Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht: Private Freiheit und staatliche Ordnung 9783161579462, 3161487265

Während das bürgerlich-rechtliche Vertragsrecht in seinen Ursprüngen von einem Ethos der Freiheit und Gleichheit der Rec

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einführung
A. Gegenstand der Arbeit
B. Ziel und Perspektive der Arbeit
C. Definition des schuldvertraglichen Verbraucherschutzrechts
D. Abfolge der Bearbeitung
Erster Teil: Die nationalen Vorgaben: Legitimation, Grundlage und Ziel des Schuldvertrages im Bürgerlichen Gesetzbuch
A. Das formale und das materiale Konzept von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit
I. Grundlagen
II. Formale und materiale Begriffe der Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit
1. Vertragsfreiheit
2. Vertragsrichtigkeit
3. Verbindung von Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit
4. Das Modell der vertraglichen Solidarität
5. Die Ordnungsfunktion des Vertrages
6. Das Primat der materialen Vertragsfreiheit vor der materialen Gerechtigkeit
7. Problematik der Einordnung des Verbrauchervertragsrechts
B. Ausprägungen einer Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht
I. Die Geschäftsfähigkeit
II. Die Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB
III. Das zwingende Recht
1. Identifizierung zwingenden Rechts
2. Funktionsweise des zwingenden Rechts
IV. Das nachgiebige Recht
1. Normativer Charakter und Ergänzungsfunktion des nachgiebigen Rechts
2. Gerechtigkeitsgehalt des nachgiebigen Recht
V. Die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Willensmängeln
VI. Die Entwicklung des Rechtsinstituts der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB
1. Aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Verhandlungsaufnahme erwachsende Pflichten
a) Verletzung von absoluten Rechtsgütern des Verhandlungsgegners
b) Herbeiführung einer Vertragsunwirksamkeit
c) Verletzung von Informationspflichten und Lösungsrecht vom unerwünschten Vertrag
aa) Das Problem der Abgrenzung zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
bb) Gewährung von materialer Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit durch die Haftung wegen Verletzung von Informationspflichten
cc) Möglichkeiten der Lösung des Konkurrenzproblems
dd) Stellungnahme
(a) Erfordernis eines Vermögensschadens oder objektiv inäquivalenten Vertrages
(b) Zu den übrigen Abgrenzungskriterien
2. Ergebnis
VII. Die Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
VIII. Allgemeine richterliche Inhaltskontrolle
1. Die Ungleichheit der Verhandlungsstärke als Grund für fehlende tatsächliche Entscheidungsfreiheit
2. Gewährung materialer Gerechtigkeit?
C. Zusammenfassung des ersten Teils
Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben: Schuldvertragliches Verbraucherschutzrecht im europäischen Kontext
A. Einleitung
B. Die primärrechtliche Zuständigkeit der Gemeinschaft
I. Binnenmarktfunktionale Rechtsangleichung
1. Art. 94 EGV
2. Art. 95 EGV
3. Art. 153 EGV
4. Keine eigenständige Kompetenzgrundlage für verbraucherrechtliche Rechtsangleichung
II. Binnenmarktverwirklichung und Verbraucherschutz
C. Inhaltliche Ansätze und Ziele europäischer Verbraucherrichtlinien im Bereich des Schuldvertragsrechts
I. Die verbraucherbezogenen Richtlinien
II. Gemeinsamkeiten der inhaltlichen Ansätze und Ziele
1. Der Verbraucher als Promotor des Binnenmarktes
2. Marktbezogenes Vertragsmodell und materiale Vertragsfreiheit
3. Zusammenfassung der Instrumentarien verbraucherbezogener Richtlinien
4. Eingeschränkte Ableitbarkeit von Prinzipien europäischen Privatrechts
5. Förderung der Verbraucheraktivität durch Mindeststandards
6. Confidence als objektives Rechtsetzungskriterium
7. Eingeschränkter Anwendungsbereich der Richtlinien
D. Der europäische Verbraucherbegriff und das Leitbild des Verbrauchers
E. Die europäische Perspektive des Verbraucherrechts – Zwischenergebnis
F. Verbraucherprivatrecht – nationales oder europäisches Recht?
I. Richtlinien als Verbraucherprivatrecht – unmittelbare Wirkung zwischen Privaten
II. Verbleibender nationaler Charakter richtlinienumsetzenden Rechts
III. Verbleibende Rolle des Internationalen Privatrechts
IV. Grundsätzliche nationale Auslegungsautonomie
G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie
I. Normative Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung
II. Gegenstand und Beginn der Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung
III. Durchführung der richtlinienkonformen Auslegung
1. Grundsätzliche Bindung des Richters an die innerstaatliche Kompetenzverteilung
2. Verhältnis der richtlinienkonformen Auslegung zu der nationalen Auslegungsmethodik
a) Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung?
b) Modifikation der Auslegungsregeln
aa) Die Richtlinie als integrierte Auslegungsvorgabe
bb) Vorzug der richtlinienkonformen Auslegung
cc) Die Auslegung der Richtlinie und die richtlinienkonforme Auslegung
3. Die einzelnen Auslegungsschritte
a) Der Wortsinn im Lichte der Richtlinie
b) Der Wille des Gesetzgebers im Lichte der Richtlinie
c) Der Normkontext im Lichte der Richtlinie
d) Der Sinn und Zweck im Lichte der Richtlinie
H. Zusammenfassung des zweiten Teils
Dritter Teil: Zweck und Funktionsweise verbraucherrechtlicher Regeln im nationalen Schuldvertragsrecht
A. Einleitung
B. Verbraucherrecht im engeren und im weiteren Sinne
C. Der Verbraucherbegriff des BGB
I. Die Funktion der einzelnen rechtlichen Merkmale des Verbraucherbegriffs
1. Die private Zwecksetzung
2. Die rechtsgeschäftliche Begegnung des Verbrauchers mit dem Unternehmer
3. Die verbrauchergesetzliche Erfassung des Rechtsgeschäfts
a) Besondere Umstände des Vertragsabschlusses
aa) Haustür-, Fernabsatzgeschäfte, Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr
bb) Verträge unter Verwendung von vorformulierten Vertragsklauseln
b) Besondere Vertragstypen
aa) Verbrauchsgüterkauf
bb) Teilzeitwohnrechtevertrag
cc) Verbraucherkreditgeschäfte
dd) Frachtvertrag
4. Handeln einer natürlichen Person
II. Der normative Verbraucherbegriff und das Leitbild des Verbrauchers
1. Rollenspezifisches und situatives/vertragstypbezogenes Element des Verbraucherbegriffs
2. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit
3. Öffentliches Interesse an der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers
III. Zusammenfassung
D. Das Widerrufsrecht des Verbrauchers
I. Einleitung
II. Situatives/vertragstypbezogenes und rollenspezifisches Widerrufsrecht
III. Dogmatische Konstruktion des Widerrufs
1. Wirksamkeit des Verbrauchervertrages bis zum Widerruf
2. Schwebende Unwirksamkeit des Verbrauchervertrages bis zum Widerruf
3. Vereinheitlichung der Dogmatik des Widerrufsrechts durch das Fernabsatzgesetz und die Schuldrechtsreform 2002
4. Das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht und eine Art des gesetzlichen Rücktritts
IV. Voraussetzungen wirksamen Widerrufs
1. Kombination von sachlichen und persönlichen Elementen als Voraussetzung für das Bestehen eines Widerrufsrechts
2. Auf Abschluss eines Vertrages gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers
3. Ausübung des Widerrufsrechts durch Widerrufserklärung, Rücksendung oder Rückgabe
4. Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts und Belehrung über das Widerrufsrecht
5. Ausschluss des Widerrufsrechts
V. Rechtsfolgen wirksamen Widerrufs
1. Abwicklung entsprechend dem Rücktrittsrecht
2. Modifikationen gegenüber den Rechtsfolgen des allgemeinen Rücktrittsrechts
a) Abweichender Verzugsbeginn, § 357 Abs. 1 S. 2 BGB
b) Rücksendepflicht, Gefahr- und Kostentragung, § 357 Abs. 2 BGB
c) Wertersatz bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme, § 357 Abs. 3 BGB
d) Ausschluss weitergehender Ansprüche, § 357 Abs. 4 BGB
e) Verbundene Geschäfte, §§ 358, 359 BGB
VI. Verbraucherrechtlicher Widerruf – Eine Relativierung des Vertragsgedankens?
1. Dogmatische Konstruktion des Widerrufs und deren Auswirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers
2. Voraussetzungen des Widerrufs und deren Auswirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers
3. Rechtsfolgen des Widerrufs und deren Auswirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers
4. Einordnung in allgemeine schuldvertragliche Wertungen
VII. Zusammenfassung
E. Gesetzliche Informationspflichten gegenüber Verbrauchern
I. Einleitung – Allgemeine Einordnung verbraucherrechtlicher Informationspflichten
II. Inhalt und Zielrichtung der einzelnen Informationspflichten bei Verbraucherverträgen
1. Vertragsabhängige Einteilung
a) Fernabsatzvertrag
b) Teilzeitwohnrechtevertrag
c) Verbraucherdarlehen und andere Verbraucherkreditgeschäfte
d) Informationspflichten außerhalb des Verbraucherrechts im engeren Sinne
e) Verbrauchervertragsrecht im engeren Sinne ohne normierte Informationspflichten
f) Angaben zum Widerrufs- und Rückgaberecht und deren Rechtsfolgen
g) Zusammenfassung des sachbezogenen Inhalts der Informationspflichten
2. Funktion der Pflichtangaben im Zusammenspiel von Information und Widerruflichkeit
3. Abgrenzung zwischen Vertragsbedingungen und Information
a) Angaben bei Verbraucherkreditgeschäften
b) Angaben im Rahmen des Fernabsatzgeschäfts
c) Angaben im Rahmen des Teilzeitwohnrechtevertrages
d) Angaben zur Widerruflichkeit, zum Rückgaberecht und zu den Rechtsfolgen des Widerrufs
e) Bedeutung der Gleichstellung von Information und Vertragsbestandteil
4. Rechtsfolgen bei Verletzung von Pflichtangaben
a) Spezifisch verbraucherrechtliche Rechtsfolgen
b) Rechtsfolgen nach allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen
aa) Ansprüche aus den Pflichtangaben
bb) Ansprüche aus vorvertraglicher Informationshaftung nach den Regeln der culpa in contrahendo
cc) Anspruch auf Erteilung von Information?
dd) Sonstige Sanktionen
III. Einordnung der Informationspflichten in das schuldvertragliche Wertungssystem des Bürgerlichen Rechts
IV. Verbraucherrechtliche Bedeutung von Informationspflichten
V. „Informationsmodell“ oder „Schutzmodell“
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse
F. Einflussnahme (einseitig) zwingenden Rechts und Inhaltskontrolle
I. Unabdingbarkeit von Verbraucherschutzinstrumenten
1. Zwingender Charakter von situativen und vertragstypbezogenen Regelungen des Verbraucherschuldvertragsrechts
a) § 312f BGB
b) § 487 BGB
c) § 506 Abs. 1 BGB
2. Halbzwingender oder zwingender Charakter?
3. Identität der Ziele mit den unabdingbaren Verbraucherschutz-instrumenten
II. Klauselkontrolle bei Verbraucherverträgen
1. Vom Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen
a) Der Ansatzpunkt gemeinschaftsrechtlicher Klauselkontrolle im Gegensatz zum nationalen AGB-Recht
b) Die Regelung des § 310 Abs. 3 BGB als Abkehr von maßgeblichen Ansatzpunkten der AGB-Kontrolle
c) Dreiteilung der Klauselkontrolle je nach den einander gegenüberstehenden Kontrahenten
d) Das zu privaten Zwecken tätige Rechtssubjekt als „Jedermann“ der Klauselkontrolle
2. Sinn und Zweck der verbraucherrechtlichen Inhaltskontrolle
a) Inhaltskontrolle aufgrund von Spezifika des Vertragschlusses
b) Was ist eine vorformulierte Vertragsklausel?
aa) Angewiesensein des Verbrauchers auf den Vertragschluss?
bb) Fehlende Einflussnahmemöglichkeit des Verbrauchers
(a) Abänderungsbereitschaft des Unternehmens?
(b) Störungen im Vertragsschlussprozess
cc) Individuelle statt standardisierte Gefährdung
3. Zusammenfassung
III. Einseitig zwingendes Recht im Kaufrecht
1. Besonderheiten der Integration gemeinschaftsrechtlicher Normen beim Verbrauchsgüterkauf
2. Der nationale Normbestand
a) Auswirkungen des § 475 BGB
b) Halbzwingendes Recht?
3. Der verbraucherbezogene Ansatz des zwingenden Kaufrechts
a) Objektive Nichtakzeptanz durch die Rechtsordnung für Abweichungen vom gesetzlichen Gewährleistungsrecht?
b) Störungen der vertraglichen Ausgangsbedingungen?
c) Gemeinschaftsrechtliche Grundlage
d) Ansatzpunkt auf nationaler Ebene
aa) Inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Kontrahenten unter Neuverortung privatautonomer Spielräume
(a) Einseitig zwingendes Recht
(b) Verfügbarkeit im Verjährungsrecht
(c) Vereinbarung nach Mitteilung des Mangels
(d) Schadensersatz
(e) „Vertragsgemäßheit“
bb) Risikotransparenz und Verbraucherbegriff
e) „Schutzmodell“ oder „Informationsmodell“
IV. Zusammenfassung
G. Zusammenfassung und Ergebnisse des dritten Teils
Vierter Teil: Die Entindividualisierung des Verbraucherschutzes durch die Verbandsklage
A. Einleitung
B. Anwendungsbereich der Verbandsklage zum Schutz der Verbraucherinteressen
I. Verbandsklage und andere Formen überindividuellen Rechtsschutzes
II. Anwendungsbereich der Verbandsklagen nach §§ 1, 2 UKlaG, § 8 UWG (§ 13 UWG a.F.)
1. Verhältnis der Klagen nach § 1 und § 2 UKlaG
a) Verstöße gegen zwingendes Verbraucherrecht durch AGB
b) Modifikationen des AGB-Rechts durch § 310 Abs. 3 BGB
c) Verbraucherrechtliche Bedeutung des § 1 UKlaG
2. Abgrenzung zu § 8 Abs. 3 UWG
3. Eigenständigkeit des § 2 UKlaG
C. Rechtsstellung der Verbände im Verfahren
I. Anspruchsberechtigte Stellen
II. Wahrnehmung staatlicher Aufgaben durch Verbände?
D. Der Unterlassungsanspruch
I. Anspruch und subjektives Recht
II. Die Unterlassungspflicht
1. Adressat des Unterlassungsanspruchs
2. Materiellrechtliche Verpflichtung des Unternehmers
E. Verfahrensgegenstand
I. Rechtsbruch
1. Vorschriften, die dem Schutz der Verbraucher dienen
a) Verbraucherschutzgesetze gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1–6 UKlaG
b) Sonstige Verbraucherschutzgesetze
c) Ansatzpunkt: Aktive Teilnahme am Privatrechtsverkehr
2. Zuwiderhandlung
a) Zuwiderhandlung als Anspruchsvoraussetzung?
b) Die verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis
c) Abstrakter Gehalt der rechtswidrigen Praxis
d) Inanspruchnahme auf Unterlassung
II. Kollektivinteressen der Verbraucher
F. Verfahren bei Unterlassungsklagen nach § 2 UKlaG
I. Besondere Verfahrensregeln
II. Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung
1. Dispositionsmaxime
2. Verhandlungsmaxime
a) Wahrheitsfindung
b) Verfügbarkeit des Tatsachenstoffs
3. Alternativen
III. Geltung von Vorschriften des UWG
IV. Vollstreckung des erkannten Unterlassungsanspruchs
G. Durchsetzung öffentlicher Interessen durch private Institutionen
H. Zusammenfassung des vierten Teils
Ergebnis
Literatur
Sachregister
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Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht: Private Freiheit und staatliche Ordnung
 9783161579462, 3161487265

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 101

ARTI BUS

Caroline Meller-Hannich

Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht Private Freiheit und staatliche Ordnung

Mohr Siebeck

Caroline Meiler-Hannich, geboren 1970; Studium der Rechtswissenschaften in Bochum und Bonn, 1994 erstes juristisches Staatsexamen, 1997 Promotion, 1998 zweites juristisches Staatsexamen, 1998-1999 Rechtsanwältin in einer internationalen Wirtschafts- und Steuerrechtskanzlei, ab 1999 wissenschaftliche Assistentin am Institut für Zivilprozessrecht der Universität Bonn, 2005 Habilitation, Privatdozentin für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Europäisches Privatrecht an der Universität Bonn.

978-3-16-157946-2 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

ISBN 3-16-148726-5 ISSN 0940-9610 Qus Privatum)

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2005 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Für Ingo, Lilly und Gero

Vorwort Im Bereich des schuldvertraglichen Verbraucherrechts begegnen wir inzwischen einer hohen Regelungsdichte. Neben originär nationalen Regelungen wurde eine Vielzahl von europäischen Richtlinien erlassen, zu deren Umsetzung die einzelnen Mitgliedstaaten verpflichtet sind. Das deutsche und europäische Verbraucherrecht hat deshalb einen Grad der Ausreifung erreicht, welcher Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung ohne Einbeziehung seiner Regelungsinhalte notwendig lückenhaft bleiben lässt. Dennoch fehlt es bislang an umfassender Erkenntnis der dogmatischen Grundlagen des schuldvertraglichen Verbraucherrechts ebenso wie an wertungsgerechter wissenschaftlicher Integration verbraucherrechtlicher Regelungen in das Gesamtrechtssystem. Während das bürgerlich-rechtliche Vertragsrecht in seinen Ursprüngen von einem Ethos der Freiheit und Gleichheit der Rechtssubjekte in ihrer vertraglichen Gestaltung geprägt ist, gilt das (europäische) Verbraucherrecht häufig als entmündigend für den Einzelnen, als paternalistisch und überreguliert. Europäische Gesetzgebung wird zudem in Widerspruch zu gewachsenen nationalen Grundwertungen gesehen. Beschränkt man die wissenschaftliche Kritik auf die Feststellung solcher programmatischen Gegensätze, wird die Realität eines bereits durch das Verbraucherrecht nachhaltig geprägten Vertragsrechts verkannt. Notwendig ist demgegenüber die Erfassung verbraucherrechtlicher Regeln als Teil eines umfassenden und wertungsgerecht aufeinander abgestimmten Systems des Schuldvertragsrechts. Dies zu leisten ist Ziel dieser Schrift. Es wird sich zeigen, dass eine solche Systembildung letztlich möglich ist. Dadurch wird eine Perspektive eröffnet, die in Zukunft ein weitgehend berührungsloses inhaltliches Nebeneinander der Ansätze und Instrumente verbraucherrechtlicher Vorschriften mit denen des sonstigen Schuldvertragsrechts verhindert und die notwendige inhaltliche Kohärenz innerhalb des Rechts der Schuldverhältnisse herzustellen geeignet ist. Eine Rechtsordnung, die in sich widersprüchlich ist, kann nicht stimmig begriffen und fortentwickelt werden, sondern verbleibt in der Kumulation von Einzelregelungen. Das verhindert nicht nur Uberschaubarkeit der Rechtsordnung und Rechtssicherheit. Es führt auch zu ungerechtfertigter Ungleichbehandlung von Privatrechtssubjekten. Nur aus einer in sich konsistenten Rechtsordnung können übergreifende Wertungen und Prinzipien abgeleitet werden. Eine solche

VIII

Vorwort

Rechtsordnung bietet ausreichende Offenheit für wertungsgerechte Interpretation und Rechtsfortbildung. Die Arbeit ist im Wintersemester 2004/2005 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Habilitationsschrift angenommen worden. Literatur und Rechtssprechung konnten bis Mai 2005 berücksichtigt werden. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Eberhard Schilken, danke ich für die in jeder Hinsicht gewährte Förderung während der Entstehung der Arbeit in meiner Assistentenzeit am Institut für Zivilprozessrecht der Universität Bonn. Ebenso danke ich Herrn Professor Dr. Wulf-Henning Roth für seine wertvolle weiterführende Kritik und das der Arbeit entgegengebrachte Interesse. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Hans Friedhelm Gaul, der meine wissenschaftliche Arbeit seit der Promotion begleitet hat, möchte ich an dieser Stelle nochmals von Herzen danken. Mein Dank gilt ferner dem Verlag Mohr Siebeck für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Jus Privatum. Ich danke schließlich Freunden, Kollegen und Diskussionspartnern, namentlich Dr. Tobias Entzian, Dr. Lutz Haertlein, Dr. Andrea Jox, Kim Müller, Dr. Hans-Jörg Schuhes, Dr. Daniela Seeliger, Julian Staratschek. Köln, im Juli 2005

Caroline

Meiler-Hannich

Inhaltsverzeichnis Einführung A. Gegenstand der Arbeit B. Ziel und Perspektive der Arbeit C. Definition des schuldvertraglichen Verbraucherschutzrechts D. Abfolge der Bearbeitung

Erster Teil: Die nationalen Vorgaben: Legitimation, Grundlage und Ziel des Schuldvertrages im Bürgerlichen Gesetzbuch A. Das formale und das materiale Konzept von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit I. Grundlagen II. Formale und materiale Begriffe der Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit 1. Vertragsfreiheit 2. Vertragsrichtigkeit 3. Verbindung von Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit . . . . 4. Das Modell der vertraglichen Solidarität 5. Die Ordnungsfunktion des Vertrages 6. Das Primat der materialen Vertragsfreiheit vor der materialen Gerechtigkeit 7. Problematik der Einordnung des Verbrauchervertragsrechts . . B. Ausprägungen einer Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht I. Die Geschäftsfähigkeit II. Die Sittenwidrigkeitskontrolle nach §138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB . III. Das zwingende Recht 1. Identifizierung zwingenden Rechts 2. Funktionsweise des zwingenden Rechts IV. Das nachgiebige Recht 1. Normativer Charakter und Ergänzungsfunktion des nachgiebigen Rechts

X

Inhaltsverzeichnis 2. Gerechtigkeitsgehalt des nachgiebigen Recht V. Die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Willensmängeln

.

VI. Die Entwicklung des Rechtsinstituts der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, § § 2 8 0 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 B G B 1. Aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Verhandlungsaufnahme erwachsende Pflichten a) Verletzung von absoluten Rechtsgütern des Verhandlungsgegners b) Herbeiführung einer Vertragsunwirksamkeit c) Verletzung von Informationspflichten und Lösungsrecht vom unerwünschten Vertrag aa) Das Problem der Abgrenzung zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bb) Gewährung von materialer Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit durch die Haftung wegen Verletzung von Informationspflichten cc) Möglichkeiten der Lösung des Konkurrenzproblems . . . . dd) Stellungnahme (a) Erfordernis eines Vermögensschadens oder objektiv inäquivalenten Vertrages (b) Zu den übrigen Abgrenzungskriterien 2. Ergebnis V I I . Die Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen V I I I . Allgemeine richterliche Inhaltskontrolle 1. Die Ungleichheit der Verhandlungsstärke als Grund für fehlende tatsächliche Entscheidungsfreiheit 2. Gewährung materialer Gerechtigkeit? C.

Zusammenfassung des ersten Teils

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben: Schuldvertragliches Verbrauch erschutzr echt im europäischen Kontext A.

Einleitung

B.

Die primärrechtliche Zuständigkeit der Gemeinschaft I. Binnenmarktfunktionale Rechtsangleichung 1. Art. 94 E G V 2. Art. 95 E G V 3. Art. 1 5 3 E G V 4. Keine eigenständige Kompetenzgrundlage für verbraucherrechtliche Rechtsangleichung

XI

Inhaltsverzeichnis I I . Binnenmarktverwirklichung und Verbraucherschutz C.

59

Inhaltliche Ansätze und Ziele europäischer Verbraucherrichtlinien im Bereich des Schuldvertragsrechts

63

I. D i e verbraucherbezogenen Richtlinien

63

I I . Gemeinsamkeiten der inhaltlichen Ansätze und Ziele

67

1. D e r Verbraucher als P r o m o t o r des Binnenmarktes

67

2. Marktbezogenes Vertragsmodell und materiale Vertragsfreiheit

69

3. Zusammenfassung der Instrumentarien verbraucherbezogener Richtlinien

70

4. Eingeschränkte Ableitbarkeit von Prinzipien europäischen Privatrechts

71

6. C o n f i d e n c e als objektives Rechtsetzungskriterium

72

7. Eingeschränkter Anwendungsbereich der Richtlinien

72

D.

D e r europäische Verbraucherbegriff und das Leitbild des Verbrauchers

E.

D i e europäische Perspektive des Verbraucherrechts - Z w i s c h e n -

F.

71

5. F ö r d e r u n g der Verbraucheraktivität durch Mindeststandards . .

.

73

ergebnis

75

Verbraucherprivatrecht - nationales oder europäisches R e c h t ?

75

I. Richtlinien als Verbraucherprivatrecht - unmittelbare W i r k u n g zwischen Privaten

76

II. Verbleibender nationaler Charakter richtlinienumsetzenden Rechts

G.

77

I I I . Verbleibende Rolle des Internationalen Privatrechts

79

IV. Grundsätzliche nationale Auslegungsautonomie

81

Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie I. N o r m a t i v e Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung

82 83

I I . Gegenstand und Beginn der Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung I I I . D u r c h f ü h r u n g der richtlinienkonformen Auslegung

86 87

1. Grundsätzliche Bindung des Richters an die innerstaatliche Kompetenzverteilung

87

2. Verhältnis der richtlinienkonformen Auslegung zu der nationalen Auslegungsmethodik

89

a) Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung? b) Modifikation der Auslegungsregeln aa) Die Richtlinie als integrierte Auslegungsvorgabe bb) Vorzug der richtlinienkonformen Auslegung cc) Die Auslegung der Richtlinie und die richtlinienkonforme Auslegung

89 95 95 96 98

XII

Inhaltsverzeichnis 3. Die einzelnen Auslegungsschritte a) b) c) d)

Der Der Der Der

Wortsinn im Lichte der Richtlinie Wille des Gesetzgebers im Lichte der Richtlinie Normkontext im Lichte der Richtlinie Sinn und Zweck im Lichte der Richtlinie

100 100 102 103 105

H. Zusammenfassung des zweiten Teils

111

Dritter Teil: Zweck und Funktionsweise verbraucherrechtlicher Regeln im nationalen Schuldvertragsrecht

115

A. Einleitung

116

B.

Verbraucherrecht im engeren und im weiteren Sinne

117

C.

Der Verbraucherbegriff des B G B

119

I. Die Funktion der einzelnen rechtlichen Merkmale des Verbraucherbegriffs

125

1. Die private Zwecksetzung 2. Die rechtsgeschäftliche Begegnung des Verbrauchers mit dem Unternehmer

125 132

3. Die verbrauchergesetzliche Erfassung des Rechtsgeschäfts . . . a) Besondere Umstände des Vertragsabschlusses aa) Haustür-, Fernabsatzgeschäfte, Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr bb) Verträge unter Verwendung von vorformulierten Vertragsklauseln b) Besondere Vertragstypen aa) Verbrauchsgüterkauf bb) Teilzeitwohnrechtevertrag cc) Verbraucherkreditgeschäfte dd) Frachtvertrag

134 136

4. Handeln einer natürlichen Person

140

II. Der normative Verbraucherbegriff und das Leitbild des Verbrauchers

136 137 137 138 138 139 140

140

1. Rollenspezifisches und situatives/vertragstypbezogenes Element des Verbraucherbegriffs 2. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit

140 145

3. Öffentliches Interesse an der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers

147

III. Zusammenfassung D. Das Widerrufsrecht des Verbrauchers I. Einleitung

149 151 151

II. Situatives/vertragstypbezogenes und rollenspezifisches Widerrufsrecht III. Dogmatische Konstruktion des Widerrufs

152 155

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

VI.

VII. E.

1. Wirksamkeit des Verbrauchervertrages bis zum Widerruf . . . . 2. Schwebende Unwirksamkeit des Verbrauchervertrages bis zum Widerruf 3. Vereinheitlichung der Dogmatik des Widerrufsrechts durch das Fernabsatzgesetz und die Schuldrechtsreform 2002 4. Das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht und eine Art des gesetzlichen Rücktritts Voraussetzungen wirksamen Widerrufs 1. Kombination von sachlichen und persönlichen Elementen als Voraussetzung für das Bestehen eines Widerrufsrechts 2. Auf Abschluss eines Vertrages gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers 3. Ausübung des Widerrufsrechts durch Widerrufserklärung, Rücksendung oder Rückgabe 4. Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts und Belehrung über das Widerrufsrecht 5. Ausschluss des Widerrufsrechts Rechtsfolgen wirksamen Widerrufs 1. Abwicklung entsprechend dem Rücktrittsrecht 2. Modifikationen gegenüber den Rechtsfolgen des allgemeinen Rücktrittsrechts a) Abweichender Verzugsbeginn, §357 Abs. 1 S. 2 BGB b) Rücksendepflicht, Gefahr- und Kostentragung, §357 Abs. 2 BGB c) Wertersatz bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme, §357 Abs. 3 BGB d) Ausschluss weitergehender Ansprüche, §357 Abs. 4 BGB . . . e) Verbundene Geschäfte, §§358, 359 BGB Verbraucherrechtlicher Widerruf - Eine Relativierung des Vertragsgedankens? 1. Dogmatische Konstruktion des Widerrufs und deren Auswirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers . . . . 2. Voraussetzungen des Widerrufs und deren Auswirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers 3. Rechtsfolgen des Widerrufs und deren Auswirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers 4. Einordnung in allgemeine schuldvertragliche Wertungen . . . . Zusammenfassung

Gesetzliche Informationspflichten gegenüber Verbrauchern I. Einleitung - Allgemeine Einordnung verbraucherrechtlicher Informationspflichten II. Inhalt und Zielrichtung der einzelnen Informationspflichten bei Verbraucherverträgen

XIII 156 156 159 159 161 161 162 163 164 164 165 165 165 165 165 166 170 170 171 171 175 178 178 180 180 180 183

XIV

Inhaltsverzeichnis 1. Vertragsabhängige Einteilung

185

a) b) c) d)

Fernabsatzvertrag Teilzeitwohnrechtevertrag Verbraucherdarlehen und andere Verbraucherkreditgeschäfte . . Informationspflichten außerhalb des Verbraucherrechts im engeren Sinne e) Verbrauchervertragsrecht im engeren Sinne ohne normierte Informationspflichten f) Angaben z u m Widerrufs- und Rückgaberecht und deren Rechtsfolgen g) Zusammenfassung des sachbezogenen Inhalts der Informationspflichten 2. F u n k t i o n d e r P f l i c h t a n g a b e n im Z u s a m m e n s p i e l v o n I n f o r m a tion und Widerruflichkeit

F.

