289 81 55MB
German Pages 280 Year 1982
Linguistische Arbeiten
122
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Klaus-Michael Kopeke
Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kopeke, Klaus-Michael:
Untersuchungen zum Genussystem der deutschen Gegenwartssprache/ Klaus-Michael Kopeke.-Tübingen : Niemeyer, 1982. (Linguistische Arbeiten ; 122) NE:GT ISBN 3-484-30122-8
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: fotokop Wilhelm Weihert KG, Darmstadt.
v VOFWORC
Die vorliegende Arbeit ist
im Saurier 1981 vom Fachbereich Sprachwissen-
schaften der Universität Hamburg als Dissertation angenoinnan warden. Für die Drucklegung wurde die Arbeit nur geringfügig verändert. An dieser Stelle möchte ich den folgenden Personen für ihre Kritik und Unterstützung danken: Meinem Doktorvater Prof. Dr. W. Bachofer, Prof. Dr. S. Prillwitz und den Mitgliedern des Department of Linguistics der State University of New York in Buffalo. Dr. Theo Bungarten danke ich für viele fruchtbare Diskussionen und wertvolle Anregungen. Weit über das hinausgehend, was gewöhnlich an dieser Stelle zum Ausdruck gebracht werden kann, gilt mein Dank meinem Freund und Kollegen Prof. Dr. David Zubin (SUNY Buffalo), der diese Arbeit mit Rat und unermüdlicher Diskussionsbereitschaft von Anfang an begleitet hat.
Hamburg, im April 1982
Klaus-Michael Kopeke
VII
INHALTSVERZEICHNIS
UDRWORT
V
0.
ZIEL UND RAHMEN EER ARBEIT
1
1.
HINWEISE AUS DER FORSCHUNG AUF EIN ZUGRUNDE LIEGENDES SYSTEM FÜR DIE GENUSZUWEISUNG
5
1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2
Interne Evidenz für genuszuweisende Regeln Morphologische Evidenz Genus und Semantik Zur GenusZuweisung bei Fremdwörtern Externe Evidenz für die Annahme eines zugrunde liegenden Regelsystems für die Genuszuweisung zu Einsilbem Experimentelle Befunde über die Genuszuweisung bei Fremdwörtern Experimentelle Befunde über die psychologische Realität
5 5 1O 14
eines zugrunde liegenden Systems für die Genuszuweisung
20
Theoretische Ansätze zur Herkunft des Genus und einer ihm zugrunde liegenden Systematik
28
1.3.1
Grimms idealistische Theorie
29
1.3.2
Wundts Wertungstheorie
30
1.3.3 1.4
Ethnolinguistische Erklärungsversuche: Die Korrespondenzhypothese zwischen sprachlicher und außersprachlicher Welt Sprachsystematische Überlegungen
31 33
1.4.1
Sprachsystematische Grundlagen Ferdinand de Saussures
34
1.4.2
Weiterentwicklung durch Noam Chomsky
35
1.4.3
Entwicklung eines eigenen theoretischen Konzepts
38
1.5
Methodische Bemerkungen
44
1.6
Das Korpus
46
1.6.1
Korpustheoretische Überlegungen in der Linguistik
46
1.6.2
Beschreibung des Korpus
5O
1.6.3
Die verwendeten Transkriptionszeichen
52
1.7
Zusammenfassung
53
1.2.1 1.2.2 1.3
19 19
VIII 2.
ZUR PHOSfOLOGIE DER EINSILBER
2.1
Die Struktur der Einsilber: bisherige Untersuchungen und Ergebnisse Definition von 'Phonem' und 'Silbe' Ausgewählte Forschungsergebnisse zur Phonemdistribution im Deutschen Twaddells Ergebnisse Menzeraths Ergebnisse Seilers Ergebnisse Hirsch-Wierzbickas Ergebnisse Zusammenfassung
2.1.1 2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3 2.1.2.4 2.1.2.5 3.
