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German Pages 410 [412] Year 2005
Seiles Maior
LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Supplements ä la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie
Edited by Sture Allen, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Ulrich Heid, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 121
Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)
Untersuchungen zur kommerziellen Lexikographie der deutschen Gegenwartssprache II »Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden«. Print- und CD-ROM-Version Band 2 Herausgegeben von Herbert Ernst Wiegand
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-39121-9
ISSN 0175-9264
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005 Ein Unternehmen der K. G. Säur Verlag GmbH, München http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Inhalt
Vorwort
XI
KAPITEL VII P h o n e t i k u n d O r t h o g r a p h i e i m GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
1
Elmar Ternes Phonetische Angaben im GWDS
3
Jens Erik Mogensen Orthografie im GWDS
15
KAPITEL VIII Die lexikographische Bearbeitung ausgewählter lexikalischer Einheiten im GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
43
Gottfried Kolde Heckenausdrücke im GWDS
45
Burkhard Schaeder D i e P r ä p o s i t i o n e n in DUDEN - DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN ZEHN BÄNDEN
57
Ursula Brauße Gradpartikeln im GWDS
71
Werner Wolski Modalpartikeln im GWDS
81
Jarmo Korhonen Phraseologismen im GWDS
109
Helmut Rehbock Gesprächswörter im GWDS
129
Daniel Strigel Präposition-Artikel-Verschmelzungen im GWDS
143
VI
Inhalt
Ulrich Busse Anglizismen im GWDS
153
Sebastian Löbner Quantoren im GWDS
171
Undine Kramer Fremdwörter im GWDS
193
Marianne Schröder Abkürzungen und Kurzwörter im GWDS
207
Bärbel Techtmeier Bezeichnungen von Textsorten im GWDS
219
KAPITEL IX Historische und diachronische Aspekte im GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
231
Christiane Wanzeck Etymologische Angaben im GWDS
233
Dieter Herberg Neologismen im GWDS
249
Klaus-Dieter Ludwig Archaismen im GWDS
261
KAPITEL X Ausgewählte Aspekte der Wörterbuchform des GWDS
277
Rufus H. Gouws T e x t u a l C o n d e n s a t i o n in t h e DUDEN. DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN ZEHN BÄNDEN
279
Herbert Ernst Wiegand Über die textuellen Strukturen im GWDS
295
KAPITEL XI Zur CD-ROM Version des GWDS
337
Inhalt
VII
Maren Runte Präsentation von Wörterbuchartikeln im digitalen Wörterbuch. Darstellung und Kritik am Beispiel des GWDS 339 Andrea Lehr Die hypertextuelle Gestaltung des GWDS
353
ANHANG Abstracts, Zusammenfassungen und Resumes
379
NACHWORT DES HERAUSGEBERS
399
Inhalt des 1. Bandes
Vorwort
XI
KAPITEL I D a s GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE i m V e r g l e i c h
mit kommerziellen Wörterbüchern anderer Sprachen
1
Willy Martin Definitions and Collocations in Dictionaries: The GWDS compared to THE VAN DALE GROOT WOORDENBOEK DER NEDERLANDSE TAAL
3
Agnieszka J. Frqczek D a s G W D S und das SLOWNIK J^ZYKA POLSKIEGO, 2. A u f l . 1 9 9 6 - 1 9 9 7
25
Franz-Josef Hausmann D a s G W D S u n d LE GRAND ROBERT DE LA LANGUE FRAN^AIS
37
Maria Teresa Funtes Moran D a s G W D S u n d d a s DICCIONARIO DEL ESPANOL ACTUAL
47
Giovanni Rovere D a s G W D S u n d d e r GRANDE DIZIONARIO ITALIANO DELL'USO ( G D U )
61
KAPITEL II Z u r E n t w i c k l u n g d e s GROSSEN WÖRTERBUCHS DER DEUTSCHEN SPRACHE
in seinen drei Auflagen und das Verhältnis des GWDS zu anderen Dudenwörterbüchern
81
Henning Bergenholtz Die Entwicklung der Lemmaselektion
83
Michael Schlaefer Die Entwicklung der Wörterbuchbasis
99
Sandro Nielsen Changes in Dictionary Subject Matter
109
Peter O. Müller D a s GROSSE DUDEN-FREMDWÖRTERBUCH u n d d a s G W D S : E i n V e r g l e i c h
115
Inhalt des 1. Bandes
IX
Peter Kühn D a s DUDEN-UNIVERSAL WÖRTERBUCH u n d d a s G W D S : E i n V e r g l e i c h
125
KAPITEL III Pragmatik und Semantik im GROSSEN WÖRTERBUCH
167
DER DEUTSCHEN SPRACHE
Nico Weber Bedeutungsparaphrasenangaben zu den nennlexikalischen Lemmazeichen im GWDS
169
Thorsten Roelcke Ausmaß und Rolle von Synonymangaben in den semantischen Kommentaren des GWDS
185
Gerhard Äugst Die Rolle von Wortfamilien in den semantischen Kommentaren des GWDS
197
Franziskus Geeb Diatechnische Markierungen im GWDS
209
KAPITEL IV Varietäten und spezielle Lexikbereiche im
GROSSEN WÖRTERBUCH
DER DEUTSCHEN SPRACHE
219
Ulrich Ammon / Michael Schloßmacher Nationale und regionale Varianten im GWDS: Übersicht und Kritik
221
Jakob Ebner Die Lexik des österreichischen Deutsch im GWDS
233
Hans Bickel /Lorenz Hofer Die Lexik des schweizerischen Deutsch im GWDS
245
Norbert Richard Wolf Element der gesprochenen Sprache im GWDS
259
Norbert Fries Gefuhlswortschatz im GWDS
267
Klaus-Dieter Ludwig Die Lexik der Sprache der ehemaligen DDR im GWDS
283
X
Inhalt des 1. Bandes
Heidrun Kämper Rechtlich relevante Lexik im GWDS
293
Wolfgang Müller Wörter und Bezeichnungen für Sexuelles im 3GWDS
303
KAPITELV Grammatik, Phonetik und Wortbildung im GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
317
Jaqueline Kubczak Die Grammatik der Verben im GWDS
319
Stefan J. Schierholz Die Grammatik der Substantive im GWDS
337
Jens Erik Mogensen Die Grammatik der Adjektive im GWDS
353
Regina Hessky Movierung im GWDS - deskriptive und normative Aspekte
375
Irmhild Barz Affixe im GWDS
383
KAPITEL VI Kotexte im GROSSEN WÖRTERBUCH
DER DEUTSCHEN SPRACHE
395
Elmar Schafroth Kollokationen im GWDS
397
Wolfgang Mieder Sprichwörter im GWDS
413
ANHANG Abstracts, Zusammenfassungen und Resumes
437
Vorwort
Wer diesen 2. Band der „Untersuchungen zur kommerziellen Lexikographie der deutschen Gegenwartssprache" in die Hand nimmt, dem sei empfohlen, den kurzen ersten Teil des Vorworts zum 1. Band 201 lesen. Der 2. Band umfasst fünf Kapitel, auf die 20 Beiträge verteilt sind. Beide Bände zusammen weisen damit elf Kapitel auf mit insgesamt 49 Beiträgen, die von 50 Autorinnen und Autoren verfasst wurden. Der Weg durch den 2. Band führt vom Kapitel VII, in dem die phonetischen Angaben und die Orthographie behandelt werden, zu einem umfangreichen Kapitel mit Artikeln zur lexikographischen Bearbeitung ausgewählter lexikalischer Einheit e n i m GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE. U n t e r s u c h t w e r d e n H e c k e n a u s -
drücke, Präpositionen, Gradpartikeln, Modalpartikeln, Phraseologismen, Gesprächswörter, Präpositionen-Artikel-Verschmelzungen, Anglizismen, Fremdwörter, Abkürzungen und Kurzwörter sowie Bezeichnungen von Textsorten. - Auf das Kapitel VII folgen drei kürzere Kapitel. Zunächst werden historische und diachronische Aspekte mit drei Beiträgen berücksichtigt: Behandelt werden die etymologischen Angaben, Neologismen und Archaismen. Von hieraus fuhrt der Weg weiter zu ausgewählten Aspekten der Wörterbuchform: In zwei Beiträgen werden zunächst die Textverdichtung und daraufhin die textuellen Strukturen des Wörterbuchs analysiert. Schließlich ist das letzte Kapitel mit zwei Artikeln der CD-ROM-Version gewidmet: Es geht um die Präsentation von Wörterbuchartikeln im digitalen Wörterbuch sowie um die hypertextuelle Gestaltung des gesamten Wörterbuchs. Obwohl einige vorgesehene Themen keine Bearbeiter gefunden haben, vermitteln die beiden Bände einen weitreichenden Überblick zwar nicht zu allen, aber doch zu den meisten Eigenschaften, die an einem Wörterbuch, das zum Typ des allgemeinen einsprachigen Wörterbuchs gehört, untersuchungswürdig sind. Das Nachwort bemüht sich um eine Zusammenfassung und Einschätzung der Ergebnisse. Abschließend danke ich den Autorinnen und Autoren, die an diesem 2. Band mitgearbeitet haben; fur die Inhalte ihrer Beiträge sind sie selbst verantwortlich. Für die Herstellung der Druckvorlage danke ich Valesca Schober. Schließlich gilt mein besonderer Dank Andrea Lehr, die mich bei den redaktionellen Arbeiten sehr unterstützt hat.
Heidelberg, im Juni 2004
H.E.W.
KAPITEL
VII
Phonetik und Orthographie im GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
Elmar Ternes
Phonetische Angaben im GWDS
1 2 3 4 4.1 4.2
Allgemeine Feststellungen Methodische Grundlagen Angaben zum Deutschen Angaben zu fremden Sprachen Methodisches Wörter aus dem Englischen
1
Allgemeine Feststellungen
4.3 4.4 5 6 7
Wörter aus dem Französischen Wörter aus anderen Sprachen Abkürzungswörter (Akronyme) Fazit Literatur
Für die phonetischen Angaben in der einsprachigen Lexikographie haben wir in Ternes (1989, 511 u. 514) folgenden Standard gefordert: vollständige Transkription nach jedem Stichwort, Verwendung von IPA, Konsequenz und Zuverlässigkeit der Angaben. Als einziges deutschsprachiges Werk, welches diesem Standard genügte, wurde damals - etwas großzügig - das GWDS(6) von 1976-1981, ein Vorläufer des jetzt vorliegenden Werkes, genannt. Etwas großzügig deshalb, weil auch im GWDS(6) nicht eigentlich jedes Stichwort transkribiert ist, sondern nur sog. ,,[e]infache Wörter" (S. 6). Mit Prä- und Suffixen abgeleitete sowie zusammengesetzte Wörter sind nicht transkribiert. Transkribiert ist z.B. Bau, aber nicht baulich; transkribiert ist bringen, aber nicht anbringen. Auch dieses Verfahren hatten wir bereits in Ternes (1989, 514) erwähnt und als Nachteil hervorgehoben, dass auf diese Weise gerade bei den schwierigeren Wörtern die Transkription fehlt. Wenn man also großzügig ist, kann man die phonetischen Angaben im GWDS(6) gerade noch als ausreichend anerkennen. Leider fällt das neue GWDS deutlich hinter diesen bereits früher erreichten Standard zurück. Transkribiert werden nur fremdsprachliche Wörter wie engl. Catwalk, frz. Chateaubriand. Im Übrigen kommt bei jedem Stichwort das in der deutschsprachigen Lexikographie verbreitete Verfahren zur kombinierten Kennzeichnung von Wortakzent und Vokalquantität zur Anwendung: untergesetzter Punkt für betonten Kurzvokal bzw. Strich fiir betonten Langvokal, z.B. Kompressor, Kompressorium (S. 18, keine weiteren Ausspracheangaben). Der Abschnitt „Die Aussprache" (S. 29-30) innerhalb des größeren Kapitels „Anwendung und Behandlung der Stichwörter" (S. 23-41) ist kürzer und enthält dennoch mehr Fehler als der entsprechende Abschnitt im alten GWDS(6). Er beginnt mit dem Satz: „Bei Stichwörtern, die keine fremdsprachigen Laute enthalten, sind Angaben in Lautschrift in der Regel überflüssig." (S. 29) Dies ist in der Tat eine dreiste Behauptung, und „überflüssig" ist ein starkes Wort (lt. eigener Definition „für einen Zweck nicht erforderlich u. ihm nicht dienlich, daher überzählig u. unnütz", S. 4015). Es ist hier nicht der Ort, den didaktischen Wert vollständiger Transkriptionen besonders für fremdsprachige Benutzer zu betonen (vgl. Ternes 2002) und in diesem Zusammenhang die zahlreichen Inkonsequenzen in
4
Elmar Terms
den Laut-Buchstaben Entsprechungen der deutschen Orthographie im Einzelnen aufzuzählen. Während im Abschnitt „Ausspracheangaben" des GWDS(6) noch „den Wünschen der ausländischen Benutzer" Rechnung getragen wurde (S. 5), ist im jetzigen GWDS davon keine Rede mehr. Man muss also festhalten, dass das GWDS auf fremdsprachige Benutzer keine Rücksicht nimmt, sondern auf den Gebrauch durch deutschsprachige Benutzer beschränkt ist. Im Rahmen der internationalen Lexikographie hat es daher nur provinziellen Charakter. Aber auch bei deutschsprachigen Benutzern wurde nicht bedacht, dass diese keineswegs immer die Standardaussprache beherrschen, sondern häufig dialektale oder regionale Ausspracheformen verwenden. Für solche Benutzer wäre eine vollständige Transkription auch der deutschen Wörter von Wert. Oder ist das Wörterbuch nur für diejenigen bestimmt, die ohnehin schon alles wissen? Dann könnte man mit dem gleichen Recht, mit dem eingangs die Angaben in Lautschrift „überflüssig" genannt werden, den Kern des gesamten Wörterbuchs, nämlich die einsprachigen Bedeutungsangaben, ebenfalls für „überflüssig" erklären. So wie offensichtlich vorausgesetzt wird, dass der deutschsprachige Benutzer schon irgendwie weiß, wie z.B. Haus und singen auszusprechen sind, so weiß er natürlich ebenso gut, dass ein Haus ein „Gebäude, das Menschen zum wohnen dient" (S. 1694) ist und dass singen soviel heißt wie „mit der Stimme (ein Lied, eine Melodie o.ä.) hervorbringen, vortragen" (S. 3569). Um dies festzustellen, braucht der deutschsprachige Benutzer das Wörterbuch nicht. Er wird sich auch ohne Kenntnis dieser Definitionen mit seinesgleichen verständigen können. Das wenige, was im GWDS an phonetischen Angaben geboten wird, bleibt anonym. Wir erfahren nicht, wer innerhalb oder außerhalb der Redaktion für die Angaben verantwortlich ist, wer die Transkriptionen angefertigt oder dazu beigetragen hat. Im Vorwort, unterschrieben mit „Die Dudenredaktion", werden Erwartungen geweckt (S. 5-6): „Dieses Wörterbuch hat die Aufgabe, die deutsche Sprache in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu dokumentieren [...]" - „,Das große Wörterbuch der deutschen Sprache' beschreibt zum einen den Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache [...] so vollständig wie möglich." - „Das ,große Wörterbuch der deutschen Sprache' ist ein Gesamtwörterbuch [...]. Es enthält alles, was fur die Verständigung mit Sprache und das Verständnis von Sprache wichtig ist." „Dieses Wörterbuch soll einerseits die sprachlichen Fähigkeiten des Einzelnen weiterentwickeln und andererseits die Verständigung [...] erleichtern" usw. Dies alles mag gelten, wofür es gilt. Für die Aussprache gilt es jedenfalls nicht.
2
Methodische Grundlagen
Im Abschnitt „Die Aussprache" (S. 29-30) sind die verwendeten Lautzeichen (nach IPA) in quasi-alphabetischer Reihenfolge aufgezählt, von [a], [a:], [12] bis [z], [3]. Neben den Lautzeichen steht ein Beispielwort in Orthographie, daneben dieses Wort in Transkription, z.B. [f] schal [fa:l] (S. 29). Eine eigentliche lautliche Beschreibung erfolgt nicht: kein Phonemsystem, keine Einteilung nach Lautklassen, keine artikulatorische Beschreibung. Dieses Vorgehen ist zirkulär: Der Benutzer schlägt im alphabetischen Teil das Wort Genie auf und findet dort die (unvollständige) Transkription be...]. Wenn der Benutzer den Lautwert des
Phonetische Angaben im GWDS
5
ihm möglicherweise unbekannten Zeichens [3] ermitteln will, findet er im Abschnitt „Die Aussprache" nichts anderes als den Hinweis, dass dies der Lautwert ist, wie er im Wort Genie zu sprechen ist (S. 29). Neben der Aussprache mit [3], welche der französischen Originalaussprache entspricht, gibt es jedoch Deutschsprachige, die dieses und entsprechende Wörter (z.B. Journalist) mit [j] (eher im Norden) und andere, die es mit [J] (eher im Süden) sprechen. Dem Auskunft Suchenden ist also mit dem bloßen Hinweis, dass in G e nie der Laut zu sprechen ist, wie er in Genie vorkommt, nicht geholfen. In der Liste fehlt übrigens das Zeichen [p], welches für die Transkription des Französischen im alphabetischen Teil verwendet wird, z.B. Baigneuse [be'ji0:z]. Neben der .allgemeinen' Liste phonetischer Zeichen, die gemischt deutsche und fremdsprachige Laute enthält (S. 29), findet sich eine getrennte (kürzere) Liste von Zeichen nur fur die Transkription des Englischen (S. 30). Diese Zweiteilung ist schlecht durchdacht: 1. Auch die allgemeine Liste enthält ein Zeichen für einen dem Deutschen fremden Laut, der mit einem englischen Beispiel exemplifiziert wird, nämlich [43] G i n . Gleichzeitig fehlt dieses Zeichen in der englischen Liste. 2. Umgekehrt fehlen spezielle englische Laute in der englischen und in der allgemeinen Liste, z.B. der Diphthong [ου], vgl. im alphabetischen Teil C o a c h [koutj]. 3. Die englische Liste enthält Zeichen, die nicht nur für Englisch Verwendung finden, gleichzeitig aber auch in der allgemeinen Liste fehlen, z.B. [Θ] fiir Spanisch, vgl. im alphabetischen Teil C a d i z ['kadiG]. 4. Es ist nicht einzusehen, warum nur das Englische eine Sonderbehandlung erfahrt. Die allgemeine Liste enthält eine große Zahl speziell französischer Laute, z.B. die Nasalvokale. Überhaupt machen Englisch und Französisch zu etwa gleichen Teilen mit großem Abstand die meisten fremdsprachigen Transkriptionen aus. Die beiden Listen (allgemein und englisch) des G W D S sind einschließlich der Beispielwörter mit den entsprechenden Listen des GWDS(6) von 1976-81 (S. 5-6) identisch, mit folgenden Ausnahmen: 1. Im neuen G W D S sind in beiden Listen eine Reihe von Druckfehlern in den Transkriptionen neu hinzugekommen. 2. Die englische Liste des neuen G W D S ist gegenüber der alten Liste aus nicht einsehbaren Gründen um drei Zeichen gekürzt, obwohl diese Zeichen auch in der Neuauflage verwendet werden, nämlich [a:] (Covergirl), [o:] (Corned beef), [ou] (Choke), vgl. GWDS(6), S. 6. 3. In einem Fall ist das Beispielwort geändert worden, nämlich in der englischen Liste für [w] nunmehr Whirlpool statt früher Whisky. (Die Beispiele in der englischen Liste auf S. 30 sind in Normalschrift wiedergegeben, während alle anderen Beispiele auf den Seiten 29-30, auch die englischen, in Fettdruck erscheinen.) Die Druckfehler (wir haben 8 gezählt) lassen sich systematisieren: In vier Fällen steht fälschlich das Zeichen [s] für korrekt [a] (Rübe, Campus, Thriller, Whirlpool); in drei Fällen steht fälschlich [i] fur korrekt [1] (ich, G i n , göttlich); isoliert ist der Fall Nabel ['naibel] statt korrekt ['na:bl]. - Stichproben haben ergeben, dass die Transkriptionen im Abschnitt „Die Aussprache" nicht immer mit den Transkriptionen desselben Wortes im alphabetischen Teil übereinstimmen, j a nicht einmal innerhalb des Abschnittes „Die Aussprache" übereinstimmen, z.B. Etui [e'tyi:] (S. 29), [et'yi:] (S. 30, Betonungszeichen sie), im alphabetischen Teil [et'vi:, e'tyi:]. Für dieses eine Wort erscheinen also drei verschiedene Aussprachen, die weniger von der Variabilität dieses Wortes als von der Konzeptionslosigkeit der Bearbeiter zeugen. Weiteres Beispiel: Fond [fo:] (S. 29), [fo] (S.30), alphabetischer Teil [fo:]. Dies ist der Ausdruck eines fehlenden Konzeptes darüber, ob Vokale französischer Wörter im betonten Auslaut kurz oder lang sein sollen (vgl. 4.3).
6 3
Elmar Terms A n g a b e n zum Deutschen
Zu „Deutsch" gehören natürlich in erster Linie Wörter mit deutscher Etymologie. Die lautliche Abgrenzung solcher Wörter von Lehnwörtern und von mehr oder weniger oder gar nicht angepassten Fremdwörtern ist ein notorisches Problem, das weder von der Wörterbuchredaktion noch vom Verfasser dieser Zeilen definitiv gelöst werden kann. Wohl aus diesem Grund hat die Redaktion eine formale Differenzierung folgender Art vorgenommen: Es wird unterschieden zwischen „Stichwörtern, die keine fremdsprachigen Laute enthalten" und solchen „die aus einer Fremdsprache stammen, und deren Aussprache noch mit der in ihrer Ursprungssprache identisch oder stark an sie angelehnt ist" (S. 29). Bei ersteren sind nach Auffassung der Redaktion „Angaben in Lautschrift in der Regel überflüssig" (vgl. 1). „Angaben zur Aussprache in Lautschrift" sind letzteren „vorbehalten" (S. 29). Diese Unterscheidung trifft den entscheidenden Punkt jedoch nicht: Es gibt Stichwörter, deren Aussprache der fremden Herkunftssprache entspricht und nach deren Gesetzen zu beurteilen ist, die aber dennoch keine dem Deutschen fremden Laute enthalten, z.B. Cire perdue [sirper'dy] (Transkription nach französischer wie nach deutscher Norm fehlerhaft für korrekt [...per...]). Das entscheidende Kriterium sind die Laut-Buchstaben Entsprechungen, die aber nirgendwo im GWDS als solche genannt werden. Abgesehen von der Tatsache, dass wir für die Transkription aller Stichwörter plädieren (vgl. 1), wäre folgendes Vorgehen denkbar: Eine Reihe von eindeutigen Laut-Buchstaben Entsprechungen des Deutschen werden explizit aufgelistet. Wörter, die diesen Regularitäten entsprechen, erhalten keine Lautschrift. Wörter, die davon abweichen oder sich ihnen nicht eindeutig zuordnen lassen, werden phonetisch transkribiert. Dieser Gedanke wird bei den Bearbeitern des GWDS eine Rolle gespielt haben. Zu kritisieren ist aber, dass dieses Vorgehen nicht explizit gemacht wird. Die Kenntnis der regulären Laut-Buchstaben Entsprechungen wird stillschweigend vorausgesetzt bzw. es bleibt dem Benutzer überlassen zu entscheiden, welche Entsprechungen regulär sind. Gleichzeitig bedeutet dies, dass die Bearbeiter des Wörterbuchs keine Leitlinie haben, sondern offensichtlich bei jedem Stichwort ad hoc entscheiden, ob und wie es zu transkribieren ist. Einige schwierige Fälle werden ganz oder teilweise transkribiert, z.B. Soest [zo:st], Duisburg ['dy:s...], Tandem [...em]. Bei Stichwörtern mit dem gleichen Anfangsbestandteil wird die Ausspracheangabe nur für das alphabetisch zuerst stehende gemacht. Dies ist nicht immer das Grundwort. Beispielsweise muss man von Chalkose (keine Ausspracheangaben) auf Chalkochemigraphie zurückgehen, wo man die Angabe [gal...] findet. Überhaupt wird sehr sparsam mit der Lautschrift umgegangen. Viele Fälle bleiben unklar. Wörter mit anlautendem werden in der Regel nicht transkribiert, z.B. Vase und Vater. Da nirgendwo gesagt wird, ob = [v] oder = [f] als regulär anzusehen ist, werden beim Benutzer offensichtlich etymologische Kenntnisse zur Ermittlung der Aussprache vorausgesetzt. Was aber ist mit Vat „buddhistisches Kloster" (S. 4170), ebenfalls ohne Ausspracheangaben? Dieses Wort und seine Aussprache dürften auch bei Gebildeten nicht ohne weiteres bekannt sein. Man stutzt, wenn zwei unmittelbar aufeinander folgende Stichwörter Vati und Vatikan (S. 4171) lauten, beide ohne Ausspracheangaben. Für inlautendes ist die Behandlung uneinheitlich: einerseits frivol ohne Angaben, andererseits Larve mit Transkription ['larfa]. Viele andere Buchstaben und Buchstabenkombinationen
Phonetische Angaben im GWDS
7
bleiben hinsichtlich der Aussprache ebenfalls unklar. Weder bei Uhu, noch bei Ehe erfolgt eine Angabe über den Lautwert des intervokalischen , obwohl gerade hier viel Unsicherheit im öffentlichen wie im privaten Sprachgebrauch herrscht: Wörter wie Ehe werden häufig mit einem hyperkorrekten [h] gesprochen. - Die Wörter langsam, Tangram, ungar (nicht gar), Ungarn sind alle ohne Ausspracheangaben, obwohl die Buchstabengruppe in diesen vier Wörtern drei verschiedenen Lautungen entspricht. Bei den beiden ersten Wörtern ([5] vs. [qg]) sind etymologische, bei den beiden letzten Wörtern ([ng] vs. [qg]) morphologische Kenntnisse zur Ermittlung der Aussprache notwendig. Die umgekehrte Buchstabengruppe wie in Magnet bleibt ebenfalls ohne Transkription: Ist hier [gn] oder [rjn] oder (nach den deutschen Lautgesetzen durchaus möglich) [kn] zu sprechen? Die Zahl der Beispiele von unklaren, problematischen oder nicht der Norm entsprechenden Laut-Buchstaben Entsprechungen, die aber dennoch ohne Ausspracheangaben sind, ließe sich erheblich vermehren. Abgesehen von solchen speziellen Problemen sollte der Benutzer bei einem Wörterbuch dieses Umfangs und dieses Anspruchs ein Recht haben zu erfahren, welche Einstellung die Verfasser zum Aussprachestandard des Deutschen haben. Dabei gibt es eine Reihe von Fragen, die einer Klärung oder zumindest einer Stellungnahme bedürfen: Abhängigkeit von Vokalqualität und -quantität (bieten vs. bitten, Höhle vs. Hölle usw.), speziell α-Qualität in Abhängigkeit von der Quantität (Bahn vs. Bann), Status von = [ε:] und mögliche regionale Variation (Käse), Vokalqualität und -quantität in unbetonter Silbe (Politik u.v.a.), Reduktion von unbetonten Silben (fallen, machen, achten u.a.), Assimilation von Konsonanten in unbetonter Silbe (geben, schwimmen, sagen u.a.), silbische Konsonanten (Zettel), r-Vokalisierung (Tor, Farbe, Bart, zittern u.a.), Auslautverhärtung innerhalb des Wortes oder nicht (Adler, Wagner, Wagnis) und weitere Fragen. Einem isolierten Fund wie luven ['lu:fh] kann man zwar einige solcher Angaben entnehmen: Reduktion der Infinitivendung -en, Entstehung eines silbischen Konsonanten, keine Assimilation in der Artikulationsstelle. Aber solche Transkriptionen sind zu selten, zu weit verstreut und auch teilweise in sich widersprüchlich, so dass sich kein einheitlicher Eindruck, geschweige denn ein System ergibt. Beispielsweise legt Biskuit [bis'kvi(:)t] die Deutung nahe, dass es im Deutschen unter Weglassung der runden Klammer - ein kurzes geschlossenes [i] in betonter Silbe gibt. Dies widerspricht jedoch der Aussprachenorm des Deutschen. Die fremdsprachigen Transkriptionen helfen hier nicht weiter, da sie in sich problematisch sind (vgl. 4.1) und ganz oder teilweise den (ebenfalls nicht explizierten) Normen der jeweiligen Sprache folgen. Einer gesonderten Erwähnung bedarf der Glottalverschlusslaut (hier „Knacklaut", Stimmritzenverschlusslaut genannt, S. 30). Er wird im GWDS, wie leider in der deutschen Lexikographie weithin üblich, mit einem senkrechten Strich wiedergegeben und hauptsächlich bei Abkürzungen verwendet, z.B. ΕΑΝ-Code [e:|a:|'en...], CDU [tse:de:'|u:]. Man beachte die Inkonsequenz bei der Setzung des Akzentzeichens: im ersten Beispiel nach dem senkrechten Strich (falsch), im zweiten Beispiel vor dem senkrechten Strich (korrekt). Eine weitere Inkonsequenz besteht darin, dass der senkrechte Strich bei einer Reihe von einschlägigen Fällen fehlt, z.B. WHO [ve:ha:'o:], AOK [a:o'ka:], CSU [tse:es'u:] (im Gegensatz zu CDU, s.o.). In wieder anderen Fällen erfolgt überhaupt keine Transkription, z.B. USA (vgl. 5). Derselbe senkrechte Strich hat - wie leider ebenfalls in der deutschen Lexikographie üblich - gleichzeitig auch die Funktion, die graphische Silbentrennung anzuzeigen. In bestimmten Fällen decken sich die beiden Funktionen, z.B. in Abjart, re|al. In
8
Elmar
fernes
anderen Fällen sind die Funktionen ungleichmäßig verteilt, z.B. in The|a|ter, Zo|o|lo|ge: Der jeweils erste senkrechte Strich bezeichnet gleichzeitig Glottalverschluss und Silbentrennung, der zweite nur Silbentrennung. In wieder anderen Fällen unterbleibt die Kennzeichnung des Glottalverschlusses, z.B. in Aor|ta, Oa|se, es sei denn, es soll explizit zum Ausdruck gebracht werden, dass in diesen Wörtern nach dem jeweils ersten Vokal kein Glottalverschluss zu sprechen ist. Dies würde aber dem Aussprachestandard des Deutschen widersprechen. Vollends konfus wird die Sache durch die unetymologische Silbentrennung der neuen Orthographie, die in ihren Konsequenzen offensichtlich nicht bedacht wurde: In einem Fall wie Pi|the|kan|thro|pus wird ein Benutzer ohne Kenntnis des Altgriechischen zu einer falschen Aussprache gelangen. Oder wird dies bewusst in Kauf genommen oder gar gefördert? Es wäre wirklich wünschenswert, dass sich in der deutschsprachigen Lexikographie endlich die Erkenntnis durchsetzte, dass der „Knacklaut" ein reguläres lautliches (genauer: konsonantisches) Segment ist, fiir dessen Wiedergabe das IPA-Zeichen [?] zur Verfügung steht.
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Angaben zu fremden Sprachen
4.1
Methodisches
Für keine Sprache erfolgt eine Darstellung des Lautsystems oder überhaupt irgendeine phonetische Beschreibung der Laute dieser Sprache. Das bedeutet, dass nur derjenige mit einer Angabe wie z.B. engl. Thriller ['Grita] etwas anfangen kann, der ohnehin weiß, was [Θ] für ein Laut ist (vgl. 2). Ein generelles Problem bei der Aussprache von Wörtern aus fremden Sprachen besteht darin, ob die Originalaussprache oder eine mehr oder weniger an das Deutsche angepasste Aussprache gegeben werden soll. In letzterem Fall wären Grad und Gesetzmäßigkeiten der Anpassung zu spezifizieren, wie dies z.B. im GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN AUSSPRACHE (GWDA, S. 78-105) geschehen ist. Darüber
wird im vorliegenden GWDS nichts gesagt. Man kann die Methode nur indirekt an der Behandlung einzelner Stichwörter ablesen. Die Entscheidungen fielen jedoch offensichtlich für jedes Stichwort ad hoc und sind daher inkonsequent und widersprüchlich. Bei einigen Wörtern erfolgen zwei Ausspracheangaben, die als angepasst bzw. originalsprachlich zu erkennen sind, z.B. Caddie ['kedi, engl.: 'kasdi], Coach [ko:tJ, engl.: koutj], Champagne [fam'panja], frz.: J'ä'paji], In anderen Fällen erfolgen zwei Ausspracheangaben ohne weitere Kennzeichnung, z.B. Cachet [ka'Je:, ka'Je]. Mit den entsprechenden Kenntnissen wird man die erste Aussprache als angepasst, die zweite als original französisch erkennen, aber viele Benutzer werden nicht in der Lage sein, dies zu beurteilen. Das eigentliche Problem stellen jedoch die in der Zahl weit überwiegenden Wörter mit nur einer Ausspracheangabe dar. Diese eine Angabe ist nicht gekennzeichnet. Es finden sich darunter sowohl Originalaussprachen als auch in unterschiedlichen Graden angepasste Aussprachen. Der durchschnittliche Benutzer, der keine speziellen Kenntnisse in der Phonetik der jeweiligen Sprache hat, wird dies jedoch nicht einzuschätzen wissen. Die Kriterien für die Be-
Phonetische Angaben im GWDS
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handlung in der einen oder anderen Richtung werden nicht genannt. Die jeweils getroffene Wahl erscheint nicht immer einsichtig.
4.2
Wörter aus dem Englischen
Englisch erfährt als einzige Sprache eine Sonderbehandlung. Im einleitenden Abschnitt „Die Aussprache" heißt es: „Viele Fremdwörter im Deutschen entstammen der englischen Sprache, die einige Aussprachebesonderheiten aufweist. Zu deren phonetischer Darstellung sind eigene Zeichen erforderlich." (S. 30) Es folgt eine Liste von sechs Zeichen in quasialphabetischer Ordnung mit je einem Wortbeispiel, nämlich [α:, ae, Λ, δ, Θ, w]. Diese Liste ist keineswegs vollständig: Es fehlen z.B. sämtliche Diphthonge des Englischen sowie das Zeichen [D], welches im alphabetischen Teil in Vauxhall ['vDks'ho:l] erscheint. Auf weitere Ungereimtheiten dieser Liste haben wir in einem größeren Zusammenhang bereits oben (2) aufmerksam gemacht. Die phonetisch/phonologische Beurteilung einzelner Laute und ganzer Lautklassen erfolgt für das Englische offenbar nach anderen Gesichtspunkten als für das Deutsche. Während die Diphthonge des Deutschen durch den Bogen als solche gekennzeichnet sind, z.B. [ai] weit, [au] Haut (S. 29), sind die englischen Diphthonge nicht entsprechend markiert, vgl. im alphabetischen Teil Crowd [kraud], bye-bye f'bai'bai], Folk [fouk], Acre ['eika]. Es gibt keinen Grund, die deutschen und englischen Diphthonge unterschiedlich zu behandeln. Der zweite Bestandteil der ai- und ««-Diphthonge ist in beiden Sprachen identisch. Die doppelt unterschiedliche Schreibweise dt. [ai] und engl, [ai] steht also in Wirklichkeit für denselben Laut. Dadurch wird für den Benutzer eine unnötige Komplikation konstruiert. Die künstliche Unterscheidung in der Wiedergabe der Diphthonge dient im Weiteren dazu, eine (ebenfalls künstliche) Anpassung an das Deutsche vorzunehmen. So findet man z.B. Byte [bait], aber Pint [paint]: Die Transkription des ersten Wortes ist original englisch, die des zweiten ist als angepasst zu betrachten. Abgesehen davon, dass in Wirklichkeit kein Unterschied besteht, erscheint die Verteilung von original und angepasst fragwürdig: Da das Bier im deutschen Sprachraum gewöhnlich nicht in Pints ausgeschenkt wird, dürfte Byte heutzutage sicher das häufiger gebrauchte Wort sein. Entsprechend verhält es sich mit der postalveolaren Affrikate: Im Deutschen ist sie - wiederum durch den Bogen - eindeutig als Affrikate gekennzeichnet, z.B. Matsch [matfl (S. 29), im Englischen fehlt der Bogen, z.B. im alphabetischen Teil Catch-as-catch-can ['kaetjaz'kaetf'kaen]. Besonders deutlich wird die unterschiedliche Behandlung bei Wörtern, für die eine angepasste neben der Originalaussprache gegeben wird, z.B. Coach [ko:tf, engl.: kootfl. In Wirklichkeit besteht zwischen Deutsch und Englisch bezüglich der Affrikate kein Ausspracheunterschied. Die Unterscheidung ist also wiederum künstlich. Auch die entsprechende stimmhafte Affrikate wird für Englisch ohne Bogen geschrieben, z.B. Crumblage ['krAmblid3], dagegen angepasst mit Bogen, z.B. Gin fein] (S. 29). Wenn überhaupt ein Unterschied zwischen beiden Sprachen angenommen werden soll, dann müsste die Markierung genau umgekehrt erfolgen: Während man bei [tj1] im Deutschen eher zu einer biphonematischen Interpretation als Konsonantenfolge neigt, ist der monophonematische Status der Affrikate [tf] im Englischen unumstritten (vgl. Ternes 1999, 106f. u. 158). Vernünftig ist die Entscheidung, den englischen Vokal [ae] in der angepassten Form mit [ε] wiederzugeben. Fragwürdig ist aber wiederum die Verteilung: So findet man Flap
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[fiep], aber Chat [tjast]. Ist wirklich Flap geläufiger als Chat, insbesondere wenn man die deutsch verbalisierte Form chatten [tfaetn] mitberücksichtigt? Die Transkriptionen [tfaet], [tjaetn] sind zudem in sich inkonsequent: Der Vokal [as] ist original englisch, die initiale Affrikate [tj] erscheint in der pseudo-angepassten Form (vgl. oben), die Infmitivendung schließlich ist rein deutsch. - Akzeptabel ist die Wiedergabe von engl, -er im Original als [-a], in der angepassten Form als [-B], Z.B. Cluster ['klastB, engl.: 'kUsta]. Fragwürdig ist aber erneut die Verteilung: nur original Corner ['kc:na], nur angepasst Whisker ['viski] (auch den anlautenden Konsonanten betreffend), schließlich hybrid Whistler ['wisle]. Ob die Anpassung so weit gehen sollte wie in Airbag ['erebsk] mit Auslautverhärtung oder in Single ['snjl], erscheint fragwürdig. Diese Barbarismen sollten nicht auch noch durch die Aufnahme in ein Wörterbuch sanktioniert werden. Inkonsequent erscheint auch die angepasste Form des ersten Bestandteils in Airmail ['ε:ψηβ:1] gegenüber der Originalaussprache in Airglow ['eaglou]. Bei der Unterscheidung von Hardcover, Hardrock u.a. mit ['ha:d...] gegenüber Hardcopy, Hardcore u.a. mit ['ha:d...] geht es sicher nicht um einen Gegensatz von original und angepasst, sondern es handelt sich um eine grobe Unachtsamkeit, und dies im Abstand von wenigen Zeilen. Ein weiterer grober Fehler ist bei Training on the Job ['- on 03 '-] die Wiedergabe des englischen Artikels mit stimmlosem [Θ]. Eine Art phonetisches Hapax scheint die Verwendung von [D] in Vauxhall ['voks'ho:l] darzustellen. Sonst wird durchgängig [o] transkribiert, auch in Wörtern, die in der Transkription original englisch erscheinen, z.B. Cross-over ['krosouva].
4.3
Wörter aus dem Französischen
Französisch erfährt keinen Sonderstatus. Von Französisch wird nicht gesagt, dass es „Aussprachebesonderheiten" aufweist, zu deren Darstellung „eigene Zeichen erforderlich" sind (vgl. 4.2). Zu den Besonderheiten gehören aber in jedem Fall die Nasalvokale, die zusammen mit den Lauten des Deutschen in die allgemeine Liste von Lautzeichen eingereiht erscheinen (vgl. 2), und zwar ohne als .französisch' gekennzeichnet zu sein. Insgesamt macht die Transkription des Französischen einen etwas besseren Eindruck als die des Englischen, wenngleich auch hier kritische Bemerkungen angebracht sind. Auch im Falle des Französischen gibt es einige Dubletten mit je einer angepassten und einer originalen Aussprache, z.B. Baigneuse [ben'j0:za, frz.: be'ji0:z]. Überwiegend scheint jedoch - abgesehen von den Nasalvokalen - die Linie einer gemäßigten Anpassung an das Deutsche verfolgt worden zu sein. Dies liegt möglicherweise daran, dass die Aussprache französischer Wörter im Deutschen eine längere Tradition hat als die englischer Wörter. Gerade deshalb ist es aber manchmal schwer zu entscheiden, ob eine bestimmte Transkription eine bewusste Anpassung an das Deutsche darstellt oder eine veraltete Schulaussprache reflektiert, z.B. Cedille [se'di:j(a)], Centime [sä'ti:m], Chatelaine [Jata'lein], jeweils die Länge des betonten Vokals betreffend. Eine Kennzeichnung der Transkription als original oder angepasst hätte die Frage entschieden. Einige ausgesprochen idiomatische und dem neuesten französischen Standard entsprechende Transkriptionen wirken in diesem Umfeld eher auffällig, z.B. Chaudfroid [Jo'frwa], Vaurien [vo'rje], Coup de Main [kud'me]. In den meisten Fällen findet sich die erwähnte schwer definierbare Mischung von Anpassung und veralteter Schulaussprache: (entsprechend der Reihenfolge der letzten drei Beispiele) [o] statt [w] wie in Citoyen [sitoa'je], [i] statt [j] wie in Vendemiaire (ohne Akut auf dem
Phonetische Angaben im GWDS
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zweiten e) [väde'mieiB], Erhalt von [g] wie in Chatelaine [jate'l&n]. - Die Länge eines betonten Vokals im Auslaut kann als Anpassung an das Deutsche gelten gegenüber der betonten Kürze in der Originalaussprache, vgl. Baiser [be'ze:], Petit Point [pati'pol:], Fondue [fo'dy:] gegenüber seltener zu findendem Cire perdue [sirper'dy] (fehlerhaft für [...per...]), Crepe Satin [krepsa'te]. - Auslautendes -r nach Vokal ist überwiegend als vokalisiertes [B] an das Deutsche angepasst. Dies erscheint bei Pissoir [pi'soaii], Velours [VS'IUIB] berechtigt, jedoch weniger bei Brumaire [bry'mere], Cafard [ka'fare] u.a. Umgekehrt gehören Clochard [kb'Ja:r] und Air France [er'frä:s] zu den wenigen Fällen, bei denen keine r-Vokalisierung erfolgt. Das Prinzip für die Wahl zwischen Originalaussprache und Anpassung ist unklar. Auch beim Französischen (vgl. 4.2) wird ein überflüssiger künstlicher Gegensatz zum Deutschen konstruiert: In Chasuble [fa'zybl, frz.: ja'zybl] wird das auslautende / in der angepassten Form als silbisch gekennzeichnet, in der Originalform fehlt diese Kennzeichnung. Dies ist der einzige Unterschied zwischen beiden Transkriptionen. - Ob bei Usance [y'sä:s] eine hyperkorrekte Anpassung oder einfach ein Fehler für korrekt [y'zä:s] vorliegt, ist wegen fehlender Kennzeichnung wiederum nicht zu entscheiden. - Ein klarer Fehler liegt bei Canotier [...tsie:] vor: Weder im Original noch in der angepassten Form wird dieses Wort so gesprochen, sondern (unter Beibehaltung der hier vorliegenden ungeschickten Konvention) [...tie:], besser [...tie:]. - Bei Fondue ist neben der allgemeinen' Aussprache eine schweizerische Variante angegeben: [fo'dy:, Schweiz.: 'fody:]. Letztere ist so nicht richtig, da mit dem Akzentumsprung gleichzeitig eine Umkehrung der Vokalquantitäten verbunden ist, also korrekt Schweiz. ['fo:dy].
4.4
Wörter aus anderen Sprachen
Bei Wörtern aus anderen Sprachen als Englisch und Französisch erscheinen nur einige isolierte und daher umso auffälligere Originalaussprachen, z.B. port. Cancioneiro [küsm'nmru]. In den weitaus meisten Fällen hat man es mit einer mehr oder weniger stark an das Deutsche angepassten Aussprache zu tun. Da keine entsprechenden Angaben gemacht werden, kann man das Prinzip nur den verstreuten Ausspracheangaben selbst entnehmen. Die charakteristischen Laute [ji], [λ] der romanischen Sprachen werden generell durch [nj], [lj] ersetzt, z.B. span. Llano ['lja:no], ital. Gnocchi ['njoki], ital. Tagliatelle [talja...], port. Piranha [pi'ranja]. Lange Konsonanten des Italienischen werden vereinfacht, z.B. caccia ['katja], adagissimo [ada'd3isimo], crescendo [kre'Jendo], Bajazzo (ohne Ausspracheangabe, was wohl als einfaches [ts] zu deuten ist). Zumindest diskutabel ist die Wiedergabe von auslautendem -e als [a], z.B. ital. veloce [ve'loitjb], span. Pulque ['pulka]. Etwas irritierend auch hier (vgl. 4.3) die durchgehende Vokalisierung von finalem -r, z.B. span. Corregidor [korexi'dore], port. Corregedor [ko^a'do:^]. Die Aussprache der beiden letzten Wörter ist weitgehend original, wozu die r- Vokalisierung einen unausgewogenen Kontrast bildet. - Die Wiedergabe der Affrikaten erscheint völlig regellos teils mit Bogen [tf], [43], teils ohne Bogen [tj], [d3]. Beispiele: span. Machismo (mit Bogen), unmittelbar folgender Eintrag span. Macho (ohne Bogen), ital. Carpaccio (mit Bogen), ital. veloce (ohne Bogen) usw. Die Wiedergabe der Diphthonge ist uneinheitlich: In jeder Sprache folgt sie anderen Konventionen, obwohl der diphthongische Charakter in allen Sprachen gleich ist: im Deutschen mit dem nach oben geöffneten, beide Bestandteile ver-
12
Elmar Ternes
bindenden Bogen wie in weit [vait] (S. 29); im Englischen ganz ohne Bogen wie in Bye [bai]; im Portugiesischen mit dem nach unten geöffneten Bogen unter dem unsilbischen Bestandteil wie in Cruzeiro [kru'zeiru] (hier in brasilianischer Aussprache). - Das Spanische kennt keine Unterscheidung von kurzen und langen Vokalen. Bei der Anpassung muss sich die Vokalquantität daher nach den Gesetzmäßigkeiten des Deutschen richten. Die Kürze in Macho ['matjo], Caudillo [kay'diljo] ebenso wie die Länge in Llano f'ljaino] sind in diesem Sinne berechtigt. Inkonsequent ist aber die Kürze in Cädiz ['kadiG], da im Deutschen ein Vokal vor einfachem d in der Regel lang ist, wie z.B. in Kader. Schließlich einige Beobachtungen zu lateinischen Wörtern der w-Deklination: Der Plural solcher Wörter wird korrekt mit langem [u:] transkribiert, z.B. Cantus ['kantu:s], Coitus [...tu:s]. Bei Lapsus, nicht bei den anderen Wörtern, wird diese Aussprache als [bildungsspr.: 'lapsu:s] bezeichnet (S. 2355). Der Singular ist nicht transkribiert und die Pluralform nicht explizit als solche gekennzeichnet. Da sonst keine Transkription flektierter Formen erfolgt, wird sicherlich mancher Benutzer die obigen Transkriptionen irrtümlich für diejenige des Stichworts (also des Singulars) halten. Man vergleiche dagegen die deutlichere Darstellung im Aussprache-Duden (Duden 6), wo das Stichwort mit [...us] und der Plural mit [,..u:s] transkribiert sind. Bei Cinctus findet sich als Kuriosität die Angabe [.,.'tu:s], also mit Betonung der Endsilbe. Dies ist eine metasprachliche Form der deutschen Schulaussprache, die zur Verdeutlichung des langen ü in eigentlich unbetonter Silbe verwendet wird. Sie ist nicht originalsprachlich und sollte keinesfalls in ein Wörterbuch übernommen werden.