192 193 194

.

198

Angaben bei Verbraucherkreditgeschäften Angaben im Rahmen des Femabsatzgeschäfts Angaben im Rahmen des Teilzeitwohnrechtevertrages Angaben zur Widerruflichkeit, zum Rückgaberecht und zu den Rechtsfolgen des Widerrufs e) Bedeutung der Gleichstellung von Information und Vertragsbestandteil 4. R e c h t s f o l g e n bei Verletzung v o n Pflichtangaben a) Spezifisch verbraucherrechtliche Rechtsfolgen b) Rechtsfolgen nach allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen . aa) Ansprüche aus den Pflichtangaben bb) Ansprüche aus vorvertraglicher Informationshaftung nach den Regeln der culpa in contrahendo cc) Anspruch auf Erteilung von Information? dd) Sonstige Sanktionen E i n o r d n u n g d e r I n f o r m a t i o n s p f l i c h t e n in das schuldvertragliche W e r t u n g s s y s t e m des Bürgerlichen R e c h t s Verbraucherrechtliche B e d e u t u n g v o n I n f o r m a t i o n s p f l i c h t e n . . . „Informationsmodell" oder „Schutzmodell" Z u s a m m e n f a s s u n g d e r Ergebnisse

199 202 204

a) b) c) d)

IV. V. VI.

191

195

3. A b g r e n z u n g z w i s c h e n Vertragsbedingungen u n d I n f o r m a t i o n

III.

185 188 190

E i n f l u s s n a h m e (einseitig) z w i n g e n d e n R e c h t s u n d I n h a l t s k o n t r o l l e

. . .

I. U n a b d i n g b a r k e i t v o n V e r b r a u c h e r s c h u t z i n s t r u m e n t e n

206 207 209 209 212 212 213 218 220 221 222 225 227 228 229

1. Z w i n g e n d e r C h a r a k t e r v o n situativen u n d v e r t r a g s t y p b e z o g e n e n R e g e l u n g e n des Verbraucherschuldvertragsrechts

. .

a) §312f B G B b) §487 BGB c) §506 Abs. 1 B G B 2. H a l b z w i n g e n d e r o d e r z w i n g e n d e r C h a r a k t e r ?

229 229 230 230 230

3. Identität d e r Ziele m i t d e n u n a b d i n g b a r e n V e r b r a u c h e r s c h u t z instrumenten

231

Inhaltsverzeichnis

XV

II. Klauselkontrolle bei Verbraucherverträgen 1. Vom Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen a) Der Ansatzpunkt gemeinschaftsrechtlicher Klauselkontrolle im Gegensatz zum nationalen AGB-Recht b) Die Regelung des §310 Abs. 3 BGB als Abkehr von maßgeblichen Ansatzpunkten der AGB-Kontrolle c) Dreiteilung der Klauselkontrolle je nach den einander gegenüberstehenden Kontrahenten d) Das zu privaten Zwecken tätige Rechtssubjekt als „Jedermann" der Klauselkontrolle 2. Sinn und Zweck der verbraucherrechtlichen Inhaltskontrolle . a) Inhaltskontrolle aufgrund von Spezifika des Vertragschlusses . b) Was ist eine vorformulierte Vertragsklausel? aa) Angewiesensein des Verbrauchers auf den Vertragschluss ? . bb) Fehlende Einflussnahmemöglichkeit des Verbrauchers . . . (a) Abänderungsbereitschaft des Unternehmens? (b) Störungen im Vertragsschlussprozess cc) Individuelle statt standardisierte Gefährdung

231

3. Zusammenfassung III. Einseitig zwingendes Recht im Kaufrecht 1. Besonderheiten der Integration gemeinschaftsrechtlicher Normen beim Verbrauchsgüterkauf 2. Der nationale Normbestand a) Auswirkungen des §475 BGB b) Halbzwingendes Recht? 3. Der verbraucherbezogene Ansatz des zwingenden Kaufrechts . a) Objektive Nichtakzeptanz durch die Rechtsordnung für Abweichungen vom gesetzlichen Gewährleistungsrecht? b) Störungen der vertraglichen Ausgangsbedingungen? c) Gemeinschaftsrechtliche Grundlage d) Ansatzpunkt auf nationaler Ebene aa) Inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Kontrahenten unter Neuverortung privatautonomer Spielräume (a) Einseitig zwingendes Recht (b) Verfügbarkeit im Verjährungsrecht (c) Vereinbarung nach Mitteilung des Mangels (d) Schadensersatz (e) „Vertragsgemäßheit" bb) Risikotransparenz und Verbraucherbegriff e) „Schutzmodell" oder „Informationsmodell" IV. Zusammenfassung

243 245

G. Zusammenfassung und Ergebnisse des dritten Teils

231 232 233 235 236 237 237 238 238 238 239 240 242

245 247 247 248 249 249 250 251 252 252 253 253 253 253 253 257 258 260 261

XVI

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil: Die Entindividualisierung des Verbraucherschutzes durch die Verbandsklage

267

A. Einleitung

268

B. Anwendungsbereich der Verbandsklage zum Schutz der Verbraucherinteressen

270

I. Verbandsklage und andere Formen überindividuellen Rechtsschutzes II. Anwendungsbereich der Verbandsklagen nach §§1,2 UKlaG, § 8 U W G (§ 13 U W G a.F.) 1. Verhältnis der Klagen nach § 1 und §2 UKlaG a) Verstöße gegen zwingendes Verbraucherrecht durch AGB . . . b) Modifikationendes AGB-Rechts durch §310 Abs.3 BGB . . . c) Verbraucherrechtliche Bedeutung des § 1 UKlaG 2. Abgrenzung zu §8 Abs. 3 U W G 3. Eigenständigkeit des §2 UKlaG C. Rechtsstellung der Verbände im Verfahren I. Anspruchsberechtigte Stellen II. Wahrnehmung staatlicher Aufgaben durch Verbände? D. Der Unterlassungsanspruch I. Anspruch und subjektives Recht II. Die Unterlassungspflicht 1. Adressat des Unterlassungsanspruchs 2. Materiellrechtliche Verpflichtung des Unternehmers E. Verfahrensgegenstand I. Rechtsbruch 1. Vorschriften, die dem Schutz der Verbraucher dienen a) Verbraucherschutzgesetze gemäß §2 Abs. 2 Nr. 1-6 UKlaG . . . b) Sonstige Verbraucherschutzgesetze c) Ansatzpunkt: Aktive Teilnahme am Privatrechtsverkehr . . . . 2. Zuwiderhandlung a) Zuwiderhandlung als Anspruchsvoraussetzung? b) Die verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis c) Abstrakter Gehalt der rechtswidrigen Praxis d) Inanspruchnahme auf Unterlassung II. Kollektivinteressen der Verbraucher F.

Verfahren bei Unterlassungsklagen nach § 2 UKlaG I. Besondere Verfahrensregeln II. Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung 1. Dispositionsmaxime

270 271 271 271 273 275 276 278 278 278 280 284 284 287 287 287 289 289 289 290 291 293 294 294 295 296 297 298 303 303 305 306

Inhaltsverzeichnis

XVII

2. Verhandlungsmaxime a) Wahrheitsfindung b) Verfügbarkeit des Tatsachenstoffs 3. Alternativen III. Geltung von Vorschriften des U W G

309 310 313 314 315

IV. Vollstreckung des erkannten Unterlassungsanspruchs

315

G. Durchsetzung öffentlicher Interessen durch private Institutionen

....

316

H. Zusammenfassung des vierten Teils

317

Ergebnis Literatur Sachregister

319 323 349

Einführung

A. Gegenstand der Arbeit Verbraucherschutz ist ein facettenreicher Begriff und wird zuweilen auch nur als Etikett verwandt. Vom Lebens-, Gesundheits-, Daten- und Naturschutz bis zum Wettbewerbsrecht, vom gesetzlichen und richterrechtlichen „Schwächerenschutz" bis zu den Regelungen für besondere Obligationstypen wird vieles mit ihm verbunden. Einen definierten, in sich geschlossenen und sichtbar in Konsolidierung befindlichen Bereich bezeichnen die Regelungen, die an die Beteiligung eines Verbrauchers an einem Schuldvertrag anknüpfen. Sie sind Gegenstand dieser Abhandlung. Mag auch der punktuelle Charakter von schuldvertraglichen Verbraucherschutzregeln, insbesondere soweit sie auf europäischer Richtliniengesetzgebung beruhen, weiterhin beklagt werden; inzwischen sind doch die verstreuten Inseln zu einem deckenden Festland eines schuldvertraglichen Verbraucherschutzrechts zusammengewachsen. Mit dem Haustürgeschäft, den Kreditgeschäften, dem Fernabsatz- und Teilzeitwohnrechtegeschäft, dem Geschäft unter Verwendung von vorformulierten Vertragsbedingungen sind weite Felder des allgemeinen Geschäftsverkehrs sowohl geschäftstypbezogen als auch bezogen auf die Situation des Geschäftsabschlusses verbraucherspezifisch gestaltet. Eine entscheidende Wende nahm die Qualität der Inkorporation europäischer Regeln zum Verbraucherschutz in das nationale Recht durch die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, wobei erstmals 1 die Umsetzungspflicht zum Anlass einer grundlegenden Reform allgemeiner Sachregelungen genommen wurde, so dass verbraucherrechtliche Erwägungen Einfluss auf das allgemeine Zivilrecht gewinnen. 2 Damit ist ein Bereich verbraucherschützender Regelungsinhalte im Schuldvertragsrecht entstanden, der eine Art dritte Regelungsebene neben dem allgemeinen Privatrecht und dem Handelsrecht darzustellen scheint.

1 Ansatzweise auch schon durch das Fernabsatzgesetz, §§13,14,241 a BGB; Flume ZIP 2000, 1427; Hensen ZIP 2000, 1151. 2 Vgl. Brüggemeier JZ 2000, 529; Ernst/GsellZW 2000,1410; dies. ZIP 2000, 1812; Faber, Jb. Jg. Zivilrechtswiss. 1999, S.85 m.w.N.; W.-H. Roth JZ 2001, 473; Schmidt-Räntsch ZIP 2000, 1639; limmermann JZ 2001, 171.

2

Einführung

Ergänzt wird dies durch eine Anzahl verbraucherbezogener Regeln des Prozessrechts, vor allem die Verbandsklage wegen Verwendung und Empfehlung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen und wegen Verletzung verbraucherschützender Vorschriften. Auf der Ebene des grenzüberschreitenden Verkehrs greift das internationale Privatrecht mit den Regeln der Art. 29, 29a EGBGB.

B. Ziel und Perspektive der Arbeit Die Tragfähigkeit eines Gesamtgebildes Verbraucherschutzrecht und seine Vereinbarkeit mit den vorhandenen Wertungen und Strukturprinzipien des Schuldvertragsrechts muss sich jedoch erst noch erweisen. Deshalb wählt diese Arbeit das Verbraucherrecht nicht vorrangig als Teilaspekt oder auch Ausgangspunkt der Entwicklung und des wissenschaftlichen Entwurfs eines umfassenden europäischen Vertragsrechts. Entworfen werden ebenfalls keine abgeschlossenen theoretischen Konzepte rechtspolitischer oder ökonomischer Art eines Verbrauchervertragsrechts . Woran es bisher fehlt, ist die wertungsgerechte inhaltliche Integration von verbraucherschützendem Schuldvertragsrecht in die vorhandene nationale Rechtsordnung. Die Aufgabe, vor der die Wissenschaft hier steht, ist die systematische Gesamtschau der existenten Normen des Verbrauchervertragsrechts, die Beantwortung der dogmatischen Grundfragen in diesem Rechtsbereich und der A b gleich mit dem für Jedermann geltenden Bürgerlichen Recht. Die Erkenntnis, dass ein Sonderprivatrecht der Verbraucher weder erwünscht noch installiert ist, hindert nämlich bislang nicht daran, dass den Vorschriften des Verbraucherschuldvertragsrechts ein spezifischer, von dem für Jedermann geltenden Recht prinzipiell abweichender Charakter zugemessen wird. Notwendig ist demgegenüber die Erfassung verbraucherrechtlicher Regeln als Teil eines umfassenden und wertungsgerecht aufeinander abgestimmten Systems des Schuldvertragsrechts. Dies zu leisten ist Ziel der Arbeit, die sich damit auch als Beitrag zur Vertragstheorie versteht. Es wird sich zeigen, dass eine solche Systembildung letztlich auch im Rahmen der Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts - möglich ist. Dadurch wird eine Perspektive eröffnet, die in Zukunft ein weitgehend berührungsloses inhaltliches Nebeneinander der Ansätze und Instrumente verbraucherrechtlicher Vorschriften zu denen des sonstigen Schuldvertragsrechts verhindert und die notwendige inhaltliche Kohärenz innerhalb des Rechts der Schuldverhältnisse herzustellen geeignet ist. Dies ermöglicht auch eine künftige Harmonisierung etwaiger weiterer verbraucherrechtlicher Einschübe in das Schuldvertragsrecht.

Einführung

3

C. Definition des schuldvertraglichen Verbraucherschutzrechts Verbraucherschutzrechtliche Vorschriften des Schuldvertragsrechts werden hier als solche begriffen, die an die rechtsgeschäftliche Begegnung eines Verbrauchers mit einem gewerblich Tätigen anknüpfen und bei bestimmten Geschäftstypen bzw. bestimmten tatsächlichen Umständen eines Vertragsschlusses normative Konsequenzen aus der Verbrauchereigenschaft ziehen. Verbrauchereigenschaft ist nach deutscher 3 und gemeinschaftsrechtlicher 4 Normgebung durch die nicht gewerbliche oder berufliche Zwecksetzung des Rechtsgeschäfts definiert. D e m Verbraucher gegenüberstehen muss der gewerblich oder (selbständig) beruflich Tätige. 5 Die Verbrauchereigenschaft haftet also einer Person nicht dauerhaft als soziale Stellung oder Gruppeneigenschaft an, sondern begründet sich erst aus einer bestimmten Rolle in einem Rechtsgeschäft. Aber auch das durch private auf der einen und unternehmerische Zwecksetzung auf der anderen Seite gekennzeichnete Geschäft führt nicht schlechthin zur Anwendung besonderer rechtlicher Regeln. Das Geschäft etwa des nicht gewerblich tätigen Verkäufers, (Ver-) Mieters, Schenkers oder Beschenkten, Werkbestellers, Auftraggebers oder -nehmers mit dem gewerblich Tätigen lässt nicht ohne weiteres Verbraucherschutzrecht eingreifen. 6 Die Rechtsordnung kombiniert vielmehr den rollenspezifischen Ansatz mit einer situativen oder vertragstypbezogenen Anknüpfung, beispielsweise dem Vorliegen eines Haustürgeschäfts, Kreditvertrages, der Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen. 7 Die private Zwecksetzung, die Begegnung mit dem unternehmerisch Tätigen und ein bestimmter Vertragstyp oder bestimmte Umstände des Vertragsabschlusses müssen zusammenkommen. 8 Die derart durch Kombination eines rollenspezifischen mit einem situativen/vertragstypbezogenen Ansatz gekennzeichneten Rechtsregeln werden im folgenden als schuldvertragliches Verbraucherschutzrecht definiert. Damit wird nicht behauptet, es gäbe keine Normen, die unabhängig von einer Anknüpfung an den Verbraucherbegriff für die rechtliche Stellung des Verbrauchers Bedeutung hätten und teilweise entsprechende Normzwecke und Zielsetzungen aufwiesen wie die des Verbraucherschutzrechts. 9 Wird jedoch die Frage nach der 3 S. unten 3. Teil C.; mag auch die Formulierung der § § 1 3 , 1 4 B G B nicht eben gelungen sein; vgl. Flume ZIP 2000, 1427 (1428). 4 S. unten 2. Teil D. 5 S. unten 2. Teil D.; 3. Teil C. 6 Flume ZIP 2000, 1427 (1428). 7 Vgl. Pfeiffer, in: Schulte-Nölke/Schulze, S.21 (28ff.) m.w.N.; kritisch Medicus, Festschrift Kitagawa, S.471, (481 ££.). 8 S. unten 2. Teil D., 3. Teil C. 9 So das Konzept von Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 10, 85, wodurch im Ergebnis alle Normen, die die wirtschaftliche Selbstbestimmung schützen, als

4

Einführung

Konvergenz verbraucherschützender Ansätze mit allgemeinen Lehren des Schuldvertragsrechts und der Teilnahme des Verbraucherrechts an dessen Weiterentwicklung auch im Rahmen gemeinschaftsrechtlicher Einflussnahme gestellt, sind als Ausgangspunkt die im hier beschriebenen engeren Sinne verbraucherschützenden Regeln fruchtbar zu machen, deren Umfang wächst und deren Bedeutung für den Rechtsverkehr steigt.

D. Abfolge der Bearbeitung Der erste Teil der Arbeit wird sich mit den Grundgedanken des allgemeinen Schuldvertragsrechts und dessen Anknüpfungskriterien für schutzerweiternde Sonderregelungen beschäftigen. Dies dient der Klärung der Ausgangslage, in die sich schuldvertragliches Verbraucherschutzrecht einordnet. Der zweite Teil ermittelt die aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht stammenden Vorgaben, die auf diese nationale Rechtsmasse einwirken und bei der Interpretation gemeinschaftsrechtlich fundierten nationalen Verbraucherschutzrechts zu beachten sind. Beides schafft die Grundlage für eine Untersuchung, inwieweit das Verbraucherschutzrecht im System des Schuldvertragsrechts einen Bruch darstellt, oder trotz Modifikation allgemeiner Lehren - eine Kohärenz zur Entwicklung des allgemeinen Privatrechts gegeben ist. Im dritten Teil wird deshalb der Frage nachgegangen, inwieweit Grundlagen, Zweck und Legitimation des schuldrechtlichen Vertrages sich durch den Verbraucherschutzgedanken verändert haben. Der Ansatz des Verbraucherschutzrechts ist mit dem Anknüpfungspunkt für schutzerweiternde oder schutzbeschränkende Regelungen im allgemeinen Privatrecht und Handelsrecht zu vergleichen und die jeweiligen Schutzmechanismen gegenüberzustellen. Häufig wird dabei vor allem die Inkompatibilität verbraucherrechtlicher Schutzvorschriften mit der vom Grundsatz der Freiheit und Gleichheit der Privatrechtssubjekte getragenen Wertung des Bürgerlichen Rechts und dessen allgemeiner Systematik kritisiert. 10 So ist beispielsweise übereinstimmende Besonderheit die Anknüpfung an die Person des Verbrauchers, die aufgrund der Unschärfe dieses Begriffes zu Unstimmigkeiten der Systematik führen kann. Verbraucherschutzrecht begriffen werden; auch Medicus, Festschrift Kitagawa, S. 471 (486), will die Frage „Wer ist ein Verbraucher?" ersetzen durch die Frage „Wer bedarf in welcher Situation eines besonderen Schutzes?", was jedoch einander nicht ausschließt, s. unten 3. Teil C. 10 Etwa Callies AcP 203 (2003), 575; Damm]Z 1994,161ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts; Drobnig, Neues europäisches Vertragsrecht, S. 201 (203f.); Flume ZIP 2000,1427; Heiderhoff, Grundstrukturen, u.a. S. 238ff., 290ff., 454; Hommelhoff Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, S. 6ff.; Locher, Festschrift Gernhuber, S.281, (292ff.); Medicus, Festschrift Kitagawa, S.471 (485ff.); ders. JuS 1996, 761; Mohr AcP 204 (2004), 660; Zimmermann JZ 2001, 171 (178); jew. m.w.N.

Einführung

5

Typische Reaktionsweise verbraucherschützender Normen ist die Eröffnung eines Widerrufsrechts für den Verbraucher, die erhöhte Aufklärungspflicht des Geschäftsgegners, die Einengung des Bereichs des disponiblen Rechts. Sämtlich wird damit Einfluss auf den privatautonomen Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien im Verbrauchergeschäft genommen. Letztlich wird festzustellen sein, ob sich die Offenheit des allgemeinen Privatrechts für einen Raum zur Entfaltung der Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit des Privatrechtssubjekts durch das Verbraucherschutzrecht verändert hat. Dies lenkt auch zu der Fragestellung, inwieweit wir vor einer Aufspaltung der Privatrechtssubjekte stehen in die Gruppe derjenigen, die in der Lage und Willens sind, selbstverantwortlich ihre Angelegenheiten rechtlich zu regeln, und derjenigen, bei denen nur noch staatliche Ordnung den Schutz und Geschäftserfolg des Einzelnen und vertragliche Austauschgerechtigkeit gewährleisten kann. Daran wird deutlich, dass die hier behandelte Thematik einen Ausschnitt aus dem allgemeinen Verhältnis zwischen staatlicher Regelung und privater Gestaltungsfreiheit betrifft. Im vierten und letzten Teil schließlich wird der prozessualen Flankierung von verbraucherrechtlichen Regeln des Schuldvertragsrechts nachgegangen, die in besonderer Weise durch eine Abkehr vom Individual- zum Kollektivschutz gekennzeichnet ist. Ein Ergebnis beendet die Arbeit.

Erster Teil

Die nationalen Vorgaben Legitimation, Grundlage und Ziel des Schuldvertrages im Bürgerlichen Gesetzbuch

8

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

A. Das formale und das materiale Konzept von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit I. G r u n d l a g e n Eingebettet in die allgemeine Privatrechtsordnung, garantiert und geschützt durch die grundrechtliche Freiheitsgarantie und verfassungsrechtliche Wertordnung 1 des Staates, hat der Einzelne das Recht, Inhalt, Gegenstand und Gegenüber, das „ob" und das „wie" eines Vertrages in Ubereinstimmung mit der Willensäußerung der anderen Vertragsseite zu gestalten. Die allgemein derart definierte Vertragsfreiheit ist Teil des Prinzips der Privatautonomie und damit Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit in eigenen Angelegenheiten auf der Grundlage einer freiheitlichen Rechtsordnung. Der übereinstimmende Wille der Vertragschließenden ist Grund der Anerkennung des Vereinbarten durch die Rechtsordnung. Die Verbindlichkeit des Vertrages und seine Durchsetzbarkeit mit den Mitteln der Rechtsordnung gründen also auf der Tatsache des Vertragsschlusses. Die Vertragsfreiheit eröffnet damit die Möglichkeit freiwilliger Selbstbindung und führt gleichzeitig zur eigenmächtigen Beschränkung der Freiheit. Ergebnis und Ziel der Freiheitsausübung im Rahmen der Vertragsfreiheit ist die Bindung an die übernommene Verpflichtung und zugleich der Ausschluss anderer Entscheidungsmöglichkeiten. Bindung bedeutet Selbstverantwortung für die getroffene Entscheidung. Wer einen Schuldvertrag mit einem bestimmten Inhalt und bestimmten Vertragspartner schließt, ist an diesen gebunden, hat ihn zu erfüllen und kann ohne Verletzung seiner vertraglichen Pflichten keine widersprechende Verpflichtung erfüllen. Die Freiheit dient der Bindung und wird durch diese verwirklicht; die Bindung setzt Freiheit voraus und beschränkt sie gleichzeitig. Ob dabei der Wille der Parteien oder die Entscheidung des Gesetzgebers letzter Bindungsgrund ist, stellt keinen Gegensatz dar. 2 Das BGB geht grundsätzlich von der Vorstellung aus, dass die Parteien ihre Rechts- und Verkehrsbeziehungen im Rahmen der Rechtsordnung nach ihrem Ermessen gestalten können. 3 Damit gewinnt auch das Vertrauen einer Vertragspartei in die Willensäußerung des Gegenübers rechtliche Bedeutung. Die Vertragsfreiheit kann immer nur im Gefüge der Rechtsordnung wirken, die wiederum die Kompetenz 4 zur eigenmächtigen Bindung anerkennt und deren Folgen sanktioniert. An den Vertrag sind die Parteien dann ebenso gebunden wie an das Gesetz - Autonomie im wörtlichen Sinn. 1 BVerfGE 7, 198 (205); 8, 274 (328); 42, 143 (148); 72, 155 (170); 81, 242 (254); 89, 214 (229, 232); 103, 89 (100); DiFabiojZ 2 0 0 4 , 1 ; Isensee, Festschrift Großfeld, S.485, (494f.) m.w.N.; von Mangoldt/Klein/Starak G G Art.2, R n . l 3 6 f f . ; Maunz/Dürig/Di Fabio G G A r t . 2 A b s . l , Rn. lOlff. 2 Flume, Allgemeiner Teil II, § 1, 2. 3 M o t i v e l l , S. 2. 4 Canaris AcP 200 (2000), 273 (277).

A. Das formale und das materiale

Konzept

9

Im Vertrag wird damit grundsätzlich privater Wille, nicht aber staatliche (Idealvorstellung verwirklicht. Folglich steht die Frage der Angemessenheit und Gerechtigkeit der vertraglichen Regelung, solange sie im Rahmen der rechtlichen Befugnis bleibt, außerhalb staatlicher Wertung, stat pro ratione voluntas. Dem entspricht die Formulierung, der Staat stehe dem geschlossenen Vertrag neutral gegenüber.5 Aus dem Vertragsschluss wird damit nicht nur die Verbindlichkeit seines Inhalts gefolgert, sondern diesem Inhalt, da er den gemeinsamen Willen jeweils gleichermaßen zur autonomen freiheitlichen Gestaltung berechtigter Vertragsparteien verkörpert, auch eine Richtigkeit in dem Sinne unterstellt, dass er einer weiteren Kontrolle durch die Rechtsordnung nicht bedarf, volenti non fit iniuria. Dies meint keine nach objektiven Kriterien bestimmbare Angemessenheit und Gerechtigkeit des vereinbarten Vertragsinhalts, sondern Richtigkeit des in freiwilliger Selbstbindung gefundenen Vertragsergebnisses für die jeweils gleichermaßen autonom handelnden Vertragsbeteiligten, sei es auch objektiv unvernünftig oder inäquivalent.6 II. Formale und materiale Begriffe der Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit Solange dabei allerdings allein auf den rechtlichen Freiraum des Privaten zum Vertragsabschluss, nicht jedoch auf seine tatsächliche Möglichkeit, die Freiheitskompetenz auch auszuüben, abgestellt wird, entspricht dieses Konzept einem rein formalen Verständnis von Vertragsfreiheit. Auch der Richtigkeitsbegriff ist ein formaler, wenn ausschließlich die Tatsache der Einigung zweier Individuen als Garant eines von Seiten der Rechtsordnung anerkennungsfähigen Vertragsinhalts angesehen wird. Ein solches formales Verständnis von Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit/gerechtigkeit wird nicht mehr durchgängig akzeptiert und entspricht auch nicht der gesetzlichen Realität.7 Bei bleibender grundsätzlicher Anerkennung des Willens der Vertragsparteien als Grundlage der Bindungswirkung des Vertrages im Rahmen der Rechtsordnung wird in immer stärkerem Maße die Fähigkeit des Einzelnen, die ihm zugebilligte Freiheit zur willentlichen Gestaltung seiner Angelegenheiten auch tatsächlich auszuüben, zum einen, und die objektive Angemessenheit, Äquivalenz und Gerechtigkeit des Vertragsinhalts zum anderen als zusätzliche Voraussetzung eines von der Rechtsordnung anzuerkennenden Vertrages betont. 8 Dabei findet nicht nur eine Erhöhung der Regelungsdichte ohne Flume, Allgemeiner Teil II, § 1, 5.; Vgl. Raiser JZ 1958, 1. Vgl. nur Schenkung, Liebhaberpreis, Ehe, grundsätzlicher Verzicht der Rechtsordnung auf Bestimmung eines iustum pretium und auf Versagung einer laesio enormis außer im Falle der Sittenwidrigkeit. 7 S. unten B. 8 S. etwa BVerfGE 89,214; 103,98; BVerfG NJW2001,2248; Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 5 6

10

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

eigenständigen Inhalt statt.9 Vielmehr wird neben der formalen Gleichheit der Vertragsparteien in ihrem Recht auf Privatautonomie das Kriterium tatsächlicher materialer Freiheit hervorgehoben und der Vertragsinhalt zudem anhand objektiver Kriterien zu überprüfen versucht. Auch schon der formale Freiheitsbegriff steht allerdings nicht außerhalb einer wertenden Prämisse. Weil den Privatrechtssubjekten grundsätzlich Selbstbestimmungsfähigkeit, und zwar im letztlich materialen Sinne, zugesprochen wird, verleiht die Rechtsordnung ihnen auch die entsprechende (formale) Kompetenz. Diese Prämisse mit Einschränkungen zu versehen und in tatsächlicher Hinsicht einer Uberprüfung zugänglich zu machen, ist Gedanke des materialen Freiheitsbegriffs. Damit wird nicht der Vertrag als Ordnungsmittel abgelehnt.10 Dem formalen Verständnis von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit wird jedoch ein materiales zur Seite gestellt.11 1.