REGELN FÜR DIE GENUS ZUWEISUNG ZU DEN EINSILBIGEN NOMEN DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE
3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.3 3.4
Semantische Regeln MDrphologische Regeln Phonologische Regeln Strukturregeln Hauptregeln Anlautregeln Inlautregeln Auslautregeln Stand-by-Regeln Zusammenfassung
4.
DARSTELLUNG UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE
4.1
Zur Begründung der vorgencnnienen Hierarchisierung der Regeln Darstellung der Ergebnisse auf der Basis einer automatischen Zuweisung des Genus zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache Zur Bestimmung der Kern- und Peripheriewortschätze und ihrer Rolle bei der Genuszuweisung
4.2 4.3
55
55 55 58 58 61 64 66 68
69
7O 78 81 82 88 88 91 97 103 1O4 1O9
1O9 111 116
5.
SCHLUSSBEMERKUNGEN
125
5.1 5.2
Bewertung der Ergebnisse Allgemeine Prinzipien zur Korrelation zwischen dem phonologischen Bau der Nomen und ihrer GenusZuweisung Ausblick auf psycholinguistische Implikationen der Ergebnisse
125
5.3
127 133
IX
6.
ANHÄNGE
144
6.1 6.2 6.3
Anlautende Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen Auslautende Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen Verzeichnis der anlautenden Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen und der mit ihnen kombinierenden Vokale, aufgeschlüsselt über die drei Genera Verzeichnis der Vokale und der mit ihnen kombinierenden auslautenden Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen, aufgeschlüsselt über die drei Genera Die für die computergerechte Aufbereitung des Materials verwendeten Transkriptionszeichen Phonematisch alphabetisiertes Korpus der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache und die Darstellung der auf jedes Nomen operierenden Regeln Die Entscheidungsrelevanz der Regeln auf der Basis der zugrunde gelegten Hierarchie
144 145
6.4 6.5 6.6 6.7
7.
LITERATUR
146 156 168 169 252
26O
O.
ZIEL UND RAHMEN DER ARBEIT
In sämtlichen Standardwerken zur deutschen Graimatik (z.B. Admoni 1970, Brinkmann 1962, Erben 1972, Jung 1967) wird die Auffassung vertreten, daß die Genuszuweisung zu den Nomen arbiträr, zumindest vom gegenwärtigen System aus undurchschaubar sei. Zwar werden in diesen Grammatiken fast immer eine Reihe morphologischer oder semantischer Regeln genannt, jedoch beziehen sich diese Aussagen überwiegend auf mehrsilbige Nomen; und selbst von den mehrsilbigen Nomen kann mit Hilfe solcher Regeln nur ein Bruchteil des Gesamtbestands der Nomen in der deutschen Gegenwartssprache in ihrer Genuszuweisung erklärt werden. Für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen liegt bis heute - vermutlich aufgrund der Arbitraritätsannahme - keine Untersuchung vor. Unterstützung scheint die Arbitraritätsannahme für die Genuszuweisung durch Beobachtungen beim Zweitspracherwerb zu erhalten, denn zweifelsonne ist die Genuszuweisung zu den Nomen für Ausländer eines der sprachlichen Hauptprobleme. Verschiedene Indizien deuten allerdings auf die Existenz eines irgendwie gearteten Systems hin: Für Kinder nämlich stellt die Genuszuweisung offensichtlich überhaupt kein Problem dar, folglich ist diese Thematik in den Lehrplänen der Schulen nicht als Unterrichtsgegenstand vorgesehen. Außerdem wissen wir von den Untersuchungsergebnissen der Psycholinguistik, ftaR Kinder für die Bewältigung der verschiedenen sprachlichen Probleme semantische, morphologische und phonologische Systeme entwerfen. Warum sollten Kinder also gerade bei der Genuszuweisung eine Ausnahme machen? Schließlich zeigen erwachsene Sprecher des Deutschen in ihren Entscheidungen für die Genuszuweisung zu Ncmen voneinander nur sehr selten Abweichungen, rtag gilt auch für solche Nomen, die sie vorher niemals gehört haben. Wenn neue Wörter in das Lexikon der deutschen Sprache eindringen, z.B. als Lehnwörter oder Neuprägungen, herrscht unter den erwachsenen Sprechern bezüglich des auszuwählenden Genus nur in seltenen Fällen ein Dissens. Diese zuletzt skizzierten Überlegungen und die Grundgedanken der modernen Linguistik, nämlich die Annahme einer zugrunde liegenden sprachlichen Kompetenz