5
Abkürzungswörter (Akronyme)
Bei Abkürzungswörtern sind zu unterscheiden (a) Formen, die als Aneinanderreihung der Buchstabennamen gesprochen werden, z.B. LZB und (b) Formen, bei denen sich die Buchstaben zu einem phonetischen Wort zusammenfügen, z.B. NATO ['na:to] (unsere Transkription). Buchstabenreihungen wie LZB, die den phonotaktisehen Gesetzen der Wortstruktur widersprechen, können nur nach (a) behandelt werden. Eine Transkription ist hier weniger wichtig (vorausgesetzt die Aussprache der Buchstabennamen und die Tatsache, dass bei solchen Verbindungen die Betonung auf dem letzten Element erfolgt, sind bekannt). Andererseits werden Buchstabenreihungen, die ein phonetisches Wort nach (b) ergeben könnten, dennoch nicht immer als solches behandelt, z.B. USA. Hier ist also eine Ausspracheangabe zwingend notwendig. Die Bearbeiter des GWDS haben solche Überlegungen offensichtlich nicht angestellt. Die Ausspracheangaben erscheinen völlig regellos. Fälle wie (a) werden teils vollständig transkribiert, z.B. CDU [tse:de:'|u:], teils erfolgt keine Transkription, z.B. VDS, Tbc. Fälle wie (b) werden in der Regel nicht transkribiert, sondern erhalten nur die Kennzeichnung durch Punkt oder Strich für kurzen bzw. langen betonten Vokal, z.B. IJTA, NATO. Gerade die fraglichen Fälle, also solche, die nach (a) oder (b) behandelt werden können, haben häufig überhaupt keine Ausspracheangaben, weder eine Transkription noch die Kennzeichnung durch Punkt oder Strich, z.B. DAX, USA,
Phonetische Angaben im GWDS
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VEB. Auch bezweifeln wir, dass bei TljV (ohne Transkription) der Punkt unter Ü allein genügt, um die Aussprache [tyf] sicherzustellen.
6
Fazit
Die phonetischen Angaben im GWDS stellen einen Tiefpunkt in der deutschsprachigen Lexikographie dar. Bemerkenswert ist zunächst die Dreistigkeit, mit der Ausspracheangaben für Wörter, „die keine fremdsprachigen Laute enthalten", als „überflüssig" (S. 29) bezeichnet werden. Aber auch die Angaben für Wörter aus fremden Sprachen sind allein quantitativ bei weitem nicht ausreichend. Das wenige, was geboten wird, ist zudem von einer völligen Konzeptionslosigkeit gekennzeichnet. Material aus älteren Werken, z.B. aus dem GWDS(6) von 1976-81, wurde teils unverändert, teils leicht abgeändert übernommen. In diese Grundlage wurde offensichtlich von verschiedenen Bearbeitern zu verschiedenen Zeiten neues Material eingeflickt, und zwar ohne irgendeine Abstimmung oder Grundkonzeption. So sind die phonetischen Angaben geprägt von ad Aoc-Entscheidungen, Widersprüchen, unnötigen Komplikationen und teils kuriosen Fehlern. Dies gilt innerhalb jeder einzelnen Sprache und umso mehr sprachübergreifend. Wegen der vielen Fehler und der atomistischen Behandlung konnten wir nur auf einzelne Aspekte aufmerksam machen. Wir konnten bei weitem nicht alle diskussionswürdigen Punkte behandeln. Schon in Temes (2002) hatten wir die phonetischen Angaben in einem mit hohen Ansprüchen daherkommenden Wörterbuch des Deutschen negativ beurteilen müssen. Nachdem nunmehr in kurzem Abstand einer der bedeutendsten sprachwissenschaftlichen Verlage (de Gruyter) und einer der bedeutendsten lexikographischen Verlage (Dudenverlag) des deutschsprachigen Raums in Bezug auf die phonetischen Angaben in einem einsprachigen Wörterbuch jeweils ein geradezu abschreckendes Beispiel vorgelegt haben, ist es an der Zeit, dass sich die zuständigen Personen in den Verlagen besinnen. Sollen anspruchsvolle Wörterbuchunternehmen auch in phonetischer Hinsicht diesen Ansprüchen genügen? Oder will man, um weiteren Blamagen vorzubeugen, die phonetischen Angaben überhaupt ganz weglassen? Dann würde die deutsche Lexikographie in dieser Hinsicht auf den Stand des 19. Jahrhunderts zurückfallen (vgl. Ternes 1989). Jedenfalls entspricht das hier Vorgelegte weder dem internationalen Standard in der Lexikographie, noch dem Niveau des Faches Phonetik an der Universität.
7
Literatur
DUDEN 6 = DUDEN AUSSPRACHEWÖRTERBUCH. Wörterbuch der deutschen Standardaussprache. Bearb. von Max Mangold in Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion. 4., neu bearb. u. aktualisierte Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag 2000 [3. Aufl. 1990].
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Elmar Ternes
G W D A = GROSSES WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN AUSSPRACHE. Hrsg. von dem Kollektiv Eva-Maria
Krech, Eduard Kurka, Helmut Stelzig, Eberhard Stock, Ursula Stötzer und Rudi Teske unter Mitwirkung von Kurt Jung-Alsen. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut 1982. G W D S = DUDEN. DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN ZEHN BÄNDEN. 3., v ö l l i g
neu bearb. u. erw. Aufl. Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag 1999. G W D S ( 6 ) = DUDEN. DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN SECHS BÄNDEN. H r s g .
und bearb. vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter Leitung von Günther Drosdowski. Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut 1976-1981. Ternes, Elmar (1989): „Die phonetischen Angaben im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch" In: Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Hrsg. von Franz Josef Hausmann, Oskar Reichmann, Herbert Ernst Wiegand, Ladislav Zgusta. Erster Teilband. Berlin/New York: de Gruyter, 508-518. Ternes, Elmar (1999): Einführung in die Phonologie. 2., verb, und erw. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Ternes, Elmar (2002): „Die phonetischen Angaben im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE." In: Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II. Untersuchungen anhand des „ de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache". Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Tübingen: Niemeyer, 125-135.
Jens Erik Mogensen Die Orthografie im GWDS
1 2 3 4 5 6
1
Einleitung Das GWDS zwischen Deskription und Präskription, alter und neuer Orthografie Das Problem der orthografischen Varianten Laut-/ Buchstabenzuordnung, insbesondere die Fremdwortschreibung Worttrennung am Zeilenende Getrennt- und Zusammenschreibung, Schreibung mit Bindestrich
6.1 6.2 6.3 6.4 7 8 9
Schreibung mit Bindestrich Fakultative Getrennt- oder Zusammenschreibung Problematische Fälle bei Getrenntund Zusammenschreibung Ein Zeit raubendes (zeitraubendes?) Problem... Auswertung und Diskussion Fazit Literatur
Einleitung
„Orthography is boring. It is a subject for elderly folk who love order, vote Conservative, and always keep their dog on a lead."1 Derlei vielfach kolportiertes Vorurteil kann, seitdem über die ab dem 1. August 1998 gültige Neuregelung der deutschen Orthografie gestritten wird, auf keinen Fall aufrechterhalten werden. Die langjährigen, heftigen Diskussionen in den öffentlichen Medien sind beispielsweise in Zabel (1989) und (1997) dokumentiert,2 die immer wieder aktualisierte Rechtschreibbibliografie von Fuhrmann/ Köhler (2002) umfasst bislang 739 sprachwissenschaftliche Beiträge aus den Jahren 1991 bis 2001. Im Zuge der Kritik nach dem Erscheinen der amtlichen Regelung (1996) sowie der ersten Rechtschreibwörterbücher mit den reformierten Schreibungen - BERTELSMANN (1996) und D U D E N 3 RECHTSCHREIBUNG (1996) - hat sich in den Wörterbüchern mehreres geändert. Dies betrifft z.B. 1996 lexikografisch kodifizierte Getrenntschreibungen wie wieder sehen, hoch begabt und es ist wirklich Staunen erregend,4 bei denen - trotz des bis dato nicht revidierten Regelwerkes, aber nach Beratungen mit der Rechtschreibkommission - in den neuesten Wörterbüchern u.U. wieder die Möglichkeit der Zusammenschreibung vorliegt.5 Neubauer (2000, 8) stellt fest, dass nunmehr zwischen acht Varianten der deutschen Orthografie zu wählen ist, was nicht zuletzt für den Deutschunterricht im Ausland problematisch sei, „wo durch vorschnelle Umsetzung Orthographieveränderungen gelehrt werden können, die es inzwischen gar nicht mehr gibt oder langfristig nicht geben wird." Die neue Orthografie
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Sauer/Glück (1995, 69). Zitiert nach Johnson (2000, 107). Vgl. auch Ledig (1999). Vgl. z.B. Bünting/Timmler (1997), Ickler (2000a), Ickler (2002a), Munske (2001) und Stirnemann (2002).
4
A l l e BERTELSMANN (1996).
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Vgl. z.B. Schaeder (1999a/b/c) sowie fur eine kritische Gegenüberstellung divergierender Schreibweisen in verschiedenen Wörterbüchern z.B. Peil (2000).
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Jens Erik Mogensen
(und deren laufende „Nachbesserung") hat unter den Sprachbenutzern insgesamt zu einer beträchtlichen Unsicherheit geführt. Diese verstärkt das Bedürfnis, in den Wörterbüchern zuverlässige Auskünfte über die geltende orthografische Norm nachschlagen zu können. Das GWDS hat diesem Bedürfnis offenbar eine hohe Priorität eingeräumt: Zu den wichtigsten Gründen für die Neubearbeitung des GWDS zählen nämlich die Umstellung des Wörterbuches auf die neue deutsche Orthografie sowie die Erhöhung seiner Benutzerfreundlichkeit.6 In welchen Benutzungssituationen schlägt der Benutzer nun nach, um sich über die orthografische Norm informieren zu lassen? Oder anders ausgedrückt: Welche Funktionen sollten hinsichtlich der Orthografie in den Wörterbüchern berücksichtigt werden? Als typische Benutzungssituationen benennt Wiegand (1998, 552) Situationen, wo entweder (a) Störungen der Textproduktion oder (b) Störungen der Textrezeption vorliegen. Der potenzielle Wörterbuchbenutzer wird also nicht nur bei orthografiebedingten Formulierungsbarrieren, sondern auch bei Korrektheitszweifeln nachschlagen, letzteres nämlich dann, wenn er (z.B. als Lehrer) überprüfen möchte, „ob der Textautor eine singulare Rechtschreibvorschrift eingehalten hat oder nicht."7 Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit das GWDS sowohl bei Störungen der Textproduktion als auch bei Störungen der Textrezeption im Sinne von Wiegand (1998) erfolgreich benutzt werden kann. Weiter soll untersucht werden, inwieweit das GWDS die amtliche Regelung von 1996 loyal umsetzt. Dabei sei an die erklärte Zielsetzung des GWDS erinnert, wonach „die aus den neuen amtlichen Richtlinien resultierenden Schreibweisen richtig wiedergegeben werden" müssen (GWDS, 25). Nach einer kurzen allgemeinen Charakteristik wird insbesondere auf folgende in der Diskussion vielfach thematisierten und mit erheblicher Unsicherheit verbundenen Problembereiche eingegangen: Laut-/ Buchstabenzuordnung, insbesondere die Fremdwortschreibung -
Schreibung mit Bindestrich Worttrennung am Zeilenende Getrennt- und Zusammenschreibung.
Innerhalb dieser, so darf vorweg vermutet werden, wird der Benutzer besonders häufig nachschlagen.
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Das GWDS zwischen Deskription und Präskription, alter und neuer Orthografie
Das GWDS hat sich die Aufgabe gestellt, „die deutsche Sprache in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu dokumentieren" und greift dabei „auf authentisches Quellenmaterial" zurück, aus welchem in Form von Belegen in den einzelnen Wörterbuchartikeln zitiert wird.8 Das aus Texten von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis heute (mit dem Schwerpunkt auf Texten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) bestehende 6 7 8
Vgl. Roelcke (2001, 281-282). Wiegand (1998, 546-547). GWDS, Vorwort.
Die Orthografie im GWDS
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punkt auf Texten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) bestehende „authentische Quellenmaterial" ist selbstverständlich zum größten Teil vor der orthografischen Neuregelung verfasst. Das Material erscheint jedoch in den Belegen in neuer Orthografie. Nach Ansicht von Ickler (2000a, 8) handelt es sich dabei nicht nur um „Wissenschaftsbetrug", sondern auch um eine „bisher undenkbare Verrohung der lexikographischen Sitten und des wissenschaftlichen Ethos". Es ist allerdings an sich nichts Neues, in den Belegen in Bezug auf die Orthografie das präskriptive Prinzip walten zu lassen. So wurden auch in den vorhergehenden Ausgaben des GWDS z.B. Texte aus dem 18. Jahrhundert in diesem Sinne nicht originalgetreu zitiert. Ob Texte beim Zitieren generell originalgetreu wiedergegeben werden sollen, sei, so eine Information auf der Homepage des Instituts fiir deutsche Sprache,9 texsortenabhängig. Dass sich die GWDS-Redaktion für eine nicht-originalgetreue Zitationsweise entschieden hat, erscheint in Anbetracht der bereits genannten Benutzungssituationen und der generellen Benutzerfreundlichkeit als durchaus legitim, obwohl es freilich seltsam anmutet, Zitate von Günter Grass und anderen Mitunterzeichnern der „Frankfurter Erklärung" von 1997 in aufgezwungener neuer Orthografie zu lesen. Das GWDS berücksichtigt die herkömmliche Orthografie insofern, als herkömmliche Grafien, die nicht auf derselben alphabetischen Stelle wie die Neuschreibungen stehen, lemmatisiert sind, und zwar mit einem Verweis auf die neue Schreibung, z.B.: „Greu|el usw.: frühere Schreibung für fGräuel usw.". Obwohl die herkömmliche Orthografie bis 2005 neben der neuen gültig ist, gibt es keine Verweise von neuen auf herkömmliche Schreibungen; das Wörterbuch wählt also eindeutig die Perspektive der neuen Orthografie.10 Thematisiert wird die Rechtschreibung kurz im Vorspann S. 24-25 unter der Überschrift „Orthografie/ Orthographie" (es geht hier in knapper Form um die soeben dargestellten Lemmatisierungsprinzipien) bzw. im Nachspann, Bd. 10, 4746-4770, wobei es sich um eine von Sitta/ Gallmann (1999) verfasste, breit angelegte Darstellung von wissenschaftlichem und historischem Hintergrund der Rechtschreibreform mit einer Übersicht über die wichtigsten Änderungen handelt. Keiner dieser Umtexte ist über die Verteilungsstruktur des Wörterbuches in den Wörterbuchteil integriert. In weitaus den meisten Fällen erfolgt die Umstellung auf die neue Rechtschreibung einwandfrei und nach einheitlichen Kriterien. Der Benutzer kann problemlos die Rechtschreibangabe über die damit identische Lemmazeichengestaltangabe dekodieren. Im Folgenden werden besonders problematische Fälle behandelt, die alle eine Affinität zur orthografischen Variantenproblematik im weitesten Sinne haben.
9 10
„Orthographische Zitiervorschriften" (2003). Roelcke (2001, 282) hält das Verweisverfahren des GWDS für „aus metalexikographischer Sicht nicht ausgereift, da in den orthographischen Angaben zur neuen Rechtschreibung im Rahmen der Lemmazeichengestaltangabe keine Hinweise auf Unterschiede zur alten Rechtschreibung erfolgen". Dieser Einwand ist m.E. kaum berechtigt, da es in metalexikographischer Hinsicht als legitim erscheint, sich konzeptuell für die neue Rechtschreibung und demzufolge u.a. gegen aktive Verweise auf die alte Orthografie zu entscheiden.
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Jens Erik Mogensen
Das Problem der orthografischen Varianten
Die in der Einleitung genannten vier zu untersuchenden Problembereiche sind alle potenziell mit dem Phänomen der orthografischen Varianten verbunden. Zu Grunde gelegt wird dabei die Definition von Gabler (1992, 376): „Varianten sind unterschiedliche Schreibungen einer Bedeutung bei gleicher Lautung". Erfasst werden von dieser Definition ohne weiteres die Variantenschreibung im Bereich der Fremdwortschreibung (Yoga, Joga), der Worttrennung am Zeilenende (war-um, wa-rum), der Schreibung mit bzw. ohne Bindestrich (Schrott-Transport, Schrotttransport) und Bereiche der Getrennt- und Zusammenschreibung (sodass, so dass). Ein Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung gehört jedoch nach dieser Definition nicht umittelbar in den Bereich der Varianten, und zwar die Getrennt- und Zusammenschreibung von beispielsweise aufsehenerregend - Aufsehen erregend und aneinander hängen - aneinanderhängen, welche zwar eine gewisse Affinität zur Variantenproblematik aufweisen, aber durch jeweils z.T. unterschiedliche Verhaltensweisen hinsichtlich Betonung, Gebrauch und Bedeutung differieren und demzufolge höchstens als kombinatorische Varianten in Frage kämen (vgl. unten Abschn. 6.4). Die Variantenschreibung ist selbstverständlich kein im Zuge der Neuregelung entstandenes Novum. Haben sich insbesondere in Bezug auf die Fremdwortschreibung seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts neben den fremdsprachigen Varianten auch eingedeutsche Schreibweisen durchgesetzt," so trifft folgende Feststellung von Nerius (1990, 1297f.) allerdings auf die bislang gültige Orthografie zu: „Die heutige Orthographie ist im Allgemeinen durch einen hohen Grad von Invarianz und damit eine relativ geringe Variabilität gekennzeichnet. Das resultiert aus entsprechenden Anforderungen der schriftlichen Kommunikation, für deren rasches und sicheres Funktionieren es offensichtlich als hinderlich angesehen wird, wenn die Orthographie eine größere Zahl von Varianten erhält".
Die Zahl der zulässigen grafischen Varianten hat mit der Neuregelung erheblich zugenommen. In der amtlichen Regelung, die generell „mehr Fremdwörter als bisher ins Deutsche integrieren will" (Sitta/ Gallmann 1999, 4758), hat der Umfang der zugelassenen Eindeutschungen jedoch bis zur Unterzeichnung der sog. Wiener Absichtserklärung am 1. Juli 1996 im Einzelnen geschwankt. So waren in der Druckfassung der amtlichen Regelung von 1995 z.B. Delfin und Panter im Wörterverzeichnis lediglich in diesen Schreibweisen vorgesehen, Tunfisch jedoch als Hauptvariante neben Thunfisch. Nach den Beratungen der bundesrepublikanischen Amtschefskommission vom 18.10.1995 sind aber u.a. einige dieser eindeutschenden Schreibweisen wieder zurückgenommen worden, sodass im Wörterverzeichnis der amtlichen Regelung von 1996 nur noch z.B. Delphin, Panther und Thunfisch als Hauptvarianten angeführt sind. Die Druckversion aus dem Jahre 1996 ist die offizielle, im Bundesanzeiger veröffentlichte Fassung des amtlichen Regelwerks, welches seit 1996 nicht mehr revidiert worden
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Vgl. hierzu u.a. Baer (1986a), Baer (1986b), Busse (1992), Gabler (1992), Langner (1995) und Starke (1986). Zur entgegengesetzten Tendenz, Doppelformen im „Großen Duden" zu streichen, vgl. u.a. Herfurth (1985).
Die Orthografie im GWDS
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ist.12 Den „Vorschlägen zur Präzisierung und Weiterentwicklung der Neuregelung der deutschen Orthografie", nach denen u.a. herkömmliche Grafien wie belemmert, einbleuen, Tolpatsch und Quentchen als Nebenvarianten (neben den Hauptvarianten belämmert, einbläuen, Tollpatsch und Quäntchen) zuzulassen wären, ist von den politisch verantwortlichen Stellen bislang nicht zugestimmt worden (vgl. Heller 1998,11-12).
4
Laut-/ Buchstabenzuordnung, insbesondere die Fremdwortschreibung
Die Umsetzung der Laut-/ Buchstabenzuordnung, wie diese aus dem amtlichen Regelwerk, Abschnitt A, hervorgeht, erfolgt im GWDS in den allermeisten Fällen unproblematisch. Probleme entstehen erst dann, wenn im amtlichen Regelwerk Wahlmöglichkeit zwischen mehr als einer Grafie besteht. Die generellen Regeln sind dem Regelteil, einzelne Wörter dem Wörterverzeichnis zu entnehmen, wo zwischen gleichberechtigten Schreibungsvarianten einerseits, Haupt- und Nebenformen anderseits unterschieden wird. Im Wörterverzeichnis wird mit Hilfe der Markierung auch auf die Nebenform verwiesen (z.B.: Kalligraphie, auch Kalligrafie). Mit dem Kommentar s. wird von einer lemmatisierten Nebenform auf die Hauptform verwiesen (z.B.: Kalligrafie, s. Kalligraphie). Gleichberechtigte Schreibvarianten stehen ohne Verweis (nur durch Komma getrennt) nebeneinander. Im GWDS erfahrt man wenig über das Verweissystem. Bei gleichberechtigten Schreibungen findet man „den vollständigen Eintrag gewöhnlich unter der Schreibweise, die nach Einschätzung der Redaktion entweder derzeit am geläufigsten ist oder sich voraussichtlich bald durchsetzen wird" (GWDS, 26), während bei der „anderen, ebenso gültigen" ein Verweis steht. Bei Haupt- und Nebenformen ist das Verweissystem nicht expliziert; die Benutzung der Kommentare auch - z.B. Schen\ke, (auch:) Schänke - und ' (anstelle von ,siehe'), z.B. Schän|ke: f Schenke, legt aber nahe, dass das System das gleiche wie im amtlichen Regelwerk ist. Im Folgenden wird an Hand einer Reihe von Doppelformen untersucht, inwieweit die gleichberechtigten Varianten sowie die Haupt- und Nebenformen des amtlichen Regelwerks im GWDS loyal wiedergegeben sind. In den Tabellen werden gleichberechtigte Schreibungen von mir durch Komma getrennt, während Nebenformen in Klammern gesetzt sind. Eine Zusammenstellung von gleichberechtigten Schreibungsvarianten und Einträgen im GWDS ergibt folgendes Bild:
12
Den Hinweis zum unterschiedlichen Status der Druckfassungen aus den Jahren 1995 bzw. 1996 verdanke ich Kerstin Güthert vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim. Dass dieser Unterschied jedoch kaum allgemein bekannt sein wird, geht implizit aus der Tatsache hervor, dass z.B. der Vergleich von Kürschner (1997) zwischen dem amtlichen Regelwerk und den 1996er Wörterbüchern von Duden und Bertelsmann unkommentiert auf der Druckfassung der amtlichen Regelung von 1995 basiert (übrigens auch die einzig vorhandene Ausgabe der Regelung in den wissenschaftlichen Bibliotheken Dänemarks). Auch Scheuringer (1996b, 417) bezieht sich offenbar auf die 1995er Version: „[...] wird/statt ph nur bei Delfin akzeptiert, das die Hauptform ist. [...] ΓΑ-Schreibungen bleiben erhalten, ausgenommen sind Panter und Tunfisch, die Hauptformen sind". Diese Aussagen sind nach dem 18. Oktober 1995 nicht mehr zutreffend.
20
Jens Erik Mogensen
Amtliches Regelwerk
GWDS
Abweichung vom Regelwerk?
Albtraum, Alptraum
Albtraum, Alptraum
NEIN
Bukett, (Bouquet)
JA
Bouquet, Bukett
13
14
Yacht, Jacht
Jacht, (Yacht )
JA
ciao, tschau
Ciao, [seltener: tschau]
JA
Yoga, Joga
Yoga, Joga
NEIN
Schenke, Schänke
Schenke, (Schänke)
JA
selbständig, selbstständig
selbstständig, (selbständig)
JA
Tab. 1: Gleichberechtigte Schreibungen im amtlichen Regelwerk
Nur bei Albtraum, Alptraum und Yoga, Joga gibt das GWDS die gleichberechtigten Schreibungen loyal wieder. Ansonsten wird - in Abweichung vom Regelwerk - die eine Form als Hauptvariante, die andere als Nebenvariante angesetzt. Dabei werden in folgenden Fällen die neu geschriebene bzw. eingedeutschte Variante vor der herkömmlichen bevorzugt: Jacht, Bukett, selbstständig, während im Falle von Schenke die herkömmliche Variante bevorzugt wird. Die Grafie tschau wird mit der diafrequentativen Markierungsangabe .selten' versehen. In diesem Fall ist allerdings unklar, ob tschau dadurch als Nebenform charakterisiert werden soll: Bei der Neuregelung kann die Frequenz sinnvollerweise kein Kriterium bilden, da sich die Neuschreibungen ja z.T. noch nicht durchgesetzt haben. Vielfach sind im amtlichen Regelwerk Haupt- und Nebenformen etabliert. In Tabelle 2 ist im amtlichen Regelwerk die eingedeutschte Variante die Hauptform, die fremdsprachige Variante die Nebenform.
Amtliches Regelwerk
GWDS
Abweichung vom amtlichen Regelwerk?
Majonäse, (Mayonnaise)
Mayonnaise, Majonäse
JA
Mohär, (Mohair)
Mohair, (Mohär)
JA
Dränage, (Drainage)
Dränage, (Drainagt)(med.) Drainage, (Dränage)
NEIN
Polonäse, (Polonaise)
Polonäse, (Polonais)
NEIN
Dublee, (Double)
Double, (Dublee)
JA
Exposee, (Expose)
Expose, (Exposee)
JA
Varietee, (Variete)
Variete, (Varietee)
JA
Soße, (Sauce)
Soße, (Sauce)
NEIN
13
ENTFÄLLT
Im Regelteil § 20 steht Bouquet - Buket(t); im Wörterverzeichnis ist Büket aber nicht lemmatisiert. Yacht wird im GWDS mit der Markierung (seem, auch:) charakterisiert.
Die Orthografie im GWDS
21
Kupon, (Coupon)
Coupon, (Koupon)
JA
Nugat, (Nougat)
Nugat, (Nougat)
NEIN
Fotografie, (Photographie)
Fotografie, (Photographie)
NEIN
Grafik, (Graphik)
Grafik, (Graphik)
NEIN
Delphin, (Delfin)
Delphin, (Delfin)
NEIN
fantastisch, (phantastisch)
fantastisch, (phantastisch)
NEIN
Getto, (Ghetto)
Ghetto, (Getto)
JA
Kode, (Code)
Code, (Kode)
JA
kodieren, (codieren)
codieren, (kodieren)
JA
zirka, (circa)
circa, (zirka)
JA
Sketsch, (Sketch)
Sketch, (Sketsch)
JA
Azetat, (Acetat)
Acetat, (Azetat)
JA
15
Kalzit, (Calcit)
Calcit, (Kalzit)
Penizillin, (Penicillin)
Penizillin, (Penicillin)
NEIN
preziös, (pretiös)
preziös, (pretiös)
NEIN
Preziosen, (Pretiosen)
Preziosen, (Pretiosen)
NEIN
potenziell, (potentiell)
potenziell, (potentiell)
NEIN
substanziell, (substantiell)
substanziell, (substantiell)
NEIN
Bibliografie, (Bibliographie)
Bibliografie, Bibliographie
JA
Biografie, (Biographie)
Biografie, (Biographie)
NEIN
16
JA
JA
Typografie, (Typographie)
Typographie, -
Brokkoli, (Broccoli)
Brokkoli, (Broccoli)
NEIN
Kredo, (Credo)
Credo, (Kredo)
JA
Tab. 2: Eingedeutschte Hauptform, fremdsprachige Nebenform Es zeigt sich, dass das G W D S im Falle „eingedeutschte Hauptform, fremdsprachige Nebenform" nur gelegentlich die amtlichen Regeln loyal wiedergibt. Vielfach verfährt das G W D S im Vergleich zum Regelwerk umgekehrt, indem die fremdsprachige Variante als Hauptform und die eingedeutschte Variante als Nebenform angesetzt ist. In einigen Fällen ist die Hauptform der amtlichen Regelung auch nicht als Nebenform lemmatisiert, sondern fehlt (z.B. Typografie), und in anderen Fällen fehlt bei der Hauptform der Verweis auf die Nebenform (so wird von der Nebenform contra auf die Hauptform kontra verwiesen; bei kontra wird contra aber nicht erwähnt). Dränage, (Drainage) wird als (techn.) bzw. (KfZ-
15 16
Die Form Kalzit ist im GWDS mit der Markierung (Fachspr.) versehen. Das Symbol ,-=-' bedeutet hier und im Folgenden, dass im GWDS keine Nebenform aufgenommen ist.
Jens Erik Mogensen
22
T.) markiert, während Drainage, (Dränage) für die Fachsprache der Medizin reserviert wird. Nicht einleuchtend ist, warum die Bedeutungserläuterung von Dränage, (Drainage) (techn.) unter Dränage steht, während der zugehörige Beleg unter der Nebenform Drainage steht. Es kann ja nicht darum gehen, dass der Beleg im Quellentext zufälligerweise als Drainage auftrat, denn die Belege sind ja sowieso, was die Orthografie angeht, nicht authentisch (vgl. oben Abschn. 2). In einer anderen Gruppe von Fällen werden im GWDS Haupt- und Nebenformen etabliert, bei denen im amtlichen Regelwerk die fremdsprachige Variante die Hauptform und die eingedeutschte Variante die Nebenform bildet: Amtliches Regelwerk
GWDS
Abweichung vom amtlichen Regelwerk?
Kommunique, (Kommunikee)
Kommunique, (Kommunikee)
NEIN
Bravour, (Bravur)
Bravour, (Bravur)
NEIN
Geographie, (Geografie)
Geographie, (Geografie)
NEIN
Orthographie, (Orthografie)
Orthographie, (Orthografie)
NEIN
Graphit, (Grafit)
Graphit, (Grafit)
NEIN
Delphin, (Delfin)
Delphin, (Delfin)
NEIN
Joghurt, (Jogurt)
Joghurt, (Jogurt, Yoghurt)
JA
Spaghetti, (Spagetti)
Spaghetti, (Spagetti)
NEIN
Katarrh, (Katarr)
Katarrh, (Katarr)
NEIN
Myrrhe, (Myrre)
Myrrhe, ^
JA
Facette, (Fassette)
Facette, (Fassette)
NEIN
Necessaire, (Nessesär)
Necessaire, +
JA
Chicoree, (Shikoree)
Chicoree, -s-
JA 17
Kathode, (Katode)
Kathode, (Katode)
Panther, (Panter)
Panther,
JA
Thunfisch, (Tunfisch)
Thunfisch, •*·
JA
Cord, (Kord)
Kord, Cord
JA
NEIN
Tab. 3: Fremdsprachige Hauptform, eingedeutschte Nebenform
Abgesehen von Cord, (Kord), wo das GWDS im Gegensatz zum Regelwerk die fremdsprachige und die eingedeutschte Variante als gleichberechtigt anfuhrt und die Mikrostruktur unter Kord voll entfaltet, werden die fremdsprachigen Hauptformen als solche beibehalten - oder aber die fremdsprachige Form wird als die einzige Möglichkeit aufgenommen, ohne dass das GWDS die eingedeutschten Nebenformen erwähnt (so fehlen im GWDS z.B. Hinweise auf Myrre, Panter, Nessesär, Shikoree und Tunfisch). 17
Katode ist im GWDS mit der Markierung (Fachspr.) versehen.
Die Orthografie im GWDS
23
Insgesamt muss festgestellt werden, dass die amtliche Regelung in Bezug auf die Variantenschreibung (mit besonderer Berücksichtigung der Fremdwortschreibung) im GWDS nicht loyal umgesetzt wurde. Es zeigt sich eine deutlich konservierende Tendenz, die in Abweichung vom Regelwerk herkömmliche Schreibweisen bevorzugt.
5
Worttrennung am Zeilenende
Nicht alle einsprachigen Wörterbücher enthalten Angaben zur Worttrennung. Angesichts des weitgehenden Fehlens solcher Angaben in dem DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE bemerkt Äugst (2002, 141): „Nun ist dies für einen das Deutsche lernenden Ausländer sicher nicht besonders tragisch, da er auf jeden Fall die Trennung vermeiden kann." Abgesehen davon, dass Ausländer und Deutsche kaum unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Worttrennung haben, ist dies m.E. eine etwas zu defätistische Haltung. Informationen zur Worttrennung sind im einsprachigen Wörterbuch auch gerade darum von Belang, weil die Worttrennung zu den Bereichen gehört, wo durch die Neuregelung unter den Sprachbenutzern - ausländischen wie deutschen - Unsicherheit und damit ein besonderes Nachschlagebedürfiiis entstanden sind. Wie viele andere einsprachige Wörterbücher enthält auch das GWDS Angaben zur Worttrennung, indem mehrsilbige Lemmazeichengestaltangaben durch eine Worttrennungsangabe in Form eines senkrechten Strichs (,|') binnenerweitert sind: ab|ge|ben Ab|ge|rundetheit ab|sa|cken ehr|lich El|tem knusp|rig Mus|ter Papplplakat See|ufer syn|chron
Solche Angaben, die z.T. die Neuregelung widerspiegeln, sind unproblematisch und entsprechen den Paragraphen 107, 108 und 111 im Regelteil des amtlichen Regelwerks (in dessen Wörterverzeichnis keine Worttrennungsvorschriften angeführt sind). Sowohl bei rezeptionsbedingten Korrektheitszweifel als auch bei orthografischen Formulierangsbarrieren leisten sie zweifelsohne den von Herberg (1996, 107) begrüßten benutzerfreundlichen Service. Problematisch ist hingegen die Umsetzung der Paragraphen 110 und 112, aus denen hervorgeht, dass in bestimmten Fällen mehrere korrekte Trennungsmöglichkeiten möglich sind. Im Einzelnen betrifft das folgende Fälle: 1)
2)
die Muta-cum-Liquida-Regel (§ 110), nach der bei der Verbindung aus Konsonant + /, η oder r in Fremdwörtern die Möglichkeit vorliegt, entweder (a) nach (z.B. Mag-net) oder (b) vor /, η oder r (Ma-gnet) zu trennen Zusammensetzungen, die aus etymologischen Gründen oft nicht mehr als solche empfunden oder erkannt werden, wobei nach § 112 die Möglichkeit vorliegt, entweder (a) morpholo-
24
Jens Erik Mogensen gisch-etymologisch (ein-ander, hin-auf, Klein-od) oder (b) phonologisch (z.B. ei-nander, hinauf, Klei-nod) zu trennen.
Dabei stellen ( l b ) (Ma-gnet) und (2b) (ei-nander; Klei-nod) im Vergleich zur bisher gültigen Orthografie Neuerungen dar. Das G W D S gibt im Falle von sowohl (1) als auch (2) nur jeweils eine der möglichen Trennungen an. In den Tabellen 4 und 5 wird eine Auswahl von empfohlenen Worttrennungen im G W D S gebracht. Dabei sind fur jedes Lexem beide amtlich zugelassenen Trennungsmöglichkeiten angeführt, wobei die im G W D S angegebene jeweils durch halbfetten Druck markiert ist: (la)
(lb)
Zyk-lus
Zy-klus
Mag-net
Ma-gnet
Feb-ruar
Fe-bruar
Hyd-rant
Hy-drant
Arth-ritis
Ar-thritis
Tab. 4: Auswahlverfahren des GWDS bei mehreren möglichen Worttrennungen nach § 110.
(2a)
(2b)
hin-auf
hi-nauf
her-an
he-ran
dar-um
da-rum
war-um
wa-rum
ein-an-der
ei-nan-der
voll-en-den
vol-len-den
Klein-od
Klei-nod
Chrys-an-the-me
Chry-san-the-me
Hekt-ar
Hek-tar
He-li-ko-pter
He-li-kop-ter
in-ter-es-sant
in-te-res-sant
Hie-ro-gly-phe
Hi-e-ro-gly-phe
Hie-ro-kra-tie
Hi-e-ro-kra-tie
Lin-ole-um
Li-no-le-um
Päd-a-go-gik
Pä-da-go-gik
Re-spekt
Res-pekt
Tab. 5: Auswahlverfahren des GWDS bei mehreren möglichen Worttrennungen nach § 112.
Die Orthografie im GWDS
25
Die Gegenüberstellung zeigt, dass die GWDS-Redaktion vielfach, aber nicht konsequent, die im Verhältnis zur bisherigen Orthografie neu hinzugekommene Variante vorzieht. 18 Warum jedoch an war-um, voll-enden, Klein-od und Hie-roglyphe im Gegensatz etwa zu da-rum, ei-nander, inte-ressant und Hi-e-roglyphe festgehalten wird, leuchtet nicht ein.19
6
Getrennt- und Zusammenschreibung, Schreibung mit Bindestrich
Die Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) - von Munske (1997) als „ A l p t r a u m " und „Kuckucksei der Reform" bezeichnet - ist zweifelsohne der am meisten problematisierte Bereich der neuen deutschen Orthografie. Nach Ansicht von Eisenberg (1997,49) greift die GZS „ins grammatische System des Deutschen ein, ohne die Konsequenzen hinreichend zu reflektieren". Bei Günther (1997, 81) ist von einem „systemwidrige[n] Mißgriff' die Rede, während Bünting/ Timmler (1997, 29) zu Recht betonen, dass mit dieser „Achillesferse" der Reform „auch die Wörterbuchmacher ihre Probleme haben". Ickler (1997c, 267) sieht die Neuregelung des Bereiches insgesamt als gescheitert an: „Sie hat die Ausnahmen nicht verringert, die Systematik nicht erhöht und eine Menge intuitiv nicht annehmbarer Neuschreibungen eingeführt. In den Wörterbüchern ist es dadurch zu einer großen Zahl widersprüchlicher Angaben gekommen". An diese Kritik schließt sich - mit Positionen, die sich mit dem Regelwerk in unterschiedlichem Grad vereinen lassen - eine Vielzahl linguistischer und lexikografischer Einzelanalysen an, z.B. Baudusch (2001), Glück (2002), Mogensen (2001a, 2001b), Mogensen/ Moller (2001), Pittner (1998) und Suchsland (1999) sowie eher richtigstellende, die Reform verteidigende, modifizierend-interpretierende Beiträge wie z.B. Heller (1998) und Schaeder (1997, 1999a, 1999b, 1999c). Sicherlich wäre manchen, auch schwerwiegenden Argumenten gegen die Neuregelung generell zuzustimmen. So argumentiert Glück (2002) überzeugend für die Zusammenschreibung zusammengesetzter Verben, indem er den Unterschied von zufrieden stellen (freies Adverbial + Verb) und zufriedenstellen (zusammengesetztes Verb) mittels linguistischer Proben ausführlich analysiert. Suchsland (1999, 213) argumentiert explizit gegen die Erweiterung der Domäne der Groß- und Getrenntschreibung durch die Neuregelung und für eine Erweiterung der Domäne der Klein- und Zusammenschreibung, indem er an Hand linguistischer Proben nachweist, dass es sich z.B. beim Verb eislaufen um eine aus dem Verb laufen und dem trennbaren Präfix eis bestehende lexikalische Einheit (und keineswegs um eine Verb-Objekt-Relation wie etwa bei Eis kaufen) handelt. Am Beispiel von verba-
18
In dem in den Wörterbuchteil nicht integrierten Nachspann (GWDS Band 10, 4769) wird zwar auf beide Möglichkeiten aufmerksam gemacht: „Bei den folgenden Beispielen steht die bisherige, weiterhin zulässige Trennung in Klammern: Quad-rat (Qua-drat), möb-liert (mö-bliert), Mag-net (Ma-gnet), pyk-nisch (py-knisch)". Diese Formulierung ist allerdings falsch, da es sich gerade umgekehrt verhält: Nicht die bisherige, sondern die jeweils neugeregelte Trennung steht in Klammern.
19
Ü b e r d i e g l e i c h e n I n k o n s e q u e n z e n i n DUDEN RECHTSCHREIBUNG ( 1 9 9 6 ) v g l . K ü r s c h n e r ( 1 9 9 7 ,
20 21
188). Vgl. auch Ickler (1997a, 1997b, 1997c, 1997d, 2000a, 2000b, 2002a, 2002b). Zum Problem vgl. auch z.B. Günther (1997, 90).
26
Jens Erik Mogensen
len Fügungen mit Präposition + einander, welche nach der Neuregelung alle getrennt zu schreiben sind, weist Baudusch (2001) auf kategorisierbare Akzentunterschiede des Typs aneinander hängen vs. aneinanderhängen hin und plädiert - unter Bezugnahme auf den von Herberg (1997) entwickelten, aber nicht realisierten Reformvorschlag - für die Einbeziehung von Aktzentverhältnissen bei der Regelung der GZS. Einige der vorgebrachten Kritikpunkte und Vorschläge haben ein positives Echo bei den Reformatoren gefunden, was beispielsweise den von politischer Seite (noch?) nicht zugestimmten ,,Vorschläge[n] zur Präzisierunj; und Weiterentwicklung der Neuregelung der deutschen Orthografie" zu entnehmen ist. Es geht im Folgenden nicht um eine kritische Diskussion der Neuregelung der GZS als solche und auch nicht um innerhalb der amtlichen Regeln realisierbare, aber noch nicht offiziell anerkannte Vorschläge. Vielmehr geht es darum zu analysieren, inwieweit die amtlichen Regeln - wenn diese aus Regelteil und Wörterverzeichnis der zuletzt revidierten Ausgabe von 1996 hervorgehen - im GWDS lexikogafisch umgesetzt worden ist. In den Fällen, wo die Regeln nicht klar sind, das Verhältnis zwischen Regelteil und Wörterverzeichnis widersprüchlich zu sein scheint bzw. wo spätere Präzisierungen seitens der Reformatoren vorliegen, wird diskutierend darauf eingegangen. Dabei werden folgende ausgewählte Problembereiche behandelt: -
6.1
Schreibung mit Bindestrich Fakultative Getrennt- oder Zusammenschreibung Problematische Fälle der Getrennt- und Zusammenschreibung.
Schreibung mit Bindestrich
Nach der amtlichen Regelung § 45 kann der Bindestrich u.a. beim Zusammentreffen von drei gleichen Buchstaben in Zusammensetzungen gesetzt werden. Wahlmöglichkeit besteht also zwischen Schreibung mit und ohne Bindestrich z.B. in folgenden Wörtern: HawaiiInseln oder Hawaiiinseln, Kaffee-Ersatz oder Kaffeeersatz, See-Elefant oder Seeelefant, Zoo-Orchester oder Zooorchester, Bett-Tuch oder Betttuch, Schiff-Fahrt oder Schifffahrt sowie Schrott-Transport oder Schrotttransport. Diese Wahlfreiheit wird nur teilweise im GWDS widergespiegelt. Unter den Lemmata Kaffe-Ersatz und See-Elefant sind die jeweiligen Varianten ohne Bindestrich angeführt, dies allerdings nach der Markierung „auch", deren Funktion im GWDS nicht ganz klar ist, zumal die Markierungspraxis nirgendwo erläutert wird (s.o. Abschnitt 4).24 In anderen Fällen wird nur die eine Variante angeführt: Bei Hawaii-Inseln und Zoo-Organisation fehlt die Schreibung ohne Bindestrich. Umge22
23
Auf die Relevanz der Akzentverhältnisse machen auch Mogensen/Meller (2001, 253) aufmerksam: „Man vergleiche die beiden Sätze: a) Staub saugende Frauen - b) staubsaugende Frauen. Im Satz a) liegt der Akzent phonetisch auf dem Substantiv und fordert nach Staub eine dem Sprachgefühl zuwiderlaufende Pause; ganz abgesehen davon, dass der Inhalt des Satzes [...] nahelegt, dass die Frau selbst den Staub einsaugt (vgl. Insekten fressende Pflanzen)." Vgl. Heller (1998). Im Wörterverzeichnis des amtlichen Regelwerks steht auch nur bei Nebenformen; um solche handelt es sich jedoch bei der Bindestrichschreibung nicht, da beide Formen gleichberechtigt vorkommen.
Die Orthografie im GWDS
27
kehrt fehlt die Schreibung mit Bindestrich bei Betttuch, Brennnessel, Schifffahrt, Schlussstein, Schrotttransport und Stillleben. Das GWDS verfahrt scheinbar so, dass die Bindestrichschreibung nur im Falle des Zusammentreffens dreier gleicher Vokale und nicht des Zusammentreffens dreier gleicher Konsonanten angegeben wird. Dieses Verfahren ist nicht durch das Regelwerk legitimiert, d.h.: Insgesamt verfährt das GWDS in diesem Punkt also inkonsequent.
6.2
Fakultative Getrennt- oder Zusammenschreibung
In bestimmten, in § 39/4/E3 abgehandelten Fällen besteht Wahlfreiheit zwischen Getrenntund Zusammenschreibung. Das GWDS lemmatisiert in allen Fällen die zusammengeschriebene Form und fuhrt mitunter die getrennt geschriebene Wahlmöglichkeit nach der Markierung auch an, so z.B.: außerstand, (auch:) außer Stand; imstande, (auch) im Stande; infrage (auch: in Frage); zuleid (auch: zu Leid); zuleide (auch: zu Leide); zurande (auch: zu Rande); zuschanden (auch: zu Schanden); zuschulden (auch: zu Schulden); zustande (auch: zu Stande); zutage (auch: zu Tage); zuwege (auch: zu Wege). Ähnlich verhält es sich bei der Konjunktion sodass, (auch): so dass und bei Fügungen in präpositionaler Verwendung: anstelle (auch: an Stelle); aufgrund (auch: auf Grund); aufseiten (auch: auf Seiten); mithilfe (auch: mit Hilfe); vonseiten (auch: von Seiten). Bei instand (i. setzen), zugrunde (z. gehen) und zumute (z. sein) bleiben die getrennt geschriebenen Varianten in Stand setzen, zu Grunde und zu Mute sein unerwähnt. Zugunsten wird nur in der zusammengeschriebenen Form gebracht, während bei zuungunsten nach der Markierung auch die Schreibvariante zu Ungunsten gebracht wird. - Auch in diesem Bereich verfahrt das GWDS inkonsequent.
6.3
Problematische Fälle der Getrennt- und Zusammenschreibung
Aus den Vorbemerkungen des amtlichen Regelwerks zum Kapitel Getrennt- und Zusammenschreibung geht u.a. hervor, dass die Getrenntschreibung als Normalfall und die Zusammenschreibung als eine nach Formalkriterien geregelte Ausnahme angesehen wird. In den allermeisten Fällen widerspiegelt das GWDS das amtliche Regelwerk, auch in Fällen, welche in der Diskussion um die Neuregelung mehrfach thematisiert worden sind: abhanden [...] [...] mir ist meine Brieftasche a. gekommen; [...] die a. gekommene Brieftasche. aneinander [...] etw. fest a. schrauben, schweißen; zwei Teile a. setzen; [...] die Knochen müssen zuerst a. wachsen.25 auseinander [...] sie konnte die Zwillinge, Ursache und Wirkung nicht a. halten; [...] a. fahren, fliehen, fliegen, flitzen, laufen, spritzen, stieben, streben, strömen, treiben. bekannt [...] etw. b. geben [...] das Wahlergebnis b. geben; [...] etw. b. machen [...] den Inhalt eines Schreibens b. machen; ich selbst habe diese Vorschrift nur flüchtig gelesen und sie meinen Unterführern deshalb nicht b. gemacht, weil... (Noack, Prozesse 187).26 25
Hierzu problematisierend u.a. Baudusch (2001).