Vertragsfreiheit

Während formale Vertragsfreiheit die grundsätzliche Freiheit von rechtlichen Hindernissen, also die oben beschriebene ¥rei\íéitskompetenz meint, wird materiale Freiheit im folgenden in Ubereinstimmung mit der großteils angewandten Begriffsbestimmung12 mit tatsächlicher Entscheidungsfreiheit definiert. Sie bedeutet die Freiheit des privatautonom handelnden Rechtssubjekts von Beeinträchtigungen in tatsächlicher Hinsicht 13 , worunter sowohl von außen herangetragene faktische Hindernisse als auch in der Person selbst liegende verstanden 1; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.263ff.; 282ff.; Esserl Schmidt, Schuldrecht Bd. 11. Hbd., § 1 II; Fastrieb, Richterliche Inhaltskontrolle, S.29ff., 215 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 171 ff., 315ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität; Lieb AcP 178 (1978), 196; Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht; ders. JuS 1996, 761; Nicklisch BB 1974, 941; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 8ff. 145ff.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht; Raiser]Z 1958, 1; Wagner, Prozeßverträge, S.72,126ff.; Westermann AcP 178 (1978), 150; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich; zusammenfassend zu den Entwicklungen in der deutschen Debatte: Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 240f., 300ff. So jedoch Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 204/205; anders wohl S.382. Vgl. Brox JZ 1966, 761 (762); Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1; Schmidt-Rimpler, Festschrift Raiser, S.3ff.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.84, 85. 11 Zu einzelnen Tendenzen der „Materialisierung" Canaris AcP 200 (2000), 273. 12 Kramer, Die „Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 20ff., 58ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S.498f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 179; Hönn, Festschrift Kraft, S.251 (258/259); Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich; vgl. Drexl, die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.7, 208f., 266ff.: anders wohl Heiderhoff, Grundstrukturen, S.350, S. 204/205; ähnlich wie hier aber S.382. 13 Canaris AcP 200 (2000), 273 (277). 9

10

A. Das formale und das materiale Konzept

11

werden, seien es fehlende persönliche oder wirtschaftliche Selbstbestimmung, I n formationsdefizite, fehlendes K n o w

H o w , ungleiche Machtverteilung,

Ge-

schäftsunerfahrenheit, das Angewiesensein auf ein G u t , Vermögen und M a r k t struktur. In solcher Allgemeinheit greift die Rechtsordnung diese Hindernisse nicht auf. Ihre Berücksichtigung findet jedoch Ausdruck in konkreten Regeln. 1 4

Vertragsrichtigkeit

2.

D e r formale Richtigkeitsbegriff geht davon aus, dass die Rechtsordnung das, was vertraglich vereinbart wurde, grundsätzlich anerkennt und zwar unabhängig von seinem Inhalt, also von objektiven Kriterien wie Angemessenheit und Äquivalenz der vereinbarten vertraglichen Leistungen und Bedingungen. Subjektive Richtigkeit 1 5 , nicht objektive Gerechtigkeit, ist maßgeblicher Ansatzpunkt der rechtlichen Wertung des Vertrages. Dies leitet auch über zu dem, was unter den Begriff der prozeduralen Gerechtigkeit eines Vertrages gefasst wird. D e r prozedurale Richtigkeitsbegriff geht davon aus, dass bei Einhaltung eines bestimmten Verfahrens des Vertragsschlusses der Vertrag unabhängig von weiterer inhaltlicher Kontrolle Bindungskraft entfaltet. 1 6 D e r materiale Gerechtigkeitsbegriff hingegen bestimmt den Vertrag als A u s tauschverhältnis von grundsätzlich objektiv äquivalenten Leistungen; er unterwirft den Vertrag einer inhaltlichen Kontrolle im H i n b l i c k auf seine Ausgewogenheit. Deutlichen Ausdruck findet dies beispielsweise in der Inhaltskontrolle geschlossener Verträge anhand normierter Regeln durch das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen 1 7 , dem wachsenden Bestand zwingenden Rechts im Wohnraummiet- und Arbeitsrecht 1 8 , der richterlichen Inhaltskontrolle etwa im Bereich der Rechtsprechung zur Bürgschaftsübernahme durch Familienangehörige und der ehevertraglichen Gestaltung 1 9 und insbesondere der immer größeren Regelungsdichte in der Verbraucherschutzgesetzgebung. 2 0

3. Verbindung von Vertragsfreiheit und

Vertragsrichtigkeit

Vertragsfreiheit und Vertragsrichtigkeit sind vielfach miteinander verbunden zu betrachten. G e h t man v o m formalen Richtigkeitsbegriff aus, ist der Schritt nicht weit zu der Feststellung, dass Willensübereinstimmung als Grundlage der B i n -

S. unten B. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.282. 16 Das Verfahren des Vertragsschlusses selbst, das freie Aushandeln der Vertragsbedingungen und ähnliches werden hier als Kriterien genannt. 17 S. unten B VII. 18 S. unten B III. 1 9 S. unten B VIII. 2 0 S. unten 3. Teil. 14

15

12

Erster Teil: Die nationalen

"Vorgaben

dungskraft eines Vertrages in erster Linie dann überzeugend ist, wenn die beteiligten Rechtssubjekte tatsächlich frei waren, ihren Willen zu bilden und auszuüben. Das Vorhandensein materialer Vertragsfreiheit spricht demnach dafür, einen Vertrag nicht weiteren inhaltlichen Kriterien zu unterwerfen, sondern beim formalen Richtigkeitsbegriff zu verbleiben.21 Ohne dies wäre schon der freiwillig aus emotionalem Interesse vereinbarte Liebhaberpreis, die uneigennützige Schenkung als verbindlicher Inhalt eines Vertrages nicht denkbar. Ebenso spricht beim prozeduralen Richtigkeitsbegriff das Einhalten eines bestimmten Verfahrens des Vertragsschlusses für einen Verzicht auf weitere materiale Kontrolle des Vertrages. Letztlich dient aber auch dieses Verfahren allein der Eröffnung tatsächlicher Entscheidungsfreiheit. Fehlt demgegenüber materiale Vertragsfreiheit ist auch formale bzw. prozedurale Richtigkeit nicht mehr selbstverständliche Folge des geschlossenen Vertrages. Es stellt sich dann die Frage, in welchen Fällen fehlender tatsächlicher Entscheidungsfreiheit an ihre Stelle eine Überprüfung des Vertragsinhalts anhand objektiver Kriterien treten sollen. 4. Das Modell der vertraglichen

Solidarität

Eine materiale Betrachtung von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit führt allerdings nicht dazu, dass ein altruistisches Konzept von Privatautonomie an die Stelle des möglichst auf Durchsetzung individueller Interessen gerichteten Vertragsmodells tritt, wie es die von Lurger entworfene Theorie von der „vertraglichen Solidarität"22 vorsieht. Dieses Modell propagiert mit dem Grundsatz der „vertraglichen Gleichheit", dem Grundsatz des „vertraglichen Gleichgewichts" und dem Grundsatz der „vertraglichen Solidarität (im engeren Sinne)" drei Voraussetzungen für die Anerkennungsfähigkeit eines verbindlichen kontrollfreien Vertrages, ohne dass allerdings die konkreten Rechtsfolgen der Abweichung von diesen Voraussetzungen benannt würden.23 „Vertragliche Gleichheit" versteht sich dabei als Gleichheit der Vertragspartner in ihren Ausgangsbedingungen.24 Dies kommt der Vorstellung notwendiger materialer Vertragsfreiheit, das heißt beiderseitiger tatsächlich selbstbestimmter Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung eines anerkennungsfähigen Vertrages durchaus nahe. Mangelnde „Gleich21 Derart ist der Begriff der „Richtigkeit" letztlich auch bei Schmidt-Rimpler AcP 147 (1941), 130ff. zu verstehen, der davon ausgeht, dass schon das Erfordernis beiderseitiger Willensübereinstimmung vor dem unrichtigen Vertrag bewahrt (S. 152,156), vorausgesetzt die Funktionsvoraussetzungen des Vertrages liegen vor (S. 157)-formale und materiale Richtigkeit kommen damit zur Entsprechung, ohne dass eine weitere Kontrolle des Inhalts auf seine Angemessenheit hin erforderlich ist; ein „subjektives" Verständnis der Richtigkeitsgewähr ergibt sich auch aus Schmidt-Rimpler, Festschrift Raiser, S. 3, (15); siehe noch im folgenden. Eine grundsätzliche Ablehnung des Richtigkeitsbegriffes ist bei „richtigem" Verständnis seines Inhalts nicht angebracht. 22 Lurger, Vertragliche Solidarität, insbes. S. 128ff., 136. 23 Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 130f. 24 Lurger, Vertragliche Soilidarität, S. 130f.

A. Das formale

und das materiale

Konzept

13

heit" ist jedoch ein in dieser Allgemeinheit zu unbestimmter Ansatzpunkt für entsprechend sanktionierbare Störungen in der Entscheidungsfreiheit. Wir werden sehen, dass sowohl das allgemeine Schuldvertragsrecht als auch die Regeln des Verbrauchervertragsrechts immer sehr spezifische Gründe für die Notwendigkeit materialer Korrekturen im Begriff der Vertragsfreiheit finden.25 Der die anfängliche und auch später entstehende Ausgewogenheit des Vertrages betonende Grundsatz des „vertraglichen Gleichgewichts" 26 ist ebenfalls nur bei stark generalisierender Betrachtung vereinbar mit der oben beschriebenen Berücksichtigung objektiver Angemessenheitskriterien im Vertrag. Wir werden nämlich feststellen, dass, entgegen dem Entwurf Lutgers, die Ausgewogenheit des Vertrages sei auch unabhängig von einer „Ungleichgewichtslage" zu beachten 27 , die vertragliche Inhaltskontrolle eben solche näher differenzierten Störungen der Ausgangsbedingungen voraussetzt.28 Ansonsten bleibt es auch bei materialer Betrachtung von Privatautonomie bei grundsätzlicher Inhaltsfreiheit. Was letztlich „vertragliche Solidarität (im engeren Sinne)" betrifft, ist insbesondere materiale Vertragesfreiheit darauf gerichtet, selbstbestimmt und in freier Entscheidung ausgehandelten Vertragsergebnissen auch die entsprechende Verbindlichkeit zu geben, ohne dass bei Abschluss des Vertrages und während seiner zukünftigen Entwicklung die Vereinbarung über den Maßstab von Treu und Glauben hinaus29 auf ihre Fairness und Offenheit, die einander gewährte Fürsorge und Solidarität zu überprüfen ist. Ein materiales Konzept von Privatautonomie setzt „gesunden Egoismus" beider Vertragsparteien im Rahmen des rechtlich Erlaubten geradezu voraus.30 In diesem Rahmen soll das Eigeninteresse einer Partei seine Grenze (allein) in der Bereitschaft des Vertragsgegners finden, es zum Teil der Vereinbarung zu machen. 5. Die Ordnungsfunktion

des Vertrages

Der Privatrechtsordnung wird allerdings durch Materialisierung von Vertragsfreiheit und -richtigkeit zusätzlich zu ihrer freiheitswahrenden Funktion eine verstärkte Ordnungsfunktion beigemessen. Nicht, weil es den Kontrahenten an Altruismus fehlt, sondern weil fehlende tatsächliche Freiheit in der Durchsetzung egoistischer Ziele korrigiert werden soll und diese Korrektur sich auch auf unanS. unten B. sowie 3. Teil. Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 131. 27 Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 131. 28 S. im folgenden sowie unten B., und auch 3. Teil. 29 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die unten B. VIII. 2. erläuterten Entscheidungen des B G H ; auch Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 583, hat bereits dargelegt, dass das Prinzip der vertraglichen Solidarität eine über den Grundsatz von Treu und Glauben hinausgehende Fürsorgepflicht propagiert. 30 Vgl. auch Heiderhoff, Grundstrukturen, S 359ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 583. 25 26

14

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

gemessene Vertragsinhalte erstreckt. Die staatliche Rechtsordnung steht dem geschlossenen Vertrag damit nicht länger neutral gegenüber, sondern wertend. Mit Übernahme dieser Ordnungsaufgabe macht der Staat das Interesse der Vertragsparteien an einer angemessenen Regelung zur staatlichen Schutzaufgabe für Gesetzgebung und Rechtsprechung. 31 Vertragsfreiheit besteht im Interesse angemessener Ergebnisse und des Schutzes des Einzelnen vor Ubervorteilung und Freiheitsbeschränkung durch andere. Das liberale Privatrechtsmodell, in dem sich Freiheit in erster Linie gegen den Staat richtet, wird ergänzt durch ein Modell des Schutzes für die nicht selbstbestimmt handelnde oder durch den Vertrag inhaltlich benachteiligte Vertragspartei. Damit wird der Staat Garant für in freier Selbstbestimmung geschlossene und auch inhaltlich gerechte Verträge. Die Vertragsfreiheit gilt dann nicht länger, weil sie Selbstbestimmung verwirklicht 32 und folglich - wie andere Grundrechte - um ihrer selbst willen, unabhängig vom konkreten Nutzen für die Allgemeinheit und als Gegenpart staatlicher Einmischung; sie gilt, weil und solange der Staat durch sie seinen Schutzpflichten dem Einzelnen gegenüber und seiner Ordnungsaufgabe gerecht wird. Die Angemessenheit vertraglicher Regelung wird zur öffentlichen Aufgabe. Zur Legitimation der Vertragsfreiheit durch die als Wert anerkannte Selbstbestimmung der Parteien tritt die Legitimation um der angemessenen Ergebnisse willen. Das private Interesse an einem gerechten Vertrag wird zum öffentlichen Interesse an einer funktionsfähigen Vertragsordnung, das bei eigenmächtiger Gestaltung nicht mehr durchgängig als erfüllt angesehen wird. Damit relativiert sich der klassische Gegensatz zwischen privatem und öffentlichem Interesse. Das private Interesse wird zum Allgemeininteresse, das heute mehr und mehr marktwirtschaftlich definiert wird, das heißt als Interesse an optimaler Güterverteilung in einem funktionsfähigen Wettbewerb. Die Funktion des Vertrages als Ordnungsmittel und seine Aufgabe der Verwirklichung individueller Freiheit spielen zusammen. So ist die Wahrung individueller tatsächlicher Entscheidungsfreiheit im materialen Sinn und die Ausrichtung des Vertrages als solcher auf eine funktionsfähige Privatrechtsordnung kein Gegensatz in sich. 33 Vielmehr betont nach obigem gerade eine materiale Einordnung des Freiheits- und Richtigkeitsbegriffes die überindividualistische Funktion des Vertrages. Letztlich bestand auch das Anliegen Schmidt-Rimplers in der rechtspolitischen Rechtfertigung der Anerkennung von Privatautonomie und Vertrag als Ordnungsmittel durch die Richtigkeitsgewähr. 34 31 BVerfGE 89,214; dazu Isensee, Festschrift Großfeld, S. 485; Canaris, Grundrechte und Privatrecht; Schuppertl Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, S. 18 ff., 74 ff.; Zöllner AcP 196 (1996), 1; vgl. unten B. VIII. 32 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil II, § 1, 5., 7. 33 So jedoch Gesamtansatz Heiderboff, Grundstrukturen, insbes. S.219ff., 238ff., s. noch unten 2. Teil B.-D.; 3. Teil C. II. 34 Vgl. oben Fn.21; derart auch die Wertung durch Brox JZ 1966, 761 (762); Heiderhoff, Grundstrukturen, S.301; sowie im Grunde auch durch Adomeit NJW 1994, 2467 (2468) „Ret-

A. Das formale

und das materiale

Konzept

15

Die Ordnungsfunktion des Vertrages betrifft die Frage, inwieweit Vertrag und Vertragsfreiheit geeignet sind, optimale und gerechte Güterverteilung in einer liberalen Gesellschafts- und Marktordnung zu gewährleisten. Rechtspolitisch ist insofern materiale Gerechtigkeit des Vertrages durchaus zur Legitimation der Vertragsfreiheit geeignet. Eine Privatrechtsordnung wird diese Frage nach der Geeignetheit des Vertrages, als Ordnungsmittel ihre Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, immer wieder stellen. 35

6. Das Primat der materialen

Vertragsfreiheit

vor der materialen

Gerechtigkeit

Allerdings stellen die Funktion des Vertrages als Ordnungsmittel und seine Aufgabe der Verwirklichung individueller Freiheit zwei unterschiedliche, wenn auch vielfach miteinander verknüpfte 36 Ansätze dar.37 Deshalb wird nicht nur der „objektiv gerechte" Vertrag von der Rechtsordnung anerkannt. 38 Im Interesse ihrer Verpflichtung zur Gewährung von Freiheit und Verantwortung hat die Rechtsordnung dasjenige hinzunehmen, was die Parteien in Selbstbestimmung vereinbart haben, und unterwirft es einer Kontrolle nur dann, wenn die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, also materiale Vertragsfreiheit nicht gegeben sind. Aus vorhandener Selbstbestimmung kann auf subjektive Richtigkeit geschlossen werden; unter Umständen kann auch aus unangemessener inhaltlicher Benachteiligung auf fehlende Selbstbestimmung geschlossen werden. 39 Fehlende Richtigkeitsgewähr im Sinne materialer („objektiver") Gerechtigkeit ist jedoch kein selbständiger Ansatz zur Abkehr von der Neutralität des Staates gegenüber dem geschlossenen Vertrag. Dass demgegenüber fehlende tatsächliche Fähigkeit und Möglichkeit zur Selbstbestimmung, eine Einschränkung in der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit, ausschlaggebend für eine Relativierung der vertraglichen Bindung sein kann, zeigt sich schon von jeher am Recht der Anfechtung wegen Willensmängeln, insbesondere auch wegen Täuschung und Drohung, dem Kriterium der eine freie Willensentscheidung ausschließenden psychischen Zwangslage in §138 Abs. 2 B G B sowie dem Minderjährigenrecht. Umgekehrt wird erhöhte Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Vertragsgestaltung im Handelsrecht durch einen erhöhten tung des Vertragsgedankens"; vgl. zur Richtigkeitsgewähr als Ordnungsprinzip auch CoesterWaltjen AcP 190 (1990), 1 (14ff.). 35 Coester- Waltjen, AcP 190 (1990), 1,15ff.; Raiser J Z 1 9 5 8 , 1 ; Becker WM 1999,709 (710); W.H. Roth J Z 2001, 475: „zwei Seiten einer Medaille"; zur Problematik materialer Ordnungstheorien Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 50ff. 36 S. soeben. 37 Deshalb geht auch die Kritik am Begriff der „Materialisierung" durch Rückert]7.2003, 749 (760) fehl, denn der Begriff umfasst sowohl den individualistischen Freiheitsansatz als auch den ordnungspolitischen Richtigkeitsansatz. 38 Etwa Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 62. 39 S. unten B. VIII.

16

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

Freiraum auch zum Abschluss risikoreicherer Geschäfte sanktioniert. Einschränkungen des Grundsatzes pacta sunt servanda aufgrund mangelnder tatsächlicher Vertragsfreiheit sowie entsprechende Erweiterungen sind demnach anerkannt. Die Rechtsordnung sieht inhaltliche Korrekturen von objektiv unangemessenen Vertragsergebnissen durch das zwingende Recht, das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und durch das Kriterium des auffälligen Missverhältnisses in §138 Abs. 2 B G B vor. 7. Problematik

der Einordnung des

Verbrauchervertragsrechts

Die Regelungen des Verbraucherschutzrechts scheinen nun eine neue Qualität in die Diskussion um eine Materialisierung von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit zu bringen. Durch Anknüpfung erweiterter Lösungsrechte, verstärkter Inhaltskontrolle und umfassender Informationsrechte an die Beteiligung eines Verbrauchers am Schuldvertrag verschärft das Verbraucherschutzrecht die Frage, welche Einschränkungen der freien Willenentscheidung - und aus welchem Grund - Auswirkungen auf die Bindungskraft des Vereinbarten haben und haben sollen, welche Art von unangemessenem Vertragsinhalt zu korrigieren ist. Zwar wird den einzelnen Rechtssubjekten nicht die Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen zueinander genommen und durch hoheitliche Regelung ersetzt bzw. der Uberprüfung durch Verwaltungsorgane und Gerichte unterzogen; das Verbraucherschutzrecht geht jedoch scheinbar davon aus, im Verhältnis Verbraucher/Unternehmer sei die privatautonome Gestaltung in der Mehrzahl der Fälle für den Verbraucher eingeschränkt, führe zu ungerechten Ergebnissen und sei deshalb durch das Recht zu korrigieren. Daran knüpfte die Diskussion um den sog. Sonderrechtscharakter des Verbraucherrechts an.40 Während die oben beispielhaft erwähnten Normen der §§119, 123, 138 B G B und des zwingenden Rechts zunächst nichts anderes darstellen als die Konkretisierung des Gedankens, dass Ausübung der Vertragsfreiheit nicht im rechtsfreien Raum stattfindet, sondern das positive Recht Grenzen und Rahmen bildet, scheint im Verbraucherschutzrecht eine endgültige Abkehr von der jedermann zustehenden Freiheitskompetenz und der Neutralität des Staates gegenüber dem geschlossenen Vertrag vollzogen zu sein.

40 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher; Dreher JZ 1997,167 (176ff.); Esser!Schmidt, Schuldrecht Bd. I Hbd. 1, § 1 IV 1; Lieb AcP 183 (1983), 327 (354).

B. Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht

17

B. Ausprägungen einer Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht U m diesen Anschein zu bestätigen oder auch zu widerlegen, sollen im folgenden zunächst diejenigen allgemeinen Regeln des Schuldvertragsrechts, die in besonderer Weise dem Gedanken einer Materialisierung der Vertragsfreiheit R e c h n u n g tragen, auf ihren jeweiligen Z w e c k und Ansatzpunkt untersucht werden, um sodann 4 1 Diskrepanzen und Ubereinstimmungen von verbraucherschützenden R e gelungen im Bereich des Schuldvertragsrecht herausstellen zu können.

I. Die Geschäftsfähigkeit Ein für die Rechtsgeschäftslehre grundlegender Bereich, in dem die Rechtsordnung einem Vertrag wegen eines Mangels in der tatsächlichen Fähigkeit zur Ausübung von Vertragsfreiheit die Anerkennung versagt, ist das R e c h t der fehlenden bzw. beschränkten Geschäftsfähigkeit. D i e Fähigkeit zur vernünftigen selbstbestimmten Willensbildung wird hier zur Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertrages.« D i e Rechtsordnung geht damit davon aus, dass tatsächliche Fähigkeit zur Freiheitsausübung Grundvoraussetzung für die Anordnung einer Verbindlichkeit der gewählten vertraglichen Rechtsfolge ist. Konstruktiv löst sie dies über die typisierende Festlegung von Altersstufen bzw. Feststellung geistiger Schwäche unter Vermeidung jeweils situativer Uberprüfung der entsprechenden Willensbildungsfähigkeit. 4 3 Bei der beschränkten Geschäftsfähigkeit Minderjähriger wird zudem der Inhalt des geschlossenen Vertrages in die gesetzliche Wertung über die Wirksamkeit einbezogen. So billigt § 107 B G B dem lediglich rechtlich vorteilhaften bzw. rechtlich neutralen Vertrag Wirksamkeit zu. Z w e c k der Versagung der Wirksamkeit des nicht selbstbestimmt geschlossenen Vertrages ist also die Vermeidung möglicherweise nachteiliger Folgen der eigenen Handlung. 4 4 D i e § § 1 1 0 , 1 1 1 , 1 1 3 B G B gehen davon aus, dass die von diesen N o r m e n erfassten Geschäfte mit dem Z w e c k n o c h vereinbar sind. Das Gegeninteresse des Geschäftsgegners des Minderjährigen wird in § § 1 0 8 Abs. 2, 109, 111 B G B berücksichtigt. 4 5

S. unten 3. Teil. Vgl. Flume, Allgemeiner Teil II, §13, 1.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 535; ErmanIBrox BGB vor § 104 Rn. 1; Soergel/Hefermehl BGB vor § 104 Rn. 1. 43 Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 537ff. 44 Larenz, Methodenlehre, S. 331. 45 Vgl. zu den unterschiedlichen Zweckrichtungen der Regelungen über die Rechtsstellung der in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person: Larenz, Methodenlehre, S. 331 f. 41

42

18

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

D i e Regelungen zur Geschäftsfähigkeit weisen demnach sowohl Elemente der Gewährleistung tatsächlicher Entscheidungsfreiheit als auch solche materialer Gerechtigkeit auf. 4 6 Dabei greift ihr Regelungsgehalt aber im Bereich der formalen G r u n d b e d i n gungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, denn die §§ 104ff. B G B machen die Fähigkeit zur vernünftigen Willensbildung zur Voraussetzung schon der Z u e r kennung formaler Privatautonomie. Ist materiale Vertragsfreiheit nicht möglich, entfällt bereits die rechtliche Befugnis, seine eigenen Rechtsverhältnisse selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu regeln. Weil die tatsächliche Fähigkeit zur Ausübung von Vertragsfreiheit nicht gegeben ist, wird auch die formale rechtliche K o m p e t e n z abgesprochen. Was die Gewährleistung materialer Gerechtigkeit betrifft, so gründet dieses Anliegen sich entscheidend auf die fehlende Selbstbestimmung im typisierten Fall des beschränkt Geschäftsfähigen. Letztlich ist die Unwirksamkeit des Vertrages damit eine Reaktion auf das Fehlen materialer Vertragsfreiheit und erst mittelbar eine solche auf fehlende materiale Richtigkeit des Vertrages. 4 7 N i c h t relevant ist ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien, da die Verträge zwischen zwei Geschäftsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen den gleichen Regeln folgen wie die der Begegnung mit dem Geschäftsfähigen. 4 8 D i e fehlende Selbstbestimmung folgt demnach nicht aus einem Ungleichgewicht, aus einer ungleichen Machtverteilung der Parteien, sondern aus der unabhängig v o m jeweiligen Gegenüber fehlenden Fähigkeit zur eigenständigen Willensbildung. Wirksam sind die Geschäfte, die mit Einwilligung der gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen vorgenommen wurden, denn bei ihnen tritt die Selbstbestimmungsfähigkeit des Geschäftsfähigen an die Stelle der fehlenden des Minderjährigen, für den gehandelt wurde. D i e eventuelle Beschränkung der Haftung des volljährig gewordenen Minderjährigen 4 9 für derartige Verträge, ergibt nichts anderes: Angeknüpft wird durch § 1629 a B G B nicht an Mängel der tatsächlichen Vertragsfreiheit; sie wurde von den Eltern ausgeübt und führt zur vollwirksamen Verpflichtung des Minderjährigen. E s erfolgt auch keine wertende Betrachtung des Vertragsinhalts. Zur Zeit der Minderjährigkeit haftet der Minderjährige auch in unbeschränkter Weise auf Vertragserfüllung; allein nach Eintritt der Volljährigkeit tritt - nachgebildet der beschränkten Erbenhaftung, § § 1 6 2 9 a A b s . l S. 2, 1990, 1991 B G B - eine gegenständliche Haftungsbeschränkung für bestimmte Verbindlichkeiten und Rechtsgeschäfte ein. Mag auch die spätere HaftungsbeVgl. Wagner, Prozeßverträge, S. 126; s. aber noch im folgenden. Zumal es nicht darauf ankommt, ob das Rechtsgeschäft nach seinem wirtschaftlichen Gesamterfolg vorteilhaft ist; deshalb stellt sich etwa die Frage, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen gar nicht erst, vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 331; B G H N J W 2005,415; N J W 2005,1430. 48 Vgl. Zöllner AcP 196 (1996), 1 (28). 4 9 S. BVerfGE 72, 155; BT-Drs 13/5624. 46 47

B. Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht

19

schränkung berechtigte Interessen der Gläubiger beeinträchtigen, 5 0 sind weder Vertragsfreiheit n o c h Vertragsgerechtigkeit betroffen. Verhindert werden soll zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine existenzvernichtende B e lastung bei „Start in die Geschäftsfähigkeit." Daraus ergibt sich im Bereich der Regeln zur Geschäftsfähigkeit für unsere Fragestellung insgesamt folgendes: D i e Rechtsordnung sieht das Vorhandensein von Selbstbestimmung als Grundlage der Anerkennung der Verbindlichkeit von Verträgen an. Wenn materiale Vertragsfreiheit unter keinen Umständen hergestellt werden kann, scheidet der Vertrag als Ordnungsmittel aus. Dies zeigt sich in den formalen Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, zu denen das R e c h t der Geschäftsfähigkeit gehört, da es unmittelbar die Frage der Wirksamkeitserfordernisse und -hindernisse bei Rechtsgeschäften betrifft. Eine Abhängigkeit der Wirksamkeit vom Inhalt des Vereinbarten (rechtlicher Vorteil) wird in den Regelungen zur Geschäftsfähigkeit deshalb angeordnet, weil die Vereinbarung durch eine nicht zur vollen Selbstbestimmung fähige Person geschlossen wurde. D i e weitergehende Konsequenz, dass die Rechtsordnung ausschließlich Verträge zwischen jeweils selbstbestimmt handelnden Rechtssubjekten anerkennt, kann allerdings nicht gezogen werden. D e r Grundsatz formaler Vertragsfreiheit wird nicht als solcher in Frage gestellt. Bewusst unterbleibt nämlich die jeweils situative Uberprüfung ausreichender Selbstbestimmung zu Gunsten einer abschließenden Regelung typisierter Fälle. So etwas wie eine in jedem Einzelfall festzustellende „wirtschaftliche Geschäftsfähigkeit" 5 1 gibt es demnach ebenso wenig wie eine Analogie zu den Regeln der Geschäftsfähigkeit. Keine Schlussfolgerung kann aus dem Minderjährigenrecht auch dahingehend gezogen werden, dass die Rechtsordnung allgemein lediglich inhaltlich äquivalente Verträge anerkennt bzw. eine allgemeine Inhaltskontrolle eines Vertrages auf seine Äquivalenz erfordert; denn nur im Fall fehlender Selbstbestimmung greift der Schutz vor dem nachteiligen Vertrag. 5 2 Festgestellt werden kann jedoch, dass bereits im Bereich der Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre die Verweigerung der rechtlichen Anerkennung eines Vertrages aufgrund fehlender Selbstbestimmung der Partei rechtlich anerkannt und davon auch die Reaktion auf belastende Verträge abhängig gemacht wird: D a die Privatautonomie der Verwirklichung von Selbstbestimmung dient, schafft das R e c h t der Geschäftsfähigkeit Ausnahmen v o m Grundsatz formaler VertragsfreiHabersack FamRZ 1999, lff. = MittbayNot 1999, 22 ff. m.w.N. Dazu Fikentscher, Festschrift Hefermehl, S. 41 (46); Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 9; anders Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, insbes. S. 125. 52 Bei Geschäftsunfähigkeit fehlt die formale Vertragsfreiheit selbst beim Vertrag, mit dem keinerlei rechtliche Nachteile verbunden sind; auch ansonsten reicht Ausgewogenheit der Leistungen für eine Wirksamkeit nicht aus; s. oben. 50

51

20

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

heit wegen fehlender Willensbildungs- und ausübungsfähigkeit. Es zeigt sich andererseits, dass genau zu prüfen ist, welche Art von Beeinträchtigung der tatsächlichen Freiheit der Vertragschließenden einerseits und gestörter vertraglicher Äquivalenz andererseits nach dem Willen der Rechtsordnung Auswirkungen auf die Anerkennung der Bindungskraft des Vertrages haben sollen und auf welche Art zu korrigieren ist.