und die Hypothese, daß deren wesentliche Bausteine sich in den sprachlichen Daten und Regeln wiederfinden, legen die Vermutung nahe, daß auch die Genuszuweisung regelgeleitet verläuft. Demnach lautet die grundlegende These dieser Arbeit: In der Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache existieren Regelmäßigkeiten, die der sprachlichen Kompetenz des native speakers angehören und deshalb als Lern—, Speicherungs- und Generierungsprinzipien aufgefaßt werden können. Weil diese Regelmäßigkeiten sich dem heutigen Sprecher/Hörer über die Gegenwartssprache vermitteln, werden sie über ein synchron ausgerichtetes Untersuchungsverfahren aufzufinden sein. Die so gewonnenen Regeln sind selbstverständlich nur ein theoretisches Konstrukt und keinesfalls mit den realen Prozessen des Spracherwerbs zu identifizieren, in den zu viele außersprachliche Faktoren hineinspielen. Trotzdem aber könnte ein solches Konstrukt ein im Prinzip angemessenes Abbild des grammatischen Wissens des native speakers sein. Diese Arbeit wird sich also nicht um im diachronen Prozeß entstandene Regelmäßigkeiten bemühen. Diachrone Bezüge werden lediglich und nur in seltenen Fällen zur Absicherung der Argumentation herangezogen, jedoch geben sie niemals die Basis für eine Regel ab. Die Regeln für die Genuszuweisung sollen auf drei Ebenen gesucht werden, wobei an dieser Stelle zunächst nur die Grundzüge angerissen werden sollen. Die erste und gleichzeitig für die Arbeit bedeutendste Regelform betrifft die Phonologie, wobei das Gesamtgebiet der Phonetik und Psychophonetik eine Rolle spielen wird. Die Aufgabe der Phonologie ist,
Martinet (1963:54) folgend,
"... die Analyse der Äußerung in Phoneme, die Klassifikation der Phoneme und die Untersuchung der Verbindungen, die sie eingehen, um die Signifikanten einer Sprache zu bilden." Die zweite, in dieser Arbeit nur am Rande behandelte Regelform betrifft das Bedeutungsfeld der Nomen. Hier liegt die Annahme zugrunde, daß bestürmte Gemeinsamkeiten in der Bedeutung der Wörter ihren Ausdruck in der Zuweisung des gleichen Genus finden. Der Begriff 'Bedeutungsfeld' ist gewählt worden, weil es hier nicht um die Semantik im engeren, sondern im weiteren Sinne geht. Zumindest drei für diese Arbeit relevante Aspekte von Semantik fallen in den Geltungsbereich dieses Begriffs: 1. Referenzierungen, z.B. ± belebt, auf bestimmte Merkmale der Bedeutung des Wortes. Ein Beispiel wären die Oberbegriffe für viele domestizierte Tiere
('das Schwein1, 'das Huhn' etc.)/ die eine neutrale Genuszuweisung erhalten; 2. das semantische Feld, dem bestimmte Nomen angehören. Beispielsweise sind physikalische Maß- und Meßeinheiten Neutra; 3. die Sprechergruppen und deren soziales Umfeld, in dem bestimmte Nomen verwendet werden. Diese Klassifizierung hat im engeren Sinne nichts mehr mit der Semantik der Wörter zu tun, sie berücksichtigt jedoch sozial vermittelte und gesteuerte Konnotationen. Z.B. weisen seemannssprachliche Fachausdrücke eine starke Tendenz zur femininen Genuszuweisung auf ('die Fock', 'die Neck', 'die Schlup1). Die dritte und wiederum nur peripher für die Erklärung der Genuszuweisung berücksichtigte Regelform ist die Pluralflexion der einsilbigen Nomen. Da die Pluralbildung im Deutschen z.T. in Abhängigkeit vom Genus erfolgt, nehme ich an, daß sie als Lern- und Speicherungsmöglichkeit für die korrekte Genuszuweisung wirkt, zumindest dann, wenn die Pluralform des Wortes in der Alltagssprache sehr frequent ist. Grundlage für alle Ergebnisse dieser Arbeit stellt der Wortschatz der einsilbigen Nomen dar. Eine Beschränkung auf die Einsilber erfolgte, weil dort das Problem der Arbitrarität in der Genuszuweisung scheinbar evident ist,
denn für