28
Jens Erik Mogensen Eis, das; -es [...] E. laufen (sich mit Schlittschuhen an den Füßen auf dem Eis bewegen).27 frisch [...] 1. [...] c) [...] f. gebackenes Brot; f. geschlachtetes Vieh; Ü eine f. gebackene [...] Ministerin; ein f. gebackenes [...] Ehepaar.28 Leid, das; -[e]s [...] es tut mir sehr, schrecklich L., dass ich Sie gestört habe; so L. es mir tut, aber das können wir nicht dulden; [es] tut mir L., aber so geht es nicht.29 sagen [...] 5. b) [...] sie hat ein nichts sagendes (ausdrucksloses) Gesicht; er gibt nur nichts sagende (inhaltslose) Äußerungen von sich.30 strammziehen [...] in der Wendung *jmdm. den Hosenboden s.: fHosenboden; s. auch stramm (1) stramm [...] 1. [...] den Gürtel s. ziehen wiedersehen [...] einen alten Freund [nach vielen Jahren] w.31 wohl [...] I. 1. [...] c) [...] ein w. duftendes Parfüm; bald wurde deutlich, dass er eine w. durchdachte Konzeption vortrug (Heym, Schwarzenberg 39).32 zufrieden damit musst du z. sein, dich z. geben; [...] Wer jetzt Sommerreifen braucht, muss sich jedoch mit dem z. geben, was zurzeit auf dem Markt ist (ADAC-Motorwelt 3, 1986, 38); [...] z. stellende Leistungen; sein z. stellendes Befinden beruhigte sie etwas; er ist leicht z. zu stellen, Der Längsverstellbereich der Vordersitze ist sehr groß und dürfte auch 2-Meter-Riesen z. stellen (NZZ 23.12.83, 39).33
Auf der Stelle des ursprünglich zusammengeschriebenen Lemmas wird vielfach auf die Platzierung der Wortgruppe in der Mikrostruktur verwiesen, z.B.: an|ei|nan|der bau|en, an|ei|nan|der binden, an|ei|nan|der drän|gen usw.: s. aneinander. be|kannt ma|chen: s. bekannt (2). Eis lau|fen: 1 2 Eis (la). zu|frie|den steljlen: |zufrieden. Diese Form der Lemmatisierung wird als ein Service für den Benutzer in der Übergangszeit zwischen alter und neuer Orthografie zu verstehen sein. 34
6.4
Ein Zeit raubendes (zeitraubendes?) Problem ...
Verbindungen des Typs Zeit raubend/ zeitraubend bilden in der neuen Orthografie ein besonders tückisches Problem, welches unter Lexikografen und anderen Regelwerkbenutzern viel Unsicherheit hervorgerufen hat. Nach dem amtlichen Regelwerk § 36, 6, E l , 1.2, 26
27 28
29 30 31 32 33 34
Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Hierzu problematisierend Vgl. Äugst (2002, 140).
u.a. Mogensen/Meller (2001, 248-249). u.a. Suchsland (1999), Günther (1997). u.a. Ickler (1997c, 276), Suchsland (1999, 210, Anm. 1). u.a. Ickler (1997c, 268), Munske (2001), Suchsland (1999, 220). u.a. Mogensen/Meller (2001, 255), Ickler (1997c, 273). u.a. Ickler (1997c, 260-261), Ickler (2000a, 261), Schaeder (1999b). u.a. Glück (2002), Zemb (2000). u.a. Glück (2002).
Die Orthografie im GWDS
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werden Rat suchend, Not leidend und Rad fahrend getrennt geschrieben. Dies entspricht § 34, 3, E3, 3, wo die Getrenntschreibung von z.B. Rad fahren und Rat suchen vorgeschrieben wird. Die am Ende der Paragraphen 34 bzw. 36 jeweils erwähnte Toleranzregel, nach der es in einigen Fällen dem Schreibenden überlassen bleibt, ob er getrennt oder zusammenschreiben will, bezieht sich lediglich auf Verbindungen von Adjektiv und Verb bzw. Adjektiv, Adverb oder Pronomen + Adjektiv/ Partizip; die Toleranzregel umfasst also eindeutig nicht Verbindungen wie die hier in Frage kommenden von Substantiv + Verb (hierunter Partizip). Die Regel bezüglich der Getrenntschreibung wird - bis auf eine Ausnahme35 - konsequent im Wörterverzeichnis der amtlichen Regelung (1996) umgesetzt, wo unter Feuer, Gefahr, Aufsehen, Besorgnis, Furcht und Vertrauen lediglich die getrennt geschriebenen Formen mit Infinitiv bzw. Partizip I angeführt sind: Feuer speien/ speiend, Gefahr bringen/ bringend, Aufsehen erregen/ erregend, Besorgnis erregen/ erregend, Furcht einflößen/ einflößend und Vertrauen erwecken/ erweckend. Auf den ersten Blick scheint es also dem Regelwerk zu entsprechen, wenn das GWDS unter Schrecken das Beispiel ihr Zorn war S. erregend bringt, und eine illegitime Abweichung vom Regelwerk zu sein, wenn unter schaudererregend das in syntaktischer Hinsicht parallele Beispiel der Anblick war s. steht. Ein solcher Schluss wäre allerdings zu einfach, da sich im Zuge der Diskussionen um die Rechtschreibreform eine Entwicklung vollzogen hat, für die ein kurzer Vergleich von BERTELSMANN (1996) und BERTELSMANN (1999) erhellend sein könnte. So verzeichnet BERTELSMANN (1996) ausschließlich die Neuschreibung Staunen erregend und bringt folgende Beispiele: eine Staunen erregende Leistung; es war wirklich S. e. BERTELSMANN (1999) verzeichnet demgegenüber zwei Neuschreibungen: Staunen erregend und staunenerregend. Der Unterschied zwischen der getrennt und der zusammengeschriebenen Form wird nicht erklärt; unmittelbar müsste der Wörterbuchbenutzer davon ausgehen, dass es sich hier um freie Varianten handelt. Der nicht-integrierte Vorspann „Die neuen Regeln mit Erläuterungen" bietet keine Hilfe: Es wird dort lediglich die Getrenntschreibung angegeben.36 Dass die Form staunenerregend in BERTELSMANN (1999) neben Staunen erregend eingeführt wurde, ist zweifelsohne vor dem Hintergrund der Diskussion in den zwischen dem Erscheinen der beiden Ausgaben liegenden Jahren zu sehen. So wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Getrenntschreibung nicht nur gegen den „Trend zur Univerbierung" (hierzu u.a. Baudusch 2001, 37, Günther 1997, 11, Starke 1986, 47) verstößt, sondern auch u.U. „mit der Syntax des Deutschen schlicht unvereinbar" ist (Mogensen 2001b, 214). Ickler (1997c, 271) sieht in den Steigerungsformen einen Beweis dafür, „daß es hier auch echte Zusammensetzungen gibt, die keineswegs aufgelöst werden dürfen" und führt in Ickler (1997d, 371) neben den syntaktisch nicht möglichen Superlativen *das Anstoß Erregendste, *am Anstoß Erregendsten auch die „unzulässige" Form *sehr Anstoß erregend an.37 Nach Ansicht von Ickler ist auch in Bezug auf den prädikativen Gebrauch nur die zusammengeschriebene Form möglich, also nicht z.B.: *Der Beginn war Erfolg versprechend, sondern der Beginn war erfolgversprechend. 35
Gewinn, s. unten.
36
V g l . BERTELSMANN ( 1 9 9 9 , 4 2 - 4 8 ) .
37
Vgl. auch folgende Beispiele syntaktisch unmöglicher Konstruktionen: *eine äußerst Gewinn bringende Investition, *eine noch Furcht einflößendere Gestalt und *das war am Besorgnis Erregendsten (hier zitiert nach Mogensen/Meller 2001, 250).
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Jens Erik Mogensen
Im Wörterverzeichnis der amtlichen Regelung werden, was den hier in Frage kommenden Strukturtyp anbelangt, lediglich unter Gewinn zusammengeschriebene Formen verzeichnet: Gewinn [bringen/ bringend*, auch gewinnbringend, aber sehr gewinnbringend, großen Gewinn bringend.
Dieses allein stehende Beispiel fällt Ickler (1997c, 272) als Inkonsequenz auf, während Schaeder (1997, 364), das Regelwerk verteidigend, seinerseits Ickler des Irrtums beschuldigen kann, da sehr Gewinn bringend „fraglos eine ungrammatische Konstruktion" wäre. Schaeder bezieht sich dabei auf die in den Vorbemerkungen genannte Generalregel, nach der zusammenzuschreiben ist, „wenn der erste oder zweite Bestandteil in dieser Form als selbständiges Wort nicht vorkommt". 38 Unter allen Umständen muss jedoch einerseits festgehalten werden, dass im Regelteil nirgendwo auf die Möglichkeit der Zusammenschreibung bei diesem Strukturtyp eingegangen wird und dass im Wörterverzeichnis nur unter Gewinn und keinem der entsprechenden Substantive Beispiele für die Zusammenschreibung gebracht werden. Daher ist verständlich, dass z.B. BERTELSMANN (1996) nur die Getrenntschreibung angeführt hat - und ärgerlich, dass diese auch in die Wörterbücher mit Dänisch und Deutsch Eingang gefunden haben. 39 Dem Benutzer geradezu detektivische Fähigkeiten abzuverlangen, entspräche kaum den Intentionen des Regelwerks. 40 Andererseits ist erfreulich, dass die Reformer die Kritik aufgenommen haben. So schlägt Schaeder (1999c, 115) eine Änderung des Regelwerks vor, nach welcher z.B. die Toleranzregel des § 36 folgenden Wortlaut bekommen würde: „E2: In Fällen, die nicht durch § 36 und § 36 El geregelt sind, bleibt es dem Schreibenden überlassen, ob er sie als Wortgruppe oder Zusammensetzung verstanden wissen will, zum Beispiel: etw. erregt Aufsehen, Aufsehen erregend/ aufsehenerregend (aber: sehr aufsehenerregend); Energie sparende Maßnahmen, die Not leidende/ notleidende Bevölkerung (aber: die große Not leidende Bevölkerung), die Rat suchenden/ ratsuchenden Bürger (aber: die einen Rat suchenden Bürger)."
Diese Formulierung ist Teil eines (auch z.B. von Heller 1998 grob skizzierten) Vorschlages, welcher von den Kultusministern bislang leider abgelehnt worden ist, der aber auf jeden Fall in den so genannten „Konsensgesprächen", welche die Kommission mit den Verlagen geführt hat, eine maßgebliche Rolle gespielt haben wird. Es bleibe dahingestellt,
38
Schaeder (1999a, 48) expliziert dies andernorts durch Hinzufugung von Beispielen, die nicht im Regelwerk selbst angeführt sind: „So wird z.B. zusammengeschrieben, wenn der erste oder zweite Bestandteil in dieser Form (und Bedeutung) nicht selbständig vorkommt (wie z.B. in wissbegierig, schwerstbehindert und blauäugig, zuinnerst und auch in erfolgversprechenderV" (In dem zuletzt genannten Beispiel muss vermutet werden, dass die Komparativform gemeint ist). 39
40
Z . B . DANSK-TYSK ORDBOG ( 1 9 9 9 ) u n d TYSK-DANSK ORDBOG ( 1 9 9 9 ) . Z . B . m i t d e n d ä n i s c h e n
Verlagen wurden keine „Konsensgespräche" geführt. .Adressaten des amtlichen Regelwerks sind [...] weder Fachleute der Linguistik [...] noch [...] die Vertreter der Ministerialbürokratie [...]; vielmehr soll es [...] in der Form eines Erlasses eine für linguistische Laien verständliche Darstellung der amtlichen Regelung der deutschen Orthographie bieten und als Grundlage für die Ausarbeitung orthographischer Regelwerke, Wörterbücher und Lehrwerke aller Art für je unterschiedliche Adressaten dienen" (Schaeder 1997, 354).
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Die Orthografie im GWDS
ob es sich dabei um eine Außerkraftsetzung des Regelwerks oder um eine Interpretation desselben handelt.41 Schaeders Vorschlag stimmt in wesentlichen Punkten mit dem Vorschlag von Mogensen/ Moller (2001, 252) überein. Doch kann - entgegen der Meinung von Schaeder - m.E. nicht von einer „Toleranzregel" die Rede sein, weil die Wahl der Formen nicht einfach dem Schreibenden frei überlassen werden kann. Die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung ist, was auch implizit aus den Beispielen bei Schaeder sowie dem Eintrag unter Gewinn hervorgeht, vielfach o b l i g a t o r i s c h von syntaktischen Faktoren abhängig. So wird bei Mogensen/ Moller obligatorisch die Getrenntschreibung für solche Fälle reserviert, in denen das Substantiv erweitert ist (ein größtes Mitleid erregender Zustand, eine absoluten Respekt einflößende Persönlichkeit, eine tiefstes Staunen erregende Nachricht, eine großen Trost spendende Nachricht, ein mehr Mitleid als Zorn erregender Zustand), während die obligatorische Zusammenschreibung für die Erweiterung des Grundwortes bzw. für die Komparation vorgesehen ist (ein äußerst mitleiderregender Zustand, eine äußerst respekteinflößende Persönlichkeit, eine sehr staunenerregende Leistung, eine außerordentlich trostspendende Nachricht, ein mitleiderregenderer Zustand, die am respekteinflößendste Persönlichkeit). Für Fälle, in denen weder das Substantiv noch das Grundwort erweitert ist, wird eine „Neutralstufe" mit beiden Möglichkeiten (z.B. ein Mitleid erregender Zustand, ein mitleiderregender Zustand) vorgeschlagen. Dieser Vorschlag müsste allerdings dahingehend präzisiert werden, dass die Wahl der einen oder der anderen Form auf dieser Stufe nicht einfach dem Schreiber „frei" überlassen werden kann, sondern vielfach kontextabhängig und an der unterschiedlichen Betonung ablesbar sein wird (vgl. das Beispiel von Schaeder: Aufsehen erregend vs. aufsehenerregend). Wie verhält sich nun das GWDS angesichts dieser Problematik? Tabelle 6 zeigt ein etwas uneinheitliches Bild:
ABSCHEU + ERREGEND ACHTUNG + GEBIETEND AUFSEHEN + ERREGEND
BESORGNIS + ERREGEND DIENST + HABEND 41
Getrenntschreibung
Zusammenschreibung
eine [großen] A. erregende Handlungsweise eine A. gebietende (imponierende) Persönlichkeit ein [viel] A. erregender Film
eine äußerst -e Handlungsweise; das ist ja a.
ein [große] B. erregender Zwischenfall der Dienst habende, tuende
ein [höchst] -es Ereignis; seine wissenschaftlichen Arbeiten waren [äußerst! a eine äußerst -e Inflationsrate; sein Zustand ist b.
Ickler (1997b, 274) fuhrt in Bezug auf Zusammenschreibungen im Duden-Universalwörterbuch von 1996 an, dass das amtliche Regelwerk „hier und in anderen Fällen stillschweigend außer Kraft gesetzt" worden ist, während z.B. bei Niederhauser (2001, 266) diplomatisch von ,Auslegungsschwierigkeiten" die Rede ist: „Die meisten Änderungen gegenüber den Angaben im Duden von 1996 betreffen die Getrennt- und Zusammenschreibung, bei denen nun mehr Doppelformen verzeichnet sind, weil bestimmte zusammengeschriebene Formen wieder ihren Platz im Duden erhalten haben, etwa furchterregend, krebserregend, hochbegabt, vielsagend, wiedersehen. [...] Diese Änderungen sind auf eine neue Auslegung der entsprechenden Abschnitte der Regelung zurückzufuhren. Das Vorkommen solcher Auslegungsschwierigkeiten sagt natürlich einiges aus über die Qualität und die Handhabbarkeit dieser Regelung."
Jens Erik Mogensen
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EHRFURCHT + GEBIETEND
EKEL + ERREGEND EPOCHE + MACHEND ERFOLG + VERSPRECHEND
ERHOLUNG + SUCHEND
FEUER + FEUER + FUNKEN FURCHT
SCHNAUBEND SPEIEND + SPRÜHEND + EINFLOßEND
FURCHT + GEBIETEND GEFAHR + BRINGEND GEWINN + BRINGEND
GLÜCK + BRINGEND HITZE + ABWEISEND KOSTEN + SPAREND
KREBS + ERREGEND/ ERZEUGEND
Beamte, Offizier, Arzt ein E. gebietendes (einflößendes, erweckendes) Schauspiel eine E. erregende Brühe in seinem E. machenden Werk ein E. versprechender Plan
Feriengebiete fur Ε. Suchende, für E. suchende Großstädter; Schierke ist das Zentrum für E. suchende Winterurlauber (Gast, Bretter 23) -sein F. speiender Vulkan F. sprühende Drachen ein F. erregender Anblick; eine [große] F. einflößende [große] F. gebietende Gestalt ein G. bringendes Verhalten Das Angebot konnte sich auf die G. bringende Nachfrage konzentrieren (Woche 2.1.98, 16). ein G. bringender Anhänger H. abweisende Asbestanzüge [hohe] K. sparende Maßnahmen, Vorschläge
PLATZ + SPAREND
mit K. erregenden, erzeugenden (karzinogenen) Chemikalien in Berührung kommen; Vorsicht beim Umgang mit K. fördernden Stoffen; die Entdeckung K. hemmender Substanzen ein P. sparendes Klappbett
PROFIT + BRINGEND
P. bringende Geschäfte
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eine äußerst e. Brühe
die vorliegenden Pläne erschienen uns wenig e.; -er dürfte eine völlige Neukonzeption des Modells sein
ein -es Ross (in der Sage) -5-H eine äußerst -e Gestalt; die Gestalt war [äußerst] f. eine äußerst -e Erscheinung ein sehr -es Geschäft; ein noch -eres Unternehmen; eine einigermaßen -e Gestaltung der Freizeit; sich g. unterhalten
die Vorschläge sind [äußerst] k.; k. planen; wenn sich der Autofahrer verstärkt darum kümmert, wie er möglichst k. sein Fahrzeug unterhält (Gute Fahrt 4, 1974, 22) die Chemikalie gilt als k., hat eine starke -e Wirkung
eine besonders -e Anordnung; p. parken ein sehr -es, noch -eres Geschäft; die Anlage ist, arbeitet [äußerst] p.
Die Zusammenschreibung ist nur in Bezug auf das substantivierte Adjektiv lemmatisiert: Diensthabende, der u. die; -n, -n " und „III. ". Auch im Hinblick auf nachfolgende Analysen sind an dieser Stelle einige Details genauer zu erläutern: Zunächst ist daraufhinzuweisen, dass Kommentare des Typs „drückt eine Verstärkung aus" - vgl. unter ,,a)" - relativ zu den in der Wörterbucheinleitung gemachten Ausführungen zur Kommentierungspraxis überhaupt nicht eingeordnet werden können. Derartige Kommentare werden ihrer Position nach (!) aus metalexikographischer Perspektive (hier des Vergleichs derartiger Kommentare in unterschiedlichen Wörterbüchern) als Ersatz einer genuinen Bedeutungsparaphrase angesehen: Sie füllen diese Stelle aus, ohne dass es im Hinblick auf inhaltliche Aspekte damit verbundener theoretischer Erwägungen gerechtfertig ist und zu rechtfertigen wäre, z. B. zu formulieren: „drückt eine Verstärkung aus". In Wolski (1986, S. 28f) werden solche Paraphrasen als „Erläuterungsparaphrasen" bezeichnet. Hier wird, um die Redeweise einfach zu halten, schlicht für entsprechende Kommentare zur Bedeutung der Ausdruck Bedeutungsparaphrase verwendet. In diesem Sinne repräsentiert die erste, unter ,,a)" angeführte, Bedeutungsparaphrase einen Verwendungstyp, der traditionell in vielen linguistischen Arbeiten und Wörterbüchern berücksichtigt worden ist. Im LGDAF (vgl. Abb. 4a) ist übrigens dieser Verwendungstyp vorteilhafter erfasst als in Wolski (1986) und Heibig (1988). Die zweite Bedeutungsparaphrase, nämlich ,,b) nur emphatisch zur Kennzeichnung der gefühlsmäßigen Anteilnahme des Sprechers, der Sprecherin und zum Ausdruck von Empfindungen", entspricht bis auf „der Sprecherin" im Wortlaut dem Kommentar aus der 1. Aufl. des DUDEN-GWB (19761981) und entsprechendem Kommentar sämtlicher Auflagen des DUDEN-U außer DUDEN-U (2001). Hierzu sind allerdings folgende Bemerkungen anzuschließen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass letztgenannter Kommentar des DUDEN-GWB (1976-1981) im Unterschied zum hier so zitierten GWDS noch unter „"II. ", dort „3.", verzeichnet ist, und zwar vereint mit „drückt eine Verstärkung aus", allerdings unter Hinzufügung der Synonymangabe wirklich, die nunmehr weggefallen ist. Weggefallen ist übrigens auch das Kompetenzbeispiel „a. keine Spur!". Erhalten geblieben sind allerdings die in Wolski (1986) so bezeichneten „Beispielparaphrasen"; vgl. „a., a.! (nicht doch!, was soll das?)"; vgl.: „3. drückt eine Verstärkung aus wirklich a. ja; a. gern; a. keine Spur!; alles, a. auch alles würde er tun; verschwinde, a. dalli!; häufig nur emphatisch zur Kennzeichnung der gefühlsmäßigen Anteilnahme des Sprechers und zum Ausdruck von Empfindungen: a) Freude, Anerkennung: du spielst a. gut!; b) Verwunderung: die ist a. dick!; c) Unwillen: die hat sich a.!; Tulla...maulte: „Mensch,
Werner Wolski
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das dauert a." (Grass, Katz 38); d) Beschwichtigung: a. meine Herrschaften; a. a. {nicht doch", was soll das!)·, a. ich bitte dich!; [...]" (DUDEN-GWB 1976-1981)
Bereits an dieser Stelle der Auseinandersetzung - zu bloß einem einzigen Wörterbuchartikel! - dürfte deutlich geworden sein, dass Hinweise auf Kommentierungsunterschiede in Wörterbüchern zugleich Hinweise auf ein kaum zu überblickendes Verwirrspiel um Kommentierungen sind: Mit Sicherheit vermag diesem Verwirrspiel (ebenso wenig übrigens wie der Darstellung dieses Verwirrspiels) kaum jemand zu folgen! Deshalb erscheint es - statt zahlreicher zusätzlicher Anmerkungen - angebracht, lediglich folgende Fragen anzuschließen, ohne Antworten mitzugeben, welche sehr ausführlich ausfallen müssten: Was sind die Gründe dafür, dass man Kommentierungsbemühungen einzig und allein darauf gerichtet hat, feminin-sprachliche Präsentationsmöglichkeiten im Sinne des Zusatzes „der Sprecherin" voll auszuschöpfen, statt sich um die Revision einer ganz unzulänglichen Abfassung der (im GWDS natürlich nicht als solche gemeinten) Bedeutungsparaphrase zu bemühen, was die eigentliche Aufgabe eines Bedeutungswörterbuchs wäre? Wieso fallt - im Vergleich zur 1. Aufl. - die Synonymangabe wirklich weg? Aus welchem Grunde wird für einige der unter ,,b)" per Kompetenzbeispiele repräsentierten Verwendungstypen (nämlich emphatisch uminterpretierte Aussagesätze und Entscheidungsfragen) überhaupt nicht das hierfür ganz wesentliche Synonym vielleicht angeführt (vgl. z. B. Hans hat aber/vielleicht einen Bart! Hat Hans aber/vielleicht einen Bart\)l Man vergleiche hiermit die Kommentierungspraxis des LGDAF.
aber [mhd., ahd. aber, aver, eigtl. — weiter weg; später; noch einmal wieder]: I. I. a) drückt einen Gegensatz aus; ljejdoch, dagegen: heute nicht, a. morgen; er schlief, sie a. wachte; Ich a. besaß seidenweiches Haar (Th. Mann, Krull 17); b) drückt aus, dass etw. der Erwartung nicht entspricht; indessen, ljejdoch: es wurde dunkel, a. wir machten kein Licht. 2. a) drückt eine Hinschränkung, einen Vorbehalt, eine Berichtigung, Ergänzung aus; doch, jedoch, allerdings: arm, a. nicht unglücklich; er trank gern, a. nicht unmäßig; Keine Lüge, a. Vereinfachungen (Koeppen, Rußland 81); b) drückt die Anknüpfung, die Weiterführung aus; jedoch: als es a. dunkel wurde, machten sie Rast. 3. drückt einen Einwand, eine Entgegnung aus: einer von uns muss es a. gewesen sein; a. warum denn? II. (Partikel; unbetont) a) drückt eine Verstärkung aus: a. ja; a. gern; alles, a.
auch alles würde er tun; verschwinde, a. dalli!; b) nur emphatisch zur Kennzeichnung der gefühlsmäßigen Anteilnahme des Sprechers, der Sprecherin und zum Ausdruck von Empfindungen : du spielst a. gut!; die ist a. dick!; die hat sich a.!; Tulla ... maulte: »Mensch, das dauert a.« (Grass, Katz 38); a., meine Herrschaften; a., a.! (nicht doch!, was soll das?): a. ich bitte dich! III. (veraltet) wiederfumj (noch in festen Wortverbindungen): a. und abermals (immer wieder).
Abb. 4: Wörterbuchartikel zur Partikel aber aus GWDS.
Modalpartikeln im GWDS
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fiber1 Konjunktion; 1 verwendet, um e-n Nebensatz einzuleiten, der e-n Gegensatz zum Vorausgegangenen ausdrückt « jedoch: Jetzt habe ich keine Zeit, a. morgen 2 verwendet, um e-e Behauptung einzuschränken a allerdings: teuer, a. gut: Er ist alt, a. noch sehr rüstig-. Er ist zwar nicht reich, dafür a. gesund 3 verwendet, um e-n Einwand vorzubringen od. um j-m zu widersprechen: A. nein!·, A. warum denn?; A. das kann doch nicht wahr sein! || NB: Bei aber steht das Verb (im Gegensatz zu weil, daß, obwohl o. ä.) nicht am Ende des Satzes aber* Adv; betont, veraltend; verwendet, um e-e große Zahl zu intensivieren: tausendu. a. tausend || NB: nur in festen Wendungen mit Wiederholungen Sbei" Partikel; unbetont; 1 verwendet, um auszudrücken, daß etw., das man feststellt, ungewöhnlich ist od. nicht so zu erwarten war « vielleicht: Das hast du a. fein gemacht! (mst gegenüber Kindern verwendet); Ist das a. kalt!; Hast du a. viele Kleider! 2 verwendet in Aufforderungen, um auszudrücken, daß man ungeduldig wird: Jetzt sei a. endlich still!; Nun hör a. mal auf! 3 verwendet, um Ärger auszudrücken: A. (, a.)!; A. Kinder, was soll denn das?; Wie kann man a. auch nur so dumm sein? 4 verwendet, um die Antwort auf e-e Entscheidungsfrage zu verstärken: „Kommst du mit?" - „A-jaj A.gemj A. sicher IA. natürlich!" Abb. 4a: Wörterbuchartikel zur Partikel aber aus LGDAF. Zu (2): Das Lemmazeichen doch: Für doch stellt sich die Analyse von Funktionstypen und ihnen zuzuordnenden Verwendungstypen als sehr komplex dar. In Heibig (1988) werden für den Funktionstyp der Modalpartikel (dort „Abtönungspartikel") gleich sieben Verwendungstypen unterschieden: doch\ bis docliT. Außerdem wird dort doch% als „Antwortpartikel" angesetzt: „isoliert oder abgesondert als Satzäquivalent, als Antwort auf eine Entscheidungsfrage oder Aussage mit expliziter Negation; betont" (vgl. „Hat er nicht meistens recht? Doch"). Des Weiteren kommen hinzu:„Homonyme als koordinierende Konjunktion" (vgl. „Er wollte baden gehen, doch es regnete") und „als Adverb" („Es war ihm verboten zu schwimmen, er hat es doch getan"), wo das betonte doch im Unterschied zur Abtönungspartikel „durch dennoch oder trotzdem substituiert werden" kann; vgl. Heibig (1988, S. 119): „Es regnet doch" (betont ist „regnet": Abtönungspartikel) versus „Es regnet doch" (betont ist „doch": Adverb). Wenn man sich hieran orientiert (und nicht an Wolski 1986,460ff, wo die Zuordnungen etwas anders sind), dann wird mit Blick auf die Kommentierung im GWDS und den vergleichend hinzugezogenen Wörterbüchern zunächst folgendes deutlich: In sämtlichen Wörterbüchern werden die Funktionstypen , und unterschieden (hier also Funktionstyp mit Betonungsangabe). Nur im LGDAF aber werden die Funktionstypen als homonym interpretiert („doch1 Konjunktion" etc.), in sämtlichen Duden-Wörterbüchern aber als polysem. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der
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Werner Wolski
Artikeltext des GWDS im Wortlaut demjenigen sämtlicher Auflagen des DUDEN-U entspricht. Nur in der 1. Aufl. des großen Wörterbuchs, hier zitiert als DUDEN-GWB (1976-
1981), war dies anders: Dort war die Funktionstypbezeichnung „" noch nicht berücksichtigt; der einzige Verwendungstyp als unbetonte Modalpartikel findet sich dort unter ": „"5. gibt einer Frage, Aussage, Aufforderung od. einem Wunsch eine gewisse Nachdrücklichkeit: [...]". Auch wenn die Kommentierung - relativ zu der hier wie bereits in Wolski (1986) vertretenen Auffassung - nicht als vorteilhaft anzusehen ist und die Verwendungstypen etwas anders differenziert sind, seien hier der einfachen Orientierung wegen in verkürzter Form die in Heibig (1988, S. 111-117) unterschiedenen Verwendungstypen für doch als Modalpartikel angeführt: (a) (b)
(c)
(d)
(e) (f)
(g)
„in Aussagesätzen; unbetont": „Bestätigt eine Einstellung, drückt eine Verstärkung aus durch Erinnerung an Bekanntes" [etc.]: „Er ist doch ein sehr erfahrener Chirurg"; „in Aussagesätzen, unbetont": „Bezieht sich reaktiv auf vorangegangenen Sprechakt (Vorgängerzug) und stellt zwischen ihm und der durch doch2 kommentierten Aussage einen leichten Widerspruch her [etc.]": „A: Mach das Fenster zu! B: Es ist doch viel zu warm im Zimmer"; „in Aufforderungssätzen; unbetont": „Reaktiv und konnektierend zum vorangegangenen Akt des Gesprächspartners [...] verstärkt eine Aufforderung und drückt damit Wunsch nach Änderung aus, kann dringend [...] wirken": „Schrei doch nicht immer so!"; „in Ergänzungsfragen; unbetont": „Drückt aus, dass mit der Frage an Bekanntes, aber Vergangenes und in Vergessenheit Geratenes erinnert wird, das der Sprecher vom Hörer (wieder) erfahren will": „Wer war das doch gleich?"; „in Sätzen, die der Intonation nach Entscheidungsfragen sind, aber die Wortstellung von Aussagesätzen haben (Zweitstellung des finiten Verbs) [...]": „Du bleibst doch zu Hause?"; „in Ausrufesätzen mit Zweitstellung des finiten Verbs, entweder mit einleitendem Fragewort (Wortstellung der Ergänzungsfrage) oder ohne einleitendes Fragewort [...]: „Das ist doch die Höhe!" „in Wunschsätzen (die der Form nach selbständige eingeleitete oder uneingeleitete Konditionalsätze sind) [...]": „Käme der Brief doch bald!"; Synonyme sind hier nur und bloß.
Wenn man hiermit die Kommentierung aus dem GWDS vergleicht, wird sofort deutlich: Die Bedeutungsangabe unter „1." entspricht den Kompetenzbeispielen nach: (a) (b), (c), (e) und (f), wobei im GWDS nur und bloß nicht als Synonyme angeführt werden, was als großes Defizit betrachtet werden muss; „2." entspricht nochmals (f), die Bedeutungsangabe unter „3." entspricht wie die unter „1." ebenfalls (e), die unter „4." entspricht (d). dpch [mhd. doch, ahd. doh]: I. aber: ich habe mehrmals angerufen, d. er war nicht zu Hause. II. 1. (immer betont) dennoch: er sagte es höflich und d. bestimmt. 2. (mit Inversion der vorangehenden Verbform) schließt eine begründende Aussage an: er schwieg, sah er d., dass alle Worte sinnlos waren. 3. (immer betont) als gegensätzliche Antwort auf ei-
Modalpartikeln
im GWDS
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ne negativ formulierte Aussage od. Frage in Konkurrenz zu »ja« bei einer positiv formulierten Frage u. in Opposition zu »nein«: »Das stimmt nicht!« - »Doch!«; »Du willst wohl nicht?« - »Doch, d.«. 4. (stark betont> bestätigt eine Vermutung od. weist auf einen Sachverhalt hin, den der Sprecher zunächst nicht für wahrscheinlich hielt: also d.; man kann sich eben d. auf ihn verlassen; er blieb dann d. zu Hause. III. (Partikel; unbetont) 1. gibt einer Frage, Aussage, Aufforderung od. einem Wunsch eine gewisse Nachdriicklichkeit: es wird d. nichts passiert sein?; das hast du d. gewusst; ja d.!; pass d. auf!; er ist d. kein Kind mehr; komm d. mal her!; wenn sie d. endlich ginge!; so hör d. mal! 2. drückt in Ausrufesätzen Entrüstung, Unmut od. Verwunderung aus: das ist d. zu blöd!; du musst d. immer zu spät kommen!; was man d. alles so hört! 3. drückt in Fragesätzen die Hoffnung des Sprechers auf eine Zustimmung aus: ihr kommt d. heute Abend?; du betrügst mich d. nicht? 4. drückt in Fragesätzen aus, dass der Sprecher nach etwas eigentlich Bekanntem fragt, an das er sich im Moment nicht erinnert; noch: wie heißt er d. gleich?; wie war das d.? Abb. 5: Wörterbuchartikel zur Partikel doch aus GWDS. Hinzugefügt werden muss allerdings: Größere Unterschiede bestehen hier im Hinblick auf die Kommentierungspraxis generell (!) sowie im Hinblick auf die zu unterscheidenden Verwendungstypen der betonten Modalpartikel zwischen Wolski (1986) einerseits, und Heibig (1988) sowie GWDS andererseits. Das Kommentierungsvokabular des DUDENGWB (1976-1981) und des DUDEN-U (1. Aufl.: 1983) ist in Wolski (1986) bereits im Zusammenhang einer Analyse sämtlicher Schichten des Kommentierungsvokabulars älterer und neuerer deutscher allgemeinsprachlicher Wörterbücher ausführlich untersucht worden. Dazu sei an dieser Stelle nur angemerkt: Im GWDS findet sich für das Lemmazeichen doch, hier Funktionstyp „III. ", neben Satzartenbezeichnungen ausschließlich Kommentierungsvokabular, das immer schon eine Rolle als Indikatoren für die Kommentierung von Modalpartikeln diente: „Nachdrücklichkeit", „Entrüstung, Unmut od. Verwunderung" etc. Aus dem Vorliegen derartiger Vokabeln in älteren Wörterbüchern konnte der Schluss gezogen werden, dass (relativ zu einer Partikeltheorie) genuine MPVerwendungstypen kommentiert werden. Ähnliches Kommentierungsvokabular findet sich - neben sehr vielen bildungssprachlichen und sprachwissenschaftlichen Ausdrücken - im Rahmen der eigentlich nur als „Analyseskizzen" ansprechbaren (vgl. zu dieser Vorstufe eigentlicher Wörterbuchartikel Wolski 1986) Einzeldarstellungen aus dem so bezeichneten
Werner Wolski
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„Lexikon" deutscher Partikeln, nämlich Heibig (1986). Dass ζ. Β. mit „Entrüstung, Unmut od. Verwunderung" (vgl. GWDS unter „2.") nicht die Bedeutung der Partikel kommentiert wird, zeigt hier wie sonst die Gegenprobe: Wenn man die Partikel weglässt, trifft die Kommentierung immer noch zu!! In Wolski (1986) wurde auf derartige Schichten des Kommentierungsvokabulars auch deshalb vollkommen verzichtet; Schichten des Kommentierungsvokabulars sind dort „Sprecher", „Bezugsbereich" etc.; vgl.: „bestätigt der Sprecher eine Einstellung im Bezugsbereich von d. [...] und schließt eine andere aus" bzw. „lässt eine andere als möglich zu", u. a. m. (vgl. die voll-
ständig ausgearbeiteten Artikeltexte, S. 50Iff). Auch wurde als Relationsprädikat (aus den in Wolski 1986 erläuterten Gründen) „steht in" gewählt; im LGDAF übrigens findet sich ein ähnliches Relationsprädikat durchweg, nämlich:„verwendet in" bzw. „verwendet, um...". Das GWDS hingegen schließt durchweg an das traditionelle „drückt... aus" bzw. daneben auch „gibt" an (vgl. GWDS: „gibt einer Frage [...] eine gewisse Nachdrücklichkeit"). Zu (3): Das Lemmazeichen eben: Artikel zu dem Lemmazeichen eben sind relativ überschaubar, da die Anzahl zu berücksichtigender Verwendungstypen gering ist. In Orientierung an Traditionen der Kommentierung (aufgezeigt in Wolski 1986) und der in Heibig (1988) gegebenen Darstellung sind außer den Funktionstypen als Partikel zu berücksichtigen: das Adjektiv eben (z. B.: Dort ist es eben/flach)
sowie das Adverb eben (z. B. Eben/soeben
ist er angekommen),
mit jeweils
mehreren Verwendungstypen. Für die Modalpartikel werden in Heibig (1988, S. 120-124) unterschieden: (a) (b)
„eben, (Abtönungspartikel) [...] in Aussagesätzen; unbetont [...]", z. B. „Das Spiel ist eben verloren. (Wir können es nicht ändern.)"; „eben2 (Abtönungspartikel) [...] in Aufforderungssätzen, unbetont", z. B. „Arbeite eben schneller! (wenn es nicht anders geht)".
Es werden folglich zwei Verwendungstypen unterschieden. Wichtig ist der Hinweis darauf (vgl. dortige Anmerkungen), dass eberti „weitgehend durch halt/ austauschbar" ist, eben2 durch halt2. Des Weiteren ist zu beachten, dass bei Anfuhrung einer isolierten Satzäußerung Mehrdeutigkeit gegeben sein kann: In Abhängigkeit vom Satzakzent kann eben in „Sie ist eben hier gewesen" Adverb oder Modalpartikel resp. Abtönungspartikel sein, in „Dort ist es eben" Adjektiv oder Abtönungspartikel (vgl. Heibig 1988, S. 124). Daraus müsste sich in einem Wörterbuch die Kommentierungsaufgabe ergeben, unter Anführung eines kurzen Dialogbeispiels und entsprechenden Verweises auf unterschiedliche Lesarten aufmerksam zu machen. Abgesehen vom Funktionstyp der Modalpartikel werden in Heibig (1988) angesetzt: „eben3 (Gradpartikel)" und „eben4 (Antwortpartikel)". Als Gradpartikel steht eben „vor (selten: nach) Bezugsglied (Substantivgruppe oder Präpositionalgruppe mit Zahlwort, Demonstrativum oder Possessivum, Adverb); zumeist unbetont (Bezugsglied in der Regel betont) [...] Exklusiv und hervorhebend, [Kommasetzung sie!] hebt das Bezugsglied in besonderer Weise hervor (= gerade, genau)·, [...]" (Heibig 1988, S. 122).
Als Antwortpartikel steht eben „isoliert, außerhalb des Satzverbandes, als Reaktion auf eine Aussage und seltener auf eine Entscheidungsfrage (dann in Kombination mit anderen Ant-
Modalpartikeln im GWDS
95
wortpartikeln); betont" (Heibig 1988, S. 123). Der Ausdruck bzw. das Lemmazeichen eben wird folglich in Heibig (1988) als dreifach homonym interpretiert: eben als Adjektiv, als Adverb, und als Partikel (darunter: Modalpartikel, Gradpartikel, Antwortpartikel). Relativ zu dieser Darstellung hebt sich zunächst hervor, dass eben im GWDS (entsprechend auch in älteren Auflagen des großen Wörterbuchs, wie in Auflagen des DUDEN-U) als zweifach homonym angesetzt ist: 'eben sowie 2eben mit „I. " und „II. ; vgl. Abb. 6. Unter den allgemeinen (nicht nach Funktionstyp spezifizierten) Partikelindikator „" ist im ersten Kommentar ein Verwendungstyp als Modalpartikel berücksichtigt: „1. verstärkt eine [resignierte] Feststellung, fasst bestätigend Vorangegangenes zusammen [...]". Dieser Verwendungstyp entspricht eberii aus Heibig (1988); völlig ausgelassen wird aber „eben in Aufforderungssätzen" (eben 2 in Heibig 1988). Die anderen Verwendungstypen, die unter „2." und „3." angeschlossen werden, sind ausschließlich solche zur Gradpartikel. Die Antwortpartikel (relativ zu Heibig 1988) wird unter „I. ", dort unter „3.", berücksichtigt. Entsprechend der sonstigen Kommentierung von Partikeln im GWDS ist das Kommentierungsvokabular völlig traditionell gehalten: Das unspezifische „verstärkt" wird sowohl für die Kommentierung des Verwendungstyps von eben als Modalpartikel veranschlagt, als auch für den als Gradpartikel (hier zusätzlich auch „schwächt...ab"). In Klammern hinzugefügt findet sich außerdem ein bildungssprachlicher Ausdruck: „[resignierte]". Insgesamt zeigt sich selbst am Beispiel eines wenig komplexen Artikels, dass im GWDS - wie auch immer geartete - Ergebnisse der Partikelforschung völlig ignoriert werden: Nicht nur ist der Verwendungstyp von eben in Aufforderungen bzw. Aufforderungssätzen ausgelassen, sondern auch das völlig unentbehrliche Teilsynonym halt. Von einer solch ignoranten Kommentierungspraxis hebt sich die des LGDAF in vorteilhafter Weise (dort unter „eben3 Partikel·') ab: Beide Verwendungtypen des Funktionstyps werden erfasst; zu jedem wird als Äquivalent ein Verwendungstyp von halt angeführt; das Kommentierungsvokabular ist aussagekräftig; vgl. dazu die Ausfuhrungen in Wolski (1998, S. 165-168), die an dieser Stelle nicht wiederholt werden; vgl. aber folgenden Ausschnitt zum Vergleich: „1 unbetont·, verwendet, um auszudrücken, dass e-e (oft negative) Tatsache unabänderlich ist, hingenommen werden muß ~ halt1 (1): Das ist e. nicht mehr zu ändern; Du musst dich e. damit abfin-
den, dass er dich nicht mag 2 unbetont·, verwendet bei e-r Aufforderung, um auszudrücken, dass etw. als einzige Lösung e-s Problems angesehen wird ~ halt1 (2): Dann fahr e. mit dem Bus (wenn dein Auto kaputt ist)" (LGDAF, s. V. eben ).
Werner Wolski
96 ' e b e n (Adj.) [mhd. eben, ahd. e b a n gleich (hoch), flach, H.u.]: 1. gleichmäßig flach [u. horizontal]: Einzelne Häuser, kleine Baumgruppen und Wasserläufe in -em Land bestimmen das Bild (Berger, Augenblick 25); der Weg verläuft e. 1.glatt, geebnet: ein -er Weg; die Bahn ist e.; den Boden e. machen (ebnen, glätten); zu -er Erde (in Höhe des Erdbodens: im Erdgeschoss); Das Monument aus dem Jahre 1986... zeigt uns keine Heroen der Geschichte auf dem hohen Sockel, sondern zwei müde, bärtige alte Männer zu -er Erde (SZ 20. 1. 99, 10); Ende November beginnen in der »Kulturinsel« wieder die Bauarbeiten. Unter dem Dach entsteht eine vierte Bühne und zu -er Erde eine Galerie (Spiegel 43, 1994, 228). z e b e n [mhd. ebene = soeben; genau, ahd. ebano = gleich; gemeinsam]: I. (Adv.)
1, a) in diesem Augenblick; soeben; gerade jetzt: e. tritt er ein; e., da ich das sage, fällt mir ein, dass...; Er sieht das... Gartentor vor sich, durch das e. ein Kübelwagen fährt (Härtling, Hubert 51); b) gerade vorhin: er war e. noch hier; was hast du e. gesagt?; Diese Maßnahmen sowie das e. gesprochene Urteil... (NZZ 30.8.86,19); Die Kinder eines e. Verstorbenen interessieren sich im Allgemeinen nicht dafür (Dönhoff, Ostpreußen 126); c)(landsch.) für lganz} kurze Zeit; [nur ganz] kurz; schnell, rasch einmal: kommst du e. [mal] mit?; Meinst du, ich kann e. mal in den Garten gehen? (Danella, Hotel 137); Einen Augenblick noch...! Ich muss e. noch etwas bei den Elektrikern nachprüfen (Kessel [Übers.], Patricia 49). 2. gerade noch; mit Mühe u. Not: mit drei Mark komme ich [so] e. [noch] aus. 3. bestätigt, oft allein stehend u. am Satzanfang, dass der Sprecher gleicher Ansicht ist, das zuvor Gesagte auch schon geäußert hat: »Ich glaube, wir müssen gehen.« - »Ja e.«; »Morgen hat Oma Geburtstag, aber wir haben noch immer kein Geschenk!« »Eben [eben]!« II. (Partikel; unbetont) 1. verstärkt eine [resignierte] Feststellung, fasst bestätigend Vorangegangenes zusammen: er ist e. zu nichts zu gebrauchen; das ist e. so; du hättest ihn e. nicht heiraten sollen; Wir waren e. alle Luft für ihn (Ern£, Fahrgäste 125). 2. verstärkt eine Aussage, eine Behauptung; gerade (III), genau (II): das wäre mir nur e. recht; e. jetzt brauchen wir das Geld; Sie hoben den Gegenstand auf, e. diesen Stein (Jahnn, Geschichten 73); das e. nicht! 3. schwächt eine Verneinung ab: sie war nicht e. freundlich (war ziemlich unfreundlich) zu ihm ; er ist nicht e. (nicht gerade) ein Held.
Abb. 6: Wörterbuchartikel zum Lemmazeichen eben aus GWDS.
Modalpartikeln im GWDS
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Zu (4): Das Lemmazeichen schon·. Im Vergleich zu doch stellt sich fur schon die Darstellung von Funktionstypen und jeweiligen Verwendungstypen als nochmals erheblich komplexer dar: Außer Funktionstypen für schon als Modalpartikel (betont, unbetont) sind hier zu berücksichtigen: -
: in Heibig (1988, S. 211) als Homonym angesetzt: „Sie ist schon angekommen. (= bereits)"; : In Heibig (1988) werden dazu drei Verwendungstypen angesetzt, in Wolski (1986) ebenfalls, aber völlig anders gefasst; vgl.: „in Aussagesätzen", die weiter differenziert werden (z. B. „s. der Gedanke daran ist schrecklich"), „in Entscheidungsfragen, dem Bezugsbereich vorangestellt'. Macht ihn s. ihre Stimme nervös?", ,jteht in Nebensätzen mit weil, damit, um ... zu: Das ist gut, s. weil es von ihm kommt [...]" (Wolski 1986, S. 507f).
Für den Funktionstyp der unbetonten Modalpartikel werden in Heibig (1988) schon\ bis schon5 angesetzt; ebenfalls fünf Verwendungstypen sind in Wolski (1986) berücksichtigt; dort wird (vgl. die nachfolgende verkürzte Darstellung) allerdings der Verwendungstyp „in Aussagesätzen" nicht, wie in Heibig (1988), aufgespalten in zwei Verwendungstypen; stattdessen wird der in Heibig (1988) nicht berücksichtigte Verwendungstyp „steht in Ausrufesätzen zusätzlich zu der hervorhebenden Betonung: Das wirst du s. noch bereuen! [...]" berücksichtigt (vgl. Wolski 1986, S. 506), eruiert auf der Basis der Berücksichtigung verfügbarer sprachwissenschaftlicher und lexikographischer Ergebnisdarstellungen. Um Besonderheiten der Kommentierung im GWDS aufzeigen zu können, seien zunächst die Verwendungstypen für die unbetonte und alternativ auch betonte Modalpartikel nach Heibig (1988) angeführt, sodann die für die betonte Modalpartikel, die in Heibig (1988) gleichzeitig auch als „Antwortpartikel" verzeichnet ist; auch hierfür sei jeweils nur ein einschlägiges Beispiel angeführt: (a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)
„in Aussagesätzen mit Zukunftsbedeutung; unbetont [...]" : „Unsere Schüler schaffen das schon"); „in Aussagesätzen ohne Zukunftsbedeutung; betont oder unbetont [...]: „Das Fleisch ist schon schmackhaft (, aber [Komma sie!] leider kalt)"; „in Ergänzungsfragen; unbetont [...] steht in einer rhetorischen Frage ohne FrageIntention": „Wer konnte ihm schon helfen? (Niemand.)"; „in Aufforderungssätzen; unbetont" [...]: „Setz dich schon hin!"; „in (mit wenn eingeleiteten) Konditionalsätzen; unbetont" [...]: „Wenn er schon an die Ostsee fährt, will er auch baden"; „(Abtönungspartikel/Antwortpartikel) [...] in elliptischen Sätzen, nach einzelnen Satzteilen [...]; betont" [...]: ,A: Niemand hat heute bei mir angerufen. B: Die Mutter schon"; „(Abtönungspartikel/Antwortpartikel) [...] isoliert oder gesondert vom Satzverband; betont" [...]: „A: Der Lehrer ist etwas nervös. B: Schon (, aber er ist auch sehr tüchtig)".