II. Die Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB D i e Rechtsordnung legt in § 138 B G B einen inhaltlichen Maßstab an die von den Rechtssubjekten geschlossenen Rechtsgeschäfte an. D e r einzelne hat sich nicht nur an die Rechtsnormen zu halten, auch ein Verstoß gegen die guten Sitten reicht aus, damit einem Rechtsgeschäft die Bindungskraft versagt bleibt. 5 3 D i e Willensübereinstimmung wird nach dieser Vorgabe beim sittenwidrigen Geschäft nicht als Grundlage der Bindungskraft des Vertrages anerkannt, denn das sittenwidrige Rechtsgeschäft ist nichtig. Allerdings wird eine hohe H ü r d e an das Unwerturteil über den Inhalt eines Rechtsgeschäfts angelegt. Ein Rechtsgeschäft kann zwar schon allein wegen seines Inhalts 5 4 sittenwidrig sein, weil es beispielsweise auf Vornahme einer kriminellen Handlung gerichtet ist. Soweit aber der Bereich fehlender materialer Vertragsgerechtigkeit betroffen ist, ist im R a h m e n des Sittenwidrigkeitsvorwurfs entscheidend, dass nicht die reine Störung der Äquivalenz von Leistung und G e genleistung, also eine inhaltliche Unausgewogenheit, zur Nichtigkeit des G e schäfts wegen Sittenwidrigkeit führt. 5 5 Das Rechtsgeschäft muss vielmehr nach seinem Gesamtcharakter sittenwidrig sein, der nach der gebräuchlichen F o r m e l in der Rechtssprechung der Zusammenfassung von Inhalt, Z w e c k und M o t i v zu entnehmen ist. 56 D a m i t spielen die A r t des Zustandekommens des Geschäfts, so insbesondere beim Ausnutzen einer Monopolstellung bei Knebelungsverträgen, und in diesem R a h m e n subjektive Elemente, das heißt die Kenntnis der Umstände der Sittenwidrigkeit oder das B e wusstsein des Ausnutzens einer Machtstellung, eine maßgebliche Rolle für das Unwerturteil der Rechtsordnung über das Rechtsgeschäft. 5 7

53 Zur Abgrenzung von Recht und Sitte, Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 679ff.; Flume, Allgemeiner Teil II, §18,1. 54 Vgl. Motive I, S. 211; der 1. Entwurf ging noch von Abhängigkeit allein vom objektiv sittenwidrigen Inhalt des Rechtsgeschäfts aus; vgl. Motive bei Mugdan I, S. 469. 55 RGZ 103, 35 (37); 150, 1 (3); 161, 153 (162); BGHZ 60, 28 (33); 87, 309 (318); auch BGH NJW 1992, 899 (900); NJW-RR 1993, 198; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 17ff. 56 RGZ 150,1; BGHZ 60,28 (33); 107,92 (97); BGH NJW 1992, 899 (900); Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §41 Rn.24. 57 Flume, Allgemeiner Teil II, §18, 3. m.w.N.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.689ff.; Larenz/ Wolf, Allgemeiner Teil, Rn. 24ff.; Prot. I, S. 257/ 258, vgl. Prot, bei Mugdan I, S. 725.

B. Materialisierung

der Privatautonomie

im allgemeinen

Vertragsrecht

21

Zum Moment des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung tritt also ein Element der Vorwerfbarkeit an den sittenwidrig Handelnden, das die Missbilligung der Rechtsordnung gegenüber Art und Umständen des Zustandekommens eines Vertrages, aus denen eine sittenwidrige Gesinnung spricht, ausdrückt. 58 Diese Vorwerfbarkeit kann sich insbesondere aus dem bewussten Ausnutzen einer überlegenen Machtstellung und der dieser entsprechenden Unterlegenheit der anderen Vertragsseite ergeben. 59 Im Falle besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ist allerdings ein Schluss auch auf eine verwerfliche Gesinnung zulässig. 60 Der spezielle Fall des Wuchers, §138 Abs. 2 BGB, macht das Nebeneinander des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung und der missbilligten Art und Umstände des Zustandekommens des Rechtsgeschäftes besonders deutlich. 61 Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Vertragsgegners in Kombination mit inhaltlicher Unausgewogenheit und Zurechenbarkeit an die andere Vertragsseite ist also der Ansatzpunkt des § 138 BGB. 62 Die Generalklausel des § 138 BGB richtet sich damit gerade gegen eine Begrenzung der materialen Vertragsfreiheit des Gegenübers und schützt den von einem Verstoß gegen die guten Sitten betroffenen Beteiligten. § 138 BGB zeichnet also einen Bereich ab, in dem sowohl materiale Vertragsfreiheit als auch materiale Gerechtigkeit des Rechtsgeschäfts betroffen sind und der Sittenwidrigkeitskontrolle unterworfen werden. Von der Inhaltskontrolle im Rahmen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterscheidet sich diese Kontrolle durch das Erfordernis der gesonderten Überprüfung und Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse und Beweggründe der Vertragsparteien 63 , etwa einer Situation ausgenutzten Ungleichgewichts zwischen ihnen, die sich insbesondere aus wirtschaftlicher Überlegenheit einer Vertragsseite ergeben kann. 64 Die Unangemessenheit der vertraglichen Vereinbarung als solche ist nicht allein maßgeblicher Ansatzpunkt des § 138 BGB. Von der Gewährleistung ausschließlich materialer Vertragsfreiheit ist die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts andererseits durch das Erfordernis einer entscheidenden Äquivalenzstörung abzugrenzen.

Vgl. BAG NJW 1985, 2661. BGHZ 80, 153 (161). 60 BGHZ 146, 298. 61 Zur Bedeutung des § 138 Abs.2 BGB für die Auslegung des Abs. 1 vgl. RGZ 103, 35 (37). 62 Vgl. Canaris AcP 200 (2000), 273 (280/296); wobei es nach wie vor um die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts, nicht um eine Sanktion unsittlichen Verhaltens geht, vgl. zu Abgrenzung insbesondere Flume, Allgemeiner Teil II, § 18, 2. 63 Vgl. zuletzt BGH NJW 2004, 930. 64 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 17ff. m.w.N. 58 59

22

Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

III. Das zwingende Recht Erheben Rechtsnormen des Privatrechts einen zwingenden Geltungsanspruch, wird einem ihrem Regelungsinhalt entgegenstehenden rechtsgeschäftlichen Willen die rechtliche Wirksamkeit versagt. Eine abweichende Vereinbarung ist nach §134 BGB nichtig. Aber nicht nur die negative Gestaltungsfreiheit wird eingegrenzt. Das zwingende Recht gilt zudem vertragsergänzend, ohne dass eine Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien zu Gunsten seiner Wirkung auf den Vertrag Voraussetzung ist.65 Die Lösung von Folgekonflikten wird unabhängig davon, ob die Parteien den Konflikt bedacht haben, fortgeschrieben. Abgesehen von den zwingenden Regelungen zur Zuordnung von Sachen an Personen, die der Klarheit, Uberschaubarkeit und Insichverständlichkeit der Sachenrechtsordnung dienen, und den Vorschriften über die grundsätzliche und allgemeine Rechtsstellung einer Person haben die meisten zwingenden Normen eine Schutzfunktion für die eine oder andere Vertragsseite. Dies gilt insbesondere für die zwingenden Normen im Bereich des besonderen und allgemeinen Schuldvertragsrechts, auf die hier das Augenmerk gerichtet wird. Sie greifen in die Vertragsfreiheit ein, da sie direkt auf den Inhalt des Vertrages einwirken und das Vereinbarte zu Gunsten einer Vertragsseite korrigieren. Damit weichen sie vom Grundsatz formaler Vertragsfreiheit und formaler Richtigkeit ab. Erwähnt sei beispielsweise der mieterschützende Charakter der zwingenden Vorschriften im Wohnraummietrecht, die zu Lasten des Mieters nicht abänderbar sind: Die Gewährleistung wegen Mängeln kann nach §536 Abs. 4 BGB entgegen der gesetzlichen Normierung nicht vertraglich zum Nachteil des Mieters abgeändert werden, entsprechendes gilt für die Vorschriften zum Kündigungsschutz nach §§ 569 Abs. 5, 573 Abs. 4, 573 a Abs. 4, 573 b Abs. 5, 573 c Abs. 4, 574 Abs. 4, 574 a Abs. 4, 574 b Abs. 3, 574 c Abs. 3 BGB. Im Dienstvertragsrecht bzw. Arbeitsrecht können die Fürsorgepflichten des Dienstherrn nach §619 BGB nicht im Voraus aufgehoben oder beschränkt werden, was auch für deren Konkretisierung in §629 BGB angenommen wird. 66 Speziell im Arbeitsrecht sind sämtliche öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutznormen z.B. Arbeitsplatz- und -zeitschutz sowie Kündigungsschutz nicht abdingbar. Die Normen des Reisevertragsrechts sind nach §651 1 BGB zum Nachteil des Reisenden nicht abdingbar, also einseitig zwingend. Die Einschränkung der Gewährleistungshaftung im Kaufrecht ist beschränkt durch §444 BGB. Im allgemeinen Schuldrecht sind die Vorschriften der §§248 Abs. 1, 276 Abs.3 sowie 34 3 67 BGB hervorzuheben. Soweit zwingende Formvorschriften begegnen, dienen sie der Warnung und dem Schutz

65 66 67

Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 6 I. PalandtIPutzo BGB §629 Rn. 1, §619 Rn. 1. B G H Z 5, 132 (136).

B. Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht

23

der Beteiligten vor Übereilung, falls sie nicht lediglich die Transparenz des rechtlichen Vorgangs ermöglichen sollen. 6 8

1. Identifizierung

zwingenden

Rechts

Schuldner- oder gläubigerfreundliche F u n k t i o n können allerdings auch Vorschriften des dispositiven Rechts haben 6 9 , bei denen dennoch ein Abbedingen auch zu Lasten der geschützten Vertragsseite möglich ist. 70 D i e begünstigende bzw. schützende Wirkung zu Gunsten einer Vertragsseite ist also nicht hinreichendes Kriterium für die Identifizierung zwingenden Rechts durch die Rechtsordnung. F ü r den zwingenden Charakter einer N o r m entscheidend ist vielmehr, dass die sich in ihr ausdrückende Wertung des Gesetzes das sanktionierte Verhalten als solches nicht anerkennt, sondern einen bestimmten Vertragsinhalt missbilligt. Dies kann sich aus gesetzlicher Anordnung oder einer entsprechenden Auslegung der N o r m ergeben. Auch ein freiwilliger Verzicht auf Schuldner- oder gläubigerfreundliche Vorschriften widerspricht dieser Wertung. Ein weiteres Aktivwerden der Parteien kann nur noch im und für den Prozess eine Rolle spielen, im R a h m e n von Dispositionsmaxime und Beibringungsgrundsatz. Zu ihrer begünstigenden Wirkung für den Einzelnen k o m m t beim zwingenden R e c h t eine objektive G e rechtigkeitsfunktion 7 1 hinzu. Beispielhaft sei hier § 2 7 6 Abs. 3 B G B genannt, w o durch die Rechtsordnung ausdrückt, dass die Freistellung eines vorsätzlichen Schädigers, sei es auch aufgrund privatautonomer Vereinbarung, objektiv unerträglich ist. Darin zeigt sich die Materialisierung des formalen Richtigkeitsbegriffes durch das zwingende Recht: D i e Richtigkeit des Vertrages und seine Anerkennungsfähigkeit durch die Rechtsordnung folgen nicht länger aus der Tatsache der Vereinbarung durch die Parteien, dem formalen Konsensprinzip. D i e Rechtsordnung fügt vielmehr den Vertrag in ihren eigenen Gerechtigkeitsrahmen ein. 7 2 Bei der Frage nach dem G r u n d der K o r r e k t u r ist allerdings wiederum der Schutzcharakter der zwingenden Regeln maßgeblich. 7 3 Zumeist verhindern sie die Ubervorteilung derjenigen Vertragsseite, die im Zweifel nicht in der Lage sein wird, ihre Interessen durch ausreichenden Einfluss auf die Gestaltung des Vertrages selbst durchzusetzen. 7 4 Dabei greift das Gesetz zu einer Typisierung, wie sie im Arbeits- und Mietrecht besonders deutlich wird, 68 69 70 71 72 73 74

Vgl. Paulus/Zenker JuS 2001, 1 (6) m.w.N. Unten IV. Abgesehen vom Fall der Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen, dazu unten VII. Vgl. Medicus, Schuldrecht I, Rn. 88; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.95. vgl. Larenz, Schuldrecht I, §4 II. Vgl. Larenz, Schuldrecht I, §4 II, 6 I; Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn.62. Larenz, Schuldrecht I, §4 II; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 95.

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Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

jedoch nicht ausschließlich dort zu erkennen ist: Dem in den Augen der Rechtsordnung typischerweise schwächeren oder eher gefährdeten Beteiligten des Vertrages wird ein Mindestschutz gewährt, auf den er auch nicht freiwillig verzichten kann, da dies der Ordnung des zwingenden Rechts widerspräche. Objektive Gerechtigkeitskriterien und das persönliche Interesse des Einzelnen, aufgrund seiner Verhandlungsschwäche nicht übervorteilt zu werden, kommen zur Ubereinstimmung. Während vielfach zwischen zwingenden Normen im Individualinteresse und solchen im Interesse Dritter, der Allgemeinheit oder der Sicherheit des Rechtsverkehrs unterschieden wird75, löst sich dieser Gegensatz hier auf. 2. Funktionsweise

des zwingenden

Rechts

Dabei reagiert das zwingende Recht einseitig begünstigend und gewährt jeweils der von der Rechtsordnung offensichtlich als schutzwürdig angesehenen Vertragsseite einen Vorteil. Weil eine Vertragsseite als schützenswert angesehen wird, entspricht die begünstigende Wirkung des zwingenden Rechts dem Ziel eines material gerechten Vertrages. Beispielhaft ist hier wiederum das Wohnraummiet- und Arbeitsrecht, die anerkanntermaßen die Verteilung bei der Erfüllung von Basisbedürfnissen regeln.76 Die Unverzichtbarkeit und gleichzeitige Knappheit dieser beiden Marktgüter führen dazu, dass der potentielle Wohnraummieter und Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen werden kann, er könne auf den Vertragsabschluss verzichten, wenn ihm die angebotenen Konditionen nicht recht seien. Ihm bleibt die Wahl des take-it-or-leave-it nicht. Wie reagiert nun das zwingende Recht auf diese Situation? Es engt den Gestaltungsspielraum, den die Parteien für den Inhalt ihres Vertrages haben, insgesamt ein und lässt ihnen nur insoweit Freiheit in der inhaltlichen Gestaltung als das zwingende Recht nicht entgegensteht. Durch die Einengung des Gesamtspielraums wird die Möglichkeit derjenigen Vertragsseite, die über das erstrebte Gut verfügt, einen Vertrag entsprechend den von ihr allein gewünschten Konditionen zu erreichen, begrenzt. Gleichzeitig wird die Freiheit der geschützten Vertragsseite, sich unerwünschten Konditionen nicht beugen zu müssen, gewahrt. Was insofern eine Begrenzung des inhaltlichen Gesamtspielraums der Vertragsfreiheit bedeutet, ist gleichzeitig die Wahrung der tatsächlichen Freiheit der auf das Gut angewiesenen Vertragsseite. Die Privatautonomie der einen Vertragsseite wird Grenze der Privatautonomie der anderen. Das zwingende Recht beseitigt damit nicht eine Unterlegenheit der durch es geschützten Vertragsseite. Es greift lediglich kompensierend in den Inhalt des abgeschlossenen Vertrages ein. Der Grund dieses Eingreifens liegt jedoch in der Regel 75 76

Larenz, Schuldrecht I, §4 II, 6 I; Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn.62. Vgl. etwa Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 109ff., 159f.

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B. Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht

in den gestörten Ausgangsbedingungen des Vertrages. D u r c h Herstellung materialer Vertragsgerechtigkeit reagiert das zwingende Recht damit auf fehlende materiale Vertragsfreiheit. IV. D a s n a c h g i e b i g e R e c h t Das nachgiebige Recht bezeichnet die Summe der Rechtsregeln, die auf einen von ihrem Regelungsbereich erfassten Vertrag dann Anwendung finden, wenn die vertragliche Vereinbarung dem nicht entgegensteht. Eine positive Vereinbarung der Geltung dieser objektiven N o r m e n ist wie bei dem auf einen Vertrag anzuwendenden zwingenden R e c h t nicht notwendig. Vielmehr entfalten auch die R e geln des nicht zwingenden Rechts allein durch Abschluss eines Vertrages ihre Wirkung unabhängig von einer konkret auf ihre Geltung gerichteten Willensbetätigung der Vertragsparteien. Insofern unterscheiden sie sich v o m zwingenden R e c h t maßgeblich, aber auch allein, durch ihre Abdingbarkeit.

1. Normativer

Charakter

und Ergänzungsfunktion

des nachgiebigen

Rechts

D i e Regeln des nicht zwingenden Schuldrechts sind R e c h t s n o r m e n und werden nicht Inhalt der vertraglichen Vereinbarung. Ihre Wirkung auf den Vertrag ist also von der Rechtsordnung gewählt, sei dies auch im H i n b l i c k auf die private Vereinbarung geschehen. 7 7 Auch wenn das disponible Recht dem Willen der Parteien vielfach entsprechen mag, handelt es sich um normative objektive Kriterien, die den Wertungen des disponiblen Rechts zugrunde liegen. 78 Soweit von einem Parteiwillen die Rede sein kann, drückt sich im nachgiebigen R e c h t ein den Interessenausgleich mitbedenkender, verobjektivierter vernünftiger und verallgemeinerter Parteiwille aus. 79 Darin unterscheidet sich das disponible R e c h t gerade von der ergänzenden Vertragsauslegung. 8 0 Das disponible Recht gibt also gewisse objektive Idealregeln vor. Es löst die von der vertraglichen Vereinbarung nicht bedachten Folgekonflikte nach Angemessenheits- und Gerechtigkeitskriterien. D e r Vorteil dieser Ergänzungsfunktion 8 1 liegt bekanntermaßen darin, dass die Parteien die potentiellen Folgekonflikte nicht vollständig bedenken und aushandeln müssen, um zu angemessenen umfassenden vertraglichen Regeln zu gelangen, sondern das vom Gesetz vorgegebene 77 Flume, Allgemeiner Teil II, § 1,3: „gesetzliche Rechtsfolgen aufgrund privatautonomer Gestaltung". 78 Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.340ff.; Larenz, Schuldrecht I, §6 I. 79 Zur Abgrenzung Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung, S. 34ff. m. w.N.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 340ff.; Larenz, Schuldrecht I, §6 I. 80 Wobei auch hier Kriterien der Billigkeit und Üblichkeit Anwendung finden, da subjektiver Parteiwille schwer nachvollziehbar sein kann; vgl. Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 343. 81 Vgl. Dilcher NJW 1960, 1040; Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.40ff., 45, 51 m.w.N.

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Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

Gerüst diese Aufgabe übernimmt. Dieses Gerüst begründet die K ü r z e der Verträge in Rechtsordnungen mit ausdifferenzierten disponiblen Regelungen im Verhältnis zu Rechtsordnungen, in denen es daran fehlt.

2. Gerechtigkeitsgehalt

des nachgiebigen

Recht

Zusätzlich wird den Vorschriften des dispositiven Rechts ein eigenständiger G e rechtigkeitsgehalt zugemessen und angenommen, sie zeigten das Prinzip des G e setzes von einem allgemeinen Idealbild objektiver Äquivalenz vertraglicher Regelungen auf. 82 D e r Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Rechts werde durch das R e c h t der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestätigt, das zur Unabdingbarkeit bestimmter nachgiebiger Bestimmungen führt bzw. Abweichungen von einem durch dispositives R e c h t vorgezeichnetes Leitbild des Gesetzes verhindert. 8 3 Sicherlich hat das dispositive R e c h t insoweit einen Gerechtigkeitsgehalt als es eine bestimmte im Normalfall angemessene Bewertung der Interessen der beteiligten Rechtssubjekte vorsieht. 8 4 Dasjenige, was die Parteien nicht selbständig geregelt haben, wird ergänzt mit gesetzlichen Rechtsfolgen. Das dispositive R e c h t übernimmt dadurch nicht allein die F u n k t i o n als „ L ü c k e n b ü ß e r " , sondern Ausgleichsfunktion offener Interessen der Parteien. In seiner inhaltlichen Ausgestaltung beruht das Schuldverhältnis damit zusätzlich zum Willen auf N o r m e n des objektiven Rechts. 8 5 U n d v o m Gesetzgeber ist zu erwarten, dass er die Intention hat, den Rechtsgedanken zu verwirklichen und nicht geregelte Fragen eines Vertragsverhältnisses mit typischerweise gerechten Regelungen zu ergänzen. D e n n o c h tritt im Bereich des dispositiven Rechts der Grundsatz materialer Vertragsgerechtigkeit nicht an die Stelle der Geltungskraft des Vertrages aufgrund selbstbestimmter Bindung und die Willensübereinstimmung als Grundlage des Vertrages wird nicht abgelöst durch eine Anerkennung des Vertrages aufgrund objektiver Äquivalenz der Leistungen. Vom Modell des disponiblen Rechts kann nämlich je nach spezifischer Interessenlage der Parteien, nach deren Vereinbarung und auch im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung abgewichen werden, seine Bewertung ist im Einzelfall gerade nicht verbindlich. 8 6 Vorrang hat der Wille der Vertragsparteien. In dessen R a h m e n ist erlaubt, was nicht

82 BGHZ 41, 151 (154); Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 305; Kaiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 295; ders., Rechtsschutz und Institutionenschutz, S. 145ff.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 59ff.; Tassikas, Dispositives Recht, S. 104ff. 83 Ulmer/Brandner/Hensen AGBG §9 Rn.42, 132; Wolf/Horn/Lindach er AGBG §9 Rn.67ff. 84 Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.340; Larenz, Schuldrecht I, §6 I. 85 Larenz, Schuldrecht I, § 6 I. 86 Dilcher'N]'W 1960, 1040 m.w.N.; vgl. für das dispositive Recht im Gesellschaftsrecht insbes. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 50.

B. Materialisierung der Privatautonomie im allgemeinen Vertragsrecht

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verboten ist. 8 7 Mag der übereinstimmende Wille auch zu „ungerechteren" Ergebnissen führen als das disponible R e c h t sie vorsieht, verwirklicht sich in ihm doch die formale subjektive Richtigkeit. E s wird demnach durch das nachgiebige R e c h t nicht mehr angeboten als eine Modellösung, der die privatautonome Vereinbarung vorgeht. D i e Rechtsordnung zeigt durch die Anordnung disponiblen Rechts keine A b k e h r vom Grundsatz formaler, d.h. individueller subjektiver Richtigkeit. Soweit das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Beleg für einen weitergehenden Gerechtigkeitsgehalt des disponiblen Rechts angeboten wird 8 8 , ist aus diesem für den hier zunächst allein behandelten Individualvertrag keine Schlussfolgerung auf eine weitergehende Verwirklichung des Prinzips materialer Vertragsgerechtigkeit im nachgiebigen Recht zu ziehen. Im Gegenteil: Das R e c h t der allgemeinen Geschäftsbedingungen nutzt den Gehalt des dispositiven Rechts an angemessenen Regeln 8 9 und bringt ihn in der Situation der Verwendung von A G B zur Verbindlichkeit. Ein wesentliches M e r k m a l des dispositiven Rechts, seine Abdingbarkeit, entfällt. Zwingendes Recht und nachgiebiges Recht nähern sich einander in diesem Bereich an. D i e Inhaltskontrolle aufgrund Verwendung von A G B reagiert dabei bereits auf eine spezifische im Gegensatz zum Individualvertrag bereits gestörte Vertragsschlusssituation. 9 0 D i e Kontrolle wird auf die Ausgewogenheit der Inhalte des Vertragsgefüges verlagert. 91 D i e gestörten Ausgangsbedingungen werden ausgeglichen durch Herstellung eines Mindestmaßes an materialer Gerechtigkeit des Vertrages, der aus dieser Ausgangssituation hervorgeht. Außerhalb der Verwendung von A G B aber geht die F u n k t i o n des nachgiebigen Rechts über die Ergänzung lückenhafter Verträge durch (nur) typischerweise gerechte Regelungen und das A n g e b o t einer die Auslegung bestimmenden M o delllösung nicht hinaus. Es überlässt die Gestaltung des Vertragsinhalts dem freien Spiel der Kräfte und anerkennt die von den Parteien gewünschte Regelung aufgrund deren Willensübereinstimmung, mag sie auch dem Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Rechts widersprechen. I m R a h m e n dieses freien Spiels der Kräfte übernimmt das dispositive R e c h t allerdings eine weitere Funktion. Abweichungen vom nachgiebigen R e c h t müssen nämlich zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart werden. D i e Partei, die v o m dispositiven R e c h t zu ihren Gunsten abweichen will, muss diese A b w e i chung jedenfalls offenlegen, da sie explizit zu regeln ist, und vielfach eine K o m RGZ 128, 246 (249). Ulmer/Brandner/Hensen AGBG §9 Rn.42, 132; Wolf/Horn/Lindacher AGBG §9 Rn.67ff. 89 BGHZ 41,151 (154); 60,377 (380); BGH NJW1973,1192 (1193); Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 293 ff. 90 Zur Inhaltskontrolle von AGB s. unten VII.; außerhalb des AGB-Rechts, unten VIII. 91 In Abgrenzung der AGB-Kontrolle vom Irrtumsrecht AK-BGB /Hart § 119 Rn. 3. 87 88

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Erster Teil: Die nationalen

Vorgaben

pensation dafür gewähren. Das Ausnützen von Mängeln der tatsächlichen Freiheit des Gegenübers wird dadurch erschwert. U m g e k e h r t kann die durch weitgehende Abbedingung gesetzlicher R e c h t e mögliche einseitige vertragliche Benachteiligung eine Unterlegenheitsposition zum Ausdruck bringen, die die Selbstbestimmung für einen Vertragsteil in Fremdbestimmung verkehrt. 9 2 D a m i t dient das dispositive R e c h t der materialen Vertragsfreiheit, durch die gleichzeitig die Möglichkeit zu individueller Richtigkeit und prozeduraler Gerechtigkeit verwirklicht wird; es eröffnet sich die C h a n c e für eine den spezifischen Interessen der Parteien angemessene Lösung, während der Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Rechts vielfach im konkreten Einzelfall gerade nicht passt. 9 3 A u c h wenn der B G H 9 4 zuletzt im R a h m e n der Inhaltskontrolle von Eheverträgen mit dem Wesen der E h e (Typengesetzlichkeit!), das sich auch im Scheidungsfolgenrecht ausdrücke, argumentiert, zieht er doch die individuellen Verhältnisse und Lebensplanungen, die mit den Abreden verfolgten Z w e c k e heran: Ein Ausschluss von Bestimmungen, die den Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts beträfen, könne durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt sein. Grundsätzlich stehe es den Ehegatten frei, die gesetzlichen Regelungen ehevertraglich auszuschließen. Vorrang vor dem Eingreifen der material richtigen gesetzlichen Regeln hat also die individuelle Richtigkeit.