die mehrsilbigen Nomen liegen durch Präfigierung, Suffigierung und die phonologische Markierung /e/ im Auslaut eine Reihe von Markierungen am Wort vor, die z.T. mit der Genuszuweisung korrespondieren. Selbstverständlich wäre es wünschenswert, die mutmaßliche Voraussagbarkeit von Genuszuweisungen auf der Basis semantischer, morphologischer und phonologischer Regeln anhand von Kunstwörtern zu überprüfen, doch so verlockend diese Aufgabe auch sein mag, sie würde bei weitem den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Statt einer solchen ausführlichen Validierung der Ergebnisse werden lediglich einige Hypothesen bezüglich des Erwerbs von genuszuweisenden Regeln diskutiert werden. Neben diesem für weitere Forschungen möglichen psycholinguistischen Wert der Arbeit lassen sich auf ihrer Basis Hypothesen zur Sprachdiachronie bilden: z.B. daß die diachrone Dynamik in der Genuszuweisung einer Sprache weniger Resultat diachroner Prinzipien als vielmehr Ergebnis synchroner Organisierungsprozesse ist,
die eine psychologische und kommunikative Basis haben.
Die Arbeit gliedert sich in fünf größere Teile: Im ersten wird versucht, den Forschungsstand im Sinne eines Begründungszusammenhangs für die Problemstellung fruchtbar zu machen, dabei wird zwischen interner und externer Evidenz unterschieden. Unter dem Stichwort der internen Evidenz werden Untersuchungsergebnisse zur morphologischen Struktur und zur Semantik der Nomen und der mit ihnen
korrespondierenden Genuszuweisung vorgestellt. Externe Begründungen, weil induktiv aus dem Lexikon abgeleitet, stellen Uhtersuchungsergebnisse zur Genuszuweisung bei Fremdwörtern und einige experimentelle Befunde, z.T. auch aus anderen Sprachen, zur psychologischen Realität von Genusregeln dar. Nachdem einige wesentliche theoretische Ansätze zu der Idee einer zugrunde liegenden Systematik für die Genusbestinntung dargestellt worden sind, folgen sprachsystematische Überlegungen, die auf der Basis von Erkenntnissen der modernen Linguistik in den eigentlichen theoretischen Ansatz für die Behandlung des Themas einmünden. Nach den methodischen Überlegungen schließt das erste Kapitel mit der Vorstellung des für die Arbeit zugrunde gelegten Korpus; dabei werden einige grundsätzliche korpustheoretische Überlegungen der gegenwärtigen linguistischen Forschung skizziert. Im zweiten Teil ist der phonematische Aufbau der einsilbigen Nomen und dessen Relevanz für deren Genusdetermination Gegenstand der Erörterung. Ausgehend von einer Reihe von Forschungsergebnissen soll ein Ansatz entwickelt werden, der die Bündelung bestimmter lautlicher Strukturen zu Regeln erlaubt. Der dritte und zweifellos im Zentrum stehende Teil der Arbeit sucht die Ergebnisse des zweiten fruchtbar zu machen: Aufgrund der lautlichen Struktur der einsilbigen Nonen der deutschen Gegenwartssprache soll ermittelt werden, ob bestimmte Elemente dieser Struktur (d.h. Anlaut, Auslaut etc.) mit bestaunten Genera korrelieren. Neben diesen phonologischen Regeln sind in diesem Abschnitt unterstützend eine Reihe semantischer und morphologischer Regeln entwickelt worden. Die semantischen Regeln erhalten, genau wie die morphologischen, die Funktion, das Ausmaß der Ausnahmen zu den mit dem phonologischen Ansatz gefundenen Regeln zu reduzieren. Das soll nicht bedeuten, daß hierdurch die erklärende Potenz von Semantik und Morphologie für die Genuszuweisung geschmälert wird. In einem vierten Teil werden die im dritten Abschnitt noch weitgehend nebeneinander geordneten Regeln in einen hierarchischen Zusammenhang gebracht. Hier werden Fragen nach der Hierarchie der verschiedenen lautlichen Elemente bezüglich der Genuszuweisung gestellt. Daneben wird mit Hilfe eines automatischen Zuweisungsverfahrens die Effektivität der aufgestellten Regeln geprüft. Der fünfte und abschließende Teil der Arbeit befaßt sich mit den psycholinguistischen Implikationen der Untersuchung und ihrer am Realwortschatz gewonnenen Ergebnisse. Weiterhin werden die allgemein-kognitiven und die der Genuszuweisung zugrunde liegenden Prinzipien diskutiert.