Abgesehen von Verwendungstypen mit unbetontem schon wird in Wolski (1986) für die beiden Verwendungstypen unter (f) und (g) danach differenziert, ob schon „in Aussagesätzen, sowie nach Aussagesätzen und Fragesätzen" steht, „die keine verneinenden Ausdrücke enthalten" einerseits, „nach Aussagesätzen und Fragesätzen, mit verneidenden Ausdrücken" andererseits; im letzteren Fall kann schon durch wohl in einer seiner Bedeutungen ersetzt werden: „Man kann damit nicht rechnen" - „Man kann damit s. rechnen". Darauf wird z.B. in Heibig (1988) erstaunlicherweise nicht hingewiesen, obwohl in mehreren anderen Arbeiten aus der Partikelforschung ähnlich differenziert wird.
98
schon [mhd. schön(e), ahd. scöno, urspr. Adv. von tschön, über »auf schöne, gehörige Art u. Weise« u. »vollständig« zur heutigen Bed.]: l.(Adv.) l.a)drückt aus, dass etw. früher, schneller als erwartet, geplant, vorauszusehen eintritt, geschieht od. eineetreten. geschehen ist: sie geht es s. so schlecht genug. II. 1. „Gesprächspartikel"), sondern auch die Funktionsbeschreibung: 1. Auflage: „Ausruf zum Ausdruck des plötzlichen Verstehens, der plötzlichen Erleuchtung" -> 3. Auflage: „dient dazu, eine Information zu bestätigen, auszudrücken, dass man etw. verstanden hat"; das einzige Beispiel wurde beibehalten: „aha, so hängt das zusammen". Ohne Zweifel deckt die neue, vielleicht durch Kühn (1979) inspirierte Formulierung mehr alltägliche Verwendungen von aha ab als die alte, z.B. die folgende in einem Beispiel der IdS-Grammatik: „A: Ich kriege jede Woche fünfzig Mark. - N: aha dankeschön." (Hoffmann 1997, 386); der Nebenkläger Ν signalisiert hier keine „plötzliche Erleuchtung", sondern bestätigt lediglich dem Angeklagten Α den Informationswert seiner Aussage. Zwei weitere Gesprächsbeispiele der IdSGrammatik jedoch zeigen Funktionen des aha, die der Wörterbuchartikel nicht verzeichnet: Bekräftigung, dass der Partner endlich auf dem richtigen Denkweg ist; ironische Bestätigung einer erwarteten Mitteilung. Überdies fehlen im Wörterbuch Hinweise auf häufige Rückmeldungsfunktionen des aha: z.B. Signalisierung von Schadenfreude, Zweifel oder vorläufiger Akzeptanz (zur unterschiedlichen Prosodie dieser Verwendungstypen s. weiter unten). Infolgedessen bleibt dort die Charakterisierung von aha als Gesprächswort blass und gelangt nicht dazu, unterschiedliche Verwendungen „unter gesprächsanalytischen Gesichtspunkten auf eine gemeinsame Grundfunktion zurückzufuhren" (Kühn 1979,295). Als weiteres Beispiel sei die Partikel ey erwähnt. Während diese in der 1. Auflage noch fehlte, kann man jetzt lesen: „ey [ei] [engl.] (ugs.]: 1. Ausruf, der Erstaunen, Überraschung ausdrückt: ey, das ist cool! 2. Ausruf, der Empörung, Abwehr ausdrückt: ey, Mann, das kannst du doch nicht machen!" So weit, so gut; unberücksichtigt bleiben jedoch spezifisch jugendsprachliche Verwendungen mit konversationeilen Funktionen: Adressierung, Aufmerksamkeitserregung, Intensivierung und Gliederung, die beiden letzteren „prä-
Gesprächswörter im GWDS
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federt turnfinal", wie Schlobinski u.a. (1993,137ff) an ihrem Korpus zeigen: A: die is aber nich mehr normal ey. - B: echt ey. Angesichts der jugendsprachlichen Wörterbucheinträge zu Lemmata wie ätzend, fett, affengeil oder heavy kann man die genannten Lücken kaum auf Enthaltsamkeit gegenüber dieser Varietät zurückfuhren, sondern eher auf die Filterwirkung des traditionellen Inteijektionsbegriffs. Die beiden Beispiele sind repräsentativ für die Funktionsbeschreibimg der Gesprächswörter überhaupt: Einerseits werden Kundgabe- oder Appellfunktionen der „Inteijektionen" durch Auflistung der ausgedrückten Emotionen oder der mittels „Zuruf' zu erwirkenden Handlungen beschrieben, eine Methode, die nur bei spezialisierten Partikeln wie ih oder brr zu überzeugenden Ergebnissen führt; 10 andererseits werden die konversationellen Funktionen entweder schlicht übersehen oder bestenfalls ansatzweise erwähnt. So ist es z.B. kaum verständlich, dass trotz der ausführlichen Analysen und Formulierungsvorschläge Burkhardts, Ehlichs und Hoffmanns die unzureichende, schon von Burkhardt (1982a, 163) kritisierte Funktionsbeschreibung von na aus der 1. in die 3. Auflage des GWDS übernommen wurde, erweitert nur durch die Wörter „als Gesprächspartikel", ansonsten aber unverändert. Der Rest des Artikels präsentiert sich nach wie vor als unkommentierte und ungegliederte Beispielsammlung: eine Kapitulation vor einem der wichtigsten deutschen Gesprächswörter. Auch Burkhardts Mahnung (1989, 829), Sprecher- und hörerseitige Verwendungen von Gesprächswörtern dort, wo sie sich funktional unterscheiden, deutlich zu differenzieren, wurde bislang nicht beherzigt. Sofern Hörerrückmeldungen überhaupt einmal in den Unterpunkten z.B. von ja und hm auftreten, werden sie nicht als solche benannt. Bezeichnend ist etwa der gegenüber der 1. Auflage nur leicht überarbeitete Artikel hm: hm!: I. Laut des Räuspems, Hüsteins. II. 1. drückt (zögernde) Zustimmung aus: "Kommst du mit?" - „Hm!" 2. drückt Nachdenklichkeit od. Bedenken, auch Verlegenheit aus: hm, das ist eine schwierige Frage. 3. drückt fragende Verwunderung aus: „Ich habe im Lotto gewonnen." - „Hm?" 4. drückt Kritik, Missbilligung aus: hm, hm, das ist bedenklich.
Abgesehen von der höchst lückenhaften Ausdifferenzierung von hm II (verglichen mit Burkhardt 1982a, 16 lf; Ehlich 1986, 50ff; Hoffmann 1997, 368ff) wechseln die Gesprächsrollen in bunter Reihenfolge ab: 1: Sprecher/Hörer, 2. Sprecher, 3. Hörer, 4. Sprecher. Deutlicher kann sich der bloß etikettenhafte Gebrauch des Terminus ,Gesprächspartikel' kaum manifestieren.
2.3
Funktionsbeschreibungen
Da die Bedeutungserläuterungen bei Gesprächswörtern notwendigerweise aus Funktionsbeschreibungen und (in der Regel) nicht aus deflatorischen oder synonymischen Paraphrasen bestehen, sind sie trotz der Kritik Burkhardts (1989, 828) im GWDS zu Recht weiterhin recte und nicht kursiv gesetzt. Dagegen ergibt sich aus dem bisher Gesagten, dass an den Formulierungen vieles zu verbessern ist; in der Regel geht es dabei weniger um stilistische
10
Vgl. die Kritik Hoffmanns (1997, 402f) an der „Inflation" der dem ach zugeschriebenen Ausdrucksmöglichkeiten; sie lasse „den Verdacht aufkommen, hier seien mögliche Kontextinterpretationen als Funktionsbestimmung des in diesem Kontexten vorkommenden ach ausgegeben."
138
Helmut Rehbock
Politur als um systematische Vertiefung und begriffliche Klärung. Im einzelnen kann dem hier nicht nachgegangen werden; als Beleg reicht aber vielleicht ein Hinweis auf die unreflektierte Polysemie des häufigen Prädikators .Ausdruck' / .ausdrücken'. Schon im oben zitierten hm-Artikel variiert die Intentionalität des „Ausdrückens"; man vergleiche etwa „Verlegenheit ausdrücken" vs. „fragende Verwunderung ausdrücken". Auszudrücken vermögen Gesprächswörter aber auch „einen Zweifel" (nein), „eine Antwort" (ja, nein), „als Antwort [...] Zweifel" (so), „eine gewisse Nachdrücklichkeit" (so), „ein plötzliches unerfreuliches Geschehen" (peng), „dass auch eine Variante möglich sein kann" (oder), „dass ein Vorgang [...] ohne die geringste Verzögerung einsetzt [...] (zack), „dass man jmdm. [...] Erfolg wünscht" (toi toi toi). Ebenso changiert die Bedeutung von .Ausdruck': „Interjektionen" sind bestimmt „als Ausdruck" oder „zum Ausdruck" von Schmerz, Emotionen, Verstehen, Verneinung (all dies zu ach); sie sind aber auch „Ausdruck fur ein plötzliches Ereignis" (rums) oder .Ausdruck, mit dem jmd. kundtut, dass er über etw. nicht mehr weiter zu sprechen wünscht" (basta). Eine vergleichende Lektüre der „Inteijektions"-Artikel stellt den Leser auch vor die kaum zu beantwortende Frage, nach welchem Prinzip die betreffenden Lemmata entweder als „Ausdruck" des Schmerzes, der Freude etc. (ach, au, brr, hallo, hu, puh, wupp) oder als „Ausruf' der Freude, der Ablehnung etc. (ah, bäh, ha, ih, pfui, uh und viele andere) oder als „Ausruf zum Ausdruck" des Verstehens, des Spotts etc. (ah, ätsch, huch) beschrieben werden; eindeutiger ist allenfalls die Einordnung einiger appellativer Lemmata als „Zuruf'' (brr, he, hott, hu). Abgesehen von der Uneinheitlichkeit der Etikettierungen ist vor allem die Laxheit zu bemängeln, mit der hier sprachliche Zeichen einfach mit denjenigen kommunikativen Handlungen identifiziert werden, in denen die Zeichen häufig Verwendung finden. Diese bestenfalls prototypischen Handlungsbegriffe sind auf viele Verwendungen der betreffenden Gesprächswörter nicht anwendbar; nicht jedes ah oder oh wird .ausgerufen' und nicht jedes appellative Lemma wird dem Adressaten .zugerufen'.11 Adäquat wäre es dagegen, das für einige „Gesprächspartikel" bereits eingeführte Verb „dienen" für alle Gesprächswörter zu standardisieren: „dient zur Kundgabe von ..., zur Aufforderung zu ..." (oder alternativ: „Mittel für ...").
2.4
Phonetisch-prosodische Beschreibungen12
Ausspracheangaben in phonetischer Umschrift sind im GWDS zumeist Lexemen fremdsprachiger Herkunft vorbehalten; bei einheimischen Lexemen werden regulär nur die Betonung und zugleich die Quantität des betonten Vokals sowie die Silbengrenzen im Lemma markiert. Phonetische Angaben werden darüber hinaus gelegentlich eingesetzt, um alternative Aussprachen oder Betonungen zu kennzeichnen, so auch - seit der 1. Auflage - bei einigen Gesprächs Wörtern:
11 12
Lustigerweise fehlt beim Lemma pst eine entsprechende Kategorisierung (vielleicht: ,Zuflüsterung'?). Die Anregung Burkhardts (1989, 829), auch syntaktische Hinweise (z.B. satzassoziiert) aufzunehmen, möchte ich hier nicht diskutieren. Da der syntaktische Status der Gesprächswörter durchweg in den Beispielen zu Tage tritt, bringt eine zusätzliche begriffliche Kennzeichnung wenig Erkenntnisgewinn.
Gesprächswörter im GWDS
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äh [ε(:)]; aha [a'ha(:)]; ey [e ]; ha [ha(:)]; hä [h6(:)]; hallo 1./3. [meist: 'halo], 2. [meist: ha'lo:]; huhu 1. ['hu:hu], 2. [hu'hu:]; hurra [auch: 'hura]; ne [n leicht steigend; oder: eben leicht steigend); ein „Falltonmuster" dagegen indiziert eher verschiedene Arten der „Divergenz" (Hoffmann 1997, 368f). Man könnte einwenden, dass intonatorische „Formtypen" nicht ins Wörterbuch gehören, weil die „emblematischen" Bedeutungen der Tonmuster lexemunabhängig seien. Dies scheint in der Tat für das emphatische „Gipfeltonmuster" zu gelten, mit dem nicht nur - mit Hilfe der HM-Phone - sinnliches Behagen kommuniziert werden kann, sondern das als Intensitätsmarker für alle Emotionen (also auch Ekel, Schmerz, Freude, Erstaunen etc.) dient, die mit Gesprächswörtern kundgetan oder von anderen Lexemen konnotiert werden. 14 Derart eindeutig ist aber die Funktion der übrigen Tonkonturen nicht; wenn überhaupt, besitzen sie eine recht abstrakte Bedeutung, die auf je unterschiedliche Weise mit den Partikelbedeutungen interagiert. Darum kann aber umgekehrt z.B. nicht aus den spezifischen Bedeutungen von 'm m, nein nein, ja ja, so so abgeleitet werden, welches hier jeweils identische Tonmuster vorliegt; es besteht also Kennzeichnungsbedarf. Allerdings wird es wohl noch einiger Anstrengungen der Forschung bedürfen, bis die intonatorischen Varianten der Gesprächswörter lexikographisch befriedigend beschrieben werden können.
3
Fazit
Die Verdienste, die sich die Autoren der 1. Auflage des GWDS mit der ausführlichen Berücksichtigung der Gesprächswörter erworben haben, sollten nicht dadurch verspielt werden, dass man Ergebnisse von zwei Jahrzehnten linguistischer Forschung schlicht ignoriert. Für eine Neuauflage müssen alle Gesprächswortartikel zumindest terminologisch durchgesehen werden; bei vielen von ihnen, besonders denjenigen mit spezifischen konversationeilen Funktionen, sind eingreifende Änderungen und Ergänzungen erforderlich. Dabei sollte es die generelle Maxime der Bearbeitung sein, den Eindruck zu vermeiden, als handle es sich bei den Gesprächswörtern primär um eine Wortart der Schriftsprache oder um eine Erfindung der Poeten. Ein Wörterbuch, dem in seinem Vorwort die Aufgabe zugewiesen wird, die „deutsche Sprache des zwanzigsten Jahrhunderts [...] in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu dokumentieren", muss auch in der Lage sein, den reichhaltigen Schatz an Gesprächswörtern in Darstellung und Belegen wirklich als Wörter des Gesprächs zu präsentieren.
14
Im Einzelfall mag aber eine Notation auch dieser Tonkontur sinnvoll sein, z.B. zur Kennzeichnung von nein! als entsetzter Rückmeldung, die man paraphrasieren kann als: Das darf doch nicht wahr sein!
Gesprächswörter im GWDS
4
141
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Daniel
Strigel
Präposition-Artikel-Verschmelzungen im GWDS
1 2 2.1 2.2 2.3
Probleme eines DaF-Studenten Zur Theorie der Präposition-Artikel-Verschmelzungen Die Lemmaselektion Die Verschmelzungsangabe Markierungsangabe zu Varietäten
1
Probleme eines DaF-Studenten
2.4
Die Bedeutungsparaphrasenangabe
3
Präposition-Artikel-Verschmelzungen
4 5
Fazit und Vorschläge Literatur
(BPA) i m DUDEN- 3 GW
Chen, ein DaF-Student aus Peking, telefoniert mit einer Muttersprachlerin. Sie fragt ihn, was er am Abend vorhabe und er sagt: „Ich gehe in das Kino." - „In welches denn?", fragt sie nach, woraufhin er etwas irritiert antwortet: „Das weiß ich noch nicht, in irgendeines." „Dann musst Du sagen: ,Ich gehe ins Kino.' Nur, wenn Du ein bestimmtes Kino meinst, sagst Du ,in das'." Am Abend fahrt Chen dann mit dem Zug in ein Kino der Nachbarstadt. Ein gerade zugestiegender Fahrgast fragt ihn, wo denn der Schaffner sei. - „Der Schaffner ist in dem nächsten Wagen." - „Sie meinen, im nächsten Wagen, aber fürn Ausländer sprechen Sie wirklich gut Deutsch, vielen Dank. Dann folge ich ihm mal durchn Zug." Chen fragt sich nun, warum in diesem Fall, wo es doch um einen bestimmten Wagen, nämlich den nächsten, und um einen bestimmten Zug, nämlich den, in dem er gerade fahrt, sowie um einen bestimmten Ausländer, nämlich ihn selbst, ging, die Formen ,im', ftirn und ,durchn' gebräuchlicher sein sollen und konsultiert am nächsten Tag das GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE. Unter im findet er folgenden Eintrag: im [mhd. im(e), imme]: 1. in dem: im Haus; im Beruf; (nicht auflösbar bei geographischen Namen u. bestimmten Zeitangaben:) Freiburg im Breisgau; im Oktober; (nicht auflösbar in festen Verbindungen:) im Grunde; im Gegenteil; im Bau sein. 2. (nicht auflösbar; bildet mit dem subst. Inf. [u. „sein"] die Verlaufsform) während eines bestimmten Vorgangs; dabei seiend, etw. zu tun: dieser Schauspieler ist im Kommen; der Junge ist noch im Wachsen; Im Weggehen bat er sie, Stefan von ihm zu grüßen (Handke, Frau 37).
Unter durchn findet er keinen Eintrag, nach kurzem suchenden Lesen jedoch den Eintrag zu durchs: durchs : durch das: d. Haus laufen; d. Examen fallen; nicht auflösbar in festen Verbindungen: für jmdn. d. Feuer gehen.
Auch unter fiirn findet er keinen Eintrag, dafür einen Wörterbuchartikel mit dem Leitelement fürs:
144
Daniel Strigel
fürs (oft ugs.)·' fiir das: das Geld, das Vater ... verdiente, reichte gerade f. Essen (Schnurre, Bart 33); unauflösbar in der festen Fügung: f. Erste (zunächst, vorläufig): f. Erste reichen unsre Vorräte.
Chen ist mit Recht unzufrieden. Während er aus den gefundenen Lemmlücken noch schließen kann, dass durchn und fiirn eben in den im DUDEN-3GW berücksichtigten Stillagen nicht verwendet werden, kann er sich nicht vorstellen, dass die von Muttersprachlern angedeuteten Gebrauchsregeln von ins, in das, in dem und im darin begründet liegen, dass ins Kino gehen oder im nächsten Wagen „feste Verbindungen" sind. Dazu hat er während seines Aufenthalts in Deutschland schon zu oft solche Ausdrücke gehört.
2
Zur Theorie der Präposition-Artikel-Verschmelzungen
Die Verschmelzung (hier i.S.v. Wiegand 1998) einer Präposition mit einem im Syntagma unmittelbar folgenden Artikel ist ein häufiges Phänomen der gesprochenen und teilweise auch der geschriebenen deutschen Gegenwartssprache (vgl. (1) bis (5)). 1)
Hans geht ins (< in das) Kino.
2)
Hans geht aufs (< auf das) Eis.
3)
Hans geht zum (< zu dem) Bäcker.
4)
Hans läuft durchn (< durch den) Wald.
5)
Hans ist bei 'ner (< bei einer) Freundin.
6)
Ich geh' in'e (< in die) Schule.
Diese Präposition-Artikel-Verschmelzungen (oder, nach Schellinger 1988, P-A-Verschmelzungen) können in den terminologischen Rahmen einer Theorie zur Klitisierung bzw. Grammatikalisierung eingeordnet werden, wie in Abbildung 1 zusammenfassend dargestellt (vgl. Nübling 1992, Übersicht in Wiegand 1998):
Präposition-Artikel-Verschmelzungen
im GWDS
145
Klitische Verschmelzung (kurz: Verschmelzung)
(andere)
Enklitische Verschmelzung
Präposition-Artikel-Verschmelzung (kurz: P-A-Verschmelzung)
P-A-Verschmelzung mit nichtreduzierter Basis
Nicht-reduzierte φBasis
Enklitischer Artikel
(andere)
P-A-Verschmelzung mit reduzierter Basis
reduzierte Basis
·
Enklitischer Artikel
Abb. 1: Veranschaulichung zum terminologischen Rahmen für P-A-Verschmelzungen, mit unerheblichen Änderungen übernommen aus Wiegand 1998: 62. • Soll heißen: ist Teilklasse von; • s o l l heißen: ist Teil von; # soll heißen: geht junktorlos unmittelbar voraus.
Bei ins handelt es sich also zum Beispiel um eine P-A-Verschmelzung der nichtreduzierten Basis in mit dem enklitischen Artikel =s. Die Möglichkeit, dass sich auch reduzierte Varianten des imbestimmten Artikels an Präpositionen anlehnen, wird nur von Dedenbach 1989 und Nübling 1992 diskutiert. Dedenbach vertritt hierbei die These, dass die Formen des unbestimmten Artikels soweit reduziert werden, dass sich für jede Form Synkretismen zwischen bestimmten und unbestimmten Artikel ergeben würden: = r aus der oder einer, = s aus des oder eines, = m aus dem oder einem, = η aus den oder einen, eine Entscheidung sei nur kontextabhängig zu treffen. Nübling hält diese Annahmen für „grob vereinfacht" und „überzogen" und sieht in Dedenbachs Belegen spezielle Einzelfälle, die nicht verallgemeinert werden können (vgl. Nübling 1992: 152). Nüblings Kritik ist insofern korrekt, als dass in vielen Fällen auch unabhängig vom Kontext klar ist, dass nur der unbestimmte Artikel verschmolzen sein kann, etwa in fiir 'ne Freundin, bei 'ner Freundin, anstatt 'nes Autos, anstatt 'ner Straßenbahn, bei 'nem Freund, fiir 'nen Freund. Allerdings gibt es auch die von Dedenbach beschriebenen Fälle, in denen die Form zwar nicht eindeutig, der reduzierte Artikel aber im gegebenen Kontext tatsächlich nur auf den unbestimmten Artikel bezogen werden kann: Jemanden zum (= zu einem) Künstler machen, am (= an einem) Hang liegen'''' ^DudenGrammatik 1995: 319). Fest steht jedenfalls, dass anhand der Form der Verschmelzung allein nicht immer entschieden werden kann, ob bestimmter oder unbestimmter Artikel verschmolzen sind. Insgesamt sind etwa 100 P-A-Verschmelzungen des Deutschen belegt (vgl. v.a. Schaub 1979 und Dedenbach 1987, Übersicht in Wiegand 1998), wobei viele dieser Formen als reine Schnellsprechvarianten einzustufen sind, sodass 28 Verschmelzungen den empirischen Kern dieser Untersuchung bilden, nämlich:
146
Daniel Strigel
am, ans, aufs, aufn, aufin, ausm, beim, durchs, fürs, fiirn, hinterm, hintern, hinters, im, ins, überm, übern, übers, ums, unterm, untern, unters, vom, vorm, vors, zum, zur. (Zur näheren Begründung dieser in der Forschung häufig getroffenen Auswahl vgl. vor allem NÜBLING 1992: 183ff)
Diese Formen lassen sich nun in die drei zweckmäßigen Subkategorien einfache, spezielle und eingeschränkt-spezielle P-A-Verschmelzungen ordnen, deren jeweils auffälligste Merkmale der Zusammenhang zwischen syntaktischer bzw. semantischer Distribution von enklitischem Artikel und Vollform des Artikels sind. (Das Folgende ist die verkürzte Darstellung der Ergebnisse in Wiegand 1998: 71-77). Die einfachen enklitischen Artikel in den einfachen P-A-Verschmelzungen {aufs, aufn, aufm, ausm, durchs, fürs, fiirn, hinterm, hintern, hinters, überm, übern, übers, ums, unterm, untern, unters, vorm, vors) teilen mit den jeweiligen Vollformen des bestimmten Artikels mit unerheblichen Ausnahmen die syntaktischen Distributionsregeln: jeder Satz mit dem Syntagma aus Präposition und Artikel, der syntaktisch korrekt ist, bleibt syntaktisch korrekt, wenn das Syntagma durch die entsprechende Verschmelzung ersetzt wird und umgekehrt (vgl. (6)). (6a/b)
Ich habe Karten für das/fürs Theater am Samstag.
Die semantische Distribution des einfachen enklitischen Artikels ist mit der der Vollform äquivalent, wenn das Nominal der betreffenden Präpositionalgruppe spezifisch oder monosemantisch interpretiert wird (vgl. (7) und (8)). Die semantische Distribution ist komplementär, wenn das Nominal generisch oder phorisch gebraucht ist: die Vollform kann nicht genetisch gebraucht werden und die enklitische Form nicht phorisch (vgl. (9) und (10)). (7a/b)
Wir laufen gerade über das/übers Grundstück, dass die Gemeinde gekauft hat.
(8a/b)
Wir reden über das/übers Heidelberger Schloss.
(9a/b)
Dieser Fall gehört vors/* vor das Gericht.
(10a/b)
Alfred hat sich ein Haus gekauft. Jetzt sitzt er den ganzen vor dem/* vorm Haus.
Die syntaktische Distribution spezieller enklitischer Artikel (am, beim, im, vom, zum, zur) deckt sich wiederum weitgehend mit der der Vollformen. Die Komplementarität der semantischen Distribution erstreckt sich auf mehr Fälle als bei den einfachen P-AVerschmelzungen. Entscheidend fiir eine adäquate Darstellung ist hier die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Arten der Definitheit von Signifikanten, die im folgenden zweckmäßigerweise nach Wiegand 1998 schlicht a- und b- Definitheit genannt werden: (a) „Die Definitheit des Bezugsgegenstandes des Nominale der Präpositionalgruppe ist dadurch gegeben, daß ein bereits vor Gesprächsbeginn bestehendes, gemeinsames Wissen der Kommunikanten über den Gegenstand, der zum Äußerungszeitpunkt zum Bezugsgegenstand wird, so aktiviert werden kann, daß eindeutig ist, um welchen Bezugsgegenstand es sich handelt. (b) Die Definitheit des Bezugsgegensatndes des Nominals der Präpositionalgruppe wird zum Äußerungszeitpunkt dadurch hergestellt, daß mittels Attributen dem Bezugsgegenstand ihn identifizierende Eigenschaften zugesprochen werden." (Wiegand 1998, 73)
Demnach ist die semantische Distribution von speziellem enklitischem Artikel und seiner Vollform im Falle von spezifischer Interpretation des Nominals bei a-Definitheit komplementär: wird das Nominal spezifisch bei a-Definitheit interpretiert, kann nur der enklitische Artikel stehen (vgl. (11)). Bei b-Definitheit ist die semantische Distribution äquivalent: hier sind Vollform und klitisierte Form austauschbar (vgl. (12)). Ebenfalls komplementär distri-
Präposition-Artikel-Verschmelzungen
im GWDS
147
buiert sind die Formen bei monosemantischem Gebrauch (nur klitisierte Form zulässig, vgl. (13)), generischem Gebrauch (nur klitisierte Form zulässig, vgl. (14)) oder phorischem Gebrauch (nur Vollform zulässig, vgl. (15)). (lla/b)
Im Zug (wo klar ist, dass auf einen Waggon nur einer in Fahrtrichtung folgen Wo ist denn der Schaffner? - Er ist im / *in dem nächsten Wagen.
(12a/b)
Ich lese in dem/im Buch des Pfarrers.
(13a/b)
Wir fahren zum/*zu dem Mond.
(14a/b)
Ich muss zum/*zu dem Arzt.
(15a/b)
Der Pfarrer hat ein Buch liegenlassen. Ich lese in dem/*im Buch.
kann):
Zu erwähnen bleiben die eingeschränkt-speziellen enklitischen Artikel (ins, ans). Der semantische Zusammenhang mit den Vollformen ist hier weitgehend derselbe wie bei den speziellen enklitischen Artikeln, nur dass die semantische Distribution sich im Falle monosemantischer Interpretation deckt (vgl. (16)). (16a/b)
Ich denke an das/ans Empire State Building.
Präposition-Artikel-Verschmelzungen i m DUDEN-3GW
3
Folgende P-A-Verschmelzungen treten im DUDEN-3GW als Lemmazeichen auf: am, ans, aufs, aufh, aufm, ausm, beim, durchs, furs, fiirn, hinterm, hintern, hinters, im, ins, überm, übern, übers, ums, unterm, untern, unters, vom, vorm, vors, zum, zur. Im folgenden werden einzelne Aspekte der Artikel zu P-A-Verschmelzungen im DUDEN3 GW näher betrachtet.
3.1
Die Lemmaselektion
Nach dem DUDEN-3GW gelten 27 der etwa 100 im gesprochenen Gegenwartsdeutsch belegten P-A-Verschmelzungen als hinreichend lexikalisiert, um primär gebucht zu werden. Damit steht dieses Wörterbuch in einer grundsätzlich beschreibungsadäquaten Selektionstradition für P-A-Verschmelzungen (vgl. Wiegand 1998: 81). Zu prüfen wäre, ob die Form fiirn nicht den gleichen Status wie etwa aufm hat und gebucht werden sollte. Problematisch ist die Selektionspraxis hinsichtlich der Verschmelzungen mit dem unbestimmten Artikel. Wie oben ausgeführt, ist bei den Formen hinterm, hintern, überm, übern, unterm, untern, aufm, aufn, ausm nur kontextabhängig zu entscheiden, ob es sich um den bestimmten oder unbestimmten enklitischen Artikel handelt (vgl. etwa (17)). (17a)
Was tust du? - Ich klettere übern (< über einen) Zaun.
(17b)
Jetzt kommt ein Zaun. Was tust du? - Ich klettere übern (< über den) Zaun.
148
Daniel
Strigel
Im DUDEN-3GW tritt das Syntagma aus Präposition und unbestimmtem Artikel bei den meisten Artikel auch nicht in der BPA auf, nur bei den Artikeln zu aufin, aufti und ausm (vgl. (18)). (18)
a u f m (ugs.): auf dem, einem.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum der unbestimmte Artikel ausgerechnet bei diesen Formen sekundär gebucht ist. Eine vertretbare Praxis wäre es m.E., Verschmelzungen mit dem unbestimmten Artikel generell als nicht lexikalisiert einzuordnen und deswegen nicht zu buchen.
3.2
Die Verschmelzungsangabe
Bei den meisten der Artikel steht die Angabe „an der textuellen Position wie bei Lemmazeichen, die Wörter sind, die Wortartenangabe" (Wiegand 1998, 86). Sie sei mit Wiegand 1998 Verschmelzungsangabe genannt. Bei zwei Artikeln (aufin, aufii) fehlt eine Verschmelzungsangabe, bei einem (durchs) findet sich der Eintrag . Wie Wiegand richtig feststellt, ist die Verwendung des Pluszeichens an dieser Stelle keine gute Lösung, dort wird folgender Vorschlag für ein Muster fur Verschmelzungsangaben gegeben: „Präp.-Art.-Verschmelzung aus: Χ Y (mit „X" als Variable für Präpositionen und „Y" als Variable für Formen des d-Artikels)." (Wiegand 1998: 86)
Um dem Benutzer den Verschmelzungsprozess anzudeuten, schlage ich folgendes Muster vor: (mit „X" als Variable für Präpositionen, „Y" als Variable für Formen des bestimmten Artikels und „Z" als Variable für den entsprechenden enklitischen Artikel).
3.3
Markierungsangabe zu Varietäten
In den Artikeln zu einfachen P-A-Verschmelzungen (ausser in dem zu aufs, was ich als Versehen werte) finden sich die Markierungsangaben ugs. und seltener bes. ugs. Bei den speziellen und eingeschränkt-speziellen P-A-Verschmelzungen tritt an der Position der Markierungsangabe ein Angabeblank auf, der das entsprechende Lemmazeichen der Standardvarietät zuordnet. Es ist klar, dass jede Zuordnung zu Varietäten problematisch ist, wenn sie sich nicht auf umfangreiche empirische Analysen stützt (vgl. Wiegand 1998: 89). Ein genereller Verzicht auf Markierungsangaben würde m.E. aber zuviele soziolektale Differenzen zwischen einfachen und (eingeschränkt-)speziellen P-A-Verschmelzungen ignorieren, sodass der Versuch, diese Gebrauchsregeln zu explizieren als positiv bewertet werden muss. Meiner Sprecherkompetenz nach ist die Markierungspraxis auch weitgehend beschreibungsadäquat.
Präposition-Artikel-Verschmelzungen
3.4
im GWDS
149
Die Bedeutungsparaphrasenangabe (BPA)
Der BPA geht im DUDEN-3GW in der linearen Abfolge der Mikrostrukturelemente immer ein Doppelpunkt als Mikrostrukturanzeiger unmittelbar voraus, an dem ihr Beginn klar zu erkennen ist. Der interne Aufbau der BPA ist unterscheidet sich dann je nach Typ der beschriebenen ΡΑ-Verschmelzung . Artikeltyp 1: (19)
überm (ugs.): über dem.
Dem Doppelpunkt folgt nur das entsprechende Syntagma aus Präposition und Form des bestimmten Artikels (vgl. (19)). Ein Benutzer wird hieraus erschließen, dass die Gebrauchsregeln von Verschmelzung und Syntagma in jeder (ausser der soziolektalen) Hinsicht gleich sind. Artikel vom Typ 1 sind an solche Lemmzeichengestaltsangaben adressiert, die einfache P-A-Verschmelzungen sind. Die Information, die ein Benutzer aus diesen Artikeln erschließt, bildet die sprachlichen Gegebenheiten also nur unzureichend ab, denn wie oben gesehen sind Vollform und klitisierter Artikel bei genetischer und phorischer Interpretation nicht austauschbar. Artikeltyp 2: (20)
zur : zu der: z. Post gehen; das Gasthaus z. Linde; z. Genüge; z. Ruhe kommen; z. Neige gehen.
Dem Doppelpunkt folgt das entsprechende Syntagma aus Präposition und Form des bestimmten Artikels, gefolgt von Verwendungsbeispielen, die unter Umständen durch Teiltexte der Form nicht auflösbar in festen Verbindungen oder ähnlichem voneinander getrennt sind (vgl. (20)). Diese Teiltexte haben somit eine Funktion als Mikrostrukturanzeiger: sie zeigen den Beginn eines neuen Abschnitts der BPA an. Aus dem Ausdruck nicht auflösbar ist ausserdem erschließbar, dass Verschmelzung und Syntagma nicht in allen Fällen austauschbar sind. Grob lassen sich die Fälle, für die aus dem DUDEN-3GW eine komplementäre semantische Distribution erschließbar ist, in zwei Gruppen unterteilen: zum einen werden Verwendungen betrachtet, bei denen die Verschmelzungen Teil einer grammatischen Konstruktion sind, etwa der Verlaufsform aus im und Infinitiv oder des Superlativ aus am und der Superlativform. Diese Fälle werden im DUDEN-3GW gut beschrieben. Zum anderen werden Verwendungen in „festen Verbindungen", „festen Wendungen" bzw. „festen Fügungen" betrachtet. In der lexikographischen Einleitung des DUDEN-3GW mit dem Titel „Anlage und Artikelaufbau" wird der Ausdruck „feste Verbindung" als Hyponym zu „Idiomatische Wendungen" und „Phraseologismen" gebraucht. Andererseits sollen die „festen Verbindungen", die bestimmte Gebrauchssituationen von P-A-Verschmelzungen ausmachen, wohl von Phraseologismen unterschieden werden, denn sie sind weder „halbfett" noch durch „einen * gekennzeichnet" (vgl. DUDEN- 3GW: 24). Als Grund für diese Praxis unterstelle ich den Lexikographen, dass sie eine gewisse Ahnung davon haben, dass sich die komplementäre semantische Distribution von Vollform und klitisiertem Artikel nicht grundsätzlich mit dem phraseologistischen Charakter bestimmter Syntagmen erklären läßt.
150
Daniel Strigel
Tatsächlich handelt es sich meines Erachtens bei vielen der als „feste Verbindung" eingeordneten Einheiten nicht um Phraseologismen. So ist etwa (21c) völlig plausibel, während (22b) inakzeptabel ist, obwohl „am Ende der Ferien" ebenso als „feste Verbindung" eingestuft wird wie „beim Alten bleiben". (21a)
Ich fahre am Ende der Ferien in Urlaub.
(21b)
Am Ende der Ferien in Baden-Württemberg oder Brandenburg?
(21c)
An dem Ende der Ferien, das näher an Weihnachten liegt.
(22a)
Ich hoffe, es bleibt alles beim Alten.
(22b)
*Bei dem Alten, dass Du schon kennst oder bei dem Alten, dass neu für Dich ist?
Aus der BPA in Artikeln vom Typ 2 ist also immerhin erschließbar, dass es Fälle gibt, in denen Vollform und klitisierter Artikel nicht austauschbar sind. Die Charakteristik dieser Fälle ist aber falsch beschrieben. Artikeltyp 3: (23)
im [mhd. im(e), imme]: 1. in dem: im Haus; im Beruf; (nicht auflösbar bei geographischen Namen u. bestimmten Zeitangaben:) Freiburg im Breisgau; im Oktober; (nicht auflösbar in festen Verbindungen:) im Grunde; im Gegenteil; im Bau sein. 2. (nicht auflösbar; bildet mit dem subst. Inf. [ u. ?sein] die Verlaufsform) während eines bestimmten Vorgangs; dabei seiend, etw. zu tun: dieser Schauspieler ist im Kommen; der Junge ist noch im Wachsen; Im Weggehen bat er sie, Stefan von ihm zu grüßen (Handke, Frau 37).
Dem Doppelpunkt folgt eine arabische Ziffer mit Aufzählungspunkt und die erste von mehreren Polysemieangaben (vgl. (23)). Jede dieser Angaben ist intern entweder wie Typ 1 oder wie Typ 2 aufgebaut. Ein Benutzer wird also auf jede der Polysemieangaben einzeln zugreifen und zu Ergebnissen kommen, wie sie fur Typ 1 bzw. Typ 2 dargestellt wurden.
4
Fazit und Vorschläge
Insgesamt läßt sich also feststellen: Die äußere Selektion beschränkt sich richtigerweise nicht auf die standardsprachlich akzeptierten P-A-Verschmelzungen, sondern erfasst weitere wichtige Formen. Die (sekundäre) Buchung von Verschmelzungen mit dem unbestimmten Artikel sollte vermieden werden. Aus der Verschmelzungsangabe ist der Status von klitischen Verbindungen im Vergleich mit vollständig lexikalisierten Formen erschließbar, sie sollte beibehalten und wie vorgeschlagen modifiziert werden. Aus der Zuordnung der P-A-Verschmelzungen zu bestimmten Varietäten des Deutschen sind soziolektale Gebrauchsregeln erschließbar, die Markierungsangaben sollten beibehalten werden. Was die semantische Distribution der P-A-Verschmelzungen im Gegensatz zum Präposition·Artikel-Syntagma betrifft, beschreiben die Bedeutungsparaphrasenangaben im
Präposition-Artikel-Verschmelzungen
151
im GWDS
DUDEN-3GW die Semantik unzureichend oder falsch. Hier sollte die lexikographische Beschreibung geändert werden. Wiegand 1998 schlägt dazu vor, in mehrbändigen allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern die Austauschbarkeitsproblematik in einem Postkommentar zu Besonderheiten (B) zu beschreiben. Dies ist m.E. eine gute Lösung. Falls dieser Postkommentar jedoch nicht für die meisten anderen Artikeltypen zu einer Verbesserung fuhrt, wäre es natürlich unverhältnismäßig, nur wegen der Artikel zu P-A-Verschmelzungen diesen Eingriff ins Mikrostrukturprogramm vorzunehmen. In diesem Fall sollten die Angaben zur semantischen Distribution unmittelbar vor den Angaben zur Phraseologie bzw. am Ende des Artikels positioniert sein. Für einfache, eingeschränkt-spezielle und spezielle P-A-Verschmelzungen könnte dies wie folgt aussehen: ( i ) Artikel für Lemmzeichen, die einfache P-A-Verschmelzungen sind: v o r s
[...]
Austauschbarkeit mit vor das:> austauschbar: a wenn der Satz selbst das Bezeichnete eindeutig spezifiziert: Ich lege die Jacke vors [vor das] Fenster in der Küche, b bei gemeinsamem Vorwissen (hier darüber, das es im Wahrnehmungsraum der Kommunianten nur ein Fenster gibt): Wo soll ich die Jacke hinlegen? - Vors [vor das] Fenster, c wenn das Bezeichnete einmalig ist: Ich fahre mir dem Auto vors [vor das] Bundeskanzleramt. Nicht austauschbar: d wenn nicht etwas Spezielles bezeichnet wird, sondern eine ganze Klasse: Dieser Fall gehört vors [nicht: vor das] Gericht, e wenn vor das sich auf etwas bezieht, das bereits im vorhergehenden Text bezeichnet wurde: Ich habe das Fenster im Bad repariert. Jetzt kannst du deine Jacke vor das [nicht: vor das] Fenster legen. ( i i ) Artikel für Lemmzeichen, die eingeschränkt-spezielle P-A-Verschmelzungen sind ins [...] austauschbar, a wenn der Satz selbst das Bezeichnete eindeutig spezifiziert: Ich gehe ins [in das] Kino am Hauptbahnhof. Ich fahre ins Ferienhaus meiner Eltern, b wenn das Bezeichnete einmalig ist: Ich werfe Steine ins [in das] Rote Meer. Nicht austauschbar: c bei gemeinsamem Vorwissen (hier darüber, welches Schwimmbad üblicherweise besucht wird): Wo gehst du hin? Ich gehe ins [nicht: in das] Schwimmbad, d wenn nicht etwas Spezielles bezeichnet wird, sondern eine ganze Klasse: Ich gehe ins [nicht: in das] Kino, e wenn in das sich auf etwas bezieht, das bereits im vorhergehenden Text bezeichnet wurde: Ein neues Theater hat morgen Eröffnungsfeier. Nächsten Samstag gehe ich auch mal in das [nicht: ins] Theater. ( i i i ) Artikel für Lemmzeichen, die spezielle P-A-Verschmelzungen sind a m < Verschmelzung
von Präp. an und (zu = m reduziertem)
Artikel dem; mit
Dat.>[...]
Austauschbarkeit mit an dem:> austauschbar: a wenn der Satz selbst das Bezeichnete eindeutig spezifiziert: Er übt am [an dem] Computer, der seinem Bruder gehört. Nicht austauschbar: b bei gemeinsamen Vorwissen (hier über den Standort des Computers): Wo ist Hans? Er arbeitet am [nicht: an dem] Computer, c wenn das Bezeichnete einmalig ist: Sie zelten am [nicht: an dem] Bosporus, d wenn nicht etwas Spezielles bezeichnet wird, sondern eine ganze Klasse: Er ruht sich gerne am [nicht: an dem] Klavier aus. e wenn an dem
Daniel Strigel
152
sich auf etwas bezieht, das bereits im vorhergehenden Text bezeichnet wurde: Er hat sich ein Bücherregal gebaut. An dem [nicht: am] Regal hat er täglich seine Freude, f wenn am in Suiberlativformen und g in Verlaufsformen gebraucht wird. (Musterartikel zu am nach Wiegand 1998: 90).
5
Literatur
5.1
Wörterbücher
DUDEN- 3 GW = DUDEN. DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE. IN ZEHN BÄNDEN. 3.,
neu bearbeitete u. erw. Auflage. Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion unter der Leitung v. Werner Scholze-Stubenrecht. Mannheim [u.a.] 1999.
5.2
Sonstige Literatur
Dedenbach 1987 = Dedenbach, Beate: Reduktions- und Verschmelzungsformen im Deutschen. Schwache Formen bei Artikeln und Pronomina. Frankfurt am Main [usw.] 1987 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I. Bd. 1016) Nübling 1992 = Nübling, Damaris: Klitika im Deutschen. Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte. Tübingen 1992 (Script Oralia 42). Wiegand 1998 = Wiegand, Herbert Ernst: Verschmelzungen in allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern des Deutschen. In: Lexikologisch-lexikographische Aspekte der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. Von Undine Kramer. Tübingen 2000 (Lexicographica. Series Maior 101), 59-96.
Ulrich Busse
Anglizismen im GWDS
1 2 2.1 3
4.1 4.2 4.2.1 4.3
Vorbemerkungen Einleitung Arbeitsdefinition von Anglizismus Die Makrostruktur des GWDS im Hinblick auf Anglizismen Vergleich zwischen GWDS und DR Vergleich zwischen GWDS, DWDS und DWDNE Die etymologischen Markierungen von Anglizismen Das äußere Lehngut Inneres Lehngut Lehnübersetzungen Komposita und Ableitungen
1
Vorbemerkungen
3.1 3.2 4
4.4 4.5 4.6 5 6 7 8 9 9.1 10 11
Die Behandlung von Pseudoanglizismen Morphologische Eigenwege Semantische Eigenwege Die Schreibung der Anglizismen Die Aussprache der Anglizismen Diskussion ausgewählter Wörterbuchartikel Zur Mediostruktur: Querverweise zwisehen Anglizismen Anglizismen in den Umtexten des GWDS Wörter des Jahrhunderts Zusammenfassung Literatur
Für die nachfolgenden Ausfuhrungen zur Behandlung der Anglizismen im GWDS wurden sowohl dessen zehnbändige Buchausgabe als auch die elektronische Version auf CD-ROM herangezogen, wobei die CD-ROM nicht als Gegenstand der Wörterbuchkritik dient - dies würde im Rahmen dieses Beitrags zu weit führen - sondern in erster Linie als Arbeitsmittel eingesetzt wurde, um insbesondere zu quantifizierbaren und nicht bloß zufallig ermittelten Angaben zur Zahl der Anglizismen, zur Verwendung von Markierungsprädikaten, etc. zu gelangen.
2
Einleitung
Die große Bedeutung, die den Entlehnungen aus dem Englischen in der neuen Auflage des GWDS beigemessen wird, zeigt sich schon in der Stellungnahme des Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, Herbert Heckmann. In einer kurzgefassten Stellungnahme (S. 9-13) zu den Entlehnungen in Vergangenheit und Gegenwart wird die Frage „Sprechen wir in Zukunft noch Deutsch?" eindeutig bejaht, indem auf die Dynamik von Entlehnungsprozessen hingewiesen wird. Auch der Tatsache, dass Anglizismen nicht bloß rezipiert werden, sondern häufig im Deutschen ein .Eigenleben' entwikkeln, wird Rechnung getragen durch die Aussage, dass sich englische Wörter und Wendungen dabei in „Aussprache oder Bedeutung" (S. 12) wandeln können. In Bezug auf das ange-
154
Ulrich Busse
führte Beispiel für Pseudoenglisch „Can you English" sollte der Kommentar jedoch um den Zusatz ergänzt werden, dass sich auch grammatische Abweichungen ergeben können.
2.1
Arbeitsdefinition von Anglizismus
Um die Frage nach der Zahl der im GWDS enthaltenen Anglizismen beantworten zu können, sind zwei Dinge notwendig. Zunächst ist zu klären, was im Rahmen dieses Beitrages unter Anglizismus verstanden werden soll. Im GWDS lautet der Eintrag zu Anglizismus im Wörterverzeichnis wie folgt: An|gli|zis|mus, der; -, ...men (Sprachw.): Übertragung einerflir das britische Englisch charakteristischen sprachlichen Erscheinung auf eine nicht englische Sprache: Gerne streut er Anglizismen (»so what«, »good luck«) in seine Rede ein und erledigt seinen Job von einem piekfeinen Schreibtisch aus (Spiegel 18, 1998, 178).