V. Die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Willensmängeln Das Recht, eine Willenserklärung in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen mit der Folge anfänglicher Nichtigkeit der Erklärung anzufechten, wenn der hinter der Erklärung stehende Wille mangelhaft ist, gründet sich auf der A n n a h m e der Rechtsordnung, dass der Wille maßgeblicher G r u n d der Verbindlichkeit der E r klärung und damit des geschlossenen Vertrages ist. 95 92 Vgl. BVerfGE 103,89; BVerfG NJW2001,2248 sub II. 1; Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1 (24) „Regelungsmuster neben dem dispositiven Recht"; s. noch unten VIII. 93 Vgl. Medicus, Allgemeiner Teil, §25 III 2 a bb. 94 BGHZ 158, 81 = FamRZ 2004, 601; BGH FamRZ 2005, 26. 95 Bekanntermaßen hat sich das BGB bei den Regeln zum Anfechtungsrecht wegen Willensmängeln weder für die Erklärungstheorie noch für das Willensdogma (vgl. hier Savigny, System III, S.258ff.; Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf; ders., Allgemeiner Teil II, §22,4.; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 433) ausdrücklich entschieden: S. Prot. I, S. 223 = Mugdan I, 715; hinter den Regeln des BGB zum anfechtbaren Rechtsgeschäft steht jedoch die Uberzeugung der Maßgeblichkeit des Willens für die Verbindlichkeit der Erklärung und damit der Selbstbestimmung als Grundlage des Vertrages (vgl. Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.484, 485, 737; Soergel/ Hefermehl BGB §123 Rn.l, §119 Rn.l; Flume, Allgemeiner Teil II, §21, 1.; AK-BGB///rs. EGV Art. 249 Rn.69ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen, S.46ff.; Lenz/Borchardt///etme¿er EGV Art. 249, Rn. 12. 149 EuGH, 19.11.1991 - Rs. C-6/90 Andrea Francovich u.a. / Italienische Republik, Slg. 1991, 1-5357; EuGH, 16.12. 1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de garantía salarial, Slg. 1993,1-6911; EUGH 8.10. 1996 - verb. Rs. C-178, 179, 188, 189, 190/94 Dillenkofer u.a. / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1996, 1-4845; Grundmann JZ 1996, 274 (275); Heiderhoff Grundstrukturen, S.48; Streinz, Europarecht, Rn. 140. 150 EuGH, 26.2. 1986 - Rs. 152/84 M.H. Marshall / Health Authority, Slg. 1986, 723, Rn.48; EuGH, 22.2. 1990 - Rs. 221/88 EGKS / Acciaierie e Ferriere Busseni SPA, Slg. 1990, 1-495, Rn.23; EuGH, 13.11.1990- Rs. C-106/89 Marleasing SA / Comercial International de Alimentación SA, Slg. 1990,1,4135, Rn.6; EuGH, 14.7.1994 - Rs. C-91/92 Paola Faccini Dori / Recreb Sri., Slg. 1994,13325, Rn. 24,25; EuGH 5.10.2004 - Rs. C-397/01-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a. / Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., Rn.109; BVerfGE 75, 223 (240); u.a. Lenz/Borchardt/Hetmeier EGV Art. 249, Rn. 12. m.w.N.; Everling, Festschrift Carstens, S. 95 (106f., l l l f . ) ; ders. ZGR 1992, 376 (377); Thüsing NJW 2003, 3441 (3442), s. noch unten G. S. obenB., C. S. noch unten G. 153 Vgl. Basedow AcP 200 (2000), 445ff.; Flessner JZ 2002, 14; Franzen, Privatrechtsangleichung, S.9ff., 70ff.; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S.9ff.; ders. JuS 2001, 946; Heiderhoff Grundstrukturen, S.41ff., 147ff., 159ff.; dies., Gemeinschaftsprivatrecht; MüllerGraff Gemeinschaftsprivatrecht, S.27; Ulmer JZ 1992, 1; zur Problematik der Anwendung der Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts der Lando Kommission auf Verbrauchergeschäfte s. Micklitz ZvglRWiss 103 (2004), 88. 151

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

Rechtsordnung verweist, wird allein die Gehörigkeit dieses Sachverhalts zur inländischen Rechtsordnung bewusst nachvollzogen.154 Vergleicht man umgesetztes Richtlinienrecht mit europäischen Verordnungen, so sind diese formal und inhaltlich unmittelbar geltendes europäisches Privatrecht, welches das nationale Recht überlagert. Umgesetztes Richtlinienrecht ist formal und inhaltlich nationales Recht, schafft nur eine Rechtsangleichung, wenn auch im Bereich des Verbraucherschutzes auf hohem Niveau. Europäisches Einheitsrecht etwa in Form von völkerrechtlichen Ubereinkommen oder Modellgesetzen ist inhaltlich europäisches (transnationales) Recht, wenn es auch formal auf nationaler Rechtssetzungskompetenz beruht. Die Ergebnisvorgaben der Richtlinien schaffen somit die Grundlage für europäisch angeglichenes Privatrecht der Mitgliedstaaten. Ein einheitliches europäisches Verbraucherprivatrecht wird durch richtlinienumsetzendes nationales Recht nicht kreiert. Durch den europäischen Angleichungsbefehl verliert umgesetztes Richtlinienrecht seine Zugehörigkeit zum nationalen Rechtskreis nicht.155 Anknüpfungspunkt für eine Einordnung von umgesetztem Richtlinienrecht als europäisches Privatrecht kann aber die Einheitlichkeit der verbraucherschützenden Standards und deren Ausrichtung auf die Binnenmarktverwirklichung sein. Nach unseren obigen Feststellungen156 bezwecken sie vordringlich die auch grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivität des Verbrauchers, der damit zur Binnenmarktverwirklichung beitragen soll. Inländische und grenzüberschreitende Sachverhalte werden rechtlich einander angenähert; denn die europäischen Vorgaben suchen Transparenz und Vergleichbarkeit der Angebote zu erreichen, um demjenigen Anbieter Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, dessen Angebot den selbstbestimmten Interessen des Verbrauchers am stärksten entgegenkommt.157 Deshalb macht der für die Auslandsnachfrage für notwendig erachtete Standard nur Sinn, wenn ihm die Vertragsparteien auch bei reinen Inlandsfällen begegnen.158 Funktionalisierung des Verbrauchers zur Binnenmarktverwirklichung bezieht sich insofern auf die Unabhängigkeit der Nachfragetätigkeit von Binnengrenzen, nicht allein auf den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr. Umgesetztes Richtlinienrecht unterscheidet sich also in inhaltlicher Hinsicht dadurch von sonstigem nationalen Recht, dass seine einheitlichen Mindeststandards in sämtlichen Mitgliedstaaten gelten und Sachverhalte binnengrenzenunabhängig, also auch Sachverhalte mit Auslandsbezug einer Regelung zuführen sollen.

154 Vgl. Savigny, System VIII, S.28, 108; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, Rn. 12ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, §1 III; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 1 III. 155 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 10. 156 S. oben B.-D. 157 S. oben C. 158 W.-H. Roth JZ 2001, 475 (483).

F. Verbraucherprivatrecht

- nationales oder europäisches Recht?

79

Dass Teile der nationalen Rechtsmasse in ihrem europäischen einheitlichen Standard auf binnengrenzenunabhängige Betätigung des Verbrauchers gerichtet sind, macht umgesetztes Richtlinienrecht aber noch nicht zu europäischem Recht. Gerade weil eine andere Rechtsordnung Anwendung finden kann, sind angeglichene Standards erforderlich. Bei der Rechtsangleichung nach Art. 94, 95 E G V (Art. I I I - 1 7 3 , 1 7 2 E U Verf.) handelt es sich um funktionale Rechtsangleichung; 1 5 9 sie geht soweit wie die Binnenmarktverwirklichung, hier durch Verbraucheraktivität, es erfordert. Die Rechtsvereinheitlichung ist nicht Selbstzweck 1 6 0 , sondern Angleichung auf einem hohen Niveau, dem der Verbraucher, gleichgültig welche nationale

Rechtsordnung Anwendung findet, begegnet. Dieses K o n z e p t aner-

kennt die Eigenständigkeit der nationalen Rechtsordnungen. Ihre Unterschiede sollen insoweit beseitigt werden, als sie im Ergebnis den „positiven W e t t b e w e r b " beeinträchtigen können. Sonstige Unterschiede durch Wahl unterschiedlicher Mittel der Umsetzung oder durch Verbesserung des Verbraucherschutzniveaus 1 6 1 bleiben grundsätzlich in der Eigenständigkeit der nationalen Gesetzgebung.

III. Verbleibende Rolle des Internationalen Privatrechts Aus diesem Grunde macht durch Richtlinien herbeigeführte Rechtsangleichung auch nationales Kollisionsrecht zwischen den Mitgliedstaaten nicht obsolet 1 6 2 wie es im Falle von unmittelbar anwendbarem Einheitsrecht der Fall wäre. 1 6 3 D i e durch die „Cassis de D i j o n " - Entscheidung des E u G H 1 6 4 ausgedrückte gegenseitige Anerkennung und Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen wird allerdings durch die Basis eines hohen Verbraucherschutzniveaus erleichtert. 1 6 5 Rechtsangleichung und fortbestehende Eigenständigkeit der nationalen Rechtsordnungen stehen nebeneinander. Grundsätzlich stehen die nationalen Rechtsordnungen trotz Rechtsangleichung in einem „Wettbewerb der Rechtsordnungen". 1 6 6 Das lässt sich im Bereich des Verbraucherschutzes etwa dadurch illustrieren, dass die S. oben B. Ausdrücklich Basedow in: Schnyder u.a. (Hrsg.), Internationales Verbraucherschutzrecht, S. 11 (15 ff.); Dreher JZ. 1999,105; Hühner, Festschrift Großfeld, 471 (474); a. A. Taschner in Everling/Roth (Hrsg.), Mindestharmonisierung, S. 159 (173). 161 S. oben C. II. 5. 162 Vgl. Basedow in: Schnyder u.a. (Hrsg.), Internationales Verbraucherschutzrecht, S. 11 ff.; Dreher JZ 1999,105 ff. (112); Mosiek-Urbahn ZRP 2000,297 (298); Taupitz JZ 1993,533 ff.; Tonner JZ 1996, 533ff. (534). 163 Vgl. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 1 III. 164 EuGH, 20.2. 1979 - Rs 120/78 Rewe-Zentral AG / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1997, 649 „Cassis de Dijon". ms Yg] ß a 5 e d o w ; n : Schnyder u.a. (Hrsg.), Internationales Verbraucherschutzrecht, S. 11, (17, 33); Hommelhoff AcP 192 (1992), 71 (99/100); Paefgen ZEuP 2003, 266ff. 166 Zuletzt „Inspire Art", EuGH 30.9. 2003 - Rs. C-167/01 Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam / Inspire Art Ltd NJW 2003, 3331; Kindler NZG 2003, 1086; Zimmer NJW 2003, 3538; vgl. Kraus in: Informationspflichten im Acquis communautaire, S. 29 (44). 159

160

80

Zweiter

Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

Unterlassungsklagenrichtlinie 98/27/EG darauf gerichtet ist, Verhaltensweisen zu unterbinden, die im Widerspruch zum geltenden innerstaatlichen Recht stehen und zwar auch soweit es über den Richtlinienstandard hinausgeht.167 Der durch das vereinheitlichte Kollisionsrecht des EVÜ 1 6 8 geschaffene Art. 29 E G B G B schränkt in Absatz 1 die freie Rechtswahl zu Gunsten des Verbrauchers ein, verweist jedoch nicht auf einheitliche europäische Standards, sondern auf das zwingende Recht des Aufenthaltsstaates. Mag auch der zwingende Charakter u.U. in der Richtlinienherkunft begründet sein, gilt die Einschränkung der freien Rechtswahl grundsätzlich auch im Fall der Kollision verschiedener mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen. Zusätzlich modifiziert Art. 29 E G B G B in Absatz 2 die objektive Anknüpfung im Sinne einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers, so dass eine einzelne nationale Rechtsordnung Anwendung findet. Auch im Verhältnis zu drittstaatlichen Rechtsordnungen kann die auf Richtlinien gegründete Rechtsmasse der Mitgliedstaaten nicht wie eine eigenständige europäische Rechtsordnung angesehen werden. 169 Sie kann nicht gewählt werden, ergibt keinen vom nationalen unabhängigen europäischen ordre public}70 Allerdings wird versucht, den Binnenmarktstandard gegenüber Drittstaaten abzusichern. 171 Die Vorläuferregelungen des Art. 29 a E G B G B (§§8 TeilzWrG, 12 A G B G , § 11 FernUS 172 ) sind unter anderem auf der Grundlage der sog. „GranCanaria Fälle" 173 geschaffen worden, wo in Haustürsituationen geschlossene time-sharing-Verträge die Wahl des Rechts eines Drittstaates vorsahen, jedoch objektiv ausschließlich Beziehungen zu Mitgliedstaaten aufwiesen. Für die Durchsetzung europäischer Verbraucherschutzstandards bei derartiger Rechtswahl zu sorgen, entspricht den Zielen der Klauselrichtlinie 93/13/EWG, Art. 6 Abs. 2, der Teilzeitwohnrechterichtlinie 94/74/EG, Art. 9, der Fernabsatzrichtlinie 97/7/ E G , Art. 12 Abs. 2, der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG, Art. 7 Abs. 2 3. Erwägungsgrund Ubereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, BGBl. 1986 II, 810; in der Fassung des 3. Übereinkommens seit 1.1. 1999, BGBl. 1999 I, 7. 169 A.A. Michaels/Kamann J Z 1997, 601 (603); Rauscher EuZW 1996, 650ff. 170 Vgl. MünchKomm/ Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 181 m.w.N.; Michaels ZfRV 1999, 5 (7) m.w.N.; W.-H. Roth RabelsZ 55 (1991), 623 (660f.). 171 Basedow in: Schnyder u.a. (Hrsg.), Internationales Verbraucherschutzrecht, S. 11 (31); Michaels/Kamann J Z 1997, 601 ff.; Paefgen ZEuP 2003, 266ff.; Staudinger IPRax 1999, 414ff.; R. Wagner IPRax 2000, 249 (250). 172 Zur Entstehung Jayme/Kohler IPrax 2000,454 (456); W.-H. Roth IPRax 1994,165 (168f.); Staudinger IPRax 1999, 414; R. Wagner IPRax 2000, 249; Ursprünglich ergänzten §8 T z W R G und §12 A G B G den Art. 29 E G B G B . Durch das Fernabsatzgesetz vom 27.6.2000 in Umsetzung von Art. 11 Abs. 3 der Fernabsatzrichtlinie gingen beide Regelungen in Art. 29 a E G B G B auf. Der für §12 A G B G B die Vorlage bildende §11 FernUSG ist schon durch G. vom 21. 5.1999 (BGBl. 1 1026) aufgehoben worden; problematisch weiterhin Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 29, 29 a E G B G B : MUlbert/Bruinier WM 2005, 105. 167

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173

B G H Z 123, 380; B G H J Z 1997, 612.

F. Verbraucherprivatrecht

- nationales oder europäisches Recht?

81

und der Richtlinie über Finanzdienstleistungen im Fernabsatz 2002/65/EG, Art. 12 Abs. 2. Jeweils soll der durch die Richtlinie gewährte (Mindest-) Schutz gewährleistet werden. N u r die Richtlinien 93/13/EWG und 1999/44/EG knüpfen dabei an einen Zusammenhang mit dem „Gebiet der Mitgliedstaaten 1 7 4 " als eine Gesamtheit an, die Richtlinien 94/74/EG und 97/7/EG sowie 2002/65/EG jedoch an den Zusammenhang mit dem „Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaat e n " 1 7 5 bzw. die Belegenheit „in einem Mitgliedstaat" 1 7 6 . N a c h der deutschen U m s e t z u n g s n o r m des Art. 2 9 a E G B G B k o m m t als Folge des engen Zusammenhangs nicht ein europäischer Mindeststandard zur Anwendung, sondern die richtlinienumsetzenden N o r m e n der nationalen Rechtsordnung (Abs. 1), bzw. die vollständigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über TeilzeitWohnrechteverträge (Abs. 3). D a Richtlinienbestimmungen im horizontalen Verhältnis nicht unmittelbar anwendbar sind, war dies der einzig gangbare Weg der U m s e t z u n g der kollisionsrechtlichen N o r m e n in den genannten Richtlinien. 1 7 7 D e r Verbraucher wird damit vor einer drittstaatlichen Rechtsordnung nicht zu Gunsten eines europäischen Privatrechts geschützt, sondern die jeweilige nationale Rechtsordnung k o m m t zur Anwendung. 1 7 8 Art. 29 a E G B G B stellt also die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen drittstaatlichen Rechtsordnungen gegenüber 1 7 9 und ergänzt Art. 29 E G B G B im Falle der Wahl der Rechtsordnung eines Drittstaates. Anwendung findet jedoch eine - auf einem Mindeststandard angeglichene - nationale Rechtsordnung. D i e Einheit des angeglichenen Rechts geht nicht soweit, dass das Internationale Privatrecht für grenzüberschreitende Sachverhalte innerhalb der Mitgliedstaaten seine Bedeutung verliert; sie geht jedoch soweit, dass der Binnenmarktstandard im Interesse des Verbraucherschutzes kollisionsrechtlich auch im Verhältnis zu Drittstaaten abgesichert wird, indem nationale mitgliedstaatliche R e c h t s n o r m e n Anwendung finden.

IV. Grundsätzliche nationale Auslegungsautonomie Weil es sich bei der durch Richtlinien angeglichenen nationalen Rechtsmasse nicht um europäisches, sondern um nationales R e c h t handelt und seine A n w e n dung auf Auslandssachverhalte ebenso wie bei allen nationalen N o r m e n den R e geln des Internationalen Privatrechts folgt, ist die durch Richtlinien angeglichene Rechtsmasse Teil der übrigen nationalen Rechtsmasse. „Wettbewerb der R e c h t s „The territory of the Member States"; „le territoire des Etats membres." „The territory of one or more Member States"; „le territoire d'un ou de plusieurs des États membres." 176 „The territory of a Member State"; „le territoire d'un Etat membre." 177 R. Wagner IPRax 2000,249 (250/251) m. w.N.; kritisch Freitag/Leible ZIP 1999,1296; Otte RabelsZ 62 (1998), 405. 178 S. Paefgen ZEuP 2003, 266ff.; vgl. auch Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 355/356. 179 In diesem Sinne Metakollisionsnorm: Mankowski in: Basedow u.a. (Hrsg.) Aufbruch nach Europa, S.595 (610). 174

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

Ordnungen" und Vereinheitlichung in F o r m der Rechtsangleichung laufen widerspruchsfrei parallel. O b dies nur ein Zwischenstadium ist, wird die Zukunft zeigen. 1 8 0 M o m e n t a n bedeutet es aber, dass grundsätzlich die Anwendung und Auslegung umgesetzten Richtlinienrechts in den Händen des nationalen R e c h t s anwenders liegt, ebenso wie die gemeinschaftsrechtskonforme Integration in die eigene Rechtsordnung eine nationale Aufgabe ist. 181 A u f Einschränkungen durch die Ergebnisvorgaben der Richtlinien wird im folgenden Abschnitt eingegangen.

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie Allgemein lässt sich sagen, dass bei der Auslegung nationalen Rechts die europäischen Einflüsse in gebotenem U m f a n g zu berücksichtigen sind. 1 8 2 Zwischen den einzelnen europäischen Rechtsquellen, insbesondere wenn man auch unkodifizierte wissenschaftlich und rechtsvergleichend erarbeitete Rechtsregeln dazuzählt, ist jedoch zu unterscheiden. Soweit Richtlinien betroffen sind, geht es allein um die von diesem Rechtsakt geforderten Einschränkungen der Auslegungsautonomie des nationalen Rechtsanwenders. D i e Gerichte der Mitgliedstaaten sind zu richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet. Dies entspricht der Entwicklung ständiger R e c h t sprechung des E u G H und der allgemeinen Rechtsansicht. 1 8 3 Rechtliche Grundlagen, U m f a n g und G r e n z e n dieser Verpflichtung befinden sich jedoch nach wie vor in einem Prozess der Klärung und Entwicklung. Das hat seinen G r u n d vor allem darin, dass die Auslegung durch gemeinschaftsrechtliche und nationale Vorgaben gleichzeitig und nicht immer widerspruchsfrei beeinflusst wird. So besteht eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung für den Mitgliedstaat und seine H o heitsträger lediglich gegenüber der Gemeinschaft. Diese kann kollidieren mit innerstaatlichen Kompetenzabgrenzungen zwischen Judikative und Legislative. O b w o h l Richtlinien im Verhältnis der Gemeinschaftsbürger untereinander keine belastende Wirkung entfalten, verringert die Pflicht zu richtlinienkonformer

180 Aus neuerer Zeit zum Konzept eines europäischen Zivilgesetzbuchs in Abwendung von der Fortentwicklung des Richtlinienrechts: von Bar ZEuP 2001, 799; Dauner-Lieb NJW 2004, W\-,Grundmann]uS 2001,946ff.; ders. JuS 2002,768; ders./Riesenhuber]uS 2001,529; Heiderhoff, Grundstrukturen, S.50ff.; Hübner, Festschrift Großfeld, S. 471 ff. (482); Heiss in: Basedow u.a. (Hrsg.) Aufbruch nach Europa, S. 123ff.; Kenny ELR 28 (2003), 538 (542ff.); Leible EWS 2001, 471; Mosiek-Urbahn ZRP 2000, 297ff.; Pfeiffer in: Hohloch (Hrsg.), Richtlinien der EU und ihre Umsetzung, S.9 (27f.); Pützhoven EWS 1999, 447ff.; Schulte-Nölke JZ 2001, 917ff.; Timme ZRP 2000, 301; jew. m.w.N. 181 Hübner, Festschrift Großfeld, S.471 (483). 182 Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 13,85ff., dies zu einer weitgehenden „europäischen Auslegung" entwickelnd, S. 147-157; 159-173; dazu aber im folgenden. 183 S. im folgenden.

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

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Auslegung den Abstand zwischen notwendiger gesetzgeberischer U m s e t z u n g und unmittelbarer Horizontalwirkung. Dabei spielt das Verhältnis zwischen richtlinienkonformer Auslegung und den klassischen nationalen Auslegungsmethoden eine Rolle, zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung. D e r nationale Rechtsanwender begegnet der Auswirkung richtlinienkonformer Auslegung auf die innere Systematik seines Gesamtrechtssystems, w o der Umsetzungspflicht entsprechendes nationales R e c h t nicht isoliert dasteht. Eine wertungsgerechte Systembildung im nationalen R e c h t bedarf der Auslegung sowohl der aufnehmenden Rechtsordnung als auch der eingefügten Rechtsnormen. In welchem M a ß e dabei Begrifflichkeiten, Wertungen und Zwecksetzungen der Richtlinien zu beachten sind, spielt eine maßgebliche Rolle. N i c h t nur die Widerspruchsfreiheit zur Richtlinie ist anzustreben, auch das K o n z e p t eines aktiver Binnenmarktverwirklichung dienenden Verbraucherschutzes kann E i n fluss auf die Interpretation nehmen.

I. Normative Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung Eine Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung folgt nicht bereits aus dem subjektiven Willen des nationalen Gesetzgebers, weshalb sich die richtlinienkonforme Auslegung auch nicht nahtlos in die anerkannten nationalen Auslegungsgrundsätze integrieren lässt. 1 8 4 Eine zum Zwecke der Richtlinienumsetzung geschaffene nationale Vorschrift kann zwar eine entsprechende Regelungsabsicht vermuten lassen und deshalb im R a h m e n dieses nationalen Auslegungskriteriums die Richtlinienkonformität erfordern. 1 8 5 Aus verschiedenen Gründen trägt es aber nicht, dieses (generelle) Motiv eines Umsetzungsgesetzgebers zur Grundlage richterlicher Pflicht zu richtlinienkonformen Auslegung zu machen. E i n z u wenden ist zunächst, dass die richtlinienkonforme Auslegung sich nach allgemeiner Auffassung auf die Gesamtheit der nationalen R e c h t s n o r m e n im A n w e n dungsbereich der Richtlinie erstreckt 1 8 6 , ein gesetzgeberischer Umsetzungswille aber nur bei zum Z w e c k e der Richtlinienumsetzung geschaffenen N o r m e n ange184 Vgl. Canaris, Festschrift F. Bydlinski, S.47 (50f.); Everling ZGR 1992, 376 (378ff.); Franzen JZ 2003, 321 (324); Nettesheim AöR 1994, 261 (267); Piekenbrock/Schulze WM 2002, 521 (525); Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.435 jew. m.w.N.; so aber noch Begründung EuGH, 15.7. 1982 - Rs. 270/81 Felicitas Rickmers-Linie KG & Co. / Finanzamt für Verkehrssteuern Hamburg, Slg. 1982,2771, Rn. 24-26; in Kombination mit Art. 189 Abs. 3 EuGH, 16.12. 1993 Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de Garantía Salarial, Slg. 1992,1-6911, Rn. 20, 21; weitreichendere Bedeutung des Umsetzungswillens: Grundmann ZEuP 1996, 399ff. (422); ders. JuS 2002, 768 (771); für Ableitung aus dem nationalem Recht Ehricke RabelsZ 59 (1995), 598 (615). 185 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 303f.; Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 88; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.434f. jew. m.w.N. 186 EuGH, 14.7.1994 - Rs. C-91/92 Paola Faccini Dori / Recreb Sri., Slg. 1994,13325, Rn.26; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 263,284; Everling ZGR 1992,377 (379); Lorenz NJW 1998, 2937 (2939); s. noch unten II.

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

n o m m e n werden kann. Auch wenn man den subjektiven Willen des Gesetzgebers mit objektiven Elementen kombiniert und den Veränderungen des entstehungszeitlichen N o r m u m f e l d e s Rechnung trägt 1 8 7 , bleiben Einwände. D e r generelle U m s e t z u n g s z w e c k des Gesetzes kann konterkariert sein durch andere konkretere Regelungszwecke bis hin zu unbewusster 1 8 8 oder bewusster N o r m i e r u n g richtlinienwidriger Tatbestandsmerkmale. 1 8 9 Insbesondere stellt die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine der Auslegungsmethoden dar, deren Ergebnis durch systematische und teleologische Feststellungen modifiziert oder sogar umgekehrt werden kann. 1 9 0 Das bedeutet freilich nicht, dass der Auslegung nach den Regelungsabsichten des Gesetzgebers keine maßgebliche Rolle bei der Auslegung von richtlinienfundiertem R e c h t z u k o m m e n kann. Sie ist jedoch nicht hinreichend zur Begründung einer generellen normativen Pflicht zur richtlinienk o n f o r m e n Auslegung. D i e einzelne nationale Umsetzungsvorschrift kann sie fordern, wenn der vermutete generelle Wille zur U m s e t z u n g nicht widerlegt wird, sondern mit den Regelungszielen der Richtlinie auch inhaltlich übereinstimmt. Entscheidend ist die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers zur Beantwortung der Frage nach der richtlinienkonformen Auslegung auch „überschießender" Umsetzungsnormen. 1 9 1 Richtigerweise wird auch abgelehnt, die richtlinienkonforme Auslegung folge aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts. 1 9 2 Das verkennt die rechtliche N a t u r der Richtlinie. Weil sie keine unmittelbare belastende Wirkung gegenüber Privaten im innerstaatlichen R e c h t entfalten kann, ist sie keine einen konkreten Sachverhalt in Kollision zum nationalen Privatrecht regelnde N o r m des Gemeinschaftsrechts. 1 9 3 Eine solche N o r m k o l l i s i o n ist jedoch Voraussetzung für einen Vorrang in der Anwendung. N u r über die Auslegung nationalen Rechts selbst kann sie zwischen Privaten wirken, ansonsten gewährt sie lediglich A n 187 Vgl. F. Bydlinski,]uTistische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 430; Everling ZGR1992, 377 (378); Franzen, Privatrechtsangleichung, S.307; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 3,2 d; ähnlich im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung vorkonstitutionellen Rechts: Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn.437. 188 S. Schlussantrag Generalanwalt Colomer in der Rechtssache „Pfeiffer" vom 8. Mai 2003 sowie 27. April 2004 verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a. / Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut eV. Rn. 18; A.A. Grundmann JuS 2002, 768 (771): erst der nachgewiesene Wille, von der Richtlinie abzuweichen. 189 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 303 ff.; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.269ff.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.435. 190 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 310. 191 S. Hommelhoff, Festschrift BGH, S. 889 (915f.); Mayer/Schürnbrand}Z 2004, 545; W.-H. Roth, Festschrift BGH, S. 847 (883). 192 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.250ff.; Jarass EuR 1991, 211 (216); Nettesheim AöR 1994, 261 (267); a.A. Bach JZ 1990, 1108 (1111); Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, S. 117/118; Lutter JZ 1992, 593; Langenfeld DöV 1992, 955 (964); teils auch Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 91. 193 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 260,294ff.; Nettesheim AöR 1994,261 (268); s. unten III 2. a.