1.
HINWEISE AUS DER FORSCHUNG AUF EIN ZUGRUNDE LIEGENDES SYSTEM FÜR DIE GENUSZUWEESUNG
1.1
Interne Evidenz für genuszuweisende Regeln
Es kann in diesem Abschnitt lediglich darum gehen, exemplarisch eine R=ihe von Befunden vorzuführen, die Argumente dafür liefern können, daß ein zugrunde liegendes Regelsystem die Genuszuweisung für die Nomen der deutschen Gegenwartssprache steuert. Als interne Evidenz für die Annahme eines zugrunde liegenden Regelsystems für die Genuszuweisung werden hier solche Befunde klassifiziert, die ausschließlich aus den sprachlichen Daten selbst resultieren. Sämtliche nachfolgend herangezogenen Arbeiten berühren immer nur kleine Aspekte der Gesamtproblematik: seien es nun auf phonologisch-morphologischer Ebene die Darstellung bestimmter Auslaute oder auf semantischer Ebene, die selbstverständlich auch mehrsilbige Nomen einschließt, die Beschreibung von Subsystemen des Lexikons. 1.1.1 Morphologische Evidenz Durch den Versuch, den Nachweis zu erbringen, daß die Genuswahl für einsilbige deutsche Substantive nicht arbiträr ist, sondern daß ihr ein Netz phonologischer und/oder semantischer Regeln zugrunde liegt, wird von neuem eine Frage aufgeworfen, die schon häufig negativ beantwortet worden ist. Dies gilt vor allem dann, wenn man sich auf die deutschen Einsilber beschränkt. So schreibt Blcomfield (1933:271 und 280) "... the gender-categories of most Indo-European languages ... do not agree with anything in the practical world — there seems to be no practical criterion by which the gender of a noun in German, French, or Latin could be determined." 30 Jahre nach dem Erscheinen von 'Language1 vertritt Vater (1963:35) die Auffassung " — ganz selten steht dem Substantiv noch ein bestimmter Phonemabschnitt für das Genus zur Verfügung."
Und eine im Prinzip ähnliche Aussage findet sich auch bei Brinkmann (1962:17), wenn er sagt, "... die Verteilung der Substantiva auf die drei Geschlechter ist von gegenwärtigen System aus nicht zu durchschauen (wenigstens nicht in den Einzelheiten) ; auch einer geschichtlichen Erhellung versagt sie sich." Textbücher, die für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache gedacht sind, können in der Regel als gute Indikatoren für das betrachtet werden, was bisher an offensichtlichen Regeln bezüglich der Genuszuweisung festgestellt worden
ist.