Im Folgenden soll Anglizismus jedoch weiter gefasst werden. Unter Anglizismus wird hier jede Erscheinung der deutschen Sprache verstanden, die auf Transferenz des Englischen zurückgeht. Der Terminus dient dabei als Oberbegriff für alle Varietäten des Englischen (vgl. AWB 1993: 53*-79* und Busse 2001a: 134-141).
3
Die Makrostruktur des GWDS im Hinblick auf Anglizismen
3.1
Vergleich zwischen GWDS und DR
Es ist ferner nötig, genauer zu schauen, aus welchen Bereichen des Wortschatzes Anglizismen in das Wörterverzeichnis aufgenommen worden sind, denn absolute Zahlen, wie die in Kapitel 4.1 ermittelten, und Vergleiche, die auf ihnen beruhen, sind immer problematisch, und für sich genommen nicht besonders aussagekräftig, weil sie davon abhängen, wie die zu bearbeitenden Einheiten definiert werden. Für den begrenzten Rahmen dieses Beitrages soll die Lemmaselektion des Buchstabens -L- herangezogen werden, um einen stichprobenartigen Überblick über die verschiedenen Bereiche des Wortschatzes zu liefern, die die Bearbeiter(-innen) bei der Aufnahme von Anglizismen berücksichtigt haben. Der Buchstabe -L- wurde ausgewählt, weil er einen mittleren Umfang aufweist und bezüglich der Schreibung von Anglizismen (anders als beispielsweise -C- oder -S-) als unproblematisch zu betrachten ist. Vergleicht man das GWDS beispielsweise mit der 22. Auflage des Rechtschreibdudens (DR22), so ergeben sich trotz unterschiedlicher Umfange, Ziele und Adressatengruppen der beiden Wörterbücher zahlreiche Übereinstimmungen, wobei - wie nicht anders zu erwarten - das GWDS häufig mehr Zusammensetzungen und Ableitungen aufnimmt als der DR22. Man vergleiche etwa Lift .Aufzug', Liftboy, liftein, litten, Lifter, Liftkurs und Liftvan gegenüber dem einzigen Kompositum Liftboy im DR22. Lift und Lifting in der Bedeutung .kosmetische Operation' fehlen beide im DR22.
Anglizismen im GWDS
155
Insgesamt ergeben sich bezüglich der Lemmaselektion der beiden Wörterbücher Unterschiede in dreierlei Hinsicht, die die Stellung der Anglizismen innerhalb des Wortschatzes betreffen, indem das GWDS die Peripherie des Wortschatzes stärker berücksichtigt, und zwar: 1)
2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)
10)
11)
3.2
hinsichtlich von Bezeichnungsexotismen und Zitatwörtern, also Anglizismen, deren Denotat sich ausschließlich oder überwiegend auf anglo-amerikanische Verhältnisse bezieht, wie z.B.: La|bel|sys|tem ... (Wirtsch.): in den USA entstandene u. hauptsächlich dort angewendete Art des indirekten wirtschaftlichen Boykotts; Etikettsystem. La|crosse ... dem Hockey verwandtes amerikanisches Ballspiel, bei dem ein Gummiball mit Schlägern in die Tore geschleudert wird. beziehungsweise auf im Deutschen verwendete fachsprachliche Bezeichnungen wie: Le|gal Ten|der ... engl. Bez. für gesetzliches Zahlungsmittel. im Hinblick auf ältere Anglizismen, die im heutigen aktiven Sprachgebrauch eher selten sind und sich darüber hinaus meist auf angelsächsische Verhältnisse beziehen, wie z.B.: Le|vel|ler ... (zur Zeit Cromwells) Angehöriger einer radikalen demokratischen Gruppe mit dem Streben nach völliger bürgerlicher u. religiöser Freiheit. Weitere Beispiele für diese Kategorie sind: Lambethwalk, Landseer, Latitudinarier, Lordsiegelbewahrer, Low Church, Luddismus und Luddit. Dies gilt jedoch auch für veraltende Anglizismen der jüngeren Zeitgeschichte, die nicht im DR 22 verzeichnet sind, wie z.B. Landart, Ledernacken, Libertyship, Lost Generation, Love-in und Luftbrücke. Des weiteren enthält das GWDS eine ganze Reihe fachsprachlicher Anglizismen, die nach meiner Einschätzung in allgemeinsprachlichen Texten kaum eine Rolle spielen. Für diese Kategorie seien die folgenden Beispiele genannt: Lagan (Seew.), lamellar (Fachspr.), Licker, Lifeisland (Med.), Liger (Zool.), Linalool, Lineage (Völkerk.), Linker (EDV), Living-Wage (Wirtsch.), Load (Jargon [Drogenszene]), Lowimpact (Sport), Luminanzsignal (Ferns.), Lumineszenz (Physik), Lunarorbit (Astron., Raumf.) und lunisolar (Astron.).
Vergleich zwischen GWDS, DWDS und DWDNE
Während sich bis auf die o.g. drei Bereiche des Wortschatzes weitgehende Übereinstimmung in der Lemmaselektion zwischen dem GWDS und dem DR22 ergibt, besteht eine ziemlich große Diskrepanz zu den beiden jüngst im Dudenverlag erschienenen Wörterbüchern der Szenesprachen (DWDS) und der New Economy (DWDNE). Diese beiden Taschenwörterbücher decken den modernen Sprachgebrauch der Jugendszenen und der Wirtschaft ab. Viele der darin enthaltenen Neologismen sind sicherlich als Jargonismen einzustufen, und es bleibt abzuwarten, wieviele sich nicht nur einen relativ ephemeren, sondern einen dauerhaften Platz im allgemeinen Sprachgebrauch erkämpfen. Trotz dieser Einschränkungen ist sowohl dem DR 22 als auch dem GWDS eine sehr große Zurückhaltung bezüglich der Lemmatisierung dieser beiden Wortschatzbereiche zu bescheinigen, denn von den 33 unter -L- im DWDS verzeichneten Anglizismen sind nur die folgenden im GWDS enthalten: Label,Plattenfirma', Link, Location, Look, Loser, Lounge, und Love-Parade. Von den 19 im DWDNE gebuchten Anglizismen der New Economy ist keiner in das
Ulrich Busse
156
GWDS aufgenommen worden, wobei aufgrund ihrer Verbreitung Labeling .Definition von Zielgruppen anhand ihres Kaufverhaltens', LAN (kurz fiir Local Area Network) ,kleines Computernetzwerk', Launch Markteinführung eines Produktes' und Listing ,Notierung einer Aktie an der Börse' möglicherweise auch einen Platz im GWDS verdient gehabt hätten.
4
Die etymologischen Markierungen von Anglizismen
4.1
Das äußere Lehngut
Über die Geschichte und Herkunft der Stichwörter informieren die etymologischen Angaben. Die Hinweise zur Handhabung der Herkunftsangaben in der Einleitung zum Wörterbuch im Abschnitt „Anordnung und Behandlung der Stichwörter" (S. 32f) sind allerdings recht knapp gefasst. Mit Bezug auf die Fremd- und Lehnwörter heißt es dort lediglich: „Lehn- und Fremdwörtern wird [...] bis in ihre Ursprungssprache gefolgt. Auch die Herkunft von Redewendungen und sprichwörtlichen Redensarten wird, soweit bekannt und fur das Verständnis angebracht, erklärt." Hier wird zwar zwischen Lehn- und Fremdwörtern differenziert, die Benutzer erfahren jedoch an dieser Stelle nichts zur verwendeten Terminologie zur Klassifizierung der Entlehnungen. Wenn unter Anglizismus jedoch, wie in 2.1 dargelegt, alle Entlehnungen aus dem angloamerikanisehen Sprachraum verstanden werden, die sowohl zum äußeren als auch zum inneren Lehngut gehören, ergibt sich die Schwierigkeit, dass deren Anzahl in einem zehnbändigen Wörterbuch manuell kaum zu erfassen ist. Wenn man deshalb den gleichen Weg beschreitet wie Busse (1993) und nur die Stichwörter berücksichtigt, die etymologisch als engl, gekennzeichnet sind, kommt man mit Hilfe der Suchmöglichkeiten, die die CD-ROM Version des Wörterbuches bietet, zu folgendem Ergebnis. Gibt man in die erweiterte Suche den Pfad „Feld>Etymologie>engl." ein, wird die Zahl von 4.395 Stichwörtern genannt, die die etymologische Markierung engl, aufweisen. Die Liste der entsprechenden Lemmata reicht von abgefuckt bis Zyklotron. Die etymologische Markierung engl, wird dabei gewissermaßen als Oberbegriff für alle Varietäten des Englischen aufgefasst, denn man findet darunter Entlehnungen aus verschiedenen nationalen Varietäten des Englischen, wie z.B. Baseball, Kiwi und Stress, die nach Ausweis englischer etymologischer Wörterbücher im amerikanischen, neuseeländischen und kanadischen Englisch entstanden sind. Im GWDS werden sie mit der Herkunftsangabe engl, versehen, die ggf. weiter differenziert wird, wie z.B.: Gur|kha ... [engl, (angloind.) Gurkha, nach einem ostindischen Volk in Nepal]: Soldat einer nepalesischen Elitetruppe in der indischen bzw. britischen Armee. Dies gilt jedoch nur mit Einschränkungen für das amerikanische Englisch, denn nur 75 Lemmata weisen die Herkunftsangabe engl.-amerik. bzw. engl.(-amerik.) auf: Dime ... [engl.(-amerik.) dime < frz. dime = Zehnt < lat. deeima = der zehnte (Teil)]: Silbermünze der USA im Wert von 10 Cents.
Anglizismen im GWDS
157
Im Gegensatz dazu findet man bei jedoch unter dem Stichwort Dollar: Dol|lar ... [amerik. dollar < niederd. daler, älter niederl. daler = Taler]: Währungseinheit in den USA, Kanada u. anderen Ländern.
Der Unterschied zwischen engl.-amerik. einerseits und engl.(-amerik.) andererseits ist mir jedoch nicht deutlich geworden. Wenn man z.B. Apartment [engl.-amerik.] mit Beatgeneration [engl.(-amerik.)] vergleicht, erscheint mir Beatgeneration „amerikanischer" als Apartment zu sein. Unter den Lemmata, die die Markierung engl.-amerik. bzw. engl.(-amerik.) tragen, finden sich u.a.: Aerobic, All-Star-Band, Beatgeneration, Beguine, Braintrust, CB-Funk, Greyhoundbus, Hillbilly, Jazz, Ledernacken, Ranch, Rockabilly und Quarterback. Diesen stehen jedoch Anglizismen gegenüber, die sich eindeutig auf amerikanische Verhältnisse beziehen, indem sie kulturelle US-amerikanische Eigenheiten, Entwicklungen, Institutionen, etc. bezeichnen bzw. zuerst in den Vereinigten Staaten entwickelt wurden, wie z.B.: Action-Painting, Baseball, Behaviorismus, Cakewalk, Charleston, CIA, Combine-Painting, Cowboy, Filibuster, (American) Football, Freedom-Rides, Highschool, Muzak, New Deal, Pan Am und Stetson. Alle diese Lemmata tragen die Herkunftsbezeichnung engl. Der inhaltliche Bezug zu den Vereinigten Staaten wird anhand der semantischen Paraphrase deutlich, wie die beiden nachfolgenden Beispiele dokumentieren: Foot|ball ... [engl, football, eigtl. = Fußball]: dem Rugby ähnliches amerikanisches spiel mit zwei Mannschaften zu je elf Spielern; American Football.
Mannschafts-
New Deal ... [engl., eigtl. = neues Geben (im Kartenspiel)]: wirtschafts- u. sozialpolitisches Reformprogramm des ehemaligen amerikanischen Präsidenten F. D. Roosevelt.
Aber warum in Bezug auf die Herkunftsangabe die nachfolgenden Anglizismen, die jeweils den gleichen Sachbereichen entstammen, unterschiedlich gehandhabt werden, ist mir nicht klar geworden: Bebop [amerik.], Charleston [engl.], Free Jazz [engl.], Jazz [engl.-amerik.], Football [engl.], Quarterback [engl, -amerik.], Cowboy [engl.], Cowgirl [engl.-amerik.], Ranch [engl.-amerik.].
Sehr wenige Lemmata tragen die alleinige Herkunftsangabe amerik., nämlich insgesamt nur 24, und zwar: Barbecue, Bebop, Callingcard, Chill-out-Room, Clipper, Coca-Cola, dissen, Dollar, Dollarscrips, Einkaufszentrum, Gruppensex, Icing, Jeep, Muttertag, Off-off-Bühne, Offshoreauftrag, Op-Artist, Oscar, Reggae, Shimmy, Stationwagen, Taxigirl, Technicolor und Tony. Hinzu kommt eine noch kleinere Gruppe, die die Herkunftsangabe amerik.-span. aufweist, wie z.B. Banjo und Cafeteria. Im Vergleich zu den Amerikanismen werden Wörter, die sich auf Sachverhalte in Australien beziehen, wie z.B.: Aborigine, Aussie, Basil, Bumerang, Creek 3), Didgeridoo, Dingo, Emu, Känguruh, Korrobori, 'Lori, Norther, Outback, Redgumholz, Scrub, Wallaby und Wombat ausschließlich mit der Herkunftsangabe engl, belegt, die ggf. weiter ergänzt wird: 'Ab|ori|gi|ne ... [engl, aborigine < lat. Aborigines (PI.) = Name der Ureinwohner von Latium, zu: ab origine = vom Ursprung an]: Bez. für Ureinwohner [Australiens],
158
Ulrich Busse
Did|ge|ri|doo ... [engl, didgeridoo, aus der Sprache der Ureinwohner Australiens, lautm.]: langes, röhrenförmiges Blasinstrument der australischen
Ureinwohner.
Die einzige Ausnahme bildet Koala mit der Angabe [aus einer Spr. der australischen Ureinwohner], Bezüglich der Markierung von Anglizismen, die aus unterschiedlichen nationalen Varietäten des Englischen entlehnt wurden, erscheint es mir nicht unproblematisch, die Amerikanismen eigens herauszuheben, insbesondere, wenn dies uneinheitlich gehandhabt wird. Es ist sicher unbestritten, das es Wörter gibt, die in den Vereinigten Staaten geprägt wurden und solche, die überwiegend mit dem amerikanischen Kulturraum assoziiert werden. Ob sie vom amerikanischen Englisch direkt ins Deutsche gelangt sind oder über Vermittlung des britischen Englisch hierher gekommen sind, lässt sich häufig nur mit Schwierigkeiten ermitteln. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionen um den größer werdenden Einfluss der amerikanischen Varietät des Englischen auf das Deutsche und andere europäische Sprachen überrascht die geringe Zahl der Amerikanismen im Vergleich zu den lediglich als engl, ausgewiesenen Entlehnungen. Um die o.g. Zahl von zirka 4.400 Anglizismen in den Gesamtbestand der Lemmata einordnen zu können, ist es ferner nötig, einen Blick auf die Anzahl der Stichwörter zu werfen. In der Einleitung zum GWDS wird auf S. 23 festgestellt, dass sich der geschätzte Bestand an Wörtern der deutschen Alltagssprache auf zirka 500.000 Wörter beläuft. Die hier vorliegende dritte Auflage des Wörterbuches enthält demnach insgesamt mehr als 200.000 Stichwörter und über 300.000 Bedeutungsangaben. Wenn man diese Zahlen mit denen von Busse (1993) unter ähnlichen Parametern ermittelten Werten für den DR19 (1986) vergleicht, ergibt sich Folgendes: Die Studie hat gezeigt, dass die 19. Auflage des DR bei einem Gesamtbestand von 108.100 Stichwörtern 3.746 (3,46%) Anglizismen aufweist (Busse 1993: 71). Bezogen auf zirka 200.000 Stichwörter im GWDS macht eine Anzahl von zirka 4.400 nur einen prozentualen Anteil von 2,20% aus. Der geringere Anteil im GWDS im Vergleich zum DR ergibt sich aus der Tatsache, dass für den DR bei manueller Auszählung auch die nicht mit einer Herkunftsangabe versehenen Ableitungen und Zusammensetzungen von Anglizismen mitgezählt wurden, die bei automatisierter Suche auf der Basis von Herkunftsmarkierungen natürlich nicht mit erfasst werden, denn „Komposita erhalten etymologische Angaben nur, soweit die Wortteile nicht als Stichwörter im Wörterbuch vorkommen" (GWDS: 33).
4.2
Inneres Lehngut
4.2.1
Lehnübersetzungen
Das innere Lehngut wird im GWDS markiert. Zu seiner Kennzeichnung wird folgende Terminologie verwendet. Am häufigsten findet sich die Kategorie Lehnübersetzung (LÜ) „Glied für Glied wiedergegebene Übersetzung eines Wortes aus einer anderen Sprache (z.B. Gemeinde aus lat. com-mun-io zu gi-mein-ida" (GWDS: s.v. Lehnübersetzung). Die mittels CD-ROM durchgeführte Recherche ergibt diesbezüglich folgendes Bild: Die Eingabe des Suchbegriffs LÜ liefert 397 Treffer, d.h. bei 397 Stichwörtern wird innerhalb der in eckigen Klammern angeführten Herkunftsangaben vermerkt, das es sich bei dem
Anglizismen im GWDS
159
entsprechenden Stichwort oder einer seiner Teilbedeutungen um eine Lehnübersetzung handelt. Unter den Lehnübersetzungen nehmen die aus dem Englischen stammenden einen prominenten Platz ein. Die Eingabe des Suchpfades „LÜ engl. &" unter der Suchmaske Verknüpfungen und Sonderzeichen (a & b müssen vorkommen), fuhrt zu 138 Lehnübersetzungen, die ihren Ursprung im Englischen haben. Im Vergleich dazu nehmen die als amerik. bzw. engl-amerik. ausgewiesenen Lehnübersetzungen einen verschwindend geringen Teil ein. Es handelt sich dabei lediglich um: Einkaufszentrum (LÜ von amerik. shopping center) und Muttertag (LÜ von amerik. Mother's Day). Ledernacken und Schlägerbox weisen die Angabe engl.-amerik. auf, wobei der Terminus Lehnübersetzung im Sinne der o.g. Definition auf Schlägerbox nur zum Teil zutrifft, da der zweite Wortbestandteil nicht übersetzt wurde. Mit insgesamt 138 Tokens machen die Lehnübersetzungen angloamerikanischer Herkunft 34,76% unter allen Lehnübersetzungen aus. In qualitativer Hinsicht ist zu bemerken, dass die Lehnübersetzungen sowohl in diachroner als auch diatechnischer Hinsicht ein breites Spektrum abdecken. Für die älteren Anglizismen seien stellvertretend genannt: Freimaurer, Gemeingeist, Gemeinwohl, Halbblut, Herrenreiter, Navigationsakte, Pferdestärke, Pfeilwurz und Sonnabend. Auf der anderen Seite sind aber auch neue Lehnübersetzungen, insbesondere aus dem EDV-Bereich, gut berücksichtigt worden, wie z.B. Bildschirmschoner, Flüssigkristallanzeige, Makrobefehl, Maus, Tintenstrahldrucker und Treiber deutlich machen. Aus dem Bereich der Fachsprachen finden sich auch nicht so geläufige Begriffe wie: aufdatieren, entschulen, Hörsamkeit, Hypoidgetriebe, Ionenfalle, Linearbeschleuniger und Patternpraxis. Mehrgliedrige Wendungen, die aus dem Englischen übersetzt worden sind, werden ebenso erfasst. Als Beispiele dafür mögen heißes Geld, sein Gesicht wahren/retten, seinen Hut in den Ring werfen, Jahrmarkt der Eitelkeiten, nach Komplimenten fischen, verlorene/vergebliche Liebesmühe sein und Zahn der Zeit genügen. Auch Entlehnungswege, die über mehrere Sprachen geführt haben, werden rekonstruiert, so z.B. bei: Buschmann, Gehirnwäsche, Gentleman, Gemeinplatz, Papiertiger, Tagesordnung, bei denen die englische Bezeichnung zuvor aus einer anderen Sprache übernommen wurde. Für den umgekehrten Fall, in welchem das Englische die Ursprungssprache, aber nicht die unmittelbar abgebende Sprache war, finden sich Beispiele wie Honigmond und Unaussprechliche. Jene Fälle, die als nicht ganz gesichert angesehen werden, tragen zusätzlich die Wahrscheinlichkeitsmarkierung wohl, wie z.B. Konzentrationslager, kurzsichtig, Mittsommer und eiserner Vorhang. Im Vergleich zur Lehnübersetzung haben sich die übrigen von Betz und anderen verwendeten Termini als Suchbegriffe zur Kennzeichnung des inneren Lehngutes im GWDS nicht als brauchbar erwiesen, denn die Suche nach dem Begriff Lehnbedeutung auf der CDROM führt nur zwei Ergebnisse zu Tage, nämlich Kasus als sprachwissenschaftlicher Terminus und überziehen im Bankwesen (Bed 3.a) als Lehnbedeutung nach engl, to overdraw. Statt dessen wird als übergreifende Markierung des inneren Lehngutes nach verwendet. Da diese Markierung innerhalb der etymologischen Angaben an unterschiedlichen Stellen verwendet wird, ist es mir trotz mehrfacher Einschränkungen bei der Suche nicht gelungen, nicht gewünschte Ergebnisse zu unterdrücken. So hat die Volltextrecherche zum Pfad
Ulrich Busse
160
„nach engl. & Etymologie" 645 Einträge geliefert. Demnach wird das Markierungsprädikat nach folgendermaßen verwendet: 1)
2)
3)
4)
5) 6)
7)
8)
4.3
für Lehnbedeutungen, wie z.B.: Daten [nach engl, data], feuern [nach engl, to fire], Gipfel [3: nach engl, summit], hallo [3: nach engl, hallo], Held ,Hauptperson' [wohl nach engl. hero], kontrollieren ,beherrschen' [nach engl, to control], Milch [4: wohl nach engl, milk], Szene [4: nach engl, scene] und realisieren [2: nach engl, to realize], Dem stehen allerdings Fälle entgegen, wie z.B. blitzen Bed. 5) LÜ von engl, to streak und Korb Bed. 3, a, c, 5) LÜ von engl, basket, Maus LÜ von engl, mouse, schneiden Bed 21) LÜ von engl, to cut a person und Treiber Bed 5) LÜ von engl, driver, bei denen es sich meiner Meinung nach ebenfalls um Wörter handelt, die schon länger im Deutschen etabliert sind, die jedoch unter englischem Einfluss neue Bedeutungen angenommen haben und damit ebenfalls in die Kategorie der Lehnbedeutungen wie die o.g. Lemmata gehören. Die Schwierigkeit, zwischen Lehnübersetzungen und Lehnübertragungen, also der freieren Übertragung eines Wortes aus einer anderen Sprache, zu differenzieren, wird bei folgenden Einträgen deutlich: Aussperrung [nach engl, lockout], Bankfeiertag [nach engl, bank holiday], Blankvers [nach engl, blank verse], Heißsporn [nach engl, hotspur], psychologische Kriegführung [nach engl, psychological warfare], Kronkolonie [nach engl, royal bzw. crown colony], Nullwachstum [nach engl, zero growth], Diese Markierungen lassen meines Erachtens nicht deutlich werden, nach welchen Kriterien die Prädikate Lehnübersetzung und nach vergeben wurden. Des weiteren werden mit der Markierung nach Mischbildungen klassifiziert, bei denen ein Wortbestandteil englischer bzw. deutscher Herkunft ist, wie z.B.: ausflippen, Drive-inKino, Federgewicht, freakig, Goodwillreise, Killerwal, Maidenrennen, MultipleChoice-Verfahren, Offshorebohrung, Round-Table-Gespräch, Softeis und Überlebenstraining. sowie für Simplizia, Mischkomposita und Ableitungen mit Eigennamen angloamerikanischer Erfinder etc., die zu Maßeinheiten oder generischen Begriffen geworden sind, wie Colt, Daviscup, Joule, parkerisieren. Lehnschöpfungen wie blockfrei, Flitzer, Helligkeitsregler, Klimaanlage, Nietenhose und Wasserglätte werden nicht eigens gekennzeichnet, wofür sich auch gute Gründe anführen lassen (vgl. Höfler 1980, anders AWB 1993: *57F). Die Kennzeichnung von Blitzer als Lehnübersetzung von engl, streaker fallt hier jedoch aus dem Rahmen.
Komposita und Ableitungen
Wie bereits in 3.1 erwähnt, erhalten Komposita in der Regel keine Herkunftsangabe. Dies gilt auch weitgehend fur Ableitungen von Anglizismen. Die Präfigierungen aus-, durchund einchecken sind nicht markiert; ebenso verjazzen. Unter abgefuckt findet man [zu engl, to fidck]. Freakig, poppig und punkig werden unterschiedlich gehandhabt, und zwar: freakig [nach engl .freakish], poppig [zu t Pop (1)] und punkig [keine Herkunftsangabe].
Anglizismen im GWDS 4.4
161
Die Behandlung von Pseudoanglizismen
Bei einigen im Deutschen verwendeten Anglizismen handelt es sich nicht um Entlehnungen, sondern um mit englischem Wortmaterial im Deutschen gebildete Pseudoanglizismen, die häufig in Analogie zu bereits vorher entlehnten Wörtern geprägt worden sind, wie die folgenden: Co|ver|boy ... [aus τ Cover (a) u. τ Boy] Dress|man ... [... anglisierende Bildung aus engl, dress (t Dress) u. man = Mann] Han|dy ... [zu engl, handy = griffbereit, greifbar; praktisch, zu: hand = Hand] High Sno|bi|e|ty ... [scherzh. geb. zu engl, high (t high), t Snob u. engl, society = Gesellschaft] Long|sel|ler ... [aus engl, long = lang und t Seiler] Pul|lun|der ... [geb. nach τ Pullover aus engl, to pull - ziehen u. under = unter (das Jackett)] Show|mas|ter ... [dt. Bildung aus engl, show (τ Show) u. master, τ Master] Twen ... [zu engl, twenty = zwanzig]
Die in den obigen Beispielen verwendeten Markierungsprädikate machen deutlich, das derartige Fälle unterschiedlich gekennzeichnet werden.
4.5
Morphologische Eigenwege
Einige Anglizismen werden im Deutschen in einer morphologisch veränderten Form verwendet, die nicht mit deijenigen des im Englischen heimischen Wortes übereinstimmt. Bei den nachfolgenden Beispielen lauten die im Englischen verwendeten Formen gin and tonic, happy ending und pro. Für dt. Pullover gibt es im Englischen keine Kurzform. Derartige Fälle werden im GWDS zwar weitgehend erfasst, aber ebenfalls nicht einheitlich gehandhabt, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen: Gin To|nic ... [engl.] Hap|py|end ... [zu engl, happy ending = glückliches Ende] Pro|fi... [Kurzf. von t Professional] Pul|li... ugs. kurz für t Pullover.
4.6
Semantische Eigenwege
Neben Veränderungen am Wortkörper können sich bei der Aufnahme von Anglizismen auch (Teil-)bedeutungen entwickeln, die das entsprechende englische Wort nicht aufweist. Solche im Deutschen entstandenen Bedeutungen lassen sich, wie die Arbeit am AWB erwiesen hat, nur mit detaillierter Recherche in englischen Wörterbüchern und auch dann häufig nicht mit absoluter Sicherheit nachweisen. So wird zwar bei Smoking darauf verwiesen, dass es sich um eine Kurzform von engl, smoking suit handelt, jedoch bei Bunker ,militär. Unterstand', Gangway, Start (eines Flugzeugs oder Flugkörpers), wird nur für das Lemmazeichen als solches die Herkunftsangabe engl, gegeben, jedoch nicht vermerkt, dass diese Bedeutungen kein englisches Vorbild wiedergeben. Im Falle von Boxer ist nicht ganz eindeutig, dass es sich bei Bedeutung 3) um eine deutsche Weiterentwicklung handelt (die nach Ausweis des OED ins Englische rückentlehnt worden ist):
Ulrich Busse
162
Bo|xer ... [1: engl, boxer; 2: zu boxen; 3: nach der breiten Nase, die an einen Boxer (1) erinnert]: 1. Sportler, der Boxkämpfe austrägt: er sah aus wie ein geschlagener B.; der Ringrichter trennte die beiden B. 2. (ugs.) Stoß, Hieb mit der Faust: jmdm. einen B. in den Rücken geben. 3. mittelgroßer Hund mit kräftigem Körper, kurzem Haar u. gedrungen wirkendem Kopf. Ebenso wird bei dem Lemma Slip nicht klar, dass die Bedeutung 1) , Schlüpfer' kein englisches Vorbild wiedergibt. Derartige Kleidungsstücke werden im Englischen als briefs, (under-)pants oder panties bezeichnet: Slip ... [1: engl, slip = leicht über- oder anzuziehendes Kleidungsstück, bes. kurzes Damenunterkleid, zu: to slip, slippen]: 1. kleinerer Schlüpfer für Damen, Herren u. Kinder, der eng anliegt u. dessen Beinteil in der Schenkelbeuge endet.
4.7
Internationalismen
Diese beruhen meist auf neoklassischer Basis und finden sich in vielen europäischen Sprachen. In bezug auf ihre etymologische Markierung stellen sie ein schwieriges lexikographisches Problem dar, für das sich unterschiedliche Lösungen anbieten. Das AWB hat sie als Anglizismen aufgenommen, wenn die begründete Vermutung besteht, das sie durch englische Vermittlung ins Deutsche gelangt bzw. durch das entsprechende englische Vorbild in ihrer Frequenz gesteigert worden sind. Das GWDS behandelt derartige Fälle wie folgt: Administration, Generation, global und via ,durch' erhalten die Markierung lat. Bei Plattform, Utopie und vital wird (für Teilbedeutungen) auf französischen Einfluss hingewiesen. Telefon wird gekennzeichnet als „zu griech. ...". Hinweise auf möglichen englischen Einfluss finden sich in der Regel nicht, bis auf Telegramm [frz. telegramme, engl, telegram, zu griech. tele (t tele-, Tele-1) u. gräphein = schreiben].
5
Die Schreibung der Anglizismen
Zwar ist der Orthographie ein eigener Beitrag (s. Augst/Müller) gewidmet, jedoch beim Vergleich zwischen GWDS und dem DR 22 sind mir insbesondere bezüglich der Getrenntund Zusammenschreibung der Anglizismen einige Unstimmigkeiten aufgefallen. Im Vorwort macht es sich das GWDS zur Aufgabe, die aus der Reform der deutschen Rechtschreibung resultierenden Regeln richtig wiederzugeben. Die nachfolgende Tabelle auf der Basis des Buchstabens -C-, der zwar nur eine geringe Zahl von Einträgen aufweist, darunter jedoch viele Anglizismen, macht jedoch Diskrepanzen deutlich. Untersucht wurden alle durch roten Druck im DR hervorgehobenen Schreibungen von Anglizismen.
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Anglizismen im G WDS
DR
GWDS
Cashewnuss Cashflow Centrecourt, auch Centre-Court Cherrybrandy, auch Cherry-Brandy Chewinggum, auch Chewing-Gum Chopsuey Cleverness Coldcream, auch Cold Cream Come-back, auch Comeback Comicstrip, auch Comic Strip Commonsense, auch Common Sense Compactdisc, auch Compact Disc Computertomographie, auch -grafie Conceptart, auch Concept-Art Cooljazz, auch Cool Jazz Cornedbeefbüchse, auch Corned-Beef-Büchse Count-down, auch Countdown Countrymusic Crosscountry, auch Cross-Country Cross-over, auch Crossover Cruisemissile, auch Cruise-Missile
ν (= identisch) Centre-Court, Center-Court Cherry-Brandy
Comeback, auch Come-back Comicstrip Common Sense, auch Commonsense Compact Disc, auch Compactdisc Computertomographie Concept-Art Corned Beef, auch Cornedbeef Corned-Beef-Büchse, auch Cornedbeefbüchse Countdown, auch Count-down Crosscountry Cross-over Cruise Missile
Tab. 1: Vergleich der Schreibung von Anglizismen im DR und im GWDS
Die in Tabelle 1 verzeichneten Fälle laufen häufig den im DR22 genannten Regeln (K 41, S. 39) zuwider, nach der zusammengesetzte Fremdwörter aus Substantiven und Adjektiven zusammen, alternativ zur besseren Lesbarkeit auch mit Bindestrich geschrieben werden können. Substantivierungen aus Verb und Partikel wie Count-down sollen jedoch gewöhnlich mit Bindestrich geschrieben werden. Zusammenschreibung ist möglich. Die stichprobenartige Überprüfung der mit -C- beginnenden Anglizismen legt jedoch den Schluss nahe, dass die neuen amtlichen Regeln in diesen Fällen nicht als umgesetzt betrachtet werden können.
6
Die Aussprache der Anglizismen
In der Einleitung zum GWDS wird vermerkt, dass Angaben zur Lautschrift in den meisten Fällen jenen Stichwörtern vorbehalten sind, „die aus einer Fremdsprache stammen, und deren Aussprache noch mit der in ihrer Ursprungssprache identisch oder stark an sie angelehnt ist" (S. 29). Neben einer Tabelle von Lautzeichen(-kombinationen), die im Wörterbuch zur Angabe der Aussprache verwendet werden, findet sich (S. 30) eine gesonderte Liste, die für die Ausspracheangaben von Anglizismen verwendet wird: α: ae Λ
Hardware Campus Countrymusic
'haidwea 'kaempas 'kAntrimju:zik
ö θ w
on the rocks Thriller Whirlpool
on Öe'roks ΘΓΙΙΘ 'wa:lpu:l
164
Ulrich Busse
Anhand ausgewählter Beispiele wurde die Behandlung der englischen Diphthonge [ei] und [au] überprüft, die im Wörterbuch unterschiedlich gehandhabt wird. Der Diphthong [Θυ] wird z.B. bei Boatpeople, Folk, Go-slow, Roadie, Show und Soul ausnahmslos mit [ου] transkribiert. Damit wird in der Tat eine Aussprache nahegelegt, die sich eng an das Englische anlehnt. Im Unterschied dazu wird bei dem engl. Diphthong [ e i ] unterschiedlich verfahren, indem: 1) 2) 3)
eine Monophthongierung zu [e:] angenommen wird, z.B. bei Steak. Bei Baby ['be: b i , engl.: ' b e i b i ] Laser und Spray wird sowohl die deutsche als auch die englische Aussprache verzeichnet. Bei selteneren und eher fach- oder gruppensprachlichen Anglizismen wie z.B. Bluebaby, break, Pay-TV und Wafer wird der Diphthong beibehalten.
Bei Wörtern, die im Englischen ein [as] haben, wird ebenfalls unterschiedlich verfahren. Camp, Gang und Gangster beispielsweise erhalten [ε]. Bigbang, Grandslam, Uncle Sam hingegen [ae]. Daraus könnte man die Tendenz ableiten, dass ältere und häufigere Anglizismen einen größeren Grad an sprachlicher Integration aufweisen als Bezeichnungsexotismen und jüngere sowie seltenere Anglizismen. Bezüglich der Auslautverhärtung stimmhafter Konsonanten wird, anders als im AWB, nicht von der Grundannahme ausgegangen, dass sie im Deutschen immer eintritt, sondern es wird offensichtlich von Fall zu Fall entschieden, ob nur eine ,deutsche' oder auch eine ,englische Aussprache' angeführt wird, wie die nachfolgenden Fälle zeigen: [b] / [p] [d] / [t]
Job [d3op], Mc-Job ['maekd3op], Snob [snap, engl.: snob], Snob-Ap|peal [snop I e'pi:l], Hardware ['hcrdwee],
Trend, Trendsetter, keine Ausspracheangabe, [d3] / [tS] [g]/[k] [v] / [f] [z] / [s]
Image [' i m i t J, e n g l . : 'imid3], Mes|sage [' mcsid3], Gagfeck], live [ l a i f , e n g l . : l a i v ] , Live|act, (auch:) Live-Act [ ' l a i f I ckt], Blues [blu:s; engl.: blu:z], Rhythm and Blues [ 'riSem and' blu:z].
Bezüglich der mit [w] anlautenden Anglizismen hat sich ergeben, dass die Mehrzahl eine dem englischen Vorbild folgende Aus Spracheangabe mit [w] aufweist, so z.B. WalkieTalkie, Walkman, waterproof, Weekend, Whirlpool, Wildcard, Workaholic und Workshop. Ohne Ausspracheangabe und damit implizit nach deutschen Regeln mit [v] auszusprechen, sind demgegenüber: Westend, Western, Westover, Whip, Whisk(e)y und Windsurfen, wobei es mir so zu sein scheint, dass die letztgenannte Kategorie die älteren bzw. häufigeren Anglizismen enthält. Die Beibehaltung des englischen [w] in den übrigen Wörtern halte ich für fraglich.
Anglizismen im GWDS
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Diskussion ausgewählter Wörterbuchartikel
Es ist nicht unproblematisch, die Behandlung v o n Stichwörtern, insbesondere im Hinblick auf die Bedeutungsparaphrasenangaben, in unterschiedlichen Wörterbüchern miteinander zu vergleichen, weil sich die Aufteilung in (Teil-)Bedeutungen nicht automatisch ergibt und ein Eintrag mit vier Teilbedeutungen nicht unbedingt ausfuhrlicher oder besser ist, als einer mit lediglich zwei Bedeutungsangaben. U m dennoch die Ausführlichkeit der Bedeutungsparaphrasenangaben von Anglizismen stichprobenartig zu überprüfen, sollen ausgewählte Einträge von Anglizismen im G W D S mit j e n e n des AWB verglichen werden, wobei zugestanden werden muss, dass ein kommerzielles allgemeinsprachiges Wörterbuch und ein akademisches Spezialwörterbuch sehr unterschiedlichen Produktionsbedingungen und, daraus resultierend, anderen Zielsetzungen unterliegen. Ausgewählt wurden die folgenden polysemen Anglizismen: Blackout, Set, Star und Ticket. Die Wörterbucheinträge im G W D S werden nachfolgend vollständig aufgeführt; die häufig über mehrere Druckseiten reichenden Artikel des AWB werden hingegen lediglich in den relevanten Aspekten stichwortartig paraphrasiert. 1) Blackjout..., (auch:) Black-out, das, auch: der; -[s], -s [engl, blackout, eigtl. = Verdunkelung]: 1. (Theater) a) plötzliches Verdunkeln der Szene bei Schluss des Bildes im Theater (bes. nach Pointen im Kabarett); b) kleinerer Sketch, der mit einer scharfen Pointe u. plötzlichem Verdunkeln endet: Sketche, Szenen, Blackouts mit dem irischen Komiker Dave Allen (Hörzu 44, 1978, 97). 2. a) (Physik) Aussetzen des Empfangs von Kurzwellen durch den Einfluss von Korpuskular- u. Röntgenstrahlen der Sonne; b) (Raumf.) Unterbrechung des Funkkontakts zwischen Raumschiff und Bodenstation. 3. (Med.) a) zeitweiliger Ausfall des Sehvermögens unter der Einwirkung hoher Beschleunigung od. bei Kreislaufstörungen; b) plötzlich auftretender, kurz dauernder Verlust des Bewusstseins, Erinnerungsvermögens: Er war verhaltensgestört, ist des Öfteren aus dem Fenster gesprungen und hatte häufig einen Blackout (Hörzu 20, 1985, 134); als ich dem zugestimmt habe, hatte ich wohl einen B. (ugs.; war ich unaufmerksam, habe ich wohl nicht aufgepasst). 4. (Milit.) nächtliches Verdunkeln von Objekten zum Schutz gegen einen Luftangriff. 5. totaler Stromausfall (bes. in einer Großstadt). Im Vergleich der beiden Wörterbücher ergibt sich folgendes Bild: Im AWB ist der Artikel zu Blackout in die folgenden Bedeutungen gegliedert: la) Sketch, lb) Verdunkeln der Bühne, 2) Nachrichtensperre, 3) völliger Zusammenbruch der Stromversorgung, 4a) Verlust des Bewusstseins oder Sehvermögens, 4b) Mangelnde Einsicht; Fehlverhalten, 5) zeitweiliges Aussetzen von Funk- und Nachrichtenverbindungen, 6) zeitweiliges Aussetzen wirtschaftlicher Verbindungen zwischen Staaten. Vergleicht man diese Angaben mit jenen des GWDS fallt auf, dass das GWDS sowohl in seinen Bedeutungsparaphrasenangaben als auch in den pragmatischen Markierungen die fachsprachlichen Aspekte (Physik, Raumfahrt, Medizin, Milit.) stärker in den Vordergrund stellt als z.B. die inzwischen relativ weit verbreitete Verwendung im Sinne Unaufmerksamkeit, Fehlverhalten', die lediglich als Kompetenzbeispiel unter Bed. 3b) angeführt wird. 2) 'Set [ s e t ] , das; auch: der; -[s], -s [engl, set, zu: to set = setzen]: 1. mehrere zusammengehörende gleichartige od. sich ergänzende Gegenstände: ein S. aus Kamm, Bürste und Spiegel; Dazu das reinwollene S.: sandfarbene Hemdbluse und Strümpfe (Petra 10, 1966, 23). 2. Deckchen aus Stoff, Bast, Kunststoff o. Ä. (für ein Gedeck), das mit anderen dazu passenden, oft anstelle einer Tischdecke, aufgelegt wird; Platzdeckchen. 3. (Sozialpsych.) körperliche Verfassung u. innere Einstellung, Bereitschaft zu etw. (z. B. eines Drogenabhängigen). 4. (Film, Ferns.) Szenenaufbau, Dekoration.
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Ulrich Busse
Die Anordnung und Zahl der Teilbedeutungen ist bei dem Lemma Set in beiden Wörterbüchern durchaus ähnlich. Neben den oben angeführten Bedeutungen des GWDS verzeichnet das AWB zusätzlich, dass Set (Bed. 3) auch in Komposita und meist abwertend zur Bezeichnung einer Gruppe von Personen verwendet wird, die sich nach außen hin durch bestimmte Interessen, Beschäftigung, Lebensgewohnheiten, Alter, etc. auszeichnet sowie die seltene, eher fachsprachliche Verwendung (Bed. 5) als Bezeichnung für (Jazz-) Konzert. Dafür fehlt im AWB die Bedeutung aus der Sozialpsychologie (GWDS Bed. 3). Bezüglich der grammatischen Angaben besteht zwischen beiden Wörterbüchern Einigkeit, dass die Bedeutung , Szenenaufbau, Dekoration' (AWB und GWDS Bed. 4) nur als Maskulinum belegt ist. Wie bereits in Kapitel 3.6 erwähnt, beziehen sich die Herkunftsangaben im GWDS meist auf das ganze Lemmazeichen. So wird nicht erwähnt, dass die Bedeutung 2) ,Platzdeckchen' kein englisches Vorbild wiedergibt. Im Englischen wird Set in dieser Bedeutung als place mat bezeichnet. 3) 2 Star ... der; -s, -s [engl, star, eigtl. = Stern]: 1. a) (Theater, Film) gefeierter, berühmter Künstler: ein großer S.; Ü sie war der S. des Abends (stand im Mittelpunkt des Interesses); Zwei weiße Bengal-Tiger sind die -s des Parks, das einzige Zuchtpaar Europas (Tag & Nacht 2, 1997, 6/7); als -s der kommenden Saison brillieren kurze und mittellange Jacken (Augsburger Allgemeine 29.4.78, 43); b) jmd., der auf einem bestimmten Gebiet Berühmtheit erlangt hat: ... wenn der Prozess von einem S. wie Richter Harris zum Beispiel geführt wurde (Kemelman [Übers.], Dienstag 120). 2. kurz für Starboot. Auch wenn die Aufgliederung und Anordnung in Teilbedeutungen in den beiden Wörterbüchern unterschiedlich ist, ergibt sich für Star dennoch eine weitgehende Übereinstimmung, wobei im GWDS die Übertragung z.B. auf Tiere oder Sachen nicht in eine eigene Bedeutungsangabe gefasst, sondern nach der Kollokation ein großer S. unter Übertragung] behandelt wird. Die im AWB verzeichnete Bedeutungsangabe 3) 'bekannte, häufig „berühmt-berüchtigte" Person, die im Mittelpunkt des Interesses steht oder stehen möchte, sich in den Vordergrund drängt, die Hauptrolle spielen will, sich (zu sehr) um öffentliches Ansehen bemüht' fehlt im GWDS. Dafür ist die Angabe, dass Star auch als Kurzform von Starboot verwendet wird, im AWB nicht enthalten. 4) Ti|cket, das; -s, -s [engl, ticket, eigtl. = Zettel < afrz. e(s)tiquet(te) = frz. etiquette, 'Etikette]: 1. a) Fahrschein (bes. für eine Flug- od. Schiffsreise): Ich bestellte die -s. Einen Hin- und Rückflug für mich (Christiane, Zoo 314); Der Chef der amerikanischen Militärpolizei ... besorgt mir ein T. für ein amerikanisches Militärflugzeug nach München (Kinski, Erdbeermund 212); b) (seltener) Eintrittskarte: Auch für das Open-Air-Konzert... sind alle 24000 -s weg (Hörzu 7, 1981, 91). 2. (selten) Partei-, Wahlprogramm. Beim Stichwort Ticket zeigen sich größere Unterschiede zwischen den beiden Wörterbüchern, denn neben den o.g. Bedeutungen verzeichnet das AWB die Bedeutungen 1) Gewinncoupon, 4.b) Mitgliedschaft in einer Partei, Parteibuch, 5) Strafzettel, 6) Sache, die einer Person den Zugang zu etwas ermöglicht. Diese Bedeutung würde im GWDS sicher als Übertragung gehandhabt. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass das G W D S die Bedeutungen der o.g. Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache umfassend und zuverlässig abdeckt und dabei den (technischen) Fachsprachen vermutlich aufgrund der anders gearteten Quellenlage mehr R a u m zubilligt als das AWB, demgegenüber j e d o c h eher umgangssprachliche oder journalistische Verwendungen weniger berücksichtigt (s. Ticket) bzw. nicht mit einer eigenen Teilbedeutung versieht (s. Blackout). Bezüglich der für die einzelnen Bedeutungen angeführten Belege könnte ich mir vorstellen, dass es für manche Benutzer aufschlussreicher wäre, w e n n die selteneren und fachsprachlichen Bedeutungen, die nicht unbedingt z u m aktiven Verfügungswortschatz gehören, verstärkt durch instruktives Belegmaterial gestützt würden, selbst wenn dies aus Platzgründen auf Kosten von Beispielen für bereits gut etablierte Bedeutungen ginge.
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Anglizismen im GWDS
8
Zur Mediostruktur: Querverweise zwischen Anglizismen
Sowohl für den sprachinteressierten Laien dürfte es, etwa zur stilistischen Variation, interessant sein, zu erfahren, ob es für einen Anglizismus beispielsweise eine Eindeutschung gibt. Dies gilt, wenn auch aus anderen Gründen, auch für Sprachkontaktforscher. In Tabelle 2) steht ein ν fur: ,Eintrag vorhanden', ein - für: ,kein Eintrag vorhanden'. Airbag Aquaplaning
Luftsack
Prallsack
2. Airbag
—
Seitenairbag
Sidebag
Wasserglätte Ί (kein Verweis)
Breakfast TV
Frühstücksfernsehen
Facelift
•ι (kein Verweis; kein Hinweis auf LÜ) Gesichtsstraffung Lift
t 2 Lift, t Lifting
Lifting
ν (kein Rückverweis auf Facelift)
First Lady
Erste Dame
τ Lady Pay TV
— Bezahlfernsehen
Ί (Bezahlfernsehen im Beleg)
; (kein Verweis; kein Hinweis auf LÜ)
Standing Ovations
stehende Ovationen
ν
t 2 Lift (kein Rückverweis auf Facelift)
nur als Wendung mit Bsp. unter Ovation; kein Verweis
Tab. 2: Querverweise auf bedeutungsähnliche Lemmata
Die Beispiele in Tabelle 2) belegen, dass in den meisten Fällen kein Verweis auf bedeutungsähnliche Sprachzeichen gegeben wird. Beim Lemma Facelift werden die Leser zwar auf t 2 Lift und t Lifting verwiesen, aber weder von 2Lift noch von Lifting erfolgt ein Rückverweis auf Facelift.