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

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Sprüche gegen den Staat und ggf. seine Unternehmen. Eine Kollision in den k o n kret anwendbaren N o r m e n mit Vorrang des Gemeinschaftsrechts kann deshalb nur Folge der Auslegung sein, nicht ihr normativer Ausgangspunkt. U n d : D i e richtlinienkonforme Auslegung soll diese Kollision gerade auflösen. Ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts kann also nicht normative Grundlage einer Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sein. D e r E u G H und mit ihm ein Großteil der nationalen Stellungnahmen leiten eine normative Pflicht der Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung aus Art. 2 4 9 Abs. 3 E G V ( Art. 1-33 Abs. 1 S . 3 E U Verf.) - teils i.V.m. Art. 10 E G V (Art. 1-5 Abs. 2 E U Verf.) - ab. 1 9 4 Art. 2 4 9 E G V (Art. 1-33 E U Verf.) enthält nicht nur die Definition der Richtlinie und die Anordnung ihrer Verbindlichkeit 1 9 5 , sondern aus ihr ist die konkrete Umsetzungsverpflichtung abzuleiten, dass die nationale Rechtsordnung an die Ziel- bzw. Ergebnis vorgaben 1 9 6 der Richtlinie anzupassen ist. 1 9 7 D i e Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung ist K o n s e q u e n z dieser Vorgabe. Art. 2 4 9 Abs. 3 E G V (Art. 1-33 Abs. 1 S. 3 E U Verf.) verpflichtet nämlich nicht nur den einzelnen Mitgliedstaat in seiner völkerrechtssubjektiven Gesamtheit, sondern alle seine Hoheitsträger in deren jeweiligem K o m p e t e n z b e reich. 1 9 8 D i e Aufgabenstellung an die jeweilig zuständige innerstaatliche Stelle zeigt sich auch im Verweis des Art. 249 Abs. 3 E G V (Art. 1-33 Abs. 1 S. 3 E U Verf.) auf die dem einzelnen Hoheitsträger zur Verfügung stehenden F o r m e n und M i t tel der Zielerreichung. Art. 2 4 9 Abs. 3 E G V (Art. 1-33 Abs. 1 S. 3 E U Verf.) ist dabei eine Konkretisierung der allgemeinen Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue aus Art. 10 E G V (Art. 1-5 Abs. 2 E U Verf.), der jeweils auf die aus dem Vertrag sich ergebenden Verpflichtungen verweist. 1 9 9 Eine Verpflichtung sämtlicher in-

194 S. etwa EuGH, 16.12.1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de garantía salarial, Slg. 1993,1-6911, Rn. 20; EuGH, 18.12.1997 - Rs. C-129/96 Inter-Environnement Wallonie ASBL / Région wallonne, Slg. 1997,1-7411,Rn.40 m.w.N.; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.256f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S.296ff.; Giubitz/ïriïXi/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union II, EGV Art. 249 Rn. 153; Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 89ff.; Ipsen, Festschrift Ophüls, S.67 (75);Jarass EuR 1991, 211 (216); W.-H. Roth, Festschrift BGH, S. 847 (874). 195 So jedoch Streinz in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, § 182 Rn. 11. 196 S. oben B., Fn. 14. 197 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 9; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 297; Ipsen, Festschrift Ophüls, S. 67 (75); a. A. Hommelhoff, Festschrift BGH, S. 889 (892): Verpflichtung aus nationalem Recht und erst nach gesetzgeberischem Transformationsakt. 198 EuGH, 10.4. 1984 - Rs. 14/83 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann / Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984,1891; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.256; Everling ZGR 1992,377 (379/380); Franzen, Privatrechtsangleichung, S.246,297; ebenso wie sich die Haftung des Staates bei (offenkundigen) Verletzungen des sonstigen Primärrechts auch auf richterliches Unrecht erstreckt: EuGH, 30.9. 2003 - Rs. C-224/01 Gerhard Köbler / Republik Österreich, EuZW 2003, 718 = NJW 2003, 2539; dazu Obwexer EuZW 2003, 726; Krieger JuS 2004, 855. 199 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.257; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 297/298; Grundmann ZEuP 1996, 399 (401).

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

nerstaatlicher Hoheitsträger im R a h m e n ihres jeweiligen Aufgabenbereiches u m fasst deshalb auch ohne Zusammenwirken mit dem Grundsatz der G e m e i n schaftstreue 2 0 0 die richterliche Anwendung des nationalen Rechts in Richtlinienkonformität, steht jedoch auf dem B o d e n dieser Treuepflicht.

II. Gegenstand und Beginn der Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung N i c h t nur zum Z w e c k e der Richtlinienumsetzung geschaffenes Recht, sondern auch diejenigen bereits existenten N o r m e n , die eine weitere Umsetzungspflicht entfallen lassen sollen, sind richtlinienkonform auszulegen, da es nicht v o m Z u fall der zeitlichen Entstehung der N o r m abhängen kann, ob die Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung greift oder nicht. 2 0 1 D i e Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung bezieht sich zudem auf die gesamte nationale Rechtsmasse. 2 0 2 Das entspricht der Einordnung der richtlinienkonformen Auslegung als U m s e t zungstätigkeit des nationalen Richters i.S.d. A r t . 2 4 9 Abs. 3 E G V (Art. 1-33 Abs. 1 S. 3 E U Verf.): D e r durch den Anwendungsbereich der Richtlinie 2 0 3 definierte Umsetzungsbefehl richtet sich während jedes richterlichen Erkenntnisaktes an das rechtsanwendende Gericht. Das Gericht findet jeweils eine bestimmte Rechtslage vor und steht dabei in der Ergebnisverbindlichkeit der Richtlinie. D i e se Rechtslage ist richtlinienkonform zu interpretieren. D a n n muss sich die Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung auf die gesamte Rechtsordnung beziehen. Unterschiede zwischen N o r m e n , die der Umsetzung dienen, und sonstigen N o r men des nationalen Rechts können (nur) im H i n b l i c k auf die nationalen Auslegungsgrundsätze der gesetzgeberischen Absicht und des Sinn und Z w e c k s der N o r m bestehen. D i e besseren Argumente sprechen außerdem dafür, dass die Gerichte zu richtlinienkonformer Auslegung bereits mit Abfassung der Richtlinie zumindest berechtigt sind. 2 0 4 Wie bei der Umsetzungspflicht selbst, an der die Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung teilhat, kann zwischen dem Pflichtbeginn und der

A.A. Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, S.69. Everling ZGR 1992, 377 (379); Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S.449 m.w.N 202 EuGH, 14.7.1994 - Rs. C-91/92 Paola Faccini Dori / Recreb Sri., Slg. 1994,13325, Rn. 26; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 263,284; Everling ZGR 1992,377 (379); Lorenz NJW 1998,2937 (2939); ausführlich bezüglich Generalklauseln des nationalen Rechts: Heiderhoff\ Grundstrukturen, S. 120-146. 203 Vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 273; Franzen, Privatrechtsangleichung, S.372. 204 Everling ZGR 1992, 376 (383f.); W.-H. Roth ZIP 1992,1054 (1056); verpflichtet: Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 300ff.; Lenz DVB1.1990,903 (908); erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist: Bach JZ 1990, 1108 (1111); Ehricke RabelsZ 59 (1995), 598 (621 f.); Nettesheim AöR 1994, 261 (277); differenzierend auch Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 264/265;/^rass EuR 1991, 211 (221); W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (874). 200

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G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

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Sanktionierbarkeit ihrer Unterlassung durch evt. Direktwirkung, Vertragsbruchverfahren oder Staatshaftungsansprüche unterschieden werden. 2 0 5 Z u bedenken ist, dass die gegenteilige Rechtsauffassung zwei nicht wünschenswerte K o n s e quenzen hat: Ist die gesetzgeberische Umsetzungspflicht durch bereits bestehendes R e c h t erfüllt, wäre dieses vor Ablauf der Umsetzungsfrist u . U . anders zu interpretieren als nach deren Ablauf. N o c h zugespitzt wären, falls der Gesetzgeber zum Z w e c k e der Umsetzung vor Ablauf der Umsetzungsfrist N o r m e n schafft, diese ebenfalls vor und nach Ablauf der Umsetzungspflicht unterschiedlichen Interpretationsmethoden eröffnet. 2 0 6 Problematisch sind nur diejenigen Fälle, in denen unklar ist, ob eine gesetzgeberische U m s e t z u n g erforderlich ist. Wird bereits vor Ablauf der Umsetzungspflicht richtlinienkonform ausgelegt, wird dem Richter die Beurteilung übertragen, inwieweit ein Umsetzungsgesetz notwendig ist. Dies geschieht allerdings nur im Rahmen der Ermittlung, inwieweit die existenten nationalen Regelungen überhaupt (im Lichte der Richtlinie) auslegungsfähig sind - originäre richterliche Tätigkeit, die der Erstreckung der richtlinienkonformen Auslegung auf die gesamte Rechtsmasse entspricht.

III. Durchführung der richtlinienkonformen Auslegung Wir haben festgestellt, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aus der mitgliedstaatlichen Umsetzungspflicht folgt. D i e Klärung dieser Rechtsgrundlage hat Konsequenzen. D i e richterliche Tätigkeit ist dann Fortsetzung und Weiterführung der mitgliedstaatlichen Umsetzungspflicht durch einen anderen Hoheitsträger. Das bedeutet in inhaltlicher Hinsicht, dass grundsätzlich die richtlinienkonforme Auslegung den gleichen Anforderungen gegenübersteht wie die legislative Umsetzung, nämlich der Ziel- bzw. Ergebnisverbindlichkeit der R i c h t linie. Soweit Auslegung erforderlich und möglich ist 2 0 7 , geschieht sie in Erfüllung fortbestehender Verbindlichkeit der von der Richtlinie verfolgten Ergebnisse.

1. Grundsätzliche Bindung des Richters an die innerstaatliche Kompetenzverteilung Diese Qualifizierung der richterlichen richtlinienkonformen Auslegung als B e standteil der mitgliedstaatlichen Umsetzungspflicht spitzt allerdings das P r o b l e m der Abgrenzung zur grundsätzlich ausgeschlossenen unmittelbaren Adressie-

205 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 264/265; Ehricke RabelsZ 59 (1995), 598 (621 f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, S.300ff. 206 Vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 264/265; Everling ZGR 1992, S. 376 (383)-,Jarass EuR 1991, 211 (220/221). 207 Dazu unten 2.

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

rung einer Richtlinie an den Bürger zu: 208 Der Einzelne kann sich zwar vor staatlichen Gerichten auf die Richtlinie berufen, wenn sie ausreichend bestimmt ist; die richtlinienkonforme Auslegung ist pflichtige - judikative - Umsetzungstätigkeit, die grundsätzlich die Ziele der Richtlinie zu erreichen hat. Gleichzeitig erkennt aber der Richter lediglich über die Rechtsbeziehungen zwischen gleichgeordneten Rechtssubjekten und begegnet dabei dem Ausschluss von einer den privaten Einzelnen unmittelbar belastenden Wirkung einer Richtlinie. Deshalb kann der Richter der Richtlinie nur insoweit Geltung verschaffen als er dazu nach innerstaatlichem Recht befugt ist. Grenzen dieser Befugnis folgen aus der Bindung des Richters an das nationale Recht und dessen Auslegungsmethodik, was letztlich der staatlichen Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Judikative entspricht. Insoweit muss man die gemeinschaftsrechtliche Pflicht aus Art. 249 Abs. 3 E G V als nur an denjenigen Hoheitsträger, der nach innerstaatlichem Recht zuständig ist, begreifen. 209 Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung greift nicht in die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung ein, sondern wird über deren Regeln an den einzelnen Träger der Staatsfunktionen vermittelt. 210 Auf nationaler Ebene ergeben sich Begrenzungen der Umsetzungskompetenz aus der staatlichen Kompetenzteilung in einem gewaltenteilig organisierten Rechtsstaat. Der nationale Richter folgt zwar der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungspflicht, er kann dies jedoch aufgrund gemeinschaftsrechtlich akzeptierten „innerstaatlichen Dürfens" nur bis zur Grenze, die durch die Vorgaben des Gesetzgebers bestimmt ist. Die innere Systematik des Art. 249 Abs. 3 E G V (Art. 1-33 Abs.l S.3 E U Verf.) weist also dem einzelnen mitgliedstaatlichen Hoheitsträger nur im Rahmen seines Aufgaben- und Kompetenzbereichs Umsetzungspflichten zu. So wie einerseits eine Verletzung der gesetzgeberischen Umsetzungspflicht erst angenommen werden kann, wenn das Ziel der Richtlinie nicht mehr im Wege der Auslegung nationalen Rechts erreicht werden kann 211 , kann andererseits auch die pflichtgemäß vorgenommene richterliche richtlinienkonforme Auslegung eine notwendige legislative Umsetzungstätigkeit nicht ersetzen und eine richtlinienwidrige nicht „heilen". Der Richter wendet das nationale Recht in dessen richtlinienkonformer Auslegung an, nicht die Richtlinie selbst. 208 S. oben F.; Vgl. EuGH, 26.2. 1986 - Rs. 152/84 M.H. Marshall / Health Authority, Slg. 1986,723, Rn. 48; EuGH, 22.2.1990 - Rs. 221/88, EGKS / Acciaierie e Ferriere Busseni SPA, Slg. 1990,1-495, Rn. 23; EuGH, 13.11.1990-Rs. C- 106/89 Marleasing SA/Comercial International de Alimentación SA, Slg. 1990,1, 4135, Rn.6; EuGH 11.7.199- Rs. 87/90 A. Verholen u.a. / Sociale Verzekeringsbank, Slg. 1991,1-3757, Rn. 13ff.; EuGH, 14.7.1994 - Rs. C-91/92 Paola Faccini Dori / Recreb Srl., Slg. 1994, I 3325, Rn.24, 25; BVerfGE 75, 223 (240); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 361; Lenz/Borchardt/Hetmeier EGV Art. 249, Rn. 12. m.w.N; MiillerGraffnyW 1993, 13 (21); Pfeiffer ZEuP 2003, 141; Piekenhrock/Schulze WM 2002, 521 (523, 525ff.); Thüsing NJW 2003, 3441; Zitscher RabelsZ 60 (1996), 648 (656f.). 209 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 278. 210 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 246. 211 Heiderhoff', Grundstrukturen, S. 43

G. Einschränkungen

der nationalen Auslegungsautonomie

2. Verhältnis der richtlinienkonformen Auslegungsmethodik

Auslegung zu der

89

nationalen

Inwieweit nun das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung die Auslegungskompetenzen des nationalen Richters gegenüber den nationalen Auslegungsmethoden erweitert, ist eine der hauptsächlichen Fragestellungen im Bereich der Abgrenzung zwischen Auslegung und legislativer Umsetzung. Umso weiter der nationale Richter zur Auslegung befugt und verpflichtet ist, um so weniger kommt es zu einer - ausgeschlossenen - den Bürger belastenden Direktwirkung der Richtlinie, da der Richter sich im Rahmen seiner Kompetenz aufhält. Eine weitreichende Befugnis zur richtlinienkonformen Auslegung verhindert auch mögliche Staatshaftungsansprüche wegen mangelhafter Umsetzung. a) Vorrang der richtlinienkonformen

Auslegung?

Vertreten wird die Auffassung, die richtlinienkonforme Auslegung habe Vorrang vor den nationalen Auslegungsmethoden.212 Das würde zum einen den Abschied von der hergebrachten Vorstellung der Gleichrangigkeit der Auslegungsgrundsätze nach Wortlaut, Entstehung, Systematik und telos der Norm zu Gunsten der richtlinienkonformen Auslegung als vorrangiges Auslegungskriterium bedeuten. Zum anderen würde selbst ein nach dem eindeutigen Wortsinn und Zweck der nationalen Norm nicht erreichbares Auslegungsergebnis durch die richtlinienkonforme Auslegung zulässig. Vor allem der Rechtsfortbildung wäre ein weiter Anwendungsbereich eröffnet. 213 Begründet wird diese Auffassung entscheidend mit dem Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts, das richtlinienwidriges nationales Recht verdränge.214 Der nationale Gesetzgeber habe die vorrangige Interpretation seines nationalen Rechts aus der Richtlinie heraus akzeptiert und zwar im Rahmen der Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die Gemeinschaft. 215 Vertreter der „Vorrangtheorie" gehen teilweise davon aus, sie führe nicht zur direkten Horizontalwirkung zwischen Bürgern 216 , teilweise aber wird auch von einer solchen Wirkung ausgegangen.217 Die Richtlinie entfalte ein „Eigenleben",

212 Bach JZ 1990, 1108 (1111); Lutter JZ 1992, 593 (604); Spetzler RIW 1991, 579 (580); a.A. Ehricke RabelsZ 95 (1995), 598 (612ff.); Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.247ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, S.339ff. jew. m.w.N. 213 S. Lutter JZ 1992,593ff.; allgemein zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung, die unserer Auffassung nach grundsätzlich zulässig ist, sich jedoch intra ius aufhalten muss und den Grenzen des Normzwecks unterliegt s. Franzen, Privatrechtsangleichung, S.405ff.; W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847, 876; Nettesheim AöR 1994, 261 ff.; s. noch unten 3. d). 2,4 Bach JZ 1990, 1108 (1111); Lutter JZ 1992, 593 (594, 597). 215 Lutter JZ 1992, 593 (605); zu Einwänden gegen den Vergleich mit der verfassungskonformen Auslegung: Franzen, Privatrechtsangleichung, S.323ff. m.w.N.; Thüsing ZIP 2004, 2301 (2304/2305) m.w.N. 216 Lutter JZ 1992, 593 (604/605). 2,7 Langenfeld DÖV 1992,955 (956); Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

wodurch sie mehr und mehr allgemeines, nicht nur die Mitgliedstaaten selbst verpflichtenden R e c h t werde, zumindest als Lückenfüllung heranzuziehen sei. 2 1 8 Dass der Vorrang des Gemeinschaftsrecht im Verhältnis der Richtlinie, soweit nicht unmittelbar anwendbar, z u m nationalen R e c h t nicht greift, wurde bereits dargelegt. 2 1 9 N u r wenn beide Rechtsmassen auf einen konkreten Fall (konflikthaft) Anwendung fänden, käme ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts in B e tracht. 2 2 0 Eine Vorrangtheorie, die ohne unmittelbare Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten auskommt, ist nicht denkbar. D i e Vorrangtheorie ist damit entweder in sich widersprüchlich, wenn sie vorgibt, nicht Folge horizontaler D i r e k t wirkung zu sein; oder aber sie widerspricht dem Ausschluss horizontaler D i r e k t wirkung. D a b e i trägt auch das Argument der Delegation von Staatsgewalt nicht; vielmehr wird entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Subsidiaritätsprinzip dem nationalen Gesetzgeber nur soviel A u t o n o m i e genommen, wie das Binnenmarktziel erfordert. 2 2 1 D i e Unterscheidung zwischen Verordnung und Richtlinie ist vor diesem Hintergrund nicht zufällig. D i e Richtlinie wird gewählt - und ist zu wählen 2 2 2

weil sie am wenigsten in die K o m p e t e n z e n der M i t -

gliedstaaten eingreift. Das bedeutet nicht, dass dem nationalen Gesetzgeber ein Wille zum richtlinienwidrigen R e c h t unterstellt werden kann 2 2 3 , die innerstaatliche K o m p e t e n z dazu fehlt ihm jedoch nicht. D i e Richtlinienwidrigkeit einer N o r m bewirkt eine Vertragsverletzung des Mitgliedstaates, welche mit dem Verfahren nach Art. 2 2 6 E G V (Art. I I I - 3 6 0 E U Verf.), unmittelbaren Ansprüchen des Privaten gegen den Staat und seine Unternehmen und ggf. einer Staatshaftung des Mitgliedstaates gegenüber dem Privatrechtssubjekt sanktioniert werden kann. 2 2 4 Richtigerweise geht deshalb die wohl herrschende Ansicht davon aus, die nationalen Auslegungsschritte seien zwar zu modifizieren, 2 2 5 ein Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung in dem Sinne, dass sie Auslegungsergebnisse ermöglichen könne, die nach nationaler M e t h o d i k de lege lata ausgeschlossen sind, sei jedoch abzulehnen: Vielmehr sei die G r e n z e der Auslegung der Wortsinn und eindeutige Z w e c k der nationalen N o r m , was die Auslegungsspielräume des nationalen Rechts kennzeichnet. 2 2 6 Union II, EGV Art. 249, Rn. 28; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 339; Zuleeg ZGR 1980,466 (475, 478); Klein, Unmittelbare Geltung, S. 16ff. (26); ders., Festschrift Everling, S.641 (646f.). 218 Lutter JZ 1992, 593 (594, 597). 219 S. oben I. 220 Ehricke RabelsZ 95 (1995), 598 (612/613); Franzen, Privatrechtsangleichung, S.260, 294; W.-H. Roth Festschrift BGH, S.847 (875). 221 S. oben B. 222 Grabitz/Hilf/Nettes/ram, Das Recht der Europäischen Union II, EGV Art. 249 Rn. 78; Lenz/Borchardt//ie£ttjez'er EGV Art.249, Rn.2; s. schon oben B., Fn. 13. 223 S. Lutter JZ 1992, 593 (605). 224 S. oben F. 225 S. noch unten b). 226 BAG NJW1990,65 (66); Everling ZGR 1992,376 (381,388); Götz NJW1992,1849 (1854); vgl.Jarass EuR 1991,211 (222); Nettesheim AöR 1994,261 (277); W.-H. Roth, Festschrift BGH,

G. Einschränkungen

der nationalen

Auslegungsautonomie

91

Dies entspricht bislang auch der Rechtssprechung des E u G H , die darauf verweist, das nationale Gericht habe die Auslegung (nur) „im Rahmen seiner Zuständigkeit" und „unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt", vorzunehmen. 227 Teils wird im Gegensatz dazu die „Marleasing-Entscheidung" 2 2 8 herangezogen, die eine Kehrtwende in Richtung „Vorrangtheorie" und unmittelbare Richtlinienwirkung unter Privaten darstelle. 229 Die „Marleasing-Entscheidung" 2 3 0 unterscheidet sich in der Tat in der Formulierung der Verbindlichkeit für den nationalen Richter, verpflichtet sie diesen doch, sein nationales Recht „soweit wie möglich unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie" 2 3 1 auszulegen. Zudem gibt sie ein bestimmtes Ergebnis der Auslegung vor, die im Fall „Marleasing" verhindern solle, dass eine Aktiengesellschaft aus anderen als den in Artikel 11 der einschlägigen Richtlinie aufgezählten Gründen für nichtig erklärt wird. 232 Auch in der Rechtssache „Pfeiffer" schlug der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vor, dass eine tarifvertragliche Regelung, soweit sie auf § 7 Abs. 1 Nr. 1 a des deutschen Arbeitszeitgesetzes gestützt ist, dahin auszulegen sei, dass die betroffenen Arbeitnehmer nicht verpflichtet sind, durchschnittlich mehr als 48 Arbeitsstunden pro Woche zu leisten 233 , leitet also aus der Richtlinie 93/104/EG 234 ein konkretes Auslegungsergebnis ab. Feststellungen hinsichtlich einer dem nationalen Richter gegenüberstehenden Ziel- bzw. Ergebnisverbindlichkeit der Richtlinie sind jedoch zunächst nicht außergewöhnlich, sondern entsprechen dem Konzept des Art. 249 Abs. 3 E G V (Art. 1-33 E U Verf.). Die Einschränkung, dass diese Verbindlichkeit nur im Rahmen der eigenen richterlichen Kompetenzen bestehen kann, wird in der „MarleasingEntscheidung" (allerdings nur abgeschwächt) angedeutet. Zum einen dadurch, dass die Entscheidung die Gerichte nur „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten" und S. 847 (876); allgemein Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 3, 2 a; differenzierend Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.266ff. 227 Grundlegend E u G H , 10.4. 1984 - Rs. 14/83 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann / Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, 1891, Rn.25, 28. 228 E u G H 13. 11.1990 - C-106/89 Marleasing SA / Comercial International de Alimentation SA, Slg. 1990 1-4135. 229 Götz N J W 1992, 1849 (1854); Grundmann ZEuP 1996, 398 (402); Lutter J Z 1992, 593 (597); Steindorff., Festschrift Everling, S. 1455 (1452); Vogenauer ZEuP 1997,159, (163/164); Zitscher RabelsZ 60 (1996), 648 (657). 230 Zu den besonderen Umständen ihres Zustandekommens: Rodríguez Iglesias/¡Hechenberg, Festschrift Everling, 1213 (1220f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 340. 231 E u G H , 13.11.1990 - C-106/89 Marleasing SA / Comercial International de Alimentation SA, Slg. 1990 1-4135, 1. Leitsatz, Rn.8. 232 E u G H , 13.11.1990 - C-106/89 Marleasing SA / Comercial International de Alimentation SA, Slg. 1990 1-4135, 2. Leitsatz, Rn.9. 233 Schlussantrag Generalanwalt Colomer vom 6. 5.2003 sowie 27.4. 2004 - verb. Rs. C-397/ 01 bis C-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a. / Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Waldshut eV. Rn. 49; E u G H 234 Vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.

92

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

„soweit wie möglich" 2 3 5 verpflichtet 2 3 6 , zum anderen dadurch, dass unter B e r u fung auf das „Marshall-Urteil" 2 3 7 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass „eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für den Einzelnen begründen und eine Richtlinienbestimmung als solche nicht gegenüber einem Einzelnen in Anspruch genommen werden kann". 2 3 8 Auch in der Rechtssache „Pfeiffer" 2 3 9 beschied der E u G H dies. E r geht allerdings insofern weiter, als eine bestimmte mögliche M e thodik des nationalen Rechts (Einschränkung der Reichweite einer Bestimmung bzw. deren Nichtanwendung) auch als verpflichtend für die richtlinienkonforme Auslegung angesehen wird. 2 4 0 D e n n o c h bleibt es bei der grundsätzlichen A n e r kennung der Bindung des Richters an das nationale R e c h t und dessen Auslegungsmethoden. Seit der Rechtsprechung des E u G H zur Staatshaftung wegen mangelhafter gesetzgeberischer Umsetzungstätigkeit ist die Grenze auch deutlich gezogen. 2 4 1 D i e Staatshaftung greift (sekundär) ein, wenn nicht schon das nationale R e c h t oder - im Vertikalverhältnis zum Staat - die direkte Richtlinienanwendung einen Anspruch vermittelt. 2 4 2 In dem Schlussantrag in der Rechtssache „Pfeiffer" geht auch der Generalanwalt davon aus, die Arbeitnehmer könnten sich nicht auf die unmittelbare W i r kung der Richtlinie - zu deren U m f a n g bewusst keine abschließenden Aussagen getroffen werden sollen 2 4 3 - berufen, da die Ausgangsverfahren Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen sind. 2 4 4 D e r Schlussantrag k o m m t allerdings bereits für die richtlinienkonforme Auslegung der v o m Wortlaut anders lautenden nationalen Bestimmung selbst 2 4 5 zu dem oben erwähnten konkreten Auslegungsergebnis. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Schlussantrag sich maßgeblich mit zwei Besonderheiten des Sachverhalts begründet: Z u m einen war, wie in der

235 Was nach Ansicht Steindorff, Festschrift Everling, S. 1455 (1462) letztlich zur Unbegrenztheit richtlinienkonformer Auslegung führt; wie hier einschränkend aber auch Rodríguez Iglesias/Riechenherg, Festschrift Everling, S. 1213 (1222). 236 EuGH, 13. 11.1990 - C-106/89 Marleasing SA / Comercial International de Alimentation SA, Slg. 1990 1-4135, 1. Leitsatz, Rn.8. 237 EuGH, 26.2. 1986 - Rs. 152/84, M.H. Marshall / Southampton Health Authority, Slg. 1986, 723. 238 EuGH, 13.11.1990 - C-106/89 Marleasing SA / Comercial International de Alimentation SA, Slg. 1990 1-4135, Rn. 6. 239 EuGH, 5.10. 2004 - Rs. 397/01^03/01 Bernhard Pfeiffer u.a. / Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., Rn. 109, 113, 116, 118, 119. 240 EuGH a.a.O. Rn. 116; dazu Thüsing ZIP 2004, 2301 (2304/2305); s. noch im Folgenden. 241 S. EuGH, 19.11.1991 - Rs. 6/90 Andrea Francovich u.a. / Italienische Republik, Slg. 1991, 1-5357; EuGH, 16.12.1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de Garanda Salarial, Slg. 1993,1-6911; EUGH 8.10. 1996-verb. Rs. C-178, 179, 188, 189, 190/94 Dillenkofer u.a. / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1996,1-4845. 242 S. oben F. 243 Schlussantrag Generalanwalt Colomer vom 27. April 2004- verb. Rs. C-397/01 bis C-403/ 01 Bernhard Pfeiffer u.a. / Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Waldshut eV., Rn. 16. 244 A.a.O. Rn. 49. 245 A.a.O. Rn. 39.