Schulz/Sundermeyer (1976:97ff) versuchen in ihrer Granmatik zum Beispiel, auf 2 1 / 2 Seiten Genusregeln zusammenzufassen. Allerdings werden auch hier im wesentlichen Ausnahiren zu vorgestellten Regeln aufgeführt, und für die große Mehrheit der Nomen wird die Genuszuordnung als arbiträr eingeschätzt. Das Interesse, eine Beziehung zwischen morphologischer Struktur und Genus festzustellen (vgl. z.B. Fleischer 1975:148ff, Wellmann 1975:54ff), erstreckt sich bislang fast ausschließlich auf mehrsilbige nominale Ableitungen, z.B. -ung, -heit, -keit, -chen, -turn, -rich, -ling, -ian, -in, -schaft, -ist.
-ei, -lein,
Eine detaillierte Untersuchung zur Genuszuweisung bei mehrsilbigen Wörtern, die auf -(i)(k)el auslauten, findet man bei Kern-Rousselle (1973). Hier wird auch exemplarisch vorgeführt, daß längst nicht alle Suffixe eine eindeutige Genuszuweisung ermöglichen. Es sei hier kurz erwähnt, daß die Suffigierung und die mit ihr festgelegte Zuweisung des Genus in der linguistischen Datenverarbeitung Anwendung gefunden hat. So operiert z.B. das System 'Condor1, das seit 1972 von der Firma Siemens durchgeführt wird, mit einer Tabelle, die alle Endtrigrartme enthält, die in flektierten Nomen auftreten können. Die Einträge sind mit Spezifikationen bezüglich des Genus in eindeutiger, häufig aber auch mehrdeutiger, Weise verbunden (vgl. Schüler 1975). In einem weiteren Analyseschritt werden Ableitungssuffixe definiert, z.B. ist das Endtrigramm 'ung1 in 'die Neigung' ein Derivationssuffix, nicht jedoch in 'der Schwung'. Wenn die Suffixe eindeutig bestimmt sind, läßt sich hierauf eine eindeutige Genuszuweisung vornehmen. Eine Auflistung aller nominalen Suffixe und der mit ihnen einhergehenden Genuszuweisung(-en) findet sich bei Itoeppner (198O). Obwohl sich das Problem der Mehrdeutigkeit bei dem Beispiel "die Neigung' und "der Schwung' relativ einfach durch einen zweiten Durchlauf durch das Lexikon lösen läßt, bei dem nämlich geprüft wird, ob nach der Tilgung des Endtrigraimis 'ung1 eine Lexemeintragung vorhanden ist,
kann festgehalten
werden, daß auch in der linguistischen Datenverarbeitung das Problem der automatischen Genuszuweisung zur Zeit nur an mehrsilbigen Wörtern lösbar ist, und auch hier sind Mehrdeutigkeiten häufig nicht auszuschließen. Ein Beispiel dafür, daß das natürliche Geschlecht (Sexus) seinen Niederschlag auf der sprachlichen Ebene findet, ist der Gebrauch des Suffixes -in bei Nomina Agentis. Oksaar (1968:182) kann für dieses Suffix, das als feminine Genusmarkierung wirkt, feststellen, daß "auf allen Gebieten des sozialen Lebens ... die Tendenz, das natürliche Genus des weiblichen Berufsausübers durch -in auszudrücken, weiterwirkt." Neben diesem generellen Ergebnis weist Oksaar nach, daß 1. der Femininindikator -in bei Bezeichnungen für angesehene Berufe wie Botschafter, Professor etc. fehlt; das gilt auch für solche Berufe, die traditionell dem männlichen Geschlecht vorbehalten sind: Schlosser, Schuster etc. Die Gültigkeit der von Oksaar festgestellten allgemeinen Strategie findet ihre Bestätigung durch heute übliche Bildungen wie Professorin; 2. die morphologische Struktur des Grundwortes die Distribution des Suffixes -in beeinflußt: Zu vförtern wie Portier oder Syndikus gibt es keine in-Bildung (vgl. Oksaar 1968:183). Unter dem Gesichtspunkt der Erlernbarkeit und Speicherung von Genuszuweisungen gilt für Nomen mit Derivationssuffixen zusammenfassend die Bemerkung von Vierner (1975:43): "Das Genus ist in