In anderen Fällen wird das synonyme Sprachzeichen innerhalb der Bedeutungsparaphrasenangabe bzw. in den Kompetenzbeispielen verwendet, wie z.B. bei: Was|ser|glät|te ... (durch starken Regen od. Überflutung entstehender) Zustand einer Fahrbahn, Rollbahn ο. Α., bei dem es leicht zum Aquaplaning kommen kann. Pay-TV ... Fernsehprogramm eines Privatsenders, das gegen Zahlung einer bestimmten Gebühr mithilfe eines zusätzlich benötigten Decoders empfangen werden kann: Drei Systeme regieren fortan den Bildschirm. Das gebührenabhängige und das werbefinanzierte Fernsehen ..., und jetzt als dritte Schiene noch Bezahl-TV (Pay-TV), über das ganze Programm-Pakete abonniert... werden (Woche 1. 11.97, 1); die Direktübertragung des Finales ist nur im P. zu sehen.
Auch in diesen Fällen wäre es hilfreich, die an der entsprechenden Stelle im Alphabet lemmatisierten Synonyme mit einem Verweispfeil (t ) zu versehen, um damit den Lesern zu signalisieren, dass diese Wörter an anderer Stelle im Wörterbuch einen eigenen Eintrag haben. Das Paar Dimmer/Helligkeitsregler zeigt eine weitere Variante, bei der einerseits das Synonym zur Bedeutungsangabe dient und andererseits die Synonymenangabe durch ein
Ulrich Busse
168
Semikolon von der Bedeutungsparaphrase getrennt wird, aber auch keinen Verweispfeil erhält: Dim|mer ... Helligkeitsregler Hel|lig|keits|reg|ler ... Vorrichtung zur stufenlosen Steuerung der τ Helligkeit (2 a) von Glüh- u. Leuchtstofflampen; Dimmer. Wenn man sich die nachfolgenden drei inhaltlich zusammenhängenden Einträge anschaut, wird deutlich, dass sich den Wörterbuchbenutzern die Beziehungen zwischen den Wörtern nicht unbedingt durch Verweise erschließen. Blit|zer, der; -s, - [LÜ von engl, streaker]: jmd., der blitzt (5). Flit|zer, der; -s, - (ugs.): 3. (veraltend) Blitzer: Kaum rannten in den USA ein paar Studenten nackt durchs Gelände, tauchten auch bei uns die ersten F. auf (BM 26. 3. 74, 1). Strea|ker [ 'striike], der; -s, - [engl, streaker] (veraltend): Blitzer. Durch den striktalphabetischen Aufbau der Wörterbuchartikel und durch sehr sparsame Querverweise bedingt, ist es Benutzern der Printversion meist nicht möglich, etwas über die Produktivität von Wortfamilien oder Wortbildungsprozessen zu erfahren. Gibt man jedoch beispielsweise den Suchbegriff Generation auf der CD-ROM ein, werden auch folgende Komposita angezeigt: Generation X, Lost Generation, No-Future-Generation und NullBock-Generation. Ebenso ergebnisreich verläuft die Suche bei Show mit Comedy-Show, Gameshow, Go-go-Show, Late-Night-Show, Lightshow, Liveshow, One-Man-Show, Realityshow und Sexliveshow. Diese Informationen gehen in der Printversion leider verloren.
9
Anglizismen in den Umtexten des GWDS
9.1
Wörter des Jahrhunderts
Auf den Seiten 4783 bis 4800 wird eine Auswahl der „Wörter des Jahrhunderts" präsentiert. Es wird daraufhingewiesen, dass 1998 eine Jury des Fernsehsenders 3sat 100 Wörter des 20. Jahrhunderts gekürt hat, die in loser Folge in der Zeitschrift Der Sprachdienst erscheinen. Aus diesen 100 Jahrhundertwörtern wird eine Auswahl von 30 geboten. Die sehr informativen Texte zu den Stichwörtern erhalten neben sprachlichen Informationen in erster Linie enzyklopädische Hinweise zur historischen Entwicklung der entsprechenden Begriffe. Falls nicht urheberrechtliche Gründe dem im Wege gestanden haben sollten, wäre es wünschenswert gewesen, nicht nur eine Auswahl, sondern alle Jahrhundertwörter zu präsentieren, da auch die periodische Veröffentlichung im Sprachdienst zur Zeit noch nicht abgeschlossen ist. Sie sind derzeit in einer Publikation des Suhrkamp Verlages (Schneider 1999) verfügbar. Unter den ausgewählten 30 Jahrhundertwörtern finden sich mit Beat, Dritte Welt, Drogen, Eiserner Vorhang, Konzentrationslager, Kreditkarte, Massenmedien, Pille, Radio und
Anglizismen im GWDS
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Urknall auch zehn Anglizismen. Mit einem Drittel der ausgewählten Stichwörter nehmen die Anglizismen den gleichen Prozentsatz wie unter der Gesamtzahl ein, denn nach meiner Zählung (Busse 2001b) finden sich unter den 100 Jahrhundertwörtern 33 Anglizismen, die den prägenden Einfluss des Englischen auf das Gegenwartsdeutsche insbesondere nach 1945 belegen.
10
Zusammenfassung
Das nunmehr zehnbändige GWDS bietet in seiner Neubearbeitung insgesamt eine sowohl in historischer wie gegenwärtiger Sicht unter Einschluss der Fachsprachen eine breite und zuverlässige Dokumentation der Anglizismen im Deutschen. Im Einzelnen wären bei der Behandlung von Anglizismen für eine Neuauflage meiner Meinung nach folgende Überlegungen anzustellen: -
In der Einleitung wäre es wünschenswert, mehr zur Klassifizierung von Anglizismen (und Entlehnungen überhaupt) zu erfahren.
-
Bezüglich der Terminologie erscheint die Verwendung der Markierungen Lehnübersetzung und nach nicht stringent. Hier wäre zu überlegen, ob man entweder zu einer Vereinfachung kommt (vgl. Carstensen 1989) oder die Praxis des OED aufgreift und die Entlehnungswege auch die von Teilbedeutungen - noch detaillierter behandelt.
-
Die gegenwärtige Markierung von Amerikanismen ist nicht einheitlich. Auch hier erscheinen zwei Möglichkeiten denkbar: entweder sollten die Entlehnungen, die aus dem amerikanischen Englisch stammen als AmE [amerik. Englisch] gekennzeichnet werden oder es sollten alle Entlehnungen - wie gegenwärtig schon die Australianismen - nur als engl, markiert werden.
-
Was die Aussprache der Anglizismen anbelangt, könnte man auf eine separate Angabe englischer Lautzeichen (-kombinationen) zugunsten einer weitgehend assimilierten Aussprache unter Einschluss peripherer Phoneme verzichten.
-
Im Hinblick auf die Schreibung der Anglizismen ist auf Konformität zum Rechtschreibduden zu achten.
-
Um auch in der Printversion die Zusammenhänge zwischen bedeutungsähnlichen Lemmata, die zum äußeren bzw. inneren Lehngut gehören, besser sichtbar zu machen und um die Produktivität von Anglizismen, z.B. bezüglich der Kompositabildung, offenzulegen, wäre eine stärkere Vernetzung der Wörterbuchartikel wünschenswert.
-
Nach Möglichkeit sollten die Wörter des Jahrhunderts vollständig aufgeführt werden.
Insgesamt sollen diese kritischen Kommentare zur Verbesserung des GWDS die Qualität des Wörterbuches, und vor allem die verdienstvollen Leistungen seiner Bearbeiter(-innen) nicht schmälern.
Ulrich Busse
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11
Literatur
11.1
Wörterbücher
AWB - Carstensen, Broder und Ulrich Busse, unter Mitarbeit von Regina Schmude (1993-1996). Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945. 3 Bde. Berlin, New York: de Gruyter. [Broschierte Sonderausgabe 2001]. D R = DUDEN. DIE DEUTSCHE RECHTSCHREIBUNG. ( 2 0 0 0 ) . 22., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Mannheim: Dudenverlag. D W D N E = DUDEN. WÖRTERBUCH DER NEW ECONOMY. (2001). Herausgegeben v o n Trendbüro.
Mannheim: Dudenverlag. D W D S = DUDEN. WÖRTERBUCH DER SZENESPRACHEN. (2000). Herausgegeben von
Trendbüro.
Mannheim: Dudenverlag. GWDS = DUDEN. D A S GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN ZEHN BÄNDEN ( 1 9 9 9 ) . Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion sowie 10 Bände auf CD-ROM (2000). Mannheim: Dudenverlag. OED = THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY. (1992). Second Edition on Compact Disc. Edmund Simpson und E. S. C. Weiner (Eds.). Oxford: Oxford University Press.
11.2
Sekundärliteratur (in Auswahl):
Busse, Ulrich (1993) Anglizismen im Duden. Eine Untersuchung zur Darstellung englischen Wortguts in den Ausgaben des Rechtschreibdudens von 1880-1986. Tübingen: Niemeyer. (= RGL 139). - (1994) „Das Anglizismen-Wörterbuch und seine Benutzer", in: Fremdsprachen Lehren und Lernen 23: 175-191. - (1996) „Probleme der Aussprache englischer Wörter im Deutschen und ihre Behandlung im Anglizismen-Wörterbuch", in: Arne Zettersten und Viggo Hjernager Pedersen (Eds.). Symposium on Lexicography VII. Proceedings of the Seventh Symposium on Lexicography May 5-6, 1994 at the University of Copenhagen. Niemeyer: Tübingen, 83-92. - (2001a) „Typen von Anglizismen von der heilago geist bis Exremsparing - aufgezeigt anhand ausgewählter lexikographischer Kategorisierungen", in: Gerhard Stickel (Ed.). Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz. Aktueller lexikalischer Wandel. Berlin, New York: de Gruyter, 131-155. - (2001b) ,.Anglizismen im Gegenwartsdeutschen. Eine Taskforce für die deutsche Sprache oder alles bloß Peanuts", Der Deutschunterricht, 53/4: 42-50. Carstensen, Broder (1989) „Die Markierung von Entlehnungen im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch", in: Franz Josef Hausmann, Oskar Reichmann, Herbert Ernst Wiegand und Ladislav Zgusta (Eds.). Wörterbücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Erster Teilband. Berlin, New York: de Gruyter, 668-672. (= HSK 5.1). Höfler, Manfred (1980) „Für eine Ausgliederung der Kategorie ,Lehnschöpfung' aus dem Bereich sprachlicher Entlehnung", in: W. Pöckl (Ed.). Festschrift zum 70. Geburtstag von Mario Wandruska. Tübingen: Niemeyer, 149-153. Munske, Horst-Haider und Alan Kirkness (Eds.). Eurolatein. Das griechische und lateinische Erbe in den europäischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer. (= RGL 169). Schneider, Wolfgang (Ed.) (1999) 100 Wörter des Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Wächtler, Kurt (1980) „Was ist ein Amerikanismus - heute?", in: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 5: 145-158. Wiegand, Herbert Ernst (1996) „Über die Mediostrukturen bei gedruckten Wörterbüchern", in: Arne Zettersten und Viggo Hjernager Pedersen (Eds.). Symposium on Lexicography VII. Proceedings of the Seventh Symposium on Lexicography May 5-6, 1994 at the University of Copenhagen. Niemeyer: Tübingen, 11-43.
Sebastian Löbner Quantoren im GWDS
1 2 2.1 2.2 2.3 3 3.1
1
Zum Begriff des Quantors Pränominales jeder als typischer Vertreter der echten Quantoren Konkret referentielle Verwendung Generische Verwendung Zusammenfassung Das Zahlwort zwei als prototypischer Vertreter der Quantitätsattribute Zahlwörter als Quantitätsattribute in nichtgenerischen NPs
3.2 3.3 4 4.1 4.2 4.3 5 6
Zahlwörter in generischen NPs Zusammenfassung Die zwei Gruppen: echte Quantoren und Quantitätsangaben Echte Quantoren Zusammenfassung Quantitätsangaben Zur Gestaltung der Artikel Literatur
Z u m Begriff des Quantors
Welche Ausdrücke im Deutschen als „Quantoren" zu bezeichnen sind, ist durchaus nicht unumstritten. In der Semantik, insbesondere der Formalen Semantik, leitet sich der Begriff „Quantor" aus der Prädikatenlogik ab, die standardmäßig zwei Quantoren hat, den Existenzquantor (3x ..., gelesen „es gibt mindestens ein x, fur das gilt: ...") und den Allquantor (Vx ..., gelesen „für alle χ gilt: ..."). Die Formale Semantik sieht in natürlichsprachlichen Ausdrücken wie jeder Student oder alle Studenten Entsprechungen zum Aliquanter. Entsprechungen zum Existenzquantor sind weniger unproblematisch zu etablieren, da dieser Quantor die Anzahl der einschlägigen Fälle offen lässt. In numerusdifferenzierenden Sprachen wie dem Deutschen ist so etwas schwer auszudrücken. NPs der Form manche Ν (plur.) kommen dem Existenzquantor semantisch einigermaßen nahe, insofern sie logisch betrachtet die Anzahl der Fälle nach oben offen lassen, scheinen aber aufgrund des Plurals eine Anzahl von mindestens zwei auszudrücken. Die Tatsache, dass NPs mit Determinatoren wie jeder, alle, manche als Entsprechungen zu den Quantoren der Prädikatenlogik betrachtet werden können, führte in der von Barwise und Cooper (1981) vorgestellten Theorie der Verallgemeinerten Quantoren (Generalized Quantifier Theory) zu dem Ansatz, alle Nominalphrasen als Quantoren in einem erweiterten Sinne aufzufassen, einschließlich einfachen definiten und indefiniten NPs, Eigennamen und Pronomen. Diese Auffassung wird indes nicht allgemein als semantisch sinnvoll betrachtet.' In einer anderen, weniger an der Logik orientierten Tradition werden unter Quantoren pränominale Elemente verstanden, die in irgendeiner Weise die Aussage „quantifizieren", das heißt eine Quantitätsangabe beisteuern. Dieser Begriff von „Quantor" schließt definite
1
Zu einer Gegenposition vgl. diskurssemantische Ansätze wie die Diskursrepräsentationstheorie, in denen definite und indefinite NPs nicht als quantifizierend betrachtet werden. Ich vertrete mit anderen Argumenten (vgl. Löbner 1990, Teil I) denselben Standpunkt.
172
Sebastian Löbner
Determinatoren wie den bestimmten Artikel, Possessiv- und Demonstrativpronomen aus; der indefinite Artikel wird von manchen als Existenzquantor hinzugerechnet, von anderen nicht. Ich werde im folgenden zunächst den informellen Begriff von „Quantor" zugrundelegen, jedoch dafür plädieren, zwischen quantifizierenden Ausdrücken im logischen Sinne und solchen zu differenzieren, die primär als quantitätsbezogene Attribute zu verstehen sind. Diese beiden Gruppen unterscheiden sich in ihren grammatischen und semantischen Eigenschaften, und zwar in Hinsichten, die fur die Gestaltung der betreffenden Wörterbuchartikel durchaus relevant sind. Zunächst ergibt die Zugrundelegung des informellen Begriffs von „Quantor" folgende Auswahl von pränominalen Ausdrücken - die im folgenden vorzunehmende Unterteilung ist hier bereits vorweggenommen: 2 (1) jeder, alle, sämtlich, beide, manche°
für: neutrale Anzahl), [ganz, gesamt]
(2) mancher+ (+ für: beträchtliche Anzahl), einige, etliche, mehrere, viele (mehr, meist-), wenige (weniger, wenigst-), lauter, ein paar, ein bisschen, etwas, kein sowie die Zahlwörter.
Ich betrachte den unbestimmten Artikel nicht als Quantor, unterscheide ihn aber von dem Zahlwort für 1: als Zahlwort gehört ein in Gruppe (2), als unbestimmter Artikel wird ein nicht berücksichtigt. Die Diskussion beschränkt sich auf Elemente, die pränominal verwendet werden, also mit einem nachfolgenden Nomen eine NP bilden können (damit sind z.B. niemand, jemand, nichts ausgeklammert). Fast alle diese Elemente haben auch einen pronominalen Gebrauch, der sich aber in den hier relevanten semantischen Eigenschaften nicht von dem pränominalen unterscheidet. Im GWDS werden die meisten in (1) und (2) genannten Elemente unterschiedslos als ,Indefinitpron[omen] u[nd] unbestimmtes] Zahlw[ort]' gekennzeichnet, einige von ihnen nur als Indefinitpronomen. Diese Kennzeichnungen sind größtenteils unzutreffend. Es ist zwar richtig, dass die Ausdrücke fast alle auch als Pronomen verwendet werden, aber in einigen Fällen sind sie nicht eigentlich indefinit. In der pränominalen Verwendung können wiederum auch nicht alle als bestimmte oder unbestimmte Zahlwörter bezeichnet werden. Schon die grammatische Einordnung und damit auch teilweise die Aufgliederung der Artikel ist also revisionsbedürftig. Ich werde daher zunächst die Grundlage für eine adäquate Einordnung und Subklassifizierung diskutieren. Es gibt im wesentlichen zwei Gruppen, die echten Quantoren in (1) und die Quantitätsattribute in (2). Ihre Charakteristik wird anhand einer Analyse zweier prototypischer Fälle, jeder und zwei, herausgearbeitet. Anschließend wird eine Binnendifferenzierung der beiden Gruppen nach grammatischen und semantischen Kriterien durchgeführt. Im Abschluss werde ich exemplarisch den GWDS-Eintrag für alle diskutieren.
2
Bei primär im Singular verwendeten Elementen benutze ich die maskuline als Zitierform, bei primär im Plural verwendeten die Pluralform; Adjektive werden in der Stammform zitiert.
173
Quantoren im GWDS
2
Pränominales jeder als typischer Vertreter der echten Quantoren
2.1
Konkret referentielle Verwendung
Im GWDS wird das Wort jeder als .Indefinitpronomen und unbestimmtes Zahlwort' ausgezeichnet. Ich beziehe diese Kennzeichnung auf den pronominalen Gebrauch einerseits, und den pränominalen andererseits. Betrachten wir ein Beispiel in drei Varianten: (3) a. Paula hat jeden
Briefgelesen
b. Paula hat jeden der Briefe gelesen c. Paula hat jeden von den Briefen gelesen
In (3a) wäre jeden „unbestimmtes Zahlwort", in (3b) und (3c) „Indefinitpronomen". Die Kennzeichnung als Indefinitpronomen überträgt sich insofern auf den pränominalen Gebrauch, als auch diese Variante als indefinit mitcharakterisiert wird: wenn jeder als Pronomen indefinit ist, sind auch die NPs der Form jeder N' indefinit. Ich werde im folgenden gegen diese Charakterisierung argumentieren: -
Pro- oder pränominales jeder ist nicht indefinit. Pränominales jeder ist kein unbestimmtes Zahlwort.
Wenn wir (3a) mit dem analog gebauten Satz (4) vergleichen, fällt schon an dem oberflächlichen Merkmal Numerus ein Unterschied von jeder zu echten Zahlwörtern auf: (4) Paula hat zwei Briefe gelesen
Das Zahlwort zwei kann nur mit einem Nomen im Plural verwendet werden.3 Dies gilt nicht nur für zwei, sondern auch fur unbestimmte Mengenangaben wie viele, wenige, einige, mehrere, sofern sie mit zählbaren Nomen4 verwendet und damit auf Anzahlen bezogen werden. Einzige Ausnahme ist das Zahlwort ein(s) für die ganze Zahl 1, das natürlich den Singular erfordert. Alle anderen Zahlenangaben werden im Plural konstruiert, sogar Angaben wie eins Komma null, null Komma fünf oder null. Pränominales jeder erfordert jedoch ein zählbares Nomen im Singular.5 Wäre es ein unbestimmtes Zahlwort, so wäre hier der 3
5
Ausnahme: Zahlwort mit Massennomen und Maßeinheitsbezeichnungen: zwei Bier, zwei Kilo. Beides liegt in (3a) nicht vor. Zur Subklassifikation von Nomen im Folgenden: (a) zählbare Nomen, z.B. Brief, Studentin, Quantor: können in der Regel im Singular und im Plural verwendet werden, erlauben die Kombination mit Zahlwörtern, erfordern im Singular einen Artikel oder Determinator, Verwendung des bloßen Nomens im Singular nur in Ausnahmefallen möglich; (b) Massennomen, z.B. Luft, Müll, Literatur. nur im Singular, erlauben keine Zahlwörter oder unbestimmten Artikel, können im Singular als bloßes Nomen eine NP bilden, ihr Referent besitzt Teile bzw. Teilquanten, die mit demselben Nomen benannt werden können; (c) Kollektivnomen, z.B. Gruppe, Familie, Einrichtung, bezeichnen heterogen zusammengesetzte Referenten, sind ansonsten eine Untergruppe der zählbaren Nomen. Einzige Ausnahme von dieser Regel sind die idiomatischen Formen jeder + Kardinalzahlwort + Npiu,' wie in jede zwei Stunden. Hier liegt eine Sonderverwendung vor, bei der es sich um eine Vermischung der beiden systemkonformen Konstruktionen jeder + Ordinalzahlwort + Ns,„g' {jede zweite Stunde) und ,alle + Kardinalzahlwort + N' (alle zwei Stunden) handeln dürfte.
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Sebastian Löbner
Plural zu erwarten, weil sich NPs der Form jeder Nsing' in der Regel, wenn nicht sogar notwendig, auf eine Gesamtheit von mehr als einem Fall beziehen. Diese Beobachtung ist an sich kein schlagendes Argument, denn in der Gruppe der unbestimmten Mengenangaben gibt es tatsächlich ein Element, dass eine größere Anzahl ausdrückt und dennoch im Singular verwendet wird, nämlich (so) mancher bzw. manch ein, in (2) durch mancher+ repräsentiert. Ausschlaggebend gegen eine Einordnung von jeder als unbestimmtes Zahlwort ist vielmehr seine semantische Funktion. Ich betrachte Verwendungen von pränominalem jeder wie in (3a) als primär. Die Satzaussage bezieht sich auf eine konkrete im Kontext gegebene Gesamtheit von Fällen. Daneben werden später generische Verwendungen von jeder zu betrachten sein. Der erste wichtige Punkt, der bei dem konkret referentiellen Gebrauch von NPs der Form jeder Nsillg' zu beachten ist, sind die damit verbundenen besonderen Kontextbedingungen. Satz (3a) setzt einen Kontext voraus, in dem eine bestimmte Gesamtheit von Briefen kontextuell gegeben ist.6 Dieselbe Voraussetzung ist mit der Verwendung der definiten Plural-NP die Briefe verbunden. In diesem Sinne involvieren NPs der Form jeder Nsj„g' bei konkret referentieller Verwendung implizit definite Referenz auf „die Npj u r " als Gesamtmenge. Diese definite Referenz kommt in (3a) nicht explizit zum Ausdruck, wohl aber in den in dieser Lesart semantisch voll äquivalenten Paraphrasen (3b) und (3c). Eine weitere Paraphrasierungsmöglichkeit stellt (5) dar: (5) Paula hat die Briefe jeden/alle gelesen
Hier erscheint das quantifizierende Element in adverbieller Position, während die BezugsNP den Gesamtbereich angibt. Die Variante mit jeder ist stilistisch nicht voll akzeptabel, wahrscheinlich wegen der Numerasdiskrepanz. Diese Paraphrasierungsmöglichkeit ist jedoch bedeutsam, weil sie zeigt, dass alle Aussagen in (3), uns insbesondere die in (5), als Differenzierung der einfacheren Aussage (6) betrachtet werden können.7 Sie sind also zugrundeliegend Aussagen über die Gesamtheit der im Kontext gegebenen Briefe: (6) Paula hat die Briefe gelesen
Der Beitrag von jeder in (3a) wird deutlich, wenn wir den Satz mit der einfachen Aussage (6) vergleichen. Auf den ersten Blick scheinen die beiden Aussagen auf dasselbe hinauszulaufen, weil sie unter denselben Bedingungen wahr sind: wenn nämlich Paula alle Briefe gelesen hat. Sie sind jedoch nicht unter denselben Bedingungen falsch, und darin zeigt sich der entscheidende Beitrag von jeder. Die jeweiligen Negationen sind (7a) und (7b): (7) a. Paula hat nichtjeden Brief gelesen b. Paula hat die Briefe nicht gelesen
Negation von (3 a) Negation von (6)
(6) mit der definiten Plural-NP als Objekt ist eine pauschale Aussage über die Briefe: von ihnen wird behauptet, dass Paula sie (gleichermaßen) gelesen habe. Die Negation dieses Satzes, (7b), ergibt die in derselben Weise pauschale Aussage über die Briefe, dass Paula sie (gleichermaßen) nicht gelesen habe. Negiert wird die VP, in diesem Fall die Aussage über die Briefe. (6) und (7b) bilden einen Alles-oder-nichts-Gegensatz. 6
Im technischen Sinne ist diese Voraussetzung eine Präsupposition. Zu einer ausführlichen Begründung dieser Überlegung vgl. Löbner (2000: 253 ff).
Quantoren im GWDS
175
Die Verwendung von jeder führt dagegen zu einer Fokussierung der Aussage über die Briefe auf den Aspekt der Vollständigkeit. Mit jeder wird ausgedrückt, dass die Prädikation, von Paula gelesen worden zu sein, auf die einzelnen Briefe ohne Ausnahme zutrifft. Das ist falsch, sobald es doch Ausnahmen, also einzelne Fälle von Briefen gibt, auf die die Prädikation nicht zutrifft. Die Ausnahmslosigkeit ist die übergeordnete Aussage, und dementsprechend ist sie es, die bei der Verneinung in (7a) negiert wird. (3a) und seine Negation bilden daher einen Jeder-oder-nicht-jeder-Gegensatz. Die Verwendimg von jeder führt also zu folgender Modifikation der zugrundeliegenden pauschalen Prädikation über den Gesamtbereich: es wird nun nicht der Bereich als Ganzes, sondern die Gesamtheit der ihn bildenden Einzelfälle quasi gleichzeitig und nebeneinander betrachtet; über diese Gesamtheit wird ausgesagt, dass sie ausnahmslos aus Fällen besteht, auf die die gegebene Prädikation zutrifft. Ich möchte daher NPs der Form Jeder Nsing' als echt quantifizierend bezeichnen, weil sie semantisch die Funktion haben, die Quantoren in der Logik auszeichnet: auf der Basis eines gegebenen Gesamtbereichs, des so genannten Quantifikationsbereichs, spezifizieren sie das Ausmaß, in dem die assoziierte Prädikation auf die Einzelfälle zutrifft. Wenn wir oben festgestellt haben, dass NPs der Form jeder Nsing' implizit wie ,die N phir ' referieren, so können wir nun hinzufugen, dass solche NPs auch als Mittel der simultanen Referenz auf alle Einzelfälle betrachtet werden können. Weder unter dem einen noch unter dem anderen Aspekt sind solche NPs indefinit. Indefinite (und definite) NPs referieren auf Einzelentitäten, auch wenn sie pluralisch sind (s.u. 3.1). Der Unterschied zwischen indefiniter Referenz und dem bei jeder vorliegenden Referenztyp wird deutlich, wenn wir den Diskursstatus der beiden Arten von NPs vergleichen. Referentiell verwendete indefinite NPs führen einen neuen Referenten in den Diskurs ein, der später in direkter Anapher durch entsprechende definite NPs wieder aufgenommen werden kann: (8) a. Paula hat einen Brief gelesen. Sie hat ihn/den Brief auch beantwortet. b. Paula hat (zwei) Briefe gelesen. Sie hat sie/die (zwei) Briefe auch beantwortet. usw.
Anaphorischer Bezug auf echt quantifizierende NPs wie jeder Nsing' unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten: (9) Paula hat jeden Brief gelesen. Sie hat sie/*ihn auch beantwortet.
In freier, d.h. syntaktisch nicht gebundener Anapher wie in (9) kann nur die Referenz auf den Gesamtbereich wieder aufgenommen werden, die implizit schon vorher erfolgte. Jeder leistet keinen Beitrag zur Kennzeichnung des Referenten. Allenfalls kann sein Beitrag darin gesehen werden, dass jeder den Einzelfall als „ein Nsing" spezifiziert - aber dies leistet schon der Singular des Nomens. Die Bedeutung von jeder liegt in der Verschiebung der Satzaussage von dem assoziierten Prädikat auf die Ausnahmslosigkeit seines Zutreffens in dem gegebenen Gesamtbereich. Weil pränominales jeder keinen Beitrag zur Kennzeichnung des Referenten leistet, kann es auch nicht wie ein Attribut nach einem definiten Determinator erscheinen (bestimmter Artikel, Demonstrativ- oder Possessivpronomen, vorangestellte Possessiv-NP; im folgenden kurz „DEF"). Vergleiche dazu (10a) mit (10b):
176 (10)
Sebastian Löbner a. Paula hat die/deine/diese/Eriks zwei Briefe gelesen b. Paula hat *den/*deinen/*diesen/*Eriks jeden Brief gelesen
2.2
Generische Verwendung
Nicht bei allen Verwendungs weisen von jeder wird auf einen konkreten Quantifikationsbereich referiert. Betrachten wir dazu folgendes Beispiel: (11) jedes Kind hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz Hier wird eine abstrakte Grundgesamtheit von durch die Kennzeichnung „Kind" spezifizierten Fällen betrachtet, die jedoch nicht konkret im Bezugskontext verankert ist. Generisch interpretierte NPs referieren nicht; 8 allenfalls kann man sie als Aussagen über potentielle Referenten der NP auffassen. (Dass solche generischen Aussagen häufig für konkrete Fälle in Anspruch genommen und darauf bezogen werden, steht auf einem anderen Blatt.) Der Quantifikationsbereich ist hier eine kategoriell, oder intensional, aber nicht konkret extensional bestimmte Gesamtheit. Der Beitrag von jedes ist jedoch derselbe: es besagt, dass die Einzelfallprädikation „hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz" in dem Gesamtbereich ausnahmslos zutrifft. Wieder zieht jedes den Satzfokus auf sich: die Negation von (11) ist (12): (12) nicht jedes Kind hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz Auch für die generische Lesart von jeder N ' gibt es eine charakteristische Paraphrase: (13) ein Kind hat immer/ohne Ausnahme/in jedem Fall einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz Das Subjekt erscheint in Form einer indefiniten NP im Singular, die Quantifikation erfolgt in adverbieller Position durch immer, ohne Ausnahme oder in jedem Fall. Die Paraphrase weist Satz (11) als Differenzierung der einfacheren generischen Aussage (14) aus: 9 (14) ein Kind hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz Die Negation der quantorenfreien Aussage (14) ist (15): (15) ein Kind hat nicht/keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz Wieder bilden die quantorenfreien Sätze einen Alles-oder-nichts-Gegensatz, (11) und (12) hingegen nicht.
8
Dazu ausführlicher Löbner (2000: 277 ff). Die Pluralvariante zu (14), Kinder haben Anspruch Anspruch ... Siehe dazu 4.1.
, entspricht generischem alle Kinder haben
177
Quantoren im GWDS
2.3
Zusammenfassung
-
NPs der Form jeder N sing ' beziehen sich auf eine Gesamtheit von Einzelfallen. Der Einzelfall wird durch das zählbare Nomen (im Singular) spezifiziert. Jeder steuert die Aussage bei, dass die assoziierte Prädikation ausnahmslos für die Gesamtheit der Einzelfälle zutrifft.
-
Bei konkret quantifizierender Verwendung ist der Gesamtbereich extensional im Kontext bestimmt; auf ihn kann mit der definiten Plural-NP ,die Npiur' referiert werden. Diese Verwendung lässt sich durch eine Partitivparaphrase umschreiben. Alternativ kann jeder in adverbieller Position erscheinen; anstelle der NP jeder N sing ' erscheint dann ,die N p | ur '.
-
Bei generisch quantifizierender Verwendung ist der Gesamtbereich intensional durch das Nomen bestimmt; die Prädikation bezieht sich auf angenommene Fälle. Diese Verwendung lässt sich durch Paraphrasen mit adverbiellen Quantoren umschreiben, in denen der Einzelfall durch eine generische indefinite NP im Singular ,ein N sing ' ausgedrückt wird.
-
Pränominalem jeder kann kein defmiter Determinator (DEF) vorangehen.
-
Pronominales jeder und NPs der Form jeder N sing ' sind nicht indefinit. Sie fuhren keinen neuen Diskursreferenten ein.
3
Das Zahlwort zwei als prototypischer Vertreter der Quantitätsattribute
NPs mit pränominalen Zahlwörtern können in nicht-generischer Verwendung entweder einfache Indefinita mit einem Quantitätsattribut oder (unechte) Quantoren sein; letztere Verwendung ist als sekundär zu betrachten, da sie einen besonderen Kontext erfordert. In genetischer Verwendung sind solche NPs nicht quantifizierend.
3.1
Zahlwörter als Quantitätsattribute in nicht-generischen NPs
Nicht quantifizierende Verwendung Betrachten wir noch einmal den oben eingeführten Vergleichssatz (4): (4)
Paula hat zwei Briefe gelesen
Im Unterschied zu NPs der Form jeder Nsing' erfordern NPs der Form ,zwei Nplur' durchaus nicht einen Kontext, in dem die Referenzmöglichkeit auf „die Nplur" bereits etabliert ist. Wir wollen also zunächst den unmarkierten Fall annehmen, dass der Kontext diese spezielle Bedingung nicht erfüllt. Die Interpretation des Satzes kann dann wie folgt paraphrasiert werden: (16)
Paula hat etwas gelesen, und zwar Briefe,
undzwarzwei
Die NP zwei Briefe charakterisiert ihren Referenten, das Objekt des Schreibens; das pluralische Nomen steuert die Information bei, dass es sich bei dem Referenten um Briefe handelt, das Zahlwort fügt eine Quantitätsangabe hinzu: aus wie vielen Einheiten der Sorte „Brief sich der Referent zusammensetzt. Die Hauptinformation der Objekt-NP besteht darin, dass
178
Sebastian
Löbner
es Briefe sind, die Paula gelesen hat; daher trägt das Nomen den Akzent. Bei der Quantitätsangabe handelt es sich um eine Zusatzinformation, ein Attribut zum Nomen Briefe. Seine Weglassung würde die Struktur des Satzes nur unwesentlich verändern: (17)
Paula hat Briefe gelesen
Die NP zwei Briefe ist ebenso wie ihr attributloses Pendant Briefe in (17) indefinit. Sie kennzeichnet einen komplexen Referenten. Fehlendes DEF zeigt an, dass dieser Referent in dem Kontext nicht als bereits gegeben beansprucht wird. Daher wird ein neuer Referent eingeführt, der im folgenden mit einer semantisch geeigneten definiten NP wieder aufgenommen werden kann. Die Möglichkeit indefiniter Referenz mit NPs der Form ,Zahlwort + N' ist nicht der einzige wichtige Punkt, der sie von echt quantifizierenden NPs unterscheidet. Es ist vor allem der damit zusammenhängende Umstand, dass das Zahlwort attributiven Charakter hat, also zur Kennzeichnung des Referenten mit beiträgt. Daher kann ihm in der NP auch ein DEF vorangehen: die/diese/ihre/Paulas zwei Briefe. Bei der angenommenen unmarkierten Lesart von (4) ist das Zahlwort zwar im Fokus des Satzes, bildet ihn aber nicht allein. Wenn man den Satz negiert, (18)
Paula hat nicht zwei Briefe gelesen
wird die gesamte VP hat zwei Briefe gelesen negiert; sie bildet daher den Fokus. Da der Fokus drei Teilaussagen enthält - dass etwas gelesen worden ist, dass es sich um Briefe handelt und dass es zwei waren - kann Satz (4) auf mehrere Weisen falsch sein. Zum Beispiel ist er falsch, und (18) wahr, wenn überhaupt keine Briefe im Spiel sind und Paula z.B. zwei Postkarten gelesen hat. Anders als im Fall von jeder in Satz (3 a) braucht also die durch das Zahlwort zwei beigesteuerte Information in (4) nicht durch die Negation berührt zu sein. Es ist klar, dass NPs der Form ,Zahlwort + N' bei der hier diskutierten Verwendung nicht in dem zuvor explizierten Sinne quantifizieren: weder ist ein vorweg etablierter Quantifikationsbereich gegeben, noch zieht das Zahlwort den Fokus auf sich. Sie können allerdings, wie wir jetzt sehen werden, in besonderen Kontexten, quasi Trittbrett fahrend, wie Quantoren verwendet werden. Unechte Quantifikation Neben der eben diskutierten Lesart besitzen indefinite NPs mit einer Quantitätsangabe auch eine quantifizierende („partitive") Interpretation - wenn in dem Kontext eine Gesamtmenge der betreffenden Art als gegeben in Anspruch genommen werden kann. Zum Beispiel kann im Kontext der Frage „Wer hat die Briefe gelesen?" der Satz Paula hat zwei Briefe gelesen im Sinne von (19) interpretiert werden: (19)
Paula hat zwei von den Briefen/zwei der Briefe gelesen
In diesem Fall wird, entsprechend der anders gelagerten Informationsstruktur des Satzes, das Zahlwort, jedoch nicht das Nomen betont. Das Zahlwort zwei bildet dann den Fokus des Satzes; es steuert die Information bei, dass innerhalb der Gesamtmenge von Briefen die Prädikation, dass Paula sie gelesen hat, auf zwei (Briefe) zutrifft. Der Satz würde sich in seiner Anlage nur unwesentlich verändern, wenn man das Nomen wegließe:
Quantoren im GWDS (20)
179
Paula hat zwei gelesen
Diese Lesart ist ein Epiphänomen, das dadurch zustande kommt, dass eine einfache Aussage des Inhalts von (16), mit der man an sich nicht die Referenz auf eine gegebene Gesamtheit von Fällen beansprucht, vor einem kontextuellen Hintergrund gemacht wird, in dem eben dies gegeben ist. In einem solchen Kontext kann und wird eine Aussage wie (4) bei geeigneter Betonung als eine Aussage über Einzelfälle dieser Grundgesamtheit aufgefasst werden und damit eine Qualifikation im eigentlichen Sinne ergeben. Ungeachtet der quantifizierenden Interpretation bleibt der Indefinitcharakter der NP erhalten: sie fuhrt auch in diesen Fällen einen neuen Diskursreferenten ein.
3.2
Zahlwörter in generischen NPs
Auch Zahlwörter können in generischen NPs erscheinen: (21)
a. vier Augen sehen mehr als zwei b. drei gleichzeitig von derselben Mutter geborene Kinder sind Drillinge c. fiir ein Kind bekommt man genau so viel Kindergeld wie für zwei
Auch in diesen Fällen leisten sie attributiv einen Beitrag zur Spezifizierung des (hier allgemeinen) Einzelfalls: in (21a) besteht er aus einem Fall von vier Augen (also zwei Personen), in (21b) aus einem Fall von drei Kindern, usw. Die Rolle von Zahlwörtern in generischen NPs ist also eine ganz andere als von jeder. Sie können nicht dazu verwendet werden, die Anzahl der positiven Fälle in der Grundgesamtheit auszudrücken.
3.3 -
Zusammenfassung Zahlwörter steuern in pränominaler Stellung ein Kardinalitätsattribut bei. Bei konkret referierender Verwendung kennzeichnen Zahlwörter die Kardinalität des ggf. komplexen Referenten. -
Bei genetischer Verwendung kennzeichnen Zahlwörter die Kardinalität des a ngenommenen Einzelfalls.
-
NPs der Form ,Zahlwort + N' besitzen in einem Kontext, in dem auf ,die N p ^ ' referiert werden kann, (bei geeigneter Akzentuierung) eine konkret quantifizierende (partitive) Lesart. Sie haben jedoch nicht von sich aus quantifizierende Kraft, insofern sie einen solchen Kontext nicht erzwingen.
-
Als Attribut können Zahlwörter auch nach definitem Determinator (DEF) erscheinen.
-
NPs der Form ,Zahlwort + N ' sind indefinit.
Sebastian Löbner
180 4
Die zwei Gruppen: echte Quantoren und Quantitätsangaben
Nach der Diskussion der Unterschiede zwischen jeder und einem tatsächlichen Zahlwort fallt die Einordnung der Ausdrücke in (1) und (2) relativ leicht. Entscheidendes Kriterium ist, ob eine NP der Form ,X N ' von sich aus quantifizierende Kraft besitzt oder einfach eine indefinite NP mit einem Quantitätsattribut X darstellt.
4.1
Echte Quantoren
Das Deutsche besitzt nur wenige echt oder zumindest primär quantifizierende pränominale Elemente: neben jeder die im wesentlichen synonymen Ausdrücke alle und sämtlich, sowie beide und manche0. Zu den pränominalen Quantoren können auch die adjektivischen Varianten ganz und gesamt gerechnet werden, wenn ihnen DEF vorangestellt ist. Alle Unterschied zwischen alle und jeder Pränominales alle unterscheidet sich mehrfach von jeder. Während jeder ein zählbares Nomen im Singular erfordert, ist alle auf pluralische oder Massennomen eingeschränkt. Eine Ausnahme bilden feste Kombinationen wie in Getränke aller Art (= jeder Art) oder aller Anfang ist schwer (= jeder Anfang ist schwer). Im allgemeinen ist alle mit zählbarem Singular nicht möglich: (22) a. Paula hat jeden/*allen Briefgelesen b. jedes/*alles Kind hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz Damit sind jeder und alle als Quantoren im Wesentlichen komplementär verteilt. Dieser Verteilung entspricht ein semantischer Unterschied: Aussagen mit NPs der Form ,alle Νρΐ^' sind auch mit Prädikationen möglich, die nicht,distributiv' auf die Einheiten innerhalb des Gesamtbereichs, sondern auf Gruppen anzuwenden sind (,kollektive' Prädikationen). Man vergleiche etwa (23 a) mit (23b): (23) a. alle Studenten haben sich zusammengefunden b. *jede Studentin hat sich zusammengefunden Die betreffende Prädikation ist kollektiv, da sie nur auf einen Referenten bezogen werden kann, der aus mehreren Individuen besteht. Ein solcher Referent kann mit einer zählbaren NP im Plural (die Studenten/viele Studenten/wir etc.), einem Kollektivnomen im Singular {Familie) oder einem Massennomen (Abschaum) spezifiziert werden, nicht aber mit einem nicht-kollektiven zählbaren Nomen im Singular {Studentin). Bei Qualifikation mit jeder N sing ' wir die Prädikation auf den durch das Nomen in seiner Singularform definierten Einzelfall bezogen. Daher sind kollektive Prädikationen bei y'ei/er-Quantifikation nur möglich, wenn das Nomen ein Kollektivnomen ist: (24) jede Familie hat sich zusammengefunden
Quantoren im GWDS
181
Sätze wie (23a) zeigen, dass Qualifikationen mit ,alle N ' anders funktionieren. Satz (23a) ist wahr, wenn sich die Studenten in einer oder mehr Gruppen zusammengefunden haben. Die Prädikation wird also auch hier auf den durch das Nomen gegebenen Fall (hier „Studenten") bezogen, doch handelt es sich jetzt um ein Nomen im Plural oder ein Massennomen. Daher sind kollektive Prädikationen bei Quantifikation mit all- uneingeschränkt möglich. Die Negation von Satz (23a) ist (25): (25) nicht alle Studenten haben sich zusammengefunden Das ist der Fall, wenn einer oder mehr unter den Studenten sich keiner Gruppe angeschlossen haben, d.h. wenn die Studenten durch die Prädikation „haben sich zusammengefunden" nicht vollständig erfasst sind. Alle zieht also wie jeder den Fokus auf sich und es fuhrt zu einem Polaritätskontrast des Typs Alles-oder-nicht-alles. Wie die Paraphrase in (26) zeigt, ist Satz (23a) ist eine Differenzierung des quantorenfreien Satzes (27): (26) die Studenten haben sich alle zusammengefunden (27)
die Studenten haben sich zusammengefunden
(27) bildet mit seiner Negation (28) abermals einen Alles-oder-nichts-Kontrast (vgl. (6) und (7b), (14) und (15)): (28) die Studenten haben sich nicht zusammengefunden Während jeder zu einer Quantifikation über alle Einzelfalle im Quantifikationsbereich führt, werden bei der Quantifikation mit alle also mögliche Zerlegungen des Gesamtbereichs betrachtet. Es wird behauptet, dass es eine Zerlegung gibt, die (i) den Gesamtbereich vollständig abdeckt und (ii) aus Teilen besteht, auf die die eventuell kollektive Prädikation zutrifft. Die möglichen Zerlegungen liegen zwischen zwei Extremen. Die gröbstmögliche ist die in nur einen Teil, die Gesamtmenge selbst. Angewandt auf (23a) bedeutet dies: alle Studenten finden sich in einer Gruppe zusammen. (23a) ist aber auch wahr, wenn sich mehrere Gruppen bilden, die die Gesamtheit der Studenten überdecken. Die Gruppen dürfen sich auch überlappen, falls die Prädikation dies semantisch zulässt. Die feinstmögliche Zerlegung der Gesamtmenge wäre eine in einzelne Studenten. Eine solche Zerlegung kommt bei kollektiven Prädikationen nicht in Frage; bei distributiven Prädikationen, die nur auf einzelne Individuen bezogen sind, ist dies jedoch der einzig mögliche Zerlegungstyp. (29) ist ein Beispiel dafür: (29)
alle Studenten in diesem Seminar beziehen BAfoG
Die Wahrheitsbedingungen von ,alle Api u r ' fuhren bei distributiven Prädikationen dazu, dass die Aussage äquivalent zu einer Formulierung mit jeder N sing ' ist (vgl. (30)): relevante Teile der Gesamtmenge sind allein mögliche Referenten von N ^ ; damit die Gesamtmenge abgedeckt ist, muss die Prädikation auf die Einzelfalle ausnahmslos zutreffen. (30)
jeder Student in diesem Seminar bezieht BAfoG
Da alle mit Zerlegungen der Gesamtmenge operiert, kann diese auch durch ein Massennomen definiert sein:
182 (31)
Sebastian Löbner a. sie hat alles Mobiliar zum Sperrmüll gegeben b. aller Müll muss weg!
Allerdings ist für diesen Fall ,DEF ganz- N ' stilistisch bevorzugt. Wir sehen, dass alle universeller verwendet wird als jeder, mit kollektiven wie mit distributiven Prädikationen und mit zählbaren wie mit Massennomen. Seine Bedeutung lässt sich wie folgt formulieren: —
NPs der Form ,all- Ν' beziehen die assoziierte Prädikation auf Teile einer Gesamtmenge. Bei pluralischem Ν sind diese Teile Gruppen aus „Npi ur " oder einzelne ,,N s j n g'\ bei Massen-N sind sie Teilquanten der Art „N". Alle steuert die Aussage bei, dass diejenigen Teile, auf die die Prädikation zutrifft, die Gesamtmenge vollständig abdecken.
Stellungs- und Gebrauchsvarianten von quantifizierendem alle Bei konkret referierender Verwendung von alle lässt sich mit ,d- N ' (mit unverändertem Nomen!) auf den Quantifikationsbereich referieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den definiten Bezug auf den Gesamtbereich explizit zu machen; sie unterscheiden sich von den bei jeder gegebenen. Wie in (32) illustriert ist partitiver Genitiv ist nicht möglich (a), possessiver Anschluss mit vow-PP nur eingeschränkt (b). Dafür gibt es die Möglichkeit, alle (auch unflektiert) DEF voranzustellen (c). Diese Möglichkeit besteht allein für alle und korrespondiert mit der ebenfalls nur hier möglichen Nachstellung am Ende einer definiten ΝΡ (d). Ferner kann alle uneingeschränkt in adverbieller Position erscheinen (e): (32)
a. alle *der Studenten in diesem Seminar beziehen BAföG b. alle ?von den Studenten in diesem Seminar beziehen BAföG c. all(e) diese/unsere Studenten beziehen BAföG d. diese Studenten alle/sie alle beziehen BAföG e. die Studenten in diesem Seminar beziehen alle BAföG
Pränominales alle kann generisch quantifizieren. Die Prädikation bezieht sich auch hier distributiv auf Einzelfälle (vgl. (33a)) oder kollektiv auf Gruppen bis hin zur Gesamtheit (b): (33)
a. alle Kinder haben Anspruch auf einen Kindergartenplatz b. alle Menschen haben (vs. *jeder Mensch hat) gemeinsame Gene
In der Paraphrase mit adverbieller Quantifikation erscheint das Subjekt als bloßer Plural: (34)
a. Kinder haben alle/durchweg Anspruch auf einen Kindergartenplatz b. Menschen haben alle gemeinsame Gene (vs. *ein Mensch hat immer gemeinsame Gene)
Sowohl bei referentieller als auch bei generischer Quantifikation mit ,alle N ' wird die assoziierte Prädikation auf Gruppen innerhalb, oder (bei Massennomen) auf Teilquanten der Gesamtmenge angewandt. Auch hier wird daher der einzelne Anwendungsfall durch das Nomen in seiner gegebenen Form (Plural oder Mas sennomensingular) beschrieben.