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

93

Rechtssache „Wagner M i r e t " , eine gesetzgeberische Umsetzungstätigkeit (im A r beitszeitgesetz) erfolgt, schlug jedoch fehl. 2 4 6 Z u m anderen wird die Erfolgsaussicht, den Staat für eventuelle Schäden haftbar zu machen, vom Generalanwalt gering eingeschätzt, zumal sich das Interesse der Kläger gerade nicht auf diesen (sekundären) Rechtsbehelf richtet. 2 4 7 Außerdem geht der Generalanwalt ausdrücklich von der Vorrangstellung nicht nur des Primär- und Verordnungsrechts, sondern auch des Richtlinienrechts aus. 248 Dass diese Vorrangtheorie sich letztlich nicht von der unmittelbaren Richtlinienwirkung zwischen Privaten unterscheidet, wurde dargestellt. In der Tat kann es zwar unangemessen erscheinen, trotz Umsetzungswillens des nationalen Gesetzgebers dessen Fehler nicht bereinigen zu können. Ist außerdem der zu erwartende Schadensersatz im Einzelfall nicht einfach durchsetzbar und vor allem quantifizierbar, kann es zu schwer hinnehmbaren Ergebnissen k o m m e n . D e n n o c h sollte die richtlinienkonforme Auslegung den Staat nicht seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen U m s e t z u n g einer Richtlinie entheben und damit gleichzeitig das staatliche Kompetenzgefüge und die Rechtssicherheit beeinträchtigen. E s bleibt außerdem dabei, dass die bloße Nichtanwendung einer bestehenden richtlinienwidrigen nationalen N o r m in der Regel zu nicht füllbaren Rechtsfolgenlücken führt. 2 4 9 Abhilfe kann im Falle fehlgeschlagener gesetzgeberischer Umsetzung unter Umständen eine besondere B e tonung der nationalen Auslegung nach dem subjektiven Willen des Gesetzgebers bringen. A u c h diese kann jedoch einen entgegenstehenden Wortlaut nicht modifizieren. D e r E u G H unterscheidet in seiner entsprechenden Rechtsprechung deutlich zwischen gesetzgeberischer Umsetzungspflicht und richterlichen Auslegungsmöglichkeiten. 2 5 0 In den Urteilen „Francovich" und „Dillenkofer" waren die maßgeblichen Richtlinien nicht bzw. verspätet umgesetzt worden. Sie entsprechen insofern der Situation der „Marleasing-Entscheidung", richteten sich allerdings gegen den untätigen Staat. Jeweils wird erkannt, dass die Wirkung der Richtlinie von einer Tätigkeit des Staates abhängt und im Falle einer Untätigkeit des Staates Ansprüche aus der Richtlinie vor nationalen Gerichten nicht geltend gemacht werden können. 2 5 1 D i e richtlinienkonforme Auslegung ist nicht in der Lage, entsprechende Ansprüche zu gewähren, kollidiert sie doch in den entschiedenen Fällen schon mit dem Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber bei der 246 A.a.O. Rn. 18; §7 Abs.l Nr. 1 a des Arbeitszeitgesetzes lässt eine Verlängerung der Arbeitszeit durch Tarifvertrag über die von der Richtlinie festgelegte Höchstdauer hinaus zu. 247 A.a.O. Rn. 17, 43. 248 A.a.O. Rn. 42. 249 A.A. vgl. a.a.O. Rn.22, 39. 250 EuGH, 19.11.1991 - Rs. 6/90 Andrea Francovich u.a. / Italienische Republik, Slg. 1991,15357; E U G H 8 . 1 0 . 1 9 9 6 - v e r b . Rs. C-178,179,188,189,190/94 Dillenkofer u.a. / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1996,1-4845. 251 EuGH, 19.11.1991 - R s . 6/90 Andrea Francovich u.a. / Italienische Republik, Slg. 1991,15357, Rn.34

94

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

U m s e t z u n g der Richtlinie zugestanden wurde. 2 5 2 H e r v o r z u h e b e n ist, dass Grundlage des „Wagner M i r e t - U r t e i l s " 2 5 3 und auch des „Pfeiffer-Urteils" 2 5 4 nationale Rechtsvorschriften waren, mit denen die Anwendung einer Richtlinie sichergestellt werden sollte. Differenziert geht der E u G H hier auf das Zusammenspiel nationalen Rechts und Gemeinschaftsrechts, der Umsetzungspflicht und der Auslegung ein. Ein Schadensersatzanspruch gegen den unzureichend umsetzenden Mitgliedstaat besteht nach dem „Wagner M i r e t - U r t e i l " , falls durch das nationale Recht auch bei dessen Auslegung im Lichte der Richtlinie nicht sichergestellt ist, dass die Vorgaben der Richtlinie dem einzelnen zu G u t e k o m m e n . 2 5 5 Es bleibt Sache des nationalen Rechts, die Grenzen dieser Auslegung zu bestimmen. 2 5 6 Auch in anderen Urteilen hat es der E u G H akzeptiert, wenn das innerstaatliche Gericht zum Schluss gekommen war, das nationale Recht könne nicht im Sinne der Richtlinie ausgelegt werden. 2 5 7 D e r E u G H hat in seiner Entscheidung der Rechtssache „Pfeiffer" 2 5 8 eine ausreichende inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit der Richtlinie angenommen, so dass sich grundsätzlich der Einzelne gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen könne. 2 5 9 D a m i t setzt er seine bisherige Rechtssprechung insbesondere in der Rechtssache „ F r a n c o v i c h " 2 6 0 fort. E r belässt es aber dabei, dass die Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. 261 Soweit er zudem vorsieht, mit der Richtlinie kollidierende nationale Vorschriften könnten in ihrer Reichweite einzuschränken sein, gilt dies nach dem E u G H nur insoweit, als das nationale R e c h t dies durch A n w e n -

252 EuGH, 19.11.1991 - R s . 6/90 Andrea Francovich u.a. / Italienische Republik, Slg. 1991,15357,2. Leitsatz; EuGH, 16.12.1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de Garantia Salarial, Slg. 1993,1-6911, 3. Leitsatz. 253 EuGH, 16.12. 1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de Garantia Salarial, Slg. 1993,1-6911. 254 EuGH, 5.10. 2004 - Rs. 397/01 bis C-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a. / Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., NJW 2004, 3547. 255 In diesem Zusammenhang wird das besonders betont von Curtin CMLR 27 (1990), 709ff. sowie O'Keeffe, Festschrift Fenge, S. 311 ff. 256 EuGH, 16.12. 1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de Garantia Salarial, Slg. 1993,1-6911, Rn. 14, 22. 257 EuGH 14.7. 1994-Rs. C-91/92 Paola Faccini Dori / Recreb Sri., Slg. 1994, 3325, Rn. 26, 27; EuGH, 7.3.1996 - Rs. C-192/94 El Corte Ingles SA/ Cristina Blazquez Rivero, Slg. 1996,11281, Rn. 8. 258 EuGH 5.10.2004 - C-397/01 bisC-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., NJW 2004, 3547. 259 EuGH 5.10.2004 - C-397/01 bisC-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., NJW 2004, 3547, Rn. 103ff. 260 EuGH, 19.11.1991 - R s . C-6/90 Andrea Francovichu.a./Italienische Republik, Slg. 1991, 1-5357. 261 EuGH 5.10.2004 - C-397/01 bisC-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., NJW 2004, 3547, Rn. 108.

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

95

dung seiner Auslegungsmethoden ermöglicht. 2 6 2 Auch aus dieser Entscheidung ist insofern eine Vorrangstellung von Richtlinien nicht abzuleiten. D i e Vorrangtheorie ist jedenfalls nicht in der Lage, die Abgrenzung zwischen Auslegung und unmittelbarer Horizontalwirkung der Richtlinie zu lösen, mag dies auch im Einzelfall zum Verlust an Individualrechtsschutz führen. b) Modifikation

der

Auslegungsregeln

Vier Kriterien für die Auslegung von Gesetzen sind anerkannt, die Auslegung nach dem Wortsinn der N o r m , nach ihrem systematischen Zusammenhang, nach dem Willen des Gesetzgebers sowie die Auslegung nach dem Z w e c k der N o r m . 2 6 3 Auch wenn der richtlinienkonformen Auslegung kein Vorrang unter ihnen zuzugestehen ist, es vielmehr bei der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Auslegungskriterien bleibt, ist zu fragen, welchen konkreten Einfluss der Richtlinieninhalt auf sie hat. aa)

Die Richtlinie

als integrierte

Auslegungsvorgabe

D i e richtlinienkonforme Auslegung fügt den nationalen Auslegungskriterien kein weiteres hinzu. Vielmehr ist sie in diese einzufügen, was der E u G H 2 6 4 mit den Formulierungen ausdrückt, eine N o r m müsse „im Lichte der Richtlinie" ausgelegt werden, das nationale R e c h t sei „soweit wie möglich", „unter voller Ausschöpfung der Beurteilungsspielräume" anhand des „Wortlauts und Zwecks der Richtlinie" auszulegen, um das mit dieser verfolgte Ziel zu erreichen. D i e richtlinienkonforme Auslegung ist dabei nicht als Sonderform der systematischen Auslegung einzuordnen 2 6 5 , wie dies für die verfassungskonforme Auslegung angenommen wird 2 6 6 , denn die nationale N o r m und die Richtlinie gehören keinem einheitlichen Rechtssystem an. 2 6 7 Vielmehr sind sämtliche Auslegungsgrundsätze zu nutzen, um dasjenige Verständnis zu erzielen, das den Vorgaben der Richtlinie am besten entspricht. 2 6 8 D i e richtlinienkonforme Auslegung in die nationale zu integrieren, schöpft den Beurteilungsspielraum des Richters weiter aus, als es ihre Einordnung als eigenständiger Auslegungsschritt täte. Das ergibt sich aus Folgendem: Begreift man die richtlinienkonforme Auslegung als eigenständigen Auslegungsschritt, kann sie 262 EuGH 5.10.2004 - C-397/01 bisC-403/01 Bernhard Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., NJW 2004, 3547, Rn. 116ff. 263 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap.3. 264 Grundlegend EuGH, 10.4. 1984 - Rs. 79/83 Dorit Harz / Deutsche Tradax GmbH, Slg. 1984, 1921; EuGH, 10.4. 1984 - Rs. 14/83 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann / Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984,1891;EuGH, 13.11.1990-C-106/89MarleasingSA/Comercial International de Alimentation SA, Slg. 1990 1-4135. 265 A.A. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 363f. 266 Vosskuhle AöR 2000, 177 (181); ähnlich Michel JuS 1961, 274 (276) m.w.N. 267 S. oben 1., 2. a). 268 Ehricke RabelsZ 59 (1995), 598 (616); Hommelhoff, Festschrift BGH, 889 (891).

96

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

nur dort Wirkung entfalten, w o mit den herkömmlichen Auslegungskriterien mehrere Auslegungsergebnisse gewonnen werden können, welche dann anhand der Richtlinie zu überprüfen sind. 2 6 9 O b w o h l selbst N o r m e n mit scheinbar eindeutigem Wortlaut auslegungsfähig sind, ist theoretisch jedoch denkbar, dass sich nach den herkömmlichen Auslegungsschritten nur ein Auslegungsergebnis ergibt. 2 7 0 D i e

richtlinienkonforme

Auslegung als zusätzlicher Auslegungsschritt

hätte dann keinen R a u m mehr. U n d auch wenn mehrere Auslegungsergebnisse der nationalen N o r m denkbar sind, kann schon die integrierte Beachtung der Richtlinienvorgaben zur Konformität führen, etwa aufgrund der Einbeziehung einer autonomen Begrifflichkeit des Richtlinienrechts. 2 7 1 Erst bei Integration der richtlinienkonformen Auslegung in die nationalen Auslegungsschritte k ö n n e n sich Interpretationen nur und gerade aufgrund der Richtlinienvorgaben ergeben. D a m i t wird nicht durch die Hintertür zur „Vorrangtheorie" zurückgekehrt. 2 7 2 Vielmehr wird bereits bei den einzelnen Auslegungsschritten die H e r k u n f t einer nationalen N o r m aus einem anderen Rechtssystem beachtet, was den Beurteilungsspielraum des nationalen Richters in inhaltlicher Hinsicht mitdefiniert und um zu bedenkende Aspekte ergänzt. Diese H e r k u n f t nicht ausreichend bereits im R a h m e n der Wortlautinterpretation beachtet zu haben, wurde zu R e c h t der rein deutschsprachlichen Interpretation des Begriffs der „Entgeltlichkeit" in § 1 H a u s T W G entgegengehalten 2 7 3 , die letztlich zum Vorabentscheidungsverfahren führte. D i e Integration der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in die Auslegung entspricht dem K o n z e p t der Teilnahme auch der richterlichen Tätigkeit an der (fortbestehenden) Umsetzungspflicht aus Art. 2 4 9 E G V . Vor diesem H i n t e r grund stellt das gemeinschaftsrechtliche G e b o t richtlinienkonformer Auslegung eine sämtliche Auslegungskriterien des innerstaatlichen Rechts erfassende und modifizierende Interpretationsmaxime dar. 2 7 4 bb)

Vorzug der richtlinienkonformen

Auslegung

D i e K o n z e p t i o n einer möglichst weiten Anpassung der nationalen Auslegung an Ziel und Inhalt der Richtlinie ergibt nicht nur die Integration der richtlinienkonformen Auslegung in die einzelnen Auslegungsschritte, sondern auch einen VorHommelhoff AcP 192 (1992), 71 (98). So nach Ansicht Hommelhoff AcP 192 (1992), 71 (98), im Sachverhalt der Entscheidung EuGH, 10.4. 1984 - Rs. 14/83 Sabine von Colson und Elisabeth Kamann / Land NordrheinWestfalen, Slg. 1984,1891; dazu einschränkend Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 344, Fn. 141 ebd. 271 Vgl. unten cc), 3. 272 S. noch unten bb). 273 Franzen JZ 2003, 321 (322); Drexl]Z 1998, 1046 (1048); Hommelhoff Festschrift BGH, S. 889 (894); Lorenz NJW 1998, 2937 (2938); s. dazu noch unten 3. a). 274 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 343, 344; vgl. Everling ZGR 1992, 376 (381); Hommelhoff AcP 192 (1992), 71 (96); ähnlich W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (875); a.A. wohl Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.259 „getrennte Zweistufigkeit"; Lutter JZ 1992,593 (604 Fn.133). 269

270

G. Einschränkungen

der nationalen Auslegungsautonomie

97

zug ihrer Ergebnisse vor anderen möglichen Auslegungsergebnissen.275 Auch dies folgt aus dem vorgestellten Konzept der normativen Ableitung richtlinienkonformer Auslegung als Bestandteil der UmsetzungsVerpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 249 Abs. 3 EGV: Die einzelnen staatlichen Hoheitsträger sind zwar frei in der Wahl der Mittel und jeweils nur verpflichtet im Rahmen ihrer innerstaatlichen Kompetenzen, stehen aber in der Pflicht der Ziel- bzw. Ergebnisverbindlichkeit der Richtlinie. Diese Verbindlichkeit begründet eine Vorzugsstellung derjenigen Auslegungsergebnisse, die am besten geeignet sind, das Ziel bzw. Ergebnis der Richtlinienvorgaben zu erreichen. Der Unterschied zwischen der Vorzugs- und der Vorrangtheorie besteht darin, dass nur letztere eine Begrenzung der richtlinienkonformen Auslegung in nationaler Kompetenzverteilung zwischen richterlicher und gesetzgebender Tätigkeit und nationaler Methodenlehre anerkennt. Weil die Auslegungsergebnisse bereits durch die Richtlinie mitbestimmt werden und ihren Vorgaben der Vorzug zu geben ist, ist allerdings die Einschätzung berechtigt, dass dieser dogmatisch begründeten Abgrenzung in den Ergebnissen nicht immer die Bedeutung beikommt, wie es zunächst den Anschein hat. 276 Im Gegensatz zur „Vorrangtheorie" bleibt bei einer vorzugsweisen Beachtung der Richtlinienvorgaben im Rahmen der nationalen Auslegungsschritte die rechtsstaatliche Kompetenzabgrenzung wirksam. Zudem weist nur die gesetzgeberische Umsetzungstätigkeit ausreichende Unveränderbarkeit, Rechtssicherheit und unmittelbare Außenwirkung auf. 277 Nur sie kann einen abstrakt-generellen Rechtssatz schaffen, den die Gerichte individualisieren und konkretisieren. Ebenso wenig wie beispielsweise die Anpassung einer Verwaltungspraxis, ein Rundschreiben, eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift einen ausreichenden Umsetzungsakt darstellen 278 , kann der Umsetzungspflicht allein durch einen richterlichen Hoheitsträger genügt werden. 279 Selbst eine (unzulässige) horizontale Direktwirkung der Richtlinie würde deshalb nicht zur Bedeutungslosigkeit des Gelingens richtli275 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.259; Ehricke RabelsZ 95 (1995), 598 (612); W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (875). 276 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 343; Hakenberg NJW 1996, 56 (58); Heinrichs NJW 1995, 153 (154); Heiderhoff, Grundstrukturen, S.92; Pfeiffer in: Hohloch (Hrsg.), Richtlinien der EU und ihre Umsetzung, S.9 (21); ders. ZEuP 2003, 141 (146); Thüsing NJW 2003, 344ff.; Zitscher RabelsZ 60 (1996), 648 (649). 277 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S.358ff.; W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (875/876); vgl. auch EuGH, 19.11.1991 - R s . C-6/90 Andrea Francovich u.a./Italienische Republik, Slg. 1991,1-5357, 2. Leitsatz, Rn.25; EuGH, 16.12. 1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de garantia salarial, Slg. 1993,1-6911. 278 EuGH, 2.12.1986 - Rs. 239/85 Kommission / Königreich Belgien, Slg. 1986,3695, EuGH, 23.5. 1985 - Rs. 29/84, Kommission / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1985, 1661; EuGH, 30.5. 1991 - Rs. 361/88 Kommission / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991,1-2602; EuGH, 18.12. 1997 - Rs. C-263/96 Kommission / Königreich Belgien, Slg. 1997,1-7453. 2 7 9 EuGH, 19.11. 1991 - Rs. C-6/90 Andrea Francovich u.a./Italienische Republik Francovich, Slg. 1991,1-5357, 2. Leitsatz, Rn.25; EuGH, 16.12. 1993 - Rs. C-334/92 Teodoro Wagner Miret / Fondo de garantia salarial, Slg. 1993,1-6911.

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Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

nienkonformer Auslegung bestehenden nationalen Rechts führen. 280 Im Gegenteil: eine Berufung auf den unmittelbaren Richtlinieninhalt ist nur im Wege und in Folge einer an den nationalen Auslegungskriterien ausgerichteten richtlinienkonformen Auslegung möglich. Die richtlinienkonforme Auslegung kann aber nicht gleichwertig an die Stelle einer notwendigen Gesetzesänderung treten. cc) Die Auslegung der Richtlinie und die richtlinienkonforme

Auslegung

Welche Vorgaben der Richtlinie bei jedem Auslegungsschritt einzubeziehen sind und damit die innerstaatliche Methodik modifizieren, ergibt sich aus der Richtlinie selbst und ihrer Auslegung. Soweit für die Anwendung nationalen Rechts die Auslegung einer Richtlinie notwendig ist, ist sie grds. vom Europäischen Gerichtshof vorzunehmen. Die Frage der Auslegung des nationalen Rechts, für die das nationale Gericht zuständig ist, wird damit zu einer Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, über die letztlich der Europäische Gerichtshof entscheidet.281 Der Gerichtshof sichert im Rahmen seiner Aufgaben nach Art. 220 EGV (Art. 164 a.F.) die Einheitlichkeit bei der Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht. In der Teilnahme am Gemeinschaftsrecht und dem Bedürfnis nach einheitlicher Auslegung unterscheidet sich die Richtlinie nicht von unmittelbar innerstaatlich anwendbarem Gemeinschaftsrecht. 282 Seine Kompetenz zur verbindlichen Auslegung von Gemeinschaftsrecht übt der Gerichtshof u.a. im Vorabentscheidungsverfahren nach Art.234 EGV (Art. 177 a.F.) aus, um das er von den Gerichten der Mitgliedstaaten im Rahmen von dort anhängigen Verfahren ersucht wird. Das Gemeinschaftsrecht stößt in den Mitgliedstaaten auf unterschiedliches nationales Vorverständnis 283 und selbst „klare" Richtlinienvorgaben können sich als umstritten erweisen, weshalb auch von einem weiten Anwendungsbereich der Vorlagepflicht auszugehen ist.284 Der Gerichtshof wendet die in seiner Rechtsprechungspraxis entwickelten gemeinschaftsspezifischen Auslegungsmethoden an, indem er die im innerstaatlichen Bereich bekannte Methodik entsprechend den Besonderheiten der Gemeinschaftsrechtsordnung gewichtet, was unter anderem zu einer gemeinschaftsspezifischen Begriffsbestimmung von Tatbestandsmerkmalen der Richtlinien führt. 285 Die einheitliche Auslegung 280

Anders Heiderhoff, Grundstrukturen, S.91. Everling ZGR 1992, 376 (389). 282 Lenz/Borchard/ders. EGV Art. 234, Rn.5, 8; eine dies illustrierende Analogie der richtlinienkonformen Auslegung zum internationalen Einheitsrecht des EVÜ (Art. 36 EGBGB, Art. 18 EVÜ) zieht Franzen, Privatrechtsangleichung, S.335ff. 283 Zur Notwendigkeit der Rücksichtnahme des Gerichtshofs auf die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen s. etwa Howells in: Schulze, Auslegung europäischen Privatrechts, S. 115. 284 Everling Z G R 1992, 376 (390); Heiderhoff Grundstrukturen, S. 109-119; Hommelhoff Festschrift B G H , S. 889 (892/893); vgl. auch Lenz/Borchardt/ders. EGV Art. 234, Rn. 40ff.; W.H. Roth, Festschrift B G H , S. 847 (850). 285 Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 175ff.; Howells in: Schulze, Auslegung europäischen Pri281

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

99

durch den Gerichtshof führt erst zur tatsächlichen Einheit der Mindeststandards in verbraucherrechtlichen Richtlinien. Trotz aller Schwierigkeiten in der Rezeption der Entscheidungen des E u G H durch Schrifttum und Rechtsprechung kann über die rechtliche Bindungswirkung hinaus tatsächliche Bindungswirkung bis hin zu faktischer Präjudizialität der Entscheidungen des E u G H konzediert werden 2 8 6 , deren U m f a n g allerdings entwicklungsoffen und -bedürftig ist. D e r Gerichtshof beantwortet die Vorlagefrage zur Auslegung der Richtlinie in abstrakter F o r m 2 8 7 und in einem Zwischenverfahren zum nationalen Verfahren, dessen H e r r der mitgliedstaatliche Richter bleibt. Zur Anwendung des Auslegungsergebnisses auf den konkreten Rechtsfall ist der nationale Richter im R a h men der Auslegung und Fortbildung 2 8 8 (und deren G r e n z e n ) seines nationalen Rechts berufen. E r zieht die Folgerungen aus der vom Gerichtshof auf die Vorlagefrage gegebenen A n t w o r t für den konkreten Rechtsstreit. 2 8 9 D a sich bei der richtlinienkonformen Auslegung die Auslegung nationalen Rechts mit derjenigen des Gemeinschaftsrechtsakts verbindet, wird der nationale Richter gleichzeitig als Gemeinschaftsrichter tätig. 2 9 0 E r wählt nicht nur dasjenige Ergebnis rein nationaler Methodik, das im Sinne der „Vorzugstheorie" den abstrakten Ergebnissen der Vorlagefrage am besten entspricht. 2 9 1 Entsprechend unseren Feststellungen zur Integration der richtlinienkonformen Auslegung in die nationalen Auslegungsschritte strebt er vielmehr auf jeder Stufe der Auslegung (vorzugsweise) die Konformität mit der Richtlinie an. D i e Vorgaben des Vorabentscheidungsverfahrens wirken sich insofern in zwei Richtungen aus: Z u m einen bestimmen sie den Spielraum der Auslegung im R a h m e n der nationalen Auslegungsgrundsätze bereits mit. Z u m anderen ist das Ergebnis der Auslegung auf Konformität mit den Richtlinienvorgaben zu überprüfen und gegebenenfalls festzustellen, dass das nationale R e c h t den Vorgaben der Richtlinie nicht (voll) entspricht 2 9 2 , wenn Wortsinn und Z w e c k des nationalen Rechts auch bei B e a c h tung der Richtlinienvorgaben einer Konformität mit der Richtlinie entgegenstevatrechts, S. 115; Kraus, Informationspflichten im Acquis communautaire, S. 29 (30f.); im einzelnen s. Lenz/Borchard/ifers. EGV Art. 220, Rn. 14ff. 286 S. Heiderhoff,, Grundstrukturen, S.98ff., 105-109; vgl. auch Niglia ERPL 4 (2001), 575 (579ff.). 287 Wobei die Abgrenzung zwischen Auslegung und Anwendung aufgrund der Ergebnisverbindlichkeit der Richtlinie nicht immer unproblematisch ist, vgl. Coester-Waltjen Jura 2004, 609 (610/611); Zitscher RabelsZ 60 (1996), 648 (656); zum sog. „black box-Argument" Reich in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken, S. 481 (505, 507ff.). 288 S. oben Fn. 213\Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 405ff.; W.-H. Roth, Festschrift BGH, S. 847 (876). 289 Everling ZGR 1992, 376 (389). 290 W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (850). 291 In dieser Richtung jedoch Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S.259. 292 Vgl. W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (875); ähnlich Howells in: Schulze, Auslegung europäischen Privatrechts, S. 115.

100

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

hen. Hier wirken sich die Richtlinienvorgaben allerdings nicht inhaltsbestimmend, sondern kontrollierend aus. In dieser Doppelfunktion einmal als inhaltliche Modifikation der nationalen Auslegungsschritte, einmal als Kontrolle ihrer Ergebnisse im Sinne der Richtlinie, ähnelt die richtlinienkonforme Auslegung der verfassungskonformen Auslegung 293 , ohne mit ihr freilich die Prämisse des Vorrangs einer Rechtsmasse vor der anderen zu teilen. Aufgrund der Tätigkeit des nationalen Richters als Gemeinschaftsrichter und nationaler Richter stellt sich das Vorlageverfahren nach Art. 234 E G V als Kooperationsverfahren dar.294 Die für die richtlinienkonforme Auslegung notwendige Verbindung der Auslegung des Gemeinschaftsrechts mit derjenigen nationalen Rechts wird erreicht durch Einbeziehung einer weiteren Vorgabe, nämlich derjenigen des Gemeinschaftsrechts, in die Subsumtion des Sachverhalts unter die nationale Norm. 3. Die einzelnen

Auslegungsschritte

Lediglich beispielhaft 295 seien die vorangegangenen methodischen Ausführungen auf einzelne Auslegungskriterien zu konkretisieren. Die Beispiele wurden so gewählt, dass die nationale Auslegung auf das jeweils herausgegriffene methodische Kriterium maßgeblich angewiesen ist. a) Der Wortsinn im Lichte der

Richtlinie

Für die Interpretation des Wortlauts europäischer Richtlinien sind sämtliche Amtssprachen gleichermaßen verbindlich. 296 Gleichzeitig kann die Herkunft eines Richtlinienbegriffs und Möglichkeiten zur Ermittlung seiner Bedeutung nicht der einen oder anderen mitgliedschaftlichen Rechtssprache und Rechtsordnung zugeordnet werden. 297 Die im Richtlinientext verwandten Begriffe unterfallen deshalb einer gemeinschaftsrechtlichen Begriffsautonomie. 298 Inwieweit die Wortbedeutung, die ein Begriff auf dieser gemeinschaftsrechtlichen Ebene aufweist, in die Interpretation des Wortlauts einer nationalen Norm 293 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 27ff.; Everling, Festschrift Carstens, S.95 (107); Jarass EuR 1991, 211 (213ff.); zu Recht einschränkend Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 323ff.; Thüsing ZIP 2004, 2301 (2304). 294 W.-H. Roth, Festschrift BGH, S. 847 (850). 295 Vollständige richtlinienkonforme Auslegung einzelner Normen etwa bei Franzen, Privat rechtsangleichung, S. 347ff. 296 EUGH, 6.10. 1982 - Rs. 283/81 SRL C.I.L.F.I.T. u.a. / Ministero della Sanità, Slg. 1982, 3415, Rn. 18, 19; W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (872); instruktiv W.-H. Roth ZIP 1996, 1285 (1288). 297 Lutter JZ 1992, 593 (599ff.); W.-H. Roth, Festschrift BGH, S.847 (873). 298 EUGH, 6.10. 1982 - Rs. 283/81 SRL C.I.L.F.I.T. u.a. / Ministero della Sanità, Slg. 1982, 3415, Rn. 18,19; Everling ZGR 1992,376 (386); W.-H. Roth, Festschrift BGH, S. 847 (873); Reinhardt NJW 2003, 3449ff.: „Verfall in der europäischen Rechtssprache".

G. Einschränkungen

der nationalen Auslegungsautonomie

101

einfließen kann, hängt von der Weite des möglichen Bedeutungsgehalts des nationalen Begriffes ab. Im Rahmen des möglichen Wortsinns kann dem Begriff des nationalen Rechts durch richtlinienkonforme Auslegung ein durchaus weiterer oder abweichender Bedeutungsgehalt beigelegt werden. Das enge Verständnis etwa des Begriffs „entgeltliche Leistung" in § 1 HausTWG durch den IX. Zivilsenat des B G H bei der Behandlung von Bürgschaften naher Familienangehöriger war nach der „Dietzinger-Entscheidung" des Europäischen Gerichtshofs durch einen Rückgriff auf die Haustürwiderrufsrichtlinie zu erweitern.299 Unter Einbeziehung der Vorgaben des EuGH konnte die Auslegung, eine „entgeltliche Leistung" liege nicht vor, da der Bürge keine Gegenleistung erhalte, nicht überzeugen.300 Vielmehr unterfällt die Bürgschaft danach grundsätzlich der Haustürwiderrufsrichtlinie.301 Für eine „entgeltliche Leistung" im Sinne des HausTWG reicht nach Auslegung im Lichte der Richtlinie die fehlende Freigiebigkeit der Bürgschaft im Verhältnis Bürge/Gläubiger aus302, sie muss jedenfalls nicht synallagmatisch nach § 320 B G B mit einer Gegenleistung des Begünstigen verknüpft sein.303 Dies entspricht auch dem verbraucherschützenden Sinn und Zweck des HausTWG und hier dem speziellen Schutzbedürfnis des Bürgen.304 Die rein nationale Interpretation des Begriffs der „Entgeltlichkeit" ist zu erweitern um die gemeinschaftsrechtliche der Richtlinie, die vorzugsweise heranzuziehen ist. Nicht notwendig ist die Identität eines in der Richtlinie und im nationalen Recht verwandten Begriffes, um letzteren im Sinne ersteren auslegen zu können. Beispielsweise setzt das deutsche Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) den Richtlinienbegriff „Kollektivinteresse der Verbraucher"305 in §2 Abs. 1 UKlaG mit der Wortwahl „im Interesse des Verbraucherschutzes" um, da der in der Richtlinie verwandte Begriff der deutschen Rechtssprache fremd ist. Beachtet man, dass im nationalen Gesetzgebungsverfahren der Begriff „Verbraucherschutz" erläutert wurde mit der „Allgemeinheit der Verbraucher" 306 und andererseits die Richtlinie ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Kollektivinteresse und kumulier-

299 So auch schon der XI. Senat NJW 1993, 1594 (1595); NJW 1996, 55 (56); Drexl JZ 1998, 1046; Hommelhoff Festschrih BGH, 889 (894); Lorenz NJW 1998,2937ff.; Medicus EWIR1991, 693 f. 300 Zweifelnd W.-H. Roth ZIP 1996, 1285ff. 301 EuGH, 17.3.1998 - Rs. C-45/96 Bayerische Hypotheken- und Wechselbank AG / Edgard Dietzinger, Slg. 1998, 1-1199; zumindest in diesem von der verfehlten Argumentation mit dem akzessorischen Charakter der Bürgschaft unabhängigen Teil der Begründung der „DietzingerEntscheidung" wird dem EuGH weitgehend zugestimmt. 302 Larenz/Canaris, Schuldrecht II, 2, §60 II 3. a); P. Bydlinski WM 1992, 1301 (1302). 303 BGH NJW 1993, 1594 (1595); Klingsporn NJW 1991, 2259 (2260); ähnlich Schanbacher NJW 1991, 3263. 304 P. Bydlinski WM 1992, 1301 (1302/1303); Medicus EWiR 1991, 693f. 305 2., 5., 9. Erwägungsgrund, Art. 1 der Unterlassungsklagenrichtlinie 98/27/EG; franz. « intérêts collectifs »; engl. « collective interests ». 306 Vgl. Bt-Drs. 14/2658, S.8; Bt-Drs. 14/3195, S.35.

102

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

ten Einzelinteressen hinweist, 307 ist davon auszugehen, dass beides das abstrakte Sachziel des Verbraucherschutzes bestimmt, welches die Unterlassungsklage verfolgen soll. 308 Nach Auslegung im Lichte der Richtlinie entspricht das Merkmal „im Interesse des Verbraucherschutzes" deshalb dem Kriterium des „Kollektivinteresses der Verbraucher." 309 Die nationale Formulierung ist derart zu verstehen, dass der Normverletzer dann „im Interesse des Verbraucherschutzes" in Anspruch genommen wird, wenn die Normverletzung gegen das „Kollektivinteresse der Verbraucher", das heißt gegen das abstrakte Sachziel des Verbraucherschutzes verstößt. Diese Interpretation hält sich im Rahmen des möglichen Wortsinns der nationalen Begrifflichkeit auf und ist in diesem Rahmen vorzugswürdig. Sie schließt Auslegungsergebnisse aus, die etwa dem Begriffsmerkmal „im Interesse des Verbraucherschutzes" keine über die Verletzung individueller Rechtspositionen eines Verbrauchers hinausgehende Bedeutung geben oder sich in deren Kumulierung erschöpfen. 310 b) Der Wille des Gesetzgebers im Lichte der Richtlinie Bereits oben 311 wurde dargelegt, dass der gesetzgeberische Wille, eine Richtlinie umzusetzen, zwar nicht normativer Geltungsgrund der richtlinienkonformen Auslegung ist jedoch im Rahmen der historischen Auslegung eine maßgebliche Rolle spielen kann. Fragt sich beispielsweise, inwieweit ein Verbraucher bei einem widerruflichen Vertrag bereits mit Vertragsabschluss Anspruch auf Leistungserbringung gegen den Unternehmer hat, ist einzubeziehen, dass der nationale Gesetzgeber mit der Gestaltung des Widerrufsrechts in den §§355ff. BGB (361 a ff. BGB a.F.) die Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG umsetzen wollte. 312 Diese sieht ein Widerrufsrecht deshalb vor, weil der Verbraucher in der Fernabsatzpraxis keine Möglichkeit habe, vor Abschluss des Vertrages das Erzeugnis zu sehen. 313 Den Beginn der Widerrufsfrist setzt die Richtlinie in Art. 6 Abs. 1 bei Warenlieferungen mit dem Eingang beim Verbraucher fest. Zur Lieferung wird eine Frist von höchstens 30 Tagen nach Vertragsschluss vorgesehen, Art. 7 Abs. 1. Daraus folgt insgesamt, dass die Richtlinie von einer wirksamen Verpflichtung des Unternehmers bereits mit Abschluss des Fernabsatzvertrages ausgeht. N u r in diesem Fall kann der Verbraucher die Ware physisch begutachten und sich innerhalb der mit Erhalt beginnenden Widerrufsfrist für oder gegen den Widerruf entscheiden. Der nationale Gesetzgeber sah ebenfalls die Gefährdungen des Fernabsatzgeschäfts vor allem in 307 308 309 310 311 312 313

In der einzigen und zudem negativen Definition des Begriffes, 2. Erwägungsgrund 2. S. unten 4. Teil. Vgl. auch MünchKommIMichlitz AGBG §22, Rn.20. S. unten 4. Teil. S. oben I. Vgl. BT-Drs. 14/2658 (für §361 a BGB a.F.); BT-Drs 14/6040, S. 198 (für §355 BGB). 14. Erwägungsgrund.

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

103

der Distanz zu Ware und Vertragspartner und geht von einer schwebenden W i r k samkeit des Vertrages im Fernabsatz aus. 3 1 4 Zwischen den Erwägungen des nationalen Gesetzgebers und den Zielen der Richtlinie besteht insofern nicht nur im Willen zur generellen Konformität, sondern auch im konkreten Inhalt U b e r e i n stimmung, die auch nicht durch andere richtlinienunabhängige Erwägungen des nationalen Gesetzgebers konterkariert wird. I m R a h m e n einer Auslegung im Lichte der Richtlinie ist deshalb ein Ergebnis, dass ein widerruflicher Vertrag zunächst schwebend unwirksam ist 3 1 5 und keine Leistungspflichten entstehen lässt, nicht (länger) zulässig. Dies gilt nicht nur für Fernabsatzverträge, sondern für alle widerruflichen Verbraucherverträge. D e r Gesetzgeber hat sich nämlich für eine einheitliche R e g e lung des Widerrufs entschieden. 3 1 6 F ü r andere Vertragstypen und A b s a t z m e t h o den, bei denen Widerruflichkeit vorgesehen ist, folgt obiges Ergebnis jedoch nicht aus der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung. Die Orientierung an den Vorgaben der Fernabsatzrichtlinie ergibt sich allein aus einer Auslegung nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers. Wie bei der „überschießenden U m s e t z u n g " von Richtlinienvorgaben 3 1 7 ist jeweils auf die konkreten gesetzgeberischen Erwägungen abzustellen, inwieweit nicht notwendig der Umsetzung dienende N o r m e n sich an den Vorgaben der Richtlinie orientieren sollten oder nicht. Wurde in diesem Beispiel vor allem auf den subjektiven Willen des Gesetzgebers abgestellt, so kann die Richtlinie auch dann eine Rolle spielen, wenn ein subjektiver Umsetzungswille im Zeitpunkt der Normentstehung nicht festgestellt werden kann, weil die Richtlinie später erging und davon ausgegangen wurde, bei Richtlinienerlass vorhandenes R e c h t entspreche deren Vorgaben bereits. A u c h hier ist ein ursprünglicher subjektiver Wille des Gesetzgebers zu ermitteln. D i e vorhandene Rechtsmasse erhält durch die Richtlinienvorgaben aber zusätzlich neue Regelungszwecke, was die historische Auslegung in die N ä h e objektiv-teleologischer Kriterien bringt. 3 1 8 G r e n z e für eine richtlinienkonforme Auslegung ist der konkrete Regelungszweck und Wortsinn des nationalen Rechts; nur in deren R a h m e n kann der „neue" Z w e c k Berücksichtigung finden. c) Der Normkontext

im Lichte der

Richtlinie

Systematischen aus der Richtlinie stammenden Kriterien wird vielfach kein m a ß gebliches G e w i c h t bei der nationalen Auslegung beigemessen, da Richtlinie und nationales Recht j e in einem eigenen K o n t e x t stehen, denn sie gehören unterschied-

314 315 316 317

318

Vgl. BT-Drs. 14/2658, S.15ff., 47. S. unten 3. Teil D. III. BT-Drs. 14/2658, S.46f. S. oben G.I. Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 352.

104

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

liehen Rechtsordnungen an. 3 1 9 D i e

richtlinienkonforme

Vorgaben Auslegung ist - im Gegen-

satz zur verfassungskonformen - kein Unterfall der systematischen Auslegung. 3 2 0 Entscheidende Bedeutung käme der Richtlinie zu, wenn die Systematik der Richtlinie und diejenige des nationalen Rechts Schlussfolgerungen auf bestimmte teleologische Wertungen zulassen. 3 2 1 Dass in dieser Weise ein innerstaatliches Rechtsgebiet durch ein Umsetzungsgesetz neu systematisiert wird, ist selten der Fall. Das Gewährleistungsrecht beim K a u f wurde im R a h m e n der Schuldrechtsmodernisierung und aus Anlass der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG so gut wie vollständig neu systematisiert. D e r deutsche Gesetzgeber hat die Regelungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie großteils als dispositives Recht für den allgemeinen Kauf normiert, für den Verbrauchsgüterkauf ihren halbzwingenden Charakter angeordnet und lediglich wenige Sonderbestimmungen eingefügt. Stellt man jedoch im R a h m e n systematischer Auslegung die Frage, ob die allgemeinen Regeln zum Kaufrecht in einer Klauselkontrolle Leitbildfunktion haben, kann die Richtlinie keine Auskünfte geben. Sie regelt nur den Kauf von beweglichen Sachen zwischen Verbrauchern und Unternehmern. D i e nationale Systematik entspricht nicht den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, sondern einem eigenständigen nationalen

Gesetzgebungszweck. 3 2 2

D e r Anwendungsbereich der Richtlinie ist nicht betroffen. Hinter der Neugestaltung des Kaufrechts stehen mehrere nationale Zielvorstellungen 3 2 3 : Einpassung des kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht in das allgemeine Leistungsstörungsrecht entsprechend den Vorschlägen der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, Angleichung an die Regelungen des Werkvertragsrecht und die des U N - K a u f r e c h t s , U m s e t z u n g der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Vorzugwürdige systematische Interpretationsvorgaben durch die Richtlinie bestehen nicht. Vielmehr wird allgemein bei verbraucherrechtlichen Richtlinien im Bereich des Schuldvertragsrechts gerade der punktuelle Charakter, der zu systematischen Wertungswidersprüchen zu nationalen Regelungssystemen führen kann, hervorgehoben. D e r nationale Gesetzgeber und Rechtsanwender ist aufgerufen, diese Systemkonformität durch entsprechende wertungsgerechte Einordnung in das nationale R e c h t anzustreben. 3 2 4 D i e Richtlinie selbst gibt dabei Spielraum im Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 260; s. oben F., G. III. 2. a). S. oben 2. b) aa). 321 Vgl. Grundmann/Riesenhuber JuS 2001, 529 (531). 322 Bei der umstrittenen Abdingbarkeit im Rahmen von § 439 BGB spricht die historische Auslegung aus sich heraus wohl für einen Leitbildcharakter der Norm, vgl. BT-Drs. 14/6040, S.231 Ii. Sp (wortgleich mit Begründung der BReg. Bt-Drs. 14/6854 = BR-Drs. 338/01); s. noch unten 3. Teil, F. III. 1. 323 BT-Drs. 14/6040, S.79ff., 83ff.; DiskE des BMin. für Justiz vom 4.8. 2000 in: Canaris, Schuldrechtmodernisierung 2002, S. 66ff., 71 ff.; 324 Vgl. auch Reich in: Grundmann (Hrsg.) Systembildung und Systemlücken, S.481 (506, 509). 319

320

G. Einschränkungen

der nationalen

Auslegungsautonomie

105

Rahmen ihrer Zielvorstellung. Sie ist, wie erwähnt 325 , diejenige Maßnahme, die unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit am wenigsten in die nationale Systematik eingreifen soll. Ob beispielsweise der verbraucherrechtliche Widerruf in das Rückabwicklungssystem des Rücktritts oder etwa des Bereicherungsrechts eingeordnet wird, steht grundsätzlich im Ermessen des nationalen Gesetzgebers. Bei der Umsetzung und Auslegung auch der Systematik sind aber die Ergebnisvorstellungen der Richtlinie zu berücksichtigen. 326 Deshalb geht etwa Hommelhoff von der notwendigen Einordnung des Widerrufsrechts als Gestaltungsrecht im Rahmen des § 767 Abs. 2 Z P O aus, was nunmehr auch der Gesetzeslage entspricht. 327 Heiderhoff nimmt in Abstandnahme von einer „rein dogmatischen Diskussion" an, die entsprechende prozessuale Durchsetzbarkeit materiellen Verbraucherschutzrechts hätte bereits durch richtlinienkonforme Auslegung der ZPO erreicht werden können. 328 d) Der Sinn und Zweck im Lichte der

Richtlinie

Im Rahmen der teleologischen Auslegung einer nationalen Norm wird der Richtlinie erhebliche Bedeutung beigemessen.329 Um die Rolle, die die Vorgaben der Richtlinie dabei spielen, zu ermitteln, genügt es aber nicht festzustellen, der Zweck der nationalen Umsetzungsnorm sei in ihrer Richtlinienkonformität zu sehen. Denn das abstrahiert nicht ausreichend vom subjektiven Willen des Gesetzgebers in Richtung eines objektiven telos der - u.U. nicht zum Zwecke der Umsetzung geschaffenen - Norm. Zum anderen trifft diese Feststellung keine Aussage zur Lösung von Auslegungsfragen, denn Richtlinienkonformität ist ein inhaltlich erst auszufüllender Begriff. Zum Dritten beachtet diese Einordnung nicht ausreichend, dass konkrete eigenständige Zwecke der nationalen Norm demjenigen der Richtlinienkonformität entgegenlaufen können. 330 Heranzuziehen ist deshalb die inhaltliche Zwecksetzung der Richtlinie selbst im Wege deren Auslegung und zu fragen, ob diese Zwecksetzung einen Niederschlag in der nationalen Norm finden kann oder im Gegenteil dort durch einen entgegenstehenden Wortsinn oder entgegenstehenden eindeutigen Zweck konterkariert wird. Dies kann, muss jedoch nicht, zur Identität des telos von Richtlinie und nationaler

S. oben B. Für den gemeinschaftsrechtlich bestimmten Zweck etwa des Verbrauchsgüterkaufrechts s. auch unten 3. Teil F. III. 327 Hommelhoff, Festschrift B G H , S.889 (907ff.); s. unten 3. Teil D. III. 328 Heiderhoff, Grundstrukturen, S. 43/44; dies. ZEuP 2001, 276ff., (286ff.). 3 2 9 Vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 261; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 352 m.w.N. 330 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 269ff.; Canaris, Festschrift F. Bydlinski, S.47 (50f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, S.303ff.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 435; vgl. Nettesheim A ö R 1994, 261 (267). 325

326

106

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

N o r m führen. K a n n eine Konformität nicht begründet werden, besteht die Zielbzw. Ergebnisverbindlichkeit dem Gesetzgeber gegenüber fort. D e r Ziel- bzw. Ergebnisverbindlichkeit gerecht zu werden, geht über die reine Widerspruchsfreiheit zum Richtlinienfexi hinaus. 3 3 1 Zu rekurrieren ist vielmehr auf den inhaltlichen Z w e c k der Richtlinie, die von ihr angestrebten Ergebnisse. Heranzuziehen sind dafür die Erwägungsgründe der Richtlinie 3 3 2 , die R ü c k schlüsse auf konkrete sachlich-inhaltliche Zwecke der Richtlinie geben. Soweit aus ihnen und den Einzelregelungen der Richtlinie darüber hinaus ein bestimmter G e s a m t z w e c k feststellbar ist, wie etwa bei einem Großteil der Verbraucherschutzrichtlinien die Förderung des privaten Konsums durch ein hohes grenzüberschreitendes Schutzniveau 3 3 3 , ist auch dieser zu beachten. Gleiches kann gelten für das damit einhergehende Verbraucherleitbild, die Ziele der B i n n e n marktverwirklichung und Privatrechtsangleichung. 3 3 4 A u c h bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen des nationalen Rechts sind diese Zielsetzungen und Wertungen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen. 3 3 5 Ist ein bestimmter Z w e c k der Richtlinie ermittelt, ist er im R a h m e n der beschriebenen modifizierenden Integration in die nationalen Auslegungskriterien ausschlaggebend auch für die teleologische Auslegung der nationalen N o r m und dem ihm entsprechenden Auslegungsergebnis ist der Vorzug vor anderen möglichen zu gewähren. Beides jedoch nur soweit nicht der Wortsinn der nationalen N o r m oder widersprechende konkrete Zwecksetzungen entgegenstehen. Als Beispiel sei das Verfahren der vielbesprochenen 3 3 6 „Heininger-Entscheidung" des E u G H 3 3 7 , die diese beachtende nachfolgende Entscheidung des B G H 3 3 8 und die anschließende gesetzgeberische Tätigkeit 3 3 9 herangezogen. D i e ses „Lehrstück z u m Gemeinschaftsprivatrecht" 3 4 0 sagt Maßgebliches zur A b grenzung zwischen teleologischer Auslegung im Lichte der Richtlinie und eindeutigem Wortsinn und Z w e c k des nationalen Rechts aus.

Vgl. Nettesheim AöR 1994, 261 (270ff.). Vgl. Grundmann! Riesenhuher JuS 2001, 529 (531). 333 Vgl. oben C. 334 Grundmann!Riesenhuher JuS 2001, 529 (531). 335 Grundmann!Riesenhuher JuS 2001, 529 (531); Heiderhoff., Grundstrukturen, S. 120ff.; Heinrichs NJW 1995, 153; Pfeiffer ZEuP 2003, 141 (146/147); W.-H. Roth, Festschrift BGH, S. 847 (866). 336 U.a. Franzen JZ 2003, 321; Habersack/Mayer WM 2002, 253; Hoffmann ZIP 2002, 145; Schmidt-Räntsch ZIP 2002, 1100; Reich VuR 2003, 64; Singer DZWIR 2003, 221. 337 EuGH 13.12.2001 - Rs. C-481/99 Georg et Helga Heininger / Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG, Slg. 2001,1-9945. 338 BGHZ 150, 248 = NJW 2002, 1881. 339 Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (OLG-Vertretungsänderungsgesetz) v. 23. Juli 2002, BGBl I 2002, 2850, 4410. 340 Franzen JZ 2003, 321 (328). 331

332

G. Einschränkungen der nationalen Auslegungsautonomie

107

D e r Vorlage des B G H an den E u G H im Rahmen des Revisionsverfahrens des Ehepaars Heininger 3 4 1 entsprachen zwei Fragestellungen 3 4 2 : Z u m einen nach der Geltung der Haustürwiderrufsrichtlinie 8 5 / 7 7 / E W G für Realkreditverträge und in diesem Zusammenhang nach dem evt. Spezialitätsverhältnis zur Verbraucherkreditrichtlinie 8 7 / 1 0 2 / E W G . N a c h dem zwischenzeitlich außer Kraft getretenen § 5 A b s . 2 H a u s T W G ( § 3 1 2 a B G B a.F.) bestand ein Widerrufsrecht für Haustürgeschäfte nur dann, wenn kein Verbraucherkreditgeschäft vorlag. Das ebenfalls außer Kraft getretene V e r b r K r G wiederum fand nach § 3 A b s . 2 N r . 2 ( § 4 9 1 A b s . 3 N r . l B G B a.F.) keine Anwendung auf Immobiliardarlehensverträge. Falls der E u G H (dennoch) ein Widerrufsrecht nach der Haustürwiderrufsrichtlinie verlangt, fragt der B G H zum anderen, ob die Haustürwiderrufsrichtlinie für die Befristung eines Widerrufsrecht im Falle unterbliebener Belehrung offen sein kann. D e r E u G H legte die Richtlinie im Sinne der ersten Frage aus: D i e Haustürwiderrufsrichtlinie 8 5 / 5 7 7 / E W G sei auch auf Realkreditverträge grundsätzlich anwendbar, sofern diese in einer Haustürsituation nach der Richtlinie zustande gek o m m e n sind. 3 4 3 D i e Verbraucherkreditrichtlinie 8 7 / 1 0 2 / E W G enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie den Anwendungsbereich der Haustürwiderrufsrichtlinie insoweit begrenzt. 3 4 4 Bei der zweiten Frage geht der E u G H davon aus, dass eine Befristung des W i derrufsrechts auf ein J a h r durch mitgliedschaftliche Rechtsvorschriften gegen Art. 5 der Haustürwiderrufsrichtlinie 8 5 / 5 7 7 / E W G verstoße, wenn nicht über das Widerrufsrecht belehrt wurde. 3 4 5 Beide Ergebnisse sind auf Kritik gestoßen 3 4 6 , die sich unter anderem an fehlenden in die Tiefe gehenden Ausführungen des E u G H über das Konkurrenzverhältnis der Richtlinien festmacht und darauf hinweist, in der praktischen Ausgestaltung von Sanktionen sei den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum gegeben, den der E u G H mit der Beantwortung der zweiten Frage nicht beachtet habe. 341 Das Ehepaar Heininger hatte 1993 eine Eigentumswohnung gekauft und durch ein Darlehen der beklagten Bank finanziert, das durch eine Grundschuld gesichert wurde. Sie behaupteten, ein für die Beklagte tätiger Makler habe sie mehrfach unaufgefordert zu Hause aufgesucht und zum Wohnungskauf sowie zur Darlehensaufnahme überredet. Eine Widerrufsbelehrung wurde ihnen nicht erteilt. Mit ihrer im Januar 1998 erhobenen Klage haben sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen widerrufen. 342 BGH NJW 2000, 521. 343 EuGH 13.12.2001 - Rs. C-481/99 Georg et Helga Heininger / Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG, Slg. 2001,1-9945, Rn.40. 344 A.a.O. Rn. 39. 345 A.a.O. Rn. 48. 346 Felke MDR 2002, 225 (226); Franzen JZ 2003, 321 (323); Habersack, WM 2000, 981 (988); ders./Mayer WM 2002, 253 (254f.); Hochleitner/Wolf/Großerichter WM 2002, 529; Staudinger NJW 2002, 653 (654); zustimmend jedoch: Fischer DB 2002, 727 (728f.); Hoffmann ZIP 2002, 145; Singer DZWiR 2003, 221 (222); Ulmer ZIP 2002, 1080.

108

Zweiter Teil: Die gemeinschaftsrechtlichen

Vorgaben

D i e Vorgaben des E u G H entfalten aber Verbindlichkeit für die Auslegung der Richtlinie. 3 4 7 D e r B G H orientierte sich an diesen Vorgaben in seinem Urteil v o m 9 . 4 . 20 02. 3 4 8 E r schränkt entsprechend bereits vorher vertretener Auffassung in der Literatur 3 4 9 die Subsidiaritätsregel des § 5 A b s . 2 H a u s t ü r W G ( § 3 1 2 a B G B a.F.) teleologisch ein. Das H a u s T W G solle durch diese Regelung nur dann verdrängt werden, wenn der Kreditvertrag im konkreten Einzelfall auch den Vorschriften des V e r b r K r G und insbesondere dem Widerrufsrecht nach § 7 V e r b r K r G ( § 495 B G B ) unterfalle. 3 5 0 O b der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage n o c h durch eine richtlinienkonforme Gesetzesanwendung R e c h n u n g getragen werden kann, bedarf nach dem B G H keiner Entscheidung, da er (nunmehr) davon ausgeht, die Kläger hätten jedenfalls rechtzeitig, da vor beiderseitiger Leistungserbringung, widerrufen. 3 5 1 Bezweifelt wird, o b sich das Auslegungsergebnis des B G H zum K o n k u r r e n z verhältnis der Regelungen im R a h m e n einer teleologischen Auslegung halten lässt, selbst wenn sie „im Lichte der Richtlinie" geschieht. 3 5 2 Schon der Vorlagebeschluss wurde dahingehend kritisiert, das innerstaatliche Gericht müsse die G r e n z e n richtlinienkonformer Auslegung durch den Wortsinn und Z w e c k des innerstaatlichen Rechts durchdenken, bevor es eine Vorlage z u m E u G H beschließe. 3 5 3 Zuzustimmen ist zunächst denjenigen Ansichten, welche die Interpretation der Subsidiaritätsregel, so wie der B G H sie vornimmt, nicht mehr als einschränkende Auslegung, sondern als teleologische R e d u k t i o n betrachten. 3 5 4 Sie ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Z w e c k der Subsidiaritätsregel den nach ihrem Wortlaut eröffneten Anwendungsbereich einschränkt, so dass Subsidiarität ausschließlich dann besteht, wenn der Vertrag im konkreten Einzelfall nach dem Verbraucherkreditrecht widerruflich ist. O b ein solcher Z w e c k feststellbar ist, war schon vor dem Vorlagebeschluss umstritten. 3 5 5 D e r Wortlaut des § 5

Abs.2

S.oben 2. b) cc). BGHZ 150, 248 = NJW 2002, 1881. 349 Königen, Gewährung u. Abwicklung grundpfandrechtlich gesicherter Kredite, S. 32.; Peters DZWiR 1994, 353 (357); Spickhoff/Petershagen BB 1999, 165 (170); Staudinger/Werraer HausTWG §5, Rn.24, 27; Stüsser NJW 1999, 1586 (1589). 350 BGHZ 150, 248 = NJW 2002, 1881. 351 BGHZ 150, 248 (262) = NJW 2002, 1881 (1884). 352 Dagegen Franzen JZ 2003, 321 ff.; Piekenbrock/Schulze WM 2002, 521 (524ff., 527); Zustimmend Singer DZWIR 2003, 221 (223); Ulmer ZIP 2002, 1080 m.w.N. 353 Franzen JZ 2003,321 (325); allerdings werden Staatshaftungsansprüche wegen mangelhafter Richtlinienumsetzung im Zweifel nur dann in Betracht kommen, wenn eine entsprechende Entscheidung des EuGH vorhanden ist: Hochleitner/Wolf/Großerichter WM 2002, 529 (535 Fn.44). 354 Franzen JZ 2003, 321 (324); Spickhoff/Petershagen BB 1999, 165 (170). 355 Für teleologische Reduktion: MünchKomm/Wmer HausTWG §5, Rn. 15; Staudinger/ Werner, HausTWG §5, Rn.24, 27; Hoffmann, ZIP 2002, 145 (152); Stüsser NJW 1999, 1586 (1589); Spickhoff/Petershagen BB 1999, 165 (170); differenzierend Erman/Saenger HausTWG 347 348

G. Einschränkungen

der nationalen

Auslegungsautonomie

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HausTWG spricht eher dafür, alle Verbraucherkreditgeschäfte vom HausTWG auszunehmen; der Gesetzgeber des VerbrKrG wiederum wollte Realkreditverträge ausdrücklich keinem Widerrufsrecht unterwerfen. 356 Auch der BGH ist im Vorlagebeschluss der Auffassung gefolgt, die Vorrangregel des §5 Abs. 2 HausTWG (§312 a BGB a.F.) sollte im Verhältnis zum Verbraucherkreditgesetz bereits dann gelten, wenn der fragliche Vertrag überhaupt dem Verbraucherkreditgesetz unterfällt, nicht aber nur im Falle, dass die Schutzvorschriften dieses Gesetzes im Einzelfall eingreifen. Der BGH hatte im Rahmen seines Beurteilungsspielraums die Vorgaben des EuGH soweit als möglich zu inkorporieren. Dieser Beurteilungsspielraum erweitert sich jedoch nicht dadurch, dass mehrere wissenschaftliche Ansichten zur teleologischen Interpretation einer Norm bestehen357, wenn das Gericht (nur) einer davon folgt. Ein Spielraum wird allein dadurch eröffnet, dass nach dem Wortsinn und erkennbaren Zweck der Norm mehrere Auslegungen möglich sind. Gerade davon geht der BGH aber nicht aus, denn seiner Ansicht nach ergeben der Wortsinn und Zweck des HausTWG, dass ein Widerrufsrecht für Realkreditverträge ausgeschlossen sein solle. Zusätzlich zieht er den generellen Willen des Gesetzgebers des HausTWG zur Richtlinienkonformität heran.358 Dass dieser jedoch nicht hinreichend ist, wenn - irrig oder bewusst - andere konkret entgegenstehende Zwecke ablesbar sind, wurde bereits dargestellt. Auch zur Vermeidung einer Staatshaftung kann die richtlinienkonforme Auslegung nicht über ihre Grenzen hinaus, die hier insbesondere durch die Kompetenzabgrenzung zwischen gesetzgeberischer und richterlicher Tätigkeit gezogen sind, vorgenommen werden. Noch weniger kann das Ergebnis des EuGH zur zweiten Vorlagefrage angesichts des eindeutigen Wortlauts von §355 BGB a.F. erreicht werden. Schon die Vorlagefrage selbst und die Antwort des EuGH beziehen sich auf eine gesetzgeberische Tätigkeit. Dieser ist dann auch im Bereich beider Vorlagefragen tätig geworden. 359 Die Subsidiaritätsregel von §312 a BGB wurde geändert von der Formulierung,, Unterfällt ein Haustürgeschäft zugleich den Regelungen über Verbrauch erdarlehensverträge..." in die Voraussetzung: „Steht dem Verbraucher zugleich nach Maßgabe anderer Vorschriften ein Widerrufs- oder Rückgaberecht... zu.." Die Änderungen des §312 a BGB entsprechen dabei der restriktiven Interpretation der Subsidiaritätsklausel. In den Normtext des § 355 BGB wurde außerdem dessen Abs. 3 S. 2 eingefügt, so dass die Widerrufsfrist im Falle fehlender Belehrung nicht befristet ist. §5, Rn.4 a; dagegen Staudinger/&is