diesen Fällen also nicht bei jedem Substantiv einzeln zu lernen, sondern bei den Ableitungssuffixen. Faßt man diese Art von Wortbildungen und Vfortartenmovierungen als das Ergebnis von Transformationen auf, so wird hier das Genus erst transformationeil vom Affix her eingeführt und auf das Substantiv übertragen. Es ist nicht ganz sinnlos, daß in dem Bereich, in dem der Wortschatz produktiv offen und verschiebbar ist, auch das Genus stärker oder ganz fest nach generellen Merkmalen und Regeln zugeteilt wird." Zumindest für andere europäische Sprachen ist die Existenz von Genusmarkierungen auch unabhängig von Derivationssuffixen bekannt; so weist Rossi (1967) für das Französische auf der Grundlage des 'Petit Larousse1 eine Korrespondenz zwischen Auslaut und Genus nach. Für das Bulgarische stellt Aronson (1964) fest, daß die Nomen auf einer senantischen und phonologischen Ebene gemäß ihrer Genuszuordnung markiert sind. Zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt auch Kuryiowicz (1962). Und für das Polnische gilt, daß das natürliche Geschlecht mit dem granmatischen Geschlecht korrespondiert, soweit die Nomen Menschen oder Tiere bezeichnen.
8
Von diesem korrespondierenden Verhältnis aus werden durch formale Analogie Übertragungen des natürlichen Geschlechts auf Substantive vorgenonmen, die nichts gemein haben mit natürlicher Männlichkeit oder Weiblichkeit (vgl. Bauch 1971; Doroszewski 1952:133). Bisher ist die Genuszuweisung zu mehrsilbigen Nomen skizziert worden. In der Porschungsliteratur lassen sich jedoch auch einige Ergebnisse finden, die Regeln für die Genuszuwaisung zu einsilbigen Nomen feststellen. Wenn Helbig/Buscha (1972:242f) aufgrund der Form von Substantiven angeben, daß Deverbativa mit Nullsuffix Maskulina und Deverbativa auf -t Feminina sind, so mögen solche Regeln dem geübten Linguisten einsichtig sein; die Frage ist jedoch, ob das Kind oder der deutsch lernende Ausländer analog solcher sehr abstrakten Ableitungsprozesse Regeln entwerfen. Ctowohl hier nicht bestritten werden soll, daß Deverbativa mit Nullsuffix maskuline Genuszuweisung erhalten, ist es von einem synchronen Standpunkt aus dem native speaker nicht möglich, zwischen Deverbativa und Dencminativa zu unterscheiden. lAn ein Beispiel zu nennen: Denominative Abi.:
Verb: 'quälen' < Nomen: 'die Qual1;
Deverbative Abi.;
Verb: 'springen1 > Nomen: 'der Sprung'.
Meine Auffassung ist,
daß es für den native speaker viel näher liegt, das
Nomen isoliert als phonologisch-morpnologisches Gebilde zu betrachten, dem dann, aufgrund lautlicher Gemeinsamkeiten mit anderen Nomen, ein Genus zugewiesen wird. Hierdurch würde in vielen Fällen nicht nur der Geltungsbereich von Regeln erweitert werden, nämlich genau um die Nomen, die keine deverbalen Nominalisierungen sind, sondern man hätte es auch mit einem erheblich ökonomischeren und direkteren Zuordnungsvorgang zu tun. Um ein Beispiel zu nennen: Die von Helbig/Buscha angeführten Wörter 'der Gang1 und 'der Sprung1 sind Deverbativa, aber gemeinsam ist den Wörtern auch, daß sie beide mit dem Nasallaut /p/ enden. Regeln, die aufgrund solcher lautlichen Übereinstimmungen zustande kommen, beziehen in ihren Geltungsbereich auch Fremdwörter wie 'der Teint' oder 'der Fond1 ein, die von Helbig/Buscha nicht erklärt werden könnten. Altmann/Raettig (1973) versuchen, aufgrund des Wortauslauts stochastische Regeln für die Genusbestintnung aufzustellen; dabei orientieren sie sich an der graphematischen Repräsentation