Quantoren im GWDS
183
Durch den zugrundeliegenden Gruppenbezug bei alle ergibt sich der geringfügige Bedeutungsunterschied zwischen Quantifikation mit Jeder Nsillg' und ,alle Nphlr' bei distributiven Prädikationen. Man vergleiche etwa (11) Jedes Kind hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz, mit (33a), alle Kinder haben ...: bei ersterem wird die Prädikation „hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz" auf Fälle von je einem einzelnen Kind angewendet, bei letzterem die pauschale Prädikation „haben Anspruch auf einen Kindergartenplatz" auf Fälle, die aus einer (beliebigen) Gruppe von Kindern bestehen. Dadurch dass die Kinder, aus denen eine solche Gruppe besteht, pauschal gleich behandelt werden, entsteht gewissermaßen der Beiklang, dass die Prädikation auf alle Kinder unterschiedslos zutrifft. Dieser Beiklang fehlt in der Variante mit jedes. Der Unterschied ist identisch mit dem zwischen den quantorenlosen Entsprechungen (14) ein Kind hat... und Kinder haben ...10 Nicht quantifizierendes alle In manchen Verwendungen ist alle nicht quantifizierend. Dazu zählen, in einer Lesart, Fälle, in denen alle einer definiten NP voran- oder nachgestellt ist. Vorangestelltes alle ist dann bevorzugt (aber nicht konsequent) unflektiert: (35) a. wenn ich an all meine Bücher denke, mag ich überhaupt nicht mehr umziehen b. Hans mit all seinen Zipperlein ... c. das alles hat ihm sehr zugesetzt Vorangestelltes ,all(e) DEF' ist in dieser Lesart ersetzbar durch ,DEF ganz'oder auch ,DEF viel-': all meine Bücher ~ meine vielen Bücher — was auf einfache Weise beweist, dass alle hier nicht quantifizierend ist. Sämtlich Dieser adjektivische echte Quantor unterscheidet sich nur geringfügig von alle. Sämtlich leistet denselben semantischen Beitrag, betont aber die Vollständigkeit noch stärker. Wie alle kann es mit zählbaren Nomen im Plural oder mit Massennomen verwendet werden. Ansonsten ist es stärker eingeschränkt: sämtlich kann (nach meinem Dafürhalten) nicht pronominal und nur sehr bedingt in Partitivkonstruktionen verwendet werden; nach DEF ist es ebenfalls von eingeschränkter Akzeptabilität (meine/Annas sämtlichen Bücher, aber 7!die/diese sämtlichen Bücher), vor DEF unmöglich (sämtliche *meine/*die/*diese/ *Brechts Bücher). Es kann auch nicht generisch verwendet werden: ein Satz wie (36) wird immer auf eine extensional gegebene Gesamtheit bezogen werden: (36) sämtliche Kinder haben Anspruch auf einen Kindergartenplatz Ganz, gesamt Diese Adjektive haben in Verbindung mit vorausgehendem DEF eine quantifizierende Lesart, die der von nicht-generischem alle ähnlich, aber nicht gleich ist.11 Sie verhalten sich 10 11
Ausfuhrlicher in Löbner (2000: 297ff). ,DEF ganz!gesamt kann wie ,all DEF' auch nicht-quantifizierend verwendet werden, vgl. die Anmerkungen zu (35).
184
Sebastian
Löbner
syntaktisch und semantisch fast gleich. Mit Pluralnomen (laut GWDS nicht voll akzeptabel) oder Massennomen kombiniert beziehen sie die Prädikation auf Teile der Gesamtmenge, auf die die NP zugleich auch definit referiert: (37)
a. die gesamte Meute hat mich umzingelt b. meine ganzen Studenten arbeiten in
Arbeitsgruppen
Eine kollektive Prädikation kann sich (vgl. (37a)), muss sich aber nicht (37b) auf die Gesamtmenge als eine Gruppe beziehen. Im Gegensatz zu alle und sämtlich kann die Prädikation bei ganz und gesamt mit zählbarem Nomen im Singular auch auf beliebige Teile des Referenten bezogen werden: (38)
a. die ganze/die gesamte Familie (*alle/*sämtliche
Familie) war hoch erfreut
b. sie hat das ganze/das gesamte Auto (*alles/*sämtliches
Auto) lackiert
Sämtlich und ganz können alternativ in adverbieller Stellung (unflektiert) quantifizieren, gesamt nicht. Ganz und gesamt werden nicht generisch quantifizierend verwendet. Im Falle von ,all- Ν' und ,sämtlich- N' kann sich die assoziierte Prädikation innerhalb der Gesamtquantität nur auf Fälle beziehen, die durch das Nomen in der gegebenen Form benennbar sind: bei Quantifikation mit alle/sämtliche Kinder ist jeder Fall ein Fall der Sorte „Kinder" (Plural), bei aller/sämtlicher Müll ein Fall der Sorte „Müll". Bei ,DEF gesamt- N' und ,DEF ganz- N' gilt diese Beschränkung nicht: hier wird die Prädikation auf beliebige Teile angewendet: zwar sind Teile von einer Gruppe aus Kindern wieder Kinder (die gesamten Kinder) und Teile eines Quantums von Müll wieder Müll (der ganze Müll), aber Teile einer Familie sind nicht notwendig wieder eine Familie, Teile eines Autos kein Auto usw. Man könnte sagen, dass bei Quantifikation mit ,all-/sämtlich- N' die Prädikation auf „gleichnamige" Teile der Gesamtmenge, bei ,DEF ganz-lgesamt- N' auf gleich- oder ungleichnamige Teile der Gesamtmenge bezogen wird. ,DEF ganz/gesamt- N' ist also wie jeder auch mit zählbaren Nomen im Singular kombinierbar. Der Effekt ist allerdings ein ganz anderer. Man vergleiche etwa (38a,b) mit (39): (39)
a. jede Familie hat sich gefreut b. sie hat jedes Auto lackiert
In (38a,b) spezifiziert die singularische NP ,DEF ganz/gesamt- N' den gesamten Quantifikationsbereich, die Prädikation wird auf Teile davon bezogen. In (39) spezifiziert das singularische Nomen den Einzelfall aus einer im Plural zu bezeichnenden Gesamtmenge. Die Prädikation wird jeweils auf alle derartigen Einzelfalle, u.z. als ganze, bezogen. Beide Beide hat zwei Verwendungsweisen: mit vorangestelltem DEF verhält es sich wie das Zahlwort zwei: diese/meine beiden Bilder = diese/meine zwei Bilder, ohne vorangestelltes DEF fungiert es als echter Quantor. Es hat dann dieselbe Bedeutung wie jeder, steuert aber zusätzlich die Information bei, dass der Gesamtbereich die Kardinalität 2 hat. Vergleichen wir etwa (40a) und (40b):
Quantoren im GWDS
185
(40) a. beide Gäste sind verheiratet b. die beiden Gäste sind verheiratet. (40a) kann nur bedeuten, dass jeder der beiden Gäste verheiratet ist; die Prädikation „sind verheiratet" kann nicht kollektiv (reziprok) interpretiert werden, sondern nur distributiv. Dagegen steht für (40b) die reziproke Interpretation ebenso offen wie die distributive. (40b) stellt eine einfache Prädikation dar, in der das Prädikat „sind verheiratet" auf den Referenten der NP die beiden (= zwei) Gäste angewendet wird; dabei besteht die Wahl zwischen einer kollektiv-reziproken und einer distributiven Anwendung. In (40a) ist beide ein echter Quantor: die Prädikation wird auf die zwei Einzelfalle eines vorgegebenen zweielementigen Quantifikationsbereichs angewendet; dabei besteht wie bei jeder Nsing' nur die Option der distributiven Prädikatsanwendung. Dies gilt im übrigen auch für (41), das eine Paraphrase von (40a) (beide in adverbieller Stellung), nicht aber von (40b) ist: (41) die Gäste sind beide verheiratet Als Quantor ist beide insofern nicht systemkonform, als in Hinblick auf die anderen echten Quantoren zu erwarten wäre, dass es ein Nomen im Singular erfordert, da der Anwendungsfall der assoziierten Prädikation durch das Nomen im Singular beschrieben ist. Der Singular erscheint jedoch lediglich im pronominalen Gebrauch: mir ist beides recht. Beide scheint in expliziten Partitivkonstruktionen nicht oder nur wenig akzeptabel: * beide der Brüder, ?beide von uns. Als Träger genetischer Qualifikation ist es natürlich nicht möglich (die intensional gegebene Gesamtheit kann nicht aus nur zwei Elementen bestehen). Wenn beide einer definiten NP nachgestellt wird, z.B. wir beide, wird es wie beide in Verbindung mit DEF nicht-quantifizierend interpretiert (wir beide ~ wir zwei). Manche° In der Gruppe der echten Quantoren bleibt manch0- zu besprechen, das als einziges einem Existenzquantor entspricht. Es handelt sich um eine quantitätsneutrale Variante von manch-, zu unterscheiden von mancherdas vor allem in Kombination mit vorangestelltem so oder nachfolgendem ein eine „beträchtliche Anzahl" ausdrückt. Quantitätsneutrales manche° zieht den Fokus der Aussage auf sich (und damit auch den Akzent des Satzes). Es ist m.E. nur im Plural oder mit Massennomen möglich, hat also pränominal dieselbe Verteilung wie alle: (42) a. manche0 Studenten haben an der Klausur teilgenommen b. manche° Literatur zu dem Seminar ist nur per Fernleihe erhältlich 0
Manche kann nicht mit nicht negiert werden. Soweit man bereit ist anzuerkennen, dass ein Satz wie (42a) auch dann wahr ist, wenn es nur einen einzigen Fall gibt, auf den die Prädikation zutrifft, kann man keine als substitutive Negation von manche0 betrachten: keine Studenten haben an der Klausur teilgenommen käme dann als Negation von (42a) in Frage. Die assoziierte Prädikation kann kollektiv sein, die Prädikation wird auf Gruppen, Teile oder einzelne Elemente von beliebigem Gesamtumfang bezogen. Manche0 kann wie jeder explizit partitiv konstruiert werden; es tritt auch generisch quantifizierend auf.
186 4.2
Sebastian Löbner
Zusammenfassung
Die Ergebnisse der Diskussion werden in zwei Tabellen zusammengefasst. Die erste Tabelle enthält die grammatisch-syntaktischen Charakteristika der echten Quantoren, die zweite die semantischen:
jeder N ^ beide N p t e manche NPLUJ/NMASS
referent, quant. + +
generisch quant. +
+ +
+
-
Prädikation betrifft je... -ι einzelne „N smg "
Gesamtmenge bezeichnet durch die Np|lu
J d- Nplui/Nmass
+
Teilgruppen von „Nsing" oder einzelne „ N , ^ "
alle •
Nplu/Nmass +
sämtliche
Nplu/Nmass DEF gesamt Ν DEF ganz Ν a
Tab. 1:
+ +
Teilquanten von „Nmin"
-
J "] Teile von „N" (auch
mmm -
b
Possessivpronomen oder -NP
lt. Beleg in GWDS
referent, quant. + +
generisch quant. +
manche
+
+
Nplur/Nmass
+
+
+
-
jeder Nsing beide Ν ^
-
alle
DEF Ν
J ungleichnamige)
Prädikation betrifft je ... "Ι einzelne „N,ing"
Gesamtmenge bezeichnet durch die Npllir
J d- Npiu/N^ass Teilgruppen von „ N , ^ " 1 oder einzelne „Njing"
Nplur^Nnuiss sämtliche
Teilquanten von „ N , ^ "
^PIUI^^MASS
DEF gesamt Ν DEF ganz Ν
-
+
-
•j Teile von „N" (auch J ungleichnamige)
DEF Ν
Tab. 2
4.3
Quantitätsangaben
Pränominale Quantitätsangaben sind allgemein Attribute, die zur Kennzeichnung des Referenten beitragen. Daraus ergeben sich die wichtigsten Eigenschaften. Unterschiede bestehen in den Typen von Nomen, mit denen diese Ausdrücke eine NP bilden können, und in der Kombinierbarkeit mit DEF (die nicht durchweg gegeben ist). Ferner kommen nur einige von ihnen fur generische Qualifikation in Frage. Ich werde die Elemente dieser Gruppe nicht einzeln diskutieren, sondern ihre Charakteristika in Tab.3 zusammenstellen und anschließend besprechen.
Quantoren im GWDS
187
zähl.S. ein (Zahlwort)
Nomentyp Plur. Mass.
+
-
quantifizierend referen. gener.
nach DEF
pronom.
-
+
+
+
-
+
+
-
-
+
-
+
ein paar
-
+
-
+*
+
+
-
mehrere
-
+
-
-
+
+
-
ein bisschen
-
-
+
+
+
?
etwas
-
-
+
-
+
+
?
-
+
+
+
+
+
+
zwei
viele, wenige, etliche
-
+
+
-
+
+
+
(so) mancher
+
+
+
-
+
+
+
+
manch ein
+
-
-
-
+
+
+
kein
+
+
+
+
+
+
lauter
-
+
+
-
1
_
einige +
.
-
Tab. 3: a unter Tilgung von ein Alle Quantitätsangaben ergeben, pränominal oder pronominal verwendet, ohne vorangehendes DEF eine indefinite NP. Alle mit Ausnahme von kein steuern eine Quantitätsspezifikation zur Referentenbeschreibung bei. (Bei referentiellem Gebrauch haben NPs der Form ,kein N ' haben keinen Referenten; in generischen Sätzen kann dagegen kein in die Kennzeichnung des Einzelfalls eingehen, vgl. keim Antwort ist auch eine Antwort.) Außer lauter können alle, z.B. in expliziten Partitivkonstruktionen, pronominal verwendet werden und daher auch in geeignetem Kontext die in 3.1 beschriebene unechte referentielle Qualifikation leisten. Sie können bei quantifizierendem Gebrauch alle nicht in adverbieller Position stehen. Primär unterscheiden sich Quantitätsangaben dadurch, mit welchen Nomentypen sie kombiniert werden können. Zahlwörter und mehrere sind auf zählbare Nomen eingeschränkt, ein bisschen und etwas auf Massennomen. Einige, etliche, lauter sowie viel und wenig (samt ihren Komparativ- und Superlativformen mehr, meist- bzw. weniger, wenigst-) können mit zählbaren Nomen im Plural und mit Massennomen verwendet werden. Nur kein und (so) mancher' erlauben außerdem auch den Singular von zählbaren Nomen; manch' ein verhält sich wie ein. Von geringerem Gewicht ist das Kriterium der Kombinierbarkeit mit DEF. Einige Elemente dieser Gruppe erlauben die Voranstellung nicht: kein, etwas, die Komparative mehr und weniger, manch+ in beiden Varianten, mehrere, einige, lauter. Die Gründe dafür sind weitgehend unklar (einzig für nicht-generisches kein ist plausibel, dass die mit DEF verbundene Referenz mit der durch kein ausgedrückten Null-Quantität logisch nicht verträglich ist). Angesichts der Akzeptabilität von (43a,c) wäre gegen Formulierungen wie in (43b,d) nichts einzuwenden:
188 (43)
Sebastian
Löbner
a. die vielen Leute, die mich heute angerufen haben, haben mich völlig entnervt b. die *mehreren/*einigen/*lauter
Leute, die mich heute angerufen haben, ...
c. du hast die kleineren/größeren
Kirschen
bekommen
d. du hast die ?wenigeren/*mehr
Kirschen
bekommen
Die Superlative meist- und wenigst- erfordern vorangehendes Def, weil sie wie alle Superlative inhärent definit sind. Schließlich ist anzumerken, dass sich nur diejenigen Quantitätsangaben für generische Quantifikation eignen, die eine Proportionslesart (relative Lesart) haben: viele, wenige, einige, etliche und mancher im Sinne von „ein großer/kleiner/gewisser/beträchtlicher Teil von" und natürlich kein. Ob die Möglichkeit einer Proportionslesart bei etwas und ein bisschen besteht, wäre empirisch zu überprüfen. Die Elemente, die auf absolute Anzahlen abheben, wie die Zahlwörter, ein paar und mehrere besitzen diese Lesart eindeutig nicht. Vorkommen von Quantitätsangaben in generischen Sätzen wie in (21) stellen keinen Fall von Quantifikation dar, vgl. auch nicht-proportionales viele in der Sprichwortlesart von viele Köche verderben den Brei.
5
Zur Gestaltung der Artikel
Die oben herausgearbeiteten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen und innerhalb davon werden in den betreffenden Artikeln im GWDS nur teilweise deutlich. Artikel zu solchen Lemmata werden in der Regel nicht semantischer, sondern grammatischer Informationen wegen konsultiert. Deutsche Erstsprachler mögen z.B. Unsicherheiten bezüglich der Deklination dieser Ausdrücke oder darauf folgender Adjektive haben. Für diese Informationen ist im GWDSdurch einschlägige Beispiele auch gut gesorgt. Zweitsprachler oder sprachlich interessierte Erstsprachler jedoch mögen durchaus weitergehenden Klärungsbedarf haben, zum Beispiel: Was ist der Unterschied zwischen alle und jeder? (Im Ungarischen etwa gibt es nur ein Wort für beides.) Entspricht jeder dem englischen every oder entspricht es each? Kann jeder mit Massennomen verwendet werden? Welchen Quantitätsangaben kann ein Artikel vorangehen? Lässt alle Partitivkonstruktionen zu? Ist beide dasselbe wie zwei? Gibt es Unterschiede zwischen die ganzen und alle, zwischen sämtliche und alle! Was ist der Unterschied zwischen beide und die beiden? Solche Fragen bleiben weitgehend im Dunkeln, Antworten sind zum Teil nur sehr mühsam aus den angegebenen Beispielen zu rekonstruieren. Diesem Mangel ließe sich durch eine systematischere und mehr an den Erkenntnissen der modernen Linguistik orientierte Gestaltung der Einträge abhelfen. Einen Ansatzpunkt zur Verbesserung bietet die grammatische Auszeichnung. Wie schon erwähnt sind die im GWDS verwendeten Auszeichnungen teilweise irreführend. Dass sie auch andernorts üblich sind, legitimiert sie nicht eigentlich. Keiner der echten Quantoren ist ein unbestimmtes Zahlwort; noch deplatzierter ist die Charakterisierung von beide als „Kardinalzahl": nicht nur sind Wörter keine Zahlen, beide ist auch kein (Kardinal-) Zahlwort - wir können nicht zählen „eins, beide, drei, vier, ...". Ferner haben zwar alle hier
Quantoren im GWDS
189
behandelten und als Indefinitpronomen' ausgezeichneten Wörter einen pronominalen Gebrauch, sie sind aber pränominal verwendet keine Pronomen, sondern Attribute oder Artikelwörter (Determinatoren). Diese Unterschiede werden im GWDS nicht berücksichtigt. In vorbildlicher, weil konsistenter und einfacher Weise geschieht dies etwa im New Oxford Dictionary of English (NODE). Zum Beispiel wird all als, predeterminer, determiner and pronoun' klassifiziert und sein grammatisches Verwendungsspektrum damit klar umrissen; es folgen Beispiele zu jeder Variante. So wird deutlich, dass all wie deutsch alle (a) vor einem Determinator, (b) anstelle eines Determinators, nicht aber danach verwendet werden kann sowie (c) als Pronomen. Many ist ,determiner, adjective and pronoun', was der Tatsache Rechnung trägt, dass many wie deutsch viele (a) in Determinatorposition (bei quantifizierendem Gebrauch), (b) nach DEF und (c) pronominal (z.B. in Partitivkonstruktionen) vorkommt. Das wie deutsch mehrere stets ohne DEF gebrauchte several ist nur .determiner and pronoun'. Man kann darüber streiten, ob ein Quantitätsattribut ohne vorangehenden Artikel in einer anderen syntaktischen Position steht als mit, aber das dürfte den Laien nicht berühren. Immerhin ist die im NODE verwendete Systematik konsistent und einfach. Der DUDEN sollte sich nicht scheuen, neuere linguistische Begriffe wie determinator/Artikelwort' zu verwenden. In einem für das GWDS eigentlich ohnehin unerlässlichen Anhang zur Erklärung der verwendeten grammatischen Termini ließe sich diese Kategorie leicht anhand weniger Beispiele erklären. Begriffe wie Indefinitpronomen' sind mit Sicherheit fast keinem der Benutzer geläufig und besitzen daher einen Erklärungswert, der fur den Schutz dieser Spezies nicht ausreicht. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der grammatischen Auszeichnung ist die Berücksichtigung des Unterschieds zwischen zählbaren Nomen und Massennomen. Im NODE ist jedes Nomen entsprechend ausgezeichnet. Wie die oben herausgearbeiteten Gegenüberstellungen zeigen, ist diese Unterscheidung in der deutschen Grammatik hochgradig relevant - für die Nomen einerseits und fur die genauere Kennzeichnung pränominaler Elemente andererseits. Exemplarisch für die Behandlung der Quantoren im GWDS möchte ich abschließend den Artikel zu alle diskutieren. Er ist folgendermaßen angelegt (Angaben zur Etymologie und einige Beispiele sind weggelassen): all [mhd., ahd. al,...]: 1
a)
auf etw. in seiner Gesamtheit, in seinem ganzen Umfang, seiner ganzen Größe od. Stärke bezogen; ganz, gesamt: aller gesunde Fortschritt; alle Freude; alles Glück dieser Erde; alles Übrige; er hat alles Geld/all sein Geld verloren; ... in aller Unschuld (ganz
unschuldig);...
all dies[es]; all das andere; all deine Mühe; all die Zeit; in all seiner Unschuld; Er gebraucht all sein bisschen magere Kraft (Seghers, Transit 375); alles in Ordnung; alles in mir sträubt sich dagegen; das ist alles; nach allem, was man hört; trotz allem; dies[es] alles; was soll das alles?; das geht Sie doch alles nichts an!; dies hier kannst du alles wegwerfen; * alles in allem ...
Sebastian Löbner
190 b)
stärker vereinzelnd, die Einzelglieder einer Gesamtheit betrachtend; jeder, jedes, jegliches alle wesentliche Information; Bücher aller Art; die Grenze alles Übersetzens; jmdm. alles Gute wünschen; führend in aller Art von Schmuck; auf alle Weise (in jeder Beziehung); es geht alles vorüber; alles (jedes Ding) hat [seine] zwei Seiten; wir waren in allem (in jeder Beziehung) Antipoden; wem alles (welchen Leuten insgesamt u. im Einzelnen) hat er wohl diese Geschichte erzählt!; was war dort alles zu sehen?; vorn sind alles (nur, ausschließlich) Wagen erster Klasse; R was es [nicht] alles gibt! (Ausruf der Verwunderung); *all[es] und jedes (jegliches ohne Ausnahme); allen voran (hauptsächlich, besonders, in erster Linie, vor allen anderen): ...
c)
(ugs.) alle Leute hier; jeder Anwesende; jeder Einzelne: alles aussteigen!; ...
2
a)
sämtliche; die gesamten, vollzähligen: alle Leute; alle schönen (veraltet: schöne) Mädchen; das durchschnittliche Einkommen aller Versicherten; in allen Farben schimmern; all die Jahre über; (nachgestellt, nachdrücklich:) Natürlich, diese kleinen Wohltaten alle (Brecht, Mensch 53); wir, ihr, sie alle; diese alle; das Wohl aller {das Gemeinwohl); alle miteinander;
b)
stärker vereinzelnd; jede[r] [von diesen]; jeder, jede, jedes Einzelne aus einer bestimmten Anzahl·. das übersteigt alle Erwartungen; dem Wunsch aller Teilnehmer (jedes einzelnen Teilnehmers) entsprechen; ... alle vier; alle diejenigen, die ...; der Kampf aller gegen alle {jedes Einzelnen gegen jeden); (nachgestellt, nachdrücklich:) die Leute können alle nicht mehr (keiner kann mehr).
3
zur Bezeichnung von etwas regelmäßig Wiederkehrendem; im Abstand von ...: alle Jahre (jedes Jahr) wieder; der Omnibus fahrt alle 12 Minuten; ...
Abgesehen von den Sonderfallen unter 3 orientiert sich die Systematik primär am Numerus von alle, wobei der Singular ausführlicher behandelt wird als der Plural. Bei aller Ausführlichkeit fehlt aber der Hinweis, dass alle im Singular nur mit Massennomen auftritt. Da im Deutschen Massennomen gegenüber zählbaren Nomen einen Sonderfall darstellen (kein Plural, weit geringere Häufigkeit), wird damit der markierte Fall zuerst behandelt und ausführlicher als der Normalfall: der besteht ohne Zweifel in der Verwendung von alle im Plural. Innerhalb von 1 und 2 wird nach sehr vagen pseudosemantischen Kriterien in a und b unterteilt. Diese Unterteilung ist unbrauchbar; sie entspricht keinen handfesten Unterschieden und ist obendrein unzutreffend. Zum einen passen z.B. nicht alle Unterfälle von l a unter die gegebene allgemeine Kennzeichnung, zum andern sind die Fälle unter l b teilweise von derselben Art wie die unter la. Ich wenigstens vermag keinen Unterschied zwischen alle in alle Freude vs. alles Gute oder alles Geld vs. alle wesentliche Information zu entdecken. Inwiefern soll denn bei Bücher aller Art, alles Gute, die Grenze alles Übersetzens das Stichwort,stärker vereinzelnd, die Einzelglieder einer Gesamtheit betrachtend' verwendet sein? Zu l b ist des Weiteren anzumerken, dass die angegebene Paraphrase jeder, jedes'
Quantoren im GWDS
191
(jegliches ist passabel) unzutreffend ist: in diesen Fällen kann, wie auch sonst, alle eben nicht durch jeder ersetzt werden. Eine Ausnahme ist aller Art = jeder Art, was darum auch nicht hierher gehört, sondern einen Sonderfall darstellt (eine feste Kombination, in der alle ausnahmsweise mit einem zählbaren Nomen im Singular verbunden ist). Dieselbe Kritik betrifft die ebenfalls durch ,stärker vereinzelt' gekennzeichnete Gruppe 2b. Wie in lb ist die Paraphrasierung mit jeder irreführend: sie müsste mit dem Hinweis versehen werden, dass jeder den Singular erfordert. Außerdem zeigt die tatsächliche Ersetzungsprobe, dass sich durchaus Unterschiede ergeben: man vergleiche das übersteigt alle Erwartungen mit ... jede Erwartung. Auch das zweite Beispiel rechtfertigt nicht wirklich die Paraphrase: der Wunsch aller Teilnehmer kann, anders als der Wunsch jedes Teilnehmers, ein gemeinsamer Wunsch aller sein; dieser Aspekt der Gemeinsamkeit fehlt der jeder-Variante. Innerhalb der vier Gruppen la, lb, 2a, 2b wird dann eine andere grammatische Systematik (im Ansatz) viermal wiederholt, die trivialerweise vom Numerus und sichtlich von der semantischen Pseudounterteilung unabhängig ist. Im übrigen lässt sie als Systematik in mehrfacher Hinsicht zu wünschen übrig. Unter der Kennzeichnung wird nicht zwischen den verschiedenen Stellungen von alle relativ zur DEF-Position unterschieden. Das Etikett ist inkonsistent verwendet: unter la und lb umfasst es pronominale Verwendungen von alle als komplette NP, in 2a dagegen Beispiele wie diese alle und wir alle (in denen alle Teil einer NP ist und sichtlich nicht alleine steht), wozu sich unter 2b Fälle wie alle vier, alle diejenigen (wiederum alle innerhalb einer NP) und flektiertes alle in adverbieller Position gesellen. Die nur unvollständige Wiederholung der Systematik lädt zu falschen Schlüssen ein: so wird die Stellungsvariante ,alle DEF N' nur unter la aufgeführt (unter der zu restriktiven Kennzeichnung : alle kann in dieser Stellung auch flektiert auftreten); sie fehlt aber unter 2, wo sie genauso gebräuchlich ist (alle meine Entchen etc.). Andere Gesichtspunkte sind durch die Systematik nicht erfasst und kommen auch in der Wahl der Beispiele nicht zum Ausdruck. Dass z.B. ,alle N' mit kollektiven Prädikationen und generisch (einziges Beispiel das nicht eben repräsentative „alles (jedes Ding) hat [seine] zwei Seiten") verwendet werden kann, ist aus den wenigen Ganzsatzbeispielen nicht ersichtlich. Im übrigen fehlt der zentrale Hinweis, der alle als echten Quantor auszeichnen würde: dass sich eine alle-NP in ihren primären Verwendungen auf eine entweder referentiell im Kontext verankerte oder abstrakte Gesamtheit bezieht. Mein Vorschlag für eine Gestaltung des Artikels ist folgender. Die Primärunterteilung sollte semantisch motiviert sein: 1
quantifizierende Verwendungen: die Aussage trifft auf die Teile einer gegebenen oder abstrakten Gesamtheit vollständig zu,
2
nicht quantifizierende Verwendungen: eine große Menge oder Vielfalt,
3
Sonderfälle wie die unter 3 im Originaleintrag.
konkreten
Bei 1 und 2 wird angegeben, dass alle außer in einigen festen Verbindungen auf Plural- und Massen-NPs beschränkt ist. Es wären dann unter 1 die Stellungsvarianten abzuhandeln (z.B. , 183 Wörter, ,Kurzw' > 8 Wörter; ,Kurzform' > 1 5 Wörter, ,Kurzf > 170 Wörter; ,kurz&für' > 887 Wörter; ,Abk' (weiter differenzierbar nach ,Abk&aus', ,Abk&für', ,Abk&von', ,Abk&zu') > 862 Wörter. Die Suche setzt Wort-
7
Im Ganzen idealisiert die Übersicht 2 die Zuordnung zwischen Kürzungsprodukt-Typen und Kennzeichnungen, indem sie widersprüchliche Zuordnungen und inkonsequente Entscheidungen im GWDS, auf die an dieser Stelle nicht im einzelnen eingegangen werden kann, ausspart.
Marianne Schröder
214
bildungswissen des Linguisten voraus, denn er muss selbst die Suchtexte erstellen, und das Suchergebnis bedarf seiner Interpretation. Es stellt sich beispielsweise heraus, dass die erweiterte Suche zum Suchtext ,Abk' Wörter heraussucht, die entweder Abkürzungen sind (CAD) oder die als Vollformen (circa) Abkürzungen als Verweisadressenangaben haben. Die entsprechende Liste von Wörtern mit den Anfangsbuchstaben c/C beginnt folgendermaßen: C, Cable-Transfer, CAD, CAM, care of, Carepaket, cash bevor delivery, cash on delivery, cc, CC, CD, Cent, Centime, CFA-France, Chronik, cif/c.i.f., CIP, circa, citato loco, Cocom-Liste, c.o.d., col basso, colla destra... Die Ursache liegt in der doppelten Verwendung von ,Abk.' als wortbildungsorientierter Kennzeichnung der Stichwörter und als Verweisadressenangabe bei den Vollformen. Letztendlich ergibt die Sichtung der mehr als 3000 elektronisch angezeigten Treffer (s. o.) aber doch eine Stichwortmenge, die bei gezielter und systematischer Auswertung per Hand die Analyse befördert und zu brauchbaren Ergebnissen fuhrt. Diese Menge ist insofern keine verlässliche Größe, da sie einerseits auch alle die Vollformen mitzählt, die metasprachlich gekennzeichnete Kürzungsprodukte in den Verweisadressenangaben haben, andrerseits aber nicht die Kürzungsprodukte erfasst, die metasprachlich ungekennzeichnet ist und sich damit (noch) dem elektronischen Zugriff entzieht. Den besonderen Status dieser ungekennzeichneten Kürzungsprodukte signalisieren allein das Gleichheitszeichen zwischen Kürzungsprodukt und Vollform (bei cal) oder die durch Fettdruck hervorgehobenen Buchstaben in der Vollform (fur EOS): „Ma" cal = Kalorie. EOS, die; -, - (DDR): erweiterte Oberschule (mit dem Abitur abschließende Schule): Die Schüler der EOS „Immanuel Kant" organisierten... die „Galerie der Freundschaft" (Junge Welt 25. 3. 78, 6). Trotz der Lücken in den Suchmöglichkeiten und der Relativität der Suchergebnisse eröffnet der elektronische Zugriff neben neuen Arten der Wörterbuchbenutzung (vgl. Haß-Zumkehr 2001, 248) vielfaltige Möglichkeiten der Kontrolle über die verschiedensten Wörterbucheinträge, was auch zu einer Vereinheitlichung der wortbildungsorientierten Kennzeichnungen führen wird.
7
Empfehlungen
Die folgenden Empfehlungen (in der Reihenfolge der vorausgehenden Abschnitte) schmälern keineswegs die lexikographische Gesamtleistung im GWDS, sondern verstehen sich als Hinweise für eine überarbeitete Neuauflage. Sie erhellen Defizite lexikographisch orientierter Wortbildungsforschung und spiegeln einen Teil der „Schwierigkeiten bei der Abstimmung von Wörterbuchkonzeptionen auf Benutzerinteressen" (Barz 2001, 206) wider. Während der sprachinteressierte Laie als Benutzer vor allem Hilfestellung sucht für den Gebrauch ausgewählter Stichwörter und ein handhabbares, möglichst einfaches Verweissystem erwartet, interessieren den Linguisten möglicherweise plausibel definierte Mengen
Abkürzungen und Kurzwörter im GWDS
215
von Stichwörtern, Angaben und Verweisen, die er für eine systematische Darstellung eines entsprechenden Forschungsgegenstandes als Belegmaterial nutzen kann. Dabei kommen ihm die Suchfunktionen in elektronischen Wörterbuch-Versionen zugute, die einen gezielten Zugriff auf unterschiedliche Daten ermöglichen. (1) Wenn Abkürzung und Kurzwort weiterhin in dieser Alternative verwendet werden, müssen ihre Bedeutungsangaben im Wörterverzeichnis definitorisch aufeinander abgestimmt sein und im Zusammenhang mit den gleichlautenden, aber anders bedeutenden metasprachlichen Kennzeichnungen erklärt werden. (2) Die Anzahl der graphischen Abkürzungen sollte reduziert werden; als Schreibvarianten gehören sie bevorzugt in RechtycAra'iwörterbücher. Außerdem sind sie zunehmend in elektronischen Wörterlisten auffindbar (Schröder 2000, 98ff). Homonyme Kürzungsprodukte müssen einzeln lemmatisiert und einheitlich gekennzeichnet werden. Wenn Kürzungsprodukte wie ABM-, Info-/-info besonders produktive Kompositionsglieder sind, könnten sie als Strichlemmata aufgenommen werden. Inwieweit einige entlehnte Kürzungsprodukte wie CU/cu (fur see you) aus dem Netsurferslang zu inventarisieren wären, kann nur in konzeptioneller Abstimmung mit anderen Neuaufnahmen entschieden werden (Beispiele bei Loskant 1998, 79). (3) Im Vorspann muss im „Aufbau der Einträge" bei Bedeutungs- und etymologischen Angaben (GWDS, 36, 32f) auf die Funktion der Vollformen verwiesen werden; bei der Aussprache (GWDS, 29f) sind Ausspracheregeln für Kürzungsprodukte zu ergänzen. Im Wörterverzeichnis sollten Abweichungen von den Regeln gesondert als Ausspracheangaben beim einzelnen Stichwort erscheinen. Schwankungen in der Aussprache allgemeinsprachlicher Kurzwörter wie BUND könnten wie bei GUS angezeigt werden, wohingegen auf fachsprachliche Aussprache-Varianten (dazu Steinhauer 2000, 108ff, z. B. /hakl/ für HCl) verzichtet werden sollte. Grammatische Angaben sind konsequenter als bisher zu machen, auch zu ihren im Sprachgebrauch bevorzugten Varianten; der Platzaufwand dafür ist relativ gering. Letzteres gilt auch für die wünschenswerte Aufnahme unisegmentaler Kopfwörter wie Abi, Rheuma, Prof,2Soli als Verweisadressenangaben in den Stichwortartikeln ihrer Vollformen (Abitur usw.). (4) Verweisprinzipien sind im Vorspann zu erklären und im Wörterverzeichnis konsequenter anzuwenden. Die rechnergestützte „erweiterte Suche" bietet gute Möglichkeiten zur Überprüfung und Verbesserung der Verweisprogramme (vgl. Wiegand 1996, 39). Ziel ist ein Verweissystem, das den Wörterbuchbenutzer vor erfolglosen Nachschlagehandlungen bewahrt. (5) Wortbildungsorientierte Kennzeichnungen müssen vereinheitlicht (,Kurzw' mit .Kurzwort', ,Kurzf mit,Kurzform'), aufeinander abgestimmt (.Kurzwort', .Kurzform' mit,Abkürzung') und im Benutzerinteresse vereinfacht (dazu Wiegand 1998, 881) werden. Zuvor sollte aber überprüft werden, inwieweit sie für den Wörterbuchbenutzer wichtig sind und welche Funktion sie erfüllen. Die bisherige Auswertung stützt die Auffassung, dass wortbildungsorientierte, typologisch differenzierte metasprachliche Kennzeichnungen der Kürzungsprodukte für den interessierten Laien eher von geringer Bedeutung sind (vgl. Schröder 2000, 97); auch Wortbildungstypen anderer Wortbildungsarten wie die Komposition, gekennzeichnet mit ,Zus.', sind im GWDS nicht weiter differenziert. Der Benutzer erkennt die genuine Beziehung zwischen Kürzungsprodukt und Vollform aus dem obligatorischen Nebeneinander von Kürzungsprodukt und Vollform im Stichworteintrag, dem typographisch signalisierenden Gleichheitszeichen zwischen beiden und durch den Fettdruck der Vollformsegmente, die im Kürzungsprodukt verbleiben.
216
Marianne Schröder
8
Literatur
8.1
Wörterbücher
D u w = DUDEN. DEUTSCHES UNIVERSALWÖRTERBUCH. H g . v o n d e r D u d e n r e d a k t i o n . 4 . , n e u b e a r b e i t e -
te und erweiterte Auflage. Mannheim [usw.] 2001. G W D S = DUDEN. DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN ZEHN BÄNDEN. 3., v ö l l i g
neu bearbeitete u. erweiterte Auflage. Hg. vom Wiss. Rat der Dudenredaktion. Mannheim [usw.] 1999. Dazu in CD-ROM-Version. Mannheim 2000. HGD = HANDWÖRTERBUCH ER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE IN ZWEI BÄNDEN. V o n e i n e m A u t o -
renkollektiv unter der Leitung von Günter Kempcke. Berlin 1984. K l u g e , F r i e d r i c h 1 9 9 9 : ETYMOLOGISCHES WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE. 2 3 . , e r w e i t e r t e
Auflage, bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin, New York. L o s k a n t , S e b a s t i a n 1 9 9 8 : DAS NEUE TREND WÖRTER-LEXIKON. DAS BUCH DER NEUEN WÖRTER. G ü t e r s -
loh. LWB = LANGENSCHEIDTS GROBWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. D i e t e r
Götz/Günther
Haensch/Hans Wellmann (Hg.). Berlin, München [usw.] 1993, Neubearbeitung 1998. Paul, Hermann 1992: DEUTSCHES WÖRTERBUCH. 9., vollständig neu bearbeitete Auflage von Helmut Henne und Georg Objartel unter Mitarbeit von Heidrun Kämper-Jensen. Tübingen. WDF = Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Von Günter Kempcke unter Mitarbeit von Barbara Seelig, Birgit Wolf, Elke Teilenbach u.a. Berlin, New York 2000. W D G = WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE IN SECHS BÄNDEN. R u t h K l a p p e n b a c h
und Wolfgang Steinitz (Hg.). 9. bearbeitete Auflage. Berlin 1978. Werlin, Josef 1987: DUDEN. WÖRTERBUCH DER ABKÜRZUNGEN. 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim [usw.]. Wolf, Birgit 2000: SPRACHE IN DER DDR. EIN WÖRTERBUCH. Berlin, New York.
8.2
Sonstige Literatur
Äugst, Gerhard u.a. 1997: Rechtschreibwörterbücher im Test. Subjektive Einschätzungen, Benutzungserfolge und alternative Konzepte (= Lexikographica: Series Maior; 78). Tübingen. Barz, Irmhild 2001: Wörterbücher. In: Gerhard Helbig/Lutz Götze/Gert Henrici/Hans-Jürgen Krumm (Hg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin, New York (= HSK 19.1), 204-214. Barz, Irmhild/Schröder, Marianne 2001: Grundzüge der Wortbildung. In: Wolfgang Fleischer/ Gerhard Helbig/Gotthard Lerchner (Hg.): Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache. Frankfurt/M. [usw.], Kapitel 4 [i. Druck]. Bergstrem-Nielsen, Henrik 1952: Die Kurzwörter im heutigen Deutsch. In: Moderna Sprak 46, 2-22. Eichinger, Ludwig M. 2000: Deutsche Wortbildung. Eine Einfuhrung. Tübingen. Fix, Ulla 2001: Zugänge zu Stil als semiotisch komplexer Einheit. Thesen, Erläuterungen und Beispiele. In: Eva-Maria Jakobs/Annely Rothkegel (Hg.): Perspektiven auf Stil. Tübingen, 111-124. Fleischer, Wolfgang 1996: Rezension zu D. Kobler-Trill. Das Kurzwort im Deutschen 1994. In: Leuvense Bijdragen 85, 474-476. Gelhaus, Hermann 1998: Die Wortarten. In: DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6. neu bearbeitete Auflage. Hrsg. v. d. Dudenredaktion. Bearb. v. Peter Eisenberg u.a. DUDEN Band 4. Mannheim [usw.], 85-407. Greule, Albrecht 1992: Die Wortkürzung - ein neuer Weg der Wortbildung? In: Forschungsmagazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Nr.2, 8. Jg., 58-63. Haß-Zumkehr, Ulrike 2001: Deutsche Wörterbücher - Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. Berlin, New York.
Abkürzungen und Kurzwörter im GWDS
217
Henne, Helmut 1998: Wort und Wortschatz. In: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6. neu bearbeitete Auflage. Hrsg. v. d. Dudenredaktion. Bearb. v. Peter Eisenberg u.a. Duden Band 4. Mannheim [usw.], 557-608. Klosa, Annette 2001: Qualitätskriterien der CD-ROM-Publikation von Wörterbüchern. In: Ingrid Lemberg/Bernhard Schröder/Angelika Starrer (Hg.): Chancen und Perspektiven computergestützter Lexikographie. Hypertext, Internet und SGML/XML für die Produktion und Publikation digitaler Wörterbücher. Tübingen (= Lexicographica: Series maior; 107), 93-101. Kobler-Trill, Dorothea 1994: Das Kurzwort im Deutschen. Eine Untersuchung zu Definition, Typologie und Entwicklung. Tübingen ( = RGL 149). Rausch, Rudolf/Rothe, Horst 2000: besser DEUTSCH sprechen. CD-Rom. Universität Leipzig. Römer, Jürgen 1996: Abkürzungen. In: Hartmut Günther/Otto Ludwig (Hg.): Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Berlin, New York (= HSK 10, 2.), 1506-1515. Schröder, Marianne 2000: Kurzwörter im Wörterbuch. Lexikographische Aspekte der Kurzwortbildung. In: Irmhild Barz/Marianne Schröder/Ulla Fix (Hg.): Praxis- und Integrationsfelder der Wortbildungsforschung. Heidelberg (= Sprache - Literatur und Geschichte; 18), 91-105. Steinhauer, Anja 2000: Sprachökonomie durch Kurzwörter. Bildung und Verwendung in der Fachkommunikation. Tübingen (= Forum für Fachsprachen; 56). Wiegand, Herbert Ernst 1996: Über die Mediostrukturen bei gedruckten Wörterbüchern. In: Symposium on Lexicography (7, 1994, Kopenhagen). Ed. by A. Zettersten and V. H. Pedersen. Tübingen (= Lexicographica: Series maior; 76), 11-43. Wiegand, Herbert Ernst 1998: Wörterbuchforschung. Untersuchungen zur Wörterbuchbenutzung, zur Theorie, Geschichte, Kritik und Automatisierung der Lexikographie. 1. Teilband. Berlin. New York.
Bärbel Techtmeier Bezeichnungen von Textsorten im GWDS
1 2
Vorbemerkung Die lexikographische Bearbeitung von Textsortenbezeichnungen im GWDS Stichwortauswahl
2.1
1
2.2 3
Bedeutungsbeschreibungen ausgewählter Textsortenbezeichnungen Literatur
Vorbemerkung
Die lexikographische Bearbeitung von Textsortenbezeichnungen (TSB) wirft einerseits ganz ähnliche Probleme auf wie die Beschreibung anderer Autosemantika im Wörterbuch; das betrifft die Stichwortauswahl, die Behandlung von Komposita, die Bedeutungsbeschreibung komplexer Lexeme usw. Andererseits ergeben sich aber auch einige Spezifika, u.a. hinsichtlich des Verhältnisses von enzyklopädischem und sprachlichem Wissen bei den Bedeutungsangaben. Beide Aspekte sind bei der Beurteilung der entsprechenden Lexikoneinträge im G W D S zu berücksichtigen. Den folgenden Ausführungen liegt die Analyse von 108 Textsortenbezeichnungen zugrunde und damit nur ein kleiner Ausschnitt aus der Vielzahl von TSB, die im G W D S wie auch in anderen deskriptiven Wörterbüchern des Deutschen beschrieben werden. Schlussfolgerungen, die sich aus der Analyse ergeben, sind demzufolge natürlich in erster Linie auf diese ausgewählten Lexeme beziehbar. Andererseits sind Verallgemeinerungen durchaus möglich, weil die Auswahl nach bestimmten Kriterien vollzogen wurde, die in der Fachliteratur verankerte Erkenntnisse über das Textsortenproblem widerspiegeln: In die Analyse einbezogen wurden: -
TSB, die für zentrale Textsortenbereiche typisch sind: u.a. institutionell (z.B. Abkommen, Antrag,Verhör), mediale (z.B Kommentar, Nachricht,) ,alltagsweltliche' (z.B. Sprichwort, Witz), literarische (z.B.Märchen, Sage); - TSB, die für fundamentale funktionale und/oder thematische Differenzierungen stehen (z.B.Testament, Werbetext); - TSB, die durch ihren intertextuellen Bezug definiert sind (Z.B. Abstract, Rezension);
1
In der Fachliteratur werden unterschiedliche Angaben über die Anzahl solcher Lexeme in verschiedenen Wörterbüchern gemacht. So findet Dimter (1981, 33) im DUDEN von 1973 insgesamt 1642 Textklassennamen, „... von denen 480 für „grundlegende", die restlichen 1163 für „abgeleitete" Textklassenkonzepte stehen". Rolf (1993,132) kommt auf der Grundlage des DUDEN- WÖRTERBUCHS ( 1 9 7 6 - 1 9 8 1 ) u n d v o n KNAURS DEUTSCHEM WÖRTERBUCH ( 1 9 8 5 ) bereits a u f 2 1 0 0 B e -
zeichnungen, die nur Gebrauchstextsorten repräsentieren sollen. Beide verweisen auf Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich aus unterschiedlichen theoretischen Zugängen zur Textsortenproblematik und den damit zusammenhängenden Definitionsproblemen für Textsorten ergeben.
