 9. 1927 (RGBl. I 317). Der Arbeitsvermittler hat den Arbeitsuchenden von dieser Anzeige Kenntnis zu geben und die Vermittlung neu vorzunehmen, wenn sie trotzdem verlangt wird. Ausständige und Ausgesperrte Arbeitnehmer dürfen nur vermittelt werden, wenn dem Arbeitgeber die Tatsache des Ausstandes oder der Aussperrung vorher bekannt gegeben war. Besonderheiten über offene Stellen, die für den Arbeitsuchenden von Bedeutung sind, sowie be­ sondere Eigenschaften eines Arbeitsuchenden, die für seine Eignung für die Stelle wichtig sein kön­ nen, muß der Vermittler auf Verlangen bekannt­ geben, wenn ihm diese Besonderheiten oder be­ sonderen Eigenschaften amtlich bekannt geworden sind und wenn es besondere Umstände, z. B. die Hausgemeinschaft rechtfertigen. Der RAM. kann nach Anhörung des Verwaltungsrats der Reichs­ anstalt anordnen, daß Arbeitgeber bei Vermei­ dung von Geldstrafe bis zu 150 RM (§257) die bei ihm offenen Arbeitsplätze, mit Ausnahme von solchen, welche durch Ausstand oder Aus­ sperrung frei geworden sind, dem zuständigen Arbeitsamt melden. Die Anmeldepflicht er­ streckt sich nur auf Arbeitnehmer, die der KV. und AB. unterliegen und darf sich nicht erstrecken auf die Landwirtschaft und Hauswirtschaft oder auf Betriebe mit weniger als fünf Arbeitern. Auf Antrag des Verwaltungsamts der Neichsanstalt kann der RAM. anordnen, daß die Anwerbung und Vermittlung aus dem Bezirk eines Landes­ arbeitsamtes in den eines anderen ohne Zu­ stimmung des Vorsitzenden des Landesarbeits­ amts, aus dem die Anwerbung oder Vermittlung geschieht, nicht vorgenommen werden darf. Die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung aus­ ländischer Arbeiter regelt der RAM. und der RMdJ. nach Anhörung des Berwaltungsrats der Reichsanstalt mit Zustimmung des RR., während die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitneh­ mern nach dem Ausland von dem RAM. und dem RMdJ. nach Anhörung des Berwaltungsrats der Reichsanstalt geregelt wird; dabei kann die ge­ werbsmäßige Stellenvermittlung verboten und die nicht gewerbsmäßige A. von einer Erlaubnis abhängig gemacht werden. S. die V. RGBl. 1926 I 5 in der Fassung der B. vom 20. 9. 1927 (RG­ Bl. I 302) nebst V. vom 19. 10. 1922 (Reichs­ anzeiger Nr. 238), abgeändert durch V. vom 2. 1. 1923 (Reichsanzeiger Nr. 3) in der Fassung der Bek. vom 20. 9. 1927 (RGBl. I 302) sowie V. vom 4. 10.1923 (RGBl. I 675), abgeändert durch B. vom 23. 7.1924 (RGBl. 1675) und vom 20. 9. 1927 (RGBl. I 302). Strasvorschristen in § 258 (§§ 58—68). S. auch B. zur Ausführung des G. über A. und Arbeitslosenversicherung vom 29. 9. 1927 (RGBl. I 312). F. H. ArbeitsVertrag. Auf den Dienstvertrag zwi­ schen Unternehmern und^gewerblichen Arbeitern

(s. d.) finden die Vorschriften der §§ 611—630 BGB. Anwendung, soweit nicht die GewO, ab­ weichende Vorschriften enthält (Art. 32 EGBGB.). Insbesondere gelten die Vorschriften des BGB. über die Befähigung zur Eingehung des Arbeitsverhältnisses (§ 113), das Zustande­ kommen des A. (§§ 145—153), die Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte (§§ 134, 138 Abs. 1), die Formen der Kündigung (§§ 621 ff.), die Verjährung der Lohnansprüche (§ 196) usw. Im übrigen unter­ liegt nach § 105 GewO, die Festsetzung der Ver­ hältnisse zwischen dem selbständigen Gewerbe­ treibenden und den gewerblichen Arbeitern freier Übereinkunft, soweit nicht die Reichsgesetze Be­ schränkungen enthalten. Dahin gehört zunächst von den Vorschriften der GewO, der § 105a, wonach die Arbeiter zu Arbeiten an Sonn- und Festtagen nicht verpflichtet werden können, so­ weit nicht die GewO, eine solche Beschäftigung zuläßt (s. Sonntagsruhe). Sodann sind hierher zu rechnen, die Vorschriften der §§ 115, 117, 118, 119 über die Barzahlung der Löhne (s. d.) über das Verbot des Kreditierens von Waren (s. Trucksystem), sowie über das Verbot ge­ wisser Verabredungen und die §§ 119a, 119b über Lohneinbehaltungen. Ferner kommen in Betracht die Vorschriften des § 5 HaftPflichtG. vom 7. 6. 1871 (RGBl. 207), § 139 RBO., § 341 Avg., § 243 RKG., wonach es den Be­ triebsunternehmern und ihren Angestellten unter­ sagt ist, durch Übereinkunft die Anwendung der Vorschriften des HaftPflichtG., der RBO., des Avg. und des RKG. zum Nachteile der Ver­ sicherten ganz oder teilweise auszuschließen oder die Versicherten in der Übernahme oder Aus­ übung der Ehrenämter zu beschränken. Alle dem widersprechende Vertragsbestimmungen sind nich­ tig. Eine weitere Einschränkung der freien Rege­ lung des A. findet sich in § 122 GewO., wonach die Aufkündigungsfristen für beide Teile gleich sein müssen. Abweichend von der Vorschrift des § 626 BGB., der die Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist allgemein zuläßt, gelten für gewerbliche Arbeiter die Vorschriften der §§ 123, 124, 124a GewO, jedoch mit der Maßgabe, daß die dort aufgezählten Kündigungsgründe durch Vertrag eingeschränkt oder erweitert werden kön­ nen. Insbesondere ist die Verabredung einer jederzeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Kündigung zulässig (Erl. vom 20.6. 1892, MBl. 276). Nach § 123 können Gesellen (Gehilfen) und Fabrikarbeiter (§ 135) ohne Auf­ kündigung vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit entlassen werden, wenn sie 1. bei Abschluß des A. den Arbeitgeber durch Vorzeigung falscher oder verfälschter Arbeitsbücher oder Zeugnisse hinter­ gangen oder ihn über das Bestehen eines anderen sie gleichzeitig verpflichtenden Arbeitsverhält­ nisses in einen Irrtum versetzt haben; 2. eines Diebstahls, einer Entwendung, einer Unterschla­ gung, eines Betrugs oder eines liederlichen Lebenswandels sich schuldig machen; 3. die Arbeit unbefugt verlassen haben oder sonst den nach dem A. ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzu­ kommen beharrlich verweigern; 4. der Verwar­ nung ungeachtet mit Feuer und Licht unvorsichtig umgehen; 5. sich Tätlichkeiten oder grobe Be­ leidigungen gegen den Arbeitgeber oder seine Vertreter oder gegen die Familienangehörigen

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des Arbeitgebers oder seiner Vertreter zu schulden einige besondere Vorschriften für den A. Das kommen lassen; 6. einer vorsätzlichen und rechts­ gleiche gilt für die Floßmannschaften nach widrigen Sachbeschädigung zum Nachteile des §§ 17—21 dös G., betr. die privatrechtlichen Ver­ Arbeitgebers oder eines Mitarbeiters sich schuldig hältnisse der Flößerei, vom 15. 6. 1895 (RGBl. machen; 7. Familienangehörige des Arbeitgebers 341). Der A. der Schiffsmannschaft der Seeschiffe oder seiner Vertreter oder Mitarbeiter zu Hand­ (s. Heuervertrag) in der Seemanns-Ordnung lungen verleiten oder zu verleiten versuchen oder (s. d.) geregelt. mit Familienangehörigen des Arbeitgebers oder Das Vertragsverhältnis zwischen dem Berg­ seiner Vertreter Handlungen begehen, welche werksbesitzer und den Bergleuten wird nach wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen; den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften beur­ 8. zur Fortsetzung der Arbeit unfähig oder mit teilt, soweit nicht in §§ 80 ff. des BergG. vom einer abschreckenden Krankheit behaftet sind. In 24. 6.1865 (GS. 705) in der Fassung der G. vom den Fällen unter Ziff. 1—7 ist die Entlassung 24. 6. 1892 (GS. 131), vom 6. 6. 1904 (GS. 105) nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden und vom 14. 7.1905 (GS. 307) in der GewO., im Tatsachen dem Arbeitgeber länger als eine Woche HaftpflichtG. oder in den Sozialversicherungs G. bekannt sind. In den Fällen unter 8 kann eine Beschränkungen vorgesehen sind. S. Berg­ Entschädigung nur noch §§ 323—325 BGB. oder arbeiter. Wegen des A. der Handlungs­ wenn eine solche verabredet ist, gefordert werden gehilfen und Lehrlinge s. d. S. auch Tarif­ (§ 123 Abs. 3 GewO.). verträge. Vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und A. unterliegen einem Stempel von 3 M. ohne Aufkündigung können Gesellen und Ge­ Werden in ihnen Arbeits- und Dienstleistungen hilfen gemäß § 124 GewO, die Arbeit verlassen; gegen zu gewissen Zeiten wiederkehrendes Ent­ 1. wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig gelt (Lohn, Gehalt u. dgl.) versprochen, so sind werden; 2. wenn der Arbeitgeber oder seine sie steuerfrei, sofern der Jahresbetrag der Gegen­ Vertreter sich Tätlichkeiten oder grobe Beleidi­ leistung 1500 M nicht übersteigt (TSt. 18, 2, 3 b gungen gegen die Arbeiter oder gegen ihre des StempG.). F. H. Familienangehörigen zu schulden kommen lassen; Kommentare zur GewO, und zum BGB.: Siegel, 3. wenn der Arbeitgeber oder seine Vertreter Arbeitsvertrag, 1903. Neukamp im BerwArch. 5, 208. oder Familienangehörige derselben die Arbeiter v. Blume im BerwArch. 7, 483. Brentano, Uber die oder deren Familienangehörige zu Handlungen Fortbildung des Arbeitsvertrags, 1892. Flesch, Zur Kritik Arbeilsvertrags, 1901. Cree, Der kollektive Arbeits­ verleiten oder zu verleiten versuchen oder mit des vertrag, 1904. Wölbling, Der Akkordvertrag und der den Familienangehörigen der Arbeiter Hand­ Tarifvertrag, 1908. S. a. Prenner, Der gewerbliche lungen begehen, welche wider die Gesetze oder Arbeitsvertrag nach deutschem Recht, 1902. die guten Sitten laufen; 4. wenn der Arbeit­ Arbeitszeit. I. In den politischen und sozialen geber den Arbeitern den schuldigen Lohn nicht Kämpfen der letzten Jahrzehnte spielt die Frage in der bedungenen Weise auszahlt, bei Stücklohn nach der A. an Werktagen eine hervorragende nicht für ihre ausreichende Beschäftigung sorgt Rolle nicht nur vom Standpunkte des Arbeiter­ oder wenn er sich widerrechtlicher Übervorteilun­ schutzes (s. d.), sondern auch im Interesse des gen gegen sie schuldig macht; 5. wenn bei Fort­ sozialen Aufstiegs der arbeitenden Bevölkerung. setzung der Arbeit das Leben oder die Gesund­ Dabei wird als Normalarbeitszeit für jeden heit der Arbeiter einer erweislichen Gefahr aus­ arbeitenden Menschen der achtstündige Arbeitstag gesetzt sein würde, welche bei Eingehung des A. ohne Rücksicht aus Art und Schwere der Arbeit hin­ nicht zu erkennen war. In den unter Ziff. 2 ge­ gestellt, damit dem Arbeiter nicht nur genügend dachten Fällen ist der Austritt aus der Arbeit Zeit zum Ausruhen, sondern auch die Möglichkeit nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden verbleibt, sich auf kulturellem Gebiete, der Tatsachen dem Arbeiter länger als eine Woche geistigen Fortbildung und Unterhaltung und in politischer Mitarbeit betätigen zu können. Selbst­ bekannt sind. In Gewerbebetrieben, für die eine Arbeits­ redend hatte die Einführung des Achtstundentags ordnung (f. d.) erlassen ist, dürfen andere als in auch wesentlichen Einfluß auf die bisherige Rege­ dieser vorgesehene oder gesetzliche Entlassungs­ lung der A. Die Dauer der A. bei erwachsenen gründe nicht vereinbart werden. Außer aus den männlichen Personen wird als sog. sanitärer angeführten Gründen kann jeder der beiden Maximalarbeitstag geregelt, indem § 120k Teile aus wichtigen Gründen (z. B. Todesfälle GewO, vorschreibt, daß für solche Gewerbe, in oder schwere Erkrankungen, bei weiblichen Arbei­ welchen durch übermäßige Dauer der täglichen A. tern auch Verheiratung) vor Ablauf der vertrags­ die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, der mäßigen Zeit und ohne Innehaltung einer Kün­ BR. (jetzt die Reichsregierung mit Zustimmung digungsfrist die Aushebung des Arbeitsverhält­ des RR.), und soweit er dies nicht tut, die Landes­ nisses verlangen, wenn dasselbe mindestens aus zentralbehörde oder die zuständige Polizeibehörde vier Wochen oder wenn eine längere als vierzehn­ durch Polv. Beginn und Ende der zulässigen täg­ tägige Kündigungsfrist vereinbart ist. Streitig­ lichen A. und der zu gewährenden Pausen regeln keiten aus dem A. entscheiden die Arbeitsgerichte und die zur Durchführung erforderlichen Anord­ (s. d.). Eine unzulässige Aufhebung des A. ist nungen treffen können. Auf Grund dieser Vor­ Kontraktbruch (f. d.). Eine besondere Art des A. schrift wurden erlassen die Vorschriften betr. ist der Lehrvertrag (f. d.) und der Vertrag mit a) den Betrieb der Bäckereien und Konditoreien Betriebsbeamten (f. d.). Zu den gewerblichen (s. d.) vom 4. 3.1896 (RGBl. 55), b) die Beschäf­ Arbeitern gehören nach § 21 des G., betr. die tigung von Gehilfen und Lehrlingen in Gastprivatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt und Schankwirtschaften vom 23. 1. 1902 (RG­ (RGBl. 1898, 868) die Schiffsmannschaft der Bl. 33), c) den Betrieb der Getreidemühlen vom Binnenschiffe, doch finden sich in den §§ 22—25 26. 4. 1899 (RGBl. 273) und vom 15. 11. 1903 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

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(RGBl. 287). Vorschriften über die Höchst­ arbeitszeit (teils zehn-, teils acht-, teils sechs­ stündige) enthalten die auf Grund des § 120 GewO, erlassenen Vorschriften über die Einrich­ tung und den Betrieb von Thomasschlackenmühlen (s. d.), von Anlagen zur Herstellung von elektrischen Akkumulatoren aus Blei oder Blei­ verbindungen (s. Akkumulatoren), in Anlagen zur Vulkanisierung von Gummiwaren (s. d.), in Steinbrüchen (s. Brüche), in Bleifarbenfabriken (s. d.), in Bleihütten (s. d.) und in Spiegelbelege­ anstalten (s. d.). Für Fleischereien wurden allgemeine Vorschrif­ ten nicht für erforderlich gehalten (Erl. vom 28.4. 1913, HMBl. 378). Für Angestellte, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Verkaufsstellen (s. d.) wurde durch § 139c GewO, vorgeschrieben, daß ihnen nach Beendigung der täglichen A. eine un­ unterbrochene Mindestruhezeit von 10 Stunden, in Gemeinden über 20000 Einwohner von 11 Stun­ den gewährt werden muß. Gleichzeitig mußten die offenen Verkaufsstellen von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens (bei Abstimmung durch die Ge­ werbetreibenden von 8 abends bis 7 Uhr mor­ gens) geschlossen gehalten werden. Nach §§ 192a, 197 Abs. 1 Allg. BergG. in der Fassung des G. vom 14. 7. 1905 (GS. 307) und vom 28. 7. 1909 (GS. 677) konnte das OBA. über Dauer, Beginn und Ende der täglichen A. Vorschriften erlassen, wenn durch die Betriebsverhältnisse die Gesund­ heit der Arbeiter beeinflußt wird. Außerdem war für Steinkohlenbergwerke, namentlich an Orten, wo die gewöhnliche Temperatur mehr als 28° C beträgt, die Dauer der A. besonders geregelt (§§ 93a—93e, 192a Abs. 2, 3, 197 a. a. O.). II. Auf Grund des ErmächtigungsG- vom 4. 8. 1914 wurde sodann das Inkrafttreten der neuen Vorschriften in der Großeisenindustrie vom 4. 5. 1914 (RGBl. 118) mit der verlängerten Mindest­ ruhezeit insbesondere bei Wechselschichten hinaus­ geschoben, bis bei der Staatsumwälzung durch die Volksbeauftragten die Inkraftsetzung des acht­ stündigen Maximalarbeitstags vom 1. 1.1919 ver­ sprochen und die Regelung aufgehoben wurde. In Ausführung dieses Versprechens wurden die V. über die A. in Bäckereien und Konditoreien (s. d.), die V. über die Regelung der A. der ge­ werblichen Arbeiter vom 23. 11. 1918 (RGBl. 1334) und vom 17. 12. 1918 (RGBl. 1436) und die V. über die Regelung der A. der Angestellten vom 18. 3. 1919 (RGBl. 315), die vorläufige Landarbeiterordnung vom 24.1.1919 (RGBl. 11) und das G. über die A. im Bergbau vom 17. 7. 1922 (RGBl. I 628) erlassen. Bon diesen gesetz­ lichen Vorschriften sind noch die beiden V. über die A. in Bäckereien und die vorläufige Landarbeits­ ordnung in Kraft. Die beiden allgemeinen V. über die Regelung der A. traten mit Ablauf der Demobilmachung außer Kraft, wurden aber durch die V. vom 21. 12. 1923 (RGBl. I 1249) mit Abänderungen wieder in Kraft gesetzt. Dabei wurde das G. über die A. im Bergbau in diese V. hineingearbeitet. Später wurde die V. über die A. in Krankenpflegeanstalten vom 13. 11. 1924 (RGBl. I 66) erlassen. Zu erwähnen sind auch die V. vom 20. 1. 1925 (RGBl. I 5) über A. in Kokereien und Hochöfen, die V. über A. in Gaswerken, Metallhütten, in Glashütten und Glasschleifereien vom 9. 2. 1927 (RGBl.

I 59, 60) und die V. über die A. in Stahlwerken, Walzwerken und anderen Anlagen der Großeisenindustrie vom 16. 7. 1927 (RGBl. I 221). Um verschiedene bei der Durchführung der V. vom 21. 12. 1923 (RGBl. I 1249) hervorgetretenen Mängel, insbesondere die übermäßige Aus­ dehnung der Möglichkeit der überarbeit, zu be­ seitigen, wurde durch G. vom 14. 4. 1927 (RGBl. I 109) die V. in einigen Punkten geändert, ohne ihren Geltungsbereich zu ändern. Die V. ist durch Bek. des RAM. vom 14. 4. 1927 (RGBl. I 110) in neuer Fassung bekanntgemacht. Sie bezieht sich nur auf die A. an Werktagen. Abgesehen von der Regelung der A. in Betrieben mit Wechsel­ schicht sowie in Bäckereien und in Krankenanstalten bewendet es bei den Vorschriften über die Sonn­ tagsruhe (s. d.). S. auch Best, des RAM. vom 17. 4. 1924 (RGBl. I 410), abgeändert durch AusfB. vom 29. 4. 1927 (RGBl. I 114), vom 26. 4. 1927 (RGBl. 1114) sowie Erl. vom 4. und 18. 1. 1924 (HMBl. 42, 43). III. Der jetzige Rechtszustand läßt sich dahin zusammenfassen, daß für alle gewerblichen Ar­ beiter in gewerblichen Betrieben jeder Art, also auch in nicht unter die GewO, fallenden, in Be­ trieben des Reichs, der Länder, der Gemeinde­ verbände und der Gemeinden sowie in allen landwirtschaflichen Nebenbetrieben gewerblicher Art die regelmäßige werktägliche A. ausschließlich der Pausen acht Stunden nicht überschreiten darf. Die achtstündige A. gilt für alle nicht leitenden An­ gestellten, auch in Betrieben und Bureaus öffent­ licher Körperschaften mit Ausnahme derjenigen in der Landwirtschaft und in Apotheken. Jedoch kann der an einzelnen Tagen eintretende Ausfall einzelner Arbeitsstunden an den anderen Werk­ tagen der gleichen oder der folgenden Woche aus­ geglichen, also die achtundvierzigstündige Arbeits­ woche eingeführt werden. Hierbei bestehen fol­ gende Ausnahmen: Bei Betrieben mit Schicht­ wechsel,d.i. eine Arbeitsschicht,derenDauer von der regelmäßigen Arbeitsschicht abweicht und dazu be­ stimmt ist, in den auch an Sonn- und Festtagen un­ unterbrochen arbeitenden Betrieben einen Wech­ sel in der Lage der regelmäßigen Arbeitsschichten herbeizuführen, darf innerhalb drei Wochen eine sechzehnstündige Schicht eingelegt werden, wenn den Arbeitern zwei ununterbrochene vierund­ zwanzigstündige Ruhezeiten gewährt werdenIn Betrieben und Verwaltungen des Reichs, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände kann die Behörde die für die Beamten maßgebende Regelung auf alle Angestellten und Arbeiter über­ tragen. An 30 Tagen nach der Wahl des Arbeitge­ bers dürfen bis zu zwei Überstunden stattfinden. Verlängerung der A. für den Gesamtbetrieb um zwei Stunden, bei weiblichen und jugendlichen Ar­ beitern um höchstens eine Stunde, ist bei Arbeiten zurBewachungderBetriebsanlagen zurReinigung und Instandhaltung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Be­ triebes bedingt ist, bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vol­ len Betriebs arbeitstechnisch abhängt, bei Arbeiten zum Be- und Entladen von Schissen im Hafen und zum Be- und Entladen sowie zum Verschieben von Eisenbahnwagen, soweit die Mehrarbeit zur Vermeidung oder Beseitigung von Verkehrs­ stockungen oder zur Innehaltung der gesetzlichen

Arbeitszettel — Arbeitszeugnis Ladfristen notwendig ist, bei der Beaufsichtigung der vorstehend drei ausgeführten Arbeiten zuge­ lassen. Im Wege des Tarifvertrags (f. d.) oder, so­ weit ein solcher nicht besteht, durch den RAM. kann nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitneh­ mer für einzelne Gewerbszweige oder Gruppen von Arbeitnehmern, bei denen regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft vor­ liegt, eine abweichende Regelung der A. getroffen werden. Bestimmungen über A. in einem Tarif­ vertrag, die mit der Schutzbedürftigkeit der Ar­ beiterinnen und jugendlichen Arbeiter unverein­ bar sind, kann der HM. — bei Tarifverträgen, bte nur für einen RegBez. oder nur für Berlin gelten der NP. oder PolPräs. (Erl. vom 4. 1. 1924, HMBl. 42) — beanstanden und durch andere er­ setzen, wenn das innerhalb der gesetzten Frist nicht von den Beteiligten geschieht. In einem Tarif­ vertrag vorbehaltene besondere Vereinbarungen müssen innerhalb der vom HM. gesetzten Frist ge­ troffen werden, widrigenfalls er Anordnungen trifft. Ist die A. nicht tariflich geregelt, so kann der Gewerbeaufsichtsbeamte oder der Bergrevier­ beamte nach Anhörung der Betriebsvertretung Abweichungen von der A. zulassen, sofern sie aus betriebstechnischen Gründen, insbesondere bei Betriebsunterbrechungen durch Naturereignisse, Unglücksfällen oder anderen unvermeidlichen Stö­ rungen, oder aus allgemein wirtschaftlichen Grün­ den geboten ist; vgl. Erl. d. RAM. vom 15. 5.1924 (RABl. 264). Das ist jedoch nicht zulässig, wenn der Tarifvertrag nicht länger als drei Monate ab­ gelaufen ist. Eine Verlängerung der A. bis höch­ stens zehn Stunden ist zulässig, darüber hinaus aber mit befristeter Genehmigung, wenn es sich um Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten handelt, bei denen eine Vertretung des Arbeitnehmers durch andere Arbeitnehmer nicht möglich ist und die Heranziehung betriebsfremder Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann. Über den Begriff der Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten s. AusfB. des RAM. vom 29. 4. 1927 (RGBl. I 121). Sowohl im Wege tariflicher Vereinbarung als auch durch behördliche Anordnung ist eine Überschreitung der achtstündi­ gen A. ausgeschlossen, wenn es sich um Gewerbs­ zweige oder Gruppen von Arbeitern, die unter be­ sonderen Gefahren für Leben und Gesundheit arbeiten, insbesondere im Steinkohlenbergbau und den vomR AM. als solche bezeichneten Gewerbs­ zweige oder Gruppen. Das ist geschehen hinsichtlich der Gaswerke und Metallhütten durch B. vom 9.7. 1927 (RGBl. 159), hinsichtlich der Glashütten und Glasschleifereien durch B. vom 9. 2.1927 (RGBl. I 60), hinsichtlich der Kokereien und Hochofen­ werke durch V. vom 20. 1. 1925 (RGBl. I 5) und hinsichtlich der Hochofengießereien und Röhren­ gießereien, Martin-, Thomas-, Bessemer-, Elektround Tiegelstahlwerken, der Puddelwerke, Walz­ werke, Hammer- und Preßwerke und der Genera­ toren durch B. vom 16. 7. 1927 (RGBl. I 22). Hier darf nur eine Überschreitung der A. um eine halbe Stunde stattfinden, wenn sie aus Gründen des Gemeinwohls dringend erforderlich ist, oder wenn sie sich in langjähriger Übung als unbe­ denklich erwiesen hat. Im Bergbau ist bei Tem­ peraturen über 28 Grad C durch Tarifvertrag eine Verkürzung der Arbeitszeit unter acht Stun­

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den zu vereinbaren. Geschieht dies nicht, so ordnet das OBA. sie an. Im Steinkohlenbergbau gilt als regelmäßige A. die Schichtzeit, die vom Be­ ginn der Seilfahrt bei der Einfahrt bis zum Wie­ derbeginn der Ausfahrt oder vom Eintritt des einzelnen Arbeiters in das Stollenmundloch bis zu seinem Wiederaustritt gerechnet wird (§ 8 der Arbeitszeit-B.). Wegen Besonderheiten bei Be­ schäftigung der weiblichen und jugendlichen Ar­ beiter s. Arbeiterin und Jugendliche Arbeiter. Eine Beschränkung der A. greift nicht Platz bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen des Betroffenen eintreten und deren Folge nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, beson­ ders wenn Rohstoffe oder Lebensmittel zu ver­ derben oder Arbeitserzeugnisse zu mißlingen drohen. Das gleiche gilt, wenn eine geringe Zahl von Arbeitnehmern über 16 Jahre an einzelnen Tagen mit Arbeiten beschäftigt wird, deren Nicht­ erledigung das Ergebnis der Arbeit gefährden oder einen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schaden zur Folge haben würde, und wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zuge­ mutet werden können. Wird die A. verlängert, so muß mit Ausnahme der Fälle, in denen für den Gesamtbetrieb eine Überschreitung der A. stattfinden darf, den Arbeitnehmern mit Aus­ nahme der Lehrlinge für die Mehrarbeit ein angemessener Lohn gezahlt werden, es sei denn, daß diese an sich zulässig wäre oder lediglich in­ folge von Notfällen, Naturereignissen, Unglücks­ fällen oder anderen unvermeidlichen Störungen erforderlich ist. In Ermangelung einer abweichen­ den Vereinbarung oder besonderen Umstände gilt als angemessene Vergütung ein Zuschlag von 25%. Bei Streit über die Vergütung trifft der Schlichter eine bindende Regelung, wenn nicht im Wege freier Verhandlung oder im Schlicht­ ungsverfahren eine Vereinbarung zustande kommt. Für Saisongewerbe kann der RAM. anordnen, daß eine Entlohnung der Mehrarbeit nicht Platz greift, wenn in übrigen Zeiten des Jahres die Arbeitszeit verkürzt wird. IV. Strasvorschriften. Vergehen gegen die A. werden mit Geldstrafe von 3 bis 10000 RM bestraft, und zwar auch dann, wenn es sich um freiwillige Mehrarbeit handelt. F. H. Arbeitszettel s. Lohnbücher. ArbeitSzeugnis. I. Gewerbliche Arbeiter (s. d.). Beim Abgänge können die Arbeiter und, wenn sie minderjährig sind, auch ihre gesetzlichen Vertreter ein Zeugnis über die Dauer und Art der Beschäftigung fordern, das auf Verlangen auch auf die Führung und die Leistungen auszudehnen ist. Merkmale — d. h. Kennzeichen, deren Bedeu­ tung Uneingeweihten nicht ohne weiteres erkenn­ bar ist (RGSt. 22, 200) — die den Zweck haben, Arbeiter in einer aus dem Wortlaute des Zeug­ nisses nicht erkennbaren Weise zu kennzeichnen, sind verboten. Die OPB. hat auf Verlangen des Arbeiters das Zeugnis kosten- und stempelfrei zu beglaubigen (§§ 113, 114 GewO.; Zisf. 192 AusfAnw. z. GewO, vom 1.5.1904, HMBl. 123). II. Bergleute. Der Bergwerksbesitzer oder sein Stellvertreter ist verpflichtet, dem abkehren­ den großjährigen Bergmann ein Zeugnis über die Art und Dauer der Beschäftigung und auf Ver­ langen auch ein Zeugnis über seine Führung und 7*

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Arbitrage — Archive

Leistungen auszustellen. Die Unterschrift dieser Zeugnisse hat die OPB. kosten- und stempelfrei zu beglaubigen. Wird die Ausstellung des Zeugnisses verweigert, so fertigt die OPB. dasselbe auf Kosten des Verpflichteten aus. Werden dem ab­ kehrenden Bergmann in dem Zeugnisse Beschul­ digungen zur Last gelegt, die seine fernere Be­ schäftigung hindern würden, so kann er auf Unter­ suchung bei der OPB. antragen, die, wenn die Be­ schuldigung unbegründet befunden wird, unter dem Zeugnisse das Ergebnis ihrer Untersuchung zu vermerken hat. Wegen der Merkmale gilt das gleiche Verbot, wie für die gewerblichen Arbeiter (§ 84 BergG. in der Fassung des G. vom 24. 6. 1892, GS. 131 und Ziff. 13 AusfAnw. vom 27. 12. 1892 A X, XI, MBl. 1893). III. Handlungsgehilfen. Diese können bei Beendigung des Dienstverhältnisses ein schriftliches Zeugnis über die Art und Dauer der Beschäfti­ gung fordern, das auf Verlangen auch auf die Führung und die Leistungen auszudehnen ist. Auf Antrag des Handlungsgehilfen hat die OPB. das Zeugnis kosten- und stempelfrei zu beglaubigen (§ 73 HGB.). IV. Schiffsmannschaft (s. d.). Vor der Ab­ musterung (s. d.) hat der Kapitän (s. d.) dem abzu­ musternden Schisfsmann (s.Schiffsmannschast) auf Verlangen ein Führungszeugnis auszustellen, das kosten- und stempelfrei ist und in das See­ fahrtsbuch (s. d.) nicht eingetragen werden darf. Die Unterschrift des Kapitäns unter dem Zeug­ nisse wird von dem Seemannsamte (s. d.), vor dem die Abmusterung stattfindet, kosten- und stempel­ frei beglaubigt. Verweigert der Kapitän die Aus­ stellung des Zeugnisses oder enthält es Angaben, deren Richtigkeit der Schiffsmann bestreitet, so hat auf dessen Antrag das Seemannsamt den Sach­ verhalt zu untersuchen und das Ergebnis der Un­ tersuchung dem Schiffsmanne zu bescheinigen (§§ 19, 20, 21 Semannsordnung, RGBl, 1902, 175; Dienstanweisung für die preußischen Muste­ rungsbehörden vom 21. 3. 1903, HMBl. 87). V. Dienstvertrag. Nach § 630 BGB. kann der Dienstverpflichtete bei Beendigung eines dauernden Dienstverhältnisses von dem anderen Teil ein schriftliches Zeugnis über das Dienstver­ hältnis und dessen Dauer fordern. Das Zeugnis ist auf Verlangen aus die Leistungen und die Führung im Dienst zu erstrecken. F. H. Arbitrage s. Kapitalverkehrsteuer. Archäologisches Institut. Die früheren preuß. Anstalten sind vom Deutschen Reich übernommen (f. Statut vom 9. 4. 1887, ZBl. 172; vgl. 1893, 235; 1895, 148; 1901, 306; 1904, 62) und dem Auswärtigen Amt unterstellt. Sie sind be­ stimmt, auf dem Gebiet der Archäologie und der Philologie die Verbindung zwischen den Heimatländern der alten Kunst und Wissen­ schaft und der gelehrten Forschung zu beleben und zu regeln und die Denkmäler der griechischen und römischen Epoche in umfassender Weise zu veröffentlichen. Es besteht eine Zentraldirektion in Berlin, je eine Anstalt in Rom und Athen und ein Institut für die römisch-germanische Forschung in Mainz. Zur Heranbildung von Archäologen werden Reisestipendien vergeben, von denen eins an Gymnasiallehrer gewährt werden kann, die an einem öffentlichen Gymna­ sium im Deutschen Reiche angestellt sind. Lt.

Archive. I. A. sind Einrichtungen zur Sammlung, Sichtung und sicheren Aufbewahrung von Ur­ kunden, Handschriften, Akten usw., welche für die Geschichte, die Besitz- und Rechtsverhältnisse des Staates und seiner einzelnen Teile, der ver­ schiedenen Korporationen und der Geschlechter von Bedeutung sind. Je nach der Stelle, für welche das A. bestimmt ist und welche dasselbe unterhält, werden die A. in Staatsarchive, Ge­ meindearchive, Kirchenarchive usw. unterschieden. Mit Rücksicht aus den hohen Wert, welchen die A. nicht nur für die Festlegung und Feststellung von Rechtsverhältnissen, sondern vor allem auch für die Geschichtswissenschaft besitzen, sind dieselben, soweit es sich um A. öffentlicher Korporationen handelt, unter besonderen gesetzlichen Schutz ge­ stellt. S. dieserhalb für die A. der Stadt- und Landgemeinden § 50 Ziff. 2 StO. vom 30. 5.1853 und § 114 Abs. 1 LGO. vom 3. 7. 1891 (§§ 16, 30 ZG.) und analog in den Städte- und Land­ gemeindeordnungen der übrigen Provinzen; für die evangelischen Kirchengemeinden Art. 6 Abs. 1 Ziff. 1 des G. vom 8.4.1924 (GS. 221), verbunden mit § 1 Ziff. la der V. vom 4. 8. 1924 (GS. 594), für die katholischen Kirchengemeinden und Bis­ tümer § 15 Abs. 1 Ziff. 1 des G. vom 24. 7. 1924 (GS. 595) verbunden mit § 1 der V. vom 14. 10. 1924 (GS. 731) und Art. 24 Ziff. 2 des G. vom 3. 6. 1876 (GS. 125). II. Preußische Archivverwaltung. Ur­ sprünglich mit dem Kgl. Hausarchiv verbunden ist die Archivverwaltung mittels KabO. vom 20. 3. 1852 (MBl. 80) von ersterem abgetrennt und dem StM. unterstellt worden. Die Leitung liegt bei dem Generaldirektor der Staatsarchive (Erl. vom 27. 11. 1899, GS. 1900), welcher zugleich Direktor des mit dem früheren Geheimen Ministerialarchiv verbundenen und gleichzeitig das Provinzialarchiv für Brandenburg bildenden Geheimen Staatsarchivs in Berlin ist. Daneben bestehen Provinzialarchive in allen Provinzial­ hauptstädten, außer Kassel, und außerdem solche in Marburg, Wiesbaden, Wetzlar, Osnabrück, Aurich und Sigmaringen. Sie werden in Osna­ brück und Aurich von Archivräten, in Sigmaringen von dem Landrentmeister, im übrigen durch Archivdirektoren geleitet (Dienstanweisung für die Beamten der Staatsarchive in den Provinzen vom 21. 1. 1904, MBl. 34). Für die Benutzung gilt das Reglement vom 28. 5. 1856 (MBl. 177). Die preuß. Archivverwaltung gibt heraus: a) die Publikationen aus den preuß. Staatsarchiven, b) die Mitteilungen der preuß. Archivverwaltung. Bor Vernichtung von Akten ist festzustellen, ob dieselben von der Archivverwaltung verlangt werden (s. JMBl. 1880, 30; 1881, 186). III. Die Vorbildung und Anstellung der preuß. Archivbeamten ist durch Erl. vom 28. 8. 1917 (MBl. 235) neu geregelt. Die An­ stellung setzt einen mindestens zweijährigen Vor­ bereitungsdienst und Ablegung der besonderen Prüfung für Archivbeamte voraus. Für die Zu­ lassung zum freiwilligen Vorbereitungsdienst ist nachzuweisen: a) systematisches Studium der Ge­ schichte und Teilnahme an den für einen Archivar unentbehrlichen Vorlesungen und Übungen in Paläographie, Urkundenlehre, historischer Geo­ graphie, Germanistik und Rechtsgeschichte; b) Be­ stehen der Prüfung für das Lehramt an höheren

Argentinien — Armenpolzei

Schulen, und zwar in Geschichte für die oberen, irr Deutsch und Lateinisch (oder Französisch) für die mittleren Klassen oder Erfüllung der Habili­ tationsvorschriften einer deutschen Universität für mittlere und neuere Geschichte, c) DoktorPromotion einer deutschen Universität auf Grund einer Dissertation über ein geschichtliches Thema und mündliche Prüfung. Beizufügen ist den vorbezeichneten Nachweisen eine amtsärztliche Gesundheitsbescheinigung und der Nachweis, daß die erforderlichen Mittel für einen standesgemäßen Unterhalt während der nächsten Jahre vorhanden sind. Die Meldungen sind an den Generaldirektor der Staatsarchive zu richten. Die Einberufung erfolgt halbjährlich. Nach mindestens zweijähriger Vorbereitungszeit ist die aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil bestehende Prüfung abzulegen. Bei ersterem (Klausur) sind zwei mittelalterliche Urkunden, davon eine lateinische und eine deutsche, sowie zwei Aktenstücke aus neuerer Zeit, davon ein deutsches und ein fran­ zösisches, zu bearbeiten. Die Zweige der mündlich zu prüfenden Disziplinen sind im § 11 vorgeschrie­ ben; aus Wunsch des Kandidaten kann die münd­ liche Prüfung auch auf Polnisch und deutsche Kunstgeschichte ausgedehnt werden. Der Sitz der Prüfungskommission ist in Berlin. Sie be­ steht aus dem jeweiligen Generaldirektor der Staatsarchive als Vorsitzenden und vier auf drei Jahre ernannten ordentlichen Mitgliedern, teils Archivbeamten, teils Professoren; gegebenenfalls treten für die Nebenfächer Polnisch und Kunst­ geschichte zwei außerordentliche Mitglieder hinzu. Bei ungenügendem Ausfall der Prüfung kann dieselbe binnen einem Jahre wiederholt werden, falls dies nicht von vornherein aussichtslos er­ scheint. Fällt auch diese ungenügend aus, so er­ folgt der Ausschluß des Kandidaten von weiteren Prüfungen. Das Bestehen der Prüfung eröffnet keinen Anspruch auf Anstellung. Bei Zulassung zum Archivdienst wird der Betreffende zunächst unentgeltlich als Hilfsarbeiter beschäftigt, bis seine Anstellung als Archivassistent erfolgen kann. Auf Antrag kann der Generaldirektor die Vor­ bereitungszeit auf ein Jahr herabsetzen und von Erfüllung einzelner Annahmebedingungen be­ freien, ebenso Ausnahmen von einzelnen Prü­ fungsbedingungen zulassen. IV. Für das Reich besteht das zu dem Geschäfts­ bereich des RMdJ. gehörige Reichsarchiv in Potsdam. V. Wegen des Hausarchivs des fr. Kgl. Hauses s. das. Ly. Argentinien. Diplomatische Vertretung des Reiches: Gesandtschaft Buenos-Aires. Keine Be­ rufskonsularbehörden. Nichtsignatarmacht des Versailler Vertrags. A. ist seit 10. 1. 1920 Mit­ glied des Völkerbundes, hat jedoch am 4. 12. 1920 auf die Teilnahme an der Bundesversammlung verzichtet und bis jetzt die Tätigkeit im Völkerbund nicht wieder ausgenommen. Freundschafts-, Han­ dels- und Schiffahrtsvertrag zwischen Preußen und den übrigen Staaten des Zollvereins einer­ seits und der argentinischen Konförderation an­ dererseits vom 19.9.1857 (GS. 1859, 405) mit kon­ sularischen Bestimmungen. Kein Auslieferungs­ vertrag. Fro. Armenanstalten s. Fürsorge (öffentliche) VI und Anstaltsfürsorge.

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Armendeputationen waren die dem Gemeinde­ vorstand untergeordneten Einrichtungen der Ge­ meinden zur Verwaltung des Armenwesens, die auf § 3 AG. vom 8. 3. 1871 (GS. 130) beruhten (s. Bezirksfürsorge verbände, Fürsorge­ wesen). v. E. Armenpolizei. A. ist derjenige Zweig der Polizei, welcher der Gefahr der Verarmung vor­ beugen oder die aus der bereits bestehenden Ver­ armung entspringenden Gefahren abwenden soll. In je weiterem Umfange diese Aufgaben von besonderen Organen der Staats- oder Selbst­ verwaltung übernommen worden sind (Sozial­ versicherung einschl. der Arbeitslosenversicherung, Fürsorgewesen, Mieterschutz usw.), desto mehr ist die Tätigkeit der Polizei auf die Fälle eines un­ mittelbaren und dringenden Notstandes beschränkt worden. Eine vorbeugende polizeiliche Tätig­ keit kann auf Grund des § 361 Zifs. 5 StGB, ausgeübt werden, wonach strafbar ist, wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand gerät, in dem zu seinem oder seiner unterhallsberechtigten An­ gehörigen Unterhalt durch Vermittlung der Be­ hörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß. Eine polizeiliche Tätigkeit derselben Art ist ferner in § 361 Ziff. 7 StGB, vorausge­ setzt, wonach strafbar ist, wer sich nach Empfang einer Armenunterstützung aus Arbeitsscheu wei­ gert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu ver­ richten; desgl. in § 361 Ziff. 10 StGB., wonach strafbar ist, wer sich der Unterhaltspflicht, ob­ wohl er in der Lage ist, sie erfüllen zu können^ trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde — d. i. der Kreis- (Stadt-) Ausschuß (vgl. Für­ sorge, öffentliche, VIII) — derart entzieht daß durch ihre Vermittlung fremde Hilfe be­ ansprucht werden muß. Diese Vorschriften sind indessen kaum mehr praktisch, seitdem § 20 bet V. über die Fürsorgepflicht vom 13. 2. 1924 (RGBl. 100) es ermöglicht, daß solche Per­ sonen, die selbst oder deren unterhaltsberech­ tigte Angehörige der Fürsorge anheimfallen, und die gleichwohl beharrlich Arbeit ablehnen oder sich ihrer Unterhaltspflicht entziehen, zwangs­ weise in einer Arbeilsanstalt untergebracht werden können. Nach § 29 der preuß. AusführungsV. vom 17. 4. 1924 (GS. 210) haben die Polizeiverwaltungen die zur Vorbereitung und Durchführung einer solchen Unterbringung — die von der Beschlußbehörde angeordnet wird — erforderliche Hilfe zu gewähren. Daneben besteht auch auf Grund des § 362 StGB, die Möglich­ keit, Personen, die wegen der erwähnten Delikte, wegenLandstreichens oder wiederholten Bettelns bestraft worden sind, in ein Arbeitshaus unter­ zubringen. Diese Maßregel liegt der Landes­ polizeibehörde (RP.) ob, während die eigentliche A. in Preußen von den OPB. verwaltet wird. — Auch § 361 Ziff. 8 StBG. ist in den Zei­ ten des gegenwärtigen Wohnungsmangels kaum mehr anwendbar: hiernach wird bestraft, wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm behördlich bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen ver­ schafft oder sich nicht nachweisbar um ein sol­ ches bemüht hat. — Der amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs be-

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Armenrecht in der Rechtspflege — Arzte

schränkt den ganzen Stofs im wesentlichen auf gewisse Tatbestände des Bettelns und der Arbeits­ weigerung, er verweist sie unter die Vorschriften des 3. Buchs über „Gemeinschädliches Verhal­ ten" und bedroht sie mit Überweisung an ein Ar­ beitshaus. — Die Befugnis der Polizei, den zur Hilfeleistung verpflichteten Armenverband (jetzt Bezirksfürsorgeverband) hierzu anzuhalten, be­ schränkt sich auf dringende und auf Einzelsälle. Sie ist bereits in § 15, II 19 ALR, und später in dem Erl. vom I. 2. 1872 (MBl. 46) anerkannt (vgl. OVG. 58, 62). Das polizeiliche Einschreiten er­ folgt mittels Erlasses einer polizeilichen Verfügung an den Armen- bzw. Fürsorgeverband des Aufent­ halts des Hilfsbedürftigen, in welcher ihm die Hilfeleistung unter Androhung der Ausführung auf seine Kosten binnen einer bestimmten kurzen Frist aufzugeben ist (OVG. 41, 189). Zur Unter­ bringung Obdachloser kann die Polizei den Armen­ verband jedoch nur anhalten, wenn die Obdach­ losigkeit eine Folgeerscheinung der armenrecht­ lichen Hilfsbedürftigkeit ist (OVG. 58, 69). In Fällen der sog. außerordentlichen Fürsorgepflicht (s. Fürsorge, öffentliche, III c und Anstalts­ fürsorge) nach § 31 des preuß. Unterstützungs­ wohnsitz G. vom 8. 3. 1871 (GS. 130; vgl. jetzt § 6 der AusfB. vom 17. 4. 1924) ist der Land­ armenverband (Landesfürsorgeverband) ebenfalls der Polizei gegenüber zur Gewährung der er­ forderlichen Anstaltspslege für den Hilfsbedürf­ tigen verbunden (OVG. 54, 154). Mü. Arrnerrrecht in der Rechtspflege. I. Der Staat gewährt seinen Rechtsschutz nicht unentgeltlich, und auch sonst entstehen den Beteiligten Kosten aus der von ihnen in Anspruch genommenen Rechtspflege (z. B. Gebühren eines Rechts­ anwalts). Um einem armen Beteiligten wegen seines Unvermögens den Rechtsschutz nicht zu verschließen, besteht die Einrichtung des A. II. Hauplanwendungsgebiet des A. ist der Zivilprozeß. Dagegen ist im Strafprozesse bei dem grundsätzlichen Mangel einer Pflicht zum Kostenvorschuß und zur Sicherheitsleistung wegen der Prozeßkosten sowie des Anwaltszwanges für das A. an sich kein Raum. Auch im Berwal­ tungsstreitverfahren gibt es kein A., sondern nur eine hiervon begrifslick) verschiedene, erst nach beendetem Streite mögliche Bewilligung gänz­ licher oder teilweiser Kostensreiheit oder Kosten­ stundung wegen Unvermögens (§ 109 LVG.). Je. Armenunterstützung s. Fürsorge (öffent­ liche) VI. Arsenwasserstoff. Auf die Gefahren der Entwick­ lung von A. wird in dem Erl. des HM. vom 5.10. 1887, vom 22.10.1902 (HMBl. 390) und vom 8.1. 1904 (HMBl. 21) im Interesse des Arbeiterschutzes (§ 120d GewO.) aufmerksam gemacht. F. H. Arzneimittel. Maßgebend für deren Herstel­ lung und Prüfung ist seit 1.4.1901 das durch Bek. vom 30. 6. 1900 (ZBl. 414) eingeführte Arznei­ buch für das Deutsche Reich (6.Ausgabe 1926, VMBl. 1927,67). Gewisse A., teils Zubereitungen, teils Stoffe, dürfen als Heilmittel, andere Stoffe schlechthin ausschließlich in Apotheken feilgehalten (über den Begriff des Feilhaltens vgl. RGZ. 4, 273 und KGJ. 24 C 64 Ziff. 8) oder verkauft wer­ den (s. § 6 Abs. 2 GewO, und B., betr. den Ver­ kehr mit A. vom 22.10.1901, RGBl. 380, nebst den zugehörigen Verzeichnissen, ergänzt durchBek.vom

I. 10. 1903, RGBl. 281, vom 29. 7. 1907, RGBl. 418, vom 17. 12. 1907, RGBl. 774, vom 11. 4. 1908, RGBl. 146, vom 31. 3. 1911, RGBl 181, 18. 2. 1920, RGBl. 253, 21. 4. 1921, RGBl. 490, vom 31. 7. 1922, RGBl. I 711, vom 21. 6. u. 16. II. 1922, RGBl. I 511, 1117, vom 13. 1. 1923, RGBl. I 511, vom 9. u. 24. 12. 1924, RGBl. I 722, 966, vom 27.3.1925, RGBl. 140). Über die Grenzen zwischen Heilmitteln einerseits und Vorbeugungs- oder kosmetischen Mitteln anderseits geht die Rechtsprechung auseinander. Der Groß­ handel (über den Begriff des Großhandels vgl. KG. in GoltdArch. 48, 369) unterliegt dieser Be­ schränkung nicht, auch bestehen Ausnahmen für den Verkauf an öffentlichen Anstalten zu Untersuchungs- und Lehrzwecken (s. 8 3 der V. vom 22. 10.1901); dagegen gelten die Vorschriften auch für den Arzneivertrieb der KK. (s.Erl. vom 31.1.1902, HMBl. 87,a.M.KGJ. 5, 39). S. a. Kuhn, Apo­ theken und Krankenkassen, Essen 1907). Zuwider­ handlungen gegen die V. sind strafbar nach § 367 Ziff. 3 StGB. Die früher zweifelhaft ge­ wesene Frage, ob auch Tierheilmittel unter den Begriff Arzneimittel und Apothekerwaren fallen, ist durch die V. vom 22. 10. 1901 (§ 1 Abs. 1) im bejahenden Sinne mit der Maßgabe entschieden worden, daß eine Reihe von Ausnahmen von dem Apothekenzwang Platz greift, wenn die betreffen­ den Mittel zum Gebrauch für Tiere dienen sollen. Der Verkehr mit den nicht den Apotheken vorbe­ haltenen A. außerhalb der Apotheken ist durch Polv. der RP. nach den Grundsätzen des Erl. vom 13. 1. 1910, MMBl. 65, 17. 10. u. 22. 11. 1912, MMBl. 344, 385, geregelt; Zuwiderhandlungen gegen diese Polv. sind nach § 367 Ziff. 3 StGB, strafbar. —Die Abgabe gewisser starkwirkender A. — auch seitens der Apotheker — als Heilmittel ist nur aus schriftliche Anweisung eines Arztes, Zahnarztes oder für Zwecke der Tierheilkunde eines Tierarztes statthaft (s.Bek. vom 18.12.1926, VMBl. 1927, 59, welche die Bek. v. 22. 6. 1896, MBl. 123, mit ihren zahlreichen Zusätzen aufhebt, welche gleichzeitig Vorschriften über die Beschaf­ fenheit der Arzneigläser und Standgefäße enthält). Eine Handelserlaubnis (vgl. B. vom 13. 7. 1923, RGBl. I 706) ist nicht mehr erforderlich. V. vom 16. 6. 1924, RGBl. I 661. A. sind vom Ankauf oder Feilbieten im Umherziehen ausgeschlossen (§ 56 Abs. 2 Ziff. 9 GewO.; vgl. Erl. vom 7. 12. 1925, MBl. 1284). S. auch Branntwein­ monopol CX4d, Süßstoffgesetz Ild. Bsch. Arzte. I. Allgemeines. 1. Die Ausübung der Heilkunde (KGJ. 33 C 69) — auch die gewerbs­ mäßige — ist freigegeben (vgl. OVG. 72, 382) und an den Nachweis einer Approbation nicht ge­ knüpft (OVG. 28, 321). Die Bezeichnung als „Arzt" (Wundarzt, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Tierarzt) oder mit gleichbedeutenden Titeln ist dagegen bedingt durch den Besitz der staatlichen Approbation, welche den Nachweis der Befähigung voraussetzt (§ 29 GewO.). Straf­ vorschriften wegen unbefugter Führung der Be­ zeichnung als „Arzt" oder ähnlicher Titel s. § 147 Ziff. 3 GewO. Die Approbation darf von der vor­ herigen Doktorpromotion nicht abhängig gemacht werden; über die einheitliche Regelung der medi­ zinischen Doktorpromotion an den deutschen Uni­ versitäten s. Bek. vom 16. 7. 1900 (UZBl. 747; vgl. Akademische Würden II). Zur Erlangung

Arzte der ärztlichen Approbation ist erforderlich nach Erlangung des Reifezeugnisses von einem Gym­ nasium, einem Realgymnasium oder einer Ober­ realschule ein mindestens fünfjähriges Universi­ tätsstudium oder gleichwertiges Hochschulstudium, Ablegung zweier Prüfungen — einer Vorprüfung nach Beendigung des vierten Studiensemesters und der ärztlichen Prüfung am Schluffe des Studiums — sowie Absolvierung eines Prak­ tikantenjahres an einer Universitätsklinik oder Poliklinik oder an einem dazu besonders ermäch­ tigten Krankenhause (s. das Verzeichnis vom 29. 3. 1927, RMBl. 91, für Preußen VMBl. 1927, 477), die Erteilung der Approbation mit Gültigkeit für das Reichsgebiet erfolgt durch die Zentralbehörden derjenigen Länder, welche eine Landesuniversität besitzen (vgl. Prüfungsordnung für A. vom 5. 7. 1924, RMBl. 240, abgeändert durch Bek. vom 21. 12. 1927, RMBl. 605; vgl. auch VMBl. 1924 S. 287, 402; 1926 S. 143, 745, 875; Prüfungsgebühren RMBl. 1927, 15). — Besondere Vorschriften gelten für die Appro­ bation der Zahnärzte (s. Prüfungsordnung vom 15. 3. 1909, ZBl. 85, abgeändert 8. 7. und 20. 10. 1919, ZBl. S. 130,1288; 17.1.1927, RMBl. 16). Die ärztliche Approbation ist weder zeitlich be­ schränkt, noch widerruflich (§ 40 GewO.); sie kann nur zurückgenommen werden, wenn die Unrichtigkeit der Nachweise dargetan wird, auf Grund deren sie erteilt ist, oder wenn und so­ lange dem Inhaber der Approbation die bürger­ lichen Ehrenrechte aberkannt sind (§ 53 GewO.). Die Zurücknahme erfolgt auf Klage der OPB. im VwStr. (§ 53 GewO, und Zisf. 59, 62 der AusfAnw. vom 1. 5. 1904, HMBl. 123). 2. Ein Zwang zur ärztlichen Hilfeleistung besteht auch für approbierte Ä. nicht (f. § 144 Abs. 2 GewO.), unbeschadet der auch für A. geltenden Verpflichtung, bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not auf Aufforderung der Polizeibehörde gemäß § 360 Ziff. 10 StGB. Hilfe zu leisten. 3. Die approbierten A. genießen als solche besondere Vorrechte, so Befreiung von der Gewerbesteuer (f. § 3 Ziff. 2 GewStV. vom 15. 3. 1927, GS. 21); Befugnis zur Ausübung der Heilkunde im Umherziehen (§ 56a Ziff. 1 GewO.; vgl. jedoch über die ehrengerichtliche Be­ schränkung dieser Befugnis aus der Pflicht der Kollegialität litt, des Ärztl. Ehrengerichtshofs I 64ff.); die Befugnis, zum Schutz der ihnen an­ vertrauten Privatgeheimnisse ihr Zeugnis oder Sachverständigengutachten in Zivil- und Straf­ sachen zu verweigern (s. §§ 383 Ziff. 5,408 ZPO. vom 13. 5.1924, RGBl. 1437, und §§ 53 Ziff. 3 76 StPO, vom 12.3.1924, RGBl. 1322); die Be­ fugnis zur Ablehnung des Amts als Schöffe und Geschworener (§§ 35 Ziff. 3, 84 GVG. vom 22. 3. 1924 RGBl. 1299), zur Ablehnung städtischer Ge­ meindeämter (s. §74 Ziss.6 östlicheStO.vom30.5. 1853, GS. 261; desgl. § 74 Ziff. 6 WestfStO. vom 19. 3. 1856, GS. 237; § 79 Ziff. 6 RheinStO. vom 15. 5.1856, GS. 406; § 10 Ziff. 5 StO. für SchlHolst. vom 14.4.1869, GS. 589; für länd­ liche Gemeindeämter in Westfalen (s. § 78 Ziff. 6 WestsLGO. vom 19. 3. 1856, GS. 265); ferner Freiheit von der Vorspannleistung für die be­ waffnete Macht im Frieden (s. § 3 Ziff. 3 des G. vom 6. 4. 1925, RGBl. I 144); ferner Be­

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schränkung der Zwangsvollstreckung gegen N. durch Verbot der Pfändung der zur Ausübung des Berufs erforderlichen Gegenstände sowie an­ ständiger Kleidung (§ 811 Zisf. 7 ZPO. vom 13. 5. 1924, RGBl. I 437); Straffreiheit bei Be­ teiligung am Zweikampf (§ 209 StGB.). Sie haben allein das Recht, Geschlechtskranke zu be­ handeln (§ 7 des G. vom 18. 2. 1927, RGBl. I 61). Endlich darf nach § 29 Abs. 1 GewO, nur ein approbierter Arzt seitens des Staates oder der Gemeinde als solcher anerkannt oder mit amt­ lichen Funktionen betraut werden; dies gilt ins­ besondere für Gefangen-, Anstalts-, Schulärzte, für die Wahrnehmung des Jmpfgeschäfts (s. § 8 des JmpfG. vom 8. 4. 1874, RGBl. 31) und grundsätzlich auch für die Wahrnehmung der ärzt­ lichen Funktionen aus dem Gebiete der Kranken-, Unfall-, Invalidenversicherung. 4. Andererseits liegt den A. die Pflicht ge­ wissenhafter Berufsausübung und standeswürdigen Verhaltens ob (§ 3 des G. vom 25. 11. 1899, GS. 565). Einige der BerufsPflichten unterliegen besonderem strafrechtlichen Schutz, so insbesondere die Wahrung ihnen in ihrem Beruf anvertrauter Privatgeheimnisse (vgl. § 300 StGB.); vgl. ferner über Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung (Kunstfehler) § 230 Abs. 2 StGB., wegen Ausstellung falscher Zeug­ nisse §§ 277—280 StGB., wegen Unzuchtsver­ gehen in Anstalten § 174 Ziff. 3 das. S. auch bezüglich der Verpflichtung zur Anzeige von Geburten § 18 Ziff. 3 PStG, vom 6 2. 1875 (RGBl. 23), Verpflichtung zur Anzeige anstecken­ der Krankheiten § 2 des G., betr. Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. 6. 1900 (RGBl. 306), § 2 des G., betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, vom 28. 8. 1905 (GS. 373), § 1 des TuberkuloseG. vom 4. 8.1923 (GS. 374 und § 9 des G. zur Bekämpfung der Ge­ schlechtskrankheiten vom 18.2.1927 (RGBl. 161). 5. Hn seiner Niederlassung ist der A. un­ beschränkt, es sei denn, daß er wegen Verbrechen oder grober Vergehen gerichtlich bestraft ist (§ 2 Zisf. 2 des G., betr. Aufnahme neu anziehender Personen, vom 31. 12. 1842, GS. 1843, 5). Auf Grund des § 8 dieses G. ist der Arzt auch zur polizeilichen Anzeige von seiner Niederlassung gemäß der darüber in den einzelnen Orten be­ stehenden Polv. (vgl. Erl. vom 11. 12. 1875, MBl. 1876, 5) verpflichtet; der § 14 GewO, findet auf A. keine Anwendung. Er hat ferner seine Niederlassung dem Vorstand der zustän­ digen Ärztekammer mitzuteilen (§ 4 des G. vom 30. 12. 1926; s. unten II). — Die Ausübung der Heilkunde in den Grenzgebieten des Deutschen Reiches ist durch Verträge mit den Nachbarstaaten Belgien (RGBl. 1926II 343,551), den Niederlanden (RGBl. 1874, 99), Luxemburg (RGBl. 1884, 19), Osterreich-Ungarn (RGBl. 1883, 39), der Schweiz (RGBl. 1884, 45) und Polen (RGBl. 1926 II 152 Art. 10) dahin ge­ regelt, daß sie den beiderseitigen A. in gleichem Maße gestattet ist unter Beachtung der im Nach­ barstaate bestehenden Vorschriften und mit der Beschränkung, daß die A. Arzneimittel an die Kranken, abgesehen von dem Falle drohender Lebensgefahr, nicht verabreichen dürfen. 7. Ein staatliches Aufsichtsrecht über die A. besteht nicht (MMBl. 1902, 17), eine Ver-

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Arzte

eidigung der A. findet nicht statt (MBl. 1870, 74); die Polizeibehörde ist aber auf Grund ihrer medi­ zinalpolizeilichen Befugnisse berechtigt, die Durch­ führung ihrer Anordnungen auch gegen A. durch Zwangsmaßregeln zu erzwingen (OVG. 31, 270). S. auch Kreisärzte, Medizinalpersonen. II. Ärztekammern sind die gesetzlich geord­ neten Standesvertretungen der A.; ihnen steht zu die Erörterung aller Fragen und Angelegen­ heiten, welche den ärztlichen Beruf oder die öffentliche Gesundheitspflege betreffen, oder welche auf die Wahrnehmung und Vertretung der ärztlichen Standesinteressen gerichtet sind; sie sind befugt, ihnerhalb ihres Geschäftskreises Vor­ stellungen und Anträge an die Staatsbehörden zu richten, sie sollen von den Staatsbehörden über einschlägige Fragen gutachtlich gehört wer­ den. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts ohne behördliche Eigenschaft. 1. Die Organisation der Ärztekammern beruht jetzt auf dem G. über die Ärztekammern und den Arztekammerausschuß vom 30.12.1926 (GS-353), abg. durch G. vom 5. 3.1918 (GS. 15) das die V. vom 25.5.1887(GS.169) mit ihren Abänderungen und den 3. u. 4. Abschnitt des G-, betr. die ärzt­ lichen Ehrengerichte und das Umlagerecht der Ärztekammern, vom 25. 11.1899 (GS. 565), abg. durch G. vom 27. 7. 1904 (GS. 182), aufgehoben hat. Danach besteht für jede Provinz am Sitze des OP., der die allgemeine Staatsaufsicht über die Kammer führt, eine Ärztekammer; für Berlin besteht eine besondere Ärztekammer, für Branden­ burg und die Grenzmark sowie für Ober- und Niederschlesien je eine gemeinsame. Die Mit­ glieder werden für einen vierjährigen Zeitraum nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durch geheime und schriftliche Abstimmung gewählt. Wahlbezirke sind die Regierungsbezirke. Wahl­ berechtigt und wählbar sind alle A. des Wahl­ bezirks, sofern sie Reichsangehörige und im Be­ sitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind; auf je 50 Wahlberechtigte ist ein Mitglied und ein Stell­ vertreter zu wählen, mindestens aber für jede Kammer zwölf Mitglieder und Stellvertreter. Die Kammer wählt einen Vorstand, welcher aus einem Vorsitzenden und mindestens vier weiteren Vorstandsmitgliedern bestehen muß. Der Vor­ stand vertritt die Kammer nach außen und ver­ mittelt ihren Verkehr mit den Staatsbehörden. Vgl. auch AusfB. vom 8. 3. 1927 (VMBl. 295), Wahlordnung VMBl. 1927, 460. Uber die Stellung der beamteten A. zu den Ärztekammern vgl. Erl. vom 23. 3. 1927 (VMM. 396). 2. Umlagen. Die Ärztekammern sind befugt, zur Deckung ihres Kassenbedarfs von den wahl­ berechtigten Ä. ihres Bezirks jährlich festzusetzende Umlagen zu erheben (§§ 39ff. des G. vom 30. 12. 1926; s. oben II 1). Approbierte A-, welche weder eine ärztliche Praxis, noch gegen Entgelt eine andere medizinische Tätigkeit ausüben, sind von der Beitragspflicht freizulassen, wenn sie dem Vorstande der Kammer eine entsprechende schrift­ liche Erklärung abgeben; bei deren Beanstandung entscheidet der OP. Dagegen ist die Beschwerde an den MfV. zugelassen. Ergibt sich nachträglich, daß die Voraussetzungen für die Befreiung nicht Vorlagen, so ist der Umlagebetrag nachzuzahlen und auf Erfordern der doppelte, im Wieder­ holungsfälle der vier- bis zehnfache Betrag als

Strafe zu entrichten. Die jährliche Umlage ist in der Regel für alle verpflichteten Ä. des Bezirks in gleicher Höhe sestzusetzen; zu Beschlüssen der Kammer, welche einen anderen Beitragsfuß fest­ setzen, ist Zweidrittelmehrheit erforderlich; der Beschluß über die Höhe des Beitrags und über den Beitragssatz bedarf der Genehmigung des OP. Die Einziehung der Beiträge erfolgt im Verwaltungszwangsversahren (s. d.). Gegen die Heranziehung ist binnen einem Monat der Ein­ spruch an den Vorstand der Ärztekammer, gegen dessen Bescheid binnen gleicher Frist die Be­ schwerde an den OP., gegen dessen Entscheidung die weitere Beschwerde an den MfV. zulässig. 3. Als Zentralorgan aller Ärztekammern ist durch V. vom 6. 1. 1896 (GS. 1) gebildet der Arztekammerausschuß. Jetzt ist der 2. Ab­ schnitt des G. vom 30.12.1926 (s. oben II1), §§ 49—54, maßgebend. Jede Ärztekammer wählt ein Mitglied, die gemeinsame Ärztekammer für Ober- und Niederschlesien zwei. Der Ärzte­ kammerausschuß hat seinen Sitz in Berlin, steht unter unmittelbarer Aussicht des MfB. und hat die Aufgabe, zwischen den Ärztekammern und dem Minister, bzw. zwischen den einzelnen Kam­ mernuntereinander eine vermittelnde Tätigkeit zu üben, insbesondere die ihm von dem Minister über­ wiesenen Vorlagen und die von den Ärztekammern oder von seinen eigenen Mitgliedern an ihn ge­ richteten Anträge vorzuberaten und zu erledigen. III. Ärztetaxen können nach § 80 GewO, nur als Norm für streitige Fälle bei Mangel einer Vereinbarung von den Zentralbehörden der Länder erlassen werden; als solche ist erlassen die preuß. Gebührenordnung für approbierte Ä. und Zahnärzte vom 1. 9. 1924 (VMBl. 371), geändert durch Erl. vom 31. 5.1927 (VMBl. 638). Sie setzt für die einzelnen ärztlichen Verrichtungen Mindest- und Höchstgebührnisse fest, innerhalb deren sich die Bemessung nach der Beschaffenheit und Schwierigkeit des einzelnen Falles und der Vermögenslage des Zahlungspflichtigen zu rich­ ten hat. Die Mindestsätze gelangen zur Anwen­ dung gegenüber nachweisbar Unbemittelten, Für­ sorgeverbänden, dem Staat, milden Stiftungen oder KK., soweit nicht besondere Schwierigkeiten der ärztlichen Leistung oder das Maß des Zeit­ aufwandes einen höheren Satz rechtfertigen. Die Gebührenordnung gilt nicht, wenn ein A. von der zuständigen Behörde zu Verrich­ tungen, die zu den Dienstobliegenheiten des Kreisarztes gehören, oder zur Tätigkeit als gerichtlicher Sachverständiger amtlich auf­ gefordert wird. Hier finden vielmehr mangels anderweiter Verabredung die Vorschriften des G. vom 14. 7. 1909, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten (GS. 625), ergänzt 5. 5. 1924 (GS. 540), Anwendung (§ 12 das. in Ver­ bindung mit § 17 ZGebO. vom 21. 12. 1925, RGBl. I 431). Zur gerichtlichen Sachverstän­ digentätigkeit gehört die Tätigkeit als Sachver­ ständiger vor allen Behörden, für deren Ver­ fahren die Vorschriften der ordentlichen Gerichte über die Vernehmung von Sachverständigen gel­ ten. Hierher gehören insbesondere die Seeämter (§ 19 des G. vom 27. 7. 1877, RGBl. 549), die Verwaltungsgerichte (§ 106 LVG.), das Patent­ amt (§ 13 der V. vom 11. 7. 1891, RGBl- 349), die ärztlichen Ehrengerichte (§ 24 Abs. 3 des G.

Arzte vom 25. 11. 1899, GS. 565), die Spruchbehörden der Sozialversicherung (s. d. II), die Arbeits­ gerichte (s. d.), das Aufsichtsamt für Privatver­ sicherung (§ 26 der B. vom 23. 12. 1901, RG­ Bl. 419). S. auch Kreisärzte II. IV. Ärztliche Ehrengerichte bestehen je eins für jeden Ärztekammerbezirk (Provinz) und außer­ dem als Ehrengericht zweiter Instanz für den Staat der ärztliche Ehrengerichtshof zu Berlin (s. G., betr. die ärztlichen Ehrengerichte usw., vom 25. 11. 1899, GS. 565, vom 27. 7. 1904, GS. 182, und vom 18. 7. 1924, GS. 581, § 3). Dem ärztlichen Ehrengericht unterstehen die approbierten A. seines Bezirks, ausgenommen diejenigen, für welche ein anderweit geordnetes staatliches Disziplinarverfahren besteht. Das Ehrengericht fungiert teils als Ehrenrat zu Ver­ mittlungen in Streitigkeiten zwischen A. unter­ einander oder zwischen Ä. und Dritten (§ 4 das.), teils als erkennendes Gericht über Pflichtver­ letzungen oder standesunwürdiges Verhalten von A. (Z 3 das.). Das ärztliche Ehrengericht besteht (§ 7 das.) aus dem Vorsitzenden der Ärztekammer als Vorsitzenden, drei von der Ärztekammer aus ihrer Mitte gewählten Mitgliedern und einem vom Vorstande der Ärztekammer auf sechs Jahre ernannten richterlichen Mitglieds; der ärztliche Ehrengerichtshof (§ 43 das.; Geschäftsordnung vom 4. 1. 1904, MMBl. 33) aus dem Leiter der Medizinalabteilung des Ministeriums als Vor­ sitzenden, vier Mitgliedern des Arztekammerausschusses und zwei vom StM. ernannten Ä. Die ehrengerichtlichen Strafen (§ 15 das.) sind: War­ nung, Verweis, Geldstrafe bis zu 3000 RM, zeitweise oder dauernde Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts zur Ärztekammer. War­ nung, Verweis und Geldstrafe bis 300 RM können nach Anhörung des Angeschuldigten ohne förm­ liches ehrengerichtliches Verfahren verhängt wer­ den; dieses findet in schwereren Fällen statt und besteht aus Voruntersuchung und Hauptverhand­ lung. Die Hauptverhandlung ist mündlich und kontradiktorisch, doch genügt für die Beweis­ aufnahme die Verlesung der Aussagen der in der Voruntersuchung vernommenen Zeugen und Sachverständigen (§ 33 das.). Als Untersuchungs­ kommissar fungiert in der Regel das richterliche Mitglied, als Vertreter der Anklage ein Staats­ kommissar, der beim ärztlichen Ehrengericht vom OP. (§§ 12 Abs. 2, 22 das.), beim Ehrengerichts­ hof vom MfV. (§ 45 Abs. 3) ernannt wird. Gegen die Entscheidung des Ehrengerichts ist binnen einem Monat nach der Zustellung im nicht förm­ lichen Verfahren die Beschwerde (§ 18), im förm­ lichen Verfahren die Berufung (§ 39) an den ärztlichen Ehrengerichtshof zulässig; das Ver­ fahren vor diesem ist dasselbe wie in der ersten Instanz. Soweit die Kosten des Verfahrens nicht dem Angeklagten zur Last fallen oder unbeitreiblich sind, hat sie die Ärztekammer zu tragen (§ 46 das.); Geldstrafe und Kosten können im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben wer­ den (§ 47 das.). V. Ärztliche Hausapotheken sind im § 14 der Rev. Apothekenordnung vom 11. 10. 1801 für solche Orte vorgesehen, wo eine öffentliche Apotheke weder vorhanden noch in der Nähe ist. Die Genehmigung zur Errichtung der ärztlichen Hausapotheken erteilt der RP. (§ 51 Abs. 3 der

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ApothBetrO. vom 18. 2. 1902, MMBl. 63). Die in der ärztlichen Hausapotheke vorrätigen Arznei­ mittel müssen von einem approbierten Apotheker bezogen sein, der für ihre Güte verantwortlich ist. Der Arzt darf die Mittel nur in seiner eigenen Praxis abgeben (§ 14 cit.). Zur Zubereitung und Abgabe homöopathischer Arzneien an seine Patienten ist grundsätzlich jeder Arzt auch dort befugt, wo Apotheken sind, falls er die hier­ für vorgeschriebene Prüfung bestanden hat (§§ 1 bis 3 des Reglements vom 20. 6. 1843, GS. 305); jedoch kann ihm diese Befugnis bei einem Miß­ brauch derselben entzogen werden (§ 9). Ä., welche unter Überschreitung der ihnen zustehenden Be­ fugnisse Arzneien abgeben, die dem freien Ver­ kehr entzogen sind, verfallen der Bestrafung nach § 367 Ziff. 3 StGB. — Über die Einrichtung ärztlicher Hausapotheken vgl. § 51 Abs. 1 u. 2 und § 52 Abs. 5 der ApothBetrO. VI. Das Verhältnis der A. zu den KK., die nach §§ 122,123,182 RVO. ihren Mitgliedern ärztliche Behandlung durch approbierte A. zu gewähren haben, ist durch die §§ 368—374 RVO. in der Fassung vom 15. 12. 1924 (RGBl. I 779), 22. 1. 1925 (RGBl. I 3) und vom 22. 5. 1926 (RGBl. I 243) geregelt; die Bestimmungen der B. über Ä. und KK. vom 30. 10. 1923 (RGBl. I 1051) sind in die RVO. übernommen. Danach soll den Mitgliedern, soweit die Kasse dadurch nicht besonders belastet wird, die Wahl zwischen mindestens zwei A. offengelassen werden (§369). Die Beziehungen zwischen A. und KK. sind durch schriftlichen Vertrag zu regeln; die Bezahlung anderer Ä. kann die Kasse ablehnen. Der Reichs­ ausschuß für N. und KK., der aus Vertretern der beiderseitigen Spitzenverbände und drei vom RAM. ernannten Personen besteht, hat für diese Verträge am 12. 5. 1924 (VMBl. 263), geändert am 4. 11. 1924 (VMBl. 1925, 23), 15. 1. 1925 (VMBl. 82), 27. 2. 1926 (VMBl. 422) und 17. 4. 1926 (VMBl. 624) Richtlinien aufgestellt, die Bestimmungen über die Zulassung — vgl. Beschluß vom 14.11. 1925 (VMBl. 1926, 269) —, das Arztsystem — vgl. Bestimmungen vom 14. 11. 1925 (VMBl. 1926, 276) —, die Ver­ tragsform, die Vergütung, die Überwachung der kassenärztlichen Tätigkeit durch Prüfungsaus­ schüsse — vgl. Richtlinien für deren Tätigkeit vom 27. 3. 1926 (VMBl. 425) —, die Arztrech­ nungen, die Pflichten der Kassenärzte, den Arzt­ ausschuß und die Vertragsdauer enthalten. Lan­ desausschüsse können ergänzende Richtlinien auf­ stellen. Im übrigen bestehen für den Bezirk eines jeden Versicherungsamts Vertragsausschüsse (§ 368 k), aus Vertretern der Ä. und der KK. gleichmäßig zusammengesetzt, die den Abschluß der Verträge unmittelbar berbeiführen sollen. Kommt kein Vertrag zustande, so kann das Schiedsamt (s. d.) angerufen werden, das für den Bezirk jedes OVA. aus drei unparteiischen Mitgliedern und vier Vertretern der Parteien gebildet wird. Es entscheidet außerdem über Streitigkeiten aus abgeschlossenen Ärzteverträgen, unbeschadet der Zuständigkeit eines besonders ver­ einbarten Schiedsgerichts und des ordentlichen Rechtswegs — und über Berufungen gegen Ent­ scheidungen in Zulassungsangelegenheiten. Gegen seine Entscheidung ist in wichtigen und grundsätz­ lichen Fragen die Berufung ans Reichsschieds-

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Asphaltkochereien — Anenrecht

amt zulässig. Endgültige Entscheidungen der Schiedsämter und des Neichsschiedsamts sind für beide Teile bindend (§ 368 r). — Wird die ärztliche Versorgung ernstlich gefährdet — sei es, daß kein Vertrag zustande kommt oder daß die Ä. den Vertrag nicht einhalten —, so kann das OVG. die KK. widerruflich ermächtigen, statt der ärztlichen Behandlung Barleistungen zu gewähren. (§ 370). S. Krankenhilfe. Bsch. Asphaltkochereien, sofern sie außerhalb der Gewinnungsorte des Materials (J. Teer) errichtet werden, sind genehmigungspflich­ tige Anlagen (s. gewerbliche Anlagen). Zuständig für die Erteilung der Genehmigung ist der KrA. (StA.), in den zu einem Landkreise gehörigen Städten über 10000 Einwohner der Magistrat (ZG. § 109). TechnAnl. (s. d.) Nr. 29. F. H. Asservate s. Durchsuchungen, Beschlag­ nahme. Asthmazigaretten sind unter Umständen steuer­ pflichtig s. Tabaksteuer II 1. Astronomisches Recheninstitut ist von der Berliner Sternwarte abgetrennt und als selb­ ständiges Institut nach Dahlem verlegt. Es soll wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete der rechnenden Astronomie ausführen. Dazu gehört in erster Linie die regelmäßige Herausgabe des Berliner Astronomischen Jahrbuchs. Daneben be­ arbeitet es das Gebiet der kleinen Planeten. F. H.

Das Astro-Phhsikalische Observatorium in Potsdam, gegründet 1874, ist eine dem MsW. unterstellte wissenschaftliche Anstalt zur Erfor­ schung der Himmelskörper (Sonnenbeobachtung, Protuberanzen, Sonnenflecken, Untersuchung der physikalischen Beschaffenheit der Sterne, der Ober­ fläche der Planeten, spektroskopische Beobach­ tungen der Fixsterne, photographische Auf­ nahmen). Publikationen des O. erscheinen in zwangloser Folge im eigenen Verlag, kleinere Ab­ handlungen in den Fachzeitschriften. Die Anstalt steht unter Leitung eines Direktors, ferner sind eine Anzahl von Hauptobservatoren und Observa­ toren angestellt. Wegen der weiteren bei Pots­ dam befindlichen O. s. Geodätisches und Meteorologisches Institut. Lt. Asyle s. Strafgefangene. Äther unterliegt bei der Einfuhr dem Monopol­ ausgleich. S. Branntweinmonopol C XIX2. Athyläther (Schwefeläther). Uber die Her­ stellung, Lagerung und fabrikatorische Verwen­ dung von A. sind im Erl. vom 24. 3.1908 (HMBl. 120) Grundsätze aufgestellt. F. H. Anenrecht. Als A. oder Straßengerechtigkeit wird im § 3 Nr. 14 des ReallastenablösungsG. vom 2. 3. 1850 (GS. 77) die Befugnis des Guts­ herrn bezeichnet, „über die nicht zu den Wegen nötigen freien Plätze innerhalb der Dorslage zu verfügen". Diese Bestimmung des Begriffs ist jedoch keine erschöpfende, da das A. (Angerrecht) in den verschiedenen Provinzen Preußens je nach seiner Entstehung und gewohnheitsrechtlichen Entwicklung eine verschiedene Gestaltung ange­ nommen hat. Es ist auf die alten grundherrlichen Rechte des Gutsherrn über die zum Gute gehörigen Bauerngrundstücke zurückzuführen und wird bald als ein Ausfluß der ehemaligen gutsherrlichen Ge­ richtsbarkeit angesehen, bald als ein Eigentums­ recht des Gutsherrn auf die innerhalb des Dorfes und seiner Feldmark befindlichen, von ihm an die

Bauern nicht verliehenen Grundstücke. Gutsherr­ liche Auen (Anger) kommen jetzt hauptsächlich in den Prov. Brandenburg, Pommern und Schlesien vor. In der Prov. Brandenburg sind nach dortigem Provinzialrecht Gegenstand des A. nur die Dorfstraßen und die freien Plätze in den Dörfern. Es besteht in dem Eigentum des Guts­ herrn des Dorfes an diesen Bodenflächen und dem Recht zu ihrer Nutzung, soweit hierdurch nicht der gemeine Gebrauch, insbesondere der öffentliche Verkehr, gehindert wird, zu dem die Auen be­ stimmt sind. Der Gutsherr hat das A. nur dann, wenn er sowohl Grundherr als auch Inhaber der Gerichtsbarkeit über das Dorf oder der Stra­ ßengerichtsbarkeit war (vgl. MErl. vom 31. 5.1854 MBl. 113 und Urt. des OTr. in StriethorstArch. 17, 20; 48,173). In der Prov. Pommern steht nach dem Entwurf des Provinzialrechts von Alt-, Vor- und Hinterpommern vom Jahre 1836 §§ 20 bis 22 das Eigentum an der Dorfstraße der Gutsherrschaft auf Grund ihrer Straßengerichtsbarkeit zu. Die „Dorsstraße" umfaßt alle Stellen und Plätze im Dorfe, die weder Pertinenzien der Höfe und Gebäude sind, noch als Wege oder Fuß­ steige benutzt werden. Durch die Ausübung des A. dürfen aber die Wege, Einfahrten, Viehtriften uni) Tränken weder versperrt noch zu sehr ein­ geengt werden. In der Prov. Schlesien ist der Umfang des A. ein größerer als in den anderen Provinzen. Nach dem rev. Entwurf des Provin­ zialrechts des Herzogtums Schlesien und der Grafschaft Glatz sind, soweit nicht Ortsgewohn­ heiten oder besondere G. ein anderes festgesetzt haben, vermöge des A. Eigentum der Gutsherr­ schast: 1. die eigentliche Aue, nämlich alle Plätze im Dorfe, die nicht zu den Gebäuden, Höfen oder Gütern der Dorsinsassen gehören; 2. die Grenzen und Raine, die die Feldmark des Gutes von einem anderen Gut scheiden; 3. alle in der Feldmark des Dorfes befindlichen unangebauten, nicht zu den Stellen der Dorsinsassen gehörenden freien Plätze und die darauf befindlichen Bäume; 4. alle in der Feldmark des Dorfes befindlichen Privat­ flüsse, Bäche, Dorf-, Land-, Vieh- und die Wege, die von dem Dorfe nach einem anderen Dorfe führen, jedoch nicht die von den Rustikalstellen aus das Feld führenden, nur zum Gebrauch der Be­ sitzer bestimmten Wege. — Auf die Aue können die Dorfseinwohner keine Rechte durch Verjäh­ rung erwerben. Die Gutsherrschaft hat in der Regel das Recht zur Benutzung aller dem A. unterworfenen Grundstücke. Die Gutsherrschaft darf aber auch die diesem Rechte unterliegenden Wege, Einfahrten und Viehtriebe den Dorfein­ wohnern nicht schmälern (OVG. 15, 322). Sie muß bei der Benutzung der Aue jedem Grund­ besitzer so viel Platz sreilassen, daß er zu seinem Gehöft die nötige Einfuhr nach dem Bedürfnis semer Landwirtschaft und seines Gewerbes hat. Die Dorfinsassen sind in der Regel nicht berechtigt, auf den Grundstücken, die dem A. unterworfen sind, Vieh zu hüten, Lehm zu graben oder Rasen zu stechen. Nach einer Entscheidung des OVG. (OVG. 15, 325) dienen die Auen in Schlesien an erster Stelle öffentlichen Zwecken und unterliegen daher nicht der freien Verfügung der Gutsherr­ schast als ihres Eigentümers, sondern stehen unter dem Schutze der Polizei. Eigentums- und Nutzungsrechte können von ihnen durch Ver-

Aufbauschulen — Auf(An)kaufen von Waren

jährung gegen den Gutsherrn nur insoweit er­ worben werden, als jene mit ihrer Bestimmung als eine Einrichtung der öffentlichen Ordnung und mit den Zwecken des öffentlichen Interesses ver­ einbar sind. — Die Auen gehören kommunal­ rechtlich nicht zum Gemeinde-, sondern zum Gutsbezirk (OVG. 5, 116). Bei der Veräuße­ rung des Gutes in Trennstücken konnte das A. von der Gutsherrschaft zurückbehalten werden. Die Gutsherrlichkeit blieb ihr als Eigentümer der Aue (OVG. 79, 390).. Die Pflicht zur Räumung eines nach A. im Eigentum der Gutsherrschaft stehenden Flusses liegt dieser, nicht den Anliegern ob (OVG. 36, 302). Nach § 118 des WG. vom 7. 4. 1913 (GS. 53) verbleibt den Gutsherrschaf­ ten, denen das Eigentum an einem Wasserlauf zweiter oder dritter Ordnung zusteht, die Unter­ haltungslast in dem bisherigen Umfange vorbe­ haltlich etwa bestehender Observanzen. Zur Unterhaltung derartiger natürlicher Wasserläufe können Wassergenossenschaften gebildet werden (a. a. O. Abs. 2). — Das Provinzialrecht von Niederschlesien enthält die gleichen Grund­ sätze über das A. wie das oberschlesische. In der Oberlausitz ist die Rechtsentwicklung zwar nicht nachweisbar, aber wahrscheinlich dieselbe gewesen. Im Landkreise Görlitz sind die Auen vielfach bei der Gemeinheitsteilung zwischen der Guts­ herrschaft und der Gemeinde oder den bäuerlichen Besitzern aufgeteilt worden. In den Prov. Ost­ und Westpreußen hat der Fiskus als Gutsherr auf das A. verzichtet. Uber die Inanspruchnahme der Dorfauen als Wege für den öffentlichen Ver­ kehr vgl. OVG. 15, 322. Sie ist zulässig, da die Dorfauen öffentlichen Zwecken zu dienen be­ stimmt sind, und zwar auch dann, wenn die be­ treffenden Teile bisher nicht als Wege benutzt und im Grundbuche anderen Personen als dem Guts­ herrn zugeschrieben sind. v. E. Scholz, Provinzialrecht der Kurmark II; Kunow, Provinzialrccht der Neumarl I; Wenzel, Provinzial­ recht des Herzogtums Schlesien; Stylo und Westarp, Das Provinzialrecht von Niederschlesien; Entwurf eines Gesetzes, betr. Regelung des Auenrechts (Nr. 154 der Druck­ sachen des Provinziallandtags von Schlesien im Jahre 1893); Keil, Die Landgemeinde in den östlichen Pro­ vinzen Preußens; Riemann, Das schlesische Auenrecht, 1904; Holtz-Krautz, Das preußische Wassergesetz, 2. Aufl., Bd. 1, S. 549.

Aufbauschulen s. Höhere Lehranstalten, Geschichte und Aufbau C II 1. AusbereitungSanstatten sind gewerbliche An­ lagen (s. d.), durch welche Bergwerksprodukte auf mechanischem Wege gereinigt, zerkleinert und im Gehalt an nutzbaren Teilen zerkleinert werden (Erl. d. HM. vom 21. 2.1876). Röstöfen, die aber nach § 16 GewO, immer genehmigungspflichtig sind, und Teerschwelereien sind A. (Erl. vom 8. 3. 1882; ZBergr. 23, 273; RGZ. 12, 269). Das gleiche gilt für Koksanstalten, Brikettfabriken (Erl. vom 1. 10. 1874; ZBergr. 16, 8), Gradiervor­ richtungen der Salinen. Keine A. sind Anlagen zur Darstellung von Kalisalzen aus Karnallit (Erl. vom 21. 2. 1876; ZBergr. 17, 117) und Ringofenziegeleien, in denen der Bergwerksbesitzer den beim Bergwerke gewonnenen Schieferton zu Ziegeln verarbeitet (Erl. d. HM. vom 2.12.1893). Nach § 58 BergG. vom 24. 6.1865 (GS. 705) steht dem Bergwerkseigentümer (s. d.) die Befugnis zu, die zur Aufbereitung seiner Berkwerkserzeug­ nisse erforderlichen Anstalten zu errichten und zu

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betreiben. Die zu ihrem Betriebe dienenden Dampfkessel (s. d.) und Triebwerke (s. Stauan­ lagen für Wassertriebwerke) sind nach § 59 BergG., §§ 16, 24 GewO, genehmigungspflichtig. Die A. unterliegen der Aufsicht der Bergbehörden (s. d.). An Sonn- und Feiertagen dürfen in A. Arbeiter nicht beschäftigt werden (§ 105b Abs. 1 GewO.). Von den Vorschriften der GewO, fin­ den sonst noch die Vorschriften der §§ 115—119a über die Lohnzahlung (s. d.), der §§ 135—139b über die Beschäftigung von Arbeiterinnen (s. d.) und jugendlichen Arbeiter (s. d.) in Fabriken und über die Gewerbeaufsicht (s. d.) Anwendung (§ 154a Abs. 1 GewO.). S. auch Nebenbe­ triebe. F. H. Aufbewahrung brennbarer Stoffe s. Brenn­ bare Stoffe, Aufbewahrung von.

Aufenthalt und Aufenthaltsbeschränkungen. Das Recht der freien Wahl des Aufenthalts ist im Deutschen Reiche durch § 1 FreizügG. vom 1. 11. 1867 (BGBl. 55) gewährleistet. Die LandesG., nach welchen bestrafte Personen Aufenthaltsbeschränkungen durch die Polizei­ behörden unterworfen werden können, sind jedoch aufrechterhalten. Ebenso kann Personen, die der­ artigen Aufenthaltsbeschränkungen in einem Lande unterliegen, der Aufenthalt in jedem an­ deren Lande von der Landespolizeibehörde ver­ weigert werden (§ 3 a. a. O.). Näheres s. Frei­ zügigkeit. E. W. Aufgebot s. Eheschließung III. Aufhebung direkter Staatssteuern erfolgte durch das G. vom 14. 7. 1893 (GS. 119), das gleich­ zeitig mit dem KAG. und dem ErgänzungssteuerG. als Abschluß der sog. Miquelschen Steuer­ reform erging. Es setzte die bisher vom Staate erhobenen Grund-, Gebäude- und Gewerbe­ steuern zugunsten der Gemeinden außer Hebung. Das gleiche geschah für Hohenzollern durch das G. vom 2. 7. 1900 (GS. 252). Bezüglich der Grund- und Gebäudesteuer ist diese für die Ent­ wicklung der Gemeindefinanzen überaus bedeut­ same Maßnahme nach dem Kriege rückgängig gemacht worden, da der preußische Staat vom 1. 4. 1923 wieder eine Steuer vom Grundver­ mögen erhebt (s. Grund- und Gebäude­ steuer). Als Gegenleistung für die Überweisung der Realsteuern an die Gemeinden wurde den Ge­ meinden dieBerpflichtungauferlegt,diesämtlichen direkten Staatssteuern unentgeltlich zu erheben; die früher bestehende Vergütung üon2% fiel weg. Diese Verpflichtung der Gemeinden besteht an sich noch. Sie ist aber bedeutungslos durch denübergang der Einkommensteuer auf das Reich, das die Erhebung selbst besorgt und für Mithilfe der Ge­ meinden nach § 22 AO. eine Vergütung gewählt, und dadurch, daß Preußen bezüglich seiner Grund­ vermögensteuer auf die Unentgeltlichkeit durch § 13 GrundvermögensteuerG. verzichtet hat und eine vom FM. festgesetzte Vergütung (Erl. vom 5. 1. 1924, PrBesBl. 7) zahlt. Ptz. Arrf(An)kaufen von Waren. Wer zum selb­ ständigen Betriebe eines stehenden Gewerbes (s. Stehender Gewerbebetrieb) berechtigt ist, darf innerhalb und außerhalb des Gemeinde­ bezirks seiner gewerblichen Niederlassung (s. d.) Waren auskaufen (§ 42 GewO.). Soweit er inner­ halb des Gemeindebezirks Waren auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffent-

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Auflassung -

lichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus aufkaufen will, unterliegt er den Beschränkungen des ambulanten Gewerbebe­ triebs (s. d.). Kauft der Gewerbetreibende außer­ halb des Gemeindebezirks persönlich oder durch in seinem Dienste stehende Reisende für die Zwecke seines Gewerbebetriebs Waren nur bei Kaufleu­ ten oder solchen Personen, welche die Waren pro­ duzieren, oder in offenen Verkaufsstellen auf (§ 44 GewO.), so bedarf es hierzu nur einer Le­ gitimationskarte (s. d.) oder einer Gewerbelegiti­ mationskarte (s. d.) [§ 44a GewO.^. Die aufgekausten Waren dürfen nur behufs ihrer Beförde­ rung nach dem Bestimmungsorte mitgeführt wer­ den (§ 44 Abs. 2 GewO.). Strasvorschrist in § 148 Abs. 1 Ziff. 5 GewO. Das A. v. W. außerhalb des Gemeindebezirks der gewerblichen Niederlassung ohne vorgängige Bestellung bei anderen Per­ sonen als bei Kaufleuten oder an anderen Orten als in offenen Verkaufsstellen (s. d.) zum Wieder­ verkauf ist nur auf Grund eines Wandergewerbe­ scheins gestattet (s. Gewerbebetrieb im Um­ herziehen). über das Ankäufen von Vieh durch Fleischer oder Viehhändler s. Erl. v. 5. 12. 1914 (HMBl. 580); OVG. 17, 394. Das A. v. W. für den eigenen Haushalt ist kein Gewerbebetrieb im Umherziehen; auch ist eine Legitimationskarte nicht erforderlich. Wegen der Besteuerung s. Ge­ werbesteuer III und Gewerbebetrieb im Umherziehen (Besteuerung) II. F. H. Auslassung. Während zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache die form­ lose Einigung über den Eigentumsübergang und die Übergabe (oder deren Surrogate) genügen (§§929ff. BGB.), ist zur Übertragung des Eigen­ tums an einem Grundstück die A. und die Eintra­ gung der Rechtsänderung in das Grundbuch er­ forderlich (§ 873 BGB.). Die A. ist die abstrakte, d. h. von der Wirksamkeit des ihr zugrunde liegen­ den Veräußerungsgeschäfts unabhängige, ding­ liche Einigung. Eine A., die unter einer Bedin­ gung oder einer Zeitbestimmung erfolgt, ist un­ wirksam (§ 925 BGB.). Sie muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor dem zuständigen Grundbuchamt erklärt werden; Vertretung ist zu­ lässig. Die LandesG. können bestimmen, daß die A. auch vor einem anderen Gericht oder einem Notar oder vor einer anderen Behörde oder Be­ amten erklärt werden kann (Art. 143 EGBGB.). Preußen hat hiervon Gebrauch gemacht, indem es in Art. 26 AGBGB. für die im bisherigen Gel­ tungsbereich des Rheinischen Rechts belegenen Grundstücke jedes preußische Amtsgericht oder einen preußischen Notar und für die Gerichte des oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld auch die Amtsgerichte und Notare anderer deutscher Län­ der (Kgl. V. vom 27. 12. 1905) für zuständig er­ klärt hat. Außerdem ist, zunächst für zwei Jahre nach Beendigung des Krieges, durch G. vom 13. 5. 1918 (GS. 51) die Ermächtigung auf alle preußischen Amtsgerichte und Notare ausgedehnt; dies ist noch in Gültigkeit, da die den Zeitpunkt der Beendigung des Krieges bestimmende V. des StM. (G. vom 31. 7. 1921, GS. 481) noch nicht ergangen ist. Über die Legitimation für Gemein­ den, Gemeindeverbände, Sparkassen, Kirchen usw. vgl. die eingehende Zusammenstellung im Anhang zur GBO. von Güthe-Schlegelberger un­ ter „Legitimationsfragen". Wegen des Erwerbs

Auflauf

von Grundstücken durch Träger der Kranken-, Un­ fall- und Invalidenversicherung s. § 27 RVO., wegen des Erwerbs von Grundstücken durch KK. außerdem § 346 NVO., wegen Erwerbs öcni Grund­ stücken durch die RfA. § 104 Avg. A. unterliegen einem Stempel nicht mehr. Auflassungsvoll­ machten sind stempelsrei, wenn das der Einigung zugrunde liegende Rechtsgeschäft von einem No­ tar oder einer Behörde beurkundet und die Voll­ macht in der Urkunde erteilt ist (PrStempG. vom 27. 10. 1924, GS. 627, TSt. 19 Abs. 7 b). Bt. Auflaus. I. Begriff. Die Versammlung einer Menschenmenge auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen wird zu einem A. oder Tumult und strafbar, wenn die Versammelten, von dem zuständigen Beamten oder Befehls­ haber der bewaffneten Macht aufgefordert, sich zu entfernen, nicht Folge leisten, und zwar ist jeder der Versammelten, der sich auf die dritte Aufforderung nicht entfernt, mit Strafe bedroht, (§116 StGB.). Ob ein Polizeibeamter im Einzel­ falle als zuständig anzusehen ist, ist Tatfrage (RGSt. 6, 91 und 12, 426); für Landjäger ist die Frage zu bejahen (OAppG. 4. 10. 1873, JMBl. 309). II. Das Verhalten der Polizei bei A. ist geregelt durch Kgl. V. vom 30. 12. 1798, die als Anhang der V. zur Aufrechterhaltung der öffent­ lichen Ordnung vom 17. 8. 1835 (GS. 170) ver­ öffentlicht worden ist. Hiernach soll der Befehls­ haber einer zum Einschreiten berufenen Mann­ schaft zunächst dem Hausen befehlen auseinander­ zugehen, die Befolgung dieses Befehls aber durch Wafsengebrauch erzwingen, wenn auf die zweite Wiederholung seinem Gebot oder dem durch Trommelschlag oder Trompetenschall gegebenen Zeichen nicht sofort genügt wird. Wenn der be­ waffneten Macht tätlicher Widerstand entgegen­ gesetzt oder ein Angriff auf sic mit Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen unternommen, wenn mit Steinen oder anderen Gegenständen nach ihr geworfen wird, so ist sie befugt, auf An­ ordnung ihres Befehlshabers von der Schuß­ waffe Gebrauch zu machen. Über den Tatbe­ stand hat der Befehlshaber einen schriftlichen Be­ richt zu erstatten (§§ 8—10 der V. vom 17. 8. 1835). Der Erl. vom 17. 6. 1922 (MBl. 620) läßt für Polizeibeamte den Gebrauch der flachen Klinge und die Abgabe von Schreckschüssen zu. Da­ gegen sind Verhandlungen mit den Ruhestörern über Zurückziehung eingesetzter Schutzpolizei un­ zulässig (Erl. vom 15. 9. 1923, MBl. 965). III. Die Wehrmacht hat außer im Falle öffentlicher Notstände auch bei Bedrohung der öffentlichen Ordnung Hilfe zu leisten, jedoch nur auf Anfordern der Landesregierung, in der Regel des OP. (Erl. vom 10. 8. 1923, MBl. 853), und zwar ist, wenn die polizeilichen Kräfte nicht aus­ reichen, das Ersuchen an das Wehrkreiskommando, in dringender Gefahr an den nächsten .mili­ tärischen Befehlshaber zu richten. Glaubt die er­ suchte Stelle dem Ersuchen aus militärischen Gründen nicht stattgeben zu können, so ist die Entscheidung des RWM. herbeizuführen. Selb­ ständiges militärisches Einschreiten ist nur zu­ lässig, wenn die Zivilbehörden infolge höherer Gewalt das Einschreiten nicht herbeiführen können oder wenn Angriffe oder Widersetzlich­ keiten gegen Teile der Wehrmacht zurückgewiesen

Auflauf

werden müfsen (§ 17 des WehrG. Vorn 23. 3. 1921, RGBl. 329). Abgesehen hiervon haben ganz allgemein einzelne Soldaten sowohl wie geschlosse­ ne Abteilungen den Polizeibeamten in Notfällen, soweit angängig, Hilfe zu leisten (Richtlinien f. d. Befugnisse der Polizeiorgane gegenüber Ange­ hörigen der Wehrmacht vom 7. 6. 1921, MBl. 177). Hinsichtlich des Verhaltens gegenüber einem A. ist auch für das Militär noch die V. vom 17. 8. 1835 nach näherer Maßgabe der „Vorschriften über den Wassengebrauch des Militärs" (Kais. V. vom 19. 3.1914) und des RWM. (Erl. vom 14. 5.1920, H. L. 1996. 4. 20. T. 1 III) anwendbar. IV. Schadensersatz, a) Die Pflicht zum Er­ sätze des Schadens, der bei A. verursacht wird, ist gesetzlich besonders geregelt. Für die Be­ schädigung von Sachen haften nicht nur die Ur­ heber der Beschädigungen, sondern auch alle die­ jenigen, und zwar als Gesamtschuldner, die sich bei dem A. irgendeine gesetzwidrige Handlung haben zuschulden kommen lassen, sowie alle Zu­ schauer, welche sich an dem Orte des A. befun­ den und nach dem Einschreiten der Polizei nicht sogleich entfernt haben. Jedoch bleibt den bloßen Zuschauern ein Erstattungsanspruch an diejenigen, die sich mit ihnen in demselben Falle befunden haben, zu gleichen Teilen Vorbehalten; an die Urheber und Teilnehmer der Straftat aber für den ganzen von ihnen gezahlten Betrag (§11 der V. vom 17. 8. 1835). b) Daneben ist eine Ersatzpflicht der Öffent­ lichkeit anerkannt durch das preuß. G. vom 11. 3. 1850 (GS. 199) betreffend die Verpflich­ tung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffent­ lichen Aufläufen verursachten Schadens, das unter dem Begriff des A. die „Zusammenrottung" und den „Zusammenlauf" zusammenfaßt, (wobei jene sich durch das Merkmal des bewußten Zusammen­ wirkens von dem bloßen Zusammenlauf unter­ scheidet). Das G. gilt nur in den alten Provinzen und ist durch Art. 108 EGBGB. aufrecht er­ halten worden. Ersatzpflichtig ist die Gemeinde, in deren Bezirk in einem dieser Fälle durch offene Gewalt oder durch Anwendung der da­ gegen getroffenen Maßregeln Eigentum beschä­ digt oder Personen verletzt worden sind (§ 1). Die Verpflichtung der bezeichneten Gemeinde fällt fort, wenn die Beschädigung durch eine von außen her in den Gemeindebezirk eingedrungene Menschenmenge verursacht worden ist und die Einwohner des letzteren zur Abwehr des Schadens erweislich außerstande gewesen sind. Es liegt dann die Entschädigungspflicht den Gemeinden ob, auf deren Gebiet die Ansammlung oder von deren Bezirk aus der Überfall stattgefunden hat, es sei denn, daß auch sie nicht imstande gewesen sind, den verursachten Schaden zu verhindern (§§ 2, 3). Der Gemeindevorsteher der Gemeinde, in der ein Schaden der bezeichneten Art einge­ treten ist, hat ihn unter Zuziehung der Inter­ essenten vorläufig festzustellen (§4). Ansprüche auf Schadensersatz müssen zur Vermeidung ihres Verlustes binnen vierzehn Tagen bei dem Ge­ meindevorstande angemeldet und binnen vier Wochen nach Zustellung seines Bescheides ge­ richtlich geltend gemacht werden (§ 5). Der Gemeinde, die Schadensersatz geleistet hat, steht ein Erstaltungsanspruch gegen die Personen zu, welche nach den erwähnten allgemeinen Grund­

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sätzen zum Schadensersatz verpflichtet sind (§ 6). Auch für die Beschädigungen und Verletzungen, welche die Polizeibeamten bei Unterdrückung des Auslaufs herbeigesührt haben, ist die Gemeinde haftbar, imb zwar selbst dann, wenn die Polizei­ beamten hierbei in fahrlässiger Überschreitung ihrer Befugnisse gehandelt haben (RGZ. 67, 236). c) Das preuß. G., das die Ersatzpslicht von vornherein auf die Fälle des „Auflaufs" be­ schränkte, das also auf weitergreifende Vorkomm­ nisse, insbesondere politisch-revolutionären Charak­ ters, nicht anwendbar war, ist in seiner Anwendung weiter eingeschränkt worden durch das RG. über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. 5. 1920 (RGBl. 941) nebst AbänderungsV. vom 8. 1. und 29. 3. 1924 (RGBl. 23 bzw. 381). Dieses begründet wegen solcher Eigentumsschäden, die im Zusammenhang mit „inneren Unruhen" durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr verursacht werden, Ersatzan­ sprüche gegen das Land, in dem der Schaden entstanden ist, und beseitigt insoweit die landesge­ setzliche Regelung, was in der Praxis zu einer genauen Prüfung der Schadensfälle schon bei ihrer Anmeldung nötigt. Der Begriff der inneren Unruhen ist hierbei gekennzeichnet einmal durch das Hinausgreisen der Bewegung über eine engere räumliche Abgrenzung oder einen be­ schränkten Personenkreis hinaus (Entsch.R. Ver­ sorg. G. 4, 227) und sodann durch den besonderen agressiven Charakter derselben, der sich aus der meist politischen oder wirtschaftlichen Natur ihrer Beweggründe herleitet. Die Häufigkeit derar­ tiger Vorkommnisse nötigte dazu, die Entschädi­ gung auf solche Fälle zu beschränken, in denen das wirtschaftliche Bestehen der Betroffenen gefähr­ det werden würde, und ihr Höchstmaß auf fünf­ undsiebzig Prozent des Schadens zu bemessen (§ 2 in der Fassung der AbänderungsV.). Von der Möglichkeit, die Gemeinden statt des Landes für ersatzpflichtig zu erklären, hat Preußen keinen Gebrauch gemacht; jedoch haben die Gemeinden ein Drittel der Mittel zur Befriedigung der An­ sprüche und der Berfahrenskosten zu tragen (§ 10). Ansprüche sind binnen einer Ausschlußfrist von drei Monaten seit Eintritt des Schadens bei den von den Landeszentralbehörden eingerichteten „Ausschüssen zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden" anzumelden, deren Vor­ sitzender zum Richteramt oder höheren Verwal­ tungsdienste befähigt sein muß. Gegen die Ent­ scheidung findet, wenn der angemeldete Schaden 150 RM übersteigt, binnen einem Monat Be­ schwerde an das Reichswirtschaftsgericht statt (§ 6). Das Verfahren ist geregelt durch V. vom 15. 9. 1920 (RGBl. 1647), abgeändert durch Art. III der V. vom 29. 3. 1924 (RGBl. 381). Hiernach wird die erforderliche Zahl der Mitglieder der Ausschülse aus den verschiedenen Erwerbsstän­ den durch die Landesbehörde ernannt (§§ 3, 4). Die Ausschüsse betreiben das Verfahren von Amts wegen und entscheiden in einer Besetzung von mindestens drei Mitgliedern im Wege der Be­ schlußfassung oder in nicht öffentlicher münd­ licher Verhandlung; letztere ist auf Verlangen des Antragstellers obligatorisch (§ 23). Der Vor­ sitzende kann geeignetenfalls einen Vorbescheid er­ teilen (§ 22a). — Die aus gleicher Ursache ent­ stehenden Schäden an Leib und Leben werden

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Auflösung — Aufsuchen von Warenbestellungen

gemäß § 18 des Personenschadens vom 15. 7. 1922 (RGBl. 620) in der Fassung des Art. II der zitierten V. vom 29.3.1924 durch Gewährung von Rente und Heilbehandlung bzw. Sterbe­ geld und Hinterbliebenenrente nach Maßgabe des ReichsversorgungsG. vom 12. 5. 1820 (RGBl. 989) abgegolten. Auch hier richtet sich der An­ spruch gegen das Land und trägt die beteiligte Gemeinde ein Drittel der Kosten. Zuständig sind die Versorgungsämter, Versorgungsgerichte und das Reichsversorgungsgericht. Mü. Auflösung. I. Die A. der aus Wahlen her­ vorgegangenen politischen Körperschaf­ ten ist das verfassungsmäßige Mittel, um einen die Staatsinteressen schädigenden Gegensatz zwi­ schen der angenommenen Ansicht der Mehrheit der Stimmberechtigten und dem Standpunkt der gewählten Vertretung zu beseitigen. Wegen A. des Reichstags und des Landtags s. die betreffenden Artikel. II. Die A. von Vertretungsorganen der Ge­ meinden und Gemeindeverbände oder anderer öffentlichrechtlicher Körperschaften ist dagegen ein Akt der staatlichen Aufsicht, durch den ein zur Erfüllung seiner Aufgaben ungeeignetes Ver­ tretungsorgan beseitigt werden kann (s. Kom­ munalaufsicht). III. Die A. von Gemeinden kann nach § 1 des G. vom 27. 12. 1927 (GV 211) aus Grund n W ö'fentl ch n Wohles durch das StM bei Veränderung von Kr.isgrenzen aber nur durch G. erfolgen (s. Gemeindebezirke). Wegen der A. der Gutsbezirke s. d. IV. Wegen der im polizeilichen Interesse zulässigen A. von privatrechtlichen Vereinen, Ge­ nossenschaften, Versammlungen s. die betreffenden Artikel. v. B. Aufnahmegeld s. Allmende, Einkaussgelder.

Aufruf des Rats der BottSbeauftragten s. Reichsverfassung. Aufruhr. Unter A. versteht das StGB. (§ 115) eine öffentliche Zusammenrottung, bei der mit vereinten Kräften einem Vollstreckungsbeamten (insbesondere auch einem Polizeibeamten) oder den zu seiner Unterstützung zugezogenen Personen oder Mannschaften der bewaffneten Macht, einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr in der recht­ mäßigen Ausübung ihres Amtes oder ihres Dien­ stes durch Gewalt oder Bedrohung mit Gewalt Widerstand geleistet oder ein tätlicher Angriff auf sie verübt wird, oder bei der mit vereinten Kräf­ ten unternommen wird, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshand­ lung zu nötigen. Strafbar ist jeder, der an einer solchen Zusammenrottung teilnimmt. Der straf­ rechtliche Begriff des A. ist zu unterscheiden von dem des Landfriedensbruchs, d. h. der Teil­ nahme an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei der mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begangen werden (§ 125 StGB.). Der amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen StGB, faßt beide Straf­ taten unter der Bezeichnung als Landfriedens­ bruch zusammen. — Vom A. unterscheidet das StGB, ferner die Erregung eines Aufstandes in § 90 Abs. 1, Ziff. 6, als ein ausgesprochen

politisches Delikt. — Das polizeiliche und mili­ tärische Einschreiten gegen einen A. erfolgt in derselben Weise, wie bei einem Auflaufe (s. dort). Ebenso ist die Haftpflicht der Beteiligten die­ selbe wie dort; die Ersatzpflicht des Landes für Sach- und Personenschäden regelt sich nach den deselbst angeführten reichsgesetzlichen Best. — Im übrigen kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, nach Art. 48 RV. der Reichspr. die zur Wiederherstellung der öffent­ lichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maß­ nahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten, auch bestimmte verfassungsmäßig gewährleistete Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen; vgl. den Art Belagerungszustand. Mü.

Aufschiebende Wirkung s. Rechtsmittel, auf­ schiebende Wirkung der.

Aufschlagspitze, vorweg zu zahlender Teil des Branntweinaufschlags, s. Branntweinmono­ pol 0X1. Aufschub bei Steuern s. Erlaß usw. Aufsichtspersonen im Bergbau. Der Betrieb eines Bergwerks und seiner Nebenanlagen (Repa­ raturen an Zechengebäuden und sonstige mit dem eigentlichen Betriebe nicht im Zusammenhang stehende Arbeiten gehören nicht zum Betriebe, Erl. vom 13. 12. 1892, ZBergr. 34, 279) darf nur un­ ter Stellung, Aufsicht und Verantwortlichkeit von Personen geführt werden, deren Befähigung hierzu anerkannt ist. Zu den A. gehören z. B. Betriebssührer, Steiger, technische Aufseher. Sie müssen vom Bergwerksbesitzer unter Angabe ihres Geschäftskreises dem Bergrevierbeamten (s. Berg­ behörden!) namhaft gemacht werden und ihre Befähigung, nötigenfalls durch eine Prüfung vor dem Bergrevierbeamten nachweisen. Erst nach An­ erkennung ihrer Befähigung dürfen sie ihre Ge­ schäfte übernehmen. Unbefähigte A. müssen auf Verlangen des Bergrevierbeamten sofort ent­ fernt werden, widrigenfalls der Betrieb eingestellt wird. Die Anordnung kann durch Klage im VwStr. vor dem Bergausschusse (s. d.) binnen zwei Wochen angefochten werden, der endgültig entscheidet. Jede A., welche die Leitung oder Be­ aufsichtigung des Betriebs übernommen hat, ist innerhalb des ihr übertragenen Geschäftskreises für die Innehaltung der Betriebspläne sowie für die Befolgung aller gesetzlichen und Ausführungs­ vorschriften verantwortlich. Daneben haftet der Bergwerksbesitzer (s. d.) als sein gesetzlicher Ver­ treter. Die A. müssen die Bergbeamten, die im Dienste das Bergwerk besehen, begleiten, auf Er­ suchen Auskunft erteilen über den Betrieb, über die Ausführung der Arbeitsordnung und alle der Aufsicht der Bergbehörde unterliegenden Gegen­ stände (BergG. vom 24. 6. 1865, GS. 705, in der Fassung des G. vom 28. 7. 1909, GS. 677; AusfAnw. vom 13. 10. 1909, HMBl. 453 nebst Be­ stimmungen über die Anerkennung der Bergfchulen zur Ausstellung von Zeugnissen für A. vom 26. 10. 1910, HMBl. 535). F. H. AusfichtSratsteuer s. Körperschaftsteuer. Aussuchen von Warenbestellungen. Ein A. v. W. liegt vor, wenn Aufträge auf künftige Liefe­ rung von Waren gesucht werden. Zur Erfüllung des Tatbestandes gehört nicht unbedingt, daß die

Auftragsangelegenheiten — Aufwandsteuern

Person, welche die Nachfrage wegen einer et­ waigen Warenbestellung hält, mit dem Angefrag­ ten in eigener Person verhandelt, selbst den Ver­ kauf abschließt oder Warenbestellungen entgegen­ nimmt. Auch dann, wenn der Anfragende eine der­ artige spätere Tätigkeit seines Auftraggebers, in dessen Namen und für dessen Rechnung er die An­ frage hält, vorbereitet, wenn er also nach Bejahung der Anfrage seinen Auftraggeber veranlaßt, bei der befragten Person zu erscheinen und mit ihm über den Verkauf oder die künftige Lieferung von Waren zu verhandeln, liegt ein A. v. W. vor (KGJ. 38 0 28). Wer nur mit Kaufleuten wegen Übernahme von Waren in Verkaufskommission verhandelt, sucht keine Warenbestellungen auf (vgl. KG. vom 16. 12.1912, GewArch. 12, 476). Wenn ein Gewerbetreibender in einer Zeitung öffentlich bekanntmacht, daß er außerhalb seines Wohnortes an seinem gegenwärtigen Aufenthalts­ orte Bestellungen aus Waren entgegennehme, so ist darin ein Aufsuchen von Bestellungen zu finden (KGJ. 38 C 20). Das gleiche gilt, wenn ein Aquisiteur die von ihm aufgesuchten Personen veranlassen will, das Erscheinen des Handlungs­ reisenden behufs Entgegennahme von Warenbe­ stellungen zu gestatten (KGJ. 46, 339). Wer zum selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes (s. Stehender Gewerbebetrieb) befugt ist, darf innerhalb und außerhalb des Gemeindebezirks seiner gewerblichen Niederlassung (s. d.) Waren­ bestellungen aufsuchen (§ 42 GewO.). S. auch KGJ. 18, 245. Soweit er innerhalb des Ge­ meindebezirks aus öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus Warenbestellungen aussuchen will, unterliegt er den Beschränkungen des ambulanten Gewerbebetriebs (s. d.) Sucht er Bestellungen auf Waren außer­ halb des Gemeindebezirks persönlich oder durch in seinen Diensten stehende Reisende für die Zwecke seines Gewerbebetriebs auf, so bedarf es hierzu nur einer Legitimationskarte (s. d.) oder einer Ge werbe le gitimations karte (s.d.), wenn die Bestellungen nur bei Kaufleuten in deren Geschäfts­ räumen oder bei Personen erfolgen, in deren Ge­ schäftsbetriebe Waren der angebotenen Art Ver­ wendung finden, wenn ferner, sofern es sich nicht um Reisende der Großhändler oder Fabrikanten von Gold- und Silberwaren, die übungsmäßig an die Wiederverkäufer im Stück abgesetzt werden, von Taschenuhren, Bijouterie-, Schildpattwaren, Edelsteine, Perlen, Kameen und Korallen handelt, von den Waren nur Proben und Muster mitge­ führt werden (§ 44 Abs. 2 GewO.; Bek. vom 27. 11. 18961 1 — RGBl. 745). Das G. ver­ bietet nur, daß Waren beim Aufsuchen der Be­ stellungen mitgesührt werden, der Reisende darf daher mit der Ablieferung der Waren betraut werden (OBG. 26, 288). Proben und Muster sind lediglich solche Gegenstände, deren ausschließ­ liche wirtschaftliche Bestimmung darin besteht, die vertragsmäßigen Eigenschaften der bestellten oder zu bestellenden Waren festzustellen. Einzelne Lieferungen einer Druckschrift sind keine Proben und Muster für den aus Bestellung zu liefernden Rest des Werkes (KGJ. 23 C 35). Ein Reisender, der im Umherziehen für seine Firma Bestellungen auf vergrößerte Photographien sammelt, be­ darf eines Wandergewerbescheins (KGJ. 25 C 61).

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über die Aufnahme einer Photographie nach vor­ heriger Anfrage s. KGJ. 45 C 429. Bestellungen auf Druckschriften (s. d.), andere Schriften und Bildwerke dürfen auch bei jedermann aufgesucht werden, wenn sich der Gewerbetreibende oder seine Reisenden im Besitz einer Legitimations­ karte befinden; jedoch sind Druckschriften, andere Schriften und Bildwerke, insofern sie in sittlicher oder religiöser Beziehung Ärgernis zu geben ge­ eignet sind oder mittels Zusicherung von Prämien oder Gewinnen vertrieben werden oder in Liefe­ rungen erscheinen, wenn nicht der Gesamtpreis auf jeder einzelnen Lieferung an einer in die Augen fallenden Stelle bestimmt verzeichnet ist, ausgeschlossen (§ 44 Abs. 3,4; §56 Abs. 3 GewO.). Auch für Weinhändler und ihre Reisende genügt der Besitz einer Legitimations- oder Gewerbe­ legitimationskarte, wenn sie ohne vorgängige Auf­ forderung Bestellungen aus Wein (Traubenwein einschließlich Schaumwein) bei jedermann auf­ suchen wollen. Das gleiche gilt für den Handel mit Erzeugnissen der Leinen- und Wäschefabrikation und mit Nähmaschinen sowie für die Fabrikanten überwebter Holzrouleaus (Bek. vom 17.11.1896 I 2, RGBl. 745, vom 13. 1. 1909, RGBl. 259, vom 4. 3.1912, RGBl. 189, und vom 25. 3. 1897, RGBl. 96). Eine Legitimationskarte genügt end­ lich allgemein, wenn das A. v. W. nur gegen vor­ gängige ausdrückliche Aufforderung erfolgt. Eine allgemeine Aufforderung genügt. Ob die Initia­ tive von den Kunden oder von den Gewerbe­ treibenden ausgegangen ist, ist gleichgültig (KGJ. 18, 242; 22 C 103). Eine vorherige Aufforderung liegt nicht vor, wenn der Gewerbetreibende bei dem Besteller die Aufforderung und dann sofort die Bestellung entgegennimmt (KGJ. 25 C 59). — In allen übrigen Fällen ist für das A. v. W. außerhalb des Gemeindebezirks der gewerblichen Niederlassung ein Wandergewerbeschein erforder­ lich (s. Gewerbebetrieb im Umherziehen). Verboten ist beim Gewerbebetrieb im Umher­ ziehen das Aufsuchen von Bestellungen aus die vorbezeichneten Druckschriften usw., auf Staats­ oder sonstige Wertpapiere, Lotterielose, und Be­ zugs- und Anteilsscheine auf Wertpapiere und Lotterielose, auf Branntwein und Spiritus bei Personen, in deren Gewerbebetrieb dieselben keine Verwendung finden, auf Waren, die gegen Teilzahlung unter dem Vorbehalte veräußert werden, daß der Veräußerer wegen Nichterfüllung der dem Erwerber obliegenden Verpflichtungen vom Vertrage zurücktreten kann (§ 56a GewO.). Strafvorschriften s. § 148 Abs. 1 Ziff. 5, 7 a GewO. Wegen der Besteuerung s. Gewerbe­ steuer III und Gewerbebetrieb im Umher­ ziehen (Besteuerung) II. F. H. Auftragsangelegenheiten s. Selbstverwal­ tung II. Aufwandsentschädigung s. Dienstaufwand. Aufwand steuern. Der Begriff wird in einem weiteren und einem engeren Sinne gebraucht. Im weiteren Sinne gehören hierher alle Steuern, die aus Anlaß einer Aufwendung, einer Einkommens­ verwendung, also nicht unmittelbar vom Besitz, Einkommen oder Ertrag erhoben werden; danach sind insbesondere die Zölle und Berbrauchsteuern A. Im engeren Sinne sind A. nur diejenigen Steuern, die an eine qualifizierte Aufwendung anknüpsen, d. h. eine solche, die der Einzelwirt-

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Aufwertung

schuft Gegenstände zusührt, die über das für die allgemeine Lebensführung Notwendige hinaus­ gehen. In letzterem Sinne verwendet die deutsche und preußische Steuerpraxis den Begriff. Dabei sind zwei Gruppen nach der Besteuerungsmethode zu unterscheiden. Die Steuern der einen Gruppe gehen von dem Vorgänge der Aufwendung selbst, der Hingabe von Geld für den Erwerb des Gegen­ standes aus, es sind die Aufwandumsatzsteuern; die andere Gruppe erfaßt den Aufwand bei dem­ jenigen, der den auswendigen Gegenstand besitzt, es sind die Auswandbesitzsteuern. — Im Reiche bestehen A. nicht mehr, nachdem die im UmsatzsteuerG. enthaltene Luxusumsatzsteuer mit dem 1. 4. 1926 außer Kraft getreten ist. Die Steuern auf den Verbrauch entbehrlicher Gegenstände, wie die Getränkesteuer, besonders die Schaumwein­ steuer, und die Tabaksteuer, ferner die Spielkar­ tensteuer gehören nach Reichsrecht zu der Gruppe der Zölle und Verbrauchsteuern. Die vom Reich erhobene, den Ländern überwiesene Krastfahrzeugsteuer, die ursprünglich Auswandsteuercharak­ ter trug, hat diesen Charakter mit der weiteren Entwicklung des Automobils zu einem nicht mehr entbehrlichen Beförderungsmittel verloren und dient in erster Linie der Aufbringung der Mittel für den Wegebau. — Der preuß. Staat erhebt keine A., dagegen spielen sie in den Gemeinden eine große Rolle, sie nahmen vor allem in der Inflationszeit stark zu und kehren allmählich wie­ der zu dem Umfange zurück, den sie im Frieden hatten. Das KAG. braucht den Ausdruck A. nur an einer Stelle, in § 24 Abs. 2, wo der teil­ weise Ersatz der Einkommensteuer durch A. zuge­ lassen ist und insbesondere aneineMiets- und Woh­ nungssteuer gedacht war. Die Vorschrift ist durch den Wegfall der Gemeindeeinkommensbesteue­ rung obsolet geworden. Im übrigen sind die Ge­ meindesteuern, die als A. bezeichnet werden können, unter der Überschrift indirekte Gemeinde­ steuern in § 14s KörpStG. behandelt. Genannt sind dort in § 15 die Vergnügungssteuer, in § 16 die Hundesteuer und in § 16a — eingesügt durch G. vom 26. 8. 1921 (GS. 495) — die Wohnungs­ luxussteuer. Darüber hinaus sind A. als indirekte Steuern in den Grenzen des § 13 KörpStG. zu­ lässig, d. h. soweit nicht Reichsgesetze entgegen­ stehen; reichsrechtliche Schranken zieht vor allem das FAG. bezüglich der Gemeindegetränkesteuern. Neben diesen Steuerarten sind Jagdsteuern, Schankerlaubnissteuern, sog. Hockersteuer aus den Aufenthalt in Gastwirtschaften über eine be­ stimmte Stunde hinaus vielfach vorhanden, auch Steuern auf das Halten von Dienstboten, aus das Halten von Equipagen und Pferden vielfach in der Inflationszeit versucht worden, aber inzwischen meist wieder verschwunden (vgl. Gemeinde­ steuern und die genannten Steuerarten). Ptz. P o p i h, Aufwandbesteuerung im Handbuch der Finanz­ wissenschaft, Bd. 2 (1927), S. 198 f.

Aufwertung. I. Die Auswertungsbewe­ gung, die zu der gesetzlichen Regelung durch das Reich führte, begann bereits im Frühjahr 1923, d. h. noch in der Zeit, als das NG. an dem auf der nominalistischen Geldtheorie fußenden Grundsatz „Mark gleich Mark" festhielt. Die Bewegung hatte jedoch erst Erfolg, als das RG. in der Entsch. vom 28. 12. 1923 (RGZ. 107, 78) seinen grundsätzlichen Standpunkt dahin

einschränkte, daß nach dem das bürgerliche Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben die Tilgung einer Geldschuld durch Hingabe ent­ werteter Papiermark nicht ohne weiteres als Ersüllung anzusehen sei. Diese Entscheidung wurde unter Hinweis auf die jedes voraussehbare Maß überschreitende Geldentwertung begründet. Wäh­ rend bisher die A. lediglich ein Wirtschafts- und sozialpolitisches Problem gewesen war, wurde das Eingreifen der Gesetzgebung nunmehr auch eine rechtspolitische Notwendigkeit; denn wenn ent­ sprechend dem Urteil des NG. das Maß der A. der Entscheidung des Richters im Einzelfall über­ lassen und von den individuellen Voraussetzungen jedes einzelnen Anspruchs abhängig gemacht wor­ den wäre, so hätte dies zu einer das ganze Wirt­ schaftsleben gefährdenden Rechtsunsicherheit ge­ führt. Am 14. 2. 1924 erging auf Grund des ErmächtigungsG. vom 8.12.1923 die 3. StNotB. (RGBl. I 74), deren Aufwertungsvorschriften in der Folge zwar aufgehoben wurden, materiell­ rechtliche Bedeutung jedoch insbesondere insofern behalten haben, als der Tag ihres Erlasses Stich­ tag für die Behandlung der vorher und nachher bewirkten Leistungen geblieben ist. Die 3. StNotV. konnte als eine endgültige Lösung des Auf­ wertungsproblems nicht angesehen werden. Ihre umstrittene Rechtsgültigkeit wurde vom RG. zwar anerkannt (RGZ.107,370), dagegen wurde einzelnen Durchführungsverordnungen die Gül­ tigkeit abgesprochen, so daß sich der Reichspr. veranlaßt sah, die Auswertungsvorschriften der 3. StNotV. und der Durchführungsvorschriften auf Grund des Art. 48 RV. in einer beson­ deren Rechtsverordnung zusammenzufassen. Auch die Gültigkeit dieser B. wurde bezweifelt. Dazu kam, daß auch in materieller Hinsicht die bis­ herige Regelung sich als ungenügend erwies. Die Reichsregierung sah sich daher gezwungen, durch Regierungserklärung vom 19. 1. 1925 gesetzgeberische Vorschläge anzukündigen, um nunmehr endgültiges Recht zu schaffen. Am 25. März ging der Entwurf eines AuswertungsG. dem NN. und dem Vorläufigen Neichswirtschaftsrat, am 25. April dem RT. zu. Am 16. 7. 1925 wurde das G. vollzogen und im RGBl. I S. 117 veröffentlichte II. Das AufwG. beschränkt sich auf die Rege­ lung Privatrechtlicher Verhältnisse. Ofsentlichrechtliche Ansprüche werden nicht berührt. Es beschränkt sich darüber hinaus grundsätzlich aus die A. von Vermögensanlagen, während sonstige privatrechtlichen Ansprüche auf die Rechtsprechung nach allgemeinen Vorschriften verwiesen werden (§ 62). Schließlich unterliegen dem AufwG. nicht Ansprüche aus Anleihen des Reiches, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der diesen Anleihen nach § 46 AnlAblG. gleichgestellten Schuldverschreibungen öffentlichrechtlicher Körperschaften (s. § 1 Abs. 2 AufwG.; § 16 der V. vom 2. 7. 1926, RGBl. I 343), die nicht „aufgewertet", sondern „abgelöst" werden (s. Anleiheablösung). Unberührt bleiben außer­ dem die Sondergesetzgebung aus dem Gebiet der Altenteilsverträge (G. vom 18. 8. 1923, RGBl. I 815; V. vom 8. 9. 1923, GS. 433), die Reichs­ pachtschutzordnung vom 23. 7. 1925 (RGBl. 1152) und die Reichsmietengesetzgebung. Die gesetzliche A. stellt die gesetzliche Fixierung des nach der

Aufwertung

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punkt der individuellen Berücksichtigung des Einzelsalles ist im Interesse des Schuldners durch Einfügung einer Härteklausel (§§ 8, 34,52) Rechnung getragen worden. In gewissen Fällen ist auch darüber hinaus eine Jndividualaufwertung in bestimmten Grenzen vorgesehen (§ 10 A. der persönlichen FordeTiing, §§ 37 ff. Genußrecht bei Jndustrieobligatio­ nen, § 63 Abs. 1 Höchstsatz für Bermögensanlagen). Im übrigen wird aber durch die A. die Schuld nicht nur nach unten, sondern auch nach oben begrenzt. Der sonstige Inhalt der Schuldverhältnisje wird nicht berührt. Auch die Zins- und Zahlungsbedingungen bleiben insoweit bestehen, als nicht im G. selbst (§§ 25, 31, 32, 36, 54) abweichende Vorschriften enthalten sind. Diese Vorschriften enthalten ein imJnteresse des Schuld­ ners eingesührtes, bis zum 1. 1. 1932 (Verlänge­ rung oder Verkürzung nach §§ 26, 27 im Einzel­ salle möglich) reichendes Moratorium und in Verbindung damit die Fixierung der während dieses Moratoriums zu zahlenden Zinssätze (vom 1. 1. 1928 ab 5%). Besondere Schwierigkeiten ergaben sich in bezug auf das Rangverhältnis zwischen den Gläubigern der bereits gelöschten, kraft Vorbehalts oder Rückwirkung aufgewerteten Hypotheken und den zwischen Löschung und A. eingetragenen Belastungen. Das AufwG. be­ ruht auf dem Grundsatz der Anerkennung des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs. Dar­ aus folgt, daß die wiedereinzutragende Auf­ wertungshypothek nur dann ihren bisherigen Rang behält, wenn die Vorschriften über den öffentlichen Glauben nicht entgegenstehen (§§ 6, 20—23). Der Kreditversorgung der Grundbesitzer dient die Vorschrift des § 7 über den Rang­ vorbehalt, wonach der Eigentümer berechtigt ist, mit dem Range unmittelbar hinter jeder inner­ halb der Mündelsicherheit liegenden aufzuwerten­ den Hypothek eine gleichhohe Hypothek mit dem „üblichen" Zinssatz eintragen zu lassen. Es ist an­ zunehmen, daß für die Ausnutzung des Rang­ vorbehalts eine bestimmte Ausschlußfrist demnächst festgesetzt werden wird. Um entsprechend dem sozialpolitischen Zweck der A. den durch die In­ flation geschädigten Gläubigern trotz des den Schuldnern gewährten Moratoriums einen schnell realisierbaren Ersatz zu schaffen, erleichtert das AufwG. den Schuldnern die vorzeitige Rückzah­ lung durch die Vorschrift des § 88, wonach die Reichsregierung einen bei einer solchen Rück­ zahlung abzugssähigen Zwischenzins festsetzen kann. Dies ist durch Art. 21, 37 der V. vom 29. 11. 1925 (RGBl. I 392), V. vom 26. 3. 1926 (RGBl. I 182) und V. vom 20. 1. 1927 (RGBl. 149) geschehen. Der Zwischenzins, der ursprüng­ lich 9% jährlich betrug, ist durch die letztgenannte V. auf 7 ermäßigt worden. Der rascheren Reali­ sierung der Auswertungsansprüche dienen ferner die Vorschriften über die Ausgabe von Liqui­ dationsgoldpfandbriefen (s. Schuldver­ schreibungen, Aufwertung) und von Mobi­ lisierungsgoldpfandbries en, die von den Hy­ pothekenbanken und öffentlichrechtlichen Grund­ kreditanstalten auf Grund der von ihnen erworbe­ nen Aufwertungshypotheken ausgegeben werden können (Art. II der V. vom 28. 7. 1926, RGBl. I 423, und B. vom 13. 1. 1927, RGBl. I 41). Durch diese Maßnahmen in Verbindung mit der 8 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

Rechtsprechung des RG. dem Gläubiger zu­ stehenden billigen Ausgleichs für die ihm in­ folge der Geldentwertung entstandenen Nachteile dar. Die A. wird in der Weise bewerkstelligt, daß der Schuldner an Stelle seiner Papiermarkschuld einen auf Grund des Goldmarkbetrags festzustellenden Aufwertungsbetrag zu entrichten hat. Der Goldmarkbetrag wird unter Zugrunde­ legung einer aus Dollarkurs und Großhandels­ index (Kaufkraft!) sich zusammensetzenden Um­ rechnungsverhältnisses festgestellt, und zwar wird hierbei der Zeitpunkt zugrunde gelegt, an dem das Recht erworben worden ist. Im Falle der Erbfolge, zum Teil auch der Gesamtrechtsnach­ folge und der Schenkung wird von dem Erwerb durch den Rechtsvorgänger ausgegangen (§§ 2, 3). Während die 3. StNotV. die A. aus Ansprüche beschränkte, die bei Inkrafttreten noch bestanden, so daß alle früheren Rechtsbeziehungen erledigt blieben, hat das AufwG. den Wünschen auf Wiedergutmachung der schon vorher durch den Grundsatz Mark = Mark verursachten Unbillig­ keiten in gewissem Umfange Rechnung getragen. Bei Hypotheken (Grundschulden, Nentenschulden, Reallasten, Schiffs- und Bahnpfandrechten) und Versicherungsansprüchen erfolgt eine A. kraft Rückwirkung auch dann, wenn die Rückzahlung in Papiermark in der Zeit nach dem 14. 6. 1922 vorgenommen wurde (§ 15). Trotz Erfüllung durch den Schuldner werden ferner Ansprüche in jedem Falle aufgewertet, wenn der Gläubiger sich bei der Annahme der Leistung seine Rechte Vor­ behalten hat (•§§ 14, 31, 32, 35, 49, 53, 57, 60, 63). Schließlich kann trotz Leistung durch den Schuldner und ohne daß ein Vorbehalt erklärt worden ist, A. beansprucht werden, wenn nach Lage der Umstände die Annahme der Leistung nicht eine Annahme als Erfüllung bedeutet. Dies kann insbesondere bei Leistungen in der Zeit der Hochinflation in Frage kommen, wenn der Goldmarkwert der Leistung verschwindend gering war und der Gläubiger schweigend die Leistung angenommen hat (s. Quassowski, 5.Aufl., S. 227). Während sich die A. von Hypotheken usw., von Jndustrieobligationen und grundsätzlich von Schuldverschreibungen öffent­ licher Körperschaften unmittelbar vollzieht, erfolgt die A. gegenüber den kredit- und kapitalvermittelnden Instituten (Hypotheken­ banken, öffentlichrechtlichen Grundkreditanstalten, Sparkassen, Versicherungsanstalten) mittelbar, d. h. durch Verteilung einer Teilungsmasse, die aus den zur Deckung dieser Ansprüche dienen­ den, aufzuwertenden Vermögensanlagen gebildet wird. Dieser Grundsatz hat für die Sparkassen insofern eine Änderung erfahren, als hier im Interesse derSparer ein Mindestsatz vorgeschrieben und darüber hinaus der obersten Landesbehörde die Befugnis erteilt worden ist, aus praktischen Gründen der Einheitlichkeit einen Einheitssatz vor­ zuschreiben und unter den Sparkassen einen Aus­ gleich herbeizuführen. Außerdem hat die Reichs­ regierung sich das Recht Vorbehalten, öffentlichrechtliche Kreditanstalten (jedoch mit Ausnahme der Grundkreditanstalten) dem AnlAblG. zu unterstellen (s. Schuldverschreibungen, Auf­ wertung). In Übereinstimmung mit der 3. StNotV. beruht das AufwG. aus dem Grund­ satz der A. nach festen Sätzen. Dem Gesichts­

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Aufzüge

Zuführung neuen Hypothekarkredits an den Grundbesitz, insbesondere den landwirtschaftlich genutzten Grundbesitz, ist ein erheblicher Teil der Aufwertungshypotheken inzwischen liquidiert bzw. mobilisiert worden, so daß die Schwierigkeiten, die sich aus der einheitlichen Festsetzung der Fällig­ keiten auf den 1. 1. 1932 ergeben könnten, als wesentlich verringert anzusehen sind. III. Durch Erlaß des AufwG. sollte endgültig jede weitere die wirtschaftliche Entwicklung hem­ mende Rechtsunsicherheit beseitigt werden. Die insbesondere in der ersten Zeit nach Erlaß des G. einsetzenden Bestrebungen, eine nochmalige Wiederaufrollung des Aufwertungsproblems her­ beizuführen, sind erfolglos geblieben und dürften nunmehr als erledigt angesehen werden können. Eine Änderung hat das AufwG. lediglich erfahren durch das G. vom 9. 7. 1927 (RGBl. 1171), das verschiedene unvorhergesehene Unbilligkeiten aus­ gleicht und in Art. VI der Reichsregierung die Befugnis überträgt, mit Zustimmung des RR. und eines Reichstagsausschusses Rechtsverord­ nungen zu erlassen, soweit sie zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens und zur Verhütung unvorhergesehener Härten notwendig sind. Zur Durchführung des AufwG. sind eine Reihe von V. erlassen worden, und zwar auf Grund der im G. selbst enthaltenen Zuständigkeits­ regelung teils durch die Reichsregierung, teils durch die Landesregierung. Letzterer lag ins­ besondere die Durchführung der A. für Spargut­ haben und der Schuldverschreibungen öffentlichrechtlicher Kreditanstalten ob. Von grundlegen­ der Bedeutung ist die DurchfV. vom 29. 11. 1925 (RGBl. I 392). IV. Das AufwG. enthält in den §§ 1—3 all­ gemeine Vorschriften über den Gegenstand der A. und die Berechnung des ihr zugrunde zu legen­ den Goldmarkbetrags. Es folgen in den §§ 4—30 die Vorschriften über die A. von Hypotheken, §§ 31, 32 von Grundschulden, Rentenschulden, Reallasten, Schiffs- und Bahnpfandrechten, §§ 33—46 (V. vom 29. 8. 1925, RGBl. I 384, 18. 6. 1926, RGBl. I 273, und 28. 2. 1927, RGBl. 170) Jndustrieobligationen und verwandte Schuldverschreibungen, §§ 47—50 Pfandbriefe und verwandte Schuldverschreibungen, §§ 51—54 Schuldverschreibungen der Genossenschaften des öffentlichen Rechts und verwandter Körperschaf­ ten als Unternehmer wirtschaftlicher Betriebe (s. zu §§ 47—54 Art. Schuldverschreibungen, Aufwertung), §§ 55—58 Sparguthaben (s. d.), §§ 59—61 Versicherungsansprüche (s. d.), §§ 62 bis 66 sonstige Ansprüche, insbesondere aus Bermögensanlagen, Guthaben bei Fabrik- oder Werks­ sparkassen sowie Ansprüchen an Betriebspensions­ kassen (s. hierzu V. vom 8. 7.1926, RGBl. 1403), Kontokorrentforderungen (s. d.) und Bankgut­ haben. Es folgen schließlich (§§ 67—88) Vor­ schriften über Vergleiche und Vereinbarungen, gerichtliche Entscheidungen, Aufwertungsverfah­ ren, Schluß- und Übergangsregelung. Das G. vom 9. 7. 1927 enthält in Art. I Vorschriften über den Zinsenlauf, in Art. II Vorschriften, die der Beseitigung von Härten dienen, die sich aus der Anwendung des § 4 AufwG. (Verhältnis zwischen Hypothek und persönlicher Forderung) in der Praxis für den Gläubiger ergeben haben, Art. III Zusammenfassung mehrerer aufgewer­

teter Hypotheken zu einer einheitlichen Hypothek und andere Einzelfragen, Art. IV Vergleiche, Art. V Änderung des AnlAblG. (s. d.), Art. VI Ermächtigung der Reichsregierung. V. Die Geltendmachung von Aufwer­ tungsansprüchen erfolgt — soweit das AufwG. die Ansprüche abschließend regelt und der Streit die Höhe des Anspruchs betrifft — unter Aus­ schluß des ordentlichen Rechtswegs nach § 69 durch Anrufen der Aufwertungsstelle (Amts­ gericht; Art. 117 der V. vom 29. 11. 1925) nach Maßgabe des G. über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Gegen die Entschei­ dungen der Aufwertungsstelle findet sofortige Be­ schwerde und weitere Beschwerde, evtl. Sprung­ beschwerde statt. (Wegen der Zuständigkeit im Be­ schwerdeverfahren s. Art. I des G. vom 4. 8. 1924 sGS. 593], V. vom 27. 8. 1925 [$©. 109], wegen des Kostenwesens V. vom 28. 7. 1925 sGS. 103], B. vom 31. 8. 1925 sGS. 111], B. vom 13. 9. 1926 sGS. 253], Verfahren in Auf­ wertungssachen Allg. Vf. vom 11.1.1926 sJMBl. 10]). Die rechtskräftige Entscheidung der Auf­ wertungsstelle ist für Gerichte und Verwaltungs­ behörden bindend. Streitigkeiten über die Frage, ob überhaupt A. beansprucht werden kann, sind dagegen im ordentlichen Rechtsweg auszutragen. Für die A. von Sparguthaben und Versicherungs­ ansprüchen (s. d.) ist ein abweichendes Verfahren (Treuhänder, oberste Landesbehörde bzw. Treu­ händer, Aufsichtsbehörde) vorgesehen. Aufwer­ tungsstellen für die A. von Pfandbriefen öffentlichrechtlicher Kreditanstalten [§ 20 V. vom 10. 12. 1925 (GS. 169), §20 V. vom 15. 9. 1926 (GS. 255)] OP. bezw. RP., Landgericht. v. B. Kommentare von Quassowski, Schlegelberger-Harmening, Neukirch, Mügel, Michaelis.

Auszüge. I. Der in Art. 123 Abs. 1 RB. fest­ gelegte Grundsatz der Versammlungsfreiheit er­ streckt sich auch auf A. (Umzüge). Danach haben alle Deutschen das Recht, ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet A. zu veranstalten. Ausnahmen: 1. Innerhalb des befriedeten Bannkreises des Reichstagsgebäu­ des und der Landtagsgebäude dürfen Umzüge nicht stattfinden. Ausnahmen können für das Reichstagsgebäude von der Reichsregierung, für die Landtagsgebäude von den Landesregierungen im Einvernehmen mit dem Präsidenten des RT. oder des LT. zugelassen werden. Zuwiderhand­ lungen werden mit der Strafe des Auflaufs bzw. mit Gefängnis bestraft (s. G. über die Befriedung der Gebäude des RT. und der LT. vom 8.5.1920). 2. A. können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht werden (Art. 123 Abs. 2 RB.). Bisher ist ein solches G. nicht erlassen. 3. Bei unmittel­ barer Gefahr für die öffentliche Sicherheit können A. verboten werden (Art. 123 Abs. 2 RV.). 4. A. können auf Grund des § 14 Abs. 1 des G. zum Schutze der Republik vom 21. 7. 1922 verboten werden, wenn bestimmte Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis rechtfertigen, daß in ihnen Er­ örterungen stattfinden, die den Tatbestand einer der in den §§ 1—8 des G. bezeichneten strafbaren Handlungen bilden. Selbstverständlich unterliegen die A. den allgemeinen Strafbestimmungen und den bestehenden sicherheits- und ordnungs- (ins­ besondere den Verkehrs-) polizeilichen Vorschriften. II. Unter einem A. ist eine zu einem bestimmten

Aufzüge (Fahrstühle) — Auseinandersetzungen bei Veränderungen kommunaler Verbände

Zwecke vereinigte Menschenmenge zu ver­ stehen, die sich als ein geschlossenes Ganze in der Absicht, die Aufmerksamkeit des Publikums zu er­ regen, über öffentliche Straßen oder Plätze fort­ bewegt (OVG. vom 6. 2. 1903, PrVBl. 25, 45; KG- vom 21. 11. 1892, vom 5. 6. 1893, vom 25. 2. 1895 bei Groschuff, Die preuß. Strafgesetze 1904, 69). Ein rein zufälliges Zusammengehen einer größeren Anzahl von Menschen ist kein Ä.; es muß vielmehr durch die gemeinschaftliche Fort­ bewegung ein gemeinsamer Zweck verfolgt werden (KGJ. 2, 200; 26 C 39). Gewöhnliche Leichen­ begängnisse, gemeinsame Besichtigungen, Wan­ derungen u. ä. sind keine A. Gleichgültig ist es, ob die Fortbewegung im Gehen, Reiten oder Fahren besteht und letzterenfalls ob hierzu Wagen, Lastkraftwagen, Fahrräder oder Schiffe benutzt werden (KG. vom 27. 4. 1893, GoltdArch. 41, 74), ferner ob der Aufzug ein öffentlicher ist oder von einer geschlossenen Gesellschaft oder einem Ver­ ein ausgesührt wird. III. In einem auf öffentlichen Straßen oder Plätzen stattfindenden A. darf nach RVG. § 11 niemand bewaffnet erscheinen, der nicht ver­ möge öffentlichen Berufs zum Waffentragen be­ rechtigt oder zum Erscheinen mit Waffen behörd­ lich ermächtigt ist. „Waffe" ist ein Gegenstand, der entweder schon bei seiner Anfertigung von vornherein oder nach dem Willen des Trägers im Einzel falle dazu bestimmt ist, sei es im An­ griff, sei es in der Verteidigung, Verletzungen zu­ zufügen (RG. 44,141). Jedoch sind Gegenstände, die nur das Aussehen einer Waffe haben, aber zum Gebrauch als solche weder geeignet noch be­ stimmt sind, sondern nur als Schmuck oder Kostüm­ zubehör getragen werden (wie Paradeschläger) hierbei nicht als Waffen anzusehen (OVG. 20, 440; RGSt. 8, 87). Zuwiderhandlungen gegen das Waffenverbot sind nach § 19 Ziff. 2 RVG. strafbar. Hg. Auszüge (Fahrstühle). Die Einrichtung und der Betrieb von A. zur Beförderung von Menschen und Sachen, die überwachungsbedürftige Anlagen (s. d.) sind, ist durch übereinstimmende Polv. der OP. und des PolPräs. von Berlin geregelt (vgl. Erl. vom 8. 3. 1926 fAufzugsV.) HMBl. 201; nebst GebührenV. vom 8. 10.1926, HMBl. 300, und Best, über die Berechnung von Auszugsdraht­ seilen vom 17. 12. 1926, HMBl. 1927, 5). S. auch VerwaltungsgebührenV. v. 30. 12. 1926 (GS. 327). F.H. Auktionator, Auktionen s. Versteigerer, Versteigerungen. Auktionskommissare wurden in der früheren preuß. Gesetzgebung die Versteigerer genannt, wobei zwischen gerichtlichen und außergericht­ lichen A. unterschieden wurde. Die gerichtlichen A. waren Beamte; an ihre Stelle sind die Ge­ richtsvollzieher getreten, während die übrigen A. Gewerbetreibende waren, auf die j?tzt der § 36 GewO. Anwendung finden kann. Durch Ziff. 3 der Vorschriften für den Geschäftsbetrieb des Ver­ steigerers vom 10. 7. 1902 (HMBl. 279) ist den Versteigerern die Führung der Bezeichnung eines A. untersagt. F. H. Auseinandersetzungen bei Gemeinheiten s. G em ei nheitsteilungen, Guts herrlich­ bäuerliche Regulierungen.

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Auseinandersetzungen bei Veränderungen kom­ munaler Verbände. I. Allgemeine A. können infolge von Veränderungen der Grenzen der Kommunalverbände zwischen den hierbei be­ teiligten Verbänden erforderlich werden. Dies ist insbesondere der Fall bei Veränderung der Kreisgrenzen durch Ausscheiden von Städten aus dem bisherigen Kreisverbande oder durch Eingemeindungen, beim Ausscheiden von Land­ gemeinden aus dem Amtsbezirke, bei der Bil­ dung, Veränderung oder Aufhebung von Zweck­ verbänden sowie bei Veränderung der Grenzen der Stadt- und Landgemeinden, der Ämter in Westfalen und in der Rheinprovinz. Wegen der A. bei Auflösung von Gutsbezirken s. d. II. Zweck, Umfang und Wirkung der A. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen scheidet der von einem Kommunalverband abgetrennte Teil aus allen Rechten und Pflichten aus, die ihm auf Grund der bisherigen Zugehörigkeit zu­ kamen (vgl. OVG. 2, 12), während der Verband, dem ein anderer Verband völlig einverleibt wird, dessen Rechtsnachfolger in die kommunalen Rechte und Pflichten des einverleibten wird (RGZ. 68, 213, vom 17.1. 1908, PrVBl. 29, 666; RG. vom 12. 5. 1908, PrVBl. 30, 58). Bei Einverleibung eines ganzen Gutsbezirks meine Gemeinde gehen aber die gutsherrlichen Rechte und Pflichten unter (OVG. 31,175; 39, 109. — Die A. kann erst nach Eintritt der Bezirksveränderung bewirkt werden, aber schon vorher durch Verhandlungen mit den Beteiligten und Vereinbarungen zwischen ihnen vorbereitet werden (vgl. AussAnw. vom 28. 12. 1891, MBl. 1892,2, z. LGO. s. d. ö. Pr. 11 Ziff. 4 und MBf. vom 27. 11. 1901, MBl. 257). Sie kann für Fälle von Eingemeindungen, die im Wege der Gesetzgebung erfolgen, dadurch entbehrlich gemacht werden, daß bereits vor der Eingemeindung zwi­ schen den beteiligten Gemeinden „Bedingungen" für die Eingemeindung vereinbart werden, die demnächst in das Eingemeindung G. ausgenom­ men werden und mit ihm gesetzliche Geltung er­ langen (MErl. vom 4. 4. 1910, MBl. 78). S. Gemeindebezirke II. Die A. bezweckt in erster Linie die Verteilung des Vermögens und der Schulden des betreffenden Kommu­ nalverbandes (OVG. 7, 61), sowie die Über­ nahme fortlaufender Leistungen zu gemeinsamen Zwecken. Die A. hat auch privatrechtliche Verhältnisse zum Gegenstand (OVG- 2, 1 und 6,9). Die A. ist nach dem älteren Recht hier­ auf beschränkt, das noch für Veränderungen der Kreisverbände (s. Kreise), der Amtsbezirke (s. d.), der gemeinschaftlichen Polizeibezirke in Hessen-Nassau (s. Bürgermeistereibezirke), der Spritzenverbände, der Ämter in West­ falen und in der Rheinprovinz sowie der Ge­ meinden in Westfalen, der Rheinprovinz und Hannover (§ 25 ZG.) maßgebend ist. Es gilt hier die Regel, daß für die Erschwe­ rungen, die infolge der Umgemeindungen für einen der Beteiligten eintreten, der andere Be­ teiligte, der eine Erleichterung erfährt, Ent­ schädigung zu gewähren nicht verpflichtet ist (OVG. 13, 200). Über A. hinsichtlich einer Kreis­ sparkasse OVG. 10, 10; 13, 19; OVG. vom 12. 6. 1908, PrVBl. 30, 254. — Über A. beim Ausscheiden einer Stadt aus einem Landkreise s. Morgenbesser in PrVBl. 27, 331, bei Ein8*

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Auseinandersetzungsbehörden

Verleidung eines Gutsbezirks in eine Stadtge­ meinde OVG. 46, 147. Durch die neueren Ge­ meindeordnungen (§ 3 LGO- ö. Pr.; § 3 SchlHolst.; § 3 Hessen-Nassau; § 2 StO. für die­ selbe Provinz; § 3 HohenzollGemO.; § 7 ZweckverbG. vom 19. 7. 1911, GS. 115) ist bei der A. auch die Festsetzung von Bestimmungen zur Aus­ gleichung der öffentlichrechtlichen Interessen der bei einer Bezirksveränderung beteiligten Gemein­ den zugelassen worden. Solche Bestimmungen dürfen aber nur dann getroffen werden, wenn besondere Gründe hierfür vorliegen, namentlich wenn die Mehrbelastung des einen Beteiligten einen solchen Umfang erreicht, daß sie seine Lei­ stungsfähigkeit übersteigt oder der Billigkeit nicht entspricht. Darüber, ob diese Voraussetzungen tat­ sächlich vorliegen, hat die Beschlußbehörde oder der Verwaltungsrichter (s. unten IV) nach freiem Er­ messen zu entscheiden (OVG. 33 S. 151, 163, 166, 169; OVG. in PrVBl. 20, 421; 29, 603). Insbesondere ist hierbei auch zu berücksichtigen, ob der Zuwachs an Kommunallasten im ganzen in einem erheblichen Mißverhältnisse zu dem in­ folge der Eingemeindung eintretenden Zuwachs an Steuerkrast steht (OVG. 46,147). Uber die A. wegen der Kreisabgaben des umgemeindeten Teils s. OVG. 40, 155. — Zum Zwecke der Aus­ gleichung können insbesondere einzelne Beteiligte im Verhältnis zu anderen Beteiligten, die für ge­ wisse kommunale Zwecke bereits vor der Ver­ einigung für sich allein Fürsorge getroffen haben, oder solche Beteiligte, die vorwiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen, zu Voraus­ leistungen verpflichtet werden (vgl. OVG. 42,85). Erfährt eine Gemeinde durch die Abtrennung von Grundstücken eine Erleichterung in öffentlichrechtlichen Verpflichtungen, so kann ihr die Zahlung einer Beihilfe an die durch das Trenn­ stück vergrößerte oder die aus ihm neu gebildete Gemeinde auferlegt werden. Bei Bemessung der Beihilfe sind die Ausgaben maßgebend, Welche der letzteren infolge der Bezirksveründerung er­ wachsen. Die Beihilfe darf den Vorteil nicht über­ steigen, der für den verkleinerten Bezirk entstanden ist. Sie kann in Kapitalabfindung oder in Jahres­ renten oder in beiden bestehen. Der Umfang der zu gewährenden Entschädigung steht auch hier im Ermessen der die A. bewirkenden Behörde (OVG. im PrVBl. 24, 149; 26, 501). Die erwähnten Vorausleistungen werden in Gestalt von erhöhten Steuern aufzuerlegen sein (OVG. 42,85). — Eine Ausgleichung dieser Art kann auch bei der Ein­ richtung oder Veränderung von Zweckverbän­ den (s. d.) stattfinden. Insbesondere können hier einzelne Gemeinden (Gutsbezirke) zu Voraus­ leistungen verpflichtet werden, wenn diejenigen, mit denen sie verbunden werden sollen, für ge­ wisse Verbandszwecke bereits vor der Verbin­ dung für sich gesorgt oder aus anderen Gründen nur einen geringen Vorteil von der Verbindung haben (§ 7 ZweckverbandG.). Beteiligt sind bei einer A. die Gemeinden, Stadt oder Land, deren Grenzen geändert worden waren, bei der Umgemeindung eines Ortsteils dessen Bewohner und Grundeigentümer (OVG. 42, 85; PrVBl. 26, 501). Dagegen gelten nicht als beteiligt Ge­ meinden, deren Bezirk nicht geändert worden ist, die aber durch die erfolgte Bezirksveränderung eine Vergrößerung ihrer Lasten (z. B. bei der

Schulunterhaltnng) erfahren (OVG. 39, 109). — Über die A. bei Auflösung eines Zweckverbandes s. OVG. 53, 70. III. In verschiedenen Fällen der Änderung von kommunalen Bezirksgrenzen durch G. ist die da­ durch notwendig werdende Auseinandersetzung einem besonderen schiedsgerichtlichen Verfahren übertragen worden, oder es sind besondere über die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften hinaus­ gehende Grundsätze aufgestellt worden. Vgl. ins­ besondere G. vom 28. 10. 1926 (GS. 292), betr. Trennung der Provinzen Nieder- imt) Ober­ schlesien; G. vom 27. 4. 1920 (GS. 123), betr. die Bildung der Stadtgemeinde Groß-Berlin; G. vom 8. 7. 1927 (GS. 129), betr. Neuregelung der kommunalen Grenzen im Unterelbebezirk. IV. Verfahren bei A. Die A. wird, abge­ sehen von den unter III angeführten Sonder­ fällen, durch Beschluß des BezA. bewirkt, wenn sie zwischen Kreisverbänden erfolgen soll oder wenn bei ihr eine Stadtgemeinde beteiligt ist, im übrigen durch Beschluß des KrA. Gegen die Beschlüsse steht den Beteiligten innerhalb zwei Wochen die Klage im VwStr. bei den bezeichneten Behörden gegeneinander zu (OVG. 39, 117). Der Umfang des VwStr. wird durch den Inhalt des mit der Klage angefochtenen Beschlusses bestimmt (OVG. 33, 123, 139; PrVBl. 26, 561). In diesem Ver­ fahren ist nur über die von den Parteien gegen ein­ ander erhobenen Ansprüche zu entscheiden (OVG. 26,93 [101], doch ist die Klage auch gegen einen Be­ schluß zulässig, durch welchen der Antrag auf A. zurückgewiesen ist (OVG. im PrVBl. 19, 99). Der Kläger darf sich nicht auf das Verlangen be­ schränken, daß gewisse Grundsätze für die A. fest­ gestellt werden sollen, sondern muß eine be­ stimmte Festsetzung der Anteile der Parteien an der zu verteilenden Kommunallast oder die Ge­ währung einer bestimmten Entschädigung für alleinige Übernahme einer Last beantragen (OVG. im PrVBl. 26, 561). v. B. AuSeinandersehungSV eh örden. Die Ausfüh­ rung der älteren AgrarG. (s. Agrargesetz­ gebung) war zunächst den ordentlichen Gerichten und Verwaltungsbehörden überlassen worden. Zur Ausführung des Negulierungsedikts vom 14. 9. 1811 '(s. Gutsherrlich-bäuerliche Re­ gulierungen) wurden jedoch bereits im Jahre 1811 besondere „Generalkommissionen" — je eine für jede Provinz — und außerdem im Jahre 1811 zur Entscheidung der zur Zuständigkeit der Gene­ ralkommission gehörigen Streitigkeiten in dei Appellationsinstanz besondere „Revisionskolle­ gien" errichtet. Beider innere Einrichtung unt Verfahren erfuhr eine nähere Ordnung durch die V. vom 20. 6. 1817 (GS. 161) wegen Organi­ sation der Generalkommissionen und der Revi­ sionskollegien zur Regulierung der gutsherrlicher und bäuerlichen Verhältnisse, ingleichen weger des Geschäftsbetriebs bei diesen Behörden. Jr der Folge haben Sitze und Geschäftsbezirke diese, Behörden vielfache Änderungen erfahren, ins­ besondere wurden einzelne Generalkommissioner mit den Reg. vereinigt und bei diesen für dü Entscheidung von Streitigkeiten besondere Justiz­ deputationen (als Spruchkollegien) errichtet; ar Stelle der letzteren traten später besondere Spruch­ kollegien für landwirtschaftliche Angelegenheiten die Entscheidung der Streitigkeiten in der Appel

Auseinandersetzungsverfahreu in der Prov. Hannover lationsinstanz verblieb dabei den (erst 5, später 8) Revisionskollegien, die später zu einem „Revisionskollegium für Landeskultr^rsachen" in Berlin vereinigt wurden, das durch das G. vom 18. 2. 1880/22. 9. 1899 (GS. 1880, 59; 1899, 284) die Bezeichnung „Oberlandeskulturgericht" er­ hielt (s. Generalkommission). Alle diese Be­ hörden faßte man unter der Bezeichnung „Aus­ einandersetzungsbehörden" zusammen. Die Über­ tragung der Bearbeitung von Auseinandersetzungsangelegenheiten (zu denen man im wei­ teren Sinne die zur Zuständigkeit der A. ge­ hörenden Geschäfte zu rechnen pflegt) auf Reg. wurde lpäter wieder rückgängig gemacht, so daß diese zuletzt ausschließlich von Generalkommis­ sionen (s. d.) bearbeitet wurden. A. waren daher nur die ausschließlich landwirtschaftlichen Behör­ den: Generalkommissionen (einschl. Spezial­ kommissare) und das Oberlandeskulturgericht. Das RG. dagegen, das für das in einzelnen Fällen zulässige Rechtsmittel der Revision gegen Ent­ scheidungen des Oberlandeskulturgerichts zu­ ständig ist, gehörte nicht zu ihnen. Durch das G. über Landeskulturbehörden vom 3. 6. 1919 (GS. 109) sind diese A. in Landeskulturbehörden umgewandelt, wobei das Oberlandeskulturamt, die Landeskulturamtspräsidenten und die Kultur­ amtsvorsteher an die Stelle des Oberlandes­ kulturgerichts, der Generalkommissionen und der Spezialkommissare traten und zur Entschei­ dung von Streitigkeiten bei den LKA. beson­ dere Spruchkammern eingerichtet wurden. Diese Landeskulturbehörden sind jetzt gleichzeitig auch A. (s. Landeskulturbehörden). Pr.

Anseinandersetzungsverfahren in der Prov. Hannover. Das Verfahren ist für die Ablösung von Reallasten einerseits, die Gemeinheitstei­ lungen, Verkoppelungen (Umlegungen) und Ab­ lösung von Dienstbarkeiten andererseits, ver­ schieden geordnet. 1. Für das Verfahren zur Ablösung von Real­ lasten gilt noch die alt-hannoversche Ablösungs­ ordnung vom 23. 7. 1833. Diese überträgt das Ablösungsgeschäft in den §§ 242fs. den nach der V. vom 10.11. 1831 zu bildenden besonderen Ablösungs- (Distrikts-) Kommissaren, in zweiter In­ stanz der Landdrostei, in letzter Instanz einer be­ sonderen Ministerialabteilung (§§ 264, 266). An die Stelle der Landdrostei ist zwar durch § 1 der V. vom 16. 8. 1867 (GS. 1522) die General­ kommission und an die Stelle der Ministerial­ abteilung durch § 2 daselbst das Revisions­ kollegium, spätere Oberlandeskulturgericht ge­ treten, die besonderen Ablösungskommissionen sind aber bestehen geblieben (s. Generalkommis­ sionen I 2). Auf sie findet daher § 1 des G. vom 9. 6. 1919, wonach die Geschäfte der Spezial­ kommissionen von den Kulturamtsvorstehern be­ arbeitet werden, keine Anwendung; ebensowenig gelten für sie die für das Verfahren des Kultur­ amtsvorstehers sowie die über das Kostenwesen der Landeskulturbehörden gegebenen Vorschriften, vielmehr sind dieserhalb die seitherigen Vor­ schriften für das Ablösungsverfahren unberührt geblieben (OLA. Beschluß vom 27. 4. 1921 in ZfA. 1, 68). Dagegen ist nach § 31 des G. vom 9. 6. 1919 an die Stelle der früheren Landdrostei, späteren Generalkommission, die Spruchkammer und an die Stelle des Oberlandeskulturgerichts

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das OLA. getreten. Gegen die von den Ab­ lösungskommissionen abgegebenen entscheidenden Verfügungen findet hiernach der Rekurs an die Spruchkammer statt. Dieser muß binnen einer unerstreckbaren Frist von 30 Tagen von der im Termine geschehenen Eröffnung oder von der Zustellung an gerechnet eingelegt und binnen sechs Wochen gerechtfertigt werden. Die Spruch­ kammer kann über ihn entweder sofort entscheiden oder eine weitere Untersuchung der Sache an­ ordnen. Die Entscheidung muß schriftlich und mit der Anführung von Gründen erfolgen. Gegen sie ist bei Werten von wenigstens 200 Talern weiterer Rekurs an das OLA. zulässig, auf dessen Behandlung die für den Rekurs gegebenen Vor­ schriften gleichmäßige Anwendung finden. Uber die Auseinandersetzung ist ein Rezeß aufzunehmen und von der Ablösungskommission zu bestätigen. Bei der Ablösung der Erbenzins- und Erbpacht­ verhältnisse in den Moor- und Vehnkolonien (s. Ablösung der Reallasten II5) entschied über die Zulässigkeit des Ablösungsantrags früher die Generalkommission nach Benehmen mit dem RP., in zweiter Instanz das Oberlandeskultur­ gericht. Da nach dem G. vom 9. 6. 1919 die sämtlichen Geschäfte der Generalkommission auf die LKÄ. übergegangen sind, sind diese auch zur Entscheidung über Anträge der bezeichneten Art zuständig, und zwar liegt die Entscheidung der Spruchkammer ob, weil es sich auch nach früherem Rechte nicht um eine Verwaltungsentscheidung handelt, sondern um eine richterliche, die wegen ihrer Schwierigkeit und Tragweite der im übrigen die Regel bildenden Entscheidung der Ablösungs­ kommission entzogen und der Provinzialinstanz übertragen war. 2. Das Verfahren in Gemeinheitsteilungs-, Berkoppelungs- (Umlegungs-) und Dienstbar­ keitsablösungssachen war früher geordnet durch die G. vom 30. 7. 1842 (Hann. GS. Abt. I 145), vom 8. 11.1856 (a. a. O. I 437), vom 28. 12. 1862 (a. a. O. I 415) und vom 13. 6. 1873 (GS. 357), wurde dann aber durch G. vom 17. 1. 1883 (GS. 7) erheblich umgestaltet und mehr den Hauptgrundsätzen des altpreußischen Verfahrens angepaßt. Das Verfahren ist in allen Teilen von Amts wegen zu leiten, und zwar liegt die Leitung dem Kulturamtsvorsteher selbständig ob. Ein be­ sonderes Streitverfahren gab es nicht, vielmehr hatte der Kulturamtsvorsteher nach § 8 des G. vom 30. 6. 1842 in Verbindung mit dem § 2 des G. vom 17. 1. 1883 die Entscheidung über alle streitigen, durch Beschlüsse der Teilnehmer oder durch Vergleiche nicht zu beseitigenden Gegen­ stände; den Entscheidungen waren in wichtigeren Fällen die Gründe einzuschalten oder anzuhängen. Gegen die Beschlüsse fand Beschwerde an die Generalkommission und gegen deren Entscheidung an das Oberlandeskulturgericht statt. Jetzt gelten für die Behandlung von Streitigkeiten die gleichen Vorschriften wie in den übrigen Teilen des Staates (s. A. mit Ausschluß der Prov. Han­ nover). Besondere Vorschriften galten für die Einleitung neuer Sachen. Wurde ein Antrag, der schriftlich oder mündlich bei der General­ kommission anzubringen war, gestellt, so wurde von dieser zunächst ein Vorverfahren darüber eröffnet, ob die Teilung rechtlich verlangt werden könne, ob sie landespolizeilich zuzulassen und ob

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Auseinandersetzungsverfahren mit Ausschluß der Prov. Hannover und des NegBez. Wiesbaden

sie landwirtschaftlich nützlich sei. Die Untersuchung des letzten Punktes konnte nur auf ausdrücklichen Antrag vorgenommen werden (OLA. 7. 3. 1924 in ZfA. 3, 217). Dieses Verfahren wurde von dem Spezialkommissar geleitet und schloß mit der Entscheidung der Generalkommission darüber ab, ob der Antrag „stattnehmig" sei. Abweichend von der Regel des § 4 Abs. 1 des G. vom 9.6.1919, wonach der Kulturamtsvorsteher die Entscheidung durch Beschluß gemäß § 21 a. a. O. zu treffen hätte, hat § 31 dieses G. die Entscheidung über die Stattnehmigkeit der Spruchkammer über­ tragen und in fernerer Abweichung von der Regel des § 25 gegen ihre Entscheidung Beschwerde an den MfL. statt an das OLA. gegeben. Die Frist für die Anrufung des MfL. beträgt ebenfalls ab­ weichend von der Regel vier Wochen. Diese Vor­ schrift hat inzwischen ihre Bedeutung dadurch größtenteils verloren, daß auch in der Prov. Hannover die Umlegungsordnung vom 21. 9.1920 (GS. 453) eingeführt ist. Nach deren § 7 ent­ scheidet über die Zulässigkeit der Umlegung die Spruchkammer des LKA., gegen deren Beschluß Beschwerde an das OLA. zulässig ist(s.Umlegung ländlicher Grundstücke). Für Gemeinheits­ teilungen (Markenteilung, Aushebung von Weide-, Plaggenhiebsrechten, Abstellung der auf Forsten hastenden Berechtigungen und Teilung gemein­ schaftlicher Forsten) ist aber eine Änderung der bestehenden Vorschriften nicht eingetreten, so daß je nachdem es sich um die Einleitung einer Ge­ meinheitsteilung oder einer Umlegung handelt, die letzte Entscheidung über ihre Zulässigkeit zwei verschiedene Stellen treffen: der MfL. oder das OLA. Ist die Stattnehmigkeit rechtskräftig aus­ gesprochen, so folgt das Hauptverfahren. Dieses umfaßt die Feststellung der dem Verfahren unterworfenen Gegenstände nach Begrenzung, Größe und Ertragsfähigkeit, die Feststellung der Beteiligten und ihrer Rechte, sowie diejenige des Teilungsmaßstabes, endlich die Ausmittlung der Abfindungen. In dem sich anschließenden Schlußversahren wird der Auseinander­ setzungsplan entworfen und sämtlichen Beteilig­ ten „eröffnet". Nachdem die etwa erhobenen Widersprüche nötigenfalls durch Beschlüsse wie auch in den übrigen Teilen des Staates be­ seitigt sind — auch die Folgen unentschuldigten Ausbleibens im Termin zur Eröffnung können durch Beschluß des Kulturamtsvorstehers fest­ gestellt werden (OLA. in ZfA. 8,172)—, wird der Rezeß („die Teilungsurkunde") entworfen und zur Vollziehung durch die Beteiligten ge­ bracht. Der vollzogene Rezeß wird durch den Landeskulturamtspräsidenten bestätigt, wonächst die Abfindungen den Teilnehmern zur Benutzung überwiesen werden. Die Berichtigung des Grund­ buchs hat der Kulturamtsvorsteher zu veranlassen. Hinsichtlich des Ansatzes und der Erhebung der Kosten sind im allgemeinen die gleichen Vor­ schriften wie in den übrigen Teilen des Staates anzuwenden (s. A. mit Ausschluß der Prov. Hannover V). Pr. Walbaum, Das Verfahren in Teilungs- und Berkoppelungssachen, 1890; Heyer, Landesökonomiegesetzgebung des Königreichs Hannover, Hannover 1866.

Auseinandersetzungsverfahren mit Ausschluß der Prov. Hannover und deS NegBez. Wies­ baden. I. Einleitung. Während das G. über

Landeskulturbehörden vom 9. 6. 1919 (GS. 101) die Organisation der Landeskulturbehörden nahe­ zu erschöpfend geregelt hat, hat es sich hinsichtlich des Verfahrens darauf beschränkt, für die Be­ handlung der Auseinandersetzungsangelegenheiten einige wenige neue Vorschriften zu geben. Durch sie in Verbindung mit dem Umstande, daß jetzt der Kulturamtsvorsteher, also die örtliche und nicht mehr die Provinzialbehörde, die selbständige erste Instanz bildet, ist eine wesentliche Umgestaltung, namentlich eine erhebliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens erreicht worden. Wesentlich hat dabei auch auf die Umgestaltung das sog. Streitverfahren mitgewirkt. Während nämlich die entstehenden Streitigkeiten früher in einem besonderen, im allgemeinen an die ZPO. sich anlehnenden völlig schriftlichen Verfahren (dem sog. „Streitverfahren") durch den Spezial­ kommissar zur richterlichen Entscheidung durch die Generalkommission vorbereitet („instruiert") wer­ den mußten, entscheidet jetzt der Kulturamts­ vorsteher darüber selbst durch einen Beschluß (s. unten unter IV). Das ganze A. einschließlich der Erledigung der Streitigkeiten liegt also jetzt allein in der Hand des Kulturamtsvorstehers. Im übrigen hat das G. vom 3. 6. 1919 die geltenden Versahrensvorschriften in der Hauptsache un­ berührt gelassen, aber nur für das Ver­ fahren des Kulturamtsvorstehers, also nur für die erste Instanz; für das Verfahren der höheren Instanzen: der Spruchkammer und des Oberlandeskulturamts, hat es das LandesverwaltungsG. und die übrigen für die Bearbeitung der Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwal­ tung ergangenen gesetzlichen — nicht auch Verwaltungs- — Vorschriften für sinngemäß an­ wendbar erklärt (§ 17 des G. vom 8. 6. 1919). Die Versahrensvorschriften sind infolgedessen recht unübersichtlich. Die für das Verfahren in erster Instanz maßgebenden Vorschriften finden sich in einer großen Anzahl meist älterer G. zerstreut. Die wichtigsten dieser G. sind die V. vom 20. 6. 1817 (GS. 161) — nachstehend als V. 17 bezeichnet —, das AG. vom 7. 6. 1821 (GS. 83), die V. vom 30. 6. 1834 (GS. 96) — nachstehend als V. 34 bezeichnet —, das G. wegen Sicherstellung der Rechte dritter)Personenvom29.6.1835 (GS. 135), die B. vom 22. 11. 1844 (GS. 1845, 19), §§ 106 bis 111 des ReallastenablösungsG. vom 2. 3. 1850 (GS. 77), Art. 15 des ErgänzungsG. vom2.3. 1850 (GS. 139) und das G. vom 18. 2.1880 in der Fassung des G. vom 22. 9. 1899 (GS. 284). Die Grundlage aller Verfahrensvorschriften bildet die V. 17. Diese bezog sich nur auf die Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse, für die allein die Generalkommissionen damals zuständig waren. Erst später wurde ihnen, und zwar nach und nach, die GemT. sowie die Ablösung der Dienstbarkeiten und Reallasten übertragen. Bei der Überweisung neuer Geschäfte wurden aber entweder keine oder doch nur wenige besondere Verfahrensvorschristen gegeben, und daher haben von den ursprünglich nur für die Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse gegebe­ nen Vorschriften auf die Erledigung anderer Ge­ schäfte diejenigen Anwendung zu finden, welche der Natur des gerade vorliegenden Geschäfts ent­ sprechen. Dieses auf der V. 17 beruhende und namentlich durch die V. 34 ergänzte Verfahren

Auseinandersetzungsverfahren mit Ausschluß der Prov. Hannover und des RegBez. Wiesbaden

kommt auf Grund zahlreicher SonderG-, deren Aufführung im einzelnen hier zu weit führen würde, in den sämtlichen hier der Darstellung unterliegenden Gebietsteilen zur Anwendung; jedoch gelten für die Güterkonsolidation im Reg­ Bez. Wiesbaden besondere Vorschriften, die eine gesonderte Darstellung verlangen (s. Güter­ konsolidation im RegBez. Wiesbaden). II. Grundzüge des Verfahrens. Unter Berücksichtigung der durch das G. vom 9. 6. 1919 gegebenen neuen Vorschriften gestaltet sich ein A. folgendermaßen. Grundsätzlich ist davon auszu­ gehen, daß die Landeskulturbehörde in den zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Auseinander­ setzungsangelegenheiten stets eines Antrags be­ darf. Eine Ausnahme macht in dieser Beziehung nur eine, allerdings eine der wichtigsten Aufgaben, nämlich die Umlegung von Grundstücken, die aus Grund der Umlegungsordnung vom 21. 9. 1920 (GS. 453) von Amts wegen eingeleitet werden kann (s. Umlegung ländlicher Grundstücke). Ist aber ein Verfahren eingeleitet, so ist es in allen Teilen von Amts wegen zu leiten und mög­ lichst im Wege der Güte durchzuführen. Wo Streitigkeiten nicht zu vermeiden sind, waren sie früher richterlich, und sind sie jetzt durch Beschluß des Kulturamtsvorstehers zu entscheiden (s. unten unter IV). Das „Offizialprinzip" bringt es mit sich, daß die einmal angefangene Auseinander­ setzung ununterbrochen fortgesetzt werden muß und daß der Kulturamtsvorsteher bei allen und jeden Teilstücken des Verfahrens selbsttätig dafür zu sorgen hat, daß in einem folgerechten Verlaufe alles Sachgehörige herbeigeschafft werde (§ 72 V. 17; § 17 B. 34). Insbesondere hat er sich keineswegs auf die Erklärungen der Beteiligten zu beschränken, sondern auch unabhängig von diesen alle Nachrichten über Sach- und Rechts­ verhältnisse, welche auf die Auseinandersetzung von Einfluß sein können, auf dem kürzesten Wege herbeizufchaffen. Selbstverständlich ist es auch seine Pflicht, dafür zu sorgen, daß alle Beteiligte zur Sache vorschriftsmäßig zugezogen werden, und zwar nicht nur diejenigen, welche das Ver­ fahren unmittelbar betrifft, sondern auch alle die­ jenigen, in deren Rechten durch die Auseinander­ setzung eine Änderung bewirkt wird (§ 90 53. 17; § 17 V. 34; wegen der sog. Verwendungs­ regulierung s. Verwendungsverfahren). Um die Sache im Wege der Güte beilegen zu können, müssen die Kulturamtsvorsteher nicht nur den Be­ teiligten mit ihren wohlüberdachten, der Örtlich­ keit und ihrem gegenseitigen Verhältnis ange­ messenen Vorschlägen an die Hand gehen, son­ dern auch jedes rechtliche und billige Abkommen unterstützen (§ 41 V. 17). Sie sind aber, da sie nicht nur das Interesse des Einzelnen, sondern auch das auf die Hebung der Landeskultur ge­ richtete allgemeine Interesse wahrzunehmen haben, nicht etwa an die Vereinbarungen der Beteiligten gebunden (vgl. § 46 V. 17; §9des AG. vom 7. 6. 1821; § 38 V. 34). III. Regulierungsverfahren. Alle An­ träge auf Einleitung von A. („Provokationen") find an den Kulturamtsvorsteher zu richten (§ 9 Satz 2 des G. vom 9. 6. 1919). Er befindet selb­ ständig, ob dem Anträge zu entsprechen ist oder nicht; nur zur Einleitung eines Verfahrens zur Begründung von Rentengütern, insoweit das

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Rentengut durch Vermittlung des Kulturamts­ vorstehers begründet werden soll — auf das nach § 12 Abs. 4 des RentengutsG. vom 7. 7. 1891 (GS. 279) die für GemT. geltenden Vorschriften mit einigen Maßgaben Anwendung finden —, bedarf er der Genehmigung des Landeskultur­ amtspräsidenten im einzelnen Fall, soweit ihm dieser nicht für einfachere Sachen die Ermäch­ tigung zur selbständigen Einleitung des Ver­ fahrens erteilt hat (§ 16 II 1 des G. vom 9. 6. 1919). Für die Einleitung eines Umlegungsver­ fahrens gelten besondere Vorschriften (s. Um­ legung ländlicher Grundstücke). Sollte gleich bei Stellung eines Antrags Streit über das Bestehen von Rechten entstehen, die die Voraus­ setzung des Verfahrens bilden, z. B. über das Bestehen der abzulösenden Reallasten oder Dienst­ barkeiten oder über das Eigentum an einem der Teilung zu unterwerfenden Grundstück, so würde über diesen nicht der Kulturamtsvorsteher zu be­ schließen haben, sondern es würde darüber von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden sein. Der gestellte Antrag bestimmt zwar im all­ gemeinen die Richtung des einzuschlagenden Ver­ fahrens, doch hat der Kulturamtsvorsteher von vornherein zu erwägen, ob diesem nicht zweck­ mäßig ein größerer Umfang zu geben sein wird, und dann hierauf hinzuwirken (8 17 V. 34). Zu­ nächst werden mit den Beteiligten die in Betracht kommenden Sach- und Rechtsverhältnisse er­ örtert; ihr Ergebnis wird in einer „General­ verhandlung" niedergelegt (§ 89 V. 17). Diese bildet die Grundlage der weiteren Verhandlungen und ist auch dazu bestimmt, der Aufsichtsbehörde ein allgemeines Bild von dem Gegenstände der Auseinandersetzung zu geben. Sache des Kultur­ amtsvorstehers ist es, die Richtigkeit der gemachten Angaben zu prüfen, für die Legitimation der zu­ gezogenen Beteiligten zu forgen, was der Regel nach unter Benutzung des Grundbuchs geschieht, und behufs Aufstellung des Auseinandersetzungs­ planes zunächst die bestehenden Teilnahmerechte und deren Werte zu ermitteln. Soweit hierbei Messungsarbeiten erforderlich sind, werden sie durch die dem Kulturamtsvorsteher beigegebenen Vermessungsbeamten ausgeführt. Muß eine Wertschätzung von Grundstücken vorgenommen werden, so werden sie „bonitiert", d. h. durch zwei von den Beteiligten zu wählende oder auch von dem Kulturamtsvorsteher zu ernennende bebesonders ausgebildete Sachverständige (Boni­ teure) in Klassen eingeschätzt, die für die gegebene Örtlichkeit ermittelt und von dem Kulturamts­ vorsteher zwar nach Rücksprache mit den Boni­ teuren und den gemeinschaftlichen Bevollmäch­ tigten und unter beratender Mitwirkung des Sachlandmessers, aber doch nach seinem alleinigen Ermessen festgesetzt werden. Die Ergebnisse der Vermessung und Bonitierung werden in Karten eingetragen, dort berechnet, in einem „Ver­ messungs-Bonitierungsregister" (oder auch Schät­ zungsregister) zusammengestellt und demnächst den Beteiligten zur Anerkennung vorgelegt. Ent­ stehen hierbei Streitigkeiten über die Bonitierung, so beschließt hierüber, falls eine nochmalige Unter­ suchung nicht zu ihrer Erledigung führt, der Kulturamtsvorsteher unter Mitwirkung der von den Beteiligten gewählten gemeinschaftlichen Be­ vollmächtigten (§§ 113ff. V. 17; 88 3ff. B. 34;

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Auseinandersetzungsversahreu mit Ausschluß der Prov. Hannover und des RegBcz. Wiesbaden

§ 23 des G. vom 9. 6. 1919). Auf Grund der Ver­ messung und Bonitierung wird eine „Sollhaben­ berechnung", d. h. eine Zusammenstellung an­ gefertigt, in der für jeden Teilnehmer berechnet ist, mit welchem Werte er an dem Gegenstände der Auseinandersetzung beteiligt ist. Auch diese wird den Beteiligten zur Anerkennung vorgelegt. Sind auf diese Weise die Unterlagen für eine Auseinandersetzung der Beteiligten beschafft, so wird zur Aufstellung des „Auseinander­ setzungsplanes" geschritten. Dieser hat sich den örtlichen Verhältnissen anzupassen und die Wünsche der Beteiligten möglichst zu berück­ sichtigen; diese sind jedoch für den Kulturamts­ vorsteher nur soweit bindend, als die Wahl des Abfindungsmittels gesetzlich der Bestimmung der Beteiligten überlassen ist. Bei der Ausstellung des Planes ist namentlich auf die Beschaffung eines ausreichenden Wege- und Grabennetzes, auf die Ermöglichung oder Ausführung von Meliorationen, aber auch im übrigen auf mög­ lichst vollkommene Planlagen Bedacht zu nehmen (§9 des AG. vom 7.6.1821); aus ihm muß genau ersichtlich sein, was jeder einzelne erhalten und wie der Zustand der Feldmark künftig sein soll. Die Ausstellung des Auseinandersetzungsplanes liegt in Umlegungssachen zum großen Teil in der Hand des Sachlandmessers, dem hierbei möglichst freie Hand gelassen werden soll (Anweisung des MfL. vom 26. 8. 1922, MBlMsL. 599). Der Plan wird den Beteiligten an Ort und Stelle verdeutlicht und ihnen dann zur Anerkennung vorgelegt. Entstehen dabei Streitigkeiten über die Plan­ lage, die auch durch spätere Verhandlungen nicht beseitigt werden können, so hat hierüber der Kulturamtsvorsteher durch einen Beschluß zu ent­ scheiden, an dem die von den Beteiligten ge­ wählten gemeinschaftlichen Bevollmächtigten mit­ zuwirken haben. Diese können sich nicht durch andere Personen vertreten lassen (OLKA.3.11. 1920; ZfA. 1,63). Bei den dieserhalb zu führenden Verhandlungen hat der Sachlandmesser die Plan­ zuteilung zu vertreten. Ist die Anerkennung des Planes beschafft (betreffs Anfechtung eines Plan­ anerkenntnisses wegen Irrtums vgl. OLKA. 4. 5. 1922; ZfA. 2, 58), so erfolgt seine Aus­ führung, und zwar entweder in dem durch Einigung der Beteiligung oder durch den Kultur­ amtsvorsteher bestimmten Zeitpunkte. Unter be­ sonderen Verhältnissen kann die Ausführung auch trotz des Widerspruchs einzelner Beteiligten angeordnet werden. Gegen ihre Anordnung ist nur Beschwerde im Aussichtswege zulässig (OL­ KA. in ZfA. 6, 344). Nach der V. 17 galt als Regel, daß die Ausführung erst nach der Rezeß­ bestätigung stattfinden solle (§§ 202ff. V. 17; § 6 der B. vom 22. 11. 1844), diese Regel ist aber im Laufe der Zeit zur Ausnahme und die da­ malige Ausnahme — Ausführung vor der Rezeß­ bestätigung — zur Regel geworden. Zur Aus­ führung der Auseinandersetzung gehört nicht allein die Übergabe der neuen Abfindungen, deren Grenzversteinung, sowie die erstmalige Instandsetzung der gemeinschaftlichen Anlagen, Wege, Gräben usw., sondern auch die Berich­ tigung des Grundbuchs und überhaupt die Ord­ nung aller derjenigen Rechtsverhältnisse, welche infolge der Auseinandersetzung nicht in ihrer seitherigen Lage verbleiben können (§§ 196sf.

V. 17), insbesondere auch der Verhältnisse zwischen den unmittelbaren Teilnehmern und Dritten (Pächtern, Nießbrauchern, Hypothekengläubigern u. dgl. m.). Auf Grund des ausgeführten end­ gültig festgestellten Auseinandersetzungsplanes hat die Bezirksregierung die Fortschreibung der Grundsteuer von Amts wegen zu veranlassen (§ 2 des G. vom 26. 6. 1875, GS. 325). Über den Zeitpunkt, wann das Eigentum an Abfindungs­ stücken übergeht, s. Umlegung ländlicher Grundstücke. Nachdem die Ausführung ge­ schehen, ist vom Kulturamisvorsteher der „Rezeß" zu errichten. Dieser muß eine deutliche und be­ stimmte Beschreibung des Ergebnisses der Aus­ einandersetzung hinsichtlich des Hauptgegenstandes und der Nebenpunkte enthalten und den demnächst auf der Feldmark geltenden neuen Zustand und die Rechtsverhältnisse der dem Verfahren unter­ worfen gewesenen Grundstücke erkennen lassen. Er enthält nicht nur privates, sondern auch öffentliches Recht und bildet in dieser Beziehung einen Teil der Ortsverfassung. Der Rezeß ist von den Beteiligten vor dem Kulturamtsvorsteher zu vollziehen und von diesem zu „bestätigen". Ausnahmsweise liegt jedoch dem Landeskul­ turamtspräsidenten die Bestätigung der Rezesse in Gemeinheitsteilungs-, Umlegungs- und Schul­ zendienstlandsachen ob, sowie derjenigen über die Ablösung von Dienstbarkeiten, auch wenn sie ohne Vermittlung einer öffentlichen Behörde ab­ geschlossen sind (§16116 des G. vom 9. 6. 1919). Der so vollzogene Rezeß schließt das Verfahren — worauf die Beteiligten besonders aufmerksam zu machen sind — dergestalt ab, daß die zu­ gezogenen Beteiligten nicht nur mit keinen Ein­ wendungen wegen der in ihm bestimmten Gegen­ stände, sondern auch mit keinen Nachforderungen aus Rechte, die den Gegenstand des Verfahrens bildeten oder darin zu regeln waren, weiter gehört werden können (§ 170 V. 17). Aus Grund des Rezesses sind etwa noch vorgekommene Ab­ änderungen des Auseinandersetzungsplanes . im Kataster fortzuschreiben, und ebenso ist auf seiner Grundlage das Grundbuch endgültig zu berich­ tigen (§ 197 B. 17; G. vom 26. 6. 1875; Art. 12, 13 AG. z. GBO.; § 39 GBO.). Der Rezeß hat die Wirkung einer gerichtlich bestätigten Urkunde, aus der die Zwangsvollstreckung auch gegen et­ waige Vesitznachfolger (AKabO. vom 18.12.1841, GS. 1842, 17), und zwar durch den Kulturamts­ vorsteher, stattsindet (§ 205 V. 17; §93 G. 80/99). Ausfertigung des Rezesses und der zugehörigen Karten werden dem Landratsamt zur Aufbewah­ rung übersandt; auch die Beteiligten erhalten eine Ausfertigung. Zur Feststellung der Grund­ erwerbsteuerfreiheit von Planüberweisungen im Auseinandersetzungsverfahren (§ 8 Abs. 1 Ziff. 7, § 24 des GrunderwerbsteuerG. vom 12. 9. 1919, RGBl.67) ist die für das Grundbuchamt bestimmte Ausfertigung des Rezesses zunächst der zuständi­ gen Grunderwerbsteuerstelle zuzuleiten, diese hat unter ihr, vor ihrer Weiterleitung an das Grund­ buchamt die Grundsteuerfreiheit mit dem Be­ merken zu bescheinigen, daß auf die Erteilung von Übereignungsanzeigen betreffend der in dem Re­ zesse enthaltenen Grundstücksübertragungen durch das Grundbuchamt verzichtet wird (Erl. vom 1. 9. 1924, MBlMfL. 515, ZfA. 8,180). Über die Aus­ führung der Auseinandersetzung muß eine von

Auseinandersetzungsverfahren mit Allsschluß der Prvv. Hannover und des RegBez. Wiesbaden den Beteiligten zu vollziehende, die Art der Aus­ führung im einzelnen nachweiseude „Ausführungs­ verhandlung" ausgenommen werden. Erfolgte die Ausführung vor der Rezeßbestätigung, so wird die Verhandlung in Verbindung mit der Rezeßvoll­ ziehung, anderenfalls aber selbständig ausge­ nommen (§ 201 V. 17). — Das vorstehend ge­ schilderte Verfahren geht davon aus, daß die Be­ teiligten in den Terminen erscheinen und die er­ forderlichen Erklärungen abgeben. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, kann doch die Sache noch ohne Weiterungen durchgesührt werden. Wenn nämlich die Beteiligten trotz ordnungsmäßiger La­ dung im Termine nicht erscheinen oder zwar er­ scheinen, aber nicht verhandeln, tritt das Ver­ säumnisverfahren ein. Einer Androhung der gesetzlichen Folgen der Versäumung bedarf es nicht; es genügt, wenn in der Vorladung der Gegen­ stand der bevorstehenden Verhandlung nur im all­ gemeinen mitgeteilt und die Gelegenheit bekannt­ gemacht wird, wo die Urkunde, auf die sie sich beziehen soll, in der Nähe des Ortes der Regulierung eingesehen werden kann (§ 145 V. 17; § 231 ZPO.). Gegen den Säumigen wird dann angenommen, daß er die vom Gegenteile an­ gegebenen Gerechtsame, ebenso auch die vor­ gelegten Register, Berechnungen, Gutachten u. dgl. m. anerkenne und es auf die ge­ setzmäßige Regulierung durch den Kulturamts­ vorsteher ankommen lasse. Einer ausdrücklichen Feststellung dieser Folgen der Versäumnis bedarf es nicht, vielmehr wird den weiteren Verhand­ lungen das aus der Versäumnis sich Ergebende als feststehend zugrunde gelegt. Nur muß, wenn neue Termine anberaumt werden, dem in dem früheren Termin Ausgebliebenen hiervon Nach­ richt gegeben, und wenn er erscheint, er auch über die in seiner Abwesenheit vorgenommenen Ver­ handlungen gehört werden; er muß aber die durch sein Ausbleiben entstandenen nutzlosen Kosten tragen und den Gegnern erstatten (§ 153 V. 17). Dem Kulturamtsvorsteher steht aber auch frei, den Eintritt der Bersäumnisfolgen durch Beschluß auszusprechen, der der Rechtskraft fähig ist und mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angefochten werden kann (§ 21 Abs. 2 des G. vom 9. 6. 1919; OLKA. in ZfA. 3, 296). Der Regel nach wird ein solcher Beschluß erst nach der Planvorlegung erlassen. — Entstehen im Laufe des Verfahrens Streitigkeiten darüber, wie es bis zur Ausführung der Sache mit dem Besitze, der Verwaltung und Nutzung der zur Auseinandersetzung gehörigen Gegenstände zu halten sei, so kann der Kultur­ amtsvorsteher dieserhalb ein „Interimistikum" er­ lassen, d. h. einstweilige Anordnungen unter An­ drohung von Geldstrafen treffen. Gegen ein solches Interimistikum findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an die Spruchkammer statt, deren Beschluß endgültig ist (§ 27 des G. vom 9. 6. 1919). IV. Streitigkeiten. Entstehende Streitig­ keiten sind, wie bereits mehrfach erwähnt, durch den Kulturamtsvorsteher in erster Instanz und zwar durch Beschluß zu entscheiden. Bevor ein derartiger Beschluß erlassen wird, hat der Kultur­ amtsvorsteher den Versuch zu machen, eine güt­ liche Einigung unter den Beteiligten herbeizu­ führen, ebenso hat er, ohne an Anträge der Be­ teiligten gebunden oder aus sie angewiesen zu

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sein, von Amts wegen das Sach- und Rechts­ verhältnis nach allen Richtungen hin klarzustellen und zu dem Zweck nötigenfalls auch Beweis zu erheben (Zeugenvernehmung, Urkundenbeschaf­ fung u. dgl. m.). Erst wenn auch dann eine Ver­ ständigung nicht erzielt wird, hat er einen förm­ lichen Beschluß zu erlassen. Dieser kann sich nur auf Streitigkeiten unter den Beteiligten, d. h. allen denen, die durch das A. betroffen werden, erstrecken, aber auch auf alle solche Streitigkeiten, mögen sie in privaten oder öffentlich-rechtlichen Verhältnissen wurzeln; in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte darf dabei aber nicht ein­ gegriffen werden (darüber, wieweit in dieser Be­ ziehung die Zuständigkeit der Landeskulturbehörde geht, vgl. die eingehenden Ausführungen von Holzapfel in der ZfA. I 21, 97, 183, 252). Ein­ geschränkt ist ferner die Entscheidungsbefugnis auf Streitigkeiten, deren Entscheidung zur Durch­ führung des Verfahrens erforderlich ist und ohne die ein geordneter und berechtigter Zustand unter den Beteiligten nicht wiederhergestellt werden kann. Dagegen ist die Zuständigkeit des Kultur­ amtsvorstehers nicht auf das Vorhandensein einer bestimmten Wertgrenze eingeschränkt. Wenn der Kulturamtsvorsteher an sich auch keine Richter­ privilegien genießt, so ist er doch bei Fassung seiner Beschlüsse völlig unabhängig und hat mir nach seiner freien, aus dem ganzen Inbegriffe der Ver­ handlungen und Beweise geschöpften Überzeu­ gung zu entscheiden (§§ 12, 21 des G. vom 9. 6. 1919), ohne bei dieser seiner Tätigkeit an Weisungen des Landeskulturamtspräsidenten ge­ bunden zu sein. Parteien werden nicht gebildet. Für die Form des Beschlusses ist nur vorge­ schrieben, daß er mit Gründen versehen sein muß. Diese sollen nach der Gesetzesbegründung so aus­ führlich gehalten sein, daß die Beteiligten die Richtigkeit der Entscheidung unter Zuziehung von sachverständigen Bertrauenspersonen genau nach­ prüfen können. Handelt es sich bei den Streitig­ keiten um Rechtsverhältnisse, deren Entscheidung den ordentlichen Gerichten gebührt, so hat auch hier der Kulturamtsvorsteher das Sach- und Rechtsverhältnis nach allen Richtungen und zwar so weit zu klären, daß er sich ein zutreffendes Bild davon machen kann, welchem Beteiligten das größere Recht zur Seite steht. Erst wenn dieses geschehen und auch dann noch gütliche Einigung nicht zu erreichen ist, hat er, und zwar auch wieder durch einen mit Gründen versehenen Beschluß, Entscheidung zu treffen, die aber in diesem Fall nur dahin zu gehen hat, daß der Streit zur Ent­ scheidung in den Rechtsweg verwiesen wird (OLKA. in ZfA. 6, 346). Einem der streitenden Teile, und zwar der Regel nach demjenigen, welcher sich nicht im Besitze findet, ist darin auf­ zugeben, seinen vermeintlichen Anspruch im Rechtswege bei den ordentlichen Gerichten gel­ tend zu machen. Erhebt er die Klage nicht recht­ zeitig oder verzögert er schuldhafterweise ihre Fortsetzung, so treten die Folgen ein, die in dem Beschlusse für diesen Fall festzusetzen und für das schwebende Verfahren endgültig sind (§ 22 des G. vom 9. 6. 1919). Diese Behandlung der Pri­ vatrechtsstreiligkeiten ist dem in der Prov. Han­ nover und im RegBez. Wiesbaden schon früher in Geltung gewesenen Rechtszustande nachgebil­ det, bei dem sich gezeigt hatte, daß bei sorgfäl-

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Auseinandersetzungsverfahren mit Ausschluß der Prov. Hannover und des NegBez. Wiesbaden

tiger Vorbereitung des Beschlusses die Beteiligten sich meistens der in ihm vertretenen Auffassung anschlossen und nur noch verhältnismäßig selten die Entscheidung der Gerichte anriefen. Der Regel nach faßt der Kulturamisvorsteher seine Beschlüsse in streitigen Fällen allein. Mit Rück­ sicht auf die oft große Werte betreffenden Strei­ tigkeiten, die in Umlegungssachen Vorkommen können, insbesondere bei Streitigkeiten über den Auseinandersetzungsplan, dessen Vorbereitung und seine Ausführung ist er jedoch an die Mit­ wirkung der von den Beteiligten gewählten gemeinschaftlichen Bevollmächtigten gebunden. Wenn diese jedoch wegen ihrer eigenen Betei­ ligung sich selbst für befangen erklären und der Kulturamtsvorsteher diese Erklärung für be­ rechtigt hält, so entscheidet, falls hierdurch Be­ schlußunfähigkeit entsteht — zur Fassung gültiger Beschlüsse die Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern mit Einschluß des Kulturamtsvor­ stehers erforderlich —, der Kulturamtsvorsteher allein. Bei den über die bezeichneten Streitig­ keiten zu führenden Verhandlungen soll der Sach­ landmesser, der der Regel nach den Auseinander­ setzungsplan aufgestellt haben wird, die Plan­ zuteilung ufto. vertreten; ihm wird dadurch Ge­ legenheit gegeben, sein Werk zu verteidigen. An der Entscheidung nimmt er aber nicht teil (§ 23 des G. vom 9. 6. 1919). — Mit dem Erlaß eines Beschlusses hört die Anwendung der besonderen Verfahrensvorschriften für Auseinandersetzungs­ angelegenheiten aus. Aus die weitere Behand­ lung der Streitigkeiten finden sinngemäß die für die Bearbeitung der Angelegenheiten der all­ gemeinen Landesverwaltung ergangenen gesetz­ lichen Vorschriften Anwendung. Das gilt sowohl für die Beschwerde, die gegen die Beschlüsse des Kulturamtsvorstehers innerhalb zwei Wochen an die Spruchkammer zugelassen ist, als auch für die „weitere Beschwerde", die binnen gleicher Frist gegen die Beschlüsse der Spruchkammer (abge­ sehen von den Fällen, in denen diese endgültig sind z. B. wenn über die Beschwerde gegen einen die Verweisung in den Rechtsweg aussprechenden Beschluß des Kulturamtsvorstehers oder gegen ein von ihm erlassenes Interimistikum entschieden ist), an das Oberlandeskulturamt zusteht (die Ein­ legung der Beschwerde ist auch vor Zustellung des angefochtenen Beschlusses zulässig (OLKA. in ZfA. 2, 231). Demgemäß findet ein Verwal­ tungsstr eitverfahren nicht statt (die einzige Aus­ nahme bildet der Fall, daß der Landeskulturamts­ präsident endgültige Beschlüsse der Spruchkammer als ungesetzlich anficht). Die Beschwerde und die weitere Beschwerde ist bei den Stellen einzulegen, gegen deren Beschluß sie gerichtet ist. In den Fällen, in denen der Kulturamtsvorsteher unter Mitwirkung der gemeinschaftlichen Bevollmäch­ tigten entscheidet, steht auch ihm die Beschwerde zu.^j Aus Gründen des öffentlichen Interesses steht die weitere Beschwerde auch dem Vorsitzenden der Spruchkammer zu. In Fällen, die klar liegen und keinen Aufschub zulassen, können sowohl der Vor­ sitzende der Spruchkammer, als auch der Präsident des OLA. Verfügungen erlassen und Bescheide er­ teilen (Vorbescheid), Abänderungen an dem Be­ schlusse des Kulturamtsvorsteher oder der Spruch­ kammer jedoch nur unter Zuziehung des Kollegiums vornehmen. Vorbescheid ist aber nur bei Beschwer­

den gegen Beschlüsse des Kulturamtsvorstehers oder der Spruchkammer zulässig (OLA. in ZfA. 5,178). Die mit ihren Anträgen zurückgewiesenen Beteiligten können aber Beschlußfassung durch das Kollegium verlangen oder Beschwerde oder weitere Beschwerde einlegen. Wird von einem Beteiligten auf Beschlußfassung angetragen, von einem anderen Beschwerde eingelegt, so wird nur dem Anträge auf Beschlußfassung stattgegeben. Der Bescheid (Vorbescheid) gilt als endgültiger Beschluß, wenn weder auf Beschlußfassung an­ getragen noch Beschwerde eingelegt war. Bon allen Vorbescheiden hat der Vorsitzende dem Kol­ legium nachträglich Mitteilung zu machen. Schon vor Anberaumung der mündlichen Verhandlung kann die Behörde oder ihr Vorsitzender Unter­ suchungen an Ort und Stelle veranlassen, Zeugen und Sachverständige hören und alles zur Klar­ stellung der Streitpunkte Erforderliche veran­ lassen, eine Vorschrift, durch deren Anwendung namentlich bei den sog. Planstreitigkeiten erreicht werden kann, daß diese in einer Sitzung erledigt werden und daß nicht eine Vertagung zwecks Anstellung weiterer Ermittlungen, Ausarbeitung anderer Planvorschläge u. dgl. m. nötig wird (§§ 76, 120 LVG.; § 16 Zisf. 6 des G. vom 13. st. 1918, GS. 53). Im allgemeinen entschei­ den die Kollegien auf Grund der verhandelten Akten, und zwar in öffentlicher Sitzung, mündliche Verhandlung muß aber stattfinden, wenn auch nur ein Beteiligter sie verlangt oder wenn die Behörde sie für erforderlich erachtet. Gerade in Planstreitigkeiten, bei denen es aus eingehende Kenntnis der in Betracht kommenden örtlichen Verhältnisse ankommt, ist dadurch den Beteiligten Gelegenheit gegeben, diese persönlich darzulegen. Da an den Verhandlungen der Behörde mit deren Zustimmung auch technische Staats- oder Ge­ meindebeamte mit beratender Stimme teilnehmen können, ist auch Gelegenheit geboten, die Beamten der Landeskulturbehörde, die eine streitige Sache bearbeitet hatten und daher mit ihr genau vertraut sind, zur Auskunftserteilung heranzuziehen. Der Vorsitzende hat von Amts wegen auf eine vollständige Aufklärung des Sach­ verhalts hinzuwirken. Soweit eine Beweiser­ hebung in Betracht kommt, kann diese durch ein Mitglied der Behörde, durch eine ersuchte Be­ hörde oder in der mündlichen Verhandlung vor­ genommen werden. Eine Zurückverweisung an den Kulturamtsvorsteher wird im allgemeinen nicht zweckmäßig sein (OLA. in ZfA. 2, 57). Für die Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sach­ verständiger vernehmen zu lassen, sowie für etwa zu verhängende Strafen sind die bürgerlichen ProzeßG. maßgebend. Die Entscheidung ist von den Behörden nach ihrer freien, aus dem ganzen Inhalte der Verhandlungen und Beweise ge­ schöpften Überzeugung zu treffen. Verfahren und Kostenbeschwerden entscheidet endgültig die höhere Instanz. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nach rechtskräftigem Abschluß des Spruch­ verfahrens nicht mehr gewährt werden (OLA. in ZfA. 4, 304). Im übrigen ist auf die Geschäfts­ ordnung für die Spruchkammern bei den LKA. vom 26. 9. 1919 und auf die Geschäftsordnung für das OLA vom 30. 9. 1919 (MBlMfLl. 1919, 298; 1920, 8) hinzuweisen. V. Kosten. Bei den durch eine Auseinander-

Ausfertigungen setzung entstehenden Kosten sind diejenigen, welche für die von den Beteiligten zu stellenden Arbeiter, Pfähle, Steine usw. (Nebenkosten) und für die zur Herstellung des neuen Zustandes durch Ausbau von Wegen, Gräben, Brücken, Durchlässen und durch Instandsetzung der neuen Pläne u. dgl. m. auszuführenden Arbeiten (Folgeeinrichtungen) entstehen, von den an den Staat zu entrichtenden Gebühren (Regulierungs-, Streit- und Weite­ rungskosten) zu unterscheiden. Wegen der ersten beiden Arten von Kosten s. Umlegung von ländlichen Grundstücken. Uber die anderen Kosten trifft das G. vom 24. 6. 1875 (GS. 395) Bestimmung. Nach der Begründung zum G. vom 9. 6. 1919 war eine gesetzliche Neuregelung des Kostenwesens in Aussicht genommen. Bis jetzt ist eine solche aber noch nicht ergangen, nur hat die V. des StM. vom 19. 1. 1924 (GS. 46; AusfB. vom 14. 4. 1924, MBlMfL. 259) jenes G. der Geldwertänderung dadurch angepaßt, daß es überall an Stelle des Wortes Mark das Wort Goldmark gesetzt hat; außerdem hat es die Kosten­ bestimmung im § 29 Abs. 2 des G. vom 9. 6. 1919 geändert. Es werden hiernach für die Tätigkeit der Auseinandersetzungsbehörden mäßige Pauschsätze erhoben, die sich nach der Größe der dem Geschäft unterliegenden Fläche oder auch nach dem Jahreswert der Leistungen richten und je nach den Verhältnissen des einzelnen Falles er­ höht oder ermäßigt, unter besonderen Umständen auch von dem MfL. ganz oder teilweise erlassen werden können. Daneben können auch noch Weiterungskosten unter bestimmten Voraussetzungen erhoben werden. Alle Verhandlungen im A. sind stempelfrei; für die in Anspruch genommene Tätigkeit anderer Behörden dürfen nur bare Aus­ lagen, aber keine Gebühren zum Ansatz kommen. Im Beschlußverfahren wird für eine abweisende Entscheidung des Kulturamtsvorstehers, sofern diese Entscheidung nicht ein notwendiger Bestand­ teil des Hauptverfahrens ist, sowie für die ab­ weisende Entscheidung auf die Beschwerde und die weitere Beschwerde ein Pauschsatz erhoben, der unter Berücksichtigung der dem Staate durch das Verfahren erwachsenen baren Auslagen zu berechnen ist. Die Spruchbehörde kann den Pauschsatz bis zur Höhe der wirklich erwachsenen Kosten erhöhen oder bis zur Hälfte der baren Aus­ lagen ermäßigen. Die Kosten vereitelter Ter­ mine usw. sind von den Schuldigen allein zu tragen, ebenso können die durch unbegründete Anträge oder Einwendungen erwachsenen baren Auslagen dem, der den Antrag gestellt oder den Einwand erhoben hat, zur Last gelegt werden. Zu den baren Auslagen werden außer Zeugenund Sachverständigengebühren namentlich die Reisekosten der Beamten zu rechnen sein. Die Anweisung und Einziehung der Kosten ist Sache des Kulturamtsvorstehers. VI. Zwangsbefugnisse. Hinsichtlich der Durchführung der von ihnen erlassenen Anord­ nungen und Entscheidungen sind die Landeskultur­ behörden den Behörden der allgemeinen Landes­ verwaltung insofern gleichgestellt, daß die für diese geltenden Vorschriften über die Beitreibung von Geldbeträgen und über die Erzwingung von Handlungen oder Unterlassungen sinngemäß an­ zuwenden sind. Es kommt also die V. vom 15. 11. 1899 (GS. 545) zur Anwendung, wobei

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dem Kulturamtsvorsteher dieselben Befugnisse wie dem LR., dem Landeskulturamtspräsidenten dieselben Befugnisse wie dem RP. zustehen. Pr. Peltzer, Gesetz über Landeskulturbehörden, Berlin 1923 (früher Sterneberg u. Peltzer, vorher Glatzel u. Sterneberg, Das Verfahren in Auseinandersctzungsangelegenheiten, 2. Aufl., Berlin 1900); Holzapfel, Gesetz über Landeskultur­ behörden, Berlin u. Leipzig, 1919.

Ausfertigungen. I. A. im weiteren Sinne sind alle zur Weitergabe bestimmten, mit den Unter­ schriften der hierzu berufenen Beamten ver­ sehenen Reinschriften amtlicher Erlasse, Bescheide, Berichte usw. Im engeren Sinne werden hier­ unter Reinschriften von Schriftstücken rechtlichen Inhalts verstanden, welche von den hierzu be­ rechtigten Behörden und Beamten in besonders vorgeschriebenen Formen, insbesondere durch Beidrückung des Amtssiegels, zu dem Zwecke und mit der Wirkung vollzogen werden, im Rechts­ verkehr vollständig die Stelle der Urschrift zu er­ setzen, während die Beibringung einer nur be­ glaubigten Abschrift vielfach nicht genügt. Uber die Form der A. bei Reg. und RP. s. § 31 RegJnstr. vom 23. 10. 1817 (GS. 248) und KabO. vom 31. 12. 1825 (GS. 1826, 5) D VIII (s. a. Erl. vom 23. 5. 1840, MBl. 140) und vom 9. 2. 1884 (MBl. 15) bei den KrA. und den ihnen gleichstehenden Behörden, den BezA. und den Provinzialräten s. § 15 Regulative vom 28. 2. 1884 (MBl. S. 35, 37, 41); bei den §§ 13—15 OVG. Regul. vom 22. 2. 1892 (MBl. 133). Je. Ausfuhr. I. Allgemeines. A. ist die Ver­ bringung eines Gegenstandes aus dem Inland in das Ausland. Unter der A. eines Landes wird ferner diejenige Warenmenge verstanden, die es nach anderen Ländern bzw. nach einem bestimm­ ten anderen Lande absetzt. Je nach den klimati­ schen Verhältnissen eines Landes und der mehr oder weniger entwickelten industriellen Tätigkeit seiner Bewohner überwiegen bei der A. der ein­ zelnen Länder mehr die Bodenerzeugnisse oder, wie z. B. in Deutschland, die Jndustrieerzeugnisse. Man spricht von einer aktiven oder passiven Handelsbilanz, je nachdem der Wert der Ge­ samtausfuhr größer oder kleiner ist als derjenige der Gesamteinfuhr. Die Volkswirtschaftslehre stand schon in früheren Zeiten auf dem Stand­ punkt der unbedingten Erwünschtheit einer ak­ tiven Handelsbilanz. Auch heute muß es die Auf­ gabe unserer Handelspolitik sein, die deutsche Wirtschaft zu fördern durch Pflege der Ausfuhr­ industrie. Dies kann nur geschehen durch Ab­ schluß von Handelsverträgen (s. d.), weil die mei­ sten für unsere A. in Frage kommenden Staaten in der Kriegs- und Nachkriegszeit ihre Einfuhr­ zölle ganz bedeutend erhöht haben. Näheres s. Gerlofs, Die deutsche Zoll- und Handelspolitik von der Gründung des Zollvereins bis zum Frie­ den von Versailles, Verlag Glöckner in Leipzig, und Plaut, Deutsche Handelspolitik, ihre Ge­ schichte, Ziele und Mittel, Verlag Teubner in Leipzig. II. Beschränkungen der A. Als solche treten besonders Ausfuhrverboteund Ausfuhrzölle auf. Sie spielten in früherer Zeit (insbesondere unter der Herrschaft des Merkantilsystems die Ausfuhrbeschränkungen für Lebensmittel und Rohstoffe) eine bedeutende Rolle. Heute sind die Ausfuhrzölle weggefallen und die Aus fuhrv er-

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Aussuhrlager — Ausführungsbehörden

böte, soweit sie als ständige Einrichtungen über­ haupt noch vorkommen, haben ihren Grund nicht nur in wirtschaftspolitischen, sondern auch in gesundheits- oder sicherheitspolizeilichen Erwä­ gungen. Die wirtschaftlichen Ausfuhrverbote Deutschlands beruhen auf der V. über die Außen­ handelskontrolle vom 20. 12. 1919 in der Fassung der V. über Ein- und Ausfuhr vom 13. 2. 1924 (RGBl. 1919, 2128 und 1924 I 72). Hiernach ist der RWirtM. ermächtigt, die Ausfuhr von Waren jeder Art über die Grenzen des Deutschen Reichs mit der Wirkung zu verbieten, daß die A. nur mit Bewilligung des Reichskommissars für Aus- und Einfuhrbewilligung erfolgen darf. Von dieser Er­ mächtigung hat der Genannte in der Inflations­ zeit umfassenden Gebrauch gemacht. Die meisten Ausfuhrverbote sind jedoch nach der Festigung der deutschen Währung und bei dem Abschluß von Handelsverträgen wieder gefallen. Der jetzige Zu­ stand ist aus der B. über die weitere Änderung der Bek., betr. das Verbot der A. von Waren vom 12. 12. 1925 (Deutscher Reichsanzeiger Nr. 295 vom 17. 12. 1925) zu ersehen. Die gesundheitsund sicherheitspolizeilichen Ausfuhrverbote be­ ruhen aus § 2 VZG. Sie kommen nur vereinzelt vor (z. B. Verbot der Ausfuhr von Pflanzen auf Grund der Reblauskonvention). Vgl. auch G. vom 22. 12. 1920 (RGBl. 2167) und vom 26. 6. 1921 (RGBl. 767) über Verbot der A. von Kriegsgerät aller Art. III. Begünstigungen der A. 1. Auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern. Eine je größere Bedeutung in einem Lande die Zölle und Verbrauchsteuern annehmen, umso mehr tritt die Notwendigkeit hervor, den Aussuhrindustrien die Lasten, die ihnen jene Abgaben auf­ erlegen, abzunehmen und sie dadurch im Ausland wettbewerbsfähig zu machen oder zu erhalten. Dies geschieht a) dadurch, daß die betreffende Ab­ gabe für die zur A. gelangenden Erzeugnisse uner­ hoben bleibt (Zoll- und Steuerbefreiung), b) da­ durch, daß die bereits entrichtete Abgabe bei der A. ganz oder teilweise zurückerstattet wird (Zoll- und Steuervergütung, Bonifikation, Exportbonifika­ tion). In Deutschland werden Ausfuhrvergütun­ gen gewährt bei der Bier-, Leuchtmittel-, Schaum­ wein-, Spielkarten-, Tabak-, Zucker- und Zünd­ warensteuer; daneben kommen bei den meisten Abgabezweigen auch Steuerbefreiungen vor (s. die Einzelartikel). Dagegen bestehen Ausfuhrver­ gütungen für das Gebiet der Zölle nur ganz aus­ nahmsweise (s. Zoll II 7). Im übrigen bewegen sich die Zollvergünstigungen, die der deutschen Ausfuhrindustrie zuteil werden, auf dem Gebiete der Befreiungen (s. Zoll II6). Hierher gehört, ab­ gesehen von der Zollfreiheit für die unmittelbare und für die über zollfreie Niederlagen sich voll­ ziehende mittelbare Durchfuhr (s. Zoll 6a 1), der zollfreie (aktive) Beredelungsverkehr (s. d.). Bei den Befreiungen und Vergütungen findet, von anderen Kontrollen, wegen deren auf die Einzel­ artikel verwiesen wird, abgesehen, die zollamt­ liche Überwachung der A. statt. Sie wird im all­ gemeinen in der Weise geübt, daß über die aus­ zuführenden Waren, die amtlich revidiert und in der Regel unter amtlichem Verschluß oder mit Jdentitätszeichen versehen, abgelassen werden, ein amtliches Begleitpapier, der Begleitschein (s. d.) oder eine ähnliche Bezettelung ausgestellt wird,

und daß die Waren bei der A. einer Zollstelle vor­ geführt werden, die nach Feststellung der Identität und unveränderten Beschaffenheit der Ware (z. B. Unverletztheit des amtlichen Verschlusses) den tatsächlich erfolgten Ausgang der Ware bescheinigt. Hieran schließt sich die Erledigung des Abferti­ gungspapiers, wodurch festgestellt wird, daß ein Steueranspruch im Jnlande nicht entstanden ist. 2. Sonstige Begünstigungen der A. Der Er­ leichterung der A.ist die Fürsorge des Staates auch in anderer Weise zugewendet. Es sei hier nur kurz an die Abreden in den Zoll- und Handelsverträgen mit anderen Staaten wegen Herabsetzung ihrer Zölle, an Maßregeln aus dem Gebiet des Eisenbahntariswesens, an den Schutz und die Ver­ tretung der heimischen Interessen im Ausland (Konsularwesen, Ausstellungswesen) u. dgl. er­ innert. IV. Statistisches. Wegen der regelmäßigen Statistik über die deutsche A. s. Warenverkehr mit dem Ausland. Die Gesamtausfuhr des Jahres 1925 betrug nach dem Statistischen Jahr­ buch für das Deutsche Reich (ohne Durchfuhr) rund 39 Mill. Tonnen, gegenüber einer gleich­ zeitigen Einfuhr von 53*/2 Mill. Tonnen. Die Handelsbilanz war also stark passiv (vgl. oben I). Im Jahre 1926 hat sich der Stand der Han­ delsbilanz gebessert, allerdings nur vorüber­ gehend (A. rund 61J/2, Einfuhr 45 Mill. Ton­ nen). Im letzten Friedensjahr (1913) betrug die A. rund 75 y2 Mill. Tonnen, gegenüber einer Einfuhr von rund 74V2 Mill. Tonnen. Damals hielten sich also Aus- und Einfuhr ungefähr auf gleicher Höhe. Hauptaussuhrländer für deutsche Waren sind die Niederlande, Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, Tsche­ choslowakei und Schweiz. Vor dem Weltkrieg stand Großbritannien weitaus an erster Stelle. Sdt. Ausführrmgdbehörden. Soweit das Reich, ein Land, die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (s. d.), die Gemeinden, die Gemeindeverbände oder an­ dere öffentliche Körperschaften Träger der UV. sind (§§ 624ff., 957, 1169 RVO.), werden Rechte und Pflichten der Genossenschaftsorgane (s. Berufsgenossenschaftcn V) durch A. wahr­ genommen. Diese bestimmt für die Reichs­ verwaltung der zuständige Reichsminister, für die Landesverwaltungen, Gemeinden, Gemeinde­ verbände und andere öffentliche Körperschaften die oberste Verwaltungsbehörde, für die Reichs­ bahn-Gesellschaft der Personalordnung. Als A. für Reichsbetriebe können auch Organe der BG. bestimmt werden. Diese Behörden erlassen die zur Durchführung der UV. erforderlichen AusfB., in denen auch die Behörde zu bezeich­ nen ist, welche die Entschädigungen festsetzt (§ 1570 RVO.). Reichs- und Staatsbetriebe und Bauten des Reiches oder der Länder können durch Erklärung des RK. oder der Landeszentral­ behörde, den zuständigen BG. als Mitglieder bei­ treten. Für A. gelten die Vorschriften über den Umfang der Versicherung über die Vereini­ gung mehrerer BG. zu einer BG. (s. d. IX), über die Unfallanzeige und Unfalluntersuchung (s. d.), über die Feststellung und Auszahlung der Ent­ schädigungen (s. Unfallversicherung V) und über die Rechnungslegung gegenüber dem RBA. (s. Berufsgenossenschaften VIII). Will die A. eine Krankenordnung oder, um Unfälle zu ver-

Ausführungsgesetze - - Auskunftserteilung

hüten, Vorschriften mit Strafbestimmungen gegen Versicherte erlassen, so sind mindestens drei Ver­ treter der Versicherten zur Beratung und zur Begutachtung zuzuziehen. Die Beratung findet unter Leitung eines Beauftragten der A. statt. Der Beauftragte darf kein unmittelbarer Vorge­ setzter der Vertreter derArbeiter jein(§§ 897,1033, 1218 RVO.). A. sind auch für die Durchführung der Unfallsürsorge für Gefangene errichtet (§ 8 des G. vom 30. 6. 1900, RGBl. 536). F. H. AuSführungSgesetze. Wie früher die G. des Norddeutschen Bundes erfordern jetzt die ReichsG. vielfach eine Tätigkeit der Landesgesetzgebung, durch welche ihnen entsprechend das bisherige Landesrecht geändert oder ergänzt wird. Dies ge­ schieht in der Form von A. Solcher gibt es in Preußen eine große Zahl. So sind Ä. zu dem ReichsimpfG., den ReichsG. über die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, dem UWG., zum GVG., zur PZO., zur KO., zum FAG. usw. er­ lassen worden. Mitunter ist ein A. nicht als LandesG. zu einem ReichsG., sondern als ein ReichsG. er­ gangen, wie das G. zur Ausführung des Abkom­ mens über den Zivilprozeß vom 17. 7. 1905, vom 5.4.1909 (RGBl. 430). Besonders hat das BGB. A. der einzelnen Bundesstaaten notwendig ge­ macht, weil bei ihm und dem EG. zu ihm zahlreiche Materien auch künftig dem Landesrecht überlassen sind (z. B. Berg-, Jagd-, Fischerei-, Wasserrecht usw.) und hinsichtlich anderer Materien dem LandesG. die weitere Ausgestaltung oder Er­ gänzung vorbehalten ist (z. B. bei Grundstücken gewisse Beschränkungen des Eigentums). In Preußen ist deshalb das AG. vom 20. 1. 1899 (GS. 177) ergangen (s. Bürgerliches Gesetz­ buch). Andere preuß. A. aus der gleichen Zeit sind z. B. die zum G. über die Zwangsversteige­ rung und die Zwangsverwaltung vom 23. 9. 1899 (GS. 291), zum HGB. vom 24. 9.1899 (GS. 303) und zur GBO. vom 26. 9. 1899 (GS. 307). Das preuß. G. über die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 21.9.1899 (GS. 249) ist zu einem Teile ein bloßes A., zum anderen aber nicht, weil es neben der Aus­ führung des ReichsG. über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine selbständige Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Preu­ ßen enthält. Deshalb ist bei ihm die Bezeichnung als A. vermieden worden. Die A. stehen sachlich zu den ReichsG. in einem ähnlichen Verhältnisse wie die AusfV. zu den LandesG. (s. Verord­ nungen, auch Einsührungsgesetze). F. H. Becher, Die Ausführungsgesetze zum BGB. und seinen Nebengesetzen. Kayser, Die Reichs-Justizgesetze und die Ausführungsgesetze usw., 1910.

Ausfuhrverbote, AuSsuhrvergütung s. Aus­ fuhr, Ausfuhrzölle s. Zoll I. AuSfuhrzuschüfse (Prämien bei der Ausfuhr von Zucker) s. Zuckersteuer II. Ausgleichsteuer, Ersatz für die Tabakmaterial­ steuer bei eingeführten Zigaretten s. Tabak­ steuer I, II 1 b. Ausgleichung von Wafferbenutzungsrechten. Für den Fall, daß bei Benutzung eines Wasser­ laufes auf Grund bestehender Rechte die eine Be­ nutzungsart die andere beeinträchtigt oder aus­ schließt, oder daß dabei das vorhandene Wasser für den Bedarf aller Berechtigten nicht ausreicht, kann nach §§ 87ff. WG. vom 7. 4. 1913 (GS.

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53) ein Ausgleich unter den Beteiligten geschaffen werden. Das hat dadurch zu geschehen, daß in einem dem Berleihungsversahren ähnlichen Verfahren durch den BezA. Maß, Zeit und Art der Benutzung nach billigem Ermessen in einer den Interessen aller Beteiligten ent­ sprechenden Weise (z. B. durch Änderung der Betriebseinrichtungen) unter Ersatz des hierbei etwa entstehenden Schadens festgesetzt wird. Voraussetzung ist also das Vorhandensein einer Mehrheit der gedachten verleihungsfähigen Rechte und deren Feststellung nach Zahl, Inhalt und Umfang, sowie daß diese Rechte einander Wider­ streiten. Wasserzuflußrechte können daher z. B. nicht dem Ausgleichungsversahren unterworfen werden (OVG. I, 166), wohl aber Fischerei­ rechte nach § 104 FischereiG. vom 11. 5. 1916 (GS. 55). Sofern nicht eine gegenseitige An­ erkennung aller in Betracht kommenden Be­ nutzungsrechte nach Art, Inhalt und Umfang vorliegt, wird ein Streit gegebenenfalls zur richterlichen Entscheidung zu verweisen sein(L WA. 1,171). Durch Enteignung begründete Rechte kön­ nen nur mit Zustimmung des Berechtigten heran­ gezogen werden, und bei gewerblich konzessionier­ ten Anlagen sind die Vorschriften des § 51 GewO, zu beachten (OVG. in ZfA. 313). Daß die Stellen, an denen die Rechte, ausgeübt werden um deren A. es sich handelt, örtlich nahe bei­ einanderliegen oder weit voneinander getrennt sind, ist belanglos, wenn es sich nur um Aus­ übung an ein und demselben Wasserlaufe han­ delt (OVG. in ZfA. 4, 92). Das Verfahren tritt nur auf Antrag und zwar zwischen, dem Antragsteller und den von ihm benannten — nicht etwa von Amts wegen zu ermittelnden^— Beteiligten ein (OVG. in ZfA. 4, 62). Sein Ziel ist nicht, einen Berechtigten auf die Aus­ übung seines Rechts innerhalb der ihm zu­ stehenden Befugnisse zurückzuführen, sondern eine Einschränkung der rechtmäßigen Befug­ nisse zu erreichen. Nur eine Einschränkung, nicht aber eine völlige Untersagung der Aus­ übung des bestehenden Rechts kann verlangt werden, ebensowenig Einrichtungen, durch die der Wasserzufluß durch Zuführung aus anderen Flußgebieten, Aufstau usw. vermehrt wird (OVG. 4, 92). Kosten sind in gleicher Höhe wie bei der Verleihung zu erheben (VerwaltungsgebührenO. vom 30. 12. 1926, GS. 327). Pr. Auskunfteien sind Unternehmungen, welche gewerbsmäßig Informationen über Vermögens­ verhältnisse oder persönliche Angelegenheiten er­ teilen (Privatdetektivbureaus). Als wichtiges Sicherungsmittel für den modernen Kreditver­ kehr sind die „kaufmännischen A." hervorzuheben, welche Nachrichten über den Geschäftsbetrieb, die wirtschaftliche Lage und die Kreditfähigkeit von Gewerbetreibenden sammeln und darüber Aus­ kunft geben. S. im übrigen Rechtsangelegen­ heiten (gewerbsmäßige Besorgung frem­ der Rechtsangelegenheiten). F. H. AuSkunftSerteilung. I. In zahlreichen G. ist eine Pflicht zur A. von Privatpersonen an Behör­ den ausdrücklich festgestellt. Dahin gehört der ge­ setzlich geordnete Zeugniszwang vor Gerichten und Verwaltungsgerichten(s.Zeugen),ferner die in den Steuergesetzen festgesetzten Verpflichtungen zurErteilung von A., ebenso die Auskunftserteilungs-

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Auskunftspersonen — Auslagen

Pflicht auf Grund des G. über die Aufnahme neu anziehender Personen vom 31.12.1842 (GS. 1843, 5) usw. Auf Grund des § 10 II 17 ALR. besteht aber auch eine allgemeine Pflicht zur A. gegen­ über den Polizeibehörden, soweit die A. im ein­ zelnen Falle eine „nötige Anstalt" zur Erfüllung der Polizeiaufgaben ist (OVG. 15, 423; Jebens in PrBBl. 24, 401). Die Aufforderung zur A. ist dann eine polizeiliche Vf. Auch ein an der abzuwehrenden Gefahr unbeteiligter Dritter (s. unter Polizei V) kann zur A. herangezogen wer­ den, wenn ohne seine A. die Gefahr nicht ab­ gewendet werden kann. Dies ist z. B. nicht der Fall, wenn es sich um allgemein bekannte oder solche Verhältnisse handelt, die aus jedermann zugänglichen Registern usw. entnommen werden können. In den zulässigen Fällen kann Erscheinen des Verpflichteten vor der Polizei zum Zwecke protokollarischer Vernehmung gefordert und ge­ mäß § 132 LVG. erzwungen werden; jedoch soll­ ten die Polizeibehörden gemäß MErl. vom 7. 12. 1899 (MBl. 1898, 57) nach Möglichkeit Vor­ ladungen vermeiden und die Auskunft durch ent­ sandte polizeiliche Organe ohne protokollarische Vernehmung einholen oder sich mit schriftlichen Äußerungen begnügen. Ob nicht nur das per­ sönliche Erscheinen zum Zwecke der Vernehmung, sondern auch einer Aussage oder gar eine richtige Aussage von der Polizei mit den Mitteln des § 132 LVG. erzwungen werden kann, ist zum mindesten mehr als zweifelhaft. Eine Entschädi­ gung für das Erscheinen vor der Polizei soll nach obigem MErl. nicht gewährt werden; auch dies erscheint im Hinblick auf § 4 des G. vom 11. 5. 1842 (s. unter polizeiliche Verfügung VII) recht­ lich sehr fraglich. II. Eine rechtliche Verpflichtung von Behörden zur A. an Privatpersonen besteht nur, soweit eine solche Pflicht gesetzlich ausdrücklich festgestellt ist (z. B. betreffs Vorlegung der Standesregister und Erteilung von Auszügen aus beufelbcil durch § 16 PStG.). Dagegen sind die Polizeibehörden berechtigt, Tatsachen, die ihnen amtlich bekannt geworden sind, auch Privatpersonen mitzuteilen, für welche aus der Nichtkenntnis dieser Tatsachen eine Gefahr entstehen kann, mag diese Gefahr ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Eigentum oder ihre Ehre betreffen (OVG. vom 17. 11. 1899, I, 1902). Uber den Umfang, in welchem die polizeilichen Meldeämter (s. Einwohnermelde­ ämter I) an Privatpersonen Auskunft zu erteilen haben, sind die Erl. vom 24. 8. 1900 (vgl. hierzu Erl. vom 15. 6. 1907, MBl. 247) und 26. 9. 1902 (MdI. II 3127 bzw. 6611) ergangen. Danach haben dieselben aus Wunsch allen geschäfts­ fähigen Privatpersonen auf Grund der Melde­ register und sonstigen Materialien Auskunft zu geben über den Familiennamen, die Vornamen, das Geburtsdatum, die gegenwärtige oder die zuletzt gemeldete frühere Wohnung der einzel­ nen Einwohner des Polizeiverwaltungsbezirks. S. auch Tarifauskunft (in Zollangelegen­ heilen). III. Die Verpflichtung von Behörden, anderen Behörden gegenüber Auskunft zu erteilen, so­ weit nicht, wie z. B. bezüglich des Inhalts von Steuererklärungen, ausdrücklich Geheimhaltung vorgeschrieben ist, ergibt sich aus dem allgemeinen Gesichtspunkte, daß zur Erreichung der Staats­

zwecke sich die Behörden gegenseitig Hilse zu lei­ sten haben. Dr. Auskunftspersonen s. Ermittlung und Festsetzung der Neichssteuern. Auslagen. I. Den Laienmitgliedcru verschie­ dener Behörden wird eine Entschädigung für die erwachsenden A. gewährt. Das gilt insbesondere auch für die Inhaber der Ehrenämter in der Reichsversicherung (s. d.; vgl. §§ 21, 54, 59, 117 RVO.; §§ 130,143,152, 161 Avg.; § 18 ArblosVG.) sowie für den Rentenbewerber, der auf An­ ordnung des Vorsitzenden der Spruchbehörde in der mündlichen Verhandlung erschienen ist (§§ 1669, 1679, 1698, 1701 RVO.; §§ 242, 258, 273 Avg.). II. Während das Verfahren in Kvmpetenzkonfliktsachen gebühren- und auslagenfrei ist (s. Kompetenzkonflikte) kommen für die sonstigen gerichtlichen Verfahren (Zivil­ und Strafprozeß, Verfahren vor den Arbeitsgerichten, Verfahren in Ange­ legenheiten der freiwilligen Gerichts­ barkeit, Verfahren vor den Dorfgerichten und den Ortsggerichten, Verwaltungs­ streitverfahren, Beschlußversahren) grund­ sätzlich sowohl Gebühren wie A. — die letzteren teilweise ebenfalls als Pauschsätze — zum Ansätze (s. Kosten und Armenrecht). Nach § 103 Abs. 1 LVG. insbesondere sind dem unterliegenden Teile die baren A. des Verfahrens zur Last zu legen. Nach § 104 bleiben sie jedoch dem obsiegenden Teile zur Last, soweit sie durch sein eigenes Ver­ schulden entstanden sind, und nach § 112letzter Satz trägt die durch Erörterung eines Antrags auf Wie­ dereinsetzung in den vorigen Stand entstehenden baren Auslagen in allen Fällen der Antragsteller. Bei teilweisem Unterliegen findet Verteilung der Kosten statt (vgl. hierzu OVG. 53, 112), damit auch der A. Die baren A. des Verfahrens werden mit den Kosten (Gebühren) für jede Instanz von dem Vorsitzenden des Gerichts festgesetzt, bei dem die Sache selbst anhängig gewesen ist. Wegen Ersorderung von Vorschüssen vgl. Gebührenord­ nung vom 24. 12. 1926 IX (MBl. 3) sowie zu­ gleich für die Festsetzung, Einziehung und Ver­ rechnung der Gebühren (Kosten) und A. die AusfB. vom 26. 7. 1927 (a. a. O. 781). Inn Be­ schlußverfahren können die durch Anträge und unbegründete Einwendungen erwachsenen beson­ deren baren A. demjenigen zur Last gelegt wer­ den, welcher den Antrag gestellt oder den Ein­ wand erhoben hat, und behält es bei den Vor­ schriften der GewO, sein Bewenden (§ 124 L VG.; §§ 12,14 der VerwGebührenordnung vom 3-0. 12. 1926, GS. 327; vgl. § 22 GewO.). III. In denjenigen gerichtlichen Verfahren, in denen sich zwei Parteien gegenüberstehen,, sind ferner regelmäßig (Ausnahmen wiederurn die Kompetenzkonsliktsachen) auch die barem A. der einen Partei von der anderen zm er­ statten. Mitunter findet eine solche Kosten­ erstattung auch da, wo es keine eigentlichem Par­ teien, sondern bloß Beteiligte gibt, zwischen den letzteren statt, so im Verfahren auf erhobene Privatklage (§ 503 StPO.). Im VwStr.. nach dem LVG. haben insoweit ebenfalls die für den Zivilprozeß geltenden Vorschriften zum Muster gedient. Es sind namentlich nach dem § 105

Ausland — Ausländer Abs. 1 Satz 1 LBG- dem unterliegenden Teile die erforderlichen, d. i. nicht in überflüssiger Weise aufgewendeten, baren A. des obsiegenden Teiles zur Last zu legen; auch diese A. bleiben aber dem obsiegenden Teile zur Last, soweit sie durch sein eigenes Verschulden veranlaßt sind (§ 104 LBG.). Die Erstattung von Vertretungs- und Reisekosten findet indessen in erheblich beschränk­ terer Weise als im Zivilprozesse statt, indem nach dem noch fortgeltenden (OVG. 39, 458) Satz 2 des § 103 Abs. 1 die Gebühren eines Rechts­ anwalts in dem Verfahren vor den KrA. gar nicht, in dem vor den BezA. und dem OVG. nur insoweit zu erstatten sind, als sie für Wahr­ nehmung der mündlichen Verhandlung vor dem Prozeßgerichte zu zahlen sind und indem weiter nach dem Satz 3 an baren A. für die persönliche Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung vor dem BezA. und dem OVG. die obliegende Partei nicht mehr in Anspruch nehmen kann, als die gesetzlichen Gebühren eines sie vertretenden Rechtsanwalts betragen haben würden, es sei denn, daß ihr persönliches Erscheinen vor dem Gericht angeordnet war. Das Verhältnis des Rechtsanwalts zur eigenen Partei bestimmt sich lediglich nach der Gebührenordnung sür Rechts­ anwälte (§ 103 Abs. 3 LVG.), daß der obsiegende Teil, wenn er sich eines Rechtsanwalts bedient, immer einen Teil der Kosten zusetzen muß. Wegen des Falles, daß ein Rechtsanwalt selbst die ob­ siegende Partei ist, s. OVG. 51, 452. Uber die A. eines Bevollmächtigten, der mehrere, in verschie­ denen Streitsachen auf denselben Tag anberaumte Termine wahrgenommen hat, s. OVG. 48, 447 (Schultzenstein, Erstattung einer Parteiauslage für mehrere Prozesse in BuschsZ. 36 S. 331,334). Uber die Kostenerstattung bei einer Streit­ genossenschaft s. Schultzenstein im VerwArch. 1,88. Die zu erstattenden Parteiauslagen werden auf Antrag des Erstattungsberechtigten sür alle Instanzen von dem Vorsitzenden desjenigen Gi> richts festgesetzt, bei dem die Sache in erster In­ stanz anhängig gewesen ist (§ 108 Abs. 2 LVG.). Ein außergerichtlich abgeschlossener Vergleich bildet keinen Bollstreckungstitel und keine Unter­ lage sür die Festsetzung zu erstattender Kosten (OVG. 53, 449; 70, 366). Dagegen findet das Kostenfestsetzungsverfahren bei Erledigung der Sache ohne förmliche Entscheidung durch Zurück­ nahme der Klage statt; als unterliegende Partei ist in diesem Falle derjenige anzusehen, der die Klage zurückgenommen hat. Nach § 105 LVG. kann die Entscheidung, durch welche einer Partei die baren A. des Verfahrens oder die erforder­ lichen baren A. der anderen Partei auferlegt worden sind, nur gleichzeitig mit der Entscheidung in der Hauptsache durch Berufung oder Revision angefochten werden; es ist jedoch die Anfechtung der Entscheidung über den Kostenpunkt im Wege des Anschlusses zulässig, wenn die Vorentschei­ dung in der Hauptsache von der Gegenpartei angefochten worden ist (OVG. 33, 236). Gegen ; den Beschluß des Vorsitzenden des KrA., durch welchen A. des Verfahrens oder des obsiegenden ; Teiles festgesetzt werden, findet innerhalb zweier ■ Wochen die Beschwerde an den BezA., gegen den in erster Instanz ergangenen Festsetzungsbeschluß des Vorsitzenden des BezA. innerhalb gleicher Frist die Beschwerde an das OVG. statt. Im

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Veschlußverfahren haben die Beteiligten weder anderen Beteiligten noch der Beschlußbehörde gegenüber ein Recht, den Ersatz ihrer baren A. zu fordern (§ 124 Abs. 1 LVG.). IV. Wegen der A. im Rechtsmittelver­ fahren nach der AO. s. d. Die RVO. kennt eine Erstattung der baren A. durch die unterliegende Partei nicht (s. auch §§ 1803, 1804 RVO.). Je. Friedrichs, Die Kostenerstattung im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, PrVBl. 26, 935. VcrwNPflG. §§ 333 ff.

Ausland im staatsrechtlichen Sinne ist alles, was nicht zum Reichsgebiet gehört. Nach Art. 112 Abs. 2 RV. haben alle Reichsangehörigen dem A. gegenüber innerhalb und außerhalb des Reichs­ gebiets Anspruch auf den Schlitz des Reichs. Dieser Schutz wird im A. ausgeübt durch die Ge­ sandten und Konsuln des Reiches, das nach Art. 78 Abs. 1 RV. für die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigenStaaten ausschließlich zuständig ist. Ebenso hat das Reich nach Art. 6 Zifs. 1 RV. die ausschließliche Gesetzgebung über die Be­ ziehungen zum Auslande. Kein Deutscher darf von einer ausländischen Reg. Titel oder Orden annehmen (Art. 109 Abs. 6 RV.). Wegen der Verfolgung im A. begangener Verbrechen und Vergehen vor deutschen Gerichten s. §§ 4, 5 und 37 StGB, sowie § 11 Republik-SchutzG. Im A. begangene Übertretungen sind nur dann zu be­ strafen, wenn dies durch besondere G. oder durch Verträge angeordnet ist (§ 6 StGB.). E. W. Ausländer. I. A. im staatsrechtlichen Sinne sind die Personen, die die deutsche Reichsangehörig­ keit (Art. 110 RV., § 1 StAngG.) nicht besitzen, sei es, daß sie einem fremden Staate angehören oder staatenlos sind. Auch auf juristische Personen ist der Begriff „A." anwendbar. Zu den staaten­ losen Personen gehören auch ehemalige Deutsche, die die deutsche Reichsangehörigkeit verloren, eine andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder verloren haben. Auch sie sind im all­ gemeinen den A. gleichgestellt. Doch ist einer Reihe von Staaten gegenüber durch Staatsvertrag die Verpflichtung übernommen, wie die Reichsangehörigen selbst, so auch ehemalige An­ gehörige, wenn sie staatenlos sind, wieder in das Inland zu übernehmen (vgl. Niederlassungsver­ trag mit den Niederlanden vom 17. 12. 1904, RGBl. 1906, 879, und mit der Schweiz vom 13. 11. 1909, RGBl. 1911, 887). S. im übrigen Übernahme Verträge. II. Nach heutigen völkerrechtlichen Anschau­ ungen ergreift die Gebietshoheit alle auf dem Gebiet sich befindenden Personen mit Ausschluß allein der sog. Exterritorialen (s. Exterritoria­ lität). Daher sind auch die A. der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege des Aufenthalts­ staates unterworfen. Andererseits ist? damit für den Aufenthaltsstaat die Verpflichtung gegeben, den sich auf seinem Gebiet aufhaltenden A. den­ selben Schutz zu gewähren wie den eigenen Staats­ angehörigen. Es ist überhaupt davon auszugehen, daß die A. grundsätzlich den Inländern gleichge­ stellt sind, soweit nicht das G. ein anderes be­ stimmt oder sich eine Abweichung aus dem Wesen der Sache ergibt. So haben die A. keinen An­ spruch auf die Gewährung der staatsbürgerlichen (politischen) Rechte, andererseits können sie auch den staatsbürgerlichen (politischen) Pflichten nicht

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Ausländer

unterworfen werden (v. Liszt-Fleischmann, Völ­ kerrecht, 12. Aufl., S. 176/177). Diesen völker­ rechtlichen Grundsätzen ist die Neichsgesetzgebung (auf Grund des Art. 6 Ziff. 1 u. 3, sowie Art. 7, Ziff. 7 RB.) und die preußische Gesetzgebung im allgemeinen gefolgt. So hat auch die RV. ebenso wie das ReichsvereinsG. vom 19. 4. 1908 den A. das Vereins- und Versammlungsrecht nicht ge­ währleistet (Art. 123 u. 124 RV.). III Die Rechte der A. im Inland sind in der Hauptsache abhängig von der Tatsache des Aufent­ halts im Inland, und endigen daher, gleichviel ob sie aus reichs- und landesgesetzlichen Bestimmun­ gen oder aus Staatsverträgen beruhen, sobald der Staat von seiner Befugnis Gebrauch macht, sich der A. durch Ausweisung zu entledigen. Ein Recht auf Aufenthalt im Inhalt steht den A. nicht zu, soweit nicht ein solches durch Niederlassungsver­ träge (s. d.) begründet ist. Vielmehr ist es ein un­ bestrittener Ausfluß der Staatshoheit, A. im Interesse der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung des Landes zu verweisen (s. Aus­ weisung). Den A. stehen demgegenüber die den Inländern in der RV. gewährleisteten Rechte nicht zur Seite. Auch die Bestimmungen der StPO, kommen bei der Ausweisung nicht in Betracht, weil sich die Ausweisung nicht als Verfolgung einer strafbaren Handlung darstellt. IV. Im einzelnen enthalten die preußische und die Neichsgesetzgebung zahlreiche Bestimmungen über A., und zwar teils solche, welche die Pflich­ ten und Rechte der im Jnlande sich aufhaltenden A. aus verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens näher feststellen, teils solche, die dazu dienen sollen, die eigenen staatlichen Interessen sowie die Interessen der Reichsangehörigen gegen­ über A. zu wahren. Zum Teil beruhen diese letzteren Vorschriften aus dem Grundsatz der Gegenseitigkeit, indem sie nur in Anwendung kommen, wenn und soweit den deutschen Reichs­ angehörigen in dem fremden Staate nicht die Rechte der eigenen Landesangehörigen gewährt werden. Hervorzuheben sind wegen der Rechte und Pflichten der A. die Vorschriften der Steuer­ gesetze, welche die im Jnlande sich aufhaltenden A. der Steuerhoheit ebenso unterwerfen wie die Inländer (§§ 2 u. 3 EinkommensteuerG. vom 10. 8. 1925, RGBl. I 189, Art. I §§ 2 u. 3 ^Vermögenssteuer^ VermStG. vom 10. 8. 1925, RGBl. I 233, § 8 Erbschaftssteuer^ in der Fassung der Bek. vom 22. 8. 1925, RGBl. I, 320, §§ 2 n. 3 KörpStG. vom 10. 8. 1925, RGBl. 1208). Nach Art. 276c des Vertrages von Versailles (G. vom 16. 7. 1919, RGBl. 687) dürfen Staatsangehörige der alliierten und asso­ ziierten Mächte im Deutschen Reich nicht höher besteuert werden als deutsche Reichsangehörige. Die Vorschriften des § 13 der B. über die Für­ sorgepflicht vom 13. 2. 1924 (RGBl. I 100) und des § 5 der preuß. AusfV. hierzu vom 17. 4. 1924 (GS. 210) stellen die hilfsbedürftigen A. wegen der zu gewährenden Fürsorge den Inländern gleich. Die A., die im Inland in Arbeit stehen und krankenversicherungspflichtig sind (s. VI), sind grundsätzlich ebenso wie Inländer gegen Ar­ beitslosigkeitversichert (8 69 desG. über Arbeitsver­ mittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. 7. 1927, RGBl.I 187; s. aber §§208 —213 des G.). Auch in zivil- und strafprozessualer Hinsicht stehen

A. den Inländern im wesentlichen gleich, vorbe­ haltlich jedoch der Bestimmungen in §§ 110 und 111 ZPO. (wegen Sicherheitsleistung für Pro­ zeßkosten s. auch § 28 Abs. 5 des PatentG. in der Fassung der Bek. vom 7. 12. 1923, RGBl. II 437) sowie in §§ 112, 113 StPO. (Verhaftung). Aus dem Strafrecht s. § 362 StGB., wonach bei Verurteilung zu Überweisung an die Landes­ polizeibehörde A. ausgewiesen werden können. Wegen der Eheschließung von A. s. Art. 43 § 4 AGBGB. vom 20. 9. 1899 (GS. 177) und G. vom 16. 12. 1921 (GS. 561); im übrigen s. Ehe­ schließungen. Art. 135 RV. gewährt allen Be­ wohnern des Reichs, also auch den A., volle Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anschütz, RV., 3. bis 4. Aufl. Anm. 2 zu Art. 135) und Art. 137 RV. auch die Freiheit der Vereinigung zu Reli­ gionsgesellschaften. Beschränkungen greisen Platz gegenüber ausländischen Geistlichen (§§ 1,10 des G. vom 11. 5. 1873, GS. 191, Art. 3 Abs. 2; G. vom 31. 5. 1882, GS. 307, nicht beseitigt durch Art. 137 RV.; vgl. Anschütz a. a. O. Anm. 5 zu Art. 137), ausländischen jüdischen Kultusbeamten — vgl. jedoch Erl. vom 3. 12. 1926 (MBl. 1067) — (im übrigen s. Juden), ausländischen juristischen Per­ sonen in bezug auf Grunderwerb (s. Juristische Personen und unter V), bei der Erteilung von Jagdscheinen (§ 29 Abs. 2, § 32 Jagdordnung vom 15. 7. 1907, GS. 207, hierzu Art. 1 Abs. 2 der V. vom 12. 11. 1923, GS. 532, in der Fassung des G. vom 15. 7. 1924, GS. 577, sowie Verwal­ tungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926, GS. 327, Gebührentarif Ziff. 44), von Patenten (§ 12 PatentG. vom 7. 4. 1891, RGBl. 79, in der Fassung der Bek. vom 7. 12. 1923, RGBl. II 437), Eintragung von Gebrauchsmustern (§ 13 des G. vom 1. 6.1891, RGBl. 290, in der Fassung der Bek. vom 7. 12. 1923, RGBl. II 444), von Warenbezeichnungen (§ 23 des G. vom 12. 5. 1894, RGBl. 441, in der Fassung der Bek. vom 7. 12. 1923, RGBl. II 445), beim Urheberrecht (§55 des G. vom 19. 6. 1901, RGBl. 227, in der Fassung des Art. I des G. vom 22. 5. 1910, RGBl. 793 und § 51 des G. vom 9. 1. 1907, RGBl. 7, in der Fassung des Art. III des G. vom 22. 5.1910, RGBl. 793), gegenüber ausländischen periodischen Druckschriften (§ 14 des PresseG. vom 7. 5. 1874, RGBl. 65). Auch sind auslän­ dische Besitzer von Gutsbezirken verpflichtet, zur Versehung der Gutsvorstehergeschäste Stellver­ treter zu bestellen (§ 124 Ziff. 2 LGO. für die ö. Pr. und gleiche Vorschriften in verschiedenen KrO. der übrigen Provinzen (s. Guts vor­ steh er). Wasserrechtliche Verleihungen können den A. versagt werden (§§ 62, 203 des G. vom 7. 4. 1913, GS. 53). V. Beim stehenden Gewerbetrieb (s. d.) stehen die A. den Inländern im allgemeinen gleich. In den nach dem Weltkrieg mit fremden Staaten ab­ geschlossenen Handels- und Niederlassungsver­ trägen ist dies regelmäßig vertraglich festgelegt (vgl. Art. I des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reiche und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. 12. 1923, G. vom 17. 8. 1925, RGBl. II 795; Art. II des Handels- und Schisfahrtsvertrags zwischen dem Deutschen Reiche und dem Vereinig­ ten Königreiche von Großbritannien und Irland vom 2. 12. 1924, G. vom 17. 8. 1925, RGBl. II

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Allsländer 777; Art. II des Nicderlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 12.10. 1925, RGBl. 1926 II, 6). Jedoch bestehen Aus­ nahmen, die auch gegenüber der vertraglich be­ stimmten grundsätzlichen Gleichstellung Platz greifen, wenn nicht ausdrücklich das Gegenteil vereinbart ist. A. sind ausgeschlossen von den Be­ trieben der Küstenschiffahrt (G. vom 22. 5. 1881, RGBl. 97; V. vom 29. 12. 1881, RGBl. 275; V. vom 1. 6. 1886, RGBl. 179) und von der Küstenfischerei (§ 296a StGB.). Die Erlaubnis zum Betriebe des Gewerbes eines Auswande­ rungsagenten darf nur an Reichsangehörige er­ teilt werden (§ 13 des G. vom 9. 6. 1897, RGBl. 463; s. Auswanderungswesen). Die Zu­ lassung ausländischer Versicherungsunternehmungen zum Geschäftsbetrieb im Inland ist gegenüber inländischen Unternehmungen an erschwerte Be­ dingungen geknüpft und kann von der Reichsregierung nach freiem Ermessen versagt werden (§§ 4, 85ff. des G. vom 12. 5. 1901, RGBl. 139). Abgesehen von den ausländischen Gesellschaften zur Beförderung von Auswanderern nach außer­ deutschen Ländern und den ausländischen Ver­ sicherungsgesellschaften, die beide der Erlaubnis der Reichsregierung bedürfen, dürfen juristische Personendes Auslandes, sofern nicht durch Staats­ verträge ein anderes bestimmt ist, nach § 18 PrGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 41) in der Fassung des G. vom 22. 6. 1861 (GS. 441) und des G. vom 29. 6. 1914 (GS. 137) nur mit Ge­ nehmigung der Ministerien in Preußen — zu­ ständig ist das HM. — ein Gewerbe betreiben {§ 12 Abs. 1 GewO.). Bei fehlender Genehmi­ gung kann die Polizeibehörde den Gewerbebe­ trieb untersagen (OVG. 10. 6.1912, GewArch. 12, 227). Wegen des Grunderwerbs ausländischer juristischer Personen in Preußen s. Art. 7 § 2 AGBGB. vom 20. 9. 1899 (GS. 177), §54 des G. vom 12. 5. 1901 (RGBl. 139), V. vom 29. 11. 1911 (GS. 217) und 25. 3. 1920 (GS. 85). Zum Erwerb von Bergwerkseigentum, unbeweglichen Bergwerksanteilen und selbständigen Abbau-Ge­ rechtigkeiten bedürfen ausländische juristische Per­ sonen der Genehmigung des Staatsministeriums oder der zuständigen Minister (G. vom 23.6.1909, GS. 619; V. vom 11. 12. 1909, GS. 797). Nach § 201 Abs. 5, § 320 Abs. 3 HGB. sind diese Vor­ schriften auch für die Zulassung ausländischer Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaf­ ten auf Aktien maßgebend. Die baupolizeiliche oder gewerbepolizeiliche Genehmigung soll für ge­ werbliche Anlagen ausländischer juristischer Per­ sonen nicht eher erteilt werden, als bis die Ge­ nehmigung für den Grunderwerb oder den Ge­ schäftsbetrieb eingeholt ist (Erl. vom 7. 2. 1897, MBl. 35). Ein Recht auf Ausübung des Gewerbe­ betriebs im Umherziehen haben A. nicht, wie dies auch in den Handelsverträgen regelmäßig aus­ drücklich ausgesprochen ist. Der BR. hat sie je­ doch auf Grund des § 56d GewO, in gewissem Umfange zu diesem Gewerbebetrieb zugelassen (Bek. vom 27. 11. 1896 Abschn. II, RGBl. 745, abgeändert durch Bek. vom 13. 1. 1909, RGBl. 259 und 4. 3. 1912, RGBl. 189), s. Gewerbe­ trieb im Umherziehen. Auf den ambulanten Gewerbebetrieb (s. d.) der A. können diese Vor­ schriften des BR. über den Gewerbebetrieb im

Umherziehcn durch den RP., im Landespolizei­ bezirk Berlin durch den PolPräs., angewandt werden (§ 42b Abs. 4 GewO., preuß AusfAnw. vom 1.5.1904, HMBl. 123). S.auch Handlungs­ reisende. VI. Sozialversicherung. 1. Auf dem Ge­ biete der Arbeiterversicherung gemäß der RVO. bestehen Unterschiede zwischen Inländern und A. grundsätzlich nicht. Die A. sind wie die Inländer der Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherungs­ pflicht in versicherungspflichtigen inländischen Betrieben unterworfen, und zwar auch dann, wenn der Inhaber des Betriebs ein A. ist. Dies gilt auch für solche ausländischen Betriebe, z. B. Transportunternehmungen, die für den Betrieb im Inland eine Niederlassung, Agentur, Betriebs­ stätte usw. eingerichtet haben, die sich als Mittel­ punkt der gewerblichen Tätigkeit, wirtschaftlicher Schwerpunkt des Betriebs im Inland (Betriebssitz) ansehen läßt. Nach § 157 Abs. 2 RVO. in der Fassung der Bek. vom 15.12.1924 (RGBl. I 779) kann bei entsprechender Gegenleistung die Versicherung von Angehörigen eines auslän­ dischen Staates abweichend von den Vorschriften der RVO. geregelt und die Durchführung der Fürsorge des einen Staates in dem Gebiete des anderen erleichtert werden. In diesen Verein­ barungen darf die nach der RVO. bestehende Bei­ tragspflicht des Arbeitgebers nicht ermäßigt oder beseitigt werden. Soweit andere Staaten eine der Reichsversicherung entsprechende Fürsorge durchgeführt haben, kann die Reichsregierung mit Zustimmung des RR. unter Wahrung der Gegen­ seitigkeit vereinbaren, in welchem Umfange für Betriebe, die aus dem Gebiete des einen Staates in das des anderen übergreifen, sowie für Ver­ sicherte, die zeitweise im Gebiete des anderen Staates beschäftigt werden, die Fürsorge nach der RVO. oder nach den Fürsorgevorschriften des anderen Staates geregelt werden soll (§ 157 Abs. 1 RVO.). Für A. bestehen nur folgende Sonderbestimmungen (abgesehen von dem Fall, daß gegen Angehörige eines ausländischen Staates ein Vergeltungsrecht angewendet wird, § 158 RVO.): a) In der Krankenversicherung ruht die Krankenhilfe, abgesehen von den für In- und Ausländer gleichmäßig geltenden Gründen, für berechtigte A., solange sie wegen Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Reichsgebiet aus­ gewiesen sind. Das gleiche gilt für berechtigte A., die aus Anlaß der Verurteilung in einem Straf­ verfahren aus dem Gebiet eines Landes ausge­ wiesen sind, solange sie sich nicht in einem andern Lande aufhalten (§216 Ziff. 3 RVO.). b) In der Unfallversicherung haben die Hinterbliebenen eines A., die sich zur Zeit des Un­ falles nicht gewöhnlich im Inland aufhielten, keinen Anspruch aus Rente und Witwenbeihilfe (§ 596 Abs. 1 RVO. in der Fassung des G. vom 14. 7. 1925, RGBl. I 97; Bek. vom 9. 1. 1926, RGBl. I 9). Die Reichsregierung kann dies ge­ mäß §596 Abs. 2 RVO. mit Zustimmung des NR. für ausländische Grenzgebiete ausschließen. Dies ist für die Gebiete der gewerblichen, land­ wirtschaftlichen und SeeUB. geschehen im Ver­ hältnis zu Dänemark und den Niederlanden (NKBek. vom 12. 6.1901, ZBl. 210), der Schweiz (NKBek. vom 3. 11. 1902, ZBl. 390), Österreich

Bitter, Handwörterbuch der preutz. Verwaltung, 3. lufl.

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Ausländer

(V. vom 7. 2. 1925, NGBl. I 11), Tschechoslo­ wakei (B. vom 7. 2. 1925, RGBl. I 11), Luxem­ burg (RKBek. vom 9. 5. 1905, ZBl. 117). Fer­ ner kann die Geltung dieser Vorschrift ausge­ schlossen werden für Angehörige solcher auswär­ tiger Staaten, deren Gesetzgebung eine entspre­ chende Fürsorge für die Hinterbliebenen durch Betriebsunfall getöteter Deutscher gewährleistet. Dies ist für das Gebiet der gewerblichen UV. zu­ gunsten der Angehörigen folgender Staaten ge­ schehen: Italien (RKBek. vom 29. 6. 1901, ZBl. 236), Niederlande (RKBek. vom 1. 7. 1903, ZBl. 240), Luxemburg (RKBek. vom 9. 5. 1905, ZBl. 117), Belgien (RKBek. vom 24. 2. 1906, ZBl. 239). Die Unfallrente ruht, solange sich der be­ rechtigte A. freiwillig gewöhnlich im Ausland auf­ hält, ferner solange er wegen Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Reichsgebiet aus­ gewiesen ist. Das gleiche gilt für einen berechtigren A., der aus Anlaß der Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Gebiete eines Landes ausgewiesen ist, solange er sich nicht in einem an­ deren Lande aufhält. In diesen Fällen kann aber die Reichsregierung mit Zustimmung des RR. das Ruhen der Rente für ausländische Grenz­ gebiete oder für Angehörige solcher auswärtiger Staaten ausschließen, deren Gesetzgebung Deut­ schen und ihren Hinterbliebenen eine entsprechen­ de Fürsorge gewährleistet (§ 615 Abs. 1 Ziff. 3 und 4, § 1116 Abs. 2 Ziff. 3, 4). Dies ist für den Fall des Aufenthalts des A. im Ausland hinsichtlich der Grenzgebiete für die gewerbliche und landwirtschaftliche UV. geschehen im Ver­ hältnis zu Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, der Schweiz (RKBek. vom 16. 10. 1900, ZBl. 540), zu Österreich und der Tschecho­ slowakei (V. vom 7. 2. 1925, NGBl. I 11), hin­ sichtlich der Gegenseitigkeit für die gewerb­ liche UV. im Verhältnis zu Italien (RKBek. vom 29. 6. 1901, ZBl. 236), Niederlanden (RKBek. vom 1. 7. 1903, ZBl. 240), Luxemburg (RKBek. vom 4. 5.1905, ZBl. 117), Belgien (RKBek. vom 24. 5. 1906, ZBl. 239). Die Angehörigen der letzteren Staaten haben aber die Bestimmungen des RVA. vom 2. 11. 1912 über die Pflichten un­ fallrentenberechtigter Inländer, die sich im Aus­ land aufhalten, zu erfüllen (AN. 12, 976). Ist die Ausweisung des berechtigten A. nicht wegen Verurteilung oder aus Anlaß der Verurteilung in einem Strafverfahren angeordnet, so ruht die Rente während seines Aufenthalts im Auslande nur, wenn er es schuldhast unterläßt, der Berufs­ genossenschaft seinen Aufenthalt mitzuteilen und als Verletzter auf Verlangen der Genossenschaft sich von Zeit zu Zeit bei dem zuständigen Konsul oder einer ihm bezeichneten anderen deutschen Be­ hörde vorzustellen (§ 615 Abs. 2 RVO.). c) In der Invalidenversicherung kann die Reichsregierung bestimmen, daß Ausländer ver­ sicherungsfrei sind, denen die Behörde den Aufent­ halt im Inland nur für eine bestimmte Dauer ge­ stattet hat. Von dieser Befugnis ist durch die Bek. vom 7. 3. 1901 (ZBl. 78) für die polnischen Saisonarbeiter Gebrauch gemacht worden. Die Bek. ist noch in Kraft (vgl. AN. 19, 373; 21, 185; 25,256). Die Arbeitgeber dieser Ausländer zahlen dann nach Anordnung des RVA. soviel an die Ver­ sicherungsanstalt, wie sie sonst aus eigenen Mitteln zahlen müßten (§ 1233 RVO.). Für das Ruhen

der Invalidenrente gelten ähnliche Vorschriften wie für das Ruhen der Unfallrente (§§ 1314, 1314a RVO.). Der Anspruch der Hinterbliebe­ nen eines A., die sich zur Zeit seines Todes nicht gewöhnlich im Jnlande aufhielten, beschränkt sich auf die Bezüge ohne Reichszuschuß. Die Reichs­ regierung kann mit Zustimmung des RR. diese Beschränkung für ausländische Grenzgebiete oder für Angehörige solcher auswärtiger Staaten aus­ schließen, deren Gesetzgebung eine entsprechende Fürsorge gewährleistet (§ 1268 RVO.). Die Ver­ sicherungsanstalt kann einen berechtigten A., der sich gewöhnlich im Ausland aufhält, mit dem Kapitalwert seiner Bezüge abfinden. Der RAM. bestimmt das Nähere (§ 1317 RVO., B. über Kapitalwerte von Renten aus der JnV. vom 6. 3. 1924, RMBl. 102). 2. In der Angestelltenversicherung sind die Ausländer wie die Inländer bei Beschäftigung im Jnlande dem Versicherungszwang unterwor­ fen. Die Vorschriften des Avg. in der Fassung der Bek. vom 28. 5. 1924 (RGBl. I 563) gelten also grundsätzlich auch für die im Inland beschäf­ tigten ausländischen Angestellten im Sinne des § 1 des G. Für sie gelten nur wegen des Ruhens der Rente besondere Vorschriften, die den Vor­ schriften über das Ruhen der Rente in der UV. entsprechen (§ 74). Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des RR. das Ruhen der Rente für ausländische Grenzgebiete oder für auswärtige Staaten ausschließen, deren Gesetzgebung Deut­ schen und deren Hinterbliebenen eine entsprechende Fürsorge gewährleistet (§ 75). Von dieser Be­ fugnis ist Gebrauch gemacht durch die V. vom 24. 8. 1925 (RGBl. I 320) und vom 7. 2. 1925 (RGBl. I 11). Die RfA. kann einen berechtigten A., der sich gewöhnlich im Auslande aufhält, mit dem Kapitalwert seiner Bezüge abfinden (§ 76). Der RAM. hat hierüber das Nähere durch die V. vom 8. 9. 1924 (RAM. 24, 375) bestimmt. § 358 des G. entspricht dem § 157 RVO. (s. oben Ziff. 1). 3. Das RKG. in der Fassung der Bek. vom 1. 7. 1926 (NGBl. I 369) unterwirft die Arbeit­ nehmer und Angestellten in knappschaftlichen Be­ trieben der Versicherung nach diesem G. ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit (§§ 1, 28, 49). Für ausländische Versicherte gelten wegen des Ruhens von Pension und Ruhegeld Vorschriften, die den Bestimmungen in der Un­ fall- und Angestelltenversicherung entsprechen (§§ 93, 94). S. auch Rei chs knapp sch astsversicherung VII 3. § 237 des G. entspricht dem § 157 RBO. (s. oben Ziff. 1). E. W. 4. Arbeitslosenversicherung. Aus der Krankenversicherungspslicht der A. folgt ihre Ver­ sicherungspflicht aus § 69 ArbeitslosenversicherungsG. (s. Arbeitslosenversicherung). Nach § 67 Abs. 2 ArbeitslosenversicherungsG. ist die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung von A. nur unter Beachtung der Vorschriften der B. vom 2. 1. 1926 (RGBl. I 5) in der Fassung der V. vom 20. 9. 1927 (RGBl. I 302) zuläsisig. — Für die Anwerbung und Vermittlung ausländi­ scher Landarbeiter gilt die V. vom 19. 10. 1922 (Reichsanzeiger Nr. 238), abgeändert durch B. vom 2. 1. 1923 (Reichsanzeiger Nr. 3) in der Fassung der V. vom 20. 9. 1927 (NGBl. I 3l)2). Polnische landwirtschaftliche Wanderarbeiter sind

Ausländer, Schulpflicht — Ausländische Arbeiter

von der Bersicherungspslicht nach dem ArbeitslosenversicherungsG. befreit, wenn sie auf Grund eines Arbeitsvertrags beschäftigt werden, den der Fachausschuß für Land- und Forstwirtschaft bei der Hauptstelle der Reichsanstalt aufgestellt hat. A. erhalten Krisenunterstützung (s. d.) nur bei ver­ bürgter Gegenseitigkeit (§ 101 Abs. 3 ArbeitslosenversicherungsG.). Gegen A. kann das Ver­ geltungsrecht angewendet werden (§ 211 a. a. O.). 5. Wegen Abfindung der A. durch Kapital­ zahlung in der Sozialversicherung s. Kapital­ abfindung. F. VII. Führungszeugnisse für A. können in besonderen Fällen erteilt werden, sofern eine mißbräuchliche Verwendung nicht zu besorgen und ein Interesse an der Ausstellung glaubhaft gemacht ist. Das Führungszeugnis muß jedoch stets erkennen lassen, daß es für einen A. aus­ gestellt worden ist. Außerdem ist der Zweck, zu welchem das Zeugnis verlangt wird, sowie ein Vermerk, daß es für andere Zwecke ungültig ist, jedesmal ausdrücklich aufzunehmen (Erl. vom 25. 8. 1922, MBl. 861). E. W. Jsay, Das Deutsche Fremdenrecht.

Ausländer, Schulpflicht s. Volksschulen 17 (Schulpflicht und Schulversäumnis) II. Ausländische Arbeiter. I. Bereits vor dem Weltkriege waren in Preußen und einigen an­ deren Bundesstaaten Vorschriften über die Be­ schäftigung a. A. erlassen, die sich in der Haupt­ sache auf die polnischen Arbeiter russischer und österreichischer Nationalität bezogen, die in der Landwirtschaft und zum Teil in industriellen Großbetrieben tätig waren. Einer Kontrolle waren sämtliche a. A. durch die Jnlandslegitimierung unterworfen, die den Zweck hatte, die durch die oft mangelhafte Legitimierung der Aus­ länder möglichen wirtschaftlichen und politischen Gefahren abzuwenden. Die Preußische Reg. führte inländische, in deutscher Sprache abgesaßte, Ausweispapiere ein, wodurch die Polizei­ behörden instand gesetzt wurden, die a. A. einer­ seits besser zu überwachen und zum gesetzmäßigen Verhalten anzuhalten, andererseits ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, falls sie der amt­ lichen Hilfe bedurften. Zum Zwecke der Ausstel­ lung dieser Jnlandsausweispapiere wurden in einer Reihe von Orten an der damaligen russischen und österreichischen Grenze Grenzämter der „Deutschen Feldarbeiterzentrale zu Berlin" er­ richtet. Die von diesen Ämtern nach vorgeschrie­ benem Muster ausgestellten Ausweispapiere wur­ den durch die für das betreffende Grenzamt zu­ ständige OPB. amtlich geprüft und ausgefertigt. Diese Regelung hat sich in ihren Grundzügen bis heute erhalten (s. unten III). Die allgemeinen polizeilichen Vorschriften, insbesondere auf dem Gebiete der Gesundheits- und Wohnungspolizei, galten ebenfalls für alle a. A. Für die polnischen Arbeiter waren außerdem besondere Vorschriften erlassen, die bezweckten, den Zuzug dieser Arbeiter nach Preußen auf das durch die wirtschaft­ lichen Verhältnisse gebotene Maß zu beschränken und ihn so zu gestalten, daß eine Seßhaftmachung der Zuziehenden vermieden wurde. II. Die Verhältnisse nach dem Kriege, insbe­ sondere die in früher nie gekanntem Maße in Deutschland herrschende Arbeitslosigkeit, hab?n das Reich und die Länder dazu genötigt, Vor-

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schristen zu erlassen, die einerseits eine Einschrän­ kung der Beschäftigung a. A. und ihre Kontrolle zum Zwecke haben, andererseits aber auch den tatsächlichen Bedürfnissen, namentlich in der Landwirtschaft des Ostens, Rechnung tragen: 1. Der Paß- und Sichtvermerkszwang (s. Paß­ wesen) trifft auch die a. A. Von dieser Vorschrift sind aber große Gruppen a. A. ausgenommen. Nach § 122 Paßbek. gelten die aus dem Ausland einwandernden ausländischen Landarbeiter, die erklären, zur Arbeit im Reichsgebiet angenommen zu sein, für die Einreise als vom Paß- und Sicht­ vermerkszwange befreit, wenn ein Grenzamt der Deutschen Arbeiterzentrale ihre Annahme für eine inländische Arbeitsstelle bestätigt und ihre Legitimierung (s. III) alsbald vornimmt. Für die Weiterreise an den inländischen Zielort ge­ nügt ein von einem Grenzamt der Deutschen Arbeiterzentrale ausgestellter Reiseausweis, der nur in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und nur für die Dauer eines Monats als Paßersatz gilt. Für den weiteren Aufenthalt im Reichsge­ biet gilt die von der Deutschen Arbeiterzentrale ausgestellte Legitimationskarte als Paßersatz. 2. Für den Zuzug zur Aufnahme von Arbeit im Reichsgebiet bedürfen a. A. einer besonderen Genehmigung, die in Preußen durch die RP. (PolPräs. Berlin) erteilt wird (Ergänzungsbe­ stimmung XIzu § 52 Paßbek., Erl. vom 22.9.1924, betr. Neuordnung des Paßwesens, MBl. 933). Fehlt diese Genehmigung, so ist der Sichtver­ merk zu versagen (§ 52 IIIb Paßbek. vom 4. 6. 1924, RGBl. 1613). Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn das zuständige Landesamt für Arbeitsvermittlung die Geneh­ migung für die Beschäftigung des Arbeiters er­ teilt hat. Dieses Verfahren ist geregelt durch die auf Grund des §26 Abs. 2 ArbNG. vom 22. 7. 1922 (RGBl. I 657) ergangene B. des Präsi­ denten der Reichsarbeilsverwaltung über die Einstellung und Beschäftigung a. A. vom 2. 1. 1923 (MBl. 29), an deren Stell? die zur Zeit geltende V. vom 2. 1. 1926 (RGBl. I 5) getreten ist. Nachdem das ArbNG. auf Grund des § 220 des G. über Arbeitsvermittlung und Arbeits­ losenversicherung vom 16. 7. 1927 (RGBl. I 187) am 1. 10. 1927 außer Kraft getreten ist, regelt gemäß § 67 Abs. 2 dieses G. der RAM. die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung aus­ ländischer Arbeitnehmer nach Anhörung des Berwaltungsrats der Reichsanstalt für Arbeitsvermitt­ lung und Arbeitslosenversicherung mit Zustim­ mung des RR. Ihm liegt auch die Überwachung ob, mit der er ganz oder teilweise die Reichsanstalt be­ auftragen kann. Durch die V. vom 20. 9. 1927 (RGBl. I 302) sind die V. vom 2. 1.1926 und die auf Grund dieser V. erlassenen Vorschriften auch über den 1. 10.1927 hinaus in Kraft gelassen wor­ den. Die V. vom 2. 1. 1926 bestimmt, daß a. A. nur in Arbeitsstellen eingestelltund beschäftigt wer­ den dürfen, für die das Landesamt für Arbeitsver­ mittlung oder die von ihm beauftragte Stelle die Beschäftigung a. A. genehmigt hat (§ 1). Nicht als a. A. im Sinne der V. gelten, abgesehen von den Inhabern einer Verkehrskarte im oberschle­ sischen Grenzgebiet (Erl. vom 6. 7. 1923, MBl. 760) nach § 2 solche Arbeiter, die in der See- und Binnenschiffahrt beschäftigt sind oder sich im Be­ sitze eines Befreiungsscheines befinden. Den Be-

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Ausländische Arbeiter

freiungsschein (vgl. Erl. des MdI. vom 17. 3.1927, MBl. 329), der von der Deutschen Arbeiterzentrale ausgestellt wird, erhalten a. A., die seit längeren Jahren im Jnlande nicht nur vorübergehend be­ schäftigt sind, sich also in das deutsche Wirtschafts­ und Volksleben in gewissem Grade eingefügt haben. Dies gilt auch, wenn sie vorübergehend arbeitslos gewesen sind (vgl. Erl. vom 2. 7. 1924, MBl. 721). Der Befreiungsschein behält auch seine Gültigkeit, wenn der Inhaber zu einem vor­ übergehenden Aufenthalt ins Ausland geht (Erl. vom 2. 2. 1925, MBl. 169, und vom 11. 4.1925, MBl. 471). Außer diesen Fällen wird ein Be­ freiungsschein ferner erteilt Arbeiterinnen, die durch Verheiratung mit einem Ausländer die deutsche Reichsangehörigkeit verloren haben, so­ wie a. A., die das zuständige Landesamt für Ar­ beitsvermittlung im Einzelfalle mit Zustimmung der höheren Landesverwaltungsbehörde von den Bestimmungen der V. befreit hat, weil ihre An­ wendung eine besondere Härte gegen sie bedeuten würde. Auch deutschstämmige Rückwanderer aus Rußland, die vor dem 1. 1. 1919 nach Deutsch­ land gekommen sind, Familie besitzen und in der Landwirtschaft beschäftigt sind (nicht als Saison­ arbeiter), erhalten Befreiungsscheine (Erl. des MdI. IVc 5042 II vom 19. 3. 1926, nicht ver­ öffentlicht), ebenso die aus Flüchtlings- oder In­ ternierungslagern entlassenen russischen Flücht­ linge (Erl. vom 21. 1.1926, MBl. 75, und vom 5. 5. 1926, MBl. 459). A. A., die vom Ausland neu zureisen, dürfen in eine freigegebene Ar­ beitsstelle nur eingestellt werden, wenn sie sich im Besitz eines in einem Grenzamt der Deutschen Arbeiterzentrale ausgestellten, auf die Arbeits­ stelle lautenden Reiseausweises oder eines mit einem Einreisesichtvermerk versehenen Passes be­ finden. Reiseausweis und Paß gelten nur für die erste Einstellung nach der Einreise (§ 3). Die Beschäftigung a. A. auf einer für m A. sreigegebenen Arbeitsstelle ist nur zulässig, wenn sich die Arbeiter im Besitz einer ordmmgsmäßigen Legitimationskarte der Deutschen Arbeiterzen­ trale befinden. Beim Wechsel der Arbeitsstelle darf der a. A. in eine neue Arbeitsstelle nur einge­ stellt werden, wenn die Legitimationskarte die Bestätigung des letzten Arbeitgebers, daß gegen seine Einstellung in eine andere Arbeitsstelle nichts eingewendet wird, oder, mit Zustimmung des Arbeitgebers, eine entsprechende Bescheinigung des öffentlichen Arbeitsnachweises trägt (§4). Angaben über die Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder sonstige Vermerke des Arbeitgebers oder Arbeitsnachweises dürfen auf der Legitimationskarte nicht gemacht werden (§ 6). Die Bestätigung oder Zustimmung des Arbeitgebers darf nur verweigert werden, wenn der Arbeiter seine Arbeitsstelle unter Vertrags­ bruch verläßt oder verlassen hat. Der Arbeitneh­ mer kann in diesem Falle den bei dem öffentlichen ArbN. gebildeten Prüfungsausschuß (wegen der Zahlung von Reisekosten für die Mitglieder vgl. Erl. vom 30. 1. 1922, MBl. 191) anrufen, der nach Anhörung des Arbeitgebers und Arbeit­ nehmers trotzdem die Einstellung des Arbeit­ nehmers gestatten kann, wenn die Versagung der Erlaubnis sich als unbillige Härte darstellen würde oder die Bestätigung oder Zustimmung von dem Arbeitgeber offenbar zu Unrecht verweigert wor­

den ist (§ 7). Ausländische landwirtschaftliche Arbeiter dürfen in nicht landwirtschaftliche Be­ triebe, abgesehen von den vorerwähnten Be­ dingungen, nur mit besonderer Zustimmung des für die neue Arbeitsstelle zuständigen Landes­ amtes für Arbeitsvermittlung eingestellt werden (§ 9). Ausländische landwirtschaftliche Wan­ derarbeiter dürfen nur auf Grund des vom landwirtschaftlichen Fachausschuß der RAVw. (Reichsamt für Arbeitsvermittlung) aufgestellten Arbeitsvertrages für ausländische Wanderar­ beiter beschäftigt werden (§ 10). Wer a. A. beschäftigen will, hat die Genehmigung hier­ zu bei dem öffentlichen ArbN. zu beantragen, in dessen Bezirk die Arbeitsstelle liegt (§11). Die Anträge werden durch einen PrüfungsA. beim ArbN. oder mit Zustimmung des Landesamtes für Arbeitsvermittlung durch den Vorsitzenden des öffentlichen ArbN. im Auftrage des Prü­ fungsausschusses vorgeprüft. Uber die Genehmi­ gung entscheidet regelmäßig der Vorsitzende des Landesamtes für Arbeitsvermittlung, der mit Zustimmung der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle den Vorsitzenden ein­ zelner oder sämtlicher öffentlicher ArbN. des Be­ zirks die Befugnis erteilen kann, in seinem Auf­ trage über die Genehmigung zu entscheiden (§§ 12—14). Die Genehmigung der Beschäfti­ gung a. A. kann für die Arbeitsstelle bis zur Dauer von 12 Monaten erteilt werden. Für landwirt­ schaftliche Arbeitsstellen wird die Genehmigung, soweit die Beschäftigung ausländischer Wander­ arbeiter in Frage kommt, nur bis zum 15. 12. eines jeden Jahres erteilt (§ 15). Gegen die Ent­ scheidung des Vorsitzenden des Landesamtes für Arbeitsvermittlung oder des Vorsitzenden des öffentlichen ArbN. über die Zulassung a. A. kann der Antragstellerbinnen vier Wochen bei dem Prü­ fungsausschuß des Landesamtes Einspruch ein­ legen. Der Einspruch hat, soweit die a. A. bereits bisher mit Genehmigung des Landesarbeitsamts auf der Arbeitsstelle beschäftigt waren, aufschie­ bende Wirkung (§16, vgl. Erl. des MdI. IVc 382 vom 18. 12. 1925, nicht veröffentlicht). Zu­ widerhandlungen gegen die Bestimmungen der V. werden mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (vgl. Erl. vom 20. 10. 1925 betr. die Handhabung der V. über die Einstellung und Beschäftigung a. A., JMBl. 379). Außerdem kann Arbeitgebern, die gegen die Vorschriften verstoßen, für die Zukunft die Ge­ nehmigung zur Beschäftigung a. A. versagt werden. III. Die V. vom 2. 1. 1926 hat sonstige Vor­ schriften über Einreise und Aufenthalt von a. A. im Inland, insbesondere die landesrechtlichen Vorschriften über die Legitimierung, unberührt gelassen (§ 20). In Preußen sind alljährlich durch den MdI. Vorschriften über die Jnlandslegitimierung a. A. erlassen worden, die die Bestim­ mungen der B. ergänzen. Zur Zeit ist maßgebend der Erl. vom 7. 1. 1927 (MBl. 38). Dem Legiti­ mierungsverfahren haben sich die außerpreu­ ßischen Länder mit Ausnahme von Bayern, Württemberg, Baden und Hamburg ange­ schlossen. 1. Dem Legitimierungszwange unterliegen alle im Jnlande in öffentlichen oder priva^ ten Betrieben beschäftigten Arbeiter im Sinn^

Ausländsdeutsche

des BNG- vom 4.2.1920 (RGBl. 147) einschließ­ lich der niederen Hausangestellten, die nicht deutsche Reichsangehörige sind. Von dem Legitimierungszwange befreit sind die a. A., für deren Beschäftigung eine Genehmigung des Landesamts für Arbeitsvermittlung nicht erforderlich ist, falls sie sich durch Vorlage eines Passes oder Paßersatzes über ihre Person ausweisen können und einen Befreiungsschein (s. II 2) erhalten haben. 2. Im erleichterten Verfahren können a. A., die im Auslande wohnen und täglich über die Grenze zur Arbeitsstelle kommen, sich auch im Be­ sitze eines Passes oder Paßersatzes befinden, durch Ausstellung einer Grenzläuferkarte sich legiti­ mieren lassen. 3. Die Legitimierung findet grundsätzlich an der Grenze in den Grenzämtern der Deutschen Ar­ beiterzentrale statt, für bereits im Inland be­ findliche legitimierungspflichtige a. A. und in allen Fällen, in denen die Legitimierung an der Grenze undurchführbar war, an der Arbeitsstelle durch die Landesftellen der Deutschen Arbeiter­ zentrale. 4. Anträge auf Legitimierung an der Arbeits­ stelle sind an die für den Ort der Beschäftigung zuständige OPB. mit den nötigen Unterlagen zu richten. Die Legitimierung der bereits im In­ land an Arbeitsstellen befindlichen Arbeiter muß spätestens bis zum 28. 2. eines jeden Jahres be­ antragt sein. Die OPB. hat die Anträge mit den Unterlagen spätestens binnen acht Tagen an die zuständigen Grenzämter oder Landesstellen der Deutschen Arbeiterzentrale weiterzugeben. 5. Die Legitimierung der ausländischen Land­ arbeiter erfolgt längstens mit Wirkung bis zum 15. 12. des betreffenden Jahres, die der anderen Arbeiter nicht über das jeweilige Kalenderjahr hinaus. Legitimierungspslichtige a. A., die sich ohne gültige Arbeiterlegitimationen im Jnlande aushalten, sowie solche a. A., die zwar vom Legi­ timierungszwange befreit werden oder sich im er­ leichterten Verfahren legitimieren lassen können, sich aber nicht im Besitze der vorgeschriebenen be­ sonderen Papiere (oben Ziff. 1 u. 2) befinden, werden lediglich wegen Mangels dieser Papiere nicht ausgewiesen. Soweit nach den Vorschriften des Ausweisungserlasscs (s. Ausweisungen) die Ausweisung ausländischer landwirtschaftlicher Ar­ beiter wegen eines Verstoßes gegen die Paß- oder Meldepolizeivorschriften oder wegen Mangels eines Unterkommens oder einer gesicherten wirt­ schaftlichen Existenz in Betracht kommen würde, ist, bevor die Ausweisung verfügt wird, den zu­ ständigen Landesgrenzstellen oder Grenzämtern Gelegenheit zu geben, den betreffenden a. A. in einen landwirtschaftlichen Betrieb, der die er­ forderliche Genehmigung des Landesamts für Arbeitsvermittlung zur Beschäftigung a. A. hat, vorläufig unterzubringen. 6. Für Landarbeiter werden grüne, für alle übrigen Arbeiter weiße Legitimationskarten aus­ gestellt, die das Lichtbild des Inhabers mit dem kostenfreien Stempel der OPB. (Erl. vom 7. 8. 1921, MBl. 281) tragen. Die Legitimationskarten, Befreiungsscheine und Grenzläuferkarten werden ausschließlich durch die OPB. ausgehändigt. 7. Die Kosten des Legitimierungsverfahrens be­ tragen grundsätzlich 3 RM, in gewissen Fällen 7 RM, für die Ausstellung von Ersatzkarten für

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abhanden gekommenen Karten wird eine Gebühr von 0,50 RM erhoben. Die Kosten des Legiti­ mierungsverfahrens hat der Arbeitgeber zu tragen, mit Ausnahme der Kosten für Beschaffung des Lichtbildes, die der Arbeitnehmer zu tragen hat. 8. Die Legitimationskarten sind ebenso wie die Heimatpapiere als persönliche Ausweispapiere Eigentum der Arbeiter und dürfen ihnen gegen ihren Willen von den Arbeitgebern nicht vorenthalten werden. Die Polizeibehörden haben alle alten oder nicht ausgehändigten Legitimations­ karten der Deutschen Arbeiterzentrale in Berlin zu übersenden. 9. Die Legitimierung muß aus sicherheitspoli­ zeilichen, sanitären, arbeitsmarktregelnden und sozialen Gründen sorgfältig durchgeführt werden. Die OPB. sollen sich deshalb durch wiederholte, nicht vorher angesagte Überprüfungen der Be­ triebe über die in ihrem Bezirk beschäftigten a. A. genaue Kenntnis verschaffen und sich vergewissern, daß die Legitimierung ordnungsmäßig durchge­ führt ist. Soweit landwirtschaftliche Betriebe in Frage stehen, ist besonderes Augenmerk auf die Wohn- und Unterkunftsverhältnisse der auslän­ dischen Landarbeiter zu richten (vgl. auch Erl. des MfV. vom 12. 12. 1923, VMBl. 1924, 5). 10. A. A., nicht nur landwirtschaftliche, son­ dern auch z. B. Industriearbeiter, die während der beiden letzten Monate des Kalenderjahres in ihre Heimat zurückkehren, gelten für die Ausreise als vom Paß- und Sichtvermerkszwang befreit, wenn sie sich durch eine Arbeiterlegitimations­ karte ausweisen (§ 123 Paßbek.). Diese Vergün­ stigung istgewährt, um in den Grenzbezirken un­ erwünschte Ansammlungen von Wander- und Saisonarbeitern, die während der beschäftigungs­ stillen Wintermonate regelmäßig in Massen in ihre Heimat zurückzukehren pflegen, nach Möglich­ keit zu vermeiden. IV. Die Anwerbung und Vermittlung aus­ ländischer Landarbeiter sowie jede darauf hin­ zielende Tätigkeit darf grundsätzlich nur durch die Deutsche Arbeiterzentrale erfolgen (§1 der V.,betr. Anwerbung und Vermittlung ausländischer Land­ arbeiter, vom 19. 10. 1922, Erl. vom 27. 10. 1922, MBl. 1057, in der Fassung der V. vom 2.1.1923, MBl. 34, und der V. vom 20. 9. 1927, RGBl. I 302). Ausnahmsweise können Arbeitgeber oder deren Beauftragte, wie Aufseher, Vorschnitter, Vorarbeiter, mit Zustimmung der Deutschen Ar­ beiterzentrale ausländische Landarbeiter anwer­ ben (§ 2 a. a. O.). V. Wegen der Arbeiterversicherung s. Aus­ länder VI. E. W. Js ay, Das Deutsche Frcmdenrecht. 1924. Max Hahn, Die amtlichen Bestimmungen über Anlandslegitimicrung, Einstellung und Beschäftigung aus­ ländischer Arbeiter. 1927.

Ausländsdeutsche. Der Begriff A. bezeichnet in seinem engeren Sinne, in dem er meist ge­ braucht wird, die im Auslande dauernd ansässigen Personen deutscher Reichsangehörigkeit. Die Ge­ samtheit der Reichsdeutschen an einem Orte des Auslandes bildet die deutsche Kolonie. Die Kolonie tritt besonders bei repräsentativen Ge­ legenheiten (nationale Feste, Kreuzerbesuch), häufig aber auch in sozialen und kulturellen Fragen (Unterstützungskasse, Auslandskirchen, Auslandsschulen) in Erscheinung. Die Pflege der Beziehungen zu der deutschen Kolonie und deren

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Auslandskredite (Beratungsstelle für)

Beratung bildet eine wichtige Aufgabe der amt­ lichen deutschen Auslandsvertretungen. Vielfach rechnen sich zu der deutschen Kolonie auch noch solche Personen, die ihre Reichsangehörigkeit ver­ loren und noch keine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben (Staatenlose). Die Neigung der deutschen Auswanderer zum Wechsel der Staats­ angehörigkeit ist in den einzelnen Ländern ver­ schieden. In Staaten mit wenig entwickelter Kultur europäischer Prägung, wie namentlich in dem Orient und in dem fernen Osten, ist sie gering; in hoch entwickelten Ländern dagegen pflegen die zugewanderten Deutschen — häufig infolge des Druckes der Gesetze und Behörden des Aufenthaltslandes — verhältnismäßig schnell ihre Reichsangehörigkeit zugunsten der Staatsangehö­ rigkeit ihres neuen Heimatlandes aufzugeben; so besitzt z. B. in den Bereinigten Staaten von Amerika von den zahlreichen deutschen Einwan­ derern und deren Abkömmlingen nur ein ver­ schwindender Bruchteil noch die deutsche Reichs­ angehörigkeit. Abgesehen von den örtlichen Or­ ganisationen der A. besteht seit dem Ende des Weltkrieges auch eine Vereinigung, die sich den Zusammenschluß sämtlicher im Ausland an­ sässiger Reichsdeutscher zum Ziele gesetzt hat und die bereits eine Anzahl A. umfaßt: der „Bund der A." in Berlin. Der Bund veranstaltet von Zeit zu Zeit in Deutschland Auslandsdeutschen­ tage; er vertritt neben einer Anzahl kleinerer Organisationen die Interessen der A. in der Frage der Entschädigung für Kriegs- und Liqui­ dationsschäden. Für Nachforschungen nach dem Aufenthalt von A. sind die in dem betreffenden Lande bestehenden Konsularbehörden des Reiches zuständig, die nebst der Abgrenzung ihrer Amts­ bezirke aus dem jährlich erscheinenden „Hand­ buch für das Deutsche Reich" ersichtlich sind. In der Regel versprechen jedoch solche Ermittlungen, für die Gebühren erhoben werden, nur dann Erfolg, wenn eine frühere, nicht mehr als einige Jahre alte Adresse des Gesuchten angegeben wird. — Im weiteren Sinne umfaßt der Begriff A. auch die Deutschstämmigen, die in geschlossenen Sied­ lungen als völkische Minderheiten oder als deutsche Bolkssplitter in einem Staate nichtdeutscher Sprache und Kultur leben. Hierher gehören, ab­ gesehen von den Gebieten, die Deutschland durch den Versailler Vertrag verloren hat, die Deutschen in der Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien, Ungarn, den baltischen Staaten, Südtirol, Ruß­ land usw. Da diese Bevölkerungsteile nicht aus deutschen Reichsangehörigen bestehen, ist das Reich nicht auf Grund seiner Personalhoheit be­ rechtigt, ihre Interessen gegenüber anderen Staaten wahrzunehmen. Jedoch hat sich nach dem Weltkrieg ein System völkerrechtlicher Bin­ dungen entwickelt, durch das denjenigen völkischen Minderheiten, zu deren Gunsten Minderheiten­ schutzverträge oder -erklärungen bestehen, ein in­ ternationaler Rechtsschutz gegenüber dem Staat, in dem sie leben, gewährt wird. Aus Grund solcher Verträge oder Erklärungen kann unter Umständen Deutschland als Mitglied des Völker­ bundrats für die Interessen der deutschen Minder­ heiten eintreten. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht bei Minderheiten, die, wie z. B. die Deut­ schen in Südtirol, nicht durch Minderheitenschutz­ verträge oder -erklärungen völkerrechtlich geschützt

sind (Näheres s. Minderheitenschutz). Zu den völkischen Minderheiten werden überhaupt nicht gerechnet die namentlich in manchen überseeischen Ländern sehr zahlreichen, nichtreichsangehörigen Deutschstämmigen, die selbst oder deren Vorfahren aus Deutschland ausgewandert sind und sich im Ausland dauernd angesiedelt haben. Für die In­ teressen dieser Gruppen kann Deutschland weder auf Grund seiner Personalhoheit noch auf Grund internationaler Bindungen auf dem Gebiete des Minderheitenschutzes eintreten. Der größte deut­ sche Verein, der die kulturellen Interessen der A. ohne scharfe Trennung von Reichsangehörigen und Nichtreichsangehörigen wahrnimmt, ist der „Verein für das Deutschtum im Ausland" in Berlin, dessen satzungsgemäßer Hauptzweck die Förderung des deutschen Schulwesens im Aus­ land ist. Fro. AuSlanddkredite (Beratungsstelle für). Die Beratungsstelle für A., die seit Januar 1925 be­ steht, ist ein auf Anregung des Reiches zustande gekommener Vertrauensausschuß der Länder, der den Länderregierungen auf ihren Antrag Gut­ achten über geplante öffentliche Ausländsanleihen und A. erstattet. Die Länder sind grundsätzlich die Verpflichtung eingegangen, das Gutachten der Beratungsstelle einzuholen, wenn es sich um die in den Richtlinien über die Aufnahme von A. durch Länder, Gemeinden und Gemeindever­ bände (MBl. 1925 Nr. 5) unter Lit. A aufgeführ­ ten Anleihen und Kredite (in den Richtlinien zusammengefaßt in dem Wort „Auslandskredite") handelt. Diese Richtlinien, die bisher zweimal ab­ geändert worden sind, gelten für die A. der Län­ der, Gemeinden und Gemeindeverbände, mögen sie unmittelbar ausgenommen oder mittelbar durch öffentlich-rechtliche oderprivate Geldanstalten oder durch kommunale Giroverbändc oder in anderer Weise beschafft werden; für den Auslandsver­ kauf geschlossener Posten Kommunalobligationen solcher Kreditinstitute, zu deren Allsgaben die Befriedigung des kommunaler: Kreditbedarfs ge­ hört; für die Bürgschaften und Sicherheiten, die zugunsten Dritter von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden, sei es dem Geldgeber oder dem Geldsuchenden gegenüber, gestellt werden, sowie für A., für die eine von einem Lande oder einer Gemeinde oder einem Gemeindeverbande bereits gestellte Bürgschaft oder Sicherheit wirk­ sam wird, ausgenommen den Fall, daß es sich um den Verkauf von Schuldverschreibungen öffent­ lich-rechtlicher Kreditanstalten zugunsten des Hy­ pothekarkredits handelt, es sei denn, daß der Erlös für industrielle Beleihung Verwendung finden soll. — Die Schwierigkeiten der Geld­ beschaffung, mit denen die Gemeinden während des Krieges und in der Nachkriegszeit zu kämpfen hatten, sowie der Fortfall der Erneuerungssonds und sonstigen Rücklagen durch die wertzerfftörenden Wirkungen der Inflation hatten dazu geführt, daß in zahlreichen Gemeinden jahrelang keine Verbesserungen verbrauchter oder veralteter An­ lagen vorgenommen werden konnten. Nur einige Gemeinden haben sich gerade die Inflation nutz­ bar gemacht. Als die Stabilisierung der Währung kam und damit eine erste Vorbedingung sfür die Krediterlangung erfüllt war, suchte der drängende Geldbedarf der Gemeinden Befriedigung,. Der Jnlandsmarkt versagte zunächst völlig. Die Zins-

Auslandskredite (Beratungsstelle für) sähe trugen einen irregulären Charakter. Nach­ dem die 7%tge Reparationsanleihe einen großen Erfolg gehabt hatte, begann sich das amerikanische Kapital, das in Fülle zur Verfügung stand, für Anlagen in Deutschland zu interessieren, und diese Einstellung benutzten berufene und unberufene Vermittler, die ihr Geschäft im Umherziehen be­ trieben, auch die deutschen Gemeinden zur Auf­ nahme von Ausländsanleihen zu veranlassen. Es entstand die berechtigte Besorgnis, daß in der dringenden Not von diesen Angeboten ohne Rück­ sicht auf die lokalen Interessen und ohne Rücksicht aus die Gefahren für die deutsche Volkswirtschaft im großen Umfange Gebrauch gemacht werden würde — Gefahren in dem einen Falle wegen der Schwere der Bedingungen und der Ver­ leitung zu Ausgaben, die bei notwendigen Zwecken nicht Haltgemacht hätten, Gefahren in dem anderen Falle wegen der zu befürchtenden großen Verschuldung an das Ausland. Die Länder waren ebenfalls kreditbedürftig, und da sie die damalige Geldnot der Gemeinden kannten, so wären sie zunächst vielleicht leichter zur Genehmigung aus­ ländischer Kommunalanleihen geneigt gewesen als gut war. Der MdI. hatte allerdings schon früh­ zeitig die Gemeinden aus die schweren Bedenken hingewiesen, die für die deutsche Zahlungsbilanz und damit für die deutsche Währung aus einer hemmungslosen Aufnahme von A. entstehen mußten (Vf. des MdI. und des FM. vom 11. 10. 1924, MBl. Nr. 46). Aber ganz abgesehen da­ von, daß nicht in allen Ländern nach den Vor­ schriften der Landesgesetzgebung die Ausnahme von A. einer Genehmigung von Aufsichts wegen unterlag, war in Aussicht zu nehmen, daß sich ein Wettlauf um die Gunst des Auslandskapitals entwickeln und jeder Einfluß des Geldnehmers aus die Anleihebedingungen schwinden würde. Die Reichsregierung sah sich daher veranlaßt, die Kreditaufnahme im Auslande durch Länder und Gemeinden einheitlich zu regeln. Zunächst wurde durch V. des Neichspr. vom 1. 11. 1924 (RGBl. I 726) jede Aufnahme von Krediten im Auslande durch ein Land, eine Gemeinde oder einen Ge­ meindeverband an die Genehmigung des RFM. geknüpft. Diese von vornherein befristete V. wurde durch eine zweite, gleichfalls zeitlich be­ grenzte, vom 29. 1. 1925 (RGBl. I 7) ersetzt. Durch diese wurde das Genehmigungsrecht des RFM. aus solche Gemeinden und Gemeinde­ verbände beschränkt, deren Kreditaufnahme oder Anleihebegebung nicht der Zustimmung der Lan­ desaufsicht bedurfte. Inzwischen war nämlich die eingangs erwähnte freie Verständigung zwischen den Ländern über die Richtlinien zustande ge­ kommen. An die Stelle der V. vom 29. 1. 1925 trat schließlich das G. vom 21. 3. 1925 (RGBl. I 27), in das der Grundgedanke der vorangegan­ genen V. übernommen wurde. Das G. erweitert jedoch die V. entsprechend der zwischen den Län­ dern getroffenen Vereinbarung dahin, daß das, was für Kredite und Anleihen gilt, auch für die Übernahme von Bürgschaften oder die Stellung von Sicherheiten für A. und Ausländsanleihen wirksam sein soll, und das G. bestimmt ferner, daß den Gemeindeverbänden kommunale Giro­ verbände einschließlich ihrer Bankanstalten gleich­ stehen, soweit sie ausländische Kredite aufnehmen oder Anleihen im Auslande begeben, die an

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Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände ge­ geben werden sollen. Von der in diesem G. dem RFM. erteilten Ermächtigung, das Zustimmungs­ recht aus die Länder zu übertragen, hat der RFM. Gebrauch gemacht. Diese Delegation wurde für Preußen im wesentlichen durch das das kommu­ nale Aufsichtsrecht erweiternde G., betr. aus­ ländischen Kommunalkredit, vom 9. 7. 1925 (GS. 89) überholt. Während nämlich nach den preußischen GemeindeverfassungsG. und KrO. und ProvO. nur die Anleihen (schlechthin) der öffentlichen Verbände genehmigungspflichtig sind, sind durch das vorbezeichnete G. auch die vorüber­ gehenden, aus ordentlichen Einnahmen zu decken­ den ausländischen Kredite der Gemeinden, Ge­ meindeverbände, ferner die ausländischen Kredite der Giroverbände und ihrer Bankanstalten, soweit die A. von diesen an Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände gegeben werden sollen, und schließlich die Bürgschaftsübernahmen und Sicher­ heitsstellungen der Gemeinden und Gemeinde­ verbände für genehmigungspflichtig erklärt wor­ den. Die Rechtslage ist jetzt so, daß die Länder gehalten sind, alle Bürgschaftsübernahmen usw. der öffentlichen Verbände (mit d.r eingangs be­ zeichneten Ausnahme) und, falls nicht gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt sind, die eigenen Anleihepläne und die Anträge der Kommunen der Beratungsstelle zur Begutachtung vorzulegen. Die Voraussetzungen, unter denen die Länder ohne Angehen der Beratungsstelle in Fragen der Aufnahme von A. eine Entscheidung treffen können, sind in Lit. B der Richtlinien ent­ halten. (Die Lit. B kann, wenn Wirtschafts- und währungspolitische Gründe cs erfordern, von der Beratungsstelle außer Kraft gesetzt werden.) Die Länder brauchen nach Lit. B ein Gutachten der Beratungsstelle nicht einzuholen, wenn es sich um die Aufnahme von eigenen A. han­ delt, die auf längstens ein Jahr abgeschlossen werden, sofern der Erlös der vorübergehenden Verstärkung der Betriebsmittel dient, und die Rückzahlung der Kredite bei Fälligkeit gesichert, die Umwandlung in eine langfristige Anleihe also nicht vorgesehen ist. Ferner brauchen die Länder solche, und zwar langfristige Ausländsanleihen nicht der Beratungsstelle zu unterbreiten, die auf mindestens zehn Jahre abgeschlossen sind, jedoch spätestens nach fünf Jahren vom Schuldner ge­ kündigt werden können. Eine Beschränkung auf Länderanleihen greift bei den langfristigen Aus­ ländsanleihen nicht Platz, vielmehr sind hier die Ausländsanleihen der Gemeinden, Gemeinde­ verbände usw. denen der Länder gleichgestellt. Es ist aber für die erwähnten langfristigen Länder­ und Gemeinde- und für die kurzfristigen Länder­ anleihen Erfordernis, daß die Nettobelastung aus diesen Anleihen (so wie sie von der Beratungs­ stelle unter Mitberücksichtigung von Tilgung, Dis­ agio usw. errechnet wird) einen bestimmten, je­ weilig von der Beratungsstelle festgesetzten Satz — zur Zeit 6 v. H. — nicht überschreitet. Im übrigen dürfen keine besonderen Pfänder vor­ gesehen sein; und der Erlös der A. muß unmittel­ bar produktiven Zwecken dienen. Die Voraus­ setzung des produktiven Zweckes muß auch bei beratungspflichtigen Anleihen, wenn das Gut­ achten in zustimmendem Sinne ausfallen soll, im allgemein erfüllt sein. Erste Bedingung für bu

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Auslandsschäden — Auslieferungen

Zustimmung ist in jedem Falle, daß die Wirtschafts- und währungspolitischen Verhältnisse den Anleiheabschluß unbedenklich erscheinen lassen. Im einzelnen soll die Beratungsstelle hinsichtlich des Verwendungszweckes folgendes beachten: Die A. müssen für eigene Zwecke des Kreditnehmen­ den oder eines eingangs genannten öffentlichen Verbandes bestimmt sein. Sie dürfen insbeson­ dere nicht an physische oder juristische Personen des Privatrechts weitergegeben werden. Die A. müssen — unbeschadet der Sonderbestimmung für die kurzfristigen A. der Länder — un­ mittelbar produktiven Zwecken dienen, d. h. nur solchen werbenden Anlagen, die durch un­ mittelbare Erzeugung von Werten die Verzin­ sung und Tilgung des investierten Kapitals aus eigenen Einnahmen gewährleisten, ohne daß allgemeine Einnahmen des öffentlichen Verban­ des in Anspruch genommen werden. Wesentlich ist dabei, daß die Anlagen, sei es durch Hebung der Ausfuhr oder Eindämmung der Einfuhr, sei es in anderer Weise, unmittelbar oder mittelbar der Förderung der Gesamtwirtschaft des Reiches dienen; örtliche Interessen sind nicht ausschlag­ gebend. Die Anlagen selbst müssen notwendig und ihre Erstellung unaufschiebbar sein. Die Beratungsstelle setzt sich zusammen aus je einem Vertreter des RFM., des RWM. und des Reichsbankdirektoriums, dem Präsidenten der Preußischen Staatsbank sowie dem Präsidenten der Bayerischen Staatsbank. Zu diesen ständigen Mitgliedern tritt als sechstes Mitglied ein Ver­ treter des Landes, das das Gutachten einholt. Wird ein Antrag auf Befürwortung eines An­ leihevorhabens gegen die Stimme eines der vom RFM., RWM. und RBD. bestellten Sachver­ ständigen angenommen, so kann der in der Min­ derheit gebliebene Sachverständige in der Sitzung eine nochmalige Beratung des Antrags verlangen. Ein solches Verlangen kann auch der Vertreter des das Gutachten einholenden Landes stellen, wenn die Beratungsstelle den zur Begutachtung gestellten Auslandskredit ganz oder teilweise nicht befürwortet hat. In diesen Fällen treten der RFM., der RWM. und der Präsident des RBD. an die Stelle der von ihnen bestellten Sachver­ ständigen. Sie können sich nur dirrch ihren jeweils ständigen Vertreter vertreten lassen. Bei der noch­ maligen Beratung wird stets über den Antrag als ganzen beraten. — Der Nettozinsfuß der von der Beratungsstelle befürworteten Anleihen hatte sich zu Beginn der Tätigkeit der Beratungsstelle auf etwa 10% gestellt und ist Ende 1926 bis auf etwa 7V4% herabgedrückt worden. Hervor­ zuheben ist, daß unter A. oder Ausländsanleihe auch Anleihen fallen, deren Zinsendienst und Rückzahlung in deutscher Währung zu erfüllen sind. Für die Einwirkung auf die Währung ist es nämlich ohne wesentlichen Unterschied, ob ausländische Zahlungsmittel im Inland angeschafst werden müssen oder ob mit dem Verkauf von Reichsmark im Auslande zu rechnen ist. Zu diesem Kapitel gehört daher auch die Begebung von Teilen einer Jnlandsemission im Ausland (Erl. vom 12.11.1926, MBl. 997). Sowohl das G. vom 21.3.1925 als auch das Abkommen über die Richt­ linien haben noch Gültigkeit. Das Abkommen über die Richtlinien lief zunächst bis zum 30.6.1925; es galt von diesem Zeitpunkt an jeweils um drei

Monate verlängert, wenn es nicht vier Wochen vor­ her von einem Lande gekündigt wird. Bei der letzten Abänderung der Richtlinien im Oktober 1927 wurde es vorläufig auf 2 Jahre verlängert. No. Die Denkschrift über das Arbeitsgebiet und die Tätig­ keit der Beralungsftelle vom 1. Januar 1925 bis zum 30.September 1926 Carl Heymanns Verlag, Berlin; N u ß lein, Die Richtlinien über die Aufnahme von Auslands­ krediten durch Länder, Gemeinden und Germindeverbände in der Zeitschrift für Kommunalwirtschaft 1925, Nr. 17, S. 895; Norden, Nie Ausländsanleihen der Gemeinden in der Deutschen Wirtschaflszeitung 1926, Nr. 41.

AuSlandSschäden s. Kriegsschäden. AuSlandSschulen, deutsche höhere, s. Höhere Lehranstalten, Verwaltung V. 5. Auslegung von Steuerlisten an Stelle der in­ dividuellen Bekanntgabe der Steuerfestsetzungen an die Steuerpflichtigen war nach preuß. EinkStG. bei den Einkommensteuerpflichtigen bis zu 900 M Einkommen zulässig. Das Reichsrecht steht durchweg auf dem Standpunkte, daß eine Ver­ fügung der FA. nur mit der Bekanntgabe an den einzelnen wirksam wird. § 73 AO. kennt zwar in Satz 2 auch die Bekanntgabe durch Auslegung, aber nur, wo es nach den StG. zugelassen ist, und das ist nirgends geschehen. — Auch für die preuß. Landessteuern gilt jetzt überall der Grundsatz der individuellen Bekanntgabe (vgl. § 7 Abs. 2 GrundvermögensteuerG.; § 30 GewerbesteuerG.). — Bei den Gemeindesteuern erfolgt die Bekannt­ gabe der Realsteuerzuschläge nach § 65 KAG. durch eine in ortsüblicher Weise zu bewirkende Veröffent­ lichung der Hundertsätze, soweit die staatlich ver­ anlagten Steuern die unveränderte Grundlage der Gemeindezuschläge bilden. Soweit das nicht der Fall ist, also insbesondere da, wo es einer Zer­ legung bedarf, ist besondere Mitteilung erforder­ lich. Soweit bei indirekten Steuern die Ausstellung einer Hebeliste möglich ist, wie bei der Hunde­ steuer, gilt § 65 Abs. 2, wonach bei besonderen Ge­ meindesteuern die Bekanntgabe für die im Ge­ meindebezirke wohnenden physischen Steuer­ pflichtigen durch Auslegung der Hebeliste wäh­ rend zweier Wochen zulässig ist. Die Einspruchs­ frist wird aber dadurch nicht in Lauf gesetzt (OVG. 52, 134). Dasselbe wird bei Gebühren, Bei­ trägen und Naturaldiensten anzunehmen sein. Die gleichen Vorschriften gelten für die Kreis­ steuern. — Etwas anders als die A. v. S. ist die Offenlegung der Steuerlisten (vgl. SteuergeheimnisV). Ptz. Auslieferungen. I. Die A. flüchtiger Ver­ brecher ist ein Akt internationaler Rechtshilfe. Sie erfolgt zur Strafverfolgung oder Strafver­ büßung entweder auf Grund besonderer Aus­ lieferungsverträge und ist insoweit eine völker­ rechtliche Pflicht des Zufluchtstaates oder ohne besondere Auslieferungsverträge bei verbürgter Gegenseitigkeit auf Grund freier Entschließung. Von der Ausweisung unterscheidet sich die A. dadurch, daß sie auf Antrag und im Interesse des Heimatstaates erfolgt, während die Ausweisung von dem Staate, in welchem sich der Auszu­ weisende aufhält, im eigenen Interesse angeordnel wird, weil das eigene Staatswohl die Entfernung des betreffenden Ausländers erfordert. II. Auslieferungsverträge des DeutschenReichs bestehen: a) mit Belgien vom 24. 12. 1874 (RGBl. 1875, 73; 1879, 2) und Zusatzvertrag vom 28. 11. 1900 (RGBl. 1901, 203). Diese Verträge sind bei Ausbruch des Weltkriegs au

Auslieferungen 4. 8. 1914 erloschen und am 29. 5. 1920 gemäß Art. 289 des Vertrags von Versailles (NGBl. 1919, 687, 688; 1920, 31, 95) wieder in Kraft ge­ treten; b) mit Griechenland vom 12. 3. 27. 2.1907 (NGBl. 1907,545). Nachdem der Vertrag infolge des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwi­ schen dem Deutschen Reich und Griechenland unwirksam geworden war, ist er gemäß Art. 289 des Vertrags von Versailles vom 28. 6.1919 (a. a. O.) mit dem 30. 6. 1920 wieder in Kraft getreten; c) mit Großbritannien vom 14. 5. 1872 (RGBl. 1872,229) und vom 17. 8.1911 (NGBl. 1912,153). Diese Verträge sind mit dem Eintritt des Kriegs­ zustandes in der Nacht vom 4. zum 5. 8. 1914 er­ loschen (s. RGSt. Bd. 50, 141), am 25. 6. 1920 aber gemäß Art. 289 des Vertrags von Versailles vom 28. 6. 1919 (a. a. O.) wieder in Kraft getre­ ten; d) mitJtalienvom31.10 1871 (NGBl. 1871, 446), der durch Gcgenseitigkeitserklärungen mehr­ fach ergänzt ist. Der Vertrag ist mit den Gegenseitigkeitserklärungen am 28.8.1916 mit dem Ein­ tritt des Kriegszustandes zwischen dem Deutschen Reich und Italien erloschen, gemäß Art. 289 des Vertrags von Versailles vom 28. 6.1919 (a. a. O.) aber am 8. 7.1920 mit der Vereinbarung von 1905 wieder in Kraft getreten; e) mit Luxemburg vom 9. 3. 1876 (RGBl. 1876, 223) und Zusatzvertrag vom 6. 5. 1912 (RGBl. 1912, 491); f) mit den Niederlanden vom 31.12.1896 (NGBl. 1897,731); g) mit Norwegen vom 19. 1. 1878 (NGBl. 1878, 110) mit Zusatzvertrag vom 7. 3. 1907 (NGBl. 1907, 239); h) mit Schweden vom 19. 1. 1878 (RGBl. 1878, 110); i) mit der Schweiz vom 24. 1. 1874 (RGBl. 1874, 113). Zur Auslegung und Erweiterung des Art. 1 des Vertrags sind zwischen der Neichsregierung und der Schweiz eine Reihe ergänzender Vereinbarungen abgeschlossen wor­ den ; k) mit Spanien vom 2.5.1878 (NGBl. 1878, 213); 1) mit der Tschechoslowakei vom 8. 5. 1922 (RGBl. 1923 II 48). Ein Auslieferungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich be­ steht nicht. Die Auslieferung an Frankreich erfolgt auf Grund von Auslieferungsverträgen, die die einzelnen deutschen Länder mit Frankreich abge­ schlossen haben, soweit es sich um die Auslieferung von Verbrechern handelt, die im preuß. Staatsge­ biet ergriffen worden sind, auf Grund des Ausliefe­ rungsvertrags Preußens mit Frankreich vom 21. 6. 1845 (GS. 1845, 579), der durch Gegen­ seitigkeitserklärungen, zuletzt durch Erklärung vom 14. 2.1927 (RGBl. 1927, 29), mehrfach erweitert ist. Der Vertrag ist am 3. 8.1914 mit Eintritt des Kriegszustandes zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich mit den ergänzenden Vereinbarungen erloschen, aber gemäß Art. 289 des Vertrags von Versailles vom 28. 6. 1919 (a. a. O.) mit Wirkung vom 9. 2. 1920 wieder in Kraft getreten (vgl. Vf. des Preuß. JuM. vom 17. 4. 1920, PrJMBl. 1920, 158). Wie die vorstehende Zu­ sammenstellung zeigt, sind nach der Errichtung des Deutschen Reiches die Auslieferungsverträge bereits vor der Staatsumwälzung von 1918 vom Reich abgeschlossen worden. Nach Art. 6,12 Abs. I und 78 NV. (RGBl. 1919, 1383) können Auslieserungsverträge in Zukunft grundsätzlich nur vom Reich abgeschlossen werden. Die Aus­ lieferungsverträge bestimmen die Voraussetzun­ gen, unter denen Auslieferungen erfolgen dürfen, und regeln das Auslieserungsverfahren.

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III. Obwohl die Auslieserungsverträge viel­ fach in Einzelheiten nicht unwesentlich vonein­ ander abweichen, tragen sie doch gewissen all­ gemeinen Rechtsgedanken Rechnung und ent­ halten gewisse gemeinsame Rechtsgrundsätze, und zwar insoweit, als a) die eigenen Staatsangehö­ rigen nicht ausgeliefert werden, und zwar auch dann nicht, wenn das Verbrechen im Auslande begangen ist (vgl. § 9 StGB, und Art. 112 Abs. III RV. a. a. O.); b) die A. im allgemeinen ausgeschlossen ist, wenn nach dem Rechte des er­ suchten Staates die Verjährung eingetreten ist, auch wenn die Tat nach der Gesetzgebung des ersuchenden Staates nicht verjährt ist; c) die A. unterbleibt, wenn der Auszuliefernde im er­ suchten Staat wegen derselben Handlung außer Verfolgung gesetzt, oder noch in Untersuchung steht, oder bereits verurteilt ist; d) nach dem Grundsätze der „Spezialität" der Ausgelieferte nur wegen derjenigen Tat abgeurteilt werden darf, wegen deren die A. beantragt und bewilligt ist; e) die A. wegen politischer Delikte grundsätz­ lich ausgeschlossen ist. Was die politischen Delikte anlangt, wegen deren A. nicht erfolgt, so ist die Frage, wann und unter welchen Umständen ein politisches Delikt vorliegt, streitig. Im An­ schluß an die Motive zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund ist man sich darüber einig, daß die unmittelbar gegen den Bestand und die Sicherheit des Staates, gegen die ver­ fassungsmäßigen Körperschaften und gegen die staatsbürgerlichen Rechte gerichteten Straftaten politische sind (vgl. v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts 1922 S. 109, 110; Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts 1922 S. 89). Darüber hinaus ist es aber zweifelhaft, inwieweit eine an sich gemeine Straftat wegen ihrer Besonderheit asylwürdig sein kann. In der Mehrzahl der deut­ schen Auslieserungsverträge sind die gemeinen Straftaten für asylwürdig erklärt worden, die mit einem politischen Verbrechen oder Vergehen im Zusammenhang stehen. Auf demselben Stand­ punkt steht das belgische AuslieferungsG. vom 1. 10. 1833. Nach englischem Recht sind solche an sich gemeine Straftaten Verbrechen politischen Charakters, die „als notwendige Teilereignisse von politischen Unruhen aufgefaßt werden können". Das schweizerische Recht macht die Asylwürdig­ keit von gemeinen Straftaten, in denen diese eine politische Seite aufweisen, davon abhängig, ob der politische oder der gemeine Charakter der Straftat überwiegt. Der Entwurf eines deut­ schen AuslieferungsG. (vgl. VI) erklärt solche gemeine Straftaten für asylwürdig, die „mit einer politischen Tat derart im Zusammenhang stehen, daß sie diese vorbereiten, sichern, decken oder abwehren sollten" und erklärt auch die A. in solchen Fällen für zulässig, wenn die Tat „unter Berücksichtigung aller Umstände besonders ver­ werflich erscheint". In den meisten Verträgen wird die Auslieferungspflicht auf bestimmt be­ zeichnete Verbrechen oder Vergehen beschränkt. Wegen Zoll- und Steuerkontraventionen wird in der Regel nicht ausgeliefert. Voraussetzung ist dabei, daß die in der Vertragsliste aufgeführte Straftat auch in dem ersuchten Staate strafbar ist (das sog. Prinzip der identischen Norm), d. h. daß die konkrete Handlung im ersuchten Staat von den Gerichten dieses Staates bestraft werden

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Auslosung

könnte, wenn sie auf seinem Gebiete begangen oder sonst seiner Gerichtsbarkeit unterstellt wäre. Unter denselben Voraussetzungen, unter denen die Auslieferung bewilligt wird, ist nach den meisten Verträgen auch die Durchlieferung der aus einem dritten Staat Auszuliefernden zu ge­ statten. Wegen der Auslieferung solcher Personen, welche ihre militärischen Pflichten verletzt haben (Deserteure, Refraktäre), auf Grund der Kartell­ konventionen s. d. IV. Hinsichtlich des Auslieferungsverfah­ rens ist in den meisten Verträgen bestimmt, daß der Auslieferungsvertrag auf diplomatischem Wege zu stellen ist und zur Voraussetzung hat, daß ein vollstreckbares Straferkenntnis, ein rich­ terlicher Haftbefehl oder eine Anklageschrift vor­ liegt. Außerdem kann — vielfach auf direktem Wege — die vorläufige Festnahme beantragt wer­ den, deren Dauer jedoch meist zeitlich beschränkt ist. Die Polizeibehörden sind durch Runderl. vom 29. 10. 1897 (MBl. d. i. V. S. 214) ange­ wiesen, derartigen Ersuchen, falls die Ausländer­ eigenschaft des Verfolgten festgestellt ist, stattzu­ geben, im übrigen aber sofort Anzeige zu erstatten. Durch Vf. des MdI. und des JuM. vom 3.12. 1924 (IV E 2206 bzw. I 5184, MBl. d. i. V. 1924 Sp. 1165/66) ist den Strafvollzugs- und Poli­ zeibehörden hinsichtlich der Bewachung auslän­ discher Justizflüchtlinge peinlichste Innehaltung aller Sicherungsmaßnahmen bei der Aufsicht über die an das Ausland abzuführenden Verbrecher zur besonderen Pflicht gemacht, über den Antrag entscheidet die Ministerialinstanz im Verwaltungs­ wege nach freiem Ermessen unter Anwendung des im Einzelfall in Frage kommenden Aus­ lieferungsvertrags. Ohne ministerielle Genehmi­ gung darf keine A. erfolgen. Die Auslieferungs­ ersuchen sind mit größter Beschleunigung zu be­ arbeiten, und zwar ist die Bearbeitung möglichst so einzurichten, wenn nicht besonders verwickelte Fälle vorliegen, daß die A. spätestens drei WöäM nach dem Eingang des Ersuchens auf A. bewirkt werden kann (Vf. des MdI. und des JuM. vom 11. 4.1923, IV E 2080 MBl. d. i. V. Sp. 417/18). Wegen der Kosten ist im allgemeinen in den Ver­ trägen festgesetzt, daß der ersuchte Staat die Aus­ lieferungskosten insoweit trägt, als sie in seinem Gebiet erwachsen sind, die übrigen Kosten trägt der ersuchende Staat. V. Soweit Auslieferungsverträge nicht be­ stehen, ist dadurch die A. auf diplomatischem Wege nicht ausgeschlossen. Mangels einer vertraglichen Bindung erfolgt die A. nur in solchen Fällen, in denen die Gegenseitigkeit verbürgt ist, und nur unter den Voraussetzungen und in dem Ver­ fahren, das für die vertragsmäßige Rechtshilfe sich entwickelt hat. Es gelten daher die oben unter III a bis e aufgefüchrten Grundsätze, ins­ besondere, daß a) A. nur erfolgt, wenn es sich um Ausländer handelt; b) die A. nur stattfin­ det, wenn es sich um Verbrechen und Vergehen handelt und endlich, daß c) die A. nicht erfolgt, wenn es sich um politische Verbrechen oder Ver­ gehen handelt, wobei für die Beurteilung, ob ein politisches Verbrechen oder Vergehen vorliegt, dieselben Grundsätze gelten wie im Auslieferungs­ verkehr auf Grund von Auslieferungsverträgen. Auf Grund der Gegenseitigkeit wird Rechtshilfe durch A. geleistet gegenüber a) Brasilien — der

Vertrag vom 17. 9. 1877 (RGBl. 1878, 293) ist gekündigt —, b) Bulgarien — der Vertrag vom 29. 9.1911 (RGBl. 1913,468) ist seit dem 23.9. 1925 gekündigt —, c) Dänemark, d) Finnland, e) Japan, f) Österreich, g) Polen, h) Portugal, i) der Union der russischen Sozialistischen Sowjet­ republiken k) Türkei, 1) Ungarn, m) den Ver­ einigten Staaten von Nordamerika. VI. Gemäß Art. 6 Ziff. 3 RV. (a. a. O.) ist eine reichsrechtliche Regelung der A. in Vor­ bereitung. Auf dem Gebiete des Rechtshilfe­ verkehrs mit dem Auslande soll in Zukunft das freie Ermessen der deutschen Behörden durch ge­ setzliche Bindungen ersetzt werden, und zwar sollen die Voraussetzungen gesetzlich festgelegt werden, unter denen anderen Staaten Rechtshilfe gewährt werden kann, und das Verfahren der deutschen Be­ hörden geregelt werden für die Prüfung der aus­ ländischen Rechtshilfeersuchen — für die Entschei­ dung über die Zulässigkeit der A. soll das Oberlan­ desgericht zuständig sein — und für die Leistung der Rechtshilfe. Für künftige Auslieferungsverträge will das G. einheitliche Richtlinien aufstellen und das Höchstmaß dessen festlegen, was das Reich in einem künftigen Auslieferungsvertrage gewähren kann. Bereits bestehende Auslieferungsverträge werden durch ein G. nicht berührt werden, da durch einseitige Gesetzesänderung sich kein Staat seinen internationalen Vertragspflichten entziehen kann. Das G. wird daher nur unmittel­ bare Bedeutung haben bei Verhandlungen über künftig abzuschließende Verträge sowie bei der Behandlung von Auslieferungsanträgen solcher Regierungen, mit denen ein Ablieferungsvertrag nicht besteht. Roe. Auslosung. Im allgemeinen findet eine A. nur bei verzinslichen Werten und Prämienlosen (s. Anleihen) statt; sie dient bei diesen der all­ mählichen Tilgung. Daneben gibt es die weniger häufige A. von Aktien zum Zwecke ihrer Ein­ ziehung und einer Herabsetzung des Grundkapitals (§ 227 HGB.). Bei der A. von verzinslichen Werten und Prämienlosen werden die zu den einzelnen Tilgungsterminen einzulösenden Stücke oder Serien durch das Los bestimmt und öffent­ lich aufgeboten. Die A. erfolgt hierbei zum Nenn­ wert, es sei denn, daß ein Aufgeld zugesagt ist. Bei Prämienanleihen und Prämienlosen werden nach bestimmten Tilgungsplänen einige Stücke mit besonders hohem Aufgeld (Prämie) eingelöst. Die durch § 17 des G. über die Ablösung öffent­ licher Anleihen vom 16. 7. 1925 (RGBl. I 137) entstandenen Auslosungsscheine werden sämtlich mit Aufgeld, und zwar zu dem Fünffachen des Nennbetrags zuzüglich ausgelaufener Zinsen, ein­ gelöst (§ 14 des AnleiheablösungsG.). Die A. nötigt den Gläubiger darüber zu wachen, ob sein Stück oder die Serie, zu der es gehört, gezogen ist, und sie bringt ihm, je nachdem der Tages­ kurs unter oder über dem Rückzahlungskurs steht und je nachdem ob ihm eine Prämie zu­ fällt oder nicht, einen finanziellen Vorteil oder Nachteil. Andere Formen der allmählichen Til­ gung sind bei den verzinslichen Werten der frei­ händige Ankauf der Stücke an der Börse zum Tageskurs und die Einlösung von auf bestimmten Termin gestellten Serien. Der freihändige An­ kauf hat für den Schuldner nur so lange prak­ tischen Wert, wie ein Ankauf unter dem 'Rück-

Ausmärker — Ausschließung von zahlungskurse möglich ist (s. Anleihen). Die Einlösung von auf bestimmten Termin gestellten Serien ist eine Nachkriegserscheinung des amerika­ nischen Anleihemarktes. Während es bislang nur üblich war, eine Anleihe schlechthin in Serien ein­ zuteilen und jeweils die zur Einlösung gelangende Serie durch das Los bestimmen zu lassen, ging man in Amerika in Einzelfällen dazu über, von vornherein festzulegen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Serien zur Einlösung gelangen sollten; demgemäß wurden auch die einzelnen Serien zu verschiedenen Preisen, die zuerst fälligen zu höheren und die zuletzt fälligen zu niedrigeren Preisen unter gebracht. No. Ausmärker s. Forensen. Ausnahmegerichte sind nach Art. 105 RV. un­ statthaft (ebenso § 16 GBG.). Der Begriff der A. erhellt am besten aus der negativen Fassung der gleichen Vorschrift in Satz 2 a. a. O.: „Nie­ mand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden." Damit ist jeder Eingriff in die gesetz­ lich normierte Zuständigkeit der Gerichte für einen oder mehrere Einzelfälle im Reich oder in den Ländern sowohl auf administrativem wie auch auf legislativem Wege verboten. Diese Schranke be­ steht auch für die Tätigkeit der in Art. 35 NB. vor­ gesehenen Untersuchungsausschüsse. Als gesetzlich allgemein und von vornherein für zuständig erklär­ te Gerichte fallen die sog. Sondergerichte (s. Ge­ richte V) nicht unter den Begriff der A. Eben­ sowenig war das an sich bezüglich des durch das G. vom 21. 7. 1922 (RGBl. I 585) eingeführten Gerichtshofes zum Schutze der Republik der Fall; seine Zuständigkeit zur Aburteilung der bereits vor Inkrafttreten des G. begangenen Delikte wurde dadurch gedeckt, daß das G. als ver­ fassungänderndes erlassen war (Giese, RB. 1926). Dagegen handelt es sich unstreitig um A., wenn als eine der nach Art. 48 Abs. 2 u. 4 zur Wieder­ herstellung oder Sicherung der erheblich gestörten oder gefährdeten öffentlichen Sicherheit und Ordnund vom Reichspr. bzw. einer Landesregierung zu treffenden Maßnahmen Kriegs- und Stand­ gerichte eingesetzt werden (s. Belagerungs­ zustand, Reichspräsident). Sie fallen aber nach der ausdrücklichen Vorschrift in Satz 3 Art. 105 RB. nicht unter das Verbot der Sätze 1 u. 2 a. a. O. Ly. Ausnahmezustand s. Reichspräsident. Aussatz (Lepra) ist eine chronische, meist ende­ misch auftretende, fast immer tödlich verlaufende übertragbare Krankheit. Ihr Erreger, der Lepra­ bazillus, ist bekannt. A. ist von dem G. vom 30. 6.1900 (RGBl. 306) den „gemeingefährlichen Krankheiten" zugerechnet. Von den anderen als „gemeingefährlich" bezeichneten Krankheiten un­ terscheidet A. sich dadurch, daß ihm die Neigung zu größeren Wanderzügen, überhaupt zu epidemi­ schem Auftreten fehlt. Auch weist A. keinen hohen Grad von Übertragbarkeit auf. Nach den AusfB. vom 21.2.1904 (RGBl.127),abgeändert durchBest. vom 10. 7.1913 (RGBl. 572), und die PrAusfB. vom 12. 9. 1904 (MMBl. 353) kommen lediglich dieBeobachtung(s. Üb ertragbare Krankheiten III 5a), die Absonderung (das. c), die Fernhaltung vom Schulbesuch (das. k) die Desinfektion (das. n) und die Vorsichtsmaßregeln bei den Leichen (das.o) in Anwendung. Beobachtung und Absonderung finden in milder Form statt. In der Regel genügt

Gerichtspersonen

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es, daß der Kranke sein eigenes Schlafzimmer so­ wie allein von ihm benutzte Gebrauchsgegenstände hat, und den Besuch öffentlicher Badeanstalten, Barbiergeschäfte und Schulen vermeidet. Bei vor­ geschrittenerer Krankheit ist auch der Besuch von Wirtschaften und Theatern sowie von öffentlichen Verkehrsmitteln,bei besonders gesährlichemKrankheitscharakter jeder Verkehr an öffentlichen Orten zu untersagen. Die Überführung in ein geeigne­ tes Krankenhaus ist im Zwangswege nur auf be­ sonderes Gutachten des beamteten Arztes zulässig. — Für die Aufnahme, Absonderung, Verpflegung und Behandlung Aussätziger besteht ein staatliches Lepraheim bei Göttingen (s. im übrigen über­ tragbare Krankheiten Illbis VII). Bsch.

Ausschließung von Gerichtspersonen. I. Es gibt Fälle, in denen eine Gerichtsperson (Richter oder Gerichtsschreiber, nicht auch ein Beamter der Staatsanwaltschaft) rechtlich — nicht tat­ sächlich (s. Behinderung) — sich der Ausübung ihres Amtes zu enthalten hat (judex inhabilis, relative Unfähigkeit), so namentlich, wenn sie selbst oder ein naher Angehöriger von ihr Partei ist (s. Parteiinteresse). Die A. findet sich vielfach so, daß die entsprechende Anwendung der Vorschriften der ZPO. angeordnet wird. II. Für das Beschlußverfahren kennt der § 30 LVG. eine Behinderung des RP. und des Verwaltungsgerichtsdirektors für den Vorsitz im BezA. (s. Behinderung von Gerichtsper­ sonen II und Bezirksausschüsse). Außerdem wiederholt dafür der § 115 LVG. die Vorschriften über die Voraussetzungen der Unfähigkeit, welche im Verfahren vor dem KrA. als Kommunal­ behörde (§ 139 Abs. 1, 2 KrO.) und in dem vor dem Provinzialausschuß (§ 54 ProvO.) gel­ ten; es ist dem nur noch eine besondere Vor­ schrift für den Fall, daß Beschlußunfähigkeit ein­ tritt, hinzugefügt (8 116 LVG.). Diese letztere Vorschrift findet beim KrA. ebenfalls Anwen­ dung, so daß für ihn nur noch, wenn es sich um die Beschlußfassung in Kreiskommunalangelegen­ heiten handelt, die Vorschrift des § 139 Abs. 3 KrO. anwendbar bleibt, wonach bei Beschluß­ unfähigkeit die Beschlußfassung durch den Kreis­ tag erfolgt. III. Für die A. von Gerichtspersonen im VwStr. nach dem LVG. finden die Vor­ schriften der bürgerlichen ProzeßG. sinngemäße Anwendung mit der Maßgabe, daß, wenn das Gericht infolge des Ausscheidens beschlußunfähig wird, das im Jnstanzenzuge zunächst vorgesetzte Gericht das zuständige Gericht bestimmt (§§ 61, 62 Abs. 3 LVG.). Danach ist insbesondere jemand von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen in einer Sache, in welcher er in einer früheren Instanz bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung als mitstimmender Richter mitgewirkt hat (OBG. 52, 291). Ein Stadtsyndikus, der bei dem Erlasse des Einspruchbescheids (§ 70 KAG.) mitgewirkt hat, ist von der Ausübung des Richteramts aus­ geschlossen (OVG. in PrVBl. 30, 489). IV. Einem Ausschließungsgrunde ist ohne Rücksicht auf den Willen der Parteien von Amts wegen Rechnung zu tragen. Die Parteien können jedoch auf sein Vorhandensein aufmerksam machen und, wenn es deswegen ein Ablehnungsrecht gibt (s. Ablehnung), auch von diesem Rechte Ge­ brauch machen. Die Mitwirkung einer kraft Ge-

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Ausschreibung, öffentliche — Ausspielungen

setzes ausgeschlossenen Gerichtsperson ist ein we­ sentlicher Mangel des Verfahrens, welcher die Revision begründet. S. Beratung. V. Abgesehen von Gerichtspersonen kommt noch eine A. auch anderer Personen vor, so z. B. der Stadtverordneten (§ 44 der StO. vom 30. 5. 1853, vgl. dazu OVG. 51, 6) und der Mit­ glieder des Kreistags wegen persönlichen Inter­ esses (§ 122 KrO.). Der A. ist ferner die Be­ teiligung verwandt, wegen deren z. B. sich die Zuständigkeit abweichend gestaltet (§ 59 LVG.; §56Abs. 7 ZG. usw.) — vgl. Gerichtsstand V — und ein Amtsvorsteher nicht tätig sein kann (§ 57 Abs. 5 KrO.). Je. VI. Wegen der Ausschließung im Besteuerungs­ verfahren nach der AO. s. ReichsfinanzVer­ waltung. Bei Beratung über solche Gegen­ stände, welche das Privatinteresse eines Mitglieds oder seiner Angehörigen berühren, ist das Mit­ glied eines Organs des Versicherungsträgers von der Teilnahme an der Beratung und Be­ schlußfassung ausgeschlossen (§ 23 RVO.). Im Ver­ fahren in der Reichsversicherung (s. d.) ist von der Mitwirkung in den Spruch- und Beschlußbehörden ausgeschlossen, wer in der Sache selbst Partei oder einer Partei ersatzpflichtig oder mit einer Partei verheiratet ist oder gewesen ist oder mit einer Partei in gerader Linie verwandt oder verschwä­ gert oder in der Seitenlinie im zweiten oder drit­ ten Grade verwandt oder im zweiten Grade ver­ schwägert ist, wer in der Sache als Bevollmäch­ tigter oder Beistand einer Partei zugezogen oder als ihr gesetzlicher Vertreter aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist, wer in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist oder wer als Mitglied eines Organs des Versicherungs­ trägers bei dem Beschluß über die Leistung mit­ gewirkt hat. Der Vorsitzende, der zugleich Vor­ sitzender eines Organs des Versicherungsträgers ist, ist auch in solchen Sachen von der Mitwirkung ausgeschlossen, bei denen er früher mcht lllittütig war (§§ 1641, 1642, 1679, 1698, 1701, 1771, 1789 RVO.; §§ 233, 261, 273, 287, 285 Avg.). Für die Arbeitslosenversicherung (s. d.) fehlen entsprechende Vorschriften. Das gleiche gilt für die Arbeitsgerichte (s. d.). F. H. I e b e n s, A. und Ablehnung beteiligter Beamten uftu., PrBBl. 26, 301, 321.

Ausschreibung,öffentliche, s. Verdingungll. Ausschulung s. Volksschulen 3 (Bezirke) a. Ausschüsse in den parlamentarischen BertretungSkörpern s. Landtag und Reichstag (Pr. Verfassung und RB.). Autzenantennen sind im Freien angeordnete Luftleiter, die zum Empfang der von einem Sender ausgestrahlten elektrischen Wellen dienen. Ihrer Konstruktion oder Befestigungsart nach würden sie an sich zu den baulichen Anlagen oder zu Teilen eines Baues gehören, die nach der Bauordnung in Preußen genehmigungspflichtig gemacht werden können und nach vielen Bau­ ordnungen oder besonderen Polv. bereits ge­ nehmigungspflichtig waren. Der MfV. hat jedoch durch Erl. vom 6. 1. 1927 (VMBl. 111) zwecks Vermeidung von Hemmungen in der Rundfunk­ entwicklung angeordnet, daß die allgemeine Genehmigungspslicht der A. zu beseitigen ist. Die Anlage von A. bedarf in Zukunft nur der Bau­ anzeige (s. Baugenehmigung VIII), und zwar

nur in folgenden Fällen: a) wenn sie öffentliche Verkehrsflächen (Wege, Plätze, Grünanlagen, Wasserstraßen) sowie Eisenbahnkörper, Straßen­ bahnen, Freileitungen von Stark- oder Schwach­ stromanlagen, die öffentlichen Interessen dienen, kreuzen, oder b) wenn sie in einem gegen Beein­ trächtigung auf Grund des VerunstaltungsG. vom 15. 7. 1907 geschützten Gebiete liegen. Die Bau­ polizeibehörde bleibt allerdings befugt, im Einzel­ salle die Einholung der Baugenehmigung zu ver­ langen, sobald das öffentliche Interesse es er­ fordert. Im übrigen müssen die A. nach den vom Verband Deutscher Elektrotechniker aufgestellten „Vorschriften für A. nebst Ausführungsmerkblatt" in ihrer jeweils gültigen Fassung er­ richtet werden. Endlich bedürfen alle Antennen­ anlagen der Genehmigung der Reichspostverwaltung. F. W. F.

Außere und

innere Schulangelegenheiten.

Äußere Schulangelegenheiten (auch Externa ge­ nannt) sind diejenigen, welche den Bau, die Ausstattung und die Unterhaltung der Schule, sowie deren Vermögen betreffen. Zu den inneren Schulangelegenheiten (auch Interna genannt) gehört alles, was sich auf den Unterricht, den Lehrplan, die Methode der Unterweisung, den Schulbesuch und die Schulzucht bezieht. Die Ver­ waltung der äußeren Schulangelegenheiten steht dem Schulverbande zu. Die inneren Schul­ angelegenheiten verwaltet der Staat. Der für diese Verwaltung vielfach gebrauchte Ausdruck „Schulaufsicht" trifft strenggenommen nicht zu, da eine Aufsicht nur da vorhanden sein kann, wo ein dem Staate untergeordnetes Gemeinwesen die Verwaltung führt. Vgl. OVG. 58, 182, 193; 66,264; 72, 239; RGZ. 80, 338, Popitz im VerwArch. 19, 396 und Jeiler, „Schulverband" 27, 207. Der Unterschied ist von Bedeutung für die Grenzen der Zuständigkeit von Staat und Gemeinde, insbesondere aus dem Gebiete des Volksschulwesens. Die Verwaltung der äußeren Schulangelegenheiten erfolgt teils durch die Ge­ meindeorgane, teils durch Schuldeputationen und Schulvorstände. S. Volksschulen 6 (Schul­ deputationen). Der Verwaltungsbrauch bezeichnet bei den Schulabteilungen der Reg. die reinen Verwaltungsbeamten als „Externdezernenten", die schultechnisch vorgebildeten Bearbeiter als „Jnterndezernenten". Bei den Provinzialschul­ kollegien ist diese Bezeichnung nicht allgemein üblich, aber die Arbeitsgebiete sind zwilchen den Negierungsräten (früher „Verwaltungsräte und Justitiare" genannt) und den Oberschulräten ebenso geteilt. Gr. Außerordentliche Gerichte s. Gerichte und Gerichtsverfassung. Aussperrung ist die gleichzeitige Entlassung aller Arbeitnehmer oder einer Gruppe von ihnen in einem Betriebe oder in einer Mehrheit von Betrieben. Wegen der Anzeige und der Gewäh­ rung von Arbeitslosenunterstützung gilt das gleiche wie bei Ausständen (s. d.). F. H. Ausspielungen. I. A. sind im weiteren Sinne alle Veranstaltungen, welche dem Publikum gegen Entrichtung eines Einsatzes die Hoffnung in Aus­ sicht stellen, je nach dem Ergebnisse einer wesent­ lich vom Zufall bedingten Ziehung oder eines ähnlichen Mittels (z. B. Würfeln, Ring- und Plattenwerfen u. dgl.) einen mehr oder weniger

Ausstand (Streik) — Ausstellungen

bestimmt bezeichneten Wertgegenstand oder Geld­ betrag zu gewinnen (RGRspr. 6, 261 ff.). In diesem weiteren Sinne gehören zu den A. auch die Geldlotterien (f. Lotterie), öm engeren Sinne sind A. solche Veranstaltungen, bei denen die Gewinne nicht in Geld, sondern in anderen Sachen bestehen (RGSt. 17, 379; 29, 66). Nach § 286 Abs. 2 StGB, unterliegt die öffentliche Veranstaltung von A. beweglicher und unbeweg­ licher Sachen ohne obrigkeitliche Erlaubnis den­ selben Strafvorschriften, wie die Veranstaltung nicht erlaubter Lotterien. Das sog. Hydra(Gella-, Schneeball-, Lawinen-) System, bei welchem dem Erwerber eines Hydra- usw. -Gut­ scheins die Lieferung eines im Wert erheblich über den Preis des Gutscheins hinausgehenden Gegenstandes in Aussicht gestellt wird, sobald er von der Firma eine bestimmte Anzahl von Gutscheinen käuflich erworben, diese an andere Personen weiterverkauft und jede von diesen Personen wiederum auf ihren Gutschein die gleiche Anzahl von Gutscheinen von der Firma bezogen hat, stellt eine verbotene öffentliche A. und dem­ gemäß ein Vergehen gegen § 286 StGB, dar (NG. vom 14. 2. 1901, RGSt. 34, 140). II. Die obrigkeitliche Erlaubnis zu A. wird erteilt von dem OP. für den Umfang seines Verwaltungsbezirks, darüber hinaus von dem MsV.; ausgenommen sind jedoch A. geringfügiger Gegenstände, welche bei Volksbelustigungen vor­ genommen werden, und zu welchen die Ge­ nehmigung von den OPB. erteilt werden darf (Erl. vom 29. 6., 14. 8. 1882, MBl. S. 223, 279; vom 10. 1. 1884, MBl. 21; vom 25. 4. 1904, MBl. 119, und vom 31. 10. 1921 (VMBl. 367). III. Nach § 56c GewO, ist das Feilbieten von Waren im Umherziehen in der Art, daß dieselben imWegederA. abgesetzt werden, nicht gestattet. Wandergewerbescheine zum Feilbieten von Waren mittels A. sind deshalb nicht zu er­ teilen (Ziff. 68 Abs. 3 AusfAnw. z. GewO.). S. hierzu Erl. vom 4. 8. 1899 (MBl. 123) und Erl. vom 6. 3. 1900 (MBl. 132) wegen des sog. Ning- und Plattenwerfens. IV. Die Versteuerung der öffentlichen A. und Lotterien erfolgt seit dem 1. 7. 1922 nach Maß­ gabe des Rennw.- und LotterieG. vom 8. 4. 1922 (RGBl. 393) in Verbindung mit der 2. V. über Erhöhung der von der Lotteriesteuer befreiten Be­ träge vom 7. 1. 1924 (RGBl. I 25) und der V. über die Umstellung der Rennwett- und Lotterie­ steuer aus Gold vom 21. 1. 1924 (RGBl. I 34). Wegen der Einzelheiten der Besteuerung und der Steuerbefreiungen vgl. Lotteriesteuer. Ptz. AuSstand (Streik) ist die gemeinsame Arbeits­ niederlegung aller Arbeitnehmer oder einer größeren Gruppe von ihnen in einem Betriebe oder in einer Mehrheit gleichartiger Betriebe, hauptsächlich zur Erlangung besserer Arbeits-, ins­ besondere Lohnbedingungen. Daneben gibt es A. zu politischen und demonstrativen Zwecken, vornehmlich Sympathiestreiks mit dem Zwecke, den Arbeitgeber außerstand zu setzen, Arbeit oder Lieferung von Waren zu übernehmen. Die Ar­ beitgeber sind nach § 63 ArblosVG. verpflichtet, die wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeit­ nehmer berechtigt, bei Ausbruch eines A. den Arbeitsämtern schriftliche Anzeige zu erstatten; dabei sind die Vorschriften vom 17. 11. 1922

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(RAM. 699), vom 10. 1. 1923 (RAM. 46) und die Anordnung vom 27. 6. 1923 (RAM. 418), alle in der Fassung der B. vom 28. 9. 1927 (RGBl. I 317) zu beachten. Ist die Arbeitslosig­ keit durch einen inländischen A. verursacht, so wird keine Arbeitslosenunterstützung gewährt, es sei denn, daß die Arbeitslosigkeit durch den A. mittelbar verursacht ist und die Verweigerung der Unterstützung eine unbillige Härte wäre (§ 94 ArblosVG.). F. H. Ausstellungen. I. Landwirtschaftliche A. werden von den Landwirtschastskammern und mit ihrer Zustimmung von den landwirtschaft­ lichen Vereinen, vereinzelt auch von Zuchtver­ bänden und Herdbuchgesellschaften, außerdem von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft veranlaßt. Die ersteren veranstalten Kreis- (Be­ zirks-) und Provinzialausstellungen, die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft veranstaltet seit dem Jahre 1887 allgemeine deutsche Wanderausstel­ lungen in Deutschland. Allgemeine Anordnungen über das landwirtschaftliche Ausstellungswesen be­ stehen nicht. Die Prämierungsbestimmungen sind unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse in den Bezirken der einzelnen Landwirtschaftskam­ mern verschiedenartig geregelt; sie bedürfen der Genehmigung des Mf L. Im übrigen ist das land­ wirtschaftliche Ausstellungswesen und hiermit die Ausführung der Prämiierungen den Landwirtschastskammern und landwirtschaftlichen Vereinen überlassen und wird von diesen selbständig be­ trieben. Die Prämiierungen erfolgen bei Pfer­ den in der Form von Ehrenpreisen, Geldprämien oder von Freideckscheinen. Zum großen Teil werden die zur Prämiierung von Pferden zur Verfügung stehenden Geldmittel in Form von Erhaltungsprämien für weibliche Zuchtfohlen ver­ geben. Zar Prämiierung von Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen, Geflügel und landwirtschaftlichen Maschinen werden Ehrenpreise und Geldprämien bewilligt. Die Prämiierungen auf den A. der Deutschen Land­ wirtschaftsgesellschaft erfolgen nach der von ihr festgesetzten Hchauordnung. — über die Bean­ tragung, Bewilligung und Verleihung von Staatsehrenpreisen für hervorragende Lei­ stungen in der Tierzucht sind unterm 9. 12. 1925 zusammenfassende Bestimmungen erlassen wor­ den. Wegen der darüber zu erteilenden Besitz­ zeugnisse s. Erl. vom 3. 3.1927 (MBlMfL. 215), wegen der Provinzialsiegerehrenpreise für beste züchterische Leistung und für höchste Milch­ leistung s. Erl. vom 8. 6. 1927 (MBlMfL. 536). Alle Tierschauen, die im Benehmen mit den Landwirtschaftskammern veranstaltet werden, sind von der Vergnügungssteuer befreit, auch wenn eine Musikkapelle mitwirkt (Erl. vom 26.11.1924, MBlMfL. 668). Wegen Einschränkung der Kaninchenausstellungens. Erl. vom 18.12.1921 und vom 27. 4. 1927 (MBlMfL. 80, 415). — Öffentliche Tierschauen unterliegen nach § 16 Abs. 3 RViehseuchG. (VG.), § 6 Abs. 1, 2 der Viehseuchenpolizeilichen Anordnung vom 1. 5. 1912 (Reichsanzeiger Nr. 105) — VAVG. — der amtstierärztlichen Beaufsichtigung auf Kosten der Unternehmer (§ 25 des AG. vom 25. 7. 1911, GS. 149 — AG.). Eröffnung und Einstellung müssen der OPB. gemeldet wer­ den (§ 7 Abs. 1 VAVG.). Für das auf öffent-

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Aussteuerkassen — Austernfang

liche Tierschauen gebrachte Vieh kann die Bei­ bringung von Ursprungs- und Gesundheitszeug­ nissen vorgeschrieben werden (§ 17 Ziff. 3 VG.; §§ 16—19 VAVG.). Die Ursprungszeugnisse unterliegen einer Berwaltungsgebühr (TarifNr. 8012 b zur Berwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926, GS. 327), auch die Kosten der Gesundheitszeugnisse hat nach § 28 AG. der Tierbesitzer zu tragen. Einrichtung und Betrieb von Biehausstellungen können nach § 17 Nr. 12 BG. geregelt werden; AusfB. dazu s. § 41 Abs. 1, § 45 VABG. Zum Schutze gegen eine besondere Seuchengefahr kann der Personenverkehr auf Viehausstellungen beschränkt, auch die Abhaltung von A. überhaupt verboten werden (§ 19 Abs. 2, § 28, § 47 Abs. 1 VG.). Bei Maul- und Klauen­ seuche ist die Abhaltung öffentlicher Tierschauen mit Klauenvieh zu verbieten, für anderes Vieh kann sie verboten werden (§ 168 Abs. Id, Abs. 3 VABG.; vgl. auch § 173 und wegen Schweine­ schauen § 271, wegen Geflügelausstellungen §§ 296, 297 ebenda). Backh. II. Gewerbliche A. Den Bestrebungen der HK. auf Abhaltung von A. ist durch Erl. vom 30. 1. 1905 (HMBl. 43) entgegengetreten. Für fcic Beseitigung der Mißstände im Ausstellungs­ wesen, insbesondere zur Bekämpfung der Schwin­ delausstellungen, sind im Erl. vom 5. 4. 1904 (HMBl. 98; MBl. 136) und vom 8. 2. 1928 (HMBl. 34) den Behörden Anweisungen er­ teilt. A. sollen nur gefördert werden, wenn eine angemessene Regelung des Prämiierungswesens nach Maßgabe der Erl. vom 20. 9. 1914 (HM­ Bl. 499) und vom 22. 11. 1919 (HMBl. 331) gesichert ist. Es besteht eine „Ständige Ausstellungs­ kommission für die Deutsche Industrie" in Berlin W 9, Linkstr. 25, die auch bei Bewilli­ gung von Lotterien für A. gutachtlich zu hören ist (Erl. vom 8. 11. 1907, MBl. 355). Nach RGErk. vom 23. 2. 1905 (HMBl. 170) können Unternehmer von Schwindelausstellungen wegen Betrugs bestraft werden. Die Reklame mit Aus­ zeichnungen, die von Veranstaltern 6er Schwindel­ ausstellungen verliehen sind, ohne daß ein ernst­ hafter Wettbewerb vor der Öffentlichkeit voraus­ gegangen ist, kann als unlauterer Wettbewerb (s. d.) bestraft werden (Erl. vom 2. 2. 1906, HM­ Bl. 74). S. auch LG. Köln vom 13. 5. 1910 (HMBl. 489). Uber jede gewerbliche A., die von größerer Bedeutung ist oder bei der Ubelstände hervorgetreten sind, haben die OP. dem HM. zu berichten (Erl. vom 19. 2. 1902, HMBl. 106). Eine wichtige Maßnahme zur Förderung der Aus­ bildung der Lehrlinge bilden die A. von Lehr­ lingsarbeiten. A. von Arbeiten der Hand­ werkslehrlinge werden nach Maßgabe der Erl. vom 24. 3. 1880 (MBl. 95), 30. 4. 1887, 23. 11. 1907 (HMBl. 416) und 21. 7. 1909 (HMBl. 346) Staatszuschüsse im Betrage von je 100 M zur Bildung von Staatspreisen zur Verfügung ge­ stellt. Anträge auf Bewilligung dieser Staats­ zuschüsse sind spätestens bis zum 1. Sept, beim RP. zu stellen und von diesem bis zum 1. Okt. dem HM. vorzulegen. Berücksichtigt werden ledig­ lich A., die von HK., JB., JA., I. oder Gewerbeund ähnlichen Vereinen veranstaltet werden. A. von Schülerarbeiten der Fachschulen dürfen nur am Sitze der Schule stattfinden (Erl. vom

17. 10. 1912, HMBl. 531). Wegen Beantragung Wegen Beantragung von Staatsmedaillen für hervorragende gewerbliche Leistungen s. Erl. vom 29. 7. 1890. Zu erwähnen sind noch die ständigen A. von Werkzeugen, Kraft- und Arbeits­ maschinen, die Kleingewerbetreibende über die neuzeitliche Arbeits- und Produktionsmethode unterrichten sollen. Bon diesen A. bestehen zwei (Dortmund und Halle). F. H. III. Die Entscheidung in betreff der Bewilli­ gung von Frachtermäßigungen für die Be­ schickung von A. ist der Eisenbahndirektion des Ausstellungsortes übertragen, welche sich zu diesem Zwecke mit dem OP. zu benehmen hat (Erl. vom 8. 3. 1889). Gegenstände, die aus dem freien Verkehr (s. d.) des Inlandes zu öffent­ lichen A. nach dem Auslande gesandt sind und von dort zurückkommen, oder die vom Auslande zu öffentlichen A. eingehen und demnächst wieder ausgeführt werden, bleiben bei Beobachtung der vorgeschriebenen Bedingungen nach den §§ 113, 114 VZG. zollfrei. Kunstsachen, die zu Kunstausstellungen eingehen, sind nach § 6 Ziff. 11 ZollTG. auch ohne Beding der Wieder­ ausfuhr vom Eingangszolle befreit (s. Zoll 1168,5 und bll). Sdt. AuSsteuerkassen sind Kassen, Ms denen im Falle der Verheiratung den berechtigten Per­ sonen eine bestimmte Summe als Aussteuer gezahlt wird. Beim Bestehen eines Rechtsan­ spruchs ihrer Mitglieder auf die Zahlung be­ durften derartige Kassen vor Inkrafttreten des VAG. nach der AKabO. vom 29. 9. 1833 (GS. 121) der Genehmigung des OP. und unter be­ stimmten Voraussetzungen der zuständigen Mini­ ster. Nunmehr bedürfen A. zum Geschäftsbe­ triebe der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. Sie können nur in den Formen von Versicherungs­ vereinen auf Gegenseitigkeit oder von Aktienge­ sellschaften gegründet werden (§ 6 VAG.). Der Aufsicht durch die Behörden unterliegen auch die bei Inkrafttreten des VAG. vorhanden ge­ wesenen A. auf Gegenseitigkeit. A., die ihren Mitgliedern keinen Rechtsanspruch aus Unter­ stützung gewähren, unterliegen weder den Best, der AKabO. vom 29. 9. 1833, noch dem VAG. (OVG. 17, 403; 45, 347). Im Sinne des letz­ teren G. gehört nach § 6 Abs. 3 die Aussteuer­ versicherung zur Lebensversicherung (s. d.). § 360 Ziff. 9 StGB, ist, soweit er sich auf Aussteuer- und ähnliche Kassen bezieht, die unter das VAG. fallen, durch § 108 desselben G. aus­ gehoben bzw. ersetzt worden. Pf. Austausch von Grundstücken s. Unschädlich­ keitszeugnisse. Austernfang. Die Austern gehören zur Familie der Muscheltiere und unterliegen dem § 4 des FischereiG. vom 11. 5. 1916 (GS. 55); sie leben im Meere auf den sog. Austernbänken und nähren sich von mikroskopischen Pflanzen und Tieren, die ihnen das eingesogene Wasser zuführt. Die Laich­ zeit dauert von Juni bis September. Während sich die Austern an den französischen und englischen Küsten reichlich vorfinden, kommen sie in den deutschen Gewässern nur in der Nordsee vor; die Versuche, sie in der Ostsee einzubürgern, sind ge­ scheitert, hauptsächlich aus dem Grunde, weil die angelegten Bänke wegen der Beweglichkeit des Meeressandes in kurzer Zeit versandeten. In der

Austräge — Auswanderung Nordsee unterscheidet man drei Arten von Austern, die im Wattenmeere an der Westküste von Schles­ wig vorkommende Holsteiner Auster, die im freien Meere lebende, vielfach unter dem Namen Holsteiner Auster in den Handel kommende wilde Nordseeauster und die von der bei Helgo­ land belegenen Bank stammende Helgoländer Auster. An und für sich handelt es sich bei den drei Gattungen um ein und dieselbe Austernart, die Unterscheidung gründet sich nur auf die Lage der Bänke in größerer oder geringerer Wasser­ tiefe und die hiermit zusammenhängenden Be­ sonderheiten in der Ernährung und infolge davon auch der Bewertung. Die Holsteiner Austern sind hochwertig und wohlschmeckend, sie gehören zu den besten Austernsorten, die beiden anderen Gat­ tungen sind minderwertig. Das Recht zur Fische­ rei aus Holsteiner Austern steht als Regal dem Staate zu, ist aus der Zeit der dänischen Herrschaft überkommen und durch § 8 Abs. 1 FischereiG. aufrechterhalten. Die Nordseeaustern unterliegen dem freien Fischfänge, die Helgoländer Bank wird von den Fischern der Insel befischt. Pr. Audträge. Nach der Verfassung des vormaligen Deutschen Bundes sollten Streitigkeiten zwischen den Bundesmitgliedern bei der Bundesversamm­ lung angebracht werden, welche sie nötigenfalls zur Entscheidung durch eine Austrägalinstanz (Austrägalgericht) zu bringen hatte (vgl. Bundesausträgalordnung vom 16. 6.1817). Nach Art. 76 der RV. von 1871 gab es solche A. nicht mehr; Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundes­ staaten nicht privatrechtlicher Natur waren viel­ mehr auf Anrufen des einen Teils von dem BR. zu erledigen. Jetzt entscheidet über Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reich und einem Lande der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich (Art. 19 RV.). Ferner versteht man unter A. Sondergerichte von Standesgenossen. Diese, schon nach § 7 EGBGB. nur noch in beschränktem Umfange erhalten gewesenen Vorrechte sind durch G. über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels vom 23. 6. 1920 (GS. 367) beseitigt. Bt. Australien. Vertretung des Reiches: General­ konsulat Melbourne (in Angelegenheiten, die das gesamte Britische Reich betreffen: Botschaft Lon­ don). A. ist als britisches Dominion Signatar­ macht des Versailler Vertrags und Mitglied des Völkerbundes seit 10.1.1920. Kein Handels- und Konsularvertrag. Der Deutsch-britische Ausliefe­ rungsvertrag vom 14. 5. 1872 (RGBl. 229 und 1920, 1543) wird auch auf A. angewandt. Fro.

Austritt aus den Religionsgesellschaften deS öffentlichen RechtS s. Kirchen- und Staats­ kirchenrecht II, Kirchenverfassung Al. Ausverkäufe. Die Abhaltung von A. ist im G. gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. 6. 1909 (RGBl. 499), ergänzt durch G. vom 31. 3. 1913 (RGBl. 209) geregelt (s. Unlauterer Wettbewerb). Nach § 7 muß in den Ankündi­ gungen eines A. der Grund, der zu dem A. Anlaß gegeben hat, angegeben werden. Durch den RP. (in Berlin durch den PolPräs.; Erl. vom 27. 8. 1909, HMBl. 389) kann nach Anhörung der JuHK. (s. d.) für die Ankündigung bestimmter Arten von A. angeordnet werden, daß zuvor bei der von ihr zu bezeichnenden Stelle Anzeige über den Grund des A. und den Zeitpunkt seines

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Beginns zu erstatten sowie ein Verzeichnis der auszuverkaufenden Waren einzureichen ist. Die Einsicht der Verzeichnisse ist jedem zu gestatten. Durch § 8 ist das Vor- oder Nachschieben von Waren bei A. verboten. Der Ankündigung eines A. steht jede sonstige Ankündigung gleich, welche den Verkauf von Waren wegen Beendigung des Geschäftsbetriebs, Aufgabe einer einzelnen Waren­ gattung oder Räumung eines bestimmten Waren­ vorrats aus den vorhandenen Beständen betrifft. Auf Saison- und Jnventurverkäufe, die in der Ankündigung als solche bezeichnet werden und im ordentlichen Geschäftsverkehr üblich sind, finden die Bestimmungen keine Anwendung, jedoch kann der RP. (in Berlin der PolPräs.) über Zahl, Zeit und Dauer der üblichen Saison- und Inventur­ ausverkäufe nach Anhörung der JuHK. Bestim­ mungen treffen (§ 9). Strafvorschriften in §§ 8, 10. Bei A. von Waren, die aus einer Konkursmasse stammen, aber nicht mehr zum Bestände der Konkursmasse gehören, ist in der Ankündigung jede Bezugnahme auf die Herkunft der Waren aus einer Konkursmasse bei Ver­ meidung einer Geldstrafe bis 150 M oder Haft verboten (§ 6). Wegen der Strafanträge des Anspruchs aus Unterlassung und der Schaden­ ersatzansprüche s. §§ 13, 22 a. a. O. F. H. AuSwandererfchiffe sind nach § 37 des AuswanderungsG. vom 9. 6. 1897 (RGBl. 463) alle nach außereuropäischen Häfen bestimmte See­ schiffe, mit welchen, abgesehen von den Kajütspassagieren, mindestens 25 Reisende befördert werden sollen. Im Interesse einer sicheren Be­ förderung der Auswanderer hat das genannte G. den Auswanderungsunternehmern in bezug auf die A. bestimmte Verpflichtungen auferlegt, welche der BR. durch die AussBek. vom 14.3.1898 (RG­ Bl. 57) nebst Abänderungen vom 29.2.1904 (RG­ Bl. 136), vom 20. 12. 1905 (RGBl. 779), vom 3. 8. 1909 (RGBl. 904), vom 31. 7. 1913 (RGBl. 620), vom 31. 7.1922 (RGBl. 1690) geregelt hat. In diesen Vorschriften werden sehr eingehende Anordnungen getroffen über die Beschaffenheit, Einrichtung und Ausrüstung der Schiffe, über die Beköstigung, Bedienung und Krankenbehandlung der Auswanderer, über die Sicherheits- und Rettungsvorschriften, über die ärztliche Untersuchung der Reisenden und der Schiffsbesatzung, über die Besichtigung der Schiffe und die Einschiffung der Auswanderer, sowie endlich über die Behandlung und Versorgung der Auswanderer während der Fahrt. He. Auswanderung. I. Staatspolitische Be­ deutung. 1. Die A. ist für jedes Staatswesen von hohem Interesse. Die Stärke der A. zeigt wie ein Barometer den Druck wirtschaftlicher, so­ zialer, politischer, konfessioneller Nöte an, die aus dem Volke lasten. Ein Anschwellen der A. wird stets Anlaß geben müssen, den Ursachen nachzu­ gehen und die Möglichkeit ihrer Abstellung zu prüfen. So kann eine starke A. von Bauern­ söhnen oder Landarbeitern bei inländischem Be­ darf an landwirtschaftlichen Arbeitskräften die Notwendigkeit staatlicher Förderung der Bauern­ siedlung und Landarbeitersiedlung anzeigen. Die ständige Beobachtung der Auswanderungsbewe­ gung im Inland, die Feststellung, welche Bevöl­ kerungskreise von ihr hauptsächlich ergriffen, und welche Gründe dafür maßgebend sind, ist daher

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Auswanderung

im staatlichen Interesse dringend erforderlich, weil sie wichtige Indizien für Krankheiten am Volks­ körper und für die zu ihrer Heilung erforderlichen Maßnahmen ergeben können. 2. Verschieden von diesem allgemeinen staat­ lichen Interesse an der Beobachtung der Aus­ wanderungsbewegung im Inland ist die Aus­ wanderungspolitik im engeren Sinne, d. h. die Frage, welche Stellung der Staat zur A. als solchen einnehmen, ob er sie fördern, hemmen, im staatlichen Interesse beeinflussen soll. Die A. ist gleichbedeutend mit Verringerung der Zahl der Jnlandsbevölkerung und gleichzeitiger Vergrößerung der Zahl der im Auslande leben­ den Volksangehörigen. Sie ist ein Posten im Haushalt der lebendigen Volkskraft, und zwar gleichzeitig ein Passivposten für die inländische Bevölkerungszahl, ein Aktivposten für die im Aus­ land lebenden Volksteile; sie ist eine räumliche Verschiebung der Volkskrast von innen nach außen. Sie kann daher nur richtig gewürdigt werden, wenn ihre Auswirkungen für die Inlands- und Auslandsinteressen des Staates, ihre Vorteile und Nachteile für das Bolksganze in Betracht gezogen werden. — Das Staatswesen wurzelt im Inland. Die Jnlandsbevölkerung ist in der Regel die Hauptquelle seiner Macht; sie gibt ihm Finanzkraft, Wehrkraft; sie ist das Zentrum der nationalen Kultur und der Volkswirtschaft; sie organisiert und bildet den Staatswillen. Der Auswanderer scheidet räumlich aus der Inlands­ bevölkerung aus. Er nimmt mit sich, was ihm das Inland an Erziehung und Ausbildung gegeben hat, seine Arbeitskraft, seine beruflichen Fähig­ keiten, sein Kapital. Die Auswanderer stehen ferner größtenteils in der Vollkraft der Jahre, sind auch vielfach dem Durchschnitt der Zurück­ bleibenden an Unternehmungslust und Tüchtig­ keit überlegen. Andererseits erweitert die A. den Lebensraum der Jnlandbevölkerung, kann daher dauernd übervölkerten Staaten eine wirksame Entlastung bieten. — Welche Vorteile die A. für Staat und Volk im Ausland schafft, hängt da­ von ab, inwieweit sie Wege geht, auf denen sie den nationalen Interessen dient. Ausgewanderte Facharbeiter und Techniker können in dem einen Land dazu beitragen, den ausländischen Wett­ bewerb zum Schaden der deutschen Wirtschaft zu stärken, im anderen können sie ein wirksames Mittel bilden, deutschen Unternehmungen neue Absatzgebiete für Maschinen, Werkzeuge u. dgl. zu erwerben oder günstige Bezugsquellen für ausländische Rohstoffe zu eröffnen. In Ländern mit einer Kultur, die starke Assimilationskraft für Deutsche besitzt, werden die deutschen Auswan­ derer vielfach in der 2. Generation in der fremden Kultur aufgegangen, dem Deutschtum kulturell verloren gegangen sein (z. B. Nordamerika); in anderen Ländern haben starke geschlossene Sied­ lungen ihre deutsche Eigenart durch Generationen hindurch bewahrt (z. B. Rußland, Südbrasilien, Chile). Eine unnütze Vergeudung der Volkskrast bedeutet jedenfalls die A. von Personen ohne aus­ reichende Widerstandsfähigkeit und die A. in Länder, in denen die klimatischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Vorbedingungen für das Fortkommen der Auswanderer nicht gegeben sind. Dagegen können tüchtige Auswanderer in geeig­ neten Zielländern unendlich viel zur Hebung des

Ansehens Deutschlands, zur Förderung der deut­ schen Volkswirtschaft, zur Verbreitung und Be­ fruchtung deutscher Kultur beitragen; sie können einen höchst wertvollen Aktivposten unter den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Im­ ponderabilien darstellen, durch welche das Schick­ sal des deutschen Volkes mitbestimmt wird. Auf die Frage nach dem Wert oder Unwert der A. für die Gesamtinteressen des Staates und des Volks­ ganzen läßt sich sonach eine allgemein gültige Antwort nicht geben. Die Antwort hängt von den jeweiligen Umständen ab. Ein übervölkerter Staat wird sie anders beantworten als ein Staat, der aller Menschenkräfte bedarf, um seine Volkswirt­ schaft zu kräftigen und zu erhalten, oder ein Staat, dessen Jnlandsbevölkerung infolge fehlenden Ge­ burtenüberschusses dauernder Verringerung an­ heimgefallen ist. Zwischen der optimal verlaufen­ den A., die im Inland entbehrliche Kräfte in ge­ eignete fremde Zielländer leitet, wo sie dem An­ sehen, der Wirtschaft und Kultur des Heimatlandes zum Vorteil gereichen und einer A., die zur Ver­ geudung von Volkskraft, oder gar zur Schädigung des Ansehens und der Wirtschaft der Heimat führt, sind die mannigfachsten Abstufungen denkbar. Die Betrachtung der verschiedenen Möglichkeiten führt unmittelbar zu der auswanderungspolitischen Grundforderung: Es ist Aufgabe des Staates, nach Möglichkeit dahin zu wirken, daß die A. op­ timal verläuft, daß sie demnach tunlichst nicht ergreift diejenigen Kräfte, deren das Inland selbst dringend bedarf; daß sie im übrigen geeignete Auswanderungswillige in geeignete Zielländer bringt, in denen sie von größtmöglichem Nutzen für das Volkstum sind. 3. Die Mittel zu einer solchen Lenkung der A. im Interesse des Bolksganzen sind beschränkt. Art. 112 RV. verbürgt jedem Deut­ schen die Auswanderungsfreiheit. Im Rahmen dieser Freiheit ist eine Beeinflussung d^r Aus­ wanderungsentschlüsse im wesentlichen nur auf denjenigen Wegen möglich, auf denen die Willens­ bildung freier Menschen sonst beeinflußt werden kann, nämlich durch Aufklärung und Beratung (s. hierüber Näheres unten III 1, 4). —- Deutsch­ land verfügt seit dem Vertrag von Versailles über keine Kolonien oder Schutzgebiete mehr, in denen es die eingewanderten Deutschen durch deutsche Behörden fürsorglich würde betreuen können.^ Die deutsche A. ist Wanderung in Länder unter fremder Staatshoheit. Der deutsche Auswan­ derer ist draußen im wesentlichen auf die eigene Kraft angewiesen. Die deutschen Vertretungen im Auslande sind bei der Weiträumigkeit der Länder, in denen sie ihres Amtes walten, nicht in der Lage, dem einzelnen deutschen Einwan­ derer nachzugehen. Reich und Staat können daher keine Gewähr für das Gelingen der Auswande­ rungsvorhaben übernehmen. Sie müssen sich des­ halb fernhalten von jeder Art der Förderung der A. in bestimmte Länder, durch welche in dem Aus­ wanderungswilligen der irrige Glaube erweckt würde, als könne und werde ihm der Heimatstaat draußen wirtschaftliche Hilfe nach den ersten Schwierigkeiten und Enttäuschungen zuteil werden lassen. Die schwere Verantwortung, die mit dem Entschluß zur Loslösung vom Mutterlande für den Auswanderer und seine Familie verbunden ist, können Reich und Staat ihm nicht abnehmen oder

rderung

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erleichtern. Eine Politik, die diese Gesichtspunkte den höchsten Stand der Nachkriegsjahre zu erklim­ außer acht ließe, würde die Reg. mit einer un­ men. Die Folgezeit brachte eine erhebliche Sen­ tragbaren Verantwortung belasten. Deshalb kung dieser Ziffer. Die Gründe beruhen in der wäre die Subventionierung der A. in bestimmte Festigung des deutschen Geldwesens, die den un­ Länder aus Mitteln der öffentlichen Hand fehler­ gestümen Drang zur A. bis zu einem gewissen haft; sie hat auch in der Geschichte der deutschen Grade mäßigte, und im Inkrafttreten des Ein­ A. stets zu Fehlschlägen geführt. — Dagegen wanderungsgesetzes der Vereinigten Staaten von können vertrauenswürdige private Stellen (ge­ Amerika, durch welche die Einwanderung aus den meinnützige Vereinigungen oder wirtschaftliche europäischen Staaten beschränkt wurde. Die Zahl Unternehmungen), die Hand in Hand mit den der Uberseeauswanderer belief sich 1924 auf öffentlichen Stellen im Sinne der Richtlinien 58000, 1925 auf 62800 (aus Preußen: 28800), einer nationalen Auswanderungspolitik arbeiten, 1926 auf rund 65000 (aus Preußen: 29700), also wesentlich zur Lenkung der A. beitragen. Von nahezu auf das Dreifache der Vorkriegsjahre. Seit staatlich geförderten gemeinnützigen Vereini­ 1921 nimmt die deutsche A. wieder fast ausschließ­ gungen dieser Art seien genannt: der evangelische lich den Weg über die Häfen Hamburg und Bre­ Hauptverein für deutsche Ansiedler und Auswan­ men. — Insgesamt sind seit Kriegsende bis ein­ derer in Witzenhausen a. d. Werra, der St. Na- schließlich 1926 etwa 375000 Deutsche nach Uber­ phaelsverein zum Schutze katholischer Auswan­ see ausgewandert. Dazu tritt die Uberlandausderer in Hamburg, das Deutsche Ausland-Institut wanderung, die statistisch nicht ermittelt ist und auf in Stuttgart, die Vereinigung für Siedlung und etwa 100000 geschätzt wird. — Uber die Hälfte Wanderung in Berlin. Deutsche wirtschaftliche der Auswanderer über See stand im Alter von Unternehmungen, welche die Besiedlung von 17—30, etwa ein Viertel im Alter von 30—50 Ländereien in geeigneten Zielländern betreiben, Jahren. —1925 und 1926 wanderten je etwa l°/oo sind: die Hanseatische Kolonialgesellschaft in Ham­ der Gesamtbevölkerung des Reichs nach Ubersee. burg (Ländereien im Staate Santa Catarina, Bemerkenswert ist, daß die A. in den preußischen Brasilien) und das Kolonisationsunternehmen Prov. Grenzmark mit l,75°/00, SchlHolst. mit Dr. Hermann Meyer in Leipzig (Ländereien im 1,82°/oo und Hannover mit 1,63°/0q im Jahre 1925 Staate Rio Grande do Sul, Brasilien). Beide (ähnlich 1926) einen erheblich stärkeren Bevöl­ haben von der Reichsregierung die Erlaubnis zur kerungsanteil erfaßte. — Beruflich gehörten von Beförderung von Auswanderern gemäß § 7 des den Uberseeauswanderern des Jahres 1926 rund AuswanderungsG. erhalten. — Der Ausbildung 13000 mit 21% der Landwirtschaft, 22000 mit geeigneter Auswanderer dienen die reichsseitig 35,7% der Industrie, 10600 mit 17,2% dem geförderten Anstalten: Kolonialschule in Witzen­ Handel und Verkehr einschließlich Gast- und hausen a. d. Werra und koloniale Frauenschule in Schankwirtschaft an. — Das Hauptzielland Rendsburg. — Ein wirksames Mittel zur Lenkung der deutschen A. sind nach wie vor die Ver­ der A. wäre der Abschluß von Verträgen mit ge­ einigten Staaten von Amerika. Rund 50000 eigneten Zielländern, in denen die Fortkommens­ oder 80,5% der Uberseeauswanderer des Jahres aussichten für die Einwanderer durch Sicherung 1926 gingen dorthin. Kanada nahm 1200, Bra­ möglichst günstiger Arbeits- und Niederlassungs­ silien 3300, Argentinien 3900, Afrika 1800 von bedingungen tunlichst zu verbessern waren. Die ihnen auf. Zielländer der deutschen A. ziehen bisher die ein­ III. Die reichsrechtliche Regelung der A. seitige Regelung ihrer Einwanderung vor. Ver­ 1. Geschichtliches. In der staatspolitischen Stel­ träge dieser Art sind daher bislang nicht geschlossen lung der deutschen Länder zur A. lassen sich drei worden. Phasen unterscheiden. Die früheste Phase umfaßt II. Die deutsche A. der letzten Jahrzehnte. die Zeit, in der die deutschen Länder — namentlich Der Umfang der deutschen A. hat stark geschwankt. im Osten des Reichs — dünn bevölkert, die Landes­ Sie ist hauptsächlich durch wirtschaftliche Nöte zeit­ herren daher darauf bedacht waren, zur wirtschaft­ weise stark gesteigert worden. So wanderten in lichen Erschließung ihrer Gebiete die Einwande­ den sog. Gründerjahren 1871, 1872 über 100000 rung zu fördern, die A. möglichst zu unterbinden. Deutsche jährlich nach Ubersee aus. Eine starke A. In der zweiten Hälfte des 18. und Anfang des weisen ferner die Jahre 1880—1893 auf. 1881 19. Jahrhunderts setzen sich unter dem Einflüsse und 1882 überstieg die Auswanderungszisfer so­ naturrechtlicher Lehren freiere Anschauungen gar die Zahl 200000. Dagegen hat sich die A. durch; der Grundsatz der Freizügigkeit gelangt all­ seit 1894 bis zum Beginn des Weltkrieges in mählich zur Geltung und mit ihm der Grundsatz mäßigen Grenzen gehalten. 1904—1913 betrug der Auswanderungssreiheit (so schon §§ 127—140 der Jahresdurchschnitt der Uberseeauswanderer II 17 ALR.; später Art. 11 der preuß. Vf. vom etwa 25000. — Während des Krieges stockte die 31. 1. 1850). Immerhin gilt die A. als ein Übel, Bewegung und kam auch nach dem Kriege trotz mit dem man sich ungern absindet. Nur zögernd starken Auswanderungsdranges teils wegen Man­ entschließen sich die Staaten zu einer notdürftigen gels an Schiffsraum, teils wegen der Sperrmaß­ gewerbepolizeilichen Regelung der A., um den nahmen der überseeischen Länder nur langsam in dringendsten Mißständen, namentlich der Aus­ Gang. Das Jahr 1919 weist 3220, das Jahr 1920 beutung der Auswanderer in den Hafenorten und rund 9200 deutsche Ubersecauswanderer aus, die ihrer Schädigung durch gewissenloseBesörderungsihren Weg fast ausschließlich über fremde, nament­ unternehmer und Agenten, entgegenzutreten. Die lich holländische Häfen nehmen mußten. Im letzte Phase bildet das Durchdringen der Erkennt­ Jahre 1921 wird mit 24100 Auswanderern der nis, daß es im Staatsinteresse gelegen ist, über die Durchschnitt der Vorkriegsjahre wieder erreicht, gewerbepolizeiliche Regelung der A. hinaus zu 1922 steigt die Zahl auf 36500, um im Jahre 1923, einer fürsorglichen, den Interessen des Staates der Zeit der schlimmsten Inflation, mit 115400 und des Volksganzen dienenden Lenkung der BeBitter, Handwörterbuch der Preuß. Verwaltung, 3. lufl.

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wegung vorzugehen. Ein Gesetzentwurf mit diesen Zielen wurde bereits in der Frankfurter National­ versammlung 1849 beraten. Die Grundlage für eine solche Regelung wurde erst durch die Grün­ dung des Deutschen Reichs geschaffen. Art. 4 Zisf. 1 RV. unterstellte der Beaufsichtigung des Reichs und seiner Gesetzgebung die Bestimmungen über die Kolonisation und die A. nach außerdeut­ schen Ländern. Auf Grund dieser Vorschrift be­ stellte das Reich zunächst Reichskommissare zur Führung der allgemeinen Aussicht über die A. in den Hafenorten Hamburg und Bremen. Im übrigen blieben die Landesgesetze in Kraft, bis nach mehreren vergeblichen Versuchen reichsgesetz­ licher Regelung das AuswanderungsG. vom9. 6.1897 (RGBl. 463) zustande kam. Das G. enthält eine eingehende fürsorgliche Regelung der Auswandererbeförderung und gewährleistet den Auswanderern damit einen ausreichenden Schutz auf der Seereise. Es will hiermit dazu bei­ tragen, in den Auswanderern das Gefühl der An­ hänglichkeit an die Heimat zu stärken. Es will ferner einer in wirtschaftlicher und nationaler Hin­ sicht zielbewußten Auswanderungspolitik die Wege ebnen und erstrebt dies Ziel vornehmlich durch das sog. Spezialisierungsprinzip, wonach den Aus­ wanderungsunternehmern die Beförderung der Auswanderer nur für bestimmte, als deutsche Aus­ wanderungsziele geeignete Länder erteilt wird. — Eine Entschließung des RT., die bei Annahme des G. gefaßt wurde, ersuchte die verbündeten Reg. um die Einrichtung einer unter Reichsaufsicht stehenden Auskunsts- und Beratungs­ stelle über die Aussichten der A. mit dem Ziele der Lenkung der Auswanderer nach solchen Gegenden, „in denen neben günstigen Erwerbsgelegenheiten für die Auswanderer die meiste Aussicht auf Erhaltung ihres Deutschtums und auf günstige Beziehungen mit der alten Hei­ mat vorhanden ist". Im Jahre 1902 wurde eine solche Stelle, die Zentral-Auskunftsstelle für Auswanderer („Zafa") in Ber­ lin mit einer ausreichenden Zahl von Zweigstellen in allen Teilen des Reichs von der deutschen Kolonialgesellschaft errichtet. Das Reich zahlte eine jährliche Beihilfe und hatte das Recht zur Auf­ sicht und zum Erlaß grundsätzlicher Weisungen. — Als sich im Jahre 1918 auf Grund besonderer Ab­ machungen in den Friedensverträgen mit der Ukraine, Großrußland, Finnland und Rumänien die Notwendigkeit ergab, zur Regelung der Rückwanderung eine besondere amtliche Stelle zu er­ richten, wurde dieser bei dem engen Zusammen­ hänge zwischen Rück- und Auswanderung auch die Erteilung von Rat und Auskunft an Auswande­ rungswillige übertragen. Vom 1. 4. 1919 ab stellte daher die „Zafa" ihre Tätigkeit ein; sie wurde ersetzt durch die „Reichsstelle für deutsche Rückwanderung und Auswanderung", die durch Bek. des RK. vom 29. 5. 1918 (Reichsanzeiger Nr. 125 vom 30. 5. 1918) errichtet und durch V. des Neichspr. vom 7. 5. 1919 (RGBl. 451) zum „Neichswanderungsamt" ausgebaut, jedoch auf Grund von Vorschlägen des Reichssparkommissars durch V. des Reichspr. vom 29. 3. 1924 (RGBl. 1395) zu der „Reichsstelle für das Ausw'anderungswesen" umgebildet wurde. Die Stelle untersteht den RMdJ. und des RMdausA. und ist deren wichtigstes Organ bei der Beobach­

tung der Auswanderungsbewegung im Jnlcnde und bei der Lenkung der A. Das AuswanderungsG. hatte srch die Aus­ gabe gestellt, den Auswanderungswill igen die Vöglichkeit zu gewährleisten, ihren Entschluß unter möglichst günstigen Bedingungen durchzuführen; es hatte zu diesem Zwecke eine eingehende Rege­ lung des Betriebes der Beförderungsunternehmer und ihrer Agenten sowie des Beforderungsver­ trages gebracht. Es blieb eine Lücke in der Rege­ lung des Auswanderungswesens: der Geschäfts­ betrieb der Beförderungsunternehmer und -cyenten tritt an den Auswanderer erst heran, wenr der Entschluß zur A. gefaßt ist und nur noch der Aus­ führung bedarf. Von wesentlicher Bedeutung für eine fürsorgliche Regelung der A. sind die weiter zurückliegenden Vorgänge, durch welche die Bil­ dung des Auswanderungsentschlusses vorbereitet und beeinflußt wird. In dieser Hinsicht war Lurch die oben erwähnte amtliche Beratungsorganisation für zuverlässige Aufklärung und Beratung über die Aussichten der A. Vorsorge getroffen. Un­ berücksichtigt blieben dagegen die Einflüsse, die von privaten Auskunfteien, Stellenver­ mittlungen nach dem Ausland, Aus­ landssiedlung sUnternehmungen aus­ gehen. Einen gewissen Schutz gegen gemein­ schädliche Auswirkungen solcher Betriebe boten nur die Strafvorschriften im § 45 Abs. 2 Aus­ wanderungsG. und im § 144 RStGB., wonach mit Strafe bedroht wird, „wer es sich zum Ge­ schäfte macht, zur A. anzuwerben," und „wer es sich zum Geschäfte macht, Deutsche unter Vor­ spiegelung falscher Tatsachen oder wissentlich mit unbegründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung berechneten Mittel zur A. zu verleiten." Der kriminelle Schutz, der erst einsetzt, wenn der Tatbestand bereits erfüllt, der Schaden also in der Regel schon entstanden ist, erwies sich in der Nach­ kriegszeit als ungenügend. Die schweren Erschüt­ terungen, die der unglückliche Ausgang des Krieges dem staatlichen rind wirtschaftlichen Leben gebracht hatte, riefen in bcii notleidenden Volksschichten eine starke Unruhe hervor, die zu einer suggestiven Massenverbreitung des Auswanderungsgedankens führte. Die Loslösung von der Heimal erschien den vom Auswanderungssieber Ergriffenen wie eine Erlösung aus der Not. Die beim einfachen Mann ohnehin häufig schwach entwickele Fähig­ keit zu kritischer Prüfung anscheinend glänzender Auslandsangebote kam unter dem Drucke des Elendes fast völlig abhanden. Damit war der Boden bereitet für gewissenlose Geschäftemacher, die in immer größerer Zahl rmd mit zunehmender Dreistigkeit unter Ausbeutung der Leicktgläubigkeit und Unerfahrenheit der verblendeten Massen den Nachweis trügerischer lockender Erwerbsmög­ lichkeiten in fremden Ländern gegen Entgelt an­ boten, die Unruhe im Volke vergrößerten, und unbedachte Auswanderungsentschlüsse mit den un­ vermeidlichen Fehlschlägen hervorriesen. Schwin­ delhafte Auskunfteien und Kolonisationsunterneh­ mungen, angeblich gemeinnützige Auswanderer­ vereinigungen, deren wirklicher Zweck läufig nur daraus hinausging, den Leitern durch Verwendung der Vereinsbeiträge das Verschwinden im über­ seeischen Ausland zu ermöglichen, schossen wie Pilze aus der Erde. Diesem gemeinchädlichen Treiben, durch das überdies jeder Versuch einer

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verständigen Lenkung der A. durch objektive Be­ ratung durchkreuzt und vereitelt wurde, konnte nicht lediglich durch Anwendung von Strafvor­ schriften, sondern nur durch wirksame Präventiv­ maßnahmen ein Ende bereitet werden. Durch die V. der Neichsregierung geg'en Miß­ stände im Allswanderungswesen vom 14. 2. 1924 (RGBl. I 107), die auf Grund des ErmächtigungsG. vom 8. 12. 1923 (RGBl. I 1179) erlassen wurde, ist diese Lücke geschlossen worden. Die Verordnung regelt die privaten Betriebe zur Erteilung von Auskunft und Rat über die Aussichten der A., ferner die Unternehmungen zur Ansiedlung oder sonstigen Unterbringung von Auswanderungswilligen im Wirtschaftsleben des Auslandes und schränkt die Auswanderungsfrei­ heit von Mädchen unter 18 Jahren ein. (Amt­ liche Erläuterungen der V. s. RMBl. 1924, 97 ff. Nr. 14.) Von Bedeutung für die Lenkung der A. ist auch die Anwerbung und Vermittlung von Arbeitnehmern nach dem Auslande. Wer Arbeit im Auslande ausnimmt, ist zwar nicht notwendig ein Auswanderer, weil ihm häufig die Absicht fehlt, dauernd oder für lange unbestimmte Zeit im Auslande zu verbleiben. Doch kann diese Absicht bei längerem Verbleib im Auslande zur Entstehung kommen; vielfach — namentlich bei der Arbeitsaufnahme in Ubersee — ist sie auch von vornherein vorhanden. Die Anwerbung und Ver­ mittlung von Arbeitnehmern nach dem Ausland ist auf Grund des § 60 des ArbeitsnachweisG. vom 22. 7. 1922 (RGBl. I 657) durch die gemein­ schaftliche V. des RAM. und des RMdJ. vom 4. 10.1923 (RGBl. I 960), vom 23. 7. 1924 (RGBl. I 675) geregelt. Sie sieht ein für­ sorgliches Zusammenwirken der für die Regelung des Arbeitsmarktes und für die wanderungs­ politischen Interessen verantwortlichen Stellen vor. (Geringe Änderungen infolge des G. über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. 7. 1927, RGBl. I 187, s. in der V. vom 20. 9. 1927, RGBl. I 302). 2. Allgemeines. Nach Art. 6 der RV. vom 11. 8. 1919 (RGBl. 1383sf.) hat das Reich die ausschließliche Gesetzgebung über die A. Die Länder können daher auf diesem Gebiete keine neuen Gesetze erlassen. Die bestehenden Landes­ gesetze bleiben in Geltung, soweit sie mit der reichs­ gesetzlichen Regelung vereinbar sind. — Die Reichsregierung übt die Aussicht aus ge­ mäß Art. 15 RV. Zuständig hierfür ist der RMdJ. hinsichtlich der im Inland, das AusA. hinsicht­ lich der im Ausland beruhenden Interessen. Soweit die Durchführung der reichsgesetz­ lichen Vorschriften nicht Neichsbehörden über­ tragen ist (z. B. steht die Erteilung der Erlaub­ nis zur Beförderung von Auswanderern, die Versagung der Erlaubnis und deren Widerruf den RMdJ. und des Auswärtigen mit Zustim­ mung des RR. zu), liegt sie den Landesregie­ rungen ob. Über Neichskommissare für das Auswanderungswesen in den Hafenorten s. unten Nr. 5, über Obliegen­ heiten der deutschen amtlichen Vertre­ tungen im Aus lande s. Nr. 7. Das geltende Neichsrecht geht aus vom Grund­ sätze der Auswanderungsfreiheit (s. unter 3), der nur geringen Einschränkungen im Interesse

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allein reisender jugendlicher Personen weiblichen Geschlechts unterworfen wird. Es sieht eine für­ sorgliche Regelung der A. im Jnlande, im Einschiffungshafen, während der Reise und im Auslande vor (s. unten 4, 5, 6, 7). 3. Auswanderungsfreiheit. Nach Art. 12 RV. ist jeder Deutsche berechtigt, nach fremden Ländern auszuwandern. Die A. kann nur durch Reichsgesetz beschränkt werden. Eine solche Be­ schränkung enthält die oben unter 1 genannte, auf Grund des ErmächtigungsG. vom 8. 12. 1923 er­ lassene, daher Gesetzeskraft besitzende V. vom 14. 2. 1927 (RGBl. I 107) in ihrem § 9, wonach Mädchen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung des zur Ausübung der Personen­ sorge berechtigten Elternteils auswandern wollen, außer der Zustimmung desjenigen, der nach dem BGB. das Recht zur Bestimmung ihres Aufent­ halts hat, auch derGenehmigungdesVormundschaftsgerichts bedürfen. Die Vor­ schrift beruht auf Anregungen der verdienst­ vollen gemeinnützigen Vereinigungen, die sich dem Schutze allein reisender Mädchen widmen. Mädchen, welche die Genehmigung nicht nach­ weisen, dürsen nicht zur Beförderung ange­ nommen werden und sind von den Polizeibehör­ den am Verlassen des Reichsgebiets zu verhindern. Die Behörden werden dabei auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Mädchen Rücksicht zu neh­ men und sich wegen der fürsorglichen Weiter­ leitung der Mädchen mit dem Nächstgelegenen Jugendamt oder mit gemeinnützigen Schutz­ organisationen (z. B. Bahnhofsmission, Verein der Freundinnen junger Mädchen, kathol. Mäd­ chenschutzvereine) in Verbindung zu setzen haben. — Paßrechtliche Beschränkungen der Ausreisemöglichkeit Minderjähriger und be­ sonders minderjähriger Mädchen, die ohne Begleitung erwachsener Angehöriger zum Antritt einer Stellung ins Ausland reisen, finden sich im § 13 der Bek. zur Ausführung der Paßverordnung vom 4. 6. 1924 (RGBl. I 613) und den preuß. Ergänzungsbestimmungen zu § 13 (MBl. 1924, 933 Nr. 4; s. auch 1925, 27 Nr. 2). — Die aufderallgemeinenWehrpflicht beruhenden Beschränkungen der Auswanderungsfreiheit sind mit ihrem Wegfall ge­ genstandslos geworden (so §§ 140, 360 Zifs. 3 StGB.). — Keine eigentliche Beschränkung der Auswanderungssreiheit, aber eine Erschwe­ rn n g der A. enthalten die Vorschriften im §23 AuswanderungsG., wonach den Beförde­ rungsunternehmen verboten ist, P e r s o n e n zu befördern, deren Verhaftung oder Fest­ nahme gerichtlich oder polizeilich angeordnet ist. Untersagt ist ferner die Beförderung von Reichsangehörigen, für welche von fremden Reg. oder Kolonisationsge­ sellschafte noderähnlichenUnternehmungen der Beförderungspreis ganz oder teilweise bezahlt wird oder Vorschüsse geleistet werden. Das Angebot freier Überfahrt ist ein besonders wirksames Lock­ mittel. Die Anwendung dieses Mittels im Dienste ausländischer Interessen wird in der Regel den Zielen einer nationalen Lenkung der A. zuwider­ laufen. Daher das Verbot, von dem die Reichs­ regierung Ausnahmen zulassen kann — Die Staatsangehörigkeit geht durch A. nicht

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verloren (§ 17 des StAngG- vom 22. 7. 1913, RGBl. 583). Andererseitsistin Friedenszeiten jeder Deutsche auf seinen Antrag aus der Staats- und Reichsangehörigkeit zu entlassen mit Ausnahme aktiver Beamten und Offiziere (§ 21 ebendort; die aus der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden weiteren Entlassungsbeschränkungen sind gegen­ standslos geworden). 4. Fürsorge im Inland. Der wichtigste Teil der fürsorglichen Regelung der A. im Inland ist die Sorge dafür, daß der Auswanderungswillige seinen Entschluß auf Grund zuverlässiger Unter­ lagen über die Aussichten im Auslande, unbeein­ flußt durch irreführende Einwirkungen fassen kann. Dies wird erreicht durch eine amtlicheOrganisation zuverlässiger Aufklärung und Beratung und durch Präventivmaßnahmen gegen Irreleitung durch private Stellen. Die Erfüllung dieser Aufgaben ist zugleich das Hauptmittel zu einer den Interessen des Volksganzen dienen­ den Lenkung der A. (s. oben unter 12, 3). Das Kernstück der amtlichen Beratungsorgani­ sation ist die Reichsstelle für das Auswan­ derungswesen in Berlin NW40, Moltkestraße 5. Die beim AusA. eingehenden Berichte der amt­ lichen deutschen Vertretungen im Auslande über die Aussichten der deutschen A. werden ihr zu­ geleitet. Weitere Unterlagen ergeben sich aus Pressenachrichten, privaten Mitteilungen, For­ schungsergebnissen wissenschaftlicher Institute für das Studium der wirtschaftlichen Entwicklung fremder Länder. Die Reichsstelle hat die Auf­ gabe, diese Unterlagen zu verarbeiten, die Öffentlichkeit über die Aussichten der A. aufzuklären und den gewonnenen Beratungsstofs den mit ihr in Verbin­ dung stehenden Beratungsstellen zuzu­ leiten, denen die Beratung der einzelnen Aus­ wanderungswilligen obliegt. Sie gibt ein zwei­ mal monatlich im Zentralverlag Berlin W 35 Potsdamer Straße 41 erscheinendes Nachrichten­ blatt, ferner Auskunftshefte über die wichtigsten Zielländer und Merkblätter für die Auswande­ rungswilligen heraus und versendet Rundschreiben an die Beratungsstellen. — Sie hat ferner die Auswanderungsbewegung imJnlande zu beobachten; ihre Organe sind dabei die größeren Beratungsstellen, die vermöge ständigen Verkehrs mit den Auswanderungswilligen am besten in der Lage sind, der Auswanderungsbewegung nachzu­ gehen und wichtigere Erscheinungen in ihr früh­ zeitig wahrzunehmen. — Endlich ist ihre Aufgabe die zentrale Unterstützung der Landes­ behörden und der Beratungsstellen bei der Verhütung und Bekämpfung von Mißständen im Aus Wanderungswesen. Sie macht die Landesbehörden auf Mißstände in der Auswanderungsbewegung aufmerksam, die ein Einschreiten erfordern können, und steht ihnen mit ihrem Rat und mit den Sonderkenntnissen zur Verfügung, die sie aus Grund eingehenderer Be­ schäftigung mit der Materie besitzt. Die Rechtsträger der größerenAuswandererberatungsstellen sind teils Körper­ schaften des öffentlichen Rechts, teils gemein­ nützige Vereinigungen, teils eingetragene Ver­ eine. Die meisten von ihnen haben als Hilfs­ organe der Reichsstelle bei der ständigen Beob­ achtung der Auswanderungsbewegung im Jn-

lande die Betreuung bestimmter Gebiete über­ nommen, innerhalb deren sie mit den Landesverwaltungsbehörden, insbesondere auch mit den für die Beobachtung der A. wichtigen Paßbehörden und Arbeitsämtern Fühlung halten. Jin folgen­ den sind diese Beratungsstellen mit itjren Anschrif­ ten und Bezirken aufgeführt: 1. 23 etIin W 10 Königin-Augusta-Straße 1III (Auswandererbera­ tungsstelle). Bezirk: Großberlin; Prov. Branden­ burg (ausschließlich Kreis Arnswalde); von der Prov. Sachsen: NegBez. Magdeburg mit) Merse­ burg (ausschließlich Stadtkreis Halle und Saal­ kreis) von Hannover: NegBez. Hildesheim; von Westpreußen-Posen: Kreise Schwerin und Meseritz; Freistaat Anhalt. 2. Bielefeld, Zastrowstraße 29 (Verein für das Deutschtum im Aus­ lande). Bezirk: Stadt- und Landkreis Bielefeld. 3. Braunschweig, Breite Straße 22 (Bund der Auslanddeutschen, Ortsgruppe Braunschweig). Bezirk: Land Braunschweig. 4. B r e m e n , Mar­ tinistraße 14 II (Auswandererberatungsstelle). Bezirk: Freistaaten Bremen und Oldenburg (ohne Landesteile Birkenfeld und Lübeck); von Han­ nover: NegBez. Hannover, Aurich, Osnabrück, Stade (außer Kreise Stade, Jork, Neuhaus-Hadeln, Kehdingen); Kreis Grafschaft Schaumburg (Hessen-Nassau), Schaumburg-Lippe. 5. Bres­ lau, Friedrichstraße 3 I (Auswandererberatungs­ stelle). Bezirk: Prov. Nieder- und Oberschlesien; von Westpreußen-Posen: Kreise Fraustadt und Bomst. 6. Dresden-A. I, Friesengasse 6 (Aus­ wandererberatungsstelle). Bezirk: Kreishaupt­ mannschaften Dresden, Bautzen und Chemnitz. 7. Düsseldorf, Ständehaus (Auswanderer­ beratungsstelle). Bezirk: von der Rheinprovinz: NegBez. Düsseldorf (außer Stadt- und Landkreis Essen), Koblenz (außer Kreis Wetzlar), Trier und Aachen; Prov. Westfalen (außer Stadt-und Land­ kreis Bielefeld); Freistaaten Lippe, Landesteil Birkenfeld(Oldenburg). 8. Es s e n, Ruhr (Städti­ sches Arbeitsamt), Beuststraße 2 (Städtische Aus­ kunftsstelle für Auswanderer). Bezirk: Stadtund Landkreis Essen. 9. Frankfurt a- M., Rathenauplatz 3 (Auswandererberatungsstelle). Bezirk: Prov. Hessen-Nassau (ausschließlich der Kreise Kassel Stadt und Land, Witzenhausen, Eschwege, Hofgeismar, Wolfhagen, Fritzlar, Mel­ sungen, Rotenburg, Homberg, Ziegenhain, Hers­ feld und Schmalkalden); Kreis Wetzlar (NegBez. Koblenz); Freistaat Hessen; Nheinpfalz (Bayern); von Baden: Kreis Mosbach, Heidelberg, Mann­ heim, Karlsruhe, Baden; Freistaat Waldeck. 10. Freiburg i. Br., Karthäuserstraße 68 (St.-Raphaels-Verein). Bezirk: von Baden- Kreis Offenburg, Freiburg, Lörrach, Waldshut, Villingen, Konstanz. 11. Halle a. S. (Städtisches Arbeitsamt), Salzgrafenstraße 2 (Städtische Äuskunftsstelle für Auswanderer). Bezirk: Stadtkreis Halle und Saalkreis. 12. Hamburg, ABCStraße 46/47 (Auswandererberatungsstelle:). Be­ zirk: Hamburg und Mecklenburg-Schwerin; Prov. Schleswig-Holstein; von Hannover: RegBez. Lüneburg und Kreise Stade, Jork, Neuhaus, Hadeln, Kehdingen; von Mecklenburg-Strelitz: Landesteil Natzeburg-Schönberg; von Oldemburg: Landesteil Lübeck. 13. Köln, Unter Fetten­ hennen 19 (Auswandererberatungsstelle). Bezirk: Reg.-Bez. Köln. 14. Königsberg i. Pr. Werten) zwischen den wirtschaftenden Individuen schon im Augenblicke des Feilhaltens alkoholhaltig, zu vermitteln. Unter G. im rechtlichen Sinne sind, sondern auch solche, welche in noch un­, versteht man die durch gesetzliche Anordnung mit fertigem Zustande zum Verkauf gelangen undj Geldeigenschaft ausgestatteten Zahlungsmittel. erst infolge natürlicher Entwicklung alkoholhaltig. Uber das Wesen des G., insbesondere dessen Wert, und genußfähig werden (KGI. 9, 168; 10, 174). bestehen zwei grundsätzlich verschiedene Theorien: Zu den g. G. gehört auch Apfelwein (OVG. vom’ die metallistische, als deren Hauptvertreter 11.10.1882, PrVBl. 4, 44) sowie Braunbier und, Helfferich zu bezeichnen ist, und die durch Jungbier (OVG. vom 6. 12. 1880, PrVBl. 2, 97 Knapp begründete nominalistische. Nach der und KGI. 10, 174; 40, 168). Schankwirtschaft■ metallistischen Anschauung muß das Geld die (s. d.) umfaßt auch das Ausschänken nicht g. G. Eigenschaften des allgemeinen Tauschmittels, des Im ambulanten Gewerbebetrieb (s. d. II) und allgemeinen Wertmessers, des Wertaufbewah­ im Gewerbebetrieb im Umherziehen (s. d. III 6) rungsmittels und des gesetzlichen Zahlungsmittels kann das Feilbieten g. G. von der OPB. im in sich vereinigen. Die Vereinigung dieser vier Falle besonderen Bedürfnisses vorübergehend ge­ Eigenschaften ist nach den Metallisten nur beim stattet werden (§ 42a Abs. 3 GewO.); im übrigen Edelmetall gewährleistet; die in dem G. aus­ ist im ambulanten Gewerbebetrieb nur das Feil­ gedrückten Werteinheiten müssen durch ein in bieten und das Ankäufen zum Wiederverkauf von dem Geldstück enthaltenes Quantum Edelmetall Bier und Wein in Fässern (8 42a Abs. 1 GewO.) repräsentiert sein. Die staatliche Theorie des und in diesem und im Gewerbebetrieb im Umher­ Geldes von Knapp (Nominalismus) ver­ ziehen nach Bek. vom 17. 7. 1899 (RGBl. 374), tritt den Standpunkt, daß das G. eine staatliche vom 29. 2. 1904 und vom 1. 7. 1908 (RGBl. 468) Einrichtung, der Wert des G. unabhängig vom das Feilbieten von Bier mit Alkoholgehalt bis zu Geldstoff, von dem Gehalt der einzelnen Geld­ 2% in Preußen, Anhalt, Braunschweig, Lübeck stücke an Edelmetall sei. Der Wert des G. beruhe sowie im Bezirk der Amtshauptmannschaft und auf der dem Geldstück durch die Rechtsordnung Stadt Leipzig gestattet. Auf Wochenmärkten dür­ zuerkannten Geltung. Das Geldsystem umfaßt fen g. G. nicht feilgeboten werden (§ 66 Abs. 1 den planmäßig durchgeführten Aufbau einer An­ Zifs. 2 GewO.), dagegen kann die OPB. auf Jahr­ zahl verschieden große Werte darstellender Geld­ märkten den Verkauf von g. G. zum Genuß auf sorten. Wie jeder Quantitätsbegrisf, z. B. Länge, der Stelle genehmigen (§ 76 Abs. 2 GewO.). Die Maß, Gewicht, läßt sich auch eine Geldsumme nur Verabreichung oder das Ausschänken von brannt­ durch eine feststehende Einheit ausdrücken, welche. weinhaltigen g. G. ist den Gast- und Schankwirten Rechnungseinheit, Geldeinheit, Wert­ an Personen unter 18 Jahren verboten. Das einheit genannt wird, oder deren Vielfaches bzw. Verabreichen und Ausschänken von sonstigen g. G. deren Bruchteile („Stückelung"). Die Rechnungs­ an Personen unter 16 Jahren zu eigenem Genuß einheit im deutschen Geldsystem ist die „Reichs­ No. in Abwesenheit des Erziehungsberechtigten ist den mark". Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, SliifL 1918; Gast- und Schankwirten gleichfalls verboten. Helfferich, Geld und Banken, I. Tel!: Das Geld, G. G. dürfen an Betrunkene weder verabfolgt 6. Aufl.1923; K. Elster, Die Seele des Geldes, L.Aufl. noch ausgeschänkt werden (8 5 des NotG. vom 1923. Geldentwertung s. Inflation. 24. 2. 1923, RGBl. I 147). Der Verkauf von Geldentwertnngsausglelch s. Inflations­ g. G. an fremde Arbeiter kann in der Zeit von morgens vor 9 und abends nach 7 Uhr verboten steuern, Obligationensteuer, Haus­ werden (KGI. 18, 224). Wegen des Klein­ zinssteuer. Gemeindeabgaben. I. Geschichte. Bis zum handels mit g. G. s. Kleinhandel. S. auch Trunkenbolde. F. H. Erlaß des KAG. entbehrte Preußen einer ein­ Geistliche s. Volksschulen 6 (Schuldepu­ heitlichen und abschließenden gesetzlichen Rege­ tationen usw.) I bei §§ 44, 45, 47, 50 BUG, lung des Gemeindeabgabenwesens. Die einzelnen IIALe; Volksschulen 15 (Schulaufsicht); Volks­ GemeindeverfassungsG. enthielten teilweise von­ einander abweichende und außerdem unzureichen­ schulen 20 (Schulunterricht) II B 1. de Bestimmungen über die Gemeindebesteuerung. Geistliche Gesellschaften und Orden s. Kir­ Nur die Heranziehung juristischer Personen und chenverfassung B VI. der Forensen zur Gemeindeeinkommensteuer und Gelbfieber, eine Krankheit der heißen Länder, die Vermeidung von Doppelbesteuerungen bei ist wegen seiner Übertragbarkeit durch den Schiffs­ der Einkommensteuer waren durch das sog. Komverkehr den gemeingefährlichen Krankheiten des munalsteuernotG. (G., betr. Ergänzung und Ab­ G. vom 30? 6. 1900 (RGBl. 306) eingereiht änderung einiger Bestimmungen über Erhebung worden. S. Übertragbare Krankheiten der auf das Einkommen gelegten direkten Kom­ II bis VIII. Sondervorschriften für G. zur Aus­ munalabgaben, vom 27. 7. 1885, GS. 327) ein­ führung des G. vom 30. 6. 1900 sind noch nicht heitlich geregelt. Wegen der starken Belastung erlassen. In dem Pariser Sanitätsübereinkom­ des Grundbesitzes und des Gewerbes durch die men vom 17. 1. 1922 (RGBl. 1922 II 5) ist seine staatlichen Ertragssteuern, der engen Grenzen,

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die der Zollvereinigungsvertrag vom 8. 7. 1867 den kommunalen Verbrauchssteuern zog, und der Aufhebung der Schlacht- und Mahlsteuer sowie infolge des Übergewichts der Hausbesitzer in den nach dem damals geltenden Dreiklassen­ wahlrecht zusammengesetzten Gemeindevertre­ tungen namentlich in den Städten wurde der Gemeindebedars in erster Linie durch Zu­ schläge zur Klassen- und klassifizierten Ein­ kommensteuer aufgebracht, die auf diese Weise da­ mals in ähnlicher Weise stark anspannt wurden, wie heute teilweise die Realsteuerzuschläge. Es galt daher durch eine grundlegende gesetzliche Regelung des Kommunalabgabenrechts die Zu­ schläge zur Einkommensteuer in erträglichen Grenzen zu hallen. Das erforderte einmal die Einschränkung des durch direkte Steuern zu decken­ den Bedarfs durch Ausgestaltung und nach­ haltigere Ausschöpfung der anderen, den Gemein­ den zur Verfügung stehenden Einnahmequellen, insbesondere also der Einnahmen aus werbenden Betrieben sowie der indirekten Steuern, Ge­ bühren und Beiträge, sowie die Erschließung anderer, hinreichender direkter Steuern. Letzteres geschah zunächst durch die Überlassung der bisher vom Staate selbst in Anspruch genommenen Realsteuern durch das G. wegen Aufhebung direkter Staatssteuern vom 14. 6.1893 (GS. 205), während die umfassende Regelung des Gemeinde­ abgabenrechts das am 1. 4. 1895 in Kraft ge­ tretene KAG. vom 14. 7.1893 (GS. 152) brachte. (AusfAw. — vielfach überholt — vom 10.5.1894.) Das G. ist inzwischen durch zahlreiche Novellen abgeändert worden, von denen hier genannt seien: DeklarationsG. vom 24. 7. 1906 (GS. 376), das im Wege authentischer Interpretation — daher rückwirkend vom Inkrafttreten des KAG. ab (OVG. 50, 107) — gegenüber der bisherigen Judikatur des OVG. klarstellt, daß eine Abstufung der Gebühren und Steuersätze nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit bis zur gänzlichen Freilassung, insbesondere auch die verschiedene Belastung ein­ zelner Grundstücksarten und Besitzgruppen zu­ lässig ist; KrProvAbgG. vom 26. 4. 1906 (GS. 159) — s. Kreisabgaben —, das die §§ 91—93 KAG. ersetzt, u. a. m. Außerdem sind aber durch andere Reichs- und LandesG. eine Reihe seiner Bestimmungen aufgehoben oder beeinflußt wor­ den, so vor allem durch das RFinAusglG. und das preuß. AG. hierzu, die GewStV. und das G. über die vorläufige Steuer vom Grundvermögen, die neben anderem vor allem den Fortfall des Zuschlagsrechts zur Einkommensteuer gebracht, als Ersatz dafür die Reichseinkommen- und Körper­ schaftsteuerüberweisungen eingeführt und im übrigen J)ie Gemeinden zur Befriedigung ihres Steuerbedarss auf die Erhebung von Zuschlägen zu den Realsteuern beschränkt haben. Das hat zur Zeit zu einer verhältnismäßig starken Anspannung der Realsteuerbelastung geführt, so daß der Zu­ stand, ähnlich wie zu Ende des vorigen Jahr­ hunderts, wieder einer Neuregelung zu bedürfen scheint, da sonst eine nachhaltige Senkung der Realsteuerbelastung bei der Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes, auch trotz einiger Vor­ schriften in ReichsG. hierüber (vgl. insbesondere § 4a des G. vom 10. 8. 1925, RGBl. I 254, in der Fassung des G. zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs vom 9. 4. 1927, RGBl. I 91)

kaum durchführbar erscheint, im Gegenteil eine weitere Steigerung befürchtet werden muß. Während 1924 die Gemeinden infolge verhältnis­ mäßig reichlicher Reichssteuerüberweisungen hier und da noch Überschüsse erzielten und im Jahre 1925 unter Aufzehrung dieser Überschüsse ihre Haushalte ausgleichen konnten, sind sie 1926 namentlich infolge der großen ihnen aus der Krise am Arbeitsmarkt erwachsenen Fürsorge­ lasten in erhebliche Fehlbeträge hineingeraten, deren Höhe auf insgesamt 150 Mill. RM ge­ schätzt werden kann. Die Neuregelung, die neben einem weitgehenden interkommunalen Lastenausgleich auch das zur Zeit in seiner Auswirkung und Nützlichkeit lebhaft umstrittene Recht, zur selbständigen Erhebung von Zu­ schlägen (Anteilen) zur Einkommensteuer wieder bringen soll, wird jedoch nur im Zusammenhang mit der endgültigen Regelung des Finanzaus­ gleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden durchgeführt werden können. Das z. Zt. in der Vorbereitung befindliche SteuervereinheitlichungsG. (ReichsG. über eine Rahmenregelung der Realsteuer), das neben einer Vereinheit­ lichung des materiellen Steuerrechts hinsichtlich der Grund-, Gewerbe- und Hauszinssteuer im Reich auch eine Minderung der Realsteuerbe­ lastung an sich erstrebt, wird dieses Ziel eben­ falls nur im Rahmen der endgültigen Regelung des Lasten- und Finanzausgleichs erreichen können. Das KAG., heute nur noch ein Torso, ist rechtlich jedoch neben einer Reihe von zum Teil bereits oben genannten Einzelgesetzen die Grundlage des gellenden Kommunalabgaben­ rechts; im folgenden sollen daher kurz die zur Zeit noch geltenden Bestimmungen des KAG. (§§ 1—27, 54—66, 68—70a, 75, 77—84, 87—90, 94—97) erörtert werden. II. Die Vorschriften des KAG. 1. Vor­ schriften zur Verminderung der Belastung der direkten Steuern (§§ 1—19). Die Ge­ meinden dürfen zur Deckung ihres Finanzbedarfs Gebühren und Beiträge, sowie indirekte und direkte Steuern erheben, und die Leistung voll Naturaldiensten beanspruchen. Steuern — ab­ gesehen von Hunde- und Vergnügungssteuern (s. d.) — dürfen sie jedoch nur insoweit erheben, als ihre Ausgaben nicht in sonstigen Einnahmen, insbesondere aus Gemeindevermögen, werbenden Betrieben, Steuerüberweisungen (vgl. auch § 6 des G. über Änderung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden vom 10. 8. 1925, RGBl. I 254), Dotationen, Ge­ bühren und Beiträgen Deckung finden. Dies schließt jedoch die Ansammlung von Fonds für bestimmte Zwecke im Rahmen einer ordnungs­ mäßigen Finanzwirtschaft nicht aus (Schulbau­ fonds, Pflasterfonds usw.), doch sollen die Ge­ meinden nicht „thesaurieren", d. h. verschleierte Rücklagen machen, und ebenso nicht außerordent­ liche Ausgaben, die ihrer Bedeutung nach nicht zu den laufenden gehören und zu deren Be­ streitung auch die Steuerpflichtigen in künftigen Rechnungsjahren billigerweise mit herangezogen werden, in den ordentlichen Haushaltplan ein­ stellen und so, statt sie auf Anleihen zu über­ nehmen und dadurch im Wege der laufenden Verzinsung und allmählichen Tilgung, auf eine Reihe von Jahren zu verteilen, eine übermäßige

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Steigerung des Bedarfs im laufenden Rechnungs­ jahre herbeiführen. Durch direkte Steuern darf nur der durch indirekte nicht gedeckte Teil des Steuerbedarfs gedeckt werden (§ 2; Art. 2 AusfAnw.). Die Deckung des Finanzbedarss der Ge­ meinden hat demnach in folgender Reihenfolge zu erfolgen: a) Durch die Einnahmen aus gewerblichen Unternehmen sind mindestens deren gesamte Ausgaben, einschließlich der Verzinsung und Til­ gung des Anlagekapitals zu decken, es sei denn, daß das Unternehmen zugleich einem anders nicht befriedigten öffentlichen Interesse dient (§ 3; Art. 3 AusfAnw.). b) Benutzungsgebühren für die Benutzung von vorzugsweise im öffentlichen Interesse unter­ haltenen Veranstaltungen müssen in gewissen Fällen erhoben werden; Verwaltungsgebüh­ ren für einzelne Amtshandlungen sind in Auftragsangelegenheiten nach Maßgabe des G. über Verwaltungsgebühren vom 29. 9.1923 (GS. 455) und der Verwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926 (GS. 327) zu erheben, für Selbst­ verwaltungsangelegenheiten ist die Erhebung von Berwaltungsgebühren unter sinngemäßer An­ wendung der für die staatlichen Berwaltungs­ gebühren geltenden Grundsätze ebenfalls zulässig (§§ 4—8; Art. 4—6 AusfAnw. und Erl. vom 6. 9. 1925, MBl. 949; vgl. Gebühren). c) Beiträge (s. d.) können von Grundbesitzern und Gewerbetreibenden, denen durch eine Ver­ anstaltung besondere wirtschaftliche Vorteile er­ wachsen, erhoben werden, und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß sie die Ver­ anstaltung tatsächlich benutzen (§§ 9, 9a, 10; Art. 7 AusfAnw.). d) Steuer Überweisungen. Einen wesent­ lichen Teil der Einnahmen der Gemeinden bilden die ihnen zufließenden Überweisungen aus Reichs­ und Landessteuern, die heute deshalb vor allem besondere Bedeutung erlangt haben, weil sie zum Teil an die Stelle der bisher selbständig bezogenen Einnahmen aus direkten Steuern (insbesondere der Zuschläge zur Staatseinkommensteuer) ge­ treten sind. Die Gemeinden erhalten Steuer­ überweisungen nach Maßgabe der Vorschriften des RFinAusglG. und des preuß. AG. hier­ zu (s. diese) von folgenden Reichs- und Landes­ steuern: Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer; außerdem die kreisfreien Städte (Stadtkreise) von Grunderwerb- und Kraftsahr­ zeugsteuer sowie Hauszinssteuer (Landessteuer). Zu nennen sind in diesem Zusammenhänge noch andere, den Gemeinden von weiteren Kommu­ nalverbänden zufließenden Mittel, insbesondere z. B. die Erstattungen der Fürsorgeleistungen durch die Bezirksfürsorgeverbände (s. d.), Bei­ hilfen zum Wegebau u. a. m. e) Zur Einführung indirekter Steuern be­ steht für die Gemeinden, außer bezüglich der Ver­ gnügungssteuer (Z14 RFinAusglG.) an sich kein Zwang, doch ist die angemessene Inanspruch­ nahme auch dieser Steuerquelle Voraussetzung für die Erhebung direkter Steuern (vergl. auch § 7 RFinAusglG.). Das Recht zur Erhebung indirekter Steuern wird durch eine Reihe von reichs- und landesrechtlichen Vorschriften näher umgrenzt. Die wichtigsten Beschränkungen aus

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dem Reicbsrecht enthalten die §§ 1—6, 15—18 RFinAusglG., die neben einem Verbot der Erhebung den Reichssteuern gleichartiger Steuern und der Erhebung von Zuschlägen zu Reichssteuern ohne besondere reichsrechtliche Ermächtigung Sondersteuern auf Betriebsmittel der Landwirt­ schaft und des Gewerbes für unzulässig erklären. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhänge sodann noch die Vorschrift des § 13 des ZollTG. vom 25. 12. 1902 (RGBl. 303), wonach Steuern auf den Verbrauch von Fleisch, Getreide, Mehl, Backwerk sowie Schlachtsteuern (einschließlich der Steuern auf nicht gewerbsmäßiges Schlachten — Gutachten des RFH. vom 17. 9.1923, Gr. 8. D. 9123 8 — und auf das Halten von Vieh zu Mast­ zwecken — Gutachten des RFH. 8, 48) un­ zulässig sind; vorher war bereits ihre Neuein­ führung oder Erhöhung durch § 14 KAG. ver­ boten. Ailf Grund dieser Vorschrift sind ferner auch Steuern auf den Verbrauch von Kohlen und anderen Brennstoffen (einschließlich Gas, OVG. 50, 100) sowie auf den Verbrauch von Kartoffeln unzulässig. Getränkesteuern (s. d.) dürfen nur vom örtlichen Verbrauch von Bier erhoben wer­ den, und zwar nur vom Hersteller und Einbringer mit höchstens 7^ des Herstellerpreises. Da­ gegen können die Gemeinden Hunde- und Ver­ gnügungssteuern erheben, selbst wenn ein Steuer­ bedarf nicht vorhanden ist, zur Erhebung der Vergnügungssteuer sind sie reichsrechtlich sogar ausdrücklich verpflichtet (§ 14 RFinAusglG.). Die Einführung und Änderung indirekter Steuern erfolgt durch besondere Steuerordnungen, die der Genehmigung bedürfen (s. unter Ziff. 4 a). Wird auf Anfechtung seitens eines Steuerpflich­ tigen eine Abgabenordnung im VwStr. für rechtsungültig erklärt, so besteht sie zwar an sich fort, bis sie aufgehoben wird (OVG. 65, 153). Es kann aber einer neuen Ordnung, die die gleiche oder eine gleichartige Abgabe regelt, rückwirkende Kraft bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der für ungültig erklärten Abgabenordnung beigelegt werden, doch dürfen die Steuerpflichtigen dadurch nicht ungünstiger gestellt werden; bereits endgültig erledigte Fälle werden nicht von der Rückwirkung betroffen (OVG. 78, 124; §§ 13—19, 70a; Art. 9—12 AusfAnw.). Vgl. außer den vorstehend ange­ führten auch die Artikel: Schankerlaubnis­ steuer, Wohnungsluxussteuer, Grunderwerb- und Wertzuwachs steuer, Zubehörsteuer. Das Aufkommen an indirekten Ge­ meindesteuern betrug 1925 Mill. RM Grunderwerb- und Wert­ zuwachssteuer Überweisungen aus der 107 Grunderwerbsteuer . . . Zuschläge und Wertzuwachs­ steuer ................................ Sonstige kleine Verkehrs­ steuern Getränkesteuer Vergnügungssteuer . . . . Hundesteuer Jagdsteuer Sonstige kleine Verbrauchs­ steuern

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f) Wegen Zuschüssen derBetriebsgemeinden an die Arb eiterwohnsitzgemein den vgl. Art. Gewerbesteuer unter III J. 2. Die direkten Gemeindesteuern bestan­ den nach den Vorschriften des KAG. (§§ 20—52, 54—67) in Realsteuern vom Grundbesitz und vom Gewerbebetrieb und in Einkommensteuern. Die Erhebung von Zuschlägen zur Einkommensteuer ist jetzt reichsrechtlich ausgeschlossen (§ 2 Abs. 2 RFinAusglG.); die mehrfach erörterte Wieder­ einführung des selbständigen Zuschlagsrechts der Gemeinden zur Neichseinkommen- und Körperschaststeuer ist bisher noch nicht G. geworden, aber zum I. 4. 1929 reichsrechtlich in Aussicht ge­ nommen. Hierdurch sowie durch die Neuregelung der Gewerbesteuer sind die §§ 28—52 a. a. O. gegenstandslos geworden, während hinsichtlich der vorläufigen Steuer vom Grundvermögen die Vorschriften des KAG., insbesondere die §§ 24 bis 27 noch Anwendung finden, ergänzt hinsicht­ lich der Steuerbefreiungen durch § 4 des G. über die gegenseitigen Besteuerungsrechte des Reichs, der Länder und Gemeinden vom 10. 8. 1925 (RGBl. I 252; s. die Art. Gewerbesteuer, Grundsteuer); im übrigen sind die Voraus­ setzungen zur Heranziehung durch die Gemeinden sowie das Recht der Erhebung von Zuschlägen zu diesen staatlich veranlagten und — soweit die vorläufige Steuer vom Grundvermögen in Frage kommt — auch staatlich erhobenen Steuern in den diese Steuern betreffenden G. jeweils besonders geregelt. Besondere Steuerordnungen auf dem Gebiete der direkten Steuern sind demnach nur noch bei der Grundvermögenssteuer zugelassen. Von den übrigen Vorschriften des KÄG. sind jedoch auch heute noch wichtig und in Geltung die §§54—67 über die Verteilung desSteuerbedarfs auf die verschiedenen direkten Steuern. Zur Verhinderung einer ungerechten und un­ gleichmäßigen Verteilung des Steuerbedarss ist zunächst grundsätzlich bestimmt, daß Grundver­ mögens- und Gewerbesteuer zur Deckung des durch Realsteuern insgesamt aufzubringenden Steuerbedarss mit gleichen Prozentsätzen zu be­ lasten sind; dies gilt ebenso für die Belastung des bebauten und des unbebauten Grundbesitzes. Genießt jedoch der unbebaute oder der bebaute Grundbesitz oder der Gewerbebetrieb von Ge­ meindeveranstaltungen besondere Vorteile, oder verursacht er der Gemeinde besondere Lasten, so kann die Grundvermögenssteuer bzw. Gewerbe­ steuer mit Genehmigung (§ 77), wenn ein entsprechender Ausgleich nicht schon durch die Erhebung von Gebühren oder Beiträgen erfolgt, entsprechend höher belastet werden, aber in der Regel nicht über das Doppelte hinaus; Ab­ weichungen über das Doppelte hinaus und Ab­ weichungen bis zum Doppelten, wenn die vor­ bezeichneten besonderen Gründe nicht vorliegen, sollen nur aus besonderen Gründen erfolgen und bedürfen der besonderen Zulassung durch die beteiligten Minister. Die Minister haben die ihnen vorbehaltenen Genehmigungsrechte auf die Auf­ sichtsbehörden höherer Instanz übertragen (Erl. vom 24. 7. 1922, MBl. 755, und vom 5. 1. 1924, MBl. 46). — Die Zuschläge zu den Realsteuern müssen für das ganze Rechnungsjahr einheitlich bemessen sein; die Gemeinden sind jedoch berech­ tigt (erforderlichenfalls mit Genehmigung), nach­

träglich innerhalb des Rechnungsjahres eine Er­ höhung der Gemeindezuschläge zu beschließen, wenn dies zu dem Zwecke geschieht, eine Deckung für Ausgabenbedürsnisse zu schaffen, die erst im Laufe des Rechnungsjahres hervorgetreten sind (sog. Nachtragsumlage; vgl. OVG. 43, 381; 71, 190; PrVBl. 26, 923; 30, 659); unzulässig ist es jedoch, hierbei den gesamten Steuerbedarf noch einmal anderweitig auf die Steuerpflichtigen zu verteilen (OVG. 57, 261), vielmehr darf ledig­ lich eine gleichmäßige, wiederum einheitlich für das ganze Rechnungsjahr geltende Erhöhung der bereits beschlossenen Zuschläge eintreten; nur bei der Lohnsummensteuer ist im Laufe des Rech­ nungsjahres eine nachträgliche rückwirkende Er­ höhung ausgeschlossen (§ 41 Abs. 5 GewStV.und Art. 24AussAnw.). — Über die Art der Steuer­ verteilung hat die Gemeinde binnen drei Monaten nach Beginn des Rechnungsjahres zu beschließen. Kommt bis dahin ein gültiger Steuer­ verteilungsbeschluß, d. h. ein solcher, der auch die etwa erforderliche Genehmigung und aufsichts­ behördliche Zulassung gemäß §§ 56, 77 KAG., §§ 41 Abs. 2 und 44 GewStV. und § 18 GrundvermögenssteuerG. gefunden hat, nicht zustande, so ist die Aufsichtsbehörde mit Zustimmung der Beschlußbehörde befugt, die erforderlichen Fest­ setzungen vorzunehmen; gegen diese Festsetzung ist nur die Beschwerde gemäß § 121 Abs. 3 LVG. an die nächsthöhere Beschlußbehörde zulässig. Bis zur endgültigen Festsetzung der Steuerverteilung durch die Gemeinde oder die Aufsichtsbehörde werden vorläufig die Sätze des Vorjahres weiter­ erhoben; die bereits oben erwähnte Vorschrift der §§ 41 Abs. 5 und 53 Abs. 3 GewStV., die eine rückwirkende Erhöhung der Lohnsummen­ steuer ausschließt, gilt nicht für die erstmalige Festsetzung im Lause des Rechnungsjahres, son­ dern nur für nachträgliche Erhöhungen (vgl. AusfAnw. z. GewStV. Art. 33 Abs. 4). — Mehr- oder Minderbelastungen einzelner Teile des Gemeindebezirks oder einzelner Klassen von Gemeindeangehörigen (§ 20 Abs. 2) sind seit der Neuregelung der Gewerbesteuer nur noch aus dem Gebiet der Grundvermögenssteuer zulässig; hinsichtlich der besonderen Bauplatzsteuer vgl. §§ 27 Abs. 2 und 58. 3. Neben den Steuern können die Gemeinden von den Steuerpflichtigen Naturaldienste (Hand- und Spanndienste) fordern. Spann­ dienste sind nach dem Verhältnis der in den ein­ zelnen Wirtschaften gehaltenen Zugtiere gleich­ mäßig zu verteilen; Handdienste sind von allen Steuerpflichtigen gleichmäßig zu leisten, doch ist Stellvertretung und Geldabfindung zulässig. Ein Gemeindebeschluß, durch den die Leistung von Hand- und Spanndiensten geregelt wird, hat die Bedeutung einer Ortssatzung, deren Ge­ nehmigung sich nach den entsprechenden GemeindeverfassungsG. richtet. Abweichungen von den im KAG. enthaltenen Grundsätzen über die Heranziehung zu Hand- und Spanndiensten bedürfen der Genehmigung nach § 77 (§ 68; AusfAnw. Art. 44). 4. Formelle Vorschriften, a) Indirekte und besondere direkte Gemeindesteuern müssen durch eine von der Gemeinde beschlossene beson­ dere Steuerordnung eingeführt werden, die der Genehmigung des BezA. (bei Städten) bzw.

Gemeindeabgaben des KrA. (bei Landgemeinden) sowie der Zustim­ mung des MdI. und des FM. bedarf. Die Minister haben das ihnen übertragene Recht der Zustimmung für alle Gemeinden mit Ausnahme der Stadt Berlin auf die Aufsichtsbehörden höhe­ rer Instanz (d. h. bei Städten auf den OP., bei Landgemeinden auf den RP.) übertragen; in gewissen Fällen haben diese sich jedoch vor Er­ teilung der Zustimmung des Einverständnisses der beiden Minister durch Einholung besonderer Ermächtigung zu vergewissern; das gilt ins­ besondere in den Fällen des § 5 RFinAusglG. wo auch noch das Einverständnis des Reichs­ finanzministers bzw. des Präsidenten des Lan­ desfinanzamtes einzuholen ist (§§ 18, 23, 77 und Erl. vom 26. 6. 1923, MBl. 236, 15. 11. 1923, MBl. 1140 und 15. 12. 1923 MBl. 1243).

b) Eine Abgabenschuld entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das G. den Anspruch des Abgabengläubigers knüpft. Das gilt auch dann, wenn die Abgabenschuld in ihrer konkreten Höhe erst durch eine Veranlagung fest­ gestellt werden muß. Eine Veranlagung ist daher auch dann noch möglich, wenn der die Abgaben­ schuld begründende Tatbestand inzwischen wie­ der weggefallen ist (§ la). Dadurch ist die lebhaft umstrittene sog. „Bändertheorie" des OVG. (vgl. OBG. 29, 17; 37, 80; 33, 27; 55, 161), wonach die Heranziehung nur zulässig sein soll, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt, das die Steuerpflicht begründende „Band" des Wohnsitzes, Aufenthalts, Grundbesitzes oder Gewerbebetriebs mit der Gemeinde noch fort­ besteht, beseitigt werden. c) Die Veranlagung (d. i. die Festsetzung der Steuerschuld) zu den Gemeindesteuern erfolgt durch den Gemeindevorstand oder einen besonders gebildeten Steuerausschuß unb kann einem Organ des Gemeindevorstandes oder bestimmten Be­ amten übertragen werden. Die Behörden des Staates und anderer Gemeinden haben über ihnen bekannte Besteuerungsmerkmale Auskunft zu erteilen. Durch Steuerordnung kann dem Steuerpflichtigen die Verpflichtung auferlegt werden, auf Verlangen Auskunft über bestimmt bezeichnete Tatsachen zu erteilen (§§ 61—63; Art. 42 AusfAnw.). Diese Veranlagung ist die Voraussetzung für die Heranziehung (d. i. die Aufforderung zur Leistung der Abgabe unter Mit­ teilung ihrer Höhe und Fälligkeit). Die Bekannt­ machung der zu entrichtenden Steuern erfolgt bei Erhebung von Prozenten der staatlich veranlagten Realsteuern, sofern die staatlich veranlagte Steuer die unveränderte Grundlage für die Gemeinde­ steuer bildet, durch öffentliche Bekanntmachung der zu erhebenden Prozentsätze, sonst durch besondere Zuschrift. Bei Erhebung besonderer Gemeinde­ steuern kann die Bekanntmachung für die in der Gemeinde wohnhaften physischen Personen durch Offenlegung der Heberolle oder Zuschrift ge­ schehen, im übrigen und bei Zugängen im Laufe des Jahres stets durch Zuschrift (Z 65; Art. 43 AusfAnw.). d) Rechtsmittel gegen die Heranziehung zu Gebühren, Beiträgen, Steuern und Natural­ diensten ist der binnen vier Wochen bei der Stelle, welche die Veranlagung vorgenommen hat, ein­ zulegende Einspruch. Mit dem Einspruch können

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jedoch keine Einwendungen gegen die der Ver­ anlagung etwa zugrunde liegenden Staatssteuer­ sätze erhoben werden, hinsichtlich deren Festsetzung ein besonderer Rechtszug besteht. Über den Ein­ spruch beschließt der Gemeindevorstand; ist dieser ein Kollegium, so beschließt über den Einspruch der Vorsitzende oder ein von ihm bezeichnetes Mitglied. Gegen den Einspruchsbescheid ist binnen zwei Wochen die Klage im VwStr. gegeben; zu­ ständig zur Entscheidung ist hierbei in erster Instanz für Landgemeinden der KrA., für Stadt­ gemeinden der BezA. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung des BezA. gegenüber Stadtgemein­ den ist nur das Rechtsmittel der Revision zulässig. Einspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung. — Wird auf die Klage eines Steuer­ pflichtigen hin im VwStr. eine Abgabenordnung für rechtsungültig erklärt, so kann einer neuen die gleiche oder eine gleichartige Abgabe regeln­ den Ordnung rückwirkende Kraft seit dem Inkraft­ treten der für ungültig erklärten Ordnung bei­ gelegt werden (s. oben II le; §§ 69, 70, 70a; Art. 45 AusfAnw.). e) Die staatliche Aussicht wirkt sich zum Schutze der staatlichen Steuerinteressen und zum Schutze der Steuerpflichtigen in eine Reihe aus­ drücklich vorbehaltener Genehmigungen durch die zuständige Beschlußbehörde (bei Landgemeinden der KrA., bei Stadtgemeinden der BezA.) und zum Teil daneben noch besonderer Zulassungen aus. Abgesehen von der bereits oben mehr­ fach erwähnten Genehmigungspflicht besonderer Steuerordnungen unterliegen der Genehmigung Steuerverteilungsbeschlüsse, nach denen mehr als 100% der staatlichen Grundvermögenssteuer oder mehr als 200 % der staatlich veranlagten Gewerbesteuer erhoben werden, oder bei der Gewerbesteuer Abweichungen in derHeranziehung der beiden Bemessungsgrundlagen bis zum Dop­ pelten erfolgen sollen; geht diese Abweichung über das Doppelte hinaus, so ist sogar die Zu­ erforderlich (mit geringen Ausnahmen aus die Auf­ lassung durch den MdI., den FM. und den HM. sichtsbehörden höherer Instanz übertragen; vgl. Erl. vom 10.4. 1924, MBl. 407 und 25. 2.1926, MBl. 206). Ebenso bedürfen Abweichungen von der gesetzlich festgelegten Relation hinsichtlich der Heranziehung der Realsteuern untereinander bis zum Doppelten der Genehmigung durch die zuständige Beschlußbehörde, darüber hinaus der (ebenfalls auf die Aufsichtsbehörden höherer In­ stanz übertragenen) Zulassung durch den MdI. und den FM. (§ 18 GrBermSIG.; § 41 GewStB.; §§ 56, 77 KAG.; s. oben II 2). Wird die Genehmigung oder Zustimmung mit einer Maßgabe erteilt, so bedarf es grundsätzlich noch eines Beschlusses der Gemeindevertretung, der sich mit der Maßgabe einverstanden erklärt (OVG. 68, 175; 78, 106). In diesem Falle kann jedoch die die Maßgabe aussprechende Behörde gleich­ zeitig bestimmen, daß ein solcher der Maßgabe beitretender Gemeindebeschluß vom Tage des ur­ sprünglichen Beschlusses oder von einem späteren Zeitpunkt ab Wirksamkeit haben soll. Erteilt die Genehmigungsbehörde die Genehmigung für Zu­ schläge zu den vom Staate veranlagten Steuern oder zu Steuersätzen in besonderen Steuer­ ordnungen nicht in voller Höhe, so bedarf es zur Wirksamkeit der Zuschläge oder Hundertsätze in

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Geme inden als Träger der Wegebaulast — ^Gemeindeämter (unbesoldete)

der genehmigten Höhe eines beitretenden Ge­ drei Jahre gedauert hat, in Hessen-Nassau und meindebeschlusses dagegen nicht (§ 77a). St. in Hohenzollern, wenn das Amt während der Noell-Freund, Kommunalabgabengesetz, 8. Ausl., vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer ver­ Berlin 1919; Friedrichs, Kommunalabgabengcsetz, Berlin 1922; Sur 6 n in Hue de Grais, Handbuch der sehen worden ist), 5. die Verwaltung eines Verfassung und Verwaltung, 24. Aufl., Berlin 1927, anderen öffentlichen Amtes (in Hessen-Nassau L. 149; Bleicher, Handbuch der Finanzwissenschaft, und in Hohenzollern eines unmittelbaren Staats­ Bd. 2 (1927) S. 376 ff.; Moll-Kreut er, Die Preuß. KAG., 4. Aufl., 1927 (vollständige Textausgabc in der jetzt amts), 6. ärztliche oder wundärztliche Praxis (in der StO. für Hessen-Nassau und in Hohenzollgültigen Fassung). Gemeinden als Träger der Wegebaulast. Die GemO. nicht besonders erwähnt), 7. sonstige be­ G. (Gutsbezirke) sind überwiegend Träger der sondere Verhältnisse, die nach dem Ermessen der Wegebaulast hinsichtlich der Kommunikations­ Stadtverordnetenversammlung (in SchlHolst. der weg e. Wo dies der Fall ist, erstreckt sich die Wege­ städtischen Kollegien) eine gültige Entschuldigung baulast in der Regel nur auf die ganz oder zum begründen. Wer sich ohne einen dieser Entschul­ Teil innerhalb der kommunalen Grenzen der G. digungsgründe weigert, eine unbesoldete Stelle belegenen Wege (OBG. 37, 242), nicht auch aus der bezeichneten Art anzunehmen oder die noch solche, die außerhalb dieser Grenzen liegen, auch nicht drei Jahre lang versehene Stelle ferner zu wenn sie daran entlang gehen (OVG. 36, 251). versehen, sowie derjenige, der sich der Verwaltung Die Unterhaltung solcher Wege liegt ihnen nur solcher Stellen tatsächlich entzieht, kann durch insoweit ob, als es etwa ausdrücklich gesetzlich vor­ Beschluß der Stadtverordneten auf drei bis sechs geschrieben oder durch besondere Titel begründet Jahre der Ausübung des Bürgerrechts verlustig ist. S. Wege, öffentliche, VII. I. erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker zu den direkten Gemeindeabgaben herangezogen Gemeind kälteste s. Stadtälteste. Gemeindeämter (unbesoldete, Verpflichtung werden. (Wegen der nicht ganz zweifelsfreien zur Übernahme). I. Allgemeines. Wennauch Frage der Geltung dieser Vorschrift gegenüber aus dem Rechte der Gemeinden und weiteren den Vorschriften des GemeindewahlG. s. OVG. Kommunalverbände aus Selbstverwaltung im vom 21. 11. 1922, PrVBl.44, 463). Ein solcher juristischen Sinne (s. Selbstverwaltung) be­ Beschluß bedarf keiner Genehmigung oder Be­ grifflich sich nicht die Notwendigkeit ergibt, daß stätigung der Aufsichtsbehörde. Doch findet gegen diese Verwaltung durch unbesoldete, im Ehren­ ihn innerhalb zwei Wochen die Klage im Vwamte tätige Beamte geführt wird, so ist doch Str. bei dem BezA. statt, die auch dem Ge­ geschichtlich mit diesem Rechte, wie es für Ge­ meindevorstande zusteht (§ 11 ZG.). — Zu einer meinden zuerst durch die StO. vom 19.11.1808 Prüfung, ob dem Ablehnenden ein gesetzlicher (GS. 324) gewährt worden ist, die Verpflichtung Entschuldigungsgrund zur Seite steht, hat die der Gemeindeglieder zur unentgeltlichen Über­ Gemeindevertretung nur dann Veranlassung, nahme gewisser G. eng verbunden. Sie ist schon wenn ihr gegenüber ein Entschuldigungsgrund in jener StO. (§§ 191 ff.), dann aber auch in den von dem Ablehnenden geltend gemacht worden späteren GemO. und KrO. ausgesprochen und ist (OVG. vom 7. 4. 1908, PrBBl. 30, 55). näher geregelt worden. Unter den G., aus welche Im Streitverfahren entscheidet darüber, ob ein sich jene Verpflichtung bezieht, sind aber nicht ausreichender Entschuldigungsgrund vorlag, das alle Stellen zu verstehen, in welchen eine amt­ selbständige Ermessen des Berwaltungsgerichts liche Tätigkeit im Gemeindedienste ausgeübt wird, (OBG. 13, 209). Der Verwaltung des Amtes sondern nur solche Stellen, welchen eine Verwal­ entzieht sich tatsächlich, wer die Weigerung, das tung der Gemeindeangelegenheiten als Organ übernommene Amr zu führen, durch Handlungen der Gemeinde obliegt, sei es, daß sie sich als zum Ausdruck bringt, aber nicht schon jemand, Einzelamt oder als Mitgliedschaft eines Kol­ der die Pflichten des Amtes vorsätzlich oder fahr­ lässigerweise verletzt (OVG. 45, 138). — In der legiums darstellen. II. Im einzelnen, a) In den Stadt­ Prov. Hannover (§ 31 HannStO.) ist jeder gemeinden bestand die Verpflichtung zur Bürger verpflichtet, städtische Ehrenämter, zu Übernahme unbesoldeter G. schon nach dem denen er durch Wahl berufen wird, zu über­ ALR. und ist in den StO. weiter ausgebildet nehmen. Ausgenommen hiervon sind „Zivil- und worden. Hiernach ist, abgesehen von Hannover Hosdiener", Militärpersonen im Dienst, Geistliche (s. unten), in allen Provinzen (§ 74 StO. f. d. und Schullehrer, Arzte, Wundärzte und Apo­ ö. Pr., § 74 für Westfalen, § 79 für die Rhein­ theker, Bürger im Lebensalter von über 60 Jahren provinz, §§ 17, 18 für Frankfurt a. M., § 10 für und Personen, die durch Gebrechlichkeit oder an­ SchlHolst., § 85 für Hessen-Nassau; § 36 Hohen- haltende Krankheit verhindert sind. Tritt eines zollGemO.) jeder stimmfähige Bürger verpflich­ dieser Verhältnisse nach der Annahme der Wahl tet, eine unbesoldete Stelle in der Gemeinde­ ein, so kann Niederlegung des städtischen Amtes verwaltung oder Vertretung anzunehmen, sowie erfolgen. Die bereits geführte Verwaltung eines eine angenommene Stelle mindestens drei Jahre solchen Amtes ist nur bei den Bürgervorstehern (in SchlHolst. sechs Jahre) lang zu versehen. Zur ein Grund zur Ablehnung. Die ausgetretenen Ablehnung einer solchen Stelle berechtigen nur Bürgervorsteher sind nur dann verpflichtet, eine folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Wiederwahl anzunehmen, wenn seit ihrem Aus­ Krankheit, 2. Geschäfte, die eine häufige oder tritt sechs bzw. vier Jahre (je nach dem regel­ lange dauernde Abwesenheit mit sich bringen, mäßigen Amtswechsel) verflossen sind. Bürger, 3. ein Alter über 60 Jahre, 4. die früher statt­ welche zwölf Jahre nacheinander das Amt eines gehabte Verwaltung einer unbesoldeten Stelle Bürgervorstehers bekleidet haben, sind dadurch für die nächsten drei Jahre (in SchlHolst. nur, von der Verpflichtung zur Annahme einer wenn sie sechs Jahre gedauert hat, für die nächsten ferneren Wahl befreit '(§ 89 StO.). Uber die sechs Jahre, in Frankfurt a. M. nur, wenn sie Berechtigung zur Ablehnung oder Niederlegung

Gemeindeämter (unbesoldete, Verpflichtung zur Übernahme) des Amtes beschließt das Bürgervorsteherkollegium, das jedoch Nachteile hierfür nicht ver­ hängen darf. Gegen den Beschluß findet ebenso wie in den anderen Provinzen die Klage im VwStr. statt. — Ein Bürgervorsteher, der zum Senator gewählt wird, darf die Übernahme dieses Amtes ablehnen, wenn er sein Amt als Bürgervorsteher nicht niederlegen will (OVG. 47, 51). b) In den Landgemeinden, abgesehen von der Prov. Hannover (s. unten), besteht für die Gemeindeglieder überall eine uneingeschränkte Verpflichtung, unbesoldete Ämter in der Ver­ waltung und in der Vertretung der Gemeinde zu übernehmen, sowie ein angenommenes Amt min­ destens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ab­ lehnung oder früheren Niederlegung solcher Ämter berechtigen folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit, Geschäfte, die eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit vom Wohn­ orte mit sich bringen, 2. ein Alter von 60 Jahren (in Westfalen über 60 Jahre), 3. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamis (in Westfalen eines anderen öffentlichen Amtes), 4. sonstige Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Ge­ meindevertretung oder, wo eine solche nicht besteht, des Gemeindevorstehers, eine gültige Entschuldigung begründen. Wer ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder in der Vertretung der Gemeinde während der vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer versehen hat, darf die Übernahme desselben oder eines gleichartigen für die nächsten drei Jahre ablehnen (§ 65 LGO. f. d. ö. Pr., § 78 für Westfalen; § 25 KrO. f. d. Rheinprovinz; § 65 LGO. für SchlHolst., § 36 für Hessen-Nassau, § 36 für Hohenzollern). In der Prov. Hannover ist die Verpflichtung der Gemeindemitglieder beschränkt auf die Annahme ihrer Wahl in den Gemeindeausschuß und der Ämter des Gemeindevorstehers und Beigeord­ neten (§ 57 LGO. für Hannover; § 33 KrO. für Hannover). — Wer sich in den Landgemeinden ohne einen der bezeichneten Entschuldigungs­ gründe weigert, ein ihm übertragenes Amt zu übernehmen oder das übernommene drei Jahre hindurch zu versehen, sowie derjenige, der sich der Verwaltung des Amtes tatsächlich entzieht, kann denselben Nachteilen unterworfen werden, wie in den Staotgemeinden. Über die Berechtigung der Ablehnung oder Niederlegung einer Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Gemeinde­ vertretung und über die Nachteile, die gegen Gemeindeglieder wegen Nichterfüllung der ihnen nach den GemeindeversassungsG. obliegenden Pflichten zu verhängen sind, entscheidet die Ge­ meindevertretung und, wo eine solche nicht besteht, der Gemeindevorstand. Ihre Beschlüsse bedürfen keiner Genehmigung oder Bestätigung, doch ist gegen sie innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem KrA. zulässig. Diese steht, wenn der Beschluß von der Gemeindevertretung gefaßt worden ist, auch dem Gemeindevorstande, in der Prov. West­ falen auch dem Bürgermeister zu (§§ 27,28 ZG.). In Westfalen finden die erwähnten Vorschriften auch auf die Verpflichtung zur Übernahme der Stelle eines gewählten Amtsverordneten Anwen­ dung (§ 24 KrO.). c) In den westfälischen und rheinischen Ämtern sind die Eingesessenen des Amtes zur Übernahme

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des Ehrenamtes des Bürgermeisters ebenso ver­ pflichtet und zur Vermeidung der gleichen Nach­ teile zur Ablehnung nur unter denselben Voraus­ setzungen berechtigt wie bei den G. Außerdem gilt aber als genügender Ablehnungsgrund auch ein Geschäftsumsang, der nach dem Ermessen des Kreistags die an ein Ehrenamt zu stellenden Ansprüche übersteigt. In Westfalen ist dieser Ablehnungsgrund innerhalb zwei Wochen nach der Bekanntmachung der Ernennung an die Be­ teiligten durch Klage bei dem KrA. geltend zu machen (§ 8 WestfKrO.; § 25 RheinKrO.). d) In den Kreisen besteht ebenfalls eine Verpflichtung der Kreisangehörigen zur Über­ nahme unbesoldeter Ämter in der Verwaltung und Vertretung des Kreises aus die Dauer von drei Jahren. Die Ablehnung kann in denselben Fällen, wie die von Ämtern in der Verwaltung der Landgemeinden erfolgen. Ungerechtfertigte Amtsablehnung oder Amtsentziehung kann mit dem Verlust des Rechts auf Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung des Kreises (stärkere Heranziehung zu den Kreisabgaben ist gegen­ standslos, da die direkten Kreissteuern von den Gemeinden aufzubringen sind) bestraft werden. Der Beschluß hierüber, gegen den innerhalb zwei Wochen dem Betroffenen die Klage bei dem BezA. zusteht, wird vom Kreistage gefaßt (§ 8 KrO., § 5 Hohenz. Amts- und LandesO., wegen der Gültigkeit dieser Vorschrift gegenüber den Vorschriften des WahlG. über die Voraus­ setzungen der Wählbarkeit s. II a). Als ein „gleich­ artiges" Amt im Sinne der erwähnten Vorschrift ist ein solches anzusehen, das mindestens den­ selben Umfang an Tätigkeit erfordert wie das bisher verwaltete. — Wer die Versammlungen (Kreistage, KrA., Gemeindevertretung usw.), in die er gewählt worden ist, unregelmäßig besucht, entzieht sich hiermit noch nicht dem Amt (OVG. 45, 138). e) In den Provinzialverbänden besteht keine Verpflichtung der Provinzialangehörigen zur Übernahme unbesoldeter Provinzialämter. Nur zur Übernahme von Wahlehrenämtern sind die Provinzialangehörigen nach § 18 des G. vom 7. 10. 1925 (GS. 123) verpflichtet. In Hohen­ zollern liegt den Landesangehörigen die Teil­ nahme an der Vertretung und Verwaltung des Landestommunaiverbandes ebenso wie den An­ gehörigen des Kreises hinsichtlich der Kreisver­ waltung ob (8 51 Amts- und LandesO. vom 2. 4. 1873, GS. 145). III. Treten Umstände ein, die den Inhaber eines Amtes zur Ablehnung berechtigen, so ist er auch zur vorzeitigen Niederlegung des Amtes befugt. Über die Berechtigung vorzeitiger Nieder­ legung wird in gleicher Weise wie über die Be­ rechtigung der Ablehnung entschieden. Die be­ dingungslos erklärte Niederlegung hat, auch ohne Zustimmung der Gemeindeorgane, die Wirkung, daß das Amt des Betreffenden erlischt (OVG. 40, 36). Eine Entbindung von dem Amt vor Ablauf der Amtszeit kann in den Städten der östl. Prov., Wests., Nheinpr., Hess.-Nass. (§ 75 StO. f. d. ö. Pr., §75 Wests., §80 Rheinpr., §86 Hess.-Nass.) durch übereinstimmenden Beschluß von Magistrat (Bürgermeister) und Stadtverord­ neten erfolgen. Dies gilt jedoch nicht für die Schöffen. v. B.

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Gemeindeangehörigkeit — Gemeindeanstalten

Gemeindeangehörigkeit. Die G. wird durch den Wohnsitz in einem Gemeindebezirk erworben und durch Aufgabe des Wohnsitzes verloren. Physische Personen, welche einen Wohnsitz in einer Stadt- oder Landgemeinde haben, werden in §§ 3 ö. StO., westf. StO., rhein. StO., § 4 schlholst. StO., § 6 GemVerfGes. Frankfurt, ebenso in § 2 westf. LGO. und § 3 rhein. LGO. als „Einwohner", in § 4 hess.-nass. StO., § 7 ö. LGO., schlholst. LGO., hess.-nass. LGO., hohenz. GO. als „Gemeindeangehörige" bezeich­ net. Für die Bestimmung des Wohnsitzes ist § 7 BGB. maßgebend (OVG. 47,41); nur natür­ liche, nicht auch juristische, Personen können im Sinne der Vorschriften der StO. und LGO. Ge­ meindeangehörige (Einwohner) sein (OVG. 41, 167; 47, 166). Die G. umfaßt das Recht zur Benutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten der Gemeinde nach Maßgabe der hier­ für bestehenden Vorschriften und die Verpflich­ tung zur Tragung der Gemeindelasten nach den Vorschriften des KAG. (vgl. § 4 ö. StO., hess.nass. StO., westf. StO.; § 8 ö. LGO., schlholst. LGO., hess.-nass. LGO.). Auf Beschwerden und Einsprüche betr. das Recht der Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten beschließt der Ge­ meindevorstand, gegen dessen Beschluß die Klage im BwStr. stattfindet (§§ 18, 34 ZG.). Dieser Rechtsbehelf steht nur den Gemeindeangehörigen (Einwohnern) zu (OVG. 63, 101). Die §§ 14ff. Wests, und §§ 12, 16 rhein. LGO. unterscheiden noch zwischen Einwohnern und Gemeindemit­ gliedern (Gemeindegliedern). Als Gemeinde'glieder werden hier die selbständigen Einwohner und die mit einem Wohnhaus angesessenen Per­ sonen betrachtet. Den Gemeindegliedern steht nach näherer Borschriftin Gemeindesatzuugenusw. die Teilnahme an den Gemeindenutzungen zu. Wegen der Befugnis der Gemeindeangehörigen (Einwohner) zur Teilnahme an den Gemeinde­ wahlen und zur Bekleidung von Gemeindeämtern s. Bürgerrecht, Gemeinderecht. V. E. Gemeindeanstalten. I. Begriff und Arten. G. sind alle dauernden Veranstaltungen, welche die Gemeinde als solche im eigenen Interesse oder im Interesse aller Einwohner oder bestimm­ ter Einwohnerklassen beschafft. Sie zerfallen nach ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Charakter in öffentliche und private (gewerbliche). Öffentliche G. sind diejenigen, welche dem all­ gemeinen Interesse der Gemeinde zu dienen be­ stimmt sind und entweder der allgemeinen Be­ nutzung durch alle Einwohner oder durch gewisse Klassen derselben unterliegen. Unter privaten G. werden diejenigen gewerblichen Unterneh­ mungen verstanden, deren Betrieb als solcher .auf die Erzielung von Gewinn gerichtet ist und den Gemeindemitgliedern eine Nötigung zu ihrer Benutzung nicht auferlegt (AusfAnw. z. KAG. vom 10. 5. 1894 Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2). Die Grenzen zwischen beiden Kategorien sind flüssig, auch gewerbliche Anstalten können dem Allgemein­ interesse diestbar sein, es bleibt daher Sache der tatsächlichen Prüfung, im Einzelfalle festzustel­ len, welcher Zweck der vorherrschende ist (vgl. OVG. 52, 28). Als öffentliche Anstalten sind regelmäßig diejenigen zu erachten, für deren Be­ nutzung ein Zwang besteht (OVG. 17, 249). Eine ^besondere Klasse der öffentlichen G. bilden die

polizeilichen G., d. h. solche im Eigentume der Gemeinde stehenden Anstalten, die polizei­ lichen Zwecken dienen, wie beispielsweise kom­ munale Begräbnisplätze (OVG. 44, 58; s. u. a. Jebens, Polizeiliche Gemeindeanstalten, im PrVBl. 22, 329ff.). II. Entstehung und Unterhaltung. Die Errichtung und Fortführung der öffentlichen G. können auf allgemeiner oder örtlicher Gesetzes­ bestimmung, auf Observanz oder auf Gemeinde­ beschluß beruhen. Soweit die Gemeinde nicht auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung oder einer der Polizei gegenüber bestehenden Pflicht zur Errichtung verbunden ist, kann sie hierzu weder von der Gemeindeaufsichtsbehörde noch von der Polizei gezwungen werden. Ein Zwang tritt nur infolge besonderer Gesetzesvorschrist, beispiels­ weise auf Grund des RG., betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. 6.1900 (RGBl. 306) oder bei außerordentlichen Ver­ hältnissen z. B. zur Wasserbeschasfung für Feuer­ löschzwecke, ein (OVG. 44, 58). Die Errichtung und Unterhaltung rein gewerblicher G. hängt von dem Willen der Gemeinde ab. Ein im Wege der Klage verfolgbares Recht auf die Errich­ tung von G. steht den Gemeindeangehörigen nicht zu (PrVBl. 25, 725). III. Verwaltung und Benutzung. Die Verwaltung aller G. wird, sofern für sie keine besonderen Organe bestellt sind, von dem Ge­ meindevorstande geführt, andernfalls von ihm beaufsichtigt. Zur Benutzung der öffentlichen G. sind die Gemeindeangehörigen nach Maßgabe der gesetzlichen und ortsstatutarischen Vorschriften be­ rechtigt, ein unbedingtes Recht hierauf steht ihnen nicht zu (OVG. PrVBl. 26,252; 80,47). Bei Ein­ gemeindungen von Grundstücken eigenartiger Be­ schaffenheit kann für sie das Recht auf Benutzung öffentlicher G. ausgeschlossen oder nur aus Grund privatrechtlicher Abmachung zugestanden werden (OVG. 45, 155). Ein gesetzliches Recht auf die Benutzung privater G. besteht nicht (OVG. 20, 22; 68,111; PrVBl. 29, 911). Die Regelung ihrer Rechtsverhältnisse vollzieht sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, ihre In­ anspruchnahme erzeugt nur privatrechtliche, nicht unter die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallende Vertragsverhältnisse. IV. Einnahmen, Gebühren. Die Rein­ einnahmen aller G. dienen zur Bestreitung der allgemeinen Gemeindeausgaben. Gewerbliche Unternehmungen der Gemeinden sind grundsätz­ lich so zu verwalten, daß durch die Einnahmen mindestens die gesamten durch die Unternehmung der Gemeinde erwachsenden Ausgaben einschließ­ lich der Verzinsung und der Tilgung des Anlage­ kapitals ausgebracht werden. Eine Ausnahme ist zulässig, sofern die Unternehmung zugleich einem öffentlichen Interesse dient, welches andernfalls nicht befriedigt wird (§ 3 KAG.). Die Gemeinde­ angehörigen sind nicht berechtigt, die Verwen­ dung der aus den G. erwachsenden Einnahmen mittels Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu kontrollieren, ihnen steht hierfür nur die Be­ schwerde im Aufsichtswege zu Gebote (OVG. 49, 40). Die Gemeinden können nach § 4 KAG. für die Benutzung der von ihnen im öffentlichen Interesse unterhaltenen Anstalten besondere Ver­ gütungen (Gebühren, s. d.) erheben.

Gemeindeausschuß — Gemeindebeamte (Kommunalbeamte) besoldete

V. Rechtsschutz. Auf Beschwerden und Ein­ sprüche, welche das Recht der Mitbenutzung der öffentlichen G. betreffen, entscheidet der Ge­ meindevorstand. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt (§§ 18, 34 ZG.). Beschwerde, Einspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung. Die Klage findet auch statt, wenn nicht die Versagung des Rechts auf Be­ nutzung der G. an sich, sondern nur eine Rechts­ verletzung bezüglich des Inhalts und der Art der Ausübung behauptet wird (OBG. 21, 124; 38, 58; 80, 47; s. Gemeindegliedervermögen, S. § 34 ZG.; §§ 4, 56 Ziff. 3 StO. f. d. ö. Pr. u. WestfStO.; §§ 4, 53 Ziff. 3 RheinStO.; §§ 5, 60 Ziff. 2 SchlHolstStO.; §§ 36,71,77 HannStO. §§ 4, 61 Ziff. 3 HessNassSIO.; §§ 7, 63 Ziff. 3 FrankfGemVG.; §§ 8, 9, 88 LGO. f. d. ö. Pr.; § 2 Abs. 3 WestfLGO.; § 88 RheinLGO.; §§ 9, 88 Abs. 4 Ziff. 3 SchlHolstLGO.; § 38 der AusfBek. z. HannLGO.; §§ 8, 59 Abs. 4 Ziff. 3 HessNassLGO.z §§ 8, 68 Abs. 4 Ziff. 3 HohenzollGemO. S. auch Markthallen, Schlachthäuser, Was­ serleitungen. v. E. GemeindeauSschutz heißt die Gemeindever­ tretung in den Landgemeinden der Prov. Han­ nover (§ 51 HannLGO.; s. Landgemeindever­ tretung). Auch die Gemeindevertretung in den Landgemeinden der Prov. Hessen-Nassau führt neben diesem Namen irrt Anschluß an die bisher in der Provinz üblich gewesenen Benennungen (PrBBl. 17, 370) die Bezeichnung als Gemeinde­ ausschuß oder Bürgerausschuß (§ 20 HessNassLGO.). v. E. Gemeindebeamte, (Kommunalbeamte) besol­ dete (vermSgensrechtlicheAnsprüche). I.Rechtsgrundlagen. Die vermögensrechtlichen An­ sprüche der besoldeten G. umfassen Besoldung, Ruhegehalt, Hinterbliebenenversorgung, Neben­ bezüge, insbesondere Dienstaufwandsentschädi­ gungen, Reisekosten und Tagegelder. Die all­ gemeinen Rechtsgrundlagen für die Regelung der Besoldungsverhältnisse der G. sind — ab­ gesehen von einzelnen Vorschriften des GemeindeverfassungsG. — enthalten in dem KommunalbeamtenG. (KBG.) vom 30. 7. 1899 (GS. 141, AussAnw. vom 12.10.1899, MBl. 192, nicht geltend für Hohenzollern), sowie § 43 PrBesG. vom 17.12.1927 (GS. 223), AusfAnw. vom 27. 1. 1928 (MBl. 72), der an Stelle des Gesetzes betr. die vorläufige Regelung verschie­ dener Punkte des Gemeindebeamtenrechts vom 8. 7. 1920 (GS. 383), AusfAnw. vom 6. 10. 1920 (MBl. 359) getreten ist. Wegen der kom­ munalen Polizeibeamten s. d. und G. vom 31.7. 1927 (GS. 151). Das BesoldungssperrG. vom 21. 12.1920, RGBl. 2117, (s. d.), das die oberen Grenzen für die Bemessung der vermögensrecht­ lichen Ansprüche der G. festsetzt, ist am 31. 3.1926 außer Kraft getreten, die auf Grund dieses G. aufgestellten Richtlinien vom 1. 3. 1922 (MBl. 213), sowie die Beschlüsse des Reichs- und Landesschiedsgerichts behalten grundsätzliche Be­ deutung für die Handhabung des G. vom 8. 7. 1920 bzw. des § 43 PrBesG. Gemäß § 12a bleiben rechtskräftig genehmigte bzw. abgeän­ derte Besoldungsregelungen bis zum Erlaß neuer Besoldungsvorschriften in Kraft (s. Erl. vom 30. 4. 1926, MBl. 428). Reichsrechtlich geregelt ist die Höhe der Wohnungsgeld-

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Zuschüsse durch G. vom 27. 3. 1926 (RGBl. I 180). Nach § 42 RBesG. vom 16. 12. 1927 (RGBl. I 349) Rundschr. d. RFM. vom 11. 1. 1928 (RBesBl. 3) hat die Überleitung der Stellen in die neue Besoldungsordnung auf Grund einer Prüfung für den einzelnen Fall zu erfolgen. Die Ansprüche der G. sind öffentlichrechtlicher Art. Daher können sie auch Gegenstand der Zwangs­ etatisierung (s. d.) sein. Im übrigen finden ebenso wie bei den unmittelbaren Staatsbeamten außer den Vorschriften der RB. (Art. 128—131) und der BU. (Art. 77—80) die Vorschriften des BGB. Anwendung, soweit sie entweder ausdrücklich die Bezüge der Beamten betreffen oder nicht durch LandesG. (Art. 80, 81 EGBGB.) abgeändert worden sind. Während das G. vom 8. 7. 1920 und § 43 PrBesG. sich auf alle besoldeten G. beziehen, regelt das KBG. vom 30. 7. 1899 nur in einigen wichtigen Punkten die Besol­ dungsverhältnisse aller besoldeten G. und läßt in anderer Hinsicht Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Gruppen von Gemeinden und Ge­ meindeverbänden zu. II. Die Festsetzung der vermögensrechtlichen Ansprüche der G. erfolgt durch die Anstellungs­ behörde oder die kommunalen Bertretungsorgane, und zwar entweder in der Form der Ortssatzung oder durch Erlaß eines Normalbesoldungsplans oder durch Einzelfestsetzung. Hinsichtlich der städti­ schen Beamten wird in den §§ 8, 9, 11 KBG. auf ortsstatutarische Regelung Bezug genommen, bezüglich der Beamten der Landgemeinden, und Amtsbezirke in § 18. (s. auch 819 Zweckverb.G.) In den Kreisen tritt an Stelle des Ortsstatuts die Beschlußfassung des Kreistags (§ 21). Die Re­ gelung für die Provinzialbeamten erfolgt durch Reglement nach § 22 in Verbindung mit den Vorschriften der ProvO. (§ 96 ProvO. für die ö. Pr.). Die Satzungen und Reglements sind allgemeine Rechtssätze und gewähren den Be­ amten unmittelbare Rechte (OBG. 64,144). Die Festsetzung der Besoldungen für die Landbürger­ meister, die besoldeten Beigeordneten, Gemeinde­ einnehmer und Gemeindeerheber in Rheinland und Westfalen erfolgt durch den KrA. nach Anhörung der Amtsversammlung bzw. Ge­ meindevertretung (§§ 19, 20 KBG.; §§ 70, 71 Wests. LGO.; §§ 27ff. Rheinpr. KrO.; §§ 103, 79 LGO.; § 24 KrO.). Hierin ist durch das G. vom 27. 12. 1927 (GS. 211) nichts ge­ ändert worden. Im übrigen kann für größere Landgemeinden, Zweckverbände und Amtsbezirke aus Antrag der Aufsichtsbehörde der KrA. beschließen, ob und wieweit in Ermangelung statutarischer Regelung für die Regelung der Be­ amtenbesoldungen die für die Städte geltenden Vorschriften der §§ 8—10 und 12—15 KBG. Anwendung finden. Abgesehen hiervon beschließt der KrA. auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde über die Festsetzung der Dienst­ bezüge dieser Beamten (§§ 18, 25 KBG.; §§ 81, 83 HessNassLGO.). — Auf die Rechts­ verhältnisse der Kreisbeamten finden diese Vor­ schriften in jedem Falle Anwendung (§ 21). Bei der Festsetzung der Beamtenbezüge sind die Anstellungsbehörden und Vertretungskörperschaf­ ten sachlich durch die Vorschriften des § 43 PrBesG. gebunden, das die Regelung der Besoldungsverhättnisse nach oben und nach unten Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl. 40

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Gemeindebeamte (Kommunalbeamte), besoldete (vermögensrechtliche Ansprüche)

begrenzt. Danach müssen die Bezüge den Grund­ sätzen des PrBesG. entsprechen. In formeller Hinsicht war die Entschließungsfreiheit der Ge­ meinden und Gemeindeverbände zunächst be­ schränkt durch die Verpflichtung, vor der Fest­ setzung die Beamtenvertretungen und erforder­ lichenfalls die Beamtenorganisationen anzu­ hören (§ 1 Abs. 5 des G. vom 8. 7. 1920). Sie sind ferner beschränkt durch ein weit­ gehendes Mitwirkungsrecht der Aufsichts- und Beschlußbehörden. Die Ortssatzungen sind nach den GemeindeverfassungsG. genehmigungspflich­ tig, dasselbe gilt für die Besoldungsbeschlüsse der Kreise (§ 21 KBG.). Die Festsetzung der Be­ soldungen für Bürgermeister, besoldete Beigeord­ nete und Magistratsmitglieder in den Städten ist nach § 64 der StO. f. d. ö. Pr., § 64 Wests. StO., §§ 58, 78 RheinStO., § 69 HessNassStO. und § 77 SchlHolstStO. genehmigungspflichtig. Die Genehmigung liegt der Beschlußbehörde — KrA., BezA. für Berlin dem OP., für die Provinzen dem MdI. (8120 ProvO.) ob. Sind die Besoldungen nicht durch Ortsstatut geregelt, so konnte nach § 11 KBG. die Aufsichtsbehörde in Fällen eines auf­ fälligen Mßverhältnisses zwischen der Besoldung und den amtlichen Ansprüchen der Beamtenstelle verlangen, daß den Beamten eine angemessene und der Leistungsfähigkeit der Gemeinden bzw. Kreise entsprechende Besoldung bewilligt werde. Im Falle des Widerspruchs erfolgte die Fest­ setzung der Besoldung durch die Beschluß­ behörde. Weitergehend und nunmehr maß­ gebend sind die für alle Gemeinden und Gemeindeverbände im Sinne des KBG. gel­ tenden Vorschriften des G. vom 8. 7. 1920 und der an seine Stelle getretene § 43 PrBesG. Hiernach waren die erstmalig auf Grund dieses G. erlassenen Besoldungsvorschristen vor ihrem Inkrafttreten der Aufsichtsbehörde vorzulegen, die das Recht hatte, binnen vier Wochen Einspruch zu erheben, über den die Beschlußbehörde entschied. Außer diesem allgemeinen Prüfungs- und Emspruchsrecht können die Aufsichtsbehörden in Fällen erheblicher Verletzung der Besoldungs­ grundsätze des Gesetzes verlangen, und zwar ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Gemeinden (AusfAnw. vom 6. 10. 1920 zu § 1, MBl. 359), daß die Bezüge der Beamten einschließlich der Empfänger von Ruhegehalt und Hinterbliebenen­ bezügen den Vorschriften des Gesetzes ent­ sprechend festgesetzt werden. In Fällen des Wider­ spruchs der Gemeinden oder Gemeindeverbände entscheidet die Beschlußbehörde. Diese Befugnis kann die Aufsichtsbehörde jederzeit, auch gegenüber statutarischer Regelung geltend machen. Beschluß­ behörde ist bei Beamten der Landgemeinden, Ämter, Landbürgermeistereien, Amtsbezirken und Zweckverbänden ohne Beteiligung von Kreisen und Städten der KrA., im übrigen der BezA. Neben diesem Sonderverfahren ist die Bean­ standung gesetzwidriger Besoldungsbeschlüsse zu­ lässig. Dieses Verfahren,i das aufschiebende Wir­ kung hat und im Gegensatz zu den Einspruchs­ verfahren zum BerwStrB. führt, soll nach Erl. vom 27. 1. 1928 (MBl. 72) im Falle zu hoher Besoldungsfestsetzungen Anwendung finden. Die Vorschrift des § 3 KBG., wonach die Gehälter vierteljährlich im voraus zu zahlen sind, ist aus­ gehoben (V. vom 18. 9. 1923, RGBl. I 893;

G. vom 28. 9. 1923, RGBl. I 915; V. vom 28. 9. 1923, RGBl. I 915). Bei verspäteter. Zahlung der Dienstbezüge besteht kein Rechts­ anspruch auf Verzinsung oder Schadensersatz (V. vom 12. 12. 1923 Art. 7, RGBl. I 1181; RGZ. 109, 117). III. Das Diensteinkommen (Besoldung) der G. besteht wie bei den Staatsbeamten aus den nach Dienstaltersstufen steigenden Grund­ gehalt, Kinderbeihilfen, Wohnungsgeldzuschuß und gegebenenfalls Sonderzuschüssen und Neben­ bezügen. Nach 8 43 des PrBesG. sind die Dienst­ bezüge unter Berücksichtigung der örtlichen Ver­ hältnisse so zu regeln, daß sie den Grundsätzen der G. entsprechen. Im allgemeinen sollte bei Durchführung des G. vom 8. 7. 1920 nach der AusfAnw. vom 6. 10.1920 der Selbstverwaltung weilmöglichster Spielraum gelassen und von dem Einspruchsrecht nur insoweit Gebrauch ge­ macht werden, als offenbare Unrichtigkeiten unb Auswüchse zu beseitigen waren (vgl. auch 8 42 des RBesG. vom 16. 12. 1927, RGBl. 349; Rundschr. des RFM. vom 11. 1. 1928, RGesBl. 3). Welche G. mit Staatsbeamten unmittel­ bar vergleichbar sind, hat die Aufsichtsbehörde im Einzelfalle zu prüfen. Nicht unmittelbar ver­ gleichbar sind die leitenden G. (Erl. vom 27. 1. 1928). Änderungen der Besoldung durch Gesetz sind zu berücksichtigen. Bei Festsetzung des Dienst­ alters sind die Kriegsjahre nach den für die Staatsbeamten maßgebenden Grundsätzen anzu­ rechnen. Für die Bersorgungsanwärter erfolgt die Berechnung des Besoldungsdienstalters nach den für die Staatsbeamten maßgebenden Grund­ sätzen (s. auch Bersorgungsanwärter). IV. Alle besoldeten G. haben nach 8 1 des G. vom 8. 7. 1920 Anspruch auf Ruhegehalt nach den für die unmittelbaren Staatsbeamten maß­ gebenden Grundsätzen. Die bisherige Beschrän­ kung des Höchstsatzes bei Bürgermeistern und be­ soldeten Magistratsmitgliedern auf 42/fl0 (8 65 d. StO. f. d. ö. Pü.; § 65 Wests.; 8 69 Rheinpr.; 88 70f. Hess.-Na,s.; 88 78,79,99 SchlHolst.; 88 72, 86 Franks.; 88 64sf. Hann.; § 14 KBG.) ist fort­ gefallen (8 1 des G. vom 8. 7. 1920). Wegen der Berechnung des Ruhegehalts der Bürgermeister und Magistratsmitglieder s. Erl. vom 23. 10. 1923, PrBesBl. 145, Vollmer in PrVBl. 49,65). Voraussetzung des Anspruchs auf Ruhegehalt ist dauernde Dienstunfähigkeit^ Erreichen der Alters­ grenze (s. Staatsbeamte) und bei Wahlbeamten Nichtwiederwahl bei Ablauf der Wahlperiode oder Nichtannahme der Wiederwahl wegen verschlech­ terten Anstellungsbedingungen. Weitere Voraus­ setzung ist 10jährige (bei Bürgermeistern, Ma­ gistratsmitgliedern, Amtmännern, Beigeordneten 6jährige) Dienstzeit oder eine bei Ausübung des Dienstes oder aus Veranlassung desselben er­ littene Dienstunfähigkeit. Die Ruhegehälter der vor dem 1. 4. 1920 in den Ruhestand versetzten Beamten waren den für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Grundsätzen anzu­ passen (8 1 des G. vom 8. 7. 1920; § 43 des PrBesG. Das der Berechnung des Ruhe­ gehalts zugrunde zu legende Dienstalter berechnet sich nach der Zeit, die der Beamte im Dienst der betreffenden Gemeinde zugebracht hat. Die Militärdienstzeit bei Versorgungsanwärtern ist anzurechnen (8 12 KBG.), desgleichen die Kriegs-

Gememdebeamte (Kommunalbeamte), besoldete (vermögensrechtliche Ansprüche)

jähre (§ 43 Abs. 3 PrBesG.) Bei den Landbürger­ meistern und besoldeten Beigeordneten, deren Ruhegehälter nach Art. II des G. vom 31. 12. 1926 (GS- 67) denen der städtischen Bürger­ meister entsprechen, falls nicht die Besoldungs­ ordnung eine abweichende Regelung trifft, sowie bei den Beamten der Ämter und Landbürger­ meistereien wird die ganze Zeit angerechnet, während welcher der betreffende Beamte im Dienste von Ämtern oder Landgemeinden der­ selben Provinz angestellt gewesen ist (§ 19 KBG.). Dasselbe gilt bezüglich der Gemeindeforstbeamten in Rheinprovinz und Westfalen und im RegBez. Wiesbaden— mit Ausnahme des ehemaligen Hess.Homb. Bezirks (§ 23 KBG.; §§ 7, 8 des G. vom 12. 10. 1897, GS. 411). Im übrigen ist An­ rechnung der im Dienste anderer Gemeinden oder des Staates zurückgelegten Dienstzeit sowie son­ stiger Zeiträume im Wege der Vereinbarung (§ 12 KBG.; § 65 S1O. f. d. ö. Pr.) zulässig. Die Vorschrift, daß durch Satzung der Höchstsatz des Ruhegehalts über die staatlichen Sätze hinaus erhöht werden kann ist durch § 43 PBesG. aufge­ hoben worden. Wegen der Berechnung des Woh­ nungsgeldzuschusses nach der Ortsklasse des letzten Wohnsitzes s. Erl. vom 30. 4. 1926 (MBl. 428). Das Ruhegehalt wird, wenn der Empfänger neben dem Ruhegehalt im Staatsdienste (auch Staatsdienst in einem anderen Lande) oder Ge­ meindedienst ein Diensteinkommen oder ein Ruhegehalt bezieht, soweit gekürzt, daß das Ge­ samteinkommen daraus das frühere Dienstein­ kommen nicht überschreitet (§ 13 KBG.). Das Ruhegehalt steht auch den auf Kündigung an­ gestellten Beamten zu, wenn die Dienstunsähigkeit eintritt, ohne daß eine Kündigung erfolgt ist. Der Anspruch auf Ruhegehalt kann nicht durch nach­ folgende Kündigung beseitigt werden, es sei denn, daß sie aus Gründen der Dienstzucht oder infolge Änderung in der Gliederung der Behörde erfolgt (RGZ. 81, 100). Auch bei Dienstentlassung im Disziplinarverfahren kann dem Beamten ein Teil des Ruhegehalts belassen werden. In der Rhein­ provinz und in Westfalen sind die Ämter und Landgemeinden zu einem Kassenverband ver­ einigt, dem die Zahlung der Ruhegehälter ob­ liegt und gegen den die Beamten ihre Ansprüche geltend zu machen haben (§28KrO. Westfalen; § 27 KrO. Rheinpr.; § 25 KBG.). Dasselbe gilt für die Gemeindeforstbeamten im RegBez. Wies­ baden (§§ 7, 8 des G. vom 12. 10. 1897; § 23 KBG.). In ähnlicher Weise sind für die G. auch in anderen Provinzen Pensionskassen als frei­ willige Veranstaltungen der Provinz eingerichtet, um den kleineren Gemeindeverbänden das Risiko der Belastung mit Ruhegehältern zu erleichtern. Jedoch sind diese Kassen im Gegensatze zu den obenerwähnten Kassen gegenüber den Beamten nicht Träger der Pensionslast (OVG. 70, 84). S. Pensionskassen. V. Witwen- und Waisenversorgung. Die Witwen und Waisen der besoldeten G. haben An­ spruch auf die den Witwen und Waisen der un­ mittelbaren Staatsbeamten zustehenden Ver­ sorgungsbezüge, bestehend aus dem sog. Gnaden­ vierteljahr, Witwen-und Waisengeld. (s. Witwenund Waisenversorgung der Staatsbeamten). Die Vorschrift des § 1 Abs. 2 G. vom 8. 7. 1920, daß der Höchstsatz des Witwengeldes durch Satzung über

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die staatlichen Sätze erhöht werden kann, ist durch § 43 PrBesG. aufgehoben worden, desgleichen die Vorschrift des § 15 KBG., wonach der Höchst­ satz des Witwengeldes 2000 M. beträgt. Auf das Witwen- und Waisengeld kommen nach § 15 KBG. die Bezüge, die von öffentlichen Witwen- und Waisenanstalten oder von Privatgesellschaften ge­ zahlt werden, in demselben Verhältnis zur An­ regung, in welchem die betreffende Gemeinde (Stadt, Kreis oder aus Grund des § 18 KBG. denStädten gleichgestellte Landgemeinden,Zweck­ verbände,^ und Amtsbezirke) sich an den vertrag­ lichen Gegenleistungen beteiligt hat. Beteiligung liegt auch vor, wenn die Gegenleistung seitens des Beamten auf Grund ausdrücklicher, bei der Anstellung übernommener Verpflichtung oder anderweitiger Festsetzung erfolgt ist. Wegen Be­ lassung in der Dienstwohnung für die Dauer von drei Monaten und wegen der zu bewilligenden Räumungsfrist s. § 5 KBG. VI. Wegen der Reisekosten s. V. VII. Über streitige vermögensrechtliche Ansprüche der G. aus ihrem Dienstverhältnis in Städten, Kreisen, Provinzen und Zweckver­ bänden, an denen Städte oder Kreise beteiligt sind (§ 22 des ZweckVerbG. vom 19. 7. 1911, GS. 115), beschließt der BezA., hinsichtlich der sonstigen G. der KrA. (§ 7 KBG.; § 87 Hohenz. GemO.). Die Vorschrift des Art. 129 RB., Art. 97 VU. steht dieser Regelung nicht entgegen, da das Beschlußversahren den ordentlichen Rechts­ weg nicht ausschließt; denn gegen den in erster oder aus Beschwerde in zweiter Instanz er­ gangenen Beschluß findet nach § 7 KBG. binnen einer Ausschlußsrist von 6 Monaten die Klage im ordentlichen Rechtswege statt (RGZ. 99, 261; 104, 23). Die Beschlüsse sind vorläufig voll­ streckbar. Gegenstand dieses Verfahrens sind alle Telle des Diensteinkommens einschließlich Ruhege­ halt und Witwen- und Waisengeld, aber nicht Schadensersatzansprüche (RGZ. 104,251). Betei­ ligt sind einerseits die Beamten, Hinterbliebenen und sonstige Rechtsnachfolger, auf der anderen Seite die Gemeinden und Gemeindeverbände und in der Rheinprovinz und Westfalen, soweit es sich um Beamte der Ämter und Landgemeinden han­ delt, die Ruhegehaltskassen (OVG. 61, 28; 70, 84). Das Verfahren nach §7 KBG. ist nicht an­ wendbar auf Ansprüche von Ehren- und Neben­ beamten oder Angestellten (KompGerH. in PrVBl. 45, 458). Die Gerichte, sind an rechts­ gestaltende Berwaltungsakte der Anstellungs­ behörde gebunden, nicht aber an deklaratorische Festsetzungen (RGZ. in PrVBl. 47, 295). Die Festsetzung des Besoldungsdienstalters unterliegt der richterlichen Prüfung (RGZ. 103, 291). Gegenstand des Klaganspruchs können lediglich vermögensrechtliche Ansprüche, nicht die-Fest­ stellung der Beamteneigenschaft sein (RGZ. 108, 117; OGB. 44, 48). Die nach § 7 KBG. vorgesehene Klage im VwStr. ist nach Art. 129 I RV. nicht mehr zulässig (OVG. 80, 69.; RGZ. 109, 284). Ansprüche auf höhere Besoldung auf Grund des G. vom 8. 7. 1920 können nicht im Rechtswege, sondern nur im Wege der Dienstaussichtsbeschwerde geltend gemacht werden. (RGZ. 107, 326 u. 828; vom 9. 1. 1925 und vom 9. 6. 1925, PrVBl. 46, 339 u. 551). VIII. Die Vorschriften über die Gleichstellung

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Gemeindebeamte (Kommunalbeamte)

der G. mit den Staatsbeamten finden mit Aus­ nahme des Ruhegehalts und des Witwen- und Waisengeldes auch auf die nach Beschluß der Ge­ meinde oder des Gemeindeverbandes den Be­ amten gleichzuachtenden ständig (Dauer-) Ange­ stellten und Anwärter Anwendung (§43 PrBesG.) nicht: aber die Verfahrensvorschriften des § 7 KBG. Ob und welche Angestellte und Anwärter den Beamten gleichzuachten sind, ist der Ent­ schließung der Gemeinden überlassen. v. B. Siehe bei Gemeindebeamte (Kommunalbeamte), ferner S ey d e l, Die Besoldung der KB.nach der Rechtsprechung des Landesschiedsgerichts 1927.

Gemeindebeamte (Kommunalbeamte). I. Be­ griff. G. sind Personen, die in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zu einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband als ihrem Dienst­ herrn stehen, mag dieses aus einen bestimmt oder unbestimmt begrenzten Zeitraum (Kündigung) oder auf Lebenszeit begründet sein, mag es die Arbeitskraft der Person in vollem Umfange oder nur teilweise beanspruchen (Nebenamt), mag es mit einer Vergütung der Dienstleistung verbunden sein oder nicht (besoldete und unbesoldete G.), mag es den Lebensberuf oder eine ehrenamtliche Tätigkeit darstellen. Der Begriff des G. setzt hier­ nach voraus, 1. daß ein Beamtenverhältnis vor­ liegt, 2. daß dieses Verhältnis zwischen einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband und dem betreffenden Beamten begründet ist. Zu 1 ist in Ergänzung des Art. Beamte (allgemein) folgen­ des hervorzuheben. Ein Beamtenverhältnis be­ steht nicht für die durch die Bevölkerung gewählten Mitglieder der kommunalen Vertretungskörper­ schaften — Gemeindevertretung, Stadtverord­ netenversammlung, Kreistag, Provinziallandtag (OBG. 25,415). Dagegen sind die Mtglieder der zur Verwaltung berufenen Körperschaften — Magistrat, Deputationen, Gemeindevorstand, KrA., Kreiskommissionen, Provinzialausschuß, Provinzialkommissionen — Beamte. Da ihre Tätigkeit als eine amtliche anzusehen ist. Gegen­ stand der Dienstleistung können sowohl obrigkeit­ liche als auch wissenschaftliche, technische, künst­ lerische oder mechanische Geschäfte sein. Anderer­ seits sollen obrigkeitliche Funktionen grundsätzlich nur von Beamten ausgeübt werden (OBG. 26,27; 35,59; AussAnw. z. KommunalbeamtenG vom 12. 10. 1899, MBl. 192 15). Soweit es sich dagegen um die Ausübung nicht obrigkeitlicher (Organ-) Funktionen handelt, steht es den Ge­ meinden und Gemeindeverbänden frei, ob sie für Ausführung ihrer Geschäfte Beamte oder Privat­ angestellte verwenden wollen. Falls Privat­ angestellte zu Geschäften verwendet werden, deren Ausübung Beamten obliegen soll, so ist es Sache der Aufsichtsbehörde, die Anstellung im Beamtenverhältnis nötigenfalls im Zwangswege herbeizuführen (AusfAnw. wie oben; OVG. 41, 156). Zulässig ist die nebenamtliche Über­ tragung von hoheitlichen Funktionen an einen Angestellten, der alsdann Angestellter und nicht­ besoldeter G. zugleich sein kann (RGZ. vom 23.4. 1926, PrBBl. 48, 467). Zu 2. Die Eigenschaft eines Beamten als Gemeindebeamter beruht auf dem Bestehen eines Dienstverhältnisses zwi­ schen Gemeinde und Beamten. Ein solches Dienst­ verhältnis kann auch dann bestehen, wenn der be­ treffende Beamte, wie z. B. der Oberbürgermeister

der Stadt Frankfurt a. M., vom Staate ernannt wird. Andererseits erlangen unmittelbare Staats­ beamte, die kraft Gesetzes oder auf Grund staat­ licher Verwaltungsakte mit kommunalen Organ­ funktionen oder Verwaltungsausgaben betraut sind — wie z.B.derLR.alsVorsitzender desKrA.—, hierdurch noch nicht die Eigenschaft als G., denn ihre Pflicht zur Führung der kommunalen Berwaltungsgeschäfte beruht aus ihrem unmittelbaren Staatsdienerverhältnis, nicht aber auf einem sie mit dem betreffenden Gemeindeverband ver­ bindenden besonderen Beamtenverhältnis. Die Lehrer an den öffentlichen Volksschulen sind keine G., da sie von der staatlichen Schulaufsichts­ behörde angestellt werden, die Besoldung der Lehrer nicht durch die Gemeinden erfolgt und die Volksschulen Veranstaltungen des Staates sind (RGZ. 85, 22). Strittig ist die Rechts­ lage bei den Mittelschullehrern, den Lehrern an kommunalen höheren Lehranstalten und den Lehrern an kommunalen Fach- und Berufs­ schulen. Die letzteren sind nach Auffassung des RG. (RGZ. 97, 312) G. sowohl im Sinne des KommunalbeamtenG. als auch der StO. (s. auch OVG. 75, 440; 75, 460). Die Lehrer an höheren Lehranstalten werden vom OVG. weder im Sinne des KommunalbeamtenG. noch der GemeindeversassungsG. als G. angesehen (OVG. 72, 228; 73, 273), während das RG. sie als „G. eigener Art" bezeichnet, auf die das Kommunal­ beamtenrecht in gewissem Umfange Anwendung findet (RGZ. 84, 27; 97, 312; RGZ. vom 12. 10. 1923; Mitteil, des Deutschen Städte­ tages 1924 Nr. 3; IW. 1914, 422 u. 423). Das­ selbe gilt nach Auffassung des RG. für die Mittelschullehrer, da die Mittelschulen ebenso wie die höheren kommunalen Lehranstalten und die kommunalen Fach- und Berufsschulen Veranstal­ tungen der Gemeinden sind (RGZ. vom 30. 3. 1920, PrBBl. 42, 242; dagegen OVG. 37, 119). Diese Frage ist von praktischer Bedeutung vor allem hinsichtlich der Geltendmachung vermögens­ rechtlicher Ansprüche gemäß § 7 Kommunalbe­ amtenG., und wegen der Haftung für Amtspflicht­ verletzungen sowie der Dienstaufsicht (s. im übrigen die betreffenden Artikel). — Den bei den LVA. an­ gestellten Beamten werden nach § 1348 RVO. die Rechte und Pflichten von G. übertragen, ohne daß sie hierdurch G. werden (OBG. 42, 60). Auch die Beamten der Landwirtschaftlichen Berufs­ genossenschaft können G. sein (§ 978 RVO.; Art. I § 8 des G. vom 23. 7. 1912, GS. 207). Wegen der Beamten der öffentlichen Feuer­ versicherungsanstalten s. G. vom 25. 7. 1910 (GS. 241); OVG. 64, 306. — Einen besonderen Begriff der besoldeten G. hat das Kommunal­ beamtenG. vom 30. 7.1899 (GS. 141) geschaffen insofern, als es in § 1 Satz 2 als formales Merk­ mal der Beamteneigenschaft im Sinne dieses Gesetzes die Ausfertigung einer Anstellungs­ urkunde verlangt. Hierdurch soll die Unter­ scheidung des öffentlichrechtlichen Beamtenver­ hältnisses gegenüber den nur durch privatrecht­ lichen Dienstvertrag mit der Gemeinde verbun­ denen Angestellten für den Einzelfall erleichtert werden. Nicht in Übereinstimmung hiermit steht die Rechtsprechung des RG. (RGZ. 84, 364; 89, 294; 90, 259), derzusolge ein Angestellten durch Übertragung eines mit obrigkeitlicher

Gemeindebeamte ( Kommunalbeamte) Funktionen verbundenen Postens G. im Sinne des KBG. auch ohne Ausfertigung einer An­ stellungsurkunde werden kann (f. dagegen OBG. 18, 65; f. auch IV). II. Rechtsgrundlagen. Eine erschöpfende Kodifikation des Gemeindebeamtenrechts ist nicht erfolgt. Das jetzt noch die Grundlage des preuß. Beamtenrechts bildende ALR. (8 69II10), gültig für das gesamte Staatsgebiet gemäß V. vom 23. 9.1867 (GS. 1619), rechnet zu den Dienern des Staates auch die im Dienste „gewisser dem Staate unterstellter Kollegien, Korporationen und Gemeinden" stehenden Beamten. Hiernach ist das allgemeine preuß. Beamtenrecht auch für die Rechtsstellung der zu den „mittelbaren Staats­ beamten" gehörenden G. bestimmend, soweit nicht eine besondere gesetzliche Regelung erfolgt ist oder aus der Eigenart der Gemeindeverfassung sich Abweichungen ergeben. Ebenso wie in sonstigen die Staatsbeamten betreffenden Vorschriften des öffentlichen und privaten Rechts finden daher auch die Vorschriften der RV. (Art. 128ff.) und der BU. (Art. 77—80) auf die Verhältnisse der G. An­ wendung (s. im übrigen Beamte, allgemein). Zu den speziellen Rechtsgrundlagen des Kom­ munalbeamtenrechts gehören ferner die GemeindeverfassungsG. (ProvO., KrO., StO., LGO.), das LBG., ZG., das DisziplinarG. vom 21. 7. 1852 und vor allem das G. vom 30. 7.1899 (GS. 141), betr. die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten (KommunabeamtenG.), in dem einzelne wichtige Punkte des Gemeinde­ beamtenrechts teils für sämtliche besoldete G. (88 1—7), teilä für die Beamten der Städte, Landgemeinden, Samtgemeinden, Amtsbezirke und Kreise geregelt sind. Wie sich aus der Be­ zeichnung des Gesetzes ergibt, das nicht für Hohenzollern gilt, betrifft es nur die Begründung und Dauer des Beamtenverhältnisses und die ver­ mögensrechtlichen Ansprüche. Ebenso beschränkt sich das G. vom 8. 7. 1920 (GS. 383), betr. die Regelung verschiedener Punkte des Gemeinde­ beamtenrechts (GleichstellungsG.),bezw. an dessen Stelle tretende § 43 PrBesG. vom 17. 12. 1927 (GB. 223), auf die vermögensrechtlichen An­ sprüche der G. Wegen des am 1. 4.1926 außer Kraft getretenen BesoldungssperrG. s. d. und G., Vermögensrechtliche Ansprüche, wegen der Personalabbauverordnung s. d. Die Rechts­ verhältnisse der kommunalen Polizeibeamten sind durch das PolizeibeamtenG. vom 31. 7. 1927 (GS. 151) geordnet (s. Polizeibeamte). Im übrigen finden sich einzelne, insbesondere die Anstellung der G. betreffende Vorschriften zerstreut in verschiedenen Gesetzen. Wegen der Forstbeamten s. auch d. In Ergänzung der ge­ setzlichen Vorschriften werden die Rechtsverhält­ nisse der G. allgemein oder für den Einzelfall durch Beschlüsse der kommunalen Vertretungs­ körperschaften bestimmt. Eine solche Regelung muß insbesondere erfolgen für die Einrichtung der Beamtenstellen, die vermögensrechtlichen Ansprüche der G. und ihre Amtsbezeichnung. Sie kann sich auch auf die Art der Anstellung, den Pflichtenkreis der G., die Unfallfürsorge und sonstige sich aus dem Beamtenverhältnis ergebenden Einzelheiten erstrecken. In den Städten kann zu diesem Zwecke ein Ortsstatut erlassen werden, durch das auch Abweichungen

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von den Vorschriften der §§ 8—11 KommunalbeamtenG. vorgenommen werden können. Das­ selbe gilt für die Beamten der Ämter in der Rheinprovinz und in Westfalen (§ 19) und die Beamten der Landgemeinden (§ 18). Kommt ein solches Statut in größeren Landgemeinden, für welche nach den besonderen örtlichen Ver­ hältnissen ein Bedürfnis ortsstatutarischer Rege­ lung besteht, insbesondere städtischen Vororten, Jndustrieorten, Badeorten nicht zustande, so kann auf Antrag der Aufsichtsbehörde der KrA. beschließen, ob und inwieweit die Bestimmungen der §§ 8—10, 12—16 KommunalbeamtenG. auf die Beamten oder einzelne Klassen der Be­ amten Anwendung finden. Der Beschluß des KrA. bleibt so lange in Geltung, bis eine an­ derweile Regelung getroffen ist. In den Kreisen tritt an die Stelle der ortsstatutarischen Rege­ lung die Beschlußfassung des Kreistags, die der Genehmigung durch den BezA. bedarf (§ 21). In den Provinzen werden die Dienstverhältnisse der Beamten durch Reglement geordnet (§ 96 ProvO. f. d. ö. Pr. und die entsprechenden Vor­ schriften der übrigen ProvO.). An Stelle der ortsstatutarischen Ordnung können die Einrichtung von Beamtenstellen, die Regelung der vermögens­ rechtlichen Ansprüche und der Amtsbezeichnungen auch durch Einzelbeschluß erfolgen. Derartige Beschlüsse bedürfen im Gegensatz zu den Orts­ statuten keiner Genehmigung, soweit diese Ge­ nehmigung nicht besonders vorgeschrieben ist. Die Ortsstatute der Gemeinden und Gemeindever­ bände beschränken sich in der Regel auf die besoldeten Beamten. III. Voraussetzungen für die Zulassung zu den Gemeindeämtern, a) Die allgemeinen Voraussetzungen für die Zulassung zu den Ge­ meindeämtern sind die gleichen wie bei den un­ mittelbaren Staatsbeamten. Art. 128 RV. und Art. 77 BU., betr. die Zulassung aller Reichs­ angehörigen zu den öffentlichen Ämtern, gelten auch für die G., stehen aber der Ausübung des staatlichen Bestätigungsrechts nicht entgegen (Erl. vom 6. 6. 1924, MBl. 615). Der Nachweis einer bestimmten Befähigung ist gesetzlich nicht vor­ geschrieben; nur der § 37 Abs. 3 LBG. bestimmt, daß der Vorsitzende oder ein Mitglied des StA. die Befähigung zum Richterdienst oder zum höheren Verwaltungsdienst besitzen mutz. Wegen der Polizeibeamten s. §§ 4, 2 des Polizei­ beamtenG. vom 31. 7. 1927 (GS. 161). § 7 des G. vom 27. 12. 1927 (GS. 211) bestimmt, daß die Bürgermeister der Ämter in Westfalen und Rheinprovinz die „erforderliche Befähigung" besitzen müssen. Die Gemeinden und Gemeinde­ verbände können die Anstellung von dem Nachweis einer Befähigung abhängig machen. Dies geschieht bei den besoldeten Wahlbeamten vielfach (mitunter allerdings auch in größeren Kommunalverbänden nicht) schon bei der Ausschreibung der betreffen­ den Stelle. Für die mittleren Beamten hat sich insbesondere in den größeren Gemeinden und Gemeindeverbänden auf Grund der auf Ver­ anlassung des MdI. durch die OP. zur Durch­ führung des ReichssperrG. erlassenen ergänzen­ den Richtlinien die Übung entwickelt, daß der Auf­ stieg der Beamten des Bureaudienstes in höhere Besoldungsgruppen von der Ablegung einer Prü­ fung bzw. Ergänzungsprüfung abhängig gemacht

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Gemeindebeamte (Kommunalbeamte)

wird. Um den Beamten Gelegenheit zu geben, sich die hierfür erforderlichen Kenntnisse anzu­ eignen, haben vielfach die Gemeinden und Ge­ meindeverbände, insbesondere die Städte, Be­ amtenschulen und Fortbildungskurse eingerichtet und für größere Bezirke gemeinsame Prüfungs­ ausschüsse gebildet. Die bedeutendste derartige Einrichtung ist die von der Stadt Aschersleben gegründete Verwaltungsbeamtenschule, in der Berwaltungsanwärter mit praktischer Vorbildung in Halbjahrskursen fortgebildet werden (s. auch Beamtens ortbildung). b) Das passive Wahlrecht für die Besetzung der unbesoldeten Ehrenwahlämter (Mitglieder des Provinzialausschusses und der Provinzialkommis­ sionen, des KrA., der Kreiskommissionen, Magistratsmitglieder, beigeordnete Mitglieder städti­ scher Deputationen, Gemeindevorsteher, Schöffen) ist identisch mit dem passiven Wahlrecht zu den betreffenden Vertretungskörperschaften (§ 1 des WahlG. f. d. Provinziallandtage und Kreistage; § 9 des GemeindewahlG. in der Fassung vom 12. 2. 1924, GS. 99). In größeren Landgemein­ den werden vielfach, insbesondere dann, wenn die zur Anstellung besoldeter Gemeindevorsteher vor­ geschriebene Einwohnerzahl (8 75 LGO. f. d. ö.Pr.) nicht erreicht ist, auswärts wohnende Bewerber zu ehrenamtlichen Gemeindevorstehern gewählt, unter Gewährung einer erhöhten Vergütung für Mühewaltung (§ 86 a. a. O.). Es ist dies in der Weise möglich, daß die Betreffenden mit Ein­ verständnis der Gemeindevertretung kommissarisch mit der Verwaltung des Amtes beauftragt und nach Erlangung des Gemeindewahlrechts gewählt werden. c) Bei der Anstellung von besoldeten G. sind die Anstellungsbehörden in verschiedener Hinsicht in ihrer Auswahl beschränkt. Nach § 17 des MannschaftsversG. vom 31. 5. 1906 (RGBl. 593), § 33 des ReichsversG. vom 12. 5. 1920, in der Fassung vom 31. 7. 1925 (RGBl. I 165), §§ 10, 11 des WehrmachtversorgG. vom 4. 8. 1921, in der Fassung vom 19.9.1925 (RGBl. I 349), in Ver­ bindung mit den Anstellungsgrundsätzen in der Fassung vom 31. 7. 1926 (RGBl. I 435; AussAnw. vom selben Tage, RGBl. I 445), Erl. vom 28. 4. 1924 (MBl. 487), 21. 7. 1924 (MBl. 803), vom 16. 5. 1925 (MBl. 565) und 14. 1. 1927 (MBl. 51), 26. 4. 1927 (MBl. 461), § 2 des SchutzpolizeiG. vom 17. 7. 1922 (RGBl. I 597), § 3 PolizeibeamtenG. vom 31.7.1927 (GS. 151), (s. hierzu Polizeibeamte), § 2 des G. vom 26. 2. 1926, bett. Beamte beim Reichswasser­ schutz (RGBl. 1149), sind bestimmte Stellen durchweg, andere Stellen zur Hälfte Bersorgungsanwärtern, d. h. den Inhabern eines Zivil­ versorgungsscheins, Polizeiversorgungsscheins, Beamtenscheins oder Zivildienstscheins Vorbe­ halten. Nach dem G. vom 12. 1. 1923 (RGBl. I 57), B. vom 13. 2. 1924 (RGBl. I 73) G. vom 8. 7. 1926 (RGBl. I 398) und Ausf.Bestimmungen muß ein Teil der Beamtenstellen mit Schwerbeschädigten besetzt werden. Nach G. vom 30. 3. 1920 (GS. 63) müssen bei der Besetzung von Beamten- und Angestellten­ stellen Beamte und Angestellte aus den abge­ tretenen Gebieten berücksichtigt werden. Nach §§ 9, 15 des G. vom 25. 3. 1926 (GS. 105) ist die Berücksichtigung abgebauter Beamter vor­

geschrieben (s. wegen der Einzelheiten die be­ treffenden Artikel). Nach §§ 40, 41 des ReichsbesoldungsG. vom 16. 12 .1927 (RGBl. I 349; vgl. Erl. vom 11. 1. 1928, RBesBl. 3) sind die Gemeinden und Gemeindeverbände, die eine den Vorschriften des G. entsprechende Erhöhung der Beamtenbesoldung vornehmen, zu einem Stellen­ abbau nach Maßgabe dieser Vorschriften ver­ pflichtet. Nach § 19 des ZweckverbG. vom 19. 7. 1911 (GS. 115) ist der Zweckverband zur Über­ nahme von Beamten der auf ihn übergehenden Einrichtungen verpflichtet. IV. Die Begründung des Beamtenver­ hältnisses ist bei ehren- oder nebenamtlich ange­ stellten Beamten als vollzogen zu betrachten, wenn die einzelnen hierfür notwendigen Vor­ aussetzungen — Wahl, Annahme der Wahl, Be­ stätigung, Verpflichtung, Einführung — vorliegen. Die Anstellung der besoldeten G. erfolgt nach § 1 des KommunalbeamtenG. vom 30. 7. 1899 (GS. 141) durch Aushändigung einer Anstel­ lungsurkunde (s. d.; OVG. 42, 68). Sie bildet den zur Begründung der Beamteneigenschaft not­ wendigen formalen Akt. Daher kann diese Eigen­ schaft aus anderen, zeitlich nach Inkrafttreten jenes Gesetzes liegenden Umständen nicht gefolgert werden (AusfAnw. vom 12. 10. 1899, MBl. 192; RGZ. vom 7. 2. 1908, PrBBl. 29, 480; OVG. 42, 68). Die Aushändigung der Anstellungs­ urkunde hat keine rückwirkende Kraft, sondern begründet nur für die Zukunft ein Beamten­ verhältnis (OVG. 53, 428). Es können indessen auch solchen Personen, die bereits vor dem 1. 4. 1900 tätig waren, Anstellungsurkunden erteilt werden, um Zweifel über ihre Beamteneigenschast zu beseitigen. Diese Urkunden haben dann zwar keine konstitutive Wirkung, können aber für die Zeit vor dem 1. 4. 1900 einen Beweis über die in ihnen bekundeten Dienstverhältnisse des Beamten liefern (OVG. vom 1.11.1904, PrVBl. 26, 465). Auch die Anstellung der besoldeten Magistratspersonen hat durch Aushändigung einer Anstellungsurkunde zu erfolgen. Diese hat bei der Anstellung eines Bürgermeisters der Magistrat zu erteilen und in der Urschrift zu voll­ ziehen, während der Stellvertreter des Bürger­ meisters die Reinschrift zu unterzeichnen hat (MErl. vom 12. 5. 1903, MBl. 122). Die in der AusfAnw. vom 12. 10.1899 (MBl. 192) empfoh­ lene Form der Anstellungsurkunde ist nicht bin­ dend. Es genügt formlose schriftliche Mitteilung, die den Ausdruck „Beamter" nicht zu enthalten braucht, wenn nur die Anstellung als solche aus dem Sinn der Urkunde unzweifelhaft hervorgeht (OVG. 73, 99.) Auch ein Vertrag kann als An­ stellungsurkunde angesehen werden (RGZ. vom 12. 2. 1924, PrBBl. 48, 467). Die Anstellungs­ urkunde ist von der Anstellungsbehörde auszu­ fertigen, ohne daß die für verpflichtende Urkunden sonst vorgeschriebenen Formen maßgebend sind (OVG. 66, 222; 67, 458; PrBBl. 42, 464; Erl. vom 12. 5. 1903, MBl. 122). Eine Anstellungs­ urkunde ist nicht erforderlich bei besonderen Stan­ desbeamten, da sie kraft Rechsrechts G. sind (RGZ. vom 2. 7. 1915 in PrBBl. 37,414; OVG. vom 13. 6. 1912 in PrBBl. 34, 49), ebensowenig bei Beförderung in ein höheres Amt derselben Ver­ waltung. Unerhebliche Formfehler sind unschäd­ lich (OVG. vom 11. 5. 1922 in PrBBl. 44, 43).

Gemeindebeamte (Kommunalbeamte) Ob ein lebenslänglich angestellter Beamter da­ durch, daß ihm von der Gemeinde ein anderes, höher besoldetes Amt auf Probe übertragen wird, die Eigenschaft als lebenslänglich angestellter Be­ amter verliert, richtet sich nach dem Willen der Beteiligten bei dieser Amtsübertragung (RGZ. vom 5. 1. 1904, PrVBl. 25, 510). Wegen der Bedeutung der Anstellungsurkunde für den Be­ amtenbegriff im allgemeinen vgl. OVG. 65,434; 74, 269; RGZ. 84, 364; 90, 259; 99,265. (Wegen der gegensätzlichen Rechtsprechung des OVG. und RG. s- auch unter I.) Die Anstellung ist nach der vorherrschenden Auffassung kein Vertrag, sondern ein einseitiger Hoheitsakt, der ein Dienstund Schutzverhältnis begründet und öffentlichrechtlicher Art ist, im Gegensatz zu dem mit nicht­ beamteten Angestellten abgeschlossenen Dienst­ verträgen (OVG. 70,116). Die Vorschriften über die Anstellung von Beamten können deshalb nicht auf Dienstverträge mit Angestellten angewendet werden. Dem Beamten steht auf Ausfertigung einer Anstellungsurkunde kein klagbarer Anspruch im VwStr. zu (OVG. 42, 68). — Bor Erlaß des KommunalbeamtenG. bedurfte es zur Anstellung eines G. nicht der Beobachtung einer besonderen Form. Die Übertragung des Amtes und die An­ nahme des Amtes konnten auch stillschweigend durch konkludente Handlungen geschehen. Ohne entscheidende Bedeutung ist hierbei, ob eine Ver­ eidigung des Angestellten stattgefunden hat oder nicht und welcher Titel ihm gegeben ist (OVG. 18, 55). Entscheidend ist vielmehr, ob Hand­ lungen der Beteiligten vorliegen, welche klar er­ kennen lassen, daß der Angestellte über die privat­ rechtlichen Pflichten hinaus die öffentlichrecht­ lichen Pflichten eines Beamten nach dem Willen der anstellenden Behörde hat übernehmen sollen und seinerseits hat übernehmen wollen (vgl. OBG. 22, 67). Sind ihm obrigkeitliche Ob­ liegenheiten übertragen, die nur von einem Beamten ausgeübt werden können, so ist ihm ein öffentliches Amt übertragen und hiermit die Beamteneigenschaft beigelegt (OBG. 35, 59; RGSt. 24, 83). Abgesehen hiervon kann aus der Tatsache, daß die Behörde jemand lange Zeit hindurch mit Geschäften betraut hat, die sonst von Beamten wahrgenommen werden, auf den Willen der Behörde, ein Beamtenverhältnis zu be­ gründen, nach Ansicht des OBG. (18, 55) nicht geschlossen werden, wohl aber nach Ansicht des RG. (RGZ. 37,225). Die Anstellung ist anfecht­ bar, wenn sie an einem Willensmangel leidet oder wenn gesetzliche Voraussetzungen fehlen (RGZ. 83, 429). Nichtig ist die Besetzung einer den Bersorgungsanwärtern vorbehaltenen Stelle durch einen Dritten (RGZ. 67, 120; OVG.65,98). Soweit durch die Gemeindeverfassungsgesetz eine Bestätigung von G. vorgesehen ist, wird die vollzogene Wahl erst durch die Bestätigung rechts­ wirksam (s. Kommunalaufsicht IVB). V. Art der Anstellung. 1. Die Amtsdauer ist entweder eine lebenslängliche oder zeitlich be­ grenzt. a) Die besoldeten G. mit Ausnahme der von den Bertretungskörperschaften zu wählenden Organe werden im allgemeinen auf Lebenszeit angestellt. In den Städten erfolgt nach §§ 8 bis 10 KommunalbeamtenG. die Anstellung der besoldeten G. auf Lebenszeit, die der Beamten

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von städtischen Betriebsverwaltungen jedoch nur insoweit, als die Stadtgemeinden dies beschließen. Welche Berwaltungszweige hierzu zu rechnen sind, kann durch Ortsstatut festgesetzt werden, und zwar in einer auch den Verwaltungsrichter binden­ den Weise (OVG. vom 5. 1. 1906, PrVBl. 30, 105). Durch ein Ortsstatut oder in einzelnen Fällen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde können auch Abweichungen von dem Grundsätze der Anstellung auf Lebenszeit zugelassen werden. Soweit hiernach eine Anstellung auf Kündigung zulässig ist, darf diese nur auf Grund eines Be­ schlusses des kollegialischen Gemeinde Vorstand es (Magistrats) oder, wo ein solcher nicht besteht, eines aus dem Bürgermeister und den Beigeord­ neten (Schöffen, Ratmännern) gebildeten Kolle­ giums erfolgen. Der Anstellung kann eine Be­ schäftigung auf Probe vorangehen, die in der Regel die Dauer von zwei Jahren nicht über­ steigen und nur mit Genehmigung der Aufsichts­ behörde ausgedehnt werden darf. Bei Beamten, die probeweise oder zu vorübergehenden Dienst­ leistungen oder zum Zweck der Vorbereitung be­ schäftigt werden, hat die Regelung der Annahme­ bedingungen vor dem Antritt der Beschäftigung zu erfolgen. — Zu den Betriebsverwaltungen sind nach Art. III der AusfAnw. zu dem erwähn­ ten G. vom 30. 7. 1899 (MBl. 192) in erster Linie die gewerblichen Unternehmungen der Stadtgemeinde zu rechnen. Eine städtische Be­ triebsverwaltung wird dort anzunehmen sein, wo ein abgesondertes wirtschaftliches Unternehmen oder eine abgesonderte wirtschaftliche Verwaltung der Stadt mit eigenem Personal besteht. Zu den Betriebsverwaltungen gehören auch die Spar­ kassen (s. d.). Abweichungen von dem Grundsätze der lebenslänglichen Anstellung sollen in der Regel zugelassen werden für Dienstleistungen, die auch von Nichtbeamten wahrgenommen werden können; insbesondere für solche von technischer, wissenschaftlicher, künstlerischer oder mechanischer Natur. Auch kann die Anstellung auf Lebens­ zeit von der Erreichung eines gewissen Lebens­ alters (etwa des 30. Lebensjahres) allein oder in Verbindung mit der Zurücklegung einer mehr­ jährigen Dienstzeit in der Stadt abhängig gemacht werden. Betr. kündbare Anstellung von Polizei­ exekutivbeamten s. §§ 2, 4, 15 PolizeibeamtenG. vom 31. 7. 1927 (GS. 151). Auch eine An­ stellung auf bestimmte Zeit, etwa mit Pensions­ berechtigung für den Fall nicht erfolgender Wiederernennung, kann von der Aufsichtsbehörde zugelassen werden, wenn ein Bedürfnis hierzu besteht (Art. III a. a. O.). Dasselbe gilt für die Beamten der Kreise, für die an die Stelle des Ortsstatuts die — durch den BezA. zu genehmi­ gende — Beschlußfassung des Kreistages tritt, und für die Beamten der Ämter, jedoch mit Aus­ nahme der besoldeten Bürgermeister,und Beigeord­ neten (§§ 21,19). In den Landgemeinden kann die Art der Anstellung durch Ortsstatut oder in Er­ mangelung eines solchen in den unter II erwähn­ ten größeren Gemeinden bei Bedarf durch den KrA. geregelt werden. Hinsichtlich der Provinzial­ beamten und der Beamten der Bezirksverbände der RegBez. Kassel und Wiesbaden sowie der Beamten des lauenburg. Landeskommunalver­ bandes kommen die für sie bestehenden Vor­ schriften gemäß § 22 KommunalbeamtenG. zur

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Anwendung. Besondere Vorschriften bestehen z. T. auch für die Anstellung der Forstschutzbe­ amten der Gemeinden (s. Forstbeamte). b) Die von den Vertretungskörperschaften zu wählenden leitenden Beamten der Verwal­ tungsorgane werden stets aus eine bestimmte Zeitdauer gewählt. Die Vorschriften, wonach Bürgermeister auf Lebenszeit gewählt bzw. er­ nannt werden können, sind durch § 14 des Ge­ meindewahl G. in der Fassung vom 12. 2. 1924 (GS. 99), § 6 des G. vom 27.12.1927 (GS. 211) aufgehoben worden. Die Wahlzeit beträgt zwölf Jahre für Bürgermeister, besoldete Magistratsmit­ glieder und Beigeordnete, besoldete Gemeinde­ vorsteher und Schöffen in Landgemeinden, Land­ bürgermeister, sechs bis zwölf Jahre (nach dem Ermessen des Provinzial, bzw. Kommunalland­ tags) für die Landesdirektoren. Die Wahlzeit der Zweckverbandsvorsteher und seines Stellvertreters ist durch Statut zu bestimmen. Die Wahl der unbesoldeten Magistratsmitglieder und Beigeord­ neten, der unbesoldeten Gemeindevorsteher, Schöffen, derjMitglieder des KrA., des Provinzial­ ausschusses, der Kommissionen in Kreis und Provinz, sowie überhaupt aller durch den Kreistag oder Provinziallandtag zu vollziehenden Wahlen erfolgt nach §§ 9, 14 des GemeindewahlG. in der Fassung vom 12. 2. 1924 (GS. 95), § 2 des G. vom 14. 6. 1924 (GS. 551), §§ 31, 42 des G. vom 7. 10. 1925 (GS. 123) für die Dauer der Wahlzeit der wählenden Körperschaft (wegen der Kreisdeputierten s. d. und wegen der übrigen vor­ erwähnten Beamten die betreffenden Artikel). VII. Anstellungsbehörde. Abgesehen von den Ausnahmefällen, in denen die Ernennung von G. Staatsbehörden zusteht (StM. hinsichtlich des Oberbürgermeisters in Frankfurt a. M. und der Bürgermeister in Neuvorpommern und Rü­ gen, erfolgt die Anstellung bzw. Wahl entweder durch die Vertretungskörperschaften (Stadtverord­ netenversammlung, Gemeindevertretung, Kreis­ tag, Provinziallandtag usw.) oder durch die Ver­ waltungsorgane (Magistrat, Bürgermeister, Ge­ meindevorsteher, KrA., Provinzialausschuß usw.), und zwar ist unter Beseitigung der noch bestehen­ den Ausnahmevorschriften durch § 6 der V. vom 24. 1. 1919 (GS. 13) und § 3 der V. vom 31. 1. 1919 (GS. 15), §6desG.Vom27.12.1927(GS.211) der Grundsatz durchgeführt, daß die Verwaltungs­ organe selbst bzw. ihre Mitglieder sowie in der Regel auch die Ehrenbeamten durch die gewählten Mitglieder der Vertretungskörperschasten ge­ wählt werden, während die übrigen Beamten im allgemeinen von den Verwaltungsorganen ange­ stellt werden. Bon diesem letzteren Grundsatz be­ stehen jedoch verschiedentlich Ausnahmen. Von den? Vertretungskörperschasten werden gewählt in den Provinzen und Bezirksverbänden die höheren Beamten §§ 94, 95 ProvO. f. d. ö. Pr.; §§ 67, 68 Hessen-Nassau); von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung gemeinsam die Stadtkassierer und ähnliche Beamte in SchlHolst. (§ 75 StO. SchlHolst.); in Hannover werden biej] Stadtsekretäre, Kämmerer und technischen Beamten durch ein je zur Hälfte aus Magistrats­ mitgliedern und Bürgervorstehern gebildetes Wahlkollegium gewählt (§ 56 Hann. StO.). In den übrigen Provinzen hat der Magistrat (Bür­ germeister) vor der Anstellung der Beamten die

Stadtverordnetenversammlung zu hören, deren Äußerung jedoch nicht bindend ist (OVG. vom 13. 6. 1893, PrVBl. 14, 497). In SchlHolst. kann durch Ortsstatut in den Landgemeinden die Wahl der G. durch die Gemeindevertretung vorgesehen werden, falls vor Erlaß der GemO. vom 4. 7. 1892 dies üblich war (§ 117 GemO.). In Westfalen und in der Rheinprovinz werden die nur zu mechanischen Diensten bestimmten Unterbeamten nach Anhörung der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) über die Wür­ digkeit des Anzustellenden vom Bürgermeister er­ nannt, die übrigen Gemeindebeamten aber ebenso wie die Gemeindevorsteher gewählt (§§ 43, 44 WestsLGemO.; §§ 78, 79 RheinLGemO.). In der Rheinprovinz werden die Beamten der Ämter von der Amtsversammlung gewählt (§ 104 RheinLGemO.; §26 RheinKrO.). VII. Die Amtstitel, unter denen die G. an­ zustellen oder zu wählen sind, werden entweder durch die GemeindeverfassungsG. bestimmt oder durch die Vertretungskörperschasten festgesetzt (OVG. 41, 44; 72, 83; 76, 25). Die Amtsbe­ zeichnung Oberbürgermeister wird vom SM. verliehen (s. Bürgermeister, Ratsherr, Ma­ gistrate). Amtstitel dürfen auch ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung den G. insoweit beige­ legt werden, als sie ein Amt bezeichnen (Art. 109 RB.). Der Ratstitel ist grundsätzlich zulässig (Kreisbaurat: Erl. vom 23. 11. 1921, MBl. 383; Stadtbaurat: OVG. 63, 1; Magistratsrat: OVG. 41, 44; Gemeinderentmeister für die Gemeinde­ erheber in der Rheinprovinz OVG. vom 22. 3. 1927, PrVBl. 520). Die Amtstitel müssen im übrigen so gewählt werden, daß sie die Geschäfte des Beamten und seine amtliche Stellung er­ kennbar machen und keinen Anlaß zu Mißver­ ständnissen bieten und sich auch von den staat­ lichen Amtsbezeichnungen deutlich unterscheiden (OVG. 63, 1; 78, 44; 81, 69). Unzulässig ist daher die Bezeichnung „Kreisrat" (OVG. 81,69), desgl. „Kreisverwaltungsrat" (OVG. vom 7. 6. 1927, IW. 1927, 2245), „Präsident" für einen Zweckverbandsvorsteher (OVG. 80, 82; s. auch Titel). VIII. Vereidigung. Die G. haben als mittel­ bare Staatsbeamte den allgemeinen Staatsdienst­ eid gemäß Art. 78 VU., ferner den durch V. des Reichspr. vom 14. 8.1919 (RGBl. 1419) vorge­ schriebenen Eid auf die Reichsverfassung zu leisten. Beamte, die aus den Reichs-, Staats- oder Kom­ munaldienst übernommen werden, brauchen nicht abermals vereidigt zu werden Zirk. vom 26.10.1888 (MBl. 1888, 191). Die Eidesleistung ist für die Begründung des Beamtenverhältnisses nicht maß­ gebend; sie gehört zu den Pflichten der G. (OVG. vom 10. 11. 1921, PrVBl. 43, 190). Der Beamte, der die Eidesleistung verweigert, macht sich demnach eines Dienstvergehens schul­ dig (OVG 77, 502; 78, 439). Nach Erl. vom 4. 6. 1924 (MBl. 613) und vom 27. 7. 1924 (MBl. 803) ist die Ausübung des Amtes von der Ableistung des Eides abhängig. Bei Weigerung der Eidesleistung oder wenn die Eidesleistung so erfolgt, daß die Innehaltung der Verpflichtung offenbar nicht ernstlich beabsichtigt ist, sind die Be­ treffenden von der Amtsausübung auszuschließen. Beschlüsse, bei denen sie mitwirken, sind zu be­ anstanden. Wegen der Vereidigung der'^Bürger-

Gemeindebeamte (Kommunalbeamte) meister, Magistratsmitglieder, G emeindev orsteh er, Schöffen usw. s. die betreffenden Artikel. IX. Rechtsstellung. Die G. sind als mittel­ bare Staatsbeamte nicht nur mit der Gemeinde, in deren Dienst sie stehen, durch ein Treuverhältnis verbunden, sondern mittelbar auch mit dem Staat, von dem die Gemeinde ihre Hoheitsrechte und das Recht der Selbstverwaltung ableitet, dessen Beamte daher auch dem Staat gegenüber zur Treue und zum Gehorsam verpflichtet sind. Dem entspricht es, daß die Disziplinargewalt über die G. — abgesehen von dem den kommu­ nalen Aufsichtsorganen zustehenden Ordnungs­ strafrecht — von den Organen der Staatsver­ waltung ausgeübt wird. Die G. haben deshalb einmal die allen Staatsbeamten obliegenden allgemeinen Pflichten und daneben die sich aus ihrem Anstellungsverhältnis gegenüber der Ge­ meinde ergebenden besonderen Pflichten (OBG. 19,421). Im Rahmen ihrer Amtsführung sind die G. in erster Linie ihren kommunalen Dienstvor­ gesetzten gegenüber zum Gehorsam verpflichtet; gegenüber den staatlichen Aufsichtsbehörden be­ steht diese Gehorsamspflicht einmal für die lei­ tenden Beamten, soweit sie in staatlichen Auf­ tragsangelegenheiten tätig sind, sowie im Rahmen des der staatlichen Aufsichtsbehörde zustehenden Aufsichts- und Anweisungsrechts, ferner auch für andere G., die in Auftragsangelegenheiten staatliche Berwaltungshandlungen vorzunehmen haben, wie z. B. die kommunalen Polizeibe­ amten. Die Rechte der G. bestehen einerseits in ihren vermögensrechtlichen Ansprüchen (s. d.), andererseits sind sie ideeller Art (s. Beamte). Das Recht auf Ausübung eines bestimmten Amtes kann den gewählten oder auf Grund einer vorangegangenen Wahl für ein bestimmtes Amt angestellten G. nur im Wege des Disziplinar­ verfahrens, bei strafrechtlicher Verurteilung oder mittelbar durch Fortfall der betreffenden Stelle infolge organisatorischer Veränderungen ent­ zogen werden. Nur die übrigen besoldeten Beamten können auch gegen ihren Willen im Interesse des Dienstes in ein anderes Amt von nicht geringerem Range und Diensteinkommen versetzt werden, wo­ bei jedoch zu bemerken ist, daß der praktischen Durchführung dieser Maßnahme in kleineren Gemeinden und hinsichtlich der technischen Be­ amten und der Beamten in höheren Dienst­ stellen enge Grenzen gezogen sind (OVG. 61, 413; 63, 438; 66, 448; 68, 466; s. Dienstver­ setzung). Wegen der Dienstvergehen und ihrer Bestrafung s. Disziplinarrecht). Hervorzu­ heben ist, daß eine Strafversetzung in ein anderes Amt nur bei den Provinzialbeamten erfolgen kann. Sie ist auch hier unzulässig gegenüber dem Landesdirektor, den ihm zugeordneten oberen Beamten und auch den sonstigen in den Pro­ vinzialstatuten zu bezeichnenden leitenden Beam­ ten einzelner Berwaltungszweige (ProvO. f. d. ö. Pr., für Westfalen, für die Rheinprovinz, für Hannover, für SchlHolst. [überall] § 98 Ziff. 6, für Hessen-Nassau § 71 Ziff. 6). — Eine einstweilige Versetzung in den Ruhestand gegen Wartegeld (Stellung zur Disposition) findet gegen­ über G. nicht statt. Lediglich zur Durchführung des inzwischen beendeten Personalabbaus war eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand vorgesehen (s. Personalabbau)/

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X. Beendigung des Beamtenverhält­ nisses. Das Beamtenverhältnis endet a) durch Tod, b) durch Entlassung auf Antrag oder — bei Ehrenämtern — vorzeitige Niederlegung eines Amtes, die unter denselben Voraussetzungen zu­ lässig ist, unter denen die Ablehnung eines Am­ tes erfolgen kann. Die Niederlegung hat, wenn sie gegenüber dem Borstandsorgan vorbehaltlos erklärt wird, die Wirkung, daß das Amt erlischt, auch ohne daß die Niederlegung genehmigt wird (OVG. 40, 36); o) bei Wahlbeamten, die auf be­ stimmte Zeit gewählt sind, durch Zeitablauf, wenn die Wahlzeit nicht verlängert wird; d) bei Wahl­ beamten, deren Wählbarkeit von bestimmten Vor­ aussetzungen (Gemeinde-, Kreis-, Provinzial­ angehörigkeit) abhängig ist, durch Fortfall dieser Voraussetzungen (§7, §2 des G. vom 9.4.1923 in der Fassung vom 12. 2. 1924, GS. 99; §§ 29, 42 des G. vom 7. 10. 1925, GS. 123). Nach § 11 des G. vom 9. 4. 1923 in der Fassung vom 12. 2. 1924 (GS. 99) ruht das Mandat, wenn der betreffende Wahlbeamte durch feindliche Maß­ nahmen an der Amtsausübung verhindert ist. In diesem Fall ist für ihn einStellvertreter zu berufen; e) infolge strafrechtlicher Verurteilung (s. Amt, öffentliches, § 7 DisziplinarG. vom 21. 7. 1862) oder Dienstentlassung im Disziplinarver­ fahren (s. Disziplinarrecht); f) durch Kündi­ gung bei G., die auf Kündigung angestellt sind; g) vorzeitige Entlassung verheirateter weiblicher Beamter (§§ 14, 16 des G. vom 26. 3. 1926, GS. 105); h) Versetzung besoldeter G. in den Ruhestand infolge Erreichens der Altersgrenze von 66 Jahren (§ 8 des G. vom 15. 12. 1920, GS. 621; § 84 der V. vom 8. 2.1924, G. S. 73; § 38 des G. vom 26. 3. 1926, GS. 106); bezüg­ lich der Beamten des Polizeivollzugsdienstes, die mit Ausnahme der Polizeioffiziere nach Voll­ endung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand treten s. §§ 16, 2 PolizeibeamtenG. vom 30. 7. 1927, GB. 151; § 12 Abs. 3 KommunalbeamtenG. ist durch vorstehende Vorschriften als aufgehoben zu betrachten, s. im übrigen „Altersgrenze"); i) Versetzung besoldeter Beamter in den Ruhe­ stand infolge Dienstunfähigkeit, und zwar ent­ weder auf Antrag oder zwangsweise unter den nach § 88 DisziplinarG. vom 21. 7. 1862 be­ stimmten Voraussetzungen (s. Pensionierung der Staatsbeamten III). Die Zurruhe­ setzung auf Antrag unter Gewährung der ^ge­ setzlichen Pension ist an keine besondere Form gebunden, sie erfolgt im allgemeinen durch die Anstellungsbehörde ohne Mittwirkung der Ver­ tretungskörperschaft (OVG. 23, 60) inj der Form der Aushändigung einer Urkunde, in der dassRuhegehalt festgesetzt wird, und tritt—in ver­ mögensrechtlicher Hinsicht — in Kraft mit Ablauf des Vierteljahres, das auf den Monat folgt, in dem die Urkunde ausgehändigt wird (§ 91 DisziplinarG. vom 21. 7. 1862). Hinsichtlich der zwangsweisen Versetzung in den Ruhestand ist zu unterscheiden a) zwischen Provinzial-, Bezirks­ und Kreisbeamten einerseits, ß) Beamten der Stadtgemeinden, Landgemeinden, Ämter, Zweck­ verbände andererseits. Die zu a) bezeichneten Be­ amtens können, sofern sie bereits pensionsberech­ tigt sind, auch gegen ihren Willen durch Anord­ nung der Anstellungsbehörde in denj Ruhestand versetzt werden. Hiergegen steht ihnen lediglich

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Gemeindebeamte (Kommunalbeamte)

die Beschwerde im Aufsichtswege zu. Haben sie dagegen keinen Anspruch auf Ruhegehalt oder wird ihnen das Mindestruhegehalt nicht bewilligt, so können sie nach § 95 DisziplinarG. vom 21. 7. 1852 nur unter dem für die Disziplinar­ untersuchung vorgeschriebenen Verfahren in den Ruhestand versetzt werden. Die zu ß) bezeichne­ ten Beamten können nach §§ 20 Abs. 2, 36 Abs. 2 ZG. zwangsweise in den Ruhestand versetzt werden, nachdem in dem für die förmliche Disziplinaruntersuchung vorgeschriebenen Verfahren über die Tat­ sache der Dienstunfähigkeit entschieden worden ist. Kosten können den Beamten nicht auferlegt werden (OBG. 61, 432; s. wegen des Verfahrens OBG. 18,429; 54,478; sowie Art. Disziplinar­ recht G.). Das Verfahren ist auch gegen künd­ bare Beamte zulässig, jedoch nicht nach erfolgter Kündigung (OBG. 78, 458; 54,484). Der Be­ amte hat keinen Anspruch darauf, durch Versetzung in ein anderes Amt der Notwendigkeit der Zur­ ruhesetzung enthoben zu werden (OVG. 53, 445; 55, 478; 56, 451). S. auch § 143 LGO. f. d. ö. Pr., § 143 SchlHolst., § 75 StO. Hessen-Nassau, § 107 HohenzGemO., §11 des G. vom 12.10.1897 (GS. 411), betr. Gemeindeforstschutzbeamte im Reg Bez. Wiesbaden; k) staats- oder kommunal­ rechtliche Umgestaltungen beenden das Beamten­ verhältnis nur, wenn der betreffende Gemeinde­ verband ohne Rechtsnachfolger aufgelöst wird. In derartigen Fällen ist eine gesetzliche Regelung erforderlich. (Hinsichtlich der G. in den abgetre­ tenen Gebieten s. G. vom 21.7.1922, (GS. 171); rheinisch-westfälische JndustriebezirkG. vom 26.2. 1926 (GS.53) u. 22. 3.1928 (GS. 17); Stadtge­ meinde Berlin s. §§ 65, 67 G. vom 27. 4. 1920 (GS. 123); § 91 V. vom 8. 2. 1924 (GS. 73); § 34 G. vom 25. 3.1926 (GS. 105); Oberschlesien § 10 G. vom 6. 1. 1927 GS. 1). Unterelbegeb. §§ 16—20 G. vom 8.7.1927 (GS. 129). Breslau §§ 4—6 G. vom 23. 3.1928 (GS. 25). Frankfurt a. M. §§ 17,75 G. vom 29. 3.1928 (GS. 31). Im Falle der Eingemeindung treten die besoldeten G. ohne weiteres in ein Beamtenverhältnis zu der erweiterten Gemeinde Über. Bei Aufteilung von Gemeinden und Gemeindeverbänden muß die Regelung der Beamtenverhältnisse im Wege der Auseinandersetzung (s. d.) erfolgen. Im Falle -der Übernahme von Verwaltungsausgaben durch einen Zweckverband treten die besoldeten G. auf Verlangen der betroffenen Gemeinde in den Dienst des Zweckverbandes über (§ 19 des G. vom 19. 7. 1911, GS. 115). Wegen der Über­ nahme von Polizeibeamten bei Verstaatlichung der Polizei s. § 60 PolizeibeamtenG. vom 31. 7. 1927 (GS. 151). Ehrenbeamte scheiden ohne weiteres aus dem Beamtenverhältnis aus, wenn das von ihnen verwaltete Amt fortfällt. Es kann auch in anderen Fällen organisatorischer Veränderungen das Beamtenverhältnis für Wahl­ beamte vorzeitig beendet werden (s. z. B. § 23 Abs. 3 des G. vom 7. 10. 1925, GS. 123). Die auf Grund der §§ 44 ff. PersonalabbauB. vom 8. 2. 1924 (GS. 73) zur Verminderung der Zahl der Beamten in den Gemeindeverwaltun­ gen geltenden Vorschriften sind durch G. vom 25. 3. 1926 (GS. 105) mit der Maßgabe aufge­ hoben worden, daß erlassene Vf. und erworbene Rechte unberührt bleiben. Die Feststellung der Dienstunfähigkeit uns dem Dienst ausgeschiedener

G. erfolgt durch die Verwaltungsorgane. Bei Streit über die Dienstunfähigkeit ist gemäß § 7 KornmunalbeamtenG. zu entscheiden. Die Rechte und Pflichten der in den einstweiligen Ruhestand versetzten G. bestimmen sich nach den für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Vor­ schriften (s. Personalabbau). XI. Wegen der Befreiung der G. von der Sozialversicherung s. Beamte (Sozial­ versicherung). Die Vorschriften des G. vom 2. 7. 1902 (GS. 153), betr. die Fürsorge für Be­ amte infolge von Betriebsunfällen, finden auf G. nur insoweit Anwendung, als sie gemäß § 10 Abs. 2 durch Satzung übernommen worden sind. Hieran ist auch durch das GleichstellungsG. nichts geändert worden (a. A. Nischk, KommunalbeamtenG. S. 69). Wenn die satzungsmäßige Unfallfürsorge das Maß der gesetzlichen erreicht, sind die G. von der Unfallversicherung befreit und sie können aus einem Unfall nur die im Gesetz vorgesehenen Ansprüche geltend machen. Den Polizeibeamten ist Unfallfürsorge in gleicher Weise wie den staatlichen Beamten der Schutz­ polizei zu gewähren (§ 2 PolizeibeamtenG. vom 31. 7. 1927, GS. 151). XII. Beamtenvertretungen. Die nach Art. 130 RB. vorgesehenen Vorschriften über die Bildung von Beamtenvertretungen sind bis­ her nicht erlassen worden. Die vorläufigen Be­ stimmungen des StM. vom 24. 3. 1919 (JMBl. 199) über die Bildung und die Aufgaben von Beamtenvertretungen sind aus Ersuchen des MdI. von den Kommunalbehörden zu beachten. Spitzenorganisationen der Kommunalbeamten­ verbände sind 1. der Reichsbund der Kom­ munalbeamten und Angestellten Deutschlands, 2. der Reichsverband der deutschen Kreisbeamten, 3. der Zentralverband der Beamten und Ange­ stellten der preußischen Provinzialvertretungen, 4. die allgemeine Vereinigung der Versicherungs­ beamten und Steuererheber Deutschlands, 6. der Deutsche Polizeibeamtenbund. XIII. Ständig Angestellte und Beam­ tenanwärter sind keine Beamte, d. h. sie sind mit der Gemeinde nicht durch ein öffentlichrecht­ liches Anstellungsverhältnis, sondern durch einen privatrechtlichen Dienstvertrag verbunden, sie werden jedoch in verschiedener Hinsicht den G. gleichgestellt. Nach § 13 BRG. können Beamten­ anwärter und Arbeitnehmer, die mit gleichen oder ähnlichen Arbeiten beschäftigt werden wie die Beamten, von der Anwendbarkeit des G. ausge­ nommen werden. Nach § 1 Abs. 4 des Gleich­ stellungsG. finden die Vorschriften des G., mit Ausnahme des Ruhegehalts und der Witwenund Waisenversorgung auf die nach Gemeinde­ beschluß den Beamten gleichzuachtenden StändigAngestellten und Anwärter Anwendung (s. auch § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 5 a. a. O., § 40 a Pr.BesG. vom 17. 12. 1927, GS. 223). Die Kenn­ zeichnung eines Angestellten als „Beamtenan­ wärter" oder Ständig-Angestellter (Dauerange­ stellter) ist hiernach der Beschlußfassung der zu­ ständigen Gemeindeorgane überlassen. Im Ge­ gensatz zu den im Beamtenverhältnis stehenden Probebeamten, deren probeweise Beschäftigung nach § 10 KommunalbeamtenG. die Dauer von zwei Jahren in der Regel nicht überschreiten soll, ist die Dauer des Vorbereitungsdienstes für

Gemeindebehörden — Gemeindebezirke

die Anwärter zeitlich nicht beschränkt (a. A. Nischk, Kommunalbeamtenrecht S. 142). Die Anerken­ nung eines Angestellten als „Ständig Angestell­ ten" hängt nicht davon ab, ob die Stelle, in der er beschäftigt wird, eine dauernde ist, sondern ob die Anstellung auf Dauer, d. h. in der Weise er­ folgt, daß eine Kündigung nur aus einem wichti­ gen Grunde erfolgen soll. Anspruch auf Ruhe­ gehalt und Hinterbliebenenversorgung ist nicht Voraussetzung der Eigenschaft als „ Ständig An­ gestellter". Die Beamtenverbände, in denen so­ wohl die Anwärter als auch die Dauerangestell­ ten ihre Vertretung finden, bemühen sich, die erst in der neuesten Zeit entstandenen Institution der Dauerangestellten durch ihre Überführung in das Beamtenverhältnis wieder zu beseitigen, v. B. Friedrichs, Preußisches Kommunalbeamtenrecht, 1926; Nischk, Das Kommunalbeamtenrecht, 1925; Kautz-App eli us, Preußisches Kommunalbeamten­ recht, 1912; Freitag, Kommentar zum Kommunal­ beamtengesetz, 1905; Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, 1926; Vogels Kommentar KBG 1927; ders. der Kommunalbeamtenbegriff 1926.

Gemeindebehörden. Der Ausdruck G. wird in den Gesetzen nicht überall im gleichen Sinne gebraucht. Im allgemeinen ist unter einer G. ein ständiges, von dem Wechsel der Personen un­ abhängiges Organ der Gemeindeverwaltung zu verstehen, das dazu berufen ist, in einem durch Gesetz oder Gemeindeverfassung festgestellten Ge­ schäftskreise öffentlich-rechtliche Befugnisse und Pflichten nach eigener Entschließung auszuüben

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Gesetze

schlossenen Gesetzentwürfen seine Zustimmung mittels der Anordnung, das G. zu befolgen, gibt. Von diesem Rechte der Gesetzessanktion, d. i. der Entscheidung darüber, ob etwas G. werden soll, ist zu unterscheiden das Recht zu einem bloßen, sei es endgültigen oder nur ausschiebenden Veto. Da Träger der Staatsgewalt im Reich und in Preußen das Volk ist (Art. 2 RV.; Art. 1 VU.), ist mit seiner in den Schlußabstimmungen des RT. und LT. oder in den Volksabstimmungen kundgegebenen Willensäußerung auch die Sank­ tion verbunden, obwohl der in ihr enthaltene Gesetzgebungsbefehl infolge des dem RR. und dem StR. zustehenden Einspruchsrechts und der dem Reichspr. bzw. einem Teil der Reichstags­ abgeordneten bezw. dem LT. zustehenden Appel­ lation an einen Volksentscheid ((. Reichsge­ setzgebung, Gesetze, preußische) unter Um­ ständen vorläufig oder überhaupt nicht wirksam wird. III. Die Ausfertigung der G. erfolgt durch Unterzeichnung seitens des dazu verfassungs­ mäßig berufenen Organs in der vorgeschriebenen Form. Durch die Vollziehung wird das ver­ fassungsmäßige Zustandekommen des G. und die Übereinstimmung des Textes mit dem beschlosse­ nen Wortlaut, die Legalität und die Echtheit beurkundet. IV. Die Publikationder G. ist ein Regierungs­ akt, und bedarf es deshalb der hierzu etwa verfassungsmäßig erforderlichen Gegenzeichnung. Da die Verkündung die formelle und materielle Geltung des G. erst begründet, muß das Publi­ kationsorgan in der Verfassung und ebenso der Tag des Inkrafttretens entweder in der Ver­ fassung oder im G. selbst bestimmt sein. Der im Publikationsorgan abgedruckte Text gilt als der authentische Wortlaut des G., wobei aber dem Richter ein Prüfungsrecht nach etwaigen Druck­ fehlern zuerkannt werden muß (s. bei VT. Wegen des sonstigen richterlichen Prüsungsrechts s. unten bei VII). Nicht die gleiche ausschlaggebende Bedeutung hat der Wortlaut einer von einem Minister auf Grund ihm erteilter gesetzlicher Er­ mächtigung veröffentlichten Neufassung eines mehrfach abgeänderten G.; denn es handelt sich nicht um eine Verkündung im verfassungs­ rechtlichen Sinne. Wegen der öffentlich-recht­ lichen Bedeutung des verkündeten Gesetzes­ textes müßten strenggenommen die Verfas­ sungen auch Vorschriften über die Berichtigung von Druckfehlern enthalten (in der RV. und der VU. fehlen sie). Für den Zeitpunkt des Inkraft­ tretens eines G. ist, soweit nicht dafür im G. selbst ein bestimmter Termin vorgesehen ist, der Ablauf einer in den VerfassungsG. vorgeschriebe­ nen Frist nach erfolgter Publikation maßgebend. Dabei ist nicht der Tag der Ausfertigung, son­ dern der Tag der Ausgabe des Publikations­ organs als Tag der Veröffentlichung anzusehen, und zwar, da der Tag nach bürgerlicher Zeitrech­ nung um Mitternacht beginnt, von diesem Zeit­ punkt ab s. Gesetze, preuß. und G. (Reichs-G.). V. Einführungsgesetze. Die ältere Gesetzes­ technik traf die bei umfassenden neuen G. erforder­ lichen Übergangs- und sonstigen Bestimmungen (Zeit des Inkrafttretens, Verhältnis zum bis­ herigen Rechte, Einwirkung auf schon begründete Rechte oder bereits im Prozeß anhängig gemachte

Rechtsstreitigkciten, Zuständigkeit der Behörden für die neuen Verhältnisse usw.), teils in den neuen G. selbst, teils in einer ihnen voran­ geschickten Einleitung oder an ihrem Schluffe, auch wohl in besonderen sog. Publikations­ patenten. Die neuere Technik bediente sich bei den Bundes- und bedient sich bei den ReichsG. zu demselben Zwecke, wobei sich das Verhältnis zum bisherigen Rechte in das zum sonstigen Reichsrechte und zum Landesrechte spalten kann, vielfach äußerlich selbständiger G., die jedoch wegen ihres Zusammenhangs als EG. zu den G., in deren Dienste sie stehen, bezeichnet und gleichzeitig mit diesen verkündet werden. So gibt es EG. zum GBG., zur ZPO. und StPO., zur KO., zum HGB. usw. Besonders umfangreich ist das EG. zum BGB. S. auch Gesetze, preuß. und G. (Reichs-G.). VI. Ausführung der G. Während das Einführungs-G. das Verhältnis eines neuen G. zum bisherigen Recht klarzustellen bestimmt ist, er­ fordert die künftige Anwendung des G. vielfach noch eine speziellere Regelung untergeordneter Punkte, eine nähere Erläuterung und Ergänzung der im G. aufgestellten Rechtsgrundsätze und Direktiven an die zur Handhabung des G. be­ rufenen Stellen. Soweit es sich dabei um den Erlaß von Rechtsvorschriften handelt, stellen die Ausführungsvorschriften im Gegensatz zu den reinen Verwaltungsverordnungen G. im materiel­ len Sinne (s. oben bei I) dar. Sie werden in diesem Falle entweder in der Form besonderer Ausführungs-G., oder ohne die äußere Form eines G., als Verordnung erlassen, bedürfen aber dann einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung der erlassenden Stelle. Einer derartigen Delega­ tion bedarf es auch, wenn ein Aussührungs-G. von einem anderen gesetzgebenden Faktor als das Hauptgesetz erlassen wird, wie z. B. bei man­ chen ReichsG. der Erlaß der AusfB. den Ländern übertragen ist, sei es durch Sonderbestimmung in dem betreffenden G., sei cs durch die RV., wie z. B. bei der sog. Grundsatzgesetzgebung (Art. 10). S. auch Verordnungen. VII. Gültigkeit von Gesetzen. Ein ordnungs­ mäßig zustande gekommenes G. gilt so lange, bis es entweder selbst oder in seiner Anwendung wieder aufgehoben wird. Das tritt ein entweder mit dem Ablaufe der Zeit, für welche, oder mit dem Eintritte der aufhebenden Bedingung, unter welcher es erlassen worden war, oder als Wirkung eines neuen G., welches es ausdrücklich aufhebt oder eine mit ihm unvereinbare Vorschrift trifft, oder endlich infolge eines sich wirksam bildenden ihm entgegenstehenden Gewohnheitsrechts. Die Frage, ob und in welchem Umfange für den Rich­ ter hinsichtlich der Rechtsgültigkeit eines G. ein Recht oder eine Pflicht zur Prüfung besteht, die sich jedenfalls immer nur auf die Anwendbar­ keit des G. für den Einzelfall bezieht, aber keine allgemeingültige Bedeutung hat, ist mangels Einigung im Versassungsausschuß in der RV. nicht geregelt (vgl. Protokolle des Verfassungsaus­ schusses S. 483 ff.). Die frühere RV. hatte ein sol­ ches Prüfungsrecht nicht beschränkt, während nach Art. 106 der früheren VU. in der vorgeschriebenen Form bekanntgemachte G. verbindlich sein und verkündete kgl. V. bezüglich ihrer Rechtsgültigkei nur der Nachprüfung durch die Kammern unter.

Gesetze, preußische

liegen sollten. Nach allgemeinem Rechtsgrundsatz begründet die verfassungsgemäße Ausfertigung und Verkündung eines G. „eine unwiderlegbare Vermutung für das verfassungsgemäße Zustande­ kommen (Legalität) und die Übereinstimmung des verkündetenTextes mit dembeschlossenenWortlaut (Echtheit)" (vgl. aber die bei Görres, Offentl. Recht voraus, 1926,30, angeführten Entsch. des KG. und des BayObLG. in IW. 1922 S. 308 u. 914). Dar­ über hinaus gehen die Meinungen auseinander (vgl. Giese, RB. 1926 zu Art. 13 Anm. 2 und Art. 70 Anm. 2, 3 und die daselbst angeführte Literatur und Entscheidungen). Nach der neuesten Recht­ sprechung dürste aber das Bestehen eines Prü­ fungsrechts hinsichtlich der Vereinbarkeit des Ortsmit dem Landes- sowie des Orts- und des Landesrechts mit der Landesverfassung und dem Neichsrecht (Art. J3 RV.) sowie der ReichsG. mit der NV., endlich der Rechtsverordnungen mit den G. und den Verfassungen anzuerkennen sein. Zu unterscheiden von diesem richterlichen Prüfungsrecht im Einzelfall sind die auf Anrufung der zuständigen Reichs- oder Landeszentral­ behörde ergehenden Entscheidungen des RG. über die Vereinbarkeit einer Landesrechtsnorm mit dem Reichsrecht nach Art. 13 RB. ss. bei G. (Reichs­ gesetze) II; Gesetze, preußische) sowie die gemäß § 6 FAG. vom 27. 4. 1926, RGBl. I 203, ergehenden Entscheidungen des RFH. über die Vereinbarkeit landesrechtlicher Steuervorschriften mit dem Neichsrecht. Ly. Gesetze, preußische. I. Die Zuständigkeit ist allein durch die Reichsgesetzgebung beschränkt. Als G. gelten auch der Haushaltsplan und die vom LT. genehmigten Staatsverträge. Die Initiative steht zu A. dem StM. (Art. 50 BU.). Bor Einbringung der Gesetzesvorlagen ist dem StR. Gelegenheit zu ihrer Begutachtung zu geben und kann er seine abweichende Ansicht dem LT. schriftlich darlegen (Art. 40 Abs. 2 BU.); B. dem StR. durch Vermittlung des StM. (Art. 40 Abs. 3 VU.). das in jedem Falle zur Vorlage ver­ pflichtet ist, aber seine etwaige abweichende Ansicht dabei darlegen kann; C. den Abgeordneten, da nach Art. 29 VU. dem LT. für den Regelfall die Gesetz­ gebungsgewalt zusteht (Huber zu Abschnitt VI); D. dem Volke selbst (Volksbegehren: s. unten

IV 2). II. Zur Beschlußfassung genügt nach Art. 29 VU. einfache Mehrheit. AbänderungsG. zur Verfassung bedürfen der Anwesenheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl und der Zustimmung von zwei Dritteln der Anwesenden (Art. 30 VU.). Gegen die vom LT. beschlossenen G. kann der StR. binnen zwei Wochen nach Schlußabstimmung Einspruch erheben, der binnen zwei weiteren Wochen zu begründen ist. Wird der Beschluß bei der nunmehr herbeizuführenden abermaligen Beschlußfassung des LT. mit Zwei­ drittelmehrheit wiederholt, so ist damit der ErnS erledigt. Anderenfalls ist der Landtagsrß hinfällig, falls der LT. nicht die Herbei­ führung eines Volksentscheides (s. unten)beschließt. Wenn ein G. Ausgaben betrifft, die über den Vorschlag des StM. oder seine Bewilligung hinausgehen, so ist Zustimmung des StR. nötig (Art. 42 VU.). Vom LT. abgelehnte Gesetzes­ vorlagen dürfen in demselben Sitzungs ab schnitt (Tagung) nur aus Grund eines rechtswirksamen

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Volksbegehrens wieder vorgelegt werden (Art. 62 VU.). III. Die Ausfertigung und Verkündung der verfassungsmäßig zustande gekommenen G. ist binnen einem Monat (nach der maßgebenden Schlußabstimmung) durch das StM., als dem mangels eines Staatspräsidenten obersten Exekutivorgane, in der GS. (s. d.) zu bewirken (Art. 60, 61 VU.). Für die Ausfertigung genügt nach der Feststellung im Verfassungsausschuß der verfassunggebenden Landesversammlung (Proto­ koll S. 200) die Unterschrift des Ministerpräsi­ denten oder seines Stellvertreters und des Fach­ ministers. Die dem StM. obliegende Pflicht zur Prüfung des verfassungsgemäßen Zustande­ kommens beschränkt sich auf die Feststellung, daß weder die RB. noch die BU. verletzt sind, erstreckt sich aber nicht auf die internen Vorgänge im LT. (Giese-Volkmann, Pr. Verfassung, 1926, Anm. 2 zu Art. 61). Bei der Verkündung ist zum Ausdruck zu bringen, ob das G. vom LT. oder durch Volks­ entscheid beschlossen ist (Art. 62 VU.), sowie ob die im Falle des Art. 42 VU. erforderliche Zu­ stimmung des StR. vorliegt. Das Inkrafttreten der G. erfolgt, wenn das G. nichts anderes bestimmt, am 14. Tage nach Ausgabe des betreffenden Stückes der GS. (Art. 61 VU.); der Ausgabetag wird jetzt stets besonders vermerkt. Wegen Verkündung der Rechtsverordnungen s. unten V. Wegen des rich­ terlichen Prüfungsrechte gegenüber verkündeten G. s. bei Gesetzen unter VII. HI. Besondere Arten der G. 1. Not­ verordnungen. Gemäß Art. 55 VU. kann das StM., wenn der LT. nicht versammelt ist, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder zur Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes in Übereinstimmung mit dem ständigen A. des LT. (Art. 26 VU.; s. bei Landtag) V. mit Gesetzeskraft erlassen. Sie dürfen der VU. nicht zuwiderlaufen, sind dem LT. bei seinem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen, und falls sie versagt wird, durch Bek. in der GS. aufzuheben. Durch das G. vom 9. 8. 1924 (GS. 597), betr. Verkündung von Rechtsverordnungen ist die Bek. in der GS. bereits für den Erlaß der Notverordnung vorgeschrieben. Uber die Frage, ob ein Nichtversammeltsein des LT. auch dann vorliegt, wenn der LT. lediglich vertagt ist, gehen die Ansichten auseinander; StierSomlo (Preußisches Verfassungsrecht) verneint sie in Übereinstimmung mit der Auslegung der gleichartigen Vorschrift in Art. 63 der frühe­ ren Verfassung durch Rönne. Der Staats­ gerichtshof hat sie dch. E. 21. 11. 1925 (RGZ. 112, Anhang 1) bejaht. In der Praxis ist der Begriff des „ungewöhnlichen Notstandes", für den bei der Verfassungsberatung als Beispiele Hochwasserkatastrophen, ungewöhnliche Feuers­ brünste und Epidemien aufgeführt wurden, aus­ dehnend ausgelegt, und z. B. auch die GewStB. vom 23.11.1923 und die V. betr. Wegevoraus­ leistungen vom 25. 11. 1923 in der Form einer Notverordnung erlassen. Die Kritik, ob diese Voraussetzung des Art. 55 VU. wirklich vorlag, steht allein dem LT. bei der Beschlußfassung über die etwaige Versagung der Genehmigung zu; eine richterliche Nachprüfung dieser Frage ist aus­ geschlossen (OVG. 80, 37). Im Falle der Ber--

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sagung der Genehmigung hat die V. bis zur Be­ kanntmachung derselben Gesetzeskraft und ist düher auf alle Vorgänge der Zwischenzeit anzuwenden (Huber, Giese). Der Erlaß des HaushaltG. in dieser Form ist ausgeschlossen, da Art. 64 UV. bereits die nötigen Maßnahmen für den Fall der nicht rechtzeitigen Verabschiedung desselben vorge­ sehen hat (Giese). Von den Notverordnungen, welche formelle Gesetzeskraft haben, sind die vor­ übergehenden Maßnahmen zu unterscheiden, welche die Landesregierung durch Art. 48 Abs. 4 RB. ermächtigt ist, bei erheblicher Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ord­ nung an Stelle des Reichspr. zu treffen, wenn Gefahr im Verzüge ist; sie dürfen im Rahmen der dem Reichspr. durch Art. 48 RV. zuge­ wiesenen Zuständigkeit sogar in das Reichsrecht (Außerkraftsetzung bestimmter Artikel der RB.) eingreifen, sind also trotz ihrer zeitlichen Be­ schränkung sachlich weitergehender als die Not­ verordnungen und nicht an die Form des Art. 55 VU. gebunden (s. Reichspräsident). 2. Volksbegehren und Volksentscheid (Art. 6 VU.; G. vom 8. 1. 1926, GS. 21, betr. Verfahren bei Volksbegehren und Bolksensscheiden und Abstimmungsordnung vom 23. 1. 1926, GS. 26). Volksbegehren können nur gerichtet sein auf a) Verfassungsänderung, b) Erlaß, Ab­ änderung oder Aufhebung von G., c) Landtags­ auflösung. Über Finanzfragen, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen sind Volksbegehren nicht zulässig. Zunächst ist ein Zulassungsantrag an den MdI. zu richten, welcher von mindestens 5000, in den Fällen a und c von mindestens 20000 Stimmberechtigten, oder von einer Ver­ einigung unterzeichnet sein muß, deren Mitglieder­ zahl glaubhafterweise mindestens 100000 Stimm­ berechtigte beträgt. Dem Anträge ist in den Fällen zu a und b ein ausgearbeiteter Gesetz­ entwurf beizufügen. Der Zulassungsantrag ist abzulehnen, wenn ein gleichartiger bereits im letzten Jahre genehmigt war oder das begehrte G. die reichsgesetzliche Zuständigkeit der Länder überschreitet. Gegen Ablehnung des Zulassungs­ antrags findet binnen vier Wochen Beschwerde an den preußischen Staatsgerichtshof statt (fehlt zur Zeit noch. Deshalb dürfte der Staatsgerichtshos für das Deutsche Reich, s. d., zuständig sein). Wird der Antrag vom MdI. genehmigt, so macht dieser im Staatsanzeiger den Inhalt des Be­ gehrens und den Namen der Bertrauensperson des Antrags bekannt. Während der fünften und sechsten Woche nach dieser Bek. haben die Ge­ meindebehörden die ihnen von den Antragstellern zu liefernden Eintragungslisten zur Eintragung auszulegen. Eintragungsberechtigt sind alle Stimmberechtigten, die in der Gemeinde wohnen bzw. einen Eintragungsschein, der dem Stimm­ schein bei den Landtagswahlen entspricht, über­ geben. Einsprüche über erfolgte Zurückweisung von der Eintragung werden von der untersten Aufsichtsbehörde endgültig entschieden. Die Ein­ tragung geschieht eigenhändig. Ungültig sind Ein­ tragungen, die die Person des Eintragenden nicht zweifelsfrei erkennen lassen, von einer nicht be­ rechtigten Person herrühren oder auf unvor­ schriftsmäßigen Eintragungslisten erfolgt sind. Die Listen sind durch die Bertrauensperson bzw. deren Beauftragten dem Landeswahlleiter ein­

zureichen. Der Landeswahlausschuß stellt das Eintragungsergebnis, und daraufhin das StM. fest, ob das Begehren rechtswirksam zustande gekommen ist. Dazu ist im Falle b die Eintragung von V2o, in den Fällen a und o von Vs aller Stimmberechtigten (nach der bei der letzten allgemeinen Wahl oder Abstimmung im Lande amtlich ermittelten Zahl) erforderlich. Die Feststellung ist im Staatsanzeiger zu veröffent­ lichen, dem Präsidenten des StR. und den Vertrauenspersonen mitzuteilen und das Be­ gehren, falls es zustande gekommen ist, dem LT. unter Darlegung der Stellungnahme des StM. dazu vorzulegen. Ist die Rechtswirksam­ keit des Begehrens vom StM. verneint, so ent­ scheidet auf Beschwerde des Vertrauensmannes das Wahlprüfungsgericht. Stimmt der LT. dem Begehren nicht zu (daß er es „unverändert" annimmt, wie dies Art. 73 RB. für Volks­ begehren im Reiche vorschreibt, ist nicht erforder­ lich, wenn nur der materielle Inhalt unverändert bleibt), so findet Volksentscheid (s. unten) statt. Letzteres gilt auch für den Fall, daß der StR. gegen ein auf Volksbegehren vom LT. beschlossenes G. Einspruch erhoben hat und das G. bei der durch Art. 42 VU. vorgeschriebenen nochmaligen Be­ schlußfassung im LT. nicht die erforderliche Vs Mehrheit findet. Das folgt aus dem Anfang des Abs. 4 Art. 6 VU. und entspricht dem Ein­ spruchsrecht des RR. nach Art. 74 RV. gegen die aus Volksbegehren vom RT. beschlossenen G. Betrifft das Volksbegehren eine Verfassungs­ änderung, so gelten für den Beschluß des LT. die Vorschriften des Art. 30 VU., betr. die quali­ fizierte Mehrheit. Volksentscheid findet statt, wenn a) nach Feststellung des StM. der LT. dem Volksbegehren nicht entsprochen hat,.was bei be­ gehrter Landtagsauflösung binnen einem Monat geschehen muß; gegen eine Entscheidung des StM., daß dem Volksbegehren entsprochen sei, steht dem Vertrauensmann die Beschwerde an den Staats­ gerichtshof (s. oben bei Zulassungsantrag) zu; b) wenn der StR. Volksentscheid über Landtags­ auflösung beantragt hat und diese Auflösung nicht auf anderem Wege binnen einem Monat erfolgt ist; c) wenn der Einspruch des StR. gegen ein vom LT. beschlossenes G. nicht auf dem in Art. 42 VU. bezeichneten Wege erledigt wird und der LT. Volksentscheid beschließt oder der nicht erledigte Einspruch ein auf Volksbegehren beschlossenes G. betraf. Den Tag der Abstim­ mung, den Gegenstand des Entscheides und den Ausdruck der Stimmzettel veröffentlicht der MdI. im Staatsanzeiger. Für die alsdann zu be­ wirkende Bek. in den Gemeinden genügt Plakat­ anschlag. Im übrigen entspricht das Verfahren im wesentlichen demjenigen bei der Landtags­ wahl. Die Stimmzettel dürfen nur auf „Ja" oder „Nein" lauten. Das Ergebnis ist vom Landeswahlausschuß festzustellen. Entscheidend ist, abgesehen von der Abstimmung über Ver­ fassungsänderungen und Landtagsauflösung, deren Annahme Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erfordert (Art. 6 Abs. 6 VU.), die einfache Mehrheit. Bei Stimmengleichheit zwischen Bejahung und Verneinung gilt die ge­ stellte Frage als verneint. Bei Gleichheit der Stimmen für die Bejahung zweier Fragen ent­ scheidet das vom Landeswahlleiter zu ziehende Los.

Gesetze (Reichsgesetze)

3. Provinzialgesetze. Nach dem territorialen Geltungsgebiete unterscheidet man zwischen all­ gemeinen LandesG. und ProvinzialG. Die ersteren sind diejenigen G., die für den ganzen Umfang des Staates gelten, die letzteren die­ jenigen, die nur für einen Teil des Staates er­ gangen sind. Inhalt und Gegenstand der G. sind für diese Unterscheidung unwesentlich (OBG. 36, 332). Nach § 61 Einl. z. ALR. werden ProvinzialG. durch neuere allgemeine G. nicht aufgehoben, wenn nicht in letzteren die Aufhebung deutlich angeordnet ist. Einer ausdrücklichen Auf­ hebung bedarf es dabei nicht, vielmehr genügt es, daß die Aufhebung mit Deutlichkeit zum Aus­ druck gekommen ist (vgl. hierzu OTr. 28, 311 und OBG. 12, 316). Nach § 34 ProvO. f. d. ö. Pr. und analog in den übrigen Provinzen sind die Provinziallandlage berufen, über diejenigen die Provinz betreffenden Gesetzentwürfe, welche ihnen zu dem Ende von der Staatsregierung überwiesen werden, ihr Gutachten abzugeben. Eine Ver­ pflichtung zur Einholung dieses Gutachtens be­ steht für die Staatsregierung nicht. S. hierzu auch Provinzialrechte. Ein neuer Begriff der ProvinzialG. ist durch Art. 73 VU. ge­ schaffen, nach welchem die Provinziallandtage durch ProvinzialG. neben der deutschen Sprache a) unter gleichzeitigem Schutz der deutschen Minderheiten eine andere Unterrichtssprache für fremdsprachige Volksteile, b) in gemischt­ sprachigen Landesteilen eine andere Amtssprache zulasien können (s. Geschäftssprache). Für diese ganz neue Art der Gesetzgebung ist als Form nur der Erlaß durch den Provinziallandtag, also die Form der bisherigen Provinzialstatuten vorgeschrieben (s. Provinzialordnung). Auch das in Art. 72 VU. in Aussicht gestellte besondere G. betr. Verwaltung der Provinzialangelegen­ heiten dürfte für die bei Erlaß der Verfassung aus politischen Gründen in Aussicht genommene weitgehende Provinzialautonomie die gleichen Formvorschriften vorsehen; die sachliche Zuständig­ keit der Provinzialgesetzgebung und deshalb der Erlaß des G. selbst hängt von der Gestaltung der Verwaltungsreform ab. 4. Die Hausgesetze der früher regierenden fürstlichen Familien sind als objektives Recht durch das G., betr. Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung dec Hausvermögen, vom 23. 6. 1920 (GS. 367) außer Kraft gesetzt; nur die auf das Hausvermögen bezüglichen Vor­ schriften gelten bis zu deren gänzlicher Auflösung weiter (s. Fürstenabfindung). V. Ausführung der G. Nach Art. 51 ver­ bunden mit Art. 40 VU. erläßt das StM. nach Anhörung des StR. oder dessen zuständigen Aus­ schusses die zur Ausführung der G. erforderlichen Vorschriften, soweit das G. diese Aufgabe nicht einzelnen Ministern überweist. Nach den Er­ klärungen bei Beratung der Verfassung handelt es sich dabei lediglich um den Erlaß von „Berwaltungs"-Berordnungen, so daß für den Erlaß von „Rechts"-Verordnungen eine besondere gesetz­ liche Ermächtigung erfordert wird, die auch nicht in der durch Art. 82 Abs. 1 VU. erfolgten Über­ tragung der früheren kgl. Befugnisse auf das StM. enthalten ist, da diese Übertragung nur die auf G., V. und Verträgen, nicht aber die auf der aufgehobenen Verfassung beruhenden Rechte

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umfaßte, zu denen auch das Verordnungsrecht des Königs gehörte (vgl. Verordnungen). Betreffend Verkündung der V. gilt folgendes: Durch § 1 des G. vom 10. 4. 1872 (GS. 357; AusfE. des StM. vom 22. 7. u. 12. 9. 1872) wurde angeordnet, daß bestimmte Arten von landesherrlichen Erl. — betr. Verleihungen des Enteignungsrechts sowie des Rechts zur Entnahme von Chaussee- und Wegebau- und Unterhaltungsmaterialien und des Rechts zur Erhebung von Chaussee- und Wegegeld; ferner Statuten der Deichverbände und Meliorationsgenossen­ schaften; Konzessionen zum Bau und Betriebe von Eisenbahnen, sowie die Statuten der Un­ ternehmer; Reglements der Feuersozietäten, Kreditvereine und ähnlicher Kreditinstitute; die Einrichtung des Landarmen- und Korrigenden­ wesens und endlich Privilegien zur Ausgabe von Papieren auf den Inhaber — nebst den durch die Erl. bestätigten oder genehmigten Urkunden, ebenso wie Ergänzungen und Abänderungen fortan durch die betreffenden ABl. mit rechts­ verbindlicher Kraft (falls kein Termin bestimmt ist, binnen acht Tagen nach Ablauf des Ausgabe­ tages — §4) bekanntzumachen und in die GS. nur eine Anzeige von der erfolgten Bek. aufzunehmen ist (§ 5). Was hier von landesherrlichen Erl. gesagt ist, gilt wegen der oben erwähnten Vor­ schrift in Art. 82 VU. nunmehr für die vom StM. ausgehenden Erl. (wegen ABl. s. d.). Daneben ist jetzt maßgebend das G. vom 9. 8. 1924 (GS. 597), betr. Verkündung von Rechtsverordnungen; ihre Veröffentlichung muß in der GS., im Staats­ anzeiger oder in einem MBl. (in Besoldungs­ angelegenheiten genügt das PrBesBl.) erfolgen und, soweit dies nicht in der GS. geschehen ist, in letzterer die Veröffentlichungsstelle und der Tag des Inkrafttretens bekanntgegeben werden. Notverordnungen müssen in der GS. verkündet und die auf Grund des Art. 48 Abs. 4 RV. erlas­ senen V. (s. bei Reichspräsident), wenn sie schon anderweit veröffentlicht sind, in der GS. mit ihrem vollen Wortlaut nachrichtlich mitgeteilt werden. Lh. Gesetze (Reichsgesetze). (Einteilung: I. All­ gemeines. II. Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung. III. Initiative. IV. Form der Beschlußfassung. V. Volksentscheid und Bolksbegehr. VI. Verkün­ dung. VII. Ausführung der R. VIII. Jukruftbleiben des früheren Reichsrechts.) I. Allgemeines. Nach Art. 68 Abs. 2 RB. werden die R. vom RT. beschlossen. Ausnahmen von dieser Regel: 1. Volksentscheide (s. u.). 2. Nach Art. 4 RB. gelten die allgemein an­ erkannten Regeln des Völkerrechts als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts. Da nach Art. 45 RB. Verträge mit fremden Staaten, die Ich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung be­ ziehen, der Zustimmung des RT. bedürfen, welche nur in der verfassungsmäßigen Form eines G. ergehen kann, kommt Art. 4 RV. nur für Ge­ wohnheitsrecht in Frage (Giese, RB. zu Art. 45 Anm. 48). 3. Die vom Reichspr. gemäß Art. 48 RV. für den Fall eines Ausnahmezustandes ge­ troffenen Maßnahmen (s. Reichspr.). 4. Eine weitere Ausnahme beruhte auf dem inzwischen aufgehobenen ErmächtigungsG. vom 8. 12. 1923, welches die Reichsregierung ermächtigte, nach Beratung mit dem ständigen Ausschuß des RT.

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Gesetze (Neichsgesetze)

in besonders dringenden Fällen B. mit Gesetzes­ kraft zu erlassen. II. Zuständigkeit derReichsgesetzgebung. Es ist dabei zu unterscheiden: a) ausschließ­ liche Zuständigkeit des Reiches mit der Wir­ kung, daß, falls nicht Delegation stattsindet, jede Landesgesetzgebung aus dem betreffenden Gebiete ausgeschlossen ist und die bestehende Landesgesetzgebung auch nicht landesrechtlich abgeändert werden darf. Zu dem Gebiet, das in Art. 6 RV. bestimmt umschrieben ist und daher nur durch verfassungsänderndes G. er­ weitert werden kann, gehören: Beziehungen zum Ausland, Kolonialwesen, Staatsangehörigkeit, Freizügigkeit, Ein- und Auswanderung, Aus­ lieferung, Wehrverfassung, Münzwesen, Zölle, Postund Telegraphen-(Fernsprech-)wesen. b) konkurrierende (fakultative) Zustän­ digkeit (Art. 7, 8 RV.). Soweit das Reich von seiner Gesetzgebungsbefugnis keinen Gebrauch macht, sind LandesG. zulässig. Das Gebiet, welches ebenfalls nur durch verfassungsänderndes G. erweitert werden kann, umfaßt: Bürgerliches und Strafrecht, Gerichtsverfahren, Paßwesen, Fremdenpolizei, Armenwesen, Presse, Vereine, Versammlungen, Gesundheits- und Veterinär­ wesen, Pflanzenschutz, Vevölkerungspolitik, Mutterschasts-, Kinder- und Jugendfürsorge, Ar­ beitsrecht und -Versicherung und Schutz der An­ gestellten, Einrichtung beruflicher Vertretungen, Fürsorge für Kriegsteilnehmer, Enteignungsrecht, Sozialisierung, Handel, Banken, Börsen, Maße, Gewichte, Gewerbe, Bergbau, Versicherungs­ wesen, Schiffahrt, Seefischerei, Kraftfahrzeuge, Luftverkehr, Landstraßenbau für allgemeine Ver­ kehrs- und für Verteidigungszwecke, Theater- und Lichtspielwesen. Dazu gehören ferner Abgaben; nimmt das Reich solche in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen (s. Finanzausgleich). Endlich ge­ hören zu dem Gebiet der fakultativen Zuständig­ keit, „soweit ein Bedürfnis für den Erlaß ein­ heitlicher Vorschriften vorhanden ist", die Wohl­ fahrtspflege und der Schutz der öffentlichen Ord­ nung und Sicherheit (Art. 9 RV.). Der Vor­ behalt erscheint auf den ersten Blick bedeutungs­ los, da das Reich auch in den Fällen der Art. 7 und 8 von seiner Gesetzgebungsbefugnis nur dann Gebrauch machen wird, wenn ein Bedürfnis vor­ liegt. Anschütz (Art. 9 Anm. 1 RV., 1926) legt ihn dahin aus, daß das Reich von seinem Gesetz­ gebungsrecht nur dann Gebrauch machen kann, wenn widersprechende Vorschriften der Länder ein Bedürfnis nach einheitlicher Regelung, die auch aus einen Teil des Reiches beschränkt werden kann, Hervorrufen. Auf der anderen Seite ist die Gebietsumgrenzung in Art. 9 so unbestimmt, daß die Vorschrift eine Kompetenzerweiterung der Reichsgesetzgebung ins nahezu Ungemessene bedeutet (Giese RV. zu Art. 9). Zur Ausfüh­ rung des Art. 9 schreibt § 42 III der StNotB. vom 14. 2. 1924 (RGBl. I 74) vor: „Die Auf­ gaben der Wohlfahrtspflege, des Schul- und Bil­ dungswesens (s. u. bei c) und der Polizei werden den Ländern nach Maßgabe näherer reichsrecht­ licher Vorschriften zu selbständiger Regelung und Erfüllung überlassen. Die Länder be­ stimmen, inwieweit die Gemeinden (Gemeinde­

verbände) an der Erfüllung der einzelnen Auf­ gaben zu beteiligen sind. Vor der Überlassung an die Länder werden die reichsrechtlichen Vor­ schriften, die dem Grundsatz des Satz 1 entgegen­ stehen, aufgehoben werden." Als Ausgaben der Wohlfahrtspflege werden a. a. O. bezeichnet: Die Fürsorge für die Sozialrentner, soweit sie nicht den Versicherungsträgern obliegt, für die Kleinrentner und die ihnen gleichgestellten Per­ sonen, die soziale Fürsorge für die Kriegsbe­ schädigten und Kriegshinterbliebenen usw., die Fürsorge für hilfsbedürftige Minderjährige. Die den Ländern im Bereich der fakultativen Gesetz­ gebung belassene Zuständigkeit ist, abgesehen von dem Falle, daß das Reich selbst von dem Gesetz­ gebungsrecht Gebrauch macht, bezüglich der in Art. 7 Ziff. 13 bezeichneten Materie (Vergesell­ schaftung von Naturschätzen und wirtschaftlichen Unternehmungen, Erzeugung, Herstellung, Ver­ teilung und Preisgestaltung wirtschaftlicher Güter für die Gemeinwirtschaft, d. h. der sog. Soziali­ sierung) insofern beschränkt, als nach Art. 12 Abs. 2 NB. gegen LandesG-, welche diese Gegen­ stände betreffen, der Reichsregierung ein Ein­ spruchsrecht zusteht, sofern das Wohl der Gesamt­ heit im Reich berührt wird. Eine gleichzeitige reichsgesetzliche Regelung ist nicht erforderlich. Ein Beschwerderecht der Landesregierungen ist nicht vorgesehen, c) Gründsatzgesetzgebung: Das Reich beschränkt sich von vornherein auf die Aufstellung von Richtlinien, welche von den Län­ dern bei der gesetzlichen Regelung der betreffenden Gegenstände zu beachten sind. Zu diesem Gebiet gehören: Religionsgesellschasten, Schulwesen, Rechte der öffentlichen Beamten, Bodenrecht, Bestattungswesen, Erhebung von Landesabgaben in Beziehung zu den Reichsausgaben. Reichsrecht bricht Landrecht (Art. 13 Abs. 1). Mit Erlaß einer Reichsrechtsnorm ver­ lieren alle entgegenstehenden oder gleichlautenden landesrechtlichen Bestimmungen ihre Rechtsgültig­ keit und ist die Bildung neuen Landesrechts aus­ geschlossen. „Bestehen Zweifel oder Meinungs­ verschiedenheiten darüber, ob eine landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht vereinbar ist, so kann die zuständige Reichs- oder Landeszentral­ behörde nach näherer Vorschrift eines R. die Ent­ scheidung eines obersten Gerichtshofs des Reiches anrufen" (Art. 13 Abs. 2 RV.). Als solcher ist durch G. vom 8. 4. 1920 (RGBl. 510) das RG. bestellt, dessen zuständigen Senat der Reichsge­ richtspräsident bestimmt. Die auf Grund münd­ licher Verhandlung ergehende Entscheidung hat Gesetzeskraft und ist ohne Begründung im RGBl, zu verkünden (so z. B. RGBl. 1920, 206 betr. das Sächsische ÜbergangsschulG., RGBl. 1923 I 292 betr. das preuß. StaatshaftungsG.; RGBl. 1926 I 316, betr. das mecklenburgschwerinsche SchulG.). Bei Streitigkeiten zwischen dem RFM. und einer Landesregierung über die Vereinbarkeit einer landesrechtlichen Steuer­ vorschrift mit dem Reichsrecht entscheidet nach § 6 FAG. auf Antrag einer der Parteien der große Senat des RFH. (f. Reichsfinanzwesen). Durch die fraglichen Vorschriften wird das Recht bzw. die Pflicht des Richters, auch des Verwal­ tungsrichters, in einem anhängigen Verfahren zu prüfen, ob ein LandesG. etwa wegen Unver­ einbarkeit mit der Reichsgesetzgebung im Einzel-

Gesetze (Reichsgesetze)

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Reichspr. binnen drei Monaten über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit einen Volksentscheid herbeiführen (Art.74 RV.) (s. beilV am Schluß). Da die betr. Verfügungen des Reichspr. wie alle seine Regierungsakte nach Art. 50 RV. die Gegenzeichnung des RK. oder des zuständigen Ministers erfordert, die des Vertrauens des RT. bedürfen, so ist die Wahr­ scheinlichkeit einer Ausübung dieser Befugnis durch den Reichspr. sehr gering. 2. Ist die Verkündung eines G. auf Verlangen von einem Drittel der Reichstagsmitglieder ausgesetzt worden (um gegebenenfalls einen Volksentscheid herbeizu­ führen), so muß es auf einen binnen zwei Wochen nach dem'tAussetzungsbeschluß von einem Zwanzig­ stel der Stimmberechtigten zu stellenden Antrag einem Volksentscheide unterbreitet werden (Art. 73 RB.). 3. Auf Anttag des RR., wenn der RT. gegen Einspruch des RR. eine Verfassungsände­ rung beschlossen hat; der Antrag ist binnen zwei Wochen zu stellen (Art. 76 RB.) 4. Falls ein Zehntel der Stimmberechtigten die Annahme eines bestimmten Gesetzentwurfs verlangt, ist er in der beanttagten Fassung von der Reichs­ regierung dem RT. und, falls dieser ihn nicht unverändert annimmt, einem Volksentscheide zu unterbreiten (Bolksbegehr; s. u.). Über den Haushaltsplan, Abgabengesetze und Besoldungs­ ordnungen kann nur der Reichspr. einen Volks­ entscheid veranlassen (Art. 73 RB.). In allen Fällen findet eine Außerkraftsetzung der Reichs­ tagsbeschlüsse nur statt, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung be­ teiligt hat. Soll auf Volksbegehren (also nicht aus Anttag des RR. im Falle 3) durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich (Art. 76, 76 RV.). (Wegen der Volksabstimmung über Absetzung des Reichspr. s. beiReichspräsident und am Schluß diesesAbs.) Das AG. vom 27.6.1921 (RGBl.790), abgeändert durch Art. HI des G. vom 31.12.1923 (RGBl. 1924 I 4), über den Volksentscheid und §§ 64—97 der Reichsstimmordnung vom 14. 3. 1924 (RGBl. 1173) (s. bei Reichstag) enthalten die näheren Ausführungsvorschriften über Volks­ entscheid und Volksbegehren. Der Abstimmungs­ tag wird von der Reichsregierung festgesetzt und zusammen mit dem Gegenstand der Abstimmung und dem Aufdruck der (amtlich herzustellenden) Stimmzettel im Reichsanzeiger veröffentlicht. Die Stimmabgabe darf nur mit „ja" oder „nein" erfolgen. Entscheidend ist, abgesehen von den oben erwähnten Ausnahmen der Art. 75, 76 RB., die einfache Mehrheit der gültigen Stimmen. Bei Gleichheit der Stimmen für Bejahung und für Verneinung gilt die zur Abstimmung gestellte Frage als verneint; bei Gleichheit der Stimmzahl für die Bejahung zweier zur Abstimmung ge­ stellten Fragen entscheidet das vom Reichswahl­ leiter zu ziehende Los. Das vom Reichswahlaus­ schuß festzustellende Ergebnis unterliegt der Nach­ prüfung durch das Reichswahlprüfungsgericht. Sonderbestimmungen für Volksbegeh­ ren (§§ 64—97 Stimnwrdnung). Zunächst ist an RMdB. ein Zulassungsanttag zu richten, der von mindestens 6000 Stimmberechtigten, deren Stimmrecht durch die Gemeindebehörden zu be­ scheinigen ist, oder durch eine Vereinigung unter* 45 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

fall nicht anwendbar ist, soweit ein solches richter­ liches Prüfungsrecht überhaupt besteht (s. bei G. unter Gültigkeit), nicht berührt. Von der Ent­ scheidung des RG. über die Gültigkeit eines LandesG. gegenüber dem Reichsrecht ist die Ent­ scheidung des Staatsgerichtshofs über die bei Ausführung der R.-Gesetze in den Ländern ent­ stehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichs- nud Landesregierung (Art. 15 RV.; s. u. bei Ausführung der R.) zu unterscheiden. III. Gesetzesinitiative. Die Einbringung der Gesetzesvorlagen steht zu: a) der Reichs­ regierung mit Zustimmung des RR. Wird diese versagt, so muß die Vorlage, wenn die Reichs­ regierung an ihr festhält, die abweichende Auf­ fassung des RR. darlegen (Art. 68, 69 RV.). Sozial- und wirtschaftspolitische G. von grund­ legender Bedeutung sollen vor ihrer Einbringung von der Reichsregierung dem Reichswirtschaftsrat (s. d.) vorgelegt werden (Art. 165 RV.). b) Der RR. kann selbst V orlagen beschließen und v erlangen, baß sie von der Reichsregierung, gegebenenfalls unter Geltendmachung ihrer abweichenden Auf­ fassung, dem RT. vorgelegt wird (Art. 69 RB.). c) jedem Mitglied des RT. (Art. 68 RV.). d) dem Reichswirtschastsrat. Stimmt die Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem den Entwurf unter Darlegung ihres Standpunktes einzubringen. Der Reichswirtschastsrat kann seine Vorlage durch eines seiner Mitglieder vor dem RT. vertreten lassen (Art. 165 RB.). Dieses Initiativrecht steht dem durch V. vom 4. 5. 1920 (RGBl. 858) ins Leben gerufenen vorläufigen Reichswirtschaftsrat (s. das.) nicht zu; e) dem Volke im Wege des Volks­ begehrens (s. u.). IV. Form der Gesetzesbeschlußfassung. Die Beratung erfolgt laut § 35 ff- der Geschäfts­ ordnung in drei Lesungen; der zweiten Lesung geht in der Regel eine Ausschußberatung voraus. Zur endgültigen Beschlußfassung genügt ein­ fache Mehrheit. Bei Verfassungsänderungen ist jedoch die Anwesenheit von zwei Drittel der ge­ setzlichen Mitgliederzahl und die Zustimmung von mindestens zwei Drittel der Anwesenden er­ forderlich. Gegen die vom RT. beschlossenen G. steht dem RR. binnen 2 Wochen der binnen weiteren 2 Wochen zu begründende Einspruch zu. Kommt bei der alsdann erforderlichen nochmalrgen Beschlußfassung des RT. keine Einigung zustande, so kann der Reichspr. binnen 3 Monaten mit RR. über die Meinungsverschiedenheit einen Volksentscheid herbeiführen; anderenfalls gilt das G. als gescheitert. Hat aber der RT. entgegen dem Einspruch mit 2/t Mehrheit beschlossen, so muß der Reichspr. binnen 3 Monaten entweder das -G. verkünden, oder einen Volksentscheid herbei­ führen. Handelte es sich um eine Verfassungs­ änderung, so darf der Reichspr. das G. nicht verkünden, falls der RR. binnen 2 Wvchen einen Volksentscheid verlangt (Art. 74, 76 RV.). V. Volksentscheide und Volksbegehr. -Ein Volksentscheid findet statt: 1. Auf Anord­ nung des Reichspr. a) Falls der Reichspr. ein vom RT. beschlossenes G. nicht verkünden will, muß -er es binnen einem Monat zum Volksentscheid bringen, b) Wenn auf Einspruch des RR. gegen ein vomRT. beschlossenes G. bei nochmaliger Beschluß­ fassung im RT. keine Einigung zwischen RT. und RR. herbeigeführt wird (s. o.), kann der

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Gesetzliche Miete — Gesetzsammlung

zeichnet sein muß, welche glaubhaft macht, daß den Antrag mindestens 100000 ihrer Mitglieder unter­ stützen (§§ 64—72 a. a. O.). Die Eintragungs­ listen sind den Gemeindebehörden zur Auslegung zu übersenden. Die Eintragungsberechtigung entspricht dem Wahlrecht, der Eintragungsschein, der auch erteilt wird, wenn das Stimmrecht erst nach der letzten Abstimmung erworben ist, dem Stimmschein (§§ 73—85 a. a. O.). Die Form der Eintragung regeln §§ 86—90 a. a. O. Im übrigen gelten die Vorschriften für die Reichs­ tagswahlen (s. Reichstag). Die Vorschriften über den Volksentscheid finden gemäß §2 G. vom 27. 6. 1921 (RGBl. 790) auch auf Volksab­ stimmungen wegen Absetzung des Reichspr. (Art. 43 RV.) Anwendung; das dürste auch bezüg­ lich der betreffenden Vorschriften der RStimmO. gelten, obwohl dieser Fall in § 1 ders. nicht auf­ geführt ist. VI. Ausfertigung und Verkündung. Ver­ fassungsmäßig beschlossene G. sind vom Reichspr. oder seinem gesetzl. Vertreter binnen 1 Monat auszufertigen und im RGBl, zu verkünden (Art. 70 RV.). Die Ausfertigung besteht in der eigenhändigen Unterzeichnung und bedarf, wie alle Verfügungen des Reichspr., der in Art. 50 RV. vorgeschriebenen Gegenzeichnung des RK. oder des zuständigen Reichsministers. Wegen des richterlichen Prüfungsrechts s. bei Gesetzen unter Gültigkeit. Die Verkündungs­ formel lautet gemäß § 31 der gemeinschaftlichen Geschäftsordnung der Reichsregierung: „Der RT. hat das folgende G. beschlossen, das mit Zustim­ mung des RR. (die es verfassungsgemäß nicht gibt und die Nichterhebung des Einspruchs be­ deuten soll) hiermit verkündet wird." Statt der Verkündung kann der Reichspr. binnen einem Monat einen Volksentscheid (s. o.) veranlassen. Die Verkündung ist auf Antrag von einem Drittel des RT. um zwei Monate auszusetzen; doch kann die Verkündung trotzdem erfolgen, falls Reichs­ regierung und NT. das G. für dringlich erklären, über ein G., dessen Verkündung auf Verlangen des RT. ausgesetzt ist, muß auf Antrag von einem Zwanzigstel der Stimmberechtigten ein Volks­ entscheid (s. o.) herbeigesührt werden (Art. 72, 73 RV.). Wegen Verkündung im Falle eines Einspruchs des RR. s. o. bei IV. Die Verkündung erfolgt im RGBl. (s. d.). VII. Die Ausführung der R. obliegt, soweit nicht anderes bestimmt ist, den Landesbehörden (Art. 14 RV.). Das umfaßt aber nur die Be­ fugnis zum Erlaß besonderer (namentlich ört­ licher) Berwaltungsvorschriftenund Verwaltungs­ verfügungen, die Vornahme von Verwaltungs­ handlungen, sowie die Rechtsanwendung durch die Gerichte (Giese zu Art. 14 unter II). Zum Erlaß allgemeiner, zur Ausführung der R. be­ stimmter Berwaltungsvorschriften ist, wenn die G. nichts anderes bestimmen, allein die Reichs­ regierung zuständig, und zwar, soweit dabei in die sich aus Art. 14 ergebende Zuständigkeit der Län­ der eingegrissen wird, nur mit Zustimmung des RR., die nach Art. 91 RV. auch zum Erlaß von Bahnverordnungen (betr. Bau, Betrieb und Ein­ richtung der Eisenbahnen) nötig ist (Art. 77, 179 Abs. 2 RV., s. a. Giese zu Art. 77). Soweit es die RGesetze ausdrücklich zulassen, sind die Länder auch zum Erlaß von AusführungsG.

bezw. Ausführungs-Rechtsverordnungen befugt. Zum Erlaß von Rechtsv erordnungenbedars die Reichsregierung ebenfalls besonderer Ermäch­ tigung, sei es durch die Verfassung selbst (z. B. Art. 91), sei es durch besondere G. (z. B. ErmächtigungsG.; vgl. RFH. 10, 278). Wegen Verkündung der V. s. Reichsgesetzblatt. Von diesen Ausführungsvorschriften zu unterscheiden sind die einer Zustimmung des RR. nicht be­ dürfenden, von der Reichsregierung kraft der ihr durch Art. 15 RV. auf allen Gebieten der Reichs­ gesetzgebung zustehenden allgemeinen Re ich saufslcht erlassenen Anordnungen. Diese Aufsicht wird von der Theorie in „abhängige" und „selb­ ständige" unterschieden, je nachdem das Reich bereits von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat oder nicht. Im Gegensatz zu den all­ gemeinen Ausführungsvorschriften-des Art. 77 sind die auf Grund des Art. 15 erlassenen Anordnun­ gen bestimmt, die von der Reichsregierung ver­ tretene Auffassung der R. den Landesbehörden gegenüber geltend zu machen und den Vollzug dieser Auffassung zu sichern (Anschütz, Anm. 4 zu Art. 15). In Ausübung dieser Befugnis ist die Reichsregierung ermächtigt, Beauftragte zu den Landeszentralbehörden und, mit deren Zustim­ mung, zu den unteren Behörden zu entsenden. Die Landesregierungen sind verpflichtet, hervorge­ tretene Mängel zu beseitigen. Meinungsverschie­ denheiten entscheidet aus Anrufen der Reichs- oder Landesregierungen der Staatsgerichtshof (s. d.), falls nicht durch RGesetz ein anderes Gericht be­ stimmt ist. Zu unterscheiden davon ist die Entschei­ dung des RG. gemäß Art. 13 RV. und G. vom 8.4.1920 (RGBl. 510) wegen Vereinbarkeit einer Landesrechtsnorm mit dem Reichsrecht (s. o. bei Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung). S. a. Verordnungen. VIII. I n k r a f t b l e i b e n des früheren Reichsrechts. Nach Art. 178 RV. bleiben die vor Erlaß derselben ergangenen R. und Reichs(Rechts-) Verordnungen, welche der NB. nicht zuwiderlaufen, in Kraft. Ebenso die auf Grund aller bisherigen (also auch der durch die RV. auf­ gehobenen) G. in rechtsgültiger Weise von den Behörden getroffenen Anordnungen, bis sie durch anderweitige Anordnungen oder G. ausgehoben werden. Ly.

Gesetzliche Miete mietengesetz.

s.

Miete und

Reichs­

Gesetzsammlung. Die G. — früher Gesetz­ sammlung für die kgl. preuß. Staaten genannt, jetzt „Preußische Gesetzsammlung" (AOrder vom 24. 11. 1906, GS. 439) — ist durch B. vom 27. 10. 1810 (GS. 1) begründet worden. Ur­ sprünglich nur für die Bekanntmachung derjenigen Gesetze und Verordnungen bestimmt, welche mehr als ein einzelnes Regierungsdepartement be­ trafen, ist sie durch § 1 des Gesetzes, betr. die Publikation der Gesetze vom 3.4.1846 (GS. 151), zum Bekanntmachungsorgan für alle landesherr­ lichen Erlasse ohne Unterschied, ob sie für die ganze Monarchie oder nur für Teile derselben Geltung haben, dergestalt bestimmt worden, daß landesherrliche Erlasse Gesetzeskraft nur durch^die Aufnahme in die G. erlangten. Das gleiche ist in den V. vom 1. 12. 1866 (GS. 743) und 29. 1. 1867 (GS. 139), durch welche die G. in

Gesetzsammlungsamt des Reichs - - Gesundheitsamt (internationales) den neu erworbenen Landesteilen eingesührt wurde, ausgesprochen. Ebenso schrieb die VU. vom 31. 1. 1851 in Art. 106 vor, daß Gesetze und Verordnungen nur verbindlich sein sollten, wenn sie in der vom Gesetz vorgeschriebenen Form be­ kanntgemacht worden sind. In Einschränkung des Gesetzes vom 3. 4. 1846 ist durch Gesetz vom 10. 4. 1872 (GS. 357) für landesherrliche Er­ lasse bestimmter Art die Veröffentlichung in den ABl. (s. d.) für ausreichend erklärt worden. Da nach Art. 81 VU. die bestehenden Gesetze und Verordnungen insoweit in Kraft geblieben sind, als ihnen nicht die VU. entgegensteht, sind die gedachten Vorschriften für die Prüfung der Rechtsgültigkeit der vor Erlaß der VU. ergangenen Gesetze und Verordnungen noch von Bedeutung. Auch die VU. hat in Art. 60 die G. als amtliches Publikationsorgan für Gesetze und vom LT. genehmigte Staatsverträge bestimmt. Hinsichtlich der vom StM. oder einzelnen Staatsministern ergehenden Rechtsverordnungen ist die Art der Veröffentlichung durch G. vom 9. 8. 1924 (GS. 597) besonders geordnet (s. Gesetze, preußische). Durch Gesetz vom 10. 3. 1873 (GS. 41) ist die ziemlich ausgedehnte Verpflich­ tung zum Halten der G. auf die Gemeinden und selbständigen Gutsbezirke, unter der Ermäch­ tigung für die RP., Gutsbezirke und kleinere Ge­ meinden hiervon auf Zeit zu entbinden, beschränkt worden. Für die Redaktion der G. besteht unter dieser Bezeichnung eine dem StM. unmittelbar unterstellte besondere Behörde, während der Ver­ trieb seit 1. 1. 1928 dem Verlag von Decker übertragen ist (GS. 1927, 210). Ly. Gesetzsammlungsamt deS Reichs s. Reichs­ gesetze. Gestütwesen. Bis 1849 hatte der kgl. Ober­ stallmeister die Oberleitung der Gestütangelegen­ heiten. Hierzu gehörten die kgl. Marstallverwaltung, der Obermarstall, das G. und alle die Landespferdezucht betreffenden Angelegenheiten. Besonders wichtige Fragen wurden vom König durch KabO. geregelt. Mit der Errichtung des MfL. wurde diesem die Gestütverwaltung und die Förderung der Landespferdezucht unterstellt. Die Gestütverwaltung bildet innerhalb der land­ wirtschaftlichen Verwaltung einen selbständigen Zweig und hat einen eigenen Etat (Etat der Ge­ stütverwaltung). An ihrer Spitze steht als tech­ nischer Leiter der Oberlandstallmeister, der zu­ gleich Leiter der gesamten Abteilung für Tier­ zucht im MfL- ist und den Rang eines Ministerial­ direktors hat. — Die Gestüte sind Haupt- und Zuchtgestüte oder Landgestüte. Die Haupt- und Zuchtgestüte haben aus der Zucht von Haupt­ beschälern (Vollblut-, Warmblut- und Kaltblut­ beschälern) mit ausgewählten Vollblut-, Warm­ blut- und Kaltblutstuten ihren eigenen Ersatz und einen Teil des Ersatzes für die Landgestüte zu liefern. Der weitere Bedarf der Landgestüte wird durch Ankauf von Hengsten aus Privat­ gestüten gedeckt. — Die Hengste der Landgestüte (Landbeschäler) werden während der Deckzeit auf die Hengststationen ihres Geltungsbereichs ver­ teilt. — Für die Benutzung der staatlichen Be­ schäler werden von den Stutenbesitzern Deckgelder, deren Höhe nach der Qualität der Hengste usw. abgestuft ist, und Fohlengelder erhoben; zum Nachweise der Abstammung werden den Be-

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sitzern Fohlenscheine ausgestellt. Nach dem Etat für 1926 waren vorhanden: A. Hauptgestüte. 1. Trakehnen mit 17 Haupt­ beschälern, 350 Mutterstuten, 2. Graditz mit 3 Hauptbeschälern, 100 Mutterstuten, 3. Beber­ beck mit 6 Hauptbeschälern, 120 Mutterstuten, 4. Neustadt a. d. Dosse mit 3 Hauptbeschälern, 78 Mutterstuten, 5. Altefeld mit 4 Hauptbeschä­ lern, 50 Mutterstuten (letzteres nur Vollblut). B. Landgestüte. 1. Ostpreußisches in Rasten­ burg mit 195 Landbeschälern, 2. in Braunsberg mit 175, 3. in Georgenburg mit 200, 4. in Gudwallen mit 250, 5. in Marienwerder mit 165, 6. Pommersches in Labes mit 210, 7. Branden­ burgisches in Lindenau (b. Neustadt a. d. Dosse) mit 227, 8. Niederschlesisches in Leubus mit 170, 9. Oberschlesisches in Cosel mit 210, 10. Säch­ sisches in Kreuz bei Halle a. d. S. mit 210, 11. Schleswig-Holsteinisches in Traventhal mit 145, 12. Hannoversches in Celle mit 340, 13. in Osnabrück mit 100, 14. Westfälisches in Waren­ dorf mit 240, 15. Hessen-Nassauisches in Dillen­ burg mit 180,16. Rheinisches in Wickrath mit 110. C. Besondere Einrichtungen. Die Gestüt­ verwaltung unterhält ferner eine Hengstaufzucht­ anstalt in Hunnesrück in Hannover. Hier werden jährlich etwa 100 freihändig gekaufte hannover­ sche Hengstfohlen eingestellt, als Hengste auf­ gezogen und, wenn geeignet, als Beschäler an die Landgestüte abgegeben. — In Zwion bei Georgenburg i. Ostpr. befindet sich außerdem eine Hengstprüfungsanstalt, in welcher die oftpreußischen Hengste vor ihrer Einstellung in die Landgestüte — jährlich etwa 100 — Leistungs­ prüfungen abzulegen haben. Im Jahre 1925 wurden von 3077 Landbeschälern 117672 Stuten gedeckt, wovon 74567 tragend wurden, die 62680 lebende Fohlen brachten. An der Spitze der Haupt- und Landgestüte stehen Oberstallmeister bzw. Landstallmeister. Die Gestüte unterstehen unmittelbar dem MfL. Gat. Gesundheitsamt (internattonaleS). Die Inter­ nationale Übereinkunft vom 3. 12. 1903 (L übertragbare Krankheiten VIII), aufrecht­ erhalten gemäß Art. 282 Ziff. 19 des Versailler Friedensvertrages (s. d.), sieht in Art. 181 (RGBl. 1907, 513) bin Schaffung eines G vor. Eine be­ sondere Kommission der Konferenz hatte hierfür Grundzüge aufgestellt (Anl. III der Übereinkunft a. a. O. S. 542), nach denen das i. G. die Auf­ gabe haben sollte, Nachrichten über den Gang der ansteckenden Krankheiten zu sammeln. Auf Grund einer ferneren internationalen Übereinkunft vom 9. 12. 1907 in Rom, an welcher Deutschland nicht beteiligt war, haben Belgien, Brasilien, Spanien, d'e Vereinigten Staaten von Nordamerika, Frank­ reich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Portugal, Rußland, Schweiz und Ägypten das i. G. mit dem Namen „Office international d’hygidne publique" und dem Sitz in Paris errichtet. Das Amt hat die Aufgabe, bedeut­ samere Tatsachen und Schriftstücke, die das öffentliche Gesundheitswesen betreffen, zu sam­ meln und zur Kenntnis der Vertragsstaaten zu bringen. Die Kosten des Amts werden durch Beiträge der Bertragsstaaten gedeckt. Den anderen Staaten ist der Beitritt offengehalten. 5. auch Reichsgesundheitsamt. Bsch.

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Gesundheitspolizei — Gesundheitsrat (Reichs-)

Gefrrndheitdtornrniffionen als beratende Or­ gane der Polizeibehörde müssen auf Grund der §§ 10ff. des G. vom 16. 9. 1899, betr. die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen (GS. 172), für alle Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern gebildet werden. Uber die Zusammensetzung und Bildung beschließen in Städten die nach der StO. für die Bildung von Kommissionen (Deputationen) zuständigen Organe; in größeren Städten können solche Kommissionen für einzelne Stadtbezirke gebildet werden; der MfV. ist auch (§ 10 Abs. 3 a. a. O.) ermächtigt, es bei der bisherigen Ein­ richtung der Sanitätskommissionen, welche nach Maßgabe des Regul. vom 8. 8.1835 (GS. 240) ge­ bildet waren, zu belassen. In ländlichen Gemein­ den bestimmt der LR. über Zusammensetzung, Mitgliederzahl und Geschäftsgang der G. In Gemeinden mit 5000 Seelen und weniger ist die Bildung freigestellt, in Städten muß sie erfolgen, wenn der RP., in Landgemeinden, wenn der LR. mit Zustimmung des KrA. es anordnet. Die Mit­ glieder der Kommissionen verwalten ihr Amt als Ehrenamt; für die Verpflichtung zur Annahme und für die Ablehnung gelten dieselben Vor­ schriften wie betreffs der Gemeindeämter, ausge­ nommen, daß ärztliche Praxis nicht als Ableh­ nungsgrund gilt. Der Kreisarzt kann an allen Sitzungen teilnehmen und die Zusammenbe­ rufung jederzeit verlangen. Die G. hat die Aus­ gabe (811 a. a. O.): von den gesundheitlichen Ver­ hältnissen des Ortes sich Kenntnis zu verschaffen und die Maßnahmen der Polizeibehörde, insbe­ sondere bei Verhütung des Ausbruchs oder der Verbreitung gemeingefährlicher Krankheiten, zu unterstützen; über alle vom LR., von der Polizei­ behörde oder dem Gemeindevorstande ihr vor­ gelegten Fragen des Gesundheitswesens sich gut­ achtlich zu äußern; diesen Behörden Vorschläge auf dem Gebiete des Gesundheitswesens zu ma­ chen. In Ausführung des G. ist dmch Erl. vom 13. 3.1901 (MMBl. 66) eine Geschäftsanweisung für die G. erlassen, welche Bildung, Zusammen­ setzung, Aufgaben, Verhältnisse zum Kreisarzt und Geschäftsgang des nähern regelt. Bsch. Gesundheitspolizei ist derjenige Zweig der Sicherheitspolizei, der auf die Abwendung gesund­ heitlicher Gefahren gerichtet ist. Ihre Aufgabe ist Gefahrenabwehr; damit steht sie im Gegensatz zu allen Maßnahmen, die die Gesundheit der Bevölkerung fördern sollen. Wie auf allen anderen Gebieten der polizeilichen Wirksamkeit darf nur gegen bevorstehende Gefahren eingeschritten wer­ den (s. Polizei II). Unzulässig sind daher vor­ beugende Maßnahmen, soweit nicht gesetzlich der Polizei besondere Befugnisse eingeräumt sind. Das Gebiet der G. ist vielfach gesetzlich geregelt, so namentlich hinsichtlich der Bekämpfung über­ tragbarer Krankheiten (s. d.) und der Über­ wachung der Lebensmittel (s. d.), Bedarfs­ gegenstände. Soweit eine gesetzliche Regelungnicht besteht, ist ein Vorgehen auf Grund des § 10II17 ALR. zulässig. Die G. Hatzum Gegenstand einmal die Regelung der sachlichen und persönlichenMittel der Krankheitsbekämpfung. Hierzu gehört die Ord­ nung 1. der Verhältnisse der Heilpersonen: Arzte, Apotheker, Hebammen, Heilgehilfen, Leichen­ schauer, Kurpfuscher; 2. derjenigen der Heilanstal­ ten: Kranken- (Entbindungs-, Irren-, Blinden-,

Taubstummen-, Krüppel-) Anstalten, Sanatorien, Heilstätten, Trinkerasyle, Unfall- und Rettungs­ wachen, Heilbäder und Kurorte; 3. des Verkehrs mit Heilmitteln: Apothekenbetrieb, Arzneihandel außerhalb der Apotheken, Geheimmittelverkehr. Des weiteren ist ihre Aufgabe die Abwehr der Ge­ fahren, die Krankheiten mit sich bringen, mag es sich um den Schutz der Kranken selbst oder um den der Allgemeinheit vor den Gefahren, die von den Kranken ausgehen, handeln. Die Ausübung der G. ist zum Teil den ordentlichen Polizei­ behörden entzogen. So ist der Schutz der im Bergbau beschäftigten Arbeiter durch § 196 des Allg. BergG. vom 24. 6. 1865 (GS. 705) den Bergbehörden überwiesen; der Schutz der gewerb­ lichen Arbeiter gegen Berufsgefahren ist Aufgabe der Gewerbepolizeibehörden. Im übrigen regelt sich die sachliche Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften. Handelt es sich um Gefahren, die vom Auslande her oder im Jnlande ein größeres Gebiet bedrohen, so ist die Landespolizeibehörde, d. h. der RP., zuständig. Das trifft namentlich bei der G. auf Flüssen und in Häfen zu. In allen anderen Fällen, bei denen es sich um den Schutz der örtlichen Gemeinschaft handelt, ist die OPB. zuständig, auch wenn die Maßnahmen gleichzeitig die Wirkung haben, daß der weiteren Verbreitung der Gesundheitsgefahr vorgebeugt wird (vgl. §§ 6f. des G. über die Polizeiverwaltung vom 11. 3.1850, GS. 265, und der V. vom 20. 9.1867, GS. 1529). Bei der Bekämpfung der übertrag­ baren Krankheiten kann der LR., auch in kreis­ angehörigen Städten, die Amtsverrichtungen der OPB. im Einzelfall übernehmen. In höchster Instanz ist der MfV. zuständig. Der Form nach können die Anordnungen auf gesundheitspolizei­ lichem Gebiet sowohl als Polv. zur allgemeinen Regelung wie als Polizeiverfügungen zur Rege­ lung eines Einzelfalls ergehen. Zuweilen ist eine bestimmte Form vorgeschrieben, z. B. bei der Leichenschau gemäß § 10 des G. vom 30. 6. 1900 (RGBl. 306) die der Polv. Bor dem Erlaß von Polv. ist der Kreisarzt gutachtlich zu hören (§ 7 des G., betr. die Dienststellung des Kreisarztes usw., vom 16. 9. 1899, GS. 172). Da es sich um einen Teil der Sicherheitspolizei handelt, bedarf es beim Erlaß von Polv. in Städten nicht der Zustimmung des Gemeindevorstandes (§ 143 LVG., der aber die Notwendigkeit der Beratung gemäß § 5 und der Zustimmung gemäß § 7 des G. über die Polizeiverwaltung unberührt läßt). Zur Durchsetzung ihrer Anordnungen auf gesund­ heitspolizeilichem Gebiet stehen der Polizei die­ selben Zwangsmittel zu Gebote wie auf den anderen Gebieten der polizeilichen Wirksamkeit. S. auch Beterinärpolizei. Bsch. GesundheitSral (Reichs-). Auf Grund dos § 43 des G. vom 30. 6. 1900 (RGBl. 306) ist beim Reichsgesundheitsamt (s. d.) ein Reichs­ gesundheitsrat gebildet, um das Gesundheitsamt bei Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Ihm steht das Recht des unmittelbaren Verkehrs mit den Landesbehörden zu. Seine Mitglieder werden vom RR. auf fünf Jahre gewählt. Er ist in elf Ausschüsse eingeteilt für: 1. Gesundheits­ wesen im allgemeinen (einschließlich Heilperso­ nalangelegenheiten), insbesondere:: soweit Woh­ nung, Heizung, Lüftung, Beleuchtung, Beklei­ dung, Bäder, Bestattung, Leichenbeförderung in

Gesundheitszeugnisse für Vieh — Getreideläger

Betracht kommt; 2. Ernäherungswesen aus­ schließlich Fleischbeschau; 3. Wasserversorgung und Beseitigung der Abfallstoffe, Reinhaltung der Gewässer; 4. Gewerbehygiene; 5. Seuchen­ bekämpfung; 6. Soziale Gesundheitsfürsorge (einschließlich Schulgesundheitspflege); 7. Heil­ mittel, Verkehr mit Giften; 8. Schiffs- und Tro­ penhygiene; 9. Beterinärwesen einschließlich der Fleischbeschau; 10. Bevölkerungswesen undRassenhygiene; 11. Statistik. Vorsitzender des G. ist der Präsident des Reichsgesundheitsamtes. Die Mit­ glieder sind größtenteils Arzte, Chemiker, Phar­ mazeuten, Verwaltungsbeamte. Sie verwalten ihr Amt als Ehrenamt. S. auch Landes­ gesundheitsrat. Bsch. Gesundheitszeugnisse für Vieh s. Ursprungs­ zeugnisse. Backh. Getreide (im Zollverkehr). Nach einer im allgemeinen sehr geringen Zollbelastung des G. seit dem preußischen ZollT. von 1818 (GS. S. 70, 87) erklärte die V. vom 17. 6. 1865 (GS. 559) G. für zollfrei. Die Zollfreiheit erhielt sich während der bis zum Jahre 1879 andauernden freihändlerischen Richtung der deutschen Zolltarispolitik. Der Tarif vom 15. 7. 1879 (RGBl. 212) nahm entsprechend seinem Grundsätze des Schutzes der heimischen Erzeugnisse den Zoll für G. wieder auf, und zwar setzte er ihn für Weizen, Roggen und Hafer auf 1 X, für Gerste auf 0,50 X für den Doppelzentner fest. Diese Zoll­ sätze wurden erhöht durch die Novelle vom 22. 5. 1885 (RGBl. 93) für Weizen und Roggen auf 3 X, für Hafer und Gerste auf 1,50 X, durch die Nov. vom 21. 12. 1887 (RGBl. 533) für Weizen und Roggen auf 5 X, für Hafer auf 4 X und für Gerste auf 2,25 X. Die sog. Caprivischen Han­ delsverträge aus den Jahren 1891—1894 er­ kauften Zugeständnisse des Auslandes für deutsche Jndustrieerzeugnisse zum großen Teil mit Zu­ geständnissen Deutschlands für ausländische land­ wirtschaftliche Erzeugnisse; dadurch sanken die Zollsätze für Weizen und Roggen auf 3,50 X, für Hafer auf 2,80 X, für Gerste auf 2 X. Die Vertreter der deutschen Landwirtschaft erklärten, bei einer derartigen Bemessung der Getreide­ zölle den Wettbewerb mit dem unter günstigeren Bedingungen erzeugenden Auslande — Ruß­ land, Osterreich-Ungarn, Rumänien, Vereinigte Staaten von Amerika, Kanada, Argentinien — bei den Transportverhältnissen der Neuzeit auf­ geben zu müssen und erzielten im Tarif vom 25. 12. 1902 (RGBl. 303) nicht nur eine wesent­ liche Erhöhung der Getreidezölle, sondern auch ein Mindestmaß, unter das sie durch vertragsmäßige Abmachungen nicht herabgesetzt werden sollten. Das G. über Zolländerungen vom 17. 8. 1925 (RGBl. I 261) hat dieses Zugeständnis beseitigt bzw. durch ein anderes ersetzt (s. ZollT. II). Wegen der weiteren Entwicklung der Getreide­ zölle infolge des Weltkrieges (weitgehende Zoll­ freiheit) und in der späteren Zeit (Wiederher­ stellung des Zollschutzes durch das erwähnte G. vom 17. 8. 1925) s. unter Schutzzölle. Eine Stundung der Getreidezölle ist durch § 12 ZollTG. für unzulässig erklärt. Wegen der beson­ deren Bestimmungen für die Zollbehandlung der Gerste s. Gerste. Sdt. Getreidelüger. Bei Wiedereinführung der Getreidezölle im Tarif von 1879 schuf das zu-

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gehörige ZollTG. (RGBl. 212) in seinem § 7 zur Erleichterung des Getreidedurchfuhrhandels die Einrichtung der sog. G., d. h. offener, nicht unter Mitverschluß der Zollverwaltung stehender Privattransitläger (s. Niederlagen^. 3) für Ge­ treide und andere Erzeugnisse des Landbaues, in denen die Behandlung und Umpackung der ge­ lagerten Waren uneingeschränkt und ohne An­ meldung, sowie ihre Mischung mit inländischer Ware zulässig ist. Die G. sind entweder reine oder gemischte, je nachdem aus ihnen das gelagerte Getreide nur in das Ausland abgesetzt werden oder auch durch Verzollung in den Jnlandsverbrauch übergehen darf. Die gemischten Läger enthalten für den Lagerinhaber insofern einen großen Vorzug vor den reinen, als sie ihn von der Notwendigkeit entbinden, doppelte Bestände, nämlich unverzollte für den Absatz nach dem Ausland und verzollte für den Absatz nach dem Inland, zu halten. Voraussetzung für die Bewilligung der G. bleibt stets die Förde­ rung des Durchfuhrhandels. Als im Jahre 1894 durch die sog. Aufhebung des Identitätsnach­ weises und die Schaffung der Einfuhrscheine (s. Zoll II 7c) dem Handel die Möglichkeit geboten wurde, sowohl für inländisches wie für verzolltes ausländisches Getreide im Falle der Ausfuhr eine dem Eingangszoll entsprechende Vergütung zu erhalten, forderten die Vertreter der deutschen Landwirtschaft die Aufhebung der gemischten G., für die nunmehr ein Bedürfnis nicht mehr be­ stehe, da infolge der Einsuhrscheine auch verzolltes Getreide vorteilhaft in das Ausland abgesetzt werden könne. Tatsächlich würden die gemischten Läger gar nicht zur Förderung des Durckfuhrhandels, sondern zur Versorgung des Inlands­ marktes mit billiger ausländischer Ware benützt. Die mit dem Lager gewährte zinsfreie Zoll­ stundung mache es möglich, ausländisches Ge­ treide über den Bedarf hinaus einzuführen und dadurch den Preis des inländischen Getreides herabzudrücken. Demgegenüber beharrte der Ge­ treidehandel darauf, daß er die gemischten Läger nicht entbehren könne. Das ZollTG. vom 26.12. 1902 (RGBl. 303) entschied sich für ihre Bei­ behaltung, indem es davon ausging, daß durch die Bestimmung seines § 12, wonach bet Zoll für Getreide für die Zeit seiner zollfreien Lage­ rung im Jnlande zu verzinsen ist,, die Einwen­ dungen gegen die Läger in der Hauptsache be­ seitigt seien und daß im übrigen bei einem etwaigen Mißbrauch, d. h. bei ihrer Benutzung zu anderen Zwecken als zur Förderung des Durchfuhrhandels, die Verwaltung im Einzelfalle von ihrem Wider­ rufsrecht Gebrauch machen könne. Gemischte G. dürfen nicht allerorts, sondern nur an den vom BR. (jetzt RR.) bestimmten Orten bewilligt werden (ZollTG. § 11 Abs. 3). Diese Orte sind u. a.: Königsberg i. Pr., Stettin, Lindau, Ludwigshafen a. Rh., Mannheim, Kon­ stanz, Pillau, Friedrichshafen, Altona, Kehl. Zur Lagerung in den als G. behandelten Lägern sind nach dem ZollTG. vom 25. 12. 1902 außer Getreide (Nr. 1—8 des Tarifs) noch Hülsensrüchte (Nr. 11, 12) und zollpflichtige Ölfrüchte (Nr. 13 bis 15, 17) zugelassen. Die zollrechtliche Behand­ lung der gelagerten Waren ist eine verschiedene, je nachdem für sie im Falle der Ausfuhr Einfuhr­ scheine erteilt werden^dürfen oder nicht. Zur erste-

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Getreidelagerhäuser — Getreidemühlen

ren Gattung gehören Roggen, Weizen, Spelz, Gerste, Hafer, Hülsenfrüchte, zur zweiten die vor­ stehend nicht genannten Getreidearten (z. B. Mais) und zollpflichtige Ölfrüchte. Die Grund­ lagen für die zolllrechtliche Behandlung sind im § 11 Ziff. 1 Abs. 2—3 des ZollTG. gegeben, die näheren Bestimmungen in der GetreidelagerZollordnung (ZBl. 1906, 352) enthalten, die sich mit Nachträgen bei Troje-Düffe, Die Ord­ nungen usw. zu den Zollgesetzen, Teil II Ziff. XV, abgedruckt findet. Soweit diese keine abweichen­ den Bestimmungen enthält, finden die allgemei­ nen für offene Läger ergangenen Vorschriften des Privatlagerregulativs (f. Niederlagen^.3) Anwendung. Sdt. Getreidelagerhäuser. Einem Wunsche weiter landwirtschaftlicher Kreise entsprechend (in der Öffentlichkeit besonders vertreten durch v. GraßKlanin) hat der Staat Ende der 90 er Jahre der Anlage von G. (Kornhäusern, Kornsilos) seine Unterstützung zugewandt. Durch die G. vom 3. 6.1896 (GS. 100) und vom 8. 6.1897 (®S.171) sind der Staatsregierung zusammen 5 Mill. JC „zur Errichtung von landwirtschaftlichen G." zur Verfügung gestellt worden, mit deren Hilfe im ganzen 36 Kornhäuser angelegt und eingetragenen Genossenschaften zunächst auf fünf Jahre gegen allmählich steigende Miete, Amortisation und teil­ weise Abtretung von evtl. Überschüssen überlassen wurden. Diese Kornhäuser hatten ein Fassungs­ vermögen von cci. 460001 und erzielten zunächst einen jährlichen Umsatz von ca. 120000 t. Nach Ablauf der Pachtverträge wurden die Kornhäuser großenteils von den landwirtschaftlichen Genossen­ schaften übernommen. Zweck der Errichtung der G. war nach der Begründung des Gesetzentwurfs vom 23. 4. 1896: 1. die bessere Möglichkeit, das in die G. eingebrachte Getreide durch Reinigung, Trocknung, Mischung und Sortierung zu einer möglichst guten, gleichmäßigen und leicht absetz­ baren Ware herzurichten, 2. eine Regulierung der Preise nur nach Maßgabe des sich fühlbar machen­ den tatsächlichen Bedarfs, 3. die Eröffnung eines gesunden Kredits für die Landwirte durch Lom­ bardierung der eingelagerten Getreidebestände, 4. die möglichste Verbilligung der Handelsspesen und Transportkosten beim Verkauf des Getreides durch die Vermittlung der G. Auf dem Wege zu diesen weitgesteckten Zielen konnte die Er­ richtung von G., zumal in dem anfänglichen ge­ ringen Ausmaß, naturgemäß nur einen Schritt bedeuten. Trotz der besonders zu Beginn scharfen Kritik des zünftigen Getreidehandels, dessen völlige Ausschaltung übrigens nie Zweck der G. sein sollte, und der freihändlerischen Richtung der Nationalökonomie bleibt aber unbestritten, daß es mit Hilfe der G. vielfach gelungen ist, eine zu­ weilen unerträgliche Machtstellung des ländlichen Getreidehandels zu durchbrechen und bedeutende Getreidemengen vor der Verschleuderung oder Verfütterung zu bewahren. Auch gewann der für die Produktion und Preisbildung so bedeut­ same Export durch die Errichtung der G., auf denen das Getreide angesammelt und zum Export vorbereitet werden konnte, entschiedene Förde­ rung. Das gilt besonders für Pommern, wo die Kornhausidee durch das Vorhandensein bereits starker landwirtschaftlicher Organisationen auf be­ sonders günstigen Boden fiel. Die weitere Ent­

wicklung bewegte sich dann auch im Rahmen des allgemeinen erfolgreichen Anwachsens der ge­ nossenschaftlichen Bewegung durchaus in auf­ steigender Linie. Eine geradezu ausschlaggebende Bedeutung erlangten die G. im Kriege als Sammelplätze für die landwirtschaftlichen Ab­ lieferungen an Heer und die behördlichen Er­ fassungsorgane, wie dies die Vorkämpfer der Kornhausidee richtig vorausgesehen hatten. Zur Behebung der außerordentlichen Schwierigkeiten, denen der Absatz insbesondere des Roggens zu auskömmlichen Preisen nach der Währungs­ stabilisierung wiederum begegnet, kommen die G., die zur Zeit über etwa 15 mal mehr Fassungs­ vermögen verfügen als die seinerzeit mit Staats­ hilfe erbauten G., als Hilfsmittel mehr als je in Frage. So sind erst in neuester Zeit wiederum Pläne gestaltet worden, mit Hilfe der G. den Landwirten durch die mit der Lagerhausbewegung seit alters verbundene Preußische Zentral­ genossenschaftskasse Lombardierungskredite in un­ gewöhnlichem Maßstabe zu ermöglichen. Freilich dürfte bei der Schwere der zu überwindenden Hindernisse all diesen Bestrebungen tiefgreifende und nachhaltige Wirkung erst durch die Anfang 1926 erfolgte Gründung der Deutschen GetreideHandels-Gesellschaft in Berlin beschieden sein, die mit ihrem im wesentlichen von den landwirtschaft­ lichen Genossenschaften aufgebrachten Eigenkapital von 15000000 RM und unterstützt durch einen beträchtlichen Reichskredit dazu berufen ist, in gewisser Hinsicht ähnliche Ziele zu verfolgen, wie sie den G. von Beginn an zugedacht sind. Auch bei der Verwirklichung der neuerlichen Bestre­ bungen, Standardqualitäten für die landwirt­ schaftlichen Produkte herauszubringen und damit deren Absatz zu erleichtern, werden die G. natur­ gemäß eine hervorragende Rolle spielen. Das staatliche Versuchskornhaus in Berlin, das dazu bestimmt war, die besten Methoden und Ein­ richtungen für die Lagerung des Getreides durch Versuche sestzustellen, ist seit dem Kriege ander­ weit verpachtet. Neben den genossenschaftlichen G. besteht noch eine große Anzahl von erwerbs­ gesellschaftlichen G. zum Teil erheblichen Fassungs­ vermögens, die aber unmittelbarer agrarpolitischer Bedeutung entbehren, sondern in großem Um­ fange den Umschlag und die Lagerung auslän­ dischen Getreides betreiben. Bdt. Getreidemühlen. Nach Bek. vom 26. 4. 1899 (RGBl. 273) und vom 15. 11. 1903 (RGBl. 287) ist in G. den bei der Bedienung der Mahlgänge be­ schäftigten Gehilfen und Lehrlingen (Personen unter 16 Jahren, die die Ausbildung zum Gehilfen noch nicht erreicht haben), auch wenn die Beschäf­ tigung nicht auf Grund eines Lehrvertrags statt­ findet, innerhalb der auf den Beginn ihrer Arbeit folgenden 24 Stunden eine ununterbrochene Ruhepause von mindestens 8 Stunden zu gewäh­ ren. Werden die G. ausschließlich oder vorwie­ gend mit Dampfkraft betrieben, so hat^die ununter­ brochene Ruhezeit mindestens 10 Stunden zu be­ tragen. Bei Betrieben mit regelmäßiger Tagund Nachtschicht kann die Ruhezeit an Sonntagen, an denen auf Grund des § 105e Abs. 1 GewO., oder zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens die Beschäftigung von Arbeitern zuge­ lassen ist, insoweit beschränkt werden, als die Durchführung des wöchentlichen Schichtwechsels

Gewaltschädengesetz — Gewerbe

es erforderlich macht. Auf G., in deren Betrieb ausschließlich Wind als Betriebskraft benutzt wird, finden diese Vorschriften keine Anwendung. Für G., welche ausschließlich mit durch unregelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten und nicht mehr als einen Gehilfen beschäftigen, können durch die uV. (s. d.) Ausnahmen von der vorge­ schriebenen Ruhezeit an höchstens 15 Tagen im Jahre zugelassen werden. Lehrlinge unter 16 Jah­ ren dürfen in G. aller Art nicht in der Nachtzeit von 8x/2 Uhr abends bis 5x/2 Uhr morgens beschäf­ tigt werden. Für die nicht als Fabriken anzu­ sehenden G. mit Ausnahme derjenigen, in welchen -ausschließlich oder vorwiegend Dampfkraft ver­ wendet wird, gelten außerdem für die Beschäfti­ gung von jugendlichen Arbeitern und von Arbei­ terinnen folgende Vorschriften: Kinder unter 13 Jahre dürfen überhaupt nicht, Kinder über 13 Jahre nur dann beschäftigt werden, wenn sie nicht zum Besuche der Volksschule verpflichtet find. Arbeiterinnen über 16 Jahre, die ein Haus­ wesen zu besorgen haben, sind aus ihren Antrag V2 Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, so­ fern diese nicht mindestens lx/2 Stunde beträgt. Wöchnerinnen dürfen während vier Wochen nach ihrer Niederkunft überhaupt nicht und während der folgenden zwei Wochen nur beschäftigt werden, wenn das Zeugnis eines approbierten Arztes dies für zulässig erklärt. Für G., in denen ausschließlich oder vorwiegend Dampfkraft verwendet wird, greifen, sofern sie nicht als Fabriken anzusehen find, außerdem die Vorschriften über die Beschäf­ tigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Ar­ beitern in Motorwerkstätten mit Ausnahme der­ jenigen mit Wasserbetrieb (s. Motorwerkstätten H) Platz. Strafvorschriften in § 147 Abs. 1 Ziff. 4 GewO. Im übrigen ist die vorstehende Regelung für G. durch die Vorschriften des Achtstundentags < Anordnung vom 23. 11.1918 sRGBl. 1334] und V. vom 21. 12. 1923 sRGBl. 11243] in der Fas­ sung des G. vom 14.4.1927) beeinflußt. G. ge­ hören zu den Betrieben, deren Natur nach eine Unterbrechung nicht gestattet ist (IV der Anordnung vom 23.11.1918). Ebenso gehören sie zu den Gewerbzweigen, bei denen regelmäßig und in erheb­ lichem Umfange Arbeitsbereitschaft vorliegt (§ 2 der V. vom 21. 12. 23, RGBl. I 1240, in der Fassung des G. vom 14. 4. 1927, RGBl. 1110). S. auch Stauanlagen. F. H. Gewaltschädengesetz s. Kriegsschäden. Gewässerkunde s. Landesanstalt für Ge­ wässerkunde. Gewerbe. Unter dem Begriff G. wird jede gleichmäßig fortgesetzte, auf Gewinn gerichtete selbständige Tätigkeit verstanden, d. h. eine Tätig­ keit, welche den Entschluß erkennen läßt, dieselben Gewerbshandlungen zum Zwecke der Gewinn­ erzielung zu wiederholen (vgl. KGB. 3, 281; 10, 188; 11, 244; 12, 193; 16, 316; 17, 351 sowie RGZ. 39, 137). Der Entschluß kann unter Um­ ständen schon aus einer Einzelhandlung entnom­ men werden. Nicht erforderlich ist, daß die Ab­ sicht besteht, dauernd den Lebensunterhalt zu ge­ winnen, denn der Begriff der gewerblichen Tätig­ keit ist in den Gesetzen nirgends durch das Merk­ mal bestimmt, daß der Unternehmer die Absicht hat, nachhaltig den Unterhalt seines Lebens zu finden; es kann daher eine gewerbsmäßige Tätig­ keit auch angenommen werden, wenn der Betrieb

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nur an Festtagen stattfindet (OTr. vom 2. 3.1871, MBl. 151). Als ein G. kommt zwar nur eine nach den Gesetzen erlaubte Erwerbsart in Betracht. Ein an sich erlaubter Gewerbebetrieb hört aber da­ durch, daß bei jeder einzelnen Betriebshandlung ein Strafgesetz verletzt wird, z. B. Trödelhandel mit gestohlenen Sachen, nicht auf, Gewerbebetrieb zu sein (OVG. 35, 335 sowie OBGSt. 1, 282; KGB. 35 C 3). Bei der Begriffsbestimmung G. kommt es nicht darauf an, ob der Unternehmer der gewerblichen Tätigkeit seinen eigenen persön­ lichen Zweck fördern will. Wie der Unternehmer über den Ertrag verfügt, ist eine Angelegenheit seines Ermessens und kann an der Tatsache, daß ein G. betrieben wird, nichts ändern (OVG. vom 17. 12. 1901, PrVBl. 24, 168; KGB. 22 C 29). Entscheidend ist die Absicht, nicht die Tatsache der Gewinnerzielung. Arbeitgeberverbände, gemein­ nützige Vereine usw. üben so lange eine gewerbs­ mäßige Tätigkeit nicht aus, als ihnen die Absicht der Gewinnerzielung fehlt. Hieran ändert auch die Tatsache der Gebührenerhebung für Gewäh­ rung bestimmter Leistungen nichts, sofern die Ge­ bühren lediglich zur Deckung der Unkosten erhoben werden. Soll aber durch die Gebühren ein regel­ mäßiger Überschuß erzielt werden, so liegt selbst dann ein gewerbliches Unternehmen vor, wenn der erzielte Gewinn bestimmungsmäßig zu gemein­ nützigen Zwecken verwendet wird. Dadurch, daß in einem einzelnen Jahre Überschüsse erzielt wer­ den, wird der Betrieb noch kein Gewerbebetrieb, ebensowenig wie ein gewerbsmäßiger Betrieb aufhört, ein solcher zu sein, wenn sich statt der Überschüsse Verluste ergeben. Auch daraus, daß beim Beginne des Geschäftsjahres über die Ver­ wendung eines etwaigen Überschusses Bestim­ mung getroffen ist, wird am Charakter des Un­ ternehmens nichts geändert (Erl. vom 5. 8. 1904, HMBl. 453; OVG. vom 31. 1. 1907, PrVBl. 29, 348). Eine wissenschaftliche Vorbildung schließt den Begriff des G. nicht aus, ebensowenig kann aus der Nichtheranziehung zur Gewerbesteuer ge­ folgert werden, daß ein G. nicht vorliegt. Ein Architekt oder Ingenieur wird insoweit zum Ge­ werbetreibenden, als es sich um Leistungen han­ delt, denen ein höheres künstlerisches oder wissen­ schaftliches Schaffen fehltf(OBG. 35,365). Ver­ folgt ein Unternehmer auch gemeinnützige Zwecke, so liegt ein Gewerbebetrieb nur dann vor, wenn der Zweck der Gewinnerzielung den gemein­ nützigen Zwecken gegenüber überwiegt (OVG. 33, 86). Eine gewerbliche Tätigkeit liegt auch vor, wenn das Reich, der Staat oder die Kommunal­ verbände mit dem Zwecke der Gewinnerzielung ein Unternehmen betreiben, nicht aber, wenn diese Tätigkeit öffentlichrechtlichen Zwecken dient, z. B. Geschützfabriken, Bäckereien für die Bedürf­ nisse des Heeres. Eine Tätigkeit für eigene private Wirtschaftszwecke ist kein G., ebensowenig die Tä­ tigkeit eines Konsumvereins, der zur Erzielung billiger Preise Waren auf eigene Rechnung be­ zieht und an die Mitglieder liefert. Dabei ist es gleichgültig, ob die Mitglieder die Waren zum Selbstkostenpreis oder mit Preisaufschlag erhal­ ten, wenn sie nur in diesem Falle ihre Ersparnis in Form der Dividende beziehen. Ein Konsumver­ ein, der auch an Nichtmitglieder verkauft, betreibt ein G. (Erl. vom 27. 7. 1881, MBl. 210 und vom 21.1.1891, OVG. 9,275). Nicht zum G. gehören

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Gewerbeanschafsungsteuer — Gewerbeaufsicht

die Land- und Forstwirtschaft, und zwar weder die Haupt- noch die Nebenbetriebe (RGZ. 1, 266; RGSt. 18, 371). Der Garten- und Weinbau, die freien Künste — Musikunternehmungen — sind, wenn sie nicht einem höheren Kunstinteresse dienen, Gewerbebetriebe (Erl. vom 18. 7. 1907, HMBl. 314), dagegen nicht die persönlichen Dienst­ leistungen höherer Art sowie der Staats-, Ge­ meinde-, Kirchen- usw. Dienst (RGZ. 55, 167). Der Begriff G. im Sinne der GewO, fällt keines­ wegs mit der vorstehenden Begriffsbestimmung zusammen (s. Gewerbeordnung III). S. auch Gewerbesteuer, Einkommensteuer und Um­ satzsteuer. F. H. G ew erb eansch af fungsteuer s. Zubehör st euer. Gewerbeärzte. Zur Unterstützung der tech­ nischen Gewerbeaufsichtsbeamten in gewerbe­ hygienischen Fragen sowie zur Vertiefung der Kenntnisse der durch die gewerbliche Berufsarbeit bedingten krankhaften Veränderungen und deren Vorbeugung und Beseitigung sowie zum Ausbau allgemein gewerbehygienischer Aufgaben und Arbeitsgebiete sind in Preußen fünf G. durch Beschluß des StM. vom 9.9.1921 (GS. 1922,28) als Gewerbemedizinalräte angestellt, und zwar in Breslau, Düsseldorf, Erfurt, Arnsberg und Wiesbaden. Hilfsarbeiterstellen befinden sich in Breslau, Düsseldorf, Koblenz, Köln, Königsberg und Oppeln. Die G. sind unmittelbare Staats­ beamte und unterstehen der Aussicht des für ihren Amtssitz zuständigen RP., in Berlin des PolPräs. und in höchster Instanz dem MfB. Sie haben die im § 139b GewO, den staatlichen Aussichtsbeamten gegebenen Befugnisse, aber kein Anordnungs- und Strafbefugnisse. Die näheren Vorschriften über die dienstliche Stellung, ihre Befugnisse und Obliegenheiten sowie ihre Amts­ bezeichnung sind in der Dienstanweisung vom 19. 4. 1922 (VMBl. 244) geregelt. Die Amts­ bezirke und dienstlichen Wohnsitze bestimmt der MfV. im Einvernehmen mit dem HM. und FM. Den G. werden Abschriften der Anzeigen über Be­ rufserkrankungen mitgeteilt; s. Berufskrank­ heiten (gewerbliche). F. H. Gewerbeaufsicht. Unter G. wird die Über­ wachung der gewerblichen Anlagen hinsichtlich der Befolgung der für die Beschäftigung von Ar­ beitern bestehenden Beschränkungen und der für die Einrichtung und den Betrieb von gewerblichen Anlagen bestehenden Vorschriften (Arbeiterschutz) verstanden. Zur Wahrnehmung der G. sind neben den OPB. (s. Gewerbepolizei), besondere Be­ amte, die Gewerbeaufsichtsbeamten, berufen. Die G. beschränkt sich auf das Geltungsbereich der GewO. (s. Gewerbeordnung), infolgedessen haben sich die Gewerbeaufsichtsbeamten jeder Tätigkeit in Eisenbahnwerkstätten usw. zu enthalten (Erl. vom 12. 8. 1907, HMBl. 326 und vom 4. 12. 1920, HMBl. 358). Das gleiche gilt für die Elektrizitäts- und Kesselanlagen der Klein­ bahnen (Erl. vom 16. 7. 1907, HMBl. 291). Die Organisation der G. und die Anstellung der Be­ amten erfolgt nach Maßgabe des AE. vom 27. 4. 1891 (GS. 165). (Ane Übersicht über die Organisation der G. in Preußen wird alljährlich im HMBl. veröffentlicht. Die gewerbetechnischen Räte bei den Regierungen werden vom StM. er­ nannt und führen den Titel „Regierungs- und Ge­ werberat". Zu ihrer Vertretung und Unter­

stützung stellt der HM. bei den Reg. Gewerbein­ spektoren mit der amtlichen Stellung der Re­ gierungsassessoren an. Zur Unterstützung der Re­ gierungs- und Gewerberäte in der Wahrnehmung der G. sind für bestimmte Bezirke Gewerbeauf­ sichtsämter gebildet, deren Vorstand der Gewerbe­ rat ist. Die Bezirke der Gewerbeaufsichtsämter bestimmt der HM. Die Ausbildung der Beamten ist durch die Vorbildungs- und Prüfungsordnung vom 7.9.1897 nebst Anw. vom 13.11.1897 (MBl. 1898,29), abg. durch Erl. vom 20. 6. und 17. 10. 1910 (HMBl. S. 273,533), vom 6.6.1917 (HMBl. 181), vom 5. 4. 1921 (HMBl. 82), vom 14. 7. und 28.10. 1922 (HMBl. 157, 241), vom 5. 12. 1923 (HMBl. 416) und vom 3. 3.1924 (HMBl. 81) ge­ regelt. Die Annahme zum Gewerbeaufsichtsdienst erfolgt durch den HM. nach Maßgabe des Bedürf­ nisses (s. auch Erl. vom 15. 5.1907, HMBl. 182). Voraussetzung für die Annahme ist ein mindestens dreijähriges technisches Studium und ein mixv bestens eineinhalbjähriges Studium der Rechts­ und Staatswissenschasten auf deutschen Hoch­ schulen, sowie die Ablegung der Prüfung entweder als Regierungsbauführer im Maschinenfach oder als Bergreserendar oder der Diplomprüfung als Hütteningenieur oder als Maschineningenieur an der Bergakademie oder einer anderen preuß. Hochschule oder der Vorprüfung als Nahrungs­ mittelchemiker oder der Diplomprüfung als Che­ miker an einer Preuß. technischen Hochschule oder der Doktorpromotion als Chemiker an einer preuß. Universität. Nach erfolgter Annahme führt der Aspirant den Titel „Gewerbereferendar" (Erl. vom 25. 1. 1904, HMBl. 23) und wird zur praktischen Ausbildung im Gewerbeaufsichtsdienst einem RP. auf die Dauer von 18 Monaten über­ wiesen. Nach beendigtem Vorbereitungsdienst erfolgt die fernere Vorbereitung auf die zweite (Haupt-) Prüfung an einer deutschen Hochschule während dreier Semester. Das Studium hat sich aus Rechts- und Staatswissenschaften unter be­ sonderer Berücksichtigung der Gewerbeverwal­ tung, der Gewerbehygiene und der Wohlfahrts­ pflege zu erstrecken. Die Hauptprüfung erfolgt vor dem Prüfungsamte für Gewerbeaufsichtsbe­ amte in Berlin, dessen Mitglieder der HM. er­ nennt. Nach besonderer Prüfung wird der Ge­ werbereferendar zum Gewerbeassessor er­ nannt (Erl. vom 20. 1. 1904). Wegen der An­ nahme und Beschäftigung von Gewerbeinspek­ tionsassistentinnen s. HMBl. 1918, 148 und wegen des Eintritts Kriegsbeschädigter in den Ge­ werbeaussichtsdienst Erl. vom 4.11.1916 (HMBl. 389) und vom 12. 5. und 7. 7. 1917 (HMBl. 198). S. auch Anordnung über die Annahme, Ausbil­ dung und Prüfung von Gewerbeaufsichtsbe­ amten ohne technisch-wissenschaftliche Vorbildung (Gewerbekontrolleure und Gewerbekon­ trolleurinnen vom 16. 10. 1926 (HMBl. 304) nebst AusfB. vom 4. 7. 1927 HMBl. 268). Mit Ausnahme der Personen, die zur Befriedigung eines vorübergehenden Bedürfnisses angenommen sind, müssen alle Personen des Gewerbeaufsichts­ amts vereidigt werden (Erl. vom 10. 12. 1912, HMBl.544). DerWirkungskreis der Gewerbe­ aufsichtsbeamten ist auf Grund des § 139b GewO, durch die Dienstanw. vom 23. 3.1892 (MBl. 160) abgeändert, durch Erl. vom 7.1.1914 (HMBl. 9) geregelt. Danach obliegt ihnen die Aufsicht über die

Gewerbeaufsicht Ausführung der Vorschriften über die Sonntags­ ruhe im Gewerbebetriebe (s. d.), über die Einrich­ tung und den Betrieb gewerblicher Anlagen (s. d.), über die Arbeitsordnungen (s. d.), über die Be­ schäftigung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter (s. d.) in Betrieben mit mindestens zehn Arbeitern (s. d.) und Motorwerkstätten (s. d.), so­ wie in Werkstätten der Kleider- und Wäschekonsek­ tion (s. d.) und über die Beschäftigung von Kindern in Werkstätten (s. Kinder in gewerblicher Beziehung). Ferner haben sie die Befolgung der Vorschriften über die Arbeitsbücher (s. d.) und die Lohnzahlung (s. Lohn) in den Fabriken, Motorwerkstätten und Werkstätten der Kleider­ und Wäschekonfektion zu überwachen. Durch die AusfAnw. z. GewO. (s. Gewerbeordnung) ist den Gewerbeaufsichtsbeamten die Befugnis über­ tragen, Ausnahmen aus Grund der § 105 c Abs. 4 und § 105t GewO, von der Sonntagsruhe in Gewerbebetrieben sowie in den Fällen der §§ 138 a, 139 bei der Beschäftigung von jugendlichen Ar­ beitern und von Arbeiterinnen zuzulassen; auch beim Zustandekommen der Arbeitsordnung haben sie mitzuwirken (§§ 134e, 134t). Sie sind damit an die Stelle der uV. getreten. Ferner sind sie befugt an Stelle der OPB. Vf. wegen Errich­ tung von Anlagen (§ 120d), wegen Einschrän­ kung der Arbeitszeit (120t) und wegen Mit­ nahme von Arbeit nach Hause durch Arbeite­ rinnen und jugendlichen Arbeitern (§ 137a) zu erlassen. Nicht zu ihrer Zuständigkeit gehört die Aufsicht über die Durchführung der Vorschriften über Arbeitsbücher (s. d.), über die Arbeiterschutz­ vorschriften in offenen Verkaufsstellen (s. d.) und über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe (s. d.). Die Revision der Dampfkessel ist den Gewerbe­ aussichtsbeamten in der Hauptsache abgenommen; es obliegt ihnen nur die Vornahme der Prüfungen sowie die der regelmäßigen technischen Unter­ suchungen bei Kesseln der allgemeinen Bauverwal­ tung, soweit hierfür nicht besondere Beamte bestellt sind, und bei den übrigen preuß. fiskalischen Kesseln (§ 2 Anw. vom 16.12.1909, HMBl. 547). Bis zum 1.6. jedes Jahres haben sie nach vorgeschriebenem Muster dem RP., in Berlin dem PolPräs., eine Nachweisung über die ihrer Aussicht unterstehenden fiskalischenDamPfkessel und von den amtlichenPrüfungen befreiten Dampfkesselbesitzer einzureichen (§ 39 Anw.). Trotz der Übertragung der Kesselprüsungen an die Dampfkesselüberwachungsvereine bleibt der Betrieb der Dampfkessel der ver­ antwortlichen Aufsicht der Gewerbeaufsichtsbe­ amten unterstellt (Erl. vom 7. 5. 1910, HMBl. 172). Die Gewerbereferendare sollen bei Dampf­ kesselüberwachungsvereinen arbeiten (Erl. vom 6. 6.1910, HMBl. 236). Wegen der Dampfkessel­ explosionen s. Dampfkessel. Die Gewerbeauf­ sichtsbeamten haben im Verfahren bei Genehmi­ gung von gewerblichen Anlagen und von Dampf­ kesseln mitzuwirken (Ziff. 16AusfAnw.z. GewO.; § 10 AusfAnw. vom 16. 12. 1909). Wegen ihrer Beteiligung an Unfalluntersuchungen s. d. Für den inneren Dienst ist die Dienstanw. des HM. vom 3. 6. 1901, erg. durch Erl. vom 30. 7. 1902, vom 3. 6. 1909 (HMBl. 277), vom 4. 10. 1909 und vom 2. 12. 1910 (HMBl. 559) erlassen. Die Gewerbeaufsichtsbeamten haben alle zu ihrer Kenntnis gelangenden Mißstände in gewerblichen Betrieben zu prüfen (Erl. vom 21.3.1905, HMBl.

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70). Die Arbeitgeber müssen den Gewerbeauf­ sichtsbeamten zu jeder Zeit, auch in der Nacht, während des Betriebs den Zutritt gestatten und ihnen die vom BR. (RR.) oder der Landes­ zentralbehörde vorgeschriebenen statistischen Mit­ teilungen machen. Wegen Bestrafung des Arbeit­ gebers sollen sich die Gewerbeaufsichtsbeamten un­ mittelbar an die Staatsanwaltschaft wenden, wenn es sich um Vergehen gegen § 146 GewO, handelt; der Polizeibehörde ist Abschrift des An­ trags mitzuteilen. Handelt es sich um Übertre­ tungen in den Fällen der §§ 148—150, so sind die Anträge auf Bestrafung an die Polizeibehörde zu richten, wenn anzunehmen ist, daß nur eine Geld­ strafe von höchstens 30 M oder eine Haftstrase von höchstens 3 Tagen festgesetzt werden wird (§ 8, Dienstanw. vom 23. 3. 1892, MBl. 160, in der Fassung des Erl. vom 17. 6. 1904, HMBl. 343). Die Gewerbeaufsichtsbeamten haben nach Maß­ gabe des Erl. vom 20. 6. 1925 (HMBl. 158), vom 23. 9. 1925 (HMBl. 278) und vom 13. 2. und 16. 11. 1926 (HMBl. 48, 347) Jahresberichte zu erstatten, die im Original oder im Auszuge dem RT. und NR. vorzulegen sind (§ 139b Abs. 3). Wegen des Verhältnisses der Gewerbeaufsichts­ beamten zu den technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften s. Erl., betr. Gemein­ schaftsarbeit bei Durchführung der Unfallverhü­ tungsvorschriften vom 8. 1. 1926 (HMBl. 25), abg. durch Erl. vom 29. 9.1926 (HMBl. 304) und vom 31. 3. 1927 (HMBl. 110), zu den Schlich­ tungsbehörden Erl. vom 27. 8. 1927 (HMBl. 326) und zu den Kreisärzten Erl. vom 24.6.1901, HMBl. 174, s. auch Gewerbeärzte. Wegen Beteiligung der Gewerbeaufsichtsbeamten an der Besichtigung der Gefängnisse zur Prüfung des Arbeitsbetriebes s. Erl. vom 27. 7. 1907 (HMBl. 317). Wegen Übersendung [bet Tarifverträge an die Ge­ werbeaufsichtsämter s. Bek. des RAM. vom 1. 3. 1928 (RfA. I 48) u. Erl. vom 4. 4.1928 (HMBl. 9,4) und wegen Heranziehung der Betriebsver­ tretungen zu Besichtigungen Erl. vom 31. 5. 1922 (HMBl. 125). Für die der Aufsicht der Bergbehörden unterstehenden Betriebe einschließlich der Staatsbergwerke und Salinen wird die G. durch die Bergrevierbeamten (s. Bergbehörden) wahrgenommen (§ 189 Abs. 2 Allg. BergG. vom 24. 6. 1865, GS. 705; in der Fassung des G. vom 24. 6. 1892, GS. 131; Ausf­ Anw. z. GewO. Ziff. 253; Bek. vom 11. 1. 1893, MBl. 30). Für die Handhabung der G. über die Durchführung der Sonntagsruhe sind für den Bergrevierbeamten in Ziff. 254ff. der Anw. nähere Vorschriften erlassen, während nach Ausf­ Anw. z. G. vom 24. 6. 1892, vom 27. 12. 1892 Abschn. C (MBl. 1893, 13) für die Aufsicht über die Durchführung der Vorschriften hinsichtlich der Arbeitsbücher (§§ 85b—85h BergG. in der Fas­ sung des G. vom 24. 6. 1892) die Ziff. 181—192 der AusfAnw. z. GewO, maßgebend sind. So­ weit nicht die Ausstellung usw. der Arbeitsbücher den OPB. übertragen ist, steht die Aufsicht über die Ausführung der Vorschriften über Arbeitsbücher den Bergrevierbeamten zu. Hinsichtlich der Reichs- und Staatsbetriebe kann nach § 156 Abs. 3 GewO, die den Polizeibehörden obliegende G. zum Teil auf die der Verwaltung dieser Betriebe vorgesetzten Dienstbehörden übertragen werden. Dies ist geschehen für die Staatshütten

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Gewerbeausschuß — Gewerbeberechtigungen

im Oberbergamtsbezirke Clausthal durch Bek. vom 2.4.1892 (MBl. 139), für die Betriebe der Heeres­ und Marineverwaltung durch Bek. vom 25.5.1892 (MBl. 230), abgeändert durch Erl. vom 8. 8. 1923 (HMBl. 298), für die Neichsdruckerei, die kgl. Münze und amtliche Probieranstalt in Frankfurt a. M. durch Bek. vom 25. 5.1892 (MBl. 230). Im übrigen sind, abgesehen von Eisenbahnen jeder Art, Bergwerken und Salinen, für Reichs- und Staatsbetriebe die Gewerbeaufsichtsbeamten zu­ ständig (Erl. vom 15. 6. 1892, ab geändert durch Erl. vom 12. 4. 1907, HMBl. 326). Die OPB., denen ausschließlich die Überwachung der Beschäf­ tigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern in offenen Verkaufsstellen obliegt(Ziff.268 AusfAnw. z. GewO.) haben bei Wahrnehmung der G. nach den Vorschriften der Ziff. 253—258,271 AusfAnw. z. GewO, und der AusfAnw. z. KinderschutzG. vom 3.5.1926 (HMBl. 125) zu verfahren. Im übrigen schließt die Zuständigkeit der G. diejenige der OPB. nicht aus (OVG. 36, 377). Nicht zuständig sind die G. sür landwirtschaftliche Nebenbetriebe (Brennereien, Molkereien, Stärkefabriken), sowie Betriebe des Reichs, der Länder und Gemeinde­ verbände, soweit es sich um die Durchfüh­ rung der Vorschriften über die Arbeitszeit handelt (RGBl. 1927,1110). S. auch Gewerbe­ polizei. F. H. Gewerbeausschuß (bei der Reichsmonopol­ verwaltung) s. Branntweinmonopol CIII3. Gewerbeberechtigungen. Unter G. wird die auf besonderer Verleihung beruhende Befugnis zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes ver­ standen. Realgewerbeberechtigung (s. d.) heißt die G. dann, wenn das Recht zur Ausübung des Gewerbes mit dem Besitz eines Grundstücks ver­ bunden ist. Unter G. im engeren Sinne werden jedoch nur die ausschließlichen G. verstanden, das sind die mit dem Gewerbebetriebe verbundenen Berechtigungen, anderen den Betrieb eines Ge­ werbes, sei es im allgemeinen oder hinsichtlich der Benutzung eines gewissen Betriebsmaterials, zu untersagen oder zu beschränken (§ 7 Abs. 1 Zisf. 1 GewO.; RGZ. 12, 1). Die ausschließlichen G. waren vielfach mit Zwangs- und Bannrechten (s. d.) verbunden. Die G. sind entweder aufge­ hoben oder können abgelöst werden. Unter Ab­ lösung im Sinne der GewO, wird im Gegen­ satze zur Aushebung die Beseitigung eines Rechtes auf Antrag der Beteiligten gegen Entgelt ver­ standen, doch ist in Preußen auch für die Aus­ hebung der gewerblichen Berechtigungen von jeher Entschädigung gezahlt worden. Durch § 7 GewO, sind nach dem Vorgänge der preuß. Gesetzgebung aufgehoben: alle ausschließlichen G., die mit diesen verbundenen Zwangs- und Bannrechte (s. d.) mit Ausnahme der Abdeckerei­ berechtigungen (s. Abdeckereiwesen), alle Zwangs­ und Bannrechte, deren Aufhebung ohne Ent­ schädigung zulässig war, der nicht auf einem Vertrage beruhende Mahlzwang, Branntwein­ zwang und Brauzwang, sowie das den städti­ schen Bäckern oder Fleischern zustehende Recht, die Einwohner einer Stadt oder der Bannmelle zu zwingen, daß sie ihren Bedarf an Gebäck oder Fleisch ausschließlich bei ihnen entnehmen, das Recht, Konzessionen (s. d.) zu erteilen und dafür Abgaben zu erheben sowie, vorbehaltlich der an den Staat und die Gemeinde zu entrichtenden

Gewerbesteuer, die Abgaben selbst. Für ablös­ bar erklärt sind dagegen alle übrigen nicht aufge­ hobenen Zwangs- und Bannrechte, sofern die Verpflichtung auf Grundbesitz haftet, die Mit­ glieder einer Korporation als solche betrifft, oder Bewohnern eines Ortes oder Distrikts vermöge ihres Wohnsitzes obliegt; das Recht, den Inhaber einer Schankstätte zu zwingen, daß er für seinen Wirtschastsbedars das Getränk aus einer bestimm­ ten Fabrikationsstätte entnehme (§ 8 GewO.). Streitigkeiten darüber, ob eine Berechtigung zu den aufgehobenen oder für ablösbar erklärten gehört, werden im Rechtsweg entschieden (Grund­ abgabe oder Abgabe für den Betrieb des Gewer­ bes). Für die Entscheidung über die rechtliche Natur einer Abgabe sind in Preußen die Landes­ kulturbehörden nach G. vom 3.6.1919 (GS. 101), § 2 G.betr.das Verfahren in Auseinandersetzungs­ angelegenheiten in der Fassung der Bek. vom 10.10.1899 (GS. 403), § 3 G. betr. die auf Müh­ lengrundstücken haftenden Reallasten vom 11. 3. 1850 und G. betr. Aufhebung und Ablösung gewerbl. Berechtigungen in den neuen Provinzen vom 17. 3.1868 (GS. 249) zuständig. Über Anträge auf Ablösung von G. und auf Entschädigung sür aufgehobene G. beschließt der BezA., gegen dessen Entscheidungen nur die Be­ rufung an das OVG. zugelassen ist (§ 133 ZG.). Maßgebend für die Ablösung sind die §§ 34 ff. PrGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 79), das G. vom 31. 5. 1858 (GS. 333), das G. vom 17. 3. 1868 (GS. 249) und G. vom 17. 12. 1872 (GS. 717). Für das Verfahren bei der Ablösung sind die Vorschriften der §§ 34ff. des EntschädigungsG. vom 17. 1. 1845 (GS. 79) und in den im Jahre 1866 erworbenen Landesteilen sowie für Ab­ deckereiberechtigungen die Vorschriften der §§ 23 ff. des G. vom 17. 3. 1868 (GS. 249) maßgebend. Über die Ablösung (§ 43 G. vom 17. 1. 1845; § 62 G. vom 17. 3. 1868) beschließt der BezA., gegen dessen Endurteil unter Ausschluß anderer Rechtsmittel die Berufung an das OVG. zuge­ lassenist (ZG. § 133). Die Höhe der Entschädigung setzt der RP. fest, gegen dessen Entscheidung nur binnen sechs Wochen der Rekurs an den HM. zugelassen ist (§ 50 EntschädigungsG.; § 67 G. vom 17. 3. 1868). Es wird keine ausschließliche G. begründet, wenn die Gemeinden aus polizeilichen Gründen gewisse Tätigkeiten, die bisher durch Gewerbe­ treibende verrichtet wurden, übernehmen und durch ihre Organe besorgen lassen (OVG. 32 S. 295, 302; KGJ. 17, 337). Erfindungspatente, Urheberrechte sind keine ausschließliche G. Auf­ gehoben sind nur die gewerblichen Berechti­ gungen, daher besteht das aus einer Taxordnung beruhende Recht der Kirchengemeinde zur aus­ schließlichen Bestattung ihrer Parochianen noch zu Recht (RGZ. 22,22). Das Eigentum an einem Kommunalfriedhofe gewährt dem Eigentümer das Recht, einen das Leichenbestattungsgewerbe Betteibenden von der Ausübung des Gewerbes auf dem Friedhof auszuschließen (RGZ. 42, 51) und die Instandhaltung der Gräber durch be­ sonders Angestellte vornehmen zu lassen (KGJ. 9, 294). Durch die Konkurrenzklausel (s. d.) wird eine ausschließliche G. nicht begründet. Das

Gewerbebetrieb im Umherziehen gleiche gilt von der Errichtung eines Kehrbezirks (f. Bezirksschornsteinfeger). Zu den aufgehobenen Abgaben gehören nur solche, bei welchen zwischen der Befugnis zum Betriebe des Gewerbes und der Verpflichtung Mr Entrichtung der Abgabe eine Wechselbeziehung stattfindet, so daß jene Befugnis nur unter der Verpflichtung zur Leistung der Abgabe besteht und diese Verpflichtung den Preis für die Befugnis zum Gewerbebetrieb bildet (RGZ. 6, 90; 49, 66). Abgaben für öffentliche Lustbarkeiten sind keine Abgaben für den Betrieb eines Gewerbes (Erl. vom 30. 11. 1876, MBl. 1877, 14). F. H. Gewerbebetrieb int Umherziehen (GewO. Tit. III). I. Begriff. Der G. i. U. ist das ge­ werbsmäßige: 1. Ankäufen von Waren zum Wiederverkauf bei anderen Personen als bei Kaufleuten oder in offenen Verkaufsstellen (s. d.), 2. Feilbielen von Waren (s. Feilbieten, Feil­ halten), 3. Aufsuchen von Warenbestellungen (s. d.) bei anderen Personen als bei Kaufleuten oder an anderen Orten als in offenen Verkaufs­ stellen, 4. Anbieten gewerblicher Leistungen (s. d.), 5. Darbieten von Lustbarkeiten (Musik­ aufführungen, Schaustellungen, theatralische Vor­ stellungen usw.) ohne höheres Kunstinteresse (s. d.) außerhalb des Gemeindebezirks, des Wohnorts oder der gewerblichen Niederlassung (s. d.) ohne vorgängige Bestellung (s. d.). Einzelne Erwerbs­ handlungen, die der Wandergewerbetreibende an seinemWohnort vornimmt, können nur demstehenden Gewerbebetriebe zugerechnet werden (PrVBl. 30, 77, a. M. OBG. vom 2. 5. 1912 (GewArch. 12, 308). Nicht als G. i. U. wird das Auf­ suchen von Warenbestellungen und Aufkäufen von Waren durch Handlungsreisende (s. d.) ange­ sehen. Ferner gelten die Vorschriften über den G. i. U. nur für solche Gewerbetreibende, die unter die GewO, fallen. Da nach § 6 GewO, die GewO, auf das Unterrichtswesen keine Anwen­ dung findet, so bedürfen Tanzlehrer, die im Um­ herziehen Tanzunterricht erteilen, keines Wander­ gewerbescheins (Erl. vom 10. 12. 1880, MBl. 1881, 24). Das gleiche gilt für Arzte und Tier­ ärzte (OTr. vom 19. 10. 1864, MBl. 1865, 28). Ein G. i. U. liegt auch vor, wenn der Feil­ bietende in uneigennütziger Weise für Rechnung einer anderen physischen oder juristischen Person die betreffenden Geschäfte vornimmt, damit diese andere Person einen dauernden Gewinn zieht (KGJ. 22 C 29). Das Ankäufen von Waren für den eigenen Haushalt und für den eigenen Ge­ werbebetrieb ohne die Absicht, sie wieder zu ver­ kaufen, ist kein G. i. U. Das gleiche gilt von dem Umherziehen von Markt zu Markt, soweit es sich nicht um das Darbieten von Lustbarkeiten ohne höheres Kunstinteresse handelt (§ 55 Abs. 2 GewO.). Uber baä Ankäufen von Vieh s. Fleischergewerbe. II. Allgemeine Beschränkungen. An Sonn- und Festtagen (s. d.) ist der G. i. U., so­ weit es sich nicht um die Darbietung von Lust­ barkeiten ohne höheres Kunstinteresse handelt, verboten. Die unteren Verwaltungsbehörden (s. d.) können folgende Ausnahmen zulassen: 1. Das Feilbieten von Eßwaren, insoweit es bisher schon ortsüblich war, bis zum Beginne der wegen des Hauptgottesdienstes für die Be­ schäftigung im Handelsgewerbe festgesetzten Un­

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terbrechung. 2. Das Feilbieten von Milch wäh­ rend der für den stehenden Milchhandel frei­ gegebenen Zeit oder, ohne Unterbrechung durch die Gottesdienstpause, während der Zeit von 5 Uhr morgens bis 1 Uhr nachmittags. 3. Das Feilbieten von Eßwaren, Blumen, geringwertigen Gebrauchsgegenständen, Erinnerungszeichen und ähnlichen Gegenständen sowie das Anbieten ge­ werblicher Leistungen bei öffentlichen Festen, Truppenzusammenziehungen oder sonstigen au­ ßergewöhnlichen Gelegenheiten, sowie für solche Ortschaften, in welchen an Sonn- und Festtagen regelmäßig durch Fremdenbesuch ein gesteigerter Verkehr stattfindet, jedoch nur außerhalb der Zeit des Vor- und Nachmittagsgottesdienstes das Feil­ bieten von Zeitungen während der für den stehen­ den Gewerbebetrieb freigegebenen Zeit (§ 55a GewO.; AusfAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123, Ziff. 138 in der Fassung des Erl. vom 28. 12.1908, HMBl. 1909, 9 und vom 11.11.1919 (HMBl. 332). Das Austragen von Milch in Erfül­ lung kontraktlicher Verpflichtungen ist nicht ver­ boten (KGJ. 16,451). Stellenvermittlern (s. d.) ist die Ausübung des Gewerbes im Umherziehen verboten (Vorschriften vom 16. 8. 1910 Ziff. 16, HMBl. 455 und vom 21. 8. 1910 Ziff. 11, HMBl. 474). Gegenstände, die vom Feilhalten im stehen­ den Gewerbebetriebe (s. d.) ganz oder teilweise ausgeschlossen sind, dürfen auch im Umherziehen nicht feilgeboten werden (§ 56 Abs. 1 GewO.). Öffentliche Ankündigungen des Gewerbebetriebs dürfen nur unter dem Namen des Gewerbe­ treibenden mit Hinzufügung seines Wohnortes erlassen werden (§ 56 Abs. 2 GewO.). S. auch Firmenschild. Zum Zwecke des Gewerbe­ betriebes ist ohne vorgängige Erlaubnis der Ein­ tritt in fremde Wohnungen sowie zur Nachtzeit das Betreten fremder Häuser und Gehöfte nicht gestattet (§ 60c GewO.), föne Stellvertretung ist beim Gewerbebetrieb unzulässig (§ 60d GewO.). Das Mitführen von Kindern unter 14 Jahren zu gewerblichen Zwecken ist verboten (§ 62 Abs. 3 GewO.). In Zollgrenzbezirken ist nach § 124 Abs. 1 BZG. vom 1. 7. 1869 (BGBl. 317) eine besondere Erlaubnis erforderlich, die das zuständige Hauptzollamt erteilt. Bei umher­ ziehenden Schauspielergesellschaften bedarf der Unternehmer der Erlaubnis als Theaterunternehmer (s. Schauspielunternehmer). Der­ jenige, welchem die Ausübung eines stehenden Gewerbes untersagt ist (s. Untersagung von Gewerbebetrieben), darf das Gewerbe auch im Umherziehen nicht betreiben (OBG. 46, 355). III. Beschränkungen im einzelnen. 1. An­ kauf von Waren (§ 56 GewO.). Ausge­ schlossen sind: geistige Getränke (s. d.), ge­ brauchte Kleider, gebrauchte Wäsche, gebrauchte Betten und gebrauchte Bettstücken, insbesondere gebrauchte Bettfedern (OBG. 12,343), Menschen­ haare, Garnabfälle, Enden und Dräumen von Seide, Wolle, Leinen oder Baumwolle, Goldund Silberwaren, Bruchgold und Bruchsilber sowie Taschenuhren, Spielkarten, Staats- und sonstige Wertpapiere, Lotterielose, Bezugs- und Anteilscheine auf Wertpapiere und Lotterielose, explosive Stoffe, insbesondere Feuerwerkskörper, Schießpulver und Dynamit, solche mineralische und andere Ole, welche leicht entzündlich sind, insbesondere Petroleum sowie Spiritus, Stoß-,

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Gewerbebetrieb im Umherziehcn

Hieb- und Schußwaffen, Gifte (f. b.) und gift­ haltige Waren, Arznei- (s. d. und OVG. 27, 315; KGJ. 2, 216; 16, 232) und Geheimmittel (s. d.) sowie Bruchbänder, Bäume aller Art, Sträucher, Schnitt-, Wurzelreben, Futtermittel — dazu ge­ hören auch Ölkuchen (OVG. 31, 306) — und Sämereien, mit Ausnahme von Gemüse- und Blumensamen, Schmucksachen, Bijouterien — dazu gehören auch Gebrauchsgegenstände (RGSt. 37,146) — Brillen und optische Instrumente. 2. Feilbieten von Waren (s. Feilbieten). Ausgeschlossen sind alle Gegenstände, die nicht angekauft werden dürfen. Ferner sind Druck­ schriften, andere Schriften und Bildwerke (s. Bilder) vom Feilbieten ausgeschlossen, wenn sie in sittlicher oder religiöser Beziehung Ärgernis zu geben geeignet sind, oder mittels Zusicherung von Prämien oder Gewinnen vertrieben werden, oder in Lieferungen erscheinen, sofern nicht der Gesamtpreis auf jeder einzelnen Lieferung an einer in die Augen fallenden Stelle bestimmt verzeichnet ist (§ 66 Abs. 2 Zifs. 12 GewO.). Zu den Druckschriften, die in sittlicher Beziehung Ärgernis zu geben geeignet sind, gehören alle Schriften, welche das sittliche Gefühl im weiteren Sinne des Begriffs der Sittlichkeit verletzen (OVG. 16, 356). Ein Ärgernis in politischer Be­ ziehung kommt als Ärgernis in sittlicher Be­ ziehung nicht in Betracht (OVG. 36, 372). Wird in den Druckschriften auf andere Druckschriften verwiesen, so kommt es auf den Inhalt dieser Druckschriften nicht an, vielmehr muß der In­ halt der verweisenden Druckschrift oder der Titel der anderen Druckschrift oder die Art der Ver­ weisung Ärgernis zu geben geeignet sein (OVG. 31, 304). ^Die Verweisung auf Melodien welt­ licher Lieder bei religiösen Liedern ist nur dann Ärgernis zu geben geeignet, wenn auf Melodien von Liedern anstößigen Inhalts verwiesen wird (OVG. vom 17. 12. 1891, PrVBl. 13, 149). Nicht feilgeboten werden dürfen nach § 56 a Ziff. 4 GewO. Waren, wenn sie gegen Teil­ zahlung unter dem Vorbehalte veräußert werden, daß der Veräußerer wegen Nichterfüllung der dem Erwerber obliegenden Verpflichtungen vom Vertrage zurücktreten kann (s. Abzahlungs­ geschäfte). Das Feilbieten von Waren in der Art, daß dieselben versteigert oder im Wege des Glücksspieles (s. d.) oder der Ausspielung (Lotterie, s. d.) abgesetzt werden, ist nach § 56c Abs. 1 GewO, nicht gestattet. Ausnahmen von diesem Verbote dürfen von der OPB. zugelassen wer­ den, hinsichtlich der Wanderversteigerungen je­ doch nur bei Waren, welche dem raschen Ver­ derben ausgesetzt sind. Bei Gestattung der Aus­ nahmen hat die OPB. die Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der Versteigerer (s. d.), Ziff. 20, 33, zu beachten. Wandergewerbescheine zum Feil­ bieten von Waren mittels Ausspielung — dazu gehört auch das Ring- und Plattenwerfen — dürfen nicht erteilt werden; sie dürfen nur auf das Feilbieten von Waren lauten, und die OPB. haben darüber zu entscheiden, ob sie die Aus­ spielung (s. d.) zulassen wollen. Wer Druck­ schriften, andere Schriften und Bildwerke im Umherziehen feilbieten wlll, hat nach § 56 Abs. 4 GewO, ein Verzeichnis derselben dem BezA., in Berlin dem PolPräs., zur Genehmigung vor­ zulegen. Die Genehmigung ist nur zu versagen,

soweit das Verzeichnis Druckschriften, andere Schriften oder Bildwerke enthält, deren Feil­ bieten unzulässig ist. Gegen den versagenden Be­ schluß des BezA. ist Antrag auf mündliche Ver­ handlung, gegen den versagenden Bescheid des PolPräs. Klage beim BezA. binnen zwei Wochen zulässig. Gegen das Urteil des BezA. ist nur die Revision zulässig (§ 3 V. vom 31. 12. 1883, RG­ Bl. 1884, 7). Der Gewerbetreibende darf nur die in dem genehmigten Verzeichnis enthaltenen Druckschriften, anderen Schriften oder Bildwerke bei sich führen und ist verpflichtet, das Verzeichnis während der Ausübung des Gewerbebetriebs bei sich zu führen, aus Erfordern den zuständigen Be­ hörden oder Beamten vorzuzeigen und, sofern er hierzu nicht imstande ist, auf deren Geheiß den Betrieb bis zur Herbeischaffung des Verzeichnisses einzustellen (Zifs. 74, 75 AussAnw. z. GewO.). 3. Aufsuchen von Bestellungen auf Wa­ ren. Das Aufsuchen (s. d.) von Bestellungen auf Druckschriften, anderen Schriften und Bildwer­ ken, die nicht feilgeboten werden dürfen, ist ver­ boten. Ausgeschlossen ist ferner das Auf­ suchen von Bestellungen aus Staats- und son­ stige Wertpapiere, Lotterielose und Bezugs- und Anteilsscheine aus Wertpapiere und Lotterielose sowie das Aufsuchen von Bestellungen auf Brannt­ wein und Spiritus bei Personen, in deren Ge­ werbebetriebe dieselben keine Verwendung finden (§ 56a Ziff. 2, 3 GewO.). 4. Anbieten gewerblicher Leistungen (f. gewerbliche Leistungen). Ausgeschlossen ist nach § 56a Ziff. 2 GewO, das Aufsuchen und die Vermittlung von Darlehnsgeschäften und Rückkaussgeschäften ohne vorgängige Bestellung sowie nach Ziff. 1 a. a. O. die gewerbsmäßige (OVG. 16, 32) Ausübung der Heilkunde, sofern der Ausübende für dieselbe nicht approbiert ist (s. Ärzte, Tierärzte). Die ausschließliche An­ fertigung künstlicher Gebisse ist keine Ausübung der Zahnheillunde (Erl. vom 16. 6. 1887, MittdSt. 21, 79), wohl aber fällt die Entfernung von Eingeweidewürmern unter die Ausübung der Heilkunde (OVG. vom 1. 12. 1884, PrVBl. 6, 387) sowie die Anfertigung des Gipsmodells und die Anpassung des Geradehalters (BayVGH. vom 24. 7. 1914, Reger 36, 48), die Mas­ sage dann, wenn sie selbständig zur Heilung kran­ ker Glieder angeboten und ausgeübt wird (KG. vom 16. 10. 1913, GewArch. 13, 269). Ein Aus­ üben der Heillunde im Umherziehen liegt schon vor, wenn der Heilkundige an einem Orte außer­ halb seines Wohnorts erscheint und der Allge­ meinheit dort von seiner Anwesenheit und Heil­ befähigung unter Angabe seiner Sprechzeit Kenntnis gibt (RGZ. 53, 362). Unzulässig ist auch das Anbieten von Leistungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, z. B. Wahrsagen (Ziff. 68 AussAnw. z. GewO.). 5. Darbieten von Lustbarkeiten ohne höheres Kunstinteresse (§ 55 Abs. 1 Ziff. 4 GewO.). Hierzu ist auch für den Marktverkehr die Lösung eines Wandergewerbescheins erfor­ derlich (§ 55 Abs. 2 GewO.). Wer solche Lustbar­ keiten an einem Orte von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten — dazu ge­ hören auch im Gegensatz zu § 33b (s. Ambu­ lanter Gewerbebetrieb II), wo die Worte

Gewerbebetrieb im Umherziehen „und andere öffentliche Orte" fehlen, Gast- und Schankwirtschaften, Gartenwirtschaften, über­ haupt alle der Öffentlichkeit zugänglichen Orte — ausüben will, bedarf neben dem Wandergewerbe­ schein der vorgängigen Erlaubnis der OPB. (§,60a GewO.). Diese darf die Erlaubnis nicht nach freiem Ermessen, sondern nur aus be­ stimmten polizeilichen Gründen zurückziehen (OBG. 52, 367). Die Zurschaustellung das Schamgefühl verletzender Nachbildungen in Mu­ seen, Panoptiken, Wachsfigurenkabinetten usw. ist im Wandergewerbeschein zu verbieten (Ziff. 67 AusfAnw. z. GewO.). 6. Änderungen der Beschränkungen (1—4). Die Reichsregierung ist mit Zustimmung des RR. befugt, nach § 56b Abs. 1 GewO, bei vorhandenem Bedürfnisse den Ankauf oder das Feilbieten (§ 2) für weitere Waren zuzulassen. Dies ist hinsichtlich des Feilbietens von Bier mit einem Alkoholgehalt von nicht mehr als zwei Prozent geschehen (Bek. vom 17. 7. 1899, RG­ Bl. 374; vom 29. 2. 1904, RGBl. 138, und vom 1. 7. 1908, RGBl. 468). Die Landesregierungen (Zentral- und Landespolizeibehörde) haben die gleiche Befugnis hinsichtlich der Bäume aller Art, Sträucher, Schnitt-, Wurzelreben, Futter­ mittel und Sämereien (§ 56b Abs. 1 GewO.). Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit sowie zur Abwehr oder Unterdrückung von Seuchen kann durch Beschluß der Reichsregierung mit Zu­ stimmung des RR. und in dringenden Fällen durch Anordnung des RK. nach Einvernehmen mit dem Ausschüsse des RR. für Handel und Ver­ kehr für den Umfang des Reiches oder für Teile desselben bestimmt werden, daß und inwiefern außer den ausgeschlossenen Gegenständen und Leistungen auch noch andere Gegenstände und Leistungen auf bestimmte Dauer von dem G. i. U. ausgeschlossen sein sollen (§ 53 b Abs. 2, § 15 GewO.; G., bett, die Bekämpfung gemeinge­ fährlicher Krankheiten, vom 30. 6. 1900, RGBl. 306). Nach § 53b Abs. 3 GewO, kann durch die Landesregierungen (RP., RGSt. 31, 342; Erl. vom 27. 11. 1899, MBl. 1900, 193) das Umher­ ziehen mit Zuchthengsten zur Deckung von Stuten untersagt werden (f. auch § 17 Ziff. 6 BiehseuchenG. vom 26. 6. 1909, RGBl. 519). Desglei­ chen kann zur Abwehr oder Unterdrückung von Seuchen der Handel — darunter fällt auch das Aufsuchen von Bestellungen (RGSt. 32, 291) — mit Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen oder Geflügel im Umherziehen Beschränkungen unter­ worfen oder auf bestimmte Dauer untersagt wer­ den. tEine auf Grund dieser Vorschrift erlassene, das Verbot des Handelns mit Schweinen be­ treffende Bekanntmachung des RP. ist keine durch § 130 LBG. im Verwaltungsstreitver­ fahren anfechtbare polizeiliche Verfügung (OBG. 35, 336). Nach § 17 Ziff. 2, 6 BiehseuchenG. vom 26. 6. 1909 kann der Biehhandel überhaupt erheblichen Beschränkungen unterworfen oder verboten werden. Nach Ziff. 3 a. a. O. kann dem Viehhändler die Beibringung von Gesundheits­ zeugnissen sowie nach Ziff. 4 die Führung von Kontrollbüchern und die Kennzeichnung vom Vieh aufgegeben werden. Dabei gelten als Vieh alle nutzbaren Haustiere einschließlich der Hunde, der Katzen und des Geflügels (§ 1 a. a. O.). Wegen der polizeilichen Maßnahme bei Ausbruch

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von Seuchen s. §§ 19 ff. a. a. O. Das Feilbieten geistiger Getränke kann im Falle besonderen Be­ dürfnisses von der OPB. vorübergehend gestattet werden (§ 56 Abs. 1 Ziff. 1 GewO.). IV. Wandergewerbeschein. 1. Erforder­ nis eines Wandergewerbescheins. Die Ausübung des G. i. U. ist in der Regel nur Per­ sonen gestattet, die sich im Besitz eines Wander­ gewerbescheins befinden. Ein Wandergewerbe­ schein ist nicht erforderlich für das Aufkäufen von Waren (s. d.) und das Aufsuchen von Warenbe­ stellungen (f. d.) durch Handlungsreisende (s. d.) oder Unternehmer eines stehenden Gewerbe­ betriebs selbst. Ein Wandergewerbeschein ist ferner nicht erforderlich: a) für das Feilbieten selbstgewonnener oder roher Erzeugnisse (s. d.) der Land- oder Forstwirtschaft, des Garten- und Obstbaues, der Geflügel- und Bienenzucht, der selbstgewonnenen Erzeugnisse der Jagd und Fischerei, sowie für das Feilbieten selbstverfertig­ ter Waren (s. d.), die Wochenmarktsartikel (s. d.) sind, im Umkreise von 15 km vom Wohnort (§ 59 Abs. 1 Ziff. 1 GewO.). Nach § 60b Abs. 2, 3 GewO, kann die OPB. das Feilbieten dieser Gegenstände Kindern (s. d.) unter 14 Jahren, minderjährigen Personen nach Sonnenuntergang, und weiblichen Minderjährigen von Haus zu Haus verbieten. Hiergegen ist nur die Beschwerde an den OP. zulässig (Ziff. 73 AusfAnw. z. GewO.); b) für das Anbieten landesgebräuchlicher gewerb­ licher Leistungen (s. d.), in der Umgegend bis zu 15 km vom Wohnorte (§ 59 Abs. 1 Ziff. 2 GewO.); für das Darbieten von Lustbarkeiten ohne höheres Kunstinteresse ist jedoch immer ein Wanderge­ werbeschein erforderlich (Erl. vom 22. 2. 1885, MBl. 56); c) für das Feilbieten von selbstgewon­ nenen Erzeugnissen oder selbstverfertigten Waren, die nach Landesgebrauch zu Wasser angesahren sind, vom Fahrzeug aus (§ 59 Abs. 1 Ziff. 3 GewO.); d) für das Fellbieten von Waren mit Erlaubnis der OPB. bei öffentlichen Festen, Truppenzusammenziehungen oder anderen au­ ßergewöhnlichen Gelegenheiten (§ 59 Abs. 1 Ziff. 1 GewO.). Die OPB. sollen von dieser Be­ fugnis nur bei außergewöhnlichen und bei sol­ chen wiederkehrenden Gelegenheiten Gebrauch machen, bei welchen ein Warenverkehr oder ein Darbieten von Lustbarkeiten nur in ganz geringem Umfang stattfindet (Erl. vom 29. 12. 1910, HMBl. 1911, 8). Die Erlaubnis braucht weder eine persönliche noch eine ausdrückliche zu sein (KGJ. 23 C 78). Die Landesregierungen (Zentral­ behörden, Landespolizeibehörden) können in weiterem Umfange den Gewerbebetrieb ohne Wandergewerbeschein mit Gegenständen des ge­ meinen Gebrauchs gestatten (§ 59 Abs. 2 GewO.), jedoch nicht für solche Gegenstände, die vom G. i. U. ausgeschlossen sind (Erl. vom 29.1.1885, MBl. 53). Der Gewerbebetrieb ohne Wandergewerbe­ schein kann in den Fällen a bis c untersagt wer­ den, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Wandergewerbeschein versagt werden muß (8 59a GewO.). Zur Erhebung der Klage ist nur die Gemeinde zuständig, in der der Händ­ ler zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat (OBG. 77, 418). Zuständig ist der KrA. in Stadtkreisen und in den zu einemLandkreise gehörigen Städten mit mehr als 10000 Einwoh­ nern der BezA. auf Klage der OPB. (§ 4e

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Gewerbebetrieb im Umherziehen

V- vom 31. 12. 1883, GS. 1884, 7). Zur Anstel­ lung der Klage auf Untersagung des Feilbietens selbstangefertigter Wochenmarktsartikel und Dar­ bietens landesgebräuchlicher gewerblicher Leistun­ gen im Umkreise von 15 km des Wohnorts ist nur die OPB. der Gemeinde zuständig, in der der Gewerbetreibende seinen Wohnsitz hat (OVG. 77, 418). 2. Erteilung, Versagung, Zurücknahme. Anträge auf Erteilung von Wandergewerbe­ scheinen können sowohl bei der OPB. des Wohn­ ortes als auch bei der OPB. des Aufenthalts­ ortes angebracht werden; diese hat den Antrag an die OPB. des Wohnorts weiterzugeben. Die OPB. hat durch vorgeschriebene Muster die per­ sönlichen Verhältnisse des Gewerbetreibenden, soweit sie für die Erteilung des Wandergewerbe­ scheins von Bedeutung sind, aufzuklären und den Antrag mit dem Ergebnis der Ermittlungen dem BezA. — in Berlin dem PolPräs. — vorzulegen. Stehen dem Anträge Bedenken nicht entgegen, so fertigt die Behörde mit tunlichster Beschleuni­ gung den Wandergewerbeschein kosten- und stem­ pelfrei aus. Dieser ist sodann an die Steuerabtei­ lung der Reg. (in Berlin an die Pr. Bau- und Finanzdirektion) zu übersenden, welche den mit dem Wandergewerbeschein in der Regel zu verbindenden Gewerbeschein (s. d.) ausfertigt, der betreffenden Kasse zur Einziehung der Ge­ werbesteuer zugehen läßt und den Antrag­ steller benachrichtigt, daß er den Schein dort gegen Zahlung der veranlagten Steuer in Empfang nehmen könne. Will ein inländischer Gewerbe­ treibender das Gewerbe nicht in Preußen be­ treiben, so hat der BezA. (in Berlin der PolPräs.) den Schein mit dem Vermerke, daß das Gewerbe nicht in Preußen betrieben werden soll und des­ halb eine Gewerbesteuer in Preußen nicht zu entrichten sei, zu versehen und den Wanderge­ werbeschein dem Antragsteller unmittelbar zu­ gehen zu lassen. Abgesehen von den Fällen, wo es sich um den Gewerbebetrieb mit verbotenen Gegenständen oder Leistungen handelt (s. u. III), muß der Wandergewerbeschein versagt wer­ den, wenn der Nachsuchende mit einer abschrecken­ den oder ansteckenden Krankheit behaftet oder in einer abschreckenden Weise entstellt ist, unter Polizeiaufsicht steht, wegen strafbarer Handlun­ gen aus Gewinnsucht gegen das Eigentum, gegen die Sittlichkeit, wegen vorsätzlicher Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der Menschen, wegen Land- oder Hausfriedensbruchs, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, wegen vorsätzlicher Brandstiftung, wegen Zuwiderhand­ lungen gegen Verbote oder Sicherungsmaß­ regeln, betreffend Einführung oder Verbreitung ansteckender Krankheiten oder Viehseuchen, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Mona­ ten verurteilt ist, und seit Verbüßung der Strafe drei Jahre noch nicht verflossen sind oder wegen gewohnheitsmäßiger Arbeitsscheu, Bettelei, Land­ streicherei, Trunksucht — die Tatsache der Bestra­ fung genügt allein nicht (OVG. 28,33) — übel be­ rüchtigt ist. Der Wandergewerbeschein muß auch versagt werden, wenn die Ausübung des stehen­ den Gewerbebetriebs untersagt ist (OVG. 46, 355). Sofern es sich um das Darbieten von Lust­ barkeiten ohne höheres Kunstinteresse handelt, muß der Wandergewerbeschein versagt werden,

wenn ausreichend Wandergewerbescheine für den Regierungsbezirk erteilt oder ausgedehnt sind. Der Wandergewerbeschein ist in der Regel zu versagen, wenn der Nachsuchende das 25. Lebens­ jahr noch nicht vollendet hat, es sei denn, daß er der Ernährer einer Familie ist — das ist auch ein kinderloser Ehemann, der nur sich und seine Ehe­ frau ernährt (OVG. vom 12. 12. 1901, PrBBl. 23, 489) — oder daß er schon mindestens vier Jahre auf Grund behördlicher Genehmigung als Inhaber eines Wandergewerbescheins, Gehilfe, Begleiter (OVG. 32, 345) tätig ist (§ 57a Zisf. 1 GewO.). Minderjährigen Personen kann im Wandergewerbescheine die Beschränkung auf­ erlegt werden, daß sie das Gewerbe nicht nach Sonnenuntergang, und minderjährigen weiblichen Personen außerdem die Beschränkung auferlegt werden, daß sie dasselbe nur auf ösfenllichen Wegen und Plätzen, nicht aber von Haus zu Haus betreiben dürfen (§ 60b Abs. 1 GewO.). Der Wandergewerbeschein ist ferner in der Regel zu versagen, wenn der Nachsuchende blind, taub oder stumm ist oder an Geistesschwäche leidet (§ 57a Ziff. 2 GewO.). Außerdem darf der Wander­ gewerbeschein nach § 57b GewO, nur dann ver­ sagt werden, wenn der Nachsuchende im Inlaut» einen festen Wohnsitz nicht hat, wegen der oben bezeichneten strafbaren Handlungen zu einer Frei­ heitsstrafe von mindestens einer Woche verurteilt und seit Verbüßung der Strafe fünf Jahre noch nicht verflossen sind ernannt, zum Teil von der Kreis- oder Gemein­ devertretung nach den Grundsätzen der Verhält­ niswahl gewählt werden. Sofern nicht der Kreis oder die Gemeinde selbst mit der Veranlagung befaßt ist, ist zu dem Ä. für Stadtkreise und kreis­ angehörige Städte mit mehr als 10000 Einwohner ein Mitglied des Vorstandes der beteiligten Ge­ meinde, für Landkreise im übrigen der Vorstand oder ein Mitglied des KrA. mit vollem Stirnmrecht zuzulassen. Ferner ist auf Antrag zum A. ein Ver­ treter der zuständigen amtlichen Berufsvertretung, mit beratender Stimme zuzulassen. Örtlich zu­ ständig ist derjenige Gewerbesteuerausschuß, in dessen Bezirk eine Betriebsstätte zur Unterhal­ tung des Gewerbes erhalten wird bzw. bei meh­ reren Betriebsstätten derjenige, in dessenBezirk sich die Leitung des Unternehmens befindet. Der Ge­ werbesteuerausschuß veranlagt nur die sog. Steu­ ergrundbeträge, über die derVorsitzende demSteuerpflichtigen einen schriftlichen Veranlagungs­ bescheid erteilt. Das Ergebnis der Veranlagung, ist den hebeberechtigten Gemeinden von dem Vor­ sitzenden des Steuerausschufses mitzuteilen, damit sie die Gewerbetreibenden nach Maßgabe der von ihnen beschlossenen Zuschläge zur Steuer heran­ ziehen können. Gegen den Veranlagungsbescheid steht dem Steuerpflichtigen der Einspruch an den Steuerausschuß, gegen die Einspruchsentscheidung sowohl dem Steuerpflichtigen als auch dem Vor­ sitzenden die Berufung an den Berufungsausschuß zu. Gewerbesteuerberufungsausschüsse sind bei jeder Reg. gebildet und bestehen aus einem er-

Gewerbesteuer nannten Vorsitzenden und aus zum Teil ernann­ ten, zum Teil vom Provinzialausschuß gewählten Beisitzern. Gegen die Berufungsentscheidung steht sowohl dem Steuerpflichtigen als auch dem Vor­ sitzenden des Steuerausschusses die Rechtsbe­ schwerde an das OVG. zu. Im übrigen ent­ sprechen die Verfahrensvorschriften im wesent­ lichen denjenigen der Reichsabgabenordnung. E. Zerlegung. Wenn Betriebsstätten des­ selben gewerblichen Unternehmens sich im Bezirk mehrerer Gemeinden befinden, so sind die Steuer­ grundbeträge vom Gewerbesteuerausschuß in die auf die einzelne Gemeinde entfallenden Teile zu zerlegen. Die Zerlegungsvorschriften sind im wesentlichen denjenigen des FAG. zur Ein­ kommen- und Körperschaftssteuer nachgebildet. Beseitigt ist hier wie dort durch die letzte No­ velle die bisherige Bestimmung, daß der Ge­ meinde, in welcher die Leitung des Gesamt­ betriebes stattfindet, der zehnte Teil der Steuer vorweg zugewiesen wird. Dieser „Voraus" stand mit der Tatsache nicht im Einklang, daß meist gerade der Sitzgemeinde mit den hohen Gehältern und Löhnen der Leitung weniger Lasten verursacht werden als der eigentlichen Betriebsgemeinde mit ihrer großen Arbeiterzahl; die Frage war für letztere Gemeinden durch die in der letzten Zeit sich vollziehende starke Konzentration in der In­ dustrie besonders dringlich geworden. Verteilt wird die G. nach dem Ertrag a) bei Versicherungs-, Bank- und Kreditunternehmen nach Verhältnis der in den einzelnen Gemeinden erzielten Roh­ einnahmen; b) in den übrigen Fällen nach Ver­ hältnis der den einzelnen Gemeinden erwachsenen Ausgaben an Gehältern und Löhnen, jedoch aus­ schließlich der der von dem Gesamtüberschuß be­ rechneten Vergütungen (Tantiemen) des Berwaltungs- und Betriebspersonals. Erstreckt sich dagegen ein und dieselbe Betriebsstätte über mehrere Gemeinden, so ist der auf die Betriebs­ stätte entfallende Steuergrundbetrag nach dem Ertrage auf diese Gemeinden nach der Lage der örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der in den beteiligten Gemeinden durch das Vorhan­ densein der Betriebsstätten erwachsenen Ge. meindelasten zu verteilen. Als Betriebsstätte bezeichnet die Gew StB. — in Übereinstimmung mit dem für die Zerlegung der Einkommen- und Körperschaftsteuer geltenden Bestimmungen des FAG. — jede feste örtliche Anlage oder Einrich­ tung, die der Ausübung des Betriebs eines stehenden Gewerbes dient. Außer dem Haupt­ sitz eines Betriebs gelten als Betriebsstätten: Zweigniederlassungen, Fabrikationsstätten, Ein­ und Verkaufsstellen, Kontore und sonstige zur Ausübung eines Gewerbes durch den Unter­ nehmer selbst, dessen Geschäftsinhaber, Proku­ risten oder anderen ständigen Vertreter unter­ haltenen Geschäftseinrichtungen. Als Betriebs­ stätten gelten auch Bauausführungen, die die Dauer von zwölf Monaten überschreiten. Auch danach wird in der Praxis oft zweifelhaft sein, was Betriebsstätte ist. Jedenfalls umfaßt der Begriff „Betriebsstätte" zwei Merkmale: das Vorhandensein eines festen örtlichen Mittel­ punkts des Betriebs und eine gewisse Stabilität, d. h. Dauer des Betriebs. Das OVG. hat im Gegensatz zum RFH. in seiner Entscheidung vom 23. 2. 1926 (OVG. 80, 110) an seiner bisherigen

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Rechtsprechung festgehalten, wonach regelmäßig durch lediglich unterirdische Bergwerksanlagen (ohne oberirdische Einrichtungen) eine Betriebs­ stätte nicht begründet wird; ebensowenig wie durch lediglich durchgehende Straßenbahnen oder Privatwegeanlagen oder durch Arbeiterwohn­ häuser Betriebsstätten einer auswärtigen Firma begründet werden können. Das FAG. stellt in seiner neuesten Fassung bezüglich der Zerlegung der Einkommen- und Körperschaftsteuer fest, daßein Unternehmen, das der Versorgung mit Gas, Wasser oder Elektrizität dient, keine Betriebsstätte in den Gemeinden hat, durch die nur eine Zu­ leitung geführt wird, ohne daß dort Gas, Wasser oder Elektrizität abgegeben wird. Die Zerlegung des Steuergrundbetrags nach dem Gewerbe­ kapital erfolgt ganz entsprechend wie die nach dem Gewerbeertrag. Dagegen geschieht die Zer­ legung des Steuergrundbetrags nach der Lohn­ summe immer nach Maßgabe der auf die einzelne Betriebsstätte entfallenden Lohnsummen. Die Zerlegung ist gleichzeitig mit der Veranlagung vorzunehmen. Der Zerlegungsbeschluß ist den Beteiligten (Gemeinden und Steuerschuldner) zu­ zustellen. Gegen den Zerlegungsbeschluß stehen den Beteiligten binnen einer Frist von einem Monat der Einspruch bei dem Steuerausschuß und dann die weiteren Rechtsmittel zu. Die be­ teiligten Gemeinden sind berechtigt, Auskünfte wie Einsicht in die Nachweisungen und Akten des Steuerausschusses zu verlangen. F. Heranziehung und Erhebung durch die Gemeinden (s. auch Art. Gemeinde­ abgaben). Die sog. Steuergrundbeträge werden vom Staate nicht erhoben, vielmehr ist nur den Gemeinden die Erhebung, und zwar in Hundert­ sätzen dieser Steuergrundbeträge gestattet. Nach dem KAG. müssen die Gemeinden, welche eine Grundvermögensteuer erheben, auch die G. er­ heben, sofern sich auch nur ein gewerbesteuer­ pflichtiges Unternehmen in der Gemeinde befindet. Nur die Gemeinden sind zur Erhebung berechtigt, nicht auch die Gutsbezirke und Kommunalver­ bände (Ämter, Bürgermeistereien, Zweckverbände, Schulverbände usw.). Die Hundertsätze (Zuschläge) müssen einerseits von den Steuergrundbeträgen nach dem Ertrag, andererseits je nach Wahl der Gemeinde, die nur generell erfolgen kann, vom Kapital oder der Lohnsumme, also stets von zwei Bemessungsgrundlagen erhoben werden. Ein Wechsel von der Steuer nach dem Kapital zur Lohnsummensteuer oder umgekehrt innerhalb des Rechnungsjahres ist unzulässig. Der Zuschlags­ beschluß ist für das Rechnungsjahr zu fassen. Auch sog. Nachtragsumlagen gelten zwangsläufig vom Beginn des laufenden Rechnungsjahres ab; dies gilt jedoch insofern nicht für die Lohnsummen­ steuer, als bei ihr Erhöhungen der Zuschläge nur für denjenigen Teil der Lohnsumme Gültigkeit haben, für den die Zahlungen nach dem Inkraft­ treten des Gemeindebeschlusses zu leisten sind. Die Heranziehung hat hinsichtlich sämtlicher zur Steuer veranlagten Gewerbebetriebe zu erfolgen. Jedoch können im Einzelfalle Steuerbeträge von dem Gemeindevorstand oder von der mit der Einziehung beauftragten Stelle gestundet, evtl, niedergeschlagen und wenn die Einziehung nach Lage der Sache unbillig wäre, ermäßigt oder er­ lassen werden. Die Gemeinden können auch

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Gewerbesteuer

Vereinbarungen mit dem Steuerpflichtigen über die Höhe der Steuer abschließen; die Verein­ barungen können auf ein oder mehrere Rech­ nungsjahre abgeschlossen werden, sie bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Die Zu­ schläge zu den Steuergrundbeträgen nach dem Kapital bzw. nach der Lohnsumme sollen grund­ sätzlich die gleichen sein wie die nach dem Ertrage; in besonderen Ausnahme fällen können auch die Gemeinden darüber hinaus Abweichungen be­ schließen, jedoch nur mit besonderer Genehmigung der Aufsichtsbehörde (Vorschriften über die weiter­ gehenden Abweichungen sind mit Erl. vom 25. 2. 1926, MBl. 206, gegeben). Eine besondere Staffelung der Zuschläge seitens der Gemeinden ist nicht gestattet (mit Ausnahme von Zweig­ stellen und Schankgewerbebetrieben; vgl. imteiG). Beschlüsse der Gemeinden, nach denen mehr als 200% der Steuergrundbeträge erhoben oder die Steuergrundbeträge im Verhältnis der einzelnen Bemessungsgrundlagen verschieden hoch heran­ gezogen werden sollen, bedürfen derGenehmigung nach § 77 KAG. Soweit eine Genehmigung er­ forderlich, müssen die Berufsvertretungen der hiervon betroffenen Steuerpflichtigen (Jndustrieund Handelskammern und HK. oder bei De­ legation deren örtliche Vertretungen) vor Fas­ sung des Gemeindebeschlusses gehört werden; in Gemeinden unter 3000 Einwohnern ist diese Anhörung nur auf Antrag der betreffen­ den Steuerpflichtigen erforderlich. Die beteiligten Minister haben in der AusfAnw. rechtsverbind­ liche Bestimmungen darüber erlassen, zu welchen Punkten die Berussvertretungen sich zu äußern haben, welche Unterlagen ihnen zu übermitteln sind usw. Die Heranziehung durch die Gemeinden erfolgt auf Grund des Veranlagungsbescheids und eines etwa ergangenen Zerlegungsbeschlusses nach Maßgabe der beschlossenen Zuschläge, meist durch einen besonderen Heranziehungsbescheid; doch genügt unter Umständen die ortsübliche Bekannt­ machung der beschlossenen Zuschläge. Gegen die Heranziehung sind die von dem gegen die Ver­ anlagung gegebenen Rechtsmittelzug verschie­ denen Rechtsmittel des KAG. (Einspruch bei dem Gemeindevorstand und dann Klage im VwStr.) gegeben. Hinsichtlich der Zahlungstermine ist vor­ geschrieben, daß die G. nach dem Ertrage und nach dem Kapital in vierteljährlichen Teilen bis zum 15. des zweiten Monats des Kalender­ vierteljahrs, die Steuer nach der Lohnsumme — sofern die Gemeinde nicht einen längeren Zeit­ raum bestimmt — für jeden Monat bis zum 15. des folgenden Monats zu entrichten ist. G. Filialgewerbesteuer und Betriebs­ steuer. Diese zwei Arten von gewerblichen Sondersteuern — die in den Gemeinden vielfach durch besondere Steuerordnung eingeführte sog. Filialgewerbesteuer und die besondere Be­ steuerung der Schank- und Gastwirtschaften u. dgl., wie sie in Form der sog. Betriebssteuer in dem alten GewerbesteuerG. geregelt war, aber auch durch besondere gemeindliche Steuer­ ordnungen vorgenommen werden konnte — sind durch die erschöpfende Neuregelung der G. in Wegfall gekommen. Statt dessen können aber die Gemeinden derartige Betriebe durch besondere Zuschläge zur allgemeinen G. stärker belasten. Diese Sonderzuschläge dürfen um nicht mehr

als 20% über die in der Gemeinde sonst fest­ gesetzten Zuschläge hinausgehen. Die Möglich­ keit einer stärkeren Heranziehung der sog. Zweig­ stellen (d. h. Betriebsstätten, deren Hauptsitz in einer anderen Gemeinde ist) beschränkt sich auf Versicherungs-, Bank-, Kredit- und Waren­ handelsunternehmen; sie ist dem Gedanken ent­ sprungen, daß besonders in kleineren Gemeinden der bodenständige Kleinhandel stark unter der Konkurrenz der kapitalkräftigen auswärtigen Un­ ternehmungen leidet. Die Abgrenzung der Warenhandelsunternehmungen gegenüber Jndustrieunternehmungen ist schwierig, weil auch letztere den Absatz von Waren betreiben. Rach der Entscheidung des OVG. vom 23. 3. 1926 (OVG. 80,104) ist unter Warenhandelsunter­ nehmen jedes Unternehmen zu verstehen, soweit es allein oder neben anderen Geschäftszweigen, wie z. B. der Fabrikation oder dem Großhandel, dem Kleinhandel mit Waren, d. h. den unmittel­ baren Absatz an den Verbraucher betreibt, gleich­ viel ob es sich dabei um selbstfabrizierte, bear­ beitete oder angekaufte Waren handelt; bei ge­ mischten Unternehmungen würde es Sache der Gemeinden sein, den auf den Kleinhandel ent­ fallenden Betrag durch Zerlegung besonders zu ermitteln. — Die Abgrenzung der dem Schank­ gewerbesteuerzuschlag unterliegenden Betriebe — der Gastwirtschaft, der Schankwirtschast sowie des Kleinhandels mit Branntwein oder nicht de­ naturiertem Spiritus — ist dieselbe wie die nach dem alten GewerbesteuerG. Schon dort war nach § 33 der GewO, zu beurteilen, ob ein Betrieb sich als Gastwirtschaft usw. darstellte. H. Umlagen der Kreise und Provinzen und Handelskammerbeiträge. Als Maßstab zur Deckung des Fehlbetrags für die Umlagen der Kreise und Provinzen auf die Nachgeordneten Verbände sollen nach dem KrProvAbgG. (s. auch die Art. Kreisabgaben und Provinzialab­ gaben) neben den Überweisungen aus der Reichs­ einkommen- und Körperschaststeuer die vom Staate veranlagten Realsteuern dienen. Die Gew StB. bestimmt bezüglich der G., daß diese Umlage nach den auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Steuergrundbeträgen zu errechnen ist, daß jedoch die Steuergrundbeträge nach der Lohnsumme nur zur Hälfte in Anrechnung kommen. Für die Han­ delskammerbeiträge, die gemäß § 26 des Gesetzes über die Handelskammern vom 24. 2. 1870 in der Fassung vom 19. 8. 1897 nach Maßgabe der G. auf die Wahlberechtigten umgelegt werden, gelten ebenfalls die Steuergrundbeträge als Maß­ stab, aber ohne die ebengenannte Einschränkung hinsichtlich der Lohnsummensteuer. J. Verpflichtung von Betriebsgemein­ den zu Leistungen an Wohngemeinden. Wenn in einer Gemeinde in erheblichem Umfange Arbeitnehmer wohnen, welche in Betrieben einer anderen Gemeinde beschäftigt sind, erscheint es vom Standpunkte des kommunalen Lastenaus­ gleichs erforderlich, der Wohngemeinde, welcher durch das Wohnen der Arbeitnehmer erhebliche, mit der Steuerkraft dieser Arbeitnehmer nicht in angemessenem Verhältnis stehende Lasten er­ wachsen, eine Beteiligung an dem Steuerauf­ kommen der Betriebsgemeinde zu geben. Diesen Gedanken suchte früher der § 53 KAG. dadurch zu verwirklichen, daß er der Wohngemeinde unter

Gewerbeunfallversicherung

gewissen Voraussetzungen einen Anspruch auf einen „angemessenen Zuschuß" zu den Mehr­ ausgaben für Zwecke des öffentlichen Schul­ wesens, der öffentlichen Armenpflege und für polizeiliche Zwecke gegenüber der Betriebs­ gemeinde gab. Dieser Anspruch war aber an derart schwer festzustellende Voraussetzungen ge­ knüpft, daß er sich in der Praxis nur mit den größten Schwierigkeiten durchführen ließ. Die Gew StB. gab an Stelle dieses Anspruchs aüs § 53 KAG., den sie aufhob, der Wohngemeinde eine von jedem Nachweis einer unbilligen Mehr­ belastung u. dgl. unabhängige Beteiligung an dem Gewerbesteueraufkommen der Betriebsgemeinde; eine Lösung, aus die gerade die aus dem Gesichtspunkt des Lastenausgleichs ent­ standene Lohnsummensteuer hinwies. Nach dieser Regelung haben Arbeiterwohngemeinden einen Anspruch auf Beteiligung an dem Gewerbe­ steueraufkommen der Betriebsgemeinden dann, wenn in der Wohngemeinde mehr als 20 Lohn­ summenempfänger wohnen, welche in der Be­ triebsgemeinde beschäftigt sind. Der Anspruch geht auf Beteiligung an der Gesamtsumme der der Betriebsgemeinde zufließenden Lohnsummen­ steuer oder Gewerbekapitalsteuer (nicht Gewerbe­ ertragsteuer). Verteilungsmaßstab ist das Ver­ hältnis der Zahl der betreffenden Lohnsummen­ empfänger in der Wohngemeinde zur Gesamt­ zahl der Lohnsummenempsänger in der Betriebs­ gemeinde, ohne Rücksicht auf die Höhe der an die auswärtigen Lohnsummenempfänger tat­ sächlich gezahlten Löhne. Uber die Höhe der Zahlungen und die Art der Verrechnung können die Gemeinden Vereinbarungen treffen. Uber Streitigkeiten zwischen Betriebsgemeinde und Wohngemeinde beschließt der KrA., sofern eine Stadtgemeinde beteiligt ist, der BezA. endgültig. Die auch jetzt noch in der Materie liegenden Schwierigkeiten sucht die AusfAnw. durch Inter­ pretation und Ausfüllung von Lücken nach Mög­ lichkeit zu beheben. IV.Finanzielle und wirtschaftliche Aus­ wirkungen der G. Die Anspannung der G. in den preußischen Gemeinden hat sich in den Jahren 1925 und 1926 außerordentlich verschärft. Die vorläufigen Ergebnisse der Gemeindefinanz­ statistik für das Rechnungsjahr 1925 zeigen, daß das Aufkommen an G. in diesen Jahren auf fast das Vierfache gegenüber dem Jahre 1913 — nämlich rund 344 Mill. RM gegen rund 90 Mill. RM — gestiegen ist; das bedeutet — auch bei Berücksichtigung der eingetretenen Senkung der Kaufkraft der Mark — angesichts der starken Schwächung der Wirtschaft gegenüber der Vor­ kriegszeit eine kaum mehr erträgliche Belastung und eine Steigerung, wie sie wohl bei keiner anderen direkten Steuer in diesem Ausmaße zu verzeichnen ist. Der gewogene Durchschnitt der Zuschläge in den preuß. Städten betrug: nach den nach den Ergebnissen Schätzungen des Jahres für das Jahr 1925 1926

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Erschwerend für die Wirtschaft vom Gesichts­ punkt der Konkurrenzfähigkeit kommt hinzu die Ungleichmäßigkeit der Belastung in den einzelnen Gemeinden. Während z. B. Berlin sich mit einem Lohnsummensteuerzuschlag von 1000% begnügen konnte, betrug die Lohnsummensteuer in den Ge­ meinden des rheinisch-westfälischen Industrie­ gebiets durchschnittlich etwa 3000%; sie stieg in den einzelnen Gemeinden bis zu 5000%, stellen­ weise noch darüber. Manche Gemeinden konnten mit einer Gewerbeertragsteuer von 200% aus­ kommen, während andere auf 750% und noch darüber gingen. Durch die Novelle von 1927 sind Steuererleichterungen eingetreten, die Aus­ fälle an Steuergrundbeträgen zur Folge haben: einmal durch eine weitere Degression des Steuer­ satzes bei der Gewerbeertragsteuer, dann durch die teilweise Herausnahme der Miet- und Pacht­ zinsen aus dem Gewerbeertrag, schließlich durch die Herausnahme des gewerblichen Grundver­ mögens aus dem Gewerbekapital, welche durch die erfolgte Erhöhung des Kapitalsteuersatzes nicht voll ausgeglichen wird. Die Ausfälle werden für die Gemeinden. insgesamt etwa 50—60 Mill, (also etwa ein Siebentel bis ein Sechstel des Auf­ kommens für 1925) betragen unter der Voraus­ setzung, daß die Gemeinden nicht etwa die Senkung in den Steuergrundbeträgen durch eine Erhöhung der Steuerzuschläge ausgleichen. Die beteiligten Minister haben durch Erl. vom 14. 4. 1927 (MBl. 16) unter Abschn. C in Form einer starken Mahnung an die Gemeinden und einer Anweisung an die Aufsichtsbehörden Sorge dafür getragen, daß eine Erhöhung von Zuschlägen nur in besonderen Ausnahmesällen eintreten darf. Damit ist dem § 4a der Nov. zum FAG. vom 1. 4. 1927 (RGBl. I 81) nach Möglichkeit Rech­ nung getragen, der verlangt, daß die Mehrein­ nahmen aus den Reichssteuerüberweisungen zur Senkung der Realsteuern verwendet werden. Dieser § 4 a ist der Erkenntnis entsprungen, daß das Maß der Gewerbebesteuerung durch eine bloße Reform des Gewerbesteuerrechts nicht ge­ ändert werden kann, sondern daß es bedingt ist durch die Finanzlage der Gemeinden, die ihrerseits wieder im wesentlichen von der Gestaltung des Finanzausgleichs abhängt. Nach der genannten Finanzausgleichsnovelle soll zum 1.10.1927 ein die Realsteuern regelndes RahmenG. vorgelegr wer­ den. Der Entwurf eines eine solche Rahmenrege­ lung enthaltenden sog. SteuervereinheitlichungsG. liegt zur Zeit dem Reichsrat vor. Hog. Außer der bei den Artikeln „Steuern" und „direkte Steuern" angegebenen, bezüglich des früheren Rechts­ zustandes : Fuisting-Strutz, Das Preußische Gewerbe­ steuergesetz, 3. Aufl. (1913, Carl Heymann); Fernow, Gewerbesteuergesetz vom 24. 6. 1891, 6. Aufl. (1915, I. Guttentag); Oehler, Die besonderen Gewerbesteuern in den Gemeinden des rheinisch - westfälischen Industrie­ gebietes (1922, Gustav Fischer, Jena); bezüglich der jetzigen Regelung: Hog-Arens, Die Preußische Gewerbe­ steuer, 4. Aufl. (1928, Carl Heymann); Rohde, Die Preußische Gewerbesteuer 1927, 2. Aufl. (Jndustrieverlag Spaeth & Linde).

Gew erb eunf allv ersicherung. Sie ist der älteste Teil der Unfallversicherung (s. d.). Sie erfaßt bei der Gewerbeertragsteuer 475% 492% folgende Betriebe: 1. Bergwerke, Salinen, Auf­ bei der Gewerbekapitalsteuer 437% 953%*) bereitungsanstalten, Steinbrüche, Gräbereien; bei der Lohnsummensteuer 1504% 1484%. dritten Teil gesenkt worden; die Zuschläge sind *) Für 1926 sind die Prinzipalsteuersätze für demnach nicht ganz in demselben Verhältnis er­ das Gewerbekapital gegenüber 1925 auf den höht worden. 47 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3.

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Gewerbevereine — Gewerbliche Anlagen

2. Fabriken, Werften, Hüttenwerke, Apotheken gewerbliche Brauereien und Gerbereibetriebe; 3. Bauhöfe, gewerbliche Betriebe, in denen Bau-, Dekorateur-, Steinhauer-, Schlosser-, Schmiede­ oder Brunnenarbeiten ausgesührt werden, Stein­ zerkleinerungsbetriebe; 4. das Schornsteinfeger-, Fensterputzer-, Fleischergewerbe, der Betrieb von Badeanstalten; 5. die Betriebe der Eisenbahn-, Post- und Telegraphenverwaltung und der Ver­ waltung der Reichswehrmacht (auch der früheren Heeres- und Marineverwaltungen); 6. der Binnenschisfahrts- und Fährbetrieb und verwandte Betriebe, die Binnenfischerei, Fischzucht, Teich­ wirtschaft und Eisgewinnung, wenn sie gewerbs­ mäßige Betriebe sind oder von einer öffentlichen Körperschaft verwaltet werden, Baggereibetriebe sowie das Halten von Fahrzeugen auf Binnen­ gewässern; 7. der Fuhrwerks-, Speditions-, Fähr­ betrieb, der Reittier- und Stallhaltungsbetrieb, wenn sie gewerbsmäßig betrieben werden, das Halten von anderen Fahrzeugen als Wasserfahr­ zeugen, wenn sie durch elementare oder tierische Kraft bewegt werden, sowie das Halten von Reittieren; 8. der Speicher-, Lagerei- und Kellerei­ betrieb, wenn sie gewerbsmäßig betrieben werden; 9. der Gewerbebetrieb der Güterpacker, Güter­ lader, Schiffer, Bracker, Wäger, Messer, Schauer, Stauer; 10. Betriebe zur Beförderung von Personen oder Gütern, Holzfällungsbetriebe; 11. Betriebe zur Behandlung und Handhabung der Ware, zu 10 und 11, wenn sie mit einem kaufmännischen Unternehmen verbunden sind, das über den Umfang des Kleinbetriebs hin­ ausgeht. Das ist der Fall, wenn in dem Unter­ nehmen die Tätigkeit der beschäftigten Personen im ganzen jährlich 300 volle Tagesleistungen ergibt. Dabei wird aber die Tätigkeit der kauf­ männischen Angestellten, Verkäufer u. dgl. nur zur Hälfte angerechnet (Bek. vom 16. 1. 1912, AN. 604). Zu 11. Der Versicherung unterliegen nicht landwirtschaftliche Betriebe, die Neben­ betriebe sind, sowie Seefahrzeuge und Küsten­ fischereisahrzeuge (§ 640 RVO.). Nicht ver­ sichertist die rein kaufmännische Berkaufstätigkeit, soweit sie nicht mit technischer Verrichtung ver­ bunden ist. Dagegen unterliegen der Versicherung diejenigen Verrichtungen, die zu der an sich un­ versicherten Verkausstätigkeit in näherer Be­ ziehung stehen, z. B. das Herbeiholen und Vor­ legen der Ware zum Zwecke des Verkaufs, das Abmessen, Verpacken und die Übergabe der Ware an den Käufer u. dgl. (Begr. z. RVO. 279ff.). Als Fabriken im Sinne zu 2 gelten Betriebe, die a) gewerbsmäßig Gegenstände bearbeiten oder verarbeiten und hierzu mindestens zehn Arbeiter regelmäßig beschäftigen;d) gewerbsmäßig Spreng­ stoffe erzeugen oder verarbeiten oder elektrische Kraft erzeugen oder weitergeben; c) nicht bloß vorübergehend Dampfkessel oder von elementarer oder tierischer Kraft bewegte Triebwerke ver­ wenden. Das NVA. kann auch andere Betriebe den Fabriken gleichstellen. Bon der Versicherung ist überall die reine Bureautätigkeit ausgeschlossen. Versichert sind folgende Tätigkeiten, auch wenn sie nicht betriebsmäßig vorgenommen werden, nämlich Bauarbeiten, Tätigkeiten beim Halten von Wasserfahrzeugen und Fahrzeugen, die durch elementare oder tierische Kraft bewegt werden (Kraftwagen), von Reittieren. Die Satzung kann

die Versicherungspflicht auf Betriebsunternehmer und aus Hausgewerbetreibende, die Unternehmer eines unfallversicherten Betriebs sind, erstrecken, doch kann der Vorstand Unternehmer, die keiner besonderen Unfallgesahr ausgesetzt sind, für ver­ sicherungsfrei erklären und die Befreiung wider­ rufen, falls ihre Voraussetzung nicht mehr ge­ geben ist. Auf Beschwerde entscheidet das OVA. (§§ 548, 549 RVO.). Unternehmer sowie Bin­ nenlotsen, die ihr Gewerbe für eigene Rechnung betreiben, können sich selbst versichern. Was von dem Unternehmer gilt, findet auf die im Be­ triebe tätigen Ehegatten Anwendung. F. H. Gewerbevereine sind Vereinigungen von Per­ sonen zur Förderung des Gewerbes, des Hand­ werkes und der Industrie und zur Verbreitung der einschlägigen Kenntnisse. Einzelne G. ver­ folgen daneben die materielle und sittliche Hebung der arbeitenden Klassen. Im Gegensatze zu den Innungen gehören den G. nicht nur Gewerbe­ treibende als Mitglieder an; in der Regel wird jede unbescholtene Person ausgenommen. G. be­ stehen vorzugsweise in den westlichen Provinzen (vgl. z. B. das Statut des G. zu Düsseldorf vom 20. 6. 1836, v. Kamptz 20, 689). Im einzelnen haben sich die G. zur Aufgabe gestellt die Anschaf­ fung von Büchern, Modellen und Zeitschriften, die Abhaltung von Vorträgen, die Beantwortung von Anfragen, die Herausgabe einer Zeitschrift, die Veranstaltung von Ausstellungen sowie die Gründung und Unterhaltung von Fortbildungs­ und Fachschulen. Die G., welche mindestens zur Hälfte aus Handwerkern bestehen, nehmen an der Wahl der Mitglieder der Handwerkskammern teil. S. Handwerkskammern IV. F. H. Gewerbliche Anlagen. I. Genehmigungs­ pflichtige A. 1. Allgemeines. In § 16 GewO, wird bestimmt, daß zur Errichtung von A. — d. s. bestimmte, zum Zweck eines fortge­ setzten Betriebs dienende und daher auf eine gewisse Dauer berechnete Einrichtungen —, die durch die örtliche Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publi­ kum überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können, die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zu­ ständigen Behörde erforderlich ist. Mit diesem Grundsätze, der eine Beschränkung der Gewerbe­ freiheit darstellt, folgt die GewO, dem § 27 der PrGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 41) und dem G., betr. die Errichtung gewerblicher Anlagen, vom 1. 7. 1861 (GS. 749), durch das das Ver­ zeichnis der genehmigungspflichtigen A. geändert und das Genehmigungsverfahren eingehend ge­ regelt wurde. Sowohl die PrGewO. (§ 27 Abs. 2) als auch das G. vom 1. 7. 1861 (§ 1 Abs. 2) enthielten die Vorschrift, daß es bei den aufgeführten A. für die Genehmigungspslicht keinen Unterschieb mache, ob sie nur auf den eigenen Bedarf des Unternehmens oder auch aus Absatz an andere berechnet seien. Wenngleich eine entsprechende Vorschrift in der GewO, fehlt, so wird doch im allgemeinen angenommen (s. auch Erl. vom 11. 3. 1893, MBl. 112), daß auch nicht gewerbs­ mäßig betriebene A. (z. B. fiskalische Betriebe) und auch A. der nicht unter die GewO. (§ 6) fallenden Gewerbe (z. B. landwirtschaftliche

Gewerbliche Anlagen

Nebenbetriebe) der Genehmigungspflicht unter­ worfen sind, soweit nicht anderweit, z. B- im BergG., die Genehmigung besonders geregelt ist. Diese Annahme beruht auf der zutreffenden Erwägung, daß die Frage nach dem gewerbs­ mäßigen Betrieb einer A. ohne Einfluß auf die Gefahren und Belästigungen ist, deren Abwen­ dung der § 16 a. a. O. bezweckt. Unter „Errichtung" ist im allgemeinen die neue Anlegung einer gewerblichen A. zu verstehen, nicht aber der Wiederaufbau einer zerstörten A. innerhalb ihrer früheren Grenzen (OVG. 10, 283). Als Bestandteile einer genehmigungspflich­ tigen A. können nur diejenigen Einrichtungen gel­ ten, mit deren Hilfe die unmittelbaren Zwecke der A. erreicht werden sollen, die also dazu bestimmt sind, bei Herstellung der Erzeugnisse in irgend­ einer Weise benutzt zu werden oder zur Auf­ bewahrung der Erzeugnisse zu dienen. Lager­ räume für Stoffe, die in genehmigungspflichtigen A. verarbeitet oder hergestellt werden, bedürfen der Genehmigung, wenn sie ihrer Lage und Be­ schaffenheit nach als ein Bestandteil der A. an­ zusehen sind (OVG. 42, 277). Zur Inbetrieb­ setzung der genehmigten A. bedarf es, abgesehen von Dampfkesseln (§ 24 GewO.) und Spreng­ stosfabriken (s. d.) einer besonderen Erlaubnis nicht (Zisf. 28 AusfAnw. z. GewO.). Nieder­ lagen gewerblicher Produkte gehören nicht zu den gewerblichen A. (Erl. vom 10. 11. 1887, MBl. 273; OVG. vom 17. 11. 1892, PrVBl. 14, 248). Die auf Grund des § 16 genehmigten A. können weiteren Beschränkungen, als in der Ge­ nehmigungsurkunde enthalten sind, nicht unter­ worfen werden. Für diese A. ist das Maß der zu erfüllenden Verpflichtungen und demnach die Grenze des polizeilichen Einschreitens durch die Genehmigungsurkunde geregelt. Sie sind durch den § 51 insoweit geschützt, als ihre fernere Be­ nutzung nur von dem BezA. und nur gegen Ent­ schädigung untersagt werden darf, wenn den mit ihrem Betriebe verbundenen überwiegenden Nach­ teilen und Gefahren für das Gemeinwohl unter Einhaltung der dem polizeilichen Einschreiten ge­ zogenen Grenzen nicht begegnet werden kann (OVG. 5, 286; 10, 260; 22, 303 und Entsch. vom 10. 4. 1902, HMBl. 1903, 23) Nst bei der Genehmigung der allgemeine Vorbehalt gemacht, daß die Nachbarschaft durch Rauch oder Geräusch nicht belästigt werden dürfe, so kann nicht die Polizeibehörde auf Grund des § 10 II 17 ALR. einschreiten, vielmehr kann nur in Frage kommen, daß die genehmigende Behörde nachträglich wei­ tere Bedingungen vorschreibt (OVG. 51, 310). Dagegen können die übrigen gewerblichen A. besonderen polizeilichen Beschränkungen unter­ worfen werden, soweit hierfür im § 10II17 ALR. und im § 6 PolizeiG. vom 11. 3. 1850 GS. 265, eine Handhabe gegeben ist (OVG. 14, 323; 18, 302; 23, 268; Entsch. vom 10. 4. 1902, HMBl. 1903, 23). Dies gilt auch gegenüber A., die vor Erlaß der GewO, genehmigt worden sind, sofern nicht die Genehmigung auf Grund eines G. (z. B. § 27 PrGewO.), das ihr diese Bedeutung bei­ legt, erteilt ist, oder der Inhalt der Genehmigung außer Zweifel stellt, daß ihr diese Bedeutung inne­ wohnen soll (RGZ. 19, 353). Die Polizeibehörde kann bei solchen Anlagen nur die zur Beseitigung

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der Gesundheitsgefahr nötigen Beschränkungen auserlegen, muß also nach Möglichkeit die In­ teressen des Betriebs berücksichtigen (OVG. 51, 313). Bei polizeiwidriger Benutzung eines vermieteten Grundstücks kann die Polizeibehörde nicht nur vom Eigentümer, sondern auch vom Mieter die Beseitigung des unzulässigen Zustands fordern (OVG. vom 14. 10. 1904, HMBl. 1905, 132 und vom 5. 7. 1904, PrVBl. 26, 138). Bei allen gewerblichen A., auch bei den nach § 16 GewO, genehmigten, können die Polizei­ behörden auf Grund des § 120d GewO, nachträg­ lich die Ausführung der den Anforderungen der §§ 120a bis 120c entsprechenden Einrichtungen verlangen (s. TechnAnl. — s. d. — Abschn. 1). Bei Veräußerung einer g. A. bedarf der Er­ werber, wenn eine wesentliche Änderung weder der Betriebsstätte noch der Betriebsweise vor­ genommen wird, keiner neuen Genehmigung (§ 25 GewO.; OVG. vom 6. 4. 1903, PrVBl. 25, 113). Durch Baupolizeiverordnungen können A., die durch Verbreitung schädlicher Dünste, durch Erregung störenden Geräusches usw. Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Publi­ kums zur Folge haben oder die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen, von bestimmten Ortsteilen ausgeschlossen werden. Un­ gültig ist aber eine Polizeiverordnung, nach der in bestimmten Ortsteilen keine gewerblichen A. hergestellt oder betrieben werden dürfen oder nach der A. ausgeschlossen werden, die nur Belästi­ gungen oder Nachteile für das Publikum im Ge­ folge haben (§ 23 Abs. 3 GewO.; OVG. 41, 322; 42, 361 vom 28. 5. 1903, PrVBl. 25, 130). Wegen der Gebühren s. Ziff. 2 des Tarifs zur VerwaltungsgebührenO. vom 30. 12. 1926 (GS. 327). 2. Verzeichnis der genehmigungspflich­ tigen A., Genehmigungsbehörden. Außer Dampfkesseln (s. d.) sind zur Zeit genehmigungs­ pflichtige A.: Schießpulverfabriken (s. Pul­ verfabriken), A. zur Feuer werkerei (s. d.) und zur Bereitung von Zündstoffen aller Art (s. Zündstoffe, Zündhölzer, Sprengstoffabriken, Pikrinsäurefabriken), Gasbereitungs- und Gasbewahrungsanstalten (s. d.), Anstalten zur Destillation von Erdöl (s. Erdöl), A. zur Be­ reitung von Braunkohlenteer, Steinkohlenteer und Koks (s. Teer), sofern sie außerhalb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Glas- und Rußhütten (s. d.), Kalk- (s. Kalk­ öfen), Ziegel- (s. Ziegeleien) und Gipsöfen (s. d.), A. zur Gewinnungroher Metalle(s.Metalle), Röstöfen (s. d.), Metallgießereien (s. d.), sofern sie nicht bloße Tiegelgießereien sind, Hammerwerke (s. d.), chemische Fabriken aller Art (s. d.), Schnellbleichen (s. d.), Firnissiedereien (s. d.), Stärkefabriken(s.d.), mit Ausnahme der Fabri­ ken zur Bereitung von Kartoffelstärke, Stärke­ sirupfabriken (s. Stärkefabriken), Wachstuch-(s. d.) Darmsaiten- (s. d.), Dachpappen- und Dachfilz­ fabriken (s. d.), Leim- (s. d.), Tran- (s. d.) und Seifensiedereien (s. d.), Knochenbrennereien, Knochendarren, Knochenkochereien und Knochenbleichen (s. d.), Zubereitungsan­ stalten für Tierhaare (s. Tierhaare), Talg­ schmelzen (s. d.), Schlächtereien (s. d.), Gerbe­ reien (s. d.), Abdeckereien (s.d.), Poudrettenund Düngpulverfabriken (s. d.), Stau47*

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anlagen für Wassertriebwerke (s. d.), Hopfen-Schwefeldörren (s. d.), Asphaltkochereien und Pechsiedereien (s. d.), soweit sie außerhalb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Strohpapierstoffabriken (s. d.), Darmzubereitungsanstalten (f. Darmsaitenfabri­ ken), Fabriken, in welchen Dampfkessel (s. Dampfkesselfabriken) oder andere Blechgefäße durch Vernieten hergestellt werden (s. Bernietungsanstalten), Kalifabriken (s. d.) und Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit er­ hitzten Teerölen (s. Holzimprägnierungsanstal­ ten), Kunstwollefabriken (f. d.), A. zur Her­ stellung von Zelluloid (s. Zelluloidfabriken) und Degrasfabriken (s. d.), die Fabriken, in wel­ chen Röhren aus Blech durch Vernieten herge­ stellt werden (s. Vernietungsanstalten), sowie die A. zur Erbauung eiserner Schiffe (s. Schisfsbauanstalten), zur Herstellung eiserner Brücken oder sonstiger eiserner Baukonstruktionen (s. Brückenbauanstalten), die A. zur Destillation oder zur Verarbeitung von Teer und von Teerwasser (s. Teer), die A., in welchen aus Holz oder ähnlichem Fasermaterial aus chemischem Wege Papierstoff hergestellt wird (Zellu­ losefabriken, s. d.), die A., in welchen Albu­ minpapier hergestellt wird (s. Albumin­ papierfabriken), die Anstalten zum Trocknen und Einsalzen ungegerbter Tierfelle (s. Tierfelle) sowie die Verbleiungs-, Verzinnungs- und Verzinkungsanstalten (s. d.), die A. zur Her­ stellung von Gußstahlkugeln mittels Kugelschrot­ mühlen (Kugelfräsmaschinen) ss. Kugelschrotmühlen^ die A. zur Herstellung von Zünd­ schnüren und von elektrischen Zündern (s. Zündschnüre). Für die gesperrt gedruckten A. erteilt der BezA. hinsichtlich der übrigen A. der KrA. (StA.), in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10000 Einw. der Magistrat die Genehmi­ gung (§ 109 ZG.). Im Falle einer Ergänzung des Verzeichnisses durch den RR. ist der BezA. zu­ ständig, sofern nicht auf Grund des § 109 Abs. 2 ZG. durch AusfB. die Zuständigkeit anders ge­ regelt wird. Bei Neuanlagen für Wassertrieb­ werke greift ein besonderes Verfahren Platz (s. d.). 3. Genehmigungsverfahren (Ziff. 21—33 AusfAnw. z. GewO., abgeändert durch Erl. vom 30. 5. 1909, HMBl. 273 und vom 24. 5. 1910, HMBl. 263). Der Antrag auf Erteilung der Ge­ nehmigung zur Errichtung einer A. ist, wenn die A. innerhalb eines Landgemeindebezirkes oder selbständigen Gutsbezirkes errichtet werden soll, bei dem Landrat, und wenn sie innerhalb eines Stadtbezirkes errichtet werden soll und die Be­ schlußfassung dem StA. oder Magistrate zusteht, bei diesen, andernfalls bei der Polizeibehörde an­ zubringen. Ein polizeilicher Zwang zur Einrei­ chung des Genehmigungsgesuchs ist unzulässig; OVG. vom 8. 2. 1909 (HMBl. 279). Soll eine unter § 109 ZG. fallende A. von einer Stadtge­ meinde über 10000 Einw. oder von einem Land­ kreis in ihren Bezirken errichtet werden, so ist der Antrag bei dem RP. (im Stadtkreise Berlin bei dem OP.) anzubringen. Dieser bezeichnet auf Grund des § 59 LVG. die Beschlußbehörde und gibt an diese den Antrag mit dem Auftrag ab, mit der Leitung des Vorverfahrens einen geeig­ neten Beamten zu beauftragen.

Dem Anträge müssen die zur Erläuterung er­ forderlichen Zeichnungen und Beschreibungen in drei Exemplaren und, soweit der Veterinär­ beamte beteiligt ist, in vier Exemplaren beigesügt werden. Die Prüfung der Vorlagen auf ihre Vollständigkeit und Nichtigkeit erfolgt durch den Baubeamten, den Gewerbeaufsichtsbeamten, bei einzelnen besonders gesundheitsschädlichen A. auch durch den Medizinalbeamten, und bei Darm­ saitenfabriken, Darmzubereitungsanstalten, Leim­ siedereien, Zubereitungsanstalten für Tierhaare, Talgschmelzen, Schlächtereien, Gerbereien, Ab­ deckereien, A. zum Trocknen und Einsalzen unge­ gerbter Tierfelle auch durch den Beterinärbeamten. Ist gegen die Vollständigkeit der Vorlagen nichts zu erinnern, so wird das Unternehmen mit­ tels einmaliger Einrückung in das zu den amtlichen Bek. der Beschlußbehörde bestimmte Blatt mit der Aufforderung zur öffentlichen Kenntnis ge­ bracht, etwaige Einwendungen gegen die A. binnen 14 Tagen nach Ausgabe des die Bek. enthaltenden Blattes anzubringen. Die Frist ist für alle Einwendungen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen — dazu gehö­ ren auch die aus dem Nachbarrechte herrühren­ den gesetzlichen Beschränkungen (NGZ. 13, 52) und die landesgesetzlichen Vorschriften über die Rechtsverhältnisse der Uferanlieger und Stau­ werksbesitzer (Rekursbescheid vom 18. 1. 1905, HMBl. 33) präklusivisch. Sind Einwendungen nicht erhoben, so hat die Behörde zu prüfen, ob die A. erhebliche Gefahren, Nachteile oder Be­ lästigungen für das Publikum (vgl. Rekurs­ bescheid vom 18. 2. 1905, HMBl. 53) herbei­ führen könne. Auf Grund dieser Prüfung, welche sich zugleich aus die Beachtung der bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vor­ schriften erstreckt, ist die Genehmigung zu ver­ sagen, oder, unter Festsetzung der sich als nötig ergebenden Bedingungen, zu erteilen. Zu diesen gehören auch Anordnungen zum Schutze der Ar­ beiter gegen Gefahr für Gesundheit und Leben. Werden Einwendungen erhoben, so sind diese mit den Parteien zunächst vollständig zu erörtern, wobei Einwendungen, die auf besonderen privat­ rechtlichen Titeln beruhen, zur richterlichen Ent­ scheidung zu verweisen sind, ohne daß von der Erledigung derselben die Genehmigung abhängig gemacht wird. Für die mündliche Verhandlung vor den Genehmigungsbehörden (s. unter 2) sind die Vorschriften der §§ 68, 71, 72, 73,75,76—79, 118, 120 LVG. maßgebend. Der Bescheid ist schriftlich auszufertigen und muß die festgesetzten Bedingungen, d. h. Anordnungen über die Art der Einrichtung der gewerblichen Anlagen und ihres Betriebs zu dem Zwecke, den Schutz der Nachbarn und des Publikums überhaupt vor Nachteilen, Gefahren oder Belästigungen zu sichern (OVG. 51, 310), enthalten; er muß mit Gründen versehen sein, wenn die Genehmigung versagt oder nur unter Bedingungen erteilt wird (§§ 17—19 GewO.). In dem Bescheide kann dem Unternehmer aus seine Gefahr, unbeschadet des Rekursverfahrens, die unverzügliche Ausführung der baulichen A. gestattet werden, wenn er dies vor Schluß der Erörterung beantragt. Die Ge­ stattung kann von einer Sicherheitsleistung ab­ hängig gemacht werden (§ 19a GewO.). Gegen den Bescheid ist Beschwerde (Rekurs)

Gewerbliche Anlagen an den HM. zulässig, der bei Verlust desselben binnen 14 Tagen, vom Tage der Zustellung des Bescheides an, gerechtfertigt werden muß. Der Nekursbescheid wird den Parteien durch die Ge­ nehmigungsbehörde erster Instanz zugestellt und muß mit Gründen versehen sein (§ 20 GewO.). Die Kosten des Verfahrens fallen dem Unter­ nehmer, diejenigen unbegründeter Einwendungen dem Widersprechenden zur Last (§ 22 GewO.). Uber die Genehmigung wird dem Unter­ nehmer eine Genehmigungsurkunde aus­ gehändigt, und zwar sofort, wenn Einwendungen nicht erhoben oder zurückgezogen worden find und die Genehmigung nach dem Anträge des Unternehmers oder unter Bedingungen, mit denen dieser sich einverstanden erklärt hat, er­ teilt wird; in allen übrigen Fällen nach Erledi­ gung des Verfahrens. Eine Polv. nach der jeder Gewerbetreibende die Genehmigungsurkunde jederzeit dem zuständigen Gewerbeaufsichtsbeam­ ten vorzulegen hat, ist rechtsungültig (KGJ. 260 5). S. auch Betriebsgeheimnisse. Die Erteilung der gewerbepolizeilichen Ge­ nehmigung schließt die baupolizeiliche Genehmi­ gung in sich, so daß es eines besonderen Bau­ konsenses nicht bedarf (Erl. vom 2. 3. 1880, MBl. 80; Mot. z. Nov. z. GewO, vom 30. 6. 1900, NT.-Drucks. Nr. 165; OVG.37,309). Baupolizei­ gebühren dürfen nicht erhoben werden. Dispense von den baupolizeilichen Vorschriften hat die für die Erteilung der gewerbepolizeilichen Genehmi­ gung zuständige Behörde zu erteilen (Erl. vom 22. 2. 1906, HMBl. 136). Der Verwaltungs­ richter kann nicht auf Erteilung einer zu Unrecht versagten baupolizeilichen Genehmigung er­ kennen (OVG. 37, 309). Ausländischen juristi­ schen Personen darf die gewerbepolizeiliche Ge­ nehmigung erst erteilt werden, wenn sie die zum Grunderwerb und Gewerbebetrieb erforderliche Genehmigung erhalten haben (Erl. vom 7. 2. 1897, MBl. 35). S. auch wegen der banpolizeilichen Genehmigung Erl. vom 28. 2. 1889 (MBl. 41), vom 26. 4. 1896 und 27. 1. 1897. Wenn der Unternehmer bei der Ausführung wesentliche Änderungen vornimmt, so kann die Polizeibe­ hörde zur Innehaltung der Genehmigungs­ bedingungen unmittelbaren Zwang anwenden (OVG. vom 20. 6. 1907, HMBl. 335). Die Poli­ zeibehörde kann die Genehmigungsbedingungen weder erweitern noch beschränken; sie hat ledig­ lich die Innehaltung zu überwachen. Die Ge­ nehmigungsbehörde kann die Regelung der Be­ dingungen nicht auf die Polizeibehörde über­ tragen (OVG. 54, 376). Wegen des Verfahrens bei Genehmigung von Stauanlagen für Wassertriebwerke und sonstige Stauanlagen s. d. 4. Erlöschen der Genehmigung (§ 49 GewO.). Bei Erteilung der Genehmigung kann eine Frist festgesetzt werden, binnen der die A. bei Vermeidung des Erlöschens der Genehmigung begonnen und ausgeführt und der Gewerbebetrieb angefangen werden muß. Ist eine solche Frist nicht bestimmt, so erlischt die erteilte Genehmigung, wenn der Inhaber nach Empfang derselben ein ganzes Jahr verstreichen läßt, ohne davon Ge­ brauch zu machen. Eine Verlängerung der Frist kann von der Behörde bewilligt werden, sobald

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erhebliche Gründe nicht entgegenstehen. Die Ge­ nehmigung ist unteilbar. Ist ein Teil der A. nicht binnen der besonders vorgeschriebenen oder gesetz­ lichen Frist ausgeführt, so folgt daraus nicht, daß die Genehmigung für diesen Teil erlischt und nur für den ausgeführten Teil der A. bestehen bleibt (OVG. 20,334). Die Genehmigung erlischt, wenn der Gewerbebetrieb während drei Jahren ein­ gestellt ist (s. Einstellung von Gewerbebe­ trieben), ohne daß eine Fristung nachgesucht und erteilt ist. Das gleiche gilt auch für A., die zu einer Zeit errichtet wurden, als eine Genehmi­ gung nicht erforderlich war (OVG. vom 17. 1. 1900, PrVBl. 26, 341). Die Fristung darf so lange nicht versagt werden, als wegen einer durch Erbfall oder Konkurserklärung entstandenen Un­ gewißheit über das Eigentum an einer A. oder, infolge höherer Gewalt, der Betrieb entweder gar nicht oder nur mit erheblichen Nachteilen für den Inhaber oder Eigentümer der A. stattfinden kann. Das Verfahren für die Fristung ist dasselbe wie für die Genehmigung neuer A. Eine Ein­ stellung des Gewerbebetriebs liegt nicht vor, wenn nur einzelne Abschnitte fortgeführt werden; z. B. wenn eine Gerberei genehmigt und nur die dazu gehörige „Sudelei" betrieben worden ist (OVG. 9, 300). 5. Veränderungen (§ 25 GewO.). Die Ge­ nehmigung bleibt so lange in Kraft, als keine Änderung in der Lage oder Beschaffenheit der Betriebsstätte vorgenommen wird, und bedarf auch dann, wenn ein Eigentumswechsel vor sich geht, der Erneuerung nicht. Wird aber eine Änderung der Betriebsstätte — d. i. der ganze zur Ausübung des Gewerbes benutzte Raum (OVG. vom 23. 9. 1899, PrVBl. 21, 268; 42, 277; vom 4. 12. 1905, PrVBl. 28, 893) — oder eine Änderung in dem Betriebe vorge­ nommen, so ist eine neue Genehmigung erfor­ derlich. Dies gilt auch für A., die vor Inkraft­ treten der GewO. bestanden haben (§ 25 Abs. 2 GewO.; RGZ. 19, 353; OVG. vom 15. 5. 1893, PrVBl. 14, 499; vom 20. 5. 1901, PrVBl. 23, 229). Die Veränderung muß wesentlich sein, d. h. auf diejenigen Rücksichten einwirken können, die nach dem Gedanken des Gesetzgebers überhaupt die A. genehmigungspflichtig gemacht haben, nämlich die Rücksichten, daß die A. durch Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Be­ sitzer oder Bewohner der benachbarten Grund­ stücke oder für das Publikum überhaupt erheb­ liche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen könne (OVG. 10 S. 260, 277, 283; 24, 317; 29 S. 286, 309). Dazu gehört die Ein­ führung des pneumatischen Betriebs bei Nietund Stemmarbeiten in Eisenbearbeitungswerk­ stätten (s. Brückenbauanstalten) im größeren Um­ fange (Erl. vom 24. 4. 1908, HMBl. 152), die Herstellung einer neuen Abwässeranlage (Erl. vom 20. 11. 1915, HMBl 390) und unter Um­ ständen die Änderung der Feuerungsanlage (Erl. vom 28. 2. 1922, HMBl 37). Keine wesentliche Änderung ist die Verwendung anderen Materials (OVG. vom 24. 3. 1902, PrVBl. 23, 793). Wesentliche Änderungen der Betriebsstätte oder des Betriebs machen die Genehmigung nicht hinfällig, vielmehr bleibt für den genehmigten Teil der A. die Konzession erhalten, so daß die

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Polizeibehörde nur insoweit einschreiten kann, als es sich um den nicht genehmigten konzessions­ pflichtigen Teil der A. handelt. Hst eine solche Scheidung zwischen konzessioniertem und nicht konzessioniertem Teil der A. nicht möglich, so kann die Polizeibehörde gegen den ganzen Be­ trieb einschreiten (OVG. 24, 319). Die Ent­ scheidung der Genehmigungsbehörde darüber, ob eine genehmigungspflichtige Änderung des Be­ triebs oder der Betriebsstätte vorliegt, ist sowohl für die Polizei als auch für den Verwaltungs­ richter bindend (OVG. 37, 309; 40, 300; 52, 276). Es ist nur zu prüfen, ob die Genehmigung von einer zuständigen Behörde erteilt worden ist. Die Polizeibehörde kann die Änderungen nicht ge­ nehmigen. Durch die aus rechtsirrtümlicher An­ nahme beruhende Erteilung einer Bauerlaubnis kann die gewerbepolizeiliche Genehmigung nicht ersetzt werden. Die Bauerlaubnis ist unwirksam und kann daher widerrufen werden (OVG. vom 20. 10. 1902, PrVBl. 24, 696). Die Erteilung der Genehmigung zu der Änderung erfolgt in dem für die Errichtung der A. vorgeschriebenen Ver­ fahren mit der Maßgabe, daß aus Antrag des Unternehmers aber auch nur auf Antrag (NGZ. 41, 31) — von der Bek. Abstand genommen werden kann, wenn die Genehmigungsbehörde die Überzeugung gewinnt, daß die beabsichtigte Veränderung für die Besitzer oder Bewohner benachbarter Grundstücke oder das Publikum überhaupt neue oder größere Nachteile, Gefahren oder Belästigungen, als mit der vorhandenen A. verbunden sind, nicht herbeiführen wird. Wird der Antrag abgelehnt, so findet ein Rechtsmittel nicht statt (Zifs. 17 AusfAnw. z. GewO.). 6. Strafvorschriften und Zwangsmaß­ regeln. Wer eine genehmigungspflichtige ge­ werbliche A. ohne Genehmigung errichtet oder die wesentlichen Bedingungen der Genehmigungs­ urkunde nicht innehält oder ohne neue Genehmi­ gung eine wesentliche Änderung der Betriebs­ stätte oder eine Verlegung des Lokals oder eine wesentliche Veränderung in dem Betriebe der A. vornimmt, wird mit Geldstrafe bis zu 300 RM und im Unvermögensfalle mit Haft bestraft (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 GewO.). Dies gilt auch dann, wenn die Bedingungen nicht innegehalten werden, unter denen die Änderung einer A. ge­ nehmigt ist (KG. vom 29. 5. 1905, HMBl. 330). Wer eine bereits genehmigte A. erwirbt, haftet auch ohne Erneuerung der Genehmigung für die während seiner Besitzzeit vorkommenden Übertretungen der Bedingungen der Genehmig­ ung. Durch Vermietung einer genehmigten A. wird der Inhaber der Genehmigung von der persönlichen Haftung für solche während der Dauer der Vermietung vorkommenden Übertret­ ungen nicht befreit (KGB. 9, 180). Die Polizei­ behörde kann die Wegschaffung der A. oder die Herstellung des den Bedingungen entsprechenden Zustandes anordnen (§ 147 Abs. 3 GewO.). Von dieser Befugnis soll aber die Polizeibehörde in der Regel erst Gebrauch machen, wenn die Bestra­ fung des Gewerbetreibenden rechtskräftig erfolgt ist; sie hat zu diesem Zwecke, wenn der Ge­ werbetreibende der Aufforderung, die Genehmig­ ung einzuholen, nicht nachkommt, das Straf­ verfahren herbeizuführen. Jede Schließung einer gewerblichen A. ist dem HM. anzuzeigen (Ziff. 9

AusfAnw. z. GewO.; Erl. vom 22. 6. 1904, HMBl. 339). II. Geräuschvolle A. (s. d.). III. Errichtung von Windmühlen s. Triebwerke. IV. Untersagung der Benutzung ge­ werblicher A. (§§ 26, 51 GewO.). Soweit die bestehenden Rechte, insbesondere die Vor­ schriften über das Nachbarrecht zur Abwehr be­ nachteiligender Einwirkungen, die von einem Grundstück aus auf ein benachbartes Grundstück geübt werden, dem Eigentümer oder Besitzer des letzteren eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer genehmigten A. gegenüber niemals auf Einstellung des Gewerbebetriebs, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, die die benachteiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen untunlich oder mit einem gehörigen Betriebe des Gewerbes unver­ einbar sind, auf Schadloshaltung gerichtet werden (§ 26 GewO.). Für nicht genehmigte A. gilt diese Vorschrift nicht (RGZ. 6, 217; 11, 183; 19, 353; 26, 352; 36, 178; 37, 172; 43, 377; 45, 297), auch reicht der Schutz des § 26 nicht weiter, als die A. unter § 16 GewO, fällt (RGZ. 49, 85). Eine auf besonderen privatrechtlichen Titeln, z. B. auf Vertrag beruhende Klage kann auf Einstellung des Betriebs gerichtet werden. Die Klage auf Ersatz des Schadens findet nicht nur unter der Voraussetzung statt, daß sie schon nach allgemeinen Voraussetzungen (z. B. Ver­ schulden des Beklagten) begründet ist, sondern auch unmittelbar auf Grund der GewO. (RGZ. 47, 99). Wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl kann die fernere Benutzung einer jeden gewerblichen A. durch den BezA. (§§ 112, 161 ZG.) zu jeder Zeit unter­ sagt werden; doch muß dem Besitzer alsdann für den erweislichen Schaden Ersatz geleistet werden. Gegen den Beschluß des BezA. steht binnen zwei Wochen die Beschwerde an den HM. offen, sofern Lündeskulturinteressen in Frage kommen, ist der MfL. zuzuziehen (8 113 ZG.). Wegen der Ent­ schädigung steht der Rechtsweg offen (§ 51 GewO.). Das Verfahren ist in Ziff. 68 der Ausf­ Anw. z. GewO, geregelt. Der § 51 setzt voraus, daß die gewerbliche A. sowohl mit den gewerbe­ rechtlichen als auch mit den landesrechtlichen Vorschriften (z. B. über das Verbot der Anlegung von gewerblichen A. in bestimmten Ortsteilen) im Einklänge steht (RGZ. 50, 4). Die Anwend­ barkeit beschränkt sich auf A., zu deren Betrieb der Unternehmer durch die erteilte Genehmigung ein Recht erlangt, und auf solche der Genehmigung nicht bedürfenden A., deren Betrieb, wenn er auch mit Nachteilen für das Gemeinwohl ver­ bunden ist, sich doch innerhalb der gesetzlichen und polizeilichen Vorschriften bewegt. Dagegen bilden nicht genehmigungspflichtige A., die den G. oder polizeilichen Vorschriften zuwiderlaufen, keinen Gegenstand der vorgesehenen Zwangs­ enteignung, und die Befugnis der Polizeibehör­ den, gegen sie selbst bis zur völligen Unter­ sagung des ferneren Betriebs aus Grund des § 10 II 17 ALR. einzuschreiten, wird durch den § 51 nicht berührt (OVG. 23, 254; RGZ. 50, 6; 61, 10); das gleiche gilt für A., die zu einer Zeit errichtet worden sind, wo eine gewerbe­ polizeiliche Genehmigung noch nicht erforderlich

Gewerbliche Anlagen war (OVG. vom 15. 10. 1903, PrVBl. 25, 543; anders NGZ. 19, 353). Eine Verfügung, die die Rentabilität der A. in Frage stellt, ist als eine Untersagung nicht anzusehen (OVG. 14, 323). Die Frage, wer für den Schaden Ersatz zu leisten hat, beantwortet sich nach den landesgesetzlichen Vorschriften, die durch Art. 109 EGBGB. ((. auch Art. 52, 53) aufrechterhalten sind S. §§ 70, 75, Einl., I §§ 29ff. ALR. V. Einrichtungen zum Schutze der Ar­ beiter (§§ 120a bis 120e). . 1. Verpflichtungen der Arbeitgeber. Die Unternehmer der unter die GewO. ((. d.) fallenden Betriebe — und zwar auch die Inhaber handwerksmäßiger Betriebe (Erl. vom 23. 10. 1894, MBl. 268) — sind verpflichtet, die Arbeits­ räume (s. d.), Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebs gestattet. Ins­ besondere ist für genügendes Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betrieb entstehenden Staubes, der dabei entwickelten Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Abfälle (s. Abgänge) Sorge zu tragen. Ebenso sind diejenigen Vorrichtungen herzustellen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinenteilen oder gegen andere in der Natur der Betriebsstätte oder des Betriebs liegende Gefahren erforderlich sind. Danach kann auch die Anschaffung von Schutzbrillen ver­ langt werden (RGZ. 1 S. 271, 275; 10, 23). Endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind (§ 120a GewO.). Diese Verpflichtungen bestehen für die ganze A., und zwar bei genehmigten A. auch ohne daß in den Bedingungen daraus verwiesen ist (RGSt. 18 S. 73, 204). Der Betriebsunter­ nehmer muß nicht nur körperliche Vorrichtungen treffen, sondern auch Anordnungen erlassen, die den Betrieb gefahrloser machen (OVG. 7, 296). Es kann nicht verlangt werden, daß die gefor­ derten Anordnungen in den Arbeitsvertrag aus­ genommen oder Zuwiderhandelnde Arbeiter sofort entlassen werden (OVG. 7, 296). Ebensowenig kann die völlige Einstellung des Betriebs, sondern nur die Schaffung von Maßnahmen vorgeschrie­ ben werden, die der Betrieb nach seiner Eigenart gestattet (RGSt. 23, 346). Die Gewerbeunter­ nehmer sind ferner verpflichtet, für die Aufrecht­ erhaltung der guten Sitten und des Anstandes Sorge zu tragen (s. An st and) und erforder­ lichenfalls ausreichende, nach Geschlechtern ge­ trennte Ankleide- und Waschräume herzurichten. Eine abwechselnde getrennte Benutzung derselben Räume genügt nicht (KomBer. z. Nov. z. GewO, vom 1. 6. 1891, RT.-Drucks. ZG. 190, 51; KG. vom 12. 10. 1896, PrVBl. 18, 198). Die Be­ dürfnisanstalten müssen so eingerichtet sein, daß sie für die Zahl der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungender Gesundheitspflege entsprochen wird und daß ihre Benutzung ohne Verletzung von Sitte und Anstand erfolgen kann (§ 120b GewO.). Gewerbeunternehmer, welche Arbeiter unter 18 Bahren beschäftigen, sind verpflichtet,

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bei der Einrichtung der Betriebsstätte und bei der Regelung des Betriebs diejenigen beson­ deren Rücksichten aus Gesundheit und Sittlich­ keit zu nehmen, welche durch das Alter dieser Arbeiter geboten sind (§ 120c GewO.). 2. Befugnisse der Polizeibehörden (§ 120d GewO., Ziff. 198ff. der AusfAnw. z. GewO., Erl. vom 21. 3. 1905, HMBl. 69). Zur Erfüllung der vorstehend bezeichneten Ver­ pflichtungen können die Arbeitgeber durch die OPB. angehalten werden, sofern nach Be­ schaffenheit der A. die Maßnahme überhaupt durchführbar ist. Außerdem kann durch polizei­ liche Verfügung angeordnet werden, daß den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außer­ halb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahreszeit geheizte Räume unentgeltlich zur Ver­ fügung gestellt werden. Für den Erlaß solcher polizeilicher Verfügungen sind den Behörden für zahlreiche Arten von Betrieben Gesichtspunkte mitgeteilt (Ziff. 202 AusfAnw. z. GewO.). Gegen die Verfügung der Polizeibehörde, für deren Durchführung, soweit es sich nicht um die Beseitigung einer dringenden, Leben und Ge­ sundheit bedrohenden Gefahr handelt, eine an­ gemessene Frist gesetzt werden muß, ist binnen zwei Wochen die Beschwerde an den RP. (in Berlin an den OP.) zulässig, dessen Ent­ scheidung binnen einer Woche beim HM. an­ gefochten werden kann. Zur Einlegung der Be­ schwerden ist auch der Vorstand der BG., dem die Abschrift der Bf. mitzuteilen ist [§§ 872, 1030 RBO.), befugt, wenn die Vf. mit den Unfallverhütungsvorschristen im Widerspruche steht (§ 120d GewO.). Das VwSt. ist gegen die hier in Rede stehenden polizeilichen Vf. aus­ geschlossen (OVG. 36, 384; 39, 297), ebenso der ordentliche Rechtsweg (RGZ. 68, 267). Die An­ ordnung der Polizeibehörde ist Voraussetzung der Strafbarkeit (RGSt. 29, 50). 3. Allgemeine Vorschriften der Reichs­ regierung usw. (§ 120e GewO.). Durch die Reichsregierung mit Zustimmung des RR. (früher war der BR. zuständig) können Vorschriften dar­ über erlassen werden, welchen Anforderungen hinsichtlich der vorstehend ausgeführten Verpflich­ tungen in bestimmten Arten von A. zu genügen ist. Solche Vorschriften sind erlassen für Zigarrenfabriken (s. Zigarren), A. zur Herstellung von Alkalichromaten (s. d.), Buchdruckereien (s. Druckereien), A. zur Herstellung elektrischer Akkumulatoren (s. Akkumulatoren), A. zur Herstellung von Bleifarben und anderen Blei­ verbindungen (s. Bleifarbensabriken), Thomasschlackenmühlen (s. Thomasschlacke), Zink­ hütten (s. d.), Bleihütten (s. d.), Anstreicherwerk­ stätten und Anstreicherarbeiten in Schiffsräumen (s. Anstreicher), A. zur Vulkanisierung von Gummiwaren (s. d.>, Glashütten (s. d.), Stein­ brüche (s. Brüche und Gruben), Roßhaar­ spinnereien (s. d.), A. zur Herstellung von Prä­ servativs usw. (s. Gummiwaren), A. der Groß­ industrie (s. d.), Hechelräume (s. d.), A., die zur Herstellung von Zichorie (s. d.) dienen. A. zur Bearbeitung von Faserstoffen, Tierhaarabfällen, von Lumpen in denen Preßluftarbeiter beschäftigt werden, s. Preßluftarbeiter, Zinkhütten (s. d.), Ziegeleien (s. d). Soweit solche Vorschriften durch B. der Reichs-

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Gewerbliche Brennereien — Gewerbliches Eigentum

Legierung mit Zustimmung des NR. nicht er­ lassen sind, können sie durch Anordnung der Landes-Zentralbehörden oder durch Polv. er­ lassen werden. Vor dem Erlasse solcher An­ ordnungen und Polv. ist den Vorständen der be­ teiligten BG. oder BG.-Sektionen Gelegenheit zu einer gutachtlichen Äußerung zu geben. In der Polv. ist zum Ausdruck zu bringen, daß die An­ hörung stattgefunden hat (Ziff. 204 AussAnw. z. GewO.), jedoch ist eine solche nicht erforderlich, wenn es sich um die Einrichtung und den Betrieb von Dampffässern (f. d.) oder Fahrstühlen (f. Aufzüge) handelt (Erl. vom 8. 9. 1902, HM Bl. 358). Muster von Polv. sind den Be­ hörden für eine Reihe von Betriebszweigen mit­ geteilt (Ziff. 202 AusfAnw. z. GewO.). 4. Regelung der Arbeitszeit (s. d.). 5. Strafvorschriften und Zwangsmaß­ regeln. Zuwiderhandlungen gegen die auf Grund des § 120 d GewO, endgültig erlassenen polizeilichen Vs. und die auf Grund des § 120e GewO, erlassenen allgemeinen Vorschriften wer­ den nach § 147 Abs. 1 Ziff. 4 GewO, mit Geld­ strafe bis zu 300 RM und im Unvermögensfalle mit Haft bestraft. Die Polizeibehörde kann bis zur Herstellung des der Vf. oder der Vorschrift entsprechenden Zustandes die Einstellung des Betriebs, soweit er durch die Vf. oder die Vor­ schrift getroffen wird, anordnen, falls dessen Fortsetzung erhebliche Nachteile oder Gefahren herbeizuführen geeignet sein würde (§ 147 Abs. 4 GewO.). Von jeder Schließung eines Betriebs muß dem HM. Anzeige erstattet werden (Ziff. 200 AussAnw. z. GewO.). S. auch Motorwerkstätten, Kinder, Abgänge, Ab­ wässer, Abfälle und wegen der Stempelpslicht Genehmigungen (Stempelpflicht). F. H. S. GewO. Im übrigen: Rüdiger, Die Konzegionierung gewerblicher Anlagen in Preußen, 1886. Jurisch, Luftrecht, 1905. Schellong im BerwArch. 18, 40. Hörle im BerwArch. 10, 366. Linckelmann im ArchBürgR. 24, 238.

Gewerbliche Brennereien s. Branntweinmonop ol C IV 2 c, VIII 2 b. Gewerbliche Leistungen (Anbieten von). Das Anbieten g. L. im Gemeindebezirke des Wohn­ sitzes oder der gewerblichen Niederlassung (s. d.) auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vor­ gängige Bestellung (s. d.) von Haus zu Haus unterliegt, sofern es sich nicht um Landesge­ bräuche handelt, den Beschränkungen des ambu­ lanten Gewerbebetriebes (s. d.). Geschieht das Anbieten g. L. außerhalb des Gemeindebezirks, des Wohnsitzes oder der gewerblichen Nieder­ lassung, ohne vorgängige Bestellung in eigener Person, so liegt ein Gewerbebetrieb im Umher­ ziehen vor. Ein Wandergewerbeschein ist aber nicht erforderlich, wenn das Anbieten in der Umgegend des Wohnortes bis zu 15 km Ent­ fernung geschieht und es sich um landesge­ bräuchliche Leistungen handelt (§ 59 Abs. 1 Ziff. 3 GewO.). Bei Darbieten von Lustbar­ keiten ohne höheres Kunstinteresse (s. Gewerbe­ betrieb im Umherziehen) ist auch in diesen Fällen ein Wandergewerbeschein erforderlich (Erl. vom 22. 2. 1885, MBl. 56). Ein Anbieten g. L. ist vorhanden, wenn das Anbieten mit dem Willen geschieht, daß im Falle der Annahme die Leistung erfolgen soll. Anfertigung von einer

Negativplatte zum Zwecke des Photographierens ist eine g. L. Mit dem Beginne der angebotenen Leistung ist der Begriff des Feilbietens erfüllt (KGJ. 14, 315). Das Anbieten g. L. setzt voraus, daß der Anbietende zur sofortigen Erfüllung be­ reit ist. Der Ausdruck umfaßt nur das Anbieten der Verrichtung der Arbeitsleistung an Ort und Stelle, nicht auch das Aufsuchen von Bestellungen auf Leistung gewerblicher Arbeiten; er setzt die Bereitschaft zur sofortigen Leistung voraus (KG. vom 12. 1. 1911, GewArch. 10, 627). Bei Aus­ führung der Arbeiten muß der Gewerbetreibende absichtlich die Aufmerksamkeit des Publikums auf seine Leistungen anziehen und durch sein Be­ nehmen zur Annahme der Leistungen auffordern (KGJ. 39 C 24). Ein Anbieten g. L. liegt vor, wenn das Publikum durch eine Zeitungsnummer zum Besuche bei dem Gewerbetreibenden behufs Entgegennahme g. L. aufgefordert wird, und der Gewerbetreibende sich demnächst an dem an­ gekündigten Ort einfindet (KGJ. 18, 247). Das Halten von Vorträgen religiösen Inhalts ist kein Anbieten g. L. (KGJ. 6, 236). F- S. Gewerbliche Niederlassung. Eine g. N. setzt ein zu dauerndem Gebrauch eingerichtetes, be­ ständig oder doch in regelmäßiger Wiederkehr von einem Gewerbtreibenden für den Betrieb eines Gewerbes benutztes Lokal voraus (§ 42 Abs. 2 GewO.). Es werden hiernach Veranstaltungen verlangt, die die Absicht eines dauernden lokalen Gewerbebetriebes erkennen lassen; die Anmel­ dung und die Zahlung der Gewerbesteuer reichen hierfür nicht aus (Erl. vom 16. 10. 1875, MBl. 283). Eine g. N. erfordert außer dem Besitz eines Lokals auch die ernstliche Absicht, in dem betreffen­ den Lokal ein Gewerbe betreiben zu wollen (NGSt. 29, 1; 19, 281; KGJ. 11, 236), sie kann auch da angenommen werden, wo das Gewerbe ohne einen ausschließlich oder überwiegend dem Geschäftsbetriebe dienenden besonderen Raum in der Wohnung betrieben wird (OVG. vom 31. 10. 1900, PrVVl. 22, 591, und vom 24. 3. 1902, PrVBl. 23, 696). Der Gewerbebetrieb im Gemeindebezirke der g. N. wird stehender Gewerbebetrieb (s. d.) und soweit er auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus stattfindet, ambu­ lanter Gewerbebetrieb (s. d.) genannt. Der Gewerbebetrieb außerhalb des Gemeindebezirks der g. N. ist, soweit es sich nicht um Aufkäufen von Waren (s. d.) und Aussuchen von Waren­ bestellungen (s. d.) durch Handlungsreisende (s. d.) handelt (GewO. §§ 44, 44a), Gewerbebetrieb im Umherziehen (s. d.). F. H. Gewerbliches Eigentum ist die ausschließliche Befugnis, gewisse Erzeugnisse des Gewerbfleißes gewerbsmäßig herzustellen, in den Verkehr zu bringen, feilzuhalten und zu verkaufen, gewisse gewerbliche Verfahren gewerbsmäßig anzuwen­ den und sich gewisser Bezeichnungen, die für den Handel und Verkehr von Wichtigkeit sind, zu be­ dienen. Es umfaßt das Patentrecht (s. d.), den Schutz der Muster und Modelle (s. Modelle) und den Schutz der Warenbezeichnungen (s. d.). Ver­ schieden davon ist das geistige Eigentum (s. Ur­ heberrecht), zu dem aber das Recht aus Er­ findungspalenten und Gebrauchsmustern auch gerechnet zu werden pflegt. Im Hinblick aus die

Gewerbsmäßige Unzucht — Gifte zunehmende Entwicklung des internationalen Warenaustausches ist das Bedürfnis nach Auf­ stellung einzelner einheitlicher Grundsätze und über die Gewährung wechselseitigen Schutzes des g. E. hervorgetreten. Zu diesem Zwecke ist die Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. 3. 1883, revidiert in Brüssel am 14. 12. 1906 und in Washington am 2. 6. 1911 (RGBl. 1913, 209ff.) getroffen, dem das Deutsche Reich am 1. 5. 1903 beigetreten ist (Bek. vom 9. 4. 1903, RGBl. 147). Dem Verbände gehören zur Zeit an: Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Cuba, Dänemark, nebst Faröer-Jnseln, Danzig, Deutsches Reich, Dominkanische Republik, Esthland, Finnland, Frankreich und Algerien nebst Kolonien und Mandatsländern Syrien und Libanon, Groß­ britannien nebst Ceylon, Neuseeland, Kanada, Trinidad und Tobug, Irland, Italien, Japan, Lettland, Luxemburg, Marokko (mit Ausnahme des span. Zone), Mexiko, Niederlande mitNiederländisch-Jndien, Neu-Guinea, Surinam und Caracas, Norwegen, Österreich, Papua, Polen, Portugal nebst Azoren und Madeira, Rumänien, Schweden, Schweiz, Serbisch-Kroatischer-Slowenischer Staat, Spanien, Tschechoslowakei, Tunis, Ungarn, Vereinigte Staaten von Amerika. Ein besonderes Abkommen über den Schutz des g. E. hat Deutschland mit Österreich, Rußland und mit Ungarn geschlossen (RGBl. 1908, 653; 1926,146), das noch jetzt in den Ländern in ihrer jetzigen Ge­ stalt gilt, nicht aber in den sog. Nachfolgestaaten. Ein zeitweiliger Schutz wird dem g. E. auf Aus­ stellungen nach Maßgabe des G. vom 18.3.1904 (RGBl. 141) gewährt. — Uber die Frage der Errichtung von Sondergerichten für den gewerb­ lichen Rechtsschutz s. Erl. des IM. vom 11. 10. 1907 (PMZBl. 1907, 226). F. H. Gewerbsmäßige Unzucht liegt vor, wenn eine weibliche Person sich gegen Entgelt zur Bei­ schlafsvollziehung oder sonst zur Erregung und Befriedigung geschlechtlicher Triebe — auch in widernatürlicher Art (RGSt. 37, 303) — jedem Manne preisgibt, der den geforderten Preis zahlt. Unerheblich ist, ob neben dem Unzuchts­ betriebe noch andere Einnahmequellen etwa aus ehrlicher Arbeit bestehen. Dagegen fällt es nicht unter den Begriff g. U., wenn ein Mädchen zwar gegen Bermögensvorteile, aber nur mit bestimm­ ten Personen geschlechtlichen Verkehr unterhält (OVG. vom 11. 7. 1899, PrVBl. 21, 61; RGSt. 41, 60). Nach Ergehen des G. zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. 2. 1927 (RGBl. I 61) findet sich der Begriff der g. U. im StGB, nur noch in der Bestimmung des § 181a über Zuhälterei. Die Reglementierung der g. U. ist aufgehoben (s. Sittenpolizei). Hg. Gewerkschaften (Fachverbände) sind Berufs­ vereinigungen der Arbeiter, Angestellten, Be­ amten oder anderer Berufsstände zur Betätigung der verfassungsmäßig verbürgten Koalitions­ freiheit zwecks Erlangung günstiger Arbeits­ bedingungen und Hebung der wirtschaftlichen Lage. Darüber hinaus wollen die G. die Gesetz­ gebung und Verwaltung beeinflussen. Auch die Förderung der beruflichen, gewerkschaftlichen und allgemeinen Bildung wird von den G. verfolgt, ebenso wie das Unterstützungswesen erheblich aus­ gebaut ist. Es werden fünf Richtungen unter­ schieden: 1. Die freien (sozialistischen) G., die in

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Zentralverbänden organisiert und im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB.) — 5749763 Mitglieder —, für die Arbeiter und im Allgemeinen freien Angestelltenverband (AfA.) — 542368 Mitglieder — für die Angestellten zu­ sammengeschlossen sind; 2. die christlichen Gewerk­ schaften/deren Spitzenverband der Deutsche Ge­ werkschaftsbund ist, der in den Gesamtverband der G. für die christlichen Arbeiter — 764897 Mit­ glieder — und in den Gesamtverband Deutscher Angestelltengewerkschaften — 452500 Mitglieder und 390000 Beamte als Mitglieder — zerfällt; 3. die demokratischen Hirsch-Dunckerschen Gewerk­ vereine, die im Verband der Deutschen Gewerk­ vereine (Hirsch-Duncker) — 200000 Mitglieder — und im Gewerkschaftsbund der Angestellten — 300000 Angestellte und 126000 Beamte als Mitglieder — vereinigt sind; 4. die gelben Ge­ werkschaften. Diese wollen ihre Ziele durch fried­ liche Verständigung mit den Arbeitgebern er­ reichen; sie sind im Spitzenverband „National­ verband deutscher Berussverbände" vereinigt — 130000 Mitglieder; 5. die Arbeitervereine kom­ munistischer und syndikalistischer Richtung sind in der Allgemeinen Arbeiterunion, der Union der Hand- und Kopfarbeiter Deutschlands und in der freien Arbeiterunion vereinigt. Die Gegenorga­ nisation der Arbeitgeber sind die Arbeitgeber­ vereinigungen, an deren Spitze ein Zentralausschuß steht. Daneben kommen der Reichsverband der deutschen Industrie und der Deutsche Jndustrieund Handelstag in Betracht. Privatrechtlich sind die G. Vereine ohne Rechtsfähigkeit im Sinne des BGB. F. & Kulemann, W., Die Berufsvereine, I. Abt.: Ge­ schichtliche Entwicklung der Berufsorganisationen der Ar­ beitnehmer und Arbeitgeber aller Länder, 3 Bde., 1908; Troeltsch, SB., und P. Hirschfeld, Die deutschen Gewerkschaften, 1905; Heilborn, Die freien Gewerk­ schaften, 1907; Hirschfeld, P., Die freien Gewerk­ schaften in Deutschland, 1908.

Gewöhnlicher Aufenthalt s. Fürsorge (öf­ fentliche) IV. Gifte sind Stoffe, die bei Aufnahme in den Körper lebender Wesen durch ihre chemische Be­ schaffenheit die Gesundheit in erheblichem Maße stören. Der Handel mit G. bedarf nach der GewO, keiner Erlaubnis, doch können die Landesgesetze nach § 34 Abs. 3 eine solche vorschreiben. Dies ist für den Bereich der PrGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 41) geschehen. Nach § 49 a. a. O. in der Fassung des G. vom 22. 6. 1861 (GS. 442) ist Gifthändlern der Beginn des Gewerbes erst zu gestatten, wenn sich die Behörden von ihrer Zu­ verlässigkeit in bezug auf den beabsichtigten Ge­ werbebetrieb überzeugt haben. Hier ist nicht bloß zum Handel, sondern auch zur Zubereitung von G. allgemein eine polizeiliche Genehmigung erforderlich (OVG. 36, 377). Zum Großhandel mit G. ist aber nur eine polizeiliche Genehmigung erforderlich, wenn das G. in einer offenen Ver­ kaufsstelle (s. d.) feilgehalten wird (KGJ. 19,235). In den neuen Provinzen ist unter Aufhebung be­ stehender Vorschriften die Erlaubnis zum Gift­ handel in gleicher Weise nach Maßgabe des Erl. vom 10. 11. 1897, vom 19. 10. 1901 geregelt worden. Diese PolV. sind als Verordnungen im Sinne des § 155 Abs. 1 GewO, anzusehen (KG. vom 10. 1. 1910, GewArch. 9, 412). Im Herzog­ tum Lauenburg gilt noch das G. vom 16. 6. 1875

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Gipsöfen — Giroverkehr

(Offizielles Wochenblatt 339). Über die Ge­ nehmigung beschließt der KrA. (StA.), in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10000 Einw. der Magistrat (§ 114 ZG.). Für die Prüfung der Zuverlässigkeit sind in erster Linie die Zeugnisse der Kreisärzte maßgebend (Erl. vom 7. 1. und 1. 6. 1910, HMBl. 54', 262). Wer ohne polizeiliche Erlaubnis G., soweit der Handel mit ihm nicht freigegeben ist, feilhält, zubereitet, verkauft oder sonst an andere über­ läßt, wird nach § 367 Ziss. 3 StGB, mit Geld­ strafe von 1 bis zu 150 RM oder mit Haft bestraft. Die gleiche Strafe trifft nach Zifs. 5 a. a. O. denjenigen, welcher bei der Aufbewahrung oder bei der Beförderung von G. die deshalb er­ gangenen Verordnungen nicht befolgt. Durch § 367 Ziff. 3 StGB, ist nicht die Erlaubnis für den Gisthandel vorgeschrieben, vielmehr ist die Vorschrift nur dahin zu verstehen, daß unbeschadet der Vorschrift in § 34 GewO, die polizeilichen Vorschriften darüber Bestimmung treffen können, ob und wieweit die Zubereitung, das Feil­ halten, der Verkauf oder das überlassen von G. an andere von polizeilicher Erlaubnis abhängig gemacht oder freigegeben werden kann. Die näheren Bestimmungen über die Abgabe und Aufbewahrung von G. findet sich in der Polv., betr. den Handel mit G., vom 22. 2. 1906 (HM­ Bl. 265), abg. durch Polv. vom 10. 8. 1917 (HMBl. 247), vom 9. 2. 1926 (MBl. 136) und vom 22.8.1927 (VMBl. 896) s. auch Kammer­ jäger. Im übrigen ist durch die V., betr. den Ver­ kehr mit Arzneimitteln, vom 22.10.1901 (RGBl. 380), abg. durch V. vom 31. 3.1911 (RGBl. 181), vom 18. 2. 1920 (RGBl. 253), vom 21. 4. 1921 (RGBl. 490), vom 31. 7. 1922 (RGBl. I 711), vom 13. 1., 21. 6., 21. 8. 1923 (RGBl. I 67, 511, 819, 1117), vom 9. 12. 1924 (RGBl. I 772) und vom 27. 3. 1925 (RGBl. I 40) der Handel mit einer größeren Zahl von G., abgesehen vom Groß­ handel, den Apotheken Vorbehalten und daher landesgesetzlicher oder polizeilicher Regelung entzogen. G. dürfen weder im ambulanten Gewerbe­ betriebe (s. d. II 3), noch im Gewerbebetrieb im Umherziehen (s. d. III 1) feilgeboten werden. Die Erlaubnis zum Handel mit G. kann zurück­ genommen werden (s. Entziehung gewerb­ licher Genehmigungen). Die Zurücknahme der Erlaubnis kann hauptsächlich erfolgen, wenn sich das Giftlager in nicht ordnungsmäßigem Zustande befindet und überhaupt die Vorschriften über die Abgabe und Aufbewahrung von Giften oder nicht freigegebenen Arzneimitteln verletzt werden (OVG. vom 14. 4.1883, PrBBl. 4, 291). Auf Unzuverlässigkeit eines Gifthändlers kann auch aus Verfehlungen geschlossen werden, welche aus anderen Gebieten als dem von ihm betrie­ benen Gisthandel liegen (OVG. vom 17.11.1900, PrBBl. 21, 241). Die Zurücknahme der Ge­ nehmigung kann nicht in der Weise erfolgen, daß den Gewerbetreibenden der Handel mit gewissen, bestimmt bezeichneten gifthaltigen Waren be­ lassen wird (OVG. 40, 316). Wegen der Be­ förderung auf der Eisenbahn s. Eisenbahn­ verkehrsordnung II. F. H. GipSöfen gehören zu den genehmigungs­ pflichtigen Anlagen (s. gewerbliche Anlagen I). S. auch Ziff. 8 TechAnl. Genehmigungspflichtig sind nur die G. als solche, nicht auch die Anlagen

in ihrer Gesamtheit (vgl. Denkschr. des RT. 1900/01 Drucks. Nr. 150). Anlagen, in denen Gips durch Kochen mittels Dampf entwässert wird, sind nicht genehmigungspflichtig, denn der BRBeschl., wonach das Wort „Gipsöfen" durch die Worte „Anlagen zur Herstellung von entwäs­ sertem Gips" ersetzt werden sollte, ist nach Bek. vom 19. 6.1901 (RGBl. 267) wieder aufgehoben. Die in Zuckerrasfinerien zum Brennen des Strontianits benutzten Ofen sind keine G. (Erl. des HM. vom 30.10.1903). S. auch Sonntags­ ruhe im Gewerbebetriebe IV. In Gips­ brennereien ist die Beschäftigung von Kindern (s. d. in gewerblicher Beziehung) verboten (§§ 4, 12 KinderschutzG.). F. H. Giroverkehr. I. Girozahlung (Giro, der Kreis) ist die durch eine Bank oder eine bankmäßig ein­ gerichtete Stelle durch Abbuchen vom Konto des Auftraggebers und Gutschrift auf dem Konto des Empfängers bewirkte Zahlung. Der Vorzug der Girozahlung besteht darin, daß sie bargeldlos er­ folgt und daß hierdurch nicht nur Transportkosten und Zinsverluste erspart werden, sondern auch der Bedarf an Bargeld (durch Schaffung des sog. Giralgeldes) verringert wird. Der G. setzt ein einen Kundenkreis umfassendes Girosystem (Giro­ netz) voraus. Jede Bank, insbesondere jede größere Bank bildet für sich und ihren Kunden­ kreis ein Girosystem. Die einzelnen Banken können untereinander in Verbindung treten zur Bildung eines gemeinsamen Girosystems, so daß die Kunden der einen Bank Girozahlungen an die Kunden der anderen Bank leisten können. Die Verbindung der Banken und ihrer Giro­ netze unter sich im Wege des Überweisungs­ verkehrs kann entweder unmittelbar oder durch Bildung eigener Vermittlungsstellen oder aber durch Anschluß an eine dritte Stelle erfolgen, die dann ihrerseits den Giroverkehr vermittelt. Die Bildung eines weiteren Gironetzes durch eigene Vermittlungsstellen ist durchgesührt worden einer­ seits durch die Sparkassen und kommunalen Kas sen(s.Kommunalgiroverkehr) andererseits für die Genossenschaften durch die Dresdner Bank (Genossenschaftsabteilung) und die preuß. Zentral­ genossenschaftskasse (Genossenschastsring). Im übrigen wird der Giroverkehr vermittelt durch die Reichsbank in erster Linie für die Banken und mittelbar ihre Kunden, daneben aber auch für andere Firmen, Behörden und Privatpersonen (s. Reichsbank, Reichsbankgiroverkehr) und durch die Post (s. Postbankverkehr). Wäh­ rend der Reichsbankgiroverkehr vorwiegend ein Großzahlungsverkehr ist, ist der Postscheck- (rich­ tiger Postgiro-) Verkehr ein Klein- und Massen­ verkehr. Nach einer der Zeitschrift Zahlungs­ verkehr und Bankbetrieb, Jahrg. 9 Nr. 10 S. 266 entnommenen Statistik wurden im Jahre 1925 verrechnungsmäßig Gutschriften ausgeführt im Reichsbankgiroverkehr 20,2 Mill, über 327 Mil­ liarden RM, im Postscheckverkehr 157 Mill, über 41,7 Milliarden RM, im Kommunalgiroverkehr 18,5 Mill, über 28,4MilliardenRM. Die starke Ent­ wicklung des G. in Deutschland unterscheidet sich von der mehr auf dem Scheck sich aufbauenden Art des bargeldlosen Zahlungsverkehrs in England und in den Bereinigten Staaten. Für die außerhalb eines Gironetzes stehenden Personen besteht die Beteiligung am G. darin, daß die von ihnen ge-

Girozentralen, Giroverbände — Golddiskontbank, Deutsche

leisteten Zahlungen zur Gutschrift auf das Konto des Empfängers erfolgen bzw. daß die an sie seitens der Girokunden zu bewirkenden Zah­ lungen gegen Kontobelastung der letzteren aus­ geführt werden, so daß ein Teil der Geldbewegung und des Transports vermieden wird. II. Zur Erleichterung des Verkehrs mit Wert­ papieren hat die Bank des Berliner Kassen­ vereins ein sog. Giroeffektendepot eingerichtet. Mitglieder des hierdurch ermöglichten „Giro­ effektenverkehrs" können Berliner Banken werden. Über die auf ihren Giroeffektenkonten gebuchten Effekten verfügen die Kunden mittels „Effektenschecks". Der Verkehr beschränkt sich auf die in besondere Verzeichnisse aufgenommenen Effekten. Die Bank ist nicht Eigentümerin, son­ dern nur Verwalterin der Depots. Der Nutzen der Einrichtung besteht in der Erleichterung der Verrechnung und Verwaltung der Effekten und dem Fortfall aller Transporte. Eine ähnliche Einrichtung hat in Frankfurt a. M. die Frank­ furter Bank geschaffen. v. B. Girozentralen, Giroverbände s. Kommunale Banken IV. GlaSveizereien, GlaSschleisereien s. Glas­ hütten. Glashütten, zu denen unter Umständen auch Emaillefabriken gehören, sind genehmigungs­ pflichtige Anlagen (f. Gewerbliche AnlagenI, Zifs. 5a TechnAnl., Zifs. 16 der AussAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123). Wegen Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- und Fest­ tagen s. Sonntagsruhe im Gewerbe­ betriebe IV. Die Beschäftigung von Kindern (f. d. in gewerblicher Beziehung) ist in G. verboten (§§ 4, 12 KinderschutzG.). In G., Glasschleifereien, Glasbeizereien sowie in Sandbläsereien, in denen Glas bearbeitet wird, unterliegt die Beschäftigung von Arbeite­ rinnen und jugendlichen Arbeitern Beschrän­ kungen (Bek. vom 9. 3. 1913, RGBl. 129, abg. durch V. von 23. 1. 1920 (RGBl. 75). Durch B. vom 25. 3. 1927 (RGBl. I 82) ist ihre Gültig­ keitsdauer bis zum 1. 4. 1929 verlängert. G. ge­ hören zu den Betrieben, in denen eine Über­ schreitung der achtstündigen Arbeitszeit nicht statt­ finden darf (8 7 der B. über die Arbeitszeit vom 9. 2. 1927 (RGBl. I 60). Der graue Star der Arbeiter in G. ist eine Berufskrankheit (f. o.). FHGlaSversicherung. Die G. gewährt Versiche­ rungsschutz gegen den Schaden, der durch Zer­ brechen von Glasscheiben entsteht. Der Schadens­ ersatz erfolgt im allgemeinen nicht in Geld, sondern in natura durch Lieferung von Scheiben gleicher Art und Güte, fertig eingesetzt. Von dem dem Ver­ sicherer bedingungsgemäß eingeräumten Wahl­ recht zwischen Naturalersatz und Geldersatz wird zugunsten des letzteren nur ausnahmsweise Ge­ brauch gemacht. In den im Jahre 1924 ein­ geführten Bedingungen für ständige Vollver­ sicherungen (Versicherungen mit garantiertem Naturalersatz) ist das Wahlrecht überhaupt aus­ geschlossen. Nach §§ 2 u. 12 RMietG. hat der Hausbesitzer das Recht, die Prämie für die G. auf die Mieter umzulegen. Pf. Glaubend- und Gewissensfreiheit s. Kirch enund Staatskirchenrecht B I 1. Glückspiel. Ein G. liegt vor, wenn die Ent­ scheidung über Gewinn oder Verlust ausschließlich

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oder wesentlich vom Zufall abhängt. Für diese Feststellung ist der allgemeine Charakter des Spie­ les maßgebend, den es unter den Verhältnissen, unter denen es gespielt wird, besitzt und nach Ab­ sicht des Veranstalters haben soll. Entscheidend ist, ob das Publikum, dem das Spiel angeboten wird, in seinem überwiegenden Teile die ganze Geschicklichkeit, welche notwendig ist, um die Ge­ winnaussichten zu bestimmen oder wesentlich zube­ einflussen (Erl. vom 14.3.1927, MBl. 309) besitzt. Nach §§ 284, 285 StGB, in der Fassung des Ge­ setzes gegen das G. vom 23.12.1919 (RGBl.2145) wird das Veranstalten oder Halten von G. ohne behördliche Erlaubnis — d. i. ohne die Erlaubnis der OPB. (Erl. vom 12. 4. 1920, HMBl. 330) — sowie das Bereitstellen von Einrichtungen hierzu mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geld­ strafe bis zu 100000 RM bestraft. Dabei gilt auch das G. in Vereinen oder geschlossener Gesellschaft als öffentlich veranstaltet, wenn gewohnheits­ mäßig G. veranstaltet werden. Die Beteiligung an einem öffentlichen G. wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu 100000 RM oder mit einer solchen Geldstrafe allein bestraft. — Die Spieleinrichtung sowie das auf dem Spieltische oder in der Bank befindliche Geld wird eingezogen werden, sofern sie dem Täter oder einem Teilnehmer gehören. Andernfalls können sie eingezogen werden. Wer aus dem G. ein Gewerbe macht, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe bis zu 200000 RM, bei mildernden Um­ ständen mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu 100000 RM oder mit einer solchen Geldstrafe bestraft werden. Neben der Ge­ fängnisstrafe kann aus Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht und auf Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt werden. Ausländer können ausgewiesen werden (s. AussB. vom 27. 6.1920, RGBl. 1282). Die Annahme, daß ein Gast- oder Schankwirt das Gewerbe zur Förderung des G. mißbrauchen werde, rechtfertigt die Versagung der Erlaubnis (§ 33 Abs. 3 Ziff. 1 GewO.). Bei Förderung des G. kann dem Gast- oder Schankwirt die Erlaubnis entzogen werden (§ 53 GewO.). Das Ferlbieten von Waren im Umherziehen im Wege des G. ist nicht gestattet (§§56c, 148 Abs. 1 Ziff. 7b). F. H. Gnadengeschenke s. Kirchen- und Pfarr­ gebäude. Gnadengesuche s. Begnadigung. GolddiSkontbank, Deutsche. Die G. wurde durch G. vom 19. 3. 1924 (RGBl. II 71) gegrün­ det. Die Gründung erfolgte, um in der Über­ gangszeit der Währungsreform bis zur Errich­ tung der endgültigen Währungsbank durch In­ anspruchnahme und Gewährung von Krediten und Radiskontmöglichkeiten im Ausland die deutsche Wirtschaft zu unterstützen. Die Bank erhielt die Form einer juristischen Person des Privatrechts nach Maßgabe der für Aktiengesell­ schaften geltenden Vorschriften, soweit nicht das G. oder die Satzung etwas anderes bestimmten ( § 1). Das Kapital beträgt 10 Mill. Pfund Ster­ ling, von denen die Reichsbank auf Grund des G. vom 19. 3. 1924 (RGBl. II 73), s. auch § 5 BankG. vom 30. 8. 1924 (RGBl. II 235) 5 Mill, und ein fast die gesamte deutsche Bankwelt um­ fassendes Konsortium den Rest übernahmen. Die Einzahlungen erfolgten in Devisen, und

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Goldwährung — Granulöse (Körnerkrankheit, Trachom)

zwar aus die Aktien der Reichsbank voll, auf die übrigen Aktien zu 25%. Die Neichsbank über­ nahm auf Grund des letztgenannten G. die Gefchäftsführung. Die G. erhielt die Befugnis, aus englische Pfund lautende Noten bis zum Gesamt­ beträge von 5 Mill. Pfund auszugeben. Da die Gründung der G. zunächst lediglich als eine Übergangsmaßnahme gedacht war, wurde bei Inkraft­ treten des BankG. das—übrigens auch vorher nicht ausgeübte—Notenprivileg aufgehoben (§ 5 des G. und §§ 2, 53 des BankG. vom 30. 8. 1924 (RGBl. II 235)) und gleichzeitig mit der Liquidation der­ laufenden Geschäfte begonnen. Die Reichsbank erwarb sämtliche Anteile — gegen Umtausch in Reichsbankanteile — die Kredite, die im Jahre 1924 ihren Höchststand mit rund 14 Mill. Pfund Sterling erreicht hatten, wurden abgewickelt und die von der Bank von England angeliehenen Gelder zurückgezahlt. Im Jahre 1925 wurde die G. jedoch aus dem Liquidationszustande wieder herausgeführt imb zu neuer Tätigkeit entwickelt. Die Geschäftstätigkeit der Bank bewegt sich seit­ dem nach verschiedenen Richtungen. In erster Linie pflegt sie die Diskontierung von Wechseln, insbesondere zwecks Finanzierung des Exportes. Die Wechsel mußten ursprünglich aus Pfund Ster­ ling lauten, können jedoch seit dem 1. 4. 1927 auch auf Reichsmark ausgestellt werden. Die Zinssätze, zu denen die G. Wechsel diskontiert, müssen nach § 4 öffentlich bekanntgegeben werden. Abgesehen von diesem ursprünglich den wesent­ lichen Teil ihrer Betätigung ausmachenden Wechseldiskontgeschäft ist die G. neuerdings von der Reichsbank auch zu sonstigen wichtigen Aus­ gaben herangezogen worden, die von letzterer selbst nicht übernommen werden konnten. So hat die G. zur Förderung des landwirtschaftlichen Kredits die von der Deutschen Rentenbankkredit­ anstalt ausgegebenen drei bis fünf Jahre laufen­ den Hypothekenkreditscheine übernommen und dadurch die Gewährung der sog. „Golddiskont­ bankkredite" ermöglicht. Die hierfür erforder­ lichen Mittel hat sich die G. teils gegen Wechsel von der Neichsbank, teils durch Berkaus von Solawechseln an Banken beschafft. Durch die Emission dieser jederzeit verwertbaren Sola­ wechsel hat die G. gleichzeitig regulierend auf den Geldmarkt eingewirkt. Es ist anzunehmen, daß auch in Zukunft die Reichsbank die G. dazu be­ nutzen wird, Geschäfte allgemein volkswirtschaft­ licher Art durchzuführen und die Währungs- und Kreditpolitik der Zentralnotenbank zu unter­ stützen und zu ergänzen. In diesem Zusammen­ hang ist vor längerer Zeit der Gedanke erörtert worden, die G. auch der Bewirtschaftung der öffentlichen Gelder nutzbar zu machen. Unter­ sagt ist der G. durch § 6 die Gewährung von Krediten an Reich, Länder und Kommunen sowie die Bürgschaftsübernahme zugunsten dieser Ver­ bände. Die G. genießt sowohl in steuerlicher Hin­ sicht als auch in anderer Beziehung eine Vorzugs­ stellung (§§ 8—12). v. B. Goldwährung s. Währung. Gothaer Vertrag. Uber die gegenseitige Ver­ pflichtung zur Aufnahme auszuweisender Per­ sonen ist zwischen Preußen und mehreren deut­ schen Ländern am 15. 7. 1851 in Gotha ein Vertrag abgeschlossen worden (GS. 711), dem später auch die übrigen deutschen Staaten bei­

getreten sind. Durch diesen Gothaer Vertrag sollte die Befugnis zur Ausweisung von An­ gehörigen eines der vertragschließenden Staaten durch die übrigen Staaten beschränkt werden. Die Vorschriften des G. V. sind heute noch in Geltung, soweit sie das Verfahren bei den poli­ zeilichen Ausweisungen auf Grund des § 3 Abs. 2 FreizügG. (s. Freizügigkeit) betreffen (vgl. Runderl. des MdI. vom 28. 7. 1894, MBl. 147, Ziff. 4 und v. Brauchitsch 4, 333 Anm. 2 zu § 3 FreizügG.). Die wichtigsten Bestimmungen des Vertrags sind folgende: Jede der vertrag­ schließenden Reg. verpflichtet sich, ihre Angehö­ rigen und ihre früheren Angehörigen, die nicht Angehörige des anderen Staates geworden sind, auf Verlangen des anderen Staates wieder zu übernehmen. Ist die auszuweisende Person An­ gehöriger keines dieser Staaten gewesen, so ist der Staat zur Übernahme verpflichtet, in dessen Gebiet der Auszuweisende entweder nach zurück­ gelegtem 21. Lebensjahre sich zuletzt fünf Jahre hindurch aufgehalten oder sich verheiratet und mit seiner Ehefrau unmittelbar nach der Ehe­ schließung eine gemeinschaftliche Wohnung min­ destens sechs Wochen innegehabt hat, oder der Staat, in dessen Gebiet er geboren ist. Die Geburt begründet eine Verpflichtung zur Übernahme aber nur dann, wenn keiner der beiden anderen Fälle vorliegt. Treffen diese verschiedenen Gründe zusammen, so ist das neuere Verhältnis entschei­ dend. Ehefrauen sind von dem Staat zu über­ nehmen, dem der Ehemann angehört, das gleiche gilt von ehelichen minderjährigen Kindern, wäh­ rend uneheliche Kinder hierin ihrer Mutter folgen. Ohne Zustimmung der Behörde des zur Über­ nahme verpflichteten Staates darf diesem keine ausgewiesene Person zugeführt werden, es sei denn, daß sie sich im Besitze eines von der Be­ hörde ihres Wohnortes ausgestellten Passes oder Paßersatzes befindet, seit dessen Ablauf noch nicht ein Jahr verstrichen ist, oder daß der Ausgewiesene einem in gerader Richtung rückwärts liegenden dritten Staate angehört, dem er nicht anders als durch das Gebiet des anderen vertragschließenden Staates zugeführt werden kann. Über das Ver­ fahren bei der Ausweisung (§ 10) ist bestimmt, daß sie in der Regel mittels Transports und Ab­ gabe des Ausgewiesenen an die Polizeibehörde desjenigen Ortes, wo der Transport beendigt ist, oder mittels eines Zwangspasses (s. d.) erfolgen soll. Die Kosten der Ausweisung trägt innerhalb seines Gebiets der ausweisende Staat (§ 11) Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Ver­ pflichtung zur Übernahme sollen in einem näher geregelten schiedsrichterlichen Verfahren ent­ schieden werden (§ 12). E. W. Gottesdiensts. Kirchen-und Staatskirchenrecht I 2. Gräben und Grabenräumung s. Ent- und Bewässerung, Vorslut, Wasfergesetz, Seitengräben, Wege (öffentliche) unter VII u. XII, Zubehörungen der öffentlichen Wege. Granulöse (Körnerkrankheit, Trachom), eine chronische Krankheit der Bindehäute der Augen­ lider, deren Erreger noch nichtzweifelsfrei bekannt ist, gehört zu den übertragbaren Krankheiten des G. vorn 28. 8. 1905 (GS. 373). S. übertrag­ bare Krankheiten II—VII. Die gesetzlich zu-

Grenzangelegenheiten — Grenzkommissarc

lässige Zwangsbehandlung (a. a. O- III5, 9) wird durch § 27 der Anweisung zur Bekämpfung der G. (Beil, zu Nr. 16 des MMBl. 1906, 27) und die Allg. AusfB. vom 15. 9. 1906 zu 8 9 (MMBl. 380) auf Orte und Bezirke beschränkt, in denen eine „planmäßige Bekämpfung" der Krankheit stattfindet. Eine solche ist vor dem Kriege unter erheblichen Aufwendungen von Staatsmitteln über das gesetzliche Maß hinaus (a. a. O. VI) in der Prov. Ostpreußen und in vereinzelten Kreisen anderer Provinzen durchgeführt worden. Bsch. Grenzangelegenheiten. I. Wegen Grenzver­ änderungen s.Reichs gebiet und Staats gebiet. II. Zur äußeren Kenntlichmachung und Kenntlicherhaltung der Landesgrenze werden längs derselben topographische Merk­ zeichen — Grenzsteine, Grenzpfähle, Erdhügel, Tafeln usw. — errichtet. Dieselben sind fort­ laufend numeriert und vielfach mit Hoheits­ zeichen versehen. Die eigenmächtige Setzung, Verrückung oder Beschädigung derartiger Grenz­ zeichen ist durch §§ 135, 274 Ziff. 2 StGB, unter Strafe gestellt. III. Der Schutz des Reichsgebiets gegen krie­ gerische Angriffe ist Sache des Reiches (vgl. Art. 79 RV.). Im übrigen ist es die Aufgabe der Einzelstaaten geblieben, das Eingreifen einer fremden Staatsgewalt, die Ausübung fremder Hoheitsrechte im Staatsgebiete zu verhindern. Zuständig zur Wahrung der Landeshoheit gegen derartige Grenzverletzungen sind in Preußen die RP. als Landespolizeibehörde (§ 2 der RegJnstr. vom 23. 10. 1817) und die ihnen Nachgeordneten Polizeiexekutivorgane. Zu den letzteren gehören die zur Fremdenkontrolle bestimmten Grenz­ kommissariate (s. d.) und die Landjäger. Ihnen liegt auch die Verpflichtung ob, die diesseitigen Staatsangehörigen gegen ungerechtfertigte An­ forderungen und Gewalttätigkeiten fremdlän­ discher Grenzsoldaten und Grenzbeamten inner­ halb der Landesgrenzen zu schützen, überhaupt jede Ausübung obrigkeitlicher Funktionen seitens fremdländischer Beamten usw. nötigenfalls mit Waffengewalt zu verhindern. Daneben sind aber zur Feststellung und Erhebung der gesetzlichen Zölle, zur Sicherung ihres Eingangs sowie zur Durchführung der Ein- und Ausfuhrverbote Zoll­ ämter und Zoilaussichtssteilen errichter (s. Zoll II 11 u. 12). IV. Die Natur des Grenzdienstes bringt es mit sich, daß die Beamten häufig gezwungen sind, im dienstlichen Auftrage die Grenze zu über­ schreiten, so z. B. Eisenbahn- und Postbeamte, die Polizeibeamten im Ubernahmeverkehr oder zum Zwecke besonders vereinbarter dienstlicher Besprechungen. Grenzüberschreitungen in solchen Veranlassungen unterliegen nach § 124 der AusfBek. zur PaßV. 46 vom 22. 12. 1924 (RGBl. I 613, 964) den allgemeinen Paßvorschriften, sofern nicht durch besondere Anordnungen oder zwischenstaatliche Vereinbarungen eine andere Regelung erfolgt ist. Für den wechselseitigen Verkehr dieser Art zwischen dem Deutschen Reich und Danzig sehen §§ 125—128 a. a. O. ent­ sprechende Erleichterungen vor, die laut preuß. AusfAnW. vom 22. 9. 1924 (MBl. 933) durch zwischenstaatliche Abkommen aus den wechsel­ seitigen Verkehr mit Dänemark, Litauen, Luxem-

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bürg, Polen, Schweden und der Schweiz aus­ gedehnt sind. Ly. Grenzaufseher, frühere Bezeichnung für die mit der Bewachung der Zollgrenze betrauten Be­ amten, jetzt Zollbetriebsassistenten, Zollassistenten, s. Reichszollverwaltung II. Sdt. Grenzbezirk ist nach § 16 Abs. 3 VZG. der zunächst innerhalb der Zollinie belegene Raum, der von dem übrigen Zollgebiet durch die be­ sonders zu bezeichnende Binnenlinie getrennt ist. Seine Ausdehnung bestimmt sich nach der Ört­ lichkeit. In der Regel zieht er sich als ein höch­ stens 15 km breiter Streifen an der Zollinie hin, doch kommt es auch vor, daß er tief in das Binnen­ land hineinreicht; so gehört beispielsweise die Unterelbe dem G. an. Die Befugnisse der mit der Wahrung des Zollschutzes betrauten Beamten sind im G. weitergehende als im Binnenlande (s. §§ 129, 132 VZG.). Für den Verkehr im G. sind mehrfache Beschränkungen vorgesehen. An den Ufern der Gewässer im G. und auf den in diesen Gewässern gelegenen Inseln dürfen zoll­ freie Gegenstände in verpacktem Zustande und zollpflichtige Gegenstände ohne besondere Er­ laubnis nur an solchen Stellen aus- und einge­ laden werden, die zu Landungsplätzen (erlaubten Lösch- und Ladeplätzen) bestimmt sind (§ 121 VZG.); der Hausierhandel im G. bedarf der be­ sonderen Erlaubnis der Zollverwaltung (§ 124 Abs. 2 VZG.), der stehende Gewerbebetrieb kann einer Buchkontrolle (§ 124 Abs. 3 VZG.), der Transport von Waren, die erfahrungsgemäß einen Gegenstand des Schleichhandels bilden, einer Transportkontrolle (s. d.) unterworfen werden (§ 119 VZG.). Andererseits sind gewisse Ver­ günstigungen den Bewohnern des G. Vorbehal­ ten, so die der Freimengen (s. Zoll II 6b 18) an Fleisch, Speck, Müllereierzeugnissen und ge­ wöhnlichem Backwerke. S. auch Grenzverkehr, kleiner, und wegen der zollfreien Einbringung von Bau- und Nutzholz die Anm. zu Ziff. 74 ZollTG. Sdt. Grenzkommisfare sind Organe der staatlichen Polizeiverwaltung; sie führen jetzt die Amts­ bezeichnung Kriminalkommissar. Die ehemaligen Grenzkommissariate heißen (Runderlaß vom 7. 2. 1927, MBl. 168) Kriminal- und Grenzkommissa­ riat, während die Zweigstellen der früheren Grenz­ kommissariate die Bezeichnung Kriminal- und Grenzdienststelle führen. Die Kommissariate wer­ den von einem Kriminalkommissar oder Kriminal­ bezirkssekretär geleitet, während den übrigen Dienststellen ein Kriminalsekretär oder -assistent vorsteht. Die Stärke der Besetzung der einzelnen Dienststellen richtet sich nach der Bedeutung des Grenzüberganges. Ein Verzeichnis sämtlicher preußischer Grenzübergangsstellen enthält das vom MdI. herausgegebene Heft Nr. 32 der Vor­ schriften für die staatliche Polizei Preußens. Die wichtigsten Aufgaben der Kriminal- und Grenz­ kommissariate sind (Erl. vom 29. 5. 1923, MBl. 629) folgende; 1. Paß- und Personenkontrolle an der Grenze, 2. Fahndung auf flüchtige Ver­ brecher beim Grenzübergang, 3. Abschub in Deutschland lästig gefallener Ausländer, 4. Ab­ nahme der aus den Nachbarländern ausgewiese­ nen Reichsangehörigen, 5. Beobachtung verdäch­ tiger Durchreisender, 6. Unterstützung der Polizeiund Zollbehörden und Landjägerei. In den Prov.

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Grenzmark Posen-Wcstpreußen — Grubensicherheitskommissioncn

Ostpreußen, Grenzmark, Niederschlcsien, Ober­ schlesien, Schleswig-Holstein und in den RegBez. Köslin und Düsseldorf wird die Bearbeitung aller Grenzangelegenheiten von den Landeskriminal­ polizeistellen (s. Landeskriminalpolizei) über­ nommen, und zwar als Organen des RP. Sie haben auch den Geschäftsbetrieb der Kriminalund Grenzkommissariate usw. zu beaufsichtigen und die Personalangelegenheiten der Beamten dieser Dienststellen zu bearbeiten. Den RP. bleibt es unbenommen, in Angelegenheiten der Grenzpolizei den Beamten der vorgenannten Dienststellen unmittelbare Weisungen zu geben (Runderlaß vom 7. 2., 17. 3. und 2. 7. 1927, MBl. 168, 315 u. 741). In den übrigen RegBez. verbleibt es einstweilen bei dem bisherigen Ver­ fahren; Direkte Unterstellung unter den RP., Dienstaufsicht durch zuständigen LR. (Erl. vom 20. 5. 1925, betr. Einrichtung einer Landes­ kriminalpolizei in Preußen, MBl. 569, 638, 989 und 1188). Die Beamten der Kriminal- und Grenzkommissariate, die Hilfsbeamte der Staats­ anwaltschaft sind, üben ihren Dienst als Grenz­ polizeibeamte an den einzelnen Grenzübergangs­ stellen und im Hinterlande in dem Umfange aus, der sich aus ihren oben angeführten Aufgaben er­ gibt. Sie können unter Umständen auch über ihren RegBez. hinaus tätig werden. In allgemeinen kriminalpolizeilichen Angelegenheiten werden die Beamten, mit Ausnahme bei unaufschiebbaren Untersuchungshandlungen, nur auf Weisung ihrer Landeskriminalpolizeistelle tätig. Hg. Grenzmark Posen-Westpreußen. Durch G., betr. Neuordnung der kommunalen Verfassung und Verwaltung in der Ostmark vom 21. 7. 1922 (GS. 171;AusfAnw. MBl. 1922, 767; 1923, 383) wurde aus den Kreisen Bomst (vom LR. in Züllichau mit verwaltet), Deutsch-Krone, Flatow, Fraustadt, Meseritz, Netzekreis, Schlochau, Stadt Schneidemühl, Schwerin die Provinz Gr. PosenWestpr. mit dem einzigen Regierungsbezirk Schneidemühl gebildet. Der OP. {ft gleichzeitig RP.; ebenso werden die Stellen der Vizepräsi­ denten des OP. und des RP. von demselben Beamten verwaltet. Die Provinz bildet einen eigenen Kommunalverband mit dem Sitz in Obrawalde bei Meseritz, der durch G. vom 25. 7. 1923 (GS. 350) als eigener Landarmenverband anerkannt ist. Soweit ihre eigenen Einrichtungen nicht ausreichen, ist sie gemäß § 14 des G. vom 21. 7. 1922 berechtigt, diejenigen der Nachbar­ provinzen gegen Entschädigung in Anspruch zu nehmen. Wegen der Auseinandersetzung mit der Provinz Ostpreußen als Nachfolgerin der früheren Provinz Westpreußen, zu der ein Teil der Grenz­ mark, früher gehörte, war im G. ein besonderes Auseinandersetzungsverfahren vorgesehen. Für die Provinz besteht ein eigenes Provinzialschul­ kollegium und gemäß G. vom 6. 3. 1922 (GS. 55) eine eigene Landwirtschaftskammer, sowie, auf Grund der allgemeinen Vorschriften gebildet, eigene Tierärzte- und eigene Apothekerkammer, während sie bezüglich der ärztlichen Standes­ vertretung gemäß G. vom 30.12.1926 (GS. 353) mit der Provinz Brandenburg eine gemeinsame Ärztekammer bildet. Der Sitz der Landesversicherungsanstalt ist Meseritz. Der Bezirk der Provinz gehört zu denjenigen des Neuen Brandenburgi­ schen Kreditinstituts in Berlin (V. vom 4. 9. 1923,

GS. 427) und laut statutarischer Bestimmung vom 1. 4. 1924 zu demjenigen der Brandenburgischen Provinzialfeuersozietät in Berlin. Sie untersteht dem Berghauptmann in Breslau und der Ei­ chungsdirektion in Stettin. Bezüglich der Rechts­ pflege gehört die Provinz mit den beiden Land­ gerichten in Meseritz und Schneidemühl zum Ober­ landesgerichtsbezirk Marienwerder. Als Staats­ archiv für die Provinz G. fungiert das Geheime Staatsarchiv in Berlin. Ly. Grenzübernahmeorte s. Übernahmevertrag. Grenzverkehr, kleiner. Nach § 116 VZG. können in bezug auf den kleinen G. nach Maß­ gabe des örtlichen Bedürfnisses besondere Er­ leichterungen gewährt werden. Als kleiner G. gilt der die Grenze überschreitende kleine Verkehr zwischen den Bewohnern der beiderseitigen Grenzbezirke (s. d.). Die Erleichterungen be­ ziehen sich in der Hauptsache auf den Weide­ verkehr und einen handwerksmäßigen Verede­ lungsverkehr (s. d.). S. auch Zoll II 6a 10 und b 18. Sdt. Was ist kleiner Grenzverkehr? in der Z. für Zollwesen und Reichssteuern 3, 48.

Grenzzollämter (Grenzeingangsämter) sind diejenigen Zollstellen, bei denen die erste zoll­ amtliche Abfertigung der aus dem Auslande ein­ gehenden Waren erfolgt. Sie liegen in der Regel in der Nähe der Grenze, für den seewärtigen Eingang indes teilweise in beträchtlicher Ent­ fernung von ihr, so z. B. die als G. dienenden Zollstellen in Hamburg und Altona. Für die von der Grenze entfernter gelegenen G. sind meist Ansageposten (s. ZollII 10c2) errichtet. S. auch Exponierte Zollstellen. Sdt. Griechenland. Diplomatische Vertretung des Reiches: Gesandtschaft in Athen. Berufskonsulat­ behörde: Konsulat in Saloniki. Signatarmacht des Versailler Vertrages, Mitglied des Völker­ bundes seit 16. 1. 1920. Deutsch-Griechischer Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 24. 3. 1928 (RGBl. II 239) mit Niederlassungs- und Konsu­ larbestimmungen (gegenwärtig noch nicht ratifi­ ziert). Deutsch-griechischer Auslieferungsvertrag vom 12. 3./27. 2. 1907 (RGBl. S. 545, 558), wieder in Kraft gesetzt durch griechische Erklärung gemäß Art. 289 des Versailler Vertrages (RGBl. 1920, 1544). Fro. Großbritannien s. Britisches Reich. Große Fahrt ist diejenige Fahrt, welche die Grenzen der mittleren Fahrt (s. d.) überschreitet (Bek., betr. die Besetzung der Kauffahrtei­ schiffe mit Kapitänen und Schiffsoffizieren, vom 25. 7.1925, RGBl. I 709). Der Begriff ist wichtig für den Umfang der Befugnisse der Seeschiffer und Seesteuerleute. F. H. Großeisenindustrie s. Arbeitszeit. Großhandel ist der Handel, der zwischen Ver­ käufer und Zwischenhändler über größere, d. h. solche Mengen abgeschlossen wird, wie sie vom Verbraucher zur Befriedigung eines augenblick­ lichen Bedürfnisses regelmäßig nicht auf einmal verlangt werden (OVG. vom 3. 3. 1900, GewA. 4, 184; KG. vom 14. 8. 1901, GewA. 1, 406, und vom 18. 6. 1908, GewA. 8, 111). Für den G. bestimmte Märkte heißen Messen. F. H. GrubensicherheitSkommissionen, durch Anord­ nung des HM. (Bestimmungen vom 3. 7. 1926,

Grundeigentumstatistik — Grunderwerbsteuer Reichsanzeiger Nr. 165) ins Leben gerufen. Die G. beim HM. führt die Bezeichnung Preußisches Grubensicherheitsamt. 1. Grubensicherheitsamt. Es setzt sich aus dem Leiter des G. als Vorsitzenden, je einen Vertreter des OBA. aus den Sach­ bearbeitern für allgemeine Bergpolizei, sieben Vertretern der Arbeitgeber (darunter ein Be­ triebsführer), sieben Vertretern der Arbeitnehmer, darunter zwei technische Grubenangestellte, und drei Vertretern des LT. zusammen. Ein Ver­ treter des MsB. gehört der G. mit beratender Stimme an. Der HM. kann den Vorsitz selbst übernehmen, auch zu Verhandlungen Sachver­ ständige mit beratender Stimme zuziehen. Von den Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer entfallen auf den Steinkohlenbergbau je vier, auf den Braunkohlen-, Erz-, Stein- und Kalisalz­ bergbau je einer. Stellvertreter werden bestellt. Die Amtsdauer der Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer beträgt vier Jahre. Im übrigen endigt bei den Vertretern des LT. die Amts­ dauer mit Ablauf der Wahlperiode, bei allen Mit­ gliedern mit dem Ausscheiden aus der Stellung, auf der die Mitgliedschaft beruht. Die G. ist ein beratendes Organ für den HM. in denjenigen Fragen der Grubensicherheit, die von allgemeiner Bedeutung sind, insbesondere in Fragen der Unfallversicherung. Sie kann auf allen zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Gebieten Ent­ schließungen an den HM. richten. Nach Bedarf werden Fachausschüsse zur Untersuchung und Klärung einzelner Fragen nach näherer Bestim­ mung des HM. angegliedert. Diese sowie die Hauptkommission können, falls die Mehrheit zu­ stimmt, mit Zustimmung des HM. Grubenbefah­ rungen vornehmen. Die G. tritt mindestens ein­ mal im Jahre zusammen. 2. Grubensicherheilskommissionen be­ stehen auf Grund der erwähnten Anordnung des HM. bei den OBA. und sind beratende Stellen. Ihre Tätigkeit umfaßt die Mitwirkung bei der Aufklärung wichtiger Unfälle, der Mitwirkung bei der Aufklärung anderer für die UV. wichtiger Ereignisse und die Stellungnahme zu Entwürfen von Bergpolizeiverordnungen. Sie setzen sich aus einem Vertreter des OBA. als Vorsitzenden, zwei Bergrevierbeamten, drei Vertretern der Arbeit­ geber (darunter ein Betriebsführer), drei Ver­ tretern der Arbeitnehmer (darunter ein technischer Angestellter) und zwei Mitgliedern des LT. zu­ sammen. Die Mitglieder werden durch den HM. ernannt oder berufen. Auch hier können Fach­ ausschüsse gebildet werden. Der Zusammentritt erfolgt nach Bedarf oder auf Antrag von min­ destens drei Mitgliedern, abgesehen von dringen­ den Fällen, sieben Tage vorher unter Mitteilung der Tagesordnung. Wenigstens einmal jährlich sind die G. zur Besprechung über den Stand des Unfallwesens zusammenzuberufen. Für jede G. wird zur Teilnahme an der amtlichen Unfall­ untersuchung ein Unfallausschuß, bestehend aus je einem Vertreter der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und des LT. gebildet. Die Mitglieder des Unfall­ ausschusses sind nach Eintritt wichtiger Unfälle sobald als möglich durch den Vorsitzenden der G. zusammenzuberufen. Der Bergrevierbeamte gibt ihnen von wichtigen Unfällen Kenntnis. Der Unfallausschuß kann an der Befahrung der Unfall­

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stelle teilnehmen. Eine Vernehmung der Zeugen geschieht durch den Bergrevierbeamten. Nach Abschluß der Untersuchung tritt die G. zusammen, um auf Grund eines schriftlichen oder mündlichen Berichts zu beraten. Zu den Beratungen werden die im Bezirk des OBA. wohnenden Mitglieder des LT., der Bergrevierbeamte, der Berginspek­ tor, die Werksverwaltung und Vertreter des Betriebsrats zugezogen. Es können zur Auf­ klärung auch andere Gruben befahren werden. Eine Ausfertigung des Berichts erhalten das OBA. und der HM. Treten auf einem Berg­ werk Ereignisse ein, die zwar einen Unglücksfall nicht zur Folge haben, aber für die Sicherheit der betroffenen Grube oder die Unfallverhütung von besonderer Bedeutung ist, so ist die G. an der Aufklärung des Vorfalls zu beteiligen und ihr das Ergebnis der Untersuchung vorzulegen. Bei erhöhter Unfallgesahr kann jedes Mitglied der G. und jedes im Bezirk des OBA. wohnende Mitglied des Grubensicherheitsamts eine gemein­ same Befahrung mit dem Vorsitzenden und dem zuständigen Bergrevierbeamten beantragen. Die G. regeln ihre Tätigkeit durch eine Geschäfts­ ordnung. Uber alle Beratungen der G., Fach­ ausschüsse und Unsallausschüsse müssen Nieder­ schriften ausgenommen werden. Die Tätigkeit ihrer Mitglieder ist ehrenamtlich, doch erhalten sie für Reisen nach näherer Bestimmung des HM. Entschädigung. Die Bureau- und Kanzleiarbeiten werden vom HM. und dem OBA. erledigt. F. H. Grundeigentumstatistik s. Landwirtschaft­ liche und Grundeigentumstatistik. Grunderwerbsteuer. I. Begriff. Die G. ist eine indirekte Steuer (Berkehrsteuer), die den Verkehrsvorgang des Grundstücksumsatzes als solchen steuerlich erfassen soll. Sie wird erhoben anläßlich der Veräußerung von Grundstücken und von Berechtigungen, auf welche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke Anwen­ dung finden, z. B. bei der Veräußerung von Erb­ baurechten. Bor dem 1. 10. 1919 (Inkrafttreten des GrunderwerbsteuerG. vom 12. 9. 1919) war der Grundstücksumsatz Gegenstand einer geson­ derten Besteuerung durch das Reich, die Länder und Kommunen. Die durch das RStempG. von 1909 eingesührte Stempelabgabe für Grundstücks­ übertragungen betrug 2/3% des Veräußerungs­ preises oder Grundstückswerts. Daneben wurde von den Ländern eine Stempelabgabe für Grundstücksveräußerungen erhoben, deren Sätze in den einzelnen Ländern verschieden waren, in Preußen z. B. 1%. Zu diesen Abgaben traten als weitere Belastung des Grundstücksverkehrs kom­ munale Umsatzsteuern, die zwischen 1 und 2% schwankten. Durch das GrunderwerbsteuerG. vom 12. 9. 1919 (RGBl. 1617) — neue Fassung vom 11. 3.1927 (RGBl. 172) — wurden mit Wir­ kung vom 1. 10.1919 unter Außerkraftsetzung der Bestimmungendes RStempG., der LandesG. und der Satzungen der Gemeinden (Gemeindever­ bände) über Besteuerung des Grunstücksumsatzes die bisherigen Grundwechselabgaben in einer ein­ heitlichen Reichsgrunderwerbsteuer dergestalt ver­ einigt, daß neue Abgaben dieser Art von den Ländern und Gemeinden nicht mehr eingeführt werden dürfen (vgl. § 37 des G. vom 12. 9.1919, RGBl. 1617; jetzt § 33 der Fassung vom 11. 3. 1927, RGBl. I 72).

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Grunderwerbsteuer

II. Gegenstand der G. im einzelnen. Gegenstand der Besteuerung ist grundsätzlich der Übergang des Eigentums an Grundstücken (§ 1) sowie an grundstücksgleichen Berechtigungen (§ 2). Der Besteuerung werden auch zur Über­ tragung des Grundstückseigentums verpflichtende Rechtsgeschäfte (schuldrechtliche Geschäfte) unter­ worfen, sofern sie innerhalb eines Jahres nicht zum Eigentumsübergang geführt haben. Werden mehrere solcher schuldrechtlichen Geschäfte, die an­ einander anschließen, innerhalb eines Jahres ab­ geschlossen (sog. Kettengeschäfte), so sind sie gleich­ falls steuerpflichtig, sofern eines von ihnen vor Ablauf des Jahres zum Eigentumsübergang führt. Nicht steuerpflichtig ist das schuldrechtliche Geschäft, das zum Eigentumsübergang geführt hat, da hier bereits der Eigentumsübergang nach §§ 1,4 steuerpflichtig ist. Die verschiedenen Arten der schuldrechtlichen Geschäfte sind in Z 5 im ein­ zelnen angeführt. Dem Eigentumsübergang im Rechtssinne ist steuerlich der Eigentumsübergang im wirtschaftlichen Sinne gleichgestellt. Werden z. B. alle Anteile einer Personenvereinigung (Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, offenen Handelsgesellschaft usw.), zu deren Vermögen Grundstücke gehören, in der Hand eines Teilhabers vereinigt, so wird diese Vereinigung steuerlich dem Übergang des Eigen­ tums an dem Grundstücke gleich geachtet, weil die Vereinigung der Gesellschaftsanteile in einem solchen Falle die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Grundstück gewährt (§ 3). Überhaupt unterliegen ganz allgemein der G. Rechtsvor­ gänge, die es ohne Übertragung des rechtlichen Eigentums einem anderen ermöglichen, über das Grundstück wie ein Eigentümer zu verfügen. Schließlich soll außer dem Grundstücksumsatze auch der festliegende Grundbesitz in Form der Be­ steuerung der sog. toten Hand zum Gegenstand der Besteuerung gemacht werden. Es handelt sich hier um den gebundenen Grundbesitz im engeren Sinne (vgl. Art. 57, 58, 59 EGBGB.), wie um Grundbesitz im Eigentum von Personenvereini­ gungen, Anstalten und Stiftungen. Da dieser Grundbesitz in der Regel auf längere Zeit dem Grundstücksverkehr und damit der eigentlichen G. entzogen ist, soll als Ersatz hierfür regelmäßig in 20jährigen Zeitabschnitten, erstmalig am 1.1.1929 (vgl. §§ 10 und 28), eine Abgabe erhoben werden. III. Steuerbefreiungen. Bon der G. sind befreit Grundstücksumsätze, bei denen der gemeine Wert des Grundstücks 50 JRM nicht überschreitet (vgl. § 18). Ferner wird beim Erwerb von Todes wegen oder auf Grund einer Schenkung unter Lebenden im Sinne des ErbschastssteuerG. (§ 8 Ziff. 1, G. nicht erhoben. Bei Schenkungen mit einer Auflage beschränkt sich die Grunderwerb­ steuerbefreiung aus den Teil des gemeinen Wertes des Grundstücks, der den Wert der Auflage über­ schreitet. Weitere Steuerbefreiungen sind im § 8 des G. einzeln aufgesührt.. Steuerbefreit ist hier­ nach der Grundstückserwerb bei Begründung, Än­ derung, Fortsetzung und Aufhebung der ehelichen Gütergemeinschaft sowie auf Grund von Ver­ trägen, die zwischen Miterben zum Zwecke der Teilung der zum Nachlaß gehörenden Gegenstände abgeschlossen werden. Steuerfrei ist auch der Grundstückserwerb der Abkömmlinge von den Eltern, Großeltern und entfernteren Voreltern

sowie der Erwerb der Eltern von den Kindern; den Eltern stehen die Stiefeltern gleich, ebenso die Adoptiveltern, wenn kein Verdacht besteht, daß die Annahme an Kindes Statt zum Zwecke der Steuerhinterziehung vorgenommen ist. Eine wichtige Nolle spielen Grundstücksübertragungen bei Gründungen von Familiengesellschaften. Hier ist die Grundstücksübertragung steuerfrei, wenn sie an eine ausschließlich aus dem Veräußerer und dessen Abkömmlingen oder aus diesen allein be­ stehende Vereinigung erfolgt (§ 8 Ziff. 5). Zu den Abkömmlingen zählen auch Stiefkinder (NFH. 18, 254). Sind mehrere Veräußerer vorhanden, so müssen sie, um Steuerbefreiung zu genießen, sämtlich Verwandte aussteigender Linie der an­ deren Gesellschafter sein (RFH. 8, 115). Die Steuerpflicht tritt ein, wenn nachträglich ein Ge­ sellschafter ausgenommen wird, der nicht zu den Abkömmlingen des Veräußerers gehört. Ent­ sprechende Vorschriften gelten beim Einbringen von Nachlaßgegenständen in eine ausschließlich von Miterben gebildete Vereinigung (§ 8 Ziff. 6). Von besonderer Bedeutung ist die Steuerbe­ freiung beim Austausch von Grundstücken zum Zwecke der Zusammenlegung (Flurbereinigung), der Grenzregelung oder der besseren Gestaltung von Bauflächen (Umlegung), sowie bei Ablösung von Rechten an Forsten, wenn diese Maßnahmen auf Anordnung einer Behörde beruhen oder von einer gesetzlich hierfür zuständigen oder durch die oberste Landessinanzbehörde bezeichnete Behörde als zweckdienlich anerkannt werden (vgl. § 8 Ziff. 7). In Preußen sind für die Ausstellung der Zweckdienlichkeitsbescheinigungen die KA. zuständig. Für die Anwendung der Steuerbe­ freiungsvorschrift wird nicht vorausgesetzt, daß der Grundstücksaustausch auch gegen den Willen der Beteiligten erzwungen werden kann (NFH. II D 2/24 vom 15. 2. 1924). Planüberweisungen im altpreußischen Auseinandersetzungsversahren sind nach § 8 Ziff. 7 grunderwerbsteuerfrei auch dann, wenn ein Planstück für eine Person ausgewiesen wird, die ein Grundstück in die Teilungsmasse nicht eingeworfen hat (RFH. 14, 8). Ein Aus­ tausch zur besseren Gestaltung von Bauflächen (Umlegung) kann auch dann vorliegen, wenn ledig­ lich zwei Teilflächen gegeneinander ausgetauscht werden. Der Beteiligung einer größeren Zahl von Eigentümern bedarf es nicht. Auch genügt es, daß nur eines der in Betracht kommenden Grundstücke bebaut werden soll (RFH. 16, 316). Die Steuer­ befreiung erstreckt sich nach näherer Maßgabe des § 8 Ziff. 7 auch auf den Austausch von Grund­ stücken zum Zwecke der Ermöglichung einer besse­ ren landwirtschaftlichen Ausnützung von Grund­ stücken in Gemengelage. Steuerbefreit ist weiter der Austausch von Feldesteilen zwischen angren­ zenden Bergwerken und die Vereinigung zweier oder mehrerer Bergwerke zum Zwecke der besseren bergbaulichen Ausnützung nach Maßgabe des § 8 Ziff. 8. Die Steuerbefreiung bezieht sich hierbei nicht nur auf eigentliche Konsolidationen im Sinne des Preußischen BergG., sondern auch auf alle Fälle von Vereinigungen, die für die berg­ bautechnische Ausnutzung nötig oder nützlich sind (RFH. 6, 69). Hervorzuheben ist noch die Steuer­ befreiung zugunsten des Kleinwohnungsbaues. Grundstücksübertragungen sind, wenn sie der Schaffung gesunder Kleinwohnungen für Min-

Grunderwerbsteuer

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Auseinandersetzung zwischen Ländern und Kirchen (§ 21 Abs. 2 GrunderwerbsteuerG.). Wenn aus einer Kirchengemeinde eine Tochtergemeinde aus­ gegrenzt und dieser hierbei Grundeigentum von der Muttergemeinde übertragen wird, tritt Steuer­ befreiung ein (RFH. 8, 265). Unter den Begriff der „Auseinandersetzung" zwischen Ländern und Kirchen fallen auch Auseinandersetzungen, bei denen nicht das Land beteiligt ist, sondern öffent­ lichrechtliche Unterverbände des Landes, wie die Schulverbände (RFH. vom 27. 1. 1926 II A 481/25). Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene von Kriegsteilnehmern, die bei Abfindung ihrer militärischen Bezüge auf Grund des KapitalabfindungsG. Grundstücke erwerben, sind nach nähe­ rer Bestimmung des RR. von der G. befreit (§ 21 Abs. 1 GrunderwerbsteuerG.). Diese Bestimmun­ gen des RR. sind mit Bek. vom 29.6.1923, III Dv 2277 (RStBl. 1923, 231) ergangen. Sondervorschristen über Steuerbefreiungen sind noch u. a. in folgenden V. enthalten: a) vom 25. 10. 1921 (ZBl. 871), betr. die vermögensrechtliche Ausein­ andersetzung zwischen den Ländern und den landes­ fürstlichen Häusern; b) vom 4. 7.1922 (ZBl. 415), betr. Erwerb von Grundstücken auf Grund des G. vom 25. 5. 1873; c) vom 22. 8. 1922 (ZBl. 475), betr. Wasserwirtschaft; d) vom 19. 2.1923 (RGBl. I 153) über den Erwerb von Grundstücken für diplomatische und konsularische Vertretungen des Auslandes. Den Erlaß der Steuer aus Rechts­ gründen regelt § 23. Für den Grundstückserwerb durch milde Stiftungen enthält § 22 eine Sonderbesreiungsvorschrift. Unter milden Stiftungen werden solche mit Rechtspersönlichkeit ausge­ stattete Stiftungen und Anstalten zu verstehen sein, deren ausschließlicher oder hauptsächlicher Zweck auf die Unterstützung hilfsbedürftiger Per­ sonen durch im wesentlichen unentgeltliche Zu­ wendungen gerichtet ist (vgl. auch § 10 der B. zur Durchführung des KörpStG. vom 17. 5. 1926, RGBl. 1244). Befreiungsvorschriften bei der Be­ steuerung der sog. toten Hand enthält der § 21 Abs. 3, 4 GrunderwerbsteuerG. IV. Entstehung der Steuerschuld. Die Steuerschuld entsteht mit der Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch oder, wenn es einer solchen zum Übergang des Eigentums nicht bedarf, mit dem Vorgang, der die Rechts­ änderung bewirkr (vgl. § 4), bei schuldrechtlichen Geschäften nach Ablauf eines Jahres nach Ab­ schluß des schuldrechtlichen Geschäfts (vgl. § 5 Abs. 1), bei Kettengeschästen mit den im § 5 Abs. 3 bezeichneten Eigentumsübergängen. Bei der Besteuerung der sog. toten Hand entsteht die Steuerschuld nach Ablauf von 20 Jahren seit der Bindung oder dem Erwerb oder der letztmaligen Entstehung der Steuerschuld (vgl. § 10). Wegen der erstmaligen Entstehung dieser Schuld vgl. § 28 Abs. 2 GrunderwerbsteuerG. V. Steuerschuldner. Steuerschuldner sind der Erwerber und der Veräußerer des Grund­ stücks; sie hasten als Gesamtschuldner. Als Steuer­ schuldner gelten nicht im Zwangsversteigerungs­ verfahren oder im Enteignungsversahren die­ jenigen, gegen die sich das Verfahren richtet (vgl. § 20). Wegen der Besteuerung der toten Hand vgl. § 20 Abs. 2. VI. Steuerpflichtiger Wert. Die Steuer wird vom gemeinen Wert des Grundstücks oder 48 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Ausl.

derbemittelte zu dienen bestimmt sind, im Rah­ men des § 8 Ziff. 9 steuerbefreit. Als Kleinwoh­ nungen für Minderbemittelte sind solche Woh­ nungen anzusehen, die nach ihrer Größe und Aus­ stattung den gegenwärtigen ortsüblichen Bedürf­ nissen in einfachster Form entsprechen. Klein­ wohnungen sind daher im allgemeinen solche Woh­ nungen, bei denen der Flächeninhalt der nutzbaren Wohnfläche 90 und, soweit es sich um Eckwoh­ nungen handelt, 100 qm nicht übersteigt und die Nebenräume in ortsüblichen Grenzen bleiben (vgl. RFM. vom 26. 2. 1921, Illa 5373/20, im RStBl. 1921, 151; RFH. 8, 118). Es muß sich bei der Befreiungsvorschrift um die Schaffung ge­ sunder Kleinwohnungen handeln. Hierzu ist nicht nötig, daß die gesunden Kleinwohnungen erst nach dem Grundstückserwerb errichtet oder baulich her­ gerichtet werden. Es genügt vielmehr, daß vor­ handene Wohnungen, die bisher dem Zwecke, ge­ sunde Kleinwohnungen für Minderbemittelte zu sein, nicht gedient haben, nach dem Erwerb für diesen Zweck bereit gestellt werden sollen (RFH. 8, 13). Über den Begriff der Minderbemittelten vgl. RFH. 16, 316. Erwerber oder Veräußerer müssen. nach der Steuerbefreiungsbestimmung Körperschaften des öffentlichen Rechts oder solche Personenvereinigungen sein, die im § 8 Ziff. 9 umschrieben sind. Jedenfalls kann die Befrei­ ungsvorschrift dann nicht Anwendung finden, wenn beide Vertragsteile (Veräußerer wie Er­ werber) Privatpersonen sind. § 8 Ziff. 9 ist auch anwendbar, wenn ein Teil der wirtschaftlichen Einheit den steuerbesreiten Zwecken dienen soll. Es handelt sich hier um die sog. vertikale Teilung durch Verwendung von Teilgrundstücken zu ver­ schiedenen Zwecken. In diesem Falle tritt hin­ sichtlich der zu steuerbesreiten Zwecken verwende­ ten Teile Steuerbefreiung ein (RFH. 8, 13). Anders ist bei der sog. horizontalen Teilung zu ent­ scheiden, d. h- wenn ein Hausanwesen teils Klein­ wohnungen im Sinne der Befreiungsvorschrist, teils andere Wohnungen enthält; dann tritt Steuerpflicht in vollem Umfange ein (RFM. 26. 2. 1921; RStBl. 1921, 153). Besondere Be­ stimmungen sind erlassen beim Erwerb von Eigen­ heimen durch Minderbemittelte (vgl. B. vom 2. 7. 1923, RGBl. I 553). Die durch § 29 des ReichssiedlungsG. (RGBl. 1919, 1429 und 1923 I, 364) geschaffene Befreiung von der G. besteht neben den Steuerbefreiungen des GrunderwerbsteuerG. fort (RFH. 7, 133). Das gleiche gilt für die Steuerbefreiungsvorschrift nach § 36 des ReichsheimstättenG. (RGBl. 1920, 962) und nach der Beamten-SiedlungsB. vom 11. 2. 1924 (RGBl. I 53 ff.). Steuerfrei ist der Erwerb von Grundstücken zur Schaffung öffentlicher Erholungs-, Wald- oder sonstiger Grünanlagen sowie für Zwecke öffentlicher Straßen und Plätze (§ 8 Ziff. 10). Friedhöfe sind nicht als öffentliche Er­ holungsanlagen anzusehen; Schienenwege und Eisenbahnen sind keine öffentlichen Straßen im Sinne der Befreiungsvorschrift. Als öffentliche Erholungsanlagen sind auch nicht Anlagen anzu­ sehen, die nur den Mitgliedern eines bestimmten Vereins zugänglich sind. Eine G. wird nicht er­ hoben beim Übergang des Eigentums gelegentlich der Übernahme einer Körperschaft des öffentlichen Rechts durch eine andere oder der Grenzverände­ rungen unter solchen Körperschaften sowie der

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Grunderwerbsteuer

höheren Veräußerungspreis berechnet (§§ 11, 12 GrunderwerbsteuerG.; § 138 AO.). Beim Tausche von Grundstücken ist die Steuer für jedes Grundstück gesondert zu berechnen (§ 16) und, da der Wert des einen Grundstücks der Preis des anderen ist, für beide Steuerberechnungen stets der gemeine Wert des wertvolleren der beiden Grundstücke maß­ gebend (RFH. vom24.3.1925, IIA 116/25). Für die Festsetzung des Wertes ist im allgemeinen der Tag der Entstehung der Steuerschuld maßgebend, bei Versteuerung schuldrechtlicher Geschäfte der Tag des Abschlusses dieses Geschäfts. Ist die Steuerschuld für das schuldrechtliche Geschäft durch Ablauf der Jahresfrist bereits entstanden, und geht sodann das Eigentum am Grundstück über, so ist die Steuer für den Eigentumsüber­ gang von dem Unterschiede der steuerpflichtigen Werte zwischen dem Abschluß des schuldrechtlichen Geschäfts und dem Eigentumsübergange zu be­ rechnen (RFH. 14, 226). Wegen des steuerpflich­ tigen Wertes bei Zwangsversteigerungen vgl. § 13 und in Fällen, in denen das Grundstück von einem Hypothekengläubiger in der Zwangsversteigerung zur Rettung seiner Hypothek erworben ist, § 14. Beim Erwerb von Grundstücken, das mehreren zur gesamten Hand gehört, durch einen der Ge­ samthänder vgl. § 15. VII. Steuersatz. Die G. beträgt 3% des ge­ meinen Wertes des Grundstücks oder des höheren Veräußerungspreises (vgl. § 17). Zu dieser Reichssteuer treten Zuschläge bis ju 2% für Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände). Zuschläge dürfen nach näherer Maßgabe des § 38 Abs. 3 FAG. nicht erhoben werden, wenn bei der Errichtung einer inländischen Kapitalgesell­ schaft oder bei der Erhöhung ihres Gesellschafts­ kapitals Grundstücke in die Gesellschaft gegen Ge­ währung von Gesellschaftsrechten eingebracht werden. Durch das G. über Steuermilderungen zur Erleichterung der Wirtschaftslage vom 31. 3. 1926 (RGBl. I 185) sind in Art. III auch hin­ sichtlich der G. steuerliche Erleichterungen bei Ver­ schmelzungen von Kapitalgesellschaften und Zu­ sammenfassungen gleichartiger oder wirtschaftlich zusammengehöriger Betriebe mehrerer Unter­ nehmungen geschaffen. In Fällen dieser Art wird beim Einbringen von Grundstücken in Kapital­ gesellschaften gegen Gewährung von Gesellschafts­ rechten die G. unter Wegfall der Zuschläge zur G. und der Wertzuwachssteuer auf 1 ya% er­ mäßigt (vgl. §§ 8, 9ff. SteuermilderungsG.). Die Steuerschuld muß in der Zeit vom 1. 9. 1925 bis zum 30. 9. 1928 (vgl. G. zur Verlängerung der Geltungsdauer des SteuermilderungsG. vom 16. 7. 1927, RGBl. I 183) entstanden sein. Er­ stattungen von Steuern finden nicht statt, soweit Steuerbeträge bereits Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) zugeflossen sind (vgl. § 13 SteuermilderungsG.). Wegen der Einzelheiten vgl. Rundversügung des RFM. vom 11. 5. 1926 (III Rv 13402). Die Steuer erhöht sich bei Güter­ zerschlagungen nach Maßgabe des § 19 Grund­ erwerbsteuerG. Die Steuer vom festliegenden Grundbesitz (tote Hand) beträgt 2% des gemeinen Wertes des Grundstücks (§ 17 Grunderwerb­ steuerG.) und wird erstmalig nur in Höhe von 1% erhoben (§ 28 Abs. 2 GrunderwerbsteuerG.). Auch hier treten der Reichssteuer Zuschläge hinzu nach näherer Maßgabe des § 38 Abs. 4 Satz 2

FAG. in der Fassung des § 2 Zifs. 13 des G. zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs usw. vom 9. 4. 1927 (RGBl. I 91). VIII. Fälligkeit. Die G. ist binnen einer Woche nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu leisten, soweit sie die nach § 24 Grunderwerb­ steuerG. geleistete Zahlung übersteigt (§ 30). IX. Strafvorfchriften f. § 359 AOX. Erlaß der Steuer aus Billigkeits­ gründen. Die Entscheidungen über Anträge auf Erlaß der G. aus Billigkeitsgründen haben die Zuschläge zu umfassen (§ 31). Zuständig zur Entscheidung ist grundsätzlich der RFM., da die G. als Reichssteuer im Sinne des § 1 Abs. 2 AO. gilt (vgl. § 36 Abs. 2 FAG.; § 108 AO.). Dies gilt auch hinsichtlich in Preußen belegener Grund­ stücke (OBG. vom 9. 10. 1925, PrBBl. 47, 209). Durch Rundversügung des RFM. vom 19.2.1927 (Illa 555) ist die Zuständigkeit zur Entscheidung über Anträge auf Erlaß der Steuer aus Billig­ keitsgründen den Finanzämtern (Steuerstellen) bis zu einem Gegenstandswert von 2000 RM, den Präsidenten der Landesfinanzämter bis zu einem Gegenstandswert von 4000 RM übertragen worden. XI. Verfahren. Den Steuerstellen haben die Grundbuchämter, Registergerichte, die Behörden und Beamten des Reiches, der Länder, der Ge­ meinden sowie die Notare von allen Eintragungen und Beurkundungen von Vorgängen, die den Über­ gang des Eigentums an Grundstücken betreffen, Mitteilung zu machen (vgl. § 25 Grunderwerb­ steuerG.; §§ 1 ff- der AussB. hierzu; Erl., des preuß. JuM. vom24.7.1925, la525, über die den Notaren nach dem GrunderwerbsteuerG. obliegen­ den Mitteilungen an die Steuerbehörden (JMBl. 267). Wegen der Mitteilungspflicht der an einem steuerpflichtigen Rechtsvorgang Beteiligten vgl. § 26 und in Fällen der Besteuerung der sog. toten Hand § 28. Die Steuerstelle setzt die Steuer fest und erteilt dem Steuerpflichtigen einen Bescheid; deckt sich die Steuer mit der nach § 24 Grund­ erwerbsteuerG. geleisteten Zahlung, so genügt eine Mitteilung hierüber (§ 29). Wegen der Form der Steuerbescheide vgl. Rundverfügung des RFM. vom 17.11. 1925 (III Rv 11891). Um nach Möglichkeit Steuerausfälle zu verhüten, sind in § 24 GrunderwerbsteuerG. sowie in den Durch­ führungsbestimmungen zu § 24 vom 17. 1. 1924 (RGBl. I 33) besondere Sicherungsmaßnahmen getroffen worden. Hiernach darf die Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch erst stattfinden, wenn dem Grundbuchamt eine Bescheinigung der Steuerstelle beigebracht ist, daß die Steuer für den Eigentumsübergang gestundet oder ein der voraussichtlichen Höhe der Steuer entsprechender Betrag geleistet oder eine Steuer nicht zu erheben ist. Das Berufungsverfahren der AO. ist gegen einen Bescheid der Steuerstelle, durch den die Erteilung der im § 24 vorgesehenen Bescheinigung von der Zahlung eines bestimmten Steuerbetrags abhängig gemacht wird, nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige geltend macht, daß eine Steuer nicht zu erheben sei (vgl. § 2 der Durchführungs­ bestimmungen und RFH. 17, 209). Im übrigen ist gegen die Bescheide der Steuerstellen nach § 24 GrunderwerbsteuerG. nur die Beschwerde nach §§ 224, 281 AO. zulässig.

Grundgehaltsmehrbetrag — Grundkreditanstalten

XII. Die G. im Rahmen des Finanz­ ausgleichs. Die G. gilt als Reichssteuer im Sinne des § 1 Abs. 2 AO. Das Aufkommen an G. (Reichssteuer) erhalten die Länder in voller Höhe abzüglich 4% für die Verwaltung der Steuer durch das Reich. Die Länder sind ver­ pflichtet, von ihrem Anteil an die Gemeinden (Gemeindeverbände) mindestens die Hälfte zu überweisen. Die Unterverteilung auf die Ge­ meinden (Gemeindeverbände) bestimmt die Lan­ desgesetzgebung (§ 36 FAG.). Die Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) erhalten die Steuern von den Grundstücken, die innerhalb ihres Gebiets belegen sind. Erstreckt sich ein Grundstück über das Gebiet mehrerer Länder oder Gemeinden, so wird die Steuer nach dem Ver­ hältnis der Werte der Grundstücksteile verteilt (§ 37 FAG.). Vgl. auch „AusfB. für die Be­ teiligung der Länder und Gemeinden (Gemeinde­ verbände) an den Einnahmen aus Reichssteuern nach den Vorschriften des FAG." in der Bek. des RFM. vom 24. 4. 1926 (RMBl. 169), 2. Teil Grunderwerbsteuer. Wegen des Rechts der Länder und Gemeinden zur Erhebung von Zu­ schlägen vgl. § 38 FAG. und das oben unter VII (bei Steuersatz) Gesagte. In Preußen fließt das Aufkommen an G. in voller Höhe den Stadtunb Landkreisen zu (vgl. §§ 2, 39 des preuß. AG. z. FAG. vom 30. 10. 1923, GS. 487). Nach § 62 FAG. darf nach dem 1. 10. 1920 der Erhebung der Zuschläge rückwirkende Krast nicht mehr bei­ gelegt werden. Die Zuschläge für Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) haben die Rechts­ natur von Landes- und Gemeindesteuern. So­ weit das GrunderwerbsteuerG. Ermäßigungen vorsieht, sind die Zuschläge in gleichem Verhältnis zu ermäßigen (§ 38 Abs. 4 FAG.). Für die Verwaltung der Zuschläge und für das Rechtsmittel­ verfahren gelten dieselben Vorschriften wie für die Reichssteuer. Die Länder sind aber berechtigt, insoweit das Rechtsmittel auf einen lediglich für die Zuschläge geltenden Grund gestützt wird, das Rechtsmittelverfahren abweichend von den Vor­ schriften der AO. zu regeln (§ 38 Abs. 5 FAG.). Für Preußen vgl. das AG. z. FAG. vom 30. 10. 1923, 1. 4. 1926 (GS. 137) und das G. betr. die Erhebung von Zuschlägen zur G. vom 19. 4. 1922 (GS. 89). Hiernach kann in Preußen gegen einen Zuschlag ein besonderes Rechtsmittel nur eingelegt werden, wenn es auf einen lediglich für die Zuschläge geltenden Grund gestützt wird; auf das Verfahren finden die Vorschriften der AO. mit der Maßgabe Anwendung, daß für die Be­ rufung die BezA., für die Rechtsbeschwerde das OVG. zuständig sind. Das Rechtsmittel kann regelmäßig auf die Reichssteuer beschränkt werden; deren Ermäßigung hat die entsprechende Ermäßi­ gung des Zuschlags zur unmittelbaren Folge. Ist anzunehmen, daß sich das Rechtsmittelver­ fahren auch auf Zuschläge zur G. beziehen soll, so muß in Preußen der Finanzgerichtsvorsitzende den Rechtsmittelführer befragen, worauf das Rechtsmittel gestützt werden soll (RFH. vom 2. 8. 1924, IIa 372, RStBl. 1925, 117). Auf Antrag einer Landesregierung hat der RFM. die Geschäfte der FA. bei der Verwaltung der G. den von der Landesregierung bezeichneten Be­ hörden zu übertragen. Ein Anspruch auf Ent­ schädigung gegen das Reich wird hierdurch nicht

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begründet; der Abzug von 4% zugunsten des Reichs (§ 36 Abs. 1 FAG.) findet nicht statt (§ 39 FAG.). In Preußen ist die Übertragung der Geschäfte der FA. auf die Stadt- und Land­ kreise durch Vf. des RFM. vom 26. 10. 1923 erfolgt (ABl. d. Reichsfinanzverw. 1923, 464). Der Grunderwerbsteuerbescheid ist in preußischen Landkreisen vom LR. zu erlassen und zu voll­ ziehen. Er kann sich hierbei nicht von einem Kreiskommunalbeamten vertreten lassen, der nicht Mitglied des KrA. ist. Die Einspruchsentscheidung in Grunderwerbsteuersachen ergeht in preußischen Landkreisen vom Kollegium des KrA. Die Voll­ ziehung des Einspruchsbescheides kann statt des LR. nicht einem Kreiskommunalbeamten über­ tragen werden, der nicht Mitglied des KrA. ist (RFH. vom 30. 6. 1926 — II A 171/26, RStBl. 1926, 233). Das Aufkommen an G. nebst Zu­ schlägen hat sich im Rechnungsjahr 1925 auf ins­ gesamt etwa 163 Millionen RM belaufen gegen­ über einem Aufkommen (an Reichs-, Landes- und Gemeindeabgaben) aus dem Grundstücksumsatz im Jahre 1913 von etwa 105 Millionen Mark. Ans. Kommentare zum GrunderwerbsteuerG. von BoethkeBergschmidt, Ott, Lindemann, Lion.

Grundgehaltsmehrbetrag s. Vereinigte Schul- und Kirchenämter I 5. Grundherr. G. ist im allgemeinen gleichbe­ deutend mit Gutsherr. „Grundherrschaft" be­ zeichnet das mehr privatrechtliche Verhältnis des Gutseigentümers zu seinen Hintersassen (vg §§ 56,57 der Schulordnung für die Prov. Preußen vom 11. 12. 1845 (GS. 1846, 1). Der die obrig­ keitliche Gewalt ausübende Gutsherr kann unter Umständen ein anderer als der G. fein (OVG. 33 S. 244, 254). v. E. Grundkreditanstalten. Die G. (Bodenkredit­ anstalten) sind die Vermittler zwischen dem Anlage suchenden Kapital und dem kreditbedürftigen Grundbesitzer, indem sie durch Ausgabe von Schuldverschreibungen (Pfandbriefen, Hypo­ thekenpfandbriesen; s. d.) die Mittel zur Gewäh­ rung von Hypotheken an den Grundbesitz be­ schaffen. Der Inhaber der Schuldverschreibung hat dabei neben der Sicherheit gegenüber dem Hypothekengläubiger den Vorteil der jederzeitigen Realisierbarkeit seines börsengängigen Forde­ rungspapiers. Für den schuldnerischen Grund­ besitz gewährt das Pfandbriefsrecht den großen Vorteil des unkündbaren von den Schwankungen der Zinssätze unabhängigen Amortisationskredits. Zu den G. gehören: 1. die für den ländlichen Grundbesitz bestimmten, auf dessen korporativer Zusammenfassung beruhenden Landschaften (s.d.); 2. die für den städtischen Grundbesitz bestimmten, nach dem Vorbilde der Landschaften von Gemein­ deverbänden unter genossenschaftlicher Zusam­ menfassung derHausbesitzer gegründeten, auf kom­ munaler Haftung beruhenden Stadtschaften (s. d.); 3. die zur Finanzierung des Wohnungsneubaues bestimmte Preußische Landespfandbriefanstalt (s. d.); 4. die der Befriedigung des landwirt­ schaftlichen Kreditbedarfs dienende Deutsche Ren­ tenbankkreditanstalt (s. d.); 5. die Landesrenten­ bank); 6. die Landeskulturrentenbanken (s. d.); 7. die provinziellen G. (Landeskreditanstalt Han­ nover, Landeskreditkasse Kassel, Landesbanken, Provinzialhilsskasse Schlesien) (s. Kommunale Banken); 8. die Hypothekenbanken. Die zu 7

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Grundlohn — Grundrechte

bezeichneten Institute sind durch die Gesetzgebung mehrfach den Landschaften gleichgestellt (§ 1 Abs. 2 des G. vom 3. 8. 1897, GS. 388; Art. 73 § 1 Abs. 2 AGBGB.). v. B. Grundlohn. Unter G. wird der Betrag ver­ standen, nach dem bei der KB. Beiträge und bare Leistungen berechnet werden (§ 180 in der Fassung des G. vom 15. 7. 1927, RGBl. I 219; § 385 RVO-). Er wi d durch die Satzung entweder stufenweise nach der verschiedenen Lohnhöhe der Versicherten, und zwar im Betrage des auf den Kalendertag entfallenden Teiles des Arbeits­ entgeltes auf der Mitte zwischen höchstem und niedrigstem Satz jeder Lohnstufe oder nach Mitgliederklassen unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Tagesentgeltes oder des Tarif­ lohns oder nach dem wirklichen Arbeitsver­ dienst jedes einzelnen Versicherten festgesetzt. Da­ bei wird das Entgelt berücksichtigt, soweit es für den Kalendertag den Betrag von 10 RM nicht übersteigt; für die Berechnung ist die Woche zu 7, der Monat zu 30 und das Jahr zu 360 Tagen an­ zusetzen. Die Festsetzung des G. nach Lohnstufen und Mitgliederklassen bedarf der Zustimmung des OVA. Der Vorstand kann neben der Berechnung nach Lohnstufen und Mitgliederklassen für einzelne Gruppen von Versicherten oder für einzelne Be­ triebe den wirklichen Arbeitsverdienst als G. be­ stimmen. Für freiwillig beitretende, für die sich ein G. nach dem Arbeitsentgelt nicht ermitteln läßt, bestimmt ihn der Vorstand. Nach ähnlichen Gesichtspunkten wird der G. für die Kranken­ versicherung im Rahmen der RKv. festgesetzt, doch gilt hier in erster Linie der wirkliche Arbeits­ verdienst als G. (§ 21 RKG.). F- H. Grundrechte. I. Allgemeines. Nachdem zu­ erst in England durch drei Gesetze, die petition of rights (1628), die habeas oorpus-Akte (1679) und die bill of right (1689), der Schutz der persön­ lichen Freiheit gegenüber der Willkür des Königs sestgelegt war, wurden mit dem gleichen Ziele und in erweitertem Maße in der nordamerikanischen Unabhängigkeitserklärung bestimmte gesetz­ liche Grundsätze über das Verhältnis des einzelnen zur Regierungsgewalt aufgestellt. Nach diesem Vorbilde verkündete die französische Revolutions­ verfassung die „allgemeinen Menschenrechte". Einen wesentlichen Einfluß übten dabei auch die Lehren der Naturrechtsphilosophie aus, welche einen Eingriff der Staatsgewalt in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Freiheit nur insoweit zu­ lassen wollte, als es sich darum handelte, im öffent­ lichen Interesse Gefahren abzuwehren, welche der Allgemeinheit oder dem einzelnen drohten, oder als die Gesetze zu bestimmten Verwaltungsmaß­ nahmen ermächtigten (vgl. Brauchitsch [23. Aufl.^j 1, 263). Demgegenüber gingen die späteren Verfassungen Frankreichs von der Auffassung aus, daß es sich um Vorrechte handle, die auf der Staatszugehörigkeit beruhten und formulierten sie daher als „Bürgerrechte". Ähnliche Vor­ schriften enthielt die belgische Verfassung. Hieran knüpfte der Versassungsentwurf der Paulskirche an. Die allzu ausgedehnten Beratungen über die G. trugen mit Schuld daran, daß das ganze Verfassungswerk scheiterte. Dagegen nahmen die einzelstaatlichen Verfassungen besondere Vor­ schriften über Grundrechte aus. So auch Preußen, wo bereits das ALR. in der bekannten Bestim­

mung § 10 II 17 die Grenzen der Polizeigewalt in einer noch heute geltenden Weise um­ schrieben hatte, in den von „Rechten der Preußen" handelnden Vorschriften in Art. 3—12 der Ver­ fassung vom 31. 1. 1850. In Rücksicht auf die bereits in den einzelstaatlichen Verfassungen er­ folgte Regelung der G. verzichteten die Verfas­ sungen des Norddeutschen Bundes und des Deut­ schen Reichs von 1867 und 1871 auf die Formu­ lierung von solchen, wie sie, abgesehen von Art. 3 (Reichsindigenat) überhaupt nur die Organi­ sation des Reichs und sein Verhältnis zu den Bundesstaaten, nicht aber die den Einzelgesetzen vorbehaltenen Beziehungen zu den Reichsange­ hörigen (s. Art. 4 Zisf. 1) zum Gegenstände hatten. Dasselbe war auch bei dem Preußischen Entwurf zu der neuen RV. der Fall. Der endgültige Regierungsentwurf enthielt aber bereits einige allgemeine Vorschriften über dieG. der Deutschen, die im Verfassungsausschuß wesentlich erweitert und mit zum Teil sehr einschneidenden, vom Plenum der Nationalversammlung beschlossenen Abänderungen als zweiter Hauptteil (Art. 109 bis 165) unter der Überschrift „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen" in die Verfassung ausgenommen wurden. Bei der Formulierung der bezüglichen Vorschriften der neuen RV. lag dem Gesetzgeber nach den Worten des Bericht­ erstatters, des Abgeordneten Düringer, die Ab­ sicht zugrunde, „einen Niederschlag der gegen­ wärtigen Nechtskultur, ein Spiegelbild unseres Nechtslebens und zugleich ein Programm künf­ tiger Rechtsentwicklung zu geben". Da der bei der erstmaligen Verkündung der G. in der nord­ amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und in der französischen Revolutionsverfassung verfolgte Zweck, der Schutz des einzelnen gegenüber der Allmacht der Staatsgewalt, durch die Einzelgesetz­ gebung bereits zum großen Teil sichergestellt ist, haben die G. heutzutage eine wesentlich andere Bedeutung. Sie bilden, wie es in dem Entwurf zur RV. hieß, Richtschnur und Schranke für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege im Reich und den Ländern. Andererseits statuieren sie auch die Übernahme bestimmter Staatsbürger­ pflichten als Entgelt für die Staatsbürgerrechte. Die historische Grundlage und der durch Kom­ promisse wesentlich beeinflußte Werdegang der Vorschriften hat es mit sich gebracht, daß sie keinen einheitlichen Charakter aufweisen. Neben all­ gemeinen Grundsätzen und programmatischen Erklärungen haben auch gewisse Sätze Ausnahme gesunden, welche positive Rechtsnormen enthalten (so in Art. 109, 111, 114, 124, 128—131, 136, 137, 143—145, 147, 149, 153, 159, 160, 165). Das hat die praktische Wirkung, daß eine Ab­ änderung und Aufhebung dieser Rechtsnormen nur unter den besonderen für Verfassungsände­ rungen vorgesehenen Bedingungen erfolgen kann und daß die Landesgesetzgebung an sie gebunden ist. Bei der Unmöglichkeit einer festen Umgren­ zung der „Grundrechte" ist es erklärlich, daß grundrechtliche Vorschriften sich auch im ersten Teil der RV. vorfinden, z. B. Art. 17, 22, 30, 105). Wenn auch die Überschrift zum zweiten Teil der RV. nur von den G. und Grundpflichten der Deutschen spricht, so finden doch, unbeschadet der völkerrechtlichen Vorschriften, diese Verfas­ sungsvorschriften und ebenso die zu ihrer Ausfüh-

Grundrechte rung erlassenen Reichs- und LandesG. kraft der ter­ ritorialen Gültigkeit insoweit aus Ausländer An­ wendung, als in den einzelnen Artikeln nicht ausdrücklich von„Deutschen" oder „Staatsbürgern" die Rede ist und soweit völkerrechtliche Be­ stimmungen nicht entgegenstehen. Zu diesen Vorschriften gehören die Art. 114, 116, 145, 151—154, 158, 159, 161, 165. In Rücksicht auf die umfassende Regelung der G. in der RV. haben die neuen Verfassungen, insbesondere auch die preußische, ihrerseits von der Regelung der Materie abgesehen. Nur diejenigen von Baden, Bayern, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg enthalten besondere Vorschriften über G., die sich aber im wesentlichen an die RV. an­ lehnen. II. Inhalt der Vorschriften der RV., Teil II. Wenn auch die besondere Bedeutung der einzelnen Vorschriften bei den verschiedenen von ihnen berührten Materien zu erörtern sein wird, so sei hier doch ein Überblick über die Ein­ teilung und über den Inhalt derjenigen Leitsätze gegeben, welche für alle Materien gleiche Be­ deutung haben, oder denen, weil sie lediglich ein Programm enthalten, noch jede Beziehung zu einer gesetzlichen Regelung fehlt. Die RV. grup­ piert die Vorschriften in folgende fünf Ab­ schnitte: Einzelpersonen, Gemeinschaftsleben, Religion und Religionsgesellschasten, Bildung und Schule, Wirtschaftsleben. A. Die Einzelperson (Art. 109—118). An der Spitze steht, gleichsam ein Programm für den ganzen Berfassungsteil, der Grundsatz, daß alle Deutschen vor dem Gesetze gleich sind (Art. 109 Abs. 1). Das bedeutet Gleichheit vor dem Gesetze, Gleichheit nur insoweit, daß „Tatbestände vom G. gleich zu behandeln sind, die ungleich zu be­ handeln, Willkür sein würde" (RGZ. Hl, 328; OVG. 80, 43; s. das. die teilweise uneinige Lite­ ratur). Diesem Grundsatz entspringt auch die Vorschrift in Abs. 2 a. a. O., daß Männer und Frauen grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben. Demzufolge haben auch Art. 17, 20 und 128 die bisherigen Beschrän­ kungen der Frauen im Wahlrecht und bei der Zu­ lassung zu öffentlichen Ämtern beseitigt (s. Reichs­ tag, Landtag und Beamte). Auch die Vor­ schriften in Art. 105 (Verbot der Ausnahmege­ richte. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden) und in Art. 107 (Im Reich und in den Ländern müssen Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegenüber den Verwal­ tungsbehörden bestehen) bilden einen Ausfluß des Grundsatzes von der Gleichheit vor dem Ge­ setz, in Verfolg dessen Art. 109 weiter die Auf­ hebung aller Standesvorrechte anordnet, die Ver­ leihung von Aoelsprädikaten, Titeln (soweit sie nicht Amts- oder Berufsbezeichnungen sind) und Orden verbietet und die Annahme von Titeln und Ocden seitens ausländischer Regierungen untersagt (s. Titel, Orden). An weiteren Indi­ vidualrechten behandelt der Abschnitt Staats­ angehörigkeit, Freizügigkeit, Auswanderungsfrei­ heit, Schutz der Reichsangehörigen gegenüber dem Auslande und Verbot der Auslieferung von Deutschen, Unverletzlichkeit der Person und der Wohnung (Gewährleistung des Eigentums, s. unter E), Sicherung des Brief- und Postgeheim­ nisses und der freien Meinungsäußerung. Letztere

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(Art. 118) wird „innerhalb der Schranken der all­ gemeinen Gesetze" zug. s chert. An der Wahr­ nehmung dieses Rechts darf kein Deutscher durch ein Arbeits- und Anstellungsverhältnis behindert oder wegen Ausübung desselben benachteiligt werden. Der Gebrauch dieses Rechts darf also nicht als Grund zur Kündigung eines Ange­ stellten- oder Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden. Das Recht findet seine Grenze an den allgemeinen Gesetzen. Unter diesen sind im Gegensatz zu den besonderen, die freie Meinungs­ äußerung beschränkenden Gesetzen insbesondere die allgemeinen Straf- und PolizeiG., für Preußen also § 10 II 17 ALR., die gewerblichen Beschränkungen und die BeamtenG. zu verstehen (nach Stier-Somlo auch das PresseG.; teilweise abweichend Thoma, Grundrechte und Polizeige­ walt in der Oberverwaltungsgerichts-Jubiläums­ gabe). Die gewährleistete Freiheit umfaßt auch die Meinungsäußerung durch Schrift, Druck, Bild oder aus sonstige Weise. Die Zensur ist grund­ sätzlich verboten (s. Presse, Film, Zensur). Wegen des Schutzes der fremdsprachigen Volks­ teile (Art. 113) s. Amtssprache. B. Der Abschnitt bett, das Gemeinschafts­ leben (Art. 118—134) enthält zunächst allgemeine Grundsätze sittlicher Natur. Die Ehe wird als verfassungsmäßig geschützte Einrichtung erklärt, der Mutterschaft und kinderreichen Familien An­ spruch auf besondere Fürsorge eingeräumt und die Erziehung des Nachwuchses als ein natür­ liches, aber der staatlichen Überwachung unter­ liegendes Recht der Eltern anerkannt. Ferner wird für die Gesetzgebung eine gleichmäßige Be­ handlung der unehelichen mit den ehelichen Kindern in bezug aus ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung vorgeschrieben, und die Jugendfürsorge als Ausgabe des Staates und der Gemeinden erklärt (Art. 122). Vor allem aber enthält dieser Abschnitt die Gewährleistung bestimmter politischer Rechte, der Versammlungs-, Vereins-, Wahl- und Petitionsfreiheit. Er erkennt das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände auf Selbstverwaltung an (Art. 127) und enthält verschiedene Grundsätze und Rechtsnormen des Beamtenrechts. Im Anschluß daran werden als besondere staatsbürgerliche Pflichten die Über­ nahme von Ehrenämtern, die Leistung von persön­ lichen Diensten für Staat und Gemeinde und die Beteiligung an allen öffentlichen Lasten auf­ geführt (Art. 132—134). 0. Religion und Neligionsgesellscha ft en. (Art. 135—141). Alle Reichsbewohner genießen volle Religions- und Gewissensfreiheit, deren Ausübung aus die bürgerlichen und staatsbürger­ lichen Rechte und die Zulassung zu öffentlichen Ämtern ohne Einfluß ist. Es besteht ke ne Staats­ kirche. Die Religionsgesellschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig. D. Der Abschnitt betr. Bildung und Schule (Art. 142—150), welcher die Kunst, die Wissen­ schaft und ihre Lehre für frei erklärt und den Heimats- und Denkmalsschutz der Fürsorge des Staates unterstellt, enthält vor allem die grund­ legenden Vorschriften betr. das Schulwesen. E. Wirtschaftsleben (Art. 151—165). Neben Grundsätzen, welche das Wirtschaftsleben im all­ gemeinen betreffen, wie z. B. Gewährleistung des Eigentums, des Erbrechts (Art. 153, 154) und der

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Grundschulen

Wirtschaftsfreiheit, und verschiedenen das Ar­ beiterrecht betreffenden Bestimmungen, brachte dieser Abschnitt vor allem folgende grundlegenden Neuerungen: a) Die Verteilung und Nutzung des Bodens, der zur Befriedigung des Wohnungs­ bedürfnisses sowie zu Siedlungs- und Kulti­ vierungszwecken enteignet werden kann, wird der Staatsaufsicht unterstellt; ebenso alle Bodenschätze und nutzbaren Naturkräfte (Art. 155). b) Durch Gesetze können privatwirtschaftliche Unternehmun­ gen in Gemeineigentum überführt, das Reich, die Länder und Gemeinden an der Verwaltung wirtschaftlicher Unternehmungen beteiligt oder mehrere private Unternehmungen zusammen­ geschlossen werden (Art. 156). c) Die Einführung des wirtschaftlichen Nätesystems mit dem Neichswirtschastsrat als Spitze (Art. 165). III. Wegen vorübergehender Aufhebung einzelner G. bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 48 RV.) s. Reichs­ präsident. Ly. Giese, RB. 1926, 298; ferner Rönne, Preuß. Staats­ recht; Bornhak, Deutsches Staatsrecht, 1926; StierSomlo, RB.; Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen; Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt (Festgabe für das OVG.).

Grundschulen. I. Nach Art. 145 RV. besteht allgemeine Schulpflicht. „Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungs­ schule." Art. 146 Abs. 1 RB. bestimmt in seinen beiden ersten Sätzen: „Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen aus." Nach Art. 147 Abs. 3 RV. sind private Vorschulen aufzuheben. Zur Ausführung dieser den früheren Gedanken der „Einheitsschule" verwirklichenden Verfassungsvorschristen erging das ReichsG., betr. die G. und Aufhebung der Vorschulen, vom 28. 4. 1920 (RGBl. 851). Als die für alle gemeinsame G. be­ stimmt es die Volksschule in den vier untersten Jahrgängen. Die Vorschriften der Art. 146 Abs. 2 und 174 RB. gelten auch für die G. Die Grundschulklassen (= Stufen) sollen unter voller Wah­ rung ihrer wesentlichen Aufgabe als Teile der Volksschule zugleich für den unmittelbaren Eintritt in eine mittlere oder höhere Lehranstalt vorbilden. Nur für Hilfsschulklassen gilt dies nicht. Die Landeszentralbehörden können für besondere Fälle die Grundschuldauer verlängern (im wesentlichen nur zu Versuchszwecken: Richtlinien des RMdJ., UZBl. 1921 202 [§ 1]. § 2 ordnet die alsbaldige Aufhebung der bestehenden öffentlichen Vor­ schulen und Vorschulklassen an. Statt der so­ fortigen völligen Aufhebung kann auch ein Abbau erfolgen, der spätestens zu Beginn des Schul­ jahres 1924/25 abgeschlossen sein mußte. Für private Vorschulen und Vorschulklassen gilt das gleiche, doch kann da, wo eine baldige Auflösung oder ein baldiger Abbau erhebliche wirtschaftliche Härten für die Lehrkräfte mit sich bringen würde oder aus örtlichen Gründen untunlich ist, die völlige Auslösung bis zum Beginn des Schul­ jahres 1929/30 aufgeschoben werden. Bei Auf­ schub darf die Gesamtschülerzahl der Vorschul­ klassen der Privatschule den bisherigen Umfang nicht übersteigen. Ergeben sich durch die Auflösung oder den Abbau erhebliche wirtschaftliche Härten für die Lehrkräfte oder die Unterhaltungsträger,

so ist aus öffentlichen Mitteln eine Entschädigung zu gewähren oder durch sonstige öffentliche Maß­ nahmen ein Ausgleich zu schaffen. Abs. 3 er­ läutert den Begriff der Vorschulklassen. Nach § 3 können hauptamtlich angestellte Lehrer, die infolge der Aufhebung oder des Abbaus öffent­ licher Vorschulklafsen in ihren bisherigen Stel­ lungen entbehrlich werden, auch gegen ihren Willen ohne Schädigung in ihren Gehalts­ ansprüchen an öffentliche Volksschulen oder an mittlere und höhere Lehranstalten versetzt werden (selbst wenn dem Lehrer bei der Berufung an eine mittlere Schule die Bedingung gestellt war, daß im Falle seiner Versetzung an eine Volks­ schule die besondere Zulage für Bürgerschullehrer in Wegfall komme, OVG. 78, 225). Nach § 4 darf Privatunterricht für einzelne Kinder oder gemeinsamer Privatunterricht für Kinder meh­ rerer Familien, die sich zu diesem Zwecke zusammenschließen, an Stelle des Besuchs der Grundschule nur ausnahmsweise in besonderen Fällen zugelassen werden. Das G. findet nach seinem § 5 auf den Unterricht und die Erziehung blinder, taubstummer, schwerhöriger, sprach­ leidender, schwachsinniger, krankhaft veranlagter, sittlich gefährdeter oder verkrüppelter Kinder, so­ wie auf die dem Unterricht und der Erziehung dieser Kinder bestimmten Anstalten und Schulen keine Anwendung. Um zu verhindern, daß die starre Festlegung der vierjährigen Dauer der Grundschulzeit „ein pädagogisch nicht zu verant­ wortendes Hemmnis für die im Einzelfalle zu berücksichtigenden besonders leistungsfähigen Schüler und Schülerinnen" bilde (Zifs. 2 der Richtlinien vom 18. 1. 1926, UZBl. 62) — eine ähnliche Erwägung hatte bereits zu der ein­ maligen Ausnahme für das Schuljahr 1924/25, UZBl. 24, 10, geführt — wurde das G. über den Lehrgang der Grundschule vom 18. 4. 1925, RGBl. I 49, die sog. Grundschulnovelle, erlassen. Es bestimmt in seinem § 1: „Der Lehrgang der Grundschule umfaßt vier Jahresklassen (Stufen). Im Einzelsall können besonders leistungsfähige Schulkinder nach Anhören des Grundschullehrers unter Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde schon nach dreijähriger Grundschulpflicht zur Aufnahme in eine mittlere oder höhere Schule (nach UZBl. 25, 276 auch in die unterste von ge­ hobenen Klassen) zugelassen werden". Das G. zur Änderung des ReichsG über die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen vom 28. 4. 1920 (RGBl. 851) vom 26. 2. 1927 (RGBl. I 67) hat sodann den § 2 Abs. 2 des GrundschulG. dahin geändert, daß die Worte „bis zum Beginne des Schuljahres 1929/30" gestrichen sind, und als letzter Satz des Absatzes zugefügt ist: „Bevor diese Entschädigung aus öffentlichen Mitteln oder ein Ausgleich durch sonstige öffentliche Maß­ nahmen reichsgesetzlich geregelt und ihre Durch­ führung gesichert ist, darf der Abbau oder die Auflösung der privaten Vorschulen nicht erfolgen". Aussührungsbestimmungen zu den Grundschul­ gesetzen: Richtlinien des RMdJ. vom 25. 2. 1921 UZBl. 202 und Erl. des MfW. vom 13. 4. 1921 UZBl. 199 (Abbau der Vorschulen und Unter­ bringung der Lehrer); Erl. vom 16. 3. 1921 UZBl. 185 (Richtlinien für Aufstellung von Lehr­ plänen); Erl. vom 31. 3. 1923 UZBl. 187 (äußere Gestaltung der G.); Bek. des RMdJ. (Richt-

Grundständige Schulen — Grundstücke Urnen und Bestimmungen vom 28. 4. 1923 RMBl. 298, innere Gestaltung der G.); Erl. vom 28. 12. 1923 UZBl. 24, 10 (Ausnahme für 1924/25); Erl. vom 12. 3. 1924 UZBl. 101 (Richtlinien über die Aufnahme in die mittlere und höhere Schule); Erl. vom 17. 4. 1925 UZBl. 129 (AussB. zur Grundschulnovelle); Erl. vom 7. 7. 1925 UZBl. 234 (zu § 3c AusfB.); Erl. vom 20. 8. 1925 UZBl. 276 (oben im Text der Grundschulnovelle); Erl. vom 3. 2. 1926 mit Richtlinien der Länder (Bek. des RMdJ. vom 13. 1. 1926, RMBl. 36) UZBl. 60 (Abbau der privaten Vorschulen); Erl. vom 7. 2. 1926 mit Richtlinien der Länder (Bek. des RMdJ. vom 18. 1. 1926, RMBl. 38) UZBl. 62 (Durchführung der Grundschulnovelle); Erl. vom 26. & 1926 UZBl. 323 („Springen" innerhalb der G.); Erl. vom 20. 2. 1927 UZBl. 80 (Bemerkungen zum Gesetz vom 26. 2. 1927). II. Nach RGZ. 107, 103 ist das GrundschulG. nur ein Grundsatz- und Richtliniengesetz; es ge­ währt selbst noch keinen Rechtsanspruch (aus § 2 Abs. 2 Satz 3). Anders für die Frage der Schul­ pflicht KG. vom 22. 12. 1925 (Ring 4, 327). Näheres s. Volksschulen 17 (Schulpflicht) I. III. Lehrgang der G. s. Volksschulen 20 (Schulunterricht). Gr. Lahmeyer. Die Reichsgrundschulgesetze (Kommen­ tar); Lands, Die Grundschule, (kommentierte) Samm­ lung der Bestimmungen. Moeller DIZ. 28, 635.

Grundständige Schulen s. Höhere Lehr­ anstalten, Geschichte und Ausbau C II 1. Gründstockvermögen s. Gemeindevermö­ gen. Grundstücke. I. Verfügung über Grund­ stücke. Grundsätzlich ist der Eigentümer befugt, über sein Grundeigentum — unbeschadet der An­ sprüche privatrechtlicher Realberechtigter — frei zu verfügen. Wegen der Einschränkungen bei Ren­ ten- und Anerbengüter s. d., wegen der Teil­ barkeit s. Dismembrationen und Grund­ stücksteilungen. Die neuere Gesetzgebung hat jedoch weitgehende Verfügungsbeschränkungen so­ wohl bei landwirtschaftlichen als auch beistädtischen G. eingeführt. Zunächst wurde, um dem Über­ gang landwirtschaftlicher G. in die Hände von Spekulanten — insbesondere auch durch Auf­ saugung der bäuerlichen Besitzstände — sowie von nichtlandwirtschaftskundigen Personen vorzubeu­ gen und dadurch zu verhindern, daß eine aus allgemeinwirtschaftlichen Erwägungen uner­ wünschte Verminderung der landwirtschaftlichen Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln ein­ trete, die BundesratsV. (Bek. des RK.) über den Verkehr mit landwirtschaftlichen G. vom 15. 3. 1918 (RGBl. 123) erlassen. Näheres über diese s. unter Landwirtschaftliche Grund­ stücke. Demnächst erging die V. über die Siche­ rung der Landbewirtschastung — Fassung vom 4. 2. 1919 (RGBl. 179) — die die untere Ver­ waltungsbehörde (Landrat, Oberbürgermeister) ermächtigte, die Nutzungsberechtigten von Land­ gütern und landwirtschaftlichen Grundstücken zur Bestellung anzuhalten und unter Umständen nach Anhörung des Bauern- und Landarbeiterrates ihnen die Nutzung zu entziehen und dem Kom­ munalverband oder einer Gemeinde zu über­ tragen (AusfAnw. vom 1. 3. 1919, MBl. MfL. 69). Sodann erging für Preußen, hauptsäch-

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lich um den zur Zeit des Währungsverfalls stark einsetzenden Übergang städtischer G. in die Hand von Ausländern zu unterbinden, das Gesetz über den Verkehr mit Grundstücken vom 10. 2. 1923 (GS. 25), das auf landwirtschaftliche sowie solche G., die weniger als 500 RM Gebäudesteuernut­ zungswert haben oder kleiner als 100 qm sind, keine Anwendung sand. Nach seinem § 1 bedürfen alle Rechtsgeschäfte, die die Veräußerung eines G. oder eines Grundstücksteils oder die Bestellung oder Übertragung eines Erbbaurechts oder die Bestellung eines Nießbrauchs an einem G. oder Grundstücksteile zum Gegenstände haben, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung. Zuständig zu deren Erteilung ist in Städten mit mehr als 10000 Einw. und den selbständigen Städten der Prov. Hannover der Gemeindevorstand, im übrigen der LR. In 8 3 werden einige Rechts­ geschäfte von der Genehmigung freigestellt, § 4 zählt die Gründe auf, die allein zur Versagung der Genehmigung berechtigen. Der genehmigende Bescheid ist endgültig, wogegen der ablehnende binnen zwei Wochen Beschwerde (bei RP. oder OP.) zulässig ist. Das Grundbuchamt darf nur berichtigt werden, wenn entweder Genehmigung überhaupt nicht erforderlich, oder wenn ihr Vor­ handensein nachgewiesen ist. Das Gesetz hat zu vielen Umgehungen Veranlassung gegeben, viel­ fach ist in den abgeschlossenen schriftlichen Ver­ trägen der Kaufpreis — zur Ersparung von Kosten — niedriger angegeben, als tatsächlich ver­ einbart war. Nach der Rechtsprechung der Ge­ richte ist ein solcher Vertrag, selbst wenn er notariell errichtet war, nichtig (Schwarzkaus, RGZ. 111, 240). Nachdem die Währungsverhält­ nisse sich wieder gebessert hatten, ist das Gesetz durch das Gesetz vom 20. 7.1925 (GS. 93) für die nach seinem Inkrafttreten abgeschlossenen Ver­ träge wieder aufgehoben worden. Die vor diesem Zeitpunkt genehmigungspflichtig gewordenen Ge­ schäfte sind das aber geblieben (RGZ. 114, 230). Da derartige Fälle nur noch verhältnismäßig selten vorkommen werden, bedarf es hier eines näheren Eingehens auf das Gesetz nicht. II. Unbefugtes BetretenvonG. Nach §368 Zifs. 9 StGB, wird mit Geldstrafe bis zu 150 RM oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft, wer unbefugt über Gärten oder Weinberge, oder vor beendeter Ernte über Wiesen oder bestellte Acker, oder über solche Acker, Wiesen, Weiden oder Schonungen, welche mit einer Einfriedigung ver­ sehen sind oder deren Betreten durch Warnungs­ zeichen untersagt ist, oder auf einem durch War­ nungszeichen geschlossenen Privatweg geht, fährt, reitet oder Vieh treibt. Der § 8 des Feld- und ForstpolizeiG. in der Fassung vom 21. 1. 1926 (GS. 83) dehnt diesen Schutz weiter aus, indem er einerseits das Erfordernis der Einfriedigung für Wiesen, Weiden und Schonungen beseitigt, andererseits auch das unbefugte Karren, Holz­ schleifen und Pflugwenden über fremde G., sowie das unbefugte Gehen über Acker, die noch nicht bestellt sind, deren Bestellung aber in Angriff genommen oder vorbereitet ist, mit Geldstrafe bis zu 150 RM oder mit Haft bis zu drei Tagen bedroht. Straflosigkeit tritt im letzteren Fall ein, wenn der Zuwiderhandelnde burd) die schlechte Beschaffenheit eines an dem G. vorbeiführenden und zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges

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oder durch ein besonderes auf dem Wege befind­ liches Hindernis zu der Übertretung genötigt war. Der Schutz, den der § 123 StGB, dadurch ge­ währt, daß er das widerrechtliche Eindringen in Wohn- oder Geschäftsräume oder in das be­ friedete Besitztum eines anderen oder das Ver­ weilen darin trotz Aufforderung, sich zu entfernen, als Hausfriedensbruch mit Geldstrafe oder Ge­ fängnis bis zu drei Monaten bedroht, wird durch § 7 des Feld- und ForstpolizeiG. dahin erweitert, daß derjenige, der sich von einem G. — gleichviel ob befriedet oder nicht —, auf dem er ohne Be­ fugnis weilt, auf Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt, oder der dem an ihn ergangenen Verbote des Berechtigten zuwider an demselben oder dem folgenden Tage das G. unbefugt betritt, auf Antrag mit Geldstrafe bis zu 150 RM oder mit Hast bis zu drei Tagen bestraft wird. Auch indirekt wird das Betreten fremder G. insofern unter Strafe gestellt, als das Feld- und Forst­ polizeiG. eine Reihe von Handlungen untersagt, die ohne das Betreten fremder G. nicht aus­ geführt werden können, z. B. Weidefrevel (§ 13), die Gewinnung von Gras, Laub (§ 21), Dung­ stoffen, Knochen, Ernterückständen (§ 23), das Abladen von Schutt, das Ausstellen von Bienen­ stöcken (8 23), die Benutzung fremden Ackergeräts (§ 24), die Beseitigung von Warnungszeichen, Staumarken (8 26), die Ableitung von Wasser (8 27), der Vogelfang (§ 29), der Aufenthalt auf Forstgrundstücken mit Werkzeugen zur Gewinnung oder zum Fortschaffen von Walderzeugnissen außerhalb der freigegebenen Wege, das über­ steigen von Einfriedigungen, Betreten von Forst­ kulturen (8 32) u. dgl. m. S. Feld- und Forst­ polizeigesetz, Pilzesammler. Pr. Grundstttcksleilungerr unterliegen keinen allgemeingesetzlichen Beschränkungen, über die im Bezirk des vormaligen Herzogtums Nassau bei der Konsolidation ausgewiesenen Normal­ parzellen vgl. Güter!onsolidation im Reg.Bez. Wiesbaden sowie wegen pfandfreier Ab­ schreibung von Teilstücken bei Parzellierungen Unschädlichkeitszeugnisse. S. ferner Ab­ gab enverteilung, Dismembration; Grund­ stücke, Verfügung über Grundstücke; Länd­ liche Grundstücke. Pr. Grund- und Gebäudesteuer. I. Begriff und Wesen. Die Grund- und Gebäudesteuer, in der neueren Reichssteuergesetzgebung vorüber­ gehend auch Steuer vom Grundvermögen genannt, ist die Steuer vom Grundbesitz. Wäh­ rend der Gebäudesteuer als Steuer von den Ge­ bäuden nebst zugehörigem Hosraum ein einheit­ licher Begriff innewohnt, ist die Grundsteuer, wenn sie neben der Gebäudesteuer selbständig er­ hoben wird, begrifflich nur die Steuer vom un­ bebauten Besitz, von den sog. Liegenschaften. Er­ folgt indessen die Besteuerung des bebauten und unbebauten Grundbesitzes in einheitlicher Form, so betrifft der Begriff Grundsteuer den gesamten Grundbesitz. Diesen umfassenden Umfang hatte auch der reichsrechtliche Begriff „Steuer vom Grundvermögen", der durch § 8 des LandessteuerG. vom 30. 3.1920 (RGBl. 402) eingeführt, durch § 13 Ziff. 1 des G. zur Änderung des FinanzausgleichsG. vom 10. 8. 1925 (RGBl. 1254) jedoch wieder ausgegeben und in „Grund- und Ge­ bäudesteuer" geändert worden ist. Die G. u. G.

gehört zu der Gruppe der Ertragssteuern, auch Real- oder Objektsteuern genannt. Sie trifft das Grundstück als solches. Das Bestehen und der Umfang der Steuerpflicht hängen von dem Vor­ handensein und von den Eigenschaften des Grund­ stücks ab, während die persönlichen Verhältnisse des Grundstückseigentümers bei der Besteuerung außer Betracht bleiben. Die G. u. G. ist dem­ entsprechend eine auf dem Grundstücke ruhende öffentliche Last im Sinne des 8 10 Abs. 1 Ziff. 3 u. 7 ZVG. II. Geschichte. Da in den Zeiten der Natural­ wirtschaft das Vermögen überwiegend in Grund und Boden, den daraus befindlichen Gebäuden und dem zu seiner Bewirtschaftung erforderlichen Vieh und Wirtschastsgerät bestand, war der Grund und Boden der nächstliegende Gegenstand der Be­ steuerung. Ebenso ist er der sich der Wahrneh­ mung Dritter am wenigsten entziehende und der nach Art und Umfang von Dritten ohne In­ anspruchnahme des Steuerpflichtigen selbst am leichtesten zu beurteilende Besteuerungsgegen­ stand. Hieraus erklärt sich, daß die Steuer vom Grundbesitz die älteste Steuerform bildet. An­ dererseits verursacht die Ausgestaltung der Grund­ steuer nach gleichen Normen und Sätzen, durch die alle Steuerpflichtigen gleichmäßig getroffen werden, innerhalb größerer Gebiete wegen der Verschiedenheit der Bodengestaltung, der Boden­ güte, der klimatischen Verhältnisse, der Trans­ portwege, der Bewirtschastungsart usw. besondere Schwierigkeiten. Aus diesem Grunde und vor allem auch deswegen, weil die Unterverteilung der „Beden", der ältesten Besteuerungsform in den deutschen Territorialstaaten, den einzelnen Ständen überlassen war, hat sich die Steuer vom Grundbesitz territorial sehr verschieden entwickelt und diese territorialen Verschiedenheiten inner­ halb desselben Staatsgebiets länger als andere Steuern bewahrt. Auch das straff zentralisierte Preußen hat bis 1861 gebraucht, um zu einer ein­ heitlichen Grundsteuer zu gelangen. Die Steuer­ reform von 1820 beschränkte sich auf die Bestim­ mungen in den 88 4, 5 des AbgabenG. vom 30. 5. (GS. 134), wonach die Grundsteuer, wo sie seit 1789 eingesührt oder erhöht war, ein Fünftel des Reinertrages nicht übersteigen durfte und wonach vom Staate veräußerte Domänen- und Forst­ grundstücke mit mindestens einem Sechstel des Reinertrags zur Grundsteuer heranzuziehen wa­ ren. Und doch bestanden in Preußen nicht we­ niger als 33 verschiedene Grundsteuersysteme, in einzelnen Regierungsbezirken bis zu sieben. In den nächsten drei Jahrzehnten wurde nur in den beiden westlichen Prov. Rheinland und West­ falen durch das G. vom 21. 1. 1839 (GS. 30) und in der Prov. Posen durch V. vom 14. 10. 1844 (GS. 601) eine provinzielle Umgestaltung vorgenommen; im übrigen beschränkten sich die Reformen auf das Remissionswesen und (G. vom 24. 2.1850, GS. 62) die Grundsteuerbefreiungen; das G. vom 24. 2. 1850 stand zudem nur auf dem Papier, da es zu seiner praktischen Durchführung die Regelung der Grundsteuer von den früher be­ freiten, nach ihm aber steuerpflichtigen Grund­ stücken durch besonderes Gesetz voraussetzte, dieses Gesetz aber nicht erlassen wurde. Seit 1851 beschäf­ tigten sich die Kammern alljährlich mit der Grund­ steuerreform. Aber erst 1861 gelang sie in den

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drei Gesetzen vom 21. 5.1861, nämlich dem G., betr. die anderweite Regelung der Grundsteuer (GS. 253), bem G., betr. die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer (GS. 317) und dem G., betr. die für die Aus­ hebung der Grundsteuerbesreiungen und Bevor­ zugungen zu gewährende Entschädigung (GS. 327). In den nach 1861 an Preußen gefallenen Landesteilen wurde die Grund- und Gebäude­ steuergesetzgebung von 1861 eingeführt durch die V. vom 28. 4. 1867 (GS. 533, 538, 543), vom 11.5.1867 (GS. 593), vom 22. 5.1867 (GS. 729), vom 4. 6. 1867 (GS. 761), vom 24. 6. 1867 (GS. 842) und durch die G. vom 11. 2. 1870 (GS. 85), vom 23. 3. 1873 (GS. 107) und vom 15. 2. 1875 (Offiz. Wochenblatt für das Herzog­ tum Lauenburg S. 171). Die Grundsteuer war durch Gesetz kontingentiert, und zwar für Preußen nach dem Gebietsstande von 1861 aus 30 Mill. X, sür die später hinzugekommenen Prov. SchlHolst., Hannover und Hessen-Nassau sowie für den Kreis Meisenheim auf 9,6 Mill. X. Für Lauenburg und das Jadegebiet wurde die Steuer zu demjenigen Prozentsatz des Rein­ ertrags festgesetzt, der sich bei der Unterverteilung in SchlHolst. bzw. Hannover ergab. Das Steuer­ kontingent des Staatsgebiets wurde zunächst aus die einzelnen Provinzen verteilt. Die Teil­ beträge (Grundsteuerhauptsummen) wurden als­ dann aus die einzelnen Kreise, innerhalb dieser auf die Gemeinde- und Gutsbezirke und inner­ halb dieser aus die einzelnen steuerpflichtigen Liegenschaften verteilt. Die Verteilung erfolgte nach dem Verhältnis des Reinertrags der steuer­ pflichtigen Liegenschasten( Grundsteuerreinertrag). Die Ermittlung des Reinertrags war durch eine dem GrundsleuerG. vom 21. 5. 1861 beigegebene AusfAnw. geregelt. Nach der Durchführung des Gesetzes ergab sich die Grundsteuer zu durch­ schnittlich 9,57% des Reinertrags (vom Gesetz­ geber ursprünglich nur auf etwa 8% veranschlagt). Die Prozentsätze in den einzelnen Provinzen wichen um geringe Beträge voneinander ab, weil in dem gegen die Ermittlung des Reinertrags gegebenen Rechtsmittelverfahren der für die Feststellung der Grundsteuerhauptsummen maß­ gebend gewesene Gesamtreinertrag der Pro­ vinzen geändert wurde, die Grundsteuerhauptsummen aoer trotz der Neinertragsänderung fest­ gehalten werden mußten. Dem Wesen der Kon­ tingentierung entsprach es, daß das GrundsteuerG. keine Vorschrift enthielt, wonach die im Lause der Zeit eintretenden Änderungen in dem Reinerträge, d. h. in der Ertragsfähigkeit der Liegenschaften steuerlich zu berücksichtigen ge­ wesen wären; und so kam es, daß die Belastung des Grundbesitzes durch die Grundsteuer, be­ messen nach dem Reinertrag, in demselben Maße abnahm, wie der Geldwert des Reinertrags seit 1861 eine Erhöhung erfahren hatte (im Jahre 1914 betrug die Grundsteuer etwa 2% des da­ maligen Reinertrags) und daß die Belastung für diejenigen Grundstücke ungleichmäßig geworden war, bei denen eine verschiedenartige Änderung der Ertragsfähigkeit im Laufe der Zeit eingetreten war. Die Gebäude st euer dagegen war nicht aus ein bestimmtes Kontingent festgesetzt. Als Besteuerungsgrundlage war der Bruttonutzungs­ wert eingeführt und der Steuersatz auf 4% des

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Nutzungswerts für die Wohngebäude und auf 2% sür die gewerblichen Gebäude bemessen. Sie wurde auch durch eine gesetzlich vorgesehene, alle 15 Jahre vorzunehmende Revision (durchgesührt in den Jahren 1880,1895 und 1910; die im Jahre 1925 fällig gewesene Revision ist aus Grund des § 19 Abs. 1 des GrundvermögensteuerG. vom 14. 2. 1923, GS. 29, unterblieben) den Ände­ rungen in den Mietpreisverhältnissen angepaßt. Neubauten, Aus- und Anbauten sowie Abbrüche wurden jederzeit im Wege der Nachveranlagung erfaßt. Der Jahresertrag der veranlagten Ge­ bäudesteuer für das gesamte Staatsgebiet (einschl. der neuen Provinzen) belief sich im Jahre 1867 aus rund 13 Mill. X, im Jahre 1880 aus rund 26 Mill. X, im Jahre 1895 aus rund 46 Mill. X und im Jahre 1910 auf rund 95 Mill. X. Das Gebäudesteuerveranlagungssoll des Jahres 1924 betrug rund 110 Mill. X, wobei zu berücksich­ tigen ist, daß es sich auf das infolge des Versailler Friedensvertrags verkleinerte Staatsgebiet be­ zieht. Wenn auch die Zunahme der Gebäude­ steuer überwiegend durch den Neubau von Ge­ bäuden verursacht worden ist, so haben doch die Revisionen der Jahre 1880, 1895 und 1910 zusammen eine Steigerung von rund 25 Mill. X gebracht, und zwar die Revision 1880 eine Stei­ gerung von 6,6 Mill. X — 33%, die von 1895 eine solche von 7,4 Mill. X — 19% und bie von 1910 eine solche von 11 Mill. X — 13%. Die G. u. G. wurde bis zum 31. 3. 1895 vom Staate erhoben und von da ab zufolge der Miquel'schen Finanzreform ausschließlich den Gemeinden zur Erhebung überlassen, zu welchem Zwecke die Veranlagung staatlicherfeits weiterhin durch­ gesührt wurde (vgl. G. wegen Aufhebung direkter Staatssteuern vom 14. 7.1893, GS. 119). Durch das G. über die Erhebung einer vorläufigen Steuer vom Grundvermögen vom 14. 2. 1923 (GS. 29), durch welches der Staat vom 1. 4.1923 ab die Steuer vom Grundbesitz auch für sich wieder in Anspruch genommen hat, hat die Grundsteuergesetzgebung von 1861 ihre steuer­ liche Bedeutung verloren. Von ihrer wirtschaft­ lichen Bedeutung, die sie im Laufe der Zeit da­ durch erlangt hat, daß der Grundsteuerreinertrag der Liegenschaften und der Gebäudesteuer­ nutzungswert der Gebäude bei Verkauf, Be­ leihung, Bewertung u. dgl. von Grundstücken ein sehr beachtenswertes, nicht zu entbehrendes Merk­ mal des Grundstückswertes war, hat sie bisher nur wenig eingebüßt, obgleich, wie schon oben bemerkt, der Grundsteuerreinertrag den seit 1861 eingetretenen Änderungen in der Ertragsfähig­ keit der Liegenschaften nicht angepaßt worden ist. III. Reichsrechtliche Vorschriften. Die Erhebung der G. u. G. durch die Länder und Ge­ meinden hat ihre reichsrechtliche Grundlage im § 8 Abs. 1 FAG. in der Fassung der Bek. vom 27. 4. 1926 (RGBl. I 203). Nach Abs. 2 daselbst kann die Steuer nach den Merkmalen des Wertes, des Ertrags, der Ertragsfähigkeit oder des Um­ fangs des Grundvermögens bemessen werden. 8 9 a. a. O. schreibt vor, daß, wenn die Länder und Gemeinden die G. u. G. nach dem Merknlal des Wertes erheben, als Wert der nach Maßgabe des ReichsbewertungsG. vom 10. 8. 1925 (RG­ Bl. I 214) festgestellte Einheitswert zugrunde zu legen ist. Im § 4 des ReichsbewertungsG. ist

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weiterhin vorgeschrieben, daß das landwirtschaft­ nungen für Minderbemittelte zu dienen bestimmt liche, forstwirtschaftliche, gärtnerische Vermögen sind und im Eigentum von Körperschaften des sowie das Grundvermögen im Sinne des Neichs- öffentlichen Rechts oder gemeinnütziger Per­ bewertungsG. der G. u. G. und die zum gewerb­ sonenvereinigungen stehen, hat der FM. die lichen Betriebsvermögen gehörigen Grundstücke Steuer für die Zeit der Vorbereitung der Be­ der Gewerbesteuer zu unterwerfen sind, daß aber siedlung bzw. für die Bauzeit des Wohnhauses, die Länder das Recht haben, die letzteren Grund­ höchstens jedoch auf drei Jahre zu erlassen. Ein stücke an Stelle der Gewerbesteuer der G. u. G. Erlaß der Steuer ist ferner für die auf Grund zu unterwerfen. Der Zeitpunkt, von dem ab des ReichssiedlungsG. seit dem 1. 4. 1923 be­ die Länder und Gemeinden an den Einheits­ gründeten Siedlungen für die Dauer von fünf wert unter der vorgenannten Voraussetzung ge­ Jahren vorgesehen. Schuldner der Steuer ist bunden sind, ist durch § 82 des Neichsbewer- der Eigentümer des Grundstücks; bei dauernd tungsG. und durch § 56 der Durchführungs­ landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich oder gärt­ bestimmungen dazu vom 14. 5. 1926 (RGBl. nerisch genutzten Grundstücken ist der Grund­ I 227) dahin festgelegt, daß für das landwirt­ stückseigentümer Steuerschuldner auch für das schaftliche, forstwirtschaftliche und gärtnerische lebende und tote Inventar, selbst für den Fall, Vermögen im Sinne des ReichsbewertungsG. daß z. B. bei Verpachtung es einem Dritten die Einheitswerte zum ersten Male für die Steuer (dem Pächter) gehört. Für ein auf Grund eines zugrunde zu legen sind, die für das Kalenderjahr Erbbaurechts genutztes Grundstück ist der Erb­ 1927 oder für ein in diesem Jahre beginnendes bauberechtigte Steuerschuldner. Miteigentümer Rechnungsjahr erhoben wird; für den übrigen sind Gesamtschuldner, ebenso hastet der Nutz­ Grundbesitz einschließlich der gewerblichen Grund­ nießer oder Nießbraucher neben dem Grund­ stücke, wenn diese der G. u. G. unterworfen stückseigentümer als Gesamtschuldner, desgleichen werden, wird der Zeitpunkt der Bindung gemäß der Pächter eines landwirtschaftlichen, forstwirt­ § 83 des ReichsbewertungsG. durch den RFM. schaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks hinsicht­ bestimmt, was bisher noch nicht geschehen ist. lich des aus sein Inventar entfallenden Steuer­ Für das landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche anteils. Die Steuerbemessungsgrundlage ist der u. gärtnerische Vermögen war durch die G. v. 9.4. Wert, der für die Ergänzungssteuerveranlagung 1927 (RGBl. I 95) u. v. 12. 3. 1928 (RGBl. I für den Zeitabschnitt 1917/19 festgesetzt worden 61) den Ländern die Möglichkeit gegeben, die ist, d. h. für die landwirtschaftlichen, forstwirt­ Bindung an die Einheitswerte bis zum 31. 3. schaftlichen und gärtnerischen Grundstücke der 1929 hinaus! chieben zu lassen. Preußen u. an­ Ertragswert und für die übrigen Grundstücke dere Länder haben von dieser Möglichkeit Ge­ der gemeine Wert. Mit Wirkung vom 1. 2. 1924 brauch gemacht (vgl. die V. v. 1. 6.1927, RGBl. sind die Steuerwerte nach den für die Er­ I 127, u. v. 14. 4. 1928, RGBl. I 150). Eine gänzungssteuerveranlagung 1917/19 maßgeben­ weitergehende reichsrechtliche Regelung der G. den Grundsätzen und Werten nachgeprüst und ge­ u. G. ist in dem z. Zt. im Entwurf vorliegen­ gebenenfalls berichtigt worden, wobei Zustand den Steuervereinheitlichungsgesetz vorgesehen. und Zweckbestimmung des Grundstücks nach dem IV. Die zur Zeit in Preußen erhobene staat­ Stande vom 1. 2. 1924 zu berücksichtigen waren. liche Steuer vom Grundbesitz gründet sich aus Die Steuer beträgt für je 1000 Jt des Ergän­ das G. über die Erhebung einer vorläu­ zungssteuerwerts monatlich a) bei bebauten figen Steuer vom Grundvermögen vom Grundstücken, die nicht dauernd landwirtschaft­ 14. 2. 1923 (GS. 29) nebst den Abänderungen lichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen v. 22.10.1923 (GS. 478), v. 28.2.1924 GS. 119), Zwecken dienen (insbesondere also Wohnhaus­ v. 26. 6.1925 (GS. 83), v. 28.12.1925 (GS. 178), besitz und gewerblich genutzte bebaute Grundstücke) v. o. 22. 4. 1927 (GS. 60) u. v. 28. 3. 1928 0,20 RM, b) bei den dauernd landwirtschaftlich, (GS. 51). Das G., welches nur eine vorläufige forstwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzten Grund­ Regelung der Grundsteuer darstellt, ist mehr­ stücken für die ersten 10000 M des Wertes mals verlängert worden, zuletzt bis zum 30. 9. 0,10 RM, für die nächsten 30000 M 0,15 RM, 1928, zu welchem Zeitpunkt die endgültige gesetz­ für die nächsten 60000 M 0,20 RM und für den liche Regelung erfolgen soll. Steuergegenstand Mehrwert 0,25 RM und c) für alle übrigen Grund­ sind die in Preußen belegenen Grundstücke ein­ stücke (besonders Baugelände u. dgl.) 0,25 RM. schließlich aller Bestandteile im liegenschaftsrecht- Die Degression der Steuersätze bei den landwirt­ lrchen Sinne, die dauernd landwirtschaftlich, forst­ schaftlichen usw. Grundstücken war bis zum 1. 4. wirtschaftlich oder gärtnerisch genutzten Grund­ 1927 nur für die Grundstücke mit einem Gesamt­ stücke auch einschließlich des lebenden und toten wert bis zu 200000 JC vorgesehen, ist aber durch Inventars. Maschinen und andere Einrichtungen, das G. vom 22. 4. 1927 auch auf die Grundstücke die zu einem der Gewerbesteuer unterliegenden im Werte von über 200000 M ausgedehnt wor­ Betriebe gehören, unterliegen der Besteuerung den. Die Degression ist darin begründet, daß bei nicht, selbst wenn sie Bestandteile des Grund­ der Bewertung nach den Grundsätzen der Er­ stücks sind. Hinsichtlich der Befreiung von der gänzungssteuerveranlagung das Gebäudeinventar Steuer sind die Befreiungsvorschriften des § 24 beim Klein- und Mittelbesitz stärker erfaßt ist als Abs. Ibbislr und Abs. 3 des KAG. vom 14.7.1893 beim Großbesitz. Die Veranlagung der Steuer, (GS. 152) maßgebend. Außerdem sind die nach die anläßlich der Nachprüfung der Ergänzungs­ dem 31. 3. 1924 fertiggestellten Wohnungsneu­ steuerwerte mit Wirkung vom 1. 2. 1924 für alle bauten einschließlich der dazugehörigen Hof­ Grundstücke nochmals durchgeführt worden ist, räume für die Dauer von fünf Jahren befreit. hat dem Grundsteuerausschuß obgelegen, der für Für Grundstücke, die der Besiedlung des platten den Veranlagungsbezirk (in der Regel identisch Landes oder der Schaffung gesunder Kleinwoh­ mit dem Katasteramtsbezirk) gebildet worden ist.

Grund- und Gebäudesteuer

Als Rechtsmittel im Veranlagungsverfahren sind gegeben der Einspruch gegen den Veranlagungs­ bescheid, die Berufung gegen die Einspruchsent­ scheidung und die Rechtsbeschwerde gegen die Berufungsentscheidung. Uber den Einspruch ent­ scheidet der Grundsteuerausschuß, über die Be­ rufung der Grundsteuerberufungsausschuß (ge­ bildet für jeden Regierungsbezirk) und über die Rechtsbeschwerde das OBG. Bei der Neu­ veranlagung anläßlich der Nachprüfung der Steuerwerte war jedoch die Rechtsbeschwerde un­ zulässig, soweit die Beschwerde gegen die Fest­ setzung des Wertes oder die Einordnung in die einzelnen Grundbesitzarten gerichtet war. Das Jahressoll der staatlichen Grundvermögenssteuer, deren Erhebung durch die Gemeinden erfolgt, beträgt für das Rechnungsjahr 1927 rund 245 Mill. RM, wovon 151 Mill. RM auf den Wohn- und gewerblichen Zwecken dienenden Hausbesitz, 73 Mill. RM auf die landwirtschaft­ lich, forstwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Grundstücke und 21 Mill. RM auf das Bau­ gelände u. dgl. entfallen. V. Die Erhebung der Steuer vom Grund­ vermögen durch die Gemeinden ist durch das KAG. vom 14. 7. 1893 (GS. 152) geregelt. Wie bisher können die Gemeinden auch nach dem In­ krafttreten des G. über die Erhebung einer vor­ läufigen Steuer vom Grundvermögen den Grund­ besitz entweder auf Grund autonomer Steuer­ ordnungen in Form besonderer Gemeinde­ steuern oder in Hundertteilen der vom Staate veranlagten vorläufigen Steuer vom Grund­ vermögen besteuern. Die Zahl der Gemeinden, die vor dem G. vom 14. 2. 1923 von dem Recht zur Einführung besonderer Grundsteuern auf Grund des § 25 KAG. Gebrauch gemacht hatten, war gering. Nach einer Ende 1918 vorgenom­ menen Untersuchung waren es von den rund 37000 Stadt- und Landgemeinden nur 528 (dar­ unter 206 im RegBez. Potsdam). Die Fort­ erhebung dieser besonderen Steuern vom Grund­ besitz wird durch das G. über eine vorläufige Grundvermögenssteuer nicht berührt. Ebenso­ wenig ist rechtlich den Gemeinden die Neueinfüh­ rung besonderer Grundsteuern verboten. Es liegt aber Lm Interesse der Verwaltungsvereinfachung und im Interesse der steuerpflichtigen Grund­ besitzer, daß die staatliche und kommunale Grund­ steuer nach gleichen Grundsätzen veranlagt wird. Die Besteuerung in Form besonderer Grund­ steuern erscheint daher durchaus unerwünscht. Mit der erfolgten Neuregelung der staatlichen Grundvermögenssteuer sind auch in der Regel die Gründe für den Erlaß autonomer Steuer­ ordnungen hinfällig geworden. Bon dem Recht zur Erhebung besonderer Steuern vom Grund­ besitz haben daher die Gemeinden in den letzten Jahren nur noch in ganz geringem Umfange Ge­ brauch gemacht. Die besonderen Gemeindesteuern vom Grundbesitz können nach dem Ertrage oder nach dem Wert (Nutzungswert, Miet-, Pacht­ wert, gemeiner Wert) erhoben werden. Die Besteuerung nach dem Wert bildet die Regel. Wegen der formellen Vorschriften der Steuer­ ordnungen siehe die Ausführungen über Ge­ meindeabgaben B 4. Nach Inkrafttreten der Einheitswerte für die preuß. Staats- und Ge­ meindesteuern (s. oben III) ist die Aufrecht­

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erhaltung des Rechts der Gemeinden zur Er­ hebung besonderer Gemeindesteuern vom Grund­ besitz auf Grund autonomer Steuerordnungen nicht mehr möglich. Soweit die Gemeinden die Grundvermögenssteuer in Hundertteilen der vom Staat veranlagten G. u. G. erheben, haben sie der Besteuerung das nach dem G. vom 14. 2.1923 und seinen Änderungen ermittelte Soll zugrunde zu legen (§ 18 GrundvermögenssteuerG.). Dem in den §§ 20, 27 KAG. ausgesprochenen Grund­ satz der gleichmäßigen Heranziehung aller Steuer­ pflichtigen zu der Steuer vom Grundvermögen nach gleichen Normen und Sätzen steht nach dem G. zur Deklarierung des KAG. vom 24. 7. 1906 (GS. 376) nicht entgegen, daß die gemeindlichen Zuschläge zur Grundvermögenssteuer nach ein­ zelnen Grundstücksarten und Besitzgruppen ge­ staffelt werden. Dagegen ist eine Abstufung der Zuschläge nach dem Wert des Grundbesitzes nicht möglich. Eine absolute Höchstgrenze besteht für die Gemeinden bei Erhebung von Zuschlägen zur Grundvermögenssteuer nicht. Die Erhebung von Zuschlägen über 100% der staatlichen Steuer vom Grundvermögen bedarf jedoch der Genehmigung nach den Vorschriften des KAG. Die Erhebung von Zuschlägen über 150% soll nicht stattfinden. Zuschlagsbeschlüsse von Gemeinden mit mehr als 25000 Einwohnern, welche über 250% der staat­ lichen Grundvermögenssteuer hinausgehen, oder Gemeindebeschlüsse über besondere Gemeinde­ grundsteuerordnungen, die im Ergebnis die ge­ nannte Grenze von 250% überschreiten, sind vor Erteilung der nach den Vorschriften des KAG. erforderlichen Genehmigung nach den mit dem RFM. getroffenen Vereinbarungen diesem von der Landesregierung gemäß § 5 RFAG. vom 27. 4. 1926 vorzulegen. Wegen der formellen Vorschriften über die unterschiedliche Heran­ ziehung der Grundvermögenssteuer vom unbe­ bauten Grundbesitz im Verhältnis zu der Heran­ ziehung der Grundvermögenssteuer vom be­ bauten Grundbesitz oder im Verhältnis der Grund­ vermögenssteuer zur Gewerbesteuer (§ 56 KAG.) s. die Ausführungen über Gemeindeab­ gaben B 2. Nach den Vorschriften über die Re­ gelung der gesetzlichen Miete in Preußen ist in Gemeinden, in denen die Zuschläge zur Grund­ vermögenssteuer mehr als 100% betragen, der Vermieter berechtigt, den 100% übersteigenden Betrag aus die Mieter umzulegen. Entsprechen­ des gilt in den Gemeinden, in denen besondere Steuern vom Grundvermögen erhoben werden. Sofern die Gemeindebesteuerung in Form von Zuschlägen zur staatlichen Grundvermögenssteuer erfolgt, gelten die für die staatliche Grundvermö­ genssteuer nach Maßgabe der §§ 14,15 Abs. 2 des GrundvermögenssteuerG. staatlicherseits bewil­ ligten Erlasse (Erstattungen) auch für die gemeind­ lichen Zuschläge. Die Gemeinden haben nach Empfang der Mitteilung über den Erlaß (Er­ stattung der Staatssteuer) die entsprechende Ge­ meindesteuer von Amts wegen zu erlassen (er­ statten). Dagegen sind die staatlicherseits ge­ währten Stundungen und auch Niederschlagungen der Staatssteuerbeträge ohne Einfluß auf die Er­ hebung der gemeindlichen Zuschläge. Die Ver­ teilung der Kreis- und Provinzialumlagen wird auch durch den Erlaß der staatlichen Grundver­ mögenssteuer nicht berührt. Für das Rechnungs-

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Grundvermögensteuer — Güterkonsolidation im NegBez. Wiesbaden (Nassau)

jähr 1925 war das Aufkommen an gemeindlicher Grundvermögenssteuer auf 355,8 Mill. RM zu schätzen. Hiervon entfielen auf die Gemeinden über 5000 Einwohnern 228 Mill. RM, auf die Gemeinden von 2000—6000 Einwohnern 32 Mill. RM, auf die Gemeinden bis zu 2000 Einwohnern 95,8 Mill. RM. Rz. Schimmelpfennig, Die preußischen direkten Steuern, Berlin 1859; Schwarz und Strutz, Slaalshaushalt und Finanzen Preußens, Bd. 1, Buch 8, Berlin 1902; Kauß, Die Gebäudesteuer in Preußen, 4. Aufl., Berlin 1917; Nöll-Freund, Kommunalabgabengesetz (Preußisches), 8. Aufl. Berlin 1919 ; Suckow-Renzi, Die Erhebung einer vorläufigen Steuer vom Grundver­ mögen, Berlin 2. Aufl. 1928.

Grundvermögensteuer s. Grund- und Ge­ bäudesteuer.

Grünflächen s. Baumbestand. Guatemala. Diplomatische Vertretung des Reiches: Gesandtschaft in G. (der Gesandte ist zugleich beglaubigt in Costa Rica, Honduras, Nicaragua, Panama, El Salvador). Keine Berufskonsularbehörden. Signalarmacht des Ver­ sailler Vertrages. Mitglied des Völkerbundes seit 10. 1. 1920. Handelsabkommen zwischen Deutsch­ land und G. vom 4. 10. 1924 (RGBl. 1925 II 155), enthaltend Meistbegünstigung in Handels-, Konsular- und Schiffahrtsangelegenheiten. Kein Auslieferungsvertrag. Fro. Gummiwaren. Auf Grund des § 120e GewO, sind Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb gewerblicher Anlagen zur Vulkanisie­ rung von G. erlassen (s. KBek. vom 1. 3. 1902, RGBl. 59). Die Beschäftigung von Personen unter 18 Jahren mit dem Vulkanisieren unter Anwendung von Schwefelkohlenstoff oder mit sonstigen Arbeiten, bei denen die Arbeiter der Einwirkung von Schwefelkohlenstoff ausgesetzt sind, ist verboten. Erwachsene Arbeiter dürfen mit diesen Arbeiten nur eine bestimmte Dauer beschäftigt werden (§ 10 q. a. O.). Wegen An­ wendung der Bek. auf Reparaturwerkstätten für Fahrrad- und Automobilreifen und -schläuche s. Erl. vom 2. 2. 1921 (HMBl. 48). Bei der Her­ stellung und Verpackung von Präservativs, Sicherheitspessarien und anderen zu ähnlichen Zwecken dienenden Gegenständen bestehen für Arbeiter unter 18 Jahren und Arbeiterinnen nach Bek. vom 30. 1. 1903 (RGBl. 3) erhebliche Be­ schränkungen (s. Erl. vom 1. 2. 1903, HMBl. 47, und wegen der öffentlichen Ausstellung und Anpreisung § 184 Ziff. 3 StGB.). Das An­ fertigen und Verpacken der Präservativs usw. ist in der Hausarbeit verboten (V. vom 1. 2. 1921, RGBl. 145). In Werkstätten zur Verfertigung von Gummi-, Guttapercha- und Kautschukwaren dürfen Kinder, abgesehen vom Austragen von Waren und von sonstigen Botengängen, nicht be­ schäftigt werden (§§ 4,12 KinderschutzG.). F. H. Gußeisen. Durch Erl. vom 14. 8. 1909 (HMBl. 362) sind Vorschriften für die Liefe­ rung von G. mitgeteilt. F. H. Gut. Unter einem G. im landwirtschaftlichen Sinne wird ein zum selbständigen Betriebe der Landwirtschaft bestimmtes Grundstück verstanden, das in der Regel aus einem Wirtschaftshofe mit Wohnhaus, Wirtschaftsgebäuden und Garten so­ wie den zur Bebauung und Benutzung bestimmten Äckern, Feldern, Wiesen, Wäldern und Wasser­ flächen besteht. Die Größe und die össentlichrechtlichen Verhältnisse eines G. können sehr ver­

schieden sein. Man unterscheidet herrschaftliche (adlige) Güter (s. Gutsherrschaften, Land­ güter, Rittergüter) einerseits und Bauern­ güter (s. Landgemeinden) andererseits, und unter den letzteren wiederum Vollbauer-, Halb­ bauer-, Biertelbauer- und Kossätengüter, während der Grundbesitz der nur mit einem Wohnhaus und einem Stück Gartenland angesessenen Dorf­ bewohner als Häusler-, Büdner- oder Kätnerstelle bezeichnet wird. Große Güter im Sinne des ReichssiedlungsG. sind solche, deren landwirtschaft­ liche Nutzfläche nach der letzten Betriebsstatistik von 1907 mehr als 100 ha beträgt. Waldgüter können bei der Auflösung von Familiengütern und Hausvermögen aus den wirtschaftlich zu­ sammengehörenden Waldungen gebildet werden, ebenso Deich- und Weingüter aus den ent­ sprechenden Grundstücken, sowie Landgüter bis zur Größe von 1500 ha (s. Familiengüter). Ein G., das sich nicht im Gemeindeverbande be­ findet, sondern einen eigenen Kommunalbezirk bildet, wird in der Rechtssprache ein „selbstän­ diges" G. genannt (s. Landgüter, Gutsbezirk). Ein G. dieser Art, von dem große Teile durch Zerstückelung abgetrennt worden sind, wird als Re st gut bezeichnet. Familiengüter, mit denen eine Erbfolge bestimmter Art verbunden ist, werden (in Hannover) Stamm guter (s. d.) genannt. Je nach dem Besitzrechte des Inhabers des G. wurden in früherer Zeit Lehngüter (s. Lehen), Erbzinsgüter, Erbpachtgüter (s.Gutsh errlich-bäuerl ich e Regulierungen) unterschieden. Rentengüter (s. d.) sind Grund­ stücke, welche gegen Übernahme der Entrichtung einer festen Rente erworben sind. Mit Rücksicht auf die Person des Eigentümers oder auf den sonstigen Beruf des Besitzers oder Nutznießers eines G. spricht man von Staatsgütern, Stadt­ gütern oder Kämmereigütern, Klostergü­ tern, Kirchen- und Pfarrgütern, Schul­ zengütern und Mühlengütern. Auf dem Provinzialrechte beruht die Bezeichnung der Köllmischen Güter, Chatull-köllmischen Güter, Gratialgüter, Quartgüter, Langüter und Landsassengüter (s. Landgüter). S. auch Hufe. Pr. Güterbestätiger (Bestätter) vermitteln den Verkehr zwischen Kaufleuten und Fuhrleuten. Sie sind meist auch Spediteure. Sie können beeidigt und öffentlich angestellt werden. S. Beeidi­ gung und öffentliche Anstellung von Ge­ werbetreibenden. Der Gewerbebetrieb der G. unterliegt der UV. (§ 537 Abs. 1 Ziff. 9 RBO.). F. H.

Güterkonsolidation im RegBez. Wiesbaden (Nassau) (s. hierzu auch Gemeinheitsteilun­ gen I). Durch die Umlegungsordnung vom 21.9. 1920 (GS. 453) ist dieses Verfahren zwar im wesentlichen beseitigt; immerhin sind mehrere Eigentümlichkeiten bestehengeblieben. Die G. be­ zweckte: 1. eine allgemeine Feldverbesse­ rung, die „Feldregulierung", und zwar durch eine zweckmäßige Umgestaltung der bereits vor­ handenen Kulturarten und Abgrenzung der neu herzustellenden Kulturabschnitte, ferner durch Vornahme der erforderlichen oder doch wünschens­ werten Meliorationen — Wege, Brücken, Dämme, Entwässerungszüge, Bewässerungsanlagen, Um­ wandlung von Acker in Wiese und umgekehrt, Ab­ holzungen unwirtschaftlich einspringender Wald-

Güterkonsolidation im RegBez. Wiesbaden (Nassau)

ecken u. dgl. m. —, endlich durch eine neue Ge­ wannenbildung, d. h. Herstellung solcher Abtei­ lungen, daß die darin besindlichen einzelnen Par­ zellen eine regelmäßige wirtschaftliche Form er­ halten; 2. eine neue Verteilung des Grund und Bodens. Bei der Feldregulierung wurde die umzulegende Fläche behandelt, als ob sie in der Hand eines Besitzers wäre, der sie in jeder Be­ ziehung so einrichten will, wie das wirtschaftlich am zweckmäßigsten ist; bei der neuen Verteilung wurde dagegen die Fläche nicht — wie in den an­ deren Landesteilen — als eine gemeinschaftliche Masse behandelt, innerhalb welcher ein jeder Teil­ nehmer zwar seinem alten Besitz entsprechend, im übrigen aber an jeder beliebigen Stelle abgefun­ den werden kann; sie wurde vielmehr in eine größere Anzahl „Zuteilungsbezirke" zerlegt, welche alle über ein oder mehrere Gewanne sich erstrecken­ den Grundstücke (in ebenen Gegenden bis 60, in gebirgigen bis 40 Morgen Umfang), die durch Gleichartigkeit der Bodenbeschaffenheit, der Produktion und der Entfernung zusammengehören, umfaßten, und nur innerhalb dieser war eine Um­ legung gestattet. Jeder in einem solchen Zu­ teilungsbezirk begüterte Eigentümer hatte daher für seinen Grundbesitz in demselben Bezirk gleich­ wertige Abfindung zu erhalten; diese Abfindung wurde in Normalparzellen, d. h. in Grund­ stücken von einer bestimmten, fortan unveränder­ lichen Form und von einer gesetzlich für jede Kulturart geregelten Minimalgröße, also auch nach Umfang fortan unveränderlich, gewährt. Forderungen von weniger als der halben Mini­ malgröße sollten auf Antrag des Besitzers in einen anderen Zuteilungsbezirk, wo derselbe Besitzer eine größere Forderung hatte, übertragen werden; derartige Übertragungen waren aber, wenn sie die halbe Minimalgröße überschritten, ohne ausdrück­ liche Genehmigung der übrigen Teilnehmer nur zulässig, sofern sie durch die Rücksicht auf über­ wiegende wirtschaftliche Verhältnisse geboten er­ schienen. Während also im altpreuß. Zusammen­ legungsverfahren eine möglichst starke Arrondie­ rung des zersplitterten Besitzes an erster Stelle angestrebt wurde, wurde im Konsolidationsver­ fahren das Hauptgewicht auf die Feldregulierung gelegt und eine Zusammenlegung der einzelnen Parzellen mehr nebenbei bezweckt. — Das Ver­ fahren in Konsolidationssachen war im vormaligen Herzogtum Nassau bereits durch vier, auf einer mit landesherrlicher Genehmigung erlassenen Staatsministerialverordnung vom 12. 9. 1829 (Samml. Nass. Edikte usw. 4, 317) beruhende Instruk­ tionen der herzogl. Landesregierung vom 2.1.1830 (a. a. O. 359ff.) geregelt. Nach der Einverleibung des Herzogtums in den preuß. Staat brachte zu­ nächst die V. vom 2. 9. 1867 (GS. 1426) einige Änderungen. In erheblicher Weise gestaltete aber erst das Gesetz vom 21. 3. 1887 (GS. 61) die Or­ ganisation und das Verfahren um, und das Gesetz vom 4. 8. 1904 (GS. 191) brachte für diejenigen Gemarkungen oder Gemarkungsabteilungen, für deren Bezirke das Grundbuch als angelegt an­ zusehen war, noch einige tief eingreifende Ver­ änderungen. Während früher die Konsolidation der Aufsicht der Reg. unterstand, der unmittel­ baren Leitung durch die LR. unterlag und hin­ sichtlich des technischen Teils durch einen von den Grundbesitzern der betroffenen Gemarkung ge­

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wählten Geometer bearbeitet wurde, wurde später die Generalkommission zu Kassel die leitende Be­ hörde. Durch das Gesetz vom 3. 6.1919 (GS. 109) sind an deren Stelle die Landeskulturbehörden getreten und haben die Kulturamtsvorsteher und die Vermessungsbeamten ungefähr dieselbe Stel­ lung, wie in den alten Provinzen erhalten. Die hauptsächlichsten Abweichungen von dem alt* preuß. Verfahren bestehen darin, daß die Gesamt­ heit der Beteiligten in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten durch einen Konsolidationsvor­ stand vertreten wird, der aus dem Ortsbürger­ meister, einem von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) oder der Stadtverordneten­ versammlung aus den Mitgliedern des Orts­ gerichts (sofern die Gemeinde in die Bezirke des Ortsgerichts nicht einbezogen ist, aus den Mitgliedern der Gemeinde) zu wählenden wei­ teren Mitgliede und drei von den Beteiligten aus ihrer Mitte gewählten Mitgliedern besteht (§ 4 des Gesetzes vom 21. 3. 1887). Die Stellung des Konsolidationsvorstandes ist mit Ausnahme des Falles, daß Streitigkeiten zu entscheiden sind, durch das Gesetz vom 3. 6. 1919 nicht berührt worden. Für die Entscheidung von Streitigkeiten gelten jetzt ausschließlich die gleichen Vorschriften, wie auch im übrigen Staatsgebiete (s. Ausein­ andersetzungsverfahren mit Ausschluß der Prov. Hannover unter IV). Auch hinsicht­ lich der Einleitung neuer Sachen ist Rechtsgleich­ heit mit dem übrigen Staatsgebiet hergestellt, so daß neue Konsolidationensverfahren nicht mehr eingeleitet werden können, sondern nur noch Um­ legungen nach Maßgabe der Umlegungsordnung vom 21. 9. 1920 (GS. 453). S. Umlegung ländlicher Grundstücke. Bei der Aufstellung des Auseinandersetzungsplans werden daher auch Berlosungs- oder Zuteilungsbezirke (deren Bil­ dung übrigens schon in der Praxis durchgängig außer Gebrauch gekommen war) nicht mehr ge­ bildet, jetzt ist vielmehr die freie Bertauschbarkeit der Grundstücke innerhalb des ganzen Umlegungs­ bezirks nach den Grundsätzen der Umlegungsord­ nung möglich. Die Aufstellung, Vorlegung und Feststellung des Auseinandersetzungsplans ent­ spricht im allgemeinen dem altpreußischen Ver­ fahren (s. Auseinandersetzungsverfahren mit Ausschluß der Prov. Hannover unter III, sowie Umlegung ländlicher Grund­ stücke). Der Begriff der „Ausführung" ist aber dem Konsolidationsverfahren fremd, daher ist auch der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs an­ ders geordnet. Nach § 6 des Gesetzes vom 4.8.1904 (GS. 191) ist der Auseinandersetzungsplan mit seinen Ausführungsbestimmungen durch Beschluß des Kulturamtsvorstehers, gegen den innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an die Spruchkammer stattfindet (§ 30 des Gesetzes vom 3. 6. 1919), für „vollstreckbar" zu erklären, wenn der Plan vorgelegt ist und Streitigkeiten über ihn nicht bestehen oder sämtlich durch rechtskräftige Entscheidung er­ ledigt sind. Schon vorher kann diese Vollstreckbar­ keit erklärt werden, wenn der Kulturamtsvorsteher über alle Streitigkeiten entschieden hat und die er­ hobenen Beschwerden aussichtslos oder von unter­ geordneter Bedeutung erscheinen oder wenn aus längerem Aufenthalt ein erheblicher Nachteil für die übrigen Beteiligten zu besorgen ist Mit der Rechtskraft der Vollstreckbarkeitserklärung treten

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Gutsbesitzer - - Gutsbezirkc

die rechtlichen Wirkungen der Umlegung ein, ins­ besondere geht zu diesem Zeitpunkte das Eigen­ tum an den Abfindungsländereien auf die Ab­ gefundenen über (§ 19 UmID.). Es kann dann auch alsbald das Grundbuch berichtigt werden, wenn auch das Kataster noch nicht berichtigt ist; der Plan gilt dabei als amtliches Verzeichnis der Grundstücke im Sinne des § 2 Abs. 2 GBO. (§ 8 des Gesetzes vom 4. 8. 1904). Ein Rezeß wird nicht errichtet. Nach Ausführung des Aus­ einandersetzungsplans hat der Kulturamtsvor­ steher einen Termin zur Schlußverhandlung zu bestimmen, in dem die Beteiligten die planmäßige Ausführung der Sache anzuerkennen haben. Werden in dem Termin Einwendungen erhoben, so hat er darüber in derselben Weise, wie über andere Streitigkeiten zu entscheiden. Gegen diesen Beschluß findet innerhalb zwei Wochen Beschwerde an die Spruchkammer statt, deren Entscheidung endgültig ist (§ 12 des Gesetzes vom 4. 8. 1904; § 30 des Gesetzes vom 3. 6. 1919). Das Kostenwesen ist nach Maßgabe des altpreuß. KostenG. vom 24. 6. 1875 geordnet (Gesetz vom 21. 3. 1887). Pr. Wißmann, Konsolidationsbuch, Berlin 1874; Holzapfel, Die Gesetzgebung über die Güterkonsolidation im RegBez. Wiesbaden, Wiesbaden 1912.

Gutsbesitzer s. Gutsbezirke III. GutSbezirke. I. Begriff, Entwicklung. G. sind räumlich abgegrenzte kommunale Gebilde, in denen der mit obrigkeitlicher Gewalt ausge­ stattete Gutsherr (Gutsbesitzer) öffentliche Ver­ waltungsausgaben und Leistungen zu erfüllen hat, die sonst den Landgemeinden und ihren Organen obliegen. Sie sind keine Körperschaften, aber teil­ weise (vgl. §1 des Volksschulunterhaltungs-G. vom 28. 7. 1906, GS. 335; § 17 der V. vom 17.4.1924, GS. 210; § 114 RVO. [15.12.1924, RGBl. 1779]) den Körperschaften des öffentlichen Rechts gleich­ gestellt. Die G. sind entweder geschichtlich ent­ standen (G. älteren Rechts) oder sie sind durch staatlichen Akt gebildet worden (G. neueren Rechts). a) Die G. älteren Rechts sind die Überreste der ehemaligen gutsherrlichen Gewalt. Neben den Dorfgemeinden gab es in Deutschland schon im frühen Mittelalter ländliche Besitzungen von Grundherren, denen Immunität, d. h. die Frei­ heit von der Amtsgewalt der kgl. Beamten, für ihre Gutsfeldmarken gewährt wurde. Hierdurch wurden die Gutsfeldmarken mit ihren Bewohnern der obrigkeitlichen Gewalt des Grundherrn unter­ worfen und die auf ihnen vorhandenen früher freien Bauerngemeinden in grundherrliche Dörfer umgewandelt. Neben dieser Entwicklung in den älteren deutschen Gebieten ging die Bildung eines ritterschaftlichen Großgrundbesitzes in den deut­ schen Ostmarken her. Hier bewog das Bedürfnis der Landesverteidigung die Landesherren, einen großen Teil des von ihnen erworbenen oder er­ oberten Landbesitzes an den ritterbürtigen Adel mit der Verpflichtung zu ritterlichen Kriegs­ diensten zu übertragen. Die in dieser Weise ver­ liehenen Güter wurden Rittergüteroderadlige Güter genannt. Sie standen unmittelbar unter dem landesherrlichen Beamten (Vogt) und waren frei von Abgaben. Staatliche Hoheitsrechte be­ saßen sie anfangs nicht, erhielten solche jedoch vom 13. Jahrh, ab dadurch, daß die Landesherren,

um Geldmittel zur Bezahlung ihrer Schulden zu erhalten, einen Teil ihrer Hoheitsrechte über die bäuerlichen Besitzer an die Rittergutsbesitzer verkauften. Insbesondere gelangten auf diese Weise ein Besteuerungsrecht (Bede), der Hufen­ zins, bäuerliche Naturaldienste, das kirchliche Pa­ tronat und die Gerichtsbarkeit über die Bauern­ dörfer allmählich in die Hand der Ritterguts­ besitzer. Hiermit wurden sie die Gutsherrschaft der betreffenden Bauerngemeinden, deren An­ gehörige als ihre Untertanen oder Hinter­ sassen bezeichnet wurden. Auf diese Weise bil­ dete sich die Gutsherrlichkeit überall in Deutschland zu einer Einrichtung des öffentlichen Rechts aus, während der Begriff der Grundherrlichkeit mehr die privatrechtlichen Beziehungen zwi­ schen dem Gutsbesitzer als Obereigentümer und den Bauern als Inhaber des nutzbaren Eigentums an dem mit Abgaben an den Grundherrn be­ lasteten Grundstück umfaßte. Für die Frage, ob ein Gut ehemals ein herrschaftliches gewesen ist, kommt es wesentlich nur darauf an, ob seinem Besitzer die Ortsobrigkeit, aber nicht ob ihm auch die Kriminal- und Zivilgerichtsbarkeit zugestanden hat, die allerdings den meisten Rittergütern als Patrimonialgerichtsbarkeit verliehen wor­ den war (vgl. OVG. 31, 113; 45, 123). Gegen Ende des 17. Jahrh, bestanden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf dem platten Lande in den ö. Pr. neben den landesherrlichen Do­ mänen nur gutsherrliche Gebiete (Dominien) als kleinste Einheiten der Berwaltungs- und Ge­ richtsorganisation, innerhalb deren die Dorf­ gemeinden eine politisch unselbständige Stellung wirtschaftlicher Sozietäten hatten (vgl. OVG. 37,148). Außer der Gutsherrlichkeit privater Grundbesitzer gab es noch eine Gutsherrlichkeit des Landesherrn, nämlich auf den Gütern, die der Landesherr behufs Bestreitung seiner Be­ dürfnisse und der Ausgaben der Landesverwaltung in seinem Besitz behalten oder später er­ worben hatte und durch seine Beamten wirt­ schaftlich nutzen ließ, und ferner auf den Gütern, an denen er den privatrechtlichen Besitz ohne Übertragung der herrschaftlichen Rechte über das Gut und seine Bewohner veräußert hatte. In beiden Fällen verblieb dem Landesherrn über diesen Grundbesitz die Stellung des Gutsherrn. Die jetzigen G. umfassen aber nicht das ganze Gebiet der ehemaligen Grundherrschaft. Wäh­ rend diese auch das Dorf und die Feldmark der zum Gute gehörigen Bauern einschloß, Gut und Landgemeinde also nicht zwei nebeneinander be­ stehende obrigkeitliche Bezirke, sondern ein ein­ ziges Herrschaftsgebiet darstellten, entstand der jetzige G. aus dem Gegensatze heraus, in den der Grundbesitz des Gutsherrn zu dem bäuerlichen trat (s. Gutsherrlich-bäuerliche Regulie­ rungen). Die herrschaftlichen und die bäuerlichen Grundstücke lagen vielfach innerhalb derselben Feldmark im Gemenge. Eine feste Unterscheidung wurde zwischen beiden Arten von Grundbesitz durch die Einführung von staatlichen Grund­ steuern bewirkt, welche nur die bäuerlichen Grundstücke belasteten (kontribuable und steuer­ freie Acker). Durch die gutsherrlichbäuerlichen Re­ gulierungen wurde die persönliche Erbuntertänig­ keit der Bauern, wo sie noch bestand, mit den aus ihr fließenden Verpflichtungen aufgehoben; durch

Gutsbezirke G. vom 2.1.1849 (GS. 1) wurde die Patrimonial­ gerichtsbarkeit der Gutsherren, durch die KrO. vom 13. 12. 1872 (GS. 661) auch die gutsherrliche Polizei aufgehoben. Die Entwicklung des gutsherr­ lichen Bezirks zu einem selbständigen, der Land­ gemeinde gleichstehenden Gebilde mit kommu­ nalen Ausgaben nahm nunmehr ihren Ausgang von der Sonderung der beiderseitigen Armenlasten durch die Erl. vom 4. 12. 1811 und 16. 6. 1815 (v. Kamptz, Jahrbücher 34, 354) und fand ihren Abschluß durch §§ 5—8 des ArmenpflegeG. vom 31. 12. 1842 (GS. 1843, 8) und §§ 21, 31 der KrO. vom 13. 12. 1872 (OBG. 1, 102; 14, 231; 37, 148). Das GemeindeverfassungsG. vom 14. 4. 1856 (GS. 359) hat ebenso wie die LGO. vom 3. 7. 1891 nur die zur Zeit ihres In­ krafttretens rechtlich bestehenden G. aufrecht­ erhalten. G. älteren Rechts sind hiernach die Güter der ehemaligen Gutsherrschaften, also die Güter, mit deren Besitz ehemals obrigkeitliche Rechte gegenüber Untertanen (Hintersassen) ver­ bunden gewesen sind. Diese Rechte haben allen Rittergütern zugestanden, anderen Gütern (Land­ gütern) nur dann, wenn sie ihnen besonders ver­ liehen oder von ihnen durch Verjährung erworben waren oder ihnen nach provinzialrechtlichen Be­ stimmungen zukamen (vgl. §§ 91, 92 II 7 ALR.; OVG. 1, 102; 7, 177; 22, 98). In der Prov. Westfalen waren die alten Gutsherrschaften durch die Gesetzgebung während der Fremdherr­ schaft beseitigt und sind nur in beschränktem Um­ fange wiederhergestellt worden. In SchlHolst. jinb die Voraussetzungen für das Bestehen eines selbständigen G. im wesentlichen dieselben wie in den ö. Pr. In Hannover bestanden neben den Gemeinden ebenfalls einzelne bebaute Güter, von denen die öffentlichrechtlichen Verpflichtungen der Gemeinde erfüllt wurden. Das VersassungsG. vom 28. 4. 1859 (HannGS. 389) erlaubt im § 12 einen Ausschluß von der Vereinigung mit einer Landgemeinde für Grundstücke der erwähnten Art dann, wenn die Vereinigung für eine gute Ge­ meindeverwaltung nicht zweckmäßig ist und wenn zugleich das Gut oder die Besitzung entweder nicht mit anderen Grundstücken im Gemenge liegt oder mindestens die Hälfte der Gemeindelasten zu tragen hat. Hiernach beruht das Unterschei­ dungsmerkmal für die G. in Hannover nicht, wie in den ö. Pr., auf einer geschichtlichen obrigkeit­ lichen Gewalt eines Gutsherrn, sondern auf wirt­ schaftlichen Verhältnissen und Verwaltungsrück­ sichten (OBG. 19, 152). In der Prov. HessenNassau kommen selbständige G. nur im RegBez. Kassel, dem ehemaligen Kurfürstentum Hessen, vor. Dort gab es Domänen, Forsten, Ritter­ güter und ehemals adlige geschlossene Freigüter, die außerhalb des Gemeindeverbandes standen. Ihre auf Grund des § 47 der kurhessischen Ver­ fassungsurkunde vom 5. 1. 1831 (Kurh. GS. 1) und des § 5 der GemO. vom 23. 10. 1834 (Kurh. GS. 181) angeordnete Vereinigung mit einer Gemeinde „in Ansehung der örtlichen Ver­ waltung" hat ihre kommunale Selbständigkeit nicht beseitigt. Soweit sie nicht ausdrücklich auch in kommunaler Hinsicht mit Gemeinden vereinigt worden sind, bilden sie jetzt noch selb­ ständige G. (OVG. 38, 168). In der Rhein­ provinz, dem RegBez. Wiesbaden und in den hohenzollernschen Landen gibt es keine G. Für

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den RegBez. Wiesbaden ist auch ihre Neubildung durch § 2 Ziff. 8 der LGO. für Hessen-Nassau vom 4. 8.1897 (GS. 301) ausdrücklich untersagt. b) G. neueren Rechts sind solche Landgüter, denen die Eigenschaft als G. nicht als ehemals herrschaftliche Besitzungen zukommt, sondern ihnen in späterer Zeit durch besonderen Akt der Staats­ hoheit verliehen worden ist. c) Dem G. gehören alle Grundstücke an, die zu dem ehemaligen obrigkeitlichen Herrschafts­ gebiete des Besitzers des Gutes gehört haben und nicht eine Landgemeinde bilden oder Bestandteile einer solchen geworden sind oder einem anderen G. durch einen Akt der Staatshoheit zugeteilt oder zu einem selbständigen G. erhoben worden sind. Bei Abverkäufen von dem herrschaftlichen Gute entstehen nicht neue G., die Trennstücke verbleiben vielmehr Teile des alten G. Kolonien die auf gutsherrlichem Vorwerkslande entstehen, bleiben Teile des G., solange sie nicht zu einer Landgemeinde umgewandelt oder einer solchen zu­ geschlagen worden sind (OVG. 8, 80 u. 86; 16, 246; OVG. vom 6. 6.1902 im PrVBl. 24, 568). Über die Zugehörigkeit der herrschaftlichen Dorf­ auen zum G. s. Auenrecht. II. Die Aufrechterhaltung der G. als besondere kommunale Gebilde neben den Gemeinden be­ ruhte auf der Erkenntnis der praktischen Bedürsnisse und der Eigenart der ländlichen Verhält­ nisse, die sowohl die Umwandlung von G. in Ge­ meinden als auch ihre Zuteilung an benachbarte Gemeinden in vielen Fällen als untunlich er­ scheinen ließen. Der Ausruf der preuß. Reg. vom 13. 11. 1918 (GS. 187) stellte die Auflösung der G. in Aussicht. Die Bemühungen der preuß. Reg., aus Grund dieses Ausrufs im Verwaltungs­ wege die Auflösung der G. durchzuführen, hatten jedoch nur einen sehr beschränkten Erfolg. Nach­ dem die VU. in Art. 71 die Gliederung des Staates in Gemeinden vorgesehen hatte, ohne die G. zu erwähnen, ließ der Entwurf der neuen LGO. in der Fassung der Beschlüsse des 22. A. die Beibehaltung der G. für diejenigen Fälle zu, in denen die Umwandlung in eine Gemeinde wegen zu geringer Einwohnerzahl nicht möglich sei und bei Auflösung der G. die zu erwartenden Vorteile in keinem Verhältnis zu den volkswirt­ schaftlichen Nachteilen ständen. Da es jedoch nicht gelang, die neue LGO. zu verabschieden, wurde auf Grund eines Initiativantrags durch das G. vom 27. 12. 1927 (GS. 211) die Auflösung der G. mit der Maßgabe angeordnet, daß von der Auflösung nur dann abzusehen sei, wenn die Vereinigung mit anderen Gemeinden oder die Vereinigung mehrerer G. zu einer neuen Ge­ meinde nach Lage der Verhältnisse (räumlicher oder finanzieller Art) ausgeschlossen und die Um­ wandlung eines G. in eine Landgemeinde nicht möglich sei, weil sich ein eigenes Gemeindeleben wegen geringer Einwohnerzahl oder räumlicher Trennung der Wohnstätten nicht entwickeln könne (§ 11 a. a. O., Erl. vom 28. 12. 1927, MBl. 1171). Gleichzeitig wurde das Recht der G. bis zu ihrer Auflösung durch § 13 neu geordnet, unter Einbeziehung der sog. fürstlichen Gemein­ den der Kreise Wetzlar und Neuwied in diese Regelung (§ 14). III. Verfassung der G. 1. Nach § 13 Ziff. 1 des G. vom 27. 12. 1927 finden auf die

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Gutsbezirke

G. die für Landgemeinden geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, soweit sie nicht das Bestehen einer Gemeindevertretung (Gemeinde­ versammlung zur Voraussetzung haben. Der Sinn dieser Vorschrift ist nicht ganz klar. Nach der AusfAnw. vom 28. 12. 1927 und 31. 1. 1928 (MBl. 1171 u. 96) sollen nur die Vorschriften der LGO. Anwendung finden, nicht aber die Vorschriften anderer Gesetze, so daß also z. B. die besonderen für G. geltenden Vorschriften über den Finanzausgleich unberührt bleiben würden. 2. Nach § 13 Zifs. 2 a. a. O. ist für den Be­ reich des G. der Besitzer des Gutes Träger der öffentlichrechtlichen Rechte und Pflichten, deren Träger für den Bereich des Gemeindebezirks die Gemeinde ist, aus den „hinsichtlich einzelner dieser Rechte und Pflichten und den Gesetzen folgenden Maßgaben". Diese Vorschrift entspricht dem bis­ herigen Rechtszustand (vgl. § 122 der LGO. f. d. ö. Pr., und SchlHolst., § 67 Wests., § 94 HessNass., § 36 HannKrO.). a) Unter dem „Besitzer des Gutes" im Sinne der LGO. ist stets der Gutsherr im öffentlichrechtlichen Sinne zu verstehen. Dies ist der Eigen­ tümer des Gutes, wenn dessen Grenzen mit denen des Gutsbezirks zusammenfallen, jedoch der Eigen­ tümer des Hauptgutes (Re st gutes), wenn das Gut durch Abverkäufe zerstückelt ist (OVG. 7,201; 16, 246). Der Bestand des G. wird durch solche Abverkäufe nicht berührt, die Trennstücke ver­ bleiben vielmehr Teile des G. so lange, bis sie durch die zuständige Behörde von ihm losgelöst worden sind (s. Gemeindebezirke III). Dies gilt auch von der Zerlegung eines Rittergutes in Rentengüter (OVG. 62, 67). Die Feststellung des Grundstücks, mit dessen Besitz die Gutsherr­ lichkeit verknüpft ist, kann nach Zerstückelung des Gutes schwierig sein und muß sich nach den Um­ ständen jedes einzelnen Falles richten. Sofern die Zerstückelung nicht unter Vorbehalt der guts­ herrlichen Rechte für die Person des Veräußerers oder für einen bestimmten Teil des G. erfolgt ist, wird in der Regel der ursprüngliche Rittersitz (der Gutshof, das castrum) als das Hauptgut (Rest­ gut) angesehen werden können (vgl. OVG. 27, 199; 63, 200; für SchlHolst. 22, 160). Wegen der Frage, wer bei völliger Aufteilung des G. als Gutsherr anzusehen ist, vgl. OVG. vom 24. 1. 1891 (PrVBl. 12, 242). Steht das Gut im ideellen Miteigentum mehrerer Personen, so ist jeder Miteigentümer auch Gutsherr (OVG. 37, 200). Auch juristische Personen (Fiskus, Stadtgemeinden, Stifter) können Gutsherren sein und es auch bleiben, nachdem sie im Wege einer fortschreitenden Zerstückelung des G. in ihm allen Grundbesitz veräußert haben (vgl. OVG. 1, 102 und OVG. vom 6. 6. 1902 im PrVBl. 24, 668). b) Zu den dem Besitzer des Gutes als Guts­ herrn obliegenden Pflichten gehören namentlich die Kosten der obrigkeitlichen Ortsverwaltung, der Herstellung polizeilicher Einrichtungen, insbeson­ dere auch des Nachtwachwesens (OVG. 50, 42) und des Feuerlöschwesens (OVG. 38, 179; 48, 319), die Kosten der Standesamtsverwaltung (MErl. vom 9. 4. 1878, MBl. 78), der Amts­ verwaltung (OVG. 4, 139), Armenpflege, Schul­ unterhaltung und Wegeunterhaltung. Ganz all­ gemein ist eine Unterverteilung der Lasten des G. nur in der Prov. Westfalen zugelassen. Hier

können die Lasten nach Anhörung der Beteiligten auch auf die übrigen selbständigen Einwohner des G. durch ein Statut verteilt werden, welches der Bestätigung des KrA. bedarf (§§ 67, 68 Wests. LGO.; § 26 Abs. 4 WestfKrO.; § 31 ZG. In den übrigen G. ist eine Unterverteilung der Lasten des G. bzw. Gutsherrn auf Hintersassen nur zulässig in folgenden Angelegenheiten; Kreissteuern (§ 13 Kreis- und ProvinzialabgabenG. v. 23. 4. 1906, GS. 159), Leistungen für das Heer (§ 8 des G. vom 13.6.1873, RGBl. 129), Kosten der Seuchen­ bekämpfung (§ 28 des G. vom 28. 8. 1905, GS. 373), Volksschullasten (§8 des G. vom 28.7.1906, GS. 335), Fürsorgelasten (G. vom 8. 3. 1871, GS. 130 in Verbindung mit §§ 32, 33 der V. vom 17. 4. 1924, GS. 210), die Verbandslasten des Zweckverbandes (§ 18 des G. vom 19. 7. 1911, GS. 115), in den ostpreußischen und vormals westpreußischen und posenschen Kreisen die Wege­ unterhaltungslasten (WO. vom 10. 7. 1911, GS. 99, vom 27. 9. 1905, GS. 357 und vom 15. 7. 1907, GS. 243. Die Unterverteilung der Kreisabgabenersolgt kraft Gesetzes (s. Kreis­ abgaben), in den übrigen Fällen nach Maßgabe einer vom KA. aus Antrag des Gutsbesitzers und nach Anhörung der Beteiligten zu erlassenden Statuts (s. im einzelnen die betr. Artikel). — Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend die Heranziehung oder Veranlagung von Grundbesitzerilund Einwohnerndes G. zu dessen öffentlichen Lasten, hat der Gutsvorsteher Beschluß zu fassen. Gegen diesen Beschluß findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem KrA. statt (§§ 69, 70 KAG., 14. 7. 1893, GS. 152; wegen der Schul­ lasten §§ 46, 47 ZG. und § 54 VolksschulunterhaltungsG. vom 28. 7. 1906, GS. 335). Der G. (Gutsherr) kann ebenso wie die Gemeinden außer seinen gesetzlichen Pflichten auch freiwillig inner­ halb des Bereichs der ihm gesetzlich obliegenden Aufgaben öffentlichrechtliche Verpflichtungen(z.B. Schullasten, Wegebaulasten) mit verbindlicher Kraft für seine Rechtsnachfolger in der Gutsherr­ schaft übernehmen und ist hieran auch nicht durch die Fideikommißeigenschaft seines Gutes gehin­ dert (OVG. 36, 204). 3. Träger der obrigkeitlichen Gewalt im G. ist der Gutsvorsteher, der für den G. die obrigkeitlichen Geschäfte ausübt. a) Während bisher der Gutsbesitzer entweder selbst die Geschäfte des Gutsvorstehers wahr­ nahm oder hierfür einen Stellvertreter ernannte, der vom LR. zu bestätigen war, bestimmt § 13 Zisf. 4 des G. vom 27. 12. 1927, daß der Guts­ vorsteher vom KrA. zu bestellen ist; und zwar ist entweder eine im G. wohnende Persönlichkeit oder wenn eine solche nicht vorhanden ist, ein benachbarter Gemeindevorsteher zu bestellen. Für einzelne Teile des G. können besondere Guts­ vorsteher bestellt werden. Der Gutsvorsteher ist mittelbarer Staatsbeamter; er wird vom LR. vereidigt und untersteht der staatlichen Diszipli­ nargewalt (§§ 125, 143 LGO. f. d. ö. Pr.). b) Der Gutsbesitzer hat dem Gutsvorsteher aus Antrag eine angemessene Vergütung zu zahlen, über die im Streitfälle der KrA. endgültig ent­ scheidet. c) Die obrigkeitlichen Rechte und Pflichten des Gutsvorstehers entsprechen im allgemeinen denen des Gemeindevorstehers. Er ist ebenso wie der

ezirke letztere Organ des Amtsvorstehers und hat ver­ möge dessen das Recht und die Pflicht, in dringen­ den Fällen die Erfordernisse zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit vor­ läufig anzuordnen und auszuführen zu lassen. Der Gutsvorsteher ist Hilfsbeamter der Staatsanwalt­ schaft. Auch die Befugnisse des § 91 LGO. f. d. ö. Pr. sowie die Befugnis zur Androhung und Festsetzung von Geldstrafen gemäß § 132 LBG. stehen dem Gutsvorsteher zu. Der Gutsvorsteher hat die zur Unterverteilung geeigneten Guts­ lasten sowie die sonstigen öffentlichen Abgaben, soweit ihre Erhebung in den Landgemeinden den Gemeindeorganen obliegt, zu erfüllen. Da­ gegen ist der Gutsvorsteher nicht der Vertreter des Gutsbesitzers hinsichtlich der vermögensrecht­ lichen Verhältnisse des Gutsbesitzers auf öffent­ lichrechtlichem Gebiet (OVG. 50, 42; RGZ. vom 12. 2. 1910, Gruch. 54, 1116). Hinsichtlich der Vertretung des Gutsbesitzers durch den Guts­ vorsteher, in Fürsorgeangelegenheiten s. BAH. 6, 33; 8, 135; 16, 171. Vgl. auch Art. 77 AG­ BGB. (20. 9. 1899, GS. 177) (Bestellung der Waisenräte); Art.80AGBGB. (Nottestamente). Der Gutsvorsteher ist zur Führung eines Dienst­ siegels berechtigt (Erl. vom 10. 4. 1874, MBl. 101). 3. Aus der Konstruktion des G. ergibt es sich, daß die Einwohner des G. als solche an der kom­ munalen Verwaltung nicht beteiligt sind, an­ dererseits aber auch der Gutsbesitzer nicht die in den Landgemeinden der Gemeindevertretung zu­ stehenden Funktionen ausüben kann. Die sich hier­ aus für die kommunale Entwicklung der G. er­ gebenden Lücken sind dadurch ausgefüllt worden, daß für den G. aus einzelnen Gebieten der kom­ munalen Betätigung den Organen der Kreise das Recht gegeben worden ist, allgemein verbindliche Normen (Statuten) für den Gutsbezirk zu erlassen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der bereits erwähn­ ten Unterverteilung öffentlicher Lasten auf die Gutsinsassen, sondern z. B. auch für die Berufs­ schulpflicht gemäß § 1 des G. vom 31. 7. 1923 (GS. 367), die vom Kreistag auch für einzelne Teile des Kreises, also auch für die G. durch Satzung eingeführt werden kann. In verschie­ denen Fällen (z. B. § 8 des G. vom 8. 3. 1871, GG. 130, § 18 ZweckverbandsG. vom 19.7.1911, GS. 115, §§ 8,46, 50 Abf. 4 des VolksschulunterhaltungsG. vom 28. 7. 1906, GS. 435) ist hier­ bei die Beteiligung der Gutsinsassen vorgesehen. 4. Die staatliche Aufsicht über die G. wird durch den LR. als Vorsitzenden des KA. ausgeübt in gleicher Weise wie die Kommunalaufsicht steht man ein Sonderrecht für ländliche Be­ sitzungen, die auf Antrag des Eigentümers in ein besonderes Verzeichnis (Höferolle, Landgüter­ rolle) eingetragen sind, kraft dessen eine Besitzung beim Tode des Eigentümers mangels einer ander­ weiten letziwilligen Vs. ungeteilt auf einen von mehreren Miterben, den sog. Anerben, übergeht. S. Anerbenrecht III. Pr. Höferolle. H. oder Landgüterrolle ist das Ver­ zeichnis ländlicher Besitzungen, die auf Grund der vom Eigentümer beantragten Eintragung dem Höfe- oder Anerbenrecht (s. Anerben­ recht III) unterliegen. Pr. Hoskammer der kgl. Familiengüter ist durch AKabO. vom 30. 8.1843 (JMBl. 232) begründet worden, nachdem infolge Ablebens des Prinzen August von Preußen das Hausfideikommiß an die Krone zurückgefallen war. Die H. d. k. F. verwal­ tet die Güter und Forsten, welche nach der Ver­ mögensauseinandersetzung zwischen dem Preuß. Staate und dem vormals regierenden Preuß. Königshause (s. Fürstenabfindung) diesem ver­ blieben sind. Sie setzt sich zusammen aus einem Präsidenten und einer Anzahl von juristischen und technischen Mitgliedern. Sie ist niemals Staats­ behörde gewesen, genoß aber, ebenso wie die fürstl. Hofkammer in den hohenzollernschen Landen (Erl. vom 14. 8. 1852, GS.771), früher die Rechte einer öffentlichen Behörde. Diese Eigenschaft hat sie durch das sog. AdelsG. vom 23. 6.1920 (GS. 368) verloren. Für die Versorgung der Hofkammer­ beamten gilt nach § 8 ff- des VermögensauseinandersetzungsG. (s. oben) vom 29.10. 1926 (GS. 267) folgendes: 1. Die bisher von der Hofkammer getragenen Versorgungsbezüge der Ruhestands­ beamten und Beamtenhinterbliebenen sind ab 1. 4.1927 auf die Staatskasse übernommen. Für die Höhe der künftigen Zahlungen gelten die je­ weilig für die unmittelbaren Staatsbeamten be­ stehenden Vorschriften. Dabei wird dasjenige Diensteinkommen zugrunde gelegt, welches der Beamte bezogen haben würde, wenn er sich beim Ausscheiden in einer gleichartigen staatlichen Dienststelle befunden hätte; darüber, welche Stelle als gleichartig anzusehen ist, bestimmt der FM. 2. Die am 31. 3.1927 noch im Dienst der H. be­ findlichen, bis dahin zu Lasten ihres Haushalts­ planes besoldeten Beamten, erhalten, soweit sie nicht in die Staatsverwaltung übernommen wer­ den, Wartegeld in derselben Höhe, wie ein gleich­ artiger Staatsbeamter; wegen der Gleichartigkeit gilt das zu 1 Gesagte. Sie können auf ihren An­ trag jederzeit ohne Nachweis der Dienstunfähig­ keit auch schon vor Vollendung des 65. Lebens­ jahres in den dauernden Ruhestand versetzt wer­ den. Sie haben die beabsichtigte Weiter- oder

Wiederverwendung im Dienste des vormaligen Königshauses oder eines seiner Mitglieder bei Ver­ lust des Wartegeldes dem FM. vorher anzuzeigen. 3. Auf die Versetzung in den dauernden Ruhestand und die Hinterbliebenenversorgung finden die Vor­ schriften in § 7 betr. die früheren Hofbeamten An­ wendung, d. h. diejenigen für unmittelbare Staatsbeamte,wobei die bis zum31.3.1927 im Dienst des früheren Königshauses (der H.) verbrachte Dienst­ zeit voll zur Anrechnung kommt. Die bei unmittel­ baren Staatsbeamten von dem Verwaltungschef zu treffenden Entscheidungen und Erklärungen hat der FM. abzugeben. 4. Die erhöhte Anrech­ nung der während der Kriegsjahre abgeleisteten Dienstzeit (G. vom 23. 11.1920, GS. 1921, 89) findet in gleicher Weise wie bei Staatsbeamten statt; eine nachträgliche Erhöhung der bereits empfangenen Gebührnisse aus diesem Grunde ist ausgeschlossen. Ly. Hoheitszeichen s. Landeshoheit, Behör­ denorganisation. Hohenzollern (Behördenorganifation). Die Organisation der Allg. Landesverwaltung in H. (Amts- u. LandesO. vom 2. 4. 1873, GS. 145), Neusssg. vom 9.10.1900, GS. 323) weicht viel­ fach von derjenigen im Gesamtstaate ab. So tritt nach § 5 LVG., soweit nicht die G. anderes be­ stimmen, an die Stelle des OP. und des Pro­ vinzialrats der zuständige Minister. In An­ gelegenheiten der höheren Schulen und der Ge­ richtsärzte ist das Provinzial-Schulkollegium bzw. der gerichtsärztliche Ausschuß (früher Medizinal­ kollegium) zu Koblenz, in Kirchenangelegenheiten das Konsistorium daselbst zuständig (§§ 1 u. 7 der V. vom 7. 1. 1852, GS. 35). Die Reg. ist nicht in Abteilungen gegliedert. Der RegBez. Sig­ maringen bildet einen eigenen Landeskommunal­ verband, dessen Organisation von denjenigen der Provinzialverbände abweicht. Er ent­ sendet nach B. vom 31. 12. 1925 (GS. 1926, 7) einen Vertreter in den StR., aber nicht in den RN. Durch G. vom 7. 10. 1925 (GS. 132) sind für die Kreisbehörden die Bezeichnungen der östlichen KrO. eingeführt. H. untersteht dem Landeskulturamt in Düsseldorf, dem Oberberg­ amt in Bonn bzw. dem Bergrevier in Neuwied und der Eichungsdirektion in Köln. Zuständiges Oberlandesgericht für das Landgericht in Hechin­ gen ist dasjenige in Stuttgart, jedoch für Dienst­ aufsichts- und Disziplinarverfahren dasjenige in Frankfurt a. M., dessen Auflösungsamt für Familiengüter ebenso für H. zuständig ist. DaS Arbeitsgericht in Hechingen gehört zum Bezirk des Landesarbeitsgerichts in Frankfurt a. M. Der Bezirk der Landesversicherungsanstalt Düssel­ dorf umfaßt auch H. Nach § 1 des G. vom 30. 12. 1926 (GS. 353) gehört H. zum Bezirk der Ärztekammer für die Rheinprovinz; gleiches gilt nach § 2 des G. vom 13. 4. 1928 (GS. 67) hinsichtlich der Tierärztekammer und nach § 1 des G. vom 21. 4. 1923 (GS. 123) hinsichtlich der Apothekerkammer. S. a. Landeskom­ munalverbände. Ly. Höhere Lehranstalten. Geschichte und Aufbau. Übersicht: Begriff und Einteilung. B. Ent­ wicklung des höheren Schulwesens. I. Entwick­ lung des höheren Knabenschulwesens. II. Ent­ wicklung des höheren Mädchenschulwesens: a) bis zur Reform von 1908, b) Reform von 1908,

Höhere Lehranstalten c) Reform der Frauenschule von 1917. C. Neu­ ordnung und gegenwärtiger Aufbau des höheren Schulwesens. I. Allgemeines. II. 1. Deutsche Oberschule und Aufbauschule; 2. Mädchenschul­ reform von 1923. III. Die eigentliche Neuord­ nung von 1925. 1. Allgemeines; 2. Einzelheiten; 3. Die besonderen Bildungsaufgaben der einzel­ nen Schulformen; 4. Stundentafeln der einzelnen Schulsormen; 5. Berechtigungen; 6. Schrifttum; s. auch h. L. Lehrer, h. L. Schüler, h. L. Verwaltung und Schulen. A. Begriff und Einteilung. H. L. im weiteren Sinne sind „Schulen und Gymna­ sien, in welchen die Jugend zu höheren Wissenschaften oder auch zu Künsten und bürgerlichen Gewerben durch Beibringung der dabei nötigen oder nützlichen wissenschaftlichen Kenntnisse vorbereitet werden soll" (§ 54 II, 12 ALR.). Sie teilen sich in allgemeine Bildungs­ anstalten für die männliche und weibliche Ju­ gend, h. L. im engeren Sinne, und die eine Spezialausbildung betreibenden Fachschulen (Landwirtschaftsschulen, Bergschulen, Handels­ schulen, Gewerbeschulen, Kunstschulen usw.). Durch AKabO. vom 31. 12. 1825 (GS. 1826, 5) B 1 waren bie gelehrten Sch-, d. h. diejenigen, welche zur Universität entlassen (§ 6 Abs.2 der Dienstinstr. für die Provinzialkonsistorien vom 23.10.1817, GS. 237), der unmittelbaren Aufsicht und Verwaltung der Provinzialschulkollegien unterstellt. Nachdem bereits durch frühere AE. diese Zuständigkeit auf die zu Entlassungsprüsungen berechtigten Realschulen und auf die Pro­ gymnasien ausgedehnt worden war, und nachdem ihnen durch AE. vom 15. 8. 1908 (UZBl. 693) auch das höhere Mädchenschulwesen unterstellt ist, sind sämtliche h. L., welche eine allge­ meine Bildung vermitteln, den Provinzialschulkollegien unterstellt. Aus diese Anstalten beziehen sich die folgenden Ausführungen. B. Entwicklung des höheren Schulwe­ sens. I. Entwicklung des höheren Knaben­ schulwesens: a) &ine höhere Bildung, ins­ besondere auch durch die Beschäftigung mit der griech. und röm. Literatur, vermittelten ursprünglich nur die Gymnasien. Hervorgegangen aus den alten Klosterschulen, gefördert durch den Humanismus des 16. Jahrh., bildeten sie bis in den Anfang des vorigen Jahrh, fast die einzigen Pflegstätten höherer Bildung. Die Entwicklung der Naturwissenschaften und die Aufklärungs­ philosophie bereiteten schon im 18. Jahrh, einen Umschwung vor. So entstehen am Begin des 19. Jahrh, eine Reihe realistischer Bildungs­ anstalten unter dem Namen Höherer Bürger­ schulen, Realschulen, Gewerbeschulen. Ein amt­ liches Verzeichnis vom 30. 4. 1850 (MBl. 99) weist im damaligen Königreich Preußen 89 aus. Das Reskr. vom 8. 3. 1832 (v. Kamptz 16, 103) führt für sie Entlassungsprüfungen ein, mit der „Berechtigung zum Eintritt in den einj.-freiw. Militärdienst, in das Post-, Forst- und Baufach und in die Bureaus der Provinzialbehörden". Neben Religion, Geschichte, Deutsch fordert diese Ordnung Kenntnisse in Mathematik, Physik, Chemie und im allgemeinen auch im Lateinischen. Deese Realschulen entwickeln sich nach dem Maße dir örtlichen Verhältnisse verschieden. Aber erst die Prüfungsordnu ng von 1859 (UZBl. 1859,

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582) gibt ihnen eine feste Begrenzung und scheidet sie als Realschulen erster Ordnung mit neun­ jährigem Kursus und verbindlichem Unterricht im Lateinischen von den sonstigen Real- und höheren Bürgerschulen. Neben dem Deutschen und dem Französischen wird als neue Unterrichtssprache das Englische (von Tertia an) ausgenommen und in besonderer Weise Rechnen und Mathe­ matik, Naturwissenschaften (Physik, Chemie) und das Zeichnen gepflegt. Langsam entwickeln sich neben ihnen erst in den siebziger Jahren, zumeist aus alten Fachschulen, den Provinzialgewerbe­ schulen, die lateinlosen Oberrealschulen. Ihnen gegenüber stehen als Hort der altklassischen Bil­ dung die Gymnasien. Sie erhielten ihren Nor­ mallehrplan durch das Reskr. vom 24. 10. 1837 (v. Kamptz 21, 978). Die Schüler wurden erst vom zehnten Lebensjahr an ausgenommen. Es bestanden sechs Klassen, drei untere mit einjäh­ rigem, drei obere mit zweijährigem Kursus. Unterrichtsgegenstände waren: Lateinisch (von Sexta an), Griechisch (von Quarta an), Deutsch Französisch (von Tertia an), Religion, Mathema­ tik (von Quarta an), Rechnen (Sexta, Quinta), Physik (von Sekunda an), philosophische Propä­ deutik (in Prima), Geschichte und Geographie, Naturkunde (Sexta bis Tertia), Zeichnen (Sexta und Quinta), Schreiben (Sexta bis Quarta), Gesang (Sexta bis Tertia). Eine Vf. vom 7. 1. 1856 (UZBl. 1859, 162) ließ den Plan im allge­ meinen bestehen, nur die philosophische Propä­ deutik fallen und vermehrte auf Kosten des Rech­ nens, der Mathematik und der Naturkunde die Gesamtzahl der Stunden in Religion, Geschichte und Französisch. Unter dem Ministerium Falk wurde ein Reform geplant, indes erst 1882 durch­ geführt; sie bestand unter Beibehaltung der Ge­ samtstundenzahl in einer Verringerung des la­ teinischen und griechischen Unterrichts, dagegen in einer Vermehrung des französischen, geschicht­ lichen, mathematischen und naturkundlichen Un­ terrichts. Gleichzeitig (1882) wurde in den Real­ schulen erster Ordnung der lateinische Unterricht vermehrt, dagegen der mathematische, natur­ kundliche, deutsche und der Religionsunterricht etwas verringert und damit eine Annäherung der beiden Schularten herbeigeführt. Man glaubte, daß das Gymnasium hiernach den Bedürfnissen des modernen Lebens besser Rechnung tragen könne, und daß andererseits die Realschule (Real­ gymnasium) eine dem Gymnasium gleichwertige Stellung im öffentlichen Leben erringen und die dem letzteren gewährten Berechtigungen erhalten werde. Aber durch diese Annäherung beider Schularten wurde der Kampf zwischen humani­ stischer und realistischer Bildung, zwischen Geistes­ und Naturwissenschaften nicht beseitigt. Es be­ durfte nur eines Anstoßes, um ihn aufs neue zu entfachen. Dieser Anstoß kam von innen und von außen, und schon nach wenigen Jahren kam es zu neuen Verhandlungen über ihre Reform, zu der sog. Dezemberkonferenz von 1890 (s. Ver­ handlungen über Fragen des höheren Unterrichts, Berlin 1891, UZBl. 1892, 343), deren Ergebnisse in den Lehrplänen von 1892 (UZBl. 199) niedergelegt wurden. Zur Verhütung einer Uberbürdung verminderten sie die Gesamtstunden­ zahl in den Gymnasien, Realgymnasien und Ober­ realschulen, vermehrten dagegen den Unterricht

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im Deutschen, wie überhaupt deutsche Sprache, deutsche Literatur, deutsche Geschichte fortan der einheitliche Grund der nationalen Bildung sein sollte, auf dem die verschiedenen Seilen des Le­ bens, die ideale und die praktische, sich entwickeln. Den Ausfall hatte im wesentlichen der fremd­ sprachliche Unterricht zu tragen. Das Real­ gymnasium erschien der Konferenz als eine lebens­ unfähige Schöpfung, gegenüber dem Gymnasium und der lateinlosen Oberrealschule, die, erst mit dem allgemeinen Aufschwung des industriellen und kaufmännischen Lebens seit 1882 entstanden, sich wesentlich neben den ethisch-historischen Fächern der Pflege der modernen Sprachen, der Mathematik, der Naturwissenschaften und des Zeichnens widmete. Hatten hierdurch die klassi­ schen Sprachen gegenüber dem bis 1882 be­ stehenden Zustand an den Gymnasien etwa ein Viertel ihrer Stundenzahl eingebüßt, so muhte naturgemäß dies auch in den Ordnungen für die Reifeprüfung zum Ausdruck kommen. Die Reise­ prüfungsordnung von 1892 (UZBl. 1892, 281) ließ daher den lateinischen Aufsatz fallen und setzte an Stelle der Übersetzung in das Griechische eine solche aus dem Griechischen. Für die N i ch t v oll a n st a l t e n (Realschulen, Progymnasien und Re­ algymnasien) wurde an Stelle der siebenjährigen die sechsjährige Form eingeführt, so daß ihre Lehr­ pläne denen der entsprechenden Vollanstalten gleich waren. Neben den oben genannten drei Schularten hatte sich inzwischen eine vierte, die sog. Reformschule, in verschiedener Weise ent­ wickelt. Sie wollte das Alter, in welchem die Schüler sich für die eine oder andere Richtung zu entscheiden haben, nach Möglichkeit hinausschie­ ben. Nach der beim Goethegymnasium in Frank­ furt a. M. getroffenen Einrichtung begann der französische Unterricht in Sexta, der lateinische in Untertertia, der griechische in Untersekunda. Bei den Realgymnasien trat an die Stelle des Grie­ chischen das Englische. So waren in den drei un­ teren Klassen, Sexta bis Quarta, ein gemeinsamer Unterbau für Gymnasium, Realgymnasium und Oberrealschule, in Unter- und Obertertia auch für die beiden ersteren geschaffen. — Etwas anders ist das Altonaer System, die Bereinigung von Realgymnasium und Realschule. Es begann mit dem Französischen in Sexta, mit dem Englischen in Quarta, mit dem Lateinischen in der Unter­ tertia. — Auf besonderen Widerstand stieß die sog. A b s ch lu ß p r ü f u n g, die für die B erechtigung zum einj.-freiw. Militärdienst 1892 gefordert wurde (UZBl. 1892, 327), um ungegeignete Kräfte von den höheren Sch. fernzuhalten, b) So drängte die Entwicklung zu einerneuenRevision, welche durch AOrder vom 26. 11. 1900 (UZBl. 854) eingeleitet und bei der folgende Gesichtspunkte als Richtschnur aufgestellt wurden. 1. Bezüglich der Berechtigungen sei davon auszugehen, daß das Gymnasium, das Realgymnasium und die Ober­ realschule in der Erziehung zur allgemeinen Gei­ stesbildung als gleichwertig anzusehen seien und nur insofern eine Ergänzung erforderlich bleibe, als es für manche Studien und Berufszweige noch besonderer Borkenntnisse bedürfe. Dement­ sprechend sei auf die Ausdehnung der Berech­ tigungen der realistischen Anstalten Bedacht zu nehmen. 2. Durch die grundsätzliche Anerkennung der Gleichwertigkeit der drei h. L. werde

die Möglichkeit geboten, die Eigenart einer jeden kräftiger zu betonen. Mit Rücksicht hierauf sei nichts dagegen zu erinnern, daß im Lehrplan der Gymnasien und Realgymnasien das Lateinische eine entsprechende Ver­ stärkung erfahre. Besonderer Wert aber sei darauf zu legen, daß die englische Sprache auf den Gymnasien eingehender berücksichtigt werde. Deshalb sei überall neben dem Griechischen eng­ lischer Ersatzunterricht bis Untersekunda zu gestatten. Auch erscheine es angezeigt, daß bei den Oberrealschulen die Erdkunde eine ausgie­ bigere Fürsorge finde. 3. In dem Unterrichts­ betriebe seien nicht für alle Unterrichtsfächer gleich hohe Arbeitsforderungen zu stellen, son­ dern die wichtigsten unter ihnen sollen nach der Eigenart der verschiedenen Anstalten in den Vor­ dergrund gerückt und vertieft werden. 4. Die Abschlußprüfung, welche den bei ihrer Ein­ führung gehegten Erwartungen nicht entsprochen habe, sei zu beseitigen. 5. Die Einrichtung von Reformschulen solle, wo die Voraussetzungen zuträfen, auf breiterer Grundlage erprobt werden. Auf der AOrder vom 26. 11. 1900 beruhten die Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Sch. von 1901 (UZBl. 471). II. Entwickelung des höheren Mädchen­ schulwesens. a) Bis zur Reform des Jahres 1908. Die Mädchenschulen, welche neben den öffentlichen VSch. bestehen, waren in ihrer äuße­ ren und inneren Einrichtung sehr vielgestaltig. Nur zum Teil aus einem unterrichtlichen Be­ dürfnis, zu einem anderen Teil mehr aus gesell­ schaftlichen Rücksichten hervorgegangen und viel­ fach von den Städten, überwiegend aber als Privatunternehmungen errichtet, waren sie auch in ihrem Lehrgänge den besonderen örtlichen und persönlichen Bedürfnissen angepaßt, die zu befrie­ digen sie ins Leben gerufen waren. — Aus diesen mannigfaltigen Formen haben sich allmählich zwei Sch. bestimmter Gattung herausgebildet, von denen die eine Gattung den Mittel schu­ len (s. mittlereSchulen) angehört, die andere die höheren Mädchenschulen umfaßt. Diese Scheidung erhielt nach mehreren vergeblichen Anläufen durch den Erl. vom 31. 5. 1894 (UZBl. 446) ihre Grundlage. In demselben wurde für die h ö h e r e n Mädchenschulen, mit welchen sich die nachstehenden Ausführungen allein beschäftigen, ein neuer Lehrplan ge­ geben, welcher die Ausbildung in neun Jahres­ kursen festsetzte, den obligatorischen Unterricht zweier fremder moderner Sprachen forderte und zugleich für die Zusammensetzung des Lehr­ körpers und die Leitung der Sch., ohne in erste­ rer Beziehung grundsätzlich neue Änderungen zu treffen, gewisse Normen vorschrieb. Die Erfah­ rungen, welche bei der Durchführung der neuen Ordnungen gemacht wurden, ließen je länger desto mehr erkennen, daß dieselben dem Bedürf­ nisse nicht entsprachen. Die neunklassige Gliede­ rung der höheren Mädchenschule erwies sich nicht als ausreichend; der zehnklassigen Sch. wurde der entschiedene Vorzug gegeben. Ebenso litt die Ausbildung der Lin. für die höheren Mädchen­ schulen an Mängeln und schließlich gesellte sich hier­ zu als weiteres, auf eine Reform hindrängendes wesentliches Moment die immer stärker von der modernen Frauenbewegung betonte Forderung,

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durch Erschließung des Universitätsstudiums den Frauen ein weiteres Feld ihrer Erwerbstätigkeit zu eröffnen. Alle diese Fragen, bei denen sich die Anschauungen zum Teil schroff gegenüberstanden, machten das Betreten neuer Wege zur unabweis­ baren Notwendigkeit. Das Ergebnis der hierüber gepflogenen langwierigen Beratungen wurde in den grundlegenden Bestimmungen des MdgA. über die Neuordnung des höheren Mädchen­ schulwesens vom 18. 8. 1908 (UZBl. 692) nie­ dergelegt. b) Reform von 1908. Der wesent­ liche Inhalt der Neuordnung war folgender. Als Normalform der h. L. für die weibliche Jugend wurde die zehnklassige Sch. durchgeführt. Sie erhielt durch AE. vom 18.12.1911 (UZBl. 1912, 213) die Bezeichnung Lyzeum. Auf das Lyzeum ist die durch den gleichen AE. als Oberlyzeum bezeichnete Anstalt aufgebaut. Das Oberlyzeum kann zwei verschiedene Zweige umfassen. Der eine besteht aus zwei Frauenschulklassen von je einjährigem Kursus. Sie sollten dazu dienen, einerseits eine Erweiterung des sprachlichen, literarischen oder ästhetischen Interessenbereiches der jungen Mädchen zu ermöglichen, hauptsächlich aber eine Ergänzung ihrer Bildung in der Rich­ tung der künftigen Lebensaufgaben einer deut­ schen Frau, ihre Einführung in den Pflichtenkreis des häuslichen wie des weiteren Gemeinschafts­ lebens, in die Elemente der Kindererziehung und Kinderpflege, in Hauswirtschaft, Gesundheits­ lehre, Wohlfahrtskunde, sowie in die Gebiete der Barmherzigkeit und Nächstenliebe herbeizusühren. Zur Erreichung dieses Zweckes soll die Teilnahme an der Pädagogik und an der Beschäftigung in dem in der Regel jedem Oberlyzeum anzufügenden Kindergarten obligatorisch sein. Über Ziel und Umfang der Ausbildung als Kindergärtnerin s. auch die Vorschriften vom 6. 2. 1911 (UZBl. 258). Durch den zweiten Zweig des Ober­ lyzeums wurde die Ausbildung von Lin. auf eine neue Grundlage gestellt und an Stelle der bis­ herigen dreijährigen Ausbildung eine vierjährige dergestalt vorgesehen, das zunächst im Anschluß an das Lyzeum drei wissenschaftliche Klassen zu einer Abschlußprüfung führen, und sodann für die prak­ tisch-methodische Ausbildung ein besonderes vier­ tes Jahr folgte, welches, Seminarklasse benannt, mit der auf praktische Lehrproben und dem pädagogischen und methodischen Stoff des letzten Jahres beschränkten Lehramtsprüfung schloß. Das Zeugnis- über die besondere Lehramts­ prüfung berechtigte nicht nur zur Anstellung als Lin. an Volks- und Mittelschulen, sowie als or­ dentliche Lin. an einem Lyzeum und den weiter­ führenden Bildungsanstalten für die weibliche Jugend, sondern auch zum Universitätsstudium mit dem Ziele der Prüfung für das höhere Lehr­ amt. Außer der Oberlehrerinnenlaufbahn wurde aber durch Erl. vom 11. 10. 1913 (UZBl. 793) den Besitzerinnen von Reifezeugnissen des Ober­ lyzeums die Möglichkeit erschlossen, durch Ab­ legung von Nachprüfungen ein Reifezeugnis zu erwerben, welches ihnen auch andere auf akade­ mischer Vorbildung beruhende Berufe erschloß. Im übrigen wurde der Lehrgang derjenigen jungen Mädchen, welche die Ausbildung zur Universitätsreise erlangen wollen, folgender­ maßen geregelt. Für diesen Zweck wurde die Studienanstalt (an Stelle der früheren Mäd­

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chengymnasien) bestimmt. Die Ausbildung in der­ selben sollte der Ausbildung an den für die männ­ liche Jugend bestimmten h. L. gleichwertig sein. Als Unterbau diente das Lyzeum, jedoch — je nachdem die Studienanstalt die Ausbildung der Gymnasien, der Realgymnasien oder die­ jenige der Oberrealschulen vermitteln soll — nur bis einschließlich der siebenten, bzw. (bei Ober­ realschulvorbereitung) der achten Schulklasse, auf welche sodann für die Studienanstalten mit Latein und Griechisch oder nur mit Latein (Gym­ nasial- bzw. Realgymnasialkurse) sechs, für die­ jenigen mit Oberrealschulkursen fünf weitere Schuljahre folgten, so daß die Gesamtschulzeit 13 Jahre betrug. Einzelheiten der Reform. Aus den Be­ stimmungen vom 18. 8.1908, sowie den dazu er­ gangenen AusfB. vom 12.12. 1908 (UZBl. 886), ist im einzelnen folgendes hervorzuheben: 1. Lyzeen. Als solche wurden diejenigen be­ zeichnet, welche in bezug auf Lehrfächer, Stunden­ zahl und Lehrpläne sowie Zusammensetzung des Lehrkörpers den allgemeinen Bestimmungen vom 18. 8. 1908 entsprachen. Das Lyzeum umfaßte zehn aufsteigende Klassen. Die Klassen X—VIII (Vorschulklassen) bildeten die Unterstufe, die Klassen VII—V die Mittel-, die Klassen IV—I die Oberstufe. Die Unterstufe brauchte, da sie als Vor­ schule anzusehen ist, nicht angegliedert zu sein, wie es auch gestattet war, daß Lyzeen eingerichtet wurden, die nur die Mittel- oder nur die Ober­ stufe enthalten. Abgesehen von der Unterstufe durften höchstens je zwei Klassen gemeinsam unter­ richtet werden. Mädchenschulen geringerer Glie­ derung sind, sofern sie nicht nach dem Plan der mittleren Schulen (s. d.) unterrichten, als „höhere Mädchenschulen" zu bezeichnen (Erl. vom 1. 2. 1912, UZBl., 213). Sie können auf Antrag der Aufsicht des Provinzialschulkollegiums statt der an sich zuständigen Reg. unterstellt bleiben. 2. Das Oberlyzeum, über dessen Zweck­ bestimmung das Nähere oben bemerkt ist, um­ faßte zwei Jahrgänge in den Frauenschul­ klassen. übernahm es daneben die Aufgaben eines höheren Lehrerinnenseminars, so traten drei Jahrgänge im wissenschaftlichen Unterricht (wissenschaftliche Klassen) und eine Seminar­ klasse hinzu. Am Schlüsse der Ausbildung in den wissenschaftlichen Fortbildungsklassen wurde eine durch Erl. vom 11. 1. 1911 geregelte Abschluß­ prüfung (Prüfungsordnung vom 11. 1. 1911, UZBl. 224) abgelegt, welche den Zweck hatte, zu ermitteln, ob eine entsprechende Bildungsreise erreicht war. Am Schlüsse des praktischen Jahres folgte sodann die Lehramtsprüfung (Prü­ fungsordnung vom 11.1.1911, UZBl. 239), dazu bestimmt, dasjenige Maß von pädagogischer, prak­ tischer und methodischer Ausbildung zu ermitteln, welche nach Besuch des praktischen Jahres eines Oberlyzeums erwartet werden muß.DieLehramtsprüfung hatte die Abschlußprüfung zur Voraus­ setzung. Frauenschulklassen und wissenschaftliche Klassen des Oberlyzeums nebst Seminarklassen konnten auch selbständig bestehen. Wo die ört­ lichen Verhältnisse es möglich und wünschenswert erscheinen ließen, sollte das Oberlyzeum außer der Vollausbildung zur Lin. auch die Gelegenheit zur Ausbildung als Sprachlehrerin, Hauswirtschafts-, Handarbeits- und Turnlehrerin in besonderen

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Kursen bieten, zu welchem Zwecke das Ober­ lyzeum auch mit anderen geeigneten Veranstal­ tungen in Verbindung treten konnte. Die gleich­ zeitige Ausbildung als wissenschaftliche und tech­ nische Lin. war nicht gestattet. — Der Eintritt in die wissenschaftlichen Klassen war durch das ohne besondere Prüfung zu erteilende Zeug­ nis über den erfolgreichen Besuch der obersten Klasse eines Lyzeums bedingt. Schülerinnen ohne dieses Abgangszeugnis mußten eine Aufnahme­ prüfung ablegen. Auch für den Eintritt in die Frauenschulklassen des Oberlyzeums war im allgemeinen die abgeschlossene Bildung eines Lyzeums vorausgesetzt. Nach wenigstens zwei­ jährigem regelmäßigen Besuch erhielten die Schülerinnen der Frauenschulklassen ein in der Konferenz festgesetztes und von allen bei ihrem Unterricht beteiligten Lehrpersonen unterschriebe­ nes Abgangszeugnis. — Mit dem Oberlyzeum war in der Regel eine Übungsschule für die Lehrübungen der Seminaristinnen, und, sofern Frauenschulklassen vorhanden, ein Kindergarten für die praktische Einführung aller Schülerinnen in die Kleinkindererziehung verbunden. 3. Die Studienanstalt für Mädchen erhielt die Aufgabe, die Weiterbildung der Mädchen so zu fördern, daß die Schülerinnen in einer Reife­ prüfung eine Bildung nachweisen, welche der durch die neunklassigen höheren Sch. für die männliche Jugend vermittelten gleichwertig ist, wenn auch mechanische Übereinstimmung nicht besteht. Sie gliederte sich in die drei Zweige, welche den drei damals bestehenden Arten der höheren Sch. für die männliche Jugend ent­ sprachen. Voraussetzung für den Eintritt in die Studienanstalt ist, daß die Schülerin sich über den erfolgreichen Besuch der Klasse III (bei den Oberrealschulkursen) bzw. Klasse IV (bei den re­ algymnasialen und gymnasialen Kursen) eines Lyzeums durch ein Abgangszeugnis ausweist. Bei anderen Schülerinnen oder für den Eintritt in eine höhere als die unterste Klasse der Stu­ dienanstalt ist derNachweis durch eine Aufnahme­ prüfung zu führen. 4. Gemeinsame Vorschriften. Das Ober­ lyzeum oder die angegliederte Studienanstalt bilden mit dem Lyzeum zusammen eine Anstalt, so daß die Lehrkräfte in den Grenzen ihrer Lehr­ befähigung zum Unterricht in allen Abteilungen der Gesamtanstalt verpflichtet sind. Die Zahl der männlichen und der weiblichen Lehrkräfte soll annähernd gleich sein und in der Regel nicht unter je ein Drittel heruntergehen, was auch für die von akademisch gebildeten L. und Lin. erteilten Stunden sowie für die Verteilung der Ordi­ nariate gilt. Für die Klassen der Unterstufe an den Lyzeen (Vorschulklassen) konnten Bolksschullehrer und -lehrerinnen angestellt werden, welche in technischen Fächern auch in den Klassen der Mittel- und Oberstufe unterrichten konnten. In den übrigen Klassen mußte wenigstens die Hälfte der Stunden in den wissenschaftlichen Fächern von akademisch gebildeten L. und Lin. erteilt werden, zu denen auch die Geistlichen und die nach den Erl. vom 31.5.1894 und 15. 6.1900 geprüften Ober­ lehrerinnen gehören (Erl. vom 12. 12. 1908, UZBl. 887). — In den wissenschaftlichen Klassen des Oberlyzeums sowie in den Klassen IV—I der Studienanstalten durfte der Unter­

richt in den wissenschaftlichen Fächern nur akademisch gebildeten Oberlehrern und Ober­ lehrerinnen übertragen werden. Für die Er­ teilung des wissenschaftlichen Unterrichts in den Klassen VI und V der Studienanstalt galt bezüg­ lich der Zusammensetzung des Lehrkörpers das gleiche, wie für die Mittel- und Oberstufe der Lyzeen. — Für die Leitung der Lyzeen, Ober­ lyzeen und Studienanstalten wurde bei solchen L. und Lin., die zur Bekleidung von Oberlehrer­ und Oberlehrerinnenstellen an der betreffenden Anstalt berechtigt sind, die Ablegung der Rektorbzw. Schulvorsteherinprüfung nicht gefordert. Leiterinnen erhalten die Amtsbezeichnung „Frau Direktorin". Leiter privater Lyzeen dürfen sich „Direktor" nennen, Leiterinnen „Direktorin" (Erl. vom 8. 1. 1910, UZBl. 420). 5. Den allgemeinen Bestimmungen waren detaillierte Lehrpläne beigegeben (s. hierzu auch Erl. vom 12. 12. 1908, UZBl. 887). Be­ sondere Lehrpläne für die nicht anerkannten „höheren Mädchenschulen" bestehen nicht (Erl. vom 11. 3. 1909, UZBl. 368). Für die Anerken­ nung bereits bestehender und die Einrichtung neuer Anstalten als Oberlyzeen und Studien­ anstalten war die Genehmigung des Unterrichts­ ministers erforderlich. Die Anerkennung bereits bestehender und neu einzurichtender Sch. als Lyzeen erfolgte durch die Provinzialschulkollegien, welchen durch AE. vom 15. 8. 1908 (UZBl. 692) die Aussicht über die höheren weiblichen Bildungs­ anstalten übertragen ist. Dies galt auch für private Anstalten (s. hierzu Erl. vom 12. 12. 1908, UZBl. 891). c) Der Weltkrieg und seine Folgen erhöhte die Anforderungen, die an die Frau und Mutter ge­ stellt wurden. Um ihnen zu genügen, erwies sich eine Reform der Frauenschule nötig, die mit dem Erl. vom 31. 12. 1917 (UZBl. 1918, 276) vollzogen wurde. Danach können als voll aus­ gebildete .Frauenschulen nur solche angesehen werden, die über die für Hauswirtschaft, Nadel­ arbeit, Säuglingspflege, Kleinkinderpflege und -erziehung nötigen Einrichtungen verfügen. Für Hauswirtschaft und Nadelarbeit sind tunlichst eigene Einrichtungen zu schaffen, für die übrigen Arbeitsgebiete können Abmachungen mit gut ein­ gerichteten und passend gelegenen Anstalten ge­ troffen werden, die die Ausbildung der Schüle­ rinnen in dem vorgeschriebenen Umfange sichern. Im Mittelpunkte des Unterrichts stehen die Fächer, die für die hauptsächlichen Lehrziele der Frauen­ schule in Betracht kommen; an diesen Fächern teilzunehmen, ist allen Schülerinnen zur Pflicht zu machen. Die Lehrziele sind: 1. Einsicht in die Bedürfnisse und Anforderungen des Haushalts sowie Kenntnis der zu ihrer Befriedigung dienen­ den Mittel; die Fähigkeit, die zur Verfügung stehenden Stoffe vollständig und mit dem größten Vorteil für die Wirtschaft auszunutzen; 2. Ein­ sicht in die Aufgaben, die die Sorge für das körperliche und geistige Wohl des Kindes an die Mutter und Erzieherin, die Sorge für alle Familienangehörigen an die Hausfrau stellt; 3. eine allgemeine Weiterbildung, die sich einer­ seits die Erstarkung der sittlichen Persönlichkeit andererseits ein Verständnis für die Stellung des einzelnen zur Gesamtheit und seine Eingliederung in das Gemeinschaftsleben des Volkes zum Ziel

Höhere Lehranstalten setzt. Die Regel für diejenigen jungen Mädchen, die nicht in einen bürgerlichen Beruf eintreten, soll die zweijährige Frauenschule sein; auch wo die einjährige Ausbildungszeit infolge örtlicher Verhältnisse nötig ist, ist aus jedem der drei ge­ nannten Gebiete eine geschlossene Ausbildung zu erreichen. Es sind demgemäß Lehrpläne für eine einjährige und eine zweijährige Frauenschule aus­ gearbeitet. Unterrichtsfächer find: Haushaltungs­ kunde (Ernährungslehre, wirtschaftliches Rechnen und Buchführung, Kochen, Haus- und Garten­ arbeit, Nadelarbeit), Gesundheitslehre (dazu Säuglings- und Kleinkinderpflege, Krankenpflege in der Familie), Erziehungslehre (auch Klein­ kindererziehung und -beschäftigung), Religion, Deutsch, Geschichte mit Bürgerkunde und Volks­ wirtschaftslehre, Turnen. Über den erfolgreichen Besuch der Frauenschule wird den Voll- (nicht den Gast-) Schülerinnen ein Schlußzeugnis erteilt. Wegen der Berechtigungen s. unten III 5k. — Die Aufnahme als Bollschülerin setzt den Besitz des Schlußzeugnisses des Lyzeums voraus. Die Aus­ nahmen hiervon, sowie die Vorschriften über die Aufnahme von Gastschülerinnen sind in Zisf. IV des Erlasses geregelt. Für den Unterricht in Haus­ wirtschaft und Handarbeit können nur vollaus­ gebildete Gewerbelehrerinnen, für Kindergartenund Hortarbeit nur Jugendleiterinnen in Be­ tracht kommen; dazu Erl. vom 9. 9. 1922, UZBl. 428 (Lin. der landwirtschaftlichen Haushaltungs­ kunde). Für die wissenschaftlichen Fächer sind akademisch gebildete Lehrkräfte zu verlangen. Die Leitung für sich bestehender Frauenschulen muß weiblich sein. In Frauenschulen, die einer größeren Anstalt angegliedert sind, ist einer Oberin eine verantwortliche Stellung unter Oberleitung des Leiters der Gesamtanstalt zu übertragen (Dienstanweisung für die Oberin vom 1. ß. 1922, UZBl. 213). Den Frauenschulen können, wie es in den Bestimmungen von 1908 vorgesehen war, Lehrgänge zur Ausbildung von Fachlehrerinnen usw. angegliedert werden. Diese bilden aber keinen Teil der eigentlichen Frauen­ schule. C. Neuordnung und gegenwärtiger Auf­ bau des höheren Schulwesens. I. Nachdem bereits vor dem Weltkriege Stimmen laut ge­ worden waren, die eine Reform des höheren Schulwesens forderten, wurde der Rus nach einer Neugestaltung des höheren Schulwesens infolge der Beendigung des Krieges, der hierdurch gänz­ lich veränderten Kulturlage Deutschlands und der daran anknüpfenden pädagogische Bewegung im­ mer lauter. Es wurden Vorwürfe gegen die höhere Sch. erhoben, sie sei volksfremd und trüge die Schuld daran, daß es dem deutschen Volke an geeigneten Führerpersönlichkeiten, namentlich auf politischem Gebiete, gefehlt habe. Auch die veränderte Seelenlage der Jugend, die in der Jugendbewegung einen sichtbaren Aus­ druck fand, ließ eine Reform der h. L. un­ umgänglich erscheinen. Aus diesen Erwägungen heraus wurde im Jahre 1920 die Reichsschul­ konferenz berufen, ein Schulparlament von Sachverständigen, in dem alle Ströme des deut­ schen Bildungswillens sich vereinigten (Amtlicher Bericht im Verlage von Quelle & Meyer, 1921). Während man aber erwartet hatte, daß auf der Konferenz die h. L. in ihrer historischen Form

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aufs stärkste gefährdet sei, machte sich immer mehr die Tendenz geltend, die historische Konti­ nuität der h. L. zu erhalten. Dabei wurde die Notwendigkeit der Organisierung vieler neuer Ideen klar erkannt. Hiervon ausgehend ist die preuß. Unterrichtsverwaltung an eine Reform des höheren Schulwesens herangetreten. Sie ließ sich dabei von dem Grundsatz leiten, daß diese Reform im Zusammenhang mit der Gesamtreform des Bildungswesens durchzuführen sei, und daß die höhere Sch. auf Grund des Art. 146 RV. in die Einheitsschule eingebaut werden müsse, und zwar in organischem Zusammenhang mit der VSch. Die Reform vollzog sich in der Hauptsache in drei Abschnitten. Zunächst wurden im Jahre 1922 zwei neue Schultypen geschaffen, die Deutsche Oberschule und die Ausbauschule. Daran schloß sich im Jahre 1923 die sog. kleine Mädchenschulresorm an, eine Umgestaltung der Lyzeen und Oberlyzeen. Ihr folgte 1924 die eigentliche Neuordnung des höheren Schulwesens. II. 1 a. Als Beilage zu Heft 6 UZBl. 1922 wurden zunächst Denkschriften über die deutsche Oberschule und die Aufbauschule veröffent­ licht. Auf Grund dieser Denkschriften wurden Richtlinien für einen Lehrplan dieser Sch. aus­ gearbeitet, und nach Zustimmung des StM. durch Erl. vom 13. 3. 1924 (UZBl. 103) in Kraft gesetzt. Die Deutsche Oberschule stellt eine den übrigen h. L. gleichwertige höhere Sch. dar, bei welcher eine unter dem Begriff „deutsch" zu­ sammengefaßte Einheit von sog. „kulturkundlichen Fächern" (Religion, Deutsch, Philosophie, Geschichte einschließlich Staatsbürgerkunde, Erd­ kunde, Kunstunterricht) in den Mittelpunkt des Unterrichts derart gestellt wird, daß auch alle anderen Fächer in den Dienst dieser Gesamtidee treten. Auch soll die deutsche Sprachwissenschaft sich in diesem Schultypus so auswirken, wie es an anderen Sch. die Altertumskunde und die Philologie der modernen Fremdsprachen tun können. Der deutschen Kultur und dem deutschen Sprachunterricht soll als Gegenbild eine fremde Kultur und eine fremde Sprache gegenüber­ gestellt werden. Eine zweite Fremdsprache, die nur rezeptiv zu erlernen ist, wird als wahlfreies Pflichtfach gelehrt, d. h. die Schüler müssen je nach ihren besonderen Wünschen und Bedürfnissen eine weitere fremde Sprache (evtl. Latein) nach ihrer Wahl erlernen. Die Deutsche Oberschule, die gemeinsamen Unterbau für Knabenanstalten mit dem Reformgymnasium und der Oberreal­ schule, für Mädchenanstalten mit dem Lyzeum hat, beginnt in Sexta mit der ersten Fremd­ sprache, während die zweite Fremdsprache in Untersekunda begonnen wird. Sie gehört zu den sog. grundständigen Sch., d. h. zu denen, welche sich an die Grundschule anschließen und in neun Jahren zur Reifeprüfung führen. b) Den grundständigen Schulen (s. oben II la) gegenüber stehen die Ausbauschulen, die sich an den Lehrgang des siebenten Volks­ schuljahres anschließen und bereits in sechs Jahren zur Reifeprüfung führen. Die Aufbau­ schulen sollen den Aufstieg besonders begabter Dorf- und Kleinstadtkinder ermöglichen, ohne daß diese gezwungen wären, vorzeitig ihre bisherige Umgebung zu verlassen. Wegen der Aufnahme von Schülern anderer Lehranstalten als VSch.

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vgl. Erl. vom 31. 3. 1927 und 5. 5. 1923 (UZBl. 1927, 129). Da bisher die Präparandenanstalten und Seminare diese Aufgabe erfüllten, so fiel die Einrichtung der Aufbauschulen im wesentlichen mit der Auflösung der genannten Lehrerbildner­ anstalten zeitlich und örtlich zusammen. Zunächst wurden an mehreren damals im Abbau befind­ lichen Seminaren Ostern 1922 Ausbauklassen eingerichtet, bis durch den Erl. vom 6. 2. 1925 (UZBl. 43) die endgültige Einrichtung und An­ erkennung der Aufbauschulen in die Wege geleitet wurde. Durch den genannten Erlaß (II Zisf. 15ff.) wurde festgelegt, daß die neue Schulform den grundständigen höheren Sch. gleichberechtigt zur Seite tritt, und daß in der Regel sämtliche allgemeine Vorschriften über die grundständigen auch auf die Sch. in Aufbau­ form Anwendung finden. Die Aufbauschulen können auch mit grundständigen Sch. verbunden werden. An den Lehrkörper der Aufbauschulen werden besonders hohe Anforderungen gestellt. Nichtakademiker können daher an den Aufbau­ schulen keine Verwendung finden. Die von der Aufbauschule benötigten Grundstücke sind an die Aufbauschule als juristische Person zu übertragen. Die Bauunterhaltung muß von der Gemeinde übernommen werden, in welche die Aufbauschule gelegt wird. Der Abschluß eines Aufbauschul­ vertrags, durch den die Gemeinden außerdem noch eine Reihe von Verpflichtungen übernehmen, ist Voraussetzung der Errichtung. Wesentlich für die Erreichung des der Aufbauschule obliegenden Zieles ist die Errichtung von Schülerheimen, bei deren Einrichtung die Gemeinden fördernd mit­ wirken müssen. Durch Erl. vom 17. 3. 1925 (UZBl. 102) wurde das Zeugnis über die Ver­ setzung nach Obersekunda einer Aufbauschule (also nach dreijährigem Schulbesuch) dem der Ver­ setzung nach Obersekunda der übrigen h. L. gleich­ gestellt. Die Aufbauschule kann an sich alle Formen der höheren Sch. umfassen, doch ist zu­ nächst ein gymnasialer und realgymnasialer Typus der Aufbauschule nicht ins Auge gefaßt. Der geeignetste und bis auf wenige Ausnahmen bisher stets zugrunde gelegte Typus der Ausbauschule ist der der Deutschen Oberschule mit Betonung der deutschkundlichen Fächer. In dieser Form erscheint die Aufbauschule als natürliche Fort­ setzung der BSch. Doch ist es möglich und in einigen Orten durchgeführt, die Aufbauschule in der Form und mit dem Ziele der Oberrealschule mit Betonung der mathematisch-naturwissenschaft­ lichen Fächer einzurichten. In beiden Fällen be­ ginnt die erste Fremdsprache in Untertertia, die zweite in Untersekunda. c) Wegen der Berechtigungen der Deutschen Oberschule und der Aufbauschulen s. unten III 5. 2. Die sog. kleine Mädchenschulresorm vom Jahre 1923 hatte ihre Veranlassung darin, daß eine Anzahl der vorhandenen Oberlyzeen infolge der ungünstigen wirtschaftlichen Lage und wegen der Ungewißheit über die zukünftige Ge­ staltung der Lehrerinnenbildung, der sie vordem in der Hauptsache dienten, in eine schwierige Lage geraten waren (zu vgl. Erl. vom 10.1.1922, UZBl. 106). Durch Erl. vom 21. 3. 1923 (UZBl. 147) wurden daher Richtlinien für die Um­ gestaltung der Lyzeen und Oberlyzeen er­ lassen. Das Ziel war die Schaffung einer neuen

Schul form, die unter Schonung der in den bis­ herigen Lyzeen und Oberlyzeen vorhandenen Werte den Mädchen eine Bildung vermittelt, die der auf den übrigen h. L. erworbenen ebenbürtig ist. Als diese Schulform wurde das nach Maß­ gabe des Erlasses einzurichtende neunklassige Oberlyzeum bestimmt, dessen Klassen Sexta bis Untersekunda auch als selbständige Nichtvoll­ anstalt bestehen können und dann die Bezeichnung Lyzeum führen. Die wesentlichen Neuerungen bestehen in folgendem: Das Oberlyzeum führt als vollberechtigte h. L. mit dem Abschluß durch die Reifeprüfung zur Universitätsreife, das Ly­ zeum zur Obersekundareife. Im Hinblick auf die vierjährige Grundschulpflicht fällt vom 1. April 1924 ab die siebente Lyzeumsklasse fort. Um den Mädchen, die für einen wissenschaftlichen Beruf nicht geeignet, aber für praktische Fächer begabt sind, Gelegenheit zu geben, ihre Kräfte auszubil­ den, ist es gestattet, in der bisherigen ersten Klasse des Lyzeums, der jetzigen Untersekunda, eine Tei­ lung vorzunehmen. Die hiernach zu bildende Ab­ teilung Ullb kann von dem Unterricht in der zweiten Fremdsprache befreit werden und erhält dafür verstärkten Unterricht in den technischen Fächern. Die Schülerinnen dieser Abteilung er­ halten das Schlußzeugnis des Lyzeums, das aber nicht zur Ausnahme in die Obersekunda be­ rechtigt. Es bedarf hierzu vielmehr der Aufnahme­ prüfung (Erl. vom 23. 5. und 31. 7. 1923, UZBl. 252,306). Diese Abschlußklasse findet ihren natür­ lichen Aufbau in der Frauenschule. Der Lehr­ körper muß derart zusammengesaßt werden, daß die Gleichwertigkeit der Knaben- und Mädchen­ schulen auch in diesem Punkte nicht bezweifelt werden kann. Es gelten daher grundsätzlich hin­ sichtlich der Vorbildung der Lehrkräfte dieselben Bestimmungen für die Mädchen- wie für die Knabenschulen. Jedenfalls ist zunächst der gesamte wissenschaftliche Unterricht von Tertia ab und in der Unterstufe (Sexta bis Quarta) mindestens die Hälfte der wissenschaftlichen Stunden akademisch gebildeten Lehrkräften zu übertragen. Übergangs­ bestimmungen hierzu sind in den Erl. vom 23. 5. 1923 (UZBl. 252), 31. 7. 1923 (UZBl. 306) und 12. 2. 1926 (UZBl. 64) enthalten. Wegen des Verhältnisses zwischen den von männlichen und weiblichen Akademikern zu erteilenden Stunden bleiben die bisherigen Vorschriften (BIV 26 der Vorschriften vom 18. 8. 1908) in Kraft (s. oben BII b). Den bereits bestehenden Lyzeen und Oberlyzealklassen, die den Anforderungen des Erl. vom 21. 3.1923 nicht nachkommen, bleibt es über­ lassen, nach den bisherigen Bestimmungen und mit den bisherigen Berechtigungen weiterzu­ arbeiten. Das neue Oberlyzeum bzw. Lyzeum bildet in seinen drei unteren Klassen den Unterbau sämtlicher h. L. für die weibliche Jugend. Das Oberlyzeum ist eine rein neusprachliche h. L. ohne Lateinunterricht auf der Grundlage zweier neuerer Sprachen (Französisch und Englisch), die in Sexta bzw. Untertertia beginnen. Neben dem der Regelform ist noch ein Oberlyzeum der Oberreal­ schulrichtung vorgesehen, in welchem eine Ver­ mehrung der mathematisch-naturwissenschaftlichen und eine Verringerung der neusprachlichen Stun­ den erfolgt. Die endgültigen Lehrpläne für diese neuen Anstalten wurden zusammen mit denen für die anderen h. L. festgelegt (s. unten III1). In der

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Folgezeit trat das Bestreben, die äußeren Verhält­ nisse der Mädchenschulen denen der Knabenschulen anzugleichen, mehrfach hervor. So fiel seit 1924 die Teilung der Ministerialabteilung für höheres Schulwesen in je eine Unterabteilung für das Knaben- und das Mädchenschulwesen (UII und UIIW) fort, auch wurde bestimmt, daß alle Erl., die sich auf h. L. beziehen, sich stets, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich bestimmt ist, in gleicher Weise auf Knaben- wie aus Mädchen­ schulen beziehen (Erl. vom 17. 3. 1924, UZBl. 106). III. 1. Diesen Vorläufern, denen sich noch Vor­ schriften über eine freiere Gestaltung des Unter­ richts auf der Oberstufe durch Einführung der sog. Bewegungsfreiheit, Zulassung von Grup­ penbildungen und wahlfreien Arbeits­ gemeinschaften anschlossen (Erl. vom 24. 1. 1922, UZBl. 38, auch UZBl. 1922, 28, ferner Erl. vom 14. 2. 1923, UZBl. 116), folgte die eigent­ liche Neuordnung des höheren Schulwesens. Den letzten Anstoß zu ihrer beschleunigten Durch­ führung gaben die nach Beendigung der Inflation notwendigen Sparmaßnahmen (Personalabbau), welche die Unterrichtsverwaltung nötigten, die ihr verbleibenden Staatsmittel möglichst vorteilhaft und so zu verwenden, daß alle lebensstarken Trieb­ kräfte deutscher Bildung sich entfalten konnten. Eingeleitet wurde die Neuordnung durch eine im MfW. ausgearbeitete Denkschrift, betr. „Die Neu­ ordnung des Preuß. höheren Schulwesens" (Weid­ mann, 1924). Auf Grund derselben wurden „Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Sch. Preußens" fertiggestellt, denen das StM. durch Beschluß vom 4. 4. 1925 seine Zustimmung er­ teilte (veröffentlicht durch Erl. vom 6. 4. 1925, UZBl. 116 und Beilage zu Heft 8). Diese Richtlinien sind von Ostern 1925 an für alle höheren Sch. maßgebend. Zu ihrer Ergänzung wurden durch Erl. vom 21. 5. 1926 (UZBl. 219) „Richtlinien für die körperliche Erziehung an den höheren Mädchenschulen Preußens", durch Erl. vom 7. 12. 1926 (UZBl. 408) „Richtlinien für die Lehrpläne in evangelischer Religion" sowie durch zwei Erl. vom 21. 4. 1926 (UZBl. 184) und vom 1. 10. 1926 (UZBl. 349) nach Vorschlägen der Landesverbände jüdischer Gemeinden und nach Vorschlägen des Landesverbandes gesetzestreuer Synagogengemeinden je besondere Richtlinien für den jüdischen Religionsunterricht bekanntgegeben. 2. a) Der erste Grundgedanke der neuen Schul­ reform, die sich im übrigen als Fortbildung der geschichtlich gewordenen Schularten darstellt, ist der Verzicht aus die in der heutigen Kultur­ lage unmöglich gewordene Allgemeinbildung. Unter Bekämpfung der stillosen Buntheit und Überfülle der Bildungsstufe wurde jeder L. eine besondere Bildungsaufgabe gestellt, von der aus, wie im alten humanistischen Gymnasium, die Gesamtarbeit aller Lehrfächer einen organi­ schen Zusammenhang und einen idealen Zielpunkt erhält. Daneben tritt als maßgebender Ge­ sichtspunkt die Einordnung der h. L. in die Einheitsschule und die Wahrung der deutschen Bildungseinheit. Die Fächer, die das deutsche Bildungsgut überliefern, die sog. kulturkundlichen Fächer (s. oben II la), treten nunmehr als „Kernsächer" in den Mittelpunkt aller h. Sch. Hierdurch soll der innere Zusammenhang

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der höheren Sch. mit der VSch. und der höheren Sch. untereinander gewährleistet werden. Die jeder Schulart zugewiesene Sonderausgabe räumt den für sie „charakteristischen Fächern" eine Sonderstellung ein, die ihrer Gesamtarbeit eigen­ tümliche Ziele setzt. b) Eine weitere Grundlage für die Reform bildete die Einführung der 30-Stundenwoche, d. h. die lehrplanmäßigen Fächer der h. L. werden wöchentlich in höchstens 30 Stunden gelehrt. Dazu treten aber noch einige Stunden für Leibes­ übungen (jede Klasse vier Stunden wöchentlich), für Musikpslege, für freie Arbeitsgemeinschaften auf der Oberstufe von Vollanstalten (insgesamt sechs Wochenstunden) und für Nadelarbeit bei den Mädchenanstalten. Beibehalten wurde die Kurz­ stunde von 45 Minuten (vgl. Erl. vom 22.8.1911, UZBl. 528) und die Abschaffung des Nach­ mittagsunterrichts (vgl. Erl. vom 12. 5. 1890, UZBl. 518). Diese Maßnahmen, welche gleich­ zeitig die Möglichkeit eines sechsstündigen Vor­ mittagsunterrichts herbeiführen, sollen die quanti­ tative und qualitative überbürdung der Schüler mindern, für Entspannung und zusammen­ hängende produktive häusliche Arbeit Zeit und Kraft schaffen. Dem gleichen Ziele dient die Ein­ führung der Methode des Arbeitsunterrichts. Dieser fordert von dem L., daß er bei der Stoff­ auswahl niemals die Stoffübermittlung allein als Ziel seiner Arbeit betrachtet, sondern stets prüft, welche Kräfte des Schülers in der Schularbeit entwickelt und gesteigert werden können, ins­ besondere Selbständigkeit des Urteils, Gemüt, Phantasie und Wille. Die Arbeit in der Klasse soll sich zu einer Zusammenarbeit der Schüler in wechselseitigem Geben und Nehmen unter Leitung des L. gestalten. Die Schüler selbst sollen als Glieder einer Arbeitsgemeinschaft angeleitet werden, sich selbständig zu betätigen und so in die Lage versetzt werden, auf der Oberstufe unter eigener Verantwortung selbstgewählte Stoffe in freien Arbeitsgemeinschaften zu bearbeiten. Durch die Einführung des Arbeitsunterrichts soll die Hausarbeit verringert und in den Fällen, in denen sie unentbehrlich erscheint, aus dem Arbeitsunterricht herauswachsen und diesem wieder dienstbar gemacht werden. Im übrigen bleibt, soweit nicht in Ziff. 4 der „Allgemeinen Richtlinien" etwas Abweichendes bestimmt ist, der die Hausarbeiten regelnde Erl. vom 9.3.1921, (UZBl. 155) aufrechterhalten. — Hinsichtlich der schriftlichen Klassenarbeiten war durch den sog. Extemporale-Erlaß vom 21. 10. 1911 (UZBl. 622) das alte Extemporale als Prüfungs­ arbeit beseitigt und eine neue Art Übungs­ arbeiten eingeführt. Diese den Forderungen des Arbeitsunterrichts entsprechende Regelung ist in die Richtlinien (Ziff. 5 der Allgemeinen Richt­ linien) ausgenommen und durch sie ersetzt (Erl. vom 30. 11. 1925, UZBl. 1926, 22). c) Entsprechend der Entwicklung, welche die Pflege der Leibesübungen in der letzten Zeit genommen hat, ist bei der Neuordnung auf diesen Zweig des Unterrichts erhöhtes Gewicht gelegt (dazu Erl. vom 24. 6. 1924, UZBl. 200). Die Leibesübungen sollen nicht nur praktische Gesund­ heitspflege leisten, sondern auch zur Charakterund Persönlichkeitsbildung beitragen. Es stehen für sie in allen Klassen wöchentlich vier Stunden

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zur Verfügung, von denen zwei als Turnstunden und zwei als ein für L. und Schüler verbind­ licher aufgabenfreier Spielnachmittag zu verwenden ist. Daneben bleibt ein monatlicher Wandertag, also unter Berücksichtigung von drei Monaten Ferienzeit neun Wandertage im Schuljahr bestehen (vgl. Erl. vom 29. 3. 1920, UZBl. 297 — erstmalige Einführung von Spiel­ nachmittagen und Wandertagen). Befreiung vom Turnunterricht darf nur auf Grund einer amtsoder schulärztlichen Bescheinigung erfolgen (Erl. vom 12. 5. 1923, UZBl. 233). Wegen der Lage des Turnunterrichts, Turnkleidung und die Er­ teilung des Unterrichts: Erl. vom 9. 5. 1923 (UZBl. 239). Wegen bet Haftpflicht?. Höhere Lehranstalten, Lehrer B V. d) Im engen Zusammenhänge mit den kultur­ kundlichen Fächern stehen die Kunstfächer (Zeichnen, Musik), die nicht mehr als technische Fächer bezeichnet werden sollen. Auch hier steht nicht das Technische der Ausbildung zur Frage, sondern das Kunsterzieherische, die Einbeziehung der Kunst zur Persönlichkeitsbildung. Für den Jnstrumentalunterricht und den Werk­ unterricht (vgl. Erl. vom 9. 4. 1921, UZBl. 197) gelten die durch Abf. 4 des Erl. vom 13. 3. 1924 (UZBl. 103) ursprünglich nur für die Deutsche Oberschule und Ausbauschulen gegebenen Vorschriften nunmehr für alle h. L. Der Musikunterricht ist ebenfalls einer gründlichen Reform unterzogen: Erl. vom 14. 4. 1924 (UZBl. 135) nebst Denkschrift „Musik und Schule" (UZBl. 1924,138); beide auch abgedruckt in dem Heft von Horstmann, Die Reform des Musikunterrichts an den h. L. in Preußen, Berlin 1924. Er ist in Zukunft nicht mehr ausschließlich Gesangunterricht, sondern der Schüler soll in ihm neben den eigentlichen Sing- und Trefsübungen zum Verständnis vokaler und instrumentaler Werke angeleitet werden. Die Kinder sollen zur Freude, zum Verständnis und zum Erleben der Musik erzogen werden. e) Eine weitere wichtige Neuerung der Reform ist, daß die amtlichen Lehrpläne nicht mehr ein starres System bilden, nach welchem jede Sch. zu unterrichten hat, sondern, daß sie nur Richt­ linien für Anstaltslehrpläne sind, zu deren Auf­ stellung jede einzelne Anstalt genötigt ist. Hier­ durch, sowie durch die Forderung, daß der ge­ samte Unterricht einheitlich unter Hinblick auf die den einzelnen Schulformen gestellten besonderen Bildungsaufgaben gestaltet werden muß, ergibt sich die Notwendigkeit von Arbeitsgemein­ schaften der Lehrer (Zisf. 7 der Allgemeinen Richtlinien). Ein gemeinsamer, und zwar la­ teinloser Unterbau ist nur für die Mädchen­ schulen vorhanden (s. unten 4 b). Für die Knaben­ anstalten hat sich dies nicht ermöglichen lassen, vielmehr ist ein doppelter Unterbau beibehalten, ein lateinischer für Gymnasium und Realgym­ nasium, ein neusprachlicher für Reformgymna­ sium, Reformrealgymnasium, Oberrealschule und Deutsche Oberschule. 3. Die besonderen Bildungsaufgaben, welche den einzelnen Schulformen zufallen, sind folgende: a) Das Gymnasium erzieht nach wie vor als humanistische Sch. zur harmonischen Bil­ dung vorzugsweise an dem Erleben der Antike.

Doch soll eine mehr kulturkundliche Einstellung an Stelle der bisherigen mehr auf grammatische Spracherlernung gerichteten treten. Dies hat zur Folge, daß die deutsch-lateinische Übersetzung als Zielleistung für die Reifeprüfung (s. h. L. Schü­ ler 3) fallen gelassen wurde. Dort wo das Gym­ nasium an einem Schulorte die einzige Anstalt ist, muß für die Erlangung der mittleren Reife auch weiterhin englischer Ersatzunterricht für das Griechische in Untertertia bis Unter­ sekunda eingerichtet werden, auch an anderen An­ stalten ist ein derartiger Ersatzunterricht zu­ lässig. Nach dem Erl. vom 21. 5. 1926 (UZBl. 234) bedarf die Einrichtung stets ministerieller Genehmigung. Den gleichen Charakter wie das Gymnasium hat die „Gymnasiale Studienan­ stalt" für Mädchen. b) Das Realgymnasium und entsprechend die „Realgymnasiale Studienanstalt" für Mäd­ chen stellte bisher ohne eigentliches Bildungs­ ideal einen Kompromiß zwischen den verschiede­ nen Bildungstendenzen dar, die die anderen Schularten gestaltet haben. Es erhielt bei der Neuordnung den Charakter als neusprachliches Gymnasium mit der Sonderausgabe, die Aus­ einandersetzung der deutschen Kultur mit der französischen und englischen Kultur in den Mittel­ punkt der Bildungsarbeit zu setzen. Das La­ teinische erhält bei dem Realgymnasium nur eine Nandstellung. c) Neben dem Gymnasium und Realgym­ nasium ist die Beibehaltung der Resormanstalten dieser Schultypen in den Richtlinien noch vorgesehen, wenngleich nach der Denk­ schrift die Reformgymnasien nur in besonderen Fällen weiterbestehen, die übrigen in Gym­ nasien der Regelform umgewandelt werden sollen. Das Resormrealgymnasium tritt in zwei Formen auf. In der sog. Regel form des Reform­ realgymnasiums beginnt das Latein in der Unter­ sekunda, daneben ist eine weitere Form zugelassen, in welcher das Latein schon in Unter­ tertia beginnt (Erl. vom 31. 3. 1925, UZBl. 113). d) Neben dem altsprachlichen Gymnasium und dem neusprachlichen Realgymnasium erhielt die dritte bestehende Schul form, die Oberreal­ schule, ihr besonderes Bildungsziel in der Pflege der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, die aber die kulturelle und philosophische Leistung der Mathematik und Naturwissenschaften für die Entstehung des modernen Geistes und für unsere Gegenwartskultur gegenüber rein fachlicher An­ stellung stärker als bisher betonen müssen. Die an der deutschen Realschule gelehrten beiden neu­ eren Fremdsprachen haben etwas zurücktreten müssen, da deren Pflege in erster Linie dem Realgymnasium obliegt. e) Die Deutsche Oberschule und die Aus­ bauschulen, die bereits nach den Ideen der Schulreform gestaltet waren, sind in allen we­ sentlichen Punkten unverändert geblieben. Eben­ so sind in der Reform keine besondere Bestim­ mungen für die Nichtvollanstalten getroffen. Sie behalten einstweilen ihren Charakter als Vorbereitungsanstalten für die Vollanstalten. Doch stellt die Denkschrift in Aussicht, daß im Zusammenhang mit der noch nicht entschiedenen Gesamtfrage der sog. mittleren Reife eine

Höhere Lehranstalten Entscheidung auch darüber getroffen werden soll, ob diese Anstalten ein besonders Gepräge zu geben ist. In bezug auf das Mädchenschul­ wesen gilt, das für die höheren Knabenschulen Gesagte für die entsprechenden höheren Mädchen­ anstalten. Das im Jahre 1923 neu geschaffene Oberlyzeum blieb als rein neusprachliche h. L- im wesentlichen unverändert bestehen. 4. Aus Grund der Neuordnung sind für fol­ gende Arten der h. L. Stundentafeln in Kraft gesetzt (Erl. vom 31. 10. 1924, UZBl. 285; ferner Erl. vom 14. 3. 1925, UZBl. 99, und vom 31. 3. 1925, UZBl. 113): a) Grundständige h. L. für die männ­ liche Jugend: a) Anstalten mit Lateinisch als grund­ ständiger Fremdsprache, aa) Gymnasium(mit altsprachlichem Bildungsziel), als Nichtvollanstalt: Progymnasium. Fächer: Latein (ab Sexta) und Griechisch (ab Untertertia), ferner (ab Quarta) eine neuere Fremdsprache (Französisch oder Englisch; zu vgl. Erl. vom 10. 2. 1923, UZBl. 88), die kulturkundlichen Fächer (s. oben II la). Mathe­ matik, Naturwissenschaften, Zeichnen, Musik und Turnen. Der Unterbau ist gleich dem des Real­ gymnasiums. bb) Resormgymnasium; mit den gleichen Zielen und Fächern wie das Gymnasium. Doch beginnt Latein erst in Untertertia, Griechisch in Unter­ sekunda, die neue Fremdsprache dafür in Sexta, der Unterbau ist gleich dem des Reformreal­ gymnasiums, der Oberrealschule und der deutschen Oberschule. co) Realgymnasium (sog. neusprachliches Gym­ nasium), als Nichtvollanstalt: Realprogymnasium. Fächer: Französisch und Englisch, die eine ab Quarta, die andere ab Untertertia, ferner Latein (ab Sexta), die kulturkundlichen Fächer (s. oben) Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen, Sin­ gen und Turnen. Der Unterbau ist gleich dem des Gymnasiums. ß) Anstalten mit einer neueren Fremd­ sprache als grundständiger Sprache, aa) Re­ formrealgymnasium der Regelform, als Nicht­ vollanstalt: Resormrealprogymnasium. Fächer die gleichen wie bei dem Realgymnasium, doch beginnt Latein erst in Untersekunda, die erste neuere Fremdsprache in Sexta, die zweite in Untertertia. Der Unterbau ist dem des Reform­ gymnasiums und der Deutschen Oberschule und der Aufbau bis Obertertia dem der Oberreal­ schule gleich. bb) Reformrealgymnasium mit Latein von Un­ tertertia ab, Fächer und Unterbau wie das vorige, nur beginnt Latein in Untertertia, die zweite Fremdsprache (Englisch) in Untersekunda. cc) Oberrealschule (mit mathematisch-natur­ wissenschaftlichem Bildungsziel), als Nichtvoll­ anstalt: Realschule. Fächer: Mathematik und Naturwissenschaften (ab Sexta), ferner zwei neuere Fremdsprachen, die eine ab Sexta, die andere ab Untertertia, die kulturkundlichen Fächer, Zeichnen, Musik, Turnen. Der Aufbau ist bis Obertertia dem des Reformrealgymnasi­ ums der Regelform, der Unterbau dem des Re­ formgymnasiums und der Deutschen Oberschule gleich. dd) Deutsche Oberschule (sog. deutsches Gym­ nasium), als Nichtvollanstalt ebenfalls „Deutsche

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Oberschule". Fächer: Die kulturkundlichen Fä­ cher, ferner zwei Fremdsprachen (evtl, eine davon Lateinisch), eine ab Sexta, eine ab Untersekunda, Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen, Mu­ sik, Turnen. Unterbau ist gleich dem des Reform­ realgymnasiums und der Oberrealschule. b) Grundständige h. L. für die weib­ liche Jugend, aa) Oberlyzeum, als Nichtvollan­ stalt: Lyzeum. Fächer: Zwei neuere Fremd­ sprachen, eine ab Sexta, eine ab Untertertia, ferner: die kulturkundlichen Fächer, Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen, Musik, Turnen und Nadelarbeit (bis Untertertia). Für das be­ sondere Bildungsbedürfnis der Frauen ist bei dem Lyzeum durch Einrichtung einer Klasse UII b (s. oben II 2), ferner der Frauenschule (einjährig oder zweijährig; s. oben B II c), Rechnung ge­ tragen. Die Unterstufe des Lyzeums ist gleich der der Gymnasialen und Realgymnasialen Studienanstalt. bb) Oberlyzeum der Oberrealschulrichtung. Fä­ cher: wie bei dem Oberlyzeum der Regelsorm, nur ist auf der Oberstufe der Unterricht in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ver­ mehrt und der fremdsprachliche entsprechend ver­ mindert. cc) Deutsche Oberschule für Mädchen. Fächer: wie bei den Deutschen Oberschulen für Knaben. Unterbau wie beim Lyzeum. dd) Nealgymnasiale Studienanstalt. Fächer: wie beim Reformrealgymnasium der Regel form für die männliche Jugend, doch beginnt Latein in Untertertia, die zweite neuere Fremdsprache in Untersekunda. Unterbau: wie beim Lyzeum. co) Gymnasiale Studienanstalt. Fächer; wie beim Resormgymnasium. Unterbau; wie beim Lyzeum. c) Schulen in Ausbauform (Klassen: Unter­ tertia bis Oberprima), aa) Mit dem Ziele der Deutschen Oberschule. Fächer: Die deutschkundlichen Fächer, ferner zwei Fremdsprachen (eine evtl. Lateinisch), die eine ab Untertertia, die andere ab Untersekunda, Mathematik, Natur­ wissenschaften, Zeichnen, Musik und Turnen. bb) Mit dem Ziele der Oberrealschule. Fächer; wie zu 1, nur sind die mathematisch-natur­ wissenschaftlichen Stunden vermehrt und die kulturkundlichen entsprechend verringert. 5. Berechtigungen der h. L. (Erl. vom 6. 10. 1926, UZBl. 370). a) Auf Grund des Reifezeugnis einer Bollanstalt (Gymnasium, Realgymnasium, Re­ formrealgymnasium, Oberrealschule, Deutsche Oberschule, Ausbauschule, Oberlyzeum und Stu­ dienanstalt). aa) Studium der Rechts- und der Staatswissenschaften. Zulassung zu den juristi­ schen Prüfungen und zur Prüfung für den höhe­ ren Verwaltungsdienst. An den Universitäten sind Kurse zur sprachlichen Einführung in die Quellen des römischen Rechts und ferner An­ fängerkurse im Griechischen und Lateinischen ein­ gerichtet. Der Besuch ist freigestellt. Abiturienten lateinloser Sch. sind zu den Kursen zur sprach­ lichen Einführung in die Quellen des römischen Rechts nur dann zuzulassen, wenn sie sich bei den Leitern der Kurse darüber auszuweisen ver­ mögen, daß sie sich lateinische Sprachkenntnisse in dem ungefähren Umfange angeeignet haben, welcher der Reife für die Prima eines Real-

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Höhere Lehranstalten

gymnasiums entspricht (Erl. vom 19. 8. 1903, UZBl. 462). Zulassung zur Diplomprüfung für Volkswirte. bb) Studium der Medizin. Zulassung zu den ärztlichen Prüfungen. Bei der Zulassung zur ärztlichen Vorprüfung haben Abiturienten latein­ loser Schulen nachzuweisen, daß sie im Lateinischen die Kenntnisse erworben haben, die für die Ver­ setzung in die Obersekunda eines deutschen Real­ gymnasiums gefordert werden. Als Nachweis hierfür dient entweder ein mindestens genügendes Urteil im Lateinischen im Reifezeugnis einer Sch. mit wahlfreiem Laieinunterricht oder ein auf Grund einer Prüfung ausgestelltes Zeug­ nis des Leiters eines deutschen Gymnasiums oder Realgymnasiums. cc) Studium der Zahnheilkunde. Zulassung zu den zahnärztlichen Prüfungen. Uber die von Abiturienten lateinloser Sch. bei der Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung nachzuweisenden Kenntnisse im Lateinischen gilt das unter bb Ge­ sagte. dd) Studium zu den philosophischen Fächern. Zulassung zur Prüfung für das Lehramt an höheren Sch. Kandidaten, die eine Lehrbefähi­ gung in der Religion, im Deutschen, in den neueren Sprachen oder in der Geschichte als Hauptfächer erwerben wollen und die in ihrem Reifezeugnis kein Prädikat im Lateinischen, im Griechischen bzw. im Englischen ausweisen, haben sich die für ein erfolgreiches Studium dieser Fächer in der Ordnung der Prüfung für das höhere Lehramt geforderten sprachlichen Vor­ kenntnisse schon mit dem Beginn des Fach­ studiums anzuzeigen (§ 5 Ziff. 2 Abs. 2 der Ordnung der Prüfung für das Lehramt an höhe­ ren Sch. vom 28. 7. 1917). Der Nachweis der lateinischen und griechischen Kenntnisse soll durch eine spätestens im vierten Studienhalbjahr ab­ zulegende Sonderprüfung nach dem Erl. vom 17. 8. 1917 (UZBl. 664) und vom 2. 2. 1907 (UZBl. 288) erbracht werden. ee) Aufnahme in eine staatliche Pädagogische Akademie zur Ausbildung als Volksschullehrer. ff) Befähigung zum wissenschaftlichen Biblio­ theksdienst bei der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin und den preußischen Universitäts­ bibliotheken. Abiturienten eines Realgymnasiums haben sich vor der Zulassung zum Volontärdienst über griechische Kenntnisse im Umfange der Reise für die Obersekunda eines Gymnasiums auszu­ weisen, Abiturienten einer lateinlosen Sch. außer­ dem über lateinische nach den Ansprüchen des Reifezeugnisses eines Realgymnasiums. 88) Zulassung zum wissenschaftlichen Archivdienst bei den preußischen Staatsarchiven. Für Abi­ turienten realistischer Lehranstalten sind dieselben Sprachkenntnisse erforderlich wie für Kandidaten des höheren Lehramts, die eine Lehrbefähigung in Geschichte als Hauptfach erwerben wollen. Näheres angeführt unter dd. hh) Studium zur Vorbereitung auf die Prü­ fungen für Nahrungsmittelchemiker. ii) Zulassung zur Apothekerlaufbahn. Über die von Abiturienten lateinloser Anstalten schon bei der Zulassung zur Laufbahn nachzuweisenden Kenntnisse im Lateinischen gilt das unter bb Ge­ sagte.

kk) Studium der Landwirtschaft. Zulassung zur landwirtschaftlichen Diplomprüfung. Auf Grund ihres Bestehens kann der Bewerber nach Erfüllung der sonstigen Bedingungen u. a. zur Pflanzenzüchter- und Tierzuchtbeamtenprüfung, zur Kulturamtsvorsteherlausbahn und zum Lehr­ amt der Landwirtschaft zugelassen werden. 11) Studium der Geodäsie. Zulassung zur Land­ messerprüfung. mm) Studium an den Technischen Hochschulen und der Bergakademie Clausthal. Zulassung zu den Diplomprüfungen, zur ersten Staatsprüfung für die Reichseisenbahnverwaltung, für die Wasser­ bauverwaltung im Reiche und in Preußen, für die Reichspost- und Telegraphenverwaltung, für die Laufbahn der höheren Marinebaubeamten, für den höheren technischen Staatsdienst im Bergfach, zur Ausbildung als Markscheider und zur ersten Staatsprüfung für die Preußische Hochbauverwaltung. nn) Studium an den forstlichen Hochschulen. Zulassung zur Laufbahn für den staatlichen Forstverwaltungsdienst. Das Zeugnis muß ein unbedingt genügendes Urteil im Deutschen, in den Naturwissenschaften und in der Mathematik enthalten. Zulassung zur forstlichen Diplom­ prüfung nach mindestens sechssemestrigem Stu­ dium. 00) Studium der Tierheilkunde. Zulassung zu den tierärztlichen Prüfungen. Zulassung zur Laufbahn des Veterinäroffiziers im Reichsheer. Uber die von Abiturienten lateinloser Anstalten bei der Zulassung zur tierärztlichen Vorprüfung beizubringenden Nachweise oder Kenntnisse im Lateinischen gilt das unter bb Gesagte. Andere Nachweise dürfen nur ausnahmsweise als ge­ nügend erachtet werden. pp) Zulassung als Anwärter für den höheren Dienst der Deutschen Reichspost nach vollendetem Studium der Rechtswissenschaften (aa) oder an den Technischen Hochschulen (mm). qq) Übernahme in den höheren Dienst der Deutschen Reichsbahngesellschaft. rr) Eintritt in die Laufbahn des Offiziers im Reichsheer unter Erlaß von zwei Ausbildungs­ jahren und der damit verbundenen beiden Prü­ fungen. 8g) Eintritt in die Laufbahn des Seeoffiziers und des Jngenieurofsiziers der Marine unter Gewährung der unter rr aufgeführten Vergün­ stigungen. Den Schülern humanistischer Anstal­ ten wird die Pflege der neueren Sprachen be­ sonders empfohlen. Die Abhaltung einer kurzen Prüfung im Englischen und Französischen vor der Einstellung der Anwärter bleibt Vorbehalten. Großer Wert wird für die Anwärter der beiden Ofsizierslaufbahnen auf unbedingt genügende Leistungen in Mathematik gelegt. tt) Eintritt in die Offizierslaufbahn bei ber preußischen Polizei mit Aussicht auf beschleunigte Beförderung zum Polizeioffizier. uu) Zulassung als Kriminalkommissar-Anwärter (aus freien Berufen). w) Studium an den staatlichen Kunsthoch­ schulen (einschließlich der Staatlichen Kunstschule — Akademische Ausbildungsanstalt für das künst­ liche Lehramt — in Berlin, der Staatlichen Akade­ mischen Hochschule für Musik und der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Char-

Höhere Lehranstalten IOttenburg) sowie an der Hochschule für Musik in Köln zur Vorbereitung aus die Prüfung für das künstlerische Lehramt an höheren Sch. ww) Studium an den Handelshochschulen. Zu­ lassung zur kaufmännischen Diplomprüfung und zur Diplomprüfung für das Handelslehramt. xx) Zulassung zu den staatlichen Lehrgängen zur Ausbildung von Studierenden zu Turn- und Sportlehrern an der Preußischen Hochschule für Leibesübungen zu Spandau und an den preu­ ßischen Universitäten. Zulassung zur staatlichen Turn- und Sportlehrerprüfung. Außerdem: a) auf Grund des Reifezeugnisses eines Gymnasiums: Studium der katholischen Theo­ logie. Zulassung zu den theologischen Prüfungen.' Abiturienten eines Realgymnasiums oder einer Sch. ohne Lateinisch haben ihr Zeugnis durch Ablegung einer Prüfung im Lateinischen und Griechischen nach den Bestimmungen vom 22. 11. 1902 (UZBl. 1903, 195) zu Beginn des Studiums zum Reifezeugnis eines Gymnasiums zu ergänzen. Enthält das Schulzeugnis nicht den Nachweis ausreichender hebräischer Kenntnisse, so hat sich der Studierende auch hierin zu Beginn des Studiums einer Prüfung zu unterziehen. ß) auf Grund des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder Realgymnasiums: Stu­ dium der evangelischen Theologie. Zulassung zu den theologischen Prüfungen. Realgymnasiasten mit „genügend" lautendem Urteil im Lateinischen können die erforderlichen Kenntnisse im Griechi­ schen durch eine besondere Prüfung nach dem Erl. vom 2. 2. 1917 (UZBl. 288) nachweisen. Dasselbe gilt für Abiturienten lateinloser Sch., die ihr Zeugnis durch eine Prüfung im Lateini­ schen nach den Bestimmungen vom 22. 11. 1902 (UZBl.1903,195) zu einem Realgymnasialzeugnis ergänzt haben. Alle anderen mit realistischer Vor­ bildung haben diese nach den Bestimmungen vom 22. 11. 1902 zur Gymnasialreife zu erweitern. Zwischen dem Bestehen der erforderlichen Nach­ prüfungen und der Meldung zur ersten theologi­ schen Prüfung soll ein angemessenert Zeitraum (vier bis fünf Halbjahre) liegen. Hat der Studierende auch im Hebräischen eine Nach­ prüfung abzulegen, soll er danach das Studium mindestens noch sechs (in den alten preußischen Provinzen fünf) Halbjahre fortsetzen. b) Aus Grund des Zeugnisses über den einjährigen erfolgreichen Besuch der Pri­ ma einer Vollanstalt. Zulassung zum Supernumerariat bei der Reichssinanzverwaltung (Ver­ waltung der Zölle und Verbrauchsabgaben) und bei der Reichsbahn. c) Auf Grund des Zeugnisses der Reise für die Prima einer Vollanstalt, aa. Imma­ trikulation an den Handelshochschulen und bei den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakul­ täten der Frankfurter und Kölner Universität, wenn zwei Jahre kaufmännischer Tätigkeit nach­ gewiesen werden. Uber die Zulassung zu den Prüfungen s. unter d, bb. bb) Zulassung zum Supernumerariat bei den Reichsmittelbehörden, bei den Provinzialbehör­ den (mit Ausnahme der Reichsbahn), bei der Ju­ stizverwaltung und bei der Reichsfinanzverwal ­ tung (Verwaltung der Besitz- und Verkehrs­ steuern).

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cc) Zulassung zum Supernumerariat bei der Deutschen Reichspost für den gehobenen mitt­ leren nichttechnischen Dienst. dd) Eintritt in die Heeresbeamtenlaufbahn (Ein­ heitslausbahn) und in die Laufbahn der Ober­ sekretäre bei den Heeresanwaltschaften. ee) Ausbildung für die Anwärter der Marine­ beamtenlausbahnen des gehobenen mittleren Verwaltungsdienstes und des Wasfenwesens. Außerdem werden gefordert genügende Kennt­ nisse in zwei fremden neueren Sprachen, dar­ unter Englisch, sowie von den Anwärtern für die Laufbahn der Oberwerftsekretäre noch der Nach­ weis einer erfolgreich verlaufenen dreijährigen kaufmännischen Lehrzeit, die in Fabriken oder Großhandlungen des technischen Fachs abge­ leistet sein muß. ff) Aufnahme in den Dienst der Reichsbank. Bewerber mit Hochschulreife werden bei der Ein­ berufung und der ersten planmäßigen Anstellung bevorzugt. gg) Eintritt in die Laufbahn der Offiziere der Reichswehr (s. auch Gruppe a, rr.) hh) Eintritt in die Laufbahn der Seeoffiziere, der Jngenieuroffiziere der Marine und der Ma­ rinezahlmeister (s. auch Gruppe a, ss). Desgleichen können Bewerber, die das Zeug­ nis der Primareife einer neunklassigen h. L. besitzen, in besonders begründeten Ausnahme­ fällen zu den Offizierslaufbahnen zugelassen werden unter Erlaß von einem Ausbildungsjahr und einer Prüfung. d) Auf Grund des Zeugnisses der Reife für die Obersekunda einer Vollanstalt oder des Zeugnisses über die Schlußprüfung an einer sechsstufigen höheren Sch. sowie des Schulzeugnisses eines Lyze­ ums, soweit das Zeugnis entsprechend dem Ministerialerlasse vom 31. 7. 1923 (UZBl. 306)zum Eintritt indiejObersekunda berechtigt, aa. Immatrikulation auf vier Se­ mester an den Universitäten zum Studium in der Philosophischen Fakultät, jedoch nur mit besonde­ rer Erlaubnis der Jmmatrikulationskommission. (Wegen des Studiums der Landwirtschaft an den mit landwirtschaftlichen Instituten ausgestatteten Universitäten s. unten dd.) bb) Immatrikulation bei den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Frank­ furter und Kölner Universität und den Handels­ hochschulen, wenn drei Jahre kaufmännischer Tä­ tigkeit nachgewiesen werden, worauf aber die zur Erwerbung des Schlußzeugnisses einer höheren Handelsschule, einer Haushaltungsschule, Frauen­ fachschule oder Frauenschule verwendete Zeit an­ gerechnet werden kann. Zulassung zur Prüfung für praktische Kaufleute. Ist diese Prüfung mit „gut" bestanden oder ist das Schlußzeugnis einer einjährigen höheren Handelsschule mit „gut" oder einer zweijährigen höheren Handelsschule erlangt worden, kann nach Ablegung einer Ersatzreife­ prüfung auch die Zulassung zur kaufmännischen Diplomprüfung erfolgen. Die Zulassung zur Diplomprüfung für das Handelslehramt erfordert ein weiteres Jahr kaufmännischer Tätigkeit. cc) Zulassung als Hörer an denTechnischenHochschulen und den Bergakademien. dd) Immatrikulation an den Landwirtschaft­ lichen Hochschulen in Berlin und Bonn. Zulassung

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zur Prüfung für praktische Landwirte. Ist diese mit „gut" bestanden oder sind gewisse anerkannte landwirtschaftliche Fachschulen absolviert wor­ den, kann nach Ablegung einer Ersatzreifeprüsung auch die Zulassung zur Diplomprüfung erfolgen. Dies gilt auch für die mit landwirtschaftlichen In­ stituten ausgestatteten Universitäten Königsberg, Breslau, Halle, Kiel und Göttingen. ee) Aufnahme in die Lehr- und Forschungsan­ stalt für Gartenbau zu Berlin-Dahlem. Für die Aufnahme wird außerdem der Nachweis einer vierjährigen gärtnerischen Praxis verlangt. Zu­ lassung zurÄbgangsprüfung, mit deren Bestehen die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung „Staatlich geprüfter Gartenbautechniker" ver­ bunden ist, und nach weiteren drei Jahren Praxis Zulassung zur Fachprüfung, deren erfolgreiche Ablegung zur Führung der Bezeichnung „Staat­ lich diplomierter Gartenbauinspektor" berechtigt. ff) Zulassung zur Diplomprüfung für den mitt­ leren Biblotheksdienst an wissenschaftlichen Biblio­ theken und für den Dienst an Volksbibliotheken. gg) Zulassung als Bausupernumerar und tech­ nischer Bureaubeamter der Preußischen Staats­ hochbauverwaltung. hh) Zulassung zur preußischen Staatsförsterlauf­ bahn. Auch befähigte Bolksschüler können zu­ gelassen werden, wenn sie eine besondere Auf­ nahmeprüfung auf der Grundlage der Anforde­ rungen für die Äbgangsprüfung an einer aner­ kannten Mittelschule — jedoch ohne fremde Sprache — ablegen (8 6 der Försterausbildungs­ bestimmungen vom 1. 4. 1925). ii) Zulassung zum Zivilsupernumerariat bei de^ Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung sowie 6el der staatlichen Polizeiverwaltung. (Bei letzterer soll in Zukunft die Primareife verlangt werden.) Bewerber mit der Reife für Prima einer neun­ stufigen h. L. oder einer noch höheren Schulbil­ dung werden vorzugsweise berücksichtigt. kk) Aufnahme in die höheren Maschinenbau­ schulen, in die höheren Textilfachschulen und höhe­ ren Handelsschulen. Für höhere Maschinenbau­ schulen ist eine zweijährige praktische Tätigkeit erforderlich, für höhere Textilfachschulen er­ wünscht. U) Zulassung zum Supernumerariat bei der Deutschen Reichspost für den gehobenen mittleren bau-, telegraphen- oder maschinentechnischen Dienst. Außerdem wird gefordert: e a) für den bautechnischen Dienst die Erlernung eines Bauhandwerks, das Reifezeugnis einer staatlichen oder staatlich anerkannten Bauge­ werksschule und eine zweijährige praktische Be­ schäftigung bei Hochbauten; ß) für den telegraphenund den maschinentechnischen Dienst eine minde­ stens zweijährige praktische Tätigkeit in der ein­ schlägigen Industrie sowie das Reifezeugnis einer staatlichen oder staatlich anerkannten höheren Ma­ schinenbauschule. mm) Zulassung zum Supernumerariat bei der Reichsbauverwaltung und den höheren Reichs­ behörden im Bereiche der Reichswasserstraßen­ verwaltung. In Betracht kommt für letztere nur das Reichskanalamt in Kiel. Doch ist die Vor­ merkung von Bewerbern daselbst bis auf weiteres gesperrt.

nn) Ausbildung für die Anwärter der Marine­ ingenieurlaufbahnen (Beamtenlaufbahnen aus­ schließlich der für das Waffenwesen; s. auch Gruppe c,ee). Außerdem wird gefordert der Nach­ weis einer mindestens zweijährigen praktischen Tätigkeit in den Werkstätten der Marinewerft oder anerkannter Privatwerke sowie das Reife­ zeugnis einer staatlichen oder staatlich anerkann­ ten höheren technischen Lehranstalt. oo) Eintritt in den gehobenen mittleren Dienst der Heeres- und Marinebauverwaltung. e) Auf Grund des Schlußzeugnisses eines Lyzeums, aa. Aufnahme in eine Lehre­ rinnenbildungsanstalt zur Ausbildung von Lehre­ rinnen der landwirtschaftlichen Haushaltungs­ kunde. Nachzuweisen ist dabei u. a. ein Alter von mindestens 19 und höchstens 30 Jahren (durch die Geburtsurkunde), ferner eine fachliche Vorberei­ tung (durch Zeugnisse über die Ableistung einer zweijährigen praktischen Lehrzeit in ländlich-hauswirtschastlichen Betrieben nach den geltenden Richtlinien und, soweit solche Prüfungen eingerich­ tet sind, auch über die Ablegung einer Prüfung für ländlich-hauswirtschastliche Lehrgänge vor einem Prüfungsausschüsse der Landwirtschafts­ kammer). bb) Zulassung zu einem Hauswirtschastslehrerinnenseminar, falls in einer Aufnahmeprüfung die erforderlichen praktischen Fertigkeiten nach­ gewiesen werden. cc) Zulassung zu einem Handarbeitslehrerinnen­ seminar, falls in einer Aufnahmeprüfung die erforderlichen praktischen Fertigkeiten nachgewie­ sen werden. dd) Zulassung zu einem Turnlehrerinnense­ minar. ee) Zulassung zur Ausbildung als Turn- und Sportlehrerin aus der Preußischen Hochschule für Leibesübungen in Spandau. ff) Zulassung zur Prüfung als Turnlehrerin bzw. Turn- und Sportlehrerin. gg) Zulassung zur Prüfung als Bibliotheks­ sekretärin. Die Zulassung erfolgt nur ausnahms­ weise, und zwar wenn der Nachweis erbracht wird, daß sich die Bewerberin noch mindestens ein Jahr in den wichtigeren Schulfächern fortgebildet hat, z. B. durch den Besuch eines Oberlyzeums (Frauenschule). hh) Zulassung zu einem Gewerbeschullchrerinnenseminar, falls in einer Aufnahmeprüfung die erforderlichen praktischen Fertigkeiten nach­ gewiesen werden. ii) Zulassung zur Lehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau in Berlin-Dahlem. Für die Aus­ nahme wird außerdem der Nachweis einer vier­ jährigen gärtnerischen Praxis verlangt. Zulassung zur Äbgangsprüfung, mit deren Bestehen die Be­ rechtigung zur Führung der Bezeichnung „Staat­ lich geprüfter Gartenbautechniker" verbunden ist, und nach weiteren drei Jahren Praxis Zulassung zur Fachprüfung, deren erfolgreiche Ablegung zur Führung der Bezeichnung „Staatlich diplo­ mierter Gartenbauinspektor" berechtigt. f) Auf Grund des Schlußzeugnisses einer Frauenschule, aa) Eintritt in die Lehr­ gänge zur Ausbildung von Gewerbelehrerinnen, von technischen Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen. Die sonst geforderte technische Vorprüfung fällt für diese Anwärterinnen fort.

Höhere Lehranstalten, Lehrer

bb) Zulassung zu der Mittelstufe eines staatlich anerkannten selbständigen Kindergärtnerinnenund Hortnerinnenseminars mit 1Vz jährigem Lehrgang und zur Ausbildung als Jugend­ leiterin. g) Im Einvernehmen mit den Unterrichtsverwal­ tungen der Länder, sowie auf Grund von Richt­ linien des RMdJ. erhalten die Schüler der öffent­ lichen h. L. für die männliche Jugend, grund­ ständigen und Aufbaucharakters, nach erfolgrei­ chem Besuche der Untersekunda das Zeugnis der sog. mittleren Reife durch den auf das Schlußbzw. Versetzungszeugnis zu setzenden Vermerk: „Dieses Zeugnis schließt das Zeugnis der mitt­ leren Reife ein." An den Berechtigungen der Zeugnisse wird hierdurch nichts geändert (Erl. Dom 22. 3. 1927, UZBl. 115). h) Die Anerkennung der Reifezeugnisse der preußischen h. L. durch die übrigen Länder ist erfolgt durch Vereinbarungen der Länder über die gegenseitige Anerkennung der Reifezeugnisse der höheren Sch. und der Aufbauschulen vom 19. 12. 1922, beide veröffentlicht durch Erl. vom 16. 2. 1923 (UZBl. 136), ergänzt durch Erl. vom 10. 5. 1926 (UZBl. 212), sowie durch die Verein­ barung der Länder über die Deutsche Oberschule, veröffentlicht durch Erl. vom 1. 7. 1925 (UZBl. 229). Die bayerische Regierung hat sich den Über­ einkommen über die Aufbauschule und die Deut­ sche Oberschule nicht angeschlossen. Die badische Reg. hat, ohne die Zeugnisse der Deutschen Ober­ schule allgemein für die Zulassung zu staatlichen Prüfungen anzuerkennen, ihre Zustimmung zu der Vereinbarung bezüglich dieser Schulart mit der Maßgabe erklärt, für die Zeit bis einschließlich Ostern 1931 versuchsweise die Reifezeugnisse der Deutschen Oberschulen mit zwei Fremdsprachen als ausreichend für die Zulassung zum Studium und zu den akademischen Prüfungen an den badi­ schen Hochschulen anzuerkennen. Nach den Ver­ einbarungen geben Reifezeugnisse von solchen deutschen Reichsangehörigen, die auf einer An­ stalt außerhalb des Landes, auf das sie nach ihrer Staatsangehörigkeit pbet durch den elterlichen Wohnsitz angewiesen sind, als Extranaer (Schul­ fremde) die Prüfung ablegen, oder die auf einer solchen Anstalt als Schüler erst später als mit dem Beginn des drittletzten Jahrganges (Ober­ sekunda) eingetreten sind, nur dann in andern Ländern die sonst gewährten Berechtigungen, wenn von der Unterrichtsverwaltung des Landes, dem der Prüfling angehört, die Erlaubnis zur Ab­ legung der Prüfung an jener Anstalt erteilt worden ist. Ma.

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I. Anstellung, II. Amtsbezeichnung, III. Dienst­ obliegenheiten, IV. Diszipl inarv erh ältnisj e, V. Haftpflicht. C. Besoldungs-, Pensions- usw. Ver­ hältnisse. I. Diensteinkommen, II. Pensionierung, III. Fürsorge für Witwen und Waisen. D. Schrift­ tum. A. I. An den h. L. sind akademisch und nicht akademisch gebildete L. und Lin. tätig. Akade­ misch gebildete Lehrkräfte sind diejenigen, welche durch die Ablegung der Prüfung für das Lehr­ amt oder für das künstlerische Lehramt an höhe­ ren Sch. die Fähigkeit zum Lehramt an höheren Sch. erworben haben (§ 1 Anwärterordnung vom 24. 3. 1924, UZBl. 152, Erl. vom 11. 12. 1924, Ziff. 5 Satz 2; UZBl. 1925, 7). Die Prü­ fung für das Lehramt an höheren Sch. zerfällt in zwei Abschnitte: Die wissenschaftliche und päd­ agogische Prüfung. Zwischen beiden liegt eine zweijährige praktische Vorbereitungszeit. II. 1. Für die wissenschaftliche Prüfung gilt die Prüfungsordnung vom 28. 7. 1917 (UZBl. 613) nebst zahlreichen dazu ergangenen Erlassen. Wegen der am 1. 1. 1926 geltenden Fassung vgl. Güldner, Die wissenschaftliche Prü­ fung der Philologen, 2. Aufl. 1926, ferner Erl. vom 2. 1. 1926 (UZBl. 27), vom 19. 1. 1927 (UZBl. 43), vom 23. 2. 1927 (UZBl. 82), vom 5. 7. 1927 (UZBl. 276), vom 15. 10. 1927 (UZBl. 314). Die wissenschaftliche Prüfung wird ab­ gelegt vor den „Wissenschaftlichen Prüfungs­ ämtern". Diese setzen sich aus Hochschullehrern und Schulmännern zusammen, die von dem MfW. mit einjähriger Amtsdauer ernannt werden.

2. Für die Zulassung zur Prüfung ist das Reife­ zeugnis einer deutschen h. L. und ein Studium von mindestens acht Halbjahren an einer deut­ schen Universität, darunter drei Halbjahre an einer preußischen Universität, erforderlich. Bei der Be­ werbung um die Lehrbefähigung in der Mathe­ matik, der Physik und der Chemie wird das ord­ nungsmäßige Studium an einer technischen Hoch­ schule dem Studium an einer Universität gleich­ gerechnet. Bei der Bewerbung um die Lehr­ befähigung in den neueren Fremdsprachen kann unter Umständen die Zeit des Studiums im Aus­ lande bis zu zwei Halbjahren auf die vorgeschrie­ bene Studiendauer angerechnet werden. Die Zulassung ist zu versagen, wenn die vorgeschrie­ benen Bedingungen nicht erfüllt sind, besonders auch dann, wenn der Kandidat nach den vor­ gelegten Zeugnissen sein Studium so wenig zweck­ mäßig eingerichtet hat, daß es als eine ordnungs­ mäßige Vorbereitung auf seinen Beruf nicht angesehen werden kann. Sie ist ferner zu ver­ Güldner, Die höheren Lehranstalten für die weib­ liche Jugend in Preußen, 2. Aufl., Halle 1913; Heine- sagen, wenn begründete Zweifel hinsichtlich der mann- Günth er, Die Frauenschule mit ungegliederten sittlichen Unbescholtenheit des Kandidaten ob­ Lehrgängen, 2. Aufl. 1925; Land 6, Die Aufbauschule, walten. Prüfungsgegenstände sind: A. für 1925; Schütz, Unterricht in den Leibesübungen, Samm­ lung der amtlichen Bestimmungen, 2 Bde. 1926; P allat, alle Kandidaten: Philosophie; B. nach Wahl des Zeichen- und Werkunterricht, 1927; Richert, Richtlinien Kandidaten drei der folgenden Fächer: 1. Christ­ für die Lehrpläne der höheren Schulen Preußens, 6. und liche Religionslehre, 2. Deutsch, 3. Lateinisch, 7. Aufl., 1927; Richert, Richtlinien für einen Lehrplan der deutschen Oberschule und der Aufbauschule, 3. Aufl., 4. Griechisch, 5. Hebräisch, 6. Französisch, 7. Eng­ 1926. Die letzteren sämtlich Berlin, Weidmannsche Buch­ lisch, 8. Geschichte, 9. Erdkunde, 10. reine Mathe­ handlung. matik, 11. Physik, 12. Chemie, 13. Botanik und Höhere Lehranstalten, Lehrer. Übersicht- Zoologie. Ferner können, soweit dafür Prüfende A. Vorbildung. I. Allgemeines, II. Wissenschaft­ bestellt sind, Zusatzprüfungen in einer Reihe von liche Prüfung, III. Praktische Ausbildung, anderen Fächern abgelegt werden. Jeder Kandi­ IV. Anwärterordnung, V. Das künstlerische Lehr­ dat muß mindestens in der Philosophie sowie in amt, VI. Nichtakademiker. B. Amtliche Stellung. zwei Lehrgegenständenals Hauptfächern, in einem 53 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

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Lehrgegenstand als Nebenfach (ein Zusatzfach genügt als solches) seine Befähigung dartun. Die Prüfung ist schriftlich und mündlich. 3. Bestanden ist die Prüfung, wenn der Kandidat den angegebenen Mindestforderungen genügt hat. Ist die Prüfung nicht bestanden, so ist je nach dem Ergebnis der ersten Prüfung eine Wiederholung der gesamten Prüfung oder nur die Nachholung der fehlenden Teile in einer noch­ maligen Prüfung erforderlich. Wer die wissen­ schaftliche Prüfung für das höhere Lehramt be­ standen hat, ist befugt, sei es um noch in anderen Fächern eine Lehrbefähigung nachzuweisen, sei es um eine bereits zuerkannte Lehrbefähigung zu erhöhen, sich einer Erweiterungsprüfung in einzelnen Fächern zu unterziehen, sofern das Provinzialschulkollegium, in dessen Bereich er im Schuldienste bereits beschäftigt ist oder demnächst Verwendung finden soll, die Zulassung zu einer solchen Prüfung genehmigt. Geistliche einer der christlichen Kirchen, welche die zur Bekleidung eines geistlichen Amtes erforderlichen Prüfungen bestanden haben und nach Erlangung der Ordi­ nation bzw. der Priesterweihe mindestens zwei Jahre in der Seelsorge oder im Schuldienste tätig waren, erwerben ein Zeugnis für das Lehramt an h. L., wenn sie in einer nur mündlich abzuhaltenden, die Bedürfnisse der h. L. berücksichtigenden Prüfung ihre Befähigung für den Religionsunterricht als Hauptfach und zugleich durch eine schriftliche Klausurarbeit und mündliche Prüfung die Lehrbefähigung im Hebrä­ ischen, ferner mindestens eine Lehrbefähigung noch in einem dritten Fache als Nebenfach nach­ weisen. Handelt es sich dabei um den Nachweis der Lehrbefähigung in diesem Fache als Haupt­ fach, so ist darin eine schriftliche Hausarbeit zu fordern. HI. Die praktische Ausbildung der Kandi­ daten ist geregelt in der Ordnung vom 28. 7.1917 (UZBl. 648). Danach dauert die praktische Aus­ bildungszeit in der Regel zwei Jahre. Die Kandi­ daten melden sich bei einem Provinzialschulkolle­ gium und werden von diesem einer h. L. zum Vor­ bereitungsdienst überwiesen. Sie werden am Tage ihres Dienstantritts durch den Direktor vereidigt. Von diesem Zeitpunkte an führen sie die Amts­ bezeichnung „Studienreferendar" (AE. vom 27.1.1918, UZBl. 237; dazu Erl. vom 6. 3.1918, UZBl. 330). Für Kandidatinnen gelten im wesent­ lichen dieselben Bestimmungen (Erl. vom 17. 6. 1918, UZBl. 513,-dazu Erl. vom 15. 12. 1922, UZBl. 1923, 11). Wegen der Amtsbezeichnung „Studienreferendarin" vgl. Erl. vom 10. 1. 1923 (UZBl. 66). Beschäftigungsaufträge an Studien­ referendare sind zulässig, aber möglichst zu be­ schränken (Erl. vom 7. 4. 1926, UZBl. 160). Ent­ lassung aus dem Vorbereitungsdienst kann jeder­ zeit von dem Provinzialschulkollegium verfügt werden, wenn der Studienreferendar sich als un­ fähig oder unwürdig erweist. Am Schlüsse der Vorbereitungszeit wird die pädagogische Prü­ fung vor einem Prüfungsausschuß abgelegt, der sich aus Mitgliedern des für den Prüfling provin­ ziell zuständigen „Pädagogischen Prüfungsamts" zusammensetzt. Auch die pädagogische Prüfung ist in der Prüfungsordnung vom 28. 7. 1917 (UZBl. 613) geregelt (§§ 50sf.). Das „Päd­ agogische Prüfungsamt" besteht aus einem Mit-

gliede des Provinzialschulkollegiums als Vorsitzen­ den, einem weiteren Mitgliede dieser Behörde oder einem Anstaltsleiter als dessen Stellvertreter und einer Anzahl von Direktoren (-innen) und Studienräten (-innen) der Provinz. Der Prü­ fungsausschuß besteht aus dem Vorsitzenden und drei von ihm aus der Zahl der Mitglieder be­ stimmten Beisitzern (Erl. vom 24. 4. 1924 Ab­ schnitt II, UZBl. 152). Die Prüfung besteht aus einer schriftlichen Prüfung, der Lehrprobe und einer mündlichen Prüfung. Uber die bestandene Prüfung erhält der Studienreferendar ein Zeug­ nis, in dem Bezug genommen wird auf das Zeug­ nis über die wissenschaftliche Prüfung. Besondere Zeugnisse über die „Anstellungsfähigkeit" werden künftig nicht mehr ausgestellt (Erl. vom 24.4.1924 Abschnitt I, UZBl. 152), vielmehr wird mit dem Bestehen der pädagogischen Prüfung ohne wei­ teres die Fähigkeit zum Lehramt an h. L. er­ worben. IV. Wer diese Fähigkeit erlangt hat, wird von dem Provinzialschulkollegium, in dessen Bezirk er die pädagogische Prüfung abgelegt hat, zum Studienassessor (-in) ernannt. Diese Amtsbezeich­ nung beruht auf dem AE. vom 27. 1. 1918 (UZBl. 237); zu vgl. Erl. vom 10.1.1923 (UZBl. 66) wegen der Studienassessorinnen. Die Er­ nennung sowie die Verhältnisse der Studien­ assessoren sind geregelt in der Anwärterord­ nung vom 24. 4. 1924 (UZBl. 157) nebst Ein­ führungserlaß vom gleichen Tage (UZBl. 152). Danach kann die Ernennung wegen Unwürdigkeit oder aus besonderen Gründen (z. B. wegen körperlicher Gebrechen) durch einen begründeten Bescheid abgelehnt werden. Gegen den Bescheid ist binnen vier Wochen Beschwerde an den MsW. zulässig. Durch die Ernennung wird ein Recht oder eine Anwartschaft auf Beschäftigung im öffentlichen höheren Schuldienst, auf Aufnahme in die Anwärterliste oder auf Anstellung nicht begründet. Dies ist dem Studienassessor schriftlich zu eröffnen (§ 2 AnwO.). Jeder Studienassessor wird in die Assessorenliste von dem Provinzial­ schulkollegium eingetragen. Für Studienassessoren und -innen wird je eine gesonderte Liste geführt (§ 3 AnwO.). Die Eintragung erfolgt in der Reihenfolge des Assessorendienstalters, d. h. des Tages der Urkunde über die Ernennung zum Studienassessor oder des Tages, auf den das Dienstalter anderweit, etwa durch Berücksichtigung von Heeresdienst usw. nach dem Erl. vom 29. 7. 1920 (UZBl. 602) festgesetzt wird (§ 4). In der Liste wird die Zugehörigkeit des Studienassessors zu einer der in der Liste aufgezählten Fachgruppen vermerkt (§ 5). Zur Durchführung der Vor­ schriften des BdEg. über Stellenanwärter, ins­ besondere des § 14 Abs. 2 daselbst, jetzt § 17 Abs. 2 PrBesG. wonach die Anwärterdienstzeit fünf Jahre nicht übersteigen darf, wird neben den von den Schulkollegien provinzweise zu führenden Assessorenlisten im MfW. eine erst­ malig mit Wirkung vom 1. 4. 1924 angelegte Anwärterliste für das ganze Land geführt. Sie zerfällt in fünf Jahrgänge. Jeder Jahr­ gang umfaßt die Gesamtheit der zu dem gleichen Zeitpunkt aufgenommenen Anwärter (§ 6). Die Aufnahme in die Anwärterliste erfolgt durch den MsW. auf Vorschlag der einzelnen Provinzialschulkollegien. Diese Vorschläge sind

Höhere Lehranstalten, Lehrer

— im Gegensatz zu dem früher geltenden Anciennitätsprinzip — nach der Eignung zu machen (88 7 u. 8). Ausnahmen find nur für die schwer­ kriegsbeschädigten Studienassessoren vorgesehen (Ziff. 9 des EinfErl.). Die nicht in die Anwärter­ liste aufgenommenen Studienassessoren sind mög­ lichst früh und bestimmt über ihre Aussichten zu unterrichten (Ziff. 8 des EinfErl. und Erl. vom 9. 4. 1926, UZBl. 161). Die Zahl der Anwärter ist fest umgrenzt (Prinzip des numerus clausus) und wird alljährlich am 1. Januar von dem MfW. im Einvernehmen mit dem FM. festgesetzt (8 7 AnwO.). Die Studienassessoren sind unmittel­ bare Staatsbeamte, nur die in die Anwärterliste eingetragenen sind Stellenanwärter im Sinne der 88 Uff- BdEg. jetzt §§ 15ff. PrBesG. (8 9 AnwO.). Die Anwärter sind verpflichtet, jede ihnen von dem Provinzialschulkollegium aufge­ tragene Beschäftigung an einer staatlichen oder nichtstaatlichen öffentlichen h. L. anzu­ nehmen (8 10 AnwO.), sie erhalten ständig Dienstbezüge, und zwar bei Beschäftigung nach den Vorschriften des BdEg., sonst 80% dieser Beträge. Die nicht in die Anwärterliste einge­ tragenen Studienassessoren gelten als beur­ laubt, sofern sie nicht einen Auftrag zu entgelt­ licher Beschäftigung haben oder aus ihren Wunsch einer h. L. zur unentgeltlichen Beschäftigung zu­ geteilt werden. Im letzteren Falle sind sie regel­ mäßig zur Erteilung von höchstens sechs Wochen­ stunden verpflichtet. Sie erhalten Dienstbezüge nur, wenn sie a) eine planmäßige Stelle inne­ haben oder verwalten, b) an einer anderen Anstalt als der, der sie zugewiesen find, auftragsweife voll beschäftigt werden; c) an der Anstalt, der sie zugewiefen find, kraft ausdrücklichen Auftrags des Provinzialschulkollegiums für mindestens zwei Wochen voll (d. h. mit mindestens zwölf Wochen­ stunden) entweder zur Vertretung herangezogen oder bei Vermehrung des Unterrichtsbedarfs an Stelle neu heranzuziehender L. befchäftigt wer­ den. Bei voller Beschäftigung erhalten sie die­ selben Dienstbezüge wie die Anwärter, bei nicht voller Beschäftigung während mindestens zwei Wochen Vergütungen nach den Bestimmungen über Hilfsunterricht (s. unter 01; 88 10 u. 11 AnwO.). Das „Vergütungsdienstalter" der Stu­ dienassessoren, bei den Anwärtern als „Anwärter­ dienstalter" bezeichnet, errechnet sich nach dem Assessorendienstalter unter Hinzurechnung der nach Ziff. 159 PBV. zu berücksichtigenden Zeit (dazu Erl. vom 12.9.1921, UZBl. 373, vom 26. 6.1922, UZBl. 318, vom 25. 11. 1924, UZBl. 322, vom 16. u. 17. 2. 1925, UZBl. 72 u. 73). Wegen der Zahlung von Beschäftigungstagegeldern: 8 H Abs. 5 AnwO., Reisekosten, Wohnungs- und Um­ zugsbeihilfen: 8 15 das., Ferienvergütung: 8 16 das., Krankenfürsorge und -Versicherung: 8 17 das. Zu entgeltlicher Beschäftigung sind in erster Reihe die Anwärter, erst wenn solche nicht vorhanden, die übrigen Studienassessoren heranzuziehen. Die Heranziehung geschieht nach der Reihenfolge in der Anwärterliste, im übrigen nach dem Assessoren­ dienstalter. Aus besonderen Gründen kann von dieser Regel abgewichen werden. Dies gilt be­ sonders für die Heranziehung zur Beschäftigung als Erzieher in einem Schülerheim (8 13 AnwO.). Die Studienassessoren (auch die Anwärter) können von den Provinzialschulkollegien zur Beschäftigung

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an öffentlichen Sch., an solchen Privatschulen, deren Erhaltung im staatlichen Interesse liegt, so­ wie an deutschen Auslandsschulen (Erl. vom 27. 3. 1905, UZBl. 313) unbeschränkt, zu wissenschaft­ licher Weiterbildung und zu sonstigen Zwecken nur bis zu zwei Jahren, darüber hinaus nur aus besonderen Gründen beurlaubt werden (ß 14 AnwO.); dazu wegen der Beurlaubung und Über­ weisung an private höhere Sch.; Erl. vom 17. 1. 1926 (UZBl. 43). Nur die Anwärter werden als Studienräte an den staatlichen h. L. planmäßig angestellt und an den nichtstaatlichen Anstalten bestätigt. Die Anwärterdienstzeit, d. h. die Zeit, die zwischen dem Tage der Aufnahme in die Anwärterliste und dem Tage der Anstellung liegt, darf entsprechend 88 14, 31 BdEg., 8 25 Pers-AbbauAbwicklungsG. vom 25.3.1926 (GS. 105), 817 Abs. 2 PrBesG. fünf Jahre nicht übersteigen. Die anzustellenden Anwärter werden grundsätz­ lich nur dem jeweils ersten Jahrgang der Anwär­ terliste entnommen, doch sind Ausnahmen unter gewissen Voraussetzungen möglich. Sinkt die Zahl der in dem ersten Jahrgang noch vor­ handenen Anwärter unter die Hälfte der ursprüng­ lichen Gesamtzahl des Jahrgangs, so sind für die Wahl durch die Unterhaltsträger der nichtstaat­ lichen öffentlichen h. L. aus dem nächstfolgenden Jahrgang so viele Anwärter hinzuzunehmen, daß die Hälfte der ursprünglichen Gesamtzahl des Jahrgangs erreicht wird (8 18 AnwO.). Die Er­ nennung (an staatlichen) oder Bestätigung (an nichtstaatlichen Anstalten) von Studienräten er­ folgt durch das Provinzialschulkollegium (8 19 AnwO.). Mit der planmäßigen Anstellung oder Bestätigung als Studienrat an einer öffentlichen h. L. scheiden die Studienassessoren ohne Antrag und ohne Entlassung aus und werden in der Assessoren- und in der Anwärterliste gestrichen. Sobald sie anderweit eine feste Anstellung er­ halten, sind sie zu entlassen und zu streichen (8 20 AnwO.). Ohne Antrag kann ein Studienassessor aus dem höheren Schuldienst gemäß 8 83 DisziplinarG. von dem Provinzialschulkollegium ent­ lassen werden. Die Entlassung aus dem Schul­ dienst, für deren Förmlichkeiten besondere Vor­ schriften gegeben sind, kann insbesondere verfügt werden, wenn ein Anwärter ohne ausreichenden Grund sich weigert, eine Beschäftigung seitens des Provinzialschulkollegiums oder eine Anstellung als Studienrat anzunehmen (8 21 AnwO.). Im übrigen erfolgt die Entlassung aus dem höheren Schuldienst durch das Provinzialschulkollegium aus Antrag des Studienassessors (8 22 AnwO.). V. Für das künstlerische Lehramt ist eine Prüfungsordnung vom 22. 5. 1922 (UZBl. 257) erlassen, ergänzt durch den Erl. vom 11. 12. 1924 (UZBl. 1925, 7). Die Bestimmungen der Prü­ fung für das künstlerische Lehramt entsprechen denen für die Prüfung für das höhere Lehramt. Die Prüfungen sind durch Ziff. 5 des letzterwähn­ ten Erlasses gleichgestellt. Die Ordnung unter­ scheidet die Prüfungen für die bildenden Künste und für Musik. Die früheren Prüfungsordnungen für Zeichenlehrer vom 31.1.1902 und für Gesang­ lehrer vom 24. 6.1910 treten mit dem 30. 9. 1927 außer Kraft (Erl. vom 17. 12. 1924, UZBl. 1925, 149). VI. Nichtakademisch vorgebildete Lehrkräfte können an h. L. nur angestellt werden, wenn sie

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die vorgeschriebenen Prüfungen entweder als Zeichenlehrer (-Lehrerinnen) — Prüfungsordnung vom 31. 1. 1902 (UZBl. 276); dazu Prüfungs­ ordnung für Werklehrer und -lehrerinnen vom 24. 5. 1924 (UZBl. 179) nebst Erl. vom 11. 11. 1924 (UZBl. 300) — oder als Musiklehrer (-Lehrerinnen)— Prüfungsordnung vom 24. 6. 1910 (UZBl. 581) — oder als Turn- und Schwimmlehrer(-lehrerin) —Prüfungsordnungen vom 18. 1. und 22. 1. 1916 (UZBl. 245 u. 263) nebst Abänderungen vom 26. 7. 1924, UZBl. 230 u. 231; s. auch Prüfungsordnung für Ruderlehrer und -lehrerinnen vom 25. 8. 1924 (UZBl. 243); Prüfungsordnung für Lehrer und -Lehrerinnen des orthopädischen Schulturnens vom 6. 3. 1926 (UZBl. 119) — abgelegt haben oder zur An­ stellung an Mittelschulen befähigt sind (s. Lehrer an mittleren Schulen I 7). Die Verwendung von Mittelschullehrern ist an Knabenanstalten nur aus der Unterstufe statthaft (Erl. vom 26.12.1909, UZBl. 1910, 317). An Aufbauschulen können nicht akademisch gebildete Lehrkräfte keine Ver­ wendung finden (Ziff. 30 des Erl. vom 6. 2.1925, UZBl. 43). Die Bestimmungen für die Anstellung und Anstellungsfähigkeit der an den h. L. für die weibliche Jugend beschäftigten Oberschullehre­ rinnen find zusammengefaßt in dem Erl. vom 22.4.1925 (UZBl. 137), dazu Berichtigung UZBl. 1925, 282, und Ergänzungserlaß vom 19.11.1925 (UZBl. 345). Wegen der Zulässigkeit der An­ stellung von nichtakademisch gebildeten Lehrkräften an den Anstalten für die weibliche Jugend vgl.B IV Ziff. 27—30 der Bestimmungen über die Neuord­ nung des höheren Mädchenschulwesens vom 18. 8. 1908 (UZBl. 692), ferner Zisf. 7 u. 10 der Richt­ linien zur Umgestaltung der Lyzeen und Ober­ lyzeen vom 21. 3. 1923 (UZBl. 147), letztere er­ gänzt durch Erl. vom 31. 7. 1923 (UZBl. 306) und vom 12. 2.1926 (UZBl. 64); s. auch Höhere Lehranstalten 0112). B. I. Die Anstellung erfolgt bei den staat­ lichen Anstalten für die Direktoren und Ober­ studienräte durch das StM., für die übrigen Lehr­ kräfte durch das Provinzialschulkollegium. Bei den nichtstaatlichen Anstalten kommt die Anstellung durch Wahl seitens der zuständigen Kommunalbe­ hörde mit nachfolgender Bestätigung durch das StM. bzw. Provinzialschulkollegium (§§ 59, 60 II 12 ALR.; § 7 Zisf. 10 der Jnstr. vom 23. 10. 1817, GS. 237; AE. vom 9. 12.1842, GS. 1843, 1; AE. vom 28. 7.1892, GS. 264) zustande. Bor der Wahl hat die zuständige städtische Stelle dem Schulausschuß (s.h. L. Verwaltung II3) Gelegen­ heit zu Vorschlägen zu geben (§ 8 VerwO.; UZBl. 1918, 634). Die Bestallungsurkunden werden vom Stadtvorstand nach erfolgter Be­ stätigung der Wahl ausgefertigt (§ 12 VerwO.). Um die leichtere Verwendung des L. an jeder höheren Sch. zu sichern, wird in ihr die Berufung an eine h. L. des Patronatsbereichs ausge­ sprochen. Die Bezeichnung der Anstalt, an welche die Berufung erfolgt, wird in einer Begleit­ verfügung mitgeteilt (Erl. vom 31. 8. 1892, UZBl. 730, und vom 13. 7. 1911, UZBl. 503). Die Aufnahme der sog. Verheiratungsklaufel für Lin. ist verboten (Erl. vom 8. 3. 1920, UZBl. 277). Wegen des Beamtencharakters der L. an nichtstaatlichen h. L. (Gemeindebeamte oder Staatsbeamte) f. h. L. Verwaltung II 3. Wegen

der Bindung an die Anwärterliste s. oben A IV. Neuanstellungen sind ebenso wie Versetzungen und Pensionierungen in der Regel zum 1. April oder 1. Oktober vorzunehmen (Erl. vom 15. 3. 1881, UZBl. 358). Vor der Ernennung oder Wahl eines Studienrats zum Oberstudienrat an derselben Anstalt ist dem Lehrerkollegium Ge­ legenheit zur Stellungnahme zu geben (C 3 des Erl. vom 27. 11. 1924, UZBl. 313). II. Die Amtsbezeichnung sämtlicher früher als „Oberlehrer" bezeichneten akademisch vor­ gebildeten L. ist jetzt „Studienrat", „Studien­ rätin", nachdem schon vorher durch den AE. vom 27. 1. 1918 (UZBl. 237) die als „Professor" charakterisierten Oberlehrer den Charakter als „Studienrat" erhalten hatten, dazu Erl. vom 4. 3. 1918 (UZBl. 330). Die Amtsbezeichnung der nichtakademisch vorgebildeten L. ist „Oberschul­ lehrer", „Oberschullehrerin". Für Oberschullehrer (Turnlehrer, -lehrerinnen), die besondere Erfah­ rungen auf dem Gebiete der Leibesübungen be­ sitzen und insbesondere auch als Fachberater für einen größeren Bezirk Verwendung finden kön­ nen, sind einige (bei den Staatsanstalten nach dem Staatshaushalt für 1927 Kap. 116 Tit. 71: acht) (stellen mit der Amtsbezeichnung als Ober­ turnlehrer und -lehrerinnenvorgesehen. Das Amt des Oberstudienrats (-rätin) ist durch das BdEG. geschaffen und ist durch Amtsbezeich­ nung und gehaltliche Besserstellung als Beförderungsstelle gekennzeichnet. Der Oberstudien­ rat ist in erster Linie Vertreter des Direktors. Wegen seiner sonstigen Ausgaben Erl. vom 28.11. 1921 (UZBl. 468). Alle „Großen Doppel­ anstalten", d. h. solche Vollanstalten, die ständig mindestens 15 Klassen umfassen oder in denen mehrere Schularten vereinigt sind, Erl. vom 5. 7. 1921 (Landä, Leiter und Lehrer Bd. I S. 133), ferner alle „Großen Vollanstalten", d. h. Vollanstalten, die ständig mindestens 12 Klassen umfassen und nicht schon zu den Großen Doppel­ anstalten gehören, Erl. vom 27. 11. 1924 (UZBl. 313), sowie Anstalten mit großen Alumnaten und die staatlichen Bildungsanstalten erhalten Oberstudienratstellen. Neben den Oberstudien­ räten an diesen Anstalten werden unabhängig von dem Charakter der Anstalt einzelne Oberstudien­ räte (-innen) zu „Fachberatern" der Provinzial­ schulkollegien ernannt, bleiben jedoch Mitglied des Lehrkörpers ihrer Anstalt. Sie sollen für ihre Fachgebiete das Provinzialschulkollegium durch Erstattung von Gutachten u. dgl. beraten. Eine besondere Dienstanweisung für sie ist in Aussicht gestellt, aber noch nicht ergangen. Wegen der Er­ nennung bzw. Wahl usw. der Oberstudienräte s. Erl. vom 27. 11. 1924 (UZBl. 313). Die Amts­ bezeichnung der Leiter der h. L. ist „Studien­ direktor" und „Oberstudiendirektor". Ober­ studiendirektoren sind die Leiter der Großen Doppelanstalten (s. oben), der Anstalten mit großen Alumnaten und der Staatlichen Bildungs­ anstalten. Alle übrigen haben die Amtsbezeich­ nung als „Studiendirektor". Die Ernennung bzw. Bestätigung zum Direktor kann nicht vor der Anerkennung der Anstalt beantragt werden (Erl. vom 13. 11. 1900, UZBl. 858). III. Die besonderen Dienstobliegenheiten der Leiter und L. an den h. L. sind geregelt durch die Dienstanweisungen für die Direktoren

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und L. an den h. L. für die männliche Jugend den Schulhalbjahres, wenn nach dem Zeugnisse vom 12. 12. 1910 (UZBl. 887) und für die Weib- eines beamteten Arztes ein über sechs Monate liche Jugend vom 10. 3. 1912 (UZBl. 360), die dauernder Urlaub aus Gesundheitsgründen not­ im wesentlichen den gleichen Inhalt haben. Dazu wendig ist, b) unbeschränkt zur Tätigkeit an sind ergangen: Erl. vom 12. 3. 1919, UZBl. 381, deutsche Äuslandsschulen. Im übrigen ist Ge­ und vom 27. 6. 1919, UZBl. 509 (Aufhebung nehmigung des MfW. erforderlich, Erl. vom 17.4. des Rechts des Direktors zur Anwendung diszi­ 1883 (UZBl. 420), vom 7. 3. 1913 (UZBl. 422). plinärer Mittel als Vorgesetzter gegenüber den Bei nichtstaatlichen Anstalten, für welche ein Lehrkräften), Erl. vom 6. 7. 1922, UZBl. 335 Schulausschuß besteht, ist außerdem bei Urlaub (Einführung einer neuen, die Rechte des Lehrer­ von vier Wochen bis sechs Monaten das Einver­ kollegiums erweiternden Konferenzordnung) und ständnis des Schulausschusses, bei Urlaub von Erl. vom 12. 3. 1924, UZBl. 100. Durch letz­ längerer Dauer das Einverständnis des Stadt­ teren wurden die Bestimmungen über die vorstandes erforderlich (§ 7 VerwO.). Wegen der Pflichtstunden und den Privatunterricht Zuständigkeit der Provinzialschulkollegien zur der L- neu geregelt. Die wöchentlichen Pflicht­ Urlaubserteilung auch der L. an nichtstaatlichen stunden betragen danach für die Direktoren im Sch. s. OVG. 72, 228. allgemeinen: 12, bei Großen Doppelanstalten IV. In disziplinärer Hinsicht gelten für die und Anstalten mit großen Alumnaten: 8 Stunden, L. an den öffentlichen höheren Sch. die für alle für Oberstudienräte und Studienräte bis zum unmittelbaren und mittelbaren Staatsbeam­ vollendeten 45. Lebensjahr: 25, von dem auf die ten geltenden Vorschriften des DisziplinarG. Vollendung des 45.Lebensjahres folgenden Schul­ vom 21. 7. 1852 (GS. 465), § 1 das. (s. Diszijahr ab 23 und von dem auf die Vollendung des plinarrecht). Die Strafe der Versetzung in ein 55. Lebensjahres folgenden Schuljahr ab: 20 anderes Amt, die nur aus Beamte im unmittel­ Stunden: für Oberschullehrer (ohne die Turn­ baren Staatsdienst Anwendung findet (§ 16 lehrer): 25 Stunden, für alle übrigen L.: 28 Ziff. 1), kann nach herrschender Ansicht gegen L. Stunden; für Lin. je zwei Stunden weniger an nichtstaatlichen Anstalten nicht angewandt Bei Bedürfnis ist auch eine vorübergehende stär­ werden (vgl. Kaestner, Schulverwaltungsrecht, kere Heranziehung möglich, insbesondere auch zur Berlin 1916, S. 264; Landö-Günther, Leiter und Vertretung erkrankter L. (vgl. Erl. vom 8.11.1922, Lehrer, Berlin 1926, Bd. IV S. 233), wohl aber UZBl. 483). Ebenso ist aus besonderen Gründen, können auch solche Lehrpersonen im Interesse des z. B. Krankheit, Kriegsbeschädigung, Verwaltung Dienstes nach § 87 Ziff. 1 DisziplinarG. in ein von Büchereien und Sammlungen, Belastung mit anderes Amt von nicht geringerem Rang und Korrekturen, Überfüllung der Klassen, Ausbildung Diensteinkommen versetzt werden (vgl. Erl. vom der Studienreferendare, Abhaltung des Schul­ 31. 12. 1861, UZBl. 1862, 99). Falls aber der gottesdienstes usw. (vgl. Erl. vom 3. 5. 1893, L. an eine nichtstaatliche Anstalt in eine Stelle UZBl. 489) eine Herabsetzung der Pflichtstunden versetzt wird, deren Besetzung dem Unterhalts­ zulässig. Die Genehmigung des Provinzialschul­ träger zusteht, ist vorher dessen Zustimmung ein­ kollegiums ist erforderlich, wenn nicht das Lehrer­ zuholen (vgl. Kaestner a. a. O. S. 280; Land6-Gün­ kollegium die ausfallenden Stunden übernimmt. ther a. a. O. Bd. I S. 167). Das den Direktoren Die Erteilung von Privatunterricht und das nach § 18 DisziplinarG. zustehende Recht zu War­ Halten von Pensionären durch L. ist grundsätzlich nungen und Verweisen gegenüber den L. ist nicht mehr zulässig. Ausnahmen kann in besonders durch Erl. vom 12. 3. 1919j(UZBl. 381) und vom liegenden Fällen das Provinzialschulkollegium ge­ 27. 6.1919 (UZBl. 509) aufgehoben. Disziplinar­ statten. Im übrigen finden in bezug auf die Über­ behörde für sämtliche L., auchj die Studienräte, nahme von Nebenämtern und Nebenbeschäf­ für die bis zum Erl. vom 31. 8.1892. (UZBl. 736) tigungen durch L. die allgemeinen Vorschriften der Disziplinarhos zuständig war, istkdas Provin­ des Beamtenrechts Anwendung. Die Genehmi­ zialschulkollegium; für die (vom StM. ernannten gung wird, soweit sie erforderlich ist, nach den Dienst­ bzw. bestätigten) Direktoren und Oberstudienräte anweisungen (männlich C 3, weiblich Ziff. 26) der Disziplinarhos (§ 24 DisziplinarG.). Wegen von dem Provinzialschulkollegium erteilt und ist der Zwangspensionierung gemäß §§ 88fs. stets widerruflich. Bei nichtstaatlichen Anstalten, DisziplinarG. s. unten 6 II a. E. für welche ein Schulausschuß besteht (s. h. L. Ver­ V. Haftpflicht. Die Vorschriften des^G. vom waltung II 3), ist bis auf einige Sondersälle 1.8.1909 (GS. 691) über die Haftung des Staates das Einverständnis des Schulausschusses erforder­ bei Verletzungen der Amtspflicht durch unmittel­ lich (§ 6 VerwO.). Im übrigen sind die L. bare Staatsbeamte sind durch G. vom 14. 5.1914 verpflichtet, jedes Nebenamt und jede Neben­ (GS. 117) auch auf die L. an den nichtstaatlichen, beschäftigung im öffentlichen Dienst anzunehmen von Verbänden und Stiftungen des öffentlichen oder fortzuführen, die ihrer Vor- und Berufsbil­ Rechts unterhaltenen öffentlichen Unterrichts­ dung entspricht (§§ 12 u. 18 des PersAbbAbwG. anstalten ausgedehnt. Die Haftpflicht des L. vom 25. 3. 1926/ GS. 105). Über den Urlaub wird durch!die Übertragung von Aufsichtsbefug­ der L. gelten neben den allgemeinen beamten­ nissen an Ordnungsschüler imFallgemeinen nicht rechtlichen folgende Sondervorschriften: Der vermindert (Erl. vom 31.N0. 1919, UZBl. 661). Direktor erteilt den L. Urlaub bis zu acht Tagen, Wegen der Haftpflicht der Lehrkräfte bei der sich selbst darf er bis auf drei Tage beurlauben Leitung und Aufsicht auch'der Leibesübungen der vgl. Dienstanweisung männlich C 1 u. 6, weib­ Schuljugend s. Erl. vom 27. 3.1923 (UZBl. 195); lich Ziff. 24 u. 29). Das Schulkollegium erteilt s. auch Haftung des Staates usw. den Urlaub selbständig allgemein bis zu sechs C. Besoldungs-, Pensions- usw. Ver­ Monaten, darüber hinaus ferner a) bis längstens hältnisse. I. Die Einkommensverhältnisse zum Ablauf des dem Beginn des Urlaubs folgen- der Lehrpersonen an den öffentlichen h. L. sind

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bei den staatlichen und nichtstaatlichen Anstalten jetzt dieselben. Die Dienstbezüge der Lehr­ personen an den staatlichen Anstalten sind wie die aller übrigen Staatsbeamten geregelt (s. Beamtenbesoldung). Für die L. an den nichtstaatlichen h. L. bestimmt das G. vom 17. 12. 1920 (GS. 1921, 323), daß die für die Lehrkräfte an den staatlichen Anstalten geltenden Bestimmungen des BdEg. auf die entsprechenden Lehrkräfte der von einer Gemeinde, einem Gemeindeverbande oder von anderen juristischen Personen unterhaltenen öffentlichen h. L. An­ wendung finden. Aus Grund des preußischen BesoldungsG. vom 17.12.1927 (GS 223) sind ein­ gereiht in Besoldungsgruppe Aid: Oberstudiendirektoren(innen),Studiendirektoren(innen) an be­ sonders bedeutungsvollen Schulen — Verzeichnis dieser Schulen befindet sich in Anm. 2 zu Be­ soldungsgruppe A ld —; in Besoldungsgruppe A 2b mit Zulage von 1200 RM jährlich: Ober­ studienrätelinnen) an den besonders bedeutungs­ vollen Schulen, Oberstudiendirektoren(innen), Studiendirektoren(innen) an den Vollanstalten, soweit nicht schon in Gruppe A ld; mit Zulage von 600 RM jährlich: Studiendirektorensinnen) an Nichtvollanstalten, Oberstudienräte (innen); ohne Zulage: Studienräte(innen), darunter auch die früher als Oberzeichenlehrer(innen) und Ober­ musiklehrertinnen) bezeichneten; ferner: Akade­ misch gebildete Oberinnen an den mit Lyzeen und Oberlyzeen verbundenen Frauenschulen, Ober­ turnlehrerlinnen); in Besoldungsgruppe A 3c: Nichtakademisch gebildete Oberinnen und Ge­ werbelehrerinnen an Frauenschulen mit Fach­ seminaren; in Besoldungsgrpupe A 4a, 1. Abt.: Oberschullehrer(innen), letztere erhalten jedoch die Bezüge der Lehrkräfte an den öffentlichen mittleren Schulen — Anhang zur Besoldungs­ ordnung — sowie unter gewissen Voraus­ setzungen ruhegehaltsfähige Zulagen, im einzel­ nen vgl.: den Wortlaut bei der Besoldungs­ gruppe A 4a, Abt. 1 zu Oberschullehrer(innen). Die Bezahlung von Hilfsunterrricht erfolgt, wenn die Beschäftigung mehr als vierzehn Tage dauert und der Hilfslehrer mindestens zwölf Wochenstunden zu erteilen hat, nach § 15 des BesG. Wenn der Hilfslehrer zwar weniger als zwölf Wochenstunden zu erteilen hat, die Be­ schäftigung aber voraussichtlich ein volles Jahr dauern wird, erfolgt die Vergütung nach dem Satze für die Jahreswochenstunde, in allen übrigen Fällen ist die Vergütung stets für die tatsächlich geleisteten Einzelstunden nach dem Satze für die Einzelstunde zu bemessen (Erl. vom 22. 1. 1901, UZBl. 194; vom 3.4.1923, UZBl. 189). Die Sätze für die Einzelstunde sind zuletzt durch Erl. vom 5.5. 1928 (UZBl. 177) festgesetzt. Die Sätze für die Jahreswochenstunde betragen das 40fache dieser Sätze. Wegen der Reise- und Umzugskosten, Beschästigungstagegelderund Wohnungs­ beihilfen der L. an staatlichen Anstalten finden die für unmittelbare Staatsbeamte allgemein gel­ tenden Vorschriften Anwendung. Wegen der Studienassessoren s. oben AIV. Für die L. an den nichtstaatlichen Anstalten bestehen in bezug auf Reise- und Umzugskosten usw. keine allgemeinen Vorschriften. Doch ist die Gewährung aller dieser Bezüge nach den staatlichen Bestimmungen Vor­ bedingung zur Anerkennung neuer Anstalten und

zur Bewilligung von Staatszuschüssen an bereits bestehende Anstalten. II. Die Pensionierung der L. und Be­ amten an den höheren Unterrichtsanstalten (mit Ausschluß der Universitäten) ist zuerst umfassend durch die V. vom 28. 5.1846 (GS. 214) geordnet. In dem Entwurf zu dem PensionsG. vom 27. 3. 1872 (GS. 268) war die Neuregelung des Pensionswesens nur für die unmittelbaren Staats­ beamten in Aussicht genommen und die Anwen­ dung des G. auf die L. an den Unterrichtsanstalten im Bereiche derUnterrichtsverwaltung ausdrücklich ausgeschlossen. Bei der Beratung im LT. wurde jedoch das G. durch Abänderung des § 6 auf alle an den dort genannten höheren Unterrichtsan­ stalten angestellten L. und Beamten, also ein­ schließlich derjenigen ausgedehnt, welche wegen des kommunalen oder stiftischen Patronats der h. L. nicht im unmittelbaren Staatsdienste stehen. Dabei blieb unbeachtet, daß die ausschließlich zur Regelung der Rechtsverhältnisse unmittelbarer Staatsbeamter bestimmten Vorschriften des Ent­ wurfs nicht ohne weiteres allgemein zu einem an­ gemessenen Ergebnis für die obengedachten L. und Beamten führen konnten. Insbesondere fehlte es an klaren und den tatsächlichen Verhält­ nissen entsprechenden Vorschriften über die bei der Pensionierung der L. anzurechnenden Dienst­ zeiten. Die hieraus sich ergebenden vielfachen Unzuträglichkeiten führten zum Erl. des G. vom 25. 4. 1896, betr. Abänderung des PensG. vom 27. 3. 1872 (GS. 87). Nach den Bestim­ mungen dieses G. gestaltet sich die Pensionierung derjenigen L. an h. L. (§ 6 Abs. 2 des PensG. vom 27. 3. 1872), welche bei staatlichen An­ stalten beschäftigt werden, ebenso wie die der unmittelbaren Staatsbeamten überhaupt (s. Pensionierung der Staats- und Reichs­ beamten), jedoch mit der Maßgabe, daß bei Berechnung der Dienstzeit die gesamte Zeit einschließlich der praktischen Vorbildung in Be­ tracht kommt, während welcher der zu pensio­ nierende L. innerhalb Preußens oder eines von Preußen erworbenen Landesteils im öffent­ lichen Schuldienste gestanden hat. Dabei wird ein vorschriftsmäßig zurückgelegtes Ausbildungsjahr stets zu zwölf vollen Monaten gerechnet (Art. II und III, vgl. hierzu auch die Bestimmungen in Art. I und V). Anlangend dagegen die Pen­ sionierungsverhältnisse für die L. an denjenigen h. L., welche nicht vom Staate allein unterhalten werden, so sind für dieselben die §§ 4—9 und 16—18 der B. vom 28. 5. 1846 mit der aus dem Wegfall der Pensionsbeiträge für die unmittel­ baren Staatsbeamten sich ergebenden Maßgabe ausdrücklich ausrechterhalten worden (Art. I). Danach ist die Pension, deren Höhe usw. sich im übrigen nach dem PensG. vom 27. 3. 1872 richtet, aus den Überschüssen des Anstaltsvermögens, eventuell aus anderen hierzu verwendbaren Fonds, in subsidium von den Unterhaltungs­ pflichtigen nach Verhältnis ihrer Unterhaltungs­ pflicht gemäß näherer Bestimmung des OP., unter Freilassung des Rekurses an den Minister, eventuell des Rechtsweges auszubringen (§§ 4 bis 8). Wo keine Kommune unterhaltungspflichtig ist, wird das Pensionswesen vom OP. nach Maßgabe der besonderen Verhältnisse geordnet (§ 9). Zur Deckung der Pensionen werden be-

Höhere Lehranstalten, Schüler

sondere Fonds aus den Einkünften des Anstalts­ vermögens und Beiträgen der Unterhaltungs­ pflichtigen nach näherer Bestimmung des OP. gebildet (§§ 16—18). Größere Stadtgemeinden können von der Bildung von Penfionsfonds ent­ bunden werden (AE. vom 13. 3. 1848, GS. 113; vgl. UZBl. 1896, 448). Die Entscheidung über das Recht aus Pension steht dem Unterrichts­ minister bzw. der hierzu von diesem ermächtigten Behörde, ohne Mitwirkung des FM., zu. Gegen die Entscheidung steht die Beschwerde und Klage auch den Unterhaltungspflichtigen offen. Das Rechtsverfahren findet zwischen diesen und dem L. statt (Art. IV § 1). Von dem Nachweis der Dienstunfähigkeit kann im Einverständnisse mit den Unterhaltungspflichtigen abgesehen werden (Art. IV § 2). Zur Bewilligung von Pensionen und Anrechnung von Dienstzeiten, auf welche die L. kein Recht haben, ist die Zustimmung des Unterhaltungspflichtigen erforderlich (Art. IV § 3). Die die Versetzung in den Ruhestand aus­ sprechende Vs. ergeht von der staatlichen Auf­ sichtsbehörde (Erl. vom 1. 6. 1869, UZBl. 448). Vorher ist der Schulausschuß gutachtlich zu hören (§ 6 Verw.-Ordnung, UZBl. 1918, 634). Auf Anrechnung der im Reichs- oder Staatsdienst zugebrachten Dienstzeit, abgesehen von der im öffentlichen Schuldienste, haben die L. keinen An­ spruch, wohl aber ein Recht auf Anrechnung der Zeit, welche sie in einem sonstigen Amte der be­ treffenden Gemeinde zugebracht haben (Art. IV § 4). Die Bestimmungen §§ 88—93 des G. vom 21. 7. 1852 (GS. 465) über unfrei­ willige Pensionierung finden auch auf die L. bei diesen Anstalten Anwendung (Art. VI). Das Beamten-AltruhegehaltsG. vom 17.12. 1920 (GS. 214) nebst Abänderungen, wonach die zum 1. 12. 1924 oder zu einem früheren Zeit­ punkt in den Ruhestand versetzten unmittelbaren Staatsbeamten und die entsprechenden Hinter­ bliebenen Bezüge nach den am 1.12.1924 geltenden Vorschriften zu erhalten haben, gilt nach § 1 des G. vom 17.12.1920 (GS. 1921,323) auch für die ehemaligen Lehrpersonen an den nichtstaatlichen h. L. Im übrigen s. Pensionierung der Staatsusw. Beamten II 2. Das G., betr. Einführung einer Altersgrenze, vom 15. 12. 1920 (GS. 621) findet auf die Leiter und L. der staatlichen und der nichtstaatlichen h. L. Anwendung (§ 6 des G.). Im übrigen s. Altersgrenze. Wegen der einstweiligen Versetzung in den Ruhe­ stand s. dort. Die B. vom 26. 2. 1919 (GS. 33) gilt nicht für die Leiter und L. an den nichtstaatlichen h. L. Wegen des Personal­ abbaues s. dort II Abs. 3. Die Aufhebung einer Sch. berechtigt den Unterhaltungspslichtigen nicht zur Pensionierung der L. (Erl. vom 11. 11. 1872, UZBl. 746). Wandelt eine Ge­ meinde usw. eine h. L. in eine solche mit ver­ änderten Berechtigungen um, so erlangen die Leiter und L. der Anstalt hierdurch nicht die Befugnis, aus ihren Ämtern auszuscheiden. Sie behalten aber den Anspruch auf ihr bisheriges Diensteinkommen. Mit Genehmigung der staat­ lichen SchAB. können Lehrkräfte an solchen kom­ munalen h. L., die aufgehoben oder deren Klassenbestand und Lehrkräfte verringert werden, an eine andere von derselben Gemeinde usw. unterhaltene Lehranstalt (auch mit geringerer

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Berechtigung) versetzt werden, soweit an der letzteren nach deren Unterrichtsplan für ihre Be­ schäftigung Raum ist (§ 5 G. vom 17.12.1920, GS. 1921, 323). III. Die Fürsorge für die Witwen und Waisen der an den staatlich en h. L. angestellten L. und Beamten regelt sich nach dem G. vom 20.5.1882 (GS. 298) und den ergänzenden Vor­ schriften (s. Hinterbliebenenfürsorge). Durch die Erl. vom 2. 7. 1892 (UZBl. 623) und 1. 4. 1898 (UZBl. 357) ist den Patronaten der nicht­ staatlichen h. L. unter eventueller Staatsbeihilfe empfohlen, den Hinterbliebenen der L. die gleiche Fürsorge zu sichern. Dies ist auch überall geschehen überAnderung der betreffenden Statuten s. UZBl. 1908, 304. Nur für die unter das Beamten-Alt­ ruhegehaltsG. (s. oben) fallenden Hinterbliebenen der nichtstaatlichen Anstalten ist durch § 1 des G. vom 17. 12. 1920 (GS. 1921, 323) eine gesetzliche Gleichstellung mit denen der unmit­ telbaren Staatsbeamten erfolgt. Ma. Güldner, Die wissenschaftliche Prüfung der Philo­ logen, 2. Aufl., 1926; derselbe, Der Studienreferendar, 2. Aufl., 1926 ; Land 6- Günther, Der Studienassessor, 3. Aufl., 1926; Pallat-Günther, Prüfung, Ausbil­ dung und Anstellung der Zeichenlehrer. 2. Aufl., 1926; Kestenberg-Günther, Prüfung, Ausbildung und Anstellung der Musiklehrer, 2. Aufl., 1925; L and 6Günther, Die Leiter und Lehrer an den öffentlichen höheren Lehranstalten in Preußen, 4 Bde., 1925, sämtlich Berlin, Weidmannsche Buchhandlung.

Höhere Lehranstalten, Schüler. Übersicht: 1. Aufnahme. 2. Versetzungen. 3. Prüfungen. 4. Schulgeld. 5. Unfallversicherung. 6. Schüler­ selbstverwaltung. 7. Schulzucht. 8. Schrifttum; s. ferner Schulen III 1, 5, 6, 7, 8. 1. Aufnahme, über die Aufnahme ent­ scheidet der Direktor (Dienstanweisung für die Direktoren und Lehrer an den h. L. für die männliche bzw. weibliche Jugend tUZBl. 1910, 887 und 1912, 360], Ziff. A 3 bzw. 3; wegen der Ausnahmen ebenda). Voraussetzung ist im allgemeinen der vierjährige Besuch der Grundschule (Erl. vom 31. 3. 1923, UZBl. 187; s. auch Grundschulen). Die Aufnahme in die unterste Klasse der höheren Sch. ist in der Regel vom Be­ stehen einer Aufnahmeprüfung abhängig. Wegen Einzelheiten und Ausnahmen von der Prüfung Erl. vom 12. 3. 1924 (UZBl. 101), wegen der ausnahmsweisen Aufnahme nach dreijährigem Grundschulbesuch: G. vom 18. 4.1925 (RGBl. I, 49) und Erl. vom 17.4.1925 (UZBl. 129). Höchst­ alter für die Aufnahme in Sexta 12, Quinta 13, Quarta 15 Jahre (Erl. vom 23. 3. 1901; ab ge­ druckt bei Günther-Günther, Schüler und Schüle­ rin der höheren Sch. S. 16). Die Klassenfre­ quenzen dürfen gewisse Höchstgrenzen nicht über­ schreiten. Diese sind bei den höheren Sch. für die männliche Jugend auf 50 in den unteren, 40 in den mittleren und 30 in den oberen Klassen (Erl. vom 28. 2. 1867, UZBl. 273), bei den Lyzeen auf 40, bei den Klassen der Studienan­ stalten und Oberlyzeen auf 30 festgesetzt (Allge­ meine Bestimmungen vom 18. 8. 1908 Nr. B I 8, IV 24, UZBl. 692ff.), doch sind Überschreitungen dieser Zahlen bis zu 10% gestattet (Erl. vom 8. 3. 1923, UZBl. 156.). Besondere Bestim­ mungen sind getroffen für die Aufnahme von Schülerinnen in Knabenschulen (Erl. vom 3. 7. 1922, UZBl. 337). Genehmigung durch das Provinzialschulkollegium ist erforderlich, die

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u. a. zu versagen ist, wenn eine geeignete Sch. für die weibliche Jugend sich am Orte befindet (Erl. vom 24.4.1923, U II481). Aufnahmebe­ dingungen für die Staatlichen Bildungsanstalten: Erl. vom 15. 9. 1923 (UZBl. 339, abgedruckt bei Günther-Günther a. a. O. S. 48). Ausnahme in Frauenschulen: Erl. vom 31. 12. 1917 Ziff. IV (UZBl. 1918, 276). Bei einem Anstaltswechsel darf ein Schüler nur auf Grund eines Entlassungs­ zeugnisses der vorher von ihm besuchten Anstalt und nicht in eine höhere Klasse, als nach diesem Zeugnis in Betracht kommt, ausgenommen worden. Auch darf der Wechsel dem Schüler einen Zeitgewinn hinsichtlich der ordnungs­ mäßigen Lehrdauer nicht einbringen, Verein­ barung der Länder vom 19. 12. 1922 (Erl. vom 16. 2. 1923, UZBl. 136). Die Aufnahmegebühr (Eintrittsgeld) beträgt 5 RM (Erl. vom 13. 3. 1924, UZBl. 105). 2. Versetzungen erfolgen am Ende desSchuljahrs. Dessen Beginn, früher Ostern oder Michaelis, ist auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Ländern von Ostern 1922 ab ein­ heitlich in das Frühjahr gelegt (Erl. vom 15. 4. 1922, UZBl. 191). Die Versetzungen erfolgen nach Maßgabe des Erl. vom 12. 8. 1927 (UZBl. 259). Wegen des Überspringens einer Klasse: Erl. vom 26. 3. 1926 (UZBl. 154). Wegen der Form und des Inhalts der Zeugnisse: Dienst­ anweisung für Direktoren und L. männlich A 7, weiblich Ziff. 7; ferner Erl. vom 9. 6. 1922, UZBl. 286 (keine unbestimmten Zensuren), vom 9. 1. 1926, UZBl. 42 (Betragensnoten in Ab­ gangszeugnissen), vom 4. 8: 1920, UZBl. 608 (Fassung des Zeugnisses für Obersekunda als Ersatz des früher ausgestellten Zeugnisses über die wissenschaftliche Befähigung für den ein­ jährig-freiwilligen Dienst), vom 22. 3. 1927, UZBl. 115 (Zeugnis der mittleren Reife); vom 10. 7. 1902, UZBl. 540 (Fassung des Zeugnisses der Primareife); vom 1. 3. 1927, UZBl. 101 (Abschaffung der Rangordnung). Wegen der Abgangszeugnisse: Erl. vom 30. 6. 1876 (UZBl. 438). Schulzeugnisse sind stempelfrei (vgl. StempelsteuerG. vom 27. 10. 1924, GS. 627). 3. Prüfungen: Öffentliche Schulprüfungen am Schluß des Schuljahrs sind beseitigt (Erl. vom 7. 10. 1893, UZBl. 779). Schlußprüfungen werden an den sechsstufigen höheren Schulen (Progymnasien, Realgymnasien und Realschulen) nach den Bestimmungen vom 29. 10. 1901 (UZBl. 950) abgehalten, um zu ermitteln, ob der Schüler die Reife für die Ober­ sekunda erreicht hat. Für die anerkannten höheren deutschen Auslandsschulen gilt die Prüfungsord­ nung vom 21. 9. 1922 (UZBl. 437). Die auf Grund dieser Prüfung ausgestellten Zeugnisse sind durch Vereinbarung mit dem MdI. gleich­ berechtigt mit den Zeugnissen über die Ver­ setzung nach der Obersekunda einer Oberreal­ schule. Für ehemalige Schülerinnen eines Lyze­ ums alten Stils (vgl. H. L. Begriff und Aufbau B Ilb und C II 2)f die früher zur Ablegung der Schlußprüfung einer Knabenrealschule über­ wiesen wurden, ist durch Erl. vom 28. 7. 1925 (UZBl. 262) die Schlußprüfung nach Maßgabe der Bestimmungen vom 29.10.1901 (UZBl. 950) eingeführt. Eine besondere Prüfung behufs Nach­ weises der Reife für Prima können sich Ex­

traneer unterziehen: Prüfungsordnung vom 8. 7. 1902 (UZBl. 537). Die Reifeprüfung ist im Anschluß an die Neuordnung des höheren Schul­ wesens von 1925 (s. h. L. Geschichte und Auf­ bau) durch die Reifeprüfungsordnung vom 22. 7. 1926 (UZBl. 283) neu geregelt worden. Sie findet statt an allen Vollanstalten und denjenigen höheren Sch., denen der MfW. das Recht dazu verliehen hat (§ 2). Der Prüfungsausschuß be­ steht aus dem Vertreter des Staates als Vor­ sitzenden (in der Regel der zuständige Intern­ dezernent des Provinzialschulkollegiums oder der Anstaltsleiter) und sämtlichen L., die in der Ober­ prima planmäßigen Unterricht erteilen (§ 3 Ziff. 1 u. 2). Bei den nichtstaatlichen öffentlichen h. L. hat auch ein Vertreter des Patronats Sitz und Stimme bei der Prüfung (§ 3 Ziff. 3 und § 12 Verw.-Ordnung, UZBl. 1918, 634). Die Reife­ prüfung besteht aus einer schriftlichen, einer münd­ lichen und einer Prüfung in Leibesübungen (§ 4). Auf Meldung des Schülers (§ 6) beschließt die Klassenkonferenz, ob der Schüler zuzulassen ist oder nicht und evtl, ob eine von dem-Schüler eingereichte Jahresarbeit (§ 7) als Ersatz für die entsprechende Prüfungsarbeit eintreten kann (§ 8). Das Ergebnis wird dem Provinzialschulkollegium mitgeteilt (§ 9). Die Klassenkonferenz legt auch das sog. Borzeugnis fest (§ 10). Die Prüfung in Leibesübungen ist für alle Schüler verbindlich mit Ausnahme der auf Grund amtsärztlichen Zeugnisses von der Teilnahme an den Leibesübungen befreiten. Sie findet in den leichtathletischen Übungen und Spielen im Herbst, im übrigen zwischen der schriftlichen und mündlichen Prüfung statt (§ 11). Zur schrift­ lichen Prüfung gehören bei allen Anstalten ein deutscher Aufsatz und eine mathematische Ar­ beit, ferner a) beim Gymnasium und der Gym­ nasialen Studienanstalt: je eine Übersetzung aus dem Lateinischen und Griechischen ins Deutsche; außerdem für die Schüler, die sich einer Prüfung im Hebräischen unterziehen, die Übersetzung eines leichteren Abschnittes aus dem Alten Testament nebst grammatischer Erklärung; b) beim Real­ gymnasium, dem Reformrealgymnasium mit Latein von Untertertia ab, der Realgymnasialen Studienanstalt: je eine französische und englische Arbeit. An Stelle der zweiten fremdsprachlichen Arbeit kann auf Wunsch des Prüflings eine Über­ setzung aus dem Lateinischen ins Deutsche treten; c) beim Reformrealgymnasium der Regel­ form und beim Oberlyzeum (Latein von Unter­ sekunda ab): je eine französische und englische Arbeit; d) bei der Oberrealschule und beim Oberlyzeum der Oberrealschulrichtung: eine Ar­ beit aus einem der neueren Fremdsprachen (nach Wahl des Prüflings) und eine naturwissen­ schaftliche (nach Wahl des Prüflings entweder eine physikalische oder eine chemische oder eine biologische); e) bei der Deutschen Oberschule: je eine Arbeit aus der grundständigen Fremdsprache und (nach Wahl der Prüflings) eine geschichtliche oder eine geographische (§ 12). Art, Stellung, Bearbeitung und Beurteilung der Arbeiten sind eingehend geregelt (§§ 13—16). Die Klassen­ konserenz stellt die Urteile zusammen und be­ schließt darüber, welche Fächer für die mündliche Prüfung der einzelnen Schüler vorgeschlagen werden sollen (§ 17). Der Prüfling darf sich ein

Höhere Lehranstalten, Schüler Fach auswählen, in dem er seine besondere Leistungsfähigkeit nachweisen will. Der Prü­ fungsausschuß bestimmt die Fächer, in welchen außer dem Fache seiner Wahl der Schüler ge­ prüft werden soll. Eine Zurückweisung und eine völlige Befreiung von der mündlichen Prüfung ist nicht zulässig (§ 19). Es prüft der zuständige Fachlehrer. Die Prüfung ist möglichst frei zu gestalten und soll die wirkliche Leistungsfähigkeit des Schülers ermitteln; wegen der Einzelheiten: § 20. Die Prüfung ist bestanden, wenn das Ge­ samturteil in allen verbindlichen Fächern minde­ stens „Genügend" lautet, doch kann im Hinblick auf die Gesamtreife und die Persönlichkeit des Prüflings über unzureichende Leistungen hin­ weggesehen werden; die Entscheidung trifft der Prüfungsausschuß, gegen dessen Beschluß dem Prüfungsleiter das Recht des Einspruchs beim Provinzialschulkollegium zusteht (§ 22). Wer die Prüfung bestanden hat, erhält das Zeugnis der Reife (§ 24). Die Wiederholung einer nicht be­ standenen Reifeprüfung kann erst nach einem Jahre und im ganzen höchstens zweimal er­ folgen (§ 26). Nichtschüler (Extraneer), welche die an die Reifeprüfung geknüpften Rechte er­ werben wollen, haben sich an das Provinzial­ schulkollegium zu wenden, welches sie einem unter seiner unmittelbaren Leitung stehenden festen Ä. für die Reifeprüfung von Nichtschülern überweist (§ 27). 4. Schulgeld. Für die höheren Sch. sind die Vorschriften über Schulgeld in dem Erl. vom 25. 2. 1926 (UZBl. 114) zusammengefaßt. 1. Für die staatlichen und vom Staate verwal­ teten Anstalten gilt folgendes: Das Schulgeld beträgt jährlich 200 RM, zahlbar in monatlichen Teilbeträgen von 16 bzw. 17 RM im voraus; bar­ geldlose Zahlung wird empfohlen (Erl. vom 2.12.1916, UZBl. 579; vom 24. 3.1924, UZBl. HO; vom 6. 3. 1925, UZBl. 87). Außer dem Schulgeld wird noch ein Eintrittsgeld von 6 RM erhoben (Erl. vom 13.3.1924, UZBl. 105); ferner Zuschläge zum Schulgeld für wahlfreien Unter­ richt (Erl. vom 13. 3. 1924, UZBl. 123; vom 20. 5. 1924, UZBl. 177) und Prämien für die Schüler-Unfallversicherung (Erl. vom 22. 2.1926, UZBl. 81 und vom 30. 3. 1927, UZBl. 128). Das Schulgeld wird auf Antrag für das zweite Kind desselben Erziehungsberechtigten um 25%, für das dritte Kind um 50% ermäßigt, das vierte und jedes weitere Kind ist auf Antrag schuldgeld­ frei; dazu Erl. vom 31. 7.1926 (UZBl. 315), vom 28. 3.1927 (UZBl. 126,) vom 21. 6.1927 (UZBl. 208), der nach Abzug der Geschwisterermäßigung verbleibende Betrag von 20% des gesamten Schulgeldeinkommens ist zur Förderung begabter, bedürftiger Schüler bestimmt. Die Förderung ge­ schieht in der Form der Schulgeldbefreiung, -ermäßigung, Gewährung von Erziehungsbeihilfen, leihweiser Hergabe von Lernmitteln (in der Regel aus sog. Hilfsbüchereien). Wegen der hiernach zu treffenden Begabtenauslese vgl. Erl. vom 30. 6. 1917 (UZBl. 500); vom 15. 11. 1919 (UZBl. 674); daneben werden in Verfolg der Vorschrift des Art. 146 Abs. 3 RB. vom Reiche Mittel fürErziehungsbeihilsen hochbegabter Kinder bereitgestellt und von dem MfW. ver­ geben (s. Schulen III6). Ausländer zahlen die doppelten Schulgeldsätze, falls nicht die Gegen­

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seitigkeit verbürgt ist. Dazu Erl. vom 22.10.1924 (UZBl. 285), vom 30.12.1924 (UZBl. 25 S. 14). vom 9. 3. 1925 (UZBl. 97); vom 19. 11. 1925 (UZBl. 345); vom 20. 11. 1926 (UZBl. 390); Den inländischen Schülern sind gleichgestellt (Erl. vom 9. 9. 1922, UZBl. 1923 S. 77) u. a. Deutsch-Österreicher, Deutsch-Balten, Reichsaus­ länder deutscher Abstammung und Muttersprache aus den abgetretenen Gebieten, zu vgl. auch Erl. vom 27. 11.1922 (UZBl. 1923, 78); vom 6.5.1927 (UZBl. 169). Die Kinder von Anstaltslehrern und -beamten können nur unter denselben Voraus­ setzungen wie die übrigen Schüler gänzliche oder teilweise Schulgeldbefreiung erlangen, doch be­ darf sie der Genehmigung des Provinzialschulkollegiums (Erl. vom 24. 10. 1899, UZBl. 823). Bei dem Übergänge eines Schülers von einer deutschen höheren Sch. an eine preußische staatliche höhere Sch. im Laufe eines Monats wird Schulgeld für diesen Monat bei der neuen Sch. nicht erhoben. Für die Rechtsstreitigkeiten über das Schulgeld ist der Rechtsweg gegeben § 15, G. bett, die Erweiterung des Rechtsweges, vom 24. 5. 1861 (GS. 242), § 13 GVG. 2. Für die nichtstaatlichen öffentlichen höhe­ ren Sch. gilt folgendes: Das Schulgeld für den Be­ such einer von der Gemeinde unterhaltenen höheren Sch. ist eine Gebühr im Sinne der §§ 4,69 KAG. Rechtsstreitigkeiten sind daher mit Einspruch und Klage im VwStr. zu verfolgen (OVG. 64, 371). Erhöhung des Schulgeldes darf nicht mit rück­ wirkender Kraft festgesetzt werden (OVG. 77, 281). Beschlüsse der Gemeinde über die Schul­ gelderhebung sind von dem Provinzialschul­ kollegium, nicht auch von dem Kr.- oder BezA. zu genehmigen, keine Klage gegen Versagung der Genehmigung PBBl. Jahrg. 47, 538; über die Verpflichtung zur Schulgeldzahlung bei zeit­ weiliger Schließung der Sch. PVBl. Jahrg. 48, 197. Im übrigen bestimmt der Erl. vom 25. 2. 1926 (UZBl. 114) für diese Anstalten (wegen der Gültigkeit des Erl. OVG. vom 22. 11. 1927, PrVBl. 49,611): Genehmigt werden kann nur ein Schulgeld bis zu 200 RM jährlich. Die Genehmi­ gung einer gemeindlichen Schulgeldordnung darf nur erfolgen, wenn Geschwisterermäßigungen und Mittel zur Förderung begabter, minderbemittel­ ter Schüler mindestens in dem an Staatsanstallen vorgeschriebenen Umfange (s. oben) bewilligt wer­ den, wenn dabei zwischen den einheimischen und auswärtigen Sch. ein Unterschied grundsätzlich nicht gemacht wird, und wenn die Regelung für ausländische Schüler und für Sonderleistungen den für die Staatsanstalten getroffenen Bestim­ mungen (s. oben) angepaßt wird. Für die aus­ wärtigen Schüler kann ein Zuschlag von 25% erhoben werden. Staffelung des Schulgeldes nach der Leistungsfähigkeit (durch G. vom 24. 7. 1906 GS. 376, für zulässig erklärt), darf nur ge­ nehmigt werden, wenn die Einzelsätze im Durch­ schnitt die allgemein zugelassenen Sätze nicht übersteigen. Empfohlen wird den Unterhaltungs­ trägern der nichtstaatlichen öffentlichen höheren Sch. die Einführung der staatlichen Regelung beim Übergang eines Schülers von einer Anstalt auf eine andere (s. oben). Eine Neuregelung der Schulgelderhebung an nichtstaatlichen öffentlichen höheren Sch. war in einem im MfW. ausgearbeiteten Gesetzentwurf über die Unterhaltung

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dieser Anstalten vorgesehen, abgedruckt bei Friede, Schulgeld S. 211. Für private höhere Sch. gel­ ten die vorstehenden Bestimmungen nicht; soweit sie Staatszuschüsse erhalten: IA, Zifs. 1—5 Erl. vom 12. 5. 1927 (UZBl. 178). 5. Unfallversicherung: Der MsW. hat mit Beginn des Schuljahrs 1926/27 sämtliche Schüler und Schülerinnen der staatlichen höheren Sch. durch einen mit dem „Verbände der öffent­ lichen Lebensversicherungsanstalten in Deutsch­ land" geschlossenen Vertrag gegen Unfall ver­ sichert (Erl. vom 22. 2. 1926, UZBl. 81, abge­ ändert durch Erl. vom 30.3.1927, UZBl. 128). Die Prämie beträgt zur Zeit 1,50 RM jährlich für den Schüler. Nichtstaatliche höhere Sch. können dem Vertrage zu den gleichen Bedin­ gungen beitreten. Auch besteht die Möglichkeit, den Versicherungsschutz auf den Lehrkörper und Hausmeister, sowie auf private höhere Sch. auszudehnen. Versichert werden die Schüler gegen Unfälle 1. auf dem Schulgrundstück, 2. außerhalb desselben bei Veranstaltungen der Sch., 3. auf dem Wege von und zum Schulgrund­ stück bzw. von und zu den Veranstaltungen der Sch., 4. bei Veranstaltungen eines Schülervereins. 6. Um die Schüler in erhöhtem Maße zur tätigen Mitarbeit am gesamten Leben ihrer Sch. heranzuziehen und dadurch die Selbständigkeit und das Verantwortungsgefühl, den Sinn für das Gemeinschaftsleben, sowie das Vertrauens­ verhältnis der Schüler untereinander und zu den L- zu finden, sind durch Erl. vom 21. 4. 1920 (UZBl. 317) Richtlinien für eine Schülerselbst­ verwaltung ergangen. Die Schüler der ein­ zelnen Klassen wählen „Sprecher", die zusam­ men mit den ebenfalls gewählten Inhabern der übrigen Klassenämter den „Klassenausschuß" bilden. Die Sprecher der oberen Klassen bilden den „Schulausschuß", der sich einen „Berater" aus den Mitgliedern des Lehrkörpers wählt. Einmal monatlich mindestens tagt die „Klassen­ gemeinde", worunter eine Aussprache der Klasse in der Regel mit dem Klassenleiter über Ange­ legenheiten der Klassengemeinde oder andere von den Schülern vorgeschlagenen Fragen verstanden wird. Die oberen Klassen einer Anstalt können sich zur „Schulgemeinde" zusammenschließen. 7. Schulzucht. Die Regeln über die Hand­ habung der Schulzucht sind durch besondere Schulordnungen der einzelnen Anstalten und durch allgemeine Anordnungen der Aufsichts­ behörden geregelt. Sie bestimmen je nach den örtlichen Bedürfnissen über das Verhältnis zwi­ schen Sch. und Haus, über die häusliche Arbeit für die Sch., über das Verhalten der Schüler, so­ weit es die Zwecke der Sch. schädigt, ihr Beneh­ men auf der Straße, den Besuch von Theatern (vgl. Erl. vom 8. 3. 1912, UZBl. 358, und vom 12. 7. 1920, UZBl. 593) und von Wirtshäusern, die Aufsicht über die Pensionen der auswärtigen Schüler (Dienstanweisung männl. A 4, weibl. 4); über die Erteilung von Privatunterricht durch Schüler (Erl. vom 27. 11. 1893, UZBl. 1894, 272). Wegen der Teilnahme von Schülern an Vereinen und der politischen Betätigung der Schüler s. Schulen III 1 und 5. Bei der Schulzucht ist frühzeitig auf krankhafte Geistes­ richtung, individuelle Behandlung, Verhinderung gefährlicher Lektüre, frühzeitiger ungeeigneter

Genüsse, rechtzeitige Abmahnung unbegabter Schüler von weiteren Studien, besonders ein­ geschärft aus Anlaß der überhandnehmen­ den Selbstmorde und Selbstmordversuche bei Schülern h. L., Bedacht zu nehmen, Erl. vom 30. 6. 1884; vom 24. 12. 1889; vom 29. 4. 1897; vom 18. 4. 1901 abgedr. bei GüntherGünther, Schüler und Schülerin S. 196 ff. Die Zuchtmittel der Sch. sind in den Dienst­ anweisungen für die Direktoren und L. auf­ geführt (für die männliche Jugend: A 6, für die weibliche Jugend: Zisf. 6). Strafen sind bei Knaben: Tadel (Verweis unter Eintragung ins Klassenbuch); Arrest, der bis zu einer Stunde von dem Lehrer allein, bis zu zwei Stunden mit Zustimmung des Direktors, über zwei Stunden von der Klassenkonferenz verhängt wird; ferner schriftlicher Verweis (durch Beschluß der Klassen­ konferenz); endlich Androhung und Ausspruch der Verweisung von der Anstalt (durch die Ge­ samtkonferenz mit nachfolgendem Bericht des Direktors an dasProvinzialschulkollegium).Scheltworte, die das Ehrgefühl der Schüler verletzen müssen, sind zu vermeiden. Die körperliche Züchtigung ist nur in außerordentlichen Fällen zulässig und im wesentlichen auf die unteren Klassen zu beschränken. Schläge an den Kopf sind zu vermeiden. Jede Züchtigung ist vorher oder unmittelbar nachher dem Klassenleiter und dem Direktor mitzuteilen. Gegenüber Mädchen sind körperliche Züchtigung und ehrverletzende Scheltworte verboten. Wegen der Verweisung gilt das gleiche wie bei den Knaben. Arreststrafe ist nicht zulässig. Sonstige Strafen sind: Rüge (Verweis unter Eintragung ins Klassenbuch), Tadel (Verweis mit schriftlicher Mitteilung an die Eltern), beide kann der L. allein ver­ hängen; und ein von der Klassenkonferenz zu be­ schließender schriftlicher Verweis. Mitteilungen über S ch ul straf e n u. dgl. dürfen nicht durch die Schüler bestellt werden. Sie sind als „porto­ pflichtige Dienstsache" zu senden (Erl. vom 4. und 5. 5. 1922, UZBl. 227 u. 228). Ma. Friede, Schulgeld, 1927; Günther-Günther, Schüler und Schülerin der höheren Schule, 1926; Metz n er-Thiele, Versetzungs- und Prüfungsbestimmungen 1927, sämtlich Berlin, Weidmannsche Buchhandlung.

Höhere Lehranstalten, Verwaltung. Über­ sicht: I. Errichtung, Anerkennung, Aufhebung und Verstaatlichung. II. Außere Verwaltung. 1. Unierhaltsträger; 2. Patronat; 3. Ver­ waltungsordnung. III. Schulgebäude. IV. Haus­ meister. V. Verschiedenes: 1. Schülerheime; 2. Lehrbücher; 3. Jahresberichte; 4. Staatszu­ schüsse: a) für öffentliche, b) für private höhere nichtstaatliche Lehranstalten; 5. Höhere deutsche Auslandsschulen. VI. Schrifttum. I. 1. Die Errichtung h. L. geschieht ent­ weder vom Staat oder von den Gemeinden. Außerdem bestehen einige aus Stiftungen her­ vorgegangene Anstalten (u. a. Schulpforta, Jo­ achimsthal, Ritterakademien in Liegnitz und Brandenburg, Kloster-, Domschulen). Vor der Errichtung einer h. L. durch eine Gemeinde ist sowohl die Bedürfnisfrage wie die Leistungs­ fähigkeit des Unterhaltungsträgers der Anstalt zu prüfen. Eingehende Richtlinien hierfür sind in einem Erl. vom 22. 1. 1922 (abgedruckt bei Friebe, Verwaltungsordnung S. 27) zusammen­ gestellt. Die Gründung bedarf der Genehmi-

Höhere Lehranstalten, Verwaltung

gung des MsW., § 2 II 12 ALN. Diese wird nur erteilt, wenn der Unterhaltsträger sich in rechtsverbindlicher Form verpflichtet hat: I. Die Anstalt ohne Beihilfe des Staats aus eigenen Mit­ teln zu unterhalten und Staatsmittel jetzt und künftig nicht in Anspruch zu nehmen; 2. für den Unterrichtsbetrieb ausreichende und geeignete Räumlichkeiten und Einrichtungen einschließlich einer Turnhalle bereitzustellen; 3. hinsichtlich der Art und Anzahl der L. und der Beschaffung von Lehrmitteln den Anordnungen der SchAB. nach­ zukommen; 4. die Gewährung der Dienstbezüge, Ruhegehalts- und Hinterbliebenenversorgung für den Leiter und die planmäßigen und nichtplanmäßigen L-, ihre Einstufung in die Besoldungs­ gruppen, die Verleihung von Ausrücke- und Be­ förderungsstellen, die Bewilligung von Reiseund Umzugskosten, Umzugskostenbeihilfen, Bei­ hilfen für doppelten Haushalt sowie die Be­ willigung von Beihilfen, Vergütungen und Ent­ schädigungen sonstiger Art entsprechend den für die Leiter und L. an Staatsanstalten jeweils gel­ tenden Bestimmungen nach näherer Anweisung der SchAB. vorzunehmen; 5. hinsichtlich der Wahl der Studienräte nach den Bestimmungen der Ordnung der Anwärter für das Lehramt an höheren Sch. in Preußen zu verfahren, vgl. Friebe a. a. O. S. 24. Die von der Gemeinde derart übernommenen Verpflichtungen können als ihnen „gesetzlich obliegende Leistungen" im Sinne des § 19 ZG. die Grundlagen der Zwangsetatisierung bilden (OVG. 37,179); vgl. Friebe, Verwaltungs­ ordnung S. 49. 2. Von der Genehmigung der Gründung einer h. L. ist ihre Anerkennung als solche zu unter­ scheiden. Sie erfolgt für alle Anstalten durch den MfW., auch für die Lyzeen (vgl. Ziss. 10o Erl. vom 21. 3.1923, UZBl. 147), und wird erst er­ teilt, wenn nach Revision und Abhaltung der ersten Abschlußprüfung durch einen Kommissar des Provinzialschulkollegiums der äußere Bestand und die innere Leistungsfähigkeit der Anstalt nachgewiesen erscheint. 3. Die einmal errichtete Anstalt kann nur mit Genehmigung der SchulAB. aus geh oben wer­ den, vgl. Friebe," Berwaltungsordnung S. 26 und OVG. VIIIA 25. 26 vom 7. 2. 1928. Diese Genehmigung wird im allgemeinen nur erteilt, wenn der Abbau klassenweise von unten herauf geschieht, so daß die auf der Anstalt bereits befindlichen Schüler die mit ihr verbundenen Berechtigungen noch erlangen können (Erl. vom 31. 1. 1835; Friebe, Verwaltungsordnung S. 25 ff., 27). 4. Die Verstaatlichung einer gemeindlichen h. L. findet im allgemeinen nur statt, wenn die Gemeinde nicht in der Lage ist, die Un­ terhaltungskosten zu tragen, die Erhaltung der Sch. aber einem öffentlichen Bedürfnisse ent­ spricht (Erl. vom 23. 1. 1890, UZBl. 193). In der Zeit nach dem Weltkriege hat in weiterem Umfange eine Verstaatlichung h. L. für die weibliche Jugend stattgefunden, während vor­ her nur ganz vereinzelt derartige Sch. als Staatsanstalten bestanden hatten. Wegen der bei Verstaatlichungen von den Gemeinden er­ forderten Leistungen und dem Muster eines Ver­ staatlichungsvertrages vgl. Friebe, Verwaltungs­ ordnung, S. 29 ii. 121).

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II. I. Die öffentlichen h. L. werden nach der Person des Unterhaltsträgers in staatliche und nichtstaatliche eingeteilt. Die staatlichen h. L. werden auch vom Staate unterhaltene Anstalten genannt, die nichtstaatlichen Sch. zerfallen in a) die vom Staate verwalte­ ten Anstalten ehemaligen landesherrlichen Pa­ tronats; b) die vom Staate und andere ge­ meinschaftlich unterhaltenen (Kompatronats-) Anstalten; c) die von andern (meist Städten) unterhaltenen Anstalten; vgl. Staatshaushalt für 1927 Kap. 116 Zit. 71, 73, 74, 78, 79; Verzeichnis der einzelnen Anstalten; Beilage 9 des Staatshaushalts. Sämtliche h. L. haben nach § 54 II 12 ALR. die äußeren Rechte der Korporationen. Sie werden in der Ver­ waltungspraxis auch in den neueren Provinzen als selbständige juristische Personen an­ gesehen, doch ist dies nicht unbestritten (vgl. Friebe, Verwaltungsordnung S. 22). Die Ver­ waltung der Anstalten, die nach § 55 II12 ALR. durch die Schulkollegia, nach der eingesührten „Schulordnung jedes Ortes ausgeübt" werden soll, erfolgt für die Staatsanstalten durch die Provinzial schulkollegien. 2. Für die nichtstaatlichen Anstalten hat sich im Anschluß an die genannte Vorschrift des ALR. der diesem fremde Begriff eines Patronats ent­ wickelt. Dieses stellt den Inbegriff derjenigen Rechte dar, die in bezug auf die einzelne h. L. derjenigen Gemeinde oder Stiftung zuste­ hen, durch welche die Anstalt begründet worden ist bzw. welche letztere zu unterhalten hat. Die Ausübung dieses Patronats in den Städten war verschiedenartig. Entweder war damit die städtische Schuldeputation befaßt, vielfach be­ standen Schulkuratorien (auch Schulkommis­ sionen, Scholarchate usw. genannt), ebenso häufig führte aber auch die Gemeindebehörde als solche die Verwaltung. 3. Um hierin eine Vereinheitlichung herbeizu­ führen, vor allem aber um die Fragen nach der Abgrenzung zwischen staatlicher und städtischer Zuständigkeit zu klären, wurde im Einvernehmen mit dem Preußischen Städtelag von dem MdgA. das Muster einer „Verwaltungsordnung für städtische h. L." entworfen und den Patrona­ ten, d. h. den Unterhaltungsträgern der nichtstaat­ lichen h. L. durch Erl. vom 1. 10. 1918 (UZBl. 634) zur Einführung empfohlen. Ursprünglich war die Verwaltungsordnung mit Bestimmungen über die Einführung von Ellernbeiräten verbunden, doch wurden letztere durch Erl. vom 5. 11. 1919 (UZBl. 662) anderweit geregelt, s. Schulen III9. Obwohl ein Zwang zur Einführung der Verwal­ tungsordnung eine Zeitlang nur insoweit ausgeübt wurde, als die Einführung mehrere Jahre zur Be­ dingung für den Staatszuschuß gemacht worden war, wurde sie wegen der Erweiterung der Rechte des Patronats von den meisten Patronaten einge­ führt, so daß sie heute im wesentlichen die Grund­ lage für die Verwaltung des nichtstaatlichen höheren Schulwesens bildet, vgl. Friebe, Ver­ waltungsordnung S. 5 u. 12. Die Verwaltungs­ ordnung geht davon aus (vgl. Erl. vom 1.10.1918, UZBl. 634), 1. daß Aufsicht und Leitung in An­ gelegenheiten des Unterrichts und der Schulzucht (also in den sog. inneren Schulangelegenheiten) gesetzlich Sache des Staates ist und bleibt; 2. daß

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Höhere Lehranstalten, Verwaltung

die rechtliche Doppelnatur der (durch die Ver­ waltungsordnung neugeschaffenen) Schulausfchüfse es ermöglicht, ihnen die Verwaltung ab­ gegrenzter staatlicher Schulangelegenheiten zu übertragen. Soweit der Schulausschuß die Schul­ angelegenheiten der Gemeinde bearbeitet, ist er kraftAuftrages der zunächst zuständigen Gemeinde­ behörde tätig, soweit er in staatlichen Schulange­ legenheiten tätig ist, arbeitet er kraft Auftrags der zunächst zuständigen staatlichen Unterrichtsver­ waltung; 3. daß die Leiter und L. der nicht­ staatlichen höheren Sch. nach geltendem Recht ge­ mäß dem KommunalbeamtenG. nicht Ge­ meindebeamte sind, daß also insbesondere der Vertreter der Gemeindebehörde gegenüber den genannten Lehrpersonen nicht Vorgesetzteneigenschaft besitzt. Mit dem letzteren Satze wird eine der bestrittensten Fragen auf dem Gebiete des Schul­ rechts berührt, welchen Beamtencharakter die an einer nichtstaatlichen höheren Sch. angestellten Lehrpersonen haben. Zwei Hauptansichten stehen sich gegenüber. Nach der einen sind diese Lehr­ personen unmittelbare Staatsbeamte, nach der anderen Gemeindebeamte. Während in der Wissenschaft vorherrschend die erstere, besonders auch von der Philologenschast verfolgten Ansicht vertritt, hat sich das RG. zuletzt der zweiten ange­ schlossen und die genannten Lehrkräfte für Kom­ munalbeamte im engeren Sinne erklärt. Das OVG. hält sie unter Ablehnung der zweiten An­ sicht für „Beamte, denen die Rechte und Pflichten der unmittelbaren Staatsbeamten ausdrücklich beigelegt worden sind" (vgl. RGZ. 84, 27; 97, 312; OVG. 72, 228; ferner Friebe, Verwaltungs­ ordnung S. 99ff. daselbst Zusammenstellung der Literatur S. 144ff., Anschütz und Giese, „Der Beamtencharakter der L. an den öffent­ lichen h. L in Preußen, zwei Rechtsgutachten, veröffentlicht vom Preußischen Philologenver­ band" 1925). Aus dem Inhalt der Verwaltungs­ ordnung ist folgendes hervorzuheben: Zur Ver­ waltung der Angelegenheiten der städtischen h. L. können ein oder mehrere Schulausschüsse gebil­ det werden. Der Schulausschuß ist als städtische Verwaltungsdeputation zur Verwaltung der lau­ senden städtischen Angelegenheiten der höheren Sch. berufen (§4). Ihm gehören an derBürgermeister oder ein von diesem beauftragtes Magistrats­ mitglied als Vorsitzender, ferner je drei Mitglieder des Magistrats und Stadtverordnete, eine Anzahl stimmfähiger Bürger und bis zu drei Direktoren der h. L. (§ 5). Durch Erl. vom 21. 7. 1921 (UZBl. 298), ergänzt durch Erl. vomll. 2.1922 (UZBl. 88) wurde angeordnet, daß auch Vertreter der Lehrerschaft dem Schulausschuß angehören müs­ sen. Zum Aufgabenkreis des Schulausschusses als städtischer Verwaltungsdeputation gehören, soweit nicht bautechnische Dienststellen der Stadt zuständig sind: a) die Beaufsichtigung, Erhaltung und Instandsetzung der Schulgebäude und der Anstaltseinrichtung einschließlich der Lehrmittel; dazu Erl. vom 30. 1. 1922 (UZBl. 67), wonach der Patron kein Aussichts­ recht über die zum inneren Schulbetrieb gehören­ den Schülerbüchereien hat; b) die Vorbereitung der Haushaltpläne und Vorprüfung der Jahres­ rechnungen^) die Überwachung der Verwendung der für den Zweck der laufenden Schulverwaltung bereitgestellten Mittel innerhalb der Grenzen der

Haushaltpläne; d) die Genehmigung und Ab-' änderung von Bestimmungen der Schulordnung, die sich nicht auf die Angelegenheiten der staat­ lichen Schulverwaltung (innere Schulangelegen­ heiten) beziehen. Hinsichtlich dieser, sowie vor Er­ laß einer Schulordnung ist der Schulausschuß gut­ achtlich zu hören; e) die Beschlußfassung über die Anträge aus Verleihung von Freistellen und Schulgeldermäßigungen; f) die Entlassung von Schülern wegen unbezahlten Schulgeldes. Das Einverständnis des Schulausschusses ist erforder­ lich zu der von der staatlichen Schulbehörde (dem Provinzialschulkollegium) zu erteilenden Geneh­ migung zur Übernahme von Nebenämtern und Nebenbeschäftigungen der Lehrer. Eine Ausnahme macht die Erteilung von Unterricht an anderen Lehranstalten und von Privatunterricht, soweit in beiden Fällen die Zahl von vier Wochenstunden nicht überschritten wird, sowie wissenschaftliche Ar­ beiten und die Mitarbeit in staatlichen Prüfungs­ kommissionen (§ 6). Wegen der Mitwirkung des Schulausschusses bei der Wahl und bei der Ur­ laubserteilung an Lehrkräfte s. Höhere Lehr­ anstalten, Lehrer Bin. III. Der Vorsitzende des Schulausschusses oder ein von ihm beauf­ tragtes schultechnisches Mitglied der Stadt­ verwaltung ist berechtigt, nach vorheriger Ver­ einbarung der Zeit mit dem Schulleiter den Lehrstunden als Zuhörer beizuwohnen (§ 9). Von bevorstehenden größeren Besichti­ gungen der Schüler durch Mitglieder der staat­ lichen Schulbehörde ist der Vorsitzende des Schul­ ausschusses rechtzeitig zu benachrichtigen. Er kann an der Schulbesichtigung zuhörend teilneh­ men und der sich anschließenden Besprechung zwischen dem Direktor und dem Mitgliede der Staatsbehörde (nicht der Besprechung in der Lehrerkonserenz) beiwohnen, sich hierbei auch durch den für Schulangelegenheiten zuständigen Dezernenten vertreten lassen (§ 10). Die Ein­ führung eines neuernannten Schulleiters (über die in der Verwaltungsordnung nichts enthalten ist) liegt der SchAB. ob, Jnstr. vom 23.10.1817 § 18a (GS. 237), Erl. vom 4.9.1862 (UZBl.463), vom 28.10.1868 (UZBl. 48). Eine wichtige Neue­ rung ist die Einführung des sog. Durchgangsver­ kehrs, d. h. der gesamte schriftliche Verkehr zwi­ schen Schulleiter und SchAB. geht durch die Hand des Vorsitzenden des Schulausschusses. Eine Aus­ nahme machen a) die Berichte über Studienrefe­ rendare -innen); b) Prüfungsfächer:; c) Diszi­ plinarangelegenheiten der Schüler und Lehrkräfte. Bon letzteren hat der Schulleiter dem Vorsitzenden des Schulausschusses vertrauliche Mitteilung zu machen; d) Eilsachen, von denen aber dem Vor­ sitzenden des Schulausschusses gleichzeitig Abschrift zu geben ist (811). Der Schulausschuß ist berechtigt und auf Verlangen der staatlichen Schulbehörde verpflichtet, sich auch in bezug auf Angelegenheiten, die in der Verwaltungsordnung nicht behandelt sind, gutachtlich der staatlichen Schulbehörde gegen­ über zu äußern oder sie mit dem Schulleiter zu er­ örtern. Vor Erlaß und Abänderung einer Schul­ ordnung ist er gutachtlich zu hören, insoweit es sich um Angelegenheiten der staatlichen Schulverwal­ tung handelt (§ 13). Die Schulleiter müssen dem Vorsitzenden des Schulausschusses, und zwar auch in den Sitzungen des Schulausschusses, Auskunft über alle Angelegenheiten erteilen, auf welche

Höhere Lehranstalten, Verwaltung

sich die Verwaltungsordnung bezieht. Namentlich hat er u. a. den Unterrichtsverteilungsplan dem Vorsitzenden des Schulausschusses so zeitig mitzu­ teilen, daß Bedenken mit Rücksicht auf den Haus­ haltplan zur Geltung gebracht werden können (§ 19). III. Schulgebäude sollen ihrem Zweck ent­ sprechend gut und dauerhaft gebaut, geräumig und lustig sein, sowie den Anforderungen der Gesundheitspflege genügen. Die Verwaltungs­ praxis der Unterrichts- und Hochbauverwaltung in bezug auf „Bau und Einrichtung der staatlichen h. L." ist in dem gleichnamigen Buch von Delius, Berlin 1913, niedergelegt; vgl. auch Kaestner, Schulverwaltungsrecht, Berlin 1916, 42 ff. Für 360—400 Schüler wird ein Bauplatz von 55—60 a verlangt, so daß nach der Bebauung ein Dun-und Spielplatz von 5 qm auf den Kopf jeden Schülers zur Verfügung steht. Für die Klassenräume wird meist West-, für den Zeichensaal stets Nord-, für den naturwissenschaftlichen Unterricht Südlage erstrebt. Außer den Klassenräumen, bei welchen eine größere als sog. Kombinationsklasse er­ wünscht ist, gehören zu dem üblichen Bau­ programm einer h. L.: Aula, Gesangsaal, Zei­ chensaal mit Abstellraum, Turnhalle mit Ge­ räte- und Umkleideraum, Räume für den natur­ wissenschaftlichen Unterricht, Schüler- und Lehrer­ bücherei, Abstell-, Karten- und Sammlungs­ räume, Amtszimmer des Anstaltsleiters, Konfe­ renzzimmer, Sprechzimmer, hinreichende Schü­ ler- und Lehreraborte, Dienstwohnungen für den Anstaltsleiter und den Hausmeister. In den Mädchenanstallen sind besondere Räume für den Nadelarbeitsunterricht und bei Einrichtung einer Frauenschule die dazu notwendigen Räume be­ reit zu stellen. Wegen der Ausmaße der Klassen­ zimmer, Zeichensäle und Turnhallen s. Kaestner a. a. O. S. 43 ff. Wegen Beschaffung von Turnund Spielplätzen Erl. vom 25.2.1924 (UZBl. 72). Für gehörige Reinigung, Lüftung und Hei­ zung der Klassenzimmer und Turnhallen muß überall gesorgt werden (vgl. § 2 Anweisung vom 22.9.1927, UZBl. 303). Rauchbelästigungen durch fiskalische Feuerstätten sind durch geeignete Kontrolle zu verhindern (Erl. vom 25. 10. 1907, UZBl. 848). Die Schulbänke sollen möglichst so eingerichtet sein, daß sie die Reinigung erleichtern (UZBl. 1888, 680). Zur Feststellung der Luft­ temperatur soll in allen höheren und niederen Schulen der hundertteilige Thermometer an­ gebracht werden (UZBl. 1901, 186). Gewerb­ liche Anlagen in der Nähe von Sch. unter­ liegen Beschränkungen, sofern sie geeignet er­ scheinen, den Schulbetrieb erheblich zu stören (§27 GewO.). Wegen derhygienischen Über­ wachung der Schulgebäude gelten die §§ 94 ff. Dienstanweisung für die Kreisärzte vom 23. 3. 1901 in der Fassung vom 1. 9. 1909 (MMBl. 381) in Verbindung mit den Erl. vom 15. 3. 1905 (UZBl. 312); vom 3. 1. 1913 (UZBl. 305). Die Kreisärzte haben danach in fünfjährigem Turnus die h. L. einer Besichtigung zu unterziehen. Den Auftrag dazu erteilt auf Ersuchen des Provinzialschulkollegiums der RP. In dringen­ den Fällen kann der Anstaltsleiter oder der Patron die Kreisärzte um eine gutachtliche Äuße­ rung über hygienische Angelegenheiten der Sch. ersuchen. Wegen der Schließung der Anstalten

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wegen Krankheit s. Schulen III 4; wegen der sonstigen Vorschriften zur Verhütung bet Verbreitung übertragbarer Krankheiten s. Erl. vom 22. 9. 1927 (UZBl. 303). Über die Benutzung der Schulräume zu andern als Schulzwecken sind eine Reihe von Vor­ schriften ergangen: Erl. vom 30. 1. 1920 (UZBl. 204) Überlassung zu Versammlungen politischer und wirtschaftlicher Verbände; vom 22. 3. 1920 (UZBl. 296) Überlassung von Turn- und Sport­ einrichtungen an Leibesübungen treibende Ver­ bände; vom 24. 6. 1921 (UZBl. 274) Wahrung der Gesundheit der Schüler bei Vergebung von Schulräumen an Vereine. IV. Hausmeister. Ihnen liegt die Aufrecht­ erhaltung der äußeren Ordnung der h. L. ob. Sie hießen früher „Schuldiener", haben aber an den staatlichen Anstalten durch Erl. vom 4. 7. 1919 (UZBl. 508) die Amtsbezeichnung „Hausmeister" erhalten. Den Unterhaltsträgern der nichtstaat­ lichen h. L. ist die Einführung der gleichen Amts­ bezeichnung emvfohlen. Durch Erl. vom 20.2.1923 (UZBl. 123) ist für die Staatsanstalten eine all­ gemeine Dienstanweisung für die Hausmeister erlassen, deren Einführung ebenfalls den Patro­ naten der nichtstaatlichen Anstalten empfohlen ist. Aus den Bestimmungen der Dienstanweisung ist hervorzuheben: Der Anstaltsleiter ist der nächste Dienstvorgesetzte des Hausmeisters, nicht aber der Oberstudienrat und die einzelnen L. der Anstalt. Der Hausmeister ist zu persönlichen Dienstver­ richtungen für den Anstaltsleiter und seine Fa­ milie oder für andere Mitglieder des Lehrkörpers nicht verpflichtet. Ebensowenig sind die Familien­ angehörigen des Hausmeisters verpflichtet, diesen bei Erledigung seiner Dienstobliegenheiten zu un­ terstützen. Der Hausmeister ist nicht Vorgesetzter der Schüler und besitzt ihnen gegenüber keine Strafgewalt. Doch sind die Schüler gehalten, seinen auf die Ordnung, Reinlichkeit und Sicher­ heit des Anstaltsgrundstücks zielenden Weisungen Folge zu leisten. Verstöße hat der Hausmeister dem Anstaltsleiter zu melden (II 1). Der Haus­ meister hat die Sorge für Ordnung und Sicherheit der Anstalt und ihrer gesamten Ausstattung. Er hat die Reinigungsarbeiten sowie die Heizung und Beleuchtung der Anstalt grundsätzlich selbst zu be­ sorgen. Hilfskräfte nimmt nach Anhörung des Hausmeisters der Anstaltsleiter an (II 2). Neben den Dienststunden besteht für den Hausmeister die Pflicht zur Dienstbereitschaft, deren Zeit der An­ staltsleiter festsetzt (II 3). Für die Erledigung der Dienstobliegenheiten des Hausmeisters stellt der Anstaltsleiter nach Anhörung des Hausmeisters einen Dienstplan aus (II 6). Besonders geregelt sind der Sonn- und Feiertagsdienst (II 4) und der Urlaub (III) des Hausmeisters. Abänderungen und Ergänzungen der Dienstanweisung nach Maß­ gabe der örtlichen Verhältnisse sind mit Geneh­ migung des Provinzialschulkollegiums zulässig (V). Die Hausmeister an den Staatsanstalten werden nach Gruppe A 3 der Besoldungsordnung besoldet. V. 1. Schülerheime (Alumnate) sind An­ stalten, welche den Schülern einer h. L. Pen­ sion gewähren und ihr Leben außerhalb der Sch. unter geregelte Aufsicht stellen. Sie un­ terliegen den allgemeinen Vorschriften über die öffentlichen oder privaten Unterrichts- und Er-

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ziehungsanstalten nach Maßgabe des SchulaufsichtsG. (f. Schulaussicht) vom 11. 3. 1872 und der §§ 3—8 II, 12 ALR., der KabO. vom 10. 6. 1834 und der StM.-Jnstr. vom 31. 12. 1839 (s. Privatschulen). Vielfach sind die Alumnate auf Grund von Stiftungen mit höheren Unterrichtsanstalten verbunden. Hier­ her gehören folgende Anstalten: das Joachimsthalsche Gymnasium in Templin, die Ritter­ akademie in Brandenburg a. H., das Pädago­ gium in Züllichau, das Pädagogium in Put­ bus a. R., die Ritterakademie in Liegnitz, die Waisen- und Schulanstalt in Bunzlau, das Päd­ agogium der Brüdergemeinde in Niesky, die Landesschule in Psorta, die Klosterschule in Roß­ leben, das Alumnat des Pädagogiums zum Klo­ ster Unserer lieben Frauen in Magdeburg, die Franckeschen Stiftungen in Halle a. S., die Klo­ sterschule in Ilfeld, das Alumnat am Preuß. Hennbergischen Gymnasium in Schleusingen, die Schülerheimkolonie (Richter-Stiftung) an dem staatlichen Arndt-Gymnasium in Berlin-Dahlem, die Erziehungs- und Bildungsanstalten in Droyßig. Ferner sind in den Gebäuden der früheren Ka­ dettenanstalten zu Berlin-Lichterfelde, Potsdam, Naumburg a. S., Köslin,',Plön und Wahlstatt sog. Staatliche Bildungsanstalten eingerichtet, das sind staatliche h. L. realgymnasialen Charak­ ters (in Lichterfelde auch Oberrealschule, in Plön auch Gymnasium) verbunden mit Schülerheimen. Sie sind in erster Linie bestimmt zur Auf­ nahme von begabten Söhnen gefallener und schwerkriegsbeschädigter Kriegsteilnehmer, Aus­ landsdeutscher, deutschstämmiger Eltern aus den abgetretenen Gebieten, sowie minderbemittelter Eltern. Die Aufnahmebedingungen sind in den Erl. vom 15. 9. 1923 (UZBl. 339) und vom 18. 3.1925 (UZBl. 102) bekanntgegeben. An den Aufbauschulen als den Sammelschulen für be­ gabte Schüler, namentlich aus ländlichen Bezir­ ken, sind Schülerheime in der Regel erforderlich (Erl. vom 6. 2. 1925, UZBl. 43 Ziff. 35), s. Höhere Lehranstalten, Geschichte und Auf­ bau C II Id. 2. Die Einführung neuer Lehrbücher in den höheren Sch. bedarf ministerieller Genehmigung. Diese wird erteilt nach Maßgabe der Ordnung für die Einführung von Lehrbüchern vom 15.9.1923 (UZBl. 321). Doch gilt diese Ordnung nur für solche Lehrbücher, deren erstmalige Ein­ führung in den Unterrichtsgebrauch nach Ver­ öffentlichung der Ordnung erfolgen soll; für die bereits im Gebrauch befindlichen Bücher bleibt es bei den Vorschriften der Ordnung vom 31.10.1913 (UZBl. 781). Das Verbot der Benutzung von Geschichtslehrbüchern zum Unterricht in der Klasse (vgl. Erl. vom 6.12.1919, UZBl. 672; vom 8. 4. 1920, UZBl. 299) ist mit der Einführung von Geschichtslehrbüchern, die nach der neuen Ordnung genehmigt sind, für diese weggefallen (vgl. Erl. vom 10. 1. 1923, UZBl. 64; vom 10. 3. 1925, UZBl. 89). 3. Jahresberichte (Schulprogramme) der h. L. sollen den Eltern Einblick in die Arbeit der Schule gewähren und sie zu tatkräfti­ ger Mitarbeit heranziehen. Der vor dem Welt­ kriege übliche Austausch der Jahresberichte ist nicht wieder ausgenommen. An dessen Stelle ist die Staatliche Auskunftstelle für Schulwesen

mit der Bearbeitung der Jahresberichte beauf­ tragt; an Stelle des Austauschs tritt der Pflicht­ bezug der von der Auskunftstelle bearbeiteten Sammelbände (Erl. vom 26. 5. 1922 und vom 12. 2. 1925, beide unveröffentlicht). Es sind bis­ her die Jahrgänge 1921/22, 1922/23 erschienen, die ein sehr anschauliches Bild von dem inneren und äußeren Leben der h. L. in den Be­ richtsjahren, sowie reichhaltiges statistisches Ma­ terial geben. Von den Jahresberichten sind 10 Exemplare für den MfW., 5 für das Provin­ zialschulkollegium, 5 für die Staatliche Aus­ kunststelle und je 2 für die Staats- und die zu­ ständige Universitätsbibliothek bestimmt. Die Bestimmungen über die Ausstellung der Jahres­ berichte sind in dem erwähnten Erl. vom 12.2.1925 zusammenfassend neu geregelt. Sie müssen Be­ richte über den Unterricht (Lehrverfassung, Un­ terrichtsverteilung, Lektüreplan, Aufgaben für die Aufsätze, Reifeprüfungsaufgaben, Einrichtung des künstlerischen und technischen Unterrichts), die L., die Schüler, den Elternbeirat, sonstige Einrichtungen der Sch., ferner eine Anstalts­ chronik und die Vs. der vorgesetzten Behörden ent­ halten. Die Berichte müssen am 15. 5. jeden Jahres vorliegen. 4. a) Staatszuschüsse werden nichtstaatlichen öffentlichen und privaten h. L- be­ willigt. Die Bedingungen, unter denen Staats­ zuschüsse an nichtstaatliche öffentliche höhere Sch. bewilligt werden, sind nach Maßgabe der Erl. vom 26. 1. 1924 und vom 28. 4. 1925 (Friede, Verwaltungsordnung S. Ulfs.) und der Ziff. 52a der AussAnw. vom 15. 2. 1926 (UZBl. 97) zum Lehrerbildner-UnterbringungsG. folgende: 1. Die Bewilligung der Staatszu­ schüsse erfolgt unter Ausschluß einer privatrecht­ lichen Verpflichtung der Staatskasse in der Regel auf die Dauer von drei Jahren. Die Staatszu­ schüsse können jederzeit zurückgezogen werden, wenn die Bewilligungsbedingungen nicht erfüllt oder die sonst geltenden Vorschriften nicht be­ achtet werden. 2. Die durch die Haushaltspläne der Anstalten festgesetzten Zuschüsse sind für die Geltungsdauer der Haushaltspläne von den Unterhaltsträgern zum vollen Betrage bereit­ zustellen. Ersparnisse an diesen Zuschüssen, so­ weit es sich nicht um Ersparnisse an Dienstalters­ zulagen handelt, dürfen nur für Zwecke der An­ stalten verwendet werden. 3. Die Unterhalts­ träger sind verpflichtet, Leiter (-innen) und Lehrer (-innen) anderer nichtstaatlicher öffentlicher h. L. in offene Stellen zu übernehmen, sofern diese Lehrkräfte von der SchAB. im Einverständnis mit dem Unterhaltsträger der bisherigen An­ stalt aus dringenden dienstlichen Gründen ver­ setzt werden. Dabei ist eine Versetzung ledig­ lich auf Wunsch des beteiligten L. ausgeschlossen. Die Umzugskosten trägt der Unterhaltsträger der bisherigen Anstalt. Eine Versetzung auf Grund dieser Bestimmung darf nur mit ministerieller Ermächtigung ausgesprochen werden. Diese Er­ mächtigung wird nur erteilt, wenn die Be­ lange des Dienstes und der Sch. es als unbe­ dingt geboten erscheinen lassen, den Leiter (die Leiterin), den L. (die Lin.) an anderer Stelle zu verwenden. Vor der Versetzung ist dem Unter­ haltsträger der ausnehmenden Anstalt Gelegen­ heit zur Äußerung zu geben. Die Versetzung an

Höhere Verwaltungsbehörden (im Sinne der Reichsgesetze) — Holzlager

eine Anstalt, an die bereits ein L- (eine Lin.) auf Grund dieser Bestimmung gegen den Willen des Unterhaltsträgers versetzt worden ist, soll, wenn irgend möglich, vermieden werden. Die Ver­ setzung eines Leiters (Leiterin) an eine Anstalt, an die einer (eine) der drei vorhergehenden Leiter (-innen) aus Grund dieser Bestimmung gegen den Willen des Unterhaltsträgers versetzt worden war, ist unzulässig. 4. Die Unterhaltsträger der staatlich unterstützten nichtstaatlichen öffentlichen h. L. sind verpflichtet, die Leiter (-innen) und L. (-innen) an diesen Anstalten auch hinsichtlich der Gewährung von Reisekosten, Tagegeldern, Umzugskosten, Wohnungsbeihilfen und Beschäf­ tigungstagegeldern sowie der Freistellung von Versicherungspflichten nach den Bestimmungen zu behandeln, die für Leiter (-innen) und L. (-innen) an den vom Staate unterhaltenen h. L. jeweils allgemein gelten. Es ist indes zulässig, die Bewilligung von Umzugskosten an den Vorbehalt zu knüpfen, daß der Leiter (die Leiterin) oder L. (Lin.) zur Rückzahlung ver­ pflichtet sein soll, wenn er (sie) nicht eine be­ stimmte Zeit im Schuldienst des Unterhalts­ trägers verbleibt. Die Bindung darf den Zeit­ raum von fünf Jahren nicht übersteigen. 5. Die Unterhaltsträger der nichtstaatlichen öffentlichen h. L. sind gehalten, Planstellen für akademisch ge­ bildete L. (-innen), die nicht mit Studienräten (-innen) besetzt werden, aus dem zur Anstellung heranstehenden Jahrgang der nach § 13 BdEg. (jetzt § 15 BesG.) gebildeten Anwärterliste (s. H. L. Lehrer A IV) zu besetzen. b) Wegen der Zuschußbewilligung für private h. L. >vgl. Erl. vom 12. 5. 1927 (UZBl. 178) ergänzt durch Erl. vom 16. 1. 1928 (UZBl. 46). Die Staatsbeihilsen werden vom Beginn des Rechnungsjahres 1927 ab für die Dauer von drei Jahren gewährt. 5. Höhere deutsche Auslandsschulen be­ stehen in einer Reihe von Orten des Auslandes; vgl. die Zusammenstellung im Philologen-Jahrbuch 1927/28 Teil II, Breslau 1927. Sie werden in der Regel von örtlichen Schulvereinen unter­ halten und unterstützt von dem „Verein für das Deutschtum im Auslande". Die Anerkennung der Sch. und die damit verbundene Verleihung der Berechtigungen liegt dem RMdJ. ob. Ma.

Landä-Günther, Schülerheime, Sammlung der Bestimmungen und Überiicht über die bestehenden öffentlichen und privaten Schülerheime, Berlin 1925, nebst Nachtrag; Kaestner, Schulvertoaltungsrecht, Leipzig 1916; Kühn, Schulrecht in Preußen, Leipzig 1926; Friede, Die Berwaltungsordnung für städtische höhere Lehranstalten, Berlin 1925; Delius, Bau und Ein­ richtung der staatlichen höheren Lehranstalten in Preußen, Berlin 1912.

Höhere Berwaltungsbeh örden (im Sinne der Reichsgesetze) sind die Mittelinstanz zwischen uV. (s. d.) und der Landeszentralbehörde (Ministe­ rien). In der Regel ist der RP., in Berlin der PolPräs., h. V., doch tritt hier in vielen Fällen, überall da, wo der Magistrat uB. ist, der OP. von Berlin als h. V. ein. Bei der Genehmigung von Satzungen, bei der Beschlußfassung über Än­ derung von Organisationen und bei solchen An­ gelegenheiten, wo gegen die Beschlußfassung der h. B. das VwStr. vorgeschrieben, ist der BezA. h. V., doch tritt in Berlin in einzelnen Fällen an seine Stelle der OP. oder der PolPräs. von Ber­ lin. Bei Betrieben, die der Aufsicht des Oberberg­

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amts unterstehen, ist dieses h. B. (Ziff. 2, 6 der AusfAnw. z. GewO, vom 1. 5.1904, HMBl.123, in der Fassung des Erl. vom 25.11.1909, HMBl. 506; Ziff. 1 der AusfAnw. z. Kinderschutz G. vom 3. 5. 1926, HMBl. 125, Erl. vom 25. 2. 1910, MBl. 62, zur Ausführung des G., be­ treffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. 5. 1909, RGBl. 437). AusfAnw. z. HausarbeitsG. (RGBl. 1923, 472), vom 27. 12. 1923 (HMBl. 1924, 15). Für die Staatshütten im Oberbergamtsbezirke Clausthal ist das Ober­ bergamt Clausthal, für die Reichsdruckerei der Staatssekretär des Reichspostamts, für die staatl. Münze und die amtliche Probieranstalt in Frank­ furt a. M. der FM., für die Betriebe der Heeres­ verwaltung der KrM., für die Betriebe der Marineverwaltung der RWM., für die Betriebe der Reichseisenbahnverwaltung die Eisenbahn­ direktionenh. V. (Bek. vom 2.4.1892, MBl. 159; vom 25. 5. 1892, MBl. 230, und vom 16. 5.1898, MBl. 125). Neuerdings wird der Begriff „h. B." durch die von der Obersten Landesbehörde be­ zeichnete Stelle ersetzt. F. H. Höherer Verwaltungsdienst, Befähigung znm s. Verwaltungsdienst usw. Holland s. Niederlande. Holl, reformierte Kirche s. Kirchenverfas­ sung A 3, Kirchensteuern A III2. HolzimprägnierungSanstalten. Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit erhitzten Teerölen sind genehmigungspflichtige Anlagen (s. Ge­ werbliche Anlagen I). S. auch Ziff. 32 TechnAnl. Die Jmprägnierkessel sind Dampffässer [f. b.] (Erl. d. HM. vom 5. 9. 1900). F. H. Holzläger sind Privattransitläger (s. Nieder­ lagen A 3) ohne amtlichen Mitverschluß für Bau- und Nutzholz. Sie dienen der Förderung des Durchfuhrhandels und wurden bei Wieder­ einführung der Holzzölle durch § 7 Ziff. 2 ZollTG. vom 15. 7. 1879 (RGBl. 212) geschaffen. Das ZollTG. vom 25. 12. 1902 (RGBl. 303) hat sie im § 11 Ziff. 2 aufrechterhalten. Für H. gilt die Besonderheit, daß von einer Umschließung der zur Lagerung bestimmten Räume abgesehen werden kann. Auch ist in gewissem Umfange ein zollfreier Veredelungsverkehr, dessen Bewilligung sonst in dem Ermessen der Zollbehörden steht, für die zum H. gebrachten Hölzer gesetzlich festgelegt. Diese Hölzer dürfen zeitweise aus dem Lager entnommen und, nachdem sie einer Behandlung unterlegen haben, durch die sie unter den Begriff des mit einem höheren Zolle belegten Bau- und Nutzholzes oder einer groben rohen Holzware fallen, in das Lager zurückgeführt werden. Dabei ist selbstverständlich auch eine Behandlung ge­ stattet, die den Zollsatz der Hölzer nicht verändert. Für Abfälle, die bei der Bearbeitung entstehen, tritt im Falle der Wiederausfuhr der Hölzer Zoll­ erlaß ein; die Höhe der Abfallprozente war früher gesetzlich festgelegt, jetzt ist ihre Festsetzung dem BR. (RR.) überlassen. Die H. sind entweder reine oder gemischte, je nachdem aus ihnen die ge­ lagerten Hölzer nur in das Ausland abgesetzt werden oder auch durch Verzollung in den Jnlandsverbrauch übergehen dürfen. Gemischte H. dürfen nicht allerorts, sondern nur an den vom BR. (RR.) bestimmten Orten bewilligt werden. Die näheren Bestimmungen über die H. enthält die Holzlagerzollordnung (ZBl. 1906, 103),

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Holzungen — Honorare für Vorlesungen an Universitäten und technischen Hochschulen

die sich mit Nachträgen bei Troje-Düffe, Die Ordnungen usw. zu den Zollgesetzen, Teil III Nr. XIX abgedruckt findet. Sdt. Holzungen, gemeinschaftliche s. Gemein­ schaftliche Holzungen. Holzzölle. Die noch im Tarif von 1860 (GS. 301) enthaltenen Zölle für Bau- und Nutzholz wurden durch den eine freihändlerische Richtung einleitenden Tarif von 1865 (GS. 209) beseitigt. Sie lebten erst wieder auf in dem zum Schutz­ zollsystem zurückkehrenden Tarif vom 15. 7. 1879 (RGBl. 212) und erhielten durch die Novelle vom 22. 5. 1885 (RGBl. 93) eine beträchtliche Er­ höhung; einige Ermäßigungen brachten wieder die Caprivischen Handelsverträge aus den Jahren 1891—1894. Im Tarif vom 25. 12. 1902 (RGBl. 303) wird Bau- und Nutzholz im Unterabschnitt 1 B (Erzeugnisse der Forstwirtschaft) einer reich­ haltigen Gliederung unterzogen. Die Zollsätze sind zumeist höher als die der Novelle von 1885, sie sind aber durch die Handelsverträge aus den Jahren 1904/05 teilweise herabgesetzt worden. . rennholz ist im Tarif von 1902 in der Ziff. 87 wie bisher zollfrei gelassen, desgleichen unter ge­ wissen Voraussetzungen in der Ziff. 86 Holz zur Herstellung von mechanisch oder chemisch bereite­ tem Holzstoffe (^.llulose). Wegen der Z Unfrei­ heit von Bau- und Nutzholz für Bewohner des Grenzbezirks s. Anm. zu Ziff. 74 des Tarifs. Sdt. Homöopathie ist eine im Gegensatz zur wissen­ schaftlichen Medizin stehende Heilmethode. Die Führung der Bezeichnung als „homöopathischer Arzt" ist bedingt durch den Besitz der ärztlichen Approbation gemäß § 29 GewO. Das gleiche gilt nach RGSt. 15, 170 für die Bezeichnung „Homöopath". Eine besondere Prüfung homöo­ pathischer Arzte findet nicht statt; sie unterliegen zur Erlangung der ärztlichen Approbation den­ selben Prüfungen wie die übrigen Arzte (s. d.). Im übrigen ist die Ausübung der H., soweit eine arztähnliche Bezeichnung dabei nicht geführt wird, ebenso wie die der Heilkunde überhaupt freige­ geben und unterliegt nur unter dem Gesichts­ punkt der Kurpfuscherei besonderer medizinal­ polizeilicher Aufsicht (§46 der Dienstanweisung f.d. Kreisärzte vom 1. 9. 1909, MMBl. 381). Über den Betrieb homöopathischer Arzneien (Selbst­ dispensierrecht) gelten im allgemeinen dieselben Vorschriften wie für den der Arzneimittel (s. d.). Besondere Vorschriften über den Betrieb homöo­ pathischer Apotheken und homöopathischer ärzt­ licher Hausapotheken s. im § 52 der Apotheken­ betriebsordnung vom 18. 2. 1902 (MMBl. 63). Apotheker erlangen die Befugnis zum Dispensieren homöopathischer Arzneien ohne weiteres durch die Apothekerapprobation in glei­ chem Maße wie bezüglich anderer Arzneimittel. Ärzte erlangen diese Berechtigung erst nach Bestehen einer besonderen Prüfung nach Maß­ gabe des Regl. vom 20. 6. 1843 (GS. 305) und der Prüfungsordnung vom 23. 9. 1844 (MBl. 290); die Erlaubnis selbst erteilt auf Grund be­ standener Prüfung der MfV. (s. § 2 des zit. Regl.). Vgl. auch Ärztliche Hausapotheken. Bsch. Homöopathische Arzneimittel. Über die ho­ möopathischen Apotheken und ärztliche homöo­ pathische Hausapotheken finden sich besondere Vorschriften in § 2 der Apothekenbetriebsordnung vom 18. 2. 1902 (MMBl. 63). Die Befugnis der

approbierten Medizinalpersonen zum Selbstdis­ pensieren h. A. ist im Reglement vom 20. 6.1843 (GS. 303) geregelt. S. dazu Erl. vom 23. 9.1844 (MBl. 290) und vom 13.4.1869 (MBl. 89). F. H. Honduras. Diplomatische Vertretung des Reichs: der Gesandte in Guatemala ist zugleich in H. beglaubigt. Keine Berufskonsularbehörden. H. ist Signatarmacht des Versailler Vertrags und Mitglied des Völkerbundes seit 3. 11.1920. Handelsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und H. vom 4. 3. 1926 (RGBl. II 325), enthal­ tend Meistbegünstigung in Handels-, Konsularund Schiffahrtsangelegenheiten. Kein Ausliefe­ rungsvertrag. Fro.

Honorare für Vorlesungen an Universitäten und technischen Hochschulen. I. Universitäten. Die mit großer oder kleiner Matrikel (s. Studie­ rende) eingeschriebenen Studenten zahlen eine Aufnahmegebühr, die bei wiederholter Einschrei­ bung ermäßigt wird, eine Studiengebühr und das Unterrichtsgeld. Die Höhe der Gebühren wird von dem MfW. für jedes Semester festgesetzt. Die Aufnahmegebühr beträgt (Sommersemester 1927) 25 RM, die Studiengebühr für Theologen 50 RM, für die Studenten der übrigen Fächer 60 RM halbjährlich. Das Unterrichtsgeld beträgt für die Wochenstunoe einer mehrstündigen oder einstün­ digen Privatvorlesung 2,50 RM. Wenn die Vor­ lesung oder Übung mit besonderem Aufwand verbunden ist, beträgt das Unterrichtsgeld 5 RM für die Wochenstunde, jedoch ist für mehrstündige Vorlesungen mit besonderem Aufwand eine Höchstgrenze festgesetzt. Das Unterrichtsgeld fließt dem betreffenden Dozenten zu, während die Studiengebühr zum größten Teil der Staatskasse und zum kleineren Teil verschiedenen Universitäts­ fonds zufließt (vgl. § 2). Von den Studenten der medizinischen Fakultät und der Naturwissen­ schaften wird außer diesen Gebühren noch ein Ersatzgeld erhoben, das in die Staatskasse fließt. Wer nur als Hörer Vorlesungen besuchen will, hat eine Hörergebühr von 20 RM zu entrichten, die der Universitätskasse zufli ßt. Die ausländi­ schen Studenten zahlen die l eichen Gebühren wie die Inländer. Die Frauen und Kinder der Dozenten der betreffenden Universität sind von der Zahlung der Studiengebühr, des Unterrichts­ geldes und des Ersatzgeldes befreit, wenn sie an der Universität studieren, an der der betreffende Dozent tätig ist oder zur Zeit seines Ablebens tätig gewesen ist. Bedürftige und begabte Stu­ denten kann der Rektor von der Zahlung der Aufnahmegebühr ganz oder zur Hälfte befreien; auch kann der Gebührenausschuß ganzen oder halben Erlaß der Studiengebühr, des Unterrichts­ geldes und des Ersatzgeldes gewähren. Alle früheren Kriegsgefangenen und diejenigen frühe­ ren Kriegsteilnehmer, die mindestens ein Jahr durch Kriegsdienst verloren haben, zahlen die Hälfte aller Gebühren. Diese Bestimmungen finden auf die Staatliche Akademie zu Brauns­ berg und die Medizinische Akademie in Düssel­ dorf entsprechende Anwendung. II. Technische Hochschulen. Studenten und Hörer zahlen eine Aufnahmegebühr, die bei wiederholter Einschreibung ermäßigt wird, eine Studiengebühr und das Unterrichtsgeld. Die Höhe der Gebühren wird wie bei den Universi­ täten von dem MfW. für jedes Semester in der

Hopfenschwefeldörren — Hufe

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die verschiedenen Prüfungskommissionen nach ein­ heitlichen Grundsätzen gebildet werden. Die Prü­ fung kann abgelegt werden für diejenigen Per­ sonen, welche eine Fachbildung bei einer mit dem Prüfungsrecht ausgestatteten Lehrschmiede oder Schmiedeinnung erhalten haben, bei der Prü­ fungskommission dieser Anstatt, im übrigen von der staatlichen Prüfungskommission, die für jeden RegBez. gebildet ist. Die Mitglieder aller Kommissionen werden vom RP. ernannt. Vor­ sitzender ist überall der Departementstierarzt. Das Prüfungsrecht soll Lehrschmieden und I. nur dann verliehen werden, wenn sie durch ihre Organisa­ tion und Facheinrichtungen eine Gewähr für eine gute Ausbildung der Prüflinge geben. Von Lehr­ schmieden sollen nur solche mit diesem Recht be­ dacht werden, welche nach Maßgabe des Muster­ statuts organisiert und von öffentlichen Ver­ bänden (Gemeindeverbänden, Landwirtschafts­ kammern, landwirtschaftlichen Vereinen) verwal­ tet werden. Das Prüfungszeugnis kann zurückge­ nommen werden (s. Entziehung gewerblicher Genehmigungen). Die Ausübung des H. durch einen qualifizierten Stellvertreter (s. d.) ist nur ge­ stattet, wenn der Gewerbetreibende selbst das Prüfungszeugnis besitzt (OBG. 26, 277). Das Prüfungszeugnis berechtigt nicht zur Führung des Meistertitels [f. b.] (Erl. vom 25. 6. 1902, HMBl. 72). Die unbefugte Ausübung des H. wird nach § 147 Abs. 1 Ziff. 1 GewO, bestraft. F. H. Hufe war ursprünglich die Bezeichnung für den Inbegriff der Rechte jedes Markgenossen in der altdeutschen Hundertschaft und später in der Dorf­ gemeinde (s. Landgemeinde) auf die Nutzung eines Anteils an den im gemeinschaftlichen Eigen­ tum der Markgenossenschaft stehenden Ackern, Weiden und Wäldern. Sie war das Maß der Nutzung, welche eine deutsche Bauernfamilie zum Lebensunterhalte bedurfte. In späterer Zeit ist die H. ein Landmaß von schwankender Größe (30 bis 60 Morgen) geworden. Die doppelte Größe hatten die auf Rottland gewonnenen Kö­ nigshusen (mansus regalis) und dementsprechend auch die bei der Kolonisation des slawischen Landes zugeteilten H. (60—120 Morgen). Gegen Ende des Mittelalters wurde in Deutschland ein Maß von 30 Morgen für die H. üblich. Man unterschied in den altpreuß. Landesteilen die kölmische (kulmische) H., die nach den vom Markgrafen Albrecht Friedrich im Bahre 1577 getroffenen und im Landrecht von 1721 wiederholten Bestim­ mungen 30 kölmische Morgen oder (da jeder köl­ mische Morgen 2 Morgen, 47 Quadratruten, 46 Quadratfuß preuß. Maßes umfaßte) 67 Mor­ gen, 163 Quadratruten, 70 Quadratfuß preuß. Maßes oder 17,3388 ha, und die preuß. H., die 30 (Magdeburger) Morgen oder 7,6586 ha ent­ hielt (OBG. vom4.12.1903, PrBBl. 26,326). — Früher war die H. zuweilen der Maßstab für die Verteilung der Wegebaulast bei den Kommuni­ kation- (Gemeinde-) wegen, so in Ostpreußen nach §§ 9 ff. des Wegeregl. vom 24.6.1764 und in West­ preußen nach dem Wegeregl. vom 4. 5. 1796. Gegenwärtig ist der Hufenstand nur noch im Geltungsbereich des pomm. Wegeregl. vom 25.6.1752 die maßgebende Unterlage, soweit nicht durch Rezesse, Observanzen oder Gemeindebe­ schlüsse ein anderer Maßstab oder das Kommunal­ prinzip eingeführt ist (OBG. 5, 138; 9, 77; 12, 54 Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.^

Gebührenordnung festgesetzt. Sie beträgt zur Zeit (Sommersemester 1927) Aufnahmegebühr 25 RM, Studiengebühr 60 RN, Unterrichtsgeld für die Wochenstunde einer Vorlesung oder Übung 2,50 RM. Die Höchstgrenze für ein ganztägiges und für ein halbtägiges Praktikum ist besonders festgesetzt. Die für die einzelnen Vorlesungen und Übungen eingehenden Unterrichtsgelder fließen den betreffenden Hochschullehrern zu; die nicht­ beamteten Lehrer, die Privatdozenten, die Lek­ toren und die von den amtlichen Verpflichtungen entbundenen Professoren erhalten außerdem noch 50% der für sie eingegangenen Unterrichtsgelder aus der Staatskasse. Gastteilnehmer zahlen als Aufnahme- und Studiengebühr halbjährlich 10 RM. Die Aufnahmegebühr und die Studien­ gebühr fließen in die Staatskasse. Die aus­ ländischen Studenten zahlen die gleichen Ge­ bühren wie die Inländer. — Der Gebührenerlaß erstreckt sich auf die Studiengebühr und das Unter­ richtsgeld. Die Frauen und Kinder der Dozenten der betreffenden Hochschule sind unter den gleichen Voraussetzungen wie bei den Universitäten von der Zahlung der Studiengebühr und des Unter­ richtsgeldes befreit. Für bedürftige und begabte Studenten ist auch eine Befreiung von der Zahlung der Aufnahmegebühr möglich. Für die früheren Kriegsgefangenen und Kriegsteilnehmer gelten die zu I erörterten Vorschriften. Lt. Hopfenschwefeldörren sind Anlagen, in denen der Hopfen, um ihn haltbar zu machen, Dämpfen brennenden Schwefels ausgesetzt und alsdann ge­ dörrt wird; sie sind genehmigungspflichtige An­ lagen (s. Gewerbliche Anlagen I). S. auch Ziff. 28 TechnAnl. F. H. Hufbefchlaggewerbe. Nach § 30a GewO, kann der Betrieb des H. durch die Landesgesetzgebung von der Beibringung eines Prüfungszeugnisses, das für den ganzen Umfang des Reiches gilt, ab­ hängig gemacht werden. Dieses ist für Preußen geschehen durch das G. vom 18. 6. 1884 (GS. 305), betr. den Betrieb des H. Zur Erteilung des Prüfungszeugnisses sind befugt: 1. Innungen, welche sich auf Grund des BnnungsG. vom 18. 7. 1881 für das Schmiedehandwerk gebildet oder reorganisiert und von der höheren Verwal­ tungsbehörde die Berechtigung der Erteilung von Prüfungszeugnissen erhalten haben; 2. die vom Staat bestellten oder bestätigten Prüfungskom­ missionen; 3. die vom Staat eingerichteten oder anerkannten Hufbeschlagslehranstalten und Mili­ tärschmieden, welchen die Befugnis beigelegt wird. Die Bestimmungen über den Inhalt der Prüfungszeugnisse und die Voraussetzungen ihrer Erteilung werden im Wege des Reglements er­ lassen. Personen, welche das H. bis zur Zeit des Inkrafttretens dieses G. selbständig oder als Stell­ vertreter betrieben haben, bleiben auch ferner hierzu berechtigt. Auch steht dem RP. das Recht zu, in einzelnen Fällen von Beibringung des Zeug­ nisses zu dispensieren. S. dazu die AussAnw. vom 21. 5. 1904 (HMBl. 328), abgeändert durch Erl. vom 7. 4. 1906 (HMBl. 184), vom 6. 3. 1911 (HMBl. 71) und vom 30. 1. 1918 (HMBl. 105). Zweck der Anweisung ist zunächst die Herbeifüh­ rung möglichster Einheitlichkeit bei Abhaltung der Prüfungen. Diese soll dadurch erreicht werden, daß bei allen Kommissionen dieselbe Prüfungsord­ nung (Anlage A) zugrunde gelegt wird, und daß

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Hugenotten — Hundesteuer

277; 13, 299; 14, 289; 20, 239; 37, 252). Vgl. auch PrVBl. 12, 542. — Uber die von den Guts­ herren eingezogenen bäuerlichen H. s. Wüste Husen. F. H. Meißen, Ansiedelung und Agrarwesen; derselbe, Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preuß. Staates.

Hugenotten s. Kirchenversassung CI 3. Hühnerpest ist in Deutschland in größerer Ver­ breitung zum erstenmal im Jahre 1901 auf­ getreten. Sie ist wahrscheinlich aus Italien ein­ geschleppt. Die stärkere Verbreitung hat ihren Ausgang von einer Geflügelausstellung in Braun­ schweig genommen, weswegen für die Seuche anfänglich die Bezeichnung „Braunschweiger Geslügelseuche" gebraucht wurde. Die H. ist in ihren Wirkungen der Geflügelcholera (s. d.) ähn­ lich und unterscheidet sich von ihr im wesentlichen nur dadurch, daß sie hauptsächlich das Hühner­ geflügel befällt und auf Tauben überhaupt nicht übertragbar ist, daß ferner im Gegensatz zur Geflügelcholera der bakterielle Befund negativ ist. Der Ansteckungsstofs befindet sich im Blute, ist aber noch nicht hinlänglich bekannt. Seit 1903 unterliegt die H. der Anzeigepflicht (s. Vieh­ seuchen V) und wird veterinärpolizeilich in der­ selben Weise wie die Geflügelcholera bekämpft. Die bei dieser angegebenen Vorschriften gelten auch für H. In den Jahren 1920, 1921, 1922, 1923 wurde die Seuche in Preußen nur in 1, 7, 4, 8 Gehöften sestgestellt. Backh. Hultschiner Gebiet. Das auf Grund des Art. 83 des Friedensvertrags von Versailles von dem Deutschen Reich an die Tschechoslowakei abge­ tretene H. G. wurde am 4. 2. 1920 tatsächlich übergeben. Die Grenzfestsetzung wurde durch Entscheidungen der Grenzfestsetzungskommission und der Botschafterkonferenz wiederholt geändert. Das 333 qkm große Gebiet besaß nach der letzten seitens des Deutschen Reichs bewirkten Volks­ zählung im Jahre 1910 45396 Einwohner; nach dem Ergebnis der tschechoslowakischen Volkszählung von 1921 waren 48005 Einwohner vor­ handen. — Die politische Verwaltung besorgt in 1. Instanz die politische Bezirksverwaltung in Hultschin, in 2. Instanz der Präsident der poli­ tischen Landesverwaltung für Schlesien in Trop­ fi au (demnächst derjenige für das vereinigte Mäh­ ren und Schlesien in Brünn) und in 3. Instanz das zuständige Min. Für das H. G. sind ferner tätig in Hultschin: das Steueramt, die Steuerad­ ministration und die Evidenzhaltung des Grund­ steuerkatasters; ferner in Troppau: das Finanz­ inspektorat des Gefällsbezirksgerichts, das Finanz­ inspektorat für Gefällsstrafsachen sowie das Ge­ bührenamt. — Die früheren preußischen Guts­ bezirke wurden mit den Gemeinden, in denen sie gelegen sind, zu je einer Ortsgemeinde ver­ einigt. Fro. Hundesteuer. I. Begriff und Geschichte. Die H. ist eine indirekte Aufwands- (Luxus-) Steuer. Besteuerungsgrundlage ist das „Halten" von Hunden; der Steuersatz Pflegt nach Zahl und oft auch der Beschaffenheit der gehaltenen Hunde verschieden bemessen zu sein. Mit der H. werden neben rein steuerpolitischen auch sanitätspoli­ zeiliche Zwecke verfolgt, namentlich eine gewisse Einschränkung des Haltens von Hunden mit Rück­ sicht auf die Tollwutgefahr. Abgesehen von den

Hohenzollernschen Landen, wo bis zum Jahre 1900 die H. teilweise für den Staat erhoben wurde, ist in Preußen auch schon vor dem Inkrafttreten des KommunalabgabenG. die Besteuerung des Haltens von Hunden stets den Gemeinden und Gemeindeverbänden überlassen worden. Rechts­ grundlage für die Erhebung von H. sind § 16 KAG. in Verbindung mit Art. 12 der AusfAnw. zum KAG. sowie hinsichtlich der Kreise § 6 des KrProvAbgG. Zur Einführung von H. sind die Gemein­ den zwar an und für sich nicht verpflichtet, doch dürfen sie andererseits diese Steuer auch erheben, wenn ein besonderer Steuerbedarf nicht vor­ handen ist, während im übrigen die ordnungs­ mäßige Inanspruchnahme a^ch dieser Steuer­ quelle Voraussetzung der Erhebung direkter Steuern ist (vgl. Gemeindeabgaben II le). II. Die Erhebung der H. erfolgt auf Grund besonderer Steuerverordnungen, die der Genehmigung (bei Städten durch den Bezirks­ ausschuß, bei Landgemeinden durch den Kreis­ ausschuß) gemäß § 77 KAG. bedürfen; eine be­ sondere Zulassung durch die beteiligten Minister ist für die Geltungsdauer des KriegsG. zur Ver­ einfachung der Verwaltung nicht erforderlich. Ein Muster für eine solche Hundesteuerordnung ist der AusfAnw. zum KAG. beigefügt (abge­ ändert durch Erl. vom 4. 12. 1906 — MBl. 1907, 46). Den Begriff der steuerpflichtigen Tatbe­ standes, das „Halten" eines Hundes hat das OVG. in Anlehnung an die Rechtsprechung des RG. zum Tierhalterbegriff des §833 BGB. dahin Umrissen, daß derjenige einen Hund hält, der ihn in seinem Haushalt oder Wirtschaftsbetrieb im weitesten Sinne eingestellt hat, um ihn aus diese Weise sei­ nen Zwecken oder denen seiner Haushaltsangehö­ rigen oder Wirtschaftsgehilfen während eines Zeit­ raumes von gewisser Dauer dienstbar zu machen. Die Einstellung muß also im Interesse des Ein­ stellers oder seiner Haushaltsangehörigen oder Wirtschaftsgehilfen erfolgen, wobei es dann frei­ lich unerheblich ist, ob es sich um geldwerte Inter­ essen oder nur um Zwecke des Vergnügens u. dgl. handelt. Derjenige, der nicht im eigenen Inter­ esse, sondern lediglich im Interesse des Eigen­ tümers auf dessen Kosten einen Hund in Pflege genommen hat, kann nicht als Halter des Hundes angesehen und zur Steuer herangezogen werden (OVG. 41, 76; 59, 107; 66, 157, PrVBl. 21, 582; 29, 90; 26, 525; 37, 106). Ein Hund wird an dem Orte gehalten, an dem ihm Unterkunft, in der Regel auch seine Nahrung gewährt wird und an dem er einem Haushalt als Haustier an­ gehört. Dabei ist eine gewisse Dauer des Aufent­ haltes des Hundes in der Gemeinde erforderlich (OVG. im PrVBl. 38,70). Über Steuerbefrei­ ungen ist in der Steuerordnung Bestimmung zu treffen. Diensthunde der Polizei, Militärdienst­ hunde, Führerhunde von Blinden, zu Wach­ zwecken in Gefangenenanstalten gehaltene Hunde sowie die Diensthunde der staatlichen und der privaten nach dem ForstdiebstahlsG. beeideten Forstschutz- sowie der Zollbeamten sind von der Steuer freizustellen; Steuerordnungen, in denen derartige Befreiungen nicht gewährt sind, sollen nicht genehmigt werden (vgl. Erl. vom 22. 10. 1918, MBl. 228; vom 21. 3. 1921, MBl. 97; vom 30. 6. 1922, MBl. 653; vom 29. 3. 1924, MBl. 349; vom 12. 11. 1924, MBl. 1100; vom

Hunde und Katzen (wildernde) 20. 1. 1925, MBl. 57). Ferner soll in der Regel, wo nicht besondere Verhältnisse eine Ausnahme angezeigt erscheinen lassen, die Freistellung der zur Bewachung oder zumGewerbe,d.h. nach derRechtsprechung des OVG. zu Dienstleistungen im Ge­ werbebetrieb unentbehrlichen Hunde erfolgen. Dementsprechend sieht die Mustersteuerordnung die Steuerfreiheit der auf einzeln gelegenen Gehöften zur Bewachung gehaltenen, der Hirten- und Fleischerhunde, sowie der als Ziehhunde oder zur Bewachung von Warenvorräten benutzten Hunde vor. Rechtsungültig sind jedoch Vorschriften, die die Befreiung in diesen Fällen in das Ermessen des Gemeindevorstandes stellen (OVG. 44, 75 und OVG. in Preuß. Gemeindezeitung 1915, 200). Als Gehöfte in diesem Sinne gelten jedoch nur Wohnstätten (OVG. 44, 73; PrVBl. 21, 585; 30, 26); als Hirtenhunde nur Hunde, die von be­ rufsmäßigen Hirten für Zwecke ihres Berufs ge­ halten werden, nicht auch solche, die ein Land­ wirt zum Biehhüten benutzt (OVG. im PrVBl. 19, 411; 27, 934). Als Warenvorräte gilt nur Handelsgut, nicht auch bloße Wirtschaftsvorräte (PrVBl. 19, 412; 24, 466; 26, 116, 20, 319). Eine Anmeldepflicht bei der Anschaffung eines Hundes oder beim Zuzug mit einem Hunde kann vorgesehen werden. Für die Höhe der Steuer sind Schranken nicht vorgesehen, jedoch soll im Interesse der Nutzhundezucht bei der Züchtung rassereiner Hunde die Einzelsteuer durch eine mäßige Pauschalsteuer (sog. Zwingersteuer) ersetzt werden (vgl. Erl. vom 2. 4. 1912, MBl. 86 und 30. 6. 1923 —MBl. 753). — Die Kreise können ihrerseits nach denselben Grundsätzen eine H. erheben. Zur Vermeidung der Doppelbesteue­ rung wird die Kreisbesteuerung auf die Gutsbezirke und die Gemeinden, die selbst keine H. erheben, zu beschränken sein; kommt ein billiger Ausgleich in dieser Hinsicht zwischen dem Kreis und seinen Ge­ meinden nicht zustande, so entscheidet der BezA. Die Kreishundesteuerordnungen bedürfen der Ge­ nehmigung durch den BezA. und außerdem der Zu­ stimmung des OP. (§§ 19 Zisf. 2, 20 Abs. 1 u. 2 des KrProvAbgG. und Erl. vom 28. 2. 1907 — MBl. 91). St. Hunde und Katzen (wildernde). H. u. K., die sich in einem Jagdrevier aufsichtslos herumtreiben (revieren), bedeuten eine große Gefahr für den Wildstand. Die Befugnis, sie zu beseitigen, kann von den Jagdberechtigten nicht entbehrt werden; sie ist in zahlreichen JagdG., allerdings in ver­ schiedenem Umfange, anerkannt. Vorwec se bemerkt, daß H. u. K., die verwildert sind, d. h die Gewohnheit ablegen, an den ihnen bestimmten Ort zurückzukehren (§ 960 Abs. 3 BGB.), herren­ los sind und von jedermann getötet werden können. Die folgenden Bestimmungen beziehen sich auf solche Tiere, die noch im Eigentum, und zwar anderer Personen als des Jagdberechtigten stehen. Für das Recht, wildernde H. u. K. zu beseitigen, kommt zunächst § 228 BGB. in Be­ tracht, nach dessen Vorschrift nicht widerrechtlich handelt, wer eine fremde Sache (wozu auch Tiere gehören) beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn die Beschädigung oder Zer­ störung zur Abwendung der Gefahr notwendig ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Es darf somit der Jagdberech­

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tigte wildernde H. u. K. töten, wenn durch sie der Jagd Gefahr droht, die Tötung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden (Wert des Tieres) nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Weiter gehen die zahlreichen, durch Art. 69 EGBGB. aufrechterhaltenen landesgesetz­ lichen Bestimmungen über die Jagd, indem sie von jenen oft schwer nachzuweisenden Voraus­ setzungen absehen. So bestimmt § 64 II 16 PrALR.: Niemand darf auf fremden Jagdrevieren Hunde laufen lassen, die nicht mit einem Knüttel, welcher sie an der Aufsuchung und Verfolgung des Wildes hindert, versehen sind. § 65. Ungeknüttelte, gemeine Hunde, ingleichen Katzen, die auf Jagdrevieren herumlaufen, kann jeder Jagdberechtigte töten, und der Eigentümer muß das Schußgeld zahlen. § 66. Wenn Jagd- oder Windhunde während der von einem Jagdberech­ tigten auf seinem Revier angefangenen Jagd bloß überlaufen, so können sie nicht getötet, sie müssen aber sofort zurückgerufen werden. § 67. Wenn Jagdhunde nicht mit Vorsatz an der Grenze gelöset werden, sondern nur von ungefähr über die Grenze gelaufen sind, können sie aufgefangen und müssen dem Eigentümer gegen Entrichtung eines Pfandgeldes von 8 Groschen für das Stück zurückgegeben werden. DieseBestimmungen haben zwar, dem Charakter des AIR. entsprechend, nur subsidiäre Geltung und kommen nur dann zur Anwendung, wenn ProvinzialG. nichts anderes vorschreiben; es ist aber zu beachten, daß eine solche provinzialrechtliche Regelung nicht überall erfolgt ist und daß da, wo sie ergangen ist, sie sich meistens nicht auf alle Jagdberechtigten, sondern nur auf gewisse Klassen (Forstbeamte) erstreckt, so daß neben den ProvinzialG. ergänzend die angezogenen Paragraphen des ALR. gelten. Es kommen folgende Provinzialrechte in Betracht (mitgeteilt auch in: Das Jagdrecht im Geltungs­ bereich der Preuß. Jagdordnung vom 15. 7. 1907 von Engelhard und Dunkelmann, Berlin 1908, Paul Parey, S. 304 f.): Die Forstordnung für Ostpreußen und Litauen vom 3.12.1775 §§ 10,12 Tit. X und § 32 Tit. XIV (Rabe, Samml. Preuß. Gesetze Bd. 1 Abt. 6 S. 81, Berlin 1822); die Forst- und Jagdordnung für Westpreußen und den Nehedistrikt vom 8. 10. 1805 § 10 Tit. III (Rabe, Sammt. Preuß. Gesetze 8, 354); die Forst­ ordnung für Pommern vom 24.12.1777 §§ 10,12 Tit. X (Rabe, Samml. Preuß. Gesetze Bd. 1 Abt. 6 S. 271) und § 6 Tit. IV der V. vom 22. 6. 1800 (Rabe, Sammt. Preuß. Gesetze 6, 141); die Holz-, Mast- und Jagdordnung für das Erbherzogtum Schlesien und die Grafschaft Glatz vom 19. 4. 1756 Tit. XV § 8, Tit. XX §§ 1, 2 (Lipius, Samml. der Edikte für Schlesien 6, 387, Breslau 1763) — hier ist nur den staatlichen Forstbedienten ein Recht zum Abschuß der H. u. K., und zwar im Tit. XV § 8 für Jagdhunde, im Tit. XX § 1 für andere Hunde, § 2 für Katzen eingeräumt; die Brandenburgische Holz-, Mast- und Jagdordnung vom 20. 5. 1720 Tit. XXVIII §§ 1, 2 (Rabe, Samml. Preuß. Gesetze Bd. 1 Abt. 1 S. 531) bezieht sich nur auf das Abschießen von Hunden, die in die Staatsforsten übergelaufen sind, durch Staatssorstbediente; wörtlich übereinstimmend mit ihr ist die Holz-, Mast- und Jagdordnung für das Herzogtum Magdeburg und das Fürstentum Halberstadt vom 3. 10. 1743 Tit. XXVIII §§ 1, 2 54*

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Hütekinder, Hüteschulen — Hygienische Institute

(Provinzialrecht des Fürstentums Halberstadt, herausgegeben von Strombeck, Leipzig 1827, S- 180); die Holz-, Forst-, Jagd- und Grenz­ ordnung für das Fürstentum Minden und die Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen vom 4. 3. 1738 § 7 (Schlüter, Provinzialrecht für Tecklenburg und Lingen S. 90) gilt nur für Staatsforsten und Forstbediente; die kurfürstlich kölnische Jagd-, Büsch- und Fischereiordnung vom 9. 7. 1759 § 28 (Schlüter, Provinzialrecht von Recklinghausen S. 177), gültig im Herzogtum Westfalen und in der Grafschaft Recklinghausen; die V. wegen der Jagd vom 10. 2. 1792 für das Hochstist Münster § 3 (Sammlung der Gesetze usw. des vormaligen Bistums Münster bis 1810, von Bödiker, Hannover 1855, S. 260); die Holz­ ordnung vom 1. 3. 1669 Art. 34 und das Edikt vom 2. 8. 1783 für das Fürstentum Paderborn (Die Provinzialrechte der Fürstentümer Pader­ born und Corvey, gesammelt von Wigand, Bd. 3, Leipzig 1832, S. 214, 286). Für die Prov. Han­ nover bestimmt die Jagdordnung vom 11. 3. 1859 (GS. 159) § 32: „Es ist bei einer, im Wieder­ holungsfälle zu verdoppelnden Strafe von 1 Tlr. verboten, Hunde in einem Jagdrevier herrenlos umherlaufen zu lassen. Katzen, welche in einem Jagdrevier in einer Entfernung von mindestens 500 Schritt vom nächstbewohnten Hause betroffen werden, kann der Jagdberechtigte oder dessen Vertreter im ersten Betretungsfalle töten. Auf Schweißhunde, Saufinder, Hühnerhunde, Wind­ hunde und Teckel, welche während der Jagdzeit überjagen, findet diese Bestimmung keine An­ wendung." § 33 schreibt dann weiter vor, daß die Jagd mit Windhunden nur vom 1. Oktober, die­ jenige mit Jagdhunden (Bracken) nur vom 15. September ab bis zum Jagdschluß gestattet ist und daß Windhunde und Bracken, die während der für diese Jagdausübung geschlossenen Zeit in einem fremden Jagdrevier jagend betroffen wer­ den, vom Jagdberechtigten getötet werden können. Nach § 34 können Hirten, deren Hunde von der Herde ablaufen und umherstreifen, nach § 35 die Besitzer der während der Jagdzeit überjagenden Schweißhunde, Saufinder, Hühnerhunde, Wind­ hunde, Teckel mit 15 Groschen bestraft werden. Das kurhess. JagdG. vom 7. 9. 1865 (GS. 571) bestimmt in der noch geltenden Ziff. 6 des § 30: „Hunde, die herrenlos und deren Eigentümer unbekannt sind, dürfen, wenn sie in fremdem Jagdrevier betroffen werden, vom Jagdberech­ tigten und dessen Jagdbedienten getötet werden." Für die ehemals nass. (§ 29 Ziff. 2 des Forst- und JagdstrafG. vom 6. 1. 1860, VBl. 11) und großh. Hess. Gebietsteile (Art. 24, 25 des Jagdstrafgesetz­ buches vom 19. 7. 1858, RegBl. 345) ist der Be­ sitzer, dessen Hund sich in einem fremden Jagd­ bezirk umhertreibt, mit Strafe bedroht, ein Tötungsrecht ist dem Jagdberechtigten nicht ver­ liehen. In der V. vom 3. 9. 1841 Ziff. 6d u. e (ABl. 1841 Ziff. 37) für das Amt Homburg ist beides vorgesehen. Für die vormals bayr. Landes­ teile bestimmt der aufrechterhaltene § 17 der V. vom 5. 10. 1863 (RegBl. 1657), daß die in den Jagdrevieren aufsichtslos umherstreisenden Hunde von den Jagdberechtigten oder von dessen Jagd­ aufsehern getötet werden dürfen. Für SchlHolst. schreibt die Forst- und Jagdverordnung vom 2. 7. 1784 § 172 (Chronol. Samml. der seit 1784 er-

gangenen Verordnungen für die Herzogtümer Schleswig und Holstein, Kiel 1794, S. 35) vor, daß Haus- und Kettenhunde außerhalb des Hof­ platzes von den Jagd- und Forstbedienten sofort erschossen werden sollen, Wind-, Jagd- und Vor­ steherhunde können von ihnen als Eigentum be­ halten werden, sonst sind sie zu erschießen. Im Herzogtum Lauenburg ist nach § 9 der B. vom 29.8.1866 (Offiz. Wochenbl. 141) der Jagdinhaber befugt, Hunde, die ohne Begleitung ihres Herrn und ungeknüttelt im Jagdgebiet umherstreifen, zu töten, ausgenommen Jagd- und Meutehunde; Hunde, die von ihrem Herrn begleitet werden, aber doch jagen, dürfen erst getötet werden, wenn sie zum zweiten Male jagend betroffen werden. Katzen können ohne weiteres getötet werden. In Hohenzollern-Hechingen dürfen Hunde, die in Feldern und Wäldern jagend betroffen werden, von den fürstlichen Jagdbedienten erschossen wer­ den; falls dieses nicht geschehen kann, ist der Eigentümer in Forststrase zu nehmen (V. vom 31. 3. 1827). Für das linke Rheinufer bestimmt § 9 Ziff. 3 der V. des Generalgouverneurs vom Nieder- und Mittelrhein vom 18. 8. 1814 (Jour­ nal des Nieder- und Mittelrheins Nr. 32 u. 33, Jahrg. 1814): „Es ist verboten, daß die Land­ bewohner die Hunde mit aus den Dörfern nehmen oder gar frei, ohne Anhängung eines Knüttels, in den Feldern und Holzungen herumlaufen lassen. In diesem Falle sind die Förster autorisiert, die Hunde, Katzen usw. totzuschießen und haben die Eigentümer außerdem noch eine Strafe von 5 Franken zu zahlen." Pr. Bauer, Das in Deutschland geltende Recht, revierende Hunde und Katzen zu töten (3) 1904.

Hütekinder, Hüteschulen. Die früher auf dem Lande weit verbreitete Sitte, die Kinder zum Hüten des Viehs zu benutzen und infolgedessen vom Unterricht im Sommer ganz oder teilweise zu dispensieren oder besonderen Unterricht für diese Kinder einzurichten, ist in neuerer Zeit teils infolge der Veränderungen des Wirtschaftsbe­ triebes, teils im Interesse der Kinder erheblich eingeschränkt. Die Regelung ist nach den be­ sonderen örtlichen Verhältnissen durch B. der Bezirksregierungen erfolgt (s. die Sammlungen der Schulverordnungen in den einzelnen RegBez.). Insbesondere soll auch durch angemessene Fest­ setzung der Ferien auf eine möglichste Beschrän­ kung der Dispensationen hingewirkt werden (Ferienordnung vom 6. 11. 1913, UZBl. 826; s. Schulen III 7, Ferien). Ma. Hüttenwerke s. Metalle. Hutungen (gemeinsame) s. die Gemeinheits­ teilungen betreffenden Artikel. Hygienische Institute zu wissenschaftlicher For­ schung und praktischen Versuchen auf dem Ge­ biete der Gesundheitspflege bestehen an allen Universitäten. Außerdem gibt es H. I. in Lands­ berg a. d. W. und in Beuthen O.-Schl. a) Aufgabe des H. I. in Landsberg ist die freie wirtschaft­ liche Forschung auf dem Gebiete der Hygiene und Chemie, Vorlesungs- und Vortragstätigkeit, Medizinaluntersuchungsamt für die Grenzmark Posen-Westpreußen und die Kreise des RegBez. Frankfurt a. d. O. rechts der Oder, Nahrungs­ mitteluntersuchungsamt der Grenzmark PosenWestpreußen, des Stadt- und Landkreises Lands­ berg a. d. W. sowie der Kreise Dramburg und

Hypnotische Vorstellungen — Hypothekenbanken

Neustettin. Kurator OP. der Provinz Branden­ burg. b) Ausgabe des H. in Beuthen ist die Ausführung bakteriologischer und serologischer Untersuchungen zwecks Bekämpfung übertrag­ barer Krankheiten, hygienische Untersuchungen und wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiete der Hygiene und Bakteriologie, Untersuchung und Begutachtung von Nahrungs- und Genußmitteln. Dienstbereich die Provinz Oberschlesien. Kurator RP. in Oppeln. Das Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten in Saarbrücken (jetzt Medi­ zinaluntersuchungsamt für das Saargebiet) wird auf Grund des Friedensvertrages von der Regie­ rungskommission für das Saargebiet verwaltet. Auch einige große Städte, z. B. Berlin, Köln, Düsseldorf, Frankfurt a. M., besitzen H. I. Lluf vereinsrechtlicher Grundlage seitens beteiligter Kommunalverbände und industrieller Werke des rheinisch-westfälischen Kohlenindustriegebiets ist das Institut für Hygiene und Bakteriologie in Gelsenkirchen errichtet. — Lediglich praktischen Zwecken dienen die Medizinaluntersuchungs­ ämter (f. d.). F. H. Hypnotische Vorstellungen. Die gewerbsmäßige Veranstaltung h. V. gehört zu den Schaustellungen (s. d.). Wegen der für die benutzten Medien damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren sind die Polizeibehörden durch Erl. vom 12. 5. 1881 (MBl. 170) allgemein angewiesen, die Ver­ anstaltung öffentlicher Vorstellungen sog. Magneti­ seure nicht zu gestatten. Das gleiche gilt nach Erl. vom 2. 7. 1903 (MMBl. 290) für öffentliche Vor­ stellungen der sog. Suggestoren und Hypnoti­ seure. Vgl. Erl. vom 6. 10. 1919 (MMBl. 257). Das Verbot findet auch Anwendung, wenn Personen aus der Familie oder der Truppe des Schaustellers vorgesührt werden sollen (Erl. vom 22. 10. 1920, VMBl. 1924, 136). Über die Mit­ wirkung der Kreisärzte vgl. Erl. vom 10. 3. 1924 (VMBl. 136). Bsch. Hypothekenbanken. H. sind Grundkreditan­ stalten (s. d.), die im Gegensatz zu den als öffent­ lich-rechtliche Korporationen errichteten gemein­ wirtschaftlichen Anstalten auf privatrechtlicher und kapitalistischer Grundlage beruhen. Sie sind um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Süd­ deutschland entstanden, wo sie zugleich die fehlen­ den Landschaften ersetzten, und wurden später auch in Preußen gegründet. Sie haben hier vorzugs­ weise für den städtischen Grundkredit Bedeutung erlangt. Der staatlichen Genehmigung und Be­ aufsichtigung unterlagen die H., soweit sie Jnhaberschuldverschreibungen ausgaben, nach dem G. vom 17. 6. 1833 (GS. 75), und die für die H. maßgebenden Berwaltungsgrundsätze waren als „Normativbestimmungen für die H-" zuletzt durch Erl. vom 27. 6. 1893 (MBl. 152) festgelegt. Zur reichsgesetzlichen Regelung des Hypothekenbank­ wesens führte einerseits der Umstand, daß der Ge­ schäftsbetrieb der H. sich regelmäßig über das Ge­ biet ihres Heimatstaates hinaus erstreckte, anderer­ seits das Bedürfnis, den Inhabern der Schuld­ verschreibungen (Hypothekenpfandbriefe) gegen­ über anderen Gläubigern eine bevorzugte Stel­ lung einzuräumen (s. Pfandbriefe und Hypothekenpfandbriefe). Das Reichshypothekenbankgesetz ist unter dem 13.7.1899 ergangen (RGBl. 375). In seinen Bestimmungen über den Geschäftsverkehr der H.

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hat es von den preuß. Normativbestimmungen neben vielen Einzelheiten den Grundsatz über­ nommen, daß die staatliche Aussicht über die H. einmal dem Interesse der Inhaber der Schuldver­ schreibungen und ferner dem des Grundkredits im Sinne einer seinen Bedürfnissen entsprechenden, gegen Härten geschützten Gestaltung der Darlehnsbedingungen zu dienen hat. Das Interesse der Aktionäre haben diese in erster Linie selbst wahrzunehmen, nur mittelbar kommt ihnen die aus Erhaltung eines soliden Geschäftsbetriebs ge­ richtete Aufsichtstätigkeit des Staates zugute. Zu dem HyPothekenbankG. vom 13. 7. 1899 ist am 14. 7. 1923 (RGBl. I 635) eine Novelle er­ gangen, die in Art. I einige Erleichterungen fest­ setzt, in Art. II die Umwandlung von Kreditan­ stalten, die aus Grund von Reallasten, Schuldver­ schreibungen ausgegeben haben (Roggenrenten­ bank) in Hypothekenbanken ermöglicht und der Reichsregierung das Recht gibt, mit Zustimmung des RR. zu bestimmen, inwieweit das HyPo­ thekenbankG. aus die Reallasten und die dadurch gedeckten Schuldverschreibungen Anwendung fin)et. Den H. kann durch die Reichsregierung getattet werden, zur Deckung ihrer Schuldverchreibungen Reallasten zu verwenden. Auf Grund» des Art. II hat die Reichsregierung durch B. vom 14.12.1923 (RGBl. I 1203), die Ausgabe der­ artiger Schuldverschreibungen zugelassen und die Anwendbarkeit des HyPothekenbankG. geregelte Eine weitere Änderung des G. vom 13. 7.1899 ist durch § 9 des G. vom 23. 6.1923 (RGBl. 1407) erfolgt, betr. die Ausgabe wertbeständig gedeckter Hypothekenpfandbriefe. Durch G. vom 26.1.1926 (RGBl. I 97) ist den H. die Aufnahme von Darlehen bei der Rentenbankkreditanstalt gestattet worden. Durch G. vom 21. 12. 1927 (RGBl. I 491) ist die rechtliche Sicherung der Pfandbries­ gläubiger verstärkt worden. I. H. im Sinne des Reichsgesetzes sindnach § 1 nur diejenigen Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, bei denen der Gegenstand des Unternehmens in der hypotheka­ rischen Beleihung von Grundstücken und der Aus­ gabe von Schuldverschreibungen (Hypotheken­ pfandbriefen) aus Grund der erworbenen Hy­ potheken besteht. Die H. bedürfen zu ihrem Ge­ schäftsbetriebe nach § 1 der Genehmigung des RR., wenn aber die Hypothekengewährung sich auf das Gebiet ihres Heimatstaates beschränkt, mir der Genehmigung der Zentralbehörde dieses Landes. Die bezeichnete Genehmigung ist auch dann erforderlich, wenn Hypothekenpfandbriefe auf Namen ausgegeben werden sollen. Bei der Ausgabe von Papieren aus den Inhaber bedarf es daneben noch der staatlichen Genehmigung aus § 795 BGB., sie wird in Preußen von den zu­ ständigen Ministern erteilt (Art. 8 AusfV. z. BGB. vom 16. 11. 1899, GS. 562,). II. Der Geschäftsbetrieb im allgemeinen und Staatsaufsicht. In den, in unmittel­ barem Zusammenhänge mit dem Pfandbriefge­ schäft stehenden sog. Hilfsgeschästen sind die H. unbeschränkt. Selbständige Nebengeschäfte da­ gegen dürfen sie nur in den aus § 5 des G. sich er­ gebenden Grenzen betreiben. Die staatliche Aufsicht liegt nach § 3 dem Heimatsstaat ob, in Preußen erstinstanzlich den Landespolizeibehör­ den, in zweiter Instanz dem MfB., FM. und

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Hypothekenbanken

MdI., gegen die in Ausübung der Aufsicht er­ lassenen Vf. findet ein VwStr. nicht statt (v. Kamptz, Rechtspr. des OVG., 2. ErgBd. S. 590). Die Aufsicht erstreckt sich auf den gesamten Ge­ schäftsbetrieb einschließlich etwaiger Nebengeschäfte und umfaßt nach § 4 alle Anordnungen, welche erforderlich sind, um den Geschäftsbetrieb der H. mit den G., der Satzung und den sonst in verbindlicher Weise getroffenen Bestimmungen in Übereinstimmung zu erhalten. Die Aufsichtsbe­ hörde ist nach § 4 namentlich befugt, nicht bloß Einsicht in die Bücher usw. zu nehmen und Aus­ künfte zu fordern, sowie einen Vertreter in die Generalversammlungen usw. zu senden, sondern auch die Ausführung unzulässiger Beschlüsse oder Anordnungen zu untersagen. Daraus ergibt sich auch die Zulässigkeit einer Dividendensperre oder der Untersagung weiterer Pfandbriefemissionen. Die Aufsichtsbehörde kann einen Kommissar für die Ausübung der Aufsicht bestellen und eine von der H. für ihn zu zahlende Vergütung fest­ setzen. Für die technische Beaufsichtigung der H. sind in Preußen besondere Beamte, Bank­ inspektoren eingesetzt. Für die Preußische Zentral-Boden-Credit-AG. ist ein Staatskom­ missar bestellt. Im übrigen ist für die Ausübung der Staatsaufsicht in Preußen die Vf. des MfL. vom 17. 11. 1901 (MBl. 1902, 23) zu vergleichen. In dieser Vs. ist hervorgehoben, daß auch die Tä­ tigkeit der Aussichtsräte der Aussicht und Einwir­ kung der Aufsichtsbehörde unterliegt, und es ist, um die Kontrolle durch den Aufsichtsrat zu ver­ schärfen, angeordnet, daß jedem einzelnen Aufsichtsratsmitgliede vierteljährlich ein Verzeichnis der vorgekommenen Beleihungen unter Angabe der für die Beurteilung wesentlichen Momente nach vorgeschriebenem Muster von der Direktion der H. mitzuteilen ist. III. Die Ausgabe von Hypothekenpfand­ briefen und die Vorschriften für deren sichere Deckung. Die Ausgabe an Hypotheken­ pfandbriefen,Einschließlich der bei derRentenbankkreditanstalt aufgenommenen Darlehen darf das 20fache des eingezahlten Grundkapitals zuzüg­ lich eines ausschließlich zur Deckung einer Unter­ bilanz oder Sicherung der Pfandbriesgläubiger bestimmten Reservefonds nicht übersteigen (§ 7 und Art. I Ziff. 2 des G. vom 14. 7. 1923, RGBl. I 635; V. vom 20. 6. 1925, RGBl. I 88; und bei Ausgabe wertbeständiger Hypo­ theken § 9 des G. vom 23. 6. 1923, RGBl. I 407), Hypothekenpfandbriefe, deren Einlösungs­ wert den Nennwert übersteigt, oder solche, deren Inhabern ein Kündigungsrecht zusteht, dürfen tücht ausgegeben werden (§§ 8 Abs. 2, 9). Der Gesamtbetrag der Hypothekenpsandbriese muß in Höhe des Nennwerts jederzeit durch Hypotheken — oder Grundschulen (§ 40 des G.) — von min­ destens gleicher Höhe, bei wertbeständigen Hy­ potheken gleicher Gattung und gleichem Zinser­ träge gedeckt sein (§ 6 des G.; § 9 des G. vom 23. 6. 1923, RGBl. I 407). Diese Unterlage­ hypotheken müssen den Erfordernissen der §§ 11, 12 des G. entsprechen. Die Beleihung ist nach § 11 auf inländische Grundstücke beschränkt und der Regel nach nur zur ersten Stelle zulässig, sie darf 3/5 des Wertes nicht übersteigen, doch kann für landwirtschaftliche Grundstücke von jedem Bundes­ staat für sein Gebiet Beleihung bis 2/s zugelassen

werden. Der bei der Beleihung angenommene Wert darf nach § 12 den ermittelten Verkaufswert nicht übersteigen, bei der Feststellung des Wertes sind nur die dauernden Eigenschaften des Grund­ stücks und der Ertrag zu berücksichtigen, den das Grundstück jedem Besitzer bei ordnungsmäßiger Wirtschaft nachhaltig gewähren kann. Für ge­ wisse Objekte, namentlich Bauplätze und Neu­ bauten, ist die Beleihung mit Unterlagehypotheken eingeschränkt (§ 12 Abs. 3). Von der H. ist nach § 13 eine nähere Anweisung über die Werts­ ermittlung zu erlassen, welche der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. Ersatzdeckung muß für den Fall der Rückzahlung oder in sonstigen Fällen der Unmöglichkeit, die entsprechenden Hy­ pothekenpfandbriefe einzuziehen, in Schuldver­ schreibungen des Reiches oder eines Landes oder in Geld erfolgen, bei Ausgabe von wertbeständigen Pfandbriefen nur in wertbeständigen Schuldver­ schreibungen. — Nebengeschäfte sind den H., ab­ gesehen von den unter IX. angegebenen Fällen, nur im Rahmen des § 5 gestattet (s. a. Ziff. 3 der V. vom 14. 12. 1923). IV. Das Hypothekenregister und der Treuhänder. Der Sicherstellung der Hypothe­ kenpfandbriese dienen ferner die Vorschriften über das Hypothekenregister und den Treuhänder. Die zur Deckung der Hypothekenpfandbriefe bestimm­ ten Hypotheken und Neallasten sind nach § 22 von der Bank einzeln in ein Register einzutragen, Zwangsvollstreckungen und Arreste in die Deckungs­ masse sind nur wegen der Ansprüche aus den Hy­ pothekenpfandbriefen zulässig (G. vom 21. 12. 1927, RGBl. 1491) und im Falle des Konkurses gehen nach § 35 in Ansehung dieser Registerhy­ potheken die Forderungen der Pfandbriesgläu­ biger denen aller anderen Konkursgläubiger vor, die ersteren untereinander haben gleichen Rang. Dieses Vorrecht im Konkurse hängt in seiner Be­ deutung davon ab, daß die Hypotheken im Zeit­ punkte der Konkurseröffnung noch im Besitze der Bank sind, und deshalb ist die Einrichtung des Treuhänders geschaffen, unter dessen Mitver­ schluß die Hypothekenurkunden aufbewahrt wer­ den, so daß sie der Verfügung der Bank und Pfän­ dungen Dritter entzogensind. Der Treuhänder wird widerruflich bestellt, und zwar durch die Aufsichts­ behörde nach Anhörung der H. (§ 29). Er hat nach § 30 darauf zu achten daß die vorschriftsmäßige Deckung für die Hypothekenpfandbriefe jederzeit vorhanden ist und daß die Deckungshypotheken in das Hypothekenregister eingetragen werden. Eintragungen in dem Register können nur mit seiner Zustimmung gelöscht werden. Er hat die Hypothekenpfandbriefe vor der Ausgabe mit einer Bescheinigung über das Vorhandensein der vor­ schriftsmäßigen Deckung und der Eintragung in das Hypothekenregister zu versehen. Die Löschung im Register muß er bewilligen und die in seinem Mitverschluß befindlichen Dokumente heraus­ geben, wenn der Betrag der Hypothekenpfand­ briefe sich vermindert oder die Bank nur anderweit vorschriftsmäßige Deckung beschafft (§ 31). Zum vorübergehenden Gebrauch (z. B. für Prozeß­ führung, Beteiligung bei der Zwangsversteige­ rung usw.) hat er sie nach § 31 Abs. 2 ohne Ersatz herauszugeben. Der Treuhänder ist befugt, jeder­ zeit die Bücher und Schriften der Bank einzu­ sehen, soweit sie für seine Obliegenheiten Bedeu-

Hypothekenversicherung

tung haben, Streitigkeiten zwischen ihm und der H. entscheidet die Aufsichtsbehörde (§§ 32, 33). Diese setzt in Ermangelung einer Einigung auch den Betrag der ihm von der H. zu gewährenden Vergütung fest (§ 34). V. Vorschriften im Interesse des kredit­ bedürftigen Grundbesitzes. Der Förderung des unkündbaren Amortisationskredits dient zu­ nächst die Vorschrift des § 6 Abs. 2, daß die länd­ lichen Hypotheken mindestens zur Hälfte Amorti­ sationshypotheken sein müssen, und zwar zu einem jährlichen Tilgungssatze von wenigstens x/4% ferner die speziellen für Amortisationshypotheken gegebenen Vorschriften der §§ 19—21. Hervor­ zuheben ist, daß Zinsen immer nur von dem je­ weiligen Restkapital berechnet werden dürfen (§ 20 Abs. 2), endlich die Vorschriften über die Teilzahlungen und Teillöschungen. Wie diese ver­ folgen die allgemein für die Darlehnsverträge geltenden Vorschriften der §§ 14—18 den Zweck, den Schuldner gegen offenbare Unbilligkeiten und Gefahren zu schützen und ihm die Tragweite der von ihm zu übernehmenden Verpflichtungen von vornherein möglichst klar zu machen. Wichtig ist besonders die Vorschrift, daß die Darlehen in Geld zu gewähren sind und die Zahlung in Hypotheken­ pfandbriefen nur zulässig ist, wenn die Satzung sie gestattet und der Schuldner ausdrücklich zustimmt (§ 14), ferner die Vorschrift des § 18, daß das Recht der Kündigung und Rückzahlung für den Schuld­ ner nur bis zum Zeitraum von höchstens zehn Jahren ausgeschlossen werden darf. VI. Veröffentlichungen und Geschäfts­ abschluß (Agio, Disagio). Im Februar und August jedes Jahres hat nach § 23 jede H. den Ge­ samtbetrag der am letzten Tage des voraufge­ gangenen Halbjahres umlaufenden Hypotheken­ pfandbriefe und der aus dem Hypothekenregister sich ergebenden Deckungen im Reichsanzeiger usw. bekanntzumachen. Die für die Jahresbilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung und den Ge­ schäftsbericht in §§ 24ff. gegebenen Vorschriften bezwecken in der Hauptsache eine größere Spezia­ lisierung, als sie nach den Vorschriften des HGB. sonst erforderlich sein würde, um dadurch der Öf­ fentlichkeit und der Aufsichtsbehörde die Prüfung der Geschäftsführung zu erleichtern. Von be­ sonderer Bedeutung sind die materiellen Vor­ schriften über das bei Begebung von Hypotheken­ pfandbriefen entstandene Agio und Disagio. Werden Hypothekenpsandbriefe zu einem höheren Betrage als dem Nennwert ausgegeben, so ist der Mehrerlös (Agio) nicht ohne weiteres Gewinn, weil ihm die Verpflichtung zur Aufbringung einer verhältnismäßig hohen Pfandbriefsverzinsung gegenübersteht, umgekehrt ist ein Disagio nicht ohne weiteres Verlust. Daher beschränkt § 26 die H. in der Verfügung über ein erzieltes Agio, während § 25 unter gewissen Einschränkungen gestattet, ein entstandenes Disagio vorübergehend als Aktivum vorzutragen. VII. Kommunal- und Kleinbahnobli­ gationen der H. Die Gewährung von Dar­ lehen an inländische Körperschaften des öffent­ lichen Rechts oder an Kleinbahngesellschaften und die Ausgabe von Schuldverschreibungen aus Grund der so erworbenen Forderungen bildet nach § 5 des G. ein zulässiges Nebengeschäft der H. Darlehen an Kleinbahnen dürfen nur gegen

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Bürgschaft einer öffentlichen Körperschaft oder gegen Verpfändung des Bahnunternehmens (G., betr. das Pfandrecht an Privateisenbahnen und Kleinbahnen, vom 19. 8. 1895, GS. 499) ge­ währt werden. Für die Schuldverschreibungen und die Darlehnsforderungen gelten nach §§ 41, 42 des G. im wesentlichen dieselben Vorschriften wie für das eigentliche Psandbriefgeschäft; für Darlehen gegen Verpfändung der Kleinbahn sind nach § 42 Abs. 3 die Grundsätze über Beleihungs­ grenze und Wertsermittlung von der H. festzu­ stellen und bedürfen der Genehmigung der Auf­ sichtsbehörde. Die aus Grund nicht hypotheka­ rischer Darlehen an Körperschaften des öffentlichen Rechts ausgegebenen Schuldverschreibungen dür­ fen den Betrag, bis zu dem die Bank Hypotheken­ pfandbriefe und Kleinbahnobligationen aus­ geben darf, um höchstens 2/5 übersteigen. VIII. Strafvorschriften.Treuhänder,welche absichtlich zum Nachteil der Pfandbriesgläubiger handeln, unterliegen nach § 36 der Bestrafung wegen Untreue nach § 266 StGB. Die weiteren Strafvorschristen der §§ 37, 38 betreffen die Ausgabe von Hypothekenpfandbriefen ohne die vorgeschriebene Deckung oder ohne die vorge­ schriebene Bescheinigung des Treuhänders und die widerrechtliche Verfügung über die in das Hypo­ theken register eingetragenen Werte. IX. Für die beim Inkrafttreten des G. bestehenden H. enthalten die §§ 45—52 be­ sondere Vorschriften von denen die §§ 46—48 von dauernder Bedeutung sind. Sie beziehen sich aus die (in Preußen nicht vorkommenden) sog. ge­ mischten H., d. h. solche, die Geschäfte noch anderer Art als die im § 5 des G. zugelassenen betreiben (§§ 46, 47) und ferner auf den Fall, daß eine H. berechtigt war, zu einem höheren Betrage als dem Zehnfachen des eingezahlten Grundkapitals Hy­ pothekenpfandbriefe und Schuldverschreibungen auszugeben (§ 48). X. Nach den nach § 23 des G. für den 31.12.1926 veröffentlichten Ausweisen bestanden im Deut­ schen Reich 34 H., von denen 15 in Preußen ihren Sitz haben. Diese 34 H. hatten 1518,43 Mill. RM Pfandbriefe und 233,28 Mill. RM Kommunal­ schuldverschreibungen in Umlauf, und zwar abge­ sehen von der auf Roggen lautenden durchweg durch Feingoldklausel gesichert. An Hypotheken standen rund 1644,10 Mill. RM, an Kommunal­ darlehen 232,15 Mill. RM; dazu kamen 118,35 Mill. RM Darlehen aus Mitteln der deutschen Nentenbankkreditanstalt. Die Teilungsmassen für die Aufwertung der Papiermarkpsandbriefe be­ trugen 1919,62 Mill. RM. XI. Wegen der Aufwertung von Hypotheken­ pfandbriefen s. Aufwertung. v. B. Kommentare von Dannenbaum neue Auflage). Göppert, 1911.

(in Vorbereitung

Hypothekenversicherung. Unter H. wird eine Versicherung gegen finanzielle Schädigungen verstanden, die aus der hypothekarischen Be­ leihung eines Grundstücks dem Gläubiger er­ wachsen können. Große praktische Bedeutung hat die Hypothekenversicherung nicht gewonnen. Nach § 1 Abs. 3 VAG. (G. vom 24. 10. 1917, RGBl. 973) sind Unternehmungen, die der För­ derung des Grundkredits durch Übernahme des Hypothekenschutzes dienen, keine aufsichtspflich­ tigen Versicherungsunternehmungen. Pf.

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Jagdaufsicht — Jagdbarkeit

Jagdaufsicht. Die I. hat dafür zu sorgen, daß die Bestimmungen der Jagdordnungen (s. Jagd und Jagdrecht), soweit sie nicht jagdpolizeilichen Charakter haben, befolgt werden. Sie ist also von der Jagdpolizei (s. d.) verschieden. In früheren JagdG. wurden beide Ausgaben nicht immer streng geschieden. Nach der Jagdordnung vom 15. 7. 1907 hat die I. besonders die Aufsicht über die Verwaltung der Angelegenheiten der gemein­ schaftlichen Jagdbezirke zum Gegenstände. Jagd­ aufsichtsbehörde ist in Landkreisen der LR., in höherer und letzter Instanz der NP.; in Stadt­ kreisen der RP., in höherer und letzter Instanz der OP. Nur Aufsichtsbeschwerde innerhalb zwei Wochen, VwStr., ist nicht zulässig (OVG. 73, 388; § 70; vgl. auch Ziff. 44 AusfAnw. z. Jagdord­ nung). Streitigkeiten der Beteiligten über ihre in den öffentlichen Rechten begründeten Berech­ tigungen und Verpflichtungen hinsichtlich der Ausübung der Jagd unterliegen in der Regel der Entscheidung im VwStr. (OVG. 60, 411; 74, 419; 78 S. 356, 378). Die hohenzoll. Jagd­ ordnung enthält nicht eine derartige Bestimmung. Die Hann. Jagdordnung bestimmt im § 11, daß die Ordnung und Aufrechterhaltung der Jagd­ verhältnisse nach den §§ 5—9 (b. h. die der Feld­ markjagdbezirke) Sache der Verwaltung ist. Pr. Jagdausübung durch Jagdgäste und angestellte Jäger. Diese Ausübung der Jagd unter­ liegt gewissen Beschränkungen. Nach der Jagd­ ordnung vom 15. 7. 1907 darf der Jagdberech­ tigte (Agenjagdberechtigte oder Jagdpächter) be­ liebig die Ausübung der Jagd aus seinem Jagd­ bezirk Jagdgästen gestatten; die Jagdgäste dürfen jedoch die Jagd in diesem Falle nicht ohne Be­ gleitung des Jagdberechtigten oder ohne dessen schriftlich erteilte Erlaubnis bei sich zu führen ausüben. Bei Zuwiderhandlungen macht sich der Jagdgast, nicht der Jagdberechtigte strafbar (§ 75 Jagdordnung und G. vom 15. 7. 1924, GS. 577). Die Erteilung eines Jagderlaubnis­ scheins gegen Entgelt gilt als Verpachtung oder Weiterverpachtung; es kommen deshalb die für diese geltenden Bestimmungen des Jagdrechts zur Anwendung. Da der Eigenjagdberechtigte die Jagd ohne jede Einschränkung verpachten darf (s. Jagdbezirke II1), ist er auch in der Aus­ stellung entgeltlicher Jagdscheine unbeschränkt; für den Pächter eines Eigenjagdbezirks sind im Jagd­ recht einschränkende Bestimmungen nicht ent­ halten, es entscheidet also hier lediglich der ab­ geschlossene Pachtvertrag. Für den Pächter eines gemeinschaftlichen Pachtvertrags kommt in Be­ tracht die Vorschrift des § 22 der Jagdordnung, daß Weiterverpachtungen der Genehmigung des Verpächters und des KrA. bedürfen und daß ohne Genehmigung letzterer Behörde die Jagd an nicht mehr als drei Personen verpachtet werden soll. Ähnliche Bestimmungen gelten für die hohenzoll. Jagdordnung vom 10. 3. 1902 (§§ 9 Abs. 2, 23), jedoch darf hier auch der Eigenjagdberechtigte die Jagd nicht an mehr als drei Personen gemein­ schaftlich verpachten (also auch nicht an mehr als drei Personen zugleich entgeltliche Jagderlaubnis­

scheine ausstellen). Nach § 14 der durch V. vom 6. 11. 1915 (GS. 153) abgeänderten Hann. Jagd­ ordnung vom 11. 3.1859 dürfen Eigenjagdberech­ tigte den zu ihrer Familie gehörigen Haus­ genossen und ihren bebroteten Jägern, ferner durch schriftlichen bei der Jagdausübung mitzu­ führenden Erlaubnisschein auch dritten Personen gestatten, allein zu jagen; für die Verpachtung ihres Jagdbezirks kommen jedoch die für Verpachtung der Feldmarkjagden gegebenen Vorschriften in Be­ tracht (§ 2 in Verb, mit den §§ 6 it. 7; s. Jagd­ bezirke II2). Jagdpächter und deren Jäger dürfen Begleiter mit sich nehmen, nicht aber Dritte ermächtigen, allein zu jagen, mit Aus­ nahme der zu ihrer Familie gehörigen Haus­ genossen und ihrer Jäger (§ 14). Nach der Jagd­ ordnung dürfen sowohl Eigenjagdberechtigte wie Pächter gemeinschaftlicher Jagdbezirke Jäger für ihre Reviere anstellen (§ 27 Abs. 1); juristische Personen dürfen jedoch als Eigenjagdberechtigte die Jagd durch höchstens drei Jäger ausüben, als Jäger dürfen nur solche großjährige Männer an­ gestellt werden, gegen die keine Tatsachen vor­ liegen, die die Versagung des Jagdscheins recht­ fertigen würden (§ 27 Abs. 2). Nach der hohen­ zoll. Jagdordnung dürfen sowohl Eigenjagdberech­ tigte wie Pächter gemeinschaftlicher Jagdbezirke Jäger anstellen, für diese gilt sämtlich die nach § 27 Abs. 2 der Jagdordnung ausgestellte Voraus­ setzung. Die Hann. Jagdordnung enthält keine Bestimmung über die Befugnis zur Anstellung von Jägern. Pr. Jagdbarkeit. Die jagdbaren Tiere gehören zu den wilden Tieren, sie sind wie diese herrenlos, solange sie sich in Freiheit befinden (§ 960 BGB ). Während letztere aber von jedermann in Eigen­ besitz genommen werden können mit der Wirkung, daß hierdurch an ihnen Eigentum erworben wird (§ 958 Abs. 1 BGB.), sind jagdbare Tiere die­ jenigen wilden Tiere, die dem ausschließlichen Aneignungsrecht des Jagdberechtigten Vorbehal­ ten sind. Der Nichtjagdberechtigte erwirbt an ihnen durch die Besitzergreifung kein Eigentum (§ 958 Abs. 2 BGB.). Die jagdbaren Tiere bilden das Objekt der Jagdberechtigung, während deren Subjekt der Jagdberechtigte ist. Aber wenn schon die historische Entwicklung des Jagdrechts nach seiner subjektiven Seite in Deutschland eine große Verschiedenheit aufweist, bietet sie dem Objekt nach territorial die bunteste Mannigfaltigkeit dar und ließ bis zum Anfang dieses Jahrhun­ derts jede Einheitlichkeit vermissen. Das ge­ meine Recht hat keinen einheitlichen Rechts­ grundsatz in dieser Hinsicht entwickelt, in seinem Gebiet galten Spezialgesetze oder Gewohnheits­ recht. Das preuß. Allgemeine Landrecht überließ in § 31 II 16 die Bestimmung dar­ über, was zu den jagdbaren Tieren gehörte, den Provinzialgesetzen; soweit diese fehlten, galt das Gewohnheitsrecht. Es stellte selbst nur in den §§ 32—34 a. a. O. den subsidiären (übrigens nur aus einem beschränkten Gebiete, und zwar in den Land- und Stadtkreisen Essen, Mülheim a. d. R., Duisburg, Ruhrort und Rees, dem früheren Hoch-

Jagdbezirke stift Münster und den durch Patent Dom 15. 11. 1816, GS. 233, mit Preußen vereinigten ehe­ mals sächsischen Landesteilen zur Rechtskraft ge­ langten) Grundsatz auf, daß im Mangel anderer Bestimmungen solche vierfüßigen wilden Tiere und wildes Geflügel, die zur Speise gebraucht zu werden pflegen, jagdbar (§ 32), andere wilde Tiere dagegen in der Regel ein Gegenstand des freien Tierfanges sein sollten (§ 33), zu letzteren gehörten Wölfe, Bären und dergleichen schädliche Raubtiere (§ 34). Der Code civil überließ die Bestimmung der I. ebenfalls partikularen G. (Buch III Art. 715). Neben dem Gewohnheits­ recht kamen für die Bestimmung, was zum jagd­ baren Wild zu rechnen war, für Preußen einige sechzig hauptsächlich aus dem 17. bis 19. Jahrh, stammende Forst- und Jagdordnungen (s. Jagdund Jagdrecht III) in Betracht, deren Inhalt im einzelnen wesentlich voneinander abwich. So rechneten einige nur die nutzbaren Tiere zum Wilde, andere auch Raubtiere, wie Wölfe, Wild­ katzen, Füchse usw. Nur noch historischen Wert hat die Einteilung des Wildes in Tiere der hohen, mittleren und niederen Jagd, die sich je nach dem Inhalt der Jagdgerechtigkeit bestimmte (s. Jagd und Jagdrecht II) und mit der Anerkennung des Jagdrechts als eines jedem Grundeigentümer zustehenden Rechts und mit der Aufhebung des Jagdrechts aus fremdem Grund und Boden in Fortfall gekommen ist. Eine einheitliche Fest­ setzung des Begriffs der Jagdbarkeit ist für ganz Preußen mit Ausschluß der hohenzoll. Lande durch das Wildschongesetz vom 14. 7. 1904 (GS. 159) erfolgt, das im § 1 bestimmt: Jagdbare Tiere sind: 1. Elch-, Rot-, Dam-, Rehund Schwarzwild, Hasen, Biber, Ottern, Dachse, Füchse, wilde Katzen, Edelmarder; 2. Auer-, Birkund Haselwild, Schnee-, Reb- und schott. Moor­ hühner, Wachteln, Fasanen, wilde Tauben, Drosseln (Krammetsvögel), Schnepfen, Trappen.Brachvögel, Wachtelkönige, Kraniche, Adler (Stein-, See-, Fisch-, Schlangen-, Schreiadler), wilde Schwäne, wilde Gänse, wilde Enten, alle anderen Sumpf- und Wasservögel mit Ausnahme der grauen Reiher, der Störche, der Taucher, der Säger, der Kormorane und der Bläßhühner. Hiernach gehört das Kaninchen nirgends mehr zum Wilde (s. d.). Neu hinzugetreten sind Bronzeputex oder wilde Truthühner (B. vom 9.8. 1910, GS. 257, und Muffelwild, V. vom 22. 1. 1912, GS. 11). Unter Drosseln sind zu verstehen so­ wohl die in Preußen brütenden Drosselarten (Misteldrossel, Singdrossel, Schwarzdrossel), wie auch die im Frühjahr und Herbst durchziehenden Drosseln (Weindrossel, Wachholderdrossel, Ring­ drossel). Zu den Schnepfen gehören alle schnep­ fenartigen Bögel (Waldschnepfe, Pfuhlschnepfe, kleine Bekassine), zu den Brachvögeln der Triel, der Goldregenpfeifer, der große Brachvogel. Zu den nicht namentlich aufgeführten Sumpf- und Wasservögeln, die jagdbar sind, gehören u. a. das Teichhuhn, das gesprenkelte Sumpfhuhn, das kleine Sumpfhuhn, die Wasserralle, der Mornellregenpfeifer, der Sandregenpfeifer, der Fluß­ regenpfeifer, der Kiebitzregenpfeifer, der Kiebitz, der Austernfischer, der Strandläufer, der Karnpf­ hahn, der Wasserläufer, die Uferschnepfe, der Säbelschnäbler, die Rohrdommel und die möwen­ artigen Vögel (Seeschwalbe, eigentliche Möwe,

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Raubmöwe). Aus der Erklärung der Kiebitze und Möwen zu jagdbaren Tieren folgt, daß auch das Recht, die Eier dieser Vögel in Besitz zu nehmen, nur dem Jagdberechtigten zusteht. Zur Aus­ führung des WildschonG. ist die Anw. vom 21. 7. 1904 (MBl. 264), deren Ziff. 1—4 hierher ge­ hören, ergangen. § 1 des WildschonG. ist unver­ ändert in die Jagdordnung vom 15. 7. 1907 (s. Jagd u. Jagdrecht) als deren § 1 übernommen worden und gilt nur noch für die Prov. Han­ nover und die Insel Helgoland. Ziff. 1—4 der AussAnw. sind als Ziff. 1, 2, 28—30 in die AusfAnw. vom 15. 7. 1907 übernommen. In den hohenzollernschen Landen gilt das frühere Recht, dessen Inhalt jedoch nicht ohne Zweifel ist. Jedenfalls gehören hier zum jagdbaren Wild alle diejenigen Tiere, für die in der hohenzoll. Jagd­ ordnung vom 10. 3.1892 (GS. 33) eine Schonzeit festgesetzt ist (Rot-, Dam-, Rehwild, Hasen, Dachse, Reb-, Hasel-, schott. Moorhühner, Wachteln, Fa­ sanen, Wildenten, Wildtauben, Schnepfen, Be­ kassinen, Auer- und Birkwild, ferner Schwarz­ wild!. S. a. Robben. Pr. Jagdbezirke sind im Rechtssinne Vereinigungen aller derjenigen Grundstücke, die gemeinsam be­ sagt werden dürfen, also vom G. hinsichtlich des Rechts zur Ausübung der Jagd als Einheiten behandelt werden. Obwohl das Jagdrecht jedem Eigentümer auf seinem Grund und Boden in Preußen grundsätzlich zugestanden ist, von dem es auch als dingliches Recht nicht getrennt werden darf (KG. in ZfA. 6, 55), hat das G. seine Ausübung doch gewissen Beschränkungen unterworfen, von denen die wesentlichste die ist, daß der Eigentümer nur unter bestimmten Vor­ aussetzungen die Jagd auf seinem Grundbesitz selbst ausüben darf, während im übrigen die Jagd­ ausübung gemeinsam geschehen soll (vgl. Jagd und Jagdrecht). § 3 der Jagdordnung vom 15. 7. 1907 bestimmt ausdrücklich, daß die Jagd nur auf I. ausgeübt werden darf. Je nachdem die Ausübung der Jagd durch den Grundeigentümer oder gemeinsam geschieht, unterscheidet man Eigenjagdbezirke (88 3, 4 der Jagdordnung vom 15. 7. 1907); Einzeljagdbezirke (8 2 der Hann. Jagdordnung vom 11. 3. 1859); eigene I. (8 2 der hohenzoll. Jagdordnung vom 10. 3. 1902) oder gemeinschaftliche I. (88 3, 7 der Jagdord­ nung und hohenzoll. Jagdordnung); Feldmark­ jagdbezirke (§ 3 der Hann. Jagdordnung). I. Bildung der I. 1. Eigenjagdbezirke können nach § 4 der Jagdordnung und § 2 der hohenzoll. Jagdordnung aus solchen, demselben Eigentümer, beim Miteigentum demselben Mit­ eigentümer gehörigen Grundstücken (nur voll­ inhaltliches Miteigentum, nicht Miteigentum von kleinen ideellen Bruchteilen, OVG. 78, 370; ZfA. 8, 273) gebildet werden, die a) dauernd und voll­ ständig (nach der Jagdordnung gegen den Einlauf von Wild) eingefriedigt sind oder b) in einer oder mehreren Gemeinden (Gutsbezirken) einen landoder forstwirtschaftlich benutzbaren (OVG. 37, 298; 63, 374; 40, 319 sowie in ZfA. 7, 177; hohenzoll. Jagdordnung: benutzten) Flächenraum von wenigstens 75 ha im Zusammenhang ein­ nehmen, wobei dazwischenliegende Wege (nicht aber Privatwege, OVG. 53, 352; 59, 348), Ge­ wässer (OVG. 53, 352; 65, 334), Deiche usw. nicht als eine Unterbrechung des Zusammen-

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Jagdbezirke

Hangs angesehen werden; diese Flüchen werden nach der Jagdordnung beni Eigenjagdbezirke pachtweise angeschlossen, wenn nicht dessen In­ haber den Anschluß ablehnt (die im JagdpolizeiG. vom 7. 3. 1850 zugelassene dritte Art eigener Jagdbezirke, d. i. alle Seen, Fisch­ teiche und Inseln ohne Rücksicht auf Größe, ist in die Jagdordnung nicht übernommen worden; es entscheidet also auch hier nur Einfriedigung oder Größe; s. Seen, Ausübung der Jagd auf Seen). Nach § 2 der Hann. Jagdordnung berechtigt jede, mindestens 300 Hann. Morgen = 78,63 ha große zusammenhängende Fläche zur Bildung des Einzeljagdbezirks, ohne daß es auf land- und forstwirtschaftliche Benutzbarkeit an­ kommt; Wege, Gewässer usw. gelten nicht als trennend, werden aber nicht dem Eigenjagdbezirk zugelegt (OVG. 77, 392). Dagegen gestattet die Hann. Jagdordnung nicht die Bildung von Einzel­ jagdbezirken aus allen eingefriedigten Grund­ flächen, sondern läßt nur zu, daß der Eigentümer solche Grundstücke von der gemeinsamen Jagd­ ausübung ausschließt. Die Bildung der Eigen­ jagdbezirke geschieht durch den Eigentümer (OBG. 58, 369; 74, 425). Verzichtet er hierauf (OVG. 74, 420), so sind die Flächen zur Bildung der gemeinschaftlichen Jagd zu verwenden oder solchen zuzulegen. Das Recht zur Bildung eines eigenen I. tritt in Kraft, sobald die vom G. hier­ für verlangten Voraussetzungen vorliegen. Dieser früher auch für das Gebiet des JagdpolizeiG. vom 7. 3. 1850 allgemein geltende Grundsatz gilt noch uneingeschränkt für das Gebiet der Hann, und hohenzoll. Jagdordnung. Wenn also hier jemand eine zusammenhängende Fläche in dem vorgeschriebenen Mindestumfang (300 Mor­ gen, 75 ha) erwirbt oder seinen Besitz bis zu diesem Umfange durch Zukauf von Flächen ver­ größert, hat er das Jagdrecht auf der gesamten Fläche vom Augenblicke des Eigentumsübergangs ab, und zwar auch dann, wenn die Flächen zu einem gemeinschaftlichen I. gehörten und ver­ pachtet waren (OBG. 20, 230). In der Jagd­ ordnung ist dieses dahin eingeschränkt worden, daß dem neuen Eigentümer die Ausübung des Jagd­ rechts auf den, bisher zu einem gemeinschaft­ lichen verpachteten I. gehörenden Flächen erst mit dem Ablauf eines jeden Pachtjahrs zusteht, sofern er den Vertreter und den Pächter des ge­ meinschaftlichen I. sechs Monate vorher von seiner Absicht, das Jagdrecht in Anspruch zu nehmen, in Kenntnis setzt. Bei Auflösung eines Eigen­ jagdbezirks fallen die Flächen an den gemein­ schaftlichen Jagdbezirk der Gemeinde oder sind mit angrenzenden Jagdbezirken zu vereinigen (für die Jagdordnung s. dort § 14). 2. Gemeinschaftliche Jagdbezirke. Alle Grundflächen eines Gemeinde- (Guts-) Bezirks, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören, bilden den gemeinschaftlichen I.-, wenn sie im Zusammen­ hang (Wege trennen und verbinden nicht, OVG. 77, 406) nach der Jagdordnung wenigstens 75 ha und nach der Hann. Jagdordnung wenigstens 300 Morgen umfassen; nach der hohenzoll. Jagd­ ordnung ist eine Mindestgröße nicht vorgeschrieben (OVG. 40, 321; 71, 391; 77, 402). Flächen (auch ganze Gemeindebezirke), die dieser Voraussetzung nicht entsprechen, werden angrenzenden Eigen(OVG. 78, 378) oder gemeinschaftlichen I. ange­

schlossen, nach der Jagdordnung kann auch aus ihnen zusammen mit ähnlichen Flächen anderer Gemeindebezirke ein besonderer, wenigstens 75 ha umfassender gemeinschaftlicher I. gebildet werden. Sind diese Maßnahmen nicht möglich, so können die Flächen auch getrennt liegenden I. zugelegt oder es kann aus ihnen ein besonderer, nicht 75 ha großer I. gebildet werden. Eine besondere Stel­ lung nehmen nach der Jagdordnung und der hohenzoll. Jagdordnung unter Umständen die­ jenigen nicht zu einem Eigenjagdbezirke gehören­ den Flächen, die von Eigenjagdbezirken um­ schlossen werden, insofern ein, als der Eigenjagd­ besitzer berechtigt ist, bis zum Ablauf der Aus­ legungsfrist der Pachtbedingungen (OVG. 78, 356), den Anschluß an seinen I. zu verlangen. Nach der Jagdordnung ist hierbei Voraussetzung, daß der Eigenjagdbezirk aus einem 750 ha im Zu­ sammenhang großen Walde (OVG. 69, 411) be­ steht und die anzuschließenden Flächen zu minde­ stens 90% begrenzt, während nach der hohenzoll. Jagdordnung jeder Eigenjagdbezirk, der die Flächen ganz oder größtenteils umschließt, hierzu berechtigt ist, es sei denn, daß die Grundstücks­ eigentümer beschließen, die Jagdausübung gänz­ lich ruhen zu lassen. Im Streitfälle entscheidet der KrA. (OVG. 78, 358). Die Hann. Jagdord­ nung kennt eine solche Bestimmung nicht. Unter bestimmten Voraussetzungen können gemeinschaft­ liche I. in mehrere selbständige I. geteilt werden, die aber im Zusammenhang groß sein müssen: nach der Jagdordnung 250 ha, nur in Ausnahme­ fällen 75 ha; nach der hohenzoll. Jagdordnung 200 ha; nach der Hann. Jagdordnung 1000 Morgen. Endlich können Teile eines gemein­ schaftlichen I. anderen angrenzenden I. zugelegt werden. Auch können nach der Jagdordnung die Eigentümer von Fischerei-Seen und -Teichen und Schisfahrtkanälen (s. Seen) diese von dem gemeinschaftlichen I. ausschließen, jedoch muß aus diesen Flächen dann die Jagd ruhen (vgl. §§ 7—15 der Jagdordnung; §§ 3, 4, 7 der Hann. Jagdordnung; §§ 4, 5 der hohenzoll. Jagd­ ordnung). . II. Vertretung und Nutzung der Jagd­ bezirke. 1. Zur Vertretung des Eigenjagd­ bezirks ist der Eigentümer befugt. Nach § 6 Abs. 2 der Jagdordnung dürfen juristische Per­ sonen, Aktiengesellschaften usw. das Jagdrecht nur durch Verpachtung oder durch höchstens drei an­ gestellte Jäger ausüben, oder sie müssen es ruhen lassen. Im übrigen ist der Eigentümer des I. nach der Jagdordnung in der Ausübung des Jagdrechts nicht beschränkt, er darf es selbst aus­ üben (bei mehr als drei Miteigentümern aller­ dings nur höchstens drei von ihnen); er darf die Jagd durch beliebig viele angestellte Jäger aus­ üben lassen; er darf die Jagd verpachten, und zwar sowohl durch Überlassung des Jagdrechts aus einzelne Wildarien oder aus bestimmte Stücke Wild als auch durch Zerteilung des I. in einzelne Teile, selbst wenn diese nicht 75 ha im Zusammen­ hang groß sind; er darf endlich beliebig viel ent­ geltliche oder unentgeltliche Jagderlaubnisscheine ausstellen (Z 6 der Jagdordnung). Nach § 3 der hohenzoll. Jagdordnung gilt dasselbe, nur dürfen mehr als drei Miteigentümer und juristische Per­ sonen bei Ausübung der Jagd durch angestellte Jäger sich nur eines solchen bedienen. Die Hann.

Jagdbezirke

Jagdordnung läßt beim Miteigentum nur die Ausübung der Jagd durch einen Miteigentümer zu, sonst ist die Jagd zu verpachten, einem Dritten zur Ausübung zu überlassen oder durch einen Jäger zu nutzen; wenn die Jagd bei Vorhan­ den sein eines oder mehrerer Eigentümer ver­ pachtet werden soll, kommen hierbei die für die Verpachtung der Feldmarksjagd gegebenen Bestimmungen in Betracht (§ 2; s. folgende Biss- 2). 2. Gemeinschaftliche Jagdbezirke. Nach der Jagdordnung bilden die Eigentümer der Grundstücke eines gemeinschaftlichen I. eine Jagd­ genossenschaft, die Rechtsfähigkeit besitzt. Die Verwaltung und Vertretung der Jagdgenossen­ schaft ist kraft gesetzlichen Auftrags dem Vorsteher der Gemeinde (der Einzelperson) als Jagdvor­ steher übertragen, bei Beteiligung mehrerer Ge­ meinden wird der Jagdvorsteher durch die Auf­ sichtsbehörde bestimmt (§ 16). Der Jagdvorsteher ist zwar Beamter, hat aber keine jagdpolizeilichen Befugnisse (OBG. 69, 418; 78, 383); er hat über die Bildung des gemeinschaftlichen Jagd­ bezirks zu beschließen (§ 17). Die Nutzung der Jagd erfolgt in der Regel durch Verpachtung, mit Genehmigung des Kr(Bez)A. kann sie auch ruhen oder durch höchstens drei angestellte Jäger aus­ geübt werden (§ 20). Die Verpachtung erfolgt durch den Jagdvorsteher. Dieser hat die von ihm beabsichtigte Art der Verpachtung (öffentlich, meistbietend, im beschränkten Kreis von Bietern, unter der Hand) und die Pachtbedingungen öffent­ lich auszulegen (OBG. 57,410; 69, 352; 54, 367; 78, 384); hiergegen Einspruch beim KrA. (in Städten: BezA.). Der abgeschlossene Vertrag ist ebenfalls auszulegen (OBG. 60, 421), gegen ihn ist wiederum Einspruch gegeben, jedoch nicht mehr über die Punkte, die im ersten Verfahren festgestellt sind. Der Beschluß des Kr(Bez)A. ist endgültig, jedoch steht dem Jagdvorsteher die Beschwerde an den BezA. (Provinzialrat) zu (§§ 21—24). Für die Verpachtung sind im § 22 noch eine Reihe weiterer Bestimmungen gegeben: 1. die Verträge müssen schriftlich ab­ geschlossen werden (OVG. 49, 83); 2. zulässige Zahl der Pächter in der Regel nicht mehr als drei, mit Genehmigung des Kr(Bez)A. können auch mehr als drei oder Jagdgesellschaften zu­ gelassen werden; 3. Weiterverpachtungen (d. h. Übertragung eines Vertrags während seiner Dauer durch den Pächter auf einen anderen Pächter, zu der auch die entgeltliche Ausstellung von Jagderlaubnisscheinen mit der Befugnis, das erlegte Wild zu behalten, gehört) bedürfen der Genehmigung des Verpächters und des Kr(Bez)A.; 4. Pachtzeit 6—12 Jahre, mit Ge­ nehmigung des Kr(Bez)A. auch 3—18 Jahre; 5. Verpachtung an Reichsausländer bedarf der Zustimmung der Jagdaufsichtsbehörde (Muster für Jagdpachtverträge MBlMfL. 1914, 300). Nach MErl. vom 18. 6. 1918 und 9. 9. 1924 (MBlMfL. 1918, 141 und 1924, 508) soll bei den Verpachtungen eine Übersichtskarte, Meßtischblätter, ausgelegt werden. Über den Erlaß von Jagdsteuerordnungen sind eine grö­ ßere Anzahl von MErl. ergangen (vom 24. 3. und 9. 12. 1922, MBl. 369 und 1235; vom 8. 6. 1924, MBl. 619; vom 6. 1. und 7. 1. 1925, MBl. 19 und 20; vom 14. 1., 29. 4. und 30. 7. 1926,

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MBl. 43, 427 und 718). In dem Erl. vom 26. 3. 1927 (MBl. 345) wird bestimmt, daß fortan der Satz von 10% als Höchstsatz zu gelten hat und daß dieser Satz für nichtkreisangehörige, innerhalb des deutschen Reichs wohnende Jagd­ berechtigte unter Umständen bis auf höchstens 20% erhöht werden darf (OVG. in ZsA. 8, 288). Jagdpachtverträge, die gegen die §§ 21—24 ver­ stoßen, sind nichtig, Streitigkeiten über die Frage der Nichtigkeit zwischen Jagdvorsteher und Jagd­ pächter unterliegen der Entscheidung im VwStr. (KrsBezM.); sonstige Streitigkeiten zwischen diesen Parteien, sowie Nichtigkeitsstreitigkeiten zwischen anderen Parteien sind den ordentlichen Gerichten nicht entzogen (§ 24). Die Einnahmen aus der Jagdnutzung sind vom Jagdvorsteher unter die Jagdgenossen (OVG. 77, 408 u. 78, 362) nach Verhältnis des Flächeninhalts der be­ teiligten Grundstücke zu verteilen; wenn die Erträge bisher herkömmlich für gemeinnützige Zwecke verwendet worden sind, kann es hierbei verbleiben, jedoch kann jeder Grundeigentümer die Auszahlung seines Anteils verlangen (§ 25; MErl. vom 24. 5. 1919, MBlMfL. 231). Nach der Hann. Jagdordnung erfolgt die Verwaltung durch die Gesamtheit der beteiligten Grundeigen­ tümer der Feldmark nach Stimmenmehrheit, die Stimmen nach der Größe des Grundbesitzes be­ rechnet. Zur Beschlußfassung ist notwendig, daß sämtliche beteiligte Grundbesitzer geladen sind. Es kann beschlossen werden, daß die Jagd ver­ pachtet oder für Rechnung der Feldmarksgenossen durch Jäger beschossen werden oder ruhen bleiben soll (§ 5). Die Verpachtung geschieht auf die Dauer von mindestens sechs und höchstens acht­ zehn Jahren (§ 6). Die Feldmarksjagd darf nur ungeteilt und an einen Pächter verpachtet werden, ausnahmsweise können bis zu drei Pächter zu­ gelassen werden, wenn auf jeden mindestens 1000 Morgen Fläche fallen, oder es kann mit obrig­ keitlicher Genehmigung die Feldmarksjagd in zwei oder drei, mindestens 1000 Morgen große Bezirke eingeteilt werden, deren jeder einem Pächter überlassen werden darf (§ 7). Die Form der Verpachtung (öffentlich, meistbietend oder unter der Hand) wird durch Mehrheitsbeschluß der Interessenten festgesetzt. Die Pachtkontrakte müssen bei Strafe der Nichtigkeit schriftlich ab­ gefaßt werden, sie sind der Obrigkeit mitzuteilen (§ 8). Die Auskünfte aus der Benutzung der Feldmarksjagd werden nach Verhältnis des Stimmrechts verteilt; anderweite Verabredungen der Feldmarksgenossen sind nicht ausgeschlossen, binden jedoch die nicht Zustimmenden für ihren Anteil nicht (§ 10). Die Ordnung und Aufrecht­ erhaltung der Jagdverhältnisse nach den vor­ stehenden Bestimmungen ist Sache der Verwal­ tung (§ 11). Zur Ausführung ist die MBek. vom 11. 3. 1859 ergangen, die im § 3 vorschreibt, daß die Feldmarksgenossenschaft zur Vertretung der Genossenschaft bei der Obrigkeit, zur Leitung der Beschlußfassungen der Genossen und zur Er­ hebung und Verteilung der Jagdeinkünfte einen Vorstand aus ihrer Mitte zu wählen hat. Zu letzterem Zwecke kann auch die Bestellung eines besonderen Rechnungsführers beschlossen werden. Die Aufsicht über die Verwaltung der gemein­ schaftlichen Jagdangelegenheiten wird durch den LR. geführt, der nicht nur Jagdpolizei-, sondern

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Jagdpachtverträge (Stempelpflicht) — Jagdpolizei

auch Jagdaufsichtsbehörde ist. Nach der MBek. vom 11. 3. 1859 ist er berechtigt und verpflichtet, auf die Befolgung der Vorschriften des G. zu halten und gegen Zuwiderhandlungen einzu­ schreiten, wenn erforderlich unter Androhung von Zwangsstrafen. Die Hann. Jagdordnung sieht im § 12 ausnahmsweise noch eine von den Bestimmungen des § 5 abweichende andere Be­ nutzungsart der Feldmarksjagd vor, nämlich durch die Angehörigen der Feldmark (sog. Freijagd, in Städten Bürgerjagd genannt). In den Städten auf deren Feldmark bis zum Erlaß der Jagd­ ordnung die Jagd durch die Bürger ausgeübt worden war, sollte dieses Verhältnis fortbestehen, wenn die städtischen Körperschaften seine Fort­ dauer beschließen; es besteht nur noch in wenigen kleineren Städten. In den Feldmarken der Land­ gemeinden, in denen vor Erlaß des JagdG. vom 29. 7. 1850 die Jagd völlig frei war oder das Jagdrecht allen Grundeigentümern oder doch ge­ wissen Klassen derselben zustand, sollte dieses Verhältnis bestehen bleiben, bis es für jede ein­ zelne Feldmark durch Stimmenmehrheit geändert werden würde. Nach der hohenzoll. Jagdordnung hat der Gemeindevorstand darüber zu bestimmen, ob die Jagd gänzlich ruhen, durch einen angestell­ ten Jäger beschossen oder im Wege der öffent­ lichen Steigerung verpachtet werden soll. Die Pachtverträge sind schriftlich abzuschließen in der für Verträge der Gemeinden vorgeschriebenen Form; sie bedürfen der Genehmigung des Amts­ ausschusses. Die Jagd darf nicht mehr als an drei Personen und auf keinen anderen Zeitraum als auf 6—12 Jahre verpachtet werden. Die Pacht­ erträge fließen in die Gemeindekasse und werden auf die Grundstückseigentümer nach Verhältnis der Grundfläche verteilt, jedoch kann durch Ge­ meindebeschluß mit Genehmigung des Amts­ ausschusses bestimmt werden, daß die Erträge der Gemeindekasse verbleiben sollen (§§ 7—9). Nach der Jagdordnung ist in den Festungswerken allein die Militärverwaltung zur Ausübung der Jagd befugt (§ 28), die Hann, und hohenzoll. Jagd­ ordnungen kennen eine solche Bestimmung nicht. Durch die auf Grund des RG. vom 29. 6.1922 (RGBl. I 529) erlassene V. vom 23. 11. 1922 (GS. 440) sind die Vorschriften der Preuß. Pachtschutzordnung auch auf Verträge ausgedehnt worden, welche die Überlassung von Jagden oder von Grundstücken zur Ausübung der Jagd gegen Entgelt zum Gegenstände haben. Zuständig sind sowohl die gewöhnlichen Pachteinigungsämter (bei denen also nur landwirtschaftliche Beisitzer mitwirken), als auch das Pachteinigungsamt bei dem Amtsgericht am Sitze des übergeordneten Landgerichts. Sowohl von Amts wegen können, als auch auf Antrag müssen die bei ersteren ge­ stellten Anträge an das Pachteinigungsamt am Sitze des Landgerichts verwiesen werden. Statt dieses letzteren kann auch das Pachteinigungsamt bei einem anderen Amtsgericht für zuständig er­ klärt werden. Das ist geschehen betr. der Amts­ gerichte Suhl, Ranis, Warburg (V. vom 20.6.1923, GS. 286), Kirchen (V. vom 1. 8. 1923, GS. 395), Kleve (V. vom 30. 7.1924, GS. 595, statt früher Geldern und Rheinberg, V. vom 30. 10. 1923, GS. 505) und Lehe (V. vom 23. 11. 1923, GS. 548). Dieses Pachteinigungsamt ent­ scheidet in der Besetzung von einem Amtsrichter

als Vorsitzendem und zwei jagdsachverständigcn Beisitzern, die der RP. getrennt nach Pächtern und Verpächtern nach Anhörung der Landwirt­ schaftskammer und etwa bekannter Berufsver­ tretungen sowie des Allgemeinen Deutschen Jagdschutzvereins zu ernennen hat. Durch B. vom 18, 8. 1927 (GS. 169) ist die Geltungsdauer der Preuß. Pachtschutzordnung bis zum 1.10.1929 ver­ längert worden. Im übrigen s. Pacht schütz. Pr. Jagdpachtverträge (Stempelpflicht). Nach TSt. 10 PStempelStG. in der Fassung vom 27. 10. 1924 (GS. 627) unterliegen I. einem Stempel von 2^ des Pachtzinses einschließlich des Wertes aller, auch der nicht in Geld bestehenden Nebenleistungen. Den schriftlichen Verträgen stehen mündliche gleich. Schriftliche oder münd­ liche Verträge über die Erlaubnis zum Abschüsse jagdbarer Tiere auf inländischen Grundstücken wer­ den wie I. besteuert. Verträge über die Anpachtung von gemeinschaftlichen Jagdbezirken unterliegen jedoch, sofern die Jahrespacht 1500 RM nicht über­ steigt und lediglich im Gemeindebezirk wohnende und zudenJagdgenossen desJagdbezirks gehörende Inländer als Pächter auftreten, nur einem Stem­ pel von 8/io%- S. auch Jagdbezirke. Pr. Jagdpolizei. I. Je nachdem man den Begriff der Polizei enger oder weiter zieht, versteht man unter „Jagdpolizei" nur den Zweig der Polizei, der in Beziehung auf das jagdliche Gebiet aus den allgemeinen Aufgaben der Polizei folgt, oder man gibt ihr einen weiteren, die Pflege der Jagd einschließenden Inhalt. Das preuß. JagdpolizeiG. vom 7. 3. 1850 (GS. 165; s. Jagd und Jagd­ recht III), steht auf letzterem Standpunkt, indem es einmal im Interesse der öffentlichen Sicher­ heit und des Schutzes der Feldsrüchte die Jagd­ ausübung regelt und Maßregeln zur Verhütung von Wildschäden trifft, andererseits einen mäßigen, der Landeskultur nicht schädlichen Wildstand zu erhalten und die Nachhaltigkeit der Jagdnutzung sicherzustellen sucht. Als I. im engeren, eigent­ lichen Sinne wird derjenige Zweig der Polizei zu bezeichnen sein, welcher umfaßt: im allge­ meinen die Erfüllung derjenigen Aufgaben, die der Polizei auf jagdlichem Gebiete nach § 10II17 ALR. obliegen und im besonderen der ihr durch das JagdpolizeiG. zugewiesenen Ausgaben. Der Zweck des JagdpolizeiG. war es, die Ausübung des jedem Grundbesitzer auf seinem Grund und Boden durch G. vom 31. 10. 1848 (GS. 343) verliehenen Jagdrechts so zu regeln, wie es der Schutz der öffentlichen Sicherheit und die Scho­ nung der Feldfrüchte erfordert (§ 4 des letz­ teren G.; vgl. Jagd und Jagdrecht III). Ein Teil der Bestimmungen des JagdpolizeiG. ist durch spätere SpezialG. ersetzt (vgl. Jagdschein, Wildschaden, Schonzeit des Wildes); der Rest ist in die Jagdordnung vom 15. 7. 1907 übernommen worden. An den Grundsätzen des JagdpolizeiG. ist dabei nichts geändert worden, so daß dieses noch zur Erläuterung des Begriffs der I. herangezogen werden kann. Im einzelnen sind die Ausgaben der I. durch die neueren G. und jetzt der Jagdordnung anders bestimmt. Die­ jenigen Ausgaben behördlicher Tätigkeit, die das JagdpolizeiG. und jetzt die Jagdordnung vor­ schreibt, und die man nicht als polizeiliche an­ sehen kann, würden unter die Ausgaben der Jagdaufsicht (s. d.) fallen.

Jagdschein II. Jagdpolizeibehörde ist der LR., in Stadt­ kreisen die OPB. (§ 103 ZG.; § 69 Jagdordnung). Gegen die Verfügungen der Jagdpolizeibehörden finden die allgemeinen Rechtsmittel gegen Poli­ zeiliche Verfügungen aus den §§ 127ff. LVG. statt, soweit das G. selbst nicht im einzelnen etwas anderes bestimmt, so im § 69 Abs. 2 der Jagd­ ordnung (Rechtsmittel gegen Anordnungen wegen Abminderung des Wildstandes: Beschwerde an den BezA.). Im einzelnen ist in der Jagdordnung die Zuständigkeit der Jagdpolizeibehörde geregelt in den §§ 4 (Entscheidung über die Bildung von Eigenjagdbezirken), 29 (Jagdscheinerteilung), 42 Abs. 5 (Genehmigung zum Ausnehmen von Eiern), 61—68 (Abschußgenehmigung) usw. Ver­ schieden von der Jagdpolizeibehörde ist die Jagdaufsicht (s. d.). Organe zur Ausübung der I. sind zunächst die der Behörde, welche die I. wahrzunehmen hat, zugeteilten ordentlichen polizeilichen Exekutivorgane, also in Landkreisen die Landjäger, in Stadtkreisen die Schutzleute usw., sodann diejenigen Beamten und Personen, welche die Jagdpolizeibehörde im einzelnen Fall oder allgemein mit der Ausübung der I. beauftragt. In dem Erl. vom 24. 2.1900, IIa 480 (MBl. 101) hat sich der MdI. damit einverstanden erklärt, daß auf Antrag der Behörden des staatlichen Forstdienstes oder auch der Gemeinden und pri­ vaten Forst- und Jagdbesitzer einzelnen staatlichen Forstschutzbeamten unter Zustimmung der Reg. oder auch den im Gemeinde- oder Privatdienste stehenden Förstern und Schutzbeamten, die für den Forst- und Jagdschutz beeidigt sind, mit Ge­ nehmigung ihrer Dienstherrschaft die aushilfs­ weise Mitwirkung bei der Ausübung der I. außer­ halb ihrer Schutzbezirke von der Jagdpolizei­ behörde übertragen wird. Für den Waffen­ gebrauch der staatlichen Forst- und Jagdschutz­ beamten gilt der MErl. vom 8. 8. 1919 (MBlMfL. 234), der nach MErl. vom 27. 10. 1919 (a. a. O. 398) von den zum Waffengebrauch be­ rechtigten Kommunal- und Privatforst- und Jagd­ beamten gleichmüßig zu beachten ist, nähere An­ weisungen. Pr. Jagdschein. I. I. ist eine von der Jagdpolizei­ behörde ausgestellte Urkunde, welche die polizei­ liche Erlaubnis zur Ausübung der Jagd enthält und vom Jagenden als Legitimation mitgeführt werden muß. Zur Zeit des Jagdregals oder der Jagdgerechtigkeit (s. Jagd und Jagdrecht II) war der Jagdschein unbekannt. Er wurde ein­ geführt, als mit der Wiederfreigabe der Jagd an die Grundbesitzer die Zahl der Jäger sich mehrte und es im Interesse der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit für Person und Eigentum ge­ boten erschien, solche Personen, welche diese Sicherheit und Ordnung gefährden könnten, von der Jagdausübung auszuschließen. Die Vor­ schriften über Ausstellung, Verweigerung und Mitführung des I. stellen somit eine polizeiliche Regelung der Jagdausübung dar. Der I. ent­ stammt dem franz. Recht (G. vom 11. 7. 1810). In der B. vom 17. 4. 1830 (GS. 65) wurde angeordnet, daß in Zukunft jedem, der sich als zur Ausübung der Jagd befugt ausweist, ein für allemal oder für die Dauer der Jagdpachtzeit von dem LR. ein Legitimationsschein unentgelt­ lich ausgestellt werden sollte, dessen aber Per­ sonen, die auf eigenen Grundstücken jagten, und

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Jagdgäste nicht bedurften. Bei der Freigabe des Jagdrechts (s. Jagd und Jagdrecht III) an jeden Grundbesitzer (G. vom 21. 10. 1848, GS. 343) wurde die Führung eines I. zunächst nicht vorgeschrieben, ja sogar auch für das linke Rheinufer durch Aufhebung der B. vom 17. 4. 1830 beseitigt. Die Mißstände, welche sich bald herausstellten, zwangen indessen zur Einführung gewisser Einschränkungen der Jagdausübung, die u. a. in der Einführung des I., die in den jetzt zu Preußen gehörigen Gebietsteilen allgemein erfolgte, bestanden; für Altpreußen geschah dieses durch die §§ 14—17 des JagdpolizeiG. vom 7. 3. 1850 (GS. 165). Hiernach mußte jeder, der die Jagd ausüben wollte (also auch der Eigenjagdberechtigte), einen für den ganzen Staat auf ein Jahr gültigen, zu seiner Legitimation dienenden I. von dem LR. des Kreises seines Wohnsitzes lösen und bei der Jagdausübung bei sich führen; als Entgelt war eine Abgabe von 3M zur Kreiskommunalkasse zu entrichten. Das G. enthielt Bestimmungen, unter welchen Voraus­ setzungen der I. versagt werden mußte oder konnte. Ähnliche Vorschriften wurden auch für die neuen Provinzen erlassen, soweit sie in diesen nicht schon auf Grund ihrer früheren Gesetzgebung bestanden. II. Eine einheitliche Regelung erfolgte für ganz Preußen mit Ausnahme der Insel Helgoland (wo ein anderes Jagdrecht gilt) durch das Jagdscheingesetz vom 31. 7. 1895 (GS. 304), das im Anschluß an die Bestimmungen des JagdpolizeiG. vom 7. 3. 1850 durch die Aus­ stellung des I. eine Kontrolle über die Person des Jagenden schaffen, ferner aber durch Er­ höhung der Jagdscheingebühr auf eine Beschrän­ kung der Zahl der Jäger hinwirken will. Das G. bestimmt, daß jeder, der die Jagd ausübt, einen auf seinen Namen lautenden I. führen muß und daß zur Ausstellung des Scheins zuständig ist der LR., in Stadtkreisen die OPB. desjenigen Kreises, in welchem der den I. Nachsuchende einen Wohn­ sitz hat oder zur Ausübung der Jagd berechtigt ist (§ 1; wegen Vordrucke und deren Lieferung MErl. vom 11. 6. 1924 und 10. 2. 1926, MBlMfL. 349 u. 147). Hiernach ist also kein Unter­ schied gemacht, ob jemand die Jagd auf eigenem Grund und Boden, als Jagdpächter oder als Jagdgast, ob er sie mit dem Gewehr, Netzen, Fallen usw. ausüben will. Personen, die weder Angehörige eines deutschen Bundesstaats sind, noch in Preußen einen Wohnsitz haben, kann der I. gegen Bürgschaft einer Person, die in Preußen einen Wohnsitz hat, erteilt werden (§ 1 Abs. 2). Eines I. bedarf es nicht: 1. zum Ausnehmen von Kiebitz- und Möweneiern (eine Handlung, die an sich, da Kiebitz und Möwe jagdbar sind fs. Jagd­ barkeit^ zur Jagdausübung gehört); 2. zu Trei­ ber- und ähnlichen, bei der Jagdausübung ge­ leisteten Hilfsdiensten (wie Einbeeren, Stellen der Schlingen beim Dohnenstieg, Herausnehmen der gefangenen Vögel im Auftrage des Jagd­ berechtigten); 3. zur Ausübung der Jagd im Auf­ trage oder auf Ermächtigung der Aufsichts- oder Jagdpolizeibehörden in den gesetzlich vorgeschrie­ benen Fällen (§ 2, wie bei Polizeijagden, zum Schutz der Grundstücke gegen Wildschaden, s. d.). Der I. gilt für den ganzen Umfang des Staates (also auch für Hannover, Hohenzollern

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Jagdschutz — Jagdsteuer

und Helgoland) und wird entweder für ein Jahr (Jahresjagdschein) oder für drei aufeinander­ folgende Tage (Tagesjagdschein) ausgestellt (§ 3), ersterer kostet 10, letzterer 2 RM (für Aus­ länder 100 und 20 RN vgl. dazu Erl. Vvm4.2.1926 — MBlMfL. 139 — und vom 5. 11. 1927 — das. 845 —), die in die Kreiskommunal- (in Stadtkreisen Stadt-) Kassen fließen (§ 4). Von der Entrichtung der Jagdscheinabgabe sind befreit die auf Grund des § 23 des ForstdiebstahlsG. vom 15. 4. 1878 beeidigten und die in der Aus­ bildung für den Staatsforstdienst befindlichen Personen, jedoch nicht für die Jagd auf eigenem oder gepachtetem Grund und Boden oder auf Pachtjagden außerhalb des Dienstbezirks (§ 5; Berwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926, GS. 327, TSt. 44). In gewissen Fällen muß, in anderen kann der I. versagt werden; ersteres ist der Fall (§ 6) bei Personen, von denen eine unvorsichtige Führung des Gewehrs oder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu be­ sorgen ist, die sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder unter Polizeiaufsicht stehen oder die in den letzten zehn Jahren wegen Diebstahls, Unterschlagung oder Hehlerei wieder­ holt oder wegen Zuwiderhandlung gegen die §§ 117—119 StGB. (Widerstand gegen einen Forst- und Jagdbeamten oder Berechtigten in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes oder Rechts) oder gegen § 294 StGB- (unberechtigtes, ge­ werbsmäßiges Jagen) mit mindestens drei Mo­ naten Gefängnis bestraft sind. Der I. kann ver­ sagt werden (§ 7) Personen, die in den letzten fünf Jahren: 1. wegen Diebstahls, Unterschlagung oder Hehlerei einmal oder wegen Zuwiderhand­ lung gegen die §§ 117—119 StGB, mit weniger als drei Monaten Gefängnis; 2. wegen eines Forstdiebstahls, eines Jagdvergehens, Widerstands gegen die Staatsgewalt, der Übertretung einer jagdpolizeilichen Vorschrift oder wegen unbefug­ ten Schießens bestraft sind. Wenn Tatsachen, welche die Versagung des I. rechtfertigen, erst nach Erteilung des Scheins eintreten oder bekannt werden, muß in den Fällen des § 6 und kann in den Fällen des § 7 der I. für ungültig erklärt werden (§ 8). Zuständig zur Entziehung des I. ist nur diejenige Behörde, welche tatsächlich den zu entziehenden I. ausgestellt hat (Ziff. 25 V Abs. 4 der AusfAnw. zur Jagdordnung vom 15. 7. 1907 [f. unten] und OVG. 39, 283). Gegen Verfügungen, durch die der I. versagt oder ent­ zogen wird, finden dieselben Rechtsmittel statt, wie gegen polizeiliche Verfügungen (wahlweise; Beschwerde an den RP. und weiter an den OP. mit folgender Klage beim OVG. oder Klage beim BezA.; § 9). Wer die Jagd innerhalb der ab­ gesteckten Festungsrayons ausüben will, muß seinen I. von der Festungsbehörde mit einem Einsichtsvermerk versehen lassen (§ 10). In 8 11 sind die Strafen gegen die Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des G. geregelt. Zur Aus­ führung des JagdscheinG. ist die Anw. vom 2. 8. 1895 (MBl. 231) ergangen, die besonders die näheren Bestimmungen über Form und Aus­ stellung der I. enthält. III. Das Jagdscheingesetz ist in die Jagd­ ordnung vom 15.7.1907 (s. Jagd- und Jagd recht IV) als deren §§ 29—38, 72—74, 80 ausgenommen und damit für deren Gel­

tungsbereich (ganz Preußen, ausschließlich Han­ nover, Hohenzollern und Helgoland) ausge* hoben worden; es gilt noch in Hannover und Hohenzollern. Bei dieser Übernahme ist das G. unverändert geblieben, die über die Höhe der Jagdscheinabgabe für Ausländer, d. h. Personen, welche weder Angehörige eines deut­ schen Landes sind noch in Preußen einen Wohn­ sitz oder einen Grundbesitz mit einem Grund­ steuerreinertrage von 150 RM haben, gemachte (durch G. vom 19. 10. 1922, 12. 11. 1923, 15. 7. 1924 und 31. 7. 1925, GS. 1922, 304; 1923, 532; 1924, 577 und 1925,100 vorübergehend geänderte) Abänderung hat dadurch ihre Erledigung ge­ funden, daß die Abgaben für die I. durch die Verwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926 jetzt in der oben unter II angegebenen Weise für den ganzen Staat einheitlich geregelt sind. Die AusfAnw. zum JagdscheinG. ist in die AusfAnw. z. Jagdordnung vom 15. 7. 1907 als Ziss. 24—26 übergegangen. Nach Ziff. 25II Abs. 4 ist die Anzahl der ausgegebenen I. dem RP. und von diesem dem MfL. jährlich am Schlüsse des Rechnungsjahres anzuzeigen. Durch MErl. vom 18. 8. 1923 und 16. 10. 1924 (MBl­ MfL. 765 u. 598) ist hierfür ein vereinfachtes Muster vorgeschrieben. Die a. a. O. vorgeschrie­ bene Veröffentlichung der Jagdscheininhaber kann bis auf weiteres unterbleiben (MErl. vom 26. 11. 1923, MBlMfL. 1017). Der Inhaber eines Jagd­ scheins bedarf keines besonderen Waffenscheins (Erl. vom 3. 12. 1924 und vom 4. 8. 1925, MBl. 1924, 1157 und 1925, 897). IV. Neben der in die Kreiskommunal- (Ge­ meinde) -Kasse fliehenden Jagdscheinabgabe war durch das G. vom 26. 6. 1909 (GS. 495), betr. die Änderung des StempelStG. vom 31. 7. 1905, ein staatlicher Jagdscheinstempel eingeführt worden. Dieser Stempel ist fortgefallen, weil nach der Verwaltungsgebührenordnung vom 30. 12. 1926 die Erhebung anderweitiger Ge­ bühren oder Stempel neben den Verwaltungs­ gebühren ausgeschlossen ist (§ 1 Satz 2). Pr. Jagdschutz ist der Schutz des Jagdrechts gegen Beeinträchtigungen. Die §§ 117—119 StGB, verleihen den Jagdberechtigten, deren Beauftrag­ ten und den Jagdbeamten bei der regelmäßigen Ausübung ihres Rechts oder Amtes einen er­ höhten Schutz (s. Jagdvergehen). Zu den Jagd­ beamten sind zu rechnen: die vom Staat für den Forst- und Jagdschutz angestellten Beamten (Oberförster, Förster usw.), ferner die von Ge­ meinden, Korporationen und Privaten angestell­ ten, auf das ForstdiebstahlsG. vom 15. 4. 1878 (Fassung vom 21. 1. 1926, GS. 83) vereidigten Forstbeamten. Der Jagdschutz liegt ferner ob der Jagdpolizeibehörde und deren Organen (s. Jagdpolizei II). Pr. Jagd steuer. I Begriff. Die schwierigen Finanz­ verhältnisse der Nachkriegszeit haben die Gemein­ den und Kreise in zahlreichen Fällen zur Ein­ führung von Jagdsteuern veranlaßt. Die Jagd­ steuer ist eine aus die Ausübung der Jagd als Besteuerungsgrundlage gelegte indirekte Steuer. Ihre Einführung erfolgt im Wege des Erlasses be­ sonderer Steuerordnungen und ist nach § 13 KAG. und § 6 KrProvAbgG. rechtlich sowohl den Gemeinden als auch den Landkreisen erlaubt. Gemäß Ziff. 1 des Runder), des MdI. und des

Jagdvergehen

FM. vom 24. 3. 1922 (MMBl. 369) ist ihre Er­ hebung jedoch grundsätzlich den Stadt- und Landkreisen Vorbehalten; der Entscheidung der letzteren ist es überlassen, ob sie die Ge­ meinden anteilsmäßig an dem Ertrag der Steuer beteiligen wollen; in Streitfällen ent­ scheidet nach § 6 KrProvAbgG. der Bezirks­ ausschuß (vgl. auch Erl. vom 9. 12. 1922, MBl. 1235, 29. 4. 1926, MBl. 427 und 26. 3. 1927, MBl. 345). Wo infolge eines völligen Verzichts des Landkreises kreisangehörige Ge­ meinden eine Jagdsteuer erheben, gilt das nach stehend von den Kreisen gesagte entsprechend. II. Die Erhebung der I- Die I. ist eine aus die Ausübung der Jagd als solche gelegte indi­ rekte Steuer, gleich woraus sich das Recht zur Ausübung der Jagd herleitet. Sie ist daher in gleicher Weise zulässig von verpachteten, wie von Eigenjagden in nichtverpachteten Eigenjagdbe­ zirken (OVG. im PrVBl. 46, 172 und 47, 137, sowie Erl. vom 6. 1. 1925 — MBl. 19). Dagegen ist es unzulässig, auch die vom eigentlichen Jagd­ berechtigten mittels Erlaubsnisschein gemäß § 75 der Jagdordnung vom 15. 7. 1907 (GS. 207) zur Jagdausübung ermächtigten Personen zur Steuer heranzuziehen (OVG. im PrVBl. 47, 539 und Erl. vom 12. 8. 1926, MBl. 757). Steuerpflichtig ist dagegen aber ein Unterpächter, der die Jagd nur in bezug auf eine bestimmte Wildart und eine bestimmte Anzahl von jagd­ baren Tieren in bestimmten Revieren auszuüben berechtigt ist. Für die zu erlassenden Steuerord­ nungen, die bei Kreisen der Genehmigung des BezA. und der Zustimmung des OP. nach §§ 19, 20 KrProvAbgG., bei Landgemeinden der Genehmigung des KrA. und der Zustimmung des RP. nach § 77 KAG. bedürfen, haben der MdI. und der FM. ein Muster herausgegeben (Erl. vom 24. 3. 1922, MBl. 369 mit Änderungen vom 9. 12. 1922, MBl. 1235; 8. 6. 1924, MBl. 619; 26. 3. 1927, MBl. 345). Die I. soll hiernach in einem Hundertsatze des jährlichen Pachtpreises erhoben werden. (Die Zulassung des Wertes der Jagd als Bemessungsgrundlage ist nur während der Inflation erfolgt, um den Kreisen in der Zeit der fortschreitenden Geldentwertung an Stelle der oft nicht den tatsächlichen Verhält­ nissen entsprechenden Pachtpreise eine brauchbare Veranlagungsgrundlage zu geben); dabei soll der Satz von 10% nicht überschritten werden (vgl. § 2 der Musterordnung und Erl. vom 26. 3.1927, MBl. 345); bei nichtkreisangehörigen, inner­ halb des Deutschen Reiches wohnenden Jagdbe­ rechtigten darf bis zu 20% gegangen werden, wenn besondere Umstände eine solche schärfere Heranziehung der nichtkreisangehörigen Jagdbe­ rechtigten angebracht erscheinen lassen. Als Pacht­ preis wird dabei nach der Musterordnung das vom Pächter tatsächlich entrichtete Pachtgeld einschl. aller etwaiger Nebenleistungen, deren Geldwert erforderlichenfalls vom Kreisausschuß nach Anhörung eines geeigneten Sachverstän­ digen festgestellt wird, zugrunde gelegt. Bei nicht­ verpachteten Jagden gilt als Pachtpreis der Preis, der nach der Beschaffenheit der Jagd unter Be­ rücksichtigung der gesamten Sachlage gewöhnlich bei einer Verpachtung zu erzielen wäre; unter Umständen kann statt dessen auf Antrag des Steuer­ pflichtigen das Doppelte der Roheinnahme zu­

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grunde gelegt werden. Die Steuer ist auch zu entrichten von Gemeindejagden, die an Ange­ stellte der Gemeinden (Förster, Oberförster) ver­ pachtet sind, jedoch nur insoweit, als der durch­ schnittliche Ertrag der Jagd über die Höhe des auf das Gehalt des Angestellten etwa anzurech­ nenden Betrages hinausgeht. Die Veranlagung erfolgt durch den Kreisausschuß (bzw. den Magi­ strat oder Bürgermeister). Rechtsmittel gegen die Heranziehung ist der bei diesem anzubringende Einspruch mit nachfolgender Klage im Ver­ waltungsstreitverfahren (§ 16 KrProvAbgG., bzw § 69 KAG.). Der Kreisausschuß entscheidet auch über den gänzlichen oder teilweisen Erlaß der Steuer aus Billigkeitsgründen. Ein solcher Nach­ laß soll vor allem dann gewährt werden, wenn die Jagd infolge von Witterungsverhältnissen oder sonstigen ungünstigen Einflüssen daniederliegt, oder wenn der Jagdberechtigte für die Wild­ pflege oder den Wiederaufbau eines zurückge­ gangenen Wildstandes Aufwendungen zu machen hat, die über das gemeingewöhnliche Maß hinaus­ gehen (vgl. Erl. vom 9. 12. 1922, MBl. 1235 und vom 26. 3. 1927, MBl. 345). III. Die Jagdkanzelsteuer. Da die Muster­ ordnungen für die Steuergläubiger nicht ohne weiteres bindend sind, hat eine Reihe von Land­ kreisen die I. durch Einführung einer besonderen Jagdkanzelsteuer ergänzt. Die besondere Be­ steuerung von Jagdkanzeln ist zulässig, wenn die Kanzeln auch tatsächlich zur Ausübung des Jagd­ rechtes benutzt werden (vgl. OVG. irrt PrVBl. 47, 492 und Erl. vom 30. 7. 1926, MBl. 718). Die Jagdkanzelsteuer hatte außer sinanziellen Gesichts­ punkten hauptsächlich den Zweck, während der In­ flationszeit, als eine große Reihe von Jagden von wenig weidmännisch erfahrenen Pächtern gepach­ tet war, den übermäßiegn Abschuß von Wild zu verhindern. Ihre Bedeutung tritt daher heute, da der finanzielle Ertrag meist nicht besonders ins Gewicht fällt, mehr zurück. St. Jagdvergehen (Vergehen im weiteren Sinn = strafbare Handlungen, umfassend sowohl die Vergehen im engeren Sinn wie die Übertre­ tungen) sind diejenigen strafbaren Handlungen, welche einerseits eine Verletzung des Jagdrechts der Jagdberechtigten und des den Jagdberechtig­ ten oder ihren Beauftragten (den Jagdschutz­ beamten) zur Wahrung dieses Rechts gewährten erhöhten Rechtsschutzes, andererseits eine Zu­ widerhandlung gegen die jagdpolizeilichen Be­ stimmungen, durch welche die Ausübung des Jagdrechts geregelt ist, darstellen. Die ersteren Strafvorschristen sind im StGB, enthalten, die letzteren in den nach § 2 des EGStGB. zu­ gelassenen LandesjagdG. § 292 StGB, bedroht den, welcher an Orten, an denen zu jagen er nicht berechtigt ist, die Jagd ausübt, mit Geld­ strafe oder Gefängnis bis zu drei Monaten (un­ berechtigtes Jagen). Es wird also jeder Eingriff in ein fremdes Jagdrecht bestraft, gleichgültig, ob die Besitzergreifung des Wildes erfolgt oder nicht. Wenn die Aneignung von wilden Tieren, die nicht herrenlos sind, z. B. in Tiergärten (§ 960 BGB.) erfolgt, so liegt nicht eine Zuwider­ handlung gegen § 292, sondern gegen § 242 StGB. (Diebstahl) vor. Bemerkt sei hierbei, daß der Begriff des Tiergartens (§ 960 BGB.) ver­ schieden ist von dem des Wildgartens (§ 2 des

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Jagd und Jagdrecht

WildschonG. vom 14. 7. 1904; § 39 der Jagd­ ordnung vom 15. 7. 1907), für den die Schon­ zeiten nicht gelten; Voraussetzung des Begriffs eines Tiergartens ist der Umstand, daß das Wild tatsächlich jederzeit der Verfügungsgewalt des Eigentümers untersteht, während Wildgärten solche größere Gehege sind, in denen das Wild sich dieser Gewalt jederzeit entziehen kann (über den Verkehr mit Wild aus eingesriedigten Gärten s. LMErl. vom 15. 4. 1922, MBlMfL. 296). Wenn dem Wild im Falle des § 292 StGB, nicht mit Schießgewehr oder Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder anderen Vorrich­ tungen nachgestellt wird oder wenn das Vergehen des unberechtigten Jagens während der gesetz­ lichen Schonzeit, in Wäldern, zur Nachtzeit oder gemeinschaftlich von mehreren begangen wird, kann die Strafe auf Geldstrafe oder auf Gefängnis bis zu sechs Monaten erhöht werden (§ 293 StGB.). Nach § 294 wird das gewerbsmäßig betriebene unberechtigte Jagen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Neben den nach §§ 292—294 verwirkten Strafen ist nach § 295 auf Einziehung des Gewehrs, des Jagd­ geräts und der Hunde, die der Täter bei dem unberechtigten Jagen bei sich geführt hat, zu er­ kennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Die Verwertung der einge­ zogenen Waffen regeln die Bf. des JuM. vom 19. 3. 1924 (JuMBl. 129) und das MdI. vom 9. 7. 1924 (MBl. 767); die Verwertung der anderen eingezogenen Jagdgerätschaften außer­ dem die Erl. vom 26. 6. 1854 und 19. 5. 1868 (MBl. 1854, 146 und 1868, 186). § 368 Ziff. 10 StGB, droht Geldstrafe bis 150 RM oder Hast bis 14 Tage an für den, der ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis auf einem fremden Jagdgebiet außerhalb des öffent­ lichen, zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd ausgerüstet betroffen wird. Die §§ 117—119 StGB, verleihen den Forst- oder Jagdbeamten, Waldeigentümern, Forst- oder Jagdberechtigten oder einem von diesen bestellten Aufseher einen erhöhten Schutz. Wer ihnen in der rechtmäßigen Ausübung ihres Amtes oder Rechts durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder wer sie während der Ausübung ihres Amtes oder Rechts tätlich angreift, wird mit Ge­ fängnis von vierzehn Tagen bis drei Jahren be­ straft; ist der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schießgewehr, Äxten oder anderen gefährlichen Werkzeugen erfolgt oder mit Gewalt an der Person begangen worden, so tritt Ge­ fängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. Bei mildernden Umständen ermäßigt sich die Strafe (§ 117). Ist durch den Widerstand oder den An­ griff eine Körperverletzung dessen, gegen den die Handlung begangen ist, verursacht worden, ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildern­ den Umständen auf Gefängnis nicht unter drei Monaten zu erkennen (§ 118). Bei gemein­ schaftlicher Begehung kann die Strafe erhöht werden (§ 119). Von Übertretungen gegen die Vorschriften des StGB., die in das Gebiet des Jagdrechts einschlagen, sind zu nennen: § 368 Ziss. 7; feuergefährliches Schießen in der Nähe von Gebäuden: § 368 Ziff. 11; unbefugtes Aus­ nehmen der Eier und Jungen von jagdbarem

Federwild: § 366 Ziff. 1; Zuwiderhandlung gegen die zur Sonntagsheiligung erlassenen Anord­ nungen. Jagdpolizeiliche Strafvorschriften waren in dem JagdPolizeiG. vom 7. 3. 1850 und den entsprechenden JagdG. der nach 1866 zu Preußen gekommenen Landesteile enthalten (s. Jagd und Jagdrecht). Ein Teil dieser Vorschriften ist durch die in der Folgezeit erlassenen jagdlichen SpezialG. abgeändert worden (JagdscheinG., WildschonG., s. d.), die erhalten gebliebenen Bestimmungen sind zugleich mit den Bestim­ mungen der genannten SpezialG. in die Jagd­ ordnung übernommen worden, wo sie den achten Abschnitt „Strafvorschriften" §§ 72—80 bilden. Nach dem G. vom 15. 7. 1924 (GS. 577) werden darin die Worte Mark überall durch Gold­ mark ersetzt. Aus dem JagdPolizeiG. ist über­ nommen die Vorschrift des § 17 (§ 75 JagdO.) wegen Ausübung der Jagd ohne Begleitung des Jagdberechtigten oder ohne dessen schriftliche Er­ laubnis (s. Jagdausübung durch Jagd­ gäste). Die hohenzollernsche Jagdordnung ent­ hält Strasvorschriften in den §§ 23—27, die han­ noversche Jagdordnung in den §§ 32—38; beide sind durch G. vom 31. 7. 1925 (GS. 100) ge­ ändert. Pr. Jagd und Jagdrecht. I. Jagd im weiteren Sinne ist die auf Erlegung oder Aneignung (Okkupation) des Wildes gerichtete menschliche Tätigkeit und umfaßt nicht nur die eigentliche Erlegung und Besitznahme, sondern auch schon die hierauf gerichteten vorbereitenden Handlungen (Aufsuchen, Nachstellen, Verfolgen des Wildes). Der wirtschaftliche Zweck der Jagd ist einmal die Gewinnung solcher wilden Tiere, die den Men­ schen durch ihr Fleisch, Gehörn, Balg und Eier Nutzungen gewähren, sodann der Schutz der Menschen und ihrer Ansiedlungen gegen Raub­ tiere, endlich die Ausrottung solcher Raubtiere, die dem nutzbare Wilde schädlich sind. Unter Wild versteht man diejenigen wilden Tiere, die Gegenstand der Jagdausübung sind, welche Tiere hierzu gehören, richtet sich nach der Landesfauna und der Landessitte. Allgemein zerfällt es in die beiden großen Klassen der Säugetiere (Haar­ wild) und der Vögel (Federwild) und umfaßt diejenigen wilden Tiere, deren Fleisch, Gehörn, Balg, Eier genutzt werden, sowie die Raubtiere (carnivora) und Raubvögel. Nicht zur Jagd ge­ hören alle Fische, deren Aneignung Gegenstand des Fischfangs ist. Unter Jagd im engeren Sinne ist nur die auf Aneignung von jagdbaren Tieren (s. Jagdbarkeit) gerichtete Tätigkeit zu verstehen. Das Wort „Jagdrecht" hat eine dop­ pelte Bedeutung, einmal das ausschließliche Recht, innerhalb eines bestimmten Gebiets die Jagd im engeren Sinne auszuüben (Jagdrecht im subjek­ tiven Sinne = Befugnis oder Berechtigung), sodann den Inbegriff aller Rechtsnormen, die sich auf die Jagd beziehen (Jagdrecht im objektiven Sinne). II. Das Jagdrecht hat sich in den einzelnen Ländern verschieden entwickelt. Nach römi­ schem Recht ist bestritten, ob dem Grundeigen­ tümer ein ausschließliches Jagdrecht zustand. Nach ältester deutscher Rechtsaussassung stand allen Markgenossen das Jagdrecht auf der gemein­ samen Feldmark zu und war ein ausschließliches Recht der beteiligten Markgenossen; da zu den

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Jagd und Jagdrecht Markgenossen nur gemeinfreie Leute gehörten, war das Jagdrecht ein Recht der Freien. Nach Entstehung des Sondereigentums an einem Teil der Feldmark galt das Jagdrecht auf diesem als ein Individualrecht des gemeinfreien Grundeigentümers an seinem Grund und Boden und war ein Bestandteil des dem Gemeinfreien zustehen­ den echten Eigentums. Dieses Recht wurde jedoch schon frühzeitig manchen Grundbesitzern gegen­ über beschränkt, womit eine Trennung des Jagd­ rechts vom Eigentumsrecht angebahnt wurde, und zwar nehmen zunächst die fränkischen Könige, demnächst auch die Großen das Jagdrecht in den Wäldern für sich in Anspruch (Forst- und Wild­ bann). Als später ein immer größerer Teil der ländlichen Bevölkerung in Abhängigkeit von Per­ sonen privilegierten Standes kam, verloren sie auch ihr Jagdrecht auf ihren Grundstücken, in einzelnen Landesteilen völlig, in anderen nur teilweise, indem die hohe (Rot-, Elch-, Schwarz-, Auerwild, Schwan und alles mit Falken gebeizte Flugwild), von der mittleren (Rehe, Birk- und Ha­ selwild) und der niederen (Hasen und Rebhühner) Jagd unterschieden wurde und der privilegierte Stand nur die hohe, vielleicht auch die mittlere, Jagd für sich in Anspruch nahm. Eine wesent­ liche Umgestaltung erfuhr das Jagdrecht, als es, etwa vom 16. Jahrh, ab, gelang, dem Begriff der Regalität bei ihm Eingang zu verschaffen. Wenn bis dahin die Landesherren das Jagdrecht — abgesehen von den Bannforsten — auf frem­ dem Grund und Boden nur als Grund-, Guts­ oder Lehnsherren besessen hatten, nahmen sie es jetzt mit größerem oder geringerem Erfolg all­ gemein im ganzen Staat kraft der Landeshoheit als ein ihnen zustehendes Regal in Anspruch, und zwar nicht nur den Bauern, sondern auch dem Adel und den anderen privilegierten Ständen gegenüber. Dieses ist die Auffassung, die dem PrALR. zugrunde liegt. Es bespricht das Jagd­ recht im 16. Titel des II. Teils, der von den Rechten des Staates auf herrenlose Güter und Sachen handelt. Der dritte Abschnitt, der „Vom Jagdregal" überschrieben ist (§§ 30—68), gibt folgende Definition (8 30): „Das Recht, jagd­ bare wilde Tiere aufzusuchen und sich anzueignen, wird die Jagdgerechtigkeit genannt." § 39 be­ stimmt, daß die Jagdgerechtigkeit zu den niederen Regalien gehört und von Privatpersonen nur so wie Regalien überhaupt erworben werden kann (b. h. durch ausdrückliche Verleihung oder Er­ sitzung). Die Jagdgerechtigkeit konnte dem Be­ rechtigten sowohl auf seinen eigenen wie auf den Ländereien Dritter zustehen, im letzteren Falle war sie nach den G. von Dienstbarkeiten zu be­ urteilen (§ 158 I 9 ALR.). Regelmäßig hatten die Rittergutsbesitzer das Jagdrecht auf den Ländereien der gutsuntertänigen Bauern, und zwar selbst dann, wenn diese Eigentümer ihrer Stellen waren. Letzteres Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden blieb auch aufrechterhalten, als durch das Edikt vom 9. 10. 1807 (GS. 170) die Gutsuntertänigkeit beseitigt und durch das Regulierungsedikt vom 14. 9. 1811 (GS. 300) und die sich anschließenden G. die Umwandlung der vorherigen eingeschränkten Besitzrechte an den Ländereien in volles Eigentum ermöglicht war (§ 57 C des Regulierungsedikts). Neben der Verplfichtung, die Ausübung der Jagd auf ihren

Ländereien durch die Gutsherren zu dulden, waren die Gutsuntertanen noch in vielen Fällen verpflichtet, für die Jagd Dienste, wie Treiber­ dienste, Gestellung von Wildfuhren, Unterhaltung der Jagdhunde usw. (sog. Jagddienste) zu leisten. Wo die Umwandlung des beschränkten Besitzes in volles Eigentum auf Grund des Regulierungs­ edikts vom 14. 9. 1811 erfolgte, sielen damit auch die Jagddienste fort. Wenn solche bei gutem Besitzrecht (Eigentum, Erbzinsrecht, Erbpacht) bestanden hatten, mußten sie auf Grund der Ab­ lösungsordnung vom 7. 6. 1821 (GS. 77) wie andere Dienstverpflichtungen abgelöst werden, da sie nicht zu denjenigen gehörten, welche zusammen mit Aufhebung der Untertänigkeit kraft G. be­ seitigt waren (Edikt vom 9. 10. 1807, GS. 170, in Verbindung mit dem Publikandum vom 9. 4. 1809, GS. 557). Verschieden von der Jagd­ gerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, die ein herrschendes und ein dienendes Grundstück zur Voraussetzung hat, ist das seit alten Zeiten in Deutschland anerkannte Recht der Jagdfolge, d. i. das Recht, angeschossenes oder angehetztes Wild auf fremdes Jagdrevier, wo dem Jagenden ein Jagdrecht sonst nicht zusteht, zu verfolgen. Es stellt das Recht dar, die auf eigenem Jagd­ revier begonnene Okkupation des Wildes auf fremdem Gebiet zu vollenden. Das PrALR. I 9 §§ 130—140 spricht im § 137 die Vermutung aus, daß die Jagdfolge üblich ist. Eine ähnliche Entwicklung, wie vorstehend für das Gebiet des PrALR. angegeben ist, hat das Jagdrecht auch in den anderen preußischen Landesteilen genommen, wenn auch mit gewissen Abweichun­ gen, je nachdem der Grundsatz der Regalität schärfer ausgebildet wurde oder das ursprüngliche Recht des freien Grundeigentümers zur eigenen Jagdausübung sich mehr behauptete, letzteres vor allem in einigen Teilen der Prov. Hannover, wo das Recht der Freijagd innerhalb der städtischen oder bäuerlichen Feldmark erhalten wurde (§ 12 der Hann. Jagdordnung vom 11. 3. 1859). III. Die neuere Entwicklung des Jagd­ rechts ist dahin gegangen, den Grundeigen­ tümern das ihnen abhanden gekommene Jagd­ recht zurückzugeben. Der Anfang wurde für das jetzige preuß. Staatsgebiet auf dem linken Rhein­ ufer der Rheinprovinz gemacht. Neu geregelt wurde hier das Recht der Jagdausübung durch die V. vom 17. 4. 1830 (GS. 65), die deshalb von allgemeiner Bedeutung ist, weil ihr die späteren preußischen und die meisten deutschen JagdG. nachgebildet sind. § 1 stellt den leiten­ den Grundsatz auf: Jeder Grundeigentümer hat das ausschließliche Recht der Jagd auf eigenem Grund und Boden, nur die Ausübung dieses Rechts wird aus Rücksichten der öffentlichen Sicherheit Beschränkungen unterworfen, die je­ doch den Berechtigten die Nutzung nicht entziehen. Die Jagd darf vom Grundbesitzer nur auf Grund­ stücken, die im Zusammenhang 300 Morgen groß sind, selbst ausgeübt werden, im übrigen werden die Grundstücke der Gemeinden zu gemeinschaft­ lichen Jagdbezirken vereinigt, die gemeinsam ge­ nutzt werden. Der Grundgedanke dieser V., daß das Jagdrecht ein Ausfluß des Grundeigentums sei, wurde für den Umfang des damaligen Preußens durch das G. vom 31. 10. 1848 (GS. 343) allgemein festgestellt und bis in seine letzten

Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

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Jagd und Jagdrecht

Konsequenzen durchgeführt. Das G. hob jedes Jagdrecht aus fremdem Grund und Boden aus. Die Jagd sollte jedem Grundbesitzer auf seinem Grund und Boden zustehen; er durfte sie in jeder erlaubten Art, das Wild zu jagen oder zu fangen, ausüben, nur beschränkt hierin durch die all­ gemeinen und die besonderen jagdpolizeilichen Vorschriften, die den Schutz der öffentlichen Sicherheit und die Schonung der Feldsrüchte bezwecken. Das Recht der Jagdfolge wurde auf­ gehoben, ebenso die für das linke Rheinufer er­ lassene V. vom 17. 4. 1830 sowie die jagdpolizei­ lichen Vorschriften über die Schon-, Setz- und Hegezeit des Wildes. Da das G. beschränkende Vorschriften nur für die Jagd in der Umgebung der Festungswerke erließ, war die Jagdausübung im übrigen somit gänzlich unbeschränkt. Ähnliche Bestimmungen ergingen für die anderen deut­ schen, insbesondere für die 1866 mit Preußen vereinigten Staatsgebiete, jedoch mit wesentlichen Abweichungen im einzelnen. Für die altpreuß. Provinzen wurden die letzten Reste des alten Jagdrechts beseitigt, als die bis dahin noch nicht aufgehobenen oder abgelösten Jagddienste durch das AblG. vom 2. 3. 1850 (GS. 77) ohne Ent­ schädigung aufgehoben wurden (§ 3 Zisf. 6). Es zeigte sich bald, daß der neu geschaffene Zustand die ernstesten Gefahren in sich barg. Der Wild­ stand, der einen nicht unbeträchtlichen volkswirt­ schaftlichen Wert darstellt, kam in Gefahr, voll­ ständig ausgerottet zu werden. Die maßlose Ver­ mehrung der Jäger und der Gebrauch des Schieß­ gewehrs durch Leute, die in dessen Hand­ habung unerfahren waren, bedrohten Leben und Gesundheit sowohl der Schützen untereinander als auch anderer Menschen aus dem Felde. Um diesen Ubelständen abzuhelfen, erging das JagdpolizeiG. vom 7. 3. 1850 (GS. 150), das den Grundsatz der untrennbaren Verbindung des Jagdrechts mit dem Grundeigentum zwar auf­ rechterhielt, jedoch die Ausübung des einem jeden Grundbesitzer auf seinem Grund unb Boden zu­ stehenden Jagdrechts gewissen Beschränkungen unterwarf, die in folgendem bestanden: 1. die eigene Jagdausübung wurde von der Größe des Grundbesitzes (300 Morgen im Zusammenhang) abhängig gemacht, während die Jagdnutzung auf kleineren Besitzungen nur gemeinsam erfolgen sollte (s. Jagdbezirke); 2. zur Ausübung der Jagd war für jedermann die Lösung eines von der Behörde zu erteilenden Jagdscheins vor­ geschrieben (s. Jagdschein); 3. die früher gül­ tigen Bestimmungen über die Hege- und Schon­ zeit wurden wieder in Kraft gesetzt (s. Schon­ zeit des Wildes); 4. andererseits wurden Be­ stimmungen zur Verhütung von Wildschäden ein­ geführt.— Im ehemaligen Königreich Han­ noverist durch das G. vom 29. 7.1850 (GS. 103) dauernd das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden gegen eine von den Grundbesitzern zu zahlende Entschädigung von 3 H bis 3 Silber­ groschen für den Morgen (je nach der Boden­ klasse) aufgehoben worden; jedoch sollte, sofern das Jagdrecht erweislich durch einen mit dem Eigentümer des belasteten Grundstücks abge­ schlossenen lästigen Vertrag erworben war, Ab­ lösung nach Maßgabe der AblG. erfolgen. Das Jagdrecht wurde zwar als Recht jeden Grund­ eigentümers anerkannt, die eigene Ausübung

jedoch von einer gewissen Fläche (300 Hann. Morgen) abhängig gemacht, während auf den übrigen Grundstücken der Feldmark die Jagd nach den Beschlüssen der Gesamtheit der beteiligten Grundeigentümer genutzt werden sollte. Da die in letzterer Hinsicht ergangenen Bestimmungen nicht ausreichten, um erheblichem Mißbrauch vor­ zubeugen, wurden sie durch die Hann. Jagdordnung vom 11. 3. 1859 (GS. 159; geändert durch B. vom 6. 11. 1915, GS. 153 und G. vom 31. 7. 1925, GS. 100) ersetzt, die übrigens im § 24 auch das Recht der Jagdfolge beseitigte. — Im vormaligen Kurfürstentum Hessen wurden durch G. vom 1. 7. 1848 (Kurh. GS. 47) alle bisherigen Jagdgerechtsame auf frem­ dem Grund und Boden gegen eine Entschädi­ gung von 2 Silbergroschen für jeden Kasseler Acker aufgehoben und den Grundeigentümern, soweit sie wenigstens 100 Kasseler Acker im Zu­ sammenhang besitzen, für alle anderen Grund­ stücke den Gemeinden zur Nutzung überwiesen. Durch landesherrliche V. vom 26. 1. 1854 (Kurh. GS. 12) wurde jedoch die durch das G. vom 1. 7. 1848 ausgesprochene Aufhebung der Jagdgerecht­ same außer Wirksamkeit gesetzt. Nach langwierigen Kämpfen mit den Landständen kam dann das G. vom 7. 9.1865 (Kurh. GS. 571; geändert durch G. vom 31.7. 1925, GS. 100) zustande, das bestimmt, daß für die Folge Jagdgerechtsame auf fremdem Grund und Boden als Grundgerechtig­ keiten nicht mehr erworben werden können und daß die bestehenden Jagdberechtigungen aus Ver­ langen der Grundeigentümer und in deren Ver­ tretung der Gemeinden gegen Gewährung einer Entschädigung von 2 Silbergroschen für jeden Kasseler Morgen ablösbar sein sollten. Aus Grund dieses G. wurde der größte Teil der Jagdberech­ tigungen beseitigt. Der Rest siel nach Einver­ leibung von Kurhessen in den preuß. Staat durch das G. vom 1. 3. 1873 (GS. 27), das die noch bestehenden Jagdrechte in Kurhessen, in den ehemals großherzoglich hessischen Landesteilen und in der Prov. SchleswigHolstein einschließlich der Jagdfolge, der Jagd­ dienste und Gegenleistungen aushob. — In den Prov. Starkenburg und Oberhessen des Großherzogtums Hessen wurden durch das G. vom 26.7.1848 (Großh. Hess. RegBl. 209) die bis­ her bestandenen Jagdberechtigungen aufgehoben und den Grundbesitzern das Jagdrecht zugewiesen (bei einem Besitz bis zu 300 Morgen eigene Jagd­ ausübung, sonst durch die Gemeinde). Durch G. vom 2. 8. 1858 (RegBl. 357) wurden jedoch die aufgehobenen Jagdberechtigungen den früheren Berechtigten oder ihren Rechtsnachfolgern zurück­ gegeben mit der Maßgabe, daß die Gemeinden und Grundbesitzer die zurückgegebenen Jagden nunmehr mittels Ablösung zum 18 fachen Betrag des inzwischen durchschnittlich jährlich eingekom­ menen Jagdertrags ablösen konnten. Die hier­ nach noch bestehenden Jagdberechtigungen auf fremdem Grund und Boden sind durch das eben angezogene G. vom 1. 3. 1873 (GS. 27) auf­ gehoben worden. — Im Herzogtum Holstein wurde durch V. vom 17. 4. 1848 (Chron. Samml. 73) das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden ohne Entschädigung aufgehoben und den Grund­ besitzern zugewiesen; diese Maßregel ist jedoch durch V. vom 15. 12. 1853 (G.- u. MBl. 449)

Jagd und Jagdrecht

wieder rückgängig gemacht und nur das landes­ herrliche Jagdrecht auf einem Landareal von nicht weniger als 1000 Tonnen Steuermaß für ablös­ bar erklärt worden. Die abgelösten Flächen durften nur gemeindeweise genutzt werden. — Im Herzogtum Schleswig ist durch die Bek. vom 24. 9. 1850 (Chron. Samml. 149) das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden einschließlich aller Jagddienste ohne Entschädigung aufgehoben und den Grundbesitzern zugewiesen worden. Diese Bek. ist durch die V. vom 8. 2. 1854 (Chron. Samml. 120) beseitigt und damit das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden wieder her­ gestellt worden, jedoch wurde zugleich das landes­ herrliche Jagdrecht für ablösbar erklärt. Durch das obenerwähnte G. vom 1. 3. 1873 wurden auch in SchlHolst. die sämtlichen Jagdrechte auf fremdem Grund und Boden beseitigt gegen Ge­ währung einer Entschädigung von 2 Silber­ groschen bis 1 Taler 10 Groschen für den Hektar. — Im ehemaligen Herzogtum Nassau ist das Jagdrecht aus fremdem Grund und Boden durch G. vom 15. 7. 1848 (Verordnungsbl. 139) ohne Entschädigung aufgehoben und den Grundeigen­ tümern zugewiesen worden, in deren Namen die Gemeinden das Jagdrecht innerhalb ihrer Ge­ markung zum Vorteil der Gemeindekasse aus­ üben sollten; zur eigenen Jagdausübung waren die Grundbesitzer nur auf den vollständig ein­ gefriedigten Grundstücken befugt. Durch G. vom 9. 6. 1860 wurde das Jagdrecht aus fremdem Grund und Boden wieder hergestellt, aber nach Einverleibung von Nassau in den preuß. Staat durch V. vom 30. 3. 1867 (GS. 426) endgültig beseitigt.-Inder ehemalig en Land grafschaft Hessen-Homburg stand die Jagdberechtigung früher dem landgräflichen Fiskus allein zu. Durch G. vom 8. 10. 1849 (RegBl. 347) ist diese Berech­ tigung durch Verzicht ohne Entschädigung aus­ gehoben und den Grundeigentümern zugewiesen worden, derart, daß Grundeigentümer, die eine zusammenhängende Fläche von 300 Morgen besitzen, zur eigenen Jagdausübung befugt sind, im übrigen die Jagd durch die Gemeinden für Rechnung der Gemeindekasse zum Vorteil der Grundsteuerpflichtigen mittels Verpachtung aus­ geübt werden muß. — In Bayern geschah die Aufhebung der Jagdberechtigung durch G. vom 4. 6.1840 ohne Entschädigung. — Im Bezirk der ehemaligen freien Stadt Frankfurt wurde durch G. vom 25. 8. 1850 die Berechtigung zur Jagd als Ausfluß des Grundeigentums erklärt. In Hohenzollern-Hechingen erfolgte die Auf­ hebung ohne Entschädigung durch G. vom 16. 4. 1849; das Recht zu jagen wurde den Grund­ eigentümern auf ihrem Eigentum zugewiesen; sie konnten es jedoch nur dann selbst ausüben, wenn ihr Besitz in zusammenhängenden Strecken von wenigstens 40 Morgen bestand, für die übrigen Flächen wurde es durch die Gemeinde geübt. — In Hohenzollern-Sigmaringen erfolgte die Aufhebung ohne Entschädigung durch G. vom 29. 7. 1848, es erhielt jeder Grundbesitzer das Recht zur eigenen Ausübung derJagd ohne Rücksicht auf die Größe des Besitzes. — Im Herzogtum Lauerburg geschah die Aufhebung des Jagd­ rechts auf fremdem Grund und Boden durch G. vom 17. 7. 1872, die bisher Berechtigten erhielten eine Entschädigung von 5—20 Silbergroschen für

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den Kalenberger Morgen seitens der bisher Be­ lasteten. — Das EGBGB. ließ im Art. 69 die landesgesetzlichen Vorschriften über die Jagd un­ berührt, unbeschadet der Vorschrift des § 958 Abs. 2 BGB. und der Vorschriften des BGB. über den Ersatz des Wildschadens (s. d.). § 958 BGB. bestimmt im Abs. 1: „Wer eine herren­ lose bewegliche Sache in Eigenbesitz nimmt, er­ wirbt das Eigentum an der Sache." Der Abs. 2 macht hiervon eine Ausnahme: „Das Eigentum wird nicht erworben, wenn die Aneignung gesetz­ lich verboten ist oder wenn durch die Besitz­ ergreifung das Aneignungsrecht eines anderen verletzt wird." IV. Die neueste Entwicklung und das geltende Recht. Die Jagdgesetzgebung war nach vorstehendem im Gebiete des preuß. Staates recht zersplittert und verwickelt. Da auch die neueren G. sich in Einzelheiten als verfehlt er­ wiesen hatten, wurden verschiedene Versuche ge­ macht, für ganz Preußen ein einheitliches Jagd­ recht zu schaffen und hierbei die in den einzelnen Landesteilen gemachten Erfahrungen zu ver­ werten, jedoch vorläufig ohne Erfolg Nachdem auch der in den Jahren 1883/84 eingebrachte Gesetzentwurf vom LT. abgelehnt worden war, gab man den Versuch, auf diesem Wege zu der notwendigen Änderung zu gelangen, auf und ging nunmehr daran, die einzelnen, als unzu­ reichend befundenen Teile der Jagdgesetzgebung durch SonderG. umzugestalten. So erging das WildschadenG. vom 11. 7. 1891 (GS. 307), das in ganz Preußen mit Ausschluß der Prov. Han­ nover und des vormaligen Kurfürstentums Hessen galt, das JagdscheinG. vom 31. 7. 1905 (GS. 304), dessen Geltungsbereich der Staat mit Aus­ nahme der Insel Helgoland war, das WildschonG. vom 14. 7. 1904 (GS. 159), das für den ganzen Umfang des Staates mit Ausschluß der hohenzoll. Lande erlassen war, und das G., betr. die Ver­ waltung gemeinschaftlicher Jagdbezirke, vom 4. 7. 1905 (GS. 271), von dessen Geltungsbereich die Prov. Hannover und Hessen-Nassau, die hohen­ zoll. Lande und die Insel Helgoland ausgeschlossen waren. Erst die Jagdordnung vom 15. 7. 1907 (GS. 207; abgeändert 19. 10. 1922, 12. 11. 1923 und 15. 7. 1924, GS. 1922, 308; 1923, 532 und 1924, 577) brachte größere Übersichtlichkeit, indem sie das in den alten preuß. Provinzen geltende Recht zusammenstellte, mehrere neue Bestim­ mungen über die Ausübung des Jagdrechts traf und dieses Recht in ganz Preußen mit Ausnahme von Hannover, den hohenzoll. Landen und Helgo­ land einführte. Ausnahmsweise blieben nur im ehemaligen Kurfürstentum Hessen die dort gelten­ den Vorschriften über Wildschadenersatz und Wild­ schadenverhütung in Kraft (s. aber Wildschaden). In der Jagdordnung wird hiernach behandelt: Umfang des Jagdrechts, Jagdbezirke, Jagdscheine, Schonvorschriften, Wildschadenersatz, Wildschaden­ verhütung, Behörden und Strafvorschristen. Sie enthält also das gesamte Jagdrecht mit Ausnahme der wenigen hierauf bezüglichen Bestimmungen des BGB. (§§ 835, 958 Abs. 2) und der Vor­ schriften über das Recht, wildernde Hunde und Katzen zu töten (vgl. Hunde und Katzen, wil­ dernde). Neben ihr gellen nur noch die Hann. Jagdordnung vom 11. 3. 1859 (HannGS. 1859 I 159) und die Jagdordnung für die hohenzoll. 55*

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Jahnschastsforsten — Jmmobiliarverträge (Vermittlung von)

Lande vom 10. 3. 1902 (GS. 33). Vgl. auch Vogelschutz. Zahlreiche ältere G-, namentlich Forst- und Jagdordnungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, sind zwar nicht völlig aus­ gehoben, haben aber nur noch so geringe prak­ tische Bedeutung, daß hier auf sie nicht näher eingegangen zu werden braucht. Zur Ausführung der Jagdordnung vom 15. 7. 1907 ist die AusfAnw. vom 15. 7. 1907 mit Änderungen vom 28. 3. 1912 (MBlMfL. 205) ergangen, die alle früheren AusfAnw. aufhebt; sie enthält neue Be­ stimmungen nur für den Teil der Jagdordnung, der neues Recht enthält, und gibt im übrigen eine Zusammenstellung der bisher erlassenen Ausf­ Anw. Eine einheitliche Darstellung der Jagd­ ordnung von 1907 empfiehlt sich an dieser Stelle nicht, weil ein Teil der in ihr aufgegangenen SpezialG. (SchonG., JagdscheinG.) noch in den der Jagdordnung nicht unterstellten Landesteilen weitergilt und deshalb einer besonderen Be­ sprechung bedarf. Vielmehr findet sich der Inhalt der Jagdordnung in folgenden Artikeln besprochen und ist dort, soweit erforderlich, mit der Hann, und hohenzoll. Jagdordnung und den anderen dort geltenden JagdG. verglichen: Jagdaus­ sicht, Jagdausübung durch Jagdgäste und angestellte Jäger, Jagdbarkeit, Jagd­ bezirke, Jagdpachtverträge, Jagdpolizei, Jagdschein, Jagdschutz, Jagdvergehen, Kaninchen (wilde), Seen, Schonzeit des Wildes, Wildschaden. Die deutsche Jagdkam­ mer in Berlin W 57 hat gemeinsam mit dem deut­ schen Jagdschutzverein für das ganze Deutsche Reich ein Verzeichnis solcher Personen angelegt, die als Sachverständige in Jagdangelegenheiten (Wildschaden, Jagdfrevel, Wildhandel, Jagdwaf­ fen und Munition, Jagdhunde) den Behörden auf Verlangen benannt werden (MErl. vom 5. 4. 1922 und 22. 10. 1925, MBl. 1922, 115 und 1925, 1139). S. auch Wasserpolizei. Pr. W. Schultz u. Frhr. v. Seherr-Toß, Die Jagdgesetz­ gebung, 1908; A. Ebner, Die preuß. Jagdgesetze in ihrer gegenwärtigen Fassung, 1919, mit Nachtr. 1924; Bauer, Die Jagd Ordnung, Kommentar, 1923; Engelhard und Danckelmann, Das Jagdrecht im Geltungsbereiche der preuß. Jagdordnung vom 15. 7. 1907, 1908; DalckeDelius, Preuß. Jagdrecht, 6. Aufl., 1914; G örcke, Jagd­ ordnung, 5. Aufl., 1920; Peters in v. Brauchitsch, Bd. 2, 20. Aufl., 1925.

JahnschastSforsten sind gemeinschaftliche Hol­ zungen, die nur im ehemaligen Justizamt Olpe im Kreise Olpe bestehen. Ihre Rechtsverhält­ nisse sind durch G. vom 3. 8. 1897 (GS. 285) neu geregelt, wobei I. und Forstbezirke unter­ schieden werden. Die ersteren sind durch dieses zu einer besonderen Gemeinschaft zusammengeschlos­ sen, deren Geschäfte von einem Jahnschaftsvorstand geführt werden, während die Eigen­ tümer der in letzteren belegenen Grundstücke durch den RP. zu einer Waldgenossenschaft nach Maßgabe des G. vom 6. 7. 1875 (GS. 416) ver­ einigt werden. Die dem G. unterliegenden Grundstücke sind in einer Anlage im einzelnen bezeichnet. Ihre Verwaltung untersteht der Staatsaufsicht des RP. In beschränktem Um­ fange ist auch eine Zuständigkeit der Landes­ kulturbehörde begründet (OLA. in ZfA. 4, 362). Dem G. über gemeinschaftliche Holzungen vom 14. 3. 1881 (GS. 261) unterliegen die I. nicht. S. auch Gemeinde- und Anstaltsforsten BII. Pr.

Jahresardeitsverdienst. Die Höhe des I. ist maßgebend für die Bersicherungspflicht in der KB. (s. d. II), in der Av. (s. d. II) und in der knappschaftlichen Angestelltenpensions- und Kran­ kenversicherung (s. RKV IV, VII 2). Weder bei der UV. noch in der JnB. hört die Versiche­ rungspflicht bei einer bestimmten Höhe des I. auf. Nur wird bei der UV. ein höherer I. als 8400 RM nicht berücksichtigt, sofern nicht die Satzung einen höheren Betrag festsetzt (§§ 571c, 930,1069 RVO.). Inder Arbeitslosenversicherung endet die Bersicherungspflicht sowohl für An­ gestellte als auch für Seeleute nach Erreichung der für Av. maßgebenden Verdienstgrenze (§§ 69, 75 ArbeitslosenVG.). Während bei der KV. der Grundlohn (s. d.) nach dem täglichen Arbeitsentgelt bestimmt wird, wird die Höhe des I. für die Bemessung der Entschädigungen aus der UV. zugrunde gelegt. Als I. in der land­ wirtschaftlichen UV. kommt ein durchschnittlicher I. in Betracht (s. Landwirtschaft, Sozialver­ sicherung III 1). In der Seeunfallversicherung ist eine besondere Berechnung des I. in § 1067 RVO. vorgesehen. In derJnV. und Av. wird der monatliche Arbeitsentgelt der Bildung der Lohn­ oder Gehaltsklassen zugrunde gelegt. Das gleiche gilt für die knappschaftliche Pensionsversicherung (s. RKV. VII). Bei Berechnung des I. in der Av. werden Zuschläge, die mit Rücksicht aus den Fa­ milienstand gezahlt werden (Familienzu­ schläge), nicht mitgerechnet. In der ArblosB. werden die Lohnklassen nach dem wöchentlichen Arbeitsentgelte gebildet (§ 105 ArblosVG.). F. H. Japan. Diplomatische Vertretung des Reichs: Botschaft in Tokio. Berufskonsularbehörden: Generalkonsulat Kobe, Konsulate in Yokohama und Dairen. Signatarmacht des Versailler Ver­ trags und Mitglied des Völkerbundes seit 10.1. 1920. Deutsch-japanischer Handels- und Schifsfahrtsvertrag vom 20. 7.1927 (RGBl. II 1087), mit Niederlassungs- und Konsularbestimmungen. Kein Auslieferungsvertrag. Fro. Identitätsnachweis (Aufhebung des I. für Getreide) s. Zoll 117 6. Jdiotenfürsorge s. Fürsorge (öffentliche) IIIc und Anstaltsfürsorge. Jesuiten s. Kirchenverfassung B VI. Jmmision s. Nachbarrecht bei Bauten 11 Immobiliarversicherung s. Feuerversiche­ rung. Jmmobiliarverträge (Vermittlung von). Ge­ werbsmäßige Vermittlungsagenten für I. haben den Beginn ihres Gewerbebetriebes auch der OPB. ihres Wohnortes anzuzeigen (§ 35 Abs. 3, 6 GewO.; Ziff. 7 AusfAnw. z. GewO, vom I. 5. 1904, HMBl. 123). Der Gewerbebetrieb kann untersagt werden (s. Untersagung von Gewerbebetrieben). Auf Grund des § 38 Abs. 4 GewO, hat der HM. Vorschriften darüber erlassen, in welcher Weise Vermittler von I. ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kon­ trolle über den Umfang und die Art ihres Ge­ schäftsbetriebs sie sich zu unterwerfen haben; s. die Vorschriften vom 29. 11. 1907 (HMBl. 405), ab­ geändert durch Erl. vom 23. 2. 1911 (HMBl. 58). Die Vorschriften gelten auch für juristische Per­ sonen (Erl. vom 4. 10. 1902, HMBl. 367). Per­ sonen, die als Kaufleute zur Führung von Handels­ büchern verpflichtet sind, können durch die OPB.

Immunität - - Impfung

von der Beobachtung der Vorschriften entbunden werden (Erl. vom 23. 2. 1911, HMBl. 58). Die OPB. fyaben beit Gewerbebetrieb sorgfältig zu überwachen (Ziff. 60 AusfAnw. z. GewO.) und die Geschäftsbücher mindestens einmal im Jahre zu prüfen (Erl. vom 29. 11.1907, HMBl. 405). Verstöße gegen die Vorschriften werden nach § 148 Ziff. 4a GewO, bestraft. F. H. Immunität s. Reichstag, Landtag. Im Namen deS Volkes. Entsprechend dem all­ gemeinen Verfassungsgrundsatze, daß Träger der Staatsgewalt die Gesamtheit des Volkes ist, und daß das Volk seinen Willen, abgesehen von den Volksabstimmungen, mittelbar durch die ver­ fassungsmäßig bestellten Organe äußert (Art. 2, 3 BU.), zu denen auch alle ordentlichen Gerichte und alle Verwaltungsgerichte gehören, ordnet Art. 8 VU. an, daß die Urteile „im Namen des Volkes" verkündet und vollstreckt werden müssen. In der RB. ist eine entsprechende Vorschrift nicht enthalten. Die Urteile der Reichsgerichte ergehen daher „im Namen des Reiches". Ly. Impfstoffe gegen Viehseuchen. Nach § 17 Ziff. 17 VG. können die Herstellung und die Verwendung von I., die zum Schutze gegen Viehseuchen oder zu deren Heilung bestimmt sind, geregelt werden. Es soll dadurch die Möglichkeit geschaffen werden, sowohl für die Herstellung von I. eine staatliche Kontrolle einzuführen, als auch die Verwendung an Regeln zu binden, die einen unrichtigen oder unangemessenen Gebrauch hin­ dern. Die entsprechenden Bestimmungen sind in §§ 78—88 VAVG. getroffen. Wer gewerbs­ mäßig zum Zwecke des Verkaufs I. g. V. her­ stellen will, bedarf dazu der staatlichen Erlaubnis, die nur nach Prüfung der baulichen und sonstigen technischen Einrichtung der Anstalt gegen eine Verwaltungsgebühr von 20—200 RM (TarifNr. 8012 d der VerwGebO. vom 30. 12. 1926, GS. 327) erteilt wird. Die Erlaubnis gilt nur für die genehmigten I.; sollen weitere I. her­ gestellt werden, so ist neue Erlaubnis einzuholen. Die Erlaubnis kann zurückgenommen werden (88 78—81). Der Betrieb unterliegt der amts­ tierärztlichen Überwachung (§ 82), deren Kosten die Staatskasse trägt (§ 24 AG.). Die Anstalten haben über die Herstellung der I. Listen zu führen, die über die Art der Gewinnung Aus­ schluß geben (§ 84). Bestimmte I. können ver­ boten, auch kann eine staatliche Prüfung der zu­ gelassenen I. angeordnet werden (§§ 83, 85, 86). Soweit eine Einfuhr von I. aus dem Auslande nicht gemäß Z 7 VG. verboten wird, kann sie von einer staatlichen Prüfung abhängig gemacht werden (§ 87). I., die lebende Erreger von Viehseuchen enthalten, dürfen nur an Tierärzte abgegeben und nur von Tierärzten zur Impfung benutzt werden (§ 88; s. auch Ansteckendes Verkalben der Kühe). Strafvorschriften § 76 VG. Vgl. auch BEAV. zu §§ 78—88 VAVG. (wegen der Abkürzungen s. Viehseuchen II). Wegen der gesundheitspolizeilichen Behandlung des Fleisches und der Milch von Tieren, die der Serumgewinnung gedient haben, sind durch Erl. vom 25. 5. 1917 (MBlMfL. 197) Bestimmungen getroffen. — Eine staatliche Prüfung ist bisher angeordnet für Rotlaufserum durch viehseuchenpolizeiliche Anordnungen vom 6. 11. 1924, 25. 7. 1925 und 21. 3. 1927

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(MBlMfL. 627, 367, 254) — die Prüfung besteht auf Grund älterer Anordnungen seit 1917 —, für Geflügelcholeraserum durch viehseuchenpolizeiliche Anordnungen vom 13. 5. 1925 und 15.3. 1926 (MBlMfL. 273, 218), für Schweinepest­ serum durch viehseuchenpolizeiliche Anordnung vom 2.1.1926 (MBlMfL.27) — wegen Zollbehand­ lung von ausländischem Schweinepestserum s. Erl. vom 10. 4.1926 (MBlMfL. 245). Die Anordnun­ gen regeln die Prüfung sowohl des inländischen als auch des ausländischen Serums. Die Prüfungen finden für inländisches Rotlauf- und Geflügel­ choleraserum im Hygienischen Institut der Tier­ ärztlichen Hochschule in Berlin und im Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. statt; für ausländisches Serum der genannten beiden Arten wird die Prüfung von Fall zu Fall geregelt. Für Schweinepestserum wird die Prü­ fungsstelle für jede Erzeugungsanstalt besonders bestimmt. Ausländisches Schweinepestserum wird im Bakteriologischen Laboratorium der Veterinär­ abteilung des Reichsgesundheitsamts geprüft. Den Anordnungen sind eingehende Vorschriften für das Prüfungsverfahren beigegeben. — Wegen der amtstierärztlichen Überwachung derJmpfstosfgewinnungsanstalten vgl. Erl. vom 31.3.1921, 5.8.1922 und 23.2.1923 (MBlMfL. 175,559,201). Wegen der Abgabe staatlich geprüften Rotlaus­ serums von einer Herstellungsstätte an eine andere zwecks Weiterverkaufs sind durch Erl. vom 3. 8. 1922 und 3. 1. 1927 einschränkende Anordnungen getroffen. Die Verwendung von Hilfskräften bei der Überwachung der mechanischen Arbeiten bei der Abfüllung von Rotlausserum ist durch Erl. vom 24. 3. 1923 unter bestimmten Bedingungen zugelassen. — Zwischen staatlich geprüftem und auf Wunsch geprüftem Serum sind äußere Unterscheidungsmerkmale vorgeschrieben; nur keimfreies Milzbrandserum darf in den Ver­ kehr gebracht werden (Erl. vom 24. 8. 1923). Lebende Rotlaufkulturen dürfen an Apo­ theker, auch zur Weitergabe an Tierärzte, nicht abgegeben werden (Erl. vom 28. 3. 1923). Die Abgabe und Verwendung von sog. Rotlaufbazillenextraktenist verboten (Erl. vom26.10. 1925, 10. 4. 1926, MBlMfL. 517, 248). Jmpsstosfgewinnungsanstalten sind von der Zahlung der Viehseuchenentschädigungsbeiträge (s. Vieh­ seuchen VI) für die von ihnen gehaltenen Tiere nicht befreit und haben auch Anspruch auf Entschädigung, wenn unter diesen Tieren Ent­ schädigungsfälle vorkommen, es sei denn, daß es sich um Fälle handelt, in denen Tiere infolge künstlicher Ansteckung erkranken oder verenden (Erl. vom 16. 8. 1922). S. auch Maul- und Klauenseuche und Ansteckendes Verkal­ ben. Backh. Impfung. I. In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts unterwarf der englische Arzt E. Jenner den von ihm Vorgefundenen und durch eigene Erfahrung bestätigten Volksglauben, daß die von Kuhpocken befallenen Menschen vor An­ steckung durch die echten Pocken geschützt seien, der wissenschaftlichen Untersuchung. Im Jahre 1796 lieferte er den exakten Beweis, indem er Menschen nach künstlicher Infizierung mit dem aus den Krankheitspusteln gewonnenen Krankheitsstosf der Kuhpocken mit echten Pocken impfte, ohne eine Erkrankung zu erzielen. Das preuß.

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Impfung

Regulativ vom 8. 8.1835 (GS- 240) begnügte sich damit, die Kinderimpsung „dringend zu emp­ fehlen" und bei Ausbruch der Pocken an un­ geimpften Kindern die Eltern oder Vormünder strafrechtlich verantwortlich zu machen (§§ 50, 54). Nur beim Ausbruch von Pocken wurden Zwangs­ impfungen vorgesehen (§ 55). Wirkungsvoll war die Vorschrift, daß Kinder in Staatsanstalten nur ausgenommen werden sollten, wenn der Nach­ weis der I. erbracht wurde (§ 54 Abs. 2). Einen für die weitere Entwicklung des Impfwesens ent­ scheidenden Schritt tat Preußen, indem es seit 1834 die in das Heer Eingestellten der Wieder­ impfung unterwarf. Seitdem blieb das preuß. Heer von Pocken fast ganz frei, während in der Zivilbevölkerung und in anderen Heeren die Seuche nach wie vor zahlreiche Opfer forderte. Insbesondere im Feldzuge 1870/71 zeigte sich der Erfolg der Wiederimpfung im preuß. Heere so schlagend, daß das Reich dazu überging, das Impfwesen allgemein nach diesem Borbilde zu regeln. Das ReichsimpsG. vom 8.4.1874(RGBl. 31) hat für das ganze Reichsgebiet die zweimalige Schutzpockenimpfung eingeführt. Zur Ausfüh­ rung desselben ist ergangen in Preußen das G. vom 12. 4. 1875 (GS. 191) und der Erl. vom 6. 4. 1886 (MBl. 51). Vgl. auch Beschlüsse des BR. vom 22.3.1917 (MMBl. 391 ff.). Nach dem § 1 des ReichsG. unterliegt der I.: 1. jedes Kind vor Ablauf des auf sein Geburts­ jahr folgenden Kalenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugnis die natürlichen Blat­ tern überstanden hat, 2. jeder Zögling einer öffentlichen oder privaten Lehranstalt inner­ halb des Kalenderjahres, in welchem er das zwölfte Lebensjahr zurücklegt, sofern er nicht in den letzten fünf Jahren die natürlichen Blattern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist. Wer nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für Leben und Gesundheit nicht geimpft werden kann (§ 2), ist binnen Jahresfrist nach Aufhören des diese Gefahr begründenden Zustandes zu impfen. Ist eine I. nach dem Urteil des Arztes erfolglos geblieben (§ 3), so ist sie spätestens im nächsten Jahre und, falls sie auch dann erfolglos bleibt, im dritten Jahr zu wiederholen. Ist die I. ohne gesetzlichen Grund unterblieben (§ 4), so ist sie binnen einer von der OPB. zu setzenden Frist nachzuholen. Jeder Impfling muß frühe­ stens am sechsten, spätestens am achten Tage nach der I. dem impfenden Arzte vorgestellt werden (§ 5). Zur Vornahme der I. sind außer den amtlich bestellten Jmpfärzten nur approbierte Ärzte befugt (§§ 8 u. 16); Fahrlässigkeiten bei Ausübung der I. werden mit Geldstrafe von 3 bis zu 10000 RM oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem StGB, keine härtere Strafe verwirkt ist (§ 17). Eltern, Pflegeeltern und Vormünder sind auf amtliches Erfordern verpflichtet, den Nachweis der I. durch Vorlegung der vorgeschriebenen Bescheinigung zu führen (§ 12), auch ihre Kinder der gesetzlich vorgeschrie­ benen I. zuzuführen (§ 14). Die Vorsteher der Schulanstalten, deren Zöglinge der I. unter­ liegen, sind verpflichtet (§ 13), bei Aufnahme der Schüler durch Einfordern des Impfscheins die erfolgte I. zu kontrollieren und dafür zu sorgen, daß die Zöglinge, welche während des Schul­ besuchs impfpflichtig werden, dieser Verpflichtung

genügen. Zuwiderhandelnde Eltern,Pflegeeltern, Vormünder und Schulvorsteher sind strafbar (§§ 14, 15). Wiederholte Aufforderungen an die Eltern usw., ihren Pflichten zu genügen, und jedesmalige erneute Bestrafung im Falle des Ungehorsams sind zulässig (Reger 1, 190; 3, 190; 7 S. 91, 92, 463). Auch ist die Polizei zu zwangs­ weiser Vorführung der Kinder behufs Herbei­ führung ihrer I. berechtigt (OVG. 28, 396; 58, 284; 70, 334). Soweit die Impfung nicht anderweit durch einen approbierten Arzt erfolgt, hat sie in den von Anfang Mai bis Ende September jeden Jahres stattfindenden öffentlich bekanntzumachenden Impfterminen durch den Jmpfarzt zu erfolgen; diese I. sind unentgeltlich (§ 6). Bei Pockenepidemien ist Zwangsimpfung auch Erwachsener zulässig (§ 55 des Regulativs vom 8. 8. 1835 in Ver­ bindung mit § 37 Abs. 3 des G. vom 28. 8. 1905, GS. 373; vgl. § 24 der AusfB. z. Anw. zur Be­ kämpfung der Pocken vom 12. 9. 1904, MMBl. 358). Die Durchführung der öffentlichen I. liegt den Kreisen ob (8 1 AG.) und erfolgt in besonders abgegrenzten Jmpfbezirken durch die Jmpfärzte. Den Kreisen fallen die Remuneration der Jmpf­ ärzte, die Kosten der erforderlichen Bureau­ arbeiten sowie die Kosten der nötigen Listen, Scheine und Zeugnisse zur Last (§ 2 PrAG.); die Stellung des geeigneten Raumes für die öffentlichen Impftermine und der für den Jmpf­ arzt erforderlichen Schreibhilfe liegt den Gemein­ den ob, in deren Bezirk öffentliche Impftermine stattfinden (§ 2 Abs. 3 PrAG.). Die erforder­ liche Lymphe wird in vom Staate eingerichteten und unterhaltenen Jmpfinstituten bereitet und an die öffentlichen Jmpfärzte unentgeltlich ab­ gegeben; diese haben, soweit ihr Vorrat reicht, die Lymphe auch an andere Arzte aus Verlangen unentgeltlich abzugeben (§ 9 des G.) ss.Lymphe^. Die Aufsicht über das Jmpfgeschäst führt der Kreisarzt (§§ 87—89 der Dienstanw. f. d. Kreis­ ärzte vom 1. 9. 1909, MMBl. 381), soweit nicht, weil er selbst Jmpfarzt ist, der Regierungs- und Medizinalarzt die Aufsicht zu führen hat (s- auch Erl. vom 25. 7. 1902, MMBl. 267). S. über die Vorschriften, die von den Ärzten bei Ausführung der I. zu befolgen sind, Beschl. des BR. vom 22. 3. 1917 (MMBl. 291 ff.) Erl. vom 6. 4. 1886 (MBl. 51). Ausländische Arbeiter sind bei Eingehung eines Dienstverhältnisses im Inland auf Kosten ihrer Dienstherren zu impfen (Erl. vom 13.6.1900); wegen der I. der Familien­ angehörigen der Arbeiter s. Erl. vom 12. 10. 1904 (MBl. 263). S. auch Ausländische Arbeiter I 3; Pocken. II. Jmpflisten und Impfscheine. Zur Kontrolle der Erfüllung der Jmpfpflicht haben die Standesbeamten vor Beginn der Jmpfzeit, d. h. vor Anfang Mai jedes Jahres, eine Liste derjenigen Kinder aus den Geburtsregistern auf­ zustellen, welche vor Beginn des betreffenden Kalenderjahres geboren sind (§ 7 und § 1 Ziff. 1 des ReichsG. und Erl. vom 19. 4. 1875, MBl. 99). Ebenso haben die Vorsteher aller öffentlichen oder privaten Lehranstalten über diejenigen Kinder ihrer Anstalt eine Liste auszustellen, welche in dem betreffenden Kalenderjahr das zwölfte Lebensjahr zurücklegen. Diese Listen werden dem Imps­ geschäft zugrunde gelegt; die Jmpfärzte vermerken

Impfung von Tieren — Inanspruchnahme von Wegen für den öffentlichen Verkehr in ihnen, ob die B. mit oder ohne Erfolg voll­ zogen, ob und weshalb sie unterblieben ist. Nach Schluß des Kalenderjahres sind die Listen der Behörde einzureichen. Dieselbe Verpflichtung zur Listensührung und deren Einreichung an die Behörde (OPB.) haben sonstige approbierte Ärzte bezüglich der von ihnen vorgenommenen I. (s. § 8 Abs. 2 ReichsG.). Die Einreichung der Listen und die Form des Impfscheins sind durch die Bundesratsbeschlüsse vom 22.3.1917 (MMBl. 291 ff.) festgestellt. Über jede I. wird nach Feststellung ihrer Wirkung von dem Arzte ein Impfschein ausgestellt, dessen Inhalt ge­ setzlich vorgeschrieben ist (s. § 10 ReichsG.). Die erste Ausstellung desselben ist gebührenund stempelfrei. Der Impfschein gilt als ge­ setzlicher Ausweis darüber, daß die I. erfolgt oder aus welchem Grunde sie unterblieben ist (§ 12 ReichsG.). Die Gebühren für Duplikate usw. von Impfscheinen fließen den Kreisen zu (§ 2 Abs. 2 PrAG.). Bsch. Impfung von Tieren. Die I. von Tieren, die einer Seuchengefahr ausgesetzt sind, gehört zu den Maßregeln, die nach dem RViehseuchG. vom 26. 6. 1909 (RGBl. 519) polizeilich angeordnet werden können. Während früher die polizeiliche Anordnung von I. auf bestimmte, im G. fest­ gelegte Fälle beschränkt war, ist diese Beschrän­ kung in dem geltenden G. beseitigt. Eine I. kann jetzt in allen Fällen angeordnet werden, in denen dies im Interesse der Seuchenbekämpfung als nötig zu erachten ist. Nach §§ 12, 23, 51, 53—56, 60 VG., §§ 104, 106, 108, 198, 222—226, 279, 285, 287 VAVG. ist eine I., abgesehen von I. zu diagnostischen Zwecken, bei Lungenseuche des Rindviehs, Pockenseuche der Schafe, Rotlauf der Schweine, Milzbrand und Rauschbrand vorge­ sehen. Außer bei B. zu diagnostischen Zwecken und bei Pockenseuche darf jedoch eine I. nur mit Genehmigung des MsL. angeordnet werden (vgl. ferner BEAV. zu § 12 VG. und zu KH 104, 106,108,287 VAVG.). Wegen Entschädigung für Bmpsverluste s. Viehseuchen VI, wegen Tuber­ kulinimpfung s. Tuberkulose der Haustiere, wegen I. bei Maul- und Klauenseuche s. d., we­ gen der Abkürzungens. Viehseuchen II. — In der tierärztlichen Heilkunde hat die I. heute eine große Bedeutung. Backh.

Inanspruchnahme von Wegen für den öffent­ lichen Verkehr. I. Die Inanspruchnahme von Wegen oder Wegeteilen für den öffentlichen Ver­ kehr ist begrifflich verschieden von der Feststellung der Eigenschaft eines Wegs als eines öffentlichen gegenüber dem Wegebaupflichtigen (OVG. 20, 221) und von der Umwandlung von Privatwegen in öffentliche Wege (OVG. 9, 219ff.; 10, 213), sowie von der Inanspruchnahme im Sinne der V. vom 25. 11. 1923, GS. 540, über die Erhebung von Vorausleistungen für die Wege­ unterhaltung, wo I. gleichbedeutend mit Be­ nutzung gebraucht wird. Sie greift Platz, wenn bei Wegen, Wegeteilen oder Zubehörungen eines Weges, z. B. einer Fähre (OVG. 77, 357), die die Wegepolizei als öffentliche ansieht, die Öffentlichkeit von irgendeiner Seite in Zweifel gezogen wird, indem ein die Öffentlichkeit aus­ schließendes Privatrecht geltend gemacht wird (OVG. 2,238; 9 S. 207ff., 211; 12, 271; 20, 221; 21, 247; 27, 216; 52, 320; 55, 294; 80, 239). Sie

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setzt nicht notwendig einen tatsächlichen Eingriff voraus, der mit der öffentlichen Eigenschaft des Wegs in Widerspruch steht. Es genügt die bloße Behauptung eines die Öffentlichkeit beschrän­ kenden Privatrechts (OVG. 37, 223; vgl. auch OVG. 32, 329; 33 S. 281, 289). Einer Berufung auf den Gemeingebrauch kann nur im Wege der allgemeinen polizeilichen Verfügung, nicht durch I. entgegengetreten werden (OVG. 69, 329). Die I. hat stets zur Voraussetzung, daß der Weg bereits rechtlich die Eigenschaft eines öffentlichen Wegs hat, oder Teil eines solchen ist (OVG. 72, 307). Gegen tatsächliche Zustände greift sie nicht Platz. Hier kann die Wegepolizei­ behörde nur vom Standpunkte der Sicherheit eingreifen (OVG. 72, 307). Sie ist ein Ausfluß der Pflicht und des Rechts der Wegepolizeibe­ hörde, für die unverkürzte Verwendbarkeit der Wege für den öffentlichen Verkehr zu sorgen, und ist unter Ausschluß des Rechtsweges ausschließlich der Wegepolizei, nicht der Wegebaupolizei (OVG. 21 S. 244, 247 und die dort angeführten Entsch.; Bebens im PrBBl. 18 S. 244, 262), Vor­ behalten. Privatpersonen sind nicht legitimiert, einen Weg für den öffentlichen Verkehr in An­ spruch zu nehmen (OVG. 3, 186; 14, 381; 18, 248). Bei öffentlichen Wegen, die über Eisen­ bahngelände führen, steht demgemäß die Inan­ spruchnahme nicht der Eisenbahnverwaltung oder der Bahnpolizei, sondern der Wegepolizeibehörde zu (VOG. 31, 198). Die Inanspruchnahme er­ folgt gegenüber demjenigen, welcher das Ver­ fügungsrecht über das Wegegelände oder'einem Wegeteil beansprucht. Sie setzt nicht den Nach­ weis der Öffentlichkeit seitens der Polizeibehörde (OVG. 65, 301), auch nicht den der Notwendig­ keit für den öffentlichen Verkehr oder eines öffentlichen Verkehrsinteresses voraus, sondern nur den Nachweis der Tatsache, daß der Weg un­ angefochten dem öffentlichen Verkehr gedient hat, sowie ferner, daß seine Eigenschaft als Privatweg nicht erhellt (OVG. 27, 223). Ist letzteres der Fall oder steht die Geltendmachung einer rechtswirksam begründeten Grundgerechtigkeit an einem öffentlichen Wege in Frage, so ist die In­ anspruchnahme nicht statthaft (OVG. 9, 208). Vgl. über die Grenzen der I. OVG. 74, 363. II. Die Inanspruchnahme erfolgt in der Form der polizeilichen Anordnung (ZG. § 56). Die Form der öffentlichen Bekannt­ machung ist nicht anwendbar (OVG. 31, 191; 80, 239). Dagegen kann sie auch implicite, z. B. in der Ablehnung eines auf Bebauung eines Teils eines öffentlichen Wegs gerichteten Baugesuchs, stattfinden (OVG. 32, 339; 33, 281). Uber In­ anspruchnahme durch unmittelbaren Zwang vgl. OVG. 38, 250. Gegen die Anordnung der Wege­ polizeibehörde ist gemäß § 56 ZG. binnen zwei Wochen der Einspruch an die anordnende Behörde und gegen deren Beschluß ebenfalls binnen zwei Wochen die Klage im Verwaltungsstreitversahren gegeben (OVG. 56, 348), und zwar nicht nur dem unmittelbar Betroffenen, sondern jedem, in dessen Rechte durch die I. eingegriffen wird (OVG. 65, 280). Zu dem Streitverfahren ist der Wegebaupflichtige, als am Ausgange beteiligt, zuzuziehen (OVG. 2, 239). Zur Begründung ist der Nachweis des freien Eigentums des Klägers nicht unerläßlich. Es ge-

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Indemnität — Indirekte Steuern

nügt, wenn anderweit dargetan wird, daß der Weg kein öffentlicher ist (OVG. 12,268). Anderer­ seits hat der Eigentümer eines in Anspruch ge­ nommenen Wegs, da die Vermutung für die Freiheit des Eigentums spricht, nicht die Freiheit, sondern die Wegepolizeibehörde hat die Beschrän­ kung zugunsten des öffentlichen Verkehrs nachzu­ weisen (OVG. 20, 219; 27, 222). Die Aufrecht­ erhaltung der Anordnung hat die Feststellung, daß der Weg ein öffentlicher ist, zur Voraussetzung (OVG. 20, 216). Die Öffentlichkeit des Wegs bildet jedoch nicht den Gegenstand des Streitver­ fahrens, sondern nur einen Jnzidentpunkt (OVG. 60, 364). Die Rechtskraft der Entscheidung er­ streckt sich daher nur auf die einzelne polizeiliche Anordnung, nicht auf die Öffentlichkeit des Wegs im allgemeinen (OVG. 35, 285). Diese kann da­ her immer aufs neue bestritten und infolgedessen der Weg wiederholt zum Gegenstände der Inan­ spruchnahme gemacht werden. Eine Einschrän­ kung erfährt dieser Zustand, der darauf hinaus­ läuft, daß es nicht möglich ist, die Öffentlichkeit eines Wegs mit Rechtswirkung gegen jedermann festzustellen, durch § 16, Wo. für Westpreußen vom 27. 9. 1905 (GS. 357), wonach hinsichtlich katastrierter Provinzial- und Kreiswege die Ver­ mutung für die Richtigkeit des Wegeverzeichnisses und damit für die Eigenschaft dieser Wege als öffentliche spricht. III. Demjenigen, welcher Privatrechte an einem für den öffentlichen Verkehr in Anspruch genommenen Wege geltend macht, steht die Er­ hebung von Entschädigungsansprüchen und deren Verfolgung im Rechtswege gegen den Wegebau­ pflichtigen offen (ZG. § 56). Über die Bedeutung dieser Bestimmung s. Germershausen, Wegerecht (3) 1, 707. Die Verpflichtung zur Gewährung solcher Entschädigungen ist ein Teil der Wege­ baulast S. Wege, öffentliche VII. Indemnität im verfassungsmäßigen Sinne ist die Bezeichnung für die nachträgliche Genehmi­ gung solcher Regierungshandlungen durch die Volksvertretung, welche nach den Bestimmungen der Verfassung zu ihrer Rechtsgültigkeit einer ge­ setzlichen Grundlage bedurft hätten, aber ohne eine solche vorgenommen worden sind. Sie er­ folgt hinsichtlich der Etatsüberschreitungen im Reiche von selbst durch die Entlastung der Reichs­ regierung bei Vorlegung der Rechnung (Art. 86 RB.). Doch bedürfen nach § 33 der Reichs­ haushaltsordnung vom 31. 12. 1922 (RGBl. 1923 II 17) alle Haushaltsüberschreitungen und alle außerplanmäßigen Ausgaben der Genehmi­ gung des RFM., die nur bei unabweisbarem Bedürfnis erteilt werden soll. Eine derartige Ge­ nehmigung des FM. und die nachträgliche Ge­ nehmigung des LT. ist in Preußen in der VU. (Art. 67) selbst vorgeschrieben. Eine Art Jndemnitätserklärung findet auch statt, wenn der RT. von dem ihm verfassungsmäßig eingeräum­ ten Recht, die Aufhebung einer gemäß Art. 48 RV. getroffenen außerordentlichen Maßnahme bei einem Ausnahmezustand zu verlangen, keinen Gebrauch macht; ebenso der LT. beim Erlaß von NotV. (Art. 55 VU.). Ly. Indien. Die diplomatische Vertretung des Reichs erfolgt, da Indien zur Zeit noch nicht die Stellung eines Dominion hat, ausschließlich durch die Botschaft in London. Berufskonsularbehör­

den: Generalkonsulat Kalkutta und Konsulat Bombay. Indien ist als Teil des Britischen Reichs Signatarmacht des Versailler Vertrags und Mit­ glied des Völkerbundes seit 10. 1. 1920. Kein Handelsvertrag, aber gegenseitige tatsächliche Meistbegünstigung in Handelsangelegenheiten. Der deutsch-britische Auslieferungsvertrag vom 14. 5. 1872 (RGBl. 1872, 229; 1920, 1543) wird auch auf Indien angewandt. Fro. Jndigokarmin-Fabriken s. Chemische Fa­ briken. Indirekte Steuern. I. Allgemeines. Die i. S. bilden eine Unterabteilung der öffentlichen Abgaben (s. d.). über ihren Begriff, ihre Ab­ grenzung gegenüber den direkten Steuern und ihre geschichtliche Entwicklung s. Steuern, Finanzausgleich IB. Man teilt die i. S. nach dem wirtschaftlichen Vorgänge, den man bei ihnen mit der Steuer treffen will, in Zölle, Ver­ brauch steuern (auch Konsumtions-, Verzehrungs-, Produktionssteuern, Verbrauchsabgaben genannt) und Verkehr steuern ein. Diese wirt­ schaftlichen Vorgänge sind beim Zoll in dem Übertritt gewisser Gegenstände aus einem Zoll­ gebiet (Staatsgebiet ob. dgl.) in ein anderes, bei den Verbrauchsteuern in dem Verbrauche gewisser im Inland erzeugter Waren (z. B. Zucker), bei den Berkehrsteuern in gewissen im Verkehr mit Vermögenswerten eintretenden Vorgängen (z. B. Vererbung, Verkauf) zu erblicken. Bei den Zöllen unterscheidet man Einfuhr-, Durchfuhr- und Aus­ fuhrzölle. Bei weitem die wichtigste Art sind die Einfuhrzölle, die deshalb auch meist schlechthin als Zölle bezeichnet werden. Insofern sowohl bei den Einfuhrzöllen wie bei den Verbrauchsteuern die Absicht des Gesetzgebers dahin geht, den Ver­ brauch bestimmter, im ersteren Falle ausländischer, im zweiten inländischer Gegenstände mit der Steuer zu treffen, werden sie hin und wieder auch unter dem gemeinsamen Namen „Verbrauch­ steuern" begriffen, was insofern Berechtigung hat, als die gesetzlichen Vorschriften über Zölle und Verbrauchsteuern im engeren Sinne sich in vielen Beziehungen ähneln, teilweise sogar die gleichen sind (z. B. §§ 277—280 in Verbindung mit § 217 AO.; s. auch Verbrauchsteuern III). Vgl. wegen der weiteren Einteilung der Zölle, Ver­ brauch- und Verkehrsteuern die Art. Zoll (unter I), Berbrauchsteuern (unter I), Steu­ ern (unter II 3 b). II. Behandlung der i. S. in der AO. Die AO. unterscheidet in den §§ 76 und 217 Zölle und Berbrauchsteuern einerseits und die „übrigen Steuern" andererseits. Die auf ihr beruhende vorläufige Geschäftsordnung für die LFA. vom 7. 7. 1920 (RFMBl. 311) überweist in § 3 die Verwaltung der ersteren der einen, die Verwal­ tung der letzteren, unter der Bezeichnung „Besitzund Berkehrsteuern", der anderen Abteilung des LFA. Sie weicht also von der oben gegebenen Einteilung insofern ab, als sie die Verkehrsteuern nicht als indirekte, sondern als direkte Steuern, wenn auch nicht bezeichnet, so doch behandelt. Eine weitere Abweichung zeigt sich darin, daß die Umsatzsteuer den Verkehrsteuern beigezählt ist. Für diese Abweichungen sind lediglich Zweck­ mäßigkeitsgründe maßgebend gewesen, deren Be­ rechtigung nicht ohne weiteres anzuerkennen ist. S. auch Steuern II 3 b, d und III.

Jndustriebelastungsgesetz — Industrie- und Handelskammern III. Im Deutschen Reich bestehen die auf dem Warenverbrauch ruhenden Steuern, von den Zöllen und der ihnen nahe stehenden statistifchen Gebühr abgesehen, ausschließlich aus Fabrikatsteuern (s. auch Material steuern); nur bei der Tabaksteuer tritt neben diese eine Material­ steuer (s. Tabaksteuer II 1). Welche einzelnen Verbrauch- und Verkehrsteuern vom Reich, Preußen und dessen Gemeinden erhoben wer­ den, s. Steuern III. Sdt. S. bei Steuern, Verbrauchssteuern.

Jndustriebelastungsgesetz s.

Kriegslasten

III B.

Industriegebiete s. Bauweise I. Industrie- und Handelskammern. I. Allge­ meines. Bis zum Jahre 1840 bestanden Handels­ kammern nur in einzelnen Städten der Rhein­ provinz, in den östlichen Provinzen gab es ledig­ lich kaufmännische Korporationen (f. d.). Nach­ dem zuerst aus Grund eines im Jahre 1841 an den FM. erlassenen Befehls einige Handelskam­ mern errichtet waren, wurde die weitere Entwick­ lung durch die V. vom 11. 2.1848 (GS. 63) ver­ anlaßt, auf Grund deren 33 Handelskammern errichtet wurden. Da in mehreren der im Jahre 1866 neuerworbenen Landesteile Vorschriften über Handelskammern fehlten, und sich auch die bis­ herige Verfassung der in den älteren Provinzen bestehenden Handelskammern als reformbedürftig erwies, so wurde eine einheitliche Regelung der Verhältnisse der Handelskammern für den Umfang des ganzen Staatsgebietes in die Wege geleitet. Das G. über die Handelskammern vom 24.2.1870 (GS. 134) wurde zunächst durch ZG. Tit. XVII in einigen Punkten abgeändert und schließlich am 19. 8. 1897 (GS. 343) einer durchgreifenden Revision unterzogen. Durch G. vom 2. 6. 1902 (GS. 161) wurde dem § 44 ein neuer Absatz an­ gefügt, wodurch die Beziehungen zwischen der an einem Orte bestehenden Handelskammer und kaufmännischen Korporationen geregelt wurden. Endlich wurde durch eine aus Grund des Art. 55 der Preuß. Verfassung erlassene V. vom 1.4.1924 (GS. 194) die Auflösung, Abgrenzung und Zu­ sammenlegung der I. neugeregelt. Gleichzeitig erhielten die Handelskammern die Bezeichnung JuHK. Die I. gehören zu den im ALN. 1,10 § 69 erwähnten, dem Staate untergeordneten Kor­ porationen (OBG. 16,154; 19, 62). Sie sind zur Zahlung des Kostenpauschquantums im Verwal­ tungsstreilverfahren nicht verpflichtet (OBG. 12, 355). Ihre Schreiben gehen unter der Bezeichnung „Portopflichtige Dienstsache" (Erl. vom!2.2.1904, HMBl. 28). Ein Verzeichnis der in Preußen be­ stehenden I. s. v. Brauchitsch IV 706. II. Aufgaben. Die I. haben die Gesamt­ interessen der Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, insbesondere die Behörden in der Förderung des Handels und der Gewerbe durch tatsächliche Mitteilungen, Anträge und Erstattung von Gutachten zu unterstützen (§ 1). Zur Erstattung von Gutachten an Privat­ personen sind sie nicht verpflichtet (Erl. vom 17. 1. 1902, HMBl. 43). Werden in einem von der I. geforderten Gutachten Fragen aufgewor­ fen, die eine nur bei einzelnen Mitgliedern vor­ handene Sachkunde voraussetzen, so kann die I. die Erstattung des Gutachtens ablehnen und ge­ gebenenfalls auf die Vernehmung der Sachverstän­

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digen Hinweisen (Erl. vom 27. 7. 1915, HMBl. 301). Konkrete Einzelansprüche ihrer Angehöri­ gen gegenüber den Behörden sollen die I. nicht vertreten (Erl. vom 17. 7. und 7.11.1907, HMBl. 283, 376). Die I. sind befugt, Anstalten, Anlagen und Einrichtungen, die die Förderung von Handel und Gewerbe, sowie die technische und geschäft­ liche Ausbildung, die Erziehung und den sitt­ lichen Schutz der darin beschäftigten Gehilfen und Lehrlinge bezwecken, zu begründen, zu unterhal­ ten und zu unterstützen (§ 38). Die I. erteilen die Ermächtigung nach Art. 13 AGBGB. vom 20. 9. 1899 (GS. 177) an Handelsmakler (s. d.) zur Vor­ nahme öffentlicher Verkäufe. Die I. haben bis Ende Juni dem HM. einen Jahresbericht zu erstatten und diesen durch Druck vervielfältigen zu lassen (Erl. vom 26. 10. 1901, HMBl. 290); von ihren Beratungsprotokollen und summarisch von den Einnahmen und Ausgaben haben sie den Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks fortlaufend Kenntnis zu geben. Börsen (s. b.) stehen unter ihrer Aufsicht. In Eingaben an ver­ schiedene Ministerien ist anzugeben, an welche Ministerien die gleiche Eingabe gerichtet ist (Erl. vom 6. 4. 1912, HMBl. 176). Beschwerden und Anträge von Interessenten sollen vor Weitergabe geprüft werden (Erl. vom 22. 9.11, HMBl. 130). Die I. können Dispacheure (s. d.) und selbständige Gewerbetreibende der in der GewO. § 36 be­ zeichneten Art mit Ausnahme der Auktionatoren (s. d.) beeidigen und öffentlich anstellen (s. Be­ eidigung und öffentliche Anstellung von Gewerbetreibenden). Die Form des Eides ist durch Erl. vom 29. 9. 1897 (HMBl. 1907, 287) und vom 29. 3.1900 (HMBl. 1907,287) vom HM. vorgeschrieben. Diese gehören zu den in § 404 Abs. 2 ZPO. und § 73 Abs. 2 StPO, bezeichneten Sachverständigen (Erl. vom 5. 3. 1912, HMBl. 70). Der I. liegt die Ausstellung von Ursprungs­ zeugnissen und anderer dem Handelsverkehre die­ nenden Bescheinigungen ob (§§ 39—42 a. a. O.). Durch Reichs- und Landesgesetze sind den I. Aufsichts- und Verwaltungsbesugnisse sowie Vor­ schlags- und Abordnungsrechte übertragen. Dahin gehören das Vorschlagsrecht für die Ernennung von Handelsrichtern (§ 108 GVG.), Mitwirkung bei Führung der Handelsregister (§ 126 RG. über die freie Gerichtsbarkeit; Erl. vom 25. 11. 1909, HMBl. 524), Bestellung von Revisoren und Prü­ fung der Gründung von Aktiengesellschaften (§ 192 Abs. 2 HGB.), Gutachten bei der Zulassung von Firmen zum zollfreien Berwaltungsverkehr, bei der Eröffnung der Geschäftsaufsicht (§ 21 Abs. 2, § 22 Abs. 2 GeschäftsaufsichtsB, vom 14. 6. 1924). Mitwirkung bei Bekämpfung des unlau­ teren Wettbewerbs, vorherige Anhörung bei kommunalen Gewerbesteuern (§ 45 PrGewStV.), Mitwirkung bei Bildung der Gewerbe­ steuerausschüsse (§ 21 Abs. 2 ABO.) usw. III. Errichtung, Beaufsichtigung, Auf­ lösung, Zweckverbände. Die Errichtung einer I. unterliegt der Genehmigung des HM. Bei Erteilung der Genehmigung wird zugleich über die Zahl der Mitglieder und, wenn die Errichtung für einen über mehrere Orte sich erstreckenden Bezirk erfolgt, über den Sitz der I. Bestimmung getroffen. Die Abgrenzung der Bezirke der I. sowie die Auflösung und die Zusammenlegung bestehender I. erfolgt nach Anhörung der be-

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Industrie- und Handelskammern

teiligten I. durch Anordnung des HM. Hierbei sollen die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit und die Eigenart des Bezirkes, die steuerliche Leistungsfähigkeit der beitragspflichtigen Fir­ men und das notwendige Bestreben nach Kostenersparnis Berücksichtigung finden. Be­ nachbarte I. können mit Genehmigung des HM. zur gemeinsamen und ausschließlichen Erfüllung bestimmter Aufgaben einen Zweckverband bilden der eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Auf Antrag der Mehrzahl der einge­ tragenen Firmen aller Beteiligten kann der HM. die Bildung eines Zweckverbandes anordnen. Seine Aufgaben, Organe und Kostenregelung werden in einer vom HM. zu genehmigenden Satzung festgelegt. Solange eine I. einem Zweck­ verband angehört, kann sie nur mit ihrer Zustim­ mung aufgelöst oder anderweit abgegrenzt oder mit einer anderen I. vereinigt werden. Ihre Auflösung ist erforderlich, wenn sie von der Mehr­ zahl der beteiligten I. verlangt oder wenn die es verlangenden I. mehr als die Hälfte der ein­ getragenen Firmen aller beteiligten Kammern um­ fassen (§ 2). Die Aufsicht führt der HM., aus dessen Antrag die I. durch Beschluß des StM. aufgelöst werden kann (§ 43). Die pr. I. haben einen Landesausschuß begründet (Erl. vom 7. 7. 1919, HMBl. 195). IV. Wahl der Mitglieder. 1. Wahl­ berechtigung. Wahlberechtigt sind nach § 3, sofern sie zur Gewerbesteuer (s. d.) veranlagt sind; a) diejenigen Kaufleute (natürliche und juristische Personen), welche als Inhaber einer Firma in einem der für den Bezirk der I. geführ­ ten Handelsregister eingetragen stehen. Ist die Eintragung zu Unrecht unterblieben, so besteht das Wahlrecht nicht (OVG. 41, 337; 52, 388). Ob der Eingetragene Kaufmann ist, hat die I. zu prüfen. Der Nachweis der Eigenschaft als Kaufmann kann nicht durch Bezugnahme auf § 5 HGB. geführt werden (O?G. 41, 341); Großhandwerker sind keine Kaufleute (OVG. in HMBl. 1906, 299); b) diejenigen ein Handels­ gewerbe treibenden Gesellschaften und Genossen­ schaften, die in einem Handels- oder Genossen­ schaftsregister des Bezirks der I. eingetragen stehen; c) die im Bezirke der I. den Bergbau be­ treibenden Alleineigentümer oder Pächter eines Bergwerks, Gewerkschaften oder Gesellschaften, auch wenn sie nicht im Handels- oder Genossen­ schaftsregister eingetragen stehen; d) die Besitzer von im Bezirke der I. belegenen Betriebsstätten, welche zu einem außerhalb dieses Bezirks be­ stehenden, im Handelsregister eingetragenen Un­ ternehmen gehören, auch wenn die Betriebs­ stätten nicht im Handelsregister eingetragen sind, sofern dieselben nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäfts­ betrieb erfordern (OVG. 39, 302). Bei Gene­ ralagenten spricht die Vermutung dafür, daß sie infolge ihrer besonderen Vertrauensstellung gewissermaßen Beamte der Versicherungsan­ stalten sind. Der Ort des Sitzes des General­ agenten ist auch die Betriebsstelle der Gesellschaft (OVG. 45, 345; Erl. vom 13. 5. 1909, HMBl. 495; OVGSt. 8, 153, 435). Wenn in einem J.-Bezirk mehrere Betriebsstätten liegen, so ist für jede einzelne dieser Betriebsstätten die Notwendig­ keit eines in kaufmännischer Weise eingerichteten

Geschäftsbetriebs zu prüfen und nach dem Ergeb­ nisse dieser Prüfung die Verpflichtung des Be­ sitzers, zu den Kosten derJ. beizutragen, festzustel­ len (OVG. 48,315). Vom Wahlrecht ausgeschlossen sind Reichs- und Staatsbetriebe, land- und forst­ wirtschaftliche Nebenbetriebe, landwirtschaftliche und Handwerksgenossenschaften. Für die Frage, ob die Genossenschaft eine landwirtschaftliche oder Handwerkergenossenschaft ist, ist die Vorschrift der Satzung über die Ausnahme maßgebend. Ist der Mitgliederkreis nicht zugunsten des landwirt­ schaftlichen oder Handwerkerberufs eingeengt, so handelt es sich weder um eine landwirtschaft­ liche noch um eine Handwerkergenossenschaft (OVG. 43, 316). Die Wahlstimme ist persönlich abzugeben. Eine Vertretung findet nur statt für offene Handelsgesellschaften, andere wahlberech­ tigte Gesellschaften, Gewerkschaften und juristische Personen; für Personen, die unter Vormund­ schaft oder Pflegschaft stehen, für Zweignieder­ lassungen und Betriebsstätten, die weder in dem­ selben Bezirke wie die Hauptniederlassung liegen, noch von einer wahlberechtigten Person geleitet werden. Wer im Kammerbezirke mehrfach stimm­ berechtigt ist, darf sein Stimmrecht nur einmal ausüben. Auch der Prokurist darf nur eine Stimme abgeben (OVG. 53, 366). Wer in meh­ reren Wahlbezirken stimmberechtigt ist, muß vor der Wahl erklären, wo er sein Stimmrecht aus­ üben will. Während des Konkurses oder der Zah­ lungseinstellung ruht das Wahlrecht (§§ 5, 6, 9). 2. Wählbarkeit, Zuwahl. Zu Mitgliedern der I. wählbar sind deutsche Staatsangehörige, die mindestens 25 Jahre alt und zur Abgabe der Stimme befähigt sind, mit Ausnahme der Ver­ treter. Mehr als der vierte Teil der Mitglieder darf nicht aus Prokuristen bestehen. Mehrere Vertreter derselben Gesellschaft, Gewerkschaft oder juristischen Personen dürfen nicht gleichzeitig Mit­ glieder sein. Die I. kann bis zum zehnten Teil ihrer Mitglieder wählbare Personen auf die Dauer von drei Jahren zuwählen (§§ 7, 8). 3. Wahlverfahren. Solange nicht durch die Satzung mit Genehmigung des HM. bestimmt ist, daß die Wahlen nach Abteilungen vorzunehmen sind, daß eine Abstufung des Wahlrechts nach den Kammerbeiträgen stattfindet oder daß die Wahlen durch alle Wahlberechtigten mit gleichem Rechte erfolgen, sind die Wahlen nach sachlichen Wahl­ gruppen und nach allgemeinem, gleichem und ge­ heimem Wahlrecht auf Grund einer vom HM. zu erlassenden Wahlordnung vorzunehmen. Mit Genehmigung des HM. können innerhalb der Wahlabteilungen Wahlbezirke gebildet werden; die Bildung von Abstimmungsbezirken in den ein­ zelnen Wahlbezirken ist dagegen unzulässig (OVG. 55, 364). Die I. stellt eine Liste aller Wahlberech­ tigten — dazu gehören nur die Inhaber der wahl­ berechtigten Betriebe, nicht auch ihre Vertreter (OVG. 53, 366) — auf, die eine Woche lang aus­ zulegen ist; auch nach Ablauf der einwöchigen Frist kann die I. die Einsicht in die Wählerlisten gestatten (Erl. vom 6. 3. 1906, HMBl. 131). Ort und Zeit der Auslegung wird mit dem Hinzu­ fügen bekanntgemacht, daß Einwendungen gegen die Liste innerhalb einer Woche bei der I. anzu­ bringen sind. Diese beschließt über die Einwen­ dungen und stellt die Wahlliste fest. Binnen zwei Wochen ist die Beschwerde an den RP. zulässig,

Industrie- und Handelskammern

der endgültig entscheidet. Demnächst ernennt die I. aus der Zahl ihrer Mitglieder einen Wahl­ kommissar, der den Wahltermin festsetzt und öffent­ lich bekanntmacht; dieser führt auch den Vorsitz in der Wahlversammlung. Außer ihm gehören zum Wahlvorstand ein Stimmensammler und ein Schriftführer, die von den Anwesenden aus ihrer Mitte gewählt werden. Die Wahl erfolgt durch geheime Abstimmung mittels Stimmzettel nach absoluter Stimmenmehrheit. Jedes Nachfor­ schen nach der Abstimmung ist unzulässig (OVG. 43, 315). Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Der Wahlkommissar kann, solange der Wahl­ akt nicht geschlossen und der Wahltermin nicht be­ endigt ist, das Wahlresultat berichtigen. Der Ver­ zicht eines Wählers auf Stimmabgabe ist jeder­ zeit widerruflich (OVG. 22, 340). Bei der enge­ ren Wahl sind alle stimmberechtigten Wähler, nicht nur die am ersten Wahlgange beteiligt gewesenen, zur Stimmabgabe befugt (OVG. 18, 330). Mit Genehmigung des HM. kann durch Statut ein abweichendes Wahlverfahren, z. B. eine brief­ liche Stimmabgabe (Erl. vom 9. 1. 1902, HMBl. 30), beschlossen werden. Die I. hat das Ergebnis der Wahlen öffentlich bekanntzumachen. Über Einsprüche, die binnen zwei Wochen anzubringen, aber auch schon unmittelbar nach Vollziehung der Wahl zulässig sind (OVG. vom 25. 3. 1915, HMBl. 164), beschließt die I. Gegen ihre Be­ schlüsse findet innerhalb zweier Wochen die Klage beim BezA. statt, gegen dessen Endurteil nur die Revision zulässig ist (§§ 10—15). Eine anderweite Wahl darf erst nach Erklärung der Ungültigkeit durch die I. selbst stattfinden (OVG. 12, 354). Der Einspruch kann auf Mängel des Wahlver­ fahrens und auf Mängel in der Person des Ge­ wählten gegründet werden (OVG. 38, 302). Der Grundsatz, daß in Wahlsachen zuungunsten des Gewählten nicht vor dessen Beiladung erkannt werden darf, findet hier gleichfalls Anwendung (OVG. 43, 308). 4. Amts dauer. Die Mitglieder werden auf sechs Jahre gewählt. Nach G. vom 31. 12. 1926 (GS. 368) wird das Kalenderjahr 1926 nicht in die Wahlzeit eingerechnet. Alle zwei Jahre schei­ det ein Drittel aus und wird durch neue Wahlen (Ergänzungswahlen) ersetzt. Die das erste und das zweite Mal Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt (s. auch Erl. vom 8.10.1901, HMBl. 283). Wahlen zum Ersätze von Mitgliedern, die außerhalb der regelmäßigen Ergänzung der I. ausgeschieden sind (Ersatzwahlen), werden im An­ schlüsse an die nächsten Ergänzungswahlen voll­ zogen, sofern nicht der HM. oder die I. eine frü­ here Wahl für erforderlich erachtet. Ergänzungs­ wahlen dürfen nicht an Stelle von Ersatzwahlen vorgenommen werden (OVG. 38, 301). Wegen Auslosung der Mitglieder s. Erl. vom 8. 10. 1901 (HMBl. 283). Jeder Ersatzmann wird im beson­ deren Wahlgange gewählt, nur wenn für eine gleiche Wahlperiode von derselben Wahlabteilung oder demselben Wahlbezirke mehrere Ersatzmänner zu wählen sind, erfolgt die Wahl im gemeinsamen Wahlgange. Ergänzungs- und Ersatzwahlen kön­ nen in der Weise verbunden werden, daß die Wähler gleichzeitig zwei Stimmzettel abgeben, die aber in verschiedene Wahlurnen zu legen sind (Erl. vom 18. 10. 1897). Fallen die Voraussetzungen der Wählbarkeit fort, so erlischt die Mitgliedschaft.

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Hierüber beschließt die I. Sie kann ein Mitglied, das durch seine Handlungsweise die öffentliche Achtung verloren hat, durch einen mit zwei Drittel Mehrheit gefaßten Beschluß aus ihrer Mitte ent­ fernen. In gleicher Weise kann ein Mitglied, gegen das ein gerichtliches Strafverfahren schwebt, bis nach Abschluß desselben seiner Funktionen ent­ hoben werden. Gegen die Beschlüsse findet inner­ halb zwei Wochen die Klage beim BezA. statt, dessen Entscheidungen nur mit der Revision an­ gefochten werden können. Neben den Mitgliedern können nach Maßgabe der Satzung Stellvertreter gewählt werden (§§ 16—22). V. Kosten. Die I. hat alljährlich einen Etat aufzustellen und dem RP. mitzuteilen. Die durch Einnahmen nicht gedeckten Kosten werden nach dem Maßstab der veranlagten Gewerbesteuer ge­ deckt. Beitragspflichtig sind die Wahlberechtigten. Derjenige Teil, der auf Niederlassungen, Betriebe und Betriebsstätten entfällt, die ihren Sitz nicht im Bezirke der I. haben oder hinsichtlich deren der Besitzer nicht wahlberechtigt ist, bleibt außer An­ rechnung. In Gemeinden, die eine besondere Ge­ werbesteuer eingeführt haben (s. Gemeindege­ werbesteuer), kann mit Genehmigung des HM. durch Beschluß der I. nach Anhörung der Betei­ ligten der auf die Wahlberechtigten der Gemeinde entfallende Betrag durch Zuschläge zu dieser Ge­ werbesteuer erhoben werden. Die Vorsitzenden der Steuerausschüsse haben den I. von Amts wegen eine den Namen, den Wohnort, das Ge­ werbe und den Gewerbesteuerbetrag nachweisende Liste der Steuerpflichtigen des Bezirks mitzu­ teilen. Insoweit die Veranlagung sich auf mehrere Niederlassungen, Betriebe oder Betriebsstätten eines Beitragspflichtigen erstreckt, die nicht alle ihren Sitz im Bezirk einer I. haben oder hin­ sichtlich deren der Besitzer nicht wahlberechtigt ist, ist auf Antrag der I., die die Betriebe usw. genau bezeichnen muß (Erl. vom 16. 11. 1897), vom Vorsitzenden des Steuerausschusses der auf die abgabepflichtigen Niederlassungen usw. ent­ fallende Teilbetrag festzustellen und dem Abgabe­ pflichtigen mitzuteilen. S. auch OVG. 48, 315 und Erl. vom 29.9.1910 (HMBl. 561). Hiergegen steht diesen binnen vier Wochen die Berufung an die Bezirksregierung zu, die endgültig entscheidet. Die Beiträge setzt die I. fest. Die Gemeinde- und Gutsbezirke haben aus Ersuchen der I. gegen eine Vergütung von höchstens 3% die eingezogenen Beiträge durch Vermittlung der Kreis (Steuer-) kassen an die I. abzuführen. Die I. kann nur einen Teil der Beiträge den Gemeinden zur Einziehung überweisen (Erl. vom 5. 9. 1907, HMBl. 324). Rückständige Beiträge werden von den Gemein­ den im Verwaltungszwangsversahren (s. d.) bei­ getrieben. Einsprüche, die eine aufschiebende Wir­ kung nicht haben, sind binnen zwei Wochen nach der Zahlungsaufforderung bei der I. anzubrin­ gen, die darüber entscheidet. Die Unterzeichnung durch den Syndikus obat einen anderen Beamten genügt nicht (OVG. vom 25. 10. 1917, HMBl. 18, 87). Gegen den Beschluß findet innerhalb zwei Wochen nach der Zustellung die Klage beim BezA. statt, dessen Entscheidung nur durch Re­ vision angefochten werden kann. Einsprüche, die sich gegen die Veranlagung der zugrunde ge­ legten Gewerbesteuern richten, sind unzulässig. Wird aber infolge von Rechtsmitteln die

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Industrie- und Handelstag, deutscher — Inflation

Veranlagung zur Gewerbesteuer geändert, so ist von Amts wegen der Kammerbeitrag, auch wenn die Einspruchsfrist verstrichen ist, zu berich­ tigen (Erl. vom 14.11.1901, HMBl. 297 und vom 20. 2. 1902, HMBl. 104; OVG. 39, 302). Das Verwaltungsstreitverfahren ist in diesen Fällen aber nicht zulässig (OVG. 53, 369). Die I. kann zur Deckung der Kosten für Anstalten und Ein­ richtungen, die ausschließlich für einzelne Teile des Bezirkes oder für einzelne Betriebszweige be­ stimmt sind oder ihnen vorzugsweise zugute kom­ men, die betreffenden Beitragspflichtigen mit Genehmigung des HM. besonders belasten. Sol­ len mehr als 10% der Gewerbesteuer erhoben werden, so ist die Genehmigung des HM. erfor­ derlich, der die Gesamtsumme der Kosten so weit herabsetzen kann, daß 10% nicht überschritten werden (§§ 23—31). Wegen der gleichzeitigen Heranziehung gewerblicher Betriebe zu den Kosten der I. und der Handwerkskammern s. Hand­ werkskammern VII. VI. Geschäftsführung. Zu Anfang jedes Jahres wählt die I. einen Vorsitzenden und einen oder zwei Stellvertreter. Scheidet einer der Ge­ wählten aus, so ist für den Rest des Jahres eine Neuwahl vorzunehmen (§ 32). Die Mitglieder der I. erhalten nur die für die Erledigung einzel­ ner Aufträge ihnen erwachsenden baren Auslagen erstattet. Auch kann ihnen eine den baren Aus­ lagen für die Teilnahme an den Sitzungen ent­ sprechende Entschädigung gewährt werden. Die Beamten der I. sind mittelbare Staatsbeamte (OVG. 19, 62) und als solche zu vereidigen (Erl. vom 20. 6. 1901, HMBl. 116, und vom 30. 7. 1901, HMBl. 169). Die I. kann die Öffentlichkeit der Sitzungen beschließen, soweit nicht Gegenstände zur Beratung stehen, deren öffentliche Behandlung von den Behörden nicht gewünscht oder von der I. nicht für zweckmäßig befunden wird (§ 33). Beschlüsse der I. werden in der Regel durch Stimmenmehrheit gefaßt, gu einem gültigen Beschluß ist die Ladung aller Mit­ glieder unter Mitteilung der Beratungsgegen­ stände und die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder erforderlich. Uber jede Beratung ist eine Niederschrift auszunehmen (§ 34). Die I. hat juristische Persönlichkeit; sie wird durch ihren Vorsitzenden nach außen ver­ treten. Urkunden, die die I. verpflichten, müssen unter ihrem Namen vom Vorsitzenden und einem Mitgliede vollzogen werden (§ 35). Das Siegel der I. enthält den heraldischen Adler mit der Um­ schrift; „Industrie- und Handelskammer zu (für). .." Die I. kann unmittelbar an Zentral­ behörden berichten, doch ist der beteiligten Pro­ vinzialbehörde hiervon Mitteilung zu machen. Die Geschäftsführung wird im übrigen durch eine dem RP. mitzuteilende Geschäftsordnung geregelt (§§ 36, 37). Zum Erwerbe von Grundstücken im Werte von mehr als 5000 M bedarf die I. der Genehmigung des HM. (KG. Beschl. vom 4. 7. 1910, HMBl. 450). Die Angestellten der I. sind von der Versicherungspflicht nach dem AVG. be­ freit (Erl. vom 31. 3. 1913, HMBl. 255). F.H.

Jahre 1861 zu dem Zwecke gegründet, Deutsch­ lands Industrie und Handel zu fördern. Es können ihm Handelskammern und ähnliche ösfentlichrechtliche Körperschaften im Deutschen Reich beitreten. Besondere Ausschüsse sind gebildet für Verkehr, Bankwesen, Patentsachen, Steuerange­ legenheiten, Außenhandel, Einzelhandel und Sozialpolitik. Zeitschrift „Deutsche Wirtschafts­ zeitung". F. H. Inflation. I. Unter I. versteht man im all­ gemeinen die Überflutung des Verkehrs durch papierene uneinlösbare Geldzeichen als Geldbeschassungsmittel mit der Wirkung der Preis­ steigerung. Gleichzusetzen den Zahlungsmitteln sind in diesem Zusammenhänge alle öffentlichen oder privaten Guthaben (Giralgelder) bei der Notenbank oder einer anderen Papiergeld aus­ gebenden Stelle, die durch Abhebung ohne wei­ teres den Bargeldumlauf vermehren. Ein ein­ deutiger Begriff ist die I. nicht, sondern eher ein währungspolitisches Schlagwort, dessen Gebrauch während des amerikanischen Bürgerkrieges auf­ gekommen zu sein scheint. Seine Entstehung ist auf den bildlichen Vergleich mit einem Ball mit elastischen Wänden zurückzuführen, der über ein gewisses Maß hinaus aufgebläht wird. Der Ball ist der Verkehr, in den die Zahlungsmittel hin­ eingepreßt werden. In dem künstlich vergrößer­ ten Raume stehen sich gegenüber das vermehrte Angebot von Geld und eine gleichbleibende oder nicht entsprechend vermehrte Güterproduktion, deren Wert infolgedessen, ausgedrückt in dem in den Verkehr hineingepreßten Geld, steigt. Aus­ gangspunkt der I. ist in den meisten Fällen ein Geldbedarf des Staates. Der Staat wird im all­ gemeinen zur Geldschöpfung nur schreiten, wenn er Anleihen nicht unterbringen und auch sonstige Kredite sich nicht beschaffen kann. Die Geld­ sabrikation zum Zwecke der Deckung des Staats­ bedarfs ist gefährlich; wenn sie auch zunächst wie ein Lebenselixier auf einen gelähmten Körper wirkt, so führt sie doch bald zum Zusammen­ bruch, weil dem Körper ein Gift zugeleitet wor­ den ist. Wenn die I. auch im allgemeinen als eine Überflutung des Verkehrs mit papierenen Zahlungsmitteln gilt, so hat die Erfahrung ge­ lehrt, daß auch ein Übermaß der Neuprägung von Münzen, selbst vollwertiger Münzen, Preis­ erhöhungen herbeiführen kann. Selbst die Gold­ währung (s. Währung) in strengster Form kann eine inflationistische Steigerung der Preise und Löhne nicht verhüten (Schweden im Welt­ kriege), wenn die Geldversorgung ein gewisses Maß überschreitet, wie umgekehrt Emissionen papierener Zahlungsmittel trotz erheblicher Über­ schreitung des vorhandenen zur Deckung dienen­ den Metallvorrats oder auch reine Papiergeld­ emissionen nicht immer Jnflationserscheinungen hervorgerufen haben. An dem Unterschiede von Metall und Papier kann also der Übelstand der Inflation nicht ohne weiteres liegen. Er ist viel­ mehr, wenngleich die I. einen bedrohlichen Charakter zumeist bei der hemmungslosen Ver­ mehrung des Papiergeldes angenommen hat, all­ gemein in der Störung des Gleichgewichts zwi­ Lusensky, Gesetz über die Handelskammern, 1909; v. Brauchilsch, Preuß. Berwallungsgesetze Bd. 4, 1926; schen der Summe von Gütern und Leistungen, die Reitz, Gesetz über die Handelskammern, 1907. der Volkswirtschaft zur Verfügung stehen, und Industrie- und HandelStag, deutscher, ist als der Geldschöpfung zu suchen. Für dieses Über­ Spitzenorganisation der deutschen Industrie im maß der Geldschöpfung braucht nicht der Staat

Inflation verantwortlich zu sein. Finanzielle Verlegen­ heiten des Staates bilden einen Hauptentstehungs­ grund, aber längst nicht den einzigen. Ein unge­ zügelter industrieller und kommerzieller Unter­ nehmungsgeist kann dieselbe Wirkung wie die Zer­ rüttung der Staatsfinanzen ausüben, dort näm­ lich, wo die Bankgesetzgebung versäumt hat, die von der volkswirtschaftlichen Einsicht oder Er­ fahrung gebotenen Schranken für die Notenaus­ gabe auszurichten. Es kommt im Grunde auf dasselbe hinaus, ob der Staat als Schöpfer des Papiergeldes auftritt, um sich seiner Verpflich­ tungen zu entledigen, oder ob eine privilegierte Bank ihre Notenemissionen zu schwindelnder Höhe steigert, um staatliche oder private Kreditbedürsnisse zu befriedigen. Ja, selbst ein von der Schaffung eigentlichen Geldes unabhängiger übermäßiger Umlauf von Wechseln kann in­ flationistische Erscheinungen zeitigen. Die Steige­ rung der Preise und Löhne ist das charakteristische Zeichen der I. Aber man kann nicht folgern, daß jede Preissteigerung ein Beweis für das Vor­ handensein einer I. ist. Die Gründe der Preis­ steigerung können vielmehr in einer Hemmung der Produktion, in einer durch irgendwelche Er­ eignisse hervorgerufenen Zunahme der Nachfrage usw. zu suchen sein. Letzten Endes ist freilich auch dann die Ursache der Preissteigerung eine Störung des Gleichgewichts zwischen Warenentstehung oder Warenvorräten einerseits und dem Geld­ angebot andererseits. Aber diese Gleichgewichts­ störung. ist nicht die Folge einer gleichsam künst­ lichen Geldvermehrung. Ein zweites Moment, das das Vorliegen einer I. kennzeichnen kann, ist eine Störung im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Markte der ausländischen Zah­ lungsmittel. Ausgangspunkt ist hier, daß die Forderungsbilanz des Landes, in dem I. herrscht, sich gegenüber dem Auslande ungünstig gestaltet. Das bedingt eine vergrößerte Nachfrage nach aus­ ländischen Zahlungsmitteln und ein vergrößertes Angebot des durch I. vermehrten Geldes. Die Erfahrungen, die bei uns in der Bnflationsperiode im Kriege und nach dem Kriege gemacht worden sind, lehren, daß die durch I. verringerte Zahl­ kraft des Geldes im Jnlande und Auslande ver­ schieden sein kann. Allerdings ist dabei zu be­ achten, daß Deutschland von dem natürlichen Warenaustausch mit der übrigen Welt nahezu ab­ geschlossen war und daß die Preise durch die not­ wendig gewordene Zwangswirtschaft einer künst­ lichen Regulierung unterworfen wurden. Auf diese Weise wurde insbesondere das Verhältnis der Waren, Mieten und Löhne untereinander aus dem natürlichen Zusammenhänge herausgerissen, und es ergab sich, daß man die Mark im Jnlande vorteilhafter verwerten konnte als im Auslande, d. h. die Preise der Waren usw. waren im Jn­ lande niedriger als im Auslande. Infolgedessen wanderten große Warenmengen nach dem Aus­ lande, eine Entwicklung, die die Entblößung Deutschlands von Waren mehr und mehr steigerte, bis im letzten Stadium der I. die umgekehrte Ent­ wicklung Platz griff und die Preise im Jnlande mehr stiegen, als der Entwertung der Mark, an den ausländischen Zahlungsmitteln gemessen, entsprach. Das wichtigste Erfordernis für die Beseitigung der I. ist die Ausbalanzierung des Staatshaushalts und die Herstellung des Gleich­

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gewichts zwischen den Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Auslande und den Forderungen an das Ausland. Hierfür ist wiederum Vorbe­ dingung Steigerung der Güterproduktion und gleichwohl Eindämmung des inländischen Ver­ brauchs, damit mit Hilfe der durch die gesteigerte Warenherstellung ermöglichten Ausfuhr Forde­ rungen im Auslande begründet werden können, die die Verpflichtungen mindern. Zu demselben Ziele führt die Eindämmung der Einfuhr aus dem Auslande, die ebenfalls Sparsamkeit im inländi­ schen Verbrauch und erhöhte Güterproduktion zur Voraussetzung hat. Welche Mittel dann noch im besonderen angewandt werden müssen, ent­ weder einen als Kern der Währung dienenden Metallschutz anzusammeln oder in anderer Weise die Währung zu verteidigen, ist mehr eine tech­ nische Frage, für deren Lösung nicht immer die eigenen Kräfte ausreichen werden. Mit der Be­ endigung der I. können hinsichtlich des Geldwerts verschiedene Ziele verfolgt werden; soll der Geld­ wert auf den früheren oder jedenfalls auf einen höheren Wert als den durch die I. geschaffenen gehoben oder soll die eingetretene Geldentwertung anerkannt (Devalvation) und nur das entstandene Wertniveau gestützt werden. In beiden Fällen ist das Hauptziel die Stabilisierung der Währung, zu deren Erreichung eine mehr oder minder große Einschränkung des Geldumlaufs, eine Deflation (als Gegenbewegung zur I.) er­ forderlich wird. II. Von den I. früherer Zeiten sind die be­ merkenswertesten die Assignatenwirtschaft zur Zeit der großen Revolution in Frankreich, die Papiergeldausgabe während des Sezessions­ krieges in den Bereinigten Staaten, die Papier­ währungen in Chile und Argentinien und die Ver­ mehrung des Staatspapiergeldes in Österreich in den Jahren 1848, 1859 und 1866. Der preuß. Staat kennt aus dem vorigen Jahrhundert eine Jnflationsperiode nach Jena, die aber auch nicht entfernt in Vergleich gestellt werden kann mit der aus dem Weltkrieg hervorgegangenen I. Es handelt sich um die preußischen Tresorscheine, die auf Grund einer Kgl. V. vom 4. 2. 1806 aus­ gegeben wurden, angeblich weil es dem Verkehr an Zahlungsmitteln fehlte. Die Tresorscheine sollten in Silberkurant eingelöst werden. Sie wurden an der Berliner Börse wie andere Wert­ papiere umgesetzt. In den Berliner Börsenkurs­ zetteln ist Anfang Dezember 1806 ein Kurs von 98, Anfang Januar 1807 von 91 % verzeichnet. Die Gerichte entschieden allerdings, daß Tresorscheine nach dem Nennwert anzunehmen seien. Die Be­ satzungsbehörde suchte im gleichen Sinne zu wir­ ken, indem sie in immer neuen Bekanntmachungen an den Zwangskurs erinnerte. Da sie aber bei Kontributionen und Steuern selbst die Scheine gar nicht oder nur zu einem Bruchteil des Ge­ samtbetrags anzunehmen begann, sank der Kurs immer tiefer. Im Juli 1808 war der Kurs der Tresorscheine auf 27 gefallen; er hob sich dann langsam bis Ende November auf 74. Die nächsten Jahre brachten erhebliche Schwankungen: Wäh­ rend des Jahres 1810 überstieg der Kurs der Tresorscheine zeitweilig 90% und sank bis auf 38% im November 1812, bis auf 24% im Juni 1813. Von da an hob er sich wieder allmählich, bis er Ende 1815 den Paristand fast wieher er-

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reichte. Am 9. 7. 1815 wurden die Platten, die zur Herstellung der Tresorscheine gedient hatten, vernichtet. Hierin folgte man dem Vorbild der französischen Direktorialregierung, die, um der I. Einhalt zu tun, am 23. 11. 1795 durch ein G. die Vernichtung der Assignatenpresse ankündigte und diesen Akt am 17. 2. 1796 feierlich vollzog, gleichzeitig freilich eine neue Papiergeldart ein­ führte, die „mandats territoriaux“. Im Jahre 1824 wurden in Preußen die Tresorscheine und gleichfalls ausgegebenen Talerscheine durch ein neues Papiergeld, die Kassenanweisungen, er­ setzt, von denen insgesamt IP/4 Millionen Taler ausgegeben wurden. Die Tresorscheine und die später ausgegebenen Kassenanweisungen waren die Vorläufer der Reichskassenscheine (s. d.). Die I., die in Deutschland während des Welt­ krieges einsetzte, nahm einen bedrohlichen Cha­ rakter an, als die Kriegsbedürfnisse nicht mehr durch die Aufnahme von Anleihen befriedigt wurden, sondern das Reich sich die erforderlichen Geldmittel durch die Diskontierung von Schatz­ anweisungen bei der Reichsbank beschaffte. Zwei­ mal im Jahre wurden während des Krieges lang­ fristige Anleihen aufgelegt. Bis zur 4. Kriegs­ anleihe im Frühjahr 1916 einschließlich über­ stiegen die Anleihezeichnungen die schwebende Verschuldung bei der Reichsbank. Der Mehr­ erlös aus den ersten vier Kriegsanleihen über die Schatzanweisungskredite betrug 6,6 Milliarden. Erst die fünfte Kriegsanleihe brachte ein Minus gegenüber der schwebenden Schuld, von der 2,1 Milliarden unfundiert blieben. Dieses Minus steigerte sich bei den folgenden Anleihen nach und nach auf 39 Milliarden M. Nach dem unglück­ lichen Ausgang des Krieges war die Geldbeschaf­ fung erst recht nicht mehr auf dem Wege der An­ leihebegebung möglich. Was die Steuern nicht einbrachten, mußte die Notenpresse decken. Der Erhebung von Steuern waren aber insbesondere im Hinblick auf die Verarmung Deutschlands Grenzen gesetzt. Die Verarmung spiegelte sich aber auch in dem Rückgang der Gütererzeugung wieder, die ohnehin durch den Verlust Deutsch­ lands an wichtigen Produktionsgebieten herab­ gedrückt war. Das wirkte wieder auf den Außen­ handel ein, der, was die Ausfuhr anbetrifft, noch besonders durch die protektionistischen Maßnahmen des Auslands gehemmt wurde. Die auf diese Weise herbeigeführte ungünstige Entwicklung der Handelsbilanz mußte die Zahlungsbilanz um so mehr beeinflussen, als die Einnahmen, die Deutschland vor dem Kriege aus ausländischen Wertpapieren und aus sonstigen im Auslande an­ gelegten Vermögen, aus Schiffsfrachten, Ver­ sicherungsprämien usw. hatte und die ein starkes Aktivum unserer Zahlungsbilanz bedeuteten, ganz oder zum großen Teil verloren gegangen waren. Die in ausländischer Währung zu leisten­ den Zahlungen auf Grund des Waffenstillstands­ abkommens und des Friedensvertrags, die Zah­ lungen für die Unterhaltung der Besatzungs­ truppen, die Leistungen im Ausgleichsverfahren der Borkriegsschulden und anderes mehr wirkten gleichfalls in der Richtung einer passiven Zah­ lungsbilanz. Große Markbeträge mußten im Auslande angeboten werden und im Zusammen­ hang mit den legitimen und illegitimen Devisen­ käufen verschärfte sich die Entwertung der Mark.

Von großer Bedeutung war hierbei auch das im Inland und Ausland immer weiter um sich greifende Mißtrauen in bezug auf das künftige Schicksal Deutschlands. Es ergab sich die Wechsel­ wirkung, daß einerseits die Entwertung der Va­ luta Ursache für die Verschlechterung des Reichshaushalts wurde, andererseits aber trug die fort­ schreitende Verschlechterung des Etats zum Ver­ fall der Währung mit bei, da zur Deckung des Defizits immer wieder auf die Notenpresse zu­ rückgegriffen werden mußte. Durch Steuern konnte das Defizit auch deshalb nicht gedeckt werden, weil bei der Schnelligkeit der Entwer­ tung die Anpassung der Einnahmen an die Aus­ gaben versagen mußte. Der gesamte Zahlungs­ mittelumlaus hatte in Deutschland zu Beginn des Jahres 1914 ungefähr 6 Milliarden M be­ tragen. Ende des Jahres 1914 betrug der Zah­ lungsmittelumlauf, also Reichsbanknoten, Reichs­ kassenscheine, Darlehnskassenscheine, Privatbank­ noten und Scheidemünzen 7,2 Milliarden M. Im folgenden Jahre stieg der Zahlungsmittelumlaus bis zum 31. 12. auf 9,7 Milliarden und Ende 1916 auf 12,9 Milliarden. Wir sehen hieraus, daß die Progression des Anschwellens sich vergrößerte. 1917 machten sich dann die Wirkungen des sog. Hindenburgprogramms, das die Industrie zu höchsten Leistungen aufrief, auch in der Höhe des Geldmittelumlaufs bemerkbar. Ende 1917 betrug der gesamte Umlauf 19,5 Milliarden und am 7. 11. 1918 bei Einstellung der Feindseligkeiten 28,4 Milliarden. Hierunter waren allein 17 Milli­ arden Reichsbanknoten und 9,6 Milliarden Dar­ lehnskassenscheine. Der Zahlungsmittelumlauf war, aus den Kopf der Bevölkerung gerechnet, im Verlauf des Krieges von etwa 110 aus 430 M gestiegen. Solange die in dieser Steigerung zum Ausdruck kommende zusätzliche Kaufkraft sich in dem Erwerb von Kriegsanleihe oder auch von Titeln der schwebenden Schuld auswirkte, wurden die Gefahren der I. noch verhältnismäßig zurück­ gedämmt. Im Verlaufe des Krieges indessen ist an das Reich immer weniger von der zusätzlichen Kaufkraft, die es in Gestalt von Schatzanweisungen geschaffen hatte, zurückgeslossen. Schon am 31.12. 1917 hatte die Reichsbank von 28,5 Milliarden ausgegebenen Schatzanweisungen die Hälfte im eigenen Besitz, und der Gesamtbetrag der schwe­ benden Schuld des Reiches betrug gegen Schluß des Krieges am 7.11.1918 48,5 Milliarden. Hier­ von befanden sich 19,2 Milliarden im Portefeuille der Reichsbank, denen die entsprechenden in Um­ lauf gesetzten Reichsbanknoten gegenüberstanden. Nach dem Kriege schwoll die schwebende Schuld immer schneller an. Ende 1919 betrug die Summe der vom Reich diskontierten Schatzanweisungen 86 Milliarden, davon befanden sich bei der Reichsbank 41 Milliarden; Ende 1920 152 Milli­ arden und 57 Milliarden; Ende 1921 247 Milli­ arden und 132 Milliarden. Die unheilvolle Ent­ wicklung erreichte mit der Besetzung des Ruhr­ gebiets ihren Höhepunkt. Hatte die gesamte schwebende Schuld des Reichs aus diskontierten Schatzanweisungen Ende 1922 rund P/2 Billi­ onen betragen (davon 1184 Milliarden bei der Reichsbank), so stieg die Summe bis Ende Mai 1923 aus 10^4 Billionen (davon 8 Billionen bei der Reichsbank) und bis zum 15. 11., dem Zeit­ punkt, an dem mir Errichtung der Rentenbank

Inflation

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die Kreditgewährung der Reichsbank an das Reich Geldes (s. Notgeld). Das ReichsG. über die ihr Ende fand, auf 191,6 Trillionen M (davon Ausgabe und Einlösung von Notgeld vom 189.8 bei der Reichsbank). Der Notenumlauf 17. 7. 1922 (RGBl. 693) suchte die Ausgabe von der Reichsbank belief sich Ende Dezember 1922 Notgeld zu regeln, machte sie von der Genehmi­ auf 1,3 Billionen M, Mitte November 1923 auf gung des RFM. abhängig und diese wiederum 92.8 Trillionen M und am 31.12. auf 496,5 Trilli­ wurde nur unter der Bedingung erteilt, daß der onen M. Unter der Einwirkung des Währungs­ Emittent den auszugebenden Notgeldbetrag durch verfalls, der die Teuerung immer mehr steigerte, Ankauf von Reichsschatzwechseln oder durch Er­ stieg auch nicht nur der vom Reich aus an die richtung eines zugunsten des Reichs zu sperren­ Reichsbank herantretende Kreditbedarf, sondern den Guthabens bei der Reichskreditgesellschaft auch die Anforderung von privater Seite. Der sicherstellte. Es sollte damit eine inflatorische Wechselbestand der Reichsbank wuchs von 422 Mil­ Wirkung des Notgeldes verhütet und erreicht liarden M Ende 1922 auf 371 Trillionen am werden, daß Notgeld nur nach Maßgabe des Ver­ 15. 12. 1923. Als Maßstab für den Umfang der kehrs zur Ausgabe kam, nicht aber zum Zwecke Entwertung der Mark wurde in erster Reihe der der Geldmacherei. Im Jahre 1923 hat der Preis für den amerikanischen Dollar angesehen. Betrag des Notgeldes sich außerordentlich er­ Dieser war trotz der verschiedenen Maßnahmen höht, auch wurde die Deckungsvorschrift mehr zur Beschränkung der Spekulation in Devisen und mehr mißachtet. Der Betrag des nicht und der mißbräuchlichen oder nicht durch die Ver­ wertbeständigen Notgeldes soll sich Ende No­ hältnisse unbedingt notwendigen Anschaffung von vember 1923 auf 320 Trillionen M belaufen Devisen (s. den Art. Devisenbeschaffungs­ haben. Bis zum Zeitpunkte der Stabilisierung stelle) und obwohl die Neichsbank einen großen der Währung hatte die Reichsbank Notgeld von Teil des Goldbestandes geopfert hatte, Ende ihren Schuldnern angenommen und ihren eigenen Januar 1923 auf annähernd 50 000 M gestiegen. Noten gleich bewertet. Es sammelten sich infolge­ Um diese Zeit entschloß sich die Neichsbank zu dessen große Notgeldbestände auf der Neichsbank einer weiteren Intervention zwecks Stützung des an. Als die Rentenmark (s. d.) eingeführt wurde, Markkurses unter Einsetzung ihres Goldbestandes. erließ die Reichsbank am 17. 11. 1923 eine Ver­ Dabei ließ man sich durch die Erwägung leiten, fügung, daß die Reichsbankanstalten vom 22. 11. daß infolge des Ruhreinbruchs die Baissespekula­ ab Notgeld nicht mehr in Zahlung nehmen dür­ tion in der Mark mit großen Blankoverkäufen vor­ fen und daß die Emittenten von Notgeld die gegangen war, so daß eine gewisse Wahrscheinlich­ bei der Reichsbank befindlichen Beträge bis keit bestand, daß man durch kräftige Intervention zum 26.11. 1923 einzulösen hätten. Die Un­ den Markkurs heraufsetzen und der Spekulation haltbarkeit der wirtschaftlichen Zustände brachte einen Teil ihres Gewinns wieder entreißen immer mehr Leute auf den Plan, die eine Be­ könnte. Der Hauptzweck war dabei, der Stei­ freiung von den Schrecken der I. herbeizuführen gerung der Lebenshaltungskosten entgegenzu­ suchten. Gegen Ende 1922 gingen die Fabrikanten wirken. In den ersten 14 Tagen des Februar in großem Umfange dazu über, Zahlung in bis zum 16. 2. 1923 gelang es, den Dollar bis auf effektiver Auslandsvaluta zu verlangen. Soweit etwa 19 000 M zu senken. Am 18. 4. 1923 brach die Preisstellung in Mark erfolgte, wurden in die Aktion an der Überfülle der Devisenanforde­ immer kürzeren Zeitabständen die Preise neu rungen der Wirtschaft zusammen; an diesem Tage festgesetzt. Entsprechend den gleitenden Warenstieg der Dollarkurs, der sich mehrere Wochen lang preisen bürgerte sich im Lause des Jahres 1922 aus etwa 21 000 M> gehalten hatte, aus 25 000. die gleitende Lohn- und Gehaltsskala ein. Im Insgesamt wird diese Stützungsaktion der Reichs­ August 1923 ging die Regierung dazu über, die bank mehr als 300 Millionen Goldmark entzogen Steuern auf Goldwert umzustellen. Zu gleicher haben. Ein weiterer, aber schwächerer Stützungs­ Zeit erfolgte die Auflegung einer wertbeständigen versuch ist noch einmal im Juli 1923 gemacht Goldanleihe in Höhe von 500 Millionen Gold­ worden. Er wurde unterstützt durch das Verbot mark, die in ausländischen Zahlungsmitteln oder des Devisenhandels zu einem anderen als den in Papiermark gezeichnet werden konnte. Der von der Neichsbank festgesetzten Einheitskurs so­ Zweck der Anleihe war einerseits, das Defizit im wie durch die den Privatbanken gegebene Vor­ Reichshaushalt zu decken, andererseits dem Publi­ schrift, Devisen nur zu kaufen, wenn ein Kunde kum ein Mittel in die Hand zu geben, den Geld­ ein entsprechendes Bargelddepot bei der Bank wert zu sichern. Infolgedessen wurde die An­ unterhielt. Eine nennenswerte Wirkung konnte leihe teilweise in kleinen Stücken ohne Zinsscheine nicht erzielt werden. Mitte Juli 1923 war der geschaffen. Als Endzeitpunkt der I. kann der Dollarpreis 186 000 Mt Ende Juli 1 097 000 M. 15. 11. 1923 angesehen werden. An diesem Tage Ende August betrug der Preis des Dollar wurden die ersten Scheine der Rentenbank 10 274 000 M, Ende September 159 600 000 M, (s. Rentenmark) ausgegeben. Der Reichsbank Ende Oktober mehr als 72 Milliarden M, Mitte wurde die Diskontierung von Wechseln des Reichs November 2T/2 Billionen M. Die Entwertung verboten und damit die Periode der I. beendet. der Mark hatte eine ungeheure Vermehrung der III. Auf Grund der bei der deutschen I. ge­ Papiergeldscheine notwendig gemacht und die sammelten Erfahrungen kann gesagt werden, daß Reichsbank konnte nicht soviel Papiergeld her­ eine I. nicht nur die Preise, sondern auch das ge­ stellen, wie sich als notwendig erwies, obwohl im samte wirtschaftliche und kulturelle Leben eines Jahre 1923 für die Reichsbank 133 Druckereien Volkes beeinflussen kann. Die Wirkungen der I. mit 1783 Maschinen und 30 Papierfabriken tätig auf die Güterproduktion zeigten sich zunächst in waren. Infolgedessen schritten Gemeinden und einer gewissen, durch die Geldflüssigkeit hervor­ Gemeindeverbände, aber auch in großer Zahl gerufenen Scheinblüte. Die Geldentwertung be­ private Unternehmungen zur Schaffung eigenen deutete für den Arbeitnehmer eine Verringerung

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seines Einkommens, für den Arbeitgeber, soweit er seine Ware nach dem Auslande gegen Bezah­ lung in stabiler Währung verkaufte, eine Erhöhung seines Unternehmergewinns. Der Warenhandel zeigte eine treibhausartige Entwicklung, besonders in den Waren des täglichen Bedarfs. Mit Hilfe von Krediten, die in entwertetem Gelde bei ihrer Fälligkeit zurückgezahlt wurden, fanden große Be­ triebserweiterungen statt und wurden große Kon­ zerne gebildet. Am Kapitalmarkt machte sich die I. in einer außerordentlichen Steigerung der Effektenspekulation, an welcher sich die weitesten Kreise des Volkes beteiligten, bemerkbar. Am Geldmarkt stiegen mit der fortschreitenden Ent­ wertung der Mark die Zinssätze zu einer vorher nie gekannten Höhe. Selbst die Reichsbank brachte zuletzt 90% Zinsen für Markkredite in Ansatz. Die Spartätigkeit hörte auf, der Grundsatz Mark gleich Mark begünstigte den Schuldner zum Nachteil des Gläubigers, eine Verarmung weiter Kreise griff Platz, es entstanden die sog. Neureichen. Die Jagd nach Devisen als Wertsicherungsmittel, die Flucht des Kapitals ins Ausland trotz aller Ver­ bote, eine parasitenartige Vermehrung der Bank­ geschäfte waren weitere Begleiterscheinungen der I. No. Banlarchiv, Inflationen, Sonderbeilage zum V. Deut­ schen Bankiertag vom 25. 8. 1920; Bendixen, Das Jnflationsproblem, Finanzwirtschaftl. Zeitsragen, Heft 31, Stuttgart 1917; Hayn, über Geldschöpfung und Inflation, Stuttgart 1921; Lotz, Finanzwissenschaft, 5. Lieferung, S. 798 u. 799, Tübingen 1917; Neichszentrale für Heimat­ dienst, Von der Inflation zur Stabilisierung, Berlin, März 1924; Schacht, Die Stabilisierung der Mark, Berlin und Leipzig 1924; Worbs, Deflation oder Devalvation, Greifs­ wald 1926.

Jnflationsteuern (vgl. auch Hauszinssteuer, Obligationensteuer). I. Allgemeines. Während der Zeit fort­ schreitender Geldentwertung (Inflation) ist den Schuldnern von Marksorderungen, die den Zwangskurs der Mark nutzen konnten, der Betrag als Gewinn zugefallen, um den die Kaufkraft des Geldes zur Zeit der Tilgung der Schuld hinter der Kaufkraft zur Zeit ihrer Entstehung zurückliegt. Solange die Wirtschaft noch die Formel „Mark gleich Mark" anerkannte, der De­ visen- und Sachwerthunger noch nicht eingesetzt hatte, ist dieser Gewinn zumeist durch entsprechende Verluste ausgeglichen worden. Später, insbeson­ dere in der Blütezeit der Inflation, ist die Mög­ lichkeit des Gewinns bewußt ausgenutzt worden. Die auf dem Rücken der Geldentwertung er­ zielten Gewinne durch eine Rückumschichtung auszugleichen, ist an sich ein bestechender Gedanke. Es machte sich um die Zeit der Stabilisierung der Wunsch geltend, mit einer besonderen Steuer einzugreifen. Dieser Wunsch wurde verstärkt durch den Gedanken, daß die Rückführung der Jnflationsgewinne in die öffentliche Hand aus dem Umwege über die Aufwertung der öffent­ lichen Anleihen zur Rückbildung der Vermögen, zum Wiederaufbau verlorener Kuliurvermögen beitragen könne. Schon bei der ersten Prüfung der gesamten Frage hat man erkannt, daß bei einem gerechten Besteuerungsverfahren Jnslationsverluste gegen Jnflationsgewinne aufgerech­ net werden müßten und nur der Gewinnüberschuß aus der Geldentwertung dem Steuerfiskus zur Verfügung stehen dürfe. Man wurde sich auch der außerordentlichen Schwierigkeiten bewußt,

die in der Bestimmung des Steuergegenstandes, seiner Bewertung und in der Höhe des Steuer­ satzes ruhten, die ferner darin lagen, daß Ge­ winne durch die Deflationskrise, die nach der Stabilisierung der Währung einsetzte, vielfach zerstört waren, daß sie für Anlagewerte verbraucht waren, die dem Gesamtbetrieb häufig nur totes Kapital waren, und aus denen die Steuer in der Zeit der Betriebsmittelknappheit nur schwer herausgezogen werden konnte, daß bei Be­ schränkung aus Einzelgewinne der Gedanke ge­ rechter Belastung Not leide, und daß der Ertrag der Steuer den Aufwand unter Umständen nicht lohne. Wenn sich auch die Bedenken minderten, wenn man die Wegsteuerung der Inflations­ gewinne auf einen geringen Teil des Gewinns beschränkte und durch Verteilung der Last auf einen längeren Zeitraum weniger fühlbar machte, so blieben doch die Schwierigkeiten so groß, daß nur mit aller Vorsicht der praktischen Durchfüh­ rung nähergetreten werden durfte. II. Die Regelung der 3. StNotV. In Würdigung aller Gründe für und wider die volks­ tümliche Forderung, die Jnflationsgewinne für die öffentliche Hand zu ersassen, hat die 3. StNotB. die Frage nur zum Teil gelöst, zum Teil die Voraussetzungen geschaffen, eine zutreffende Regelung zu finden. Die Verschiedenheit und große Zahl der modernen Kreditformen, die Ver­ schiedenartigkeit der Kreditvermittlung und Kre­ ditgewährung haben die Regelung in Form eines einzigen, alle Schuldverhältnisse umspannenden G. nicht erlaubt. Daher hat die 3. StNotV. ein in sich geschlossenes dreiteiliges System von I. für die gesetzgeberische Regelung aufgestellt, das alle in Frage kommenden Kreditverhältnisse um­ schließt; Langfristige Kredite: Geldentwertungs­ ausgleich bei Schuldverschreibungen (Obliga­ tionensteuer), Geldentwertungsausgleich bei be­ bauten Grundstücken (Hauszinssteuer), Geld­ entwertungsausgleich bei unbebauten Grund­ stücken; kurzfristige Kredite: Wechselkreditsteuer, Lombardkreditsteuer, Kontokorrentkreditsteuer; Sonderkredite und kreditähnliche Ver­ hältnisse: Holzkreditsteuer, Notgeldsteuer. I. Die Erfassung der bei langfristigen Kre­ diten erzielten Geldentwertungsgewinne hat die 3. StNotV. durch ihre Aufwertungsbestimmungen (jetzt maßgebend AufwertungsG. vom 16.7.1925, RGBl. I 117, AnleiheablösungsG. vom 16. 7. 1925, RGBl. I 137) und durch I. geregelt; die Landwirtschaft trägt die Rentenbankbelastung. Beim unbebauten Grundbesitz ist die Möglichkeit vorgesehen, daß die Länder von den Eigentümern solcher Grundstücke, die nicht der Hauszinssteuer unterliegen und die mit einer auf Reichsmark lautenden Hypothek, Reallast, Grundschuld oder Rentenschuld belastet sind oder in der Zeit vom 1. 1. 1919 bis 14. 2. 1924 belastet gewesen sind, eine Abgabe erheben können (§ 33 3. StNotV.). Der städtische Grundbesitz ist zugunsten der Länder mit dem Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken, der Hauszinssteuer, belastet (s. Art. H aus zinsst eu e r). Wegen der Entschuldung durch den Wegfall der Obligationen wurden Industrie und Handel mit der Jndustriebelastung von

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Influenza der Pferde 5 Milliarden (j. Art. Industrie!) elastung) und der Obligationensteuer (s. Art. Obligationen­ steuer) belegt. Die ungesicherten Darlehen auf lange Frist spielten einerseits keine erhebliche Rolle, sie unterliegen auf der anderen Seite auch nicht den Einschränkungen der Aufwertungs­ bestimmungen, so daß hier eine Jndividualauswertung möglich war und kein Raum für eine Jnslationsbesteuerung. 2. Die kurzfristigen Kredite und die Son­ derkredite ließen infolge der Schwierigkeit der Materie keine sofortige Einführung einer Steuer zu. Die Voraussetzungen für eine den Wirtschafts­ notwendigkeiten angepaßte Erfassung mußten erst sorgfältig geprüft werden. Die Prüfung der Frage ist durch das RFM. vorgenommen worden und dem RT. in einer „Denkschrift über den Aus­ bau der Besteuerung von Jnflationsgewinnen" vorgelegt worden, nachdem der 18. Aus schuß des RT. in einer Entschließung vom 3. 4. 1925 um die Vorlage einer solchen Denkschrift ersucht hatte (Reichstagsdrucks. III 1924/25 Nr. 803). Die 3. StNotB. hat bei den kurzfristigen Krediten die Möglichkeit geschaffen, alles Material für die Prüfung der Besteuerungsfrage zusammenzu­ tragen (§ 24 der 3. StNotB.). Für die bei der Ausgabe von Notgeld erzielten Gewinne hat § 25 der 3. StNotB. den RFM. sogar ermächtigt, eine Steuer bis zu 80% des Gewinns zu erheben. Gerade durch die Ausgabe von Notgeld waren den Altsgebern erhebliche Gewinne zugeflossen. Durch § 37 der 3. StNotB. wurden die Länder ermächtigt, eine Abgabe von den Personen zu er­ heben, die infolge der Kredite bei Holzverkäufen aus Forsten öffentlicher Körperschaften Gewinne erzielt haben. III. Ergebnis der Prüfung bei den kurzfristigen und Sonderkrediten. Die Nachprüfung der gesamten Fragen hat zu dem Ergebnis geführt, daß außer den erwähnten be­ reits beschlossenen I. der Erfassung kurzfristiger Kredite selbst zu einem mäßigen Steuersatz die erheblichsten Schwierigkeiten entgegenstehen. Diese wurden gefunden einmal darin, daß es volks­ wirtschaftlich unerträglich schien, derartige zu­ sätzliche Sonderlasten attfzulegen, wenn die üb­ rigen Steuergesetze, ohne die Sonderlasten 311 be­ rücksichtigen, erlassen und durchgesührt sind. Die Aufbringung dieser Sonderlasten hätte zur Ver­ schleuderung von Substanzwerten führen müssen. Der Kapitalmarkt Deutschlands wäre nicht in der Lage gewesen, den Anforderungen aus einer Son­ derbesteuerung großen Allsmaßes gerecht zu wer­ den. Eine neue Inflation lväre damit in bedenk­ liche Nähe gerückt worden. Neben diese volkswirt­ schaftlichen traten die mindestens ebenso wichtigen steuertechnischen Bedenken. Es ist fast völlig unmöglich, den Jnslationsgewinn genau festzu­ stellen. Man kann wohl den Geldwertunterschied einer einzelnen Forderung zur Zeit ihrer Entstehullg und ihrer Tilgung ermitteln. Das ist aber ein fiktiver, theoretischer oder höchstmöglicher Jnslationsgewinn. Mit ihm ist über den wirk­ lichen, tatsächlichen Jnslationsgewinn noch nichts gesagt. Ist der Kredit von den ausnutzenden Kreditnehmern aber weitergegeben worden, so besteht überhaupt kein Jnslationsgewinn. Häufig konnte der Kredit nicht zu Sachwertanlagen ver­ wendet werden, so daß der Kredit in Händen des

Nehmers selbst schon entwertete. Der endgültige Gewinn einer einzelnen Person könnte daher nur durch eine Saldierung sämtlicher Inflations­ gewinn- und Jnflationsverlustposten aus allen Formen des Kredits festgestellt werden. Jedem einzelnen Kreditgeschäft aber in seinem gesamten Wirtschaftsverlauf nachzugehen, ist steuerlich un­ tragbar. Selbst bei einer niedrigen Ansetzung der Steuer gegenüber dem gesamten fiktiv errech­ neten Gewinn, wären alle Unbilligkeiten nicht ausgeglichen. Auch die sachliche und zeitliche Be­ schränkung des Steuerobjekts könnte die Steuer nicht gerechter machen. Bei der Notgeldausgabe mußte insbesondere bedacht werden, daß die hauptsächlichsten Emittenten von Notgeld Kom­ munen waren. Wären diese zu einer Steuer herangezogen worden, so hätten sie die Last auf ihre Steuerunterworfenen weiterwälzen müssen. Die Reg. ist daher zu der Meinung gekommen, daß außer der Hauszinssteuer, Rentenbank- und Jndustriebelastung sowie der Obligationensteuer eine I. nicht tragbar sei. Diesen Erwägungen hat sich der RT. angeschlossen. IV. Jnslationsbesteuerung in Form der Vermögenszuwachs- oder Vermögens­ erhaltungssteuer. Die großen Schwierigkeiten, die der Besteuerung der Jnflationsgewinne an Hand der einzelnen Kreditformen zustanden, haben zu dem Gedanken geführt, die Inflations­ gewinnsteuer durch eine allgemeine Vermögens­ zuwachs- und Berrnögenserhaltungssteuer abzu­ lösen. Mit dieser Frage setzt sich die genannte Denkschrift des RFM. in einem zweiten Teil aus­ einander. Aus wirtschaftlichen und insbesondere technischen Gründen kommt sie ebenfalls zu einem negativen Ergebnis. Rps. Influenza der Pferde. Der Begriff der I. umfaßt zwei ihrem Wesen nach verschiedene seuchenhafte Krankheiten der Pferde: die Brust­ seuche, die eine ansteckende Lungenbrustsellentzündung ist; die andere, die durch hochfieberhafte Allgemeinerkrankung, durch Schwellungen der Haut und Augenschleimhaut sowie durch Ent­ zündung der Magen- und Darmschleimhaut ge­ kennzeichnet wird. Diese Krankheit wird als Pferdestaupe oder Notlaufseuche oder I. im engeren Sinne bezeichnet (näheres in der im MBlMfL. 1908, 367 abgedruckten gemeinsaßlichen Belehrung). Die Pferdestaupe gehört zu den mild verlaufenden Seuchen mit durchschnitt­ lich geringer Sterblichkeitsziffer. Die Übertrag­ barkeit ist jedoch groß. Bei der Brustseuche ist der Verlauf unregelmäßig und die Sterblichkeits­ ziffer wechselnd, im ganzen aber erheblich höher als bei der Pferdestaupe. Die Brustseuche kommt vielfach in größeren Pferdebeständen vor, beson­ ders auch bei den Militärpferden, und wirkt häufig störend auf die Verwendungsfähigkeit der berit­ tenen Truppenteile ein. — Durch Bek. des RK. vom 29. 7. 1908 (RGBl. 479) war für die I. die Anzeigepflicht (s. Viehseuchen V) eingeführt. Die im Anschluß an die Einführung der Anzeige­ pflicht angeordneten veterinärpolizeilichen Bekämpsungsmaßnahmen hatten jedoch vielfach nicht den gewünschten Erfolg. Durch die Anwendung des Salvarsans oder Neosalvarsans, das den Verlauf der Krankheit sehr günstig beeinflußt, wurde die Heilbehandlung auf eine neue Grund­ lage gestellt. Deshalb wurde durch Bek. des

Biller, Handwörterbuch der prenß. Verwaltung, 3. Aufl.

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Jnhaberschuldverschreibungen — Innungen

RMdJ. vom 18. 9. 1920 (RGBl. 1680) die Anzeigepflicht aufgehoben, ebenso wurden durch Erl. des MfL. vom 21. 10. 1920 (MBlMsL. 347) die angeordneten veterinärpolizeilichen Be­ kämpfungsmaßregeln außer Kraft gesetzt. Wegen Entschädigung für Verluste s. Viehseuchen VID. Backh. Jnhaberschuldverschreibungen. I. I. sind Ur­ kunden, in denen dem Inhaber der Urkunde eine Leistung versprochen wird (§ 793 BGB.), im Gegensatz zu den Rekta- oder Namenschuldver­ schreibungen, in denen die Leistung nur einer in der Urkunde bezeichneten Person, und den Order­ papieren, in denen sie einer in der Urkunde be­ zeichneten Person oder demjenigen, auf den die Urkunde durch Indossament übertragen ist, ver­ sprochen wird. Im Inland ausgestellte I., in denen die Zahlung einer bestimmten Geld­ summe versprochen wird, dürfen nur mit staat­ licher Genehmigung in den Verkehr gebracht werden (§ 795 BGB.; strafbar nach § 145a StGB.). Dies gilt nach G. vom 23. 6.1923 (RGBl. I 407) auch für Schuldverschreibungen, in denen die zu zahlende Geldsumme sich nach einem bestimmt bezeichneten Maßstück errechnet. Die Genehmigung wurde in Preußen früher nach G. vom 17. 6.1833 (GS. 75) durch landes­ herrliches Privilegium erteilt. Nach § 795 Abs. 2 BGB. erfolgt sie durch die Zentralbehörde des Landes, in dessen Gebiet der Aussteller seinen Wohnsitz oder seine gewerbliche Niederlassung hat, in Preußen nach Art. 8 der V. zur Aus­ führung des BGB. vom 16. 11. 1899 (GS. 562) durch die zuständigen Minister auf Grund der Ermächtigung des StM., der es aber für Ände­ rungen des Zinssatzes und der sonstigen Aus­ gabebedingungen nicht bedarf. Genehmigung und deren Bedingungen find im Reichsanzeiger bekanntzumachen. Ohne die Genehmigung in den Verkehr gelangte I. sind nichtig; der Aus­ steller hat dem Inhaber Schadensersatz zu lei­ sten. Diese Bestimmungen finden keine Anwen­ dungen auf Reichs- und deutsche Staatsschuldver­ schreibungen (§ 795 BGB.) sowie aus Aktien. Ob die von inländischen Stellen zum Verkehr im Auslande bestimmten, im Auslande ausgefertig­ ten I. ohne Genehmigung in Verkehr gebracht werden können, ist zweifelhaft. In Preußen wird im Gegensatz zu anderen deutschen Ländern sei­ tens der Zentralbehörde die Genehmigung für erforderlich gehalten. II. I. mit Prämien, d. h. solche, welche allen Gläubigern oder einem Teile derselben außer der Zahlung der verschriebenen Geldsumme eine Prämie dergestalt zusichern, daß durch Aus­ losung oder durch eine andere auf den Zufall gestellte Art der Ermittlung die zu prämiierenden Schuldverschreibungen und die Höhe der ihnen zufallenden Prämien bestimmt werden sollen, dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes und nur zum Zwecke der Anleihe eines Bundesstaates oder des Reiches ausgegeben, weiter begeben oder an Börsen gehandelt werden. Zuwiderhand­ lungen werden mit Geldstrafe in Höhe des fünf­ ten Teiles des Nennwertes, mindestens aber mit 300 M bestraft (G. vom 8. 6.1871, RGBl. 210). In der Bildung sog. Prämien- oder Serienlos­ gesellschaften, bei denen die hingegebenen I. auf Prämien nicht in das Eigentum der Gesell-

schafter gelangen, diesen vielmehr nur ein obli­ gatorischer Anspruch auf anteilmäßige Auszah­ lung der Prämien eingeräumt wird, ist die Ver­ anstaltung einer Lotterie zu erblicken (Erl. vom 11. 9. 1907, MBl. 349). III. Für I., bte durch Beschädigung oder Ver­ unstaltung zum Umlaufe nicht mehr geeignet sind, aber ihren wesentlichen Inhalt und ihre Unterscheidungsmerkmale noch mit Sicherheit erkennen lassen, hat der Aussteller auf Verlangen des Inhabers und auf dessen Kosten neue zu er­ teilen. Abhanden gekommene oder vernichtete können, wenn in der Urkunde nicht das Gegen­ teil bestimmt ist, im Aufgebotsverfahren für kraft­ los erklärt werden, jedoch mit Ausnahme von Zins-, Renten- und Gewinnanteilsscheinen sowie der auf Sicht zahlbaren unverzinslichen Schuld­ verschreibungen (§§ 798—800 BGB.). IV. Der Anspruch aus einem I. erlischt, wenn es nicht binnen 30 Jahren nach dem Eintritt der für die Leistung bestimmten Zeit dem Aussteller zur Einlösung vorgelegt wird. Bei Zins-, Nentenund Gewinnanteilsscheinen beträgt die Vor­ legungsfrist vier Jahre, vom Schlüsse des Jahres der Fälligkeit ab. Vorlegungs- und Verjährungs­ frist werden durch Zahlungssperre gehemmt (§§ 801, 802 BGB.). Zinsscheine bleiben in Kraft, auch wenn die Hauptforderung erlischt oder die Verzinsungspflicht aufgehoben oder ge­ ändert wird. Werden solche Zinsscheine bei Ein­ lösung der Hauptschuldverschreibung nicht zurück­ gegeben, so kann Aussteller deren Betrag einbe­ halten. Ist ein Zins-, Renten- oder Gewinn­ anteilschein verloren oder vernichtet und dies vom bisherigen Inhaber dem Aussteller vor Ab­ lauf der Vorlegungsfrist angezeigt, so kann der bisherige Inhaber nach Ablauf der Frist binnen vier Jahren von dem Aussteller die Leistung ver­ langen, es sei denn, daß vor Ablauf der Vorlegungssrist der Schein dem Aussteller zur Ein­ lösung vorgelegt oder der Anspruch aus dem Scheine gerichtlich geltend gemacht worden ist. Dieser Anspruch kann indes in dem Scheine aus­ geschlossen werden. Neue Zins- oder Renten­ scheine für eine Schuldverschreibung auf den Inhaber dürfen an den Inhaber der zum Emp­ fang der Scheine ermächtigenden Urkunde (Talon, Erneuerungsschein) nicht ausgegeben werden, wenn der Inhaber der Schuldverschrei­ bung widerspricht. Umschreibung der I. auf den Namen kann nur durch den Aussteller erfolgen (§§ 803—806 BGB.). Vgl. auch G. vom 4.12. 1899 (RGBl. 691) über die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen, dazu G. vom 12. 12.1924 (RGBl. I 775); ferner die Artikel Anleihen, Reichsanleihen, Steuer­ anleihen, Anleihen der Gemeinden. Inhaltserklärung (im Postzollverkehr) s. Zoll II10 b. Innere Mission s. Wohlfahrtspflege Vb. Innungen. Seit Aufhebung des Zunftzwangs (s. d.) sind die I. lediglich Vereinigungen Ge­ werbetreibender zur Verfolgung gemeinsamer gewerblicher Interessen, die mit gewissen öffent­ lichrechtlichen Befugnissen ausgestattet sind. Die preuß. AllgGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 41) unterschied zwei Gattungen von bestehenden I.,. d. h. die beim Inkrafttreten der GewO, bestehen­ den Korporationen der Gewerbetreibenden, bie

Jnnungsausschüsse — - Jnnungsverbände

mit Beseitigung des Zunftzwangs aber nach voll­ ständiger Umformung fortbestehen bleiben sollten, und neue I., bei denen wieder zwei Unterarten unterschieden wurden, und zwar solche, bei wel­ chen die Mitgliedschaft von einer besonderen Aus­ nahme abhängig war, und solche, bei welchen eine besondere Aufnahme nicht erforderlich war. Die Unterscheidung zwischen bestehenden und neuen I. behielt die GewO, vom 21. 6. 1869 bei. Den alten I. wurde ihr Fortbestand nach Änderung ihrer Statuten in der vorgeschriebenen Weise gewährleistet, während neue I. von Ge­ werbetreibenden gleicher oder verwandter Art mit der Bestätigung ihrer Statuten durch die höheren Verwaltungsbehörden Korporations­ rechte erhielten. Durch die Nov. z. GewO, vom 18. 7.1881 (RGBl. 233), vom 8. 12.1884 (RGBl. 255) und vom 6. 7. 1887 (RGBl. 281) wurde die Verleihung bestimmter Vorrechte, insbesondere des ausschließlichen Rechts zum Halten von Lehr­ lingen durch Jnnungsmitglieder an neue I. zu­ gelassen. Die Nov. z. GewO, vom 26. 7. 1897 (RGBl. 663) hob den Unterschied zwischen be­ stehenden und neuen I. auf und verpflichtete alle beim Inkrafttreten der Novelle bestehenden I., ihre Verfassung den Vorschriften über „Innungen" anzupassen, sofern sie sich nicht, was den mit Vor­ rechten ausgestatteten I. besonders erleichtert war, in ZwJ. umwandelten. I., welche diese Änderung nicht vornahmen, wurden geschlossen. Die GewO, unterscheidet also jetzt zwischen I. (s. Freie Innungen) und ZwJ. (s. d.). Die I. können unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden. Für ihre Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur ihr Vermögen (§ 86 GewO.). Den Jnnungsmitgliedern darf die Ver­ pflichtung zu Handlungen oder Unterlassungen, welche mit den Aufgaben der I. in keiner Ver­ bindung stehen, nicht auferlegt werden. Zu anderen Zwecken als der Erfüllung der statu­ tarisch oder durch das G. bestimmten Aufgaben der I., sowie der Deckung der Kosten der Innungs­ verwaltung dürfen weder Beiträge von den Jnnungsmitgliedern oder von den Gesellen der­ selben erhoben werden, noch Verwendungen aus dem Vermögen der I. erfolgen (§ 88 Abs. 2, 3 GewO.). Arbeitgeberverbänden, die Kampf­ organisationen sind, sollen I. nicht beitreten (Erl. vom 7. 4.1905, HMBl. 92, und vom 27.10.1909, HMBl. 491). Die freien I. können ihren Mitglie­ dern in der Festsetzung der Preise ihrer Waren oder Leistungen (Minimaltarife) oder in der Annahme von Kunden Beschränkungen auferlegen, denen sich die Jnnungsmitglieder durch den Austritt ent­ ziehen können. ZwJ. haben nach § 100q GewO, dieses Recht nicht (KommB. z. Nov. z. GewO, vom 26.6.1897, RTDrucks. Nr. 819 S. 10,11,27). Eine Übersicht über die in Preußen bestehenden I. findet sich im HMBl. 1927, 417. Danach be­ standen am 1. 9. 1927 3561 freie und 6911 ZwJ. F. HJnnungSausschüsse (§§ 101, 102 GewO.). Alle oder mehrere Innungen, die derselben Aufsichts­ behörde unterstehen, können zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen einen gemeinsamen I. ernennen. Es können innerhalb desselben Auf­ sichtsbezirks mehrere I. bestehen, auch können sowohl ZwJ. und srJ. je für sich als auch zu-

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sammen einen I. bilden. Die Errichtung erfolgt durch ein Statut, das von den Jnnungsversammlungen der beteiligten Innungen zu beschließen ist. Das Statut bedarf der Genehmigung des RP., in Berlin des PolPräs. In dem die Ge­ nehmigung versagenden Bescheide sind die Gründe anzugeben. Gegen die Versagung kann binnen vier Wochen Beschwerde an den HM. eingelegt werden. Abänderungen des Statuts unterliegen den gleichen Vorschriften. Die beteiligten In­ nungen können dem I. Rechte und Pflichten übertragen, z. B. die Errichtung einer gemein­ samen Herberge. IKK. kann der I. weder aus eigenem Rechte noch auf Grund einer Ermäch­ tigung beteiligter Innungen errichten. Die Er­ richtung sonstiger Unterstützungskassen erfolgt auf Grund des G. über die privaten Versicherungs­ unternehmungen vom 12. 5. 1901 (RGBl. 139). Da nach diesem G. die Kassen eigene Rechts­ persönlichkeit haben, so ist für die Gründung solcher Kassen die Verleihung der Korporationsrechte an den I. nicht Voraussetzung. Der HM. kann dem I. die Fähigkeit beilegen, unter seinem Namen Rechte zu erwerben, Verbindlichkeiten einzugehen, vor Gericht zu klagen und verklagt zu werden. In solchem Falle haftet den Gläubigern für alle Verbindlichkeiten des I. nur das Vermögen des­ selben. Aufsichtsbehörde ist die uV. (LR., Magi­ strat in Städten über 10000 Einw.), der die gleichen Befugnisse wie gegenüber den Innungen zustehen. Der I. kann auf Klage der Aufsichts­ behörde durch den BezA. geschlossen werden (§ 126 ZG.), wenn er seinen statutarischen Verpflich­ tungen nicht nachkommt, oder wenn er Beschlüsse faßt, die über seine statutarischen Rechte hinaus­ gehen. Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des I. hat die Schließung kraft G. zur Folge. Aus die Verwendung des Vermögens finden die für Innungen maßgeben­ den Vorschriften entsprechend Anwendung. So­ weit das Statut nicht ein anderes bestimmt, ist der Austritt aus dem I. jeder Innung mit Ablauf des Rechnungsjahres gestattet, sofern die Anzeige des Austritts mindestens drei Monate vorher er­ folgt (Ziff. 115, 116 der AusfAnw. z. GewO, vom 1. 5. 1904, HMBl. 123). Nach § 103 f GewO, sind die I. verpflichtet, den von der Hand­ werkskammer (s. d.) innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen Folge zu leisten. Sie können hierzu durch die Aufsichtsbehörde ange­ halten werden; das gilt namentlich für die Beant­ wortung von Anfragen (Ziff. 122 der AusfAnw. z. GewO.). Soweit die Bestimmung des Statuts der I. mit diesen Anordnungen in Widerspruch treten, sind sie unverbindlich. Eine Übersicht über die in Preußen bestehenden I. findet sich im HMBl. 1927, 417. Danach bestanden am 1. 9. 1927 in Preußen 411 I. F. H. Jnnungsschiedtzgerichte sind durch das ArbeitsgerichtsG. vom 23. 12. 1926 (RGBl. I 507) auf­ gehoben. S. Arbeitsgerichte. F. H. Jnnungsverbände (§§ 104—104n GewO.). I. Begriff, Aufgaben. I. sind Vereinigungen von Innungen, die nicht derselben Aufsichtsbe­ hörde unterstehen, zu gemeinsamer Förderung der Interessen der in ihnen vertretenen Gewerbe. Sie sollen die Innungen, Jnnungsausschüsse (s. d.) und Handwerkskammern (s. d.) in der Verfolgung ihrer gesetzlichen Aufgaben, sowie die Behörden 56*

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Jnnungsverbände

durch Vorschläge und Anregungen unterstützen; sie sind befugt, den Arbeitsnachweis (s. d.) zu regeln, sowie Fachschulen (f. d.) zu errichten und zu unter­ stützen. Das Recht, Vorschriften über das Lehr­ lingswesen zu erlassen, haben die I. nicht mehr. Sind dem I. Korporationsrechte verliehen, so ist er befugt, für die Mitglieder der ihm angeschlosse­ nen Innungen und deren Angehörige zur Unter­ stützung in Fällen der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Bedürftigkeit Kassen zu errichten. Die Errichtung von IKK. steht nur Innungen zu. Für Teile des Bezirks können Unterstützungskassen nicht errichtet wer­ den (Erl. vom 9. 5. 1908, HMBl. 211). Die er­ forderlichen Bestimmungen sind in Nebenstatuten (s. d.) zusammenzufassen. Auf die von dem I. er­ richteten Unterstützungskassen finden nach § 122 die Vorschriften des G. über die priv. Versiche­ rungsunternehmungen vom 12. 5. 1901 (RGBl. 139) keine Anwendung. Die Verbandsvorstände sind befugt, in betreff der Verhältnisse der in dem Verbände vertretenen Gewerbe an den HM. oder MdI. Bericht zu erstatten und Anträge zu richten. Sie sind verpflichtet, aus Erfordern dieser Stelle Gutachten über gewerbliche Fragen abzugeben. I. können aus freien Innungen oder aus ZwJ. allein oder aus beiden zusammen bestehen. Ge­ werbevereine und sonstige Handwerkervereini­ gungen dürfen dem Verbände nicht angehören, wohl aber kann einzelnen Gewerbetreibenden das Beitrittsrecht eingeräumt werden. II. Statut. Für den I. ist ein Statut zu er­ richten, welches über die im § 104a bezeichneten Gegenstände Bestimmungen enthalten muß und keine Bestimmung enthalten darf, die mit den ge­ setzlichen Zwecken des Verbands nicht in Verbin­ dung steht oder gesetzlichen Vorschriften zuwider­ läuft. Das Statut und seine Änderungen bedürfen der Genehmigung des NP (in Berlin tritt der PolPräs. in allen Fällen an die Stelle des NP.), wenn der Bezirk über den NegBez. nicht hinaus­ greift, des HM., wenn der Bezirk über einen NegBez. oder den Stadtkreis Berlin, aber nicht über Preußen hinausgeht, des NK., wenn sich der Bezirk über mehrere Länder erstreckt. Die Geneh­ migung ist zu versagen, wenn sich die Zwecke des Verbandes nicht in den gesetzlichen Grenzen hal­ ten oder wenn das Statut den gesetzlichen An­ forderungen nicht entspricht. Außerdem darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn die Zahl der dem Verbände beigetretenen Innungen nicht hinreichend erscheint, um die Zwecke des Ver­ bandes wirksam zu verfolgen. Gegen den ver­ sagenden Bescheid des RP. ist Beschwerde an den HM. zulässig. Das Statut eines Bezirksverbandes, der kein selbständiger I. sein soll, bedarf keiner Ge­ nehmigung (Erl. vom 9. 5. 1908, HMBl. 211). III. Rechtsfähigkeit. Durch Beschluß der Reichsregierung mit Zustimmung des NR. kann I. die Rechtsfähigkeit beigelegt werden. Den Gläubigern haftet für alle Verbindlichkeiten des I. nur das Vermögen desselben. Der I. wird ferner in solchem Falle bei gerichtlichen wie bei außergerichtlichen Verhandlungen durch seinen Vorstand vertreten, zu dessen Legitimation bei allen Rechtsgeschäften die Bescheinigung des RP., in dessen Bezirke der Vorstand seinen Sitz hat, dahin genügt, daß die bezeichneten Personen zur Vertretung des Verbands befugt sind.

IV. Aufsicht. I., denen Korporationsrechte nicht verliehen sind, unterstehen keiner Aufsicht. Dagegen unterliegt der I., dem Korporations­ rechte verliehen sind, der Aufsicht des RP., in dessen Bezirke der Vorstand seinen Sitz hat. Die Aufsichtsbehörde überwacht die Befolgung der ge­ setzlichen und statutarischen Vorschriften und kann dieselben durch Androhung, Festsetzung und Voll­ streckung von Ordnungsstrafen gegen die Inhaber der Ämter des Verbandes erzwingen. Sie ent­ scheidet Streitigkeiten über die Aufnahme und Ausschließung von Verbandsmitgliedern, die Bei­ träge zu den Ausgaben des I., die Wahlen zu den Verbandsämtern, sowie, unbeschadet der Rechte Dritter, über die Rechte und Pflichten der Inhaber derselben. Der Aufsichtsbehörde ist jährlich ein Rechnungsabschluß nebst Vermögensausweis vor­ zulegen. Alle I. haben dem NP. im Monat Januar ein Verzeichnis der ihnen angehörenden Innungen einzureichen. Diesem sind auch die Zu­ sammensetzung des Vorstandes und Veränderun­ gen in derselben anzuzeigen. Eine gleiche Anzeige hat zu erfolgen, wenn der Sitz des Vorstandes an einen anderen Ort verlegt wird. Liegt dieser nicht in dem Bezirke der Aufsichtsbehörde, so ist die An­ zeige an diese und an den RP., in dessen Bezirke der Sitz verlegt wird, gleichzeitig zu richten. Ver­ sammlungen des Verbandsvorstandes und der Vertretung des Verbandes dürfen nur innerhalb des Verbandsbezirkes abgehalten werden. Sie sind dem NP., in dessen Bezirke der Vorstand sei­ nen Sitz hat, sowie dem RP., in dessen Bezirk die Versammlung abgehalten werden soll, unter Ein­ reichung der Tagesordnung mindestens eine Woche vorher anzuzeigen. Dem letzteren steht das Recht zu, die Versammlung zu untersagen, wenn die Tagesordnung Gegenstände umfaßt, welche zu den Zwecken des Verbands nicht in Beziehung stehen, sowie in die Versammlung einen Vertreter zu ent­ senden und durch diesen die Versammlung zu schließen, wenn die Verhandlungen aus Gegen­ stände sich erstrecken, welche zu den Zwecken des Verbands nicht in Beziehung stehen, oder wenn Anträge oder Vorschläge erörtert werden, welche eine Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten. V. Schließung. Alle I. können durch die für die Genehmigung des Statuts zuständige Behörde geschlossen werden, wenn sich ergibt, daß die Ge­ nehmigung hätte versagt werden müssen und die erforderliche Änderung des Statuts innerhalb einer zu setzenden Frist nicht bewirkt wird, wenn der Vf. des NP. über die Untersagung oder Schließung der Verbandsversammlung nicht Folge geleistet ist, oder wenn der Verbandsvor­ stand oder die Vertretung des Verbands sich ge­ setzwidriger Handlungen schuldig macht, welche das Gemeinwohl gefährden, oder wenn sie andere als die gesetzlich zulässigen Zwecke verfolgen. Gegen die Schließung durch den RP. ist die Be­ schwerde zulässig. Bei I., denen Korporations­ rechte verliehen sind, hat die Eröffnung des Kon­ kursverfahrens über das Vermögen die Schlie­ ßung kraft G. zur Folge, der Vorstand hat jedoch die während des Konkursverfahrens dem Gemein­ schuldner zu stehenden Rechte wahrzunehmen. Von dem Zeitpunkte der Auflösung oder Schlie­ ßung ab bleiben die Verbandsmitglieder noch für diejenigen Zahlungen verhaftet, zu welchen sie

Insekten — Jnteressentenvermögen statutarisch für den Fall eigenen Ausscheidens aus den Verbandsverhältnissen verpflichtet sind. Im Falle der Auslösung oder Schließung des I. muß sein Vermögen zuvörderst zur Berichtigung seiner Schulden und zur Erfüllung seiner sonstigen Ver­ bindlichkeiten verwendet werden. War dasselbe bisher ganz oder teilweise zur Unterhaltung von Unterrichtsanstalten oder zu anderen öffentlichen Zwecken bestimmt, so darf der nach Berichtigung seiner Schulden übrigbleibende Teil des Vermö­ gens dieser Bestimmung nicht entzogen werden; über seine fernere Verwendung wird von der für die Genehmigung des Statuts zuständigen Be­ hörde Anordnung getroffen. Diese hat für den Fortbestand der Unterrichtsanstalten oder Unter­ stützungskassen erforderliche Genehmigung her­ beizuführen. Das hiernach verbleibende Nein­ vermögen des I. wird, soweit die Berbandsvertretung nicht anders beschließt, unter die Innun­ gen, welche dem Verbände zur Zeit der Auflösung oder Schließung angehört haben, nach dem Ver­ hältnisse der von ihnen an den Verband in dem der Auslösung oder Schließung vorangegangenen Jahre geleisteten Beiträge verteilt. Streitigkeiten hierüber werden von der Aufsichtsbehörde end­ gültig entschieden. VI.BestehendeJ. Die RP. und der PolPräsin Berlin haben über die in ihrem Verwaltungs­ bezirke bestehenden I. dem HM. alljährlich nach vorgeschriebenem Muster im Februar eine Nach­ weisung einzureichen. Eine Zusammenstellung dieser Nachweisungen wird alljährlich im HMBl. veröffentlicht (Zifs. 123 AusfAnw. z. GewO.). Im Jahre 1925 bestanden in Preußen 77 I. (f. die Nachweisung im HMBl. 1926, 65). F. H. Insekten s. Schädliche Tiere und Pflan­ zen. Inseln. I. (Werder, Wörthe) entstehen, wenn im Bette eines Wasserlaufs eine Erderhöhung hervortritt, die den gewöhnlichen Wasserstand überragt und bei solchem Wasserstand nach keiner Seite hin mit dem Ufer zusammenhängt. Das Eigentum an der trocken gefallenen Fläche er­ leidet durch die Umwandlung in festes Land keine Veränderung, verbleibt mithin in der Regel bei Wasserläufen erster Ordnung dem Staate (Reich), bei Wasserläufen zweiter und dritter Ordnung den Anliegern (§ 14 WG.). Meinungs­ verschiedenheiten wegen der Grenze unter den Anliegern sind nach § 920 BGB. auszutragen. Randflächen von I. haben nicht die Eigenschaft von Ufergrundstücken, Landzuwachs der I. ist nach dem genannten § 14, nicht nach § 17 a. a. O. zu beurteilen (s. Anlandungen). Tritt in einem Wasserlaufe durch Bildung einer I. eine Spaltung ein, so sind die die I. umfließenden Strecken nicht Nebenarme im Sinne des § 2, 2 WG., es verbleibt bei der Einheitlichkeit des Wasser­ laufs (OVG. 42, 233). Nach früher geltendem Recht bestand eine Aneignungsbefugnis für den Flußanlieger (§ 67 II 15; §§ 242ff. I 9 ALR.), unbeschadet der ProvinzialG. und des darin dem Fiskus etwa vorbehaltenen Rechtes. Das Ge­ meine Recht sprach den Anliegern Eigentum kraft Gesetzes zu (RG. in AgrZ. 7,149). Art. 560ff. des Code civil erklärte I. in öffentlichen Flüssen für Staatseigentum. I. beim Ausbau, I. im Meere s. d.; Art. 65 EGBGB. Kr.

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Jnstanzenzug ist die Bezeichnung für den Gang, welchen Klagen und Beschwerden über Entschei­ dungen und Verfügungen der Behörden auf Grund der hierüber bestehenden besonderen ge­ setzlichen Vorschriften oder auf Grund der allge­ meinen Dienstaufsicht bei den übereinander ge­ ordneten Behörden (Instanzen) zu nehmen haben. Bei Petitionen (s. Petitionsrecht), welche.an die parlamentarischen Körperschaften über Maß­ nahmen der Verwaltung gerichtet werden, findet grundsätzlich eine Erörterung so lange nicht statt, als nicht der I. erschöpft ist. Tap. Institut für Binnensischerei s. Landesanstalt für Fischerei in Berlin-Friedrichshagen.

Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch" zu Berlin ist eine im Jahre 1891 errichtete dem MfV. unterstellte, in verschiedene Abtei­ lungen gegliederte wissenschaftliche Anstalt, welche die Bestimmung hat, nicht allein der theoretischen Wissenschaft behufs Erforschung der Krankheits­ erreger, sondern auch der klinischen Praxis zu dienen. Das Institut besteht aus verschiedenen Abteilungen, darunter einer wissenschaftlichen, einer chemischen, einer Abteilung für besonders gefährliche Krankheiten, einer Serumabteilung tmb einer Abteilung für Tropenkrankheiten und Tropenhygiene. Mit ihm ist eine Abteilung für Schutzimpfungen gegen Tollwut vereinigt. Es steht unter Leitung eines Präsidenten, an der Spitze der Abteilungen stehen Abteilungsdirek­ toren oder Abteilungsleiter. Bsch. Jnstleute s. Gesinde. Interessensphäre ist die Bezeichnung für solche einer Staatshoheit bisher nicht unterworfenen Gebiete, welche auf Grund völkerrechtlicher Ab­ kommen bestimmten Staaten für die Ausdehnung ihrer Kolonien Vorbehalten sind. Die I., auch „Hinterland" genannt, stellt eine Vorstufe des Staatsgebietes dar. In ihr steht dem Staat ein ausschließliches Okkupationsrecht, sowie das Recht zu, schon vor vollzogener Okkupation die Ausübung fremder Staatsgewalt auszuschließen. Mit der fortschreitenden Einrichtung von Ver­ waltung und Rechtspflege wird die I. allmählich zum Staatsgebiet, ohne daß es dabei einer be­ sonderen Mitteilung an andere Mächte bedürfte. Das Deutsche Reich hatte, nachdem es Kolonial­ macht geworden war, Abkommen über die Ver­ teilung von I. wiederholt abgeschlossen, insbe­ sondere mit England (s. u. a. Deutsch-englisches Abkommen vom 1. 7. 1890; Reichstagsdrucks, von 1890). Mit dem infolge des Versailler Vertrages eingetretenen Verlust der deutschen Schutzgebiete haben diese Abkommen ihre Bedeutung ver­ loren. Fro. v. Liszt-Fleischmann, Völkerrecht 1925, S. 137.

Jnteressentenforsten s. Gemeinde- und An­ staltsforsten sowie Forsten. Jnteressentenvermögen ist solches Vermögen, das einer Gemeinschaft (Genossenschaft) von Grundbesitzern in einer Gemeinde nicht vermöge ihrer Eigenschaft als Gemeindeangehörige, son­ dern auf Grund eines privatrechtlichen Titels zu­ steht. Es bildet den Gegensatz zum Gemeinde­ gliedervermögen (s. d.). Als Interessenten eines solchen Vermögens kommen besonders die Teilnehmer an einer Auseinandersetzung oder GemT. (s. Gemeinheitsteilungen), die Eigen­ tümer der Grundstücke eines gemeinschaftlichen

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Jnteresientenwege — Internationale Schiedsgerichte

Jagdbezirks (Jagdgenossenschaft; s. Jagd) und die Mitglieder einer Realgemeinde (j. d.) in der Prov. Hannover in Betracht. Das I. kann sowohl in Eigentum als auch in Nutzungsrechten an frem­ dem Eigentum bestehen, insbesondere auch an einem im Eigentum der Gemeinde stehenden Grundbesitz (vgl. § 2 der Deklaration vom 26. 7. 1847, GS. 327; für Hessen-Nassau § 5 der B. vom 13. 5. 1867, GS. 716 und § 3 GemTO.). Dieses private Nutzungsrecht kann auch an die Gemeindeangehörigkeit geknüpft sein, hat aber in ihr nicht seinen Nechtsgrund. Streitigkeiten über das I. werden von den ordentlichen Gerich­ ten entschieden (OBG. 5,163). — Als berechtigte Interessenten kommen bisweilen bestimmte Klassen von Grundbesitzern vor, die sich nach der früheren Einteilung der Gemeindemitglieder abstusen, wie z. B. Vollbauern, Halbbauern, Vierspänner, Dreispänner, Dreschgärtner, Kossäten, Kätner, Häusler, Losleute usw. — Besondere Arten des I. sind Weiden und Hutungen, Holzungen, Lehm-, Sand- und Mergelgruben, Kalk- und Stein­ brüche. v. E. Jnteressentenwege. Unter I. versteht man die als Koppel-, Feld-, Holzwege usw. einer Mehrheit (Genossenschaft, Jnteressentenschast, den Ange­ hörigen einer Gemeinde als solchen usw.) zustehen­ den, nur für den Gebrauch der Mitglieder des Interessentenkreises bestimmten Wege (OVG. 37, 232). Sie sind, da sie nicht dem Verkehr des Publikums als solchen gewidmet sind, sondern nur einem bestimmten, wenn auch in sich nicht ge­ schlossenen Interessentenkreise zur Verfügung stehen und dem Verkehr der Nichtinteressenten kraft Privatrechts seitens der Interessenten ent­ zogen werden können, keine öffentlichen, auch nicht beschränkt öffentliche, sondern Privatwege (OVG. 72, 330; 77, 319). Die Größe der Jnteressentenschast ist ohne Belang. Ein I. wird auch dadurch nicht zum öffentlichen, daß die Jnteressentenschast etwa durch die Bewohnereiner großen Stadt gebildet wird oder daß sie un Eigen­ tum einer Gemeinde stehen (OVG. 49, 243). Als Privatwege sind die I. der Wegepolizei entzogen (§ 65 ZG.; OVG. 7, 378; 27, 403; 32, 425). Sie fallen auch nicht unter das G. über die Reinigung der öffentlichen Wege vom 1. 7. 1912 (GS. 187). Aus anderen, insbesondere aus sicherheits- oder sanitätspolizeilichen Rücksichten kann jedoch die OPB. als solche auch bezüglich ihrer Erhaltung und Unterhaltung usw. Anordnungen treffen (OVG. 5, 229, 235; 7, 361; 9, 216; 12, 390, 403). Bei der Wichtigkeit, die unter Umständen eine geordnete Verwaltung und Unterhaltung der I., zumal wenn eine größere Anzahl von Inter­ essenten auf sie angewiesen ist, besitzen können, ist durch das G. vom 2. 4. 1887, betr. die durch ein Auseinandersetzungsverfahren begründeten ge­ meinschaftlichen Angelegenheiten (GS. 105), die Möglichkeit geboten, den Unzuträglichkeiten zu be­ gegnen, die sich aus dem Vorhandensein einer Mehrheit der Berechtigten ergeben. Nach §§ 1 u. 2 dieses G. kann die Generalkommission auf An­ trag den Gemeindevorsteher mit der Verwaltung der Separationswege beauftragen. Dieser ver­ waltet alsdann nach freiem Ermessen unter Auf­ sicht der Kommunalaufsichtsbehörde. Für I., bei denen die Gemeinschaft nicht durch ein solches Verfahren begründet ist, fehlt im allgemeinen die

Möglichkeit, aus anderem, als dem durch das Privatrecht dargebotenen Wege, eine Vertretung der Interessenten herbeizuführen. Für die Prov. Westpreußen ist durch § 50 Wo. vom 27. 9. 1905 (GS. 357) neuerdings diese Möglichkeit geboten. Ebenso für Posen durch § 52 Wo. vom 15. 7.1907 (GS. 243) und für Ostpreußen § 51 Wo. vom 10. 7.1910 (GS. 99). Danach findet auf die frag­ lichen Wege das G. vom 2. 4. 1887 mit der Maß­ gabe entsprechende Anwendung, daß an Stelle der Auseinandersetzungsbehörden der KrA. und in Städten mit mehr als 10000 Einwohnern der BezA. zu befinden hat, vorbehaltlich der Fest­ stellung der Beteiligung und des Beitragsverhält­ nisses unter den Beteiligten im Rechtswege. Vgl. auch OVG. 21, 143, sowie wegen der unbefugten Benutzung und Beschädigung von I. §§ 305, 321, 368 Ziff. 9, 370 Zisf. 1 u. 2 StGB, und §§ 10, 18—21, 24; 28 Zisf. 2, 30 des Feld- und ForstpolizeiG. vom 1. 4. 1880 (GS. 230). S. Wege, öffentliche, unter II und XII. I. Internationale Schiedsgerichte. Der Gedanke der friedlichen Erledigung von Streitigkeiten zwi­ schen Staaten durch den Spruch eines unpartei­ ischen Schiedsgerichts ist schon ziemlich alt; jedoch beginnt er erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts die Form einer gefestigten Staaten­ praxis anzunehmen. Zuerst wurde die schiedsge­ richtliche Erledigung eines Streitfalls nur ad hoc durch besondere Schiedsverträge (Kompromisse) vereinbart. Daneben finden sich in Verträgen verschiedenen Inhalts, insbesondere in Handels­ verträgen und in allgemeinen Konventionen, wie z. B. dem Weltpostvertrag, sog. kompromissarische Klauseln, durch die für alle Streitigkeiten aus den betr. Verträgen eine schiedsgerichtliche Er­ ledigung vorgesehen wurde. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam die Praxis aus, zwei­ seitige allgemeine Schiedsverträge abzuschließen, durch die sämtliche zwischen den vertragschließen­ den Staaten entstehenden Streitigkeiten im vor­ aus einem Schiedsgericht zugewiesen wurden. Bekannt sind namentlich der englisch-amerikanische Vertrag vom 11. 1. 1897, der jedoch vom Senat der Bereinigten Staaten abgelehnt wurde, sowie der französisch-englischeSchiedsvertrag vom 14.10. 1903, der als Muster für eine ganze Reihe von Schiedsverträgen galt. Deutschland hatte vor dem Krieg im Jahre 1904 mit England und mit den Vereinigten Staaten einen allgemeinen Schieds­ vertrag abgeschlossen, von denen jedoch der letztere von Amerika nicht ratifiziert worden ist. Die älteren Schiedsverträge enthielten durchweg Aus­ nahmen von dem Grundsatz der schiedsgerichtlichen Erledigung für Streitigkeiten, bei denen die Lebensinteressen, die Ehre und die Unabhängig­ keit des Staates in Frage stehen. Durch die nach dem Weltkrieg einsetzende mächtige Entwicklung des Schiedsgerichtsgedankens (vgl. Interna­ tionale Schiedsgerichts- und Vergleichs­ verträge) ist diese sog. Ehrenklausel immer mehr in den Hintergrund gedrängt worden. In den neuesten Verträgen Deutschlands ist sie nicht mehr enthalten. (Wegen der neueren Entwicklung des Schiedsgerichtsgedankens vgl. Internationale Schiedsgerichts- und Bergleichsverträge.) Uber die Instanz, die zur schiedsgerichtlichen Erledigung der Streitfragen berufen ist, finden sich in den einzelnen Schiedsverträgen die ver-

Internationale Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge

schiedensten Bestimmungen. Während in frühe­ rer Zeit häufig fremde Staatsoberhäupter zum Schiedsrichter genommen wurden, geht die neuere Entwicklung dahin, ein Schiedsrichter­ kollegium zu bilden, das stets einen neutralen Obmann, außerdem meist zwei oder mehr neu­ trale Beisitzer und manchmal nationale Schieds­ richter der betr. Parteien enthält. Einen bedeut­ samen Schritt auf dem Gebiet der Organisation des internationalen Schiedsgerichtswesens brach­ ten die internationalen Friedenskonferenzen im Haag von 1899 und 1907, deren Ergebnis ein schon 1899 zustande gekommenes und im Jahre 1907 abgeändertes Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle darstellt (RGBl. 1910, 5; s. auch Haager Abkommen). Durch dieses Abkommen ist der Internationale Ständige Schiedshof (Cour permanente d’arbitrage) im Haag geschaffen worden. Der Ständige Schiedshof besteht aus einer Liste von Persönlich­ keiten, die sich allgemein bereit erklärt haben, als Schiedsrichter zu wirken. Die Liste wird in der Weise zusammengestellt, daß jede Vertragsmacht des Abkommens jeweils aus die Dauer von sechs Jahren höchstens vier Persönlichkeiten bezeichnet, die auf Grund ihrer Kenntnis des internationalen Rechts und ihrer moralischen Eigenschaften zum Schiedsrichter geeignet sind. Aus dieser Liste wählt im Falle der Anrufung des Schiedshofs, die nur auf Grund eines besonderen Schieds­ vertrages erfolgen kann, mangels einer ander­ weitigen Vereinbarung, jede Partei zwei Richter, unter denen sich einer ihrer Staatsangehörigkeit befinden kann; die so ausgewählten Richter be­ zeichnen gemeinsam einen fünften als Obmann. Für den Fall, daß sie sich über die Wahl nicht eini­ gen können, sind besondere Vorschriften für die unparteiische Bestellung des Obmanns vorgesehen. Das Verfahren gliedert sich in eine schriftliche Vorbereitung und eine mündliche Verhandlung. Die Entscheidung erfolgt mit Stimmenmehrheit und muß begründet werden. Ein summarisches Verfahren vor einem Gremium von drei Richtern ist zulässig. Die Anrufung des Schiedshofs schließt die Verpflichtung in sich, nach Treu und Glauben sich dem Schiedsspruch zu unterwerfen. Der Schiedshof, der ein ständiges Sekretariat im Haag unterhält, ist seit seiner Einrichtung im Jahre 1902 im ganzen 18mal angerufen worden. Gegen­ wärtig hat er in der Staatenpraxis an Bedeutung dadurch verloren, daß neben ihm, ebenfalls im Haag, vom Völkerbund der Ständige Internatio­ nale Gerichtshof eingerichtet worden ist (s. Stän­ diger Internationaler Gerichtshof), der von den Staaten gegenwärtig meist angerufen wird. Fro. Internationale Schiedsgerichts- und Bergleichtzvertrage. Die gegen Ende des vorigen

Jahrhunderts einsetzenden Bestrebungen zum planmäßigen Ausbau des internationalen Schieds­ gerichtswesens führten zu der Erkenntnis, daß zahlreiche Staatenstreitigkeiten durch einen nach Rechtsgrundsätzen erfolgenden Spruch nicht er­ ledigt werden können, weil das Völkerrecht nicht für alle auftauchenden Staatenkonflikte Rechts­ regeln gibt. Die Haager Abkommen über die friedliche Beilegung internationaler Streitigkeiten von 1899 und 1907 (s. Haager Abkommen) sahen nur ein Schiedsgerichtsverfahrenbei Rechts­

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streitigkeiten sowie die Einsetzung von Unter­ suchungskommissionen zur Aufklärung strittiger Tatsragen, und zwar beide jeweils nur im beider­ seitigen Einvernehmen der beteiligten Staaten, vor. Die Einführung eines friedlichen Verfahrens zur Beilegung auch der politischen, nicht nach Rechtsregeln entscheidbaren (nicht justiziablen) Streitfälle brachten die in den Jahren 1913—1916 von den Vereinigten Staaten auf Betreiben des Staatssekretärs Bryan mit zahlreichen anderen Staaten abgeschlossenen Verträge. Die sog. Bryan-Verträge sahen in Ergänzung zu den sog. Root-Verträgen aus den Jahren 1908/09, die die schiedsgerichtliche Erledigung justiziabler Fälle be­ handelten, die Einrichtung ständiger gemischter Kommissionen vor, die die Vertragspartner sich vor Anwendung kriegerischer Mittel anzurufen verpflichteten, die aber lediglich die Streitfälle zu untersuchen und über die Möglichkeit ihrer Bei­ legung zu berichten hatten. Seither hat sich der Gedanke, die justiziablen Streitfälle durch ein Schiedsgerichtsverfahren zu regeln und die poli­ tischen Staatenkonflikte einem Vermittlungsver­ fahren zu unterziehen — der auch der Bölkerbundssatzung zugrunde liegt (s. Völkerbund) — in der Staatenpraxis immer mehr Eingang ver­ schafft. Auf ihm beruhen die Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge, die Deutschland seit 1921 mit zahlreichen Staaten geschlossen hat. Eingeleitet wurde diese Politik durch den deutsch-schweize­ rischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag vom 3. 12.1921 (RGBl. 19221217). Es folgten die Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge mit Schweden vom 29. 8.1924 (RGBl. 1925 II 863), mit Finnland vom 14. 3. 1925 (RGBl. II 872), mit Estland vom 10. 8.1925 (RGBl.1926 II 374), ferner die in Locarno abgeschlossenen Schieds­ gerichts- und Vergleichsverträge mit Belgien, Frankreich, Polen und der Tschechoslowakei vom 1. 12. 1925 (RGBl. 1926 II 583; vgl. Locarno­ verträge); schließlich die Verträge mit den Niederlanden vom 20.5.1926 (RGBl. 1927II31), mit Dänemark vom 2. 6.1926 (RGBl. 1927II40) und mit Italien vom 29. 12. 1926 (RGBl. 1927 II461). Mit Litauen ist kürzlich ein entsprechen­ der Vertrag unterzeichnet worden, der jedoch zur Zeit noch nicht ratifiziert ist. In den angeführten Verträgen, die im wesentlichen gleich lauten, ver­ pflichten sich die Vertragspartner, alle Rechts­ streitigkeiten, die zwischen ihnen etwa austauchen, einem Schiedsgericht- oder Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Für politische Streitfälle ist eine friedliche Regelung durch Bergleichsräte vorge­ sehen, die aus drei neutralen Persönlichkeiten, aus denen der Vorsitzende zu bestimmen ist, sowie je einem Staatsangehörigen der beiden streiten­ den Parteien bestehen. Die auf Grund der Ver­ träge gebildeten deutsch-schweizerischen, deutsch­ finnischen usw. Bergleichsräte sind ständig, so daß sie, wenn ihnen ein Streitfall unterbreitet wird, sofort zusammentreten können. Während das Verfahren vor dem Schiedsgericht zu einem die Angelegenheit erledigenden Schiedsspruch führt, den die Parteien anzunehmen und auszuführen verpflichtet sind, hat das Verfahren vor den Ver­ gleichsräten nur den Zweck, eine friedliche Eini­ gung zwischen den Parteien herbeizuführen. Kommt eine solche nicht zustande, so bleibt es bei den allgemeinen Regeln, denen die Parteien

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Internationaler Arbeiterschutz

unterworfen sind, d. h. da alle in Frage kommen-; den Staaten Mitglieder des Völkerbundes sind, muß die Angelegenheit, bevor eine der Parteien zum Kriege schreitet, vor den Völkerbund ge­ bracht werden, der nach Art. 15 der Satzung ver­ fährt. Dies ist ausdrücklich ausgesprochen in den Locarnoverträgen, gilt jedoch ohne weiteres auch für die anderen oben angegebenen Schiedsgerichts­ und Vergleichsverträge. Im einzelnen enthalten die verschiedenen Verträge gewisse Abweichungen. So sehen die älteren bei Rechtsstreitigkeiten nur die Anrufung eines Schiedsgerichts vor, während nach einigen neueren Verträgen, insbesondere den in Locarno abgeschlossenen, wahlweise der Stän­ dige Internationale Gerichtshof oder ein Schieds­ gericht angerufen werden kann. Ferner ist nach einigen neueren Verträgen, insbesondere den Locarnoverträgen, auch bei Rechtsstreitigkeiten ein Verfahren vor dem Vergleichsrat zulässig, nach dessen ergebnislosem Verlauf die Sache an den Ständigen Internationalen Gerichtshof oder ein Schiedsgericht geht, während in den anderen Verträgen das Verfahren vor dem Vergleichsrate nur für politische Streitigkeiten vorgesehen ist. Bon größtem Interesse für die Entwicklung des Gedankens der friedlichen Regelung internatio­ naler Streitigkeiten ist, daß die altherkömmliche Klausel, wonach von der friedlichen Erledigung diejenigen Fragen ausgeschlossen sein sollen, die die Unabhängigkeit, die Unversehrtheit oder höchste Lebensinteressen eines Vertragspartners betref­ fen, sich zwar noch in den älteren Verträgen findet, jedoch in den Locarnoverträgen und den nach ihnen abgeschlossenen keine Ausnahme mehr ge­ funden hat. Die Reichsregierung ist durch Art. 2 des G. über die Anrufung des Ständigen Inter­ nationalen Gerichtshofs im Haag vom 17. 2. 1928 (RGBl. II 19) ermächtigt worden, durch ergän­ zende Vereinbarungen mit den Vertragspartnern diese Einschränkung der Schiedsgerichtsbarkeit in den älteren Verträgen zu beseitigen und die An­ rufung des Ständigen Internationalen Gerichts­ hofs auch da vorzusehen, wo in den ursprünglichen Verträgen nur von einem Schiedsgericht die Rede ist. — Von den seither angeführten Schieds­ gerichtsverträgen weicht in der äußeren Form, jedoch nicht in dem Grundgedanken, ein Bertrags­ werk ab, das am 5. 5. 1928 zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zum Abschluß gelangt, aber bis jetzt noch nicht in Kraft getreten ist. Es handelt sich um zwei einander ergänzende Verträge, einen solchen nach dem Muster der sog. Root-Berträge, der die schieds­ gerichtliche Regelung von Rechtsstreitigkeiten vor­ sieht, und einen anderen nach dem Muster der sog. Bryan-Verträge, der sich aus die vorzugs­ weise Regelung von Streitigkeiten durch eine ge­ mischte Kommission bezieht. — Auch zahlreiche andere Staaten haben untereinander Schieds­ gerichts- und Bergleichsverträge abgeschlossen, die ihren Grundgedanken nach den von Deutschland abgeschlossenen entsprechen; ganz wenige Staaten sind bis jetzt soweit gegangen, das System der bindenden Erledigung durch Schiedsspruch in ein­ zelnen Verträgen auch auf politische Streitfragen auszudehnen. Jedoch kann die Entwicklung des Systems der friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten, die Gegenstand dauernder Erörte­ rungen innerhalb des Völkerbundes ist, noch nicht

als abgeschlossen angesehen werden. (Vgl. auch Ständiger Internationaler Gerichtshof, Internationale Schiedsgerichte, Völker­ bund.) Fro. Internationaler Arbeiterschutz ist die gleich­ mäßige Handhabung des Arbeiterschutzes (s. d.) in verschiedenen Staaten auf Grund internatio­ naler "Abkommen. Die ersten Anregungen zu einer internationalen Ausgestaltung des Arbeiterjchutzes gehen bis auf die Mitte des vorigen Jahr­ hunderts zurück, hauptsächlich von der Erwägung bestimmt, daß bei einer möglichst gleichmäßigen Arbeiterschutzgesetzgebung die Wettbewerbsfähig­ keit der einzelnen Staaten auf dem Weltmärkte gewährleistet werde. Ein besonderes Interesse an einer solchen Regelung haben hochkultivierte Staaten mit arbeiterfreundlicher Gesetzgebung, die dadurch auch in den Stand gesetzt werden, ihre Arbeiterschutzgesetzgebung weiter auszubauen. Die erste internationale Arbeiterschutzkonferenz, durch den bekannten Erl. Kaiser Wilhelms II. vom 4. 2. 1890 angeregt, fand vom 15. bis 18. 3. 1890 in Berlin statt, ohne daß ein greifbares Resultat erreicht wurde. Der zweite Kongreß tagte vom 17. bis 26, 9. 1906 in Bern. Das Er­ gebnis waren zwei internationale Abkommen vom 26. 9. 1906 (RGBl. 1911, S. 5, 17), von denen sich das eine auf das Verbot der Nacht­ arbeit (10—5 Uhr) der Frauen in der Industrie und das andere auf das Verbot der Verwendung des weißen Phosphors in der Zündholzindustrie bezieht. Die im Jahre 1913 über die zehnstün­ dige Höchstarbeitszeit getroffenen Vereinbarungen sind infolge des Kriegsausbruchs nicht ratifi­ ziert worden. Im XIII Teil „Arbeit" des Ver­ sailler Friedensvertrags sind zwei Abschnitte über die Organisation der Arbeit und allgemeine Grundsätze vorgesehen, um die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Interesse des Welt­ friedens und der Welteintracht herbeizuführen. Aus den Mitgliedstaaten des Völkerbundes ist zu dem Zwecke ein ständiger Verband gegründet, der aus einer Hauptversammlung von Vertretern der Mitgliedstaaten und aus einem Jnternationa len Ar beit samt unter Leitung eines Verwal­ tungsrats besteht. Alljährlich finden Versamm­ lungen zum Zwecke der Vereinbarung einschlä­ giger Vorschriften statt. Das im Jahre 1919 vereinbarte Verbot der Beschäftigung von Frauen vor und nach der Niederkunft ist von Deutschland ratifiziert worden; s. G. vom 16. 7.1927 (RG­ Bl. II 497). Das gleiche gilt von der Verein­ barung über die Stellenvermittlung der See­ leute (getroffen auf der internationalen See­ mannskonferenz Genua vom 15.—20. Juli 1920) vom 25. 5. 1925 (RGBl. II 166), von dem im Jahre 1927 vereinbarten Übereinkommen betr. die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in Gewerbe und Handel und der Hausgehilfen sowie die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft; s. G. vom 28. 10.1927 (RGBl. 887) und von dem Abkommen über das Verbot der Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen vom 26. 9. 1906 (RGBl. 1911, 5). S. Bek. vom 5. 12. 1927 (RGBl. II 1124). Die weiteren Vereinbarungen über Achtstundentag, Arbeits­ nachweis, Arbeitslosenschutz (1919), Landarbeiter­ rechte (1921), Arbeitsaufsicht (1923), Nachtarbeit in Bäckereien (1924) sind noch nicht ratifiziert

Internationales Eisenbahnbeförderungsrecht — Jnvalidenhäuser

worden. S. auch G. zur Regelung von Ange­ legenheiten der sozialen Versicherung und des Ar­ beitsrechts bei der Durchführung des Vertrags von Versailles vom 20. 7. 1922 (RGBl. II 678). F.H. Internationales Eisenbahnbeförderungsrecht.

Schon 1890 hatten die größeren europäischen Staaten in Bern ein Internationales Überein­ kommen über den Eisenbahnfrachtverkehr ab­ geschlossen (RGBl. 1892, 793). An seine Stelle ist ein neues „Internationales Übereinkom­ men über den Eisenbahn-Frachtverkehr" (JÜG.) vom 23. 10. 1924 getreten. Gleichzeitig ist auch neu geschaffen worden ein entsprechendes „Internationales Übereinkommen über den Eisenbahn-Personen- und Gepäck­ verkehr" (JÜP.). Beide Übereinkommen tre­ ten voraussichtlich im Laufe des Jahres 1928 in Kraft. Sie gelten in den beteiligten Ländern (allen größeren europäischen Staaten allster Eng­ land und Rußland) als Gesetze des Landes. In Deutschland ist das JÜG. durch G. vom 30. 5. 1925 (RGBl. II 183) und das JÜP. durch G. vom 12. 6. 1925 (RGBl. II483) verabschiedet. Die Übereinkommen regeln materiell — von ein­ zelnen Abweichungen abgesehen — den Stofs im allgemeinen entsprechend wie unser HGB. und unsere Eisenbahn-Verkehrsordnung (s. d.). Um die Durchführung der beiden Übereinkommen zu er­ leichtern ilnd zu sichern, ist in Bern ein besonderes „Zentralamt für die internationale Eisenbahn­ beförderung" errichtet. Es vermittelt (und entscheidet auch unter Umständen) zwischen den be­ teiligten Staaten und hat die nötige Fortbildung der Übereinkommen geschäftlich zu behandeln. Über Sitz (Bern) und Organisation des Zentral­ amts bestimmt das Nähere ein Reglement, das sowohl dem JÜG. wie dem JÜP. als Anlage beigesügt ist. Kttl. Fritsch, Die neuen Entwürfe von Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr, Archiv für Eisenbahnwesen 24 S. 587.

Jnterndezernenten, Innere Schulangelcgcnhciten s. Außere und innere Schulange­

legenheiten. Interpellationen. Unter I. werden Anfragen verstanden, welche aus der Mitte der Volksver­ tretung behufs Auskunftserteilung an die Reg. gerichtet werden. Weder die RB. noch die BU. enthält hierüber Vorschriften. Doch sind I. nach dem Vorgänge anderer konstitutioneller Länder sowohl im RT. wie im LT. üblich imb in den Geschäftsordnungen vorgesehen. I. Reichstag (§§ 55—62 der Geschäftsord­ nung vom 17.2.1923, RGBl. II 101). In­ terpellationen im engeren Sinne müssen von mindestens 30 Mitgliedern unterzeich­ net sein. Sie werden der Reichsregierung schriftlich mitgeteilt und, sobald sich diese zur Beantwortung bereit erklärt, auf die Tages­ ordnung gesetzt. Der Interpellant hat sie münd­ lich zu begründen. Auf Antrag von 50 Mitgliedern findet eine Besprechung statt; Anträge bei der­ selben müssen von mindestens 30 Mitgliedern unterstützt werden. Lehnt die Reichsregierung die Beantwortung überhaupt oder für die nächsten zwei Wochen ab, so kann der Präsident trotzdem die I. auf die Tagesordnung setzen. Kleine Anfragen müssen mit Unterstützung von min­ destens 15 Mitgliedern dem Präsidenten schrift­

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lich eingereicht werden. Er leitet sie an die Reichs­ regierung weiter. Wenn binnen 14 Tagen keine Beantwortung erfolgt, setzt der Präsident die Anfrage trotzdem auf die Tagesordnung. Eine Besprechung der Antwort findet nicht statt und sind sachliche Anträge zu derselben unstatthaft; doch kann der Anfragende das Wort zur Er­ gänzung oder Berichtigung der Anfrage erhalten. An dem festgesetzten Tage nicht erledigte An­ fragen scheiden aus, wenn der Anfragende nicht die Beantwortung für das nächste Mal verlangt. II. Preußischer Landtag (§§ 37—43 der Geschäftsordnung). Es wird zwischen kleinen und großen Anfragen unterschieden. Erstere sind dem Präsidenten schriftlich einzureichen. Wenn sie gegen die parlamentarische Form ver­ stoßen oder unsachliche Ausführungen enthalten, hat der Präsident sie zurückzuweisen. Andern­ falls teilt er sie dem StM. zur schriftlichen Be­ antwortung mit. Geht diese nicht binnen zwei Wochen ein, so wird die Anfrage auf Verlangen des Fragestellers auf die Tagesordnung der näch­ sten zur mündlichen Beantwortung kleiner An­ fragen bestimmten Sitzung gesetzt. Eine Bespre­ chung finde! nicht statt; sachliche Anträge sind unzulässig. Große Allfragen können nur von einer Fraktion gestellt werden und müssen von 15 Abgeordneten unterschrieben sein. Sobald sich das StM. zur Beantwortung bereit erklärt hat, wird die Anfrage aus die Tagesordnung gesetzt und von einem der Unterzeichner begründet. An die Antwort schließt sich auf Verlangen von 30 Abgeordneten eine Besprechung. Sachliche Anträge siud dabei unzulässig, sofern nicht zuvor Ausschußberatung beschlossen ist. Lehnt das StM. eine Beantwortung ab oder gibt sie binnen einer Woche nach erfolgter Mitteilung der An­ frage keine Erklärung, wegen eines Termins für ihre Beantwortung ab, so wird auf Verlangen von 15 Abgeordneten ebenso verfahren, wie bei kleinen Anfragen. Doch schließt sich an die Ausfüh­ rungen eines Unterzeichners auf Verlangen von 30 Abgeordneten eine Besprechung, bei der auch sachliche Anträge gestellt werden können. Ly. Jnundationsgebiet

s.

Freihaltung

der

Überschwemmungsgebiete. Jnvalidenhäuser. I. I. (militärische) dienen als Pflegeanstalten für solche Kriegsbeschädigte, welche besonderer Pflege und Wartung bedürfen. Für die in Preußen belegenen I. in Berlin, Carlshofen und Stolp wurden die (im AVBl. 1906, 232 abgedruckten) Bestimmungen des Preuß. Kriegsministeriums vom 19. 6. 1906 er­ lassen. Nach § 24 Abs. 1 Zisf. 1 des OsfizierpensionsG. ruht für die Dauer der Versorgung in einem Jnvalideninstitut durch Verleihung einer etatmäßigen Stelle das Recht auf den Bezug der Pension und des Pensionszuschusses; nach § 36 Abs 1 Ziff.. 1 des MannschaftsversorgungsG. ruht das Recht auf den Bezug der Rente und der Gebührnisse, solange der Rentenberechtigte sich in einem Jnvalideninstitut befindet. Die I. unterstehen jetzt dem RAM. (s. Reichshaushaltsplan 1927 Anl. VII Kap. 10 Tit. 4a und 16a der Ausgaben). In den geltenden BersorgungsG. ist ein Ruhen der Verforgungsgebührnisse während des Aufenthalts in einem I. nicht mehr vorge­ sehen. Den Aufgenommenen wird daher jetzt

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Invalidenversicherung

in der Hauptsache nur freie Wohnung und ärzt­ liche Behandlung gewährt. II. I. (Sozialversicherung). Der Vorstand einer Berufsgenossenschaft oder der Reichsver­ sicherungsanstalt für Angestellte und auf Grund einer Satzungsbestimmung der Vorstand einer Versicherungsanstalt können einem Renten- oder Ruhegeldempfänger auf Antrag Aufnahme in ein I., ein Waisenhaus oder eine ähnliche Anstalt gewähren, und zwar statt der Unfallrente oder unter Verwendung der ganzen oder eines Teiles der Invalidenrente oder des Ruhegeldes. Der Aufgenommene ist auf ein Vierteljahr, und wenn er seine Erklärung nicht einen Monat vor Ablauf dieses Zeitraums zurücknimmt, jedesmal auf ein weiteres Vierteljahr an den Verzicht auf die Rente gebunden (§§ 607,952,1114,1277 RVO.). v. G. Invalidenversicherung. 1. Allgemeines. Die I. ist als Zweig der Arbeiterversicherung (f. d.) an dritter Stelle nach der KB. und UV. eingeführt worden, und zwar durch das G., betr. die Jnvaliditäts- und Altersversicherung, vom 22. 6. 1889. Dieses wurde im Jahre 1899 einer durchgreifenden Änderung unterzogen, aus der es mit der Bezeichnung „Invalidenversicherungs­ gesetz" hervorging; es wurde im RGBl. 1899, 463 veröffentlicht. Bei Zusammenfassung der ganzen Arbeiterversicherungsgesetzgebung in der RVO. (s. d.) sanden die Vorschriften über die I. im vier­ ten Buch Aufnahme, wobei die Hinterbliebenen­ versicherung einbezogen wurde. Während in der Kriegszeit nur wenige Änderungen vorgenommen wurden — die wichtigste war die Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente von 70 auf 65 Jahre durch G., betr. Renten in der I., vom 12. 6. 1916 (RGBl. 525) — und in der Nachkriegszeit zunächst nur Maßnahmen er­ griffen wurden, um den Bestand der Versicherung vor den Gefahren der Geldentwertung zu schützen, setzten später tiefgreifende Reformen ein, die auf eine Vereinfachung und Verbilligung, insbesonderen aber auf eine klare Scheidung zwischen der I. einerseits und der Av. andererseits abzielten. Zwischen den beiden Versicherungszweigen ist die Doppelversicherung grundsätzlich beseitigt, so daß Personen, die der I. unterliegen, nicht gleich­ zeitig in der Av. versicherungspslichtig sind und umgekehrt. Den Verwicklungen, die durch das im Verlaufe der Beschäftigung nicht zu vermei­ dende Herüber- und Hinüberwechseln in die eine oder andere Versicherungsart entstehen, ist durch Anrechnung der Beiträge abgeholfen. Das so ge­ änderte vierte Buch der RVO. hat durch Bek. des RAM. vom 15. 12. 1924 (RGBl. I 779) eine neue Fassung erhalten. Seitdem sind durch G. vom 14. und 28. 7. 1925 (RGBl. I 97, 157), G. vom 25. 6. 1926 (RGBl. I 311), G. vom 8. 4. 1927 (RGBl. I 98) und vom 29. 3. 1928 (RGBl. I S. 116,117), nebst V. vom 8. 4. 1927 (RGBl. 199) weitere Änderungen herbeigeführt worden. II. Umfang der Versicherung. 1. Ver­ sicherungspflicht. Der Versicherungspflicht für den Fall der Invalidität und des Alters sowie zugunsten der Hinterbliebenen unterliegen Ar­ beiter, Gesellen, Hausgehilfen, Hausgewerbe­ treibende, die Schisfsbesatzung deutscher Seefahr­ zeuge und die Besatzung von Fahrzeugen der Binnenschiffahrt, mit Ausnahme der Schiffs­

führer, Offiziere des Deck- wie Maschinendienstes, Verwalter und Berwaltungsassistenten sowie der in ähnlich gehobener oder höherer Stellung be­ findlichen Angestellten, soweit sie nicht nach dem Avg. versicherungspflichtig oder versicherungsfrei sind, Gehilfen und Lehrlinge, soweit sie nicht nach dem Avg. versicherungspflichtig oder ver­ sicherungsfrei sind, sowie Angehörige der Schutz­ polizei und Soldaten, beide sofern sie ihre Ver­ sicherung bei der vorgesetzten Behörde beantragen. Zur Vermeidung von Streitigkeiten zwischen der I. und AB. hat der RAM. auf Grund des § 1 Abs. 4 Avg. eine Bestimmung über Berufs­ gruppen vom 8. 3. 1924 (RGBl. I 274, 401) abg. durch V. vom 15. 7. 1927 (RGBl. I 222) erlassen. Ist jemand so doppeltbeschäftigt, daß er sowohl der I. als auch der Av. unterliegt, so ist er doppeltversichert, wenn nicht eine der Be­ schäftigungen als vorübergehende versicherungs­ frei ist (s. unter b). Eine Beschäftigung im Ausland ist nur versicherungspflichtig, wenn sie von Deutschen bei einer amtlichen Vertretung des Reiches oder eines Landes oder bei deren Leitern oder Mitgliedern ausgeübt wird (§ 1228 RVO.), oder wenn die Beschäftigung ein Teil oder eine Ausstrahlung eines inländischen Be­ triebs ist oder auf deutschen Seefahrzeugen stattfindet (§ 228 RVO.). Voraussetzung ist bei allen Personen, mit Ausnahme der Haus­ gewerbetreibenden, eine Beschäftigung gegen Entgelt. Die Erreichung des 16. Lebensjahres wird nicht mehr verlangt. Mit Genehmigung des RR. kann der RAM. die Versicherungspflicht für bestimmte Berufszweige aus Gewerbe­ treibende und andere Betriebsunternehmer, die in ihren Betrieben keinen oder höchstens einen Versicherungspflichtigen beschäftigen, erstrecken. Eine Höchstgrenze für die Bersicherungspflicht gibt es bei der I. nicht mehr (§§ 1226, 1227, 1229 RVO.). 2. Versicherungsfreiheit. Versicherungs­ freiheit besteht entweder kraft G., auf Grund einer Bestimmung der Reichsregierung mit Zustimmung des RR. oder auf Grund einer Bestimmung des NVA. oder auf Antrag des Arbeitgebers oder des Versicherten. Kraft G. sind versicherungsfrei Beamte des Reiches, der deutschen Reichsbahngesellschaft, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden oder der Ver­ sicherungsträger sowie Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen, wenn ihnen Anwartschaft auf Ruhegehalt im Mindestbetrage der Invaliden­ rente nach den Sätzen der ersten Lohnklasse sowie auf Witwenrente nach den Sätzen der gleichen Lohnklasse und auf Waisenrente gewährleistet ist oder solange sie lediglich für ihren Beruf aus­ gebildet werden. Versicherungsfrei kraft G. sind ferner Personen, die während der wissenschaft­ lichen Ausbildung für ihren zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind, Soldaten, dieeine ver­ sicherungspflichtige Tätigkeit im Dienst oder während der Vorbereitung zu einer kraft G. ver­ sicherungsfreien Beschäftigung ausüben, sowie Personen, die eine Invaliden-, Witwen-, Witwer­ oder Hinterbliebenenrente beziehen oder invalide sind oder eine Witwenrente nach den Vorschriften des Avg. beziehen. Nach Bestimmung der Reichs­ regierung (§§ 1232, 1233 RVO.) sind versichefungsfrei vorübergehende Dienstleistungen (Bek

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vom 27. 12. 1899, NGBl. 725) und Ausländer, denen die Behörde den Aufenthalt im Jnlande nur für eine bestimmte Dauer gestattet hat (Bek. vom 7. 3. 1901, ZBl. 78 nebst Bek. des RVA. vom 31. 3. 1902, AN. 380). Die Begriffs­ bestimmung der vorübergehenden Dienstleistung ist im wesentlichen die gleiche wie bei der KV. (f. d. II 2b). Auf Antrag des Arbeitgebers können durch Entschließung des NBA. hinsichtlich der Versicherungsfreiheiten den Reichsbeamten gleich­ gestellt werden die in Betrieben oder im Dienste anderer öffentlicher Verbände oder Kör­ perschaften oder als Lehrer und Erzieher an nicht öffentlichen Schulen oder Anstalten Beschäftigten, ferner Personen, die von solchen Verbänden, Körperschaften, Schulen oder Anstalten Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge erhalten, sowie Beamte und Bedienstete der früheren landes­ herrlichen Hof-, Domanial-, Kameral-, Forst- und ähnlichen Verwaltungen (§ 1242 NVO.). Die Befreiung hat keine rückwirkende Kraft. Auf Antrag des Versicherten tritt Versicherungs­ freiheit ein, wenn diesem von dem Reich, der deutschen Reichsbahngesellschaft, einem Lande, einem Gemeindeverband, einer Gemeinde oder einem Versicherungsträger oder auf Grund früherer Beschäftigung als Lehrer oder Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im Mindest­ beträge der Invalidenrente nach den Sätzen der Lohnklasse 1 bewilligt sind und daneben An­ wartschaft auf Hinterbliebenenfürsorge gewähr­ leistet wird (§ 1237 RVO.). Ferner wird auf seinen Antrag von der Versicherungspflicht be­ freit, wer während oder nach der Zeit des Hoch­ schulunterrichts zur Ausbildung für seinen künf­ tigen Beruf oder in einer Stellung beschäftigt ist, die den Übergang zu einer der Hochschul­ bildung entsprechenden versicherungsfreien Be­ schäftigung bildet (§ 1238 RVO.), oder wer nur in bestimmten Jahreszeiten für nicht mehr als 12 Wochen oder überhaupt für rächt mehr als 50 Tage Lohnarbeit übernimmt, im übrigen aber seinen Unterhalt selbständig erwirbt oder ohne Entgelt tätig ist, vorausgesetzt, daß noch nicht 100 Beiträge entrichtet sind (§ 1239 RVO., Bek. vom 24. 12. 1899, RGBl. 721, abgeändert durch Bek. vom 4.10. 1923, NGBl. I 936, V. vom 15. 4. 1924, RGBl. I 405). Die Gebühr für die Versicherungsfreikarte, die den zuletzt bezeich­ neten Personen ausgestellt wird, beträgt 5 Pf. (B. vom 8. 3. 1924, RGBl. I 255). Über den Antrag entscheidet das VA. und auf Beschwerde das OVA. endgültig (§ 1240 RVO.). Wer Ruhe­ geld aus der Av. oder eine knappschaftliche Pension bezieht, wird gleichfalls auf seinen Antrag auf dem gleichen Wege befreit (§ 1237 Abs. 2 RVO.). Die Befreiung wirkt vom Eingang des Antrags ab (§ 1240 Abs. 2 RVO.). Das VA. (Beschluß­ ausschuß) widerruft die Befreiung, sobald die Voraussetzungen fortfallen. Auf Beschwerde ent­ scheidet das OVA. endgültig. Bei Widerruf und Verzicht tritt die Versicherungspflicht wieder ein (§ 1241 RVO.). Scheiden Personen, die wegen Gewährleistung der Anwartschaft versicherungs­ frei sind, aus ihrer Beschäftigung aus, ohne daß Ruhegeld oder Hinterbliebenenrente oder eine gleichwertige Leistung auf Grund des Be­ schäftigungsverhältnisses gewährt wird, so sind

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für die Zeit, in der sie sonst versicherungs­ pflichtig gewesen wären, Beiträge zu entrichten, und zwar für jede Woche bis Ende 1923 in der Lohnklasse II für die spätere Zeit in der dem jeweiligen Lohn entsprechenden Lohnklasse. Für Ersatzzeiten unterbleibt die Beitragsentrichtung. Der Eintritt des Versicherungsfalls steht der Nachentrichtung von Beiträgen nicht entgegen. Treten die Personen in eine andere versicherungs­ freie Beschäftigung über, so ist ihnen eine Beschei­ nigung über die Zahl und Höhe der für sie nach­ zuentrichtenden Beiträge sowie über die Kalen­ derwochen, auf die die Beiträge entfallen, zu er­ teilen. Die Beiträge sind erst dann nachzuentrichten, wenn beim Ausscheiden aus der zweiten oder der sich anschließenden weiteren versiche­ rungspflichtigen Beschäftigung ebenfalls weder Ruhegeld noch Hinterbliebenenrente gewährt wird (§ 1242a RVO. in der Fassung des G. vom 29. 3. 1928, RGBl. I 117). 3. Versicherungsberechtigung. Sie fällt mit dem Eintritt der Invalidität fort. Freiwillig der Versicherung beitreten können bis zum voll­ endeten 40. Lebensjahr Gewerbetreibende und andere Betriebsunternehmer, die keine oder höchstens zwei Versicherungspflichtige beschäf­ tigen und Personen, die nur freien Unterhalt als Entgelt beziehen oder als vorübergehend Be­ schäftigte versicherungsfrei sind (§ 1443 RVO.). Das Versicherungsverhältnis fortsetzen (weiter­ versichern) oder nach Verfall der Anwartschaft erneuern (s. unter III2) kann jeder, der aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung ausscheidet (§ 1243 RVO.). 4. Lohnklassen (§§ 1245—1247 RVO.). Nach der Höhe des wöchentlichen Arbeitsver­ dienstes werden für die Versicherten folgende Lohnklassen gebildet: Klasse 1 bis zu 6 RM „ 2 von mehr als 6 bis 12 RM ,, 12 18 „ 3 „ 24 „ 4 18 n 24 n 30 „ 5 v n 30 „ 6 36 36 RM „ 7 Wegen Berechnung des wöchentlichen Arbeits­ Verdienstes s. Best, des NAM. vom 14. 6. 1924 (RGBl. I 647). Die in der Kauffahrteiflotte, auf Kabeldampfern und Schulschiffen sowie in der Hochseefischereislotte beschäftigten Personen werden nach Maßgabe der B. vom 4. 1. 1928 (NGBl. I 7) in die Lohnklassen 3—6 verteilt. III. Leistungen. 1. Allgemeines. Lei­ stungsgründe der Invaliden- und Hinterblie­ benenversicherung sind die Invalidität und der Tod des Versicherten. Dementsprechend werden Invaliden- und Hinterbliebenenrenten gewährt. Gemeinsame Voraussetzung für den Anspruch auf eine Rente ist, abgesehen von dem Vorliegen der Versicherungspflicht oder Versicherungs­ berechtigung, die Erfüllung der Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft (f. unter 2) durch Zahlung der vorgeschriebenen Beiträge für jede Beitragswoche, soweit nicht auf Grund gesetzlicher Vorschrift auch Zeiten, für die Bei­ träge nicht entrichtet sind, als Beitragswochen in Anrechnung kommen. Die Renten zerfallen in Invaliden-, Witwen-, Witwer- und Waisen­ renten. Der Begriff der Krankenrente ist be-

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fertigt. Ist der Versicherte oder die Witwe oder der Witwer über 26 Wochen krank, so wird die Rente unverändert weitergezahlt. Die Zu­ satzrenten sind unter Abfindung der bisher Be­ rechtigten in Fortfall gebracht. Eine Rück­ erstattung von Beiträgen ist grundsätzlich aus­ geschlossen (§§ 1250—1252 RVO.). Länger als aus ein Jahr rückwärts, vom ersten Tage des Monats gerechnet, in welchem der Antrag ein­ geht, wird keine Rente gezahlt, sofern nicht der Berechtigte durch außerhalb seines Willens lie­ gende Umstände an der rechtzeitigen Antrag­ stellung verhindert war. Nach Fortfall der Hin­ dernisse muß der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden (§ 1253 RVO.). Wer sich vor­ sätzlich invalid macht, hat keinen Anspruch auf Rente. Wird die Invalidität bei Begehung einer strafbaren Handlung, die nach strasgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder Vergehen darstellt, zugezogen, so kann die Rente ganz oder teilweise versagt, die Invaliden- oder Witwenrente den im Inland wohnenden, von dem Versicherten aus seinem Arbeitsverdienst ganz oder teilweise unterhaltenen Angehörigen überwiesen werden. Die Verletzung bergpolizeilicher B. oder des § 93 Abs. 2, 3, §§ 95—97 Seemannsordnung gilt nicht als Vergehen. Wenn wegen eines in der Person des Antragstellers liegenden Grundes ein sträsgerichtliches Urteil nicht ergehen kann, so kann die Rente auch versagt werden (§ 1254 RVO.). Der Anspruch aus Rente verjährt in zwei Jahren. Die Renten werden auf Anwei­ sung der LVA. durch die Postanstalt des Wohn­ orts des Empfängers gezahlt (§ 1383 RVO.). Wegen des Verfahrens bei Geltendmachung des Anspruchs auf Leistungen s. Sozialversiche­ rung II 2. Wegen Übertragung, Verpfändung, Pfändung und Aufrechnung der Rente s. Über­ tragung. 2. Wartezeit und Anwartschaft. Unter Wartezeit wird die Erfüllung einer bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Anzahl von Beitrags­ wochen verstanden. Als Pflichtbeiträge gelten die vollen Wochen, in denen der Versicherte wegen einer Krankheit zeitweise arbeitsunfähig und nach­ weislich verhindert gewesen ist, seine Berufs­ tätigkeit fortzusetzen. Diese Wochen werden nur bei berufsmäßig versicherungspflichtig Beschäf­ tigten angerechnet. Krankheiten, die vorsätzlich, bei Begehung eines Verbrechens oder durch schuldhafte Beteiligung an Schlägereien oder Raufhändeln zugezogen sind, oder die länger als ein Jahr dauern, werden nicht angerechnet. Die Genesungszeit, sowie die durch Schwangerschaft oder ein regelmäßig verlaufenes Wochenbett her­ beigeführte Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von acht Wochen stehen der Krankheit gleich (§ 1271 RVO.). Der RAM. kann in weiteren Fällen die Anrechnung von Beitragswochen ohne Bei­ tragszahlung zulassen (§ 1279a RVO.). Das ist geschehen für Versicherte, die aus den besetzten oder Einbruchsgebieten des Ostens ausgewiesen oder verdrängt waren (V. vom 7. 2. 1925, RGBl. I 10). Ist die Wartezeit der Av. nicht erfüllt, so stehen für die Wartezeit der I. die Beiträge für die Av. den freiwilligen Beiträgen zur I. gleich; sie müssen jedoch volle Kalender­ wochen umfassen, die nicht als Beitragszeit für die Wartezeit der I. angerechnet werden (§ 1279b

RVO.). Zur Erhaltung der Anwartschaft müssen in zwei Jahren bei der Pflicht- und Weiterversicherung mindestens 20 und bei der Selbstversicherung, sofern nicht auf Grund der Pflichtversicherung bereits mehr als 60 Beiträge entrichtet wurden, mindestens 40 Beiträge ent­ richtet worden sein (§§ 1280, 1283 RVO.). Dabei stehen den Beitragsmarken solche vollen Kalenderwochen gleich, die durch entrichtete Bei­ träge zur Av. gedeckt sind. Als Zeiten, in denen Wochenbeiträge zur Erhaltung der Anwartschaft geleistet sind, werden angesehen: mit Arbeits­ unfähigkeit verbundene Krankheitszeiten und die ihnen gleichgestellten Zeilen, ferner Zeiten ohne versicherungspflichtige Beschäftigung, während denen eine Invaliden- oder Altersrente aus einer Zuschußkasse oder Sonderanstalt oder eine In­ validenrente aus der Neichsknappschast oder wegen einer Dienstbeschädigung im Weltkriege eine Rente von mindestens vier Fünftel der Voll­ rente bezogen wurde, Zeiten des Bezugs einer Un­ fallrente von mindestens einem Fünftel der Vollrente, Dienstzeiten, die in der freiwilli­ gen Kriegskrankenpflege bei der deutschen Wehr­ macht oder einer mit dem Deutschen Reich verbündeten oder befreundeten Macht zurück­ gelegt worden sind, Zeiten, in der Beiträge zur Av. entrichtet sind, soweit die Zeiten nicht durch entrichtete Beiträge zur I. gedeckt sind, und Zeiten, in denen Ruhegeld aus der Av. be­ zogen wird, ohne daß eine invalidenversiche­ rungspflichtige Tätigkeit ausgeübt wird (§ 1281 RVO.). Während des Bezugs einer Invaliden­ oder Witwenrente erlischt die Anwartschaft nicht (§ 1309 RVO.). Die Anwartschaft gilt nicht als erloschen, wenn die zwischen dem Eintritt in die Versicherung und dem Versicherungsfall liegende Zeit mindestens drei Viertel durch ord­ nungsmäßig verwendete Beitragsmarken belegt ist (§ 1280 Abs. 2 RVO.). Eine erloschene An­ wartschaft lebt wieder auf, wenn der Versicherte eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf­ nimmt oder durch freiwillige Beitragsleistung das Versicherungsverhältnis erneuert und min­ destens 200 Beiträge zahlt. Ist der Versicherte schon mehr als 60 Jahre alt, so müssen vor dem Erlöschen der Anwartschaft mindestens 1000 Bei­ tragsmarken verwendet gewesen sein; ist er mehr als 40 Jahre alt, so kann die Anwartschaft durch freiwillige Versicherung nur aufleben, wenn vor dem Erlöschen der Anwartschaft mindestens 500 Beitragsmarken verwendet gewesen waren und danach eine Wartezeit von 500 Beitrags­ wochen zurückgelegt wurde. Den Beitrags­ marken und Beitragswochen der I. stehen volle Beitragswochen gleich, die durch entrichtete Bei­ träge zur Av. und nicht nach den Vorschriften der I. gedeckt sind. Beiträge vor dem 1. 1. 1923 werden aber nur angerechnet, wenn zwischen dem Erlöschen der Anwartschaft und der Beitrags­ entrichtung zur Av. ein Zeitraum von nicht mehr als zwei Jahren liegt (§ 1283 RVO.). 3. Invalidenrente. Invalidenrente erhält der Versicherte, der das Alter von 65 Jahren voll­ endet hat oder infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen dauernd invalide ist. Als invalide gilt, wer nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihm unter billiger Berücksichtigung seiner

Invalidenversicherung Ausbildung und seines bisherigen Berufes zu­ gemutet werden kann, ein Drittel dessen zu er­ werben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbil­ dung durch Arbeit zu verdienen pflegen (§ 1255 RVO-). Die Wartezeit dauert, wenn für den Versicherten auf Grund der Versicherungs­ pflicht mindestens 100 Beiträge geleistet worden sind, 200, andernfalls 500 Beitragswochen (§ 1278 NBO.). Die Höhe der Invalidenrente berechnet sich nach der Zahl und Höhe der ververwendeten Marken sowie nach bescheinigten Krankheiten und Militärdienstzeiten. Der Jahres­ betrag der Rente setzt sich zusammen aus dem Reichszuschuß, dem Grundbetrag und dem Stei­ gerungssatz. Der Reichszuschuß beträgt jähr­ lich 48 RM. Die Versicherungsanstalt leistet den Grundbetrag mit jährlich 120 RM und den Steigerungsbetrag, der inder Lohnklasse I 30 Pf., „ „ „ II 60 „ n tf ff HI 00 „ ft „ if IV 120 „ ff n V 150 „ ff ff ff VI 180 „ „ „ ,, VII 200 „ ausmacht. Ferner wird für jede ordnungsmäßig verwendete Beitragsmarke der bis zum 30. 9.1921 gültigen Lohnklassen auf Kosten des Reichs ein Steigerungsbetrag gewährt, und zwar für jede Beitragsmarke I 3 Pf., in der Lohnklasse II 6 III 12 IV 18 V 27 (Art. 1, 4 des G. vom 29. 3. 1928, RGBl. I 116). Hat der . , „ er der Invalidenrente Kinder (s. d.), so erhöht sich für jedes von ihnen bis zum 15. Lebensjahr die Invaliden­ rente um jährlich 120 M. Erhält das Kind nach Vollendung des 15. Lebensjahres Schul- oder Berufsausbildung, so wird der Kinderzuschuß bis zum vollendeten 21. Lebensjahre gewährt, solange die Schul- und Berufsausbildung dauert und der Versicherte das Kind überwiegend unter­ hält. Der Kinderzuschuß wird für Kinder, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande sind, sich selbst zu erhalten, gewährt, solange der Zustand dauert und der Versicherte das Kind überwiegend unterhält (§ 1291 RVO. in der Fassung des G. vom 25. 6. 1926, RGBl. 1311). 4. Hinterbliebenenrente, a) Witwenund Witwerrente. Nach dem Tode ihres ver­ sicherten Mannes erhält die Witwe, die das 65. Lebensjahr vollendet hat, infolge von Krank­ heit oder anderen Gebrechen dauernd invalide ist, Witwenrente. Als invalide gilt die Witwe, die nicht imstande ist, durch eine Tätigkeit, die ihren Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihr unter billiger Berücksichtigung ihrer Ausbildung und bisherigen Lebensstellung zugemutet werden kann, ein Drittel dessen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde.Frauen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. Ist die Witwe im Zeitpunkt des Todes des Ehemannes nicht in­ valide, so beginnt die Rente mit dem Eintritt der Invalidität. Nach dem Tode der versicherten

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Ehefrau eines erwerbsunfähigen Ehemannes, die den Lebensunterhalt ihrer Familie ganz oder überwiegend aus ihrem Arbeitsverdienste be­ stritten hat, steht dem Manne Witwerrente zu, solange er bedürftig ist (§ 1261 RVO.). Die Witwen- und Witwerrente besteht aus dem Reichszuschuß von 120 RM und aus sechs Zehnteln des Grundbetrags und der Steigerungssätze der Invalidenrente des Verstorbenen (§ 1292 RVO.). b) Waisenrente erhalten nach dem Tode des versicherten Vaters seine Kinder (s. d.) bis zum vollendeten 15. Lebensjahre (§ 1259 RVO. in der Fassung des G. vom 26. 7. 1926, RGBl. I 311). Wegen Verlängerung der Bezugsdauer infolge Schul- und Berufsausbildung gilt das gleiche wie bei dem Kinderzuschuß (s. unter 3). Kinder einer versicherten Ehefrau erhalten Waisenrente in allen Fällen, es sei denn, daß die verstorbene Ehefrau aus ihrem Arbeitsverdienste zum Unter­ halte der Kinder nicht beigetragen hat (§ 1260 RVO.). Die Waisenrente besteht aus dem Reichs­ zuschuß im jährlichen Betrage von 36 RM und fünf Zehnteln des Grundbetrags und des Stei­ gerungsbetrags der Invalidenrente (§ 1292 RVO.). Treffen die Voraussetzungen für mehrere Waisenrenten zusammen, so wird die Waisen­ rente nur einmal gewährt, und zwar zum höheren Betrage (§ 1259 Abs. 3 RVO. in der Fassung des G. vom 25. 6. 1926, RGBl. I 311). Die Gesamt­ bezüge der Hinterbliebenen dürfen 80% des Jahresarbeitsverdienstes nicht übersteigen, den in derselben Gegend ein gesunder Arbeiter der Berufsgruppe erzielt, welcher der Versicherte bei einer wesentlich ungeschwächten Arbeitskraft nicht nur vorübergehend angehört hat; sonst werden sie nach dem Verhältnis ihrer Höhe ge­ kürzt. Beim Ausscheiden eines Hinterbliebenen erhöhen sich die Leistungen bis zum zulässigen Höchstbetrage (§ 1262 RVO. in der Fassung des G. vom 12. 6. 1926, RGBl. I 311). 5. Wegfall, Ruhen und Entziehung der Renten, Kapitalabfindung, a) Wegfall. Die Witwen- und Witwerrenten fallen bei der Wiederverheiratung weg. Die Witwe wird mit dem Betrag der Jahresrente abgefunden (§ 1298 RVO.). Die Waisenrente fällt fort mit Ablauf des Monats, in dem die Waise-das 15. Lebens­ jahr vollendet hat oder in dem die Schul- oder Berufsausbildung aufhört, in der die Waise sich befindet (s. unter 4b). Für den Sterbemonat und den Monat, der das Ruhen der Rente bringt, wird die Rente voll ausbezahlt (§ 1301 RVO.). Ist beim Tode des Empfängers die fällige Rente noch nicht abgehoben, so sind nacheinander bezugsberechtigt der Ehegatte, die Kinder (s. d.), der Vater, die Mutter, die Geschwister, wenn sie mit dem Empfänger zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben (§ 1302 RVO.). Stirbt der Berechtigte nach Stellung des Antrags, so sind zur Fortsetzung des Ver­ fahrens unter der gleichen Voraussetzung die­ selben Personen befugt (§ 1303 RVO.). b) Ruhen. Die Rente ruht, solange sich der berechtigte Inländer im Auslande aufhält, ohne der LVA. seinen Aufenthaltsort mitzuteilen oder solange der Berechtigte eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat verbüßt oder in einem Arbeitshause oder einer Besserungsanstalt unter­ gebracht ist — die von ihm unterhaltenen Ange-

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hörigen im Inland erhalten in diesem Falle die Renten. Die Rente ruht ferner, solange sich der berechtigte Ausländer freiwillig im Ausland auf­ hält oder solange dieser wegen Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Reichsgebiet oder aus dem Gebiet eines Landes ausgewiesen ist, solange er sich nicht im Gebiete eines anderen Landes aufhält (§§ 1312—1314 NVO.). Für ausländische Grenzbezirke oder für auswärtige Staaten mit gleichwertiger I. kann die Reichs­ regierung mit Zustimmung des NR. das Ruhen ausschließen (§ 1314a RVO.). Bek. vom 16. 10. 1900 (ZBl. 540), abgeändert durch Bek. vom 1. 2. 1904 (ZBl. 26), vom 18. 5. und 15. 11. 1908 (ZBl. 195, 476), vom 25. 11. 1909 (ZBl. 1408), vom 30. 11. 1911 (ZBl. 725), V. vom 7.2., 24. 8. 1925 (RGBl. I S. 11, 320) und V. vom 15. 11. 1927 (RGBl. I 329) und vom 21. 2. 1928 (RGBl. I 52). o) Entziehung. Die Invalidenrente wird ent­ zogen, wenn die Invalidität nicht mehr besteht oder solange sich der Rentenempfänger einem not­ wendigen Heilverfahren nicht unterzieht. Witwer­ und Waisenrenten, die für den Fall der Bedürf­ tigkeit gewährt werden, werden entzogen, sobald die Bedürftigkeit des Empfängers sortfällt (§§ 1304—1307 RVO.). Die Entziehung wird mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheids folgenden Monats wirksam (§ 1308 RVO.). d) Ruhen. Ist die Invalidität Folge eines entschädigungspflichtigen Unfalls, so ruht der Teil des Grundbetrags der Invalidenrente, der dem vom Versicherten bezogenen Teil der Voll­ rente aus der UV. entspricht. Ist der Tod des Versicherten Folge eines entschädigungspflich­ tigen Unfalls, so ruht neben der Rente aus der UV. der Grundbetrag der Hinterbliebenenrente aus der JnV. Das Ruhen tritt auch ein, wenn Un­ fallrente tatsächlich gewährt (§ 1311). Neben der Unfallrente ruht die Invalidenrente soweit die Gesamtbezüge den Jahresarbeitsverdienst über­ steigen, den in derselben Gegend ein gesunder Arbeiter der Berufsgruppe erzielt, welcher der Versicherte bei im Wesentlich ungeschwächter Ar­ beitskraft nicht nur vorübergehend angehört (§ 1311a) in der Fassung des G. vom 25.6.1926, RGBl- 311, AN. 27, 528). e) Kapitalabfindung. Sie ist nur zulässig zugunsten eines berechtigten Ausländers, der sich gewöhnlich im Ausland aufhält (§ 1317 RVO.). f) Fortfall des Reichszuschusses. Bei Renten für Hinterbliebene eines Ausländers, die sich zur Zeit seines Todes nicht gewöhnlich im In­ land aufhielten, fällt der Reichszuschuß weg, so­ weit nicht für ausländische Grenzbezirke und aus­ wärtige Staaten mit gleichwertiger Gesetzgebung eine Ausnahme gemacht ist. Auch bei den ins Ausland gezahlten Renten fällt der Reichszuschuh weg, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um In­ länder oder Ausländer handelt, soweit nicht Aus­ nahmen bestehen (§§ 1268 Abs. 1, 1316 RVO.; VO. vom 16. 4. 1924, RGBl. I 405). 6. Heilverfahren. Das Heilverfahren ist eine freiwillige Mehrleistung. Weder hat der Ver­ sicherte einen Anspruch darauf, noch kann der Ver­ sicherungsträger zur Gewährung des Heilver­ fahrens im Spruchverfahren verurteilt werden. Die Einleitung des Heilverfahrens kann einmal zur Abwendung der aus einer Erkrankung drohen­

den Invalidität und sodann zur Beseitigung der Invalidität des Empfängers einer Invaliden-, Witwen- oder Witwerrente erfolgen. In beiden Fällen ist die Zustimmung des Betreffenden er­ forderlich, wenn er verheiratet ist und mit seiner Familie zusammenlebt oder einen eigenen Haus­ halt hat oder Mitglied des Haushalts seiner Fa­ milie ist. Entzieht sich ein Versicherter ohne Grund dem Heilverfahren, und wäre die Invalidität ver­ hütet worden, so kann die Rente ganz oder teil­ weise versagt werden, wenn der Erkrankte aus die Folgen hingewiesen worden ist. Das gleiche gilt für einen Rentenempfänger, der sich ohne Grund der Nachuntersuchung oder Beobachtung im Krankenhause entzieht. Während des Heilver­ fahrens kann die Invaliden-, Witwen- oder Witwerrente ganz oder teilweise versagt werden. Bei versicherten Soldaten und Angehörigen der Schutzpolizei wird während ihrer Zugehörigkeit zur Wehrmacht ein Heilverfahren nicht gewährt (§ 1274a RVO.). Angehörige des erkrankten Ver­ sicherten, deren Unterhalt dieser ganz oder über­ wiegend aus seinem Arbeitsverdienst bestritten hat, erhalten während der Unterbringung des Versicherten im Krankenhaus ein Hausgeld in gleicher Höhe wie von ihrer KK. oder im Betrage eines Viertels des Ortslohnes für erwachsene Ar­ beiter. Der Anspruch auf Hausgeld fällt fort, so­ lange und soweit Lohn oder Gehalt auf Grund eines Rechtsanspruchs gezahlt wird. Dem Ver­ sicherten hat die LVA. während des Heilverfah­ rens alles zu gewähren, worauf er Anspruch gegen­ über seiner KK. hat. Die Kasse muß der Versiche­ rungsanstalt in diesem Umfang Ersatz leisten (§§ 1269—1274,1304—1306,1518—1520 RVO.). 7. Allgemeine Fürsorgemaßnahmen. Die LVA. können mit Genehmigung der Aufsichts­ behörde Mittel aufwenden, um allgemeine Maß­ nahmen zur Verhütung des Eintritts vorzeitiger Invalidität unter den Versicherten oder zur Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse der ver­ sicherungspflichtigen Bevölkerung zu fördern oder durchzuführen. Von dieser Befugnis machen die Versicherungsanstalten weitgehenden Gebrauch. In Frage kommen insbesondere die Bekämpfung der Volkskrankheiten (Tuberkulose und Ge­ schlechtskrankheiten), die Besserung der Woh­ nungsverhältnisse, die Ernährung der Kinder, die rechtzeitige und ergiebige Behandlung der Zähne usw. (§ 1274 NVO.). 8. Sachleistungen statt Renten. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß Renten bis zu zwei Drittel durch die Gemeinde des Wohn­ orts in Sachen gewährt werden an Renten­ empfänger, die oder deren Ernährer als landwirt­ schaftliche Arbeiter nach Ortsgebrauch ganz oder teilweise in Sachen entlohnt werden und mit der Sachleistung statt Rente einverstanden sind. Bei Waisenrenten ist auch die Zustimmung des Vor­ mundes erforderlich. Trunksüchtigen können auf Antrag des VA. ganz oder teilweise Sachleistungen gewährt werden. Auf Antrag des FürsV. oder der Gemeindebehörde des Wohnorts muß dies ge­ schehen. Die Gemeinde des Wohnorts, die die Sachleistungen gewährt, erhält dafür die Renten. Auf Antrag kann der Rentenempfänger in ein Invaliden- oder Waisenhaus oder in einer ähn­ lichen Anstalt untergebracht werden (§§ 1275 bis 1277 RVO.).

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IV. Feststellung der Leistungen. 1. All­ gemeines. Die Leistungen werden nur auf An­ trag gewährt. Anträge sind an das VA. oder an die LVA. zu richten. Die Beweisstücke sollen bei­ liegen. Ist der Antrag beim VA. gestellt, so hat dieses für die Beschaffung der fehlenden Beweis­ stücke zu sorgen und sodann die Verhandlungen an die LVA. abzugeben. Diese kann zur Klärung des Sachverhalts ein VA., ein Amtsgericht oder eine andere Behörde um Beweisaufnahme ersuchen, auch die Sache zur Begutachtung an das VA. ab­ geben, die auch der Antragsteller verlangen kann (§§ 1613—1615 RVO-). Das VA. ermittelt nach freiem Ermessen und erstreckt seine Erhebungen auf alle Fragen, die für die Entschließung des LVA. von Bedeutung sind. Auf Antrag und auf vor­ herige Zahlung der Kosten durch den Berechtigten muß das VA. ein ärztliches Gutachten einholen (§ 1617 NVO.). Der Vorsitzende des VA. erstattet ein umfassendes Gutachten, das auf Antrag einer Partei nach mündlicher Verhandlung zu erstatten ist (§§ 1617—1629 NVO.), sofern es sich nicht um Waisenrente, Kapitalabfindung oder um Einver­ ständnis der beiden Parteien handelt. 2. Bescheid. Die Leistungen des I. werden durch den Vorstand des LVA. sestgestellt. Wird ein angemeldeter Anspruch anerkannt oder abgelehnt, so ist ein schriftlicher Bescheid zu erteilen. Er ist zu begründen und zu unterschreiben. Die Unter­ schrift des Vorsitzenden genügt. Wird bei An­ spruch abgelehnt, so erhält der Berechtigte auf Antrag kostenlos eine Abschrift des etwa vom VA. erstatteten Gutachtens; desgleichen gegen Er­ stattung der Kostenabjchriften der Zeugen- und Sachverständigenaussagen sowie der ärztlichen Gutachten, soweit dies mit Rücksicht auf den Be­ rechtigten zulässig ist. Das OVA. entscheidet end­ gültig. Wird eine Rente gewährt, so ist in dem Bescheid ihre Höhe, der Beginn und die Art ihrer Berechnung anzugeben. DerBescheid muß denVermerk enthalten, daß er als rechtskräftig gilt, wenn er nicht binnen einem Monat durch Berufung beim OVA. angefochten wird. Ebenso ist bei Einstellung oder Entziehung der Rente zu verfahren. 3. Wiederholung des Antrags. Ein end­ gültig wegen mangelnden Nachweises der In­ validität abgelehnter Antrag aus Invalidenrente oder auf Waisenrente kann erst nach Ablauf des Jahres seit Zustellung des Bescheids wiederholt werden, wenn glaubhaft bescheinigt wird, daß in­ zwischen Umstände eingetreten sind, die den Nach­ weis der Invalidität liefern. Das gleiche gilt bei rechtskräftiger Entziehung einer Invaliden- oder Witwenrente wegen nicht mehr vorhandener In­ validität (§ 1635 NVO.). 4. Verfahren vor dem OVA. und NVA. Gegen den Bescheid ist die Berufung an das OVA. zulässig. Zuständig ist das OVA. für den Bezirk des VA., welches die Sache vorbereitet hat. Will das OVA. in einem Falle, in dem die Revision ausgeschlossen ist, von einer grundsätzlichen Ent­ scheidung des NVA. abweichen, oder handelt es sich in einem solchen Falle um die noch nicht fest­ gestellte grundsätzliche Auslegung von gesetzlichen Vorschriften, so hat es die Sache unter Begrün­ dung seiner Rechtsausfassung an das NVA. ab­ zugeben. Alsdann entscheidet das NVA. an Stelle des OVA. (§§ 1675—1693 RVO.). Gegen die Urteile der Spruchkammer des OVA. ist die

Revision zulässig, sofern es sich nicht um Höhe, Beginn und Ende der Rente, Kapitalabfindung oder Kosten des Verfahrens handelt. Wegen des Verfahrens vor dem OVA. s. auch Sozialver­ sicherungen II 3 d, und wegen des Verfahrens vor dem NBA. §§ 1698, 1707—1721 RVO. und Sozialversicherung II4d. 5. Auszahlung durch die Post. Die Leistungen werden in der Regel durch die Post­ anstalt gezahlt, in deren Bezirk der Empfänger zur Zeit des Antrags wohnte. AussB. des NVA. vom 7. 12. 1911 (AN. 1912, 347), abgeändert durch Erl. vom 7.3. 1912 (AN. 510), vom 18. 8. 1913 (AN. 592), vom 7. 6. 1918 (AN. 406); Bek. vom 4. 8. 1920 (AN. 270), vom 31. 12. 1923 (AN. 1924, 1), vom 27. 10. 1926 (AN. 460). V. Träger der Versicherung. Zur Durch­ führung der I. sind nach Bestimmung der Landes­ regierungen mit Zustimmung des Bundesrats Landesversicherungsanstalten (s. d.) errichtet. Da­ neben gibt es Sonderanstalten (s. d.), die an die Stelle der LVA. treten; sie hießen früher zuge­ lassene besondere Kasseneinrichtungen. VI. Aufbringung der Mittel. 1. Allge­ meines. Die Mittel für die Durchführung der I. werden durch Beiträge aufgebracht, die nach Lohnklassen (s. II4) abgestuft sind. Beitrags­ pflichtig sind Arbeitgeber und Versicherte zu gleichen Teilen. Zahlungspflichtig sind für die ganzen Beiträge die Arbeitgeber, die den Ver­ sicherten die Hälfte vom Lohn bei der Lohn­ zahlung abziehen dürfen. Freiwillig Versicherte entrichten die Beiträge selbst, können jedoch bei einer entgeltlichen, nicht bar bezahlter oder nur vorübergehender Beschäftigung (§§ 1227, 1232 RVO.) vom Arbeitgeber die Hälfte der gesetz­ lichen Beiträge verlangen (§ 1441 RVO.). Das Reich zahlt den Reichs zuschuß, der für jede Jnvaliden-,Witwen- und Witwerrente jährlich 72RM, und für jede Waisenrente 36 RAl ausmacht (§ 1285 RVO.). Außerdem trägt das Reich die Kosten des NVA. und erhält die nach § 1803 RVO. vom NVA. festgesetzte Gebühr. Die Kosten der Landes­ versicherungsämter (s. Sozialversicherung II) fallen den Ländern zur Last. Diese tragen auch einen Teil der Kosten des VA. und OVA. (s. Sozialversicherung II). Die Ausgabe der Quittungskarten (s. d.) besorgen Gemeinden und OPB., KK. und Hebestellen der LVA. Ein Gemeinvermögen und ein Sondervermögen der LVA. gibt es nicht mehr. Die Rentenzahlungen werden, abgesehen vom Reichszuschuß, vom NVA. auf alle Träger nach Maßgabe ihrer Beitrags­ einnahme in dem betreffenden Geschäftsjahr ver­ teilt (§ 1405 NVO.). Reicht das Anstaltsver­ mögen zur Deckung der Verbindlichkeiten nicht aus, so haftet der Gemeindeverband, für dessen Bezirk die LVA. errichtet ist, und bei seinem Un­ vermögen das Land (§ 1402 RVO.). 2. Höhe der Beiträge. Die Beiträge werden nach dem Umlageverfahren erhoben. Dabei gilt als Wochenbeitrag in

Lohnklasse I . . . „ II ... III... „ IV ... „ V . . . VI ... „ VII ...

. ,. .. .. .. .. ..

. . . . . . . . . ... ... ... ...

30 60 90 120 150 180 200

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3. Beitragszahlung. Die Beiträge werden durch Verwendung von Beitragsmarken ent­ richtet, die in die Quittungskarten (s. d.) vom Zahlungspflichtigen geklebt werden. Die Bei­ tragsmarken lauten nicht mehr auf den Namen der LVA., sondern sind einheitlich für das ganze Reich (Einheitsmarken). Die Unterscheidungsmerk­ male und die Zeitabschnitte bestimmt das NVA. (§ 1411 NVO.; V. vom 31. 8. 1925, AN. 295). Zur Zeit werden Ein- und Zweiwochenmar­ ken ausgegeben, die bei den Postanstalten ge­ kauft werden können. Die Marken sind sofort nach dem Einkleben zu entwerten (§ 1431 NVO.; Bek. vom 10. 11. 1911, RGBl. 937). Von der Beitragszahlung durch Einkleben von Marken be­ stehen zwei Ausnahmen: das Einzugsverfahren (s. d.) und das Berichtigungsverfahren (s. unter 6). Für versicherungspflichtige Personen ist der Ar­ beitgeber zahlungspflichtig; er hat die Beitrags­ marken aus eignen Mitteln zu erwerben und bei der Lohnzahlung in die Quittungskarte einzu­ kleben. Der Arbeitgeber, der den Versicherten in der Woche zuerst beschäftigt, hat den ganzen Wochenbeitrag zu entrichten. Bei gleichzeitiger Beschäftigung durch mehrere Arbeitgeber hasten alle als Gesamtschuldner (§ 1426 RVO.). Findet eine Lohnzahlung nicht statt, so sind die Marken spätestens bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses einzukleben (§ 1428 NVO.). Bei Versicherten, die durch Vertrag für mindestens ein Vierteljahr zur Arbeit bei demselben Arbeit­ geber verpflichtet sind, kann der Arbeitgeber die Marken zu anderer Zeit, spätestens in der letzten Woche jeden Vierteljahrs, einHefceii (§ 1429 RVO.). Auch sonst kann die LVA. das Einkleben der Marken zu anderer Zeit gestatten (§ 1430 RVO.). Die Versicherten haben sich die Hälfte der Beiträge bei der Lohnzahlung abziehen zu lassen (§ 1432 RVO.). Bei Personen, deren wöchentliches Entgelt 6 RM nicht übersteigt, ist ein Abzug unzulässig (§ 1387 Abs. 2 NVO.). Zahlungsunfähige Arbeitgeber, denen durch An­ ordnung des VA. der Lohnabzug von den Beschäf­ tigten untersagt ist, dürfen Beiträge für die I. nur für die Zeit machen, in der sie die geschuldeten Beiträge bereits entrichtet haben (§ 1435 RVO.). Für Deutsche, die bei amtlicher Vertretung des Reichs oder eines Landes im Ausland oder bei deren Leitern oder Mitgliedern beschäftigt sind (V. vom 26. 4. 1923, RGBl. I 273), und für Ge­ werbetreibende, die durch Anordnung des RAM. der Versicherungspflicht unterstellt sind (s. I11), regelt der RAM. die Erhebung der Beiträge, während die LVA. mit Zustimmung des NBA. die Erhebung der Beiträge für Hausgewerbe­ treibende regeln und bestimmen kann, wieweit die Auftraggeber die Pflichten der Arbeitgeber zu erfüllen haben (§ 1436 RVO.). Für Personen, deren Entgelt nur aus Sachbezügen besteht oder von Dritten gewährt wird, bestimmt der RP., in Berlin der OP. die Einziehung des Beitrags­ teils von den Versicherten (§ 1437; Erl. vom 27. 6. 1912, HMBl. 389). Auch der Versicherte kann die vollen Beiträge entrichten. Der Arbeit­ geber hat ihm die Hälfte, und zwar die gesetzlichen Beiträge, wenn nicht die Versicherung in einer höheren Lohnklasse vereinbart ist, zu erstatten. Der Anspruch besteht nur bei vorschriftsmäßiger Entwertung der-Marken (§ 1439 RVO.). Bei

der Selbstversicherung und Weiterversicherung sind Beiträge in der dem jeweiligen Einkommen entsprechenden, mindestens aber in der zweiten Lohnklasse zu verwenden. Freiwillig Versicherte können die Versicherung im Ausland fortsetzen und erwerben Marken der LVA., in deren Be­ zirk sie sich aufhalten oder beschäftigt werden (§ 1440 NVO.; G. vom 28. 7. 1925, RGBl. I 157). Geleistete Militärdienste und Krankheits­ wochen gelten als Beitragswochen und werden durch Militärpapiere oder Krankheitsbescheini­ gungen nachgewiesen (§ 1438 RVO.; Anw. vom 20. 11. 1911 Ziff. 20, HMBl. 429). 4. Irrtümlich geleistete und unwirksame Beiträge. Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet worden sind und nicht zurückgefordert werden, gelten als für die Selbstversicherung oder Wei­ terversicherung entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestanden hat. Der Versicherte kann die Beiträge binnen zehn Jahren nach der Entrichtung zurückfor­ dern, wenn ihm nicht schon eine Rente rechts­ kräftig bewilligt worden ist und die Verwen­ dung der Marken nicht in betrügerischer Ab­ sicht geschehen ist. Der Arbeitgeber kann die Beiträge nicht mehr zurückfordern, wenn ihm vom Versicherten der Wert seines Anteils er­ stattet ist oder seit der Entrichtung zwei Jahre verflossen sind (§ 1446 NVO.). Unwirksam sind Pflichtbeiträge, wenn sie nach Ablauf von zwei Jahren, falls aber die Beitragsleistung ohne Ver­ schulden des Versicherten unterblieben ist, nach Ablauf von vier Jahren seit der Fälligkeit ent­ richtet werden. Ein Verschulden liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber die Quittungskarte auf­ bewahrt und sie nicht zur richtigen Zeit ordnungs­ mäßig umgetauscht hat (§ 1442 NVO.). Frei­ willige Beiträge und Beiträge über die gesetzliche Lohnklasse hinaus dürfen für mehr als ein Jahr zurück nicht entrichtet werden, ebensowenig nach Eintritt dauernder oder vorübergehender In­ validität oder für die weitere Invalidität (§§ 1443, 1444 Abs. 1 NVO.). Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit oder ein Verfahren über In­ validen-, Alters-, Witwen- oder Witwerrente schwebt, werden in die bezeichneten Fristen nicht eingerechnet. Diese Tatsachen unterbrechen auch die Verjährung rückständiger Beiträge (§ 1444 Abs. 2, 3 RVO.). Sind Marken einer rechtzeitig ausgestellten und rechtzeitig umgetauschten Quit­ tungskarte ordnungsmäßig verwendet, so wird vermutet, daß während der belegten Beitrags­ wochen ein Versicherungsverhältnis bestanden hat. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Marken über einen Monat nach Fälligkeit der Beiträge oder für das Kalenderjahr in größerer Zahl ein­ geklebt sind, als es Beitragswochen hat: Nach Ablauf von zehn Jahren seit Aufrechnung der Quittungskarte kann die rechtzeitige Verwendung der in der Aufrechnung bescheinigten Marken nicht mehr angefochten werden, es sei denn, daß die Marken vom Versicherten oder seinem Vertreter oder von einem zur Fürsorge für ihn Verpflich­ teten in betrügerischer Absicht verwendet worden sind (§ 1445 Abs. 1—3 RVO.). Sind für einen Versicherten Beiträge zur I. entrichtet, obwohl er angestelltenversicherungspflichtia ist, so dürfen nach § 1445 RVO. in der Fassung des G. vom

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28. 7. 1925 (RGBl. I 157) die zur I. entrich­ teten Beiträge nur insoweit beanstandet werden, als die Nachentrichtung von Beiträgen zur Av. statthaft ist (s. Angestelltenversicherung). 5. Überwachung derBeitragsentrichtung. Die LVA. überwachen die rechtzeitige und voll­ ständige Entrichtung der Beiträge durch Beauf­ tragte (Kontrollbeamte). Diesen haben die Arbeitgeber über die Zahl der Beschäftigten, ihren Arbeitsverdienst inib die Dauer ihrer Be­ schäftigung nötigenfalls unter Vorlegung der Ge­ schäftsbücher und Listen während der Betriebs­ zeit und in den Betriebsräumen Auskunft zu geben. Auch die Versicherten haben über Art und Dauer ihrer Beschäftigung sowie ihren Arbeits­ verdienst Auskunft zu geben. Beide Gruppen sind verpflichtet, auf Erfordern die Quittungskarten oder die Bescheinigungen über die Aufrechnung zur Prüfung und Berichtigung gegen Empfangs­ bescheinigung vorzulegen. Das VA. kann beide Gruppen zur Erfüllung ihrer Verpflichtung durch Geldstrafen von 1—1000 RM anhalten (§§ 1465, 1466 RVO.). Die LVA. sind berechtigt und auf Anordnung des NVA. (LVA.) verpflichtet, Über­ wachungsvorschriften zu erlassen, zu deren Befolgung Arbeitgeber und Versicherte vom Vor­ stand der LVA. mit Geldstrafe von 1 — 1000 RM angehalten werden können (§ 1467 NVO.). Ent­ stehen durch die Überwachung bare Auslagen, so können sie dem Arbeitgeber auferlegt werden, wenn er sie durch Pflichtversäumnis verursacht hat. Auf Beschwerde entscheidet das OBA. end­ gültig. Die Kosten werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben (§ 1468 RVO.). 6. Beitrags streitigkeiten. Streit über die Beitragsleistung entscheidet, wenn er nicht bei der Rentensestsetzung hervortritt, das VA. und aus Beschwerde das OVA. endgültig (§ 1459 RVO-). Ist es streitig, an welche von mehreren LVA. Bei­ träge für bestimmte Personen zu entrichten sind, so entscheidet nach § 1460 NVO. das NVA. (LVA.). Allen anderen Streit zwischen Arbeit­ gebern und Arbeitnehmern über Verrechnung und Anrechnung, Erstattung und Ersatz der Beiträge entscheidet das NVA. endgültig (§ 1461 NVO.). Nach Erledigung des Streits sorgt das VA. dafür, daß zu wenig erhobene Beiträge nachträglich durch Marken gedeckt werden. Zuviel erhobene, die noch zurückgefordert werden können, zieht es von der LVA. auf Antrag ein und zahlt sie den Be­ teiligten zurück. Die Marken werden vernichtet und die Aufrechnung berichtigt. Statt der Ver­ nichtung der Marken kann das VA. die Quittungs­ karte einziehen und das Gültige auf eine neu ausgestellteQuittungskarte übertragen lassen (§§ 1462, 1463 RVO.). Ist die Pflicht oder das Recht zur Versicherung endgültig verneint, so erhalten die Beteiligten die noch nicht verfallenen Beiträge auf Antrag zurück (§ 1464 NVO.). VII. Verhältnis zu anderen Versiche­ rungszweigen, zur Fürsorge, Erwerbs­ losenfürsorge und zu Dritten. 1. Über das Verhältnis der I. zur Krankenversicherung s. d. VII. 2. Unfallversicherung. Gewährt ein Träger der UV. dem Bezieher einer Rente aus der I. eine Rente oder Heilanstaltspflege (Anstalts­ pflege) aus der UV., oder treten Änderungen darin ein, so ist die LVA. unverzüglich zu benach-

richtigen. Bei Verletztenrenten ist das Maß der Einbuße an Erwerbsunfähigkeit anzugeben (§1522 NVO. in der Fassung des G. vom 25. 6. 1926, RGBl. I 311). Gewährt die LVA. wegen einer Krankheit, die Folge eines entschädigungspflich­ tigen Unfalls ist, ein Heilverfahren, das den Ein­ tritt der Invalidität verhindert oder sie beseitigt, so ist der Träger der UV. der LVA. ersatzpflichtig für die Kosten des Heilverfahrens, wenn auch er dadurch entlastet worden ist. Für Krankenpflege sind drei Achtel des Grundlohns (s. d.) zu er­ setzen, nach dem sich das Krankengeld des Berech­ tigten bestimmt. Bei Krankenhauspflege gilt das gleiche für die Krankenpflege. Für den Unterhalt im Krankenhause wird die Hälfte des Grundlohns angesetzt. Ist kein Grundlohn bestimmt, so ist der wirkliche Aufwand zu ersetzen. Gewährt die LVA. das Heilverfahren, so ist dieses für die Entschädi­ gungsansprüche des Berechtigten einem von dem Träger der UV. gewährten entsprechenden Heil­ verfahren gleichzuachten. Der Träger der UV. wird von seiner Pflicht zur Gewährung von Tage­ geld oder Familiengeld an die Berechtigten frei, soweit die LVA. für diese Hausgeld zahlt (§ 1524 NVO.). Gewährt die LVA. wegen einer Krank­ heit, die Folge eines entschädigungspflichtigen Unfalls ist, ein Heilverfahren, das zwar nicht den Eintritt der Invalidität verhindert oder sie be­ seitigt, jedoch den Träger der UV. entlastet, so gilt Entsprechendes (§ 1525 RVO.). Streit über Ersatzansprüche wird im Spurchverfahren ent­ schieden (§ 1526 NVO.). 3. Angestelltenversicherung. Durch G. über Änderung des Avg. und der NVO. vom 10. 11. 1922 (RGBl. I 849) ist die doppelte Pflichtversicherung in der I. und Av. beseitigt, indem die der Av. unterliegenden Personen aus der I- herausgenommen sind. Der dadurch not­ wendig gewordene Lastenausgleich ist in dem § 378 Avg. vorgenommen, doch haben die Vor­ schriften in der Hauptsache ihre praktische Be­ deutung verloren. Ständige Berührungspunkte zwischen I. und Av. bilden noch die Wander­ versicherten (s. d.). 4. Neichsknappschaftsverein. Dieser ist eine Sonderanstalt (s. d.) der I. und steht sonach den LVA. im wesentlichen gleich. 5. Ersatzansprüche der Fürsorgever­ bände. Es können nur Renten beansprucht werden, und zwar zum halben Betrage der Rente, die auf die Zeit entfällt, für welche die Unter­ stützungen und der Anspruch auf Rente zusammen­ fällt. Bei Gewährung vollständigen Unterhalts in einer Anstalt durch die LVA. oder den FürfB. kann Ersatz bis zum vollen Betrage der Rente beansprucht werden. Das gleiche gilt für rückstän­ dige Rentenbeträge (§ 1536 RVO.). Der Ersatzan­ spruch des FürsV. besteht auch, wenn der Hilfsbe­ dürftige vor Stellung des Antrags auf Rente ge­ storben ist. Der FürsV. kann den Rentenanspruch selbst betreiben. Der Ersatzanspruch ist binnen sechs Monaten nach Ablauf der Unterstützung bei der LVA. geltend zu machen. Streit über Ersatz­ ansprüche wird im Spruchverfahren entschieden (§§ 1537—1540 RVO.). 6. Schadensersatzanspruch gegen Dritte. Soweit die Versicherten oder ihre Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften Ersatz eines Schadens beanspruchen können, der ihnen durch

Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3. Aufl.

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Invalidität — Johanmterorden

Krankheit, Invalidität oder durch den Tod des Ernährers erwachsen ist, geht der Anspruch auf die LVA. insoweit über, als sie den Entschädigungsberechtigten Leistungen zu gewähren haben. Der Anspruch der Wöchnerin gegen den außer­ ehelichen Schwängerer geht nicht über. Für die Bemessung des Ersatzes für Krankenpflege und Krankenhauspflege sowie Krankenbehandlung und Heilanstaltpflege gilt das gleiche wie unter 2. S. auch Haftpflicht V 2. 7. Arbeitslosenversicherung. Während des Bezugs der Hauptunterstützung sind für die Arbeitslosen aus Mitteln der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zur Erhaltung der Anwartschaft Beiträge zu zahlen (§ 129 ArblosVG.). F. H. S. Reichsversicherungsordnung.

Invalidität s. Erwerbsunfähigkeit. Jnventarpfandrecht s. Kreditbeschaffung für landwirtschaftliche Pächter. Investigationen. Nach Art. 213 des Versailler Vertrags ist Deutschland verpflichtet, in Ausfüh­ rung der Entwaffnungsbestimmungen des Ver­ trags jede Untersuchung zu dulden, die der Rat des Völkerbundes mit Mehrheitsbeschluß für not-. wendig erachtet. Dieser Vorschrift entsprechen gleichlautende Bestimmungen der Friedensver­ träge mit Österreich (Art. 159 des Vertrags von St. Germain), mit Ungarn (Art. 143 des Vertrags von Trianon) und mit Bulgarien (Art. 104 des Vertrags vonNeuilly). Das Jnvestigationsrecht des Völkerbundes war zunächst näher geregelt worden durch Resolutionen des Rates vom 27.9.1924 und 14.3.1925. Diese Beschlüsse wurden jedoch nach Abschluß der Locarno-Verträge anläßlich des Ein­ tritts Deutschlands in den Völkerbund und der Zurückziehung der Interalliierten Militärkommision (vgl. Entwaffnung) auf Betreiben Deutsch­ lands durch eine weitere Resolution des Rates vom 11. 12. 1926 in wesentlichen Punkten ab­ geändert. Die Resolution vom 11. 12. 1926 im Zusammenhang mit den vorausgegangenen bei­ den Beschlüssen, die, soweit sie nicht durch ihn abgeändert sind, Geltung behalten, bilden zur Zeit die maßgebenden AusfB. zu Art. 213 des Versailler Vertrags und den entsprechenden Bestimmungen der anderen Friedensverträge. Auf eine Mitteilung hin, die jedes Mitglied des Völkerbundes dem Rat zugehen lassen kann, entscheidet dieser durch Mehrheitsbeschluß, ob es im konkreten Falle notwendig ist, zu einer I. zu schreiten; der Rat hat, falls er diese Frage bejaht, alsdann Gegenstand und Grenzen der I. festzu­ setzen. Der auf Grund von Art. 9 der Völker­ bundssatzung gebildete Ständige Rüstungsaus­ schuß, der aus militärischen Sachverständigen sämtlicher im Rat vertretenen Staaten zusammen­ gesetzt ist und in dem daher Deutschland als ständige Ratsmacht stets vertreten ist, hat die Aufgabe, die vom Rat beschlossenen I. zu orga­ nisieren. Zu diesem Zweck schlägt er aus einer im voraus von ihm aufgestellten und vom Rat genehmigten Liste militärischer Sachverständiger dem Rat im Einzelfall die Zusammensetzung der Jnvestigationskommission vor, über die dieser endgültig befindet. Von jeder im Rat vertretenen Macht soll die Kommission grundsätzlich die gleiche Anzahl von Sachverständigen, wenigstens aber je einen, enthalten. Außer den Vertretern der Rats­

mächte sollen der Kommission stets angehören ein Vertreter der angrenzenden alliierten Staaten und ein Neutraler, sofern diese Staatengruppen nicht bereits im Rat vertreten sind. An örtlichen Jnvestigationshandlungen sollen mindestens drei Ausschußmitglieder verschiedener Nationalität teilnehmen. Für jedes der vier der I. unterwor­ fenen Länder wird jeweils für ein Jahr im vor­ aus der Präsident der Jnvestigationskommission ernannt. An einer für Deutschland etwa zu bil­ denden Jnvestigationskommission kann ein deut­ scher Vertreter nicht teilnehmen; jedoch kann nach der Ratsresolution vom 11.12.1926 Deutsch­ land an Jnvestigationskommissionen für Öster­ reich, Ungarn oder Bulgarien teilnehmen. Die für einen besonderen Fall zusammengestellte Jn­ vestigationskommission hat sich an den von der deutschen Reg. bezeichneten Vertreter oder seine Beauftragten zu wenden, denen es obliegt, un­ verzüglich die Mitwirkung der nach der deutschen Gesetzgebung zuständigen Berwaltungs-, Gerichts­ oder Militärbehörden herbeizuführen; sodann wird im beiderseitigen Einvernehmen zu den Nachfor­ schungen und Feststellungen geschritten, welche die Kommission in den Grenzen ihres Auftrags für zweckmäßig hält. Die Jnvigationskommission hat das Recht, sich auf dem Gebiet des zu investigieren­ den Staates frei zu bewegen, sich überall hinzu­ begeben und die ihr erforderlich scheinende Zeit zu verweilen, an allen Orten und in allen Gebäuden, auch auf Schiffen, Kriegsschiffen und in Festungen Nachforschungen anzustellen. Durch den Rats­ beschluß vom 11. 12. 1926 ist jedoch festgestellt, daß sie die Ausübung dieser Rechte nur im Ein­ vernehmen mit dem von der deutschen Reg. be­ zeichneten Vertreter oder seinen Beauftragten vornehmen kann. Die J.-Bestimmungen finden in der gleichen Weise auf die demilitarisierte Rheinlandzone wie auf die übrigen Teile Deutsch­ lands Anwendung. In der Ratsresolution vom 30.9.1924 war die Möglichkeit vorgesehen, ansolche Punkte der entmilitarisierten Zonen, in denen die Kontinuität der Untersuchung sich als not­ wendig erweisen sollte, gewisse ständige Elemente (elements stables) abzuordnen. Diese Befugnis ist jedoch auf Veranlassung Deutschlands in dem Ratsbeschluß vom 11. 12. 1926 beseitigt worden; danach können nunmehr derartige besondere, nicht in Art. 213 des Versailler Vertrags vorgesehenen Elemente nur durch ein Abkommen zwischen den beteiligten Reg. eingerichtet werden. Die Jn­ vestigationskommissionen beschränken sich auf die Feststellung von Tatsachen im Rahmen des durch den Rat festgesetzten Jnvestigationsauftrags. Falls Schwierigkeiten auftauchen, befaßt der Präsident der Jnvestigationskommission hiermit den Rat oder, wenn es sich um technische Fragen handelt, den Ständigen Rüstungsausschuß. Der Vorsitzende des Jnvestigationsausschusses sendet dessen Be­ richt gegebenenfalls unter Beifügung eines Min­ derheitsberichts an den Völkerbundsrat und an den Ständigen Rüstungsausschuß. Letzterer hat dem Rat ein begründetes Gutachten über diese Berichte vorzulegen. Auf Gurnd dieses Mate­ rials erfolgt die weitere Behandlung der Ange­ legenheit durch den Rat. Fro. Johanniterorden. Nachdem in Preußen durch das Säkularisationsedikt vom 30. 10. 1810 (GS. 32) die Ballei Brandenburg des I., welche bereits

Irischer Freistaat — Irrlehre früher innerhalb des Johanniter-, später Malteser­ ordens (s. d.) eine besondere Stellung behauptet und seit der Reformation evangelischen Charakter angenommen hatte, nebst dem Herrenmeistertum und den Kommenden aufgelöst worden war, er­ richtete König Friedrich Wilhelm III. zum ehren­ vollen Andenken der erloschenen Ballei am 23. 5. 1812 den kgl. preuß. I. (GS. 109). Die Reorgani­ sation des I. (Ballei Brandenburg) erfolgte durch Friedrich Wilhelm IV. unterm 15. 10. 1852 (GS. 1853, 1). Danach und nach den mehrfach ge­ änderten Statuten vom 24. 6., bestätigt am 8. 8. 1853, besteht der Orden unter Leitung eines Herrenmeisters aus Kommendatoren (17), diese zur Leitung der Konvente in den Provinzen bestimmt und zugleich mit den Ehrenkommen­ datoren (7), dem Ordenshauptmann sowie den Trägern der Ordensämter das Ordenskapitel bildend; aus Rechts- und Ehrenrittern sowie aus dienenden Brüdern und Schwestern zur Hilfe­ leistung in der Krankenpflege. Ämter des Ordens sind der Kanzler, der Sekretär, der Schatzmeister und der Werkmeister. Mitglieder des I. können nur evangelische Edelleute fein; sie besitzen eine besondere Uniform (neu bestimmt im Jahre 1896) und tragen ein Ordensabzeichen. Innerhalb des Deutschen Reichs bestehen zur Zeit 15 Genossen­ schaften des I. Die Tätigkeit des I. ist haupt­ sächlich auf Krankenpflege im Frieden sowie im Kriege gerichtet; er unterhält eine Anzahl von Krankenhäusern und anderen, seiner Bestimmung entsprechenden Anstalten. Bsch. Literatur in Meyers Konversationslexikon 1908 Bd. 10 S. 390, indes. Herrlich, D'e Ballei Brandenburg des I., Berlin 1904.

Irischer Freistaat. Diplomatische Vertretung des Reichs: Generalkonsulat Dublin (in Ange­ legenheiten, die das gesamte Britische Reich be­ treffen: Botschaft London). Der irische Frei­ staat ist als Teil des Britischen Reiches aus dem Versailler Vertrag berechtigt und verpflichtet; er ist als britisches Dominion Mitglied des Völker­ bundes seit 10. 9. 1923. Kein Handels- und Kon­ sularvertrag. Der deutsch-britische Auslieferungs­ vertrag vom 14. 5. 1872 (RGBl. 1872, 229; 1920, 1543) wird auch auf den i. F. angewandt. Fro. Jrrenpflege. I. Die Fürsorge für das Irren­ wesen und die Gewährung von Beihilfen für dieses ist durch das DotationsG. vom 8. 7. 1875 (s. Dotation) auf die Provinzen und die ihnen gleichstehenden Gemeindeverbände übertragen worden. Damit haben diese auch die Ver­ pflichtung zur Errichtung und Unterhaltung der erforderlichen Irrenanstalten erhalten und haben auch bemittelte gemeingefährliche Geisteskranke aufzunehmen, wenn dies von der zuständigen Polizeibehörde verlangt wird (OVG. 47, 6). Den Landesfürsorgeverbänden, welche meist mit den vorher genannten Kommunalverbänden zusam­ menfallen, ist die Verpflichtung auferlegt, für Bewahrung, Kur und Pflege hilfsbedürftiger Geisteskranker in geeigneten Anstalten Fürsorge zu treffen (Art. I § 31 des G. vom 11. 7. 1891, GS. 300). II. Die I. ist teils Familienpflege, teils An­ staltspflege. 1. Die Familienpflege findet sich bei harmlosen, nicht gemeingefährlichen Irren, die entweder auf eigene Kosten in ihrer eigenen Fa­ milie verpflegt oder in eine andere Familie in

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Pflege gegeben werden, oder wenn sie vermögens­ los sind, aber der Anstaltspflege nicht bedürfen, von ihrem BFürsV. bei geeigneten Familien zur Pflege untergebracht werden. Die Unterbringung in eine fremde Familie steht bei Personen, die unter elterlicher Gewalt stehen, dem Vater oder Gewalthaber (§ 1631 BGB.), bei bevormundeten Personen dem Vormund (§ 1793 BGB.) zu. Die Aufsicht über solche in Privatpflege befindliche Irre liegt dem Kreisarzt ob (§§ 104, 105 der Dienstanw. für die Kreisärzte vom 1. 9. 1909, MMBl. 381). 2. Die Anstaltspflege an Irren wird teils in öffentlichen, teils in Privatanstalten ausgeübt. Diese unterliegen im allgemeinen denselben Rechtsvorschriften wie andere Krankenanstalten (s. d.). Als öffentliche Anstalten kommen insbesondere die von den Provinzen und den ihnen gleichstehenden Gemeindeverbänden (s. unter I) errichteten und unterhaltenen Anstalten in Betracht. Die für diese zu erlassenden Regle­ ments bedürfen der Genehmigung des MdI. und des MfV. gemäß § 120 ProvO. f. d. ö. Pr. und den gleichen Vorschriften der übrigen ProvO. in­ soweit, als es sich um die Aufnahme, Behandlung und Entlassung derJrren handelt'. Der Staat unter­ hält Irrenanstalten nur in Gestalt der psychiatri­ schen Kliniken bei den Universitäten. Kreise und Gemeinden haben in ihren allgemeinen Kranken­ anstalten mehrfach besondere Abteilungen zur Be­ obachtung des Geisteszustandes von Personen und zur vorübergehenden Unterbringung von Geistes­ kranken. Privatirrenanstalten, zu denen auch Pensionate für Geisteskranke gehören (OVG. 6, 263), bedürfen der Genehmigung gemäß § 30 GewO. (s. Krankenanstalten). Bei Prüfung eines Gesuchs um Erlaubnis zur Errichtung einer Privatirrenanstalt ist auch die örtliche Lage zu berücksichtigen. Zu den erheblichen Nachteilen, die dem Besitzer oder den Bewohnern der benach­ barten Grundstücke erwachsen können, gehören auch Vermögensverluste, die den Nachbarn durch Verminderung des Wertes ihrer Grundstücke und ihren Unternehmungen entstehen würden, weil nach allgemeiner Auffassung der Betrieb der Irrenanstalt den Wert der benachbarten Grund­ stücke herabdrückt (OVG. 40, 307). Dagegen sind Belästigungen keine erheblichen Nachteile. S. auch Anw. über die Unterbringung in Privatanstalten für Geisteskranke vom 26. 3. 1901 (MBl. 104), abgeändert durch Erl. vom 16. 9. 1901 (MMBl. 269), vom 25. 1., 8. 9. 1902 (MMBl. 292), vom 27. 2. 1903 (MMBl. 144), vom 3. 10. 1904 (MMBl. 375). Uber das Verfahren bei Entlas­ sung gefährlicher Geisteskranker aus öffent­ lichen Irrenanstalten, darunter auch geistes­ kranker Verbrecher, treffen die Erl. vom 15. 6. 1901 (MBl. 197), vom 16. 12. 1901 (MBl. 1902, 18), vom 6. 1. 1902 (MMBl. 47) und vom 20. 5. 1904 (MMBl. 247) Bestimmung. Bon jeder veranlaßten Überführung eines Geistes­ kranken in eine Irrenanstalt hat die betreffende Polizeibehörde die Angehörigen des Irren sofort in Kenntnis zu setzen (Erl. vom 18. 11. 1902, MMBl. 1903, 60). F. H. Irrlehre. In der katholischen Kirche macht sich der Geistliche, der offen, bewußt und hart­ näckig an einer mit dem Dogma der Kirche in Widerspruch stehenden Lehre festhält oder offen 57*

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Jrvingianer — Juden

am Dogma Zweifel ausspricht, der Häresie schuldig. Damit trifft ihn die excommunicatio latae sententiae. Nach vergeblicher Mahnung wird er feiner kirchlichen Ämter für verlustig er­ klärt und abgesetzt. Beim Verharren am Ver­ dacht der Häresie wird er schließlich auch als Häretiker behandelt. I. fällt daher hier in das Gebiet des kirchlichen Straf-, Kirchenzuchts- und Disziplinarrechts. In der evangelischen Kirche gehören die Folgen der I. nicht zur Kirchen­ zucht ((. Kirchenzucht), sie gehören auch neuer­ dings in der Kirche der altpreußischen Union nicht mehr in das kichliche Disziplinarverfahren. Hier gilt vielmehr das KirchenG. vom 16. 3. 1910 betr. das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen (KGVBl. 7). Danach findet wegen I. eines Geistlichen fortan ein disziplina­ risches Einschreiten nicht statt. Vielmehr erfolgt ein Sonderverfahren, welches unter Befreiung von formaler Bindung, soweit solche nicht für den Rechtsschutz des betroffenen Geistlichen er­ forderlich erscheint, und unter Ausschaltung der Begriffe „Schuld" und „Strafe" lediglich die sachliche Feststellung zum Ziele hat, ob der Geist­ liche in seiner amtlichen oder außeramtlichen Lehrtätigkeit mit dem Bekenntnis der Kirche der­ gestalt in Widerspruch getreten ist, daß seine fernere Wirksamkeit innerhalb der Landeskirche mit der für die Lehrverkündigung allein maß­ gebenden Bedeutung des in der Heiligen Schrift verfaßten und in den Bekenntnissen bezeugten Wortes Gottes unvereinbar ist. Den Vorschriften des G. unterliegen alle Geistlichen, auch die der Vereine und Anstalten, auch die emeritierten und die ohne Ruhegehalt ausgeschiedenen. Der Spruch, der die Unvereinbarkeit feststellt, erschöpft sich keineswegs in der Feststellung etwaiger Ab­ weichungen vom Bekenntnisse, sondern ist, da die Entscheidung nach der freien, aus dem ganzen Inbegriff der Verhandlungen und Beweise ge­ schöpften Überzeugung des Gerichts 511 treffen ist, unter Zugrundelegung aller den Fall charakteri­ sierenden objektiven und subjektiven Momente zu folgern. Der Spruch bewirkt kraft des Gesetzes die Erledigung des von dem Geistlichen bekleideten Kirchenamts und den Wegfall der Rechte des geistlichen Standes. Das bisherige Dienstein­ kommen oder Ruhegehalt verbleibt dem Geist­ lichen bis zum Ablauf des Monats, in dem ihm der Spruch zugestellt ist. Über Regelung der nach diesem Zeitpunkt zu gewährenden Bezüge werden bestimmte Vorschriften erlassen. — Der Findung des Spruchs geht die mündliche Verhandlung und ein vorbereitendes Verfahren voraus. Über bei­ des sind, hauptsächlich zum Rechtsschutze des Geistlichen dienende, Bestimmungen getroffen. Persönliche seelsorgerliche Verhandlungen, na­ mentlich des Generalsuperintendenten und ein Bericht des Konsistoriums beginnen die Ver­ handlungen, Ermittlungen des Oberkirchenrats folgen. Ein Mitglied des Gerichts erhält den Auftrag, die mündliche Verhandlung vorzube­ reiten. Der Geistliche wird gehört, etwaige Zeugenvernehmungen und Ermittlungen hat das Gerichtsmitglied herbeizuführen. Beistände, Akteneinsicht. Gang der mündlichen Verhandlung, Protokoll, beschränkte Öffentlichkeit. — Zur Ent­ scheidung wird ein besonderes neues Organ, das „Spruchkollegium für kirchliche Lehrangelegen­

heiten" geschaffen. Dieses entscheidet in erster und letzter Instanz. Es setzt sich aus 13 Mit­ gliedern zusammen dergestalt, daß das Kirchen­ regiment, die Gemeinde und die theologische Wissenschaft als die vorzüglichsten Träger des Gemeinbewußtseins der Kirche vertreten sind. Beschlußfähig ist das Spruchkollegium bei An­ wesenheit sämtlicher Mitglieder. Eine Feststel­ lung, die die Unvereinbarkeit mit dem Bekenntnis der Kirche ausspricht, kann nur mit Zweidrittel­ mehrheit der Mitglieder getroffen werden. — Dem Spruchkollegium werden auch die sonstigen Fälle zur Entscheidung überwiesen, in denen die Kirche zum Bekenntnisse Entscheidung zu treffen hat: also erstlich die Einsprüche gegen die Lehre eines anzustellenden Geistlichen und ferner die Versagung der Berufung in ein geistliches Amt wegen Mangels an Übereinstimmung des Geist­ lichen mit dem Bekenntnisse der Kirche. — Das LehrbeanstandungsG. ist durch die neue Kirchen­ verfassung nicht aufgehoben; sie beläßt es bei dem geltenden Recht, soweit sich aus ihr selbst nichts anderes ergibt (f. Kirchenverfassung C), die Verfassung selbst aber enthält keine Vorschrift über Lehrverpflichtung und folgeweise auch nicht über Lehrbeanstandung. Insbesondere gehört die voraufgeschickte Präambel nicht zur Ver­ fassung selbst; es ergibt sich auch aus ihr oder einer Verfassungsbestimmung nicht eine lehrgesetzliche Bindung (Berner, Kreuzzeitung vom 29.1.1924). Für die übrigen Landeskirchen fehlen verfassungs­ mäßige Vorschriften über ein Sonderverfahren gegen I. Die evangelische Kirche in Nassau hat zugleich mit ihrer Verfassung Vorschriften wegen I. ähnlicher Art wie in Altpreußen gegeben; die evangelisch-reformierte Kirche der Provinz Han­ nover kennt ein besonderes Verfahren wegen I., welches vom Disziplinarverfahren abweicht, sich aber vor den Disziplinarbehörden abspielt. Nach Art. 16 des StaatsG. vom 8. 4. 1924 findet im Verfahren wegen Verletzung der Lehrverpflich­ tung eine staatliche Mitwirkung nicht statt (über das JrrlehreG. s. Begründung des G. in KGVBl. 1909,115 und Schoen, Ev. Kirchenrecht 2,675). B. Jrvingianer s. Kirchensteuern III2. Italien. Diplomatische Vertretung des Reichs: Deutsche Botschaft beim Quirinal in Nom. Be­ rufskonsularbehörden: Generalkonsulate in Mai­ land und Neapel, Konsulate in Genua, Palermo, Triest, Turin. Signatarmacht des Versailler Vertrags; Mitglied des Völkerbundes seit 10. 1. 1920. Deutsch-italienischer Handels- und Schiff­ fahrtsvertrag vom 31. 10.1925 (RGBl. II 1021), mit Niederlassung^ und Konsularbestimmungen, sowie Zusatzvereinbarung vom 9. 12. 1926 (RG­ Bl. II 793). Deutsch-italienischer Auslieferungs­ vertrag vom 31. 10. 1871 (RGBl. 446) und Zu­ satzerklärung wegen Hehlerei und Begünstigung vom 29. 5. u. 9. 8. 1905, wieder in Kraft gesetzt durch italienische Erklärung auf Grund von Art. 289 des Versailler Vertrags (RGBl. 1920, 1577). Streitfälle zwischen Deutschland und Ita­ lien unterliegen dem Verfahren des deutsch-ita­ lienischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrags vom 29. 12.1926 (RGBl. 1927 II S. 461). Fro.

Jubiläumsstiftung für Erziehung und Unter­ richt s. Zentralinstitut f. E. u. Ü. Juden. Synagogengemeinden. Nachdem zu­ erst durch Edikt vom 11.3.1812 (GS. 17) die Juden

Jüdisches Volksschulwesen in Preußen als „Einländer und Staatsbürger" worden waren und ihnen dadurch und das G. vom 23.7.1847 (GS. 263) die Zulassung zu öffent­ lichen Ämtern unter gewissen Voraussetzungen zugestanden worden war, wurden sie durch Art. 12 BfU. vom 31.1.1850 — vgl. sodann BG. vom 3. 7. 1869 (BGB. 292) — in den Vollgenuß der bürger­ lichen und staatsbürgerlichen Rechte gesetzt. Sie fallen als organisierte Religionsgesellschast unter die Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Art. 137 Abs. 5 Satz 1, 3 RV. und sind nach Abs. 6. daselbst zur Steuererhebung nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen berechtigt (s. Kirchen- und Staatskirchenrecht A I 6). Sie bilden in ihren Synagogengemeinden öffentlichrechtliche Vereinigungen (mit Selbstverwaltung) in bestimmten Bezirken zur Befriedigung der ge­ meinsamen religiösen Bedürfnisse (besonders Kul­ tus und Begräbnisplätze). Deren Bildung, Änderung, Auflösung erfolgt nach Anhörung der Beteiligten durch den NP. Organe: Vorstand, Repräsentantenvorsitzender. Die Grundsätze sind in ein Statut aufzunehmen; insbesondere die, nach denen die Kosten des Kultus und der übrigen Bedürfnisse (OVG. 67, 295) umgelegt werden. Nach § 54 ZG. entscheidet über Klagen einzelner wegen der ihnen als Mitglieder einer Synagogen­ gemeinde oder auf Grund des AustrittsG. zu­ stehenden Rechte, d. h. Vermögensrechte, Ge­ meindenutzungsrechte: OVG. 50, 203, Uri. vom -8. 6. 1926, VIII B. 3/25, und — mit vorgängigem Einspruch, Einspr.Besch. OVG. 12. 237; 21,225; 74, 337 — obliegenden Verpflichtungen zu Ab­ gaben und Leistungen der Beiträge. Der Austritt, auch der aus einer Synagogengemeinde, erfolgt nach dem AustrittsG. vom 30. 11. 1920, GS. 1921, S. 119 (s. Kirchen- und Staats­ kirchenrecht B 11, II1. Regelung der Syna­ gogengemeinden in Schleswig G. vom 8. 2. 1854, Chronol. Sammlung S. 124, Holstein G. vom 14. 7. 63, G. u. MBl. S. 167, SchlHolst. AE. vom 24. 6. 1867, GS. S. 1308), in Hannover G. vom 30. 9. 1842, Hannover GS. S. 202, Bek. vom 19. 1. 1844, OVG. 51, 204, in Kur­ hessen B. vom 30. 9. 1823, G. vom 19. 10. 1833, Kurhessen GS. XII S. 87, XVI S. 144, G. vom 31. 7. 1923, GS. S. 421, in Nassau Jnstr. vom 7. 1. 1852, VBl. 6, in Frankfurt De­ kret vom 30. 1. 1812, Reg. vom 8. 3. 1839, Franks. VBl. II9, G. vom 21.3.1899, GS. 73. Außerdem ist auf das G., betr. Verjährung und Nachsorderung von Steuern für Synagogenge­ meinden und sonstige jüdische Einrichtungen vom 9. 4.1923, GS. 88, insbesondere § 5 wegen Hannover und § 6 wegen Kurhessen und auf die Entscheidung OVG. 75.337 ff. zu verweisen. B. Jüdisches BolkSschulwesen. I. Volksschulen. Die jüdischen Kinder sind im allgemeinen zum Besuch der christlichen VSch. verpflichtet. Eine Verbindlichkeit der bürgerlichen Gemeinden oder der SchVerb. zur Errichtung jüdischer VSch. besteht nicht, jedoch sind an einzelnen Orten solche Sch. freiwillig errichtet worden. Nach § 64 des für die alten Provinzen erlassenen G. vom 23.7.1847 (GS. 263) konnte, wenn in einem Orte oder Schulbezirke eine an Zahl und Ver­ mögensmitteln hinreichende christliche und jüdische Bevölkerung vorhanden war, um auch für die jüdischen Einwohner ohne deren Uberbürdung

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eine besondere jüdische Sch. anlegen zu können, auf Antrag des Vorstandes der Synagogen­ gemeinde ein eigener öffentlicher jüdischer SchVerb. gebildet werden. Ähnliche Bestimmungen galten in den neuen Provinzen mit Ausnahme des ehemaligen Herzogtums Nassau, des Kreises Herzogtum Lauenburg und der Stadt Frankfurt a. M., und zwar für Hannover: §§ 19, 38, 39 des G. vom 30.9.1842 (GS. für Hann. I, 211); Bek. vom 19. 1. 1844 (GS. 43); Schulordnung für die jüdischen Sch. vom 5. 2. 1854 (GS. 49); für Schleswig: §§ 27ff. der V. vom 8. 2. 1854 (Chron. Samml. 124); für Holstein: § 18 des G. vom 14. 7. 1863 (G.- u. MBl. 167); für Kur­ hessen § 12 der V. vom 30.12.1832 und G. vom 29. 10. 1833 (kurh. GS. 87 und 1833, 144); für Hessen-Homburg: Edikte vom 9. 10. 1838 und 19. 8. 1842 (Arch. der Landgräfl. Hess. G. 269 ii. 376) Art. 46 (§ 1); für die ehemals großherzoglich-hessischen Distrikte, Kreis Bieden­ kopf usw.; Edikte vom 17. 7. 1823 und 6. 6. 1832 (Arch. der großh. G. u. V. IV, 116 und VI, 413), während in Hohenzollern §§ 28, 34 u. 36 des G. vom 9. 8. 1837 (SigmGS. IV, 565) und die Schulordnung vom 23. 4. 1836 für die Sch. in Hechingen maßgebend war. Als Unterhaltungs­ träger jüdischer VSch. finden sich Synagogen­ gemeinden, jüdische Hausvätersozietäten und bürgerliche Gemeinden. Durch § 40 VUG. sind die vorstehenden Vorschriften bis auf weiteres mit der Maßgabe aufrechterhalten worden, daß. § 67 Zifs. 3 des G. vom 23. 7. 1847 allgemein zur Anwendung gelangt. Danach sind die Ge­ meinden für den Fall der Errichtung einer eigenen öffentlichen jüdischen Sch. auf Grund der vor­ stehend angeführten Vorschriften verpflichtet,, nach Verhältnis der von den jüdischen Gemeinde­ mitgliedern zu zahlenden Kommunalabgaben und der den bürgerlichen Gemeinden durch die Sch. entstehenden Erleichterung eine im Streitfälle von der Ministerialinstanz festzusetzende Beihilfe zu gewähren (vgl. UZBl. 73, 185; 74, 403; 99, 552; 05, 250). Öffentliche jüdische Sch., deren zur Zeit des Erl. des VUG. 228 vorhanden waren — am 25. 11. 1926 nur noch 93, s. Volks­ schulen 11 (Konfessionelle Verhältnisse IV —, gelten als SchVerb. und nehmen an den staatlichen Beiträgen teil (1. AusfAnw. vom 25. 2. 1907 (UZBl. 305) unter VI. Für die Er­ richtung und Unterhaltung derjenigen öffent­ lichen VSch., an welchen nach ihrer besonderen Verfassung christliche und jüdische L. zugleich an­ zustellen sind (christlich-jüdische Simultanschulen, von denen nach Freund ss. unkn] im Jahre 1903 26 vorhanden waren), bewendet es bei den bestehenden Vorschriften (§ 40 Abs. 3 BUG.). In der Provinz Hannover liegt dem Provinzialverbande gemäß dem DotationsG. vom 7. 3.1868 (GS. 223) Ziff. 3 die Unterstützung bedürftiger jüdischer Sch. ob. — Verschieden von diesen Sch., welche die Stelle von öffentlichen VSch. einneh­ men, sind die von den Synagogengemeinden für den Religionsunterricht eingerichteten Sch. (s. III). II. Lehrer. Nach § 2 des G. vom 23. 7. 1847 (GS. 263) sollte, von einigen Ausnahmen (Uni­ versitäten, Kunst-, Gewerbe-, Handels- und Na­ vigationsschulen) abgesehen, die Anstellung der Juden als L. auf jüdische Unterrichtsanstalten

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Jugendgerichte

beschränkt werden. Durch Art. 4 u. 12 der alten preuß. Verfassung vom 31.1.1850, deren Grund­ sätze in dem G. vom 3. 7. 1869 (BGBl. 292) wie­ derholt sind, ist diese Beschränkung aufgehoben worden, und es ist dementsprechend den Juden der Zutritt zu dem öffentlichen Lehramt an sich nicht versagt (vgl. Art. 136 Abs. 2 RV.: „Der Ge­ nuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis"), soweit nicht einerseits die Religion der vollen Erfüllung der Amtspflichten ein Hindernis ent­ gegenstellt, andererseits aber der konfessionelle Charakter der Unterrichtsanstalten selbst ein Hin­ dernis bietet. Letzteres ist der Fall bei der auf christlicher Grundlage beruhenden VSch. (s. hierzu die ausführlichen Erörterungen im UZ Bl. 1860, 252; auch Erl. vom 25. 1. 1869, MBl. 57). S. dazu die Begründung zum Reichsvolksschulgesetzentwurf II zu § 4 verzichtet worden ist. Auch in Persien ist sie seit dem 10.5.1928 durch die Kündigung des Vertrags vom 11. 6. 1873 weggefallen. Sie besteht hier­ nach mif noch in Abessinien auf Grund des

Konsuln Art. III des deutsch-äthiopischen Freundschafts­ und Handelsvertrags vom 7. 3. 1905 (RGBl. 1906, 470) und — theoretisch — in SpanischMarokko, wo sie indessen nicht ausgeübt wird. In Ägypten ist die Ausübung trotz des im Versailler Vertrags ausgesprochenen Verzichts aus Grund besonderer Abmachungen in beschränk­ tem Umfange wieder zulässig. Der K. sind unter­ worfen (§ 2 KonsGG.) Reichsangehörige und Ausländer, soweit sie für ihre Rechtsverhältnisse dem deutschen Schutze unterstellt sind (Schutz­ genossen). Beschwerde und Berufungsinstanz für die K. ist das Reichsgericht (s. auch Gerichts­ verfassung IV). Ke. v. König, Handbuch des Deutschen Konsularwesens, 8. Aufl. 1914 S. 440 ff.

Konsuln. 1. K. sind als Vertreter des Entsende­ staats im Auslande bereits im Mittelalter bestellt worden, als die Ausdehnung der europäischen Handelsbeziehungen nach dem Orient dort be­ sondere Maßnahmen zum Schutze heimischer Interessen notwendig machte. Seit der Einrich­ tung ständiger Gesandtschaften (s. Gesandte) haben die konsularischen Vertretungen neben den diplomatischen ihre besonderen Aufgaben erhalten. Während letzteren in erster Linie die unmittel­ bare Pflege der allgemeinen völkerrechtlichen Be­ ziehungen zu den fremden Staaten anvertraut ist, liegt den K. im besonderen der Schutz von Handel und Schiffahrt im Auslande und die Für­ sorge für die in ihrem Amtsbezirk wohnenden Angehörigen des Entsendestaates ob. Zur Durch­ führung dieser Aufgaben bedarf die Stellung der K. einer internationalen Regelung, die sich meist auf besondere Abmachungen zwischen dem Ent­ sendestaat und dem Empfangsstaat (Konsular­ verträge) gründet, in denen die Rechte der K. genau umschrieben sind, während sich die recht­ liche Stellung der Gesandten in der Hauptsache nach völkerrechtlichem Herkommen regelt. (Bei­ spiele einer solchen vertraglichen Regelung aus neuester Zeit: Freundschasts-, Handels- und Kon­ sularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 17. 8. 1925, Art. XVIIffv RGBl. II 795; Konsular­ vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken vom 12. 10. 1925, RGBl. 1926 II 1.) Während der diplomatische Vertreter durch den Empfang bei dem Staatsoberhaupt oder dem Minister des Aus­ wärtigen das Recht zur Ausübung seiner amtlichen Funktionen erhält, genießen die K. kein derartiges Empfangsrecht. Voraussetzung für die Ausübung der amtlichen Tätigkeit ist bei ihnen das sog. Exequatur, d. h. die Zulassungsurkunde, die ihnen auf Grund der amtlichen Bekanntgabe ihrer Er­ nennung an die Reg. des Empfangsstaates von dieser erteilt wird. 2. Die Grundlage für das deutsche Konsular­ wesen ist auch heute noch das G., betr. die Organi­ sation der Bundeskonsulate sowie die Amtsrechte und -pflichten der Bundeskonsuln, vom 8.11.1867 (Konsulargesetz), das aus Grund der Verfassung des Norddeutschen Bundes ergangen und nach der Gründung des Deutschen Reiches zum Reichs­ gesetz erklärt worden war. Nach Art. 56 der frühe­ ren und Art. 78 der jetzigen RB. ist das Konsular­ wesen ausschließlich Sache des Reiches. Die K. werden vom Reichspr. ernannt. Sie sind ent­

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weder Berufskonsuln (consules missi) oder Wahlkonsuln (consules electi). Berufskonsul kann nach §§ 7, 8 des Konsular G. nur werden, wer die Reichsangehörigkeit besitzt und entweder die erste juristische Staatsprüfung bestanden hat und außerdem längere Zeit im Innendienst und Konsulatsdienst beschäftigt gewesen ist oder eine besondere Prüfung für den Konsulatsdienst ab­ gelegt hat. Bis 1918 wurden in der Praxis zu K. meist Anwärter ernannt, die beide juristische Staatsprüfungen bestanden hatten (Gerichts- oder Regierungsassessoren) und eine Zeitlang zur Vor­ bereitung im AusA. beschäftigt gewesen waren oder die als Dolmetscher längere Zeit im aus­ wärtigen Dienst gestanden und dann die Konsu­ laisprüfung gemäß der vom RK. am 28. 2. 1873 erlassenen Prüfungsordnung abgelegt hatten. Seit der grundsätzlichen Bereinigung des diplomati­ schen und konsularischen Dienstes nach der Staats­ umwälzung ist die Ablegung der diplomatisch­ konsularischen Abschlußprüfung die regelmäßige Voraussetzung für die spätere Ernennung zum K. — Ihrem Range nach sind die K. Generalkonsuln, K. oder Vizekonsuln. Als solche sind sie Vor­ steher eines Generalkonsulats, Konsulats oder Vizekonsulats mit selbständigem Exequatur (s. unter 1), können aber auch mit einer solchen Amts­ bezeichnung lediglich einer konsularischen Ver­ tretung zugeteilt sein. Berufskonsuln erhalten eine Besoldung aus der Reichskasse (zur Zeit nach Maßgabe des BesoldungsG. vom 16. 12. 1927, RGBl. I 349) und dürfen keine kaufmännischen Geschäfte betreiben. Zu Wahlkonsuln sollen vor­ zugsweise Kaufleute ernannt werden, die die Reichsangehörigkeit besitzen; sie erhalten keine Be soldung. über die für konsularische Amtshand­ lungen nach dem GebührenG. für die Auslands­ behörden vom 1. 7. 1921 (RGBl. 815; vgl. auch G. vom 23. 11. 1923, RGBl. I 1077, und V. des Reichspr. vom 27.11. 1923, RGBl. 11165, sowie V. vom 27. 6.1924, RGBl. 1657, und 18. 6.1926, RGBl. I 274) zu erhebenden Gebühren muß von den Berufskonsuln stets amtlich Rechnung gelegt werden (§ 8 KonsularG.); die Wahlkonsuln be­ ziehen die Gebühren für sich, können auch aus Reichsmitteln Ersatz für dienstliche Ausgaben er­ halten (§ 10 KonsularG.). Sowohl die Berufs­ konsuln wie die Wahlkonsuln sind Reichsbeamte; aus letztere finden jedoch manche Bestimmungen des RBG. keine Anwendung. Berufskonsuln können nach § 25 RBG. jederzeit in den einst­ weiligen Ruhestand versetzt werden; die Anstel­ lung der Wahlkonsuln ist nach § 10 KonsularG. jederzeit ohne Entschädigung widerruflich. Berufs­ konsuln können nur an den Orten bestellt werden, wo ein Konsulat durch den Reichshaushalt vor­ gesehen ist; die Ernennung von Wahlkonsuln richtet sich nach dem Bedürfnis. Konsular­ agenten können von den K. mit Genehmigung des Reichsministers des Auswärtigen bestellt wer­ den, haben aber keine selbständigen konsularischen Befugnisse (§ 11 KonsularG.). 3. Die Amtspflichten der K. werden im ein­ zelnen durch die Bestimmungen des KonsularG. und die dazu ergangene Allgemeine Dienstinstruk­ tion vom 6. 6. 1871/22. 2. 1873 festgelegt (vgl. außerdem Art. 38 u. 40 EGBGB.; G., betr. die Eheschließung und die Beurkundung des Personen­ standes von Bundesangehörigen im Auslande,

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Konsumvereine — Kontingente im Zollverkehr

vom 4. 5. 1870 und Instruktion des RK. dazu vom 1. 3.1871; das Haager Abkommen zur Rege­ lung des Geltungsbereichs der G. auf dem Ge­ biete der Eheschließung vom 12. 6. 1902, RGBl. 1904, 221, und die SeemannsO. vom 2. 6. 1902, RGBl. 175). Die hiernach den K. beigelegten Urkundsbefugnisse beziehen sich auf Beurkun­ dung des Personenstandes, Legalisierung aus­ ländischer Urkunden, Ausstellung von Zeugnissen und Bescheinigungen, die Aufnahme notarieller Urkunden, die Mitwirkung bei der Errichtung von Testamenten und der Regelung von Nachlaß­ sachen, die Bewirkung von Zustellungen und Er­ teilung von Zustellungsbescheinigungen, die Ab­ hörung von Zeugen und Abnahme von Eiden (§§ 13—20 KonsularG.). Zur Vornahme von Eheschließungen und Beurkundung von Geburten, Heiraten und Sterbefällen sind nur diejenigen K. befugt, denen eine allgemeine Ermächtigung dazu erteilt worden ist, was für solche Länder geschieht, deren gesetzliche Bestimmungen aus diesem Ge­ biete den deutschen Anforderungen nicht genügen. Auch die Befugnis zur Abhörung von Zeugen und Abnahme von Eiden nmß den K. besonders beigelegt werden. Die K. sind ferner berufen, bei Rechtsstreitigkeiten, an denen Reichsangehörige beteiligt sind, den Abschluß von Vergleichen zu vermitteln und das Schiedsrichteramt zu über­ nehmen (§ 21 KonsularG-)- Sie können ferner deutsche Pässe ausstellen und fremde Pässe visieren (§ 25 KonsularG.), Wahlkonsuln jedoch nur auf Grund besonderer Ermächtigung (vgl. § 3 der Bek. zur Ausführung der Paßverordnung vom 4. 6. 1924, RGBl. I 613). Sie haben hilfs­ bedürftigen Reichsangehörigen die Mittel zur Milderung augenblicklicher Not oder zur Rück­ kehr in die Heimat zu gewähren (§26 KonsularG.), die Innehaltung der wegen Führung der Reichs­ flagge bestehenden Vorschriften (FlaggenG. vom 22. 6. 1899, RGBl. 319) zu überwachen und die Meldungen der Kapitäne der deutschen Handels­ schiffe entgegenzunehmen (SchifssmeldeG. vom 18. 6. 1911, RGBl. 253). Nach § 5 SeemannsO. sind die Konsulate des Reiches für Hafenplätze Seemannsämter und haben danach alle sich aus der SeemannsO. ergebenden Aufgaben dieser Behörde (§§ 32ff. KonsularG.), einschließlich der Strafgewalt. Nach § 15 des G., betr. die Unter­ suchung von Seeunfällen, vom27.7.1877 (RGBl. 549) haben die K. auch gewisse feeamtliche Befugnisse und können hierbei auch ohne be­ sondere Ermächtigung Zeugen abhören und Eide abnehmen. — Abgesehen von diesen auf gesetz­ licher Grundlage beruhenden besonderen Befug­ nissen haben die K. die allgemeine Aufgabe, sich über alle Vorgänge in ihrem Amtsbezirke zu unter­ richten, die für Deutschland in irgendwelcher Be­ ziehung von Bedeutung sein können. In großem Umfange sind diese Aufgaben durch zahlreiche Runderlasse des AusA. näher bezeichnet; darüber hinaus werden ihnen besondere Weisungen von Fall zu Fall erteilt. Mer auch ohne derartige Weisungen haben die K. über alles zu berichten, was nach ihrem Ermessen für die heimischen Ver­ hältnisse irgendwie von Bedeutung sein kann. Sie haben sich bei ihrer Tätigkeit stets vor Augen zu halten, daß diese im Interesse der Allgemein­ heit liegt, und haben bei der Behandlung von Anträgen einzelner Reichsangehöriger, die damit

in Widerspruch stehen könnten, die erforderliche Zurückhaltung zu bewahren. Insbesondere ist dies geboten, wenn es sich um entgegengesetzte Inter­ essen mehrerer Reichsangehöriger handelt, es sei denn, daß ihnen die Vermittlung eines Vergleichs oder die Ausübung eines Schiedsrichteramts (s. oben) obliegt. 4. Die K. sind der Aussicht des MsA. unter­ worfen, erhalten von diesem ihre Weisungen und berichten auch regelmäßig an dieses. Zur Ent­ lastung des AusA. in Angelegenheiten von nicht grundsätzlicher Bedeutung ist in weitem Umfang auch ein Schriftverkehr mit den Reg. der deut­ schen Länder und den heimischen Justiz- und Ver­ waltungsbehörden zugelassen. Die Konsulate sind im allgemeinen der deutschen diplomatischen Ver­ tretung im Lande ihres Amtssitzes unterstellt und haben dieser von Berichten über Gegenstände von besonderer oder allgemeiner Bedeutung Kenntnis zu geben, sich auch ihrer Vermittlung zu bedienen, wenn bei Ausübung ihrer Tätigkeit Vorstellungen bei der Reg. ihres Aufenthaltsstaates erforderlich werden. Wahlkonsuln sind in der Regel einem Berufskonsul unterstellt. 5. Den Vorstehern der Konsulate sind die er­ forderlichen Hilfskräfte beigegeben (Vizekonsuln, nach Bedarf auch besondere Sachverständige, ins­ besondere für Handel oder Landwirtschaft, meist ein Kanzler als Bureauvorstand, sowie Konsulats­ sekretäre und Kanzleipersonal). Ke. Konsumvereine (Besteuerung) s. Körper­ schaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögen­ steuer. Konten im Zollverkehr. I. Die im § 110 VZG. „zur Erleichterung des Vertriebs ausländischer Waren nach dem Auslande" vorgesehenen sog. fortlaufenden Konten sind ihrem Wesen nach offene Läger (s. Niederlagen A 3 b) für Waren von hohem Zollwert. Sie werden nur an Groß­ handlungen bewilligt. Mit Rücksicht auf den hohen Zollwert der kontierten Waren sind im Interesse der Zollsicherheit, insbesondere hinsicht­ lich der Festhaltung der Identität gegenüber sonstigen Lägern verschärfte Kontrollen geschaffen. Die näheren Vorschriften enthält das Kontenregulativ (ZBl. 1887, 585), das mit Nach­ trägen bei Troje-Düffe, Die Ordnungen usw. zu den Zollgesetzen, Teil II Ziff. XIV abgedruckt ist. II. Beim zollfreien Beredelungsverkehr (s. d.) werden die vom Auslande eingegangenen zu ver­ edelnden Waren im Veredelungskonto ange­ schrieben; in gewissen Zeitabschnitten werden dann von den angeschriebenen die in veredeltem Zustande ausgeführten abgeschrieben und die hier­ nach sich ergebenden Restbeträge als im Jnlande verblieben verzollt. Sdt. Kouterbande (im Zollverkehr) s. Zoll II13. Kontingente im Zollverkehr sind Mengen von Waren, die auf Grund völkerrechtlicher Ver­ einbarungen, insbesondere Handelsverträge, im Verkehr zwischen einzelnen Staaten zollfrei oder zu geringeren als den allgemeinen Zollsätzen (zollbegünstigt) eingeführt werden dürfen. Solche K. finden sich im deutsch-französischen Handels­ abkommen (s. Handelsverträge) — für fran­ zösischen Wein—, in einer den Zollkrieg (s. d.) mit Polen mildernden Abmachung (RZollBl. 1927,295) für polnisches Schnittholz—und im Saarabkommen (s. Saargebiet (Zollwesen) — für verschiedene

Kontingentierung — Kontraktbruch listenmäßig aufgesührte Waren Deutschlands und des Saargebiets —. Sdt. Sß et) mann, Das neue Saarabkommen' (Z. f. Z. u. B. 1928, 121). Kontingentierung (bei den Verbrauchsteuern) besteht darin, daß die regelmäßige Steuerbehand­ lung nur für eine gewisse Menge der steuer­ pflichtigen Gegenstände (s. VerbrauchsteuernI) in Anwendung kommt, die darüber hinaus her­ gestellte Menge aber mit irgendwelchen Steuer­ nachteilen getroffen wird. Diese bestehen meist, wenn auch nicht immer, in einer Erhöhung der normalen Steuersätze. Die K. hat in der Regel den Zweck, eine Produktionseinschränkung der betreffenden Ware zu bewirken und dadurch ihren Absatz zu sichern, meist in der Absicht, den durch die Steuer betroffenen Herstellungsbetrieben den Fortbestand zu sichern und sie namentlich vor der Konkurrenz neu entstehender oder unter günsti­ geren Bedingungen arbeitender Betriebe zu schützen. Eine besonders wichtige Rolle hat die K. bei der deutschen Branntweinsteuer gespielt, bei der sie den Zweck verfolgte, die im Interesse der Volksernährung wichtigen landwirtschaftlichen Brennereien im Kampfe gegen gewerbliche Groß­ betriebe zu stärken (s. Branntweinmonopols). Sie ist dort mit der Einführung des Monopols weggesallen; ihre Nachwirkung besteht aber noch in dem sog. Brennrecht (s. C V a. a. O.); in ge­ wissem Sinne sind hierher auch die Bezugsrechte und Betriebsrechte der Essigfabriken zu rechnen (s. CX 4 c und XX 2 b ebenda). Auch die bei der Besteuerung der Zigaretten und der Zündwaren einige Zeit bestehende K. ist weggefallen (f. Tabaksteuer I und Zündwarensteuer I). Dagegen findet sich noch heute eine K. bei der Biersteuer in dem sog. Braurecht (s. Bier st euer I und II5). Sdt. Kontokorrentverkehr (conto corrente = lau­ fende Rechnung) ist derjenige Geschäftsverkehr zwischen einem Kaufmann (Bank) und seinen Kunden, bei welchem zwischen den Parteien nicht jedes einzelne Geschäft durch Zahlung reguliert wird, sondern die sich aus den einzelnen Geschäf­ ten ergebenden Forderungen in eine fortlaufende Rechnung eingetragen werden, die Forderungen des die Rechnung Führenden als „Soll", die der anderen Seite als „Haben", und nur periodisch aus dem „Soll" und „Haben" das Endergebnis, „Saldo" festgestellt wird; entweder erfolgt dann die Ausgleichung des Saldos oder nur ein An­ erkenntnis des die einzelnen Posten und das Saldo des Kontokorrentbuchs nachweisenden, der Gegen­ seite übersandten Rechnungsauszuges durch diese unter Fortsetzung des Kontokorrentverhältnisses. Der K. kann zinslos erfolgen; in der Regel aber werden für die Soll- und Habenposten Zinsen berechnet, entweder zu einem festen Satze oder wechselnd je nach dem Stande des Diskontosatzes. Die Zinsberechnung erfolgt unter Benutzung von .»Zinszahlen". Diese Zinszahl ist für jede Post das durch 100 dividierte Produkt der Post und der Tage, für die die Zinsen zu berechnen sind. Diese Zinszahlen der einzelnen Posten werden dann für Soll und Haben addiert und ergeben, mit dem Zinsfuß multipliziert und, da das Jahr zu 360 Tagen gerechnet wird, mit 360 dividiert, den Zinsenbetrag. Dem K. liegt stets ein Vertrag zugrunde, der gewöhnlich durch schriftliche An­

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erkennung der Geschäftsbedingungen vollzogen wird und der mit einem Darlehnsvertrage ver­ bunden sein kann. Einzelne Forderungen, die dem K. unterliegen, können nicht selbständig gel­ tend gemacht werden,'jedoch gelten Wechselsorde­ rungen in Ermangelung gegenseitiger Verein­ barung als vom K. ausgeschlossen. Ist eine Forde­ rung gesichert, so kann der Gläubiger aus der Sicherheit insoweit Befriedigung suchen, als For­ derung und Guthaben aus dem K. sich decken. Bei Pfändung des Saldos durch einen Dritten können dem Gläubiger gegenüber Schuldposten, die nach der Pfändung durch neue Geschäfte ent­ stehen, nicht in Rechnung gestellt werden (§§ 355 bis 357 HGB.). Ansprüche aus einem K. wer­ den nach § 65 AufwG. nicht aufgewertet, abge­ sehen von den daselbst angegebenen Ausnahme­ fällen. Dasselbe gilt von Bankguthaben (§ 66 a. a. O.). v. B. Kontrattbruch. I. Gesellen und Gehilfen, Fabrikarbeiter. Hat ein Geselle, Gehilfe oder Fabrikarbeiter rechtswidrig die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf Schaden als Entschädigung für den Tag des K. und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetz­ lichen Arbeitszeit (s. d.), höchstens aber für eine Woche, den Betrag des Ortslohns (s. d.) fordern. Durch ihre Geltendmachung wird der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und auf weiteren Schadenersatz ausgeschlossen (§ 124b GewO.). Macht der Arbeitgeber diesen Entschädigungs­ anspruch nicht geltend, so kann er wie jeder Arbeit­ geber den Anspruch auf Erfüllung des Vertrags durch Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, An­ spruch auf Ersatz des nachgewiesenen Schadens, Anspruch auf eine etwa vereinbarte Vertrags­ strafe (§§ 339ff. BGB.) und auf die vertrags­ mäßig verwirkten Lohnbeträge geltend machen. Zur Sicherung aller seiner Ansprüche kann er bei den einzelnen Lohnzahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes,insgesamt denBetrag eines durch­ schnittlichen Wochenlohns einbehalten (§ 119a GewO.). Außerdem ist dem Arbeitgeber der­ jenige Arbeitgeber, welcher einen Gesellen, Ge­ hilfen oder Fabrikarbeiter zum K. verleitet, oder welcher den Gesellen, Gehilfen oder Fabrik­ arbeiter annimmt oder behält, obwohl er weiß, daß er noch einem anderen Arbeitgeber ver­ pflichtet ist, für den entstandenen Schaden oder den Entschädigungsanspruch als Selbstschuldner mitverhaftet (§ 125 GewO.). Handelt es sich um Arbeiter in Betrieben, in denen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, so kann der Entschädigungsanspruch nicht geltend gemacht werden, es bleibt also nur der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags, auf Schadenersatz, Vertragsstrafe, auf Zahlung der verwirkten Lohn­ beträge und der Anspruch gegen den anderen Arbeitgeber bestehen. Hier darf auch eine Ver­ wirkung des rückständigen Lohnes über den Be­ trag des durchschnittlichen Wochenlohns nicht aus­ bedungen werden (§ 134 Abs. 1 GewO.). Uber die Verwendung der verwirkten Lohnbeträge muß die Arbeitsordnung (s. d.) Bestimmung treffen (§ 134b Abs. 1 Ziff. 5 GewO.). Hat der Arbeitgeber einen Gesellen, Gehilfen oder Fabrik­ arbeiter rechtswidrig entlassen, so kann dieser den gleichen Entschädigungsanspruch (für jeden Tag der Arbeitszeit, höchstens für eine Woche, den

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Kontraktbruch

Betrag des Ortslohns) geltend machen, jedoch steht auch den Arbeitern in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitern dieser Entschädigungsanspruch nicht zu (§§ 124b, 134 Abs. 1 GewO.). Wird von der Geltendmachung des Entschädigungs­ anspruchs abgesehen, so kann jeder Geselle, Ge­ hilfe oder Fabrikarbeiter Erfüllung des Vertrags durch Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, Ersatz des nachgewiesenen Schadens und Zahlung einer etwa vereinbarten Vertragsstrafe verlangen. Auf Gehilfen in Apotheken und in Handelsgeschäften finden die Vorschriften der GewO, keine An­ wendung (§ 154 Abs. 1). II. Lehrlinge. Verläßt der Lehrling unbe­ fugt die Lehre, so kann der Lehrherr den Anspruch auf Rückkehr des Lehrlings nur geltend machen, wenn der Lehrvertrag (s. d.) schriftlich geschlossen ist. Unter der gleichen Voraussetzung kann die Polizeibehörde aus Antrag des Lehrherrn den Lehrling anhalten, so lange in der Lehre zu ver­ bleiben, als durch gerichtliches Urteil das Lehr­ verhältnis nicht für aufgelöst erklärt ist, oder dem Lehrlinge durch einstweilige Vs. eines Gerichts gestattet ist, der Lehre fern zu bleiben. Der Antrag ist nur zulässig, wenn er binnen einer Woche nach dem Austritte des Lehrlings gestellt ist. Im Fall unbegründeter Weigerung der Rück­ kehr hat die Polizeibehörde den Lehrling zwangs­ weise zurückführen zu lassen oder durch Androhung von Geldstrafe von 1—1000 RM oder Hast bis zu fünf Tagen zur Rückkehr anzuhalten (§ 127d GewO.). Löst der Lehrherr in diesem Falle das Lehrverhältnis auf, so kann er eine Entschädigung nur verlangen, wenn der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen ist (§ 127k GewO.). Diese ist, wenn in dem Lehrvertrage nicht ein geringerer Betrag ausbedungen ist, auf einen Betrag sestzusetzen, welcher für jeden aus den Tag des Vertrags­ bruchs folgenden Tag der Lehrzeit, höchstens aber für sechs Monate bis aus die Hälfte des in dem Gewerbe des Lehrherrn den Gesellen oder Ge­ hilfen ortsüblich gezahlten Lohnes sich belaufen darf. Für die Zahlung der Entschädigung sind als Selbstschuldner mitverhastet der Vater des Lehrlings, sofern er die Sorge für die Person des Lehrlings hat, sowie derjenige Arbeitgeber, welcher den Lehrling zum Verlassen der Lehre verleitet oder welcher ihn in Arbeit genommen hat, obwohl er wußte, daß der Lehrling zur Fort­ setzung eines Lehrverhältnisses noch verpflichtet war (§ 127g GewO.). — Der Lehrling hat im Falle des K. des Arbeitgebers nur Anspruch auf Entschädigung, wenn der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen ist (§ 127f GewO.). Voraussetzung ist aber weiter, daß entweder die Höhe der Ent­ schädigung im Vertrage festgesetzt oder daß ein nachweisbarer Schaden eingetreten ist. Der Lehr­ ling kann auch auf Erfüllung des Vertrags klagen (§§ 323ff. BGB.). Der Anspruch auf Entschädi­ gung erlischt sowohl für den Lehrherrn als auch für den Lehrling, wenn er nicht innerhalb vier Wochen nach Auslösung des Lehrverhältnisses im Wege der Klage oder Einrede geltend gemacht wird. Auf Lehrlinge in Apotheken und in Han­ delsgeschäften finden die Vorschriften der GewO, keine Anwendung (§ 154 Abs. 1). III. Betriebsbeamte, Werkmeister, Tech­ niker. Verläßt ein Betriebsbeamter usw. rechts­ widrig die Arbeit, so stehen dem Arbeitgeber die­

selben Ansprüche wie gegen Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter zu (s. unter I). Auch haftet ihm der Arbeitgeber, der den Betriebsbeamten zum K. verleitet oder in Dienst nimmt oder im Dienste behält, obwohl er ihn als kontraktbrüchig kennt. Der Arbeitgeber hat aber nicht das Recht, zur Sicherung seiner Ansprüche einen Teil des Lohnes bei den Lohnzahlungen einzubehalten (§ 133e GewO.). Der Betriebsbeamte usw. hat beim K. des Arbeitgebers dieselben Ansprüche wie der Geselle. IV. Handlungsgehilfen und Handlungs­ lehrlinge. Einem Handlungsgehilfen, der wäh­ rend einer den Umständen nach erheblichen Zeit unbefugt seinen Dienst verläßt, kann der Prinzipal ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ebenso ist der Handlungsgehilfe ohne Einhaltung der Kündigungsfrist zur Kündigung berechtigt, wenn der Prinzipal seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. In beiden Fällen kann Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses ent­ stehenden Schadens verlangt werden (§ 70 Abs. 2, §§ 71, 72 HGB-). Ansprüche wegen unbefugten Austritts aus der Lehre kann der Lehrherr nur geltend machen, wenn der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen ist (§ 79 HGB.). V. Arbeiter und Betriebsbeamte in Bergwerken, Salinen, Ausbereitungs­ anstalten und unterirdisch betriebenen Gruben. Für die Ansprüche des Bergwerks­ besitzers und der Bergarbeiter in den Fällen des K. sind die Vorschriften des BGB. maßgebend. Es können auch Vertragsstrafen und die Ver­ wirkung rückständiger Lohnbeträge vereinbart werden. Jedoch darf eine Verwirkung des Lohnes nicht über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus ausbedungen werden (§ 80 Abs. 2 BergG.). Dem Bergwerksbesitzer haftet der andere Bergwerksbesitzer für den entstan­ denen Schaden mit, der einem Bergmann zum K. verleitet oder annimmt oder behält, obwohl er weiß, daß der Bergmann kontraktbrüchig ist (§ 86 BergG.). Lohneinbehaltungen sind dem Bergwerksbesitzer in demselben Umfange wie dem Arbeitgeber gewerblicher Gehilfen (s. untet I) gestattet (§§ 119a Abs. 1, 154a Abs. 1 GewO.). Einen Entschädigungsanspruch ohne Rücksicht auf den entstandenen Schaden (s. unter I) hat weder der Bergwerksbesitzer noch der Bergarbeiter. Beim K. der Betriebsbeamten regeln sich die gegenseitigen Ansprüche nach den allgemeinen Vorschriften des BGB. und den Vereinbarungen des Vertrags. Es besteht auch hier eine Haft­ pflicht des Bergwerksbesitzers, der den Betriebs­ beamten zum K. verleitet oder den kontrakt­ brüchigen Betriebsbeamten in Dienst nimmt oder im Dienst behält (§ 91 BergG.). VI. Das G., betr. die Verletzung der Dienst­ pflichten des Gesindes und der ländlichen Ar­ beiter, vom 24.4.1854 (GS. 214) ist durch Ziff. 8 des Aufrufs des Rates der Volksbeauftragten vom 12. 11. 1918 (RGBl. 1303) aufgehoben. VII. Streitigkeiten wegen Zahlung der Entschädigung oder wegen Schadenersatz oder wegen Zahlung der Vertragsstrafe oder der ver­ wirkten Lohnbeträge sowie über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entscheiden die Arbeits­ gerichte (s. d.). Gehört der Arbeitgeber einer I. an, so ist bei Streitigkeiten zwischen Lehrherrn

Konventionalstrafe — Konvertierung oder Konversion

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und Lehrling (unter II) der A., der nach § 91b Schuldverschreibungen gleichen Betrags in das GewO, in der Fassung des § 111 Arbeitsgerichts^ Staatsschuldbuch bewirkt wurde. Eine weitere zu bilden ist, zuständig. F. H. K. der konvertierten 3%%igen Staatsanleihe war bis 1. 4. 1905 durch Verbot einer Kündigung Konventionalstrafe s. Vertragsstrafen. Konvertierung oder Konversion von Anleihen vor diesem Zeitpunkte ausgeschlossen (§ 10 des ist eine Änderung ihrer Verzinsungs-, gegebenen­ G. vom 23. 12. 1896). In gleicher Weise ist die falls auch Tilgungsbedingungen. In der Regel K. der 4%igett Reichsanleihe in 3%%ige nach handelt es sich um die Herabsetzung des Zins­ dem G., betr. die Kündigung und Umwandlung fußes einer durch Ausgabe von Jnhaberpapieren der 4%igett Reichsanleihe, vom 8. 3. 1897 aufgenommenen Anleihe. Hierunter würde auch (RGBl. 21) erfolgt. Aus jüngster Zeit ist be­ die Ersetzung von Sachwertschuldverschreibungen sonders die K. der Pfandbriefe verschiedener durch Währungs- oder Goldobligationen fallen. Landschaften zu erwähnen. Umgetauscht wurden Im Endstadium der Inflation waren nämlich die bis dahin 10%igett Goldpfandbriefe in neue Sachwertanleihen in der mannigfachsten Form, 7 %ige. Unter K. versteht man, wie die vorstehen­ lautend auf Roggen, Kohle, Holz, Kali, den Darlegungen zeigen, den freiwilligen Ent­ Zucker usw., ausgegeben worden. Seit der Sta­ schluß des Gläubigers, in eine Herabsetzung des bilisierung der Währung sind diese Anleihen eine Zinsfußes zu willigen. Hierzu wird sich im all­ Sorge sowohl für die Gläubiger als auch vor allem gemeinen der Gläubiger nur dann entschließen, für die Schuldner geworden. Da der Preis der wenn er keine Aussicht hat, auf Grund der ihm verschiedenen Waren, auf dem die Papiere ba­ wahlweise angebotenen Kapitalrückzahlung bes­ sieren, schwankt, kann der Gläubiger nicht mit sere, insbesondere höher verzinsliche Werte zu festem Ertrage und bestimmter Rückzahlungs­ erwerben. Um den Anreiz zur Gutheißung der summe rechnen. Für den Schuldner bedeutet Zinsherabsetzung zu fördern, werden daher häufig diese Ungewißheit eine noch größere Bürde. Der von den Schuldnern, die zur K. schreiten, den Wunsch nach einer K. besteht daher bei diesen Gläubigern gewisse Zugeständnisse gemacht, die Sachwertanleihen auf beiden Seiten. Soll eine vor allem darin bestehen, daß mit der Zinsherab­ K. nicht eine Zwangsmaßnahme darstellen, so setzung eine kleine Barvergütung verbunden ist. muß sie in der Weise erfolgen, daß zu einem Die zwangsweise Herabsetzung des Zinsfußes Rückzahlungstermin den Gläubigern die Wahl wird häufig Zwangskonversion genannt. Nach zwischen der Herabsetzung des Zinsfußes oder deutschem Recht ist sie möglich aus Grund des dem Rückempfang der Darlehnsvaluta gelassen G., betr. die gemeinsamen Rechte der Besitzer wird. (Bei Sachwertanleihen würde noch im von Schuldverschreibungen, vom 4. 12. 1899 besonderen die Wahl zwischen der Rückzahlung (RGBl. 691). Nach §§ 11 u. 12 dieses G. kann in der vereinbarten Valuta und dem Umtausch die Ermäßigung des Zinsfußes, wenn sie von in Reichsmark- oder Goldmarkanleihen zu lassen einer im G. vorgesehenen Mehrheit der Gläu­ sein.) Vor der erstzulässigen Rückzahlung ist eine biger beschlossen wird, mit für alle Gläubiger ver­ K. nur im Wege freier Vereinbarung möglich. bindlicher Kraft zur Abwendung einer Zahlungs­ Diese wird jedoch selten zustande kommen; selbst einstellung oder des Konkurses vorgenommen die vorzeitige K. der Sachwertanleihen, für die werden; der Beschluß muß für alle Gläubiger aus den vorerörterten Gründen an sich auf beiden die gleichen Bedingungen festsetzen, es sei denn, Seiten Geneigtheit besteht, ist auf die größten daß die zurückgesetzten Gläubiger ausdrücklich ein­ Schwierigkeiten gestoßen; und zwar vor allem willigen. Von einer automatischen K. spricht durch die Frage, zu welchem Warenpreise bei den man,, wenn sofort bei der Ausgabe der Anleihe häufig außerordentlich großen Preisschwankungen vorgesehen ist, daß nach einer Reihe von Jahren (dies gilt besonders für die Roggenpfandbriefe) der Zinsfuß ohne weiteres eine Herabsetzung er­ die Anrechnung des alten Papiers erfolgen soll. fährt. Eine Kapitalrückzahlung im Zeitpunkt der K. großen Stils sind in Preußen durch G., betr. Herabsetzung wird dem Gläubiger nicht angeboten. die Kündigung und Umwandlung der 4% % igeit Ein Beispiel hierfür ist die im Jahre 1908 emit­ konsolidierten Staatsanleihe, vom 4. 3. 1885 tierte preuß. sog. Staffelanleihe, deren Zinsfuß (GS. 55) und G., betr. die Kündigung und Um­ für 10 Jahre 4%, für weitere 5 Jahre 33/4% wandlung der 4%igen konsolidierten Staats­ und alsdann 3%% betragen sollte. anleihe vom 23. 12. 1926 (GS. 269) erfolgt Der seltene Fall einer K. nach oben, d. h. (s. Staatsanleihen). Durch das G. vom einer nachträglichen Hinaufsetzung des Zinsfußes, Jahre 1885 ist die gesamte 4%%ige konsolidierte ist im Jahre 1927 bei der in diesem Jahre ge­ Staatsschuld in eine 4%ige und durch das G. schaffenen deutschen Reichsanleihe vorgenommen von 1896 die 40/oige in eine 3%%ige umge­ worden. Die Anleihe kam im Februar 1927, wandelt worden. Das Angebot der K. galt von ausgestattet mit einem öligen Zinsfuß, auf den selten des Gläubigers als angenommen, wenn Markt. Das Zeichnungsergebnis auf die Anleihe er nicht binnen einer bestimmten Frist nach einer war nicht ungünstig. Da aber bald nach der vom FM. erlassenen öffentlichen Bekanntmachung Emission der Anleihe am Geld- und Kapital­ die Barzahlung des Kapitalbetrags beantragte, märkte ein erheblicher Umschwung eintrat, der was nur in ganz verschwindendem Maße geschah. insbesondere die Kurse der festverzinslichen Werte Die K. wurde in der Weise durchgesührt, daß die wesentlich zurückgehen ließ, so entschloß sich der Schuldverschreibungen, Zinsscheinanweisungen NFM. im August 1927, nachträglich den Zinsfuß (Talons) und Zinsscheine mit einem die Zins­ der Anleihe für einen Zeitraum von sieben Jahren herabsetzung ausdrückenden Vermerk versehen — von 5 auf 6% zu erhöhen. Das gleichzeitige An­ abgestempelt — wurden oder auf Antrag des gebot einer Barrückzahlung brauchte in diesem Gläubigers statt der Abstempelung die kostenfreie Falle nicht gemacht zu werden, da dem Anleihe­ Eintragung eines dem Nennwert der eingereichten gläubiger die Hinaussetzung des Zinsfußes ohne

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Konvikte — Körordnungen

jedes besondere Entgelt gewährt wurde. In der Finanzgeschichte steht dieser Fall vereinzelt da. Wurden in früherer Zeit Erhöhungen des Zins­ fußes vorgenommen, so geschah dies unter gleich­ zeitiger Einforderung einer Zuzahlung durch die Gläubiger. So hatten in Österreich im Jahre 1798 die Inhaber der Banko-Obligationen eine Zu­ zahlung von 30% zum Nennwerte ihrer 4%igen Obligationen zu leisten, wofür sie einen 5%igen Typus in der Höhe des gleichen Nennbetrags erhielten. In England fand im Jahre 1818 eine Hinaufkonvertierung von 3%igen Anleihen in 3 >4%ige Anleihen gegen Barzuzahlung statt. Der Grund dieser Hinaufsetzungen war der, neues Kapital ohne die Begebung neuer Anleihen zu gewinnen. Im Falle der deutschen Reichsanleihe hingegen kam es nur darauf an, die Verzinsung der Anleihe den Marktverhältnissen anzupassen, um auf diese Weise eine starke Kurssenkung der Anleihe zu verhindern. No. Konvikte. Mit diesem Ausdrucke werden — in nicht gewöhnlicher Weise — auch die Alumnate umfaßt, über die Alumnate s. Höhere Lehran­ stalten, Verwaltung V I. In der Regel werden als K. Anstalten der katholischen Kirche bezeichnet. Diese kennt zweierlei Arten von K.: 1. solche, die nach ihren Statuten und Einrichtungen sich als tridentinische Anstalten im strengen Sinne darstellen, und 2. solche, die von den kirchlichen Organen als Gymnasialpensionate oder Alumnate errichtet sind. Die ersteren erfüllen unmittelbar einen kirchlichen Zweck. Sie sind mit den Diözesanseminarien verbunden, welche als philosophisch-theologische Lehranstalt und zur praktischen Ausbildung künftiger Priester dienen sollen. Neben diesen „großen" Semi­ naren bestehen die „kleinen" Seminare zur humanistischen Ausbildung von Knaben; und dem entsprechen auch die K. Aber beide Arten sind nicht nur Erziehungsanstalten, sondern auch Lehranstalten, nur bestimmt für das Zusam­ menleben von Klerikern bzw. solchen, welche diesen Beruf vermutlich ergreifen werden. Dagegen sind die als Gymnasialpensionate errichteten K. solche, die nicht, wie die K. für Kleriker, durch das Staatsgesetz vom 11. 5. 1873 (GS. 191) unter besondere Staatsaufsicht gestellt gewesen waren. Diese besondere Staatsaufsicht sollte damals für „alle von der Kirche gestifteten, ihr gehörenden oder von ihr geleiteten Anstalten" eingerichtet werden, „welche den Zweck haben, für den geist­ lichen Beruf durch Unterricht und Erziehung vor­ zubereiten und auszubilden, nicht aber für Bildungs- und Erziehungsanstalten, welche nicht kirchliche in dem eben gedachten Sinne sind und ebensowenig für Anstalten, welche nur den Schü­ lern eines Gymnasiums (ohne Rücksicht aus den künftigen Beruf) Pension gewähren und ihr Leben außer der Schule unter geregelte Aussicht stellen, also z. B. Gymnasialkonvikte oder Alumnate". (Hinschius zu § 9 des G.) Diese nichttridentinischen Gymnasialkonvikte unterliegen nur der ge­ setzlich geordneten Staatsaufsicht (Art. 3 des G. vom 21.5.1886, GS. 147). Sie dienen auch nicht unmittelbar kirchlichen Zwecken. Daran ändert nichts, daß bei der Aufnahme vorzugs­ weise Schüler, die sich dem Priesterberufe wid­ men wollen, berücksichtigt werden sollen. Ja, es ist sogar, wenn nur die allgemeinen Zwecke

der Jugenderziehung im Anschluß an den Schul­ unterricht des Gymnasiums im Vordergründe stehen, für unerheblich erachtet worden, daß auch gleichzeitig durch besondere Einwirkung auf die Zöglinge in sittlich-religiöser Hinsicht ihre Vor­ bereitung auf den Priesterberuf erstrebt wird, Entsch. des OVG. 48, 91; 51, 120; PrVVl. 48, 618. Den Grundstücken der tridentinischen K., nicht aber ohne weiteres denen der nichttridentinischen K. steht nach § 15 des GrundvermögenssteuerG. vom 15. 2.1923, GS. 29, Steuerfrei­ heit zu. Daher ist die Unterscheidung auch heute noch von Bedeutung. B. Konzessionen. Gutsherrschaften und Orts­ obrigkeiten nahmen in früheren Zeiten das Recht für sich in Anspruch, auf ihren Besitzungen Ge­ werbetreibende anzusetzen imb zu konzessionieren, und zwar nicht nur solche Gewerbebetriebe, welche durch ihre örtliche Beschaffenheit oder Lage eine Belästigung der Nachbarn oder des Publikums im Gefolge haben konnten oder welche einer be­ sonderen obrigkeitlichen Beaufsichtigung bedurf­ ten, sondern auch für alle Gewerbebetriebe. Daraus entwickelte sich eine Einnahmequelle, indem die Erlaubnis nur gegen dauernde regel­ mäßig wiederkehrende Abgaben (s. d.) erteilt wurde. Dieses. Recht zur Erteilung von gewerb­ lichen K. wurde, nachdem die Abgaben in einzelnen Landesteilen bereits beseitigt waren, durch § 2 der PrGewO. vom 17. 1. 1845 (GS. 41) ausdrücklich aufgehoben. In den im Jahre 1866 neu er­ worbenen Landesteilen erfolgte die Aufhebung durch § 3 des G. vom 17. 3. 1868 (GS. 249), so daß durch die entsprechende Vorschrift in § 7 Abs. 1 Zisf. 5 GewO, für Preußen nichts geändert wurde. Die Entschädigung erfolgt nach Maßgabe des EntschädigungG. vom 17. 1. 1845 (GS. 79) und des G. vom 17. 3.1868 (GS. 249). Streitig­ keiten darüber, ob das Recht zur Erteilung der K. als aufgehoben anzusehen ist (Z 9 Abs. 1 GewO.), werden von den Landeskulturbehörden, in letzter Instanz vom OLA. entschieden (G. vom 3. 6. 1919, GS. 101, und G., betr. das Verfahren in Auseinandersetzungsangelegenheiten in der Fassung der Bek. vom 10. 10. 1899, GS. 403; K. zum Betriebe eines Gewerbes (K., Erlaubnis, Genehmigung usw.) erteilt jetzt nur der Staat. Wegen K. von Versicherungsunternehmungen s. Versicherungsaufsichtsgesetz. F. H. Konzessionssteuer s.Schankerlaubnissteuer. Konzile s. Kirchenverfassung BII1, 12. Kooge s. Deiche und Deichwesen I. Körnerkrankheit s. Granulöse. Koppelwege s. Jnteressentenwege. Kornbranntwein s. Branntweinmonopol CIX, XVI. Körordnungen. K. sind Verordnungen, die den Zweck haben, ungeeignete Batertiere von der Zucht auszuschließen. Die K. sind Polv., die auf Grund des G. über die Regelung des Körwesens und des Pferderennwesens durch Polv. vom 4. 8. 1922 (GS. 225) erlassen sind. Dieses G. ist ein Rahmengesetz, das im § 1 besagt, daß die Landespolizeibehörden (OP. und RP.) gemäß dem Landesverwaltungsgesetz Vorschriften über die Körung von Hengsten, Bullen, Schafböcken, Ziegenböcken und Ebern sowie Vorschriften zur Regelung des Pferderennwesens unter Beachtung der durch die obersten Landesbehörden genehmig-

Körperliche Züchtigung

len Rennordnungen erlassen können. Der § 2 regelt ba$ Strafmaß bei Zuwiderhandlungen gegen die K. Der § 2 hat durch das G. zur Ab­ änderung des G. über die Regelung des Körwesens usw. vom 15. 3. 1927 (GS. 37) eine Ab­ änderung der Geldstrafen erfahren. Letztere sind in der Androhung so hoch bemessen, daß die ver­ botswidrige Verwendung und Benutzung ungekörter Hengste unb Bullen zur Zucht sowie die Versäumnis zur Einholung der polizeilichen Ge­ nehmigung zur Abhaltung von Pferderennen „Vergehen" im strafrechtlichen Sinne bilden und dementsprechend gerichtlich zu bestrafen sind. Die verbotswidrige Verwendung und Benutzung ungekörter Schafböcke, Ziegenböcke und Eber zur Zucht sowie Zuwiderhandlungen gegen die son­ stigen Bestimmungen der K. bilden dagegen nach der Höhe des angedrohten Strafmaßes „Über­ tretungen", die durch Polizeistrafe geahndet werden. Die weiteren §§ 3 u. 4 haben lediglich formale Bedeutung. Hengstkörordnungensind für alle preußischen Provinzen — in Ostpreußen für die einzelnen RegBez., in der Provinz Hessen-Nassau nur für den RegBez. Wiesbaden und für den RegBez. Aurich besonders — er­ lassen. Im RegBez. Kassel darf nach einer noch in Kraft befindlichen kurhessischen Verordnung ohne Genehmigung des Landstallmeisters kein Privathengst fremde Stuten decken. Bullenkörordnung besteht in sämtlichen Westprovinzen unb den Provinzen SchlHolst^, Sachsen, Oberund Niederschlesien. In den weiteren Provinzen sind teilweise KreispolizeiverordnüNgen (noch aus älterer Zeit herrührend) erlassen. Schafbockkörordnungen bestehen für die RegBez. Aurich und Kassel, und als Kreispolizeiverordnungen für Teile der RegBez. Liegnitz, Koblenz und Düssel­ dorf. Ziegenbockkörordnungen sind für alle RegBez., Eberkörordnungen für die Provinz Sachsen und hin und wieder als Kreispolizei­ verordnungen in den Provinzen Ober- und Niederschlesien, Hannover, Westfalen, HessenNassau und der Rheinprovinz erlassen. Die Körung erfolgt bei allen Tierarten durch Kom., die aus Vertretern der Züchterverbände, in der Negelauch Vertretern der Landwirtschaftskammern und Sachverständigen der Bezirke oder Kreise zu­ sammengesetzt sind. In den meisten Kom. wirkt ein Tierarzt als Gutachter, in einigen Kom. auch als stimmberechtigtes Mitglied mit. Bei den Hengstkörkommissionen hat der jeweils zuständige Landstallmeister beschließende Stimme. Zur Ab­ deckung der durch die Körungen entstehenden Kosten werden Anmelde- und Körgebühren von den Besitzern der Batertiere erhoben, ausgenom­ men bei den Körungen der Ziegenböcke, bei denen die Kosten den Kreiskommunalkassen zur Last fallen. Batertiere, die der Eigentümer nur in eigener Tierzucht verwendet, unterliegen dem Körzwange nicht. S. auch Pferderennen, Oberste Behörde für Vollblutzucht und Rennen, Oberste Behörde für Traber­ zucht und Rennen, Reichsverband für Zucht und Prüfung deutschen Warm­ bluts, Hengstreiterei, Viehzucht, Pferde­ zucht, Pferdezuchtvereine. Richter. Körperliche Züchtigung. Nach den §§ 1631 Abs. 2, 1686 BGB. sind der Vater, soweit ihm die elterliche Gewalt und als Teil derselben das

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Erziehungsrecht zustehen, und unter der gleichen Voraussetzung auch die Mutter befugt, ange­ messene Zuchtmittel gegen das Kind anzuwenden, also auch es körperlich zu züchtigen. Dies darf aber nicht zu Mißhandlungen oder Körperver­ letzungen ausarten. Anderenfalls hat das Bor­ mundschaftsgericht das Kind unter Anwendung der §§ 1666, 1680 BGB. zu schützen, auch kann bei bewußter oder fahrlässiger Überschreitung der Grenzen des Züchtigungsrechts Bestrafung nach §§ 223ff. StGB, eintreten. Die härtere Be­ strafung der Mißhandlung Jugendlicher droht § 223a Abs. 2 StGB, in der Fassung des G. vom 19. 6. 1912 (RGBl. 395) an. Eine allgemeine Übertragung des elterlichen Züchtigungsrechts auf andere ist unstatthaft (RGSt. 33, 32), und derjenige, der das Recht und die Pflicht hat, für die Person des Kindes zu sorgen, darf sich des Rechtes der Überwachung der Ausübung der Sorge nicht vertragsmäßig begeben, er muß jeder­ zeit in der Lage sein, die Ausübung selbst zu be­ stimmen, demnach auch übertragene Ausübungs­ rechte ganz oder teilweise zu widerrufen (RG. in GruchotsBeitr. 50, 999). Das Züchtigungsrecht des Inhabers der elterlichen Gewalt geht nicht weiter, als es mit der ihm auferlegten Pflicht vereinbar ist, für die Person des Kindes zu sorgen. Jede Verletzung dieser Pflicht bei einer Züchtigungshandlung ist eine Überschreitung der rechtlichen Grenze des Züchtigungsrechts (RGSt. 41, 99). Ist die Anrufung der Eltern nicht möglich, konnte aber angenommen werden, daß im Sinne der Eltern gehandelt werde, so wird ein Dritter für befugt zu erachten sein, der Ungezogenheit eines Kindes durch eine sofortige Züchtigung entgegenzutreten. Es wird ferner angenommen, daß auch dann, wenn der Vater seine Pflicht, das Züchtigungsrecht auszuüben, vernachlässigt, in geeigneten Fällen derjenige, gegen welchen oder gegen dessen Angehörige Ungezogenheiten begangen werden, in Stell­ vertretung des Vaters zu der diesem obliegenden Züchtigung schreiten kann(DJZ. 10,752; 18,296). Als Ausfluß des ihm zustehenden Erziehungs­ rechts und zur Durchführung der Erziehung haben auch der Vormund über sein Mündel, desgleichen ein Pfleger, dem das Erziehungsrecht zusteht, über den Pflegebefohlenen und Pslegeeltern über ihre Pflegekinder ein Zuchtrecht und damit die Befugnis zur k. Z. gleich den Eltern (§ 1800 BGB.). Ebenso ist der Lehrling der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen, und dieses Recht der väterlichen Zucht umfaßt auch die Befugnis rur k. Z. selbst gegenüber älteren Lehr­ lingen. übermäßige und unanständige Züch­ tigungen, sowie jede die Gesundheit des Lehrlings gefährdende Behandlung sind noch ausdrücklich verboten (§ 127a GewO.). Ein Mißbrauch des Rechts der väterlichen Zucht rechtfertigt die vor­ zeitige Lösung des Lehrverhältnisses (8127b Abs.3 Zifs. 2 GewO.) sowie die Bestrafung nach § 148 Ziff. 9 GewO. Dem Hausangestellten gegenüber steht dem Dienstberechtigten ein Züchtigungsrecht nicht zu. Die früheren Gesindeordnungen sind durchV.voml2.11.1918 (RGBl. 1303)ausgehoben. Handlungslehrlingen gegenüber besteht kein Züch­ tigungsrecht. Über das Recht zur k. Z. in Schulen s. höhere Lehranstalten, Schüler 7. Volksschulen 22 (Schulzucht) BerufsschulenIII. Überschreitung des

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Körperschaftsteuer

Rechts ist nach § 340 StGB, strafbar. Als wirkliche Strafe (Prügelstrafe) ist die k. Z. bereits durch den AE. vom 6. 5. 1848 (GS. 123) abgeschafft worden. Seit 1879 ist aber vielfach ihre Wieder­ einführung befürwortet worden, insbesondere als Strafe gegen jugendliche Verbrecher und bei Ro­ heitsverbrechen. Als Disziplinarmittel in den Ar­ beitshäusern und Besserungsanstalten darf sie nicht mehr angewendet werden. Gegenüber den auf Grund des JugendwohlfahrtsG. in einer Familie oder Anstalt Untergebrachten umfaßt das Erziehungsrecht ebenfalls die Anwendung an­ gemessener Zuchtmittel. Auf k.Z. darf das Jugend­ gericht weder als Strafe noch Erziehungsmaßregel erkennen (§7 desJugendgerichtsG. vom 16.2.1923, RGBl. 1135). Bt. Körperschaftsteuer. I. Allgemeines. 1. Be­ griff und Geschichtliches. Die K. ist die Ein­ kommensteuer der nicht natürlichen Personen, also insbesondere der Erwerbsgesellschaften. In Preußen war sie zusammen mit der Besteue­ rung der natürlichen Personen im EinkommensteuerG. vom 24. 7. 1891 geregelt. Nach ihm waren auch Aktiengesellschaften,Kommanditgesell­ schaften auf Aktien, Berggewerkschaften und ein­ getragene Genossenschaften mit über den Kreis der Mitglieder hinausgehendem Geschäftsbetrieb sowie Konsumvereine und Konsumgenossenschaf­ ten, auch wenn sich ihr Geschäftsbetrieb auf den Kreis der Mitglieder beschränkte, einkommensteuer­ pflichtig. Der Steuersatz war ebenso hoch wie der für natürliche Personen und betrug 0,6—4% bis zu 100000 M Einkommen, die überschießenden Beträge unterlagen einem festen Satz. Dem Ge­ danken, daß in der gleichzeitigen Heranziehung der Gesellschaft und des Gesellschafters eine wirt­ schaftliche Doppelbesteuerung liege, wurde da­ durch zum Teil Rechnung getragen, daß vom Ge­ winn der Gesellschaft 3V2% des Anlagekapitals abgezogen werden durften. Durch die Novelle von 1906 wurden auch die Gesellschaften m. b. H. steuerpflichtig. Bei ihnen wurde der Ausgleich der Doppelbesteuerung anders geregelt. Sie unterlagen einem erhöhten Staatssteuersatz (0,78 bis 5%), dafür waren aber die Gewinnanteile ganz frei von der Staatseinkommensteuer; bei der Gemeindeeinkommensteuer war es umgekehrt, von ihr blieben die Gesellschaften m. b. H. frei, wäh­ rend ihre Gewinne (ausgeschüttete und nicht aus­ geschüttete Gewinne) dem Einkommen der Ge­ sellschafter nach dem Verhältnis ihrer Gewinn­ beteiligung zugerechnet wurden. 1908 legte die preuß. Reg. den Entwurf eines Gesellschaft­ steuergesetzes, in dem die Besteuerung der Gesell­ schaften selbständig geregelt wird, vor. Der Ent­ wurf wurde abgelehnt. Durch die Novelle 1909 wurden Staatssteuerzuschläge eingeführt, und zwar für die Gesellschaften höhere (Aktiengesell­ schaften, Kommanditgesellschaften aus Aktien, Berggewerkschaften 10—50%, Gesellschaften m. b. H. 5,7—40%) als bei natürlichen Personen (5—25%). Während des Krieges wurden die Zuschläge mehrfach erhöht. .Als nach dem Kriege das Reich die Einkommenbesteuerung an sich zog (vgl. Einkommensteuer), nahm es den Ge­ danken der preuß. Reg. aus dem Bahre 1908, die Einkommenbesteuerung der nichtphysischen Per­ sonen in einem selbständigen Gesetz zu regeln, wieder auf, und legte im November 1919 einen

als Körperschaftsteuergesetz bezeichneten Entwurf vor. Das Gesetz trägt das Datum des 30. 3. 1920 (RGBl. 393). Die wichtigsten Änderungen gegen­ über dem bisherigen Recht stellten die Ausdehnung der subjektiven Steuerpslicht und die Tarifierung dar. Die subjektive Steuerpflicht wurde auf alle Körperschaften und Vermögensmassen des öffent­ lichen und bürgerlichen Rechts ausgedehnt. Diese Bestimmung wurde allerdings dadurch weit­ gehend wieder abgeschwächt, daß neben zahl­ reichen subjektiven Befreiungen auch zahlreiche Befreiungen bei der objektiven Steuerpslicht (Freilassung von Einkommen oder Einkommens­ teilen) gewährt wurden. Der Tarif betrug zu­ nächst einheitlich kür alle 10%. Hierzu trat bei Erwerbsgesellschasten — ausgehend von dem Ge­ danken, daß sich die Leistungsfähigkeit einer Ge­ sellschaft nicht in der absoluten Höhe des Ein­ kommens, sondern in dem Verhältnis von Ein­ kommen zum Kapital ausdrücke — ein Zuschlag von den ausgeschütteten Gewinnen, der je nach dem Verhältnis der Ausschüttungen zum Grund­ oder Stammkapital 2—10% betrug; 3% des Grund- oder Stammkapitals blieben frei. Die Gewinnanteile waren bei den Gesellschaftern voll steuerpflichtig. Wichtige Änderungen brachte das G. zur Änderung des KörpStG. vom 8. 4. 1922. Der feste Steuersatz betrug nur noch für die Pflich­ tigen, die nicht zu den Erwerbsgesellschaften zäh­ len, also z. B. Vereine, Stiftungen 10%, für die Erwerbsgesellschasten aber 20%. Die bei letzteren hinzutretende Zuschlagsteuer wurde in einen festen Satz von 15% (nach Suspendierung der Kapitalertragsteuer im Bahre 1923 25%) der ausgeschütteten Gewinnanteile umgewandelt. In einem nach der Höhe des Einkommens des Gesell­ schafters gestaffelten Umfang sollte Anrechnung der letztgenannten Steuer auf die Einkommen­ steuer des Gesellschafters erfolgen, das ist aber wegen der fortschreitenden Inflation nie praktisch geworden. Nach dem G. vom 8. 4. 1922 ergingen bis zur Beendigung der Bnflation noch eine Reihe von Novellen. Die 2. StNotB. vom 19. 12. 1923 brachte auch für die Körperschaften wichtige Neue­ rungen. Die Veranlagung für das Bahr 1923 wurde nicht durchgeführt, dafür eine Abgeltung der K. in Höhe von 60 Pf. der zuletzt festgestell­ ten Papiermarksteuerschuld vorgeschrieben, gleichzeittg aber, um Ungleichmäßigkeiten und Härten möglichst zu beseitigen, den Finanzämtern die Be­ fugnis gegeben, die Steuerschuld nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ander­ weitig festzusetzen. Die Vorauszahlungen für 1924 wurden ebenso wie bei den physischen Personen nach dem Umsatz berechnet, gleichzeitig aber den Bndustriegesellschasten das Recht gegeben, anstatt dessen die Vorauszahlung nach 1. v. T. des Ver­ mögens zu besessen. Diese Vorauszahlungen wurden durch das SteuerüberleitungsG. vom 29. 5. 1925 (RGBl. I 75) zur endgültigen Ab­ geltung der Steuerschuld für 1924 erklärt; nur in besonderen Ausnahmefällen war eine begrenzte Herabsetzung möglich. Durch das neue KörpStG. vom 10. 8. 1925 (RGBl. I 208ff.) ist man auch auf dem Gebiete der Einkommenbesteuerung der K. zum normalen Beranlagungsverfahren zutückgekehrt. Wegen der Materialien vgl. RTDrucks. Nr. 796 Entwurf) und Nr. 1230 (Bericht). Es ergingen AusfB. vom 8. 5. 1926 (RMBl. 361)

Körperschaftsteuer und DurchführungsV. vom 17. 5. 1926 (RGBl. I 244). 2. Beteiligung der Länder und Gemein­ den an der K- Es gilt hier das gleiche, wie das bei der E. Gesagte (S. 1756). II. Das geltende Recht. 1. Subjektive Steuerpflicht. a) Unbeschränkte Steuer­ pflicht. Mit dem gesamten Einkommen (also un­ beschränkt) steuerpflichtig sind, sofern der Sitz oder Ort der Leitung im Jnlande liegt: «. Erwerbs­ gesellschaften (Aktiengesellschaften, Kommandit­ gesellschaften auf Aktien, Kolonialgesellschaften, bergbautreibende rechtsfähige Vereinigungen und nichtrechtsfähige Berggewerkschaften, Gesellschaf­ ten m. b. H. und Genossenschaften, ferner sonstige Personenvereinigungen mit wirtschaftlichem Ge­ schäftsbetrieb, deren Zweck vorwiegend die Er­ zielung wirtschaftlicher Vorteile für sich oder ihre Mitglieder ist), nicht dagegen Versicherungs­ vereine auf Gegenseitigkeit, die nur Mitglieder versichern, die einem Revisionsverband angeschlos­ senen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, deren Geschäftsbetrieb sich auf den Kreis der Mit­ glieder beschränkt und dieGenossenschastszentralen; ß. alle sonstigen Körperschaften und Vermögens­ massen des bürgerlichen Rechts (z. B. rechtsfähige Vereine, privatrechtliche Stiftungen und Anstal­ ten mit eigener Rechtspersönlichkeit), ferner nicht­ rechtsfähige Personenvereinigungen, Anstalten und Stiftungen wie nichtrechtsfähige Vereine (diese aber nur, wenn ihr Einkommen nicht, was z. B. für offene Handelsgesellschaften und Kom­ manditgesellschaften gilt, unmittelbar bei einem anderen Steuerpflichtigen zu versteuern ist), und endlich andere Zweckvermögen; y. Betriebe und Verwaltungen von Körperschaften des öffent­ lichen Rechts und öffentliche Betriebe und Ver­ waltungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, es sei denn, daß sie der Ausübung der öffentlichen Ge­ walt oder gemeinnützigen, mildtätigen oder kirch­ lichen Zwecken dienen, oder daß sie sog. Ver­ sorgungsbetriebe sind. Als Versorgungsbetriebe gelten solche Betriebe oder Verwaltungen, denen die Versorgung der Bevölkerung mit Gas, Wasser oder Elektrizität obliegt oder die dem öffentlichen Verkehr oder Dem Hafenbetriebe dienen. Der RFM. kann mit Zustimmung des RR. weitere Betriebe zu Versorgungsbeirieben erklären und erläßt mt Zustimmung des RR. auch im übrigen nähere Bestimmungen über die Abgrenzung der steuerpflichtigen Betriebe und Verwaltungen. Das ist im ersten Abschnitt der V. zur Durchführung des KörpStG. vom 17. 5. 1926 (RGBl. I 244) geschehen. Der Ausübung der öffentlichen Ge­ walt dienen danach die Hoheitsverwaltungen des Reichs und der Länder sowie die Verwaltungen der Gemeinden, die öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllen. Eine solche Erfüllung soll insbesondere angenommen werden, wenn die Aufgaben eines Betriebs oder Verwaltung auf Leistungen gerich­ tet sind, zu deren Annahme der Leistungsempfän­ ger auf Grund behördlicher oder gesetzlicher An­ ordnungen verpflichtet ist (Schlacht- und Vieh­ höfe, Anstalten zur Nahrungsmitteluntersuchung, Desinfektionsanstalten usw.). Als dem öffent­ lichen Verkehr dienende Bersorgungsbetriebe gel­ ten solche, die überwiegend die Beförderung von Personen zum Gegenstand haben, nach ihren Tarifen von der Gesamtbevölkerung benutzt wer­

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den können und mangels anderer Verkehrslinien von ihr benutzt werden müssen; Eisenbahnen und Krastfahrlinien auch dann, wenn sie überwiegend der Beförderung von Gütern dienen. Hafen­ betriebe sind Versorgungsbetriebe, wenn sie dem Güterumschlag oder der Unterhaltung von An­ lagen dienen, die zur sicheren und zweckmäßigen Ausnahme von Schiffen bestimmt sind, wie Kai­ anlagen, Schleusenanlagen, Stromregulierung, nicht aber Werften, Docks, Schlepperei- und Bugsierbetriebe, die Taucherei. Zu dem Begriff der gemeinnützigen mildtätigen und kirchlichen Be­ triebe vgl. §§ 5—13 der B. vom 17. 5. 1926. b) Beschränkte Steuerpflicht. Bestimmtes Einkommen ist stets steuerpflichtig, und zwar a. das aus dem Jnlande bezogene Einkommen im Sinne des § 3 Abs. 2 REinkStG. bei solchen Körperschaften, deren Sitz oder Ort der Leitung im Auslande liegt; ß. inländische Wertpapier­ zinsen, inländische Dividenden, Gewinne aus An­ teilen an inländischen Genossenschaften und Gesell­ schaften m. b. H. und Einkünfte aus der Beteili­ gung an einem inländischen Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter, gleichviel ob der Sitz oder Ort der Leitung im Jnlande oder im Auslande liegt. Das hängt damit zusammen, daß diese Kapitalerträge im wesentlichen mit dem Steuer­ abzüge vom Kapitalertrag an der Quelle erfaßt werden und — von ganz geringen Ausnahmen (§ 94 REinkStG.) abgesehen — eine Erstattung nicht stattfinden soll. Daher soll diese Steuer­ pflicht auch bei den sonst Befreiten gelten (§ 9 Abs. 2). Nur Reich, Länder und Gemeinden sollen frei bleiben, wenn die Kapitalerträge aus der Beteiligung an einem Unternehmen stammen, dessen Anteile mit mehr als einem Viertel im Besitz von Reich, Land oder Gemeinde stehen, ferner Reichsbank, Rentenbank, Deutsche Golddiskont­ bank und Bank für deutsche Jndustrieobligationen sowie Reichsbahn. c) Subjektive Steuerbefreiungen. Aus den allgemeinen Befreiungen von der K. sind hervorzuheben die der Reichspost, der Monopol­ verwaltungen des Reichs, der staatlichen Lotterie­ unternehmungen, der Staatsbanken, der öffent­ lichen Sparkassen, die sich auf die Pflege des eigentlichen Sparkassenverkehrs beschränken (der RFM. soll mit Zustimmung des RR. bestimmen, was als eigentlicher Sparkassenverkehr anzusehen ist; diese Bestimmung ist bisher noch nicht erfolgt, da Meinungsverschiedenheiten über den Kontokorrentverkehr mit Krediteinräumung entstanden waren. Der RFH. hat in einem Gutachten er­ klärt, daß unter der Voraussetzung, daß es sich um Mittelstandskredit handle, solche Geschäfte sparkasseneigen sein könnten), der kirchlichen, ge­ meinnützigen und mildtätigen Körperschaften und Vermögensmassen, der Berufsverbände ohne öffentlich-rechtlichen Charakter und ohne wirt­ schaftlichen Geschäftsbetrieb. Die wesentliche Änderung der geltenden Regelung der subjektiven Steuerpflicht gegenüber dem bisherigen Recht be­ steht darin, daß jetzt die Steuerpflicht von vorn­ herein scharf umrissen ist, während sie sich früher zunächst auf alle Körperschaften und Vermögens­ massen erstreckte und diesen nicht aufrechthaltbaren Zustand durch weitgehende Befreiungen in sub­ jektiver und objektiver Beziehung wieder ab­ schwächte. Die jetzige Regelung ist klarer und

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Körperschaststeuer

vorzuziehen. Der frühere Aufbau des Gesetzes er­ weckte zunächst den Eindruck, als ob z. B. auch die öffentliche Hand voll steuerpflichtig sei. In Wahr­ heit war sie durch spätere Bestimmungen voll­ kommen frei. Jetzt ist der Umfang ihrer SteuerPflicht klar und eindeutig geregelt. Gerade die Frage der Besteuerung der öffentlichen Hand hat übrigens zu den umstrittensten gehört. Bon der Wirtschaft wird die Besteuerung der öffentlichen Hand, soweit sie sich auf das Erwerbsgebiet be­ gibt, aus Konkurrenzgründen gefordert, von kom­ munalpolitischer Seite ebenso strikt abgelehnt. Die jetzige Regelung stellt eine Kompromißlösung dar. Endgültig ist diese Frage wohl kaum ausgestanden. Neu ist die Bestimmung in § 8, daß der RFM. ermächtigt wird, mit Zustimmung des RR. in Fällen, in denen ein auswärtiger Staat Zweig­ niederlassungen deutscher Erwerbsgesellschaften schärfer belastet als Erwerbsgesellschasten, die bei ihm Sitz oder Ort der Leitung haben oder einer meistbegünstigten Nation angehören, eine höhere Besteuerung für Erwerbsgesellschasten mit in­ ländischer Zweigniederlassung, aber ausländischem Sitz anzuordnen. 2. Objektive Steuerpflicht. Welche Ein­ künfte der Besteuerung unterliegen, welches Ein­ kommen zu Steuern herangezogen wird und was als Einkommen gilt, bestimmt sich nach den §§ 6 bis 8, 11 REinkStG. (vgl. oben S. 1758 ff). Das KörpStG. gibt aber noch eine Reihe weiterer objektiver Steuerbefreiungen: a) Bei den öffentlichen Betrieben und Verwal­ tungen bleiben die Einkünfte aus Land- und Forst­ wirtschaft, aus Kapitalvermögen, dessen Einkünfte nicht an der Quelle erfaßt werden, aus Ver­ mietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen und von landwirtschaftlichem Inven­ tar frei. b) Bei den Sparkassen, die nicht nur sparkassen­ eigene Geschäfte betreiben und deshalb schon ganz frei sind, bleibt der Teil der Einkünfte frei, der auf den eigentlichen Sparkassenverkehr entfällt (mit Ausnahme der an der Quelle erfaßten Kapital­ erträge). c) Bei Erwerbsgesellschasten und öffentlichen Betrieben und Verwaltungen, die mindestens ein Viertel von Aktien, Kuxen oder Anteilen anderer Gesellschaften besitzen, bleiben die darauf entfal­ lenden Gewinnanteile frei (sog. Schachtel­ privileg). d) Bei politischen Parteien und Vereinen sind Einkünfte aus Arbeitslohn, nicht an der Quelle erfaßte Kapitalerträge, wiederkehrende Bezüge im Sinne des § 40 REinkStG. und sonstige Leistungs­ gewinne im Sinne der §§ 41, 42 REinkStG. frei. e) Endlich bleiben Mitgliederbeiträge frei. — Der Steuerabschnitt ist ebenso wie im REinkStG. geregelt (Wirtschaftsjahr, wenn handelsrechtliche Bücher geführt und regelmäßige Abschlüsse ge­ macht werden, sonst das Kalenderjahr; vgl. oben S. 1761). 3. Ermittlung des Einkommens. Auf die Ermittlung des Einkommens, auf die einzelnen Einkommensarten, auf den Maßstab der Be­ steuerung und den Zeitpunkt der Veranlagung finden die Vorschriften der §§ 12—17, 19—21, 25, 26—48 REinkStG. sinngemäß Anwendung. Bei den buchführenden Erwerbsgesellschaften wird

also der Gewinn im Sinne des § 13 REinkStG. herangezogen. Die Vorschriften über die Be­ wertung sind die gleichen, und zwar nicht nur diejenigen für die Dauer, sondern auch die erst­ maligen für die Eröffnungsbilanz (§ 29 Körp­ StG.). Es gilt daher insbesondere auch die Be­ stimmung, daß für die Steuereröfsnungsbilanz keine höheren Werte angesetzt werden dürfen wie für die Vermögensteuer 1925. Nur soweit Gesell­ schaften nach dem Steuerkursvermögen veranlagt sind oder soweit das Schachtelprivileg in Frage ge­ kommen ist, gilt dies nicht; das ist selbstverständlich, denn im ersten Falle liegt keine Einzelbewertung vor, im letzteren Falle würde, wenn man das in­ folge Anwendung des Schachtelprivilegs bei der Vermögensteuer niedrigere Vermögen auch für das Anfangsvermögen bei der K. zugrunde legen würde, aus der Wohltat bei der Vermögensteuer eine Last bei der K. werden, die, weil letztere er­ heblich höher ist als erstere,unerträglich sein würde. Ist also das Vermögen per 1. 1. 1925 an sich 2000000 RM, infolge Schachtelprivilegs aber nur 1,4 Mill. RM, so darf gleichwohl für die K. in der Eröffnungsbilanz 2 Mill. RM eingestellt werden. 4. Die besonderen Abzüge nach dem KörpStG. Sind somit, was den Einkommens­ begriff anlangt, auch für die K. grundsätzlich die Vorschriften des EinkStGR. maßgebend, so gibt das KörpStG. doch auf dem Gebiete der zuläs­ sigen Abzüge eine Reihe von Sondervorschristen. a) Als weitere abzugsfähige Sonderleistungen treten zu den schon im § 17 REinkStG. bezeich­ neten hinzu: oc. Beträge, die nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung ausschließlich gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken zugesührt werden. ß. Zuwendungen an Unterstützungs-, Wohl­ fahrts- oder Pensionskassen des Betriebes, wenn die dauernde Verwendung für die Zwecke der Kasse gesichert ist; zu der Frage, wann eine Zu­ wendung als gesichert anzusehen ist, vgl. RFH. vom 29. 5. 1923 (RFH. 12, 231) und vom 14. 7. 1925 (RFH. 17, 79). y. Vergütungen jeder Art, die auf Grund der Jahresabschlüsse entweder an Mitglieder des Vor­ standes oder an Angestellte oder Arbeiter gewährt werden, soweit sie nicht schon als Werbungskosten abzugsfähig sind; nur Vergütungen für echte Dienstleistungen, nicht versteckte Gewinnanteile, fallen hierunter. b) Zu den schon nach dem REinkStG. abzugs­ fähigen Beträgen treten noch weitere hinzu (§ 15 KörpStG.): a. Die Grunderwerbsteuer der toten Hand (§ 10 Abs. 1 GrunderwerbsteuerG.) nebst Zu­ schlägen oder die Rücklagen hierfür. ß. Bei Kirchen und kirchlichen Zwecken dienen­ den Körperschaften Zinsen deutscher Anleihen, die für Besoldungen oder für Zwecke der Invaliden-, Witwen-, Waisen- oder Altersversorgung ver­ wendet werden (sog. Pfründervemögen). y. Die zur Beseitigung einer Unterbilanz ver­ wendeten Beträge. Unter Unterbilanz ist ein aus einem früheren Steuerabschnitt stammender Ver­ lust zu verstehen, durch den das Grund- oder Stammkapital angegegriffen wird. Soweit einem Verlust Reserven gegenüberstehen, liegt keine Unterbilanz im Sinne des Gesetzes vor. 8. Emissionskosten.

Körperschaftsteuer e. Bei gewissen Versicherungsunternehmungen Zuwendungen an das Deckungskapital in be­ schränktem Umfange (§ 15 Nr. 5, 6 KörpStG.). C Bei Kommanditgesellschaften auf Aktien der Teil des Gewinns, der an persönlich haftende Ge­ sellschafter auf ihre nicht auf das Grundkapital gemachten Einlagen oder als Tantiemen verteilt wird (weil er nach § 29 Nr. 2 NEinkStG. der Einkommensteuer unterliegt). c) Ausdrücklich sind im § 17 KörpStG. eine Reihe von Aufwendungen als nicht abzugsfähig bezeichnet worden. Es handelt sich im wesent­ lichen um die gleichen, die in § 18 NEinkStG. aufgeführt sind. Die besondere Erwähnung im KörpStG. ist hauptsächlich deshalb erfolgt, um den, der das KörpStG. liest, noch besonders dar­ auf hinzuweisen. Abzugssähig sind nicht Aufwen­ dungen zur Verbesserung und Vermehrung des Vermögens, Geschäftsgründungskosten (RFH. 19. 9. 1923, RStBl. 1923, 472), Aufwendungen zur Schuldentilgung, Personalsteuern, zu denen die K. selbst und die Vermögensteuer, nicht aber die Erbschaftsteuer gehört, Vergütungen an Auf­ sichtsratsmitglieder (vgl. hierzu §§ 18—24 der B. zur Durchführung des KörpStG. vom 17. 5. 1926, die dem § 64 des KapitalverkehrsteuerG. in der Fassung vom 8. 4. 1922 und den §§ 211 bis 215 der AusfB. hierzu vom 27. 11. 1922 nur nachgebildet sind); nicht darunter fallen Ver­ gütungen für eine außerhalb des Rahmens der Aufsichtsratstätigkeit fallende Tätigkeit wie z. B. Honorar, das ein Rechtsanwalt, der zugleich Auf­ sichtsrat ist, für die Führung eines Prozesses für dieGesellschaft bekommt; sie können von derGesellschast abgezogen werden. Die Aufzählung im § 17 ist keine erschöpfende. 5. Die Besteuerung der Liquidations­ und Fusionsgewinne. Besonders geregelt ist die Besteuerung der Liquidations- und Fusions­ gewinne. Steuerpflichtig soll sein der Unterschied zwischen dem zur Veranlagung gelangenden Ver­ mögen und dem der letzten der Liquidation vor­ angegangenen Veranlagung zur K. zugrunde ge­ legten Vermögen. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen dem bisherigen KörpStG. (§ 14), sie ist klarer gefaßt und beseitigt eine Reihe von Zweifeln, die bisher aufgetaucht waren. Sie gilt übrigens nicht nur bei Auflösung von Erwerbsgesellschaften(und öffentlichen Betrieben und Ver­ waltungen), sondern auch für die Fälle, in denen das Vermögen mit oder ohne Liquidation auf einen anderen übergeht. Nur die Fälle, in denen das Vermögen als ganzes mit oder ohne Liqui­ dation auf eine andere inländische Erwerbsgesell­ schaft oder auf eine Körperschaft des öffentlichen Rechts übertragen wird, fallen nicht unter den § 18; hier tritt also eine Steuerpflicht nicht ein, und zwar auch nicht über den Umweg der §§ 30 bis 32 NEinkStG. Uber den Steuerabschnitt, der im Falle der Liquidation maßgebend ist, vgl. RFH. vom 1. 7. 1922 (RFH. 10, 23), über den Zeitpunkt der Beendigung der Liquidation RFH. vom 7. 11. 1922 (RFH. 10, 318) und 15. 5. 1925 (StuW. 1925, 1263). 6. Tarif. Der Tarif beträgt bei Erwerbs­ gesellschaften und bei öffentlichen Betrieben und Verwaltungen 20%, bei kleinen Gesellschaften m. b. H. und Genossenschaften, deren Vermögen 50000 RM nicht übersteigt, werden für die ersten

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8000 RM des Einkommens 10%, für die weiteren 4000 RM 12y2%, für die weiteren 4000 RM 15%, für die weiteren 4000 RM 20%, für die weiteren 8000 RM 25%, für alle weiteren Be­ träge 30%, aber nie mehr als insgesamt 20% erhoben. Bei den Privatnotenbanken, reinen Hypothekenbanken und Schisfsbeleihungsbanken, bei beschränkt Steuerpflichtigen für die meisten der in 8 3 Abs. 2 REinkStG. bezeichneten Ein­ künfte und bei den übrigen Körperschaststeuerpflichtigen einschließlich der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die nur Mitglieder versichern, den einem Revisionsverband angeschlossenen Er­ werbs- und Wirtschastsgenossenschaften, deren Ge­ schäftsbetrieb sich auf ihre Mitglieder beschränkt, und den Genossenschaftszentralen werden 10% erhoben. Zuschläge gibt es nicht mehr. Die 10% die als Steuerabzug vom Kapitalertrag von den ausgeschütteten Gewinnanteilen erhoben werden, sind lediglich eine an der Quelle erhobene Ein­ kommensteuer des Gewinnbeziehers. Bon der Wiedereinführung der Zuschlagsteuer nach der Rentabilität und der Differenzierung zwischen Gesamteinkommen und ausgeschüttetem Ein­ kommen ist aus wirtschaftspolitischen Gründen (Gefahr der Beeinflussung der Dividendenpolitik, Begünstigung der leistungsfähigsten Gesellschaf­ ten) und aus technischen Gründen (jährliche Ver­ mögensfeststellung) abgesehen worden (vgl. Begr. zum Körperschaftssteuergesetzentwurf RTDrucks. Nr. 796 S. 11). 7. Die Veranlagung. Die Veranlagung er­ folgt für den jeweils abgelaufenen Steuer­ abschnitt. Uber das Einkommen ist eine Steuer­ erklärung abzugeben, und zwar von den der Herbstveranlagung Unterliegenden, also denen, deren Wirtschaftsjahr in der ersten Hälfte des Kalenderjahres abschließt, in der ersten Hälfte des Monats September und von den der Früh­ jahrsveranlagung Unterliegenden in der zweiten Hälfte des Monats Januar (§ 68 Abs. 1 AusfB.). Uber den festgestellten Steuerbetrug wird ein Steuerbescheid erteilt. Ebenso wie die Einkommensteuerpslichtigen haben auch die Körperschaftsteuerpflichtigen nach Maßgabe der zuletzt festgestellten Steuerschuld auf die Schuld des laufenden Jahres Vorauszahlungen zu leisten, und zwar je ein Viertel am 10. Januar, 10. April, 10. Juli, 10. Oktober. Für die Erhöhungen und Ermäßigungen der Vorauszahlung gelten die §§ 98, 100 NEinkStG. entsprechend. Die erste Veranlagung nach dem geltenden Gesetz hat für die der Herbstveranlagung unterliegenden Pflich­ tigen, also z. B. die am 30. Juni Abschließenden, im Herbst 1925 für das Wirtschaftsjahr 1. Juli 1924 bis 30. Juni 1925, für die der Frühjahrs­ veranlagung Unterliegenden, also z. B. die mit dem Kalenderjahr Abschließenden, für das Ka­ lenderjahr 1925 im Frühjahr /Sommer 1926 statt­ gefunden. Mindestbesteuerung. Dem REinkStG. wie dem KörpStG. unterliegt grundsätzlich das Ein­ kommen. Ebenso wie aber nach dem REinkStG. an Stelle des Einkommens unter Umständen eine Mindeststeuer nach dem Maßstabe des Verbrauchs tritt, so wird nach dem KörpStG. unter Umstän­ den auch ein anderer Maßstab für eine Mindest­ steuer zugrunde gelegt. Mindestens ist zu ver­ steuern die Summe der Vergütungen jeder Art,

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Korrektionelle Nachhaft

die an Aufsichtsratsmitglieder gewährt werden. Diesem Mindestbetrag kann das Finanzamt hin­ zurechnen die ausgeschütteten Gewinnanteile, so­ fern sie nicht aus Vermögen stammen, das in den letzten drei Jahren als Einkommen der K. unter­ legen hat (nachgebildet dem § 49 Abs. 5 Satz 2 REinkStG.) und die Tantiemen, Entschädigungen und Belohnungen, die an Mitglieder des Vorstan­ des und Angestellte in leitender Stellung gewährt worden sind, ohne daß sie vertraglich zugesichert waren. Es soll hierdurch die Möglichkeit geschaffen werden, von leistungsfähigen Gesellschaften, die zwar kein Einkommen ausweisen, aber große Aus­ schüttungen an ihre Gesellschafter oder an ihre leitenden Angestellten machen, in gewissem Um­ fange auch eine K. zu erheben. 9. Aufkommen. Die K. erbrachte im Rech­ nungsjahr 1924: 314 Mill. RM, 1925: 186 Mill. RM, 1926: 382 Mill. RM. Für das Rechnungs­ jahr 1927 ist sie mit 400 Mill. RM im Etat an­ gesetzt. In den ersten sechs Monaten hat sie be­ reits rund 240 Mill. RM erbracht. Nach der vor­ läufigen Statistik über die Herbstveranlagung 1925 und die Frühjahrsveranlagung 1926 sind 34430 Pflichtige festgestellt worden mit einem Ein­ kommen von 1,823 Milliarden RM. Za. Kommentar (1927).

von

Kennerknecht (1926);

Evers

Korrektionelle Nachhaft. Gegen die wegen Arbeitsscheu, qualifizierter Bettelei, Landstrei­ chens, Odbachlosigkeit, gewerbsmäßiger Unzucht und Trunksucht (I- diese Artikel), sowie noch einiger anderer Übertretungen mit Hast Ver­ urteilten kann bei ihrer Verurteilung zugleich er­ kannt werden, daß sie nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu überweisen seien (§§ 361, 3—8 u. 362 StGB.); dasselbe ist der Fall bei folgenden Vergehen; § 181a StGB. (Zuhälterei) und § 285a StGB. (Glücksspiel). Hierdurch er­ hält diese Behörde die Befugnis — nicht die Pflicht, so daß namentlich bei voraussichtlicher Erfolglosigkeit von der Maßregel Abstand ge­ nommen, ferner der Beschluß über sie ausgesetzt werden kann —, die aus der Haft Entlassenen bis zu zwei Jahren entweder in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Im Falle einer Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Unzucht kann die Landes­ polizeibehörde die Betreffenden statt in ein Ar­ beitshaus in eine Besserungs- oder Erziehungs­ anstalt oder in ein Asyl unterbringen; ihre Unter­ bringung in ein Arbeitshaus ist unzulässig, falls die verurteilte Person zur Zeit der Verurteilung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Ist gegen einen Ausländer aus Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt, so kann neben oder an Stelle der Unterbringung Verweisung aus dem Reichsgebiete eintreten; diese Verweisung ist zeit­ lich unbeschränkt. Die Überweisung an die Landes­ polizeibehörde ist zwar eine durch Zwang zur Ar­ beit dem Zwecke der Besserung dienende Neben­ strafe (s. Strafen IV), die aus Grund der Über­ weisung angeordnete sog. k. N. oder Detention als solche hat aber nicht die Eigenschaft einer Kri­ minalstrafe (Erl. vom 18. 7. 1902, MBl. 157). Ihre Dauer innerhalb der gesetzlich zugelassenen Grenze setzt im einzelnen Falle die Landespolizei­ behörde, in Preußen also der RP. fest. Wegen der Festsetzung der k. N. und des bei der Entlassung

der Korrigenden zu beobachtenden Verfahrens s. Erl. und Anw. vom 22. 10. 1885 (MBl. 237) und besonders noch BNBeschl. vom 26. 6. 1889 (PrVBl. 22, 586), sowie Erl. vom 14. 1. 1898 (JMBl. 24), vom 14. 3. 1898 (MBl. 67), vom 6. und 26. 2. 1904 (MBl. 66); wegen Aussetzung der Nachhaft s. Erl. vom 14. 11. 1898 und 25. 6. 1901 (MBl. 1901, 198), sowie vom 20. 8. und 5. 9. 1905 (MBl. 135); wegen der Voll­ streckung der Nachhaft an jugendlichen Korri­ genden s. Erl. vom 18. 5. 1905 (MBl. 88). Hiervon bestimmt der BRBeschl. vom 26. 6.1889, dessen Inhalt ziemlich vollständig mit demjenigen der Anw. vom 22. 10. 1885 übereinstimmt, fol­ gendes; 1. Hinsichtlich der Festsetzung der k. N. sind alle Reichsangehörigen den Angehörigen des eigenen Bundesstaats gleich zu behandeln. 2. Ist auf Grund des § 362 StGB, auf Überweisung an die. Landespolizeibehörde erkannt worden, so sind die gerichtlichen Akten auf dem von der Landesregierung zu bezeichnenden Wege an die Landespolizeibehörde zur Entscheidung über die Verhängung der k. N. einzusenden. 3. Die k. N. ist, sofern die Voraussetzungen des § 362 Abs. 2 StGB, vorliegen, in der Regel gegen jeden der Landespolizeibehörde überwiesenen Reichsange­ hörigen festzusetzen. Eine Ausnahme hiervon fin­ det statt, wenn besondere individuelle Verhältnisse, insbesondere durch ärztliche Untersuchung festge­ stellte Unfähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Haus-, Garten- und Feldarbeit infolge körper­ licher oder geistiger Gebrechen oder vorgeschritte­ nen Alters, die Aufnahme in ein Arbeitshaus unangemessen erscheinen lassen. 4. Bei der Be­ schlußfassung über die Verhängung der k. N. wird zugleich die Dauer der letzteren von der Landespolizeibehörde festgesetzt. Dabei ist der­ artig zu verfahren, daß die Dauer der Detention im Falle erstmaliger Überweisung auf sechs Mo­ nate und bei jeder späteren Überweisung jedes­ mal entsprechend höher bis zur gesetzlich zulässigen Maximalzeit von zwei Jahren zu bemessen ist. Das Vorleben der betreffenden Person, die Schwere der ihr zur Last fallenden Übertretung und insbesondere auch der Zeitraum seit Ver­ büßung der letzten k. N. ist hierbei angemessen zu berücksichtigen. 5. Läßt das Verhalten des Detinierten die Erwartung gerechtfertigt er­ scheinen, daß der Zweck der k. N. durch eine kür­ zere als die festgesetzte Detentionszeit erreicht wird, oder liegen in den Familien- oder Er­ werbsverhältnissen des Detinierten erhebliche Gründe, welche eine Abkürzung der Detentionszeit wünschenswert machen, so kann die letztere von der Landespolizeibehörde nach Anhörung der Direktion des Arbeitshauses und der oberen An­ staltsbeamten einschließlich der Anstaltsgeistlichen bis zur Hälfte, jedoch nicht unter drei Monate, ermäßigt werden. Bei schlechter Führung des Detinierten kann die Detentionszeit von der Landespolizeibehörde nach Anhörung der Direk­ tion des Arbeitshauses verlängert werden. Die Kosten des Transports des Korrigenden aus dem Gerichtsgefängnis in das Arbeitshaus, sowie der ihnen behufs dieses Transports zu gewährenden unentbehrlichen Kleidung fallen dem Staate zur Last (vgl. Erl. vom 4. 8. 1905, MBl. 132). Die Kosten der Verpflegung in der Anstalt, der bei der Entlassung daraus evtl, zu gewährenden Be-

Korrektwnsanstalten — Kosten kleidung und im entstehenden Falle der Beerdi­ gung haben die Landesfürsorgeverbände (AusfV. zur B- über die Fürsorgepflicht vom 13. 2. 1924, vom 17. 4. 1924, GS. 210), in deren Bezirke die Festnahme erfolgt ist, insoweit zu tragen, als diese Kosten durch den ausgebrachten Arbeitsverdienst nicht gedeckt werden. Es sind deshalb die Arbeits­ häuser (Besserungsanstalten) aus die Landes­ fürsorgeverbände übergegangen. Die Verpflich­ tung der Landessürsorgeverbände zur Tragung der Kosten erstreckt sich auch auf Korrigenden, die den Korrektionsanstalten aus Grund der Ver­ urteilung nach § 181a StGB, zugeführt werden (GNZ. 64, 1; 73, 178). Wegen der Behandlung von erkrankten Korrigenden s. Erl. vom 17. 3. 1885 (MBl. 70), wegen der Aufhebung der k. N. bei Überweisung zur Fürsorgeerziehung s. Erl. vom 29. 6. 1904 (MBl. 222), wegen Unter­ brechung der k. N. zur Verbüßung einer gericht­ lich erkannten Freiheitsstrafe s. Erl. vom 17. 5. 1909 (MBl. 150), wegen der Bekleidung der Korrigenden bei ihrer Entlassung s. Erl. vom 22. 9. und 31. 10. 1904 (MBl. 261) und wegen der Kosten für Reinigung von Korrigenden s. Erl. vom 31. 8. 1907 (MBl. 278). Das Ruhen des Bezugs einer Versicherungsrente betrifft Erl. vom 16. 10.1906 (MBl. 253). S. auch Arbeits­ häuser und Körperliche Züchtigung. Hg. Winter, über die Nebenstrafen, insbesondere die Polizeiaufsicht und die Besserungsnachbaft im PrVBl. 22 S. 573, 585; Appel, Zur juristischen Natur der korrektionellen Nachhaft im Gerichtssaal 73, 357.

Korrektionsanstalten s. Arbeitshäuser. Korridorabkommen. Im Art. 98 des Ver­ sailler Vertrags wird Deutschland und Polen auf­ erlegt, ein Abkommen zur Regelung des Eisen­ bahn-, Telegramm- und Telephonverkehrs zwi­ schen Ostpreußen und dem übrigen Deutschland sowie des Verkehrs zwischen Polen und dem Gebiet von Danzig über ostpreußischem Gebiet abzuschließen. Dieses Abkommen, das sog. Kor­ ridorabkommen zwischen Deutschland, Polen und der Freien Stadt Danzig, ist in Paris am 21. 4. 1921 abgeschlossen worden. In dem grundlegen­ den Art. 1 wird Deutschland „die Freiheit des Durchgangsverkehrs für Personen, Waren, Seeund Flußschiffe, Fahrzeuge, Eisenbahnwagen, für den Post-, Telegraphen- und Fernsprechdienst zwischen Ostpreußen und dem übrigen Deutsch­ land" zugestanden. Diese Durchgangsfreiheit gilt ohne Rücksicht aus die Staatsangehörigkeit der Person, den Ursprung der Waren und die Staats­ angehörigkeit des Absenders oder Empfängers. Der in der Praxis wichtigste Verkehr ist der sog. privilegierte Verkehr auf den Eisenbahnlinien. Für diesen Verkehr sind eine Reihe von Zug­ strecken festgesetzt, die die zwischen Ostpreußen und dem übrigen Deutschland verkehrenden Züge ohne Paß- und Zollrevision passieren. Das K. regelt eingehend die mit dem Korridorverkehr in Ver­ bindung stehenden technischen Fragen und die Tariffragen. Es enthält ferner besondere Be­ stimmungen über die Militärtransporte. Zum Korridorverkehr gehört ferner der Verkehr mit Automobilen und Kraftfahrrädern sowie der Ver­ kehr auf den Binnenschiffahrtsstraßen. Für Strei­ tigkeiten ist ein Schiedsgericht eingesetzt, das aus je einem Richter der vertragschließenden Parteien und einem neutralen Obmann besteht. Das K. hat sich bisher insofern bewährt, als in der Tat der

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wichtigste Verkehr, der Bahnverkehr, sich rei­ bungslos abspielt. Zurückzuweisen ist jedoch die polnische Darstellung, die hieraus den Schluß zieht, daß damit alle durch den Korridor für Deutschland entstandenen Nachteile behoben seien. Vor allem bleibt in jedem Falle die schwere Be­ nachteiligung Ostpreußens, dessen Verbindung mit dem Gebiete seines natürlichen Wirtschafts­ austausches, dem jetzt polnischen Westpreußen, durch die neue Grenzziehung abgeschnitten ist. Von einzelnen Streitfragen, die sich aus dem K. ergeben haben, ist die wichtigste die, ob nach diesem Abkommen auch ein privilegierter Verkehr über Ostpreußen oder über das übrige Deutsch­ land hinaus stattsinden könne. Hier spielt einer­ seits die Einfuhr von Litauen über Ostpreußen nach dem übrigen Deutschland eine Rolle. Diese Frage ist so geregelt worden, daß derartige litauische Waren in Ostpreußen mit neuen Fracht­ briefen versehen werden, wodurch sie nach einer Entscheidung des Korridor-Schiedsgerichts ohne weiteres unter die Bestimmungen des K. fallen. Eine andere hierher gehörige Frage, nämlich die des internationalen Eisenbahnverkehrs auf der Bahnstrecke Firchau—Marienburg, ist durch be­ sonderes Abkommen zwischen Deutschland und Polen vom 26. 3. 1927 geregelt. Das K. ist im RGBl. Nr. 83, 1921, das Abkommen über Erleich­ terungen des internationalen Eisenbahnverkehrs auf der genannten Korridorstrecke im RGBl. II Nr. 23, 1927, abgedruckt. Endlich stehen mit der Korridorfrage in Verbindung diejenigen deutsch­ polnischen Abkommen, die durch Abs. 5 des Art. 97 des Versailler Vertrages über den Zugang Ost­ preußens zur Weichsel und die Benutzung des Weichselstromes durch die ostpreußische Bevöl­ kerung nötig geworden sind. Die Botschafterkon­ ferenz hatte nämlich trotz des hartnäckigen deutschen Widerspruchs die Bestimmung des vorhergehenden Absatzes des genannten Artikels, wonach Polen die Überwachung der Weichsel auch auf dem östlichen Ufer zugesprochen wird, so ausgelegt, daß sie Polen den territorialen Besitz eines Streifens am rechten Weichseluser zuerkannte, wodurch also in Wirk­ lichkeit Ostpreußen von der Weichsel gänzlich ab­ geschlossen worden ist. Die in diesem Zusammen­ hang geschlossenen Abkommen sind das deutsch­ polnische Abkommen über eine gemeinsame Deich­ verwaltung in der Marienwerder Niederung (RGBl. II Nr. 35, 1923, und Nr. 20, 1924); das deutsch-polnische Abkommen über die Benutzung von Baulichkeiten und den Zugang zu diesen in Kurzebrack (RGBl. II Nr. 16, 1927, und Nr. 32, 1927); das deutsch-polnische Abkommen über die gemeinsame Zoll- und Paßabfertigung in Kurzebrack (RGBl. II Nr. 16, 1927, und Nr. 32, 1927). Rth. Kosmetische Mittel s. Blei- und Zucker­ haltige Gegenstände. Kosten. I. über die K. des Verwaltungs­ streitverfahrens nach dem LVG. ist in An­ lehnung an das, was für den Zivilprozeß gilt, Bestimmung getroffen. Wie dieser ist das Ver­ fahren stempelfrei (§ 102 LVG.), was jedoch nicht für die in ihm eingereichten Vollmachten gilt; nur die Vollmachten in Armenstreitsachen sind stempelfrei. Im übrigen wird ebenfalls geschieden zwischen Gebühren und baren Auslagen des Ver­ fahrens. Zu den letzteren gehören mangels citier

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Kosten

Einschränkung in den §§ 103, 104 LVG. an sich alle Auslagen, die dem Verwaltungsgerichte durch das VwStr. erwachsen sind, also besonders die K. von Reisen zur Wahrnehmung eines Termins außerhalb des Gerichtsorts, nicht aber von Reisen der Mitglieder des Verwaltungsgerichts nach dessen Sitze, die Zeugen- und Sachverständigen­ gebühren sowie die Post-, Telegraphen- und Fernsprechgebühren. Die Schreibgebühren sind jedoch schon im Pauschsatz enthalten und nicht besonders zu berechnen, da sie bei der Einführung des VwStr. auch bei den ordentlichen Gerichten nicht zum Ansatz kamen und die später für diese im GKG., im G. von 1. 6. 1909 (RGBl. 475) usw. getroffenen Bestimmungen für die Ver­ waltungsgerichte nicht mitgelten. Eine Aus­ nahme besteht nur hinsichtlich der Schreibgebühren für fehlende Duplikate (§ 66 LVG.; dazu OVG. 40 S. 444, 445) sowie für beantragte Abschriften, auf deren Erteilung die Partei keinen prozessualen Anspruch hat, und für Schreibgebühren bei Aus­ fertigungen und Abschriften, die nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag eines Beteiligten erteilt werden im Disziplinarverfahren vor den Berwaltungsgerichten, in welchem nach § 157 Nr. 2 LVG. die Erhebung eines Kostenpauschsatzes nicht stattfindet (StMBeschl. vom 28. 12. 1910, JMBl. 1911, 48). An Gebühren kommt ein Pauschsatz zur Hebung, für dessen Berechnung von dem FM. und dem MdI. hinsichtlich des Verfahrens vor den Bergausschüssen von dem FM. und dem HM., ein Tarif aufgestellt werden kann (§ 106; Art. III, § 194a, G. vom 14. 6. 1905, GS. 307, in Verbindung mit § 15 der GoldabgabenB. vom 18. 1. 1924 (GS. 40) und dem G. vom 29. 9. 1923 (GS. 455). Demgemäß ist der Tarif vom 24. 12. 1926 (MBl. 1927, 3) ausgestellt worden (s. Kostenpauschsatz und Tarife). In einzelnen Fällen findet jedoch die Erhebung des Pauschatzes nicht statt, auch kann Kostenfreiheit oder Stundung gewährt werden (s. Kostenfreiheit). Die Gebühren und Aus­ lagen sind dem unterliegenden Teil auszuerlegen, bleiben jedoch dem obsiegenden Teile zur Last, soweit sie durch sein eigenes Verschulden ent­ standen sind (§§ 103, 104 LVG.); bei teilweisem Unterliegen und Obsiegen sind sie angemessen zu teilen. Die für fehlende Duplikate und für Ab­ schriften zu erhebenden Schreibgebühren trägt derjenige, der die Duplikate einzureichen hatte bzw. der Antragsteller. Die Befreiungen von der Zahlung eines Pauschsatzes gelten nicht für die Auslagen. Eine Vorschußpslicht besteht nicht. Die K. und baren Auslagen des Verfahrens wer­ den für jede Instanz von dem Vorsitzenden des Gerichtes festgesetzt, bei dem die Sache selbst an­ hängig gewesen ist (§ 108). Dies gilt auch, wenn die Sache ohne förmliche Entscheidung durch Zurücknahme der Klage usw. ihre Erledigung ge­ sunden hat. Die festgesetzten K. und baren Aus­ lagen des Verfahrens sind nicht unmittelbar nach Beendigung der Instanz, sondern erst wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel mehr stattsindet, von dem Pflichtigen einzuziehen. Die von den KrA. (StA., Magistraten) festgesetzten K. und baren Auslagen des Verfahrens fließen in die Kreiskommunalkasse bzw. in die Stadtkasse, die von dem OVG. und von den BezA. sowie den Bergausschüssen festgesetzten dagegen zur Staats­

kasse — Regierungshauptkasse, Oberbergomtskasse — (§§ 2, 3, 6; Bestimmungen über die Fest­ setzung, Verrechnung und Einziehung der K. und baren Auslagen des VwStr. und der baren Auslagen des Beschlußverfahrens vom 17. 1. 1905, MBl. 23, Ziff. 5 Vf. des FM. und des HM. vom 8. 12. 1905, HMBl. 338). Nach § 7 Abs. 1 PrGKG. sind die auf Ersuchen der Verwaltungs­ gerichte von den ordentlichen Gerichten vorzu­ nehmenden Geschäfte gebührenfrei. Uber die Berechnung und die Behandlung der durch solche Ersuchen entstehenden baren Auslagen trifft der Erl. vom 16. 1. 1883 (JMBl. 12) Bestimmung. Uber die Kostenerstattung s. Auslagen III. Wegen der K. im Kompetenzkonfliktsverfahren s. Kompetenzkonflikte und wegen der K. des Verwaltungszwangsverfahrens den letzteren Ar­ tikel. Nach § 105 LVG. kann die Entscheidung über den Kostenpunkt (§§ 103, 104) nur gleich­ zeitig mit der Entscheidung in der Hauptsache durch Berufung oder Revision angefochten wer­ den. Eine Ausgahme gilt für den Fall der An­ schließung (s. d.) an das von der Gegenpartei in der Hauptsache eingelegte Rechtsmittel (OVG. 33, 236). II. Im Beschlußverfahren wird ein Kosten­ pauschsatz nicht erhoben, und als Auslagen können nur die durch Anträge und unbegründete Einwen­ dungen erwachsenen Gebühren für Zeugen und Sachverständige demjenigen zur Last gelegt wer­ den, welcher den Antrag gestellt oder den Ein­ wand erhoben hat. Die sonstigen K. und baren Auslagen des Verfahrens fallen demjenigen zur Last, der nach gesetzlicher Bestimmung die Amts­ unkosten der Behörde, d. i. nicht der im Beschluß­ verfahren unterliegenden Behörde, sondern der Beschlußbehörde selbst, zu tragen hat (§ 124 LVG. Abs. 1—3). Jedoch findet das Gesetz über staatliche Verwaltungsgebühren vom 29.9.1923 (GS. 455) Anwendung (§ 8). Nr. 16 der Allge­ meinen VerwaltungsgebührenO. vom 30.12.1926 (GS327). Bei den Vorschriften der GewO, behält es sein Bewenden (§ 124 Abs. 4), also ins­ besondere bei deren § 22 und der Ziff. 33 der AusfAnw. vom 1. Mai 1904, HMBl. 123. Die Zustellung des Bescheids im Beschlußverfahren ist seitens der Behörde zu bewirken. Stempelfrei ist das Beschlußversahren nicht. Die den Be­ teiligten auferlegten Auslagen fließen bei den KrA. (StA. und Magistraten) in die Kreiskom­ munalkasse bzw. in die Stadtkasse, im übrigen in die Staatskasse (§ 3 Bestimmungen vom 17.1. 1905 vgl. oben I). III. Die Ansprüche auf Zahlung der von einer Verwaltungsbehörde, einem Berwaltungsgericht oder einer Auseinandersetzungsbehörde nicht oder zu wenig eingezogenen Kosten und die Ansprüche auf Rückerstattung von Kosten, die von einer öffentlichen Behörde mit Unrecht erhoben sind, verjähren in vier Jahren nach dem Schlüsse des Jahres, in dem sie fällig geworden sind; die Unterbrechung der Verjährung wirkt bis zum Schlüsse des Kalenderjahres (Art. 8 § 1 Nr. 2, 4, § 2 Nr. 1, 2 AGBGB.). Tap. IV. Das Verfahren vor den Spruchbehörden der Sozialversicherung ist kostenfrei. Sie fallen bei den VA. und OVA. den Ländern zur Last, bei gemeindlichen VA. dem Gemeinde­ verband, dessen Bezirk den des Gemeindeverban-

Kostenanschläge

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des umfaßt (§§ 59, 80 RVO.)- Die Kosten der licher Bauentwürfe und K. wird in der Regel besonderen OVA. trägt die Verwaltung des durch die Ministerien, und zwar bei Hochbauten Betriebs (§ 87 RVO.), während die Kosten des erst dann erteilt, wenn die endgültigeEntscheidung RVA. einschließlich des Verfahrens dem Reiche über den Vorentwurf und zugehörigen Kosten­ zur Last fallen (§ 104 RVO.). Die Kosten eines überschlag sowie den Bauplatz getroffen ist. Für Landesversicherungsamts trägt das Land (§ 105 die Aufstellung der K. zu Hochbauten gelten die Abs. 3 RVO.). Hat ein Beteiligter durch Mut­ Bestimmungen in Abschn. 23 nebst Anlage B willen, Verschleppung oder Irreführung Kosten und C der Dienstanw. für die Ortsbaubeamten des Verfahrens veranlaßt, so können sie ihm ganz der Staatshochbauverwaltung von 1910 (Verlag oder teilweise auferlegt werden. Im Verfahren von W. Ernst & Sohn, Berlin). Über die Aus­ vor dem NVA. oder einer LVA. haben die Ber- arbeitung der K. zu Wasserbauten einschließlich sicherungsträger eine Gebühr von 20 RM zu der Stromregulierungen ist in der Allg. Vf. Nr. 5 zahlen. In Beschlußsachen kann das RVA. oder der Wasserbauverwaltung vom 26. 3. 1908 das das LVA. der unterliegenden Partei eine Gebühr Nähere bestimmt. Für K. im Bereich der Land­ von 10—100 RM auferlegen (§§ 1802, 1803 wirtschaftlichen Wasserbauverwaltung gelten die RVO.). Die Kosten der BersG. tragen die Länder Bestimmungen in der „Sammlung der den Ge­ (§ 8 des VersahrensG. vom 10. 1. 1922, RGBl. schäftskreis der Meliorationsbaubeamten betr. I 9). Die Kosten des Verfahrens nach der AO. Erlasse des MsL.". fallen, sofern sie nicht der Steuerpflichtige zu IV. Die von den Ortsbaubeamten aufgestellten tragen hat, dem Reiche zur Last (§§ 285ff. AO.). K. unterliegen der Prüfung durch die bautech­ Die Kosten des Verfahrens vor den Spruch­ nischen Dezernenten der Provinzialbehörden und behörden der Arbeitslosenversicherung trägt die der Nachprüfung (Superrevision) durch die Reichsanstalt für Arbeitsvermitlung und Arbeits­ bautechnischen Referenten der zuständigen Mini­ losenversicherung. Die Kosten des Spruchsenats sterien nach Maßgabe der für die einzelnen Ver­ fallen dem Reiche zur Last. F. H. waltungszweige getroffenen Bestimmungen. a) Hochbauten. 1. Unterhaltungsarb ei­ Kostenanschläge. I. Der Ausführung von staatlichen Neu- und Jnstandsetzungsarbeiten ten. Die zu Lasten der staatlichen Bauunter­ müssen Bauanschläge zugrunde gelegt werden. haltungsfonds gehenden Arbeiten zerfallen in: Inwieweit hiervon abgesehen werden darf, be­ A. kleine Instandsetzungen der Hauswirtschaft, stimmt bei Hochbauten der FM., bei Häfen, A-Arbeiten; B. Unterhaltung in Dach und Fach, Brücken und Fähren an den Reichswasserstraßen B-Arbeiten und C. Erneuerungs- und Ergänzungs­ der HM., bei Brücken an preuß. Wasserläufen arbeiten, 0-Arbeiten. Zu den A-Arbeiten zählen erster Ordnung der MsL. und bei Bauten, bei Instandsetzungen, die sich ohne technisches Ver­ denen früher eine Mitwirkung des MdöA. nicht ständnis beurteilen lassen. Die Ausführung der vorgesehen war, der zuständige Minister (s. Bau- B- und 0-Arbeiten liegt grundsätzlich dem Orts­ verwaltun glll). Unter welchenVoraussetzungen, baubeamten ob. Der Prüfung unterliegen K. insbesondere bei welcher Höhe der Bausumme, für B-Arbeiten, sobald diese mehr als 6000 RM, die Bauanschläge der technischen Revision und und für 0-Arbeiten, sobald diese mehr als 4000RM Feststellung durch die höchste Baubehörde oder erfordern. Die Nachprüfung durch den Fach­ durch die Nachgeordneten Behöden unterliegen, minister und den FM. hat zu erfolgen, sobald ist Gegenstand der Anordnung durch das StM. durch die B-Arbeiten mehr als 100000 RM und (§ 30 StHG., GS. 1898, 77; Bek. des StM., durch die 0-Arbeiten mehr als 60000 RM Kosten betr. Zuteilung der Hochbauabteilung des MdöA. entstehen und sobald bei der Ausbesserung von an das FM., GS. 1921, 350; G., betr. anderweite Dienstwohnungen mehr als 600 RM ausgewandt Regelung der auf G. beruhenden Zuständigkeit werden müssen. Förmliche K. brauchen nur dann des MdöA., GS. 1921, 487; Art. 82 der Preuß. eingereicht zu werden, wenn eine Bauanlage bei Verfassung, GS. 1920, 543). Einmalige und B-Arbeiten mehr als 2000 RM und bei 0-Arbeiten außerordentliche Ausgaben für bauliche Unter­ mehr als 3000 RM Kosten verursacht (vgl. Vf. nehmungen des Reichs sind erst dann in den des FM. vom 9. 4. 1923, FMBl. 194; vom Haushaltplan einzustellen, wenn Pläne und 27. 12. 1923, FMBl. 1924, 3; vom 30. 10. 1925, Kostenberechnungen oder Kostenanschläge vor­ FMBl. 157). liegen, aus denen die Art der Ausführung und 2. Größere Bauvorhaben. Bei Neubauten die Kosten der baulichen Maßnahme ausreichend bis zu 3000 RM wird von der Prüfung in der ersichtlich sind. Ausnahmen hiervon sind nur statt­ Regel abgesehen (§ 140 Dienstanw. für die Orts­ haft, wenn es nicht möglich ist, die Pläne und baubeamten der Staatshochbauverwaltung). Der Berechnungen rechtzeitig herzustellen und dem Nachprüfung unterliegen die K. für Neubauten, Reiche aus der Hinausschiebung der Ausgabe­ deren Kosten 50000 RM übersteigen, die K. zu bewilligung ein Schaden erwachsen würde (§ 14 Kirchenbauten bei einem Kostenbeträge über Reichshaushaltsordnung, RGBl. 1923, II 17). 15000 RM und die K. zu Kunstdenkmälern bei II. Die Bauanschläge sind entweder Kosten­ einem Kostenbeträge über 10000 RM. K. für anschläge oder Kostenüberschläge, die sich Jnteressentenbauten, die unter Beteiligung des voneinander durch den Grad der Durcharbeitung Staates erfolgen, unterliegen der Nachprüfung, unterscheiden. Insbesondere sind bei den K. die sobald der staatliche Beitrag die vorbezeichneten Berechnungen bis ins einzelne durchzuführen, Beträge übersteigt. Für solche Bauten, welche in während bei den Kostenüberschlägen eine mehr technischer oder rechtlicher Beziehung besondere summarische Ermittlung der Massen und Preise Bedeutung haben, oder bei denen hinsichtlich der statthaft ist (vgl. Abschn. II der Allg. Vf. Nr. 5 der Bauart oder der zur Verwendung gelangenden Preuß. Wasserbauverwaltung vom 26. 3. 1908). Baustoffe besondere Schwierigkeiten oder Be­ III. Der Auftrag zur Ausarbeitung ausführ- denken obwalten, kann der zuständige Minister 67 Bitter, Handwörterbuch der vreuß. Verwaltung, 3. Xufl.

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Kostensreiheit

die Vorlegung der K. zur Nachprüfung auch bei geingeren als den vorbezeichneten Kostenbeträgen an rdnen (§ 147 a. a. O.). Wegen größerer Bau­ vorhaben für die Polizei vgl. Erl. des MdI. vom 7. 3. 1927 (ZBl. der Bauverw. 167). b) Wasserbauverwaltung. Sämtliche K. unterliegen der Prüfung. Der Nachprüfung unterliegen die K-: 1. für sämtliche Bauten, wenn die Baukosten den Betrag von 50 000 RM über­ steigen, 2. für solche Bauten, bei denen hinsichtlich der Bauart oder der zur Verwendung gelangen­ den Baustoffe besondere Schwierigkeiten oder Bedenken obwalten, wenn die Kosten mehr als 10000 RM betragen und — unabhängig von der Kostenhöhe — 3. für solche Wasserbauten, durch welche die Richtung des Stromes, der Zustand der Schiffahrt oder die Sicherung, Bewässerung und Entwässerung angrenzender Ländereien in ein neues Verhältnis kommen, sowie 4. für Neu­ bauten auf dem Gebiete des Seezeichenwesens^ für Umbauten auf diesem Gebiete, soweit sie Leuchttürme oder Einrichtungen zur Licht- und Schallerzeugung betreffen, und für die Beton­ nung und Bebakung bisher unbezeichneter Schiff­ fahrtswege und Untiefen. Bei Interessenten­ bauten, die unter Beteiligung des Staates er­ folgen, bedarf es der Nachprüfung in den Fällen 1 und 2, wenn der staatliche Anteil die ange­ gebenen Beträge übersteigt, in den Fällen 3 und 4 stets. Zur Kenntnisnahme vorzulegen sind dem zu­ ständigen Minister die Kostenüberschläge über die zum regelmäßige Betriebe und zur gewöhn­ lichen Unterhaltung erforderlichen Aufwendungen sowie die Kostenanschläge über einzelne, in sich abgeschlossene, aus den Mitteln des Ordinariums zu bestreitende Um- oder Neubauten, sofern sie das Seezeichenwesen betreffen, stets, im übrigen, sofern die Kostenüberschläge mit 50000 RM und mehr und die K. mit 10000 RM und mehr abschließen (vgl. Abschn. XXIII und XXIV der Allg. Vf. der Preuß. Wasserbauverwaltung vom 26. 3. 1908). c) Landwirtschaftliche Wasserbauver­ waltung. Für staatseigene Wasserbauten gelten dieselben Bestimmungen wie in der Wasserbau­ verwaltung. Bei genossenschaftlichen Wasser­ bauten sowie solchen der Gemeinden und Ge­ meindeverbände erfolgt die Prüfung und Fest­ stellung durch die kulturbautechnischen Dezer­ nenten der RP. endgültig in folgenden Fällen: 1. bei Entwässerungen und Flußregulierungen, wenn die eigentlichen Flußregulierungskosten nicht mehr als 40000 Friedensmark ausmachen und kein erheblicher Einfluß auf die Wasser­ führung der Vorfluter oder aus unbeteiligte Grundstücke oder Anlagen (Stauwerke, Mühlen usw.) ausgeübt wird; 2. bei Wasserversorgungs­ anlagen ohne künstliche Wasserhebung bei einem Kostenbeträge bis zu 50000 Friedensmark; 3. bei Bewässerung von Flächen unter 50 ha Größe und 4. bei allen Anschlußentwürfen für bereits ausgeführte Meliorationen bei einem Kosten­ beträge bis zu 60000 Friedensmark. Der Nach­ prüfung durch die technischen Referenten des Ministers unterliegen die K. in allen übrigen Fällen, sowie ferner in den genannten Fällen, wenn es sich handelt 1. um Entwässerungs- und Kultivierungsentwürfe für Teile von Hochmooren,

deren Gesamtfläche 300 ha überschreitet; 2. um Abtorfungs- und Verfehnungspläne; 3. um Dränageentwürse, die von der sog. Schlesischen Anweisung abweichen, und 4. um die Anwendung schwieriger, bisher nicht erprobter Bauweisen. Ausgenommen von der Prüfung durch die kultur­ bautechnischen Dezernenten der RP. sind die nicht durch die Kulturbauämter, sondern von den Kreis­ wiesenbaumeistern usw. ausgestellten K., sofern die Entwässerungen und Flußregulierungen nicht mehr als 20000 Friedensmark erfordern, die zu bewässernden Flächen nicht größer als 20 ha sind und Anschlußentwürfe die Kostensumme von 30000 Friedensmark nicht überschreiten. In diesen Fällen erfolgt die Feststellung der K. durch die Vorstände der Kulturbauämter, sofern nicht die Zuständigkeit des Ministers gegeben ist (vgl. Runderlaß des MfL. vom 23. 6.1922, IBIIb 3925 und vom 1. 6. 1923, IBIIb 10961). V. Die Nachprüfung (Superrevision) erfolgt: a) bei Hochbauten: im MsW. hinsichtlich der K. zu Neu- und Jnstandsetzungsbauten vonPfarreien, Küstereien, Volksschulen und Wirtschaftsgebäuden sowie hinsichtlich der Stiftungsbauten; im MfL. hinsichtlich aller Hochbauten der Domänen- und Forstverwaltung, der Bäder- und Gestütverwal­ tung unter Mitwirkung des FM. in besonderen Fällen; im HM. hinsichtlich derjenigen Bauten, die den Betriebszwecken der Bergverwaltung dienen; im übrigen im FM. Für die Hochbauten der Wasserbauverwaltung gelten Sondervor­ schriften (vgl. § 148 Dienstanw. für die Orts­ baubeamten der Staatshochbauverwaltung und Abschn. XXII der Allg. Vf. Nr. 5 der Wasserbau­ verwaltung); b) bei Wasserbauten: für Bauten an Reichswasserstraßen und aus dem Gebiete des Seezeichenwesens durch das RVM., bei Häfen sowie Brücken und Fähren über Reichswasser­ straßen und in der Elektrizitätsverwaltung durch das HM., im übrigen durch das MfL.; c) bei Bauten der Landwirtschaftlichen Wasserbauverwaltung durch das MfL. Inwieweit wichtige K. von Bauunternehmungen seitens der durch AE. vom 7. 5.1880 (GS. 261) eingesetzten Akademie des Bauwesens zu beurteilen sind, ergibt sich aus dem Erl. vom 13. 9. 1881 (UZBl. 1882, 331) und der Geschäftsanweisung vom 14. 7. 1922 (FMBl. 577). Br. Kostenfreiheit. Nach § 107 LVG. findet die Erhebung des an sich im Verwaltungsstreitverfahren zum Ansätze kommenden Kostenpauschsatzes (s. d.) in mehreren Fällen nicht statt, namentlich nicht, wenn der unterliegende Teil eine öffentliche Behörde ist. Dies gilt auch für Einzelbeamte, und zwar selbst dann, wenn sie keine öffentliche Behörde im eigentlichen Sinne bilden. Doch muß die betr. Behörde als Partei, nicht nur als Vertreter einer Partei tätig gewor­ den sein — mag es sich auch nicht um eine von ihr erlassene Verfügung oder Entscheidung han­ deln, sondern der Streit nur durch einen von ihr im öffentlichen Interesse erhobenen Widerspruch entstanden oder sie als Klägerin aufgetreten sein (OVG. 39, 215); vgl. auch Behörden, öffent­ liche sowie OVG. 12, 358; 25, 1 und 39, 215 über die Industrie- und Handelskammern, die Stadtver­ ordnetenversammlungen und die Gutsvorsteher als öffentliche'Behörden. Als Behörde in diesem Sinne gilt auch ein nach § 74 Abs. 3 bestellter Kommissar

Kostenpauschsatz — Kraftfahrzeuge (Bf. vorn 21. 9. und 21. 10. 1890, MVl. 205; OVG. 25, 1). Es darf sich aber nicht lediglich um die Wahrung von Haushaltsinteressen — zu denen auch Gemeinde-und Schulabgaben gehören (OBG. 43, 456) — eines von der Behörde ver­ tretenen Kommunalverbandes handeln. Befreit von Kosten sind schließlich auch diejenigen Per­ sonen, denen nach den Reichs- oder Landesgesetzen Gebührenfreiheit in bürgerlichen Rechtsstreitig­ keiten zusteht. Ergeht die Entscheidung ohne vor­ herige mündliche Verhandlung, so wird die Hälfte der Gebühr erhoben. Im übrigen vgl. § 15 GoldabgabenV. vom 18. 1. 1924 (GS. 40), durch den § 107 LBG. zum Teil eine Abänderung erfahren hat. Weiter kann nach § 109 LVG. dem unter­ liegenden Teile im Falle des bescheinigten Un­ vermögens nach Maßgabe des § 17 PrGerichtskostenG. in der Fassung vom 28. 10. 1922 (GS. 363) in Verbindung mit § 118 Abs. 2 ZPO. oder wenn sonst ein besonderer Anlaß dazu vorliegt, gänzliche oder teilweise K. bzw. Stundungj be­ willigt werden. Dies gilt für Gebühren und für Auslagen (vgl. OBG. 42, 117). Eines Antrags bedarf es nicht. Die Entscheidung erfolgt entweder in dem Urteil oder durch besonderen Beschluß. Gegen den ein Gesuch ablehnenden Beschluß des KrA. findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den BezA., gegen den in erster Instanz er­ gangenen ablehnenden Beschluß des BezA. inner­ halb zwei Wochen die Beschwerde an das OVG. statt. Eine „weitere" Beschwerde gibt es jedoch in keinem Falle. Vgl. Armenrecht in der Rechtspflege III. Im Disziplinarverfahren (s. d.) findet die Erhebung eines Pauschsatzes nicht statt (s. auch Kosten). Tap. Kostenpauschsatz (Pauschquantum). Nach § 106 LVG. kommt an Kosten (Gebühren) für das Berwaltungsstreitverfahren regelmäßig ein Pauschsatz (Pauschquantum) zur Hebung (s. Kosten I und Kostenfreiheit), über dessen Berechnung der Runderl. und der Tarif vom 24. 12. 1926 (MBl. 1927, 3) die näheren Bestimmungen trifft. Danach wird der Pausch­ satz nach dem Werte des zum Gegenstände einer mündlichen Verhandlung gewordenen Streitgegenstandes berechnet, der in dem End­ urteile (LBG. § 103), dem Festsetzungsbeschlusse (§ 108) oder erforderlichenfalls in einem besonde­ ren Beschlusse von dem Gerichte, welches in der Sache selbst zu entscheiden hat, festgesetzt ist und sich durch den Kapitalswert des Streitgegenstands und die rückständigen Nutzungen, soweit sich der ursprüngliche oder veränderte Antrag darauf richtet oder die Nutzungen von Amts wegen zu­ erkannt werden (s. Streitgegenstand), bei wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen nach dem 12^/z- bzw. 25fachen Betrage des Wertes des einjährigen Bezugs bestimmt. Der Pauschsatz ist verschieden hoch, je nachdem, ob es sich um das OVG., einen BezA. oder einen KrA. handelt (Ziff. I, 1 des Tarifs). Er wird auch dann voll erhoben, wenn im Termin zur mündlichen Ver­ handlung nur eine Partei oder keine der Par­ teien erscheint. Seine Sätze ermäßigen sich auf die Hälfte, wenn und soweit die Entscheidung auf Anerkenntnis erfolgt oder die Sache durch Ver­ gleich oder durch Zurücknahme der Klage, des Antrags auf mündliche Verhandlung oder des Rechtsmittels ihre Erledigung findet, und erhöhen

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sich um die Hälfte, wenn und soweit eine Beweis­ aufnahme angeordnet ist und stattgefunden hat.Bei einem keiner Schätzung nach Gelde fähigen Streit­ gegenstände wird dessen Wert auf 100—50000 RM angenommen. Als in dieser Weise unschätzbar sind nur solche Streitgegenstände anzusehen, welche überhaupt keinen vermögensrechtlichen Inhalt haben, oder deren Geldwert dermaßen unbestimmt ist, daß er sich auch nicht durch sachverständiges Er­ messen abschätzen läßt. Die Verpflichtung zur Unterstützung eines Hilfsbedürftigen sowie die Er­ laubnis zum Betriebe eines Gewerbes, die Ent­ ziehung der Erlaubnis oder die Untersagung des Gewerbebetriebes können im allgemeinen für unschätzbar nicht angesehen werden, vielmehr wird in diesen Fällen der Wert des Streitgegenstandes unter Zugrundelegung des Jahreswertes (Jahres­ ertrags) zu berechnen sein (vgl. OVG. 37, 335 und PrVBl. 23, 550, sowie Vf. vom 30. 5. 1904, MBl. 142). Tap. Kraftsahrlinien. Um den Kraftfahrlinien­ verkehr frei von der für ihn schwer erträglichen Regelung der GewO, zu machen, wonach bei llberlandlinien die OPB. jeder einzigen durch­ fahrenen Ortschaft auf den Betrieb Einfluß nehmen konnte, war schon in der B., betr. Kraft­ fahrzeuglinien vom 24. 1. 1919 (RGBl. 97) eine den Gemeinden übergeordnete staatliche Ver­ waltungsbehörde mit der Zulassung und Ordnung der Kraftfahrzeuglinienunternehmungen betraut. Diese V. ist inzwischen durch das G. über K. (KraftsahrlinienG.) vom 26. 8. 1925 (RGBl. I 319) ersetzt worden. Nach § 1 dieses G. gilt als Unternehmer von K., wer über die Grenzen eines Gemeindebezirks hinaus die Beförderung von Personen oder Sachen mit Kraftfahrzeugen aus bestimmten Strecken gegen Entgelt betreiben will; für ein solches Unternehmen ist die Genehmi­ gung der von der obersten Landesbehörde bestimmten Behörde erforderlich. § 1 regelt auch die Zulassung von Unternehmen, die sich auf das Gebiet mehrerer Länder erstrecken. Die Ge­ nehmigung darf nach § 2 nur erteilt werden, wenn Gewähr für die Sicherheit und Leistungs­ fähigkeit des Betriebes geboten ist und das Unter­ nehmen den öffentlichen Interessen nicht zuwider­ läuft. § 3 regelt die Zurücknahme der Genehmi­ gung. Die obersten Landesbehörden können nach § 4 die Vorschriften der §§ 1—3 auf zur Zeit der Erlassung des G. vorhandene K. für anwendbar erklären. Nach § 5 erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des RR. die zur Durchführung der §§ 1—~4 erforderlichen Vorschriften; solche Vor­ schriften sind noch nicht erlassen. § 6 trifft eine Sonderregelung für K. der Reichspost. Die §§ 7 und 8 enthalten Strafvorschriften. In Preußen sind für die Genehmigung die RP. (in Berlin der PolPräs.) zuständig. Gegen ihre Entscheidung ist die Beschwerde an den HM. und den MdI. gegeben. Im übrigen vgl die preuß. AusfAnw. vom 10. 12. 1921 (MBL. 1922,17). Pfl. Kraftfahrzeuge. I. K. sind durch Maschinen­ kraft (Dampf, Elektrizität, Explosion leicht ver­ gasbarer Stoffe, wie Benzin, Spiritus usw.) be­ wegte, an Schienengleise nicht gebundene Land­ fahrzeuge. Sie stellen auf dem Gebiete des Land­ verkehrswesens die neueste Stufe der technischen Entwicklung der Verkehrsmittel dar. Wie das Fahrrad hat das K. sich in den Gemeingebrauch 67*

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Kraftfahrzeuge

der öffentlichen Wege eingegliedert, abgesehen von denjenigen Typen, die vermöge ihrer be­ sonderen Eigenschaften, wie die sog. gleislosen Bahnen, namentlich wegen ihres hohen Eigen­ gewichts, wie Straßenlokomotiven, aus den für den Gemeingebrauch der öffentlichen Wege gezogenen Grenzen hinausfallen. Für die Praxis ist der Unterschied zwischen Kraftwagen und Krafträdern von Bedeutung. Als Krafträder gelten nach § 1 der V. über Kraftsahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928 (RGBl. I 91) K., die aus nicht mehr als drei Nädern laufen, wenn ihr Eigen­ gewicht im betriebsfertigen Zustand 350 kg nicht übersteigt; Anhänger, Bei- oder Vorsteckwagen bleiben bei Feststellung der Fahrzeugart außer Betracht; als Krafträder gelten außerdem K. mit zwei Lausrädern und zwei seitlichen, nur ge­ legentlich benutzten Stützrädern ohne Anhänger, Bei- oder Steckwagen, wenn ihr Eigengewicht in betriebsfertigem Zustand 350 kg nicht über­ steigt. Sowohl Kraftwagen wie Krafträder sind K. im obigen Sinne, unterliegen aber in mehr­ facher Beziehung; Kennzeichnung, Beleuchtung usw., verschiedenen Grundsätzen vom Stand­ punkte der polizeilichen Behandlung. II. Die Rechtsverhältnisse der K. wurden nach ihrer Einführung in den Verkehr nicht als­ bald gesetzlich geregelt. Man behandelte viel­ mehr, um die Entwicklung des völlig neuen Ver­ kehrsmittels nicht etwa ungünstig zu beeinflussen, die Beziehung des K. zum öffentlichen Verkehr zunächst in der beweglicheren Form der Polv. Nachdem die erforderlichen Erfahrungen ge­ sammelt waren, erging im Jahre 1909 ein ReichsG. über den Verkehr mit K. Nach Art. 7 Zisf. 19 der RV. v. 11. 8. 1919 (RGBl. 1383) hat das Reich u. a. die Gesetzgebung über den Verkehr mit K. zu Lande. Zur Zeit gilt das G. über den Verkehr mit K. (KraftfahrzeugG.) vom 3. 5. 1909 (RGBl. 437) i. d. F. des G. vom 21. 7.1923 (RGBl. I 743) und der V. vom 5. und 6. 2. 1924 (RGBl. I 43, 42). Es enthält in vier Abschnitten einmal die der einheitlichen gesetz­ lichen Regelung bedürftigen Verkehrsvorschriften, sodann die Regelung der Haftpflicht, die er­ forderlichen Strafvorschristen und schließlich besondere Bestimmungen für Kleinkrafträder. Uber Zweck und Bestimmung des G. vgl. RGZ. 94, 102. III. Verkehrsvorschriften. K., die auf öffentlichen Wegen oder Plätzen verkehren sollen, bedürfen der behördlichen Zulassung (§ 1). Zum Führen von K. im öffentlichen Verkehr bedarf man der behördlichen Fahrerlaubnis. Diese wird auf Grund einer erfolgreichen Prüfung an auch sonst zur Führerschaft geeignete Personen unter Ausstellung eines Führerscheins mit Wirkung für das Reich erteilt (§ 2). Besondere Vorschriften für Ubungs- und Prüfungsfahrten enthält § 3. Die Fahrerlaubnis kann unter ge­ wissen Voraussetzungen durch die zuständige Ver­ waltungsbehörde dauernd oder vorübergehend mit Wirkung für das ganze Reich entzogen werden (§ 4). Gegen die Versagung der Fahrerlaubnis aus anderen Gründen als wegen ungenügender Prüfungsergebnisse und gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis ist der Rekurs zulässig (§ 5). Gefährliche Stellen an Wegestrecken, die dem Durchgangsverkehr dienen, sind von den Landes­

behörden durch Warnungstafeln zu kenn­ zeichnen (§ 5 a). Schließlich überweist § 6 der Reichsregierung mit Zustimmung des RR.: 1. den Erlaß, der zur Ausführung der §§ 1—5a erforderlichen Anordnungen sowie der Bestim­ mungen über die Zulassung der Führer aus­ ländischer K.; 2. den Erlaß der sonstigen, zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf öffentlichen Wegen oder Plätzen erforderlichen Anordnungen über den Verkehr mit K., ins­ besondere über die Prüfung und Kennzeichnung der K. und über das Verhalten ihrer Führer sowie über den allgemeinen Fährverkehr, soweit dies in Rücksicht aus den Kraftsahrzeugverkehr erforderlich ist; 3. den Erlaß von Vorschriften über Gebühren für behördliche Maßnahmen im Kraftsahrzeugverkehr bei Durchführung der auf Grund des G. erlassenen V.; die Gebühren sind nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen; 4. mit Zustimmung eines Ausschusses des RT. den Erlaß von Vorschriften über die Bildung eines zur Mitwirkung in Angelegenheiten des Kraftfahrwesens berufenen Beirats. Soweit die Reichsregierung Anordnungen nach Ziff. 1—3 nicht erlassen hat, können solche durch die Landes­ zentralbehörden erlassen werden. Die Reichs­ regierung hat auf Grund dieser für die einheit­ liche Entwicklung des Verkehrsrechts der K. über­ aus wichtigen Ermächtigung u. a. die für den Jnlandsverkehr der K. maßgebende V. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928 (RGBl. I 91) und die Bek. über Kraftsahr­ zeugverkehr vom 16. 3. 1928 (RMBl. 1928, 121) erlassen. Neben dieser V. dürfen be­ sondere Bestimmungen für K. nur soweit er­ lassen werden, als die Polizeibehörden durch die V. selbst ausdrücklich dazu ermächtigt werden. Die V. ist in ihrem ersten Abschnitt wie folgt gegliedert; A. Allgemeine Vorschriften,B. Das K., C. Der Führer des K., D. Die Benutzung öffent­ licher Wege, E. Mitführen von Anhängern, F. Untersagung des Betriebs, G. Ausnahmen, H. Schluß- und Übergangsbestimmungen. Ihr zweiter Abschnitt behandelt Kleinkrafträder. Dec dritte Abschnitte enthält Strafvorschristen. Erster Abschnitt: A. Allgemeine Vorschriften. Die Begriffe „Kraftfahrzeug", „Kraftrad", „Kraft­ omnibus", „Weg", „Wegebenutzer" und „Dunkel­ heit" werden festgelegt (§ 1). Allgemein wird an­ geordnet, daß die K. den für den Verkehr von Fuhrwerken und Fahrrädern allgemein er­ gangenen Vorschriften — als solche kommen nicht nur orts- und landespolizeiliche Anord­ nungen, sondern auch gesetzliche Bestimmungen in Betracht — unterliegen, sofern nicht die B. oder die gemäß § 6, 3 des G. vom 3. 5. 1909 erlassenen Vorschriften andere Bestimmungen enthalten, daß auf K. des öffentlichen Fuhrgewerbes die für den Betrieb der dem öffent­ lichen Fuhrgewerbe dienenden Fuhrwerke be­ stehenden besonderen Vorschriften Anwendung finden, daß ein neben der befestigten Fahrbahn vorhandener Sommerweg als selbständiger Weg gilt, und daß Kraftschlitten, Raupenkrastfahrzeuge, Dampfstraßenlokomotiven, Straßenwalzen, ferner solche K., deren betriebsfertiges Gewicht im be­ ladenen oder unbeladenen Zustand 9 t oder bei Vorhandensein von drei Achsen 15 t übersteigt, sowie selbstsahrende Arbeits- und Werkzeug-

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Maschinen zu landwirtschaftlichen ober gewerb­ lichen Zwecken (z. B. Dampf-, Motorpflüge, Motorsägen) nicht unter die V. fallen (§ 2). B. Das Kraftfahrzeug. Unter a) wird die Beschaffenheit, Ausrüstung und Ladung der K., und zwar im allgemeinen (§ 3) und im einzelnen hinsichtlich der Lenkvorrichtung, Bremsvorrich­ tungen, Bergstütze, Hupe, Beleuchtung, Sperr­ vorrichtung, Ausnahmen für Krafträder, Rück­ lauf, Bedienungsvorrichtungen, Fabrikschild, Achs­ druck, Rückspiegel, Schlußlicht und Ladung (§ 4) geregelt. Unter b) werden der Antrag auf Zu­ lassung eines K. nach Form und Inhalt und ge­ wisse Erleichterungen (Typenprüfung) behandelt und aus die für die danach vorzunehmende Prüfung erlassene, in der Bek. vom 16. 3. 1928 enthaltene „Anweisung über die Prüfung von Kraftfahrzeugen" verwiesen. Die Zu­ lassung der K. zum Verkehr gemäß § 1, 1 des G. vom 3. 5.1909 und ihre Kennzeichnung werden unter c) geordnet, und zwar bestimmt § 6, daß zuständig für die Zulassung die höheren Ver­ waltungsbehörden find. (Als solche sind in Preußen nach dem RdErl. des HM. und des MdI. vom 26. 11. 1926, MBl. 1039 und HMBl. 362, in Landkreisen die LR., in Stadtkreisen die Polizeiverwaltungen bestimmt; für Groß-Berlin ist der PolPräs. zuständig.) Die höheren Ver­ waltungsbehörden haben das Kraftfahrzeug­ kataster (Liste der zugelassenen K.) zu führen, die Zuteilung eines polizeilichen Kennzeichens zu bewirken, die Zulassungsbescheinigungen zu er­ teilen (vgl. über ihre Stempelpslichtigkeit und die Befreiung der gewerbsmäßigen Personen RG. in RGZ.81,231) und die erforderlichen Mitteilungen zu veranlassen. Ferner wird für den Fall von Ände­ rungen am K., Verlegung des Wohnsitzes des Eigen­ tümers des K., Herausziehung des K. aus dem öffentlichen Verkehr und Wechsel des Eigentümers das Erforderliche bestimmt. § 7 stellt den Grund­ satz auf, daß außer den K. der Feuerwehren im Dienst und K. zu Zwecken der öffentlichen Stra­ ßenreinigung (§ 38), alle K. das polizeiliche Kennzeichen tragen müssen. Uber dieses be­ stimmt § 8 im einzelnen, daß zur Kennzeichnung innerhalb des Reichsgebiets, nach dem der Bek. über Kraftsahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928 bei­ gegebenen „Plan für die Kennzeichnung der K." verwendet werden sollen; im Reich für K. der Reichswehr BW, für K. der Reichspost BP, in den Ländern für: 1. Preußen Ziff. I und Buchstaben A, B usw.; 2. Bayern Ziff. II und Buchstaben A, B usw.; 3. Sachsen Ziff. I, II, III, IV und V (ohne Buchstaben); 4. Würt­ temberg Ziff. III und Buchstaben A, B usw.; 5. Baden IV B; 6. Thüringen Th; 7. Hessen Ziff. V und die Buchstaben 0, B, S; 8. Hamburg H H; 9. Mecklenburg-Schwerin MI; 10. Oldenburg 0 und die Ziff. I, II, III; 11. Braunschweig B; 12. Anhalt A; 13. Bremen HB; 14. Lippe L; 15. Lübeck HL; 16. Mecklenburg-Strelitz M II; 17. Waldeck W; 18. Schaumburg-LiPpe S L. Weiter schreibt § 8 wegen der Kennzeichnung der Kraftwagen und Kraftdrei­ räder an der Vorder- und Hinterseite und wegen der Kennzeichnung der Kraftzweiräder das Nötige vor, während §§ 9, 10 u. 12 Vorschriften über die polizeiliche Abstempelung, über die Sicherung der Erkennbarkeit und über die Stem­

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pelung der Kennzeichen durch die Polizeibehörde im Falle ihrer Erneuerung enthalten. § 11 gibt die Beleuchtung des Kennzeichens bei Nacht und starkem Nebel an; § 13 verbietet die gleich­ zeitige Anbringung mehrerer verschiedener Kenn­ zeichen. Uber Probefahrten im Sinne § 3, 2 s. NGZ. 83, 326. C. Der Führer des K. Unter a wird in Ausführung des § 2 des G. vom 3. 5. 1909 die Zulassung zum Führen von K. von der Erlaubnis der höheren Verwaltungs­ behörde abhängig gemacht, und ihre Voraus­ setzungen (§ 14), insbesondere das Prüfungs­ wesen, nach der der V. als Anlage beigefügten „Anweisung über die Prüfung der Führer von K." und die Erteilung des Führerscheins geordnet. Unter b werden die besonderen Pflichten des Führers behandelt, und zwar seine Legitimations­ pflicht (§ 15), seine Verantwortlichkeit hinsicht­ lich des Zustandes des K. (§ 16), bei der Leitung und Bedienung des K. (§ 17), insbesondere hin­ sichtlich der Fahrgeschwindigkeit (§ 18), die u. a. bei K. bis zu 5,5 t Gesamtgewicht innerhalb ge­ schlossener Ortsteile 30 km in der Stunde nicht überschreiten darf, soweit nicht die höhere Ver­ waltungsbehörde eine höhere Geschwindigkeit (im Höchstfälle 40 km) zugelassen hat. Unter allen Verhältnissen, die eine Gefährdung des Publikums ergeben, ist die Fahrgeschwindigkeit so einzurichten, daß der Führer in der Lage bleibt, seinen Verpflichtungen Genüge 'zu leisten. Die Abgabe von Warnungssignalen wird in § 19, die Vorsichtsmaßregeln beim Scheuwerden von Pfer­ den werden im § 20 behandelt. Die §§ 21—28 enthalten die Bestimmungen über das Rechts­ fahren und Einbiegen, das Ausweichen, das Überholen, das Vorfahren an Wegekreuzungen, das Verhalten gegenüber Feuerwehr usw., die Zeichen des Führers, die Zeichen der Polizei­ beamten und das Aufstellen zum Stillstand ge­ langender K. D. Die Benutzung öffentlicher Wege. Im § 29 wird die Frage der Benutzung der öffentlichen Wege durch K. geordnet. Die Befugnis der Polizeibehörden, den Verkehr mit K. auf bestimmten Wegeplätzen oder Brücken zu verbieten oder zu beschränken, regelt § 30. Ins­ besondere enthält er die für den Kraftsahrzeug­ verkehr bedeutsame Vorschrift, daß Ortspolizei­ behörden für K. bis zu 5,5 t Gesamtgewicht eine Höchstgeschwindigkeit von weniger als 30 km in der Stunde nur mit Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde festsetzen können, sofern nicht schon durch Landesrecht die Genehmigung der obersten Landesbehörde vorgeschrieben ist. § 31 verbietet das Wettfahren und die Ver­ anstaltung von Wettfahrten auf öffentlichen Wegen und trifft für Zuverlässigkeitsfahrten der K. mit und ohne Geschwindigkeitsprüfungen be­ sondere Bestimmungen. E. regelt das Mit­ führen von Anhängern. F. ordnet das Ein­ greifen der Polizeibehörde wegen Vor­ schriftswidrigkeiten beim K. und bei den Führern von K. In G. werden die Ausnahmen von den Vorschriften der V. behandelt, und zwar in § 37 für Prüfungsfahrten, in § 38 für K. der Feuer­ wehren im Dienst und der K. für Zwecke der Straßenreinigung, in § 39 für K., die zur Vor­ führung bei der Polizeibehörde und zur Ab­ stempelung des Kennzeichens fahren, in § 40 für Zugmaschinen ohne Güterladeraum, in § 41

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für Probefahrten, in §§ 42—44 die Ausnahmen für K. der Wehrmacht, der Neichspost, der staat­ lichen Polizei und der Feuerwehren im Dienst. Unter H. sind in § 45 Bestimmungen über die Bezeichnung „Polizeibehörde" und „höhere Ver­ waltungsbehörde" und über die Festsetzung der Anforderungen enthalten, denen die von den höheren Verwaltungsbehörden anzuerkennenden Sachverständigen zu genügen haben (vgl. Bek. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928). Nach § 46 setzt der RVM. die Gebühren fest, die diesen Sachverständigen für die Prüfung von K. und Kraftfahrzeugführern zustehen. Bei den Vor­ schriften über den Auslandsverkehr und über den Verkehr im Zollgrenzbezirk war das Internationale Abkommen über den Ver­ kehr mit K. vom 11. 10.1909 (RGBl. 1910, 603) zu berücksichtigen. Zur Ausführung dieses Ab­ kommens ist die V. über Internationalen Kraft­ fahrzeugverkehr vom 5. 12. 1925 (RGBl. I 453) in der Fassung der V. vom 31. 1. 1928 (RGBl. I 12) und vom 16. 3. 1928 (RGBl. I 66) er­ lassen. Das Internationale Abkommen regelt in Art. 1 u. 6 die Anforderungen, denen K. zu genügen haben, um zum Verkehr auf öffent­ lichen Wegen zugelassen zu werden, in Art. 2 diejenigen, welchen die Führer von K. entsprechen müssen, in Art. 3 die Ausstellung und Anerken­ nung der internationalen Fahrausweise, in Art. 4 die Anbringung der Kennzeichen an den K., in Art. 5 die Warnungsvorrichtungen, in Art. 7 das Begegnen und Überholen von Fahrzeugen, in Art. 8 die Aufstellung von Hinweistafeln an öffentlichen Wegen und trifft in Art. 9 allgemeine Bestimmungen. Die B. über internationalen Kraftfahrzeugverkehr bestimmt im § 2, daß im Zollgrenzbezirk die Beamten der Grenzzoll­ verwaltung hinsichtlich der K. die gleichen Befugnisse wie die Polizeibeamten haben und behandelt in §§ 3—5 die deutschen K. im internationalen Verkehr, in §§ 6—10 die außerdeutschen K. mit einein inteuidtionalen Fahrausweis, in §§ 11—13 die außerdeutschen K. ohne einen internationalen Fahrausweis und trifft in §§ 14, 15 besondere Bestimmungen über die Prüfung und Kennzeichnung solcher K., welche von im Reichsgebiet wohnhaften Per­ sonen mittels eigener Triebkraft zum dauernden Verbleib im Jnlande über die Reichsgrenze ein­ geführt werden, und über die Behandlung solcher zum Verkehr noch nicht zugelassener K., welche mit eigener Triebkraft zum dauernden Verbleib im Auslande über die Reichsgrenze gebracht werden. Von besonderer Wichtigkeit sind die in Art. 4 des Internationalen Abkommens ent­ haltenen Vorschriften über die Anbringung eines besonderen internationalen Unter­ scheidungszeichens neben dem heimat­ lichen Kennzeichen. Es besteht aus einem läng­ lichrunden Schilde mit einem oder zwei gemalten schwarzen Buchstaben auf weißem Grunde, und zwar für Deutschland D, Belgien B, Bul­ garien BG, Dänemark DK, Danzig DA, Finland SF, Frankreich F, Griechenland GR, Groß­ britannien GB, Britisch-Jndien BI, der Irische Freistaat SE, Italien I, Liechtenstein FL, Li­ tauen LT, Luxemburg L, Monaco MC, die Nieder­ lande NL, Niederländisch Indien IN, Nor­ wegen N, Österreich A, Polen PL, Portugal P,

Rumänien RM, Rußland R, Schweden 8, Schweiz CH, Spanien E, die Tschechoslowakische Republik CS, Ungarn H. IV. Haftpflicht. Nach § 7 des G. vom 3. 5. 1909 hastet unbeschadet weitergehender reichs­ gesetzlicher Vorschriften (§ 16) (RGZ. 79, 312) für alle Personen- und Sachschäden (RGZ. 91, 308), die beim Betriebe eines K. entstehen, der Halter des Fahrzeugs (RGZ. 78,179; 79, 312; 86, 151; 87,137; 91, 270; 93, 222) oder, wenn das K. von einem anderen ohne Wissen und'Willen des Halters benutzt wird (RGZ. 77, 348; 95, 186), dieser an Stelle des Halters, sofern nicht der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder aus fehlerhafter Beschaffenheit des K. noch auf einem Versagen seiner Vorrichtung be­ ruht. Als unabwendbar gelten insbesondere Er­ eignisse, die-auf das Verhalten des Verletzten (RGZ. 92, 39), eines nicht beim Betriebe beschäf­ tigten Dritten oder eines Tieres (RGZ. 96,131) zurückzuführen find und sowohl der Halter als der Führer des K. jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (RGZ. 92, 38; 96, 131). Ein Schadensersatzanspruch entsteht nicht, wenn zur Zeit des Unfalls der Verletzte oder die beschädigte Sache durch das K. befördert wurde oder der Verletzte beim Betriebe des K. tätig war, sowie wenn der Unfall durch ein Fahr­ zeug verursacht ist, dessen Geschwindigkeit 20 km in der Stunde auf ebener Bahn nicht übersteigen kann (§ 8) (RRZ. 86, 73). Beim Mitwirken eige­ nen Verschuldens des Verletzten findet 8254BGB. mit einer für Sachschäden geltenden besonderen Maßgabe Anwendung (§ 9). In §§ 10—13 wird die Schadenersatzpflicht im Falle der Tötung oder Verletzung eines Menschen geregelt und insbe­ sondere in § 12 die Haftpflicht auf eine gewisse Höchstsumme beschränkt (RGZ. 87, 402). Alle Schadenersatzansprüche verjähren nach § 14 in zwei Jahren (RGZ. 90, 293) von dem Zeitpunkte an, in welchem der Ersatzberechtigte von dem Schaden und Don der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erhielt, ohne diese Kenntnis in 30 Jahren vom Zeitpunkt des Unfalls an. Desgleichen verliert der Berechtigte seinen Anspruch auf Schadenersatz, wenn er nicht spätestens binnen zwei Monaten nach erlangter Kenntnis dem Ersatzpflichtigen den Unfall anzeigt, es sei denn, daß die Anzeige in­ folge eines von ihm nicht zu vertretenden Um­ standes unterblieben ist oder wenn der Ersatzpflich­ tige innerhalb der bezeichneten Frist auf andere Weise von dem Unfall Kenntnis erlangt hat (§ 15). In § 17 wird die Haftung mehrerer an einem Unfall beteiligter K. (RGZ. 79, 312; 82, 114; 437; 84, 425, 429, 432; 87, 67; 90, 294; 96, 68). und in § 18 die des Führers neben dem Halter geregelt (RGZ. 84,424; 90, 158, 293; vgl. auch 84, 429 und 87, 65). § 20 schließlich läßt für Klagen aus Grund des G. vom 3. 5. 1909 neben dem persönlichen Gerichtsstände auch den des schädigenden Ereignisses zu. V. Die Strafvorschristen bezwecken, Ein­ heitlichkeit in der strafrechtlichen Behandlung her­ beizuführen und gewisse im Interesse der Sicher­ heit des Publikums besonders wichtige Tat­ bestände zu qualifizieren (vgl. die V. über Ver­ mögensstrafen und Bußen vom 6. 2. 1924, RGBl. I 44). So werden die Übertretungen der über den Verkehr mit K. zur Erhaltung der Ord-

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nung und Sicherheit auf öffentlichen Wegen oder Plätzen erlassenen polizeilichen Anordnungen (Polv. und polizeiliche Vs.) durch § 21 mit Geldstrafe bis zu 150 RM oder mit Haft be­ droht. Das Unternehmen, sich nach einem Un­ fälle der Feststellung der Person oder des K. durch die Flucht zu entziehen, wird als Vergehen behandelt und mit Geldstrafe bis zu 10000 RM oder Gefängnis bis zu zwei Monaten, der Führer aber, der eine verletzte Person vorsätzlich im Stiche läßt, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§ 22). Führer und Halter werden durch § 23 mit Geldstrafe bis zu 10000 RM oder Ge­ fängnis bis zu zwei Monaten bedroht, wenn sie K. öffentlich führen oder die öffentliche Führung von K. vorsätzlich oder fahrlässig gestatten, die nicht zum Verkehr zugelassen sind. Die gleiche Strafe soll nach § 24 diejenigen treffen, welche ein K. führen 1. ohne einen Führerschein zu be­ sitzen, 2. obwohl ihnen die Fahrerlaubnis ent­ zogen ist, oder 3. den Führerschein der Behörde, die ihnen die Fahrerlaubnis entzogen hat, auf Verlangen nicht abgeliefert haben, sowie die­ jenigen Halter von K-, welche vorsätzlich oder fahrlässig Personen zum Führen von K. bestellen oder ermächtigen, welche sich durch einen Führer­ schein nicht ausweisen können oder welchen die Fahrerlaubnis entzogen ist. Schließlich wird in § 25 unbeschadet höherer Strafandrohungen durch Vorschriften des StGB, mit Geldstrafe bis zu 10000 RM oder Gefängnis bis zu drei Monaten bedroht, wer in rechtswidriger Absicht 1. ein K., dem von der Behörde noch kein Kenn­ zeichen zugeteilt ist, mit einem Zeichen versieht, das einen Anschein der behördlichen Kennzeich­ nung hervorzurufen geeignet ist; 2. an einem K. ein falsches Kennzeichen führt; 3. das polizeiliche Kennzeichen eines K. verändert, beseitigt, ver­ deckt oder sonst in seiner Erkennbarkeit beein­ trächtigt, sowie ferner, wer von einem K. mit einer so gefälschten, verfälschten oder unter­ drückten Kennzeichnung wissentlich auf öffent­ lichen Wegen oder Plätzen Gebrauch macht. VI. Kleinkrafträder. Durch das G. vom 21. 7. 1923 sind die Kleinkrafträder von allen Bestimmungen des KrastfahrzeugG. ausgenom­ men worden. Die Reichsregierung erläßt mit Zustimmung des RR. Anordnungen über den Verkehr mit Kleinkrafträdern. Dies ist in §§ 47 bis 49 der V. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928 geschehen. Die dort vorgesehenen Erleichterungen für Kleinkrafträder gelten nur für den innerdeutschen Verkehr. VII. Kraftschlitten, Raupenkraftfahrzeuge, Dampfstraßenlokomotiven, Straßenwalzen, ferner solche Kraftfahr­ zeuge, deren betriebsfertiges Gewicht im be­ ladenen oder unbeladenen Zustand 9 t oder bei Vorhandensein von drei Achsen 15 t übersteigt, sowie selbstfahrende Arbeits- und Werk­ zeugmaschinen zu landwirtschaftlichen oder gewerblichen Zwecken (z. B. Dampf-, MotorPflüge, Motorsägen) fallen zwar unter die Vor­ schriften des G. vom 3. 5. 1909; indessen hat die Reichsregierung bei Erlaß der V. vom 16. 3.1928 die Anwendbarkeit dieser V. ausgeschlossen, da diese V. nur die Berkehrsverhältnisse der eigent­ lichen im Rahmen des Gemeingebrauchs der öffentlichen Wege verwendeten K. zu regeln be­

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stimmt ist. Der Verkehr der aus dem Gemein­ gebrauch herausfallenden Fahrzeuge unterliegt daher gemäß § 6, 3 des G. vom 3. 5. 1909 der Regelung durch die Landesregierungen. Der Verkehr mit Straßenlokomotiven ist in Preußen durch provinzielle Polv. geregelt, die nach einem einheitlichen Muster erlassen sind. Das Muster lehnt sich an die Vorschriften für Dampfpflüge an. Vorschriften für die Beförderung von Dampf­ pflügen sind in Preußen in provinziellen Polv. gegeben, die nach einem durch RdErl. vom 18. 8. 1908 (MBl. Nr. 9, 187) vorgeschriebenen einheitlichen Muster erlassen sind. VIII. Gebühren. Die Gebührenordnung für behördliche Maßnahmen im Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928 (RMBl. 155) ist auf Grund des § 6, 1 Ziff. 3 des KrastfahrzeugG. vom 3. 5. 1909 (RGBl. 437) in der Fassung des G. vom 21. 7. 1923 (RGBl. 1743) erlassen. Um zu ver­ hindern, daß die Gebührenhöhe etwa auf eine neue Besteuerung hinauskommt, schreibt § 6, 1 Ziff. 3 des G. vor, daß die Gebühren nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen sind. Die Gebührenordnung setzt für Maßnahmen der Landesbehörden bei Durchführung der B. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1928 (RGBl. I 91), der V., betr. die Ausbildung von Kraftfahr­ zeugführern vorn 1. 3. 1921 (RGBl. 212) i. d. F. der V. vom 21. 10. 1923 (RGBl. I 988) und der Vorschriften über den internationalen Verkehr mit Kraftfahrzeugen (vgl. V. vorn 5. 12. 1925, RGBl. 1 443) bestimmte Gebühren fest. Für in der Gebührenordnung nicht ausgeführte Amts­ handlungen können Gebühren nach landesrecht­ lichen Vorschriften erhoben werden. (Vgl. Preuß. Verwaltungsgebührenordnung vom 30. 12.1926, GS. 327.) S. Kraftfahrzeugführer, Beirat für das Kraftfahrwesen, Kraftfahrlinien, Sammelftelle, Warnungstafeln, Dampf­ pflüge, Wege, öffentliche VI, Chaussee­ geld, Automobilsteuer. IX. Beirat für das Kraftfahrwesen. Nach §5 Abs. 1 Ziff. 4 des KrastfahrzeugG. vom3.5.1909 (RGBl. 437) i. d. F. des G. vom 21. 7. 1923 (RGBl. 1743) und der V. vom 5. 2.1924 (RGBl. I 43) erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des NN. und eines Ausschusses des RT. Vor­ schriften über die Bildung eines zur Mitwirkung in Angelegenheiten des Kraftfahrwesens be­ rufenen Beirats. Dies ist durch die B. über den B. f. d. K. vom 11. 7. 1924 (RGBl. I 667) geschehen. Der B. hat die Aufgabe, in grund­ sätzlichen und sonstigen besonders wichtigen Fragen auf dem Gebiete des Kraftfahrwesens Gutachten abzugeben. Die Mitglieder, die ehren­ amtlich tätig sind und auf Kostenerstattung aus der Reichskasse keinen Anspruch haben, werden vom RVM. ernannt. Dieser beruft den B. nach Bedarf ein; er kann zu den Beratungen Sach­ verständige hinzuziehen. Der RVM. hat in den B. u. a. Vertreter der Kraftfahrzeugindustrie, der Kraftfahrzeughaltervereinigungen, der Be­ rufskraftfahrer, des Kraftfahrzeughandels, der Wegeunterhaltungspflichtigen usw. berufen. Die Zahl der Beiratsmitglieder ist nicht ziffernmäßig begrenzt; zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des B. wird aber daraus gesehen, daß die Zahl der Mitglieder das unbedingte Bedürfnis nicht über­ steigt. Die Landesregierungen können sich durch

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Vermittlung der Neichsregierung des B. bedienen. enthält ferner Vorschriften über die Ausbildung S. Kraftfahrzeuge. Pfl. selbst. Für die Erteilung der Erlaubnis zur Aus­ Kraftsahrzeugführer. I. Ausbildung von K. bildung von Kraftradführern sind Erleichterungen Nach § 3 des Kraftfahrzeugs vom 3. 5. 1909 vorgesehen. Für die praktische Fahrausbildung (RGBl. 437) muß, wer sich zum Zwecke der Ab­ ist eine Mindestzeit festgesetzt, die nach Art der legung der Prüfung in der Führung von Kraft­ Fahrzeuge verschieden ist; diese Festsetzung ist fahrzeugen übt, dabei auf öffentlichen Wegen eine besonders wichtige Maßnahme zur Sicher­ oder Plätzen von einer mit dem Führerschein stellung guter Ausbildung. Für die Ausbildung versehenen, durch die zuständige Behörde zur von K. der Reichspost, der Wehrmacht und der Ausbildung von Führern ermächtigten Person staatlichen Polizei sind besondere Vorschriften begleitet und beaufsichtigt sein; das gleiche gilt gegeben. II. Zulassung zum Führen von Kraft­ für die Fahrten, die bei Ablegung der Prüfung vorgenommen werden. Nach Ziff. II1 der An­ fahrzeugen. Die K. bedürfen nach §§ 2ff. lage der V. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. des KraftfahrzeugG. vom 3. 5. 1909 (RGBl. 437) 1928 (RGBl. I 91) ist dem Anträge zur Erteilung i. d. F. des G. vom 21. 7. 1923 (RGBl. I 743) der Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Verbindung mit § 14 der V. über Kraftfahru. a. ein Nachweis beizufügen, daß der Antrag­ zeugverkehr vom 16. 3. 1928 für die Führung steller den Fahrdienst bei einer zur Ausbildung von Kraftfahrzeugen der Erlaubnis der zustän­ von Führern von der höheren Verwaltungs­ digen höheren Verwaltungsbehörde. Die Er­ behörde ermächtigten Person oder Stelle erlernt laubnis gilt für das ganze Reich. Zum Nachweis hat; der Nachweis muß die Dauer der praktischen der Erlaubnis erhalten sie eine Bescheinigung Fachausbildung erkennen lassen. Die auf Grund (Führerschein). Ihre Befähigung haben sie durch des § 6, 1 des Kraftfahrzeugs, erlassene B., betr. eine Prüfung vor einem durch die höhere Ver­ die Ausbildung von K., vom 1. 3. 1921 (RGBl. waltungsbehörde amtlich anerkannten Sachver­ 212) i. d. E. der V. vom 21. 10. 1923 (RGBl. ständigen zu erweisen. Die Kosten der Prü­ I 988) bezweckt größere Sicherheit des öffent­ fung usw. haben sie selbst zu tragen. Werden lichen Verkehrs durch bessere Ausbildung der K.; Tatsachen festgestellt, welche die Annahme recht­ und Schutz der Fahrschüler vor Benachteiligung fertigen, daß ein K. zum Führen von Kraftfahr­ durch gewissenlose Unternehmer (vgl. RGZ. zeugen ungeeignet ist, so kann ihm durch die für 84, 423). Ihr § 1 regelt die Erteilung der Er­ seinen Wohnort zuständige höhere Verwaltungs­ laubnis zur Ausbildung von K., wobei eine ge­ behörde dauernd oder für bestimmte Zeit die wisse Beschränkung der Zahl der Ausbildungs­ Erlaubnis mit Wirkung für das ganze Reich ent­ stellen angestrebt wird. Die Einführung eines zogen werden; der Führerschein ist abzuliefern Fahrlehrerscheins bezweckt, dem amtlich an­ (§ 4 o. a. O.; wegen der Strafbarkeit der Nicht­ erkannten Sachverständigen die Möglichkeit zu ablieferung vgl. § 24 a. a. O.). Gegen die Ver­ geben, sich davon zu überzeugen, daß der bei der sagung der Fahrerlaubnis aus anderen Gründen Führerprüfung mit erscheinende Fahrlehrer be­ als wegen ungenügendem Ergebnisses der Behördlich zur Ausbildung ermächtigt ist. § 2 stellt fähigungsprüsung sowie gegen die Entziehung an gewerbsmäßig betriebene private Ausbildungs­ der Fahrerlaubnis ist der Rekurs zulässig, der unternehmen besonders strenge Forderungen. aufschiebende Wirkung hat, sofern dies nicht aus­ Um eine wirksame behördliche Überwachung zu drücklich bei der ersten Entscheidung über die Ent­ sichern, wird nach § 3 diejenige höhere Ver­ ziehung ausgeschlossen worden ist. Die Zuständig­ waltungsbehörde mit Erteilung der Erlaubnis keit der Behörden und das Verfahren bestimmt zum Betriebe eines privaten Ausbildungs­ sich nach den LandesG. und, soweit solche nicht unternehmens betraut, in deren Bezirk das Unter­ vorhanden sind, nach §§ 20, 21 GewO. (§ 5 nehmen seinen Sitz hat. Das Verfahren für die a. a. O.). Zuständig zur Erteilung, Versagung Erteilung der Fahrlehrererlaubnis (§ 4) ist ähn­ und Entziehung der Erlaubnis zum Führen von lich dem für Erteilung der Fahrerlaubnis ge­ Kraftfahrzeugen (des Führerscheins) sind in regelt. Nach § 6 soll der Behörde durch Schaffung Preußen in Landkreisen die LR., in Stadtkreisen eines Sachverständigenbeirats die Überwachung die Polizeiverwaltungen (RdErl. des HM. und des Ausbildungswesens erleichtert werden. In des MdI. vom 26. 11. 1926 (MBl. 1039 und einer Anlage ist das Verfahren für die Erteilung HMBl. 362). In Groß-Berlin ist der PolPräs. der Erlaubnis zur Ausbildung von K. und für zuständig. Gegen Versagung und Entziehung sind die Erteilung der Erlaubnis zum gewerbsmäßigen die in §§ 127, 128,129 des LVG. vom 30. 7.1883 Betriebe privater Ausbildungsunternehmen ge­ (GS. 19S) geordneten Rechtsmittel gegeben. Die ordnet. Eine Fahrlehrerprüfung durch amtlich näheren Vorschriften über die Zulassung zum anerkannte Sachverständige, die auch die Lehr­ Führen von Kraftfahrzeugen und über die be­ mittel des Unternehmens vor Erteilung der Er­ sonderen Pflichten der Führer sind in §§ 14ff. laubnis prüfen und den gesamten Ausbildungs­ der auf Grund des § 6 des angeführten G. er­ betrieb ihres Bezirks dauernd überwachen, ist lassenen B. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. eingeführt. Für Preußen sind durch NdErl. des 1928 (RGBl. I 91) enthalten. Eine Anweisung HM. und des MdI. vom 5.6.1926 (MBl. Nr. 29), über die Prüfung der Führer von Kraftfahrzeugen unvermutete Revisionen der Ausbildungsunter­ ist dieser V. als Anlage beigefügt. Von be­ nehmen angeordnet. Die Revisionen erfolgen sonderem Interesse sind die in §§ 21 ff. des G. durch die Sachbearbeiter der Regierungen unter vom 3. 5. 1909 enthaltenen Strafvorschriften. Hinzuziehung der Prüsungssachverständigen und Für den internationalen Verkehr mir Kraft­ je eines Vertreters der Kraftfahrzeughalter­ fahrzeugen stellt Art. 2 des Internationalen Ab­ vereinigungen (Arbeitgeber) und der Berufs­ kommens über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen kraftfahrerverbände (Arbeitnehmer). Die Anlage vom 11. 10. 1909 (RGBl. 1910, 603) die An-

Krastfahrzeugsteuer forberungen fest, denen die Führer für Kraft­ fahrzeuge zu genügen haben. Art. 3 des Ab­ kommens enthält die Vorschriften über die Aus­ stellung und Anordnung internationaler Fahr­ ausweise. Die Ausführung dieser Bestimmungen wird für das Reichsgebiet durch die §§ 3, 5—8 der V. über den internationalen Kraftsahrzeug­ verkehr vom 5. 12. 1925 (RGBl. I 453) in der Fassung der V. vom 31. 1. 1928 (RGBl. I 12) und vom 16. 3. 1928 (RGBl. I 66) geordnet. S. Kraftfahrzeuge, Sammelstelle. Pfl. Krastfahrzeugsteuer. I. Eine Steuer auf Kraftfahrzeuge wurde im Jahre 1906 durch Ziff. 8 RStempG. eingeführt. Die Abgabe hatte den Charakter einer Luxussteuer. Sie traf grund­ sätzlich nur Personenkraftwagen; steuerfrei waren Lastkraftwagen und Kraftwagen, die der gewerb­ lichen Personenbeförderung dienten. Nachdem durch das BeförderungsteuerG. (s. Beförde­ rungsteuer), das auch die fahrplanmäßige Be­ förderung von Personen und Gütern auf Kraft­ fahrzeugen einer prozentualen Steuer nach dem Beförderungsentgelt unterwarf, der Gesichts­ punkt einer allgemeinen Besteuerung des Be­ förderungsverkehrs in den Vordergrund gerückt worden war, wurden auch die erwähnten Vor­ schriften des RStempG. durch das KraftsahrzeugsteuerG. vom 8.4.1922 (RGBl. 1396) irrt Nahmen der damaligen Reichssinanzreform geändert. Der Charakter der Luxussteuer trat zurück; Lastkraft­ wagen und Wagen, die der gewerbsmäßigen Personenbeförderung dienten, wurden der Steuer unterworfen. Gleichzeitig wurden die in dem BeförderungsteuerG. enthaltenen Vorschriften über die Besteuerung des Kraftfahrlinienverkehrs aufgehoben. Der Zwang, Mittel für die Wege­ unterhaltung bereitzustellen, führte zu dem G. vom 15. 5. 1926 (RGBl. I 223), das eine Er­ höhung der Steuersätze, insbesondere für Last­ kraftwagen, vorsah und die Steuerbefreiung für Wagen von Ärzten aushob. In der am 19.5.1926 bekanntgegebenen Fassung (RGBl. I 239) hat das G. bis 1. 4. 1928 gegolten und ist alsdann durch das KraftfahrzeugsteuerG. vom 21.12.1927 (RGBl. 1509) ersetzt werden. Dieses G. bestimmt als Steuermaßstab für Krafträder und Personen­ kraftwagen mit Antrieb durch Verbrennungs­ maschine an Stelle der Pferdestärken den Hub­ raum ; es bringt ferner eine Ermäßigung der Steuer für stärkere Personenwagen und eine Erhöhung der Steuer für schwere Lastwagen und Omnibusse. Es ist bis zum 1.4.1931 befristet. Nach einer Entschließung des Reichstags soll bis zum 1. 10. 1930 eine Denkschrift über die Aus­ führung und die Wirkungen des G. vorgelegt werden, die insbesondere Ausführungen über den finanziellen Ertrag, die Entwicklung der Automobilindustrie unter der Herrschaft des G., seine Einwirkung auf die Wegeabnutzung und die Wegeunterhaltung sowie die technischen und sonstigen Möglichkeiten eines Aufbaues der Steuer auf anderer Grundlage (Brennstoff, Reifen, zurückgelegte Wegestrecke usiv.) enthalten soll. Vgl. ferner AussV. vom 29. 2.1928 (RMBl. 74); im übrigen gelten bis zur vollständigen Neu­ fassung der ÄusfB. noch die AusfB. vom 29. 5. 1922 (ZBl. 301). II. Die K. erscheint im Reichshaushaltplan für 1928 mit 160 Mill. RM. Sie wird von der Neichs-

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finanzverwaltung (FA. und Grenzzollämter) er­ hoben und unter Abzug von 4% für die Ver­ waltungskosten auf die Länder zu je einem Viertel nach der Bevölkerungszahl und dem örtlichen Aufkommen, zur Hälfte nach dem Gebietsumfang überwiesen. Die Länder haben die auf sie ent­ fallende Steuer zu Zwecken der Unterhaltung der öffentlichen Wege zu verwenden; die Ver­ wendung auch zu Zwecken der Unterhaltung der öffentlichen Brücken ist ihnen freigestellt (§ 41 FAG. in der Fassung des Art. II § 1 Ziff. 2—3 des G. vom 15. 5.1926, RGBl. 1223 und des § 2 Ziff. 14 des G. vom 9. 4.1927, RGBl. I 91). Die Verteilung der Beträge auf die Wegeunterhal­ tungspflichtigen ist Sache der Länder. Es ist ihnen unbenommen, sie in erster Linie für Durch­ gangs- oder andere wichtige Straßen zu ver­ wenden. In Preußen werden zunächst 4% des Aufkommens zur Gewährung von Zu­ schüssen an Brückenunterhaltungspflichtige ab­ gezweigt. Von dem Rest erhalten nach den vom 1. 4. 1926 ab geltenden Vorschriften die Pro­ vinzen (Bezirksverbände) drei Viertel und die Stadt- und Landkreise ein Viertel. Aus dem Provinzialanteil erhält die Stadtgemeinde Berlin vorweg einen Sonderbetrag von 2 Mill. RM; daneben wird sie schlüsselmäßig an dem Provin­ zialanteil, nicht dagegen an dem Kreisanteil beteiligt. Die westlichen Provinzen und der Be­ zirksverband Wiesbaden erhalten eine Sonderzuweisung. Uber die Bestimmungen im einzelnen vgl. das preuß. AG. zum FAG. in der Fassung der Bek. vom 14. 5. 1927 (GS. 63) und das G. über die Aufhebung der Brückengelder für Kraftfahrzeuge vom 29. 12. 1927 (GS. 295). Die K. stellt im System der Wegeabgaben den Beitrag für die gewöhnliche Benutzung öffent­ licher Wege durch Kraftfahrzeuge dar. Diese all­ gemeine Steuer des Reiches auf Kraftfahrzeuge findet ihre Ergänzung durch landesrechtlich ge­ regelte Abgaben für die gewöhnliche Benutzung der Wege durch andere Fahrzeuge, meistens in der Form der sog. Fahrzeug- oder Zugtiersteuer (§ 13 FAG.). Für ihre Einführung besteht kein Zwang, sie werden daher nicht in allen Ländern, z. B. nicht in Preußen, erhoben. Der RR. hat für die Erhebung und Veranlagung dieser Wege­ steuern, insbesondere hinsichtlich der Zuständig­ keit, Grundsätze aufgestellt (RGBl. 1924 I 151). Die Erhebung von Chaussee- und ähnlichen Wege­ geldern von Kraftfahrzeugen für die gewöhnliche Benutzung öffentlicher Wege und Brücken ist unzulässig, es sei denn, daß die Reichsregierung mit Zustimmung des RR. und eines A. des RT. die Erhebung genehmigt. Das gleiche gilt für sonstige Fahrzeuge mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Fahrzeug- oder Zugtiersteuer (§ 13 FAG.). Für Preußen sind Ausnahmen von dem Verbot der Wege- und Brückengelder für Kraftfahrzeuge bisher nicht zugelassen, (wegen des bayerischen Bahnzolls vgl. RGBl. 1927 I 32). Die Genehmigung würde z. B. erforderlich sein, wenn für die Benutzung einer Autobahnstraße, d. h. eines öffentlichen Weges, der ausschließlich dem Kraftverkehr gewidmet ist, Gebühren erhoben werden sollen. Beiträge zur Deckung der Kosten für die außergewöhnliche Abnutzung der Wege, in Preußen Vorausleistungen (s. d.) genannt, können an sich gemäß landesrechtlicher Regelung erhoben

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Kraftsahrzeugsteuer

werden. Für Kraftfahrzeuge ist jedoch nach Art. II § 1 Ziff. 1 des G. vom 15. 5. 1926 (NGBl. I 223) die Erhebung dieser Beiträge für die Zeit vom I. 4. 1926 ab nicht mehr zulässig. Sie sind durch einen allgemeinen Zuschlag zur K. ab gegolten, der einheitlich zu bemessen ist und 25% nicht überschreiten darf. Bis zum 31. 3. 1928 betrug der Zuschlag 25%; für das Rechnungsjahr 1928 ist er auf 20%, für das Rechnungsjahr 1929 auf 15% festgesetzt (§ 19). Uber den hiernach für Kraftfahrzeuge geschaffenen Rechtszustand vgl. für Preußen MBl. 1926, 557. Die Erhebung von Vorausleistungen gemäß preuß. V. vom 25. 11. 1923 (G S.540) beschränkt sich nunmehr auf andere Fahrzeuge als Kraftfahrzeuge (Art. II des G. vom 27. 11. 1926, GS. 308). III. Gegenstand der Steuer ist die Benutzung von Kraftfahrzeugen zum Befahren öffentlicher Wege (§ 1). Von der Steuer sind befreit: 1. Kraft­ räder mit einem Hubraum von nicht mehr als 200 Kubikzentimeters. Kraftfahrzeuge, die ausschließ­ lich der Beförderung (Fortbewegung) von Geräten von und zur Arbeitsstätte und (kumulativ) dem Antrieb dieser Geräte dienen; ferner Krastsahrzeuge, die diesen Zwecken in landwirtschaftlichen Betrieben dienen, auch dann, wenn gleichzeitig Personen oder Güter befördert werden; 3. Kraft­ fahrzeuge im Besitze des Reiches, der Länder oder der Gemeinden, soweit sie ausschließlich im Feuerlöschdienst, zur Krankenbeförderung, zum Wegebau oder zur Straßenreinigung verwendet werden. Für Feuerwehr- und Krankenfahrzeuge sonstiger Besitzer wird auf Antrag die Steuer von dem FA. erlassen, wenn die Fahrzeuge der Allgemeinheit unentgeltlich oder lediglich gegen Erstattung der Selbstkosten zur Verfügung gestellt werden; 4. Kraftfahrzeuge, die ausschließlich im Dienste der Wehrmacht oder der Polizei ver­ wendet werden, jedoch nicht Personenkraftfahr­ zeuge mit weniger als acht Sitzplätzen. Im vorstehenden nicht aufgeführte Dienstfahrzeuge von Behörden unterliegen der Steuer. Steuer­ schuldner (§ 3) ist der Eigenbesitzer des Kraft­ fahrzeugs. Bei Kraftfahrzeugen, die nach den verkehrspolizeilichen Bestimmungen zugelassen sind, ist Steuerschuldner derjenige, für den das Kraftfahrzeug zugelassen ist. Die Steuerkarte ist vor der Benutzung des Kraftfahrzeugs bei dem für den Wohn- oder Aufenthaltsort des Steuer­ schuldners zuständigen FA. zu lösen (§ 6 Abs. 1, § 10). Gegen die Steuerfestsetzung des FA. ist das Berufungsverfahren gemäß § 218 AO. gegeben. Für Kraftfahrzeuge, für die ein Kennzeichen zu­ geteilt ist, besteht eine Rechtsvermutung (8 11) dahin, daß sie bis zur Abmeldung bei der Zu­ lassungsbehörde in Benutzung stehen. Die Karte gilt nur für ein bestimmtes Fahrzeug und wird auf ein Jahr, ein Halbjahr oder ein Vierteljahr ausgestellt. Falls während ihrer Gültigkeitsdauer an Stelle des bisherigen ein neues Kraftfahrzeug eingestellt wird, das keine höhere Steuer erfor­ dert, oder falls ein Wechsel in der Person des Steuerschuldners eintritt, kann die bisherige Steuerkarte aus das neue Fahrzeug oder den neuen Steuerschuldner umgeschrieben werden (§ 8). Steuermaßstab ist für Personenkraft­ swagen der Hubraum, d. h. der Raum, in dem ch der Hub des Kolbens im Zylinder vollzieht. Er ist nach der in § 7 AussV. angegebenen

Formel zu berechnen. Lastkraftwagen werden nach dem Eigengewicht des betriebsfertigen Fahr­ zeugs besteuert, für seine Berechnung vgl. § 8 AusfV. Die Steuer beträgt für die Dauer eines Jahres für 1. Krafträder mit Antrieb durch Ver­ brennungsmaschine für je 100 Kubikzentimeter Hub­ raum oder einen Teil davon . . 8 RM 2. Personenkraftwagen mit Antrieb durch Verbrennungsmaschine, mit Aus­ nahme der Kraftomnibusse für je 100 Kubikzentimeter Hubraum oder einen Teil davon .... 12 RM 3. Kraftomnibusse und Lastkraftwagen mit Antrieb durch Verbrennungsmaschine für je 200 kg Eigengewicht des be­ triebsfertigen Kraftfahrzeugs oder einen Teil davon.......................... 30 RM 4. Elektrisch oder mit Dampf angetriebene Kraftfahrzeuge sowie Zugmaschinen ohne Güterladeraum für je 200 kg Eigengewicht des be­ triebsfertigen Kraftfahrzeugs oder einen Teil davon.......................... 15 RM Ist ein Fahrzeug der zu 3 genannten Art nicht auf allen Rädern mit Luftbereifung versehen, so erhöht sich der Steuersatz um x/10. Hierzu kommt noch der Zuschlag für die Abgeltung der Vorausleistungen (vgl. oben II). Für die Besteuerung der Benutzung von Kraftfahrzeugen, die nach den Vorschriften des § 41 der V. über Kraftfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1918 (RGBl. 91) als Probe- oder Überführungsfahrten unter Verwendung von Probefahrtkennzeichen vorgenommen werden, gelten abweichende Vor­ schriften (§ 9). Steuerschuldner ist derjenige, dem das Probefahrtkennzeichen zugeteilt ist. Die Steuer beträgt für eine Steuerkarte auf die Dauer eines Jahres für Probefahrtkennzeichen, die für Kraftfahrzeuge jeder Art gelten 300 RM für Probefahrtkennzeichen, die nur für Krafträder gelten.................. 60 RM Die Steuerkarte kann in diesen Fällen außer auf ein Jahr, ein Halbjahr oder ein Vierteljahr auch auf die Dauer von 4—15 Tagen ausgestellt werden; die Steuer beträgt für je einen Tag 1 RM. Hierzu kommt noch der Zuschlag für die Abgeltung der Vorausleistungen (vgl. oben II). Probesahrtkennzeichen, die amtlich anerkannten Sachverständigen zur Verwendung bei der tech­ nischen Prüfung von Kraftfahrzeugen zugeteilt werden, sind von der Steuer befreit. Die Steuer kann in viertel- oder halbjährlichen gleichen Tei­ len entrichtet werden, sofern die einzelnen Teil­ zahlungen den Betrag von 50 RM erreichen (§ 6 Abs. 3). Für Teilzahlungen sowie für Steuer­ karten auf ein Halbjahr oder ein Vierteljahr ist ein geringes Aufgeld zu entrichten (§ 6 Abs. 4). Der Führer eines Kraftfahrzeugs hat die Steuer­ karte oder die Bescheinigung über die Steuerfrei­ heit unterwegs stets bei sich zu führen (§ 12). Die Zulassungsbehörden dürfen bei der Zulassung eines Fahrzeugs oder dem "Übergang auf einen neuen Eigentümer die Zulassungsbescheinigung erst aushändigen, wenn den Vorschriften über die Entrichtung der K. genügt ist; die Abstempelung

Kraftwagenräume — Kraftloserklärung von Urkunden oder Ausgabe des Probefahrtkennzeichens darf nur gegen Vorlegung der Kraftfahrzeugsteuer- j karte erfolgen (§§ 6, 44 der V. über Krastfahrzeugverkehr vom 16. 3. 1918 (RGBl. 91). Falls eine neue Steuerkarte nicht rechtzeitig gelöst oder die Steuer nicht rechtzeitig entrichtet 'wird, hat die Zulassungsbehörde auf Antrag des FA. die Ablieferung oder Einziehung der Zu­ lassungsbescheinigung und die Vernichtung des Dienststempels auf dem Kennzeichen zu be­ wirken (§ 11 Abs. 2). Wird ein Kraftfahrzeug während der Gültigkeitsdauer der Steuerkarte außer Betrieb gestellt und, wenn es sich um zu­ gelassene Fahrzeuge handelt, bei der Zulassungs­ behörde abgemeldet, so kann gemäß §§ 13—15 Erstattung oder Erlaß der Steuer in dem dort bezeichneten Umfang beantragt werden. Für Kraftfahrzeuge, die aus dem Ausland zum vorübergehenden Aufenthalt in das Inland ge­ langen, gelten die Vorschriften in §§ 14—20 AusfV. Voraussetzung der Anwendung dieser Vorschriften ist, daß der Heimatstaat des aus­ ländischen Kraftfahrzeugs Gegenseitigkeit gewährt, was bis auf weiteres bei allen fremden Staaten angenommen wird. IV. Die durch das UmsatzsteuerG. vom 26. 7. 1918 eingeführte, wiederholt geänderte erhöhte Umsatzsteuer (Luxussteuer) auf den Verkauf von Kraftfahrzeugen ist mit dem 1. 4. 1926 weg­ gefallen. Wh. Kommentar von Wille-Wolfbauer, 1923, im Verlag von Spaeth und Linde; die Kraftfahrzeuggesetz ­ gebung, 1927, im Verlag von C. H. Beck; Mirre im Handbuch des Reichssteuerrechts von Strutz, 1927, S. 1024; Cleeves in Koppes Jahrbuch des Steuer­ rechts 1926 S. 459. Für die Besteuerung im Auslande nach dem Stande vom Frühjahr 1926 vgl. die Reichs­ tagsdrucksache Nr. 2156, 1926.

Kraftw agenräume. Die Zunahme des Kraft­ wagenverkehrs und das infolgedessen eingetretene Bedürfnis nach der Errichtung neuer Unterstell­ räume für Kraftwagen hat es erforderlich ge­ macht, die Vorschriften für den Bau von K. zu zu erleichtern und tunlichst für das ganze Land zu vereinheitlichen. Der MfV. hat daher am 27. 1. 1926 das Muster zu einer Polv. über den Bau von Anlagen zur Unterbringung von Kraft­ fahrzeugen herausgegeben, der von den RP. für ihre Bezirke als Regierungspolizeiverordnung er­ lassen ist. Vgl. hierzu VMBl. 154 und die Nach­ träge vom 26. 3. 1926 (VMBl. 373) und 21. 5. 1926 (VMBl. 814). Die Vorschriften machen Unterschiede für die Unterbringung von weniger als 20 Wagen, die überall selbst in Wohngebieten möglich ist, sofern die Kraftwagen lediglich dem Bedürfnis der Bewohner des Wohngebiets dienen und für die Unterbringung von mehr als 20Wagen. In Gebieten, die gegen Belästigungen durch Rauch, Geräusch usw. geschützt sind, dürfen 20 und mehr Wagen nur dann zugelassen werden, wenn die Fahrstraßen und Höfe des Grundstücks, auf dem die K. errichtet werden, überdacht sind. Diese Vorschriften waren zum Schutze der Bewohner solcher Gebiete geboten. Für K., in denen mehr als 100 Wagen untergebracht werden können, wird eine besondere Zu- und eine besondere Ab­ fahrt gefordert. Die K. als solche dürfen eine Größe von 100 qm nicht übersteigen. Bei größeren Anlagen hat Unterteilung zu erfolgen, bei Anlagen über 1000 qm sind durch Herstellung von Brand­

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mauern (s. d.) besondere Brandabschnitte einzu­ richten. Auf Grundstücken, die dem Garagen­ betrieb dienen, können Kraftwagen in einem Raum bis zu 1000 qm untergebracht werden. Zuständig zur Erteilung von Dispensen (s. d.) sind die RP., in Berlin der PolPräs., im Ruhr­ kohlenbezirk der Verbandspräsident in Essen (s. Siedlungsverband für den Nuhrkohlenbezirk III). Das Laufenlassen der Motore in den geschlossenen Garagen hat Gasvergiftungen zur Folge gehabt. Die vorgenannte Polv. ist daher durch Einfügung eines § 30a ergänzt wor­ den (RdErl. des MfV. vom 21. 4.1828, II8. 596). Uber die Beheizung von Kraftwagenräumen ist der RdErl. des MfV. vom 24.12.1927, II8.1914, ergangen (VMBl. 28, 106). F. W. F. Kraftloserklärung von Urkunden. I. Die K. v. U. erfolgt im Wege des Aufgebots. Aufgebot ist eine öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen oder Rechten mit der Wirkung, daß die Unterlassung der Anmeldung einen Rechtsnachteil zur Folge hat. Das Aufgebotsversahren gehört seiner rechtlichen Natur nach zwar zu dem Gebiet der freiwilligen Ge­ richtsbarkeit, da es nur beim Entstehen oder Untergang von Rechten mitwirkt, nicht aber eine Entscheidung über das Bestehen rechtlicher Be­ ziehungen oder deren Verwirklichung zum Ziele hat. Da das Verfahren aber in der ZPO. ge­ regelt ist, ist es kraft positivrechtlicher Vorschrift ein Teil der streitigen Gerichtsbarkeit. Zur Er­ gänzung der besonderen Vorschriften des IX. Bu­ ches der ZPO. sind daher die übrigen Vorschrif­ ten dieses G. und des GBG. heranzuziehen, nicht die des FGG. Diese Bestimmungen finden An­ wendung auf diejenigen Fälle, in denen die K. v. U. reichsrechtlich vorgesehen ist, z. B. im BGB. und HGB. In diesen Fällen ist nur ausnahms­ weise (in den §§ 1006, 1009, 1023, 1024 ZPO), ein Vorbehalt für landesrechtliche Regelung ge­ macht, im wesentlichen die Veröffentlichung des Aufgebots und des Ausschlußurteils betreffend. Im übrigen vgl. § 10 AGZPO. Reichs­ rechtlich ist die K. v. U. für folgende Urkunden zulässig: Wechsel im Sinne der WO. (Art. 73 WO.), Schecks (§ 27 ScheckG.), Schuldverschrei­ bungen auf den Inhaber, z. B. Lotterielose, so­ fern nicht in der Urkunde selbst das Gegenteil be­ stimmt ist (§ 799 BGB.), auch wenn sie vor dem 1. 1. 1900 ausgestellt sind (Art. 174 EGBGB.), Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuld­ briefe, letztere auch wenn sie auf den Inhaber lauten (§§ 1162, 1192, 1195, 1199 BGB.), Aktien und Jnterimsscheine (§ 228 HGB.; Art. 25 EGHGB.), kaufmännische Anweisungen und Verpslichtungsscheine über die Leistung von Geld, Wertpapieren oder anderen vertretbaren Sachen, die von einer Gegenleistung nicht abhängig ge­ macht ist, sofern die Urkunde an Order lautet (§§ 363, 365 HGB.), Konnossemente, Lade­ scheine, Lagerscheine der staatlich ermächtigten Anstalten, Bödmereibriefe und Transportver­ sicherungspolicen, wenn sie an Order lauten (§§ 363, 365, 642, 444, 424, 682 HGB.), Reichs­ schuldverschreibungen (§ 17 des G. vom 19. 3. 1900; wegen der Zuständigkeit vgl. JMBl. 18, 428 und 20, 410), Reichsbankanteilscheine (vgl. § 44 Zifs. 3 ReichsbankG. vom 30. 8. 1924, RGBl. II 235, und Satzung vom 11. 10. 1924,

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Krankenanstalten (Krankenhäuser, Heilanstalten)

Neichsanzeiger Nr. 243) und bei sog. qualifizierten Legitimationspapieren des § 888 BGB. (Preußen hat von dem in Art. 102 Abs. 2 EGBGB. vor­ behaltenen Rechte besonderer Regelung keinen Gebrauch gemacht). Hierher gehören z. B. Spar­ kassenbücher, Depotscheine, Pfandscheine, Ver­ sicherungspolicen usw. Ausgeschlossen ist das Auf­ gebotsverfahren bei Zins-, Renten- und Gewinn­ anteilscheinen, bei aus Sicht zahlbaren unverzins­ lichen Schuldverschreibung^Kassenscheine, Bank­ noten), Erneuerungsscheinen (Talons) und bei allen Rektapapieren, d. h. solchen, die einen namentlichbezeichnetenBerechtigtenanführen und nicht durch Indossament übertragbar sind (z. B. Schuldscheine). Für einzelne Urkunden läßt das BGB. eine Kraftloserklärung ohne Aufgebot zu, z. B. hinsichtlich der Vollmacht (§ 176), des Erb­ scheins (§ 2361), des Testamentsvollstreckerzeug­ nisses (§ 2368). II. Voraussetzung des Aufgebots ist, daß die Urkunde abhanden gekommen oder vernichtet ist. Zum Antrag berechtigt ist bei Papieren, die auf den Inhaber lauten oder durch Indossament über­ tragen werden können und mit einem Blanko­ indossament versehen sind, der bisherige Inhaber, bei anderen derjenige, der das Recht aus der Ur­ kunde geltend machen kann. Das zuständige Ge­ richt bestimmt sich nach § 1005 ZPO. Der An­ tragsteller hat den wesentlichen Inhalt der Ur­ kunde, wenn möglich durch eine Abschrift, anzu­ geben, den Verlust und seine Berechtigung glaub­ haft zu machen und sich zur Versicherung derWahrheit seiner Angaben an Eides Statt zu erbieten. Das Gericht erläßt dann das Aufgebot, d. h. eine Aufforderung an den unbekannten Inhaber der Urkunde, spätestens im Aufgebotstermin seine Rechte bei dem Gericht anzumelden und die Ur­ kunde vorzulegen, andernfalls die Urkunde für kraftlos erklärt werde. Das Aufgebot wird nach Maßgabe des § 1009 ZPO. öffentlich bekannt­ gemacht. Die Aufgebotsfrist ist für verschiedene Fälle besonders geregelt (§§ 1010—1014 ZPO.) und beträgt mindestens sechs Monate (§ 1015), für Schecks zwei Monate (§ 27 ScheckG.). Meldet sich der Inhaber vor dem Aufgebotstermin unter Vorlegung der Urkunde, dann teilt das Gericht dies dem Antragsteller mit und gestattet ihm die Einsicht der Urkunde binnen einer Frist. Das Aufgebotsversahren ist damit erledigt. Den Beteilig­ ten bleibt es dann überlassen, über das Recht an der Urkunde im Prozeßwege Klarheit zu schaffen. Andernfalls ergeht das Ausschlußurteil dahin, daß die Urkunde für kraftlos erklärt wird. Auch für die Bekanntmachung dieses Urteils sind besondere Vorschriften getroffen. Das Urteil hat die Wir­ kung, daß der Antragsteller dem aus der Urkunde Verpflichteten gegenüber berechtigt ist, die Rechte aus der Urkunde geltend zu machen. Leistungen des Schuldners auf Grund des Urteils bleiben auch im Falle der Aushebung desselben durch Anfech­ tungsklage Dritten gegenüber wirksam (§ 1018 ZPO.). Zur Sicherung des Antragstellers wäh­ rend des schwebenden Äufgebotsversahrens kann in gewissen Fällen eine Zahlungssperre erlassen werden. III. Nach Art. 11 EGZPO. können die LandesG. das Verfahren für solche Ausgebotssälle, die auf Landesrecht beruhen, abweichend regeln. Dies hat heute nur noch geringe Bedeutung, z. B.

für das Aufgebot in Hinterlegungssachen (s. Hinterlegung) von Kuxscheinen (§ 110 preuß. BergG. vom 24. 6. 1865, GS. 705; § 10 AGZPO.). Ferner ist auf Grund des Vorbehalts des Art. 101 EGBGB. durch Art. 18 § 9 AGBGB. vorgeschrieben, daß Schuldverschreibungen auf den Inhaber, die von einer preußischen Körper­ schaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechts ausgestellt sind, auch wenn sie auf den Namen umgeschrieben sind, im Falle des Ab­ handenkommens oder der Vernichtung im Wege des Aufgebotsverfahrens für kraftlos erklärt wer­ den können, wenn nicht das Gegenteil in der Ur­ kunde bestimmt ist. Ferner bestimmt auf Grund des Art. 174 Abs. 1 Satz 2 EGBGB. der Art. 18 § 10 AGBGB., daß unter den gleichen Voraus­ setzungen auch Schuldverschreibungen, die vor dem Inkrafttreten des BGB. ausgestellt oder auf den Namen umgeschrieben sind, aufgeboten werden können. Von dem Vorbehalt des Art. 102 EG­ BGB., die K. v. 11. im Sinne des § 807 BGB. (Karten, Marken, Theaterbilletts und ähnlichen Urkunden) zuzulassen, ist mangels Bedürfnisses kein Gebrauch gemacht. Bt. Krankenanstalten (Krankenhäuser, Heilanstal­ ten). I. Begriff. K. sind alle Anstalten, die dazu bestimmt sind, mit einer Krankheit, einem Gebrechen oder einem Leiden behafteten Per­ sonen behufs Behandlung oder Pflege Aufnahme zu gewähren. Unter Leidenden in diesem Sinne sind auch Kreißende und Wöchnerinnen zu ver­ stehen. Die K. sind entweder für Kranke aller Art oder nur für die an besonderen Krankheiten Leidenden bestimmt. Bei größeren K. der ersteren Gruppe sind jedoch in der Regel Abteilungen für verschiedene Krankheitsarten (chirurgische, innere, gynäkologische usw. Abt.) vorhanden. Besondere Jsolierabteilungen für an übertragbaren Krank­ heiten (s. d.) Leidende finden sich auch bei kleinen K. Als K. der zweiten Gruppe sind insbesondere zu nennen die Irren-, Blinden-, Taubstummen-, Entbindungsanstalten, Lungenheilstätten. Einige K. beschränken ihre Tätigkeit auf eine besondere Heilmethode (Kaltwasser-, Naturheilanstalten, Licht- und Sonnenbäder u. dgl.). Als Heilanstalten sind die K. zu bezeichnen, wenn sie nicht lediglich der Pflege unheilbarer Kranker gewidmet sind. — Polikliniken und Sprechzimmer des Heilpersonals sind nicht als K. anzusehen. Schwierigkeiten be­ reitet die Abgrenzung des Begriffs dort, wo eine fortgesetzte Behandlung des Kranken in besonde­ ren Räumen und mit besonderen Heilvorrichtungen (hydrotherapeutische, medikomechanische, FinsenBehandlung u. ä.) ohne Gewährung von Woh­ nung erfolgt. Das OVG. (31 S. 284, 288) er­ kennt eine Anstalt als K. nur an, wenn Betten für die Kranken vorhanden sind. Dem RG. genügt es, wenn die Räume der Anstalt den örtlichen Mittelpunkt bilden, zu dem die Kranken stets zu­ rückkehren, und woselbst ihre Lebensweise in Ver­ bindung mit der Heilmethode geregelt und über­ wacht wird (RGSt. 32, 255). Das KG. hält zwi­ schen beiden Auffassungen die Mitte, indem es verlangt, daß die Kranken in der Anstalt Unter­ kommen und Verpflegung für gewisse Dauer finden (KG. vom 12. 9. 1895, Reger 16, 229). Diese Entscheidungen betreffen jedoch alle nur den Begriff der K. im Sinne des § 30 GewO., sind daher nicht maßgebend für den Begriff der

Krankenhausfürsorge (soziale) — Krankenhilfe

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Heilanstalt im Sinne des § 6 Ziff. 3 des Krcis- tigte Personal (Haus- und Küchenmädchen, arztG. vom 16. 9. 1899 (GS. 172). Wäscherinnen, Büglerinnen, Pförtner, Heizer) er­ II. Einteilung. Man unterscheidet öffent­ faßt. Zu den K. gehören öffentliche und private liche und Privatkrankenanstalten. Öffentliche K. Krankenhäuser, Irrenanstalten, Entbindungsan­ sind solche, die von einer juristischen Person des stalten und Säuglingsheime mit Ausnahme der öffentlichen Rechts unterhalten werden und unter auf karitativer oder religiöser Grundlage be­ bestimmten Bedingungen jedermann Aufnahme ruhenden. Die Arbeitszeit darf in der Woche gewähren (RG. vom 22. 11. 1881, JMBl. 1882, einschließlich der Sonn- und Feiertage bis zu 315). Als solche juristische Personen des öffent­ 60 Stunden ausschließlich der Pausen betragen. lichen Rechts kommen in Betracht; der Staat, die Die tägliche Arbeitszeit soll in der Regel zehn Universitäten, die Provinzen, Kreise, Gemeinden Stunden nicht überschreiten und durch ange­ und Zweckverbände, die kirchlichen Korporationen, messene Pausen unterbrochen sein. nicht aber z. B. die RKn., da ihre K. nur für VI. Über die Gewährung der Krankenhaus­ ihre Mitglieder bestimmt sind (KGJ. 28 B 55). pflege durch Träger der Sozialversicherung s. Im Gegensatz zu diesem engen Begriff der öffent­ Krankenhilfe 4; Unfallversicherung III; lichen K. wird der Ausdruck vielfach für alle K. InvalidenversicherungIIIb; Angestellten­ gebraucht, die nicht dem privaten Erwerbs-, son­ versicherung VI 7; Reichsknappschafts­ dern dem öffentlichen Interesse dienen. So auch versicherung VII 1 b, VII 2 b. F. H. im § 24h des KAG. vom 15. 7. 1893 (GS. 152; Krankenhausfürsorge (soziale). Unter s. K. OVG. 44, 170). versteht man diejenige Wohlfahrtspflege (s. d.) III. Anlage und Betrieb. Die Unter­ oder Fürsorge, deren die in Krankenhäusern be­ nehmer gewerblicher Privatkrankenanstalten be­ findlichen Personen bedürfen. Sie wird vor allem dürfen der Konzession (§ 30 GewO.). Zuständig von den Trägern der freien Wohlfahrtspflege aus­ ist der BezA. (§ 115 ZG.; § 36 AusfAnw. z. geübt. Ihre Maßnahmen sind: Erteilung von GewO, vom 1. 6. 1904, HMBl. 123). Für die Ratschlägen, Hinweis auf gesetzliche, insbesondere Entscheidung sind die technischen Anordnungen die soziale Versicherung betreffende Vorschriften, maßgebend, die von den Medizinalaufsichts­ Abfassung und Absendung von Eingaben und An­ behörden innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassen trägen zur Wahrung der Belange der Erkrankten werden. Die Form der PolV. ist für diese An­ gegenüber Behörden und Versicherungsträgern, ordnungen unzulässig (OVG. 33, 340; 35, 344). Sorge für Unterkunft und Arbeit nach der Ent­ Uber die Zurücknahme der Konzession s. Ent­ lassung, nötigenfalls auch Geldunterstützung, so­ ziehung gewerblicher Genehmigungen. weit die öffentliche Fürsorge nicht eingreist, Anlage, Bau und Einrichtung nicht gewerblicher Sorge für die Familie, besonders unbeaufsich­ K. sind geregelt durch Polv. der OP. auf Grund tigte Kinder. v. G. des Erl. vom 30. 3. 1820 (VMM. 64), abg. durch KrankenhauSapotheke s. Dispensieranstal­ Erl. vom 23. 10. 1922 (VMM. 350) und vom ten. 12. 1. 1923 (VMM. 58), berichtigt durch Erl. vom Krankenhilse ist eine Pflichtleistung der KK. 26. 6. 1922 (VMM. 406). Ihr materieller In­ (s. Krankenversicherung III). Sie besteht aus halt ist durch die RP. als Anordnung im Sinne ärztlicher Behandlung, der Gewährung von freier des § 115 ZG. den BezA. mitgeteilt. — Uber die Arznei, Brillen, Bruchbändern und andern kleinen ärztliche Leitung der K. stellt der Erl. vom Heilmitteln, sowie aus der Zahlung von Kranken­ 12. 10. 1908 (MMM. 391) Grundsätze auf, auf geld. Die K. kann auch in einem Krankenhause deren Durchführung seitens der RP. hingewirkt gewährt werden; sie muß stets in Natur be­ werden soll. — Öffentliche K. sowie solche Privat­ reitgestellt werden (AN. 1914, 379). Eine Aus­ krankenanstalten, die als milde Stiftung aner­ nahme besteht insofern, als sich weiterversichern­ kannt sind, genießen Befreiung von der Stempel­ den Mitgliedern gegenüber, die sich weder im steuer (§ 5c StempStG., GS. 1924, 627) und Bezirke der Kasse noch im Bezirke des VA. auf­ von der Erbschaftssteuer (Befreiung 2g des halten, der Anspruch auf Krankenpflege durch Tarifs zum Erb StG.). Zahlung des halben Krankengeldes abgelöst wer­ IV. Aufsicht. Alle „Heilanstalten und ander­ den kann (§ 193 Abs. 3 RVO). Die KK. können weitigen Einrichtungen im Interesse des Gesund­ für die Ausstellung des Krankenscheins an heitswesens" unterliegen der Überwachung durch Kassenmitglieder oder deren Angehörige eine den Kreisarzt (§ 6 Ziff. 3 G. vom 16. 9. 1899, Gebühr bis zu 10 Pf. erheben, wenn es sich GS. 172). Uber die K. der Provinzialverbände nicht um einen Unfall oder um eine ansteckende oder des Johanniterordens soll der Kreisarzt die Krankheit handelt (§ 187b RVO.). Aufsicht nur auf besondere Anweisung ausüben 1. Ärztliche Behandlung. Sie wird durch (§ 100 der Dienstanw. f. d. Kreisärzte vom 1. 9. approbierte Arzte, bei Zahnkrankheiten durch 1909, MMM. 381). Die Aufsicht über Privat­ approbierte Zahnärzte gewährt. Die Hilfe­ heilanstalten steht der OPB. zu (Erl. vom 22.10. leistungen anderer Personen gehören nur dazu, 1913, MMM. 332). wenn der Arzt (Zahnarzt) sie anordnet oder wenn V. Arbeitszeit. Die Arbeitszeit des Pflege­ Gefahr im Verzug ist und ein Arzt nicht zugezogen personals in K., also derjenigen Personen, die auf werden kann. Nach näherer Bestimmung der Grund eines Arbeits- oder Lehrverhältnisses über­ obersten Verwaltungsbehörde können Hilfsperso­ wiegend pflegerische Arbeiten leisten oder Ar­ nen innerhalb ihrer staatlich anerkannten Befug­ beiten häuslicher oder sonstiger Art verrichten, nisse selbständig Hilfe leisten (§ 122 RVO.). Bei die unmittelbar der Versorgung der Kranken Zahnkrankheiten mit Ausschluß der Zahn- und dienen, ist durch B. vom 13. 2. 1924 (RGBl. Kieferkrankheiten kann die Behandlung mit Zu­ I 66) geregelt. Von der Regelung wird in ge­ stimmung des Versicherten auch durch einen Zahn­ meinnützigen Anstalten auch das sonst beschäf­ techniker gewährt werden. Der MfB. bestimmt,

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wieweit auch sonst Zahntechniker oder Heildiener und Heilgehilfen bei solchen Krankheiten dies tun können (§ 123 RVO.; Erl. vorn 2. 12. 1913, HMBl. 368, abgeändert durch Erl. vom 26. 3. 1919, HMBl. 133, vom 14. 10. 1920, VMBl. 369, und vom 19. 2. 1923, VMBl. 134). Die Kasse muß die ärztliche Hilfeleistung durch schriftlichen Vertrag mit den Ärzten sicherstellen (§368 RVO.), dabei soll, wenn nicht die Kasse dadurch ungebühr­ lich belastet wird, dem Versicherten die Auswahl mindestens unter zwei Ärzten freistehen (§ 369 RVO.). Zur Sicherung gleichmäßiger und an­ gemessener Vereinbarungen zwischen Kassen und Ärzten besteht beim RAM. ein aus Kassenver­ tretern, Ärzten und Unparteiischen zusammen­ gesetzter Neichsausschuß (s. d.). Bei der obersten Verwaltungsbehörde eines Landes kann ein Landesausschuß gebildet werden. Zur Herbeiführung angemessener Arztverträge besteht bei jedem VA. nach näherer Bestimmung des Reichsausschusses ein Vertragsausschuß (f. Best, vom 15.6.1925, VMBl. 22); die Kosten tragen die Arzte und die KK. (Erl. vom 9. u. 24. 5. 1925, VMBl. 208, 303). Für den Bezirk jedes OVA. besteht bei diesem ein Schiedsamt, das aus dem Vorsitzen­ den des OVA., zwei Unparteiischen und je zwei Vertretern der Kassen und Arzte zusammengesetzt ist. Das Schiedsamt ist zur Entscheidung bei Streit über die Bedingungen eines Arztvertrags berufen, ebenso zur Entscheidung von Streitig­ keiten aus abgeschlossenen Arztverträgen, soweit sich nicht die Parteien über ein besonderes Schieds­ gericht geeinigt haben. Gegen seine Entschei­ dungen ist binnen einem Monat die Berufung an das beim NVA. gebildete Reichsschiedsamt zulässig, sofern nicht nach § 368 Abs. 3 RVO. diese ausgeschlossen ist. Dieses besteht aus dem Präsidenten, einem Direktor oder einem Senats­ präsidenten des NVA. als Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern und je drei Vertretern der Spitzenverbände der Arzte und der KK. Der Geschäftsgang und das Ver­ fahren sowie die Tragung der Kosten bei dem Schiedsamte und Reichsschiedsamte regelt das NVA. (§ 368p RVO.; V. vom 8. 4. 1925, AN. 198, abgeändert durch V. vom 15. 5. und 27. 8. 1926, AN. 302, 416, und V. vom 17. 2. 1925, AN. 192, abgeändert durch V. vom 15. 5. und 27. 8. 1926, AN. 302, 416). S. a. §§ 368—368t RVO.; §§ 105—211 RKG. Die Kassen sind ver­ pflichtet, die ärztliche Behandlung in Natur zu ge­ währen und diese durch Vertrag mit Ärzten sicher­ zustellen (AN. 1914,379). Gelingt esderKassenicht, einen Arztvertrag zu angemessenen Bedingungen zustandezubringen oder verweigern die Arzte die Erfüllung des Vertrags und erscheint die ärztliche Versorgung der Kassenmitglieder ernstlich gefähr­ det, so kann der Kassenvorstand beschließen, statt der Sachleistung Barleistungen zu gewähren; das OVA. kann den Beschluß außer Kraft setzen, wo­ gegen die Beschwerde an den MfV. zugelassen ist (§§ 6ff. der B. vom 30.10.1923, RGBl. 11054). Genügt die ärztliche Behandlung nicht den An­ sprüchen der Versicherten, so kann das OVA. zwangsweise eine Vermehrung der Kassenärzte herbeiführen (§§ 372, 373 RVO.). Bei Kassen mit ausgedehntem Bezirke können Arztbezirke ein­ gerichtet werden (§§ 369a, 369b RVO.). Bei Umgehung der mit der Kasse in einem Vertrags­

verhältnisse stehenden Arzte kann die Kasse, von dringenden Fällen abgesehen, die Kostentragung ablehnen (§ 368 RVO.). Bei KK. mit weitaus­ gedehntem Bezirk kann die Kasse Kranken­ schwestern als Pflegepersonen und als Gehilfinnen der Ärzte anstesien (§ 185a RVO.; Richtlinien vom 10. 4. 1924, VMBl. 243). 2. Arzneien, Brillen, Bruchbänder und andere kleinere Heilmittel. Arzneien müssen ohne Rücksicht auf die Kosten gewährt werden. Der Vorstand kann wegen ihrer Lieferung, soweit sie nicht dem freien Verkehr überlassen sind, mit Apotheken Vereinbarungen treffen und die Be­ zahlung der aus anderen Apotheken bezogenen Arzneien ablehnen. Das Entsprechende gilt für den Bezug freiverkäuflicher Arzneien aus Drogen­ handlungen (§ 375 RVO.). Die Apotheken haben den Kassen einen vom MfV. festgesetzten Preis­ abschlag zu gewähren (s. Bek. vom 23. 12. 1924, VMBl. 1925, 33). Bei nicht genügender Arznei­ versorgung kann das OVA. die Vermehrung der Apotheken anordnen. Für einfache Arzneimittel, die im Handverkauf abgegeben zu werden pflegen, setzt der RP. (in Berlin der OP.) Höchstpreise fest (Bek. vom 23. 12. 1924, VMBl. 1925, 33). Die Bezahlung der zu diesen Höchstpreisen aus Apotheken bezogenen Handverkaufsartikel kann die Kasse nicht ablehnen, weil sie etwa mit anderen Lieferanten niedrigere Preise vereinbart hat. Die Versicherten haben von den Kosten für Arznei-, Heil- und Stärkungsmittel in allen Fällen 10% selbst zu tragen. Wird die Leistungsfähigkeit der Kasse durch die Kosten der Arzneilieferung ge­ fährdet, so kann der Kassenvorstand diesen Anteil auf 20% erhöhen. Doch muß diese Anordnung auf Verlangen der Mehrheit der Versichertenvertreter im Ausschuß zurückgenommen werden (§ 182a RVO.). Ist die Arzneiversorgung insolge des Verhaltens der Apothekenbesitzer ernstlich gefähr­ det, so kann der Kassenvorstand wie bei der ärzt­ lichen Versorgung Barleistungen gewähren (§ 375 RVO.). Als Mehrleistung können die Kassen noch andere als kleinere Heilmittel, insbesondere Krankenkost oder einen Zuschuß dafür gewähren. 3. Krankengeld, a) Anspruchsberechti­ gung. Anspruch auf Krankengeld hat in der Regel jeder arbeitsunfähig Erkrankte, d. h. jedes Kassenmitglied, das infolge Krankheit zur Ver­ richtung seiner Arbeit unfähig ist (Berussunfähigkeit). Jedoch haben Lehrlinge, die ohne Entgelt beschäftigt werden, keinen Anspruch auf Kranken­ geld. Bei unständig Beschäftigten (s. d.) kommt das Krankengeld in Wegfall, wenn sie im Laufe der letzten 26 Wochen vor der Erkrankung für mehr als acht Wochen oder bei kürzerer Mitglied­ schaft für mehr als ein Viertel der Versicherungs­ dauer mit ihrem Beitragsteil im Rückstand sind. Landwirtschaftliche Arbeiter, die für die Dauer eines Jahres Anspruch auf Sachleistungen in be­ stimmter Höhe haben, können aus Antrag des Arbeitgebers ohne Anspruch aus Krankengeld oder mit Anspruch auf ein niedrigeres Krankengeld versichert werden (s. Landwirtschaft, Versiche­ rung). Bestimmt der RR., daß vorübergehend Beschäftigte versicherungsfrei sind, so kann er für den Fall der freiwilligen Versicherung die Ge­ währung des Krankengeldes ausschließen. Das gleiche kann die Satzung mit Zustimmung des OVA. Gegenüber Personen, die der Kasse frei-

Krankenhilfe willig beigetreten sind, bestimmen (§ 215 NVO.). Durch die Satzung kann eine Minderung des Krankengeldes unter den gesetzlichen Regelbetrag oder sogar sein Fortfall herbeigeführt werden und zwar einmal gegenüber Mitgliedern, welche die Kasse durch eine strafbare, mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bestrafte Handlung ge­ schädigt haben, auf die Dauer eines Jahres nach der Straftat und sodann gegenüber Versicherten, welche sich eine Krankheit vorsätzlich oder durch schuldhafte Beteiligung an Schlägereien oder Raufhändeln zugezogen haben, für die Dauer der Krankheit (§ 192 NVO-). b) Höhe des Krankengeldes. Maßgebend für die Höhe des Krankengeldes ist der Grundlohn (s. d.). Die gesetzliche Höhe des Krankengeldes beträgt die Hälfte des Grundlohns (§ 182 Ziff. 2 RVO.). c) Kürzung des Krankengeldes bei Dop­ pelversicherung. Eine Kürzung des Kranken­ geldes tritt kraft G. in allen Fällen ein, in denen ein Versicherter Krankengeld aus einer anderen Versicherung erhält (Doppelversicherung), und zwar wird das Krankengeld insoweit gekürzt, daß das ganze Krankengeld des Mitgliedes den Betrag seines täglichen Arbeitsverdienstes nicht übersteigt. Die Satzung kann allerdings die Kürzung ganz oder teilweise ausschließen. Be­ stimmt die Satzung diese Kürzung des Kranken­ geldes, so kann sie zugleich die Mitglieder ver­ pflichten, dem Vorstand, wenn sie Krankengeld beanspruchen, bei Vermeidung einer Ordnungs­ strafe bis zum dreifachen Betrage des Kranken­ geldes, die Höhe der Bezüge mitzuteilen, die sie gleichzeitig aus einer anderen KV. erhalten (§§ 189, 190 RVO.). d) Bezugsdauer. Das Krankengeld wird für jeden Kalendertag gezahlt. Sein Bezug be­ ginnt am vierten Krankheitstage (Karenzzeit), wenn aber die Arbeitsunfähigkeit später eintritt, am Tage ihres Eintritts (§ 182 Ziff. 2 RVO-)Die gesetzliche Dauer des Krankengeldbezugs be­ trägt ausschließlich der Karenzzeit als Regel­ leistung 26 Wochen (§ 183 RVO.). e) Mehrleistungen. Als Mehrleistungen beim Krankengeld kommt zunächst die Befugnis der Satzung in Frage, das Krankengeld schon vom ersten Tage der Arbeitsunfähigkeit ab zuzubilligen bei Krankheiten, die länger als eine Woche dauern, zum Tode führen oder durch Betriebsunfall ver­ ursacht sind, sowie mit Zustimmung des OVA. bei anderen Krankheiten (§ 191 Abs. 2 RVO.; Fortfall der Karenzzeit). Ferner kann die Satzung das Krankengeld auf drei Viertel des Grundlohns erhöhen und mit Zustimmung des OVA. bis zu dieser Höchstgrenze für Verheiratete und Ledige sowie nach der Zahl der Kinder und der sonstigen Angehörigen, die der Versicherte bisher aus seinem Arbeitsverdienst unterhalten hat, abstufen und für alle oder für die niedrigeren Mitgliederklassen oder Lohnstufen Zuschläge zum Krankengeld in einem für alle gleich hohen oder, für die niedrigeren von ihnen, erhöhten Beträge bewilligen (§ 191 Abs. 1, 3 RVO.). 4. Krankenhauspflege. An Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes kann die Kasse Kur und Verpflegung in einem Kranken­ hause gewähren. Ein Rechtsanspruch auf Kranken­ hauspflege besteht für die Versicherten nicht. Hat

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der Kranke einen eigenen Haushalt oder ist er Mitglied des Haushalts seiner Familie, so bedarf es seiner Zustimmung, es sei denn, daß die Art der Krankheit eine Behandlung und Pflege ver­ langt, die in der Familie des Erkrankten nicht möglich ist, die Krankheit ansteckend ist, der Er­ krankte wiederholt gegen die Krankenordnung oder die Anordnungen des Arztes verstoßen hat oder sein Zustand oder Verhalten seine fort­ gesetzte Beobachtung erfordert. In schweren Fällen soll Krankenhauspflege gewährt und unter mehreren geeigneten Krankenhäusern dem Er­ krankten die Auswahl gelassen werden (§ 184 NVO.). Hat bie Kasse die ärztliche Behandlung durch Barleistungen abgelöst, so hat sie ein un­ beschränktes Recht auf Gewährung der Kranken­ hauspflege (§ 23 der B. vom 30. 10. 1923, RGBl. I 1054). Hat der Erkrankte bisher von seinem Arbeitsverdienste Angehörige ganz oder über­ wiegend unterhalten, so ist daneben für die An­ gehörigen ein Hausgeld im Betrage des halben Krankengeldes zu zahlen. Als Mehrleistung kann die Satzung das Hausgeld bis zum Betrage des gesetzlichen Krankengeldes erhöhen und Ver­ sicherten, für die kein Hausgeld zu zahlen ein Taschengeld zahlen (§ 194 RVO.). Wegen der Krankenhauspflege bei erweiterter Kranken­ pflege s. Landwirtschaft (Versicherung) und gegenüber Hausgehilfen (s. d.). 5. Hauspflege. Die Kasse kann mit Zustim­ mung des Versicherten Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pfleger namentlich auch dann gewähren, wenn die Aufnahme des Kranken in ein Krankenhaus geboten, aber nicht ausführbar ist, oder ein wich­ tiger Grund vorliegt, den Kranken in seinem Haushalt oder in seiner Familie zu belassen. Die Satzung kann gestatten, dafür bis zu einem Viertel des Krankengeldes abzuziehen (§ 185 RVO.). 6. Dauer der K. Die K. endet spätestens mit Ablauf der 26. Woche nach Beginn der Krankheit, wird jedoch Krankengeld erst von einem späteren Tage bezogen, nach diesem. Fällt in den Krankengeldbezug eine Zeit, in der nur Krankenpflege gewährt wird, so wird diese Zeit auf die Dauer des Krankengeldbezugs bis zu 13 Wochen nicht angerechnet. Ist Krankengeld über die 26. Woche nach Beginn der Krankheit hinauszuzahlen, so endet mit seinem Bezug auch der Anspruch auf Krankenpflege (§ 183 RVO.). Als Mehrleistung kann die Satzung die Dauer der Krankenhilse bis auf ein Jahr erweitern, auch kann sie anschließend an die K. Fürsorge für Genesende bis zur Dauer eines Jahres sowie die Gewährung von Hilfsmitteln gegen Ver­ unstaltung und Verkrüppelung, die nach beendigtem Heilverfahren zur Herstellung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit nötig sind, auch mit Zustimmung des OVA. Maßnahmen zur Verhütung von Erkrankungen einzelner Mitglieder vorsehen (§ 187 RVO.). 7. Ruhen und Abfindung des Anspruchs auf K. Der Anspruch aus K. ruht, solange der Berechtigte eine Freiheitsstrafe verbüßt oder sich in Untersuchungshaft befindet oder in einem Arbeitshause oder in einer Besserungsanstalt untergebracht ist. Ist der Versicherte durch Krank­ heit arbeitsunfähig geworden, und hat er von seinem Arbeitsverdienst bisher Angehörige ganz

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oder überwiegend unterhalten, so ist diesen das Hausgeld zu gewähren. Ferner ruht der Anspruch für Berechtigte, die sich nach Eintritt des Ver­ sicherungsfalls freiwillig ohne Zustimmung des Kassenvorstandes ins Ausland begeben, sowie für Ausländer, solange sie wegen Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Reichsgebiet oder aus dem gleichen Anlaß aus dem Gebiet eines Landes ausgewiesen sind, solange sie sich nicht in einem anderen Lande aufhalten (§ 216 RVO.). Gibt der Versicherte nach der Erkrankung mit Zustimmung des Kassenvorstandes seinen Auf­ enthalt im Inland auf, so kann er durch einmalige Zahlung abgesunden werden. Diese muß dem Werte der Kassenleistungen, auf die der Ver­ sicherte voraussichtlich Anspruch haben würde, entsprechen. Dabei sind für Krankenpflege drei Achtel des Grundlohns anzusetzen (§ 217 RVO.). 8. Krankenordnung. Der A. hat wegen Meldung und Überwachung der Kranken — dazu gehören die Wöchnerinnen nicht — eine Kranken­ ordnung zu erlassen, die der Genehmigung des VA. bedarf. Aus Beschwerde entscheidet das OVA. Reicht eine KK. trotz der Aufforderung des VA. in der gesetzten Frist keine Kranken­ ordnung ein, so stellt das OVA. (Beschluß­ kammer) diese rechtsverbindlich fest. Das gleiche gilt für angeordnete Ergänzungen oder Ände­ rungen (§ 347 RVO.). In der Krankenordnung kann den Kassenmitgliedern die Pflicht auserlegt werden, eine Geschlechtskrankheit sofort zu melden, bei Geschlechtskrankheiten den Vorladungen und Anordnungen der von der LBA. eingerichteten Beratungsstelle zu folgen und geschlechtskranke nicht versicherte Familienmitglieder zu melden und zur Befolgung der Vorladungen und Anord­ nungen der Beratungsstelle anzuhalten (AN. 1921, 180). Die Krankenordnung darf keine un­ gesetzlichen Bestimmungen enthalten (9M. 1916, 808), auch den Arzt nicht zur Einweisung in das Krankenhaus ermächtigen (AN, 1917, 389). Für Abgabe der Krankenordnung an die Mitglieder darf eine Gebühr nicht erhoben werden (AN. 1914, 378). Ordnungsstrafe bis zum dreifachen Betrage des täglichen Krankengeldes kann der Vorstand oder sein Vorsitzender (AN. 1916, 815) gegen Kassenmitglieder, nicht also gegen Familien­ angehörige (AN. 1914, 603), wegen Übertretung der Krankenordnung festsetzen. Andere Strafen dürfen nicht verhängt werden, insbesondere darf der Verlust der K. nicht vorgesehen werden (AN. 1914, 382). F. H. Krankenkassen. I. Allgemeines. Trägerder Versicherung sind nach der RVO. ausschließlich KK., die Gemeindekrankenversicherung ist fort­ gefallen. Daneben kommen für die Durchführung der Versicherung noch Ersatzkassen (s. d.) und Hausgehilfenkrankenkassen (s. Hausgehilfen) in Betracht. Die KK. zerfallen in Ortskranken­ kassen, Landkrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungkrankenkassen und die Seekrankenkasse als besondere Abteilung der Seekasse. Zu den OKK. gehören die AOKK. und die besonderen OKK.; die früheren Baukrankenkassen werden jetzt zu den BKK. gerechnet. Trotz der erheblichen Erweite­ rung des Kreises der versicherungspflichtigen Per­ sonen ist die Zahl der KK. erheblich zurück­ gegangen. Während im Jahre 1913 einschließ­ lich der Gemeindckrankenversicherung 21342 Ver­

sicherungsträger bestanden, betrug im Bahre 1925 die Zahl der KK. 7676, und zwar 2177 OKK., 4284 BKK., 778 IKK.; im ganzen waren 18261 Personen gegen Krankheit versichert, davon 12358000 in OKK., 3407000 in BKK-, 2058000 in LKK-, 443000 in IKK. Soweit die KK- den gesetzlichen Anforderungen entsprachen, sind sie bei Inkrafttreten der RVO. weiter zugelassen. In der Hauptsache sind aber neue KK. errichtet worden. Alle KK. haben Rechtsfähigkeit. II. Die einzeln en Art en der KK. 1. AOKK. sind die maßgebende Form der Träger der KV. Sie müssen überall bestehen. Soweit nicht bereits solche AOKK. unter der Herrschaft des KVG- ge­ bildet sind, sind sie entweder durch Beschluß des Gemeindeverbandes (Kreistagsbeschluß, Beschluß der städtischen Körperschaften oder Stadtverord­ netenversammlung, der Gemeindeversammlung oder Gemeindevertretung; Bek. vom 4. 11. 1912, HMBl. 545) errichtet worden (§ 231 RVO.), oder aus bestehenden OKK. ausgestaltet worden (Art. 15 EGRVO.). Der Kassenbezirk darf ohne Genehmigung des MsV. über den Bezirk des VA. nicht hinausgehen, er kann sich aus Teile des Be­ zirks des VA. beschränken (§ 226 RVO.). Der Mitgliederkreis besteht aus allen Versicherungs­ pflichtigen im Bezirke, die weder in den RKn. noch in eine besondere OKK., LKK., BKK. oder BKK. gehören. 2. LKK. können für die Versicherung der in der Landwirtschaft Befchästigten, der Hausgehilfen und der im Wandergewerbe Beschäftigten neben den AOKK. innerhalb des Bezirks eines VA. durch Beschluß des Gemeindeverbandes errichtet wer­ den. Bon der Errichtung einer LKK. kann ab­ gesehen werden, wenn das VA. das Bedürfnis verneint (§ 229 RVO.); sie muh unterbleiben, wenn die Landesgesetze die Errichtung von LKK. untersagen oder wenn die LKK. nicht mindestens 1000 Pflichtmitglieder zählt (§§ 227, 228 RVO.). Hat ein Bezirk keine LKK., so gehören die Land­ krankenkassenpflichtigen in die AOKK. Für die Zuständigkeit der LKK. ist gleichfalls der Be­ schäftigungsart maßgebend. 3. Besondere OKK. sind OKK. für Ge­ werbszweige, Betriebsarten oder Versicherte eines Geschlechts, die als OKK. unter Herrschaft des KVG. teils auch schon in vorgesetzlicher Zeit bestanden haben und durch Beschluß des BezA. zugelassen sind (Art. 17—21 EGRVO.). Sie haben einen örtlichen Bezirk, der aber die Gren­ zen des Bezirks des VA. nicht überschreiten darf. Die Zulassung ist an bestimmte Voraus­ setzungen gebunden (§ 240 RVO.). Neue be­ sondere OKK. dürfen nicht errichtet werden. Auch ihr Mitgliederkreis darf nicht erweitert werden. 4. BKK. sind für die Versicherung der in einem Betriebe beschäftigten Personen bestimmt. Für mehrere Betriebe, nicht aber für Teile eines Betriebs, darf ein Unternehmer eine BKK. er­ richten, doch bestehen auch solche gemeinsame BKK. für mehrere Betriebe verschiedener Unter­ nehmer aus vorgesetzlicher Zeit oder infolge Über­ gangs eines Betriebes in den Besitz eines anderen Unternehmers (AN. 1925, 175). Zur Errich­ tung einer neuen BKK. ist die Genehmigung des OVA. und die Zustimmung des Betriebs­ rats erforderlich. Die Entscheidung des OVA. kann mit Beschwerde angefochten werden (§§ 253,

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255 RVO.). Die Voraussetzungen für die Er­ richtung einer BKK. sind in § 248 RVO. auf­ geführt; außerdem müssen 150 Versicherungs­ pflichtige beschäftigt werden; für landwirtschaft­ liche Betriebe und für Binnenschiffahrtsbetriebe genügt die Beschäftigung von 50 Versicherungs­ pflichtigen (§ 245 RVO.), doch dürfen bis auf weiteres BKK. für landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr errichtet werden. Das gleiche gilt für Betriebe nicht öffentlich-rechtlicher Körperschaf­ ten, deren Beschäftigte am 17. 2. 1919 auf Grund des § 171 RVO. von der Versicherungspslicht befreit waren (Z 249a RVO.). Auch für Dienst­ betriebe des Reichs oder eines Landes können BKK. errichtet werden (§ 246 RVO.). Die beim Inkrafttreten der RVO. vorhandenen BKK. konn­ ten als solche durch das OVA. zugelassen wer­ den (Art. 17—20 EGRVO.); für diese genügte eine Mitgliederzahl von 100 Bersicherungspflichtigen, bei landwirtschaftlichen BKK. oder BKK. für Binnenschiffahrtsbetriebe eine solche von 50 Versicherten (§ 255 RVO.). Für Bauten mit einer größeren Anzahl von Arbeitern kann eine BKK. errichtet werden (§ 249 RVO.), bestehende Baukrankenkassen wurden nach Bestimmung des OBA. BKK. Mit der Änderung des Betriebs ändert sich der Kassenbezirk (RVA. vom 13. 5. 1921, Eum. 14, 63). Wird von dem Unternehmer ein selbständiger Betrieb hinzu erworben, so kann er für diesen eine BKK. oder für diesen und den bisherigen Betrieb eine gemeinsame BKK. errichten (AN. 1921, 317; 1924, 145). 5. IKK. Eine freie I. oder eine ZwJ. kann mit Zustimmung des OVA. für die Betriebe ihrer Mitglieder eine IKK. errichten, wenn den An­ forderungen des § 251 RVO. genügt ist. Auf die Mitgliederzahl kommt es nicht an. Bestehende IKK. konnten durch Beschluß des OVA. zuge­ lassen werden (§ 256 RVO.). Mitglieder der IKK. sind alle in Betrieben der Jnnungsmitglieder beschäftigten Personen, sofern sie nicht nach §§ 235, 236 RVO. landkrankenkassenpflichtig sind. Der Kassenbezirk wird durch den Umfang des Jnnungsbezirks bestimmt. 6. SeeKK. ist Trägerin für die KB. der See­ leute nach Maßgabe des G. über die KB. der Seeleute (s. d.). III. Änderungen im Bestände. Bei allen KK. können Änderungen durch Auflösung, Schließung, Vereinigung oder Ausscheidung vor­ genommen werden (§§ 264ff. RVO.). Die Än­ derungen im Bestände der IKK. vollziehen sich unabhängig von den Änderungen im Bestände der I. (§§ 276—279 RVO.). Die Voraus­ setzungen für die Auflösung, Schließung oder Ver­ einigung sind im Gesetz vorgeschrieben (§§ 264 bis 279 RVO.), während für die Ausscheidung nur die Fälle geregelt sind, in denen eine Aus­ einandersetzung, wie bei der Bereinigung, stattzusinden hat (§ 298 RVO.). Uber Änderungen beschließt das OVA. auf Antrag einer beteiligten KK., bei Orts- und LKK. auch des zuständigen Gemeindeverbandes, bei BKK. auch des Unter­ nehmers, bei IKK. auch der I. Der Antrag ist an das VA. zu richten. Die Schließung einer KK. wird vom VA. von Amts wegen in die Wege geleitet. Vor der Beschlußfassung des OBA. wird bei Bereinigung der KK. oder bei Aus­ scheidungen aus solchen durch das VA. eine Aus-

einandersetzung durchgeführt (§8280—298 RVO.). Bei Auflösung oder Schließung einer KK. weist das VA. die versicherungspflichtigen Mitglieder nach Anhören des Kassenvorstandes den zuständi­ gen KK. zu. Die freiwilligen Mitglieder können ihnen beitreten. Der Vorstand wickelt die Ge­ schäfte ab und regelt die Verwendung des Ver­ mögens. Bei Orts- und LKK. muß der Ge­ meindeverband für den Fehlbetrag zur Be­ friedigung der Kassenbeamten und Kassenange­ stellten eintreten. Bei einem Fehlbetrag der BKK. und BKK. muß der Unternehmer oder die I. eintreten (§§ 299—305 RVO.). IV. Mitgliedschaft. Die Versicherungspflichtigen gehören in die KK., die für den Betrieb in denen sie beschäftigt sind, oder für ihren Beschästigungsort zuständig ist. Versicherungsberech­ tigte dürfen der entsprechenden KK. beitreten. Die Mtgliedschaft Bersicherungspflichtiger be­ steht kraft Gesetzes ohne Rücksicht auf Beitrags­ zahlung und Anmeldung (s. Krankenversiche­ rung IV, VI). Die Mitgliedschaft richtet sich bei Beschäftigung durch mehrere Arbeitgeber nach der überwiegenden Beschäftigung; im Zweifel ist das zuerst begonnene Arbeitsverhältnis maß­ gebend. Für den Beginn der Mitgliedschaft ist der Tag des Eintritts in die Beschäftigung maß­ gebend. Bei der Errichtung von BKK. und IKK. beginnt die Mitgliedschaft mit dem Zeitpunkte, in dem die Kasse ins Leben tritt. Das Ent­ sprechende gilt bei Erweiterung des Bezirks dieser beiden Kassen und der besonderen OKK. Für Versicherungsberechtigte beginnt die Mit­ gliedschaft mit dem Tage des Beitritts. Dieses geschieht durch schriftliche oder mündliche Anmel­ dung beim Kassenvorstand oder bei der Melde­ stelle. Die Kasse kann Bersicherungsberechtigte ärztlich untersuchen lassen und den Beitritt Er­ krankter oder solcher, welche das vorgeschriebene ärztliche Zeugnis nicht beibringen, binnen einem Monat zurückweisen. Arbeitsunfähige bleiben Mit­ glieder, solange sie Leistungen zu beanspruchen haben (§ 311 RVO.). Niemand darf zwei KK. und der Reichsknappschaft angehören. Wegen der Weiterversicherung s. Krankenversiche­ rung II4 und wegen Erlöschens der freiwil­ ligen Versicherung Krankenversicherung II3c, 4 c. Durch Anmeldung und Zahlung der Beiträge während drei Monaten wird bei versicherungs­ pflichtigen Personen die formale Kassenmitgliedschast und damit die Leistungspflicht der KK. bis zur Überweisung an die zuständige KK. durch den Kassenvorstand (§§ 315, 316) begründet. V. Kassenorgane. 1. Allgemeines. Jede OKK., BKK. und IKK. besitzt als Organe einen Vorstand und einen Ausschuß, deren Befugnisse im Gesetz scharf abgegrenzt sind (§ 327 RVO.). Für die Wählbarkeit, das Wahlverfahren, die ehrenamtliche Tätigkeit und die Haftung der Mit­ glieder der Organe gelten die allgemeinen Vor­ schriften für Ehrenämter (s. Sozialversiche­ rung V). Sowohl im Ausschuß als auch im Vorstand haben die Vertreter der Versicherten zwei Drittel der Stimmen, während auf die Ver­ treter der Arbeitgeber nur ein Drittel entfällt. Bei IKK. kann durch die Satzung eine Hälftelung der Beiträge und des Stimmrechts herbeigeführt werden (§§ 341, 381 Abs. 2 RVO.). Dement­ sprechend bestimmt sich das Verhältnis der Ver-

Bitter, Handwörterbuch der preuß. Verwaltung, 3.2 ufl.

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treter (§§ 332, 335 RVO.). Die Sitzungen der Organe sind nicht öffentlich, der Vorsitzende gibt bei Stimmengleichheit den Ausschlag; er hat gesetz- und satzungswidrige Beschlüsse der Organe zu beanstanden (§§ 8, 9, 11 RVO.). 2. Zusammensetzung des Vorstandes. Die Mitglieder des Vorstandes werden bei allen KK. von den Mitgliedern des Ausschusses nach der Verhältniswahl auf die Dauer von fünf Jahren gewählt (§ 335 RVO.). Bei den BKK. nimmt der Unternehmer die Stimmen der Arbeitgeber wahr (§ 338 Abs. 3). Die Vorstandsmitglieder wählen in ungetrennter Wahlhandlung den Vor­ sitzenden sowie einen oder mehrere Stellvertreter (§ 328 RVO.). Bei den IKK. wird der Vor­ sitzende und sein Stellvertreter aus den Vor­ standsmitgliedern von der I. ernannt, während bei BKK. der Unternehmer kraft Gesetzes den Vorsitz wahrnimmt (§§ 338, 341 RVO.). Die Zahl der Vorstandsmitglieder ist in der Satzung zu regeln (§ 321 Zifs. 4 RVO.). 3. Zusammensetzung des Ausschusses. Die Mitglieder des Ausschusses werden von den Arbeitgebern und volljährigen Versicherten nach der Verhältniswahl auf die Dauer von fünf Jahren gewählt, wobei das Stimmrecht der ein­ zelnen Arbeitgeber nach der Zahl ihrer versiche­ rungspflichtigen Beschäftigten zu bemessen ist (§ 333 RVO.). Zwischen der Ausschreibung der Wahl und der Wahl selbst muß ein Zeitraum von mindestens einem Monat liegen (§ 334 RVO.). Zusammensetzung und Berufung des Ausschusses sowie die Art seiner Beschlußfassung regelt die Satzung, die auch über die Wahl des Vorsitzen­ den und seiner Stellvertreter das Nähere zu be­ stimmen hat (§ 321 Zisf. 5 RVO.). 4. Rechte und Pflichten des Vorstandes. Der Vorstand verwaltet die Kasse, soweit nicht das Gesetz bestimmte Aufgaben dem Ausschuß zu­ weist (§ 342 RVO.). Er hat die laufende Verwal­ tung wahrzunehmen und die Kasse gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 5 RVO.), ins­ besondere auch die für die Anstellung der für den Geschätsbetrieb der Kasse erforderlichen Personen zu sorgen (s. unter VI). Die Vertretung der Kasse kann durch die Satzung einem einzelnen Vor­ standsmitglied — in der Regel ist das der Vor­ sitzende — übertragen werden (§ 5 Abs. 3 RVO.). Der Vorstand kann in eiligen Fällen schriftlich abstimmen; er hat das Ergebnis jeder Wahl und jede Änderung in seiner Zusammensetzung dem VA. binnen einer Woche anzuzeigen (§§ 6, 7 RVO.). Den Gewerbeaufsichtsbeamten muß der Vorstand auf Verlangen über Zahl und Art der Erkrankungen Auskunft erteilen (§ 343 RVO.) und den Berufsgenossenschaften und LVA. Ein­ sicht in die Bücher und Listen gestatten, um Zahl, Beschäftigungszeit und Lohnhöhe ihrer Versicher­ ten zu ermitteln (§ 344 RVO.). 5. Rechte und Pflichten des Ausschusses. Der Ausschuß beschließt über alles, was nicht Ge­ setz, Satzung oder die Dienstordnung dem Vor­ stand zuweist. Ihm muß Vorbehalten bleiben, die Festsetzung des Voranschlags und die Abnahme der Jahresrechnung, die Vertretung der Kasse gegenüber Vorstandsmitgliedern, der Abschluß von Verträgen oder Vereinbarungen mit anderen Kassen, die Errichtung von Melde- und Zahl­

stellen, die Änderung der Satzung, die Beschluß­ fassung über Auslösung der Kasse oder ihre Ver­ einigung mit anderen Kassen. Bei Satzungs­ änderungen sowie bei Auflösung oder Bereini­ gung der Kasse ist getrennte Abstimmung der Gruppen der Arbeitgeber und Versicherten er­ forderlich (§ 345 RVO.). Bei Erwerb, Veräuße­ rung oder Belastung von Grundstücken wird die Kasse durch den Vorstand und Ausschuß gemein­ sam vertreten. Der Zustimmung des Ausschusses bedürfen die Vorstandsbeschlüsse über Errichtung von Krankenhäusern und Genesungsheimen (§ 346 RVO.). Der Ausschuß muß eine Kranken­ ordnung, in der Meldung und Überwachung der Kranken geregelt werden, erlassen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so stellt das OVA. die Krankenordnung rechtsverbindlich fest. Im übrigen bedarf die Krankenordnung der Geneh­ migung des VA., das auch Ergänzungen oder Änderungen anordnen kann. Wird den Anord­ nungen nicht entsprochen, so stellt das OVA. die notwendigen Änderungen oder Ergänzungen mit rechtsverbindlicher Kraft fest. Gegen den Be­ schluß des VA., durch den die Genehmigung zur Krankenordnung versagt wird, ist die Beschwerde an die Beschlußkammer des OVA. zugelassen, die endgültig entscheidet (§ 347 RVO.). 6. Aufsicht. Die Organe der KK. unterstehen der Aufsicht des VA. Bei Beitritt des Reichs oder der Länder kann der zuständige Minister Aufgaben des VA., die nicht der Spruchausschuft wahrzunehmen hat, anderen Behörden über­ tragen. Siehe wegen der BKK. der Bernstein­ werke in Königsberg und Palmnicken Erl. vom 3. 11. 1913 (HMBl. 597), wegen der BKK. der Post- und Telegraphenverwaltung Erl. vom 22. 6. 1913 (HMBl. 609), wegen der BKK. der Eisenbahnverwaltung Erl. vom 8. 1. und vom 12. 11. 1914 (HMBl. 25, 609), wegen der BKK. der Wasserbauverwaltung Erl. vom 14. 1. 1914 (HMBl. 46) und vom 17. 2. 1915 (HMBl. 74), wegen BKK. des Reichs Bek. vom 15. 9. 1922 (ZBl. 687) und wegen der BKK. der Heeres­ und Marineverwaltung Erl. vom 4. 9. und 13.12. 1919 (HMBl. 296, 342). Über die allgemeinen Gesichtspunkte, nach denen die Aussicht zu führen ist, s. Sozialversicherung VI. Soweit Wahlen nicht zustandekommen, beruft das VA. die Mit­ glieder oder Stellvertreter auf Grund der Vor­ schlagslisten (§ 166 RVO. in der Fassung des G. vom 8. 4. 1927, RGBl. I 95). Solange der Vor­ stand oder sein Vorsitzender oder der Ausschuß sich weigern, die ihnen obliegenden Geschäfte ausznführeu, nimmt sie das VA. selbst oder durch Beauftragte wahr (§ 379 RVO.). Das VA. kann auch in diesem Falle nach § 166 a. a. O. Ver­ treter aus Grund der Vorschlagslisten berufen. Bei BKK. kann das VA. Ansprüche der Kasse gegen den Arbeitgeber aus seiner Rechnungs­ und Kassenführung in Vertretung der Kasse geltend machen (§ 378 RVO.). VI. Kassenbeamteund Kassenangestellte. 1. Allgemeines. Im Gegensatz zum KBG. be­ handelt die RVO. die Rechtsverhältnisse der im Geschäftsbetriebe der OKK., LKK. und IKK. be­ schäftigten Personen eingehend. Dabei wird zwi­ schen Kassenangestellten, die unter die Dienst­ ordnung fallen, und solchen Kassenangestellten, für welche die Dienstordnung nicht gilt, unter-

Krankenkassen schieden. Zu den letztgenannten Personen ge­ hören Angestellte, die nur auf Probe, zu vorüber­ gehender Dienstleistung oder zur Vorbereitung oder ohne Entgelt nebenher beschäftigt werden, sofern nicht die Dienstordnung auf sie erstreckt ist. Auch wenn einzelne Bestimmungen der Dienst­ ordnung für sie gelten, hat der Vorstand bei der Anstellung und Entlassung freie Hand. Nicht unter die Dienstordnung fallen auch die Kassen­ beamten, d. h. diejenigen mit Zustimmung des OBA. auf Lebenszeit, nach Landesrecht unwider­ ruflich oder mit Anrecht auf Ruhegehalt angestell­ ten Personen, welchen durch die oberste Verwal­ tungsbehörde die Rechte und Pflichten der staat­ lichen oder gemeindlichen Beamten verliehen sind. Nachdem der obersten Verwaltungsbehörde diese Befugnis entzogen ist, hat die Einrichtung der Kassenbeamten keine erhebliche Bedeutung mehr. Im Besitz der Rechte und Pflichten sind zum Teil nur noch solche Kassenbeamten, welche vor dem 12. 2. 1919 die Rechte und Pflichten besessen haben und bis zum 9. 8. 1919 dem VA. gegen­ über die Erklärung abgegeben haben, in die Rechte und Pflichten wieder eintreten zu wollen. Außer­ dem werden die Rechte und Pflichten auf Antrag der Angestellten verliehen, welche vor dem 12. 2. 1919 aus dem Staats- oder Gemeindedienst mit der Zusicherung übernommen worden sind, daß ihnen nach Ablauf einer bestimmten Zeit oder nach Eintritt bestimmter Voraussetzungen die Rechte und Pflichten verliehen werden sollten (§§ 9—11 der V. vom 5. 2. 1919, RGBl. 181, und §§ 8—10 des G. vom 28. 6. 1919, RG­ Bl. 615). Kassenangestellte dürfen nicht Mit­ glieder des Vorstands sein (§ 26 Abs. 4 RVO.). Zur Regelung der Rechte und Pflichten der Kassenbeamten dient ein vom OVA. erlassenes Regulativ (Erl. vom 18. 2. und 1. 4. 1914, HMBl. 79, 181). 2. Anstellung und Entlassung. Alle aus Mitteln der Kasse bezahlten Stellen werden mit Zweidrittelmehrheit vom Vorstand besetzt. Kommt ein solcher Beschluß nicht zustande, so bestellt das VA. widerruflich auf Kosten der Kasse die für die Geschäfte der Stelle erforderlichen Personen. Die Anstellung erfolgt durch schriftlichen Vertrag (88 349, 350, 354 RVO.). Nach zehnjähriger Dienstzeit darf die Entlassung nur aus einem wichtigen Grund ausgesprochen werden. Kün­ digung oder Entlassung darf für Fälle nicht aus­ geschlossen werden, in denen ein wichtiger Grund vorliegt. Im übrigen müssen mindestens die Grundsätze des BGB. über Kündigung maß­ gebend bleiben (§ 354 Abs. 2—4 RVO.). Ange­ stellte, die ihre dienstliche Stellung oder ihre Dienstgeschäfte zu einer religiösen oder politischen Betätigung mißbrauchen, hat der Vorsitzende des Vorstandes zu verwarnen und bei Wiederholung sofort zu entlassen. Macht der Vorstand, obgleich ein wichtiger Grund vorliegt, von seinem Kündigungs- obe: Entlassungsrecht keinen Gebrauch, so kann das VA. ihn dazu anhalten (§ 354 Abs. 6 RVO.). 3. Notwendiger Inhalt der Dienstord­ nung. Jede OKK., LKK. oder IKK. muß eine Dienstordnung haben, in der die Rechts- und die allgemeinen Dienstverhältnisse der Angestellten, insbesondere der Nachweis ihrer fachlichen Be­ fähigung, ihre Zahl, die Art der Anstellung, die

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Kündigung oder Entlassung und die Festsetzung von Strafen, die nicht mehr als ein einmonatiges Diensteinkommen ausmachen dürfen, geregelt wird (§ 351 RVO.). Außerdem muß die Dienst­ ordnung einen Besoldungsplan enthalten und dabei regeln, wieweit bei unverschuldeter Ar­ beitsbehinderung das Gehalt fortgezahlt wird, in welchen Fristen Dienstalterszulagen gewährt wer­ den und unter welchen Bedingungen Beförde­ rungen stattfinden sowie Anstellung auf Lebens­ zeit oder nach Landesrecht unwiderruflich erfolgt und Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge ge­ währt wird (§ 353 RVO.). S. Musterdienst­ ordnung, mitgeteilt durch Erl. vom 1. 12. 1913 (HMBl. 624), abgeändert durch Erl. vom 21. 11. 1927 (VMBl. 1115). Beschlüsse des Vorstandes, die gegen die Dienstordnung verstoßen, hat der Vorsitzende zu beanstanden. Abweichende Be­ stimmungen des Anstellungsvertrags sind nichtig (§ 357 RVO.). 4. Erlaß der Dienstordnung. Bor der Auf­ stellung müssen die volljährigen Angestellten ge­ hört werden. Die vom Vorstand beschlossene Dienstordnung bedarf der Genehmigung des OBA.; diese darf nur versagt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, insbesondere, wenn Zahl oder Besoldung der Angestellten im auffälligen Mißverhältnis zu ihren Aufgaben stehen. Auf Beschwerde entscheidet die oberste Verwaltungs­ behörde. Reicht eine Kasse trotz Aufforderung keine Dienstordnung ein, so stellt das OBA. die Dienstordnung rechtsverbindlich fest. Das gleiche gilt für Änderungen und Ergänzungen (§§ 355, 356 RVO.). Durch fcic B. über Tarifverträge vom 23. 12. 1918 (RGBl. 1456), abg. durch B. vom 31. 5. 1920 (RGBl. 1128) und vom 23.1.1923 (RGBl. 167) sind die Vorschriften der RVO. über die Erteilung der Genehmigung der Dienstordnungen nicht aufgehoben. Tarifverträge (s. d.) sind daher für Kassenangestellte und KK. nur verbindlich, wenn ihre Bestimmungen in den Besoldungsplan der Dienstordnung ausgenommen sind. 5. Streitigkeiten. In Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis der Angestellten, die der Dienst­ ordnung unterstehen, entscheidet das VA. und auf Beschwerde das OVA. endgültig. Bei ver­ mögensrechtlichen Streitigkeiten muß der Klage im ordentlichen Rechtsweg eine endgültige Ent­ scheidung des OVA. vorangehen. Die Klage kann nur binnen einem Monat nach der Zustel­ lung der Entscheidung des OVA. erhoben werden. Bei Festsetzung von Geldstrafen ist der Rechts­ weg ausgeschlossen. Die ordentlichen Gerichte sind an die Entscheidungen der Versicherungsbehörden darüber, ob unter Einhaltung der Kündigungs­ frist aus einem wichtigen Grunde gekündigt wer­ den darf, gebunden (§ 358 RVO.). Soweit Kassenbeamte im Besitz der Rechte und Pflichten gemeindlicher Beamten sind, muß nach § 7 des KommunalbeamtenG. vom 30. 7.1899 (GS. 141) der Klage im ordentlichen Rechtswege gegen die KK. die Entscheidung des KrA. oder BezA. voran­ gehen (RGZ. 99, 265). Für Streitigkeiten zwi­ schen Kassen und Angestellten, die nicht der Dienst­ ordnung unterstehen, sind die ordentlichen Ge­ richte zuständig, bei Kassenbeamten, denen die Rechte und Pflichten der staatlichen oder gemeind­ lichen Beamten verliehen sind, aber nur nach Maß-

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Krankenpflegepersonen (Krankenpfleger, Krankenpflegerinnen)

gäbe der für solche Beamte geltenden landesgesetz­ lichen Vorschriften. 6. Geschäftsleiter. Beamte oder Angestellte, die als Geschäftsleiter Verwendung finden, haften der Kasse für getreue Geschäftsführung wie Vor­ münder ihren Mündeln. Die Kasse kann auf An­ sprüche aus der Haftung nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde verzichten. Diese kann die Haftung an Stelle und auf Kosten der Kasse gel­ tend machen (§ 61 RVO-). 7. BKK. Die im Geschäftsbetriebe der BKK. tätigen Personen einschließlich der Kranken­ besucher sind Angestellte des Unternehmers, so daß sich ihre Rechte und Pflichten nach den aus Grund des HGB. abgeschlossenen Verträgen rich­ ten. Sie müssen, wenn sie ihre Dienstgeschäfte zu einer politischen oder religiösen Betätigung mißbrauchen, nach vorheriger Warnung entlassen werden. Werden von einem Angestellten Tat­ sachen bekannt, die seine Vertrauenswürdigkeit für die Geschäftsführung ausschließen, so hat ihn das VA. seines Amtes durch Beschluß zu ent­ heben (§ 362 RBO.). 8. Aufsicht. Die Beamten und Angestellten unterstehen der Aufsicht des Vorstandes. Dem VA. haben sie auf Verlangen alle Bücher, Rech­ nungen, Belege und Verhandlungen sowie die von ihnen verwahrten Urkunden, Wertpapiere und Bestände vorzulegen und alles mitzuteilen, was zur Ausübung des Aufsichtsrechts gefordert wird. Die Aufsichtsbehörde kann sie hierzu durch Geldstrafen bis zu 1000 RM anhalten. 9. Sozialversicherung. Die Beamten und Angestellten der KK. unterliegen der Versicherungspflicht wie alle gegen Entgelt Beschäftigte, doch sind sie unter bestimmten Voraussetzungen, wie Beamte (s. d.) des Reichs, der Länder usw., von der Bersicherungspflicht befreit. VII. Satzung. 1. Allgemeines. Für jede KK. muß, bevor sie ins Leben tritt, eine Satzung errichtet werden, und gwar für LKK. und OKK. vom Gemeindeverband nach Anhören beteiligter Arbeitgeber und Versicherter, für BKK. von dem Arbeitgeber nach Anhören von Beschäftigten und des Betriebsrats, für IKK. von der Innungs­ versammlung unter Beteiligung des Gesellen­ ausschusses. Für Kassen, die nicht rechtzeitig er­ richtet werden, errichtet das VA. die Satzung (§ 320 RVO.). 2. Notwendiger Inhalt der Satzung. Die Satzung muß den Bezirk der Kasse sowie den Kreis ihrer Mitglieder angeben und über Namen und Sitz der Kasse, Art und Umfang der Leistun­ gen, Höhe der Beiträge und Zahlungszeit, Zu­ sammensetzung, Rechte und Pflichten des Vor­ standes, Zusammensetzung und Berufung des Aus­ schusses und Art seiner Beschlußfassung sowie seine Vertretung nach außen, Aufstellung des Vor­ anschlags, Aufstellung und Abnahme der Jahres­ rechnung, Höhe der Vergütung für Mitglieder der Organe, Art der Bekanntmachungen, Ände­ rung der Satzung und, außer bei BKK., über Meldestellen Bestimmung treffen. Sie darf nichts enthalten, was gesetzlichen Vorschriften zu­ widerläuft oder nicht im Zwecke der Kasse liegt (§§ 321—323 RVÖ.). 3. Genehmigung, Zustimmung. Die Sat­ zung und ihre Änderungen bedürfen der Geneh­ migung des OVA. Die Genehmigung darf durch

die Beschlußkammer nur dann versagt werden, wenn die Satzung den gesetzlichen Vorschriften nicht genügt. Einzelne Bestimmungen der Satzung bedürfen nach besonderer gesetzlicher Vorschrift der Zustimmung des OVA., die nach freiem Ermessen erteilt wird, aber gleichfalls nur durch die Beschlußkammer versagt werden darf. Die Versagung der Genehmigung kann mit der Beschwerde beim NVA. angefochten werden, die Versagung der Zustimmung ist endgültig (§ 324 RVO.). 4. Zwangsweise Änderung. Ergibt sich nachträglich, daß die Genehmigung zu Unrecht er­ teilt worden ist, so ordnet die Beschlußkammer des OVA. die erforderliche Änderung an. Beschließt der Ausschuß nicht binnen einem Monat ent­ sprechend, so vollzieht das OVA. (Beschluß­ kammer) die angeordnete Änderung rechtsver­ bindlich (§ 32 RBO.). 5. Aushändigung. Jedes Mitglied erhält unentgeltlich einen Auszug aus der Satzung, der die Bestimmungen über Mitgliedschaft, Leistungen und Beiträge nebst Krankenordnung enthält. Ebenso erhalten diesen Auszug auf Antrag Ar­ beitgeber, die Kassenmitglieder beschäftigen. Ver­ sicherte und Arbeitgeber können die Satzung in den Geschäftsräumen während der Geschäfts­ stunden der Kasse einsehen (§ 325 RVO.). F. H. Krantenpflegepersonen (Krankenpfleger, Krankenpflegerinnen) sind Heildiener (s. d.). Die gewerbsmäßige Ausübung der Krankenpflege steht daher jedermann frei (§ 1 GewO.). Aus Grund eines Beschlusses des BR. vom 22. 3.1906 haben alle Länder Vorschriften über die staatliche Prüfung von K. erlassen, nach denen den mit Erfolg Geprüften ein Ausweis über die staatliche Anerkennung als K. erteilt wird. Mißbräuchliche Führung der Bezeichnung als „geprüfte" oder „staatlich anerkannte" K. fällt unter den Begriff des unlauteren Wettbewerbs im Sinne des G. vom 7. 6. 1909 (RGBl. 499) und würde sowohl im bürgerlichen Rechtswege verhindert werden können (§3), als auch der Bestrafung unterliegen (§ 4). Sie kann auch polizeilich verhindert wer­ den. S. die Prüfungsvorschriften vom 19. 7.1921 (VMBl. 394), ergänzt am 25. 11. 1923 (VMBl. 517), und vom 28. 2. 1925 (VMBl. 92). Vor­ bedingung für die Zulassung zur Prüfung ist neben Unbescholtenheit und körperlicher und geistiger Tauglichkeit eine zweijährige erfolgreiche Teilnahme an einem Lehrgänge in einer staat­ lichen oder staatlich anerkannten Krankenpflege­ schule (§ 2). Dem Unterricht liegt ein amtliches Krankenpflegelehrbuch zugrunde (vgl. Erl. vom 10.4.1909, MMBl. 193; s. a. Erl. vom 10.5.1913, MMBl. 173). Die Prüfung zerfällt in einen mündlichen und einen praktischen Teil (§§ 11—14). Sanitätsunteroffiziere und Sanitätsbeamte der Schutzpolizei mit mehr als fünfjähriger Dienst­ zeit im Sanitätskorps sowie Personen, die schon vor Erlaß der Prüsungsvorschriften einen Kranken­ pflegekursus durchgemacht haben und durch vor­ schriftsmäßige Zeugnisse nachweisen, daß sie min­ destens fünf Jahre in befriedigender Weise Krankenpflege ausgeübt haben, können die staat­ liche Anerkennung auch ohne Prüfung erhalten (§§ 20, 21). Zuständig für die Anerkennung ist der RP. Die Zurücknahme der Anerkennung ist für den Fall Vorbehalten, daß Tatsachen bekannt

Krankenversicherung werden, die den Mangel der zur Ausübung des Krankenpflegerberufs erforderlichen Eigenschaften dartun, oder daß die K. den staatlichen Vor­ schriften beharrlich zuwiderhandelt.—ZurZeitsind in Preußen 281 Krankenpflegeschulen vorhanden. S. Verzeichnis in VMBl. 1927,103. Über die Ar­ beitszeit in Krankenpflegeanstalten L d. Bsch. Krankenversicherung. I. Allgemeines. Die K- ist der älteste Teil der Arbeiterversicherung (s. d.). Sie wurde durch das G., betr. die K. der Arbeiter, vom 15. 6. 1883 (RGBl. 53) eingeführt, das im Laufe der Jahre durch das G. über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung vom 28. 5. 1885 (RGBl. 159), das G. über die Abänderung des G., betr. die K. der Arbeiter, vom 10. 4. 1892 (Krankenversicherungsgesetz) — RGBl. 379 —, das G., betr. die Abänderung der GewO., vom 26. 7. 1897 (RGBl. 663), das G., betr. die Abänderung des KrankenversicherungsG. vom 30. 6. 1900 (RGBl. 332) und durch G., betr. weitere Abänderungen des KrankenversicherungsG., vom 25. 5. 1903 (RGBl. 233) geändert wurde, um schließlich das zweite Buch der RVO. (s. d.) zu bilden. Besonders bemerkens­ wert ist die ständige Erweiterung des Kreises der versicherungspslichtigen Personen. Während ur­ sprünglich und unter Geltung des KrankenversicherungsG. der Bersicherungszwang auf die in be­ stimmten Betrieben oder Berufszweigen beschätigten Personen beschränkt war, erstreckt sich nach der RVO. die Versicherungspflicht, von Aus­ nahmen abgesehen, aus alle gegen Entgelt be­ schäftigten Personen. Dabei liegt eine Beschäf­ tigung nur vor, wenn der Arbeitgeber die Ver­ fügungsgewalt über die Arbeitskraft des Be­ schäftigten hat (AN. 1915, 371; 1917, 516). Grundsätzlich geändert ist auch die Organisation der K., indem der Grundsatz der allgemeinen Ortskrankenkasse und Landkrankenkasse an die Stelle der Ortskrankenkasse nach Gewerbszweigen und Betriebsarten eingeführt und die Gemeinde­ krankenversicherung abgeschasst wurde. Inzwischen sind in der Kriegszeit und in der Nachkriegszeit zahllose Änderungen vorgenommen, die aber an den Grundlagen der K. nichts geändert haben. Auch jetzt sind die Ergänzungen über eine andere Gestaltung der K. noch nicht abgeschlossen. Be­ sonderheiten weist die Regelung der K. für Haus­ gehilfen (s. d.), für die im Wandergewerbe be­ schäftigten Personen (s. Gewerbebetrieb im Umherziehen IX), für die in der Landwirt­ schaft (s. d.) beschäftigten Personen, für unständig Beschäftigte (s. d.), für die im Hausgewerbe (s. Hausgewerbetreibende III) beschäftigten Per­ sonen, für Seeleute (§ 163 Abs. 2 RVO.) und für Lehrlinge auf. II. Umfang der Versicherung. 1. Versiche­ rungspflicht besteht kraft Gesetzes ohne Rücksicht auf die Zahlung von Beiträgen und aus die Mel­ dung. Sie erstreckt sich grundsätzlich nur aus Per­ sonen, die gegen Entgelt beschäftigt sind, und zwar ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsverdienstes, auf Arbeiter (s. d.), Gehilfen (s. d.), Gesellen (s. d.), Lehrlinge aller Art (s. d.), Hausgehilfen (s. d.), die Schiffsbesatzung deutscher Seefahrzeuge und die Besatzung von Fahrzeugen der Binnenschiff­ fahrt. Für Schiffer und für die übrigen gegen Entgelt Beschäftigten endet die Versiche­ rungspflicht bei einem Jahresarbeitsverdienst

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von 3600 RM (G. vom 16. 7. 1927, RGBl. 1187). Zu diesen übrigen Beschäftigten gehören Be­ triebsbeamte, Werkmeister und andere Ange­ stellte in ähnlich gehobener Stellung, alle, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, Handlungsgehilfen und -lehrlinge, Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken, Bühnenmitglieder und Musiker ohne Rücksicht aus den Kunstwert ihrer Leistungen, Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Einnahmen bildet, sowie Lehrer und Erzieher. Hausgewerbe­ treibende (s. d.) sind bis zu einem jährlichen Ein­ kommen von 3600 RM (G. vom 16.5.1927 (RGBl. I S. 187 ff.) versicherungspflichtig. Wer die maßge­ bende Verdienst- oder Einkommensgrenze über­ schreitet, scheidet erst mit dem ersten Tage des vierten Monats aus der Bersicherungspflicht aus. Lehrlinge sind versicherungspflichtig, auch wenn sie ohne Entgelt beschäftigt werden (§§ 165, 165b RVO.). 2. Ausnahmen von der Versicherungs­ pflicht bestehen entweder kraft G., auf Beschluß der Reichsregierung, auf Antrag des Arbeit­ gebers oder auf Antrag des Versicherten. a) Kraft G. sind befreit: Beamte, Arzte und Zahnärzte in Betrieben oder im Dienste des Reichs, der Reichsbahngesellschaft (s. d.), eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Ge­ meinde oder eines Versicherungsträgers, wenn ihnen gegen ihre Arbeitgeber ein Anspruch mindestens entweder auf Krankenhilfe in Höhe und Dauer der Regelleistungen der KK. oder für die gleiche Dauer auf Gehalt, Ruhegeld, Warte­ geld oder ähnliche Bezüge im eineinhalbfachen Betrage des Krankengeldes gewährleistet ist. Das gleiche gilt für die in den fraglichen Betrieben oder Diensten Beschäftigten, die auf Lebenszeit oder auf Landesrecht unwiderruflich oder mit Anrecht auf Ruhegehalt angestellt sind, einschließ­ lich der Arzte und Zahnärzte sowie für Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder An­ stalten und ferner für Angehörige der Schutz­ polizei (§ 169 RVO.). Durch übereinstimmende Erl. der Minister — s. z. B. Erl. des FM. vom 9. 7. 1920 (I 14608) und vom 16. 7. 1921 (IE 619) — sind alle Beamte und alle auf Lebens­ zeit mit Anspruch auf Ruhegehalt angestellten, nicht beamteten Personen für versicherungsfrei erklärt. Beamte des Reichs, der Reichsbahngesellschaft, der Länder, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder eines Versicherungsträgers, Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schicken und Anstalten, solange sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden (§ 172 Ziss. 1 RVO.); die Schiffsbesatzung deutscher Seesahrzeuge, soweit sie nach dem HGB. oder nach der Seemanns­ ordnung gegen den Reeder einen Anspruch auf Krankenhilse hat (§ 165 Abs. 1 Ziff. 7 RVO.); Personen des Soldatenstandes, d. s. die frei­ willigen Soldaten der Reichswehr, die eine Tätig­ keit gegenEntgelt imDienste ausüben oder bei einer Zivilbehörde oder bei einem Versicherungsträger außerdienstlich als Bersorgungsanwärter probe­ weise beschäftigt werden (§ 172 Ziff. 2 RVO.); Angehörige der Schutzpolizei, die eine Tätigkeit gegen Entgelt im Dienste der Polizei oder wäh­ rend der Vorbereitung zu einer solchen Beschäf-

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tigung ausüben, welche zu einer Anstellung auf Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich mit Anspruch auf Ruhegehalt führt (§ 172 Ziff. 2a RBO.); Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schulschwestern und ähnliche Per­ sonen, wenn sie sich aus religiösen oder sittlichen Gründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten befassen und als Entgelt nicht mehr als freien Unterhalt oder ein geringes Entgelt beziehen, das nur zur Be­ schaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Verpflegung, Kleidung u. dgl. aus­ reicht (§ 172 Ziff. 4 RBO.); Personen, die zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für ihren zu­ künftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind (§ 172 Ziff. 3 RBO.). b) Durch Beschluß der Reichsregierung mit Zustimmung des RR. (früher durch Beschluß des BR.) können vorübergehende Dienstleistungen für versicherungsfrei erklärt werden (§ 168 RVO.). Das ist geschehen durch Bek. vom 17. 11. 1913 (RGBl. 756) hinsichtlich von Dienstleistungen, wenn sie von Personen, die überhaupt keine Be­ rufsarbeiten verrichten, nur gelegentlich aus­ geführt werden und auf weniger als eine Woche entweder der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegen oder im voraus durch den Arbeits­ vertrag beschränkt sind, oder wenn sie von Per­ sonen, die sonst keine berufsmäßige Lohnarbeit verrichten, zwar in regelmäßiger Wiederkehr, aber nur nebenher gegen ein geringfügiges Entgelt ausgeführt werden oder wenn sie von Berufs­ arbeitern während des Bestehens eines versiche­ rungspflichtigen oder versicherungsfreien Arbeits­ verhältnisses zu einem bestimmten Arbeitgeber für andere Arbeitgeber nebenher ausgesührt wer­ den, oder wenn sie von Personen, die sonst keine berufsmäßige Lohnarbeit verrichten, während vorübergehender Arbeitslosigkeit nur gelegentlich, insbesondere zur Aushilfe ausgesührt werden und auf höchstens drei Arbeitstage nach der Natur der Sache oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt sind. Versicherungsfrei sind als vor­ übergehende Dienstleistungen ferner Hilfeleistun­ gen bei Unglückssällen, Verkehrsstörungen, Ver­ heerungen durch Naturereignisse usw., sofern sie voraussichtlich höchstens drei Arbeitstage dauern, Dienstleistungen der Bediensteten ausländischer Eisenbahnverwaltungen und ausländischer Be­ triebe, sofern nur einzelne Betriebshandlungen vorübergehend in das Inland hineingreisen, ferner Dienstleistungen des Personals ausländischer Binnenschiffe, die nicht nur im Inland einen regelmäßigen Verkehr unterhalten, und Dienst­ leistungen von Personen, die nicht zur Schiffs­ besatzung gehören, im Ausland aus Seefahrzeugen oder Binnenschiffen. Endlich sind Dienstleistungen schulpflichtiger Kinder in landwirtschaftlichen Be­ trieben versicherungsfrei, wenn sie im Lause eines Jahres auf bestimmte Jahreszeiten und höchstens acht Wochen oder zusammen aus höchstens 40 Tage beschränkt sind. c) Auf Antrag des Arbeitgebers müssen durch die oberste Verwaltungsbehörde (zust. Minister) von der Versicherungspflicht befreit werden: Beamte in Betrieben oder im Dienste öffentlicher Verbände oder Körperschaften, sowie Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen, die nicht schon kraft G. versicherungsfrei sind, wenn

ihnen gegen ihren Arbeitgeber ein Anspruch min­ destens entweder auf Krankenhilfe in Höhe und Dauer der Regelleistungen der KK. oder für die gleiche Zeit auf Gehalt, Ruhegeld, Wartegeld oder ähnliche Bezüge im anderthalbfachen Be­ trage des Krankengeldes gewährleistet ist oder sie lediglich für ihren Beruf ausgebildet werden. Das gleiche gilt für Beamte der bisher landesherr­ lichen, Hof-, Domanial-, Kameral-, Forst- und ähnlichen Verwaltungen, der bisher Herzoglich Braunschweigischen Landschaft und der Fürstlich Hohenzollernschen Fideikommißverwaltung sowie für solche in den vorbezeichneten Betrieben oder Diensten Beschäftigte, die aus Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich oder mit Anrecht aus Ruhegehalt angestellt sind (§ 170 RVO.). Durch Entscheidung des Kassenvorstandes und auf Beschwerde durch das VA. werden Lehrlinge aller Art, solange sie im Betriebe ihrer Eltern beschäftigt sind, und Personen, die bei Arbeits­ losigkeit in Arbeiterkolonien oder ähnlichen Wohl­ tätigkeitsanstalten vorübergehend beschäftigt wer­ den, von der Bersicherungspflicht befreit (§§ 174, 175 RVO.). Auf Antrag des Arbeitgebers können durch die oberste Verwaltungsbehörde befreit werden Lehrer und Erzieher an nicht öffentlichen Schulen und Anstalten, wenn sie wie die Beamten öffentlicher Körperschaften angestellt sind (§ 171 RVO.). d) Auf ihren Antrag werden Versicherte von der Versicherungspflicht befreit, die eine Invalidenrente beziehen oder beziehen würden, wenn sie die Anwartschaft erfüllt haben würden, solange der vorläufig unterstützende FürsV. ein­ verstanden ist. Ferner wird auf seinen Antrag befreit, wer die Leistungen seiner Kasse für die zulässige Höchstdauer bezogen hat und deshalb keinen Anspruch mehr auf die Leistungen der Krankenhilfe durch diese Kasse hat, solange die Arbeitsunfähigkeit oder die Notwendigkeit der Heilbehandlung während der Fortdauer derselben Krankheit besteht, über den Antrag des Ver­ sicherten entscheidet das VA. (Beschlußausschuß) nach Anhörung des Kassenvorstandes. Wird der Antrag abgelehnt, so entscheidet auf Beschwerde das OVA. endgültig (§ 173 RVO.). Die Be­ freiung darf in keinem Falle für einen zurück­ liegenden Zeitraum ausgesprochen werden (AN. 1916, 551). 3. Versicherungsberechtigung, a) Be­ griff. Das Recht, der Versicherung freiwillig bei­ zutreten, haben nur Personen, denen die RVO. dieses Recht ausdrücklich einräumt. Es sind das ut der Hauptsache alle ohne Entgelt beschäftigten Personen, die bei gleicher Beschäftigung gegen Entgelt der Bersicherungspflicht unterliegen wür­ den sowie Personen, die kraft G. versicherungs­ frei oder auf Antrag von der Bersicherungspflicht befreit sind. Ferner steht das Beitrittsrecht zu Familienangehörigen des Arbeitgebers, die ohne eigentliches Arbeitsverhältnis und ohne Entgelt in seinem Betriebe tätig sind, sowie Gewerbe­ treibenden und anderen Betriebsunternehmern — dazu gehören Dienstherrschaften nicht —, die in ihren Betrieben regelmäßig keine oder höch­ stens zwei Versicherungspflichtige beschäftigen. Bei einem jährlichen Gesamteinkommen von 3600 RM G. vom 16.7.1927; RGBl. I 187 ff.) hört das Beitrittsrecht auf. Die Reichsregierung

Krankenversi cherung kann mit Zustimmung des RR. im gleichen Rahmen den vorübergehend beschäftigten Per­ sonen das Beitrittsrecht einräumen, während die Satzung das Beitrittsrecht von einer bestimmten Altersgrenze und von der Vorlegung eines ärzt­ lichen Gesundheitszeugnisses abhängig machen kann (§ 176 RBO.). Ein Beitritt ohne dieses Zeugnis ist ungültig (AN. 1917, 465). b) Ausübung des Rechts auf Beitritt. Die freiwillige Mitgliedschaft auf Grund der Ver­ sicherungsberechtigung wird durch den Beitritt begründet, und zwar durch schriftliche oder münd­ liche Anmeldung beim Kassenvorstand oder bei der Meldestelle. Durch Beitragszahlung wird die Anmeldung nicht ersetzt, doch kann auf diesem Wege durch Annahme der Beiträge während drei Monaten die sog. formale freiwillige Mitglied­ schaft entstehen. Das Beitrittsrecht kann nur gegenüber der Kasse ausgeübt werden, in die der Beilrittsberechtigte im Falle seiner Versicherungs­ pflicht gehören würde. Die Mitgliedschaft beginnt mit dem Tage des Beitritts. Die Kasse kann ferner den Beitrittsberechtigten einer ärztlichen Untersuchung unterziehen lassen und binnen einem Monat den Beitritt Erkrankter oder solcher Per­ sonen, welche ein ausreichendes Gesundheitsattest nicht beigebracht haben, mit der Wirkung von der Meldung an zurückweisen (§ 310 RBO.). c) Erlöschen der freiwilligen Mitglied­ schaft. Die Mitgliedschaft freiwillig Beigetrete­ ner erlischt, wenn die Beitragszahlung an zwei aufeinanderfolgenden Zahltagen versäumt wird und seit dem ersten Zahltag mindestens vier Wochen verstrichen sind. Die Satzung kann diese Frist verlängern. Die Versicherung kann im Aus­ land fortgesetzt werden. Eine Höchstgrenze für das Erlöschen der Mitgliedschaft ist nicht mehr vorgesehen (§ 314 RVO.). 4. Weiterversicherung, a) Begriff. Die Weiterversicherung besteht in der freiwilligen Fortsetzung der Versicherung durch den Ver­ sicherten nach Beendigung der versicherungspflich­ tigen Beschäftigung. Diese Fortsetzung ist nur solchen Personen gestattet, welche in den ver­ gangenen zwölf Monaten mindestens 26 Wochen oder unmittelbar vorher zusammenhängend min­ destens sechs Wochen versichert waren. Die Zeit der Versicherung kann bei jeder beliebigen KK. zurückgelegt werden, auch ist es gleichgültig, ob die Versicherung freiwillig war oder auf der Ver­ sicherungspflicht beruhte. Die versicherungspflich­ tige Beschäftigung wird nicht nur beendigt, wenn sie überhaupt aufgegeben wird, sondern auch dann, wenn in dem Beschäftigungsverhältnis Ände­ rungen eintreten, die die Bersicherungspflicht aufheben, z. B. bei Betriebsbeamten oder Hand­ lungsgehilfen das Überschreiten der Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes. Die Weiterversiche­ rung ist ohne Rücksicht auf die Bermögensverhältnisse, aber nur bei derjenigen Kasse zulässig, bei der zuletzt die Zwangsversicherung bestanden hat. Dabei besteht das Verhältnis zur KK. genau so weiter, wie es unter der Versicherungspflicht bestanden hat, nur muß der Versicherte selbst die vollen Beiträge tragen und einzahlen. Der Ver­ sicherte kann aber seinen Einkommensverhältnissen entsprechend die Versetzung in eine niedrigere Mitgliederklasse oder Lohnstufe beantragen, wäh­ rend der Kassenvorstand aus dem gleichen Grunde

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die Versetzung in eine höhere Klasse oder Stufe anordnen kann. b) Geltendmachung des Rechts auf Weiterversicherung. Innerhalb drei Wochen oder der durch die Satzung bestimmten längeren Frist seit Aushören der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder wenn der Versicherte im Augenblick der Beendigung der versicherungs­ pflichtigen Beschäftigung wegen Arbeitsunfähig­ keit Kassenleistungen bezieht, innerhalb drei Wochen nach Fortfall der Arbeitsunfähigkeit oder der Kassenleistungen muß die Absicht der Weiter­ versicherung dem Vorstand angezeigt werden. Die Zahlung der vollen Beiträge steht der Anzeige gleich, sofern die Beiträge von dem Versicherten selbst oder in seinem Auftrage durch einen Dritten rechtzeitig eingezahlt werden. Für Erwerbslose, die vor dem Beginn der Erwerbslosigkeit ver­ sicherungspflichtig waren, beginnt die Erklärungs­ frist erst mit dem Tage nach Ablauf dieser Unter­ stützung. Die Wirkung der Anzeige ist verschieden, je nachdem sie in der ersten Woche oder in den beiden späteren Wochen nach dem Ausscheiden erstattet wird. Erkrankt das Mitglied in der ersten Woche nach dem Ausscheiden, so hat es Anspruch auf die satzungsgemäßen Kassenleistungen, wenn es die Anzeige innerhalb der zweiten und dritten Woche nachholl. Erkrankt es dagegen in der zweiten oder dritten Woche, so hat es wegen einer solchen Erkrankung nur dann Ansprüche, wenn es die Anzeige schon in der ersten Woche erstattet hat. Holt es in diesem Falle die Anzeige bis zum Ablauf der dritten Woche nach, so entsteht ein Anspruch aus die satzungsmäßigen Kassen­ leistungen erst bei einer späteren Krankheit (88 313, 313a RVO.). c) Erlöschen der Weiterversicherung. Die Weiterversicherung erlischt aus dem gleichen Grunde wie die freiwillige Versicherung aus Grund der Bersicherungsberechtigung. Sie kann im Ausland nicht fortgesetzt werden (8 314 RVO.). III. Leistungen. 1. Allgemeines. Die KK. dürfen nur solche Leistungen gewähren, die die RVO. vorschreibt (gesetzliche oder Regelleistungen­ oder zuläßt (Mehrleistungen). Regelleistungen sind die Krankenhilfe (s. d.), die Wochenhilfe ein­ schließlich der Familienwochenhilfe (s. Wochen­ hilfe) und das Sterbegeld (s. d.). Die Mehr­ leistungen (8 179 RVO.) beziehen sich entweder auf die Erhöhung der Regelleistungen oder auf die Erweiterung der Leistungen durch Einführung des Schwangerengeldes (s. Wochenhilfe), der Familienkrankenpslege (s. Krankenhilse) und des Familiensterbegeldes (s. Sterbegeld). Die Regelleistungen zu gewähren, muß die KK. unter allen Umständen imstande sein. Neben der Be­ seitigung leistungsunfähiger KK. durch Auflösung, Schließung oder Bereinigung kommt noch die Zuschußpflicht der Gemeinden bei OrtsKK. und LKK., die Zuschußpflicht des Unternehmers bei BKK. und die Zuschußpflicht der I. bei IKK. in Frage. 2. Anspruch auf die Leistungen haben nur Versicherte, und zwar gegenüber der KK., der sie angehören müssen oder bei der sie freiwillige Mitglieder sind. Eine Ausnahme besteht nur hin­ sichtlich des Anspruchs auf Leistungen der Wochen­ hilfe bei Entbindungen, wenn die Schwangere sechs Wochen vor der Entbindung wegen ihrer

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Schwangerschaft aus der Versicherung ausge­ schieden ist (§ 195a Ms. 7 RBO.). Versicherte, die wegen Erwerbslosigkeit ausscheiden, behalten den Anspruch auf die Regelleistungen, wenn sie in den vorangegangenen zwölf Monaten min­ destens 26 Wochen oder unmittelbar vorher min­ destens sechs Wochen versichert waren und der Versicherungsfall während der Erwerbslosigkeit und binnen drei Wochen nach dem Ausscheiden eintritt. Doch fällt der Anspruch fort, wenn sich der Versicherte ins Ausland begibt, es sei denn, daß die Satzung anderes bestimmt (Z 214 RBO.). Bei freiwilligen Mitgliedern, die der Kasse bei­ getreten sind, kann die Satzung mit Zustimmung des OBA. die Leistungen auf Krankenpflege ohne Krankengeld, auf Krankenhauspflege ohne Haus­ geld oder auf das Krankengeld beschränken. Auch die Reichsregierung kann, wenn für Personen, die als vorübergehend Beschäftigte versicherungsfrei sind(Z168RBO.), dieRegelleistungenauf Kranken­ pflege ohne Krankengeld und auf Krankenhaus­ pflege ohne Hausgeld beschränken (§ 215 RBO.). Durch die Satzung kann bei freiwillig beitretenden Personen der Anspruch auf Kassenleistungen für Erkrankungen, die beim Beitritt bereits bestehen, ausgeschlossen werden (§ 310 Abs. 2 RVO.) und ferner bestimmt werden, daß der Anspruch über­ haupt erst nach einer Wartezeit von sechs Wochen entsteht (§ 207 RBO-). Bei landwirtschaftlich Be­ schäftigten kann der Anspruch auf Barleistungen gekürzt werden oder in Fortfall kommen, wenn der Arbeitgeber ihnen bestimmte Sachleistungen zugesichert hat (s. Landwirtschaft). Auch für unständig Beschäftigte (s. d.)kann eine Wartezeit vorgesehen werden. Bei Zahlungssäumnis tritt eine Kürzung der Leistungen ein (§§ 451, 452 RBO.). Für die Mehrleistungen kann durch die Satzung eine Wartezeit von höchstens sechs Monaten vorgesehen werden, die aber nicht gilt, wenn das Mitglied innerhalb der letzten zwölf Monate bereits für mindestens sechs Monate An­ spruch auf Mehrleistungen gehabt hat. Durch Ausscheiden aus der Mitgliedschaft kann diese Wartezeit auf höchstens 26 Wochen unterbrochen werden (§§ 208—209a). Durch die Satzung können die Leistungen mit sofortiger Wirkung heraufgesetzt, aber nicht herabgesetzt werden. Die Barleistungen werden mit Ausnahme des Sterbe­ geldes wöchentlich ausgezahlt. Bei Kassenwechsel während Bezugs der Leistungen übernimmt die neue Kasse unter Anrechnung der bisherigen Leistungsdauer die weiteren Leistungen, aus­ genommen bei der Wochenhilfe. Wegen der Ersatzkassens.d.113. Die formale Versicherung wird durch vorschriftsmäßige Anmeldung und Zahlung der Beiträge während dreier Monate be­ gründet, wenn weder Bersicherungspflicht noch Bersicherungsberechtigung besteht. 3. Streitigkeiten. Leistungen aus der K. werden auf Antrag gewährt (§ 1545 RVO.). Der Antrag ist beim Kassenvorstand anzumelden (§ 1551 RVO.). Bei Streit entscheidet in erster Instanz und soweit nicht der Vorsitzende allein entscheiden darf (§ 1661 RVO.), der Spruch­ ausschuß des VA., in dessen Bezirk der Versicherte zur Zeit des Antrags wohnt oder beschäftigt ist (§§ 1636—1640 RBO.). Gegen bie Entschei­ dungen des VA. ist das Rechtsmittel der Berufung an die Spruchkammer des OBA. zulässig (§ 1675

RVO.), deren Entscheidung mit der Revision beim Reichs- (Landes-) Versicherungsamt ange­ fochten werden kann (§ 1694 RBO.). Die Revi­ sion ist ausgeschlossen, wenn es sich handelt um die Höhe des Kranken-, Haus- und Sterbegeldes, Unterstützungsfälle, in denen der Kranke nicht oder weniger als acht Wochen arbeitsunfähig war, Wochenhilfe, Familienhilfe, Abfindung und Kosten des Verfahrens (§ 1695 RVO.). Im übrigen ist das Verfahren vor dem VA., OBA. und RVA. im sechsten Buche der RBO. geregelt. S. ins­ besondere §§ 1636—1674 (Verfahren vor dem VA.), §§ 1675—1693 (Verfahren vor dem OVA.), §§ 1694—1726 (Verfahren vor dem RVA.) und die V. vom 24. 12. 1911 (RGBl. 1107, 1095, 1083). IV. Beiträge. 1. Allgemeines. Die Mittel für die Erfüllung der Aufgaben der K. werden in der Hauptsache durch Beiträge aufgebracht, die in gewöhnliche und außergewöhnliche zerfallen. Gewöhnliche Beiträge sind die Beiträge, die die Arbeitgeber und die Versicherten gemeinsam oder die Bersicherungsberechtigten allein aufbringen, die Zusatzbeiträge für Familienkrankenpflege und -sterbegeld und die Beiträge, die der Gemeinde­ verband für unständig Beschäftigte (s. d.) zu zahlen hat. Alle übrigen Beiträge sind außer­ gewöhnlicher Natur, die nur in bestimmten Fällen erhoben werden. Beiträge dürfen nur für zu­ lässige Ausgaben erhoben werden, nämlich zu den satzungsmäßigen Leistungen zur Füllung der Rücklage, zu den Verwaltungskosten und für Zwecke der besonderen oder allgemeinen Krank­ heitsverhütung (§ 363 RBO.). llber die An­ legung verfügbaren Geldes finden sich ein­ gehende Vorschriften in den §§ 25—27 f. RVO. Rückstände werden wie Gemeindeabgaben bei­ getrieben (§ 28 RVO.). Der Anspruch darauf verjährt in zwei Jahren nach Ablauf der Fällig­ keit (§ 29 RVO.). 2. Grundlohn. Die Beiträge, mit Ausnahme der Zusatzbeiträge für Familienhilfe ausschließlich Familienwochenhilfe (s. Wochenhilfe), werden nach einem Grundlohn (s. d.) bemessen. 3. Höhe der Beiträge. Die Satzung muß über die Höhe der Beiträge Bestimmung treffen (§ 321 Biff. 3 RBO.). Die Beiträge sind in Hundertsteln des Grundlohns zu bemessen, und zwar für alle Kassenmitglieder nach gleichen Hundertsteln. Dabei ist darauf zu sehen, daß zu­ sammen mit anderen Einnahmen, z. B. Straf­ geldern, die Ausgaben gedeckt werden. Die Bei­ träge werden nach den Kalendertagen bemessen, so daß für jeden Tag ein Beitrag zu entrichten ist. Bei Errichtung der Kasse dürfen höhere Beiträge als 7V2% des Grundlohns nicht erhoben wer­ den (§ 386 RBO.). Darüber hinaus dürfen die Beiträge nur durch übereinstimmenden Beschluß der Arbeitgeber und Versicherten im Ausschuß zur Deckung der Regelleistungen bis auf 10% des Grundlohns erhöht werden (§ 388 RBO.). Reichen sie auch dann zur Deckung der Regel­ leistungen nicht aus, so hat bei OKK. und LKK. der Gemeindeverband, bei BKK. der Unter­ nehmer und bei IKK. die I. Zuschüsse zu ge­ währen (§§ 389, 390 RBO.). Es muß fortgesetzt darauf Bedacht genommen werden, daß sich die Ausgaben und Einnahmen ausgleichen durch Er­ höhung der Beiträge oder durch Minderung der

Krankenversicherung Leistungen (§§ 391, 392 RBO-). Für besonders gefährliche Betriebe können dem Arbeitgeber allein und für Erwerbszweige der Berufsarten mit erhöhter Krankheitsgefahr durch die Satzung Gefahrenzuschläge auferlegt und für die Gewäh­ rung der Leistungen der Familienhilfe, mi tAusnahme der Wochenhilfe, Zusatzbeiträge erhoben werden (§ 384 RVO.). 4. Beitragspflicht. Die Versicherungspflich­ tigen haben zwei Drittel, ihre Arbeitgeber ein Drittel der Beiträge zu tragen. Bei IKK. kann eine Hälftelung der Beiträge beschlossen werden, sonst aber nicht. Bersicherungsberechtigte müssen ihre Beiträge selbst ausbringen (§ 381 RVO.). Bei Arbeitsunfähigkeit sind für die Dauer der Krankenhilfe keine Beiträge zu entrichten. Das gleiche gilt während des Bezugs des Wochenund des Schwangerengeldes, solange die Ver­ sicherte nicht gegen Entgelt arbeitet (§ 383 RVO.). 5. ZahlungsPflicht. Die Beiträge sind an dem durch die Satzung bestimmten Zahltage bei der Kasse oder der vom VA. bestimmten Zahlstelle von der Zahlungsaufforderung ab einzuzahlen. Ist der Arbeitgeber länger als eine Woche mit der Zahlung in Verzug, so kann der Vorstand einen Zuschlag in Höhe des am Sitze der KK. üblichen durchschnittlichen Bankzinssatzes erheben (§ 397 a RVO.). Der Vorstand kann ferner bestimmen, daß die Arbeitgeber oder bestimmte Gruppen von ihnen die Beiträge statt an dem Zahltage schon am Tage der jedesmaligen Lohnzahlung einzu­ zahlen haben (§ 393a RVO.). Zahlungspflichtig ist für versicherungspflichtige Personen der Arbeit­ geber. Bei zahlungsunfähigen Arbeitgebern kann das VA. anordnen, daß die Arbeitgeber nur ihren Beitragsteil und die von ihnen Beschäftigten selbst ihren Beitragsteil einzuzahlen haben (§§ 398 bis 402 RVO.). Der Arbeitgeber, der den ganzen Beitrag eingezahlt hat, kann seinen Beschäftigten zwei Drittel der Beiträge vom Lohn abziehen. Sind Abzüge unterblieben, so dürfen sie nur bei der Lohnzahlung für die nächste Lohnzeit nach­ geholt werden, wenn nicht die Beiträge ohne Ver­ schulden des Arbeitgebers verspätet entrichtet worden sind (§§ 394, 395 RVO.). Steht der Versicherte gleichzeitig in mehreren versicherungs­ pflichtigen Arbeitsverhältnissen und hat das VA. auf Antrag die Beiträge anteilig verteilt, so ist jeder Arbeitgeber nur für seinen Anteil zahlungs­ pflichtig (§ 396 RVO.). Streitigkeiten über den Lohnabzug zwischen Arbeitgebern und Versicher­ ten entscheidet das VA. (Beschlußausschuß) end­ gültig (§ 405 Abs. 1 RVO.). Freiwillig Ver­ sicherte haben die ganzen Beiträge aus eigenen Mitteln einzuzahlen (§ 381 Abs. 3 RVO.). Wird die Zahlung zweimal hintereinander versäumt, so erlischt die Mitgliedschaft (§ 314 RVO.). Für Arbeitslose, die Arbeitslosenunterstützung beziehen, zahlt die Reichsanstalt die ganzen Beiträge (s. ArbeitslosenversicherungV2). Zusatzbeiträge muß der Versicherte einzahlen und tragen. 6. Beitragsstreit. Streit über die Verpflich­ tung, Beiträge zu leisten, einzuzahlen oder zurück­ zuzahlen, wird vom VA. (Beschlußausschuß) ent­ schieden, soweit er zwischen einer KK. einerseits und einem Arbeitgeber oder einem Versicherten andererseits entsteht. Auf Beschwerde entscheidet das OBA. endgültig (§ 405 Abs. 2 RVO.). 7. Strasvorschriften. Mit Geldstrafe von

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3 bis zu 10000 RM oder mit Haft werden bestraft Arbeitgeber, die vorsätzlich den Beschäftigten höhere Beitragsteile vorn Entgelt abziehen, als das G. zuläßt, oder bei Zahlungsunfähigkeit die Beiträge nicht binnen drei Tagen abführen oder Lohnabzüge bewirken, obwohl ihnen wegen Zah­ lungsunfähigkeit die Abführung nur des eigenen Beitragsteils zur Pflicht gemacht ist (§ 532 RVO.; V. vom 6. 2. 1924, RGBl. I 44). Arbeitgeber werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie Bei­ tragsteile, die sie den Beschäftigten einbehalten oder von ihnen erhalten haben, der Kasse vor­ sätzlich vorenthalten. Daneben kann auf Geld­ strafe von 3 bis zu 10000 RM und auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (§ 533 RVO.; V. vom 6. 2. 1924, RGBl. I 44). V. Träger der K. sind lediglich die KK. (s. d.). Außerdem sind für ihre Durchführung als gleich­ berechtigte Einrichtungen die Ersatzkassen (s. d.) zugelassen. VI. Meldungen. 1. Allgemeines. Um den OKK., LKK. und IKK. — bei BKK. kommen Meldungen nicht in Frage — die Erhebung der Beiträge zu sichern und die Gewährung der Leistungen zu ermöglichen, ist für die Arbeitgeber die Meldepflicht eingeführt. Der Kassenvorstand kann, soweit der Grundlohn nach dem wirklichen Arbeitsverdienst bestimmt wird, anordnen, daß die Arbeitgeber Listen über den den Versicherten gezahlten Entgelt an den Zahltagen einreichen und ihre Bücher und Belege für den Kaffen­ vorstand zur Nachprüfung der Listen osfenhalten. Dafür fällt die Meldepflicht fort. Die Kassen haben das Recht der Beitragskontrolle durch Ein­ sichtnahme der Bücher und Listen an Ort und Stelle und Auskunftsforderung vom Arbeitgeber und Versicherten, wozu diese durch Geldstrafen von 1—1000 RM vom VA. angehalten werden können. Mit Verwaltungen von Reichs-, Staats­ und Gemeindebetrieben sowie mit Unternehmern von Binnenschisfahrtsbetrieben kann wegen der Meldungen Abweichendes vereinbart oder vom VA. auf Antrag angeordnet werden. 2. Meldestellen. Die Meldungen find an der in der Satzung vorgeschriebenen Stelle zu er­ statten, und zwar bei der vom Ausschuß errichteten Meldestelle. Das VA. kann aber für alle oder mehrere OKK., LKK. und IKK. seines Bezirks gemeinsame Meldestellen errichten oder ihre Ge­ schäfte mit Genehmigung der Gemeindeaufsichts­ behörde den Ortsbehörden übertragen. 3. Umfang der Meldepflicht. Die Arbeit­ geber haben jeden von ihnen Beschäftigten, der zur Mitgliedschaft bei einer OKK., LKK. oder IKK. verpflichtet ist, binnen drei Tagen nach Beginn der Beschäftigung an- und beim dritten Tage nach Be­ endigung der versicherungspslichtigen Beschäfti­ gung abzumelden. Lohnveränderungen, die für die Berechnung der Beträge von Bedeutung sind, müssen innerhalb der gleichen Frist gemeldet wer­ den. Bei allen Meldungen sind die in der Satzung geforderten Angaben zu machen. Arbeitgeber, die die Meldung versäumen oder unvollständige Angaben machen, können vom VA. mit Geld­ strafen von 1—1000 RM bestraft werden. Außer­ dem kann die Kasse eine Nebenstrafe in Höhe des ein- bis fünffachen Betrags der rückständigen Beiträge dem rechtskräftig bestraften Arbeitgeber auferlegen. Bei unterlassener Anmeldung sind

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Krankenversicherung

daneben die rückständigen Beiträge zu zahlen; bei unterlassener Abmeldung müssen die Beiträge bis zur vorschriftsmäßigen Abmeldung, längstens aber auf die Dauer eines Jahres nach dem Ausscheiden weitergezahlt werden. Der Vorstand kann auf die Fortzahlung der Beiträge über das Ausscheiden aus der Beschäftigung hinaus verzichten. Lehnt er dies ab, so kann das VA. den Verpflichteten aus Antrag endgültig von der Fortzahlung über die sechste Beitragswoche nach dem Ausscheiden aus der Beschäftigung hinaus ganz oder teilweise entbinden, wenn die Verspätung oder Unter­ lassung der Abmeldung nicht auf Vorsatz oder grobem Verschulden beruht. VII. Verhältnis zu anderen Versiche­ rungszweigen, zur Fürsorge, Erwerbs­ losenfürsorge und zu Dritten. 1. Unfall­ versicherung. Wenngleich die Verpflichtung der BG. zur Gewährung der Krankenpflege mit dem Unfall beginnt, so bleibt doch die Verpflichtung der KK. zur Gewährung der Krankenpflege zu­ nächst bestehen, bis die BG. ihr anzeigt, daß sie mit der Fürsorge begonnen habe. Im Verhältnis der beiden Bersicherungszweige zueinander geht die Krankenpflege bis zum Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld dann zu Lasten der KK., wenn die Arbeitsunfähigkeit vor dem Ablauf der achten Woche fortsällt. Dagegen geht die Heilbehand­ lung (§ 1507 RVO.) zu Lasten der BG., wenn a) die Arbeitsfähigkeit des Vorletzten erst nach dem Ablauf der achten Woche wiederhergestellt wird, und zwar vom ersten Tage an; b) wenn der An­ spruch auf Krankengeld vor dem Ablauf der achten Woche wegfällt, soweit es sich um die Kosten der Krankenpflege vom Wegfall ab handelt (§ 1505 RVO.). Die Aufwendungen für wiederkehrende Geldleistungen (§ 1507 RVO.) gehen innerhalb der ersten acht Wochen zu Lasten der KK., für die spätere Zeit zu Lasten der BG. Dabei haben beide Versicherungen nicht mehr zu leisten, als sie nach ihrem Rechte zu leisten hätten (§ 1506 RVO.). Das Sterbegeld aus der K. geht zu Lasten der BG. bis zur Höhe seines eigenen Sterbegeldes (§ 1508 RVO.). Hat ein Versiche­ rungsträger Aufwendungen gemacht, die zu Lasten des anderen Bersicherungsträgers gehen, so sind sie ihm zu ersetzen. Der Ersatzanspruch muß binnen drei Monaten nach Beendigung der Leistung geltend gemacht werden. Die KK. verliert ihn, wenn sie ihrer Verpflichtung, der BG. die Krank­ heit unverzüglich anzuzeigen, nicht nachgekommen ist (§§ 1503, 1509 RVO.). Die Ansprüche aus der K. fallen fort, solange die BG. Heilanstalts­ pflege gewährt (§ 559i RVO.). Ist aber die Zahlung des Krankengeldes aus der K. zu Unrecht eingestellt, so geht der Anspruch des Verletzten auf Krankengeld auf die BG. bis zur Höhe der von ihr dem Verletzten für die gleiche Zeit ge­ währten Geldleistungen über (§ 559k RVO.). Die KK. haben die BG. bei Durchführung der UV. gegen Entschädigung zu unterstützen. Das RVA., das durch V. vom 14. 6. 1926 (RGBl. I 272) vom RAM. ermächtigt worden ist, hat über die Unterstützungspflicht Bestimmungen vom 12. 10. 1926 (AN. 453) erlassen. Die KK. muß der BG. unverzüglich Anzeige erstatten, wenn sie auf Grund des § 559g RVO. mit der Kranken­ pflege eines Unfallverletzten beginnt, auch Aus­ kunft über die Behandlung und den Zustand des

Verletzten erteilen (§ 1502 RVO.). Die BG. kann eine KK. mit der Durchführung der Kranken­ pflege und mit der Gewährung der während dieser ihm obliegenden Barleistungen an den Ver­ letzten oder seine Angehörigen beauftragen. Sie hat dann die aus dem Auftrag erwachsenden Kosten, soweit sie nicht der KK. ohnehin zur Last fallen, der KK. zu erstatten (§ 1510 RVO.). Die KK. kann die Feststellung der Unfallentschädigung betreiben, auch Rechtsmittel einlegen (§ 1511 RVO.). Streit zwischen einer KK. und BG. aus der Verpflichtung zur Unterstützung (§ 1501 RVO.) oder aus dem Auftrag (§ 1510 RVO.) entscheidet das VA. endgültig, doch wird Streit über Ersatz- oder Entschädigungsansprüche im Spruchverfahren entschieden. Der Ersatz der Auf­ wendungen, die das Heilverfahren verursacht hat, wird durch Pauschbeträge abgegolten (§ 1513 RVO.; Bek. vom 10. 6. 1926, AN. 292). Den KK. stehen die zur Gewährung der Krankenhilfe verpflichteten Arbeitgeber und die Hausgehilfen­ kassen (s. Hausgehilfen) gleich (§§ 1543b bis 1543d RVO.). 2. Invalidenversicherung. Läßt die LVA. ein Heilverfahren eintreten, so hat sie für dessen Dauer dem Kranken das zu gewähren, was diesem seine KK. zu leisten hätte. Diese muß Ersatz leisten, soweit der Kranke wegen Arbeitsunfähig­ keit Krankengeld zu beanspruchen hätte. Die LVA. kann die Fürsorge für den Kranken seiner letzten KK. in dem Umfange, den sie für geboten hält, übertragen. Mehrkosten über den Umfang der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Leistungen hinaus sind der KK. zu erstatten. Für die Zeit, während der die KK. nicht mehr leistungspslichtig ist, muß sie der KK. den ganzen Aufwand ersetzen. Vorbehaltlich des Nachweises höherer Aufwen­ dungen sind für Krankenpflege drei Achtel des der Bemessung des Krankengeldes zugrunde liegen­ den Grundlohns (s. d.) zu ersetzen. Bei Kranken­ hauspflege kommt dazu die Hälfte dieses Grund­ lohns als Ersatz für den Unterhalt. Streitigkeiten werden wie bei der UV. (s. unter 1) entschieden (§§ 1518—1520 RVO.). 3. Arbeitslosenversicherung. Arbeitslose sind während des Bezugs der Hauptunterstützung für den Fall der Krankheit versichert. An Stelle der versicherungspflichtigen Beschäftigung tritt der Bezug der Hauptunterstützung, soweit es sich um die Rechte und Pflichten aus der K. handelt (s. Arbeitslosenversicherung V2). 4. Fürsorge. Unterstützt ein Träger der Armenfürsorge (s. Fürsorge) einen hilfsbedürf­ tigen Versicherten in der Zeit, für die dieser einen Anspruch gegen die KK. hat, so hat er einen An­ spruch auf Erstattung, wenn die Unterstützung für die Krankheit gewährt ist, auf die sich der Anspruch des Unterstützten gegen die KK. gründet. Zu ersetzen sind die Begräbniskosten aus dem Sterbe­ geld, die Unterstützungen, die der Krankenpflege entsprechen, auch bei Behandlung im Kranken­ hause, nach denselben Grundsätzen wie bei der JnV. und die übrigen Unterstützungen aus den entsprechenden Leistungen der KK-, wobei für den Unterhalt im Krankenhause der halbe Grundlohn angesetzt wird. Soweit es sich weder um rück­ ständige Beiträge noch um den vollen Unterhalt in einer Heilanstalt handelt, darf nur auf die Hälfte des Krankengeldes zugegriffen werden

Krankheiten, Schulschließung — Kredit