220
Bärbel Techtmeier - TSB, die einzelne Differenzierungskriterien für Textsorten besonders eindeutig repräsentieren, darunter die Kriterien mündlich/schriftlich (z.B. Beratungsgespräch, Protokoll), dialogisch/monologisch (z.B. Kolloquium, Vorlesung), narrativ/ besprechend/ argumentativ (z.B. Erzählung, Bericht, Appell), gebrauchssprachlich/ poetisch (z.B. Wetterbericht, Märchen) usw.
Zu berücksichtigen war auch die Tatsache, dass in einigen Fällen bei polysemen Lexemen nur eine Bedeutung als ,textsortenbezogen' eingestuft werden konnte (vgl. z.B. Prüfung) und andererseits ein Lexem in seltenen Fällen zugleich mehrere Textsorten repräsentiert (vgl. z.B. Heiratsanzeige, Testament). Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass Simplicia und Komposita in einem angemessenen Verhältnis stehen. Besondere Beachtung fanden Bezeichnungen für Textsorten, die in der Fachliteratur detaillierter beschrieben wurden, da ihre Berücksichtigung Aussagen darüber erlaubt, in welchem Maße ,Expertenwissen' in die Bedeutungsangaben eingeflossen ist oder auch nicht (z.B. Beipackzettel, Diskussion). Aus dieser kurzen Auflistung geht bereits hervor, dass den folgenden Ausfuhrungen ein weiter Textsortenbegriff zugrundegelegt wird: Textsorten werden verstanden als .komplexe Muster sprachlicher Kommunikation' (vgl. u.a. Brinker 1997) bzw. als ,sozio-kulturell unterschiedliche Ordnungsformen des Wissens' (vgl. Antos 1997). Da solche komplexen Muster durchaus im mündlichen dialogischen Bereich anzutreffen sind, wird der Textsortenbegriff auch auf diesen Bereich bezogen. Gesprächssorten/Dialogsorten werden also als Spezialfall von Textsorten behandelt. Diese Festlegung erfolgt im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass ein solches Vorgehen nicht allen ,Textsortenexperten' gefallen wird; es entspricht aber den Grundüberzeugungen der Autorin, die eine theoretisch nur schwer begründbare Beschränkung auf schriftliche monologische Texte nicht mitvollziehen möchte (vgl. dazu u.a. Techtmeier 1999).
2
Die lexikographische Bearbeitung von Textsortenbezeichnungen im G W D S
2.1
Stichwortauswahl
Ein Vergleich der im GWDS behandelten TSB mit Listen, die von einigen Autoren auf der Grundlage anderer Wörterbücher sowie weiterer Quellen aufgestellt wurden, macht deutlich, dass das GWDS in wesentlich stärkerem Maße solche, sprachlich-kommunikative Differenzierungen widerspiegelnde, nennlexikalische Einheiten, wie es die TSB sind, berücksichtigt. Die aufgeführten Simplicia lassen - was ihre Vollständigkeit betrifft wenig Wünsche offen. Umfassender werden auch Komposita berücksichtigt, die im Bereich der TSB wegen ihres Differenzierungspotentials von besonderer Relevanz sind, werden doch mit ihrer Hilfe häufig Untergruppen von Texten mit gemeinsamen Merkmalen lexikalisiert, Merkmale, die sich häufig in den Konstituenten des Kompositums niederschlagen. Dabei findet die Hierarchisierung der Merkmale ihren Niederschlag in der Struktur des Kompositums, da es sich größtenteils um Determinativkomposita handelt: So erscheint bei zahlreichen Lemmata das funktionale Merkmal mit dem thematischen gekoppelt (z.B. Reisebericht, Steuerbescheid), wobei die funktionale Komponente die übergeordnete Kategorisierung darstellt, das interaktive mit dem medialen (z.B.
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rung darstellt, das interaktive mit dem medialen (z.B. Telefongespräch, Podiumsdiskussion) usw. Aber natürlich spiegelt auch dieses Wörterbuch die bekannten Unsicherheiten bei der Auswahl von Komposita wider, die durch die zwar einleuchtende, aber im konkreten Entscheidungsfall oftmals versagende Unterscheidung von ,durchsichtigen' und ,undurchsichtigen' Komposita nicht vermieden werden können (vgl. zum Problem u.a. Colff 1998). So kommt es zu Inkonsequenzen, wie z.B. den folgenden: Prüfungsaufsatz wird aufgenommen, Prüfungsgespräch nicht; Arztbericht erscheint, Polizeibericht nicht usw. Nicht selten wird durch die Art der Bedeutungsangabe eine Transparenz signalisiert, die so nicht ohne Weiteres gegeben ist: Neujahrsansprache wird paraphrasiert durch die Ansprache zu Neujahr(213Q)M\t einer solchen Erklärung hätte man auf das Stichwort problemlos verzichten können. Allerdings wäre hier eine komplexere, auf funktionale, thematische und sprachliche Charakteristika Bezug nehmende Bedeutungsangabe sinnvoller gewesen,wie sie etwa im Falle von Podiumsdiskussion gegeben wird: Diskussion von Experten [auf einem Podium] vor Zuhörern, Rundfunkhörern, Fernsehzuschauern"(2955).Deim auch die Neujahrsansprache weist natürlich bestimmte Merkmale auf, die man hätte benennen können wie festliche Rede, zur Jahreswende, von einer Person des öffentlichen Lebens vorgetragen, zumeist über Massenmedien vermittelt, an ein größeres Publikum gerichtet usw. Besondere Unsicherheiten zeigen sich bei der Auswahl von Komposita, die Dialogsorten benennen. Hier fehlen wichtige Stichwörter wie Arzt-Patient-Gespräch, Partygespräch, Therapiegespräch, Wegeauskunft usw. Das ist zum Teil zweifellos darauf zurückzuführen, dass Benennungen für Differenzierungen dialogischer Kommmunikationsereignisse noch wesentlich weniger im Alltagsbewusstsein der Sprecher verankert sind als solche für Differenzierungen im schriftlichen Bereich, dass sie also eher noch dem fachsprachlichen Bereich zugeordnet werden müssten .Andererseits sind aber die Merkmale für nicht wenige dieser Dialogsorten sehr wohl Bestandteil dieses Alltagsbewusstseins; es handelt sich also beim Vergleich von TSB im schriftlichen und mündlichen Bereich eher um eine graduelle Lexikalisierung. Es stellt sich deshalb schon die Frage, ob die Bezeichnungen für Dialogsorten nicht doch in stärkerem Maße im Wörterbuch präsent sein müssten, zumal sie den Sprechern ja nicht unbekannt sind und durchaus auch elizitiert werden können.
2.2
Bedeutungsbeschreibungen ausgewählter Textsortenbezeichnungen
Die Bedeutungsbeschreibung als Kernbereich jeglicher lexikographischer Aktivität wirft so viele Probleme auf, dass eine allumfassende kritische Würdigung auch im konkreten Fall eines sehr spezifischen Wörterbuchausschnitts nicht annähernd möglich ist. Deshalb beschränken sich die folgenden Ausführungen auch nur auf die Diskussion der Angemessenheit von Bedeutungsangaben (BA) und vor allem Bedeutungsparaphrasenangaben (BPA) vor dem Hintergrund unserer Kenntnisse über wesentliche, in den Wortbedeutungen abzubildende Merkmale. Andere wichtige Apekte wie z.B. die optimale Struktur der Wörterbucheinträge können an dieser Stelle nicht behandelt werden. Die erste Frage, die sich stellt, ist die nach dem Berücksichtigung einzelner Merkmale bei der BPA.. Die für die Stichwortauswahl gegebene allgemein positive Bewertung gilt 2
Vgl. zur Terminologie Wiegand 1998.
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Bärbel Techtmeier
auch für die Bedeutungsangaben: Die BPA von Textsortenbezeichnungen (TSB) im GWDS spiegeln im Vergleich zu anderen Wörterbüchern in wesentlich größeren Maße die Merkmale wider, die für einzelne Textsorten als maßgeblich erkannt worden sind. So finden sich bei zahlreichen TSB die funktionalen Aspekte im Zentrum der BPA (Z.B. bei der Bedeutung 1 von Appell, die umschrieben wird mit auffordernde, aufrüttelnde Mahnung bzw. durch die Synonymenangabe (SynA) Aufruf, Aufforderung-212); bei anderen wird auf thematische Bereiche verwiesen (z.B. beim Kompositum Reisebericht, das neben der im Grundwort enthalteren funktionalen Komponente auch eine thematische enthält). Wieder andere referieren auf mediale Aspekte (z.B. Interview, dessen erste BPA auf den massenmedialen Hintergrund hinweist). Nicht zuletzt werden interaktive Konstellationen (z.B. Streit bzw. Streitgespräch) in den Mittelpunkt gerückt. Positiv sei auch vermerkt, dass eindimensionale Charakterisierungen weitgehend vermieden werden, dass man also der Tatsache Rechnung trägt, dass Textsorten nicht allein durch ein und nur ein Merkmal charakterisiert sind, sondern dass es sich im Regelfall um Merkmalsbündel handelt, bei denen allerdings die einzelnen Merkmale von unterschiedlichem Gewicht sind, was sich auch in der Struktur der Bedeutungsbeschreibung zeigen muss und zum großen Teil auch zeigt. So spiegelt die BPA von Gutachten in bestimmter Weise auszuwertende [schriftliche] Aussage eines Sachverständigen in einem Prozess, bei einem bestimmten Vorhaben o.ä .(1621) Merkmale wider wie die Funktion (Aussage), die Charakteristik des Textproduzenten (Sachverständiger), den institutionellen (juristischen) Bereich (Prozess)bzw. eine sehr vage formulierte Alternative (bei einem bestimmten Vorhaben), die mediale Komponente (schriftlich) - wobei die eckige Klammer wohl den situationsabhängigen und damit fakultativen Charakter dieser Angabe andeuten soll - und schließlich die Konsequenzen der Erarbeitung bzw. des Kommunizierens eines Textexemplars dieser Textsorte, (in bestimmter Weise auszuwerten). In diesem Kontext werden auch häufig ,innere', das heißt textuelle bzw.sprachlich-stilistische Merkmale benannt, die jedoch nicht als grundlegende definitorische Merkmale hervortreten, was durchaus adäquat ist. Nicht einmal in einem extremen Fall wie Witz wird ausschließlich auf die ,Form' referiert: Witz .[prägnant formulierte] kurze Geschichte, die mit einer unerwarteten Wendung, einem überraschenden Effekt, einer Pointe am Ende zum Lachen reizt (4540). Im Zentrum der BPA steht ,Geschichte' im Sinne von ,Erzählung', womit die Mitteilungsfunktion benannt ist. Zumindest indirekt sind damit bereits die für Berichte bzw. Erzählungen typischen Merkmale wie eine bestimmte Strukturierung aufweisend angesprochen. Daneben rücken explizit aber weitere Merkmale in den Vordergrund: stilistische (prägnant formuliert, kurz), textstrukturelle ( Wendung/ Effekt/Pointe am Ende); interaktiv-rezipientenbezogene (unerwartet, überraschend, zum Lachen reizend), die auf spezifische Weise verzahnt werden, wobei die Verzahnung durchaus eine Gewichtung der Merkmale widerspiegeln soll. Wenn prinzipiell gesagt wurde, dass die Bedeutungsbeschreibungen im GWDS im Großen und Ganzen durchaus die Merkmale widerspiegeln, die die einzelnen Textsorten charakterisieren, so bleiben dennoch Wünsche offen. Bei der Beschreibung von funktionalen Zuordnungen stellt man fest, dass Phänomene wie die Polyfunktionalität einzelner Textsorten sowie vorhandene funktionale , Indem - Relationen' und eine damit häufiger verbundene Mehrfachadressiertheit nicht genügend oder nicht richtig dargestellt werden. Ein Beispiel dafür ist Werbetext, das im Wörterbuch paraphrasiert wird durch Text, der über ein Produkt werbend informieren soll (4490), womit auf die erste Bedeutung des Verbs werben jmdn. für etw. (bes. eine Ware, Dienstleistung) zu interessieren suchen, ihre Vorzüge
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lobend hervorheben (4489) Bezug genommen wird. Vergleicht man nun diese BPA mit Antworten, die Sprecher auf die Frage nach der Bedeutung von Werbetext geben, nutzt man also das dialogische Prinzip zur Bedeutungsermittlung, so stellt man einen gravierenden Unterschied fest. Sprecher antworten z.B. „beinhaltet Aussagen über einen Gegenstand ein Produkt/... mit dem Ziel, dieses so gut wie möglich hinzustellen und Käufer/Kunden zu finden (anzulocken)" oder: schriftliche Anpreisung einer Ware mit dem Ziel, möglichst viel zu verkaufen " usw. (vgl.Techtmeier 2000). In beiden Fällen wird zwar eine Indem-Relation benannt, nur wird sie unterschiedlich und m.E. im Wörterbuch unangemessen beschrieben. Die Befragungsergebnisse machen deutlich, dass die Sprecher sehr wohl wissen, dass die Hauptfunktion eines Werbetextes darin besteht, den Rezipienten zu einer Handlung zu bewegen, und nicht darin, ihn zu informieren, dass es sich also primär um einen Appelltext handelt und nicht um einen Informationstext, dass andererseits aber im Rahmen dieser appellativen Funktion die Information eine große Rolle spielt: der Werbetext soll also keineswegs .werbend informieren', sondern informierend werben'.Die Indem-Relation ist asymmetrisch und demzufolge nicht einfach umkehrbar. Ein weiteres Beispiel ist die BPA von Infotainment, das umschrieben wird mit durch Showeffekte, unterhaltsame Elemente aufgelockerte Präsentation von Fakten, Nachrichten o.a. (1936), die eben nicht .informieren, indem sie unterhalten, sondern unterhalten, indem sie informieren' (vgl. Klein 2000). Die thematischen Bestimmungselemente, die einen wichtigen Teil der BPA (vor allem bei Komposita) ausmachen, widerspiegeln die ganze Vielfalt aber auch Vagheit, mit der der Themenbegriff behandelt wird. So finden sich neben der einfachen Bennenung des Themas im Sinne von ,Reden über' (z.B.bei Predigt) Merkmale wie Bedeutsamkeit des Themas (z.B. bei Leitartikel oder am Gegenpol bei Klatsch), die Strittigkeit des Themas (z.B. bei Streitgespräch), die Aktualität des Themas (z.B. bei Nachricht), die Relevanz des Themas fiir die Interaktanten (z.B. bei Hiobsbotschaft) etc. Gelegentlich gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die Bezugnahme auf den thematischen Aspekt eher eine Verlegenheitslösung ist, wenn beispielsweise bei Gespräch als Bestimmungsstück über ein bestimmtes Thema (1492) auftaucht oder bei Rede über ein bestimmtes Thema od. Arbeitsergebnis (3130). Kann man bei Rede die Angabe noch als Angabe über eine bestimmte Themenfixiertheit interpretieren, ist dies für Gespräch nicht ohne weiteres möglich: Es hängt von der Gesprächssorte ab, ob eine solche Themenfixiertheit vorliegt oder nicht. Seltener finden sich falsche oder unvollständige Beschreibungen des involvierten Themas wie im Falle von Wetterbericht Bericht des Wetterdienstes über die voraussichtliche Entwicklung des Wetters (4501), wo der Beschreibungsaspekt - die vorausgegangene und gegenwärtige Wetterlage - nicht benannt wird. Die Gewichtung der einzelnen Merkmale ist eine weitere, nicht einfach zu lösende Aufgabe bei der Bedeutungsbeschreibung von TSB, da die Textsortenforschung bislang nur in wenigen Fällen detaillierte Ergebnisse darüber erbracht hat, welche der relativ leicht durch exemplarische Textanalysen zu ermittelnden Merkmale in welcher Hierarchisierung das Alltagswissen der Sprecher über die jeweilige Textsorte prägen und damit auch im Wörterbuch entsprechend dargestellt werden müssten. Wenn in diesem Punkte Kritik anzumelden ist, so richtet sie sich eher an die ,Textsortenforscher' als an die Lexikographen. Neben direkten Befragungen - denen rein quantitativ zweifellos Grenzen gesetzt sind und gegen die, werden sie als alleinige Methode genutzt, wegen der ,unnatürlichen Situation' durchaus auch Einwände erhoben werden können - sollten sich durch eine zukünftige stärkere Berücksichtigung großer Textkorpora (und dabei vor allem der mit einzelnen TSB verbünde-
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Bärbel Techtmeier 3
nen Kollokationen) wesentlich fundiertere Aussagen gewinnen lassen, als bisher. Dennoch gibt es auch gegenwärtig schon Möglichkeiten, die fur das zur Diskussion stehende Wörterbuch nicht immmer zufriedenstellend genutzt werden. Eine davon ist die stärkere Berücksichtung von übertragenen bzw. metaphorischen Bedeutungen sowie von Ableitungen, aus denen sich in manchen Fällen interessante Einsichten ergeben: So stellt man fest, dass einzelne, in der BPA der TSB zwar enthaltene, aber durch die verbale Gewichtung als sekundäre Merkmale ausgewiesene Charakteristika in den Mittelpunkt rücken, was (vorsichtige) Rückschlüsse auch auf die Gewichtung der Merkmale bei der eigentlichen TSB zulässt. Dafür gibt es zahlreiche Belege im Wörterbuch. So findet man bei Roman neben literarische Gattung erzählender Prosa, in der [in weit ausgesponnenen Zusammenhängen] das Schicksal eines Einzelnen od. einer Gruppe von Menschen (in der Auseinandersetzung mit der Umwelt) geschildert wird bzw , Werk der Gattung Roman' auch den Hinweis, dass im umgangssprachlichen Bereich Roman für übermäßig lange, ausführliche Schilderung steht (3222). Dies lässt vermuten, dass das in [...] vermerkte und damit laut Vorwort zum GWDS (38) als situations- bzw. kontextabhängige Zusatzinformation' gekennzeichnete innertextuelle Merkmal ,umfangreich, sehr ausfuhrlich' doch einen zentraleren Platz verdient als ihm zugewiesen wird.. Ähnliches lässt sich für die Quasisynonyme Märchen und Sage feststellen. Die fur Märchen angegebene übertragene umgangssprachliche Bedeutung unglaubwürdige, [als Ausrede] erfundene Geschichte^2513) enthält neben der in [...] aufgeführten Funktion (als Ausrede) das auf den propositionalen Gehalt zielende Merkmal nicht wahrheitsgemäß,(erfunden/unglaubwürdig) das in dieser expliziten Form in der BPA 1 nicht oder nur sehr indirekt enthalten ist: im Volk überlieferte Erzählung, in der übernatürliche Kräfte u. Gestalten in das Leben der Menschen eingreifen u. meist am Ende die Guten belohnt u. die Bösen bestraft werden (2513). Interessant sind auch die abgeleiteten Adjektive märchenhaft und sagenhaft, deren umgangssprachliche Bedeutung wie folgt umschrieben wird: märchenhaft: (von etw. Positivem, Angenehmem) unvorstellbar in seinem Ausmaß, seiner Art, sagenhaft (2513); sagenhaft: (bes. von etw. Positivem) unvorstellbar in seinem Ausmaß od. seiner Art (3269). Beide werden bei diesen BPA als synonym betrachtet und als ,ugs. emotional' gekennzeichnet. Schließlich gibt es auch Fälle, bei denen durch die Übertragung Merkmale ins Blickfeld rücken, die so in der BPA der Grundbedeutung überhaupt nicht - also auch nicht indirekt - enthalten sind. Beispiele dafür sind Predigt und Sprichwort. Predigt wird unter 1, paraphrasiert durch über einen Bibeltext handelnde Worte, die der Geistliche - meist von der Kanzel herab - im Gottesdienst o.a. an die Gläubigen richtet (2997). Damit sind die Merkmale: intertextueller Bezug (über einen Bibeltext handelnd), Verbaliserung(WoTte), interaktive Konstellation (der Geistliche an die Gläubigen) und äußere Kommunikations situation (meist von der Kanzel herab, im Gottesdienst) .benannt, Unter 2. wird - mit der Kennzeichnung (ugs.) verbunden - vermerkt Ermahnung, Vorhaltungen, ermahnende Worte (2997), womit neben der Verbalisierung (Worte) zusätzlich die Funktion (Ermahnung. Vorhaltung) thematisiert ist. Sprichwort wird umschrieben mit kurzer, einprägsamer Satz, der eine praktische Lebensweisheit enthält (3671); bei der Ableitung sprichwörtlich ist eine der Angaben allgemein bekannt, häufig zitiert (3671). Also taucht auch hier bei der Ableitung ein Merkmal auf, nämlich der Verbreitungsgrad, der bei der Beschreibung der Bedeutung der TSB selbst nicht vermerkt wird. Nun könnte man meinen, dass dieses Merkmal eben nicht mit Sprichwort selbst Dies ist z.B. durch eine stärkere Berücksichtigung der IDS-Korpora möglich.
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verbunden wird, sondern nur mit dem Adjektiv sprichwörtlich. Dem steht aber unsere eigene Kompetenz entgegen: Macht uns nämlich jemand oder etwas darauf aufmerksam, dass ein solches Merkmal überhaupt in die Betrachtung einzubeziehen ist, dann werden wir es ohne Schwierigkeiten als zutreffend ansehen können. Auch die berechtigte Kennzeichnung als ,umgangssprachlich' erhärtet unsere Annahme, dass es sich tatsächlich um Merkmale handelt, die zwar zum Bedeutungswissen breiterer Sprecherschichten gehören, die vielleicht aber weniger bewusst sind als andere. Dieser Tatbestand, dass ein unterschiedlicher Bewusstheitsgrad von Merkmalen auch zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei der Auflistung bzw. der Hierarchisierung von Merkmalen fuhrt, ist in besonderem Maße fur mit bestimmten Lexemen verbundene Bewertungen zutreffend: Wir können nämlich feststellen, dass es sich bei den erwähnten Merkmalen, die nur bei übertragenen Bedeutungen bzw. in Ableitungen von Lexemen wie Roman, Märchen, Predigt, Sprichwort erkennbar sind und vermerkt werden,vorwiegend um nicht neutrale Gebrauchweisen handelt, mit denen die Sprecher also (positive oder negative) Bewertungen verbinden.Wie kommt es aber zu einer solchen Übertragung, wenn nicht bereits in der ,Basisbedeutung' bzw. im ,Basislexem' eine solche Bewertung angelegt ist, die aber nicht vermerkt wird? Das Problem ist genereller Natur: Nicht nur in lexikographischen Auflistungen bzw. Hierarchisierungen von Merkmalen einzelner TSB sondern auch in der Fachliteratur wird dem Faktum kaum Rechnung getragen, dass unser Textsortenwissen nicht allein ,objektive' Komponenten enthält, sondern dass mit bestimmten Textsorten auch bestimmte Bewertungen verbunden werden. Dies wird offenkundig, wenn man durch Befragungen oder durch elizitierte Dialoge Sprecher veranlasst, sich zu solchen TSB zu äußern. Eine Befragung von Studenten, bei der nach Hauptmerkmalen bestimmter TSB (und nicht nach Stellungnahmen zu diesen TSB!) gefragt wurde, hat beispielsweise ergeben, dass solche Bewertungen gar nicht so selten sind. So wurden der Nachricht Bewertungen wie wichtig, interessant, aufschlussreich, informativ zugeordnet, dem Werbetext einprägsam, auffallend, verlockend, der Heiratsannonce albern- nichtssagend usw. (vgl. im Einzelnen Techtmeier 2000). Solche Bewertungen sind häufig auch schwankend und sicher nur dann far eine lexikographische Registrierung zu empfehlen, wenn sie einen hohen Verbreitungsgrad in einer Sprachgemeinschaft haben. Im Zusammenhang mit den BPA fur Textsortenbezeichnungen stellt sich noch ein weiteres grundsätzliches Problem, auf das zumindest hingewiesen werden muss, auch wenn im Konkreten dafür noch keine Lösung in Sicht ist: Es ist die Frage danach, in welchem Umfang durch spezifische Einzelanalysen gewonnene Erkenntnisse über Textsortenmerkmale überhaupt in eine BPA eingehen sollen oder vielleicht auch müssen, anders gesagt, es ist die Frage nach dem Verhältnis von ,sprachlichen' und/oder , enzyklopädischen' Elementen.m der Bedeutungsangabe. Das GWDS wird als ein , SprachWörterbuch' definiert, das sich nach Meinung der Autoren des Vorworts eindeutig von einer Enzyklopädie abgrenzen lässt: „Im Gegensatz zu den Erklärungen in Enzyklopädien, die den Benutzern Informationen zu Dingen, historischen Begebenheiten, Personen usw. (also: Sachinformationen) bieten, findet man in einem Wörterbuch üblicherweise Informationen zur Sprache und ihren Bedeu4
Befragungen und elizitierte Dialoge müssen als Methode zur Erkundung des Textsortenwissens auch deshalb eingesetzt werden, weil es in natürlichen Situationen nur dann zu solchen Interaktionen kommt, wenn im Kommunikationsverlauf Störungen auftreten, das ist in der ,normalen' einsprachigen Kommunikation jedoch äußerst selten.
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tungen. In diesem Werk sind dessen ungeachtet an gegebenem Ort auch (knapp gefasste) Sachinformationen zu finden: Diese Angaben sind gerade gesetzt. Doch ist die Darstellung der sprachlichen Bedeutungsstrukturen das eigentliche Anliegen des Wörterbuchs" (GWDS, 37). Einmal abgesehen davon, dass den Autoren ein gewisser Mut nicht abzusprechen ist, da sie ankündigen, die beiden Arten von Informationen durch drucktechnische Markierungen ordentlich unterscheiden zu können, hätte man sich eine stärkere Problematisierung der Trennung von Sachinformationen und ,Informationen zur Sprache' gewünscht, die dem Nutzer des Wörterbuchs die Orientierung in Zweifelsfallen erleichtert hätte. Darüber hinaus ist in metalexikographischen Diskussion die etwas naive Auffassung, dass man ,Sprachlexikographie' von , Sachlexikographie' einfach dadurch klar unterscheiden könnte, dass man feststellt, im Rahmen der erstgenannten würden semantische Angaben gemacht und im zweiten enzyklopädische, bereits hinlänglich widerlegt worden. Die Abgrenzung der beiden Aspekte ist einerseits bei den TSB einfacher als bei anderen nennlexikalischen Einheiten, andererseits aber auch komplizierter:Einfacher deshalb, weil es sich bei den TSB um metasprachliche Ausdrücke handelt, um Ausdrücke also, die per se auf sprachlich konstituierte , Sachen' referieren. Enzyklopädischer und sprachlicher Bereich fallen also gewissermaßen zusammen. Komplizierter deshalb, weil in dieser Situation die Beantwortung der Frage, welche der durchweg als im weiteren Sinne .sprachlich' zu charakterisierenden Textsortenmerkmale in eine Bedeutungsbeschreibung der TSB einfließen müssen und welche als enzyklopädisch' - vielleicht sogar dem .Fachwissen zugehörig' einzustufen sind und somit weggelassen werden können, äußerst schwierig ist. Pauschale Antworten lassen sich leicht geben: Bedeutungsbeschreibungen im Wörterbuch sollen das Alltagswissen der Sprecher widerspiegeln. Also gehören die Merkmale in eine Bedeutungsangabe, die auch in diesem Alltagswissen breiter Sprechergruppen mit den entsprechenden Lexemen verbunden werden. Nur ergibt sich hierbei ein Problem: Es ist bekannt, dass es wie bereits erwähnt - auch in diesem sogenannten Alltagswissen oder Alltagssprachbewusstsein unterschiedliche Grade von Bewusstheit gibt, dass es sich dabei um ein .durchaus unvollständiges und ungenaues, im Kern aber übereinstimmendes Alltagswissen über Texte handelt, das die Sprachteilnehmer miteinander teilen' (vgl. Fix 1997, 98). Dieses Alltagswissen ist also eher punktuell und unsystematisch, was es dem Lexikographen, der sich auf dieses Alltagswissen stützen will, erschwert, festzulegen, welche der Merkmale, die er als Experte fur die Beschreibung eines Lexems fur unerlässlich hält, wirklich Bestandteil eines - wie auch immer für eine Sprachgemeinschaft definierten - Alltagswissens sind. Einerseits haben die Sprecher sehr wohl Vorstellungen von den Merkmalen, die für sie für eine Textsortenbeschreibung unabdingbar sind. (z. B. für den Werbetext Merkmale wie kurz und präzise einprägsam, nicht neutral)·, andererseits können sie aber Merkmale zuordnen, die eher individuell sind (z.B. bei Heiratsannonce gelingt selten, bringt wenig Selbstbewußtsein zum Ausdruck). Spätestens an dieser Stelle kommt des ,Expertenwissen' 5
Das Vorwort des GWDS ist insgesamt zu wenig problemorientiert verfasst; bei wichtigen, in der Fachliteratur durchaus kontrovers diskutierten Fragen wie der Rolle von Synonymen als Ersatz fur Bedeutungsparaphrasenangaben oder der Auswahlkriterien für die Aufnahme von Komposita ins Wörterbuch fehlen Hinweise auf die Schwierigkeiten, denen sich ein Lexikograph gegenübersieht. Ein Vergleich - beispielsweise mit dem Vorwort zum PETIT ROBERT, dem gleichfalls auf eine gewisse Breitenwirkung zielenden deskriptiven Wörterbuch des Französischen - macht dies deutlich; dort werden für die Nutzung des Wörterbuchs wichtige strittige sprachwissenschaftliche Fragen durchaus thematisiert.
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ins Spiel, mit dessen Hilfe der Lexikograph - natürlich auf der Basis seiner eigenen Kompetenz und gegebenenfalls unterstützt von Frequenzanalysen - die , Spreu vom Weizen' sondern muss. Die Frage, ist nur, wie das geschehen kann, d.h., wie unsere fachspezifischen Detailkenntnisse in allgemeinverständliche BPA zu übersetzen sind und in welchem Maße das überhaupt erforderlich ist. Es gibt hier noch viel Unsicherheit, was sich dann in den Wörterbüchern als Inkonsequenz bei den Bedeutungsbeschreibungen niederschlägt. Solche sind im GWDS nicht zu übersehen. So finden wir einerseits zahlreiche Fälle von BPA für TSB, die das Bemühen um eine komplexere Bedeutungscharakteristik unter Berücksichtigung bekannter Textsortenmerkmale erkennen lassen, andererseits bleiben nicht wenige BPA unbefriedigend. Es fallt auf, dass die Defizite sich neben der mangelnden Konkretisierung der funktionalen und/oder thematischen Merkmale vor allem auf die Benennung typischer , interner' Strukturierungsmerkmale beziehen. So findet man bei Bewerbungsschreiben nur die Synonymenangabe schriftliche Bewerbung, das seinerseits auf das Verb sich bewerben verweist, wo die entsprechende BPA lautet sich um etw. bes. eine Stellung o.ä. bemühen (583). Man kann aber davon ausgehen, dass in breiter Sprecherschichten wesentlich mehr Merkmale dieser Textsorte bekannt sind, da diese sogar im Schulunterricht zumindest teilweise vermittelt und durch zahlreiche Medienveröffentlichungen auch immer wieder den Sprechern nahegebracht werden. Dies bezieht sich sowohl auf formale Merkmale wie sprachlich sorgfältig abgefasst, ordentlich, korrekt, formbedacht, als auch auf thematisch-funktionale Aspekte wie Benennung von Fakten, die dem Ziel, eine Stellung o.Ä zu erhalten, dienlich sein können und reicht hin bis zur Strukturierung komplexerer Bewerbungsschreiben. Das Gleiche trifft z.B. auf die äusserst summarische Kennzeichnung von Beipackzettel oder Gebrauchsanweisung zu (vgl. auch die Ausfuhrungen zu Neujahrsansprache). Komplexer ist da beispielsweise schon die BPA von Diskussion., wo unter l.a) vermerkt ist [unter der Führung eines Diskussionsleiters stattfindendes, in einer bestimmten Form ablaufendes] Gespräch. Aussprache, Austausch von Meinungen mehrerer Personen über ein bestimmtes Thema (829); neben der Dialogizität (Gespräch) werden die Merkmale der Gelenktheit (Führung durch einen Diskussionsleiter), Strukturiertheit (in einer bestimmten Form ablaufend), die interaktive Konstellation (mehrere Personen), ein doppelter thematischer Bezug - Themenfixiertheit (über ein bestimmtes Thema) und thematische Evidenz (Meinungen) - benannt. Vergleicht man allerdings diese BPA sowie die weiteren Angaben zum Stichwort mit den beeindruckenden Vorschlägen, die Konerding (1998) beispielhaft fur Diskussion unterbreitet, so werden auch bei dieser an sich komplexeren Umschreibung erhebliche Defizite deutlich.Auch wenn man Konerdings Empfehlungen in ihrer Gesamtheit nicht unbedingt folgen mag - weil man die Realisierbarkeit seiner Vorschläge für ein herkömmliches Wörterbuch ( nicht für ein mehrdimensionales elektronisches!) für utopisch hält, und bei konsequenter Realisierung ein Ergebnis zustande käme, das durch den ,Laien' nicht mehr rezipierbar ist - kann man dennoch in seinem Vorschlag eine Fülle von spezifizierenden Merkmalen erkennen, die durchaus Bestandteil des Alltagswissens der Sprecher sind und somit in ein allgemeinsprachliches Wörterbuch gehören: Einbeziehung der übergeordneten Handlungszusammenhänge bzw. der übergeordneten Funktionen des Ereignis6
Eine solche Einschränkung wird für ein mehrdimensionales elektronisches Wörterbuch, wie es beispielsweise mit dem IDS-Hypertextsystem „Wissen über Wörter" konzipiert wird, nicht mehr erforderlich sein.
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ses, Charakterisierung der textuellen Grundmerkmale der Redebeiträge als .argumentativ' mit allen Konsequenzen, die das fur das .Miteinander' oder .Gegeneinander' der Argumente hat, die Phasenstrukturierung usw.. Ergebnisse textlinguistischer Untersuchungen sollten auch noch in einem anderen Sinne in der lexikographischen Arbeit stärker Berücksichtigung finden, und zwar in Hinblick auf die Wechselbeziehungen, die zwischen einzelnen Textsorten bestehen. Befragungen von und Gespräche mit linguistischen .Laien' zeigen deutlich, dass das Alltagswissen über Textsorten nicht ein isoliertesWissen über einzelne, fur die Textsorte als relevant empfundene Merkmale ist, sondern dass solche Merkmale sehr häufig vor dem Hintergrund des Wissens über weitere (ähnliche oder konträre) Textsorten benannt werden. So kommen in solchen Charakterisierungen beispielsweise Negativaussagen wie nicht neutral oder emotionslos vor, was zeigt, dass die TSB vor dem Hintergrund des Wissens darüber beschrieben werden, dass es eben auch Textsorten gibt, die als Merkmale neutral, bewertend-emotional etc. aufweisen. Auch das Alltagswissen über Textsorten ist ein vernetztes bzw. relationales Wissen, was sich stärker als bisher in den BPA von TSB widerspiegeln sollte. Diese Forderung trifft sich mit einem von Holly (1998) fur die Beschreibung sprachhandlungsbezeichnender Ausdrücke formulierten Postulat, die Muster solcher Ausdrücke (die für ihn nicht nur auf der elementaren Ebene angesiedelt sind, sondern bis zu Textsortenbezeichnungen reichen) in ,Gegenüberstellung mit anderen Mustern' (819) zu beschreiben, wobei diese m.E. nicht nur aus dem ,näheren semantischen Feld', sondern durchaus auch aus ,konträren Feldern' genommen werden sollten. Die detaillierte Auseinandersetzung mit den auf verschiedenen Ebenen liegenden Einzelmerkmalen von TSB und ihrer Interdependenz, wie sie in nicht wenigen Studien ihren Niederschlag findet, macht deutlich, dass es sich auch für Lexikographen lohnt, stärker als das bislang offensichtlich geschehen ist, die Literaur zur Textsortenproblematik zu verfolgen und die für eine lexikographische Beschreibung sinnvollen Ergebnisse in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Umgekehrt sind natürlich vom Lexikographen erarbeitete Wörterbücher immer noch eine wichtige Datenbasis für den Textlinguisten und werden es - trotz der zunehmenden Einbeziehung anderer Datenquellen - wohl auch zukünftig bleiben.
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Literatur
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DUDEN ( 1 9 7 3 ) = BAND I: RECHTSCHREIBUNG DER DEUTSCHEN SPRACHE UND DER FREMDWÖRTER. 17.
neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion im Einvernehmen mit dem Institut für deutsche Sprache. Mannheim, Wien, Zürich. DUDEN ( 1 9 7 6 - 1 9 8 1 ) = DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN SECHS BÄNDEN. H e -
rausgegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter Leitung von Günther Drosdowski. Mannheim, Wien, Zürich. DUDEN ( 1 9 9 9 ) = DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE IN ZEHN BÄNDEN ( G W D S ) . 3.,
völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Fix , Ulla (1997): Kanon und Auflösung des Kanons. Typologische Intertextualität - ein „postmodernes" Stilmittel? Eine thesenhafte Darstellung. In: Die Zukunft der Textlinguistik (s. Angabe Antos), 97 - 107. Holly, Werner (1998): Die Beschreibung sprachhandlungsbezogener Ausdrücke im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. In: Wörterbücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Hrsg. von Franz Josef Hausmann, Oskar Reichmann, Herbert Ernst Wiegand, Ladislav Zgusta. Erster Teilband, Berlin, New York, 814 - 822. KNAUR (1985) = DAS DEUTSCHE WÖRTERBUCH. Erarbeitet von Ursula Hermann unter Mitarbeit von Horst Leisering und Heinz Hellerer. München. Konerding, Klaus-Peter (1998): Die semantischen Angaben in LANGENSCHEIDTS GROSSWÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. In: Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen (s. Angabe Corff), 107 -14. PETIT ROBERT (1993): Le Nouveau Petit Robert. Dictionnaire alphabetique et analogique de la langue francaise. Nouvelle edition remaniee et amplifiee sous la direction de Josette Rey-Debove et Alain Rey du Petit Robert par Paul Robert. Paris. Rolf, Eckard (1993): Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. Berlin, New York. Techtmeier, Bärbel (1999): [Rez. zu:] Eckart Rolf, Die Funktionen der Gebrauchstextsorten. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 121, 118 - 124. Techtmeier, Bärbel (2000): Merkmale von Textsorten im Alltagswissen der Sprecher. In: Textsorten. Reflexionen undAnalysen.Hrsg. von Kirsten Adamzik. Tübingen, 113 - 127. Wiegand, Herbert Ernst (1998): Die lexikographische Definition im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch. In: Wörterbücher (s. Angabe Holly), 530 - 588.
KAPITEL IX Historische und diachronische Aspekte im GROSSEN WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE
Christiane
Wanzeck
Etymologische Angaben im GWDS
1
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2
1
Die Funktion des etymologischen Eintrags in einem Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache Die Darstellung der Wortentstehung Die Struktur der etymologischen Angaben Die Beschreibung der Wortentstehung Das nicht feststellbare Grundwort Zur Recherche in der CD-Rom-Version Die Möglichkeiten der Herkunft der Wörter
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 3 4
Entlehnung Lautlich motivierte Wörter Syntaktische Fügungen Wortbildungsvorgänge Formveränderung Bedeutungsveränderung Lautveränderung Ausblick Literatur
Die Funktion des etymologischen Eintrags in einem Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache
Eigentlich gehören in ein synchronisch ausgerichtetes Wörterbuch keine etymologischen Angaben, weshalb sie auch möglichst kurz gehalten werden.1 Aus der Perspektive des Wörterbuchbenutzers interessieren vorrangig Angaben zur richtigen Schreibung und Flexion von Wörtern. Fragen zur Etymologie eines Wortes folgen erst in einem weiteren Schritt.2 Dennoch ist nicht zu unterschätzen, dass eine gewisse Neugier des Benutzers auf die Entstehung und Geschichte eines Wortes vorhanden ist.3 Durch die etymologischen Bemerkungen in einem Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache bekommt der Benutzer einen Eindruck von der Entwicklung eines Wortes und kann die sprachlichen Zusammenhänge der Wörter untereinander erkennen. Natürlich können in einem nicht auf spezielle Fragestellungen hin ausgerichteten Wörterbuch keine ausfuhrlichen Erklärungen der Wortherkunft gegeben werden. Ist das Interesse des Benutzers an einer detaillierten Information geweckt, muss er in einem etymologischen Wörterbuch nachsehen. Da es für den deutschsprachigen Raum kein mehrbändiges etymologisches Wörterbuch gibt, kann ein zehnbändiges Werk wie das GWDS die Lücke „überbrücken" helfen, indem dort Wörter etymologisiert werden, die in einem einbändigen etymologischen Wörterbuch nicht verbucht sind, z. B. Neologismen wie Elchtest [der Test simuliert die abrupte Lenk-
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Siehe auch Seebold (1982), S. 190f. Vgl. die genaue Aufstellung der typischen Benutzerfragen bei Haß-Zumkehr (2001), S. 333. Es liegt ein anderes Benutzerinteresse vor, als „eben schnell etwas nachzuschlagen". Es ist sogar möglich, dass der Benutzer das Wörterbuch als „Lesebuch zur Sprache" heranzieht, wenn er sich für die Herkunft bestimmter Wörter interessiert, wobei dies natürlich eine eher „perifere Benutzungssituation" ist (vgl. Wiegand 1998, S. 350f.).
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Christiane Wanzeck
bewegung, die das Ausweichen vor einem plötzlich auf der Fahrbahn auftauchenden Hindernis (z. B. in nordischen Ländern ein Elch) erfordert]. 4 Ein so umfassendes Wörterbuch wie das GWDS hat durch seine Lemmaauswahl die Möglichkeit, Wörter, die sonst höchstens in speziellen Wörterbüchern verzeichnet sind, mit einer Kurzetymologie zu versehen. Der Benutzer findet etymologische Angaben zu: a)
Namen: z.B. Ballermann [6],Lokal an einem Badestrand auf Mallorca' [Verballhornung der span. Bez. Balneario (No. 6)]
b)
fachsprachlichen Wörtern: z.B. Verbigeration (Med.) fur ,ständiges Wiederholen eines Wortes oder sinnloser Sätze' [zu lat. verbigerare = schwatzen, zu: verbum (φVerb) u. gerere = tragen; ausführen; halten]
c)
räumlich gebundenen Wörtern: z.B. Bams ,Kind' (bair., österr.) [eigtl. = Wanst < afrz. pance < lat. pantex, I^Panzen]
d)
zeitlich gebundenen Wörtern: z.B. ausgestorbenen Wörtern, die in der Literatur noch eine Rolle spielen wie haselieren , derbe Späße machen' [mhd. haselieren, wohl < afrz. harceler = necken].
Durch die etymologischen Angaben erhält der Benutzer zusätzlich Informationen über eine bestimmte Sache, ζ. B. Waldorfsalat [nach dem Hotel Waldorf-Astoria in New York] und Beutelschneider [eigtl. = Dieb, der jmdm. den Geldbeutel vom Gürtel abschneidet]. Ohne die entsprechende Sachkenntnis sind etliche Wörter nicht verstehbar. Die Sachgeschichte kann zum Erkennen verkürzter Redensarten von Belang sein, wie bei durchfallen, einer offenbaren Kürzung aus durch den Korb fallen : durchfallen [2: urspr. Studentenspr.; geht auf den ma. Schwank vom §l§Schreiber im Korbe§2§ zurück, in dem ein Mädchen seinen Liebhaber zum Fenster hochzieht, um ihn dann durch den schadhaften Boden fallen zu lassen].
Eine Besonderheit des GWDS, die man von einem Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache in dieser Form nicht erwartet, ist das Verzeichnis Wörter des Jahrhunderts am Ende von Band 10.5 Die Lexikografen stellen den dort behandelten 30 Lemmata 6 genügend Raum für eine ausführliche Entstehungs- und Wortgeschichte zur Verfugung. Dies ist ein deutlicher Beleg dafür, dass die etymologischen Angaben gerade wegen der darin enthaltenen aufschlussreichen kulturgeschichtlichen Entwicklungen für den Benutzer als interessant erachtet werden. Ein Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache wie das GWDS bietet dem kundigen Wörterbuchbenutzer 7 eine wissenschaftliche Behandlung der Etymologie unter Einbezie-
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Die etymologischen Angaben werden wie im GWDS in eckige Klammern gesetzt, auch dann, wenn das GWDS diese Markierung mitunter nicht vornimmt. Vgl. S. 4783-4800. Die Wörter sind: Autobahn, Beat, Dritte Welt, Drogen, Eiserner Vorhang, Emanzipation, Energiekrise, Faschismus, Femsehen, Fließband, Freizeit, Fundamentalismus, Gen, Globalisierung, Holocaust, Kommunikation, Konzentrationslager, Kreditkarte, Kugelschreiber, Massenmedien, Mondlandung, Oktoberrevolution, Perestroika, Pille, Planwirtschaft, Psychoanalyse, Radio, Satellit, Schreibtischtäter, Urknall. „Ein kundiger Benutzer eines bestimmten Wörterbuches ist einer, der die Wörterbucheinleitung kennt und Übung im Umgang mit diesem Wörterbuch hat, so daß er dieses Wörterbuch optimal nutzen kann" (Wiegand 2000, Bd. 1, S. 744).
Etymologische Angaben im GWDS
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hung des Forschungsstandes. Es hängt von der jeweiligen Kompetenz des Benutzers ab, inwieweit er in der Lage ist, sich die Information zur Etymologie eines Wortes aus den Angaben und Verweisen zu erschließen.
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Die Darstellung der Wortentstehung
2.1
Die Struktur der etymologischen Angaben
2.1.1 Die Beschreibung der Wortentstehung Die etymologischen Angaben im GWDS stehen am Anfang eines jeden Wortartikels in eckigen Klammern. Sie reichen von dem Ein-Wort-Eintrag (z. B. knallen [zu^Knall]) bis zu einer komplexen Angabe.8 Das GWDS richtet sich bei der Länge seines Eintrags am spezifischen Bedarf eines Wortes aus. Deshalb finden sich teilweise ausführlichere Etymologien, wie z.B.: 'Beute [mhd. biute < mniederd. bute = Tausch; Anteil, Beute (aus der Spr. des ma. Handels), zu: buten = Tauschhandel treiben; verteilen, wohl im Sinne von §l§heraus-geben§2§ Präfixverb zu φ aus (= mniederd. ut; vgl. mniederd. uten = ausgeben)]. Wimper [mhd. wintbra(we), ahd. windbrawa, 2. Bestandteil zu ^Braue, 1. Bestandteil mhd., ahd. wint-, H. u., viell. verw. mit griech. ionthos = junger Bart, Flaum u. mir. find = Haupthaar u. eigtl. = Haarbraue od. zu φ'winden u. eigtl.= gewundene od. sich windende (= sich auf u. ab bewegende) Braue].
Der Entstehungsweg wird markiert durch das Zeichen „. Pt.XMlBU eigenmächtiges Sichentftmen. Fernbielben von der Truppe ad. der militärischen Dienststelle mit der Absicht, sich der Verpflichtung aim Wehrdienst zu entziehen: Desertion: das
Strafmaß für F. wurde erhöht, dazu: - flucht w 'Adl. ο Steig.; nicht adv.> ι Mihi >: Fahnenflucht begangen hottend: -flächtiae. den -η, η kurze, enge Uniformjacke -kifig. der. Käfig im Zoo . m dem Affen gehalten werden aas gehl ja hier ni wie in einem A,: -kästen. der: 1. svw t-kißs 2. isalopp) a ι 'abwertend ι vgl -stall (2); b> tschweiz. ι Gefangenerusuto -koroödie. die: sv« '-theaier, -liebe, die übertrieben, unvernünftige, blinde Liebe: mit '.erstiegener A. an einem Kind hange«; -lücke. die (ZooU: Zwischenraum in der Zahnreihe bei vielen Saugetieren, -oienwh. der (Palaont.) den Übergang zum Urmenschen bildender affentthnheher i'nrmmsch - piracfier. der [nach der aflenahnlichen Form u Behaarung des Κ oplesl: I. srrubbelhaartger. hochbeiniger Zwerghund mit kugeligem KopJ 2. i salopp I Schimpfwort -adaakei. die: 1. (Soldaten**, idtcnh.) dekorative Schub lerschnur an der Uniform, bes. bei Adjutanten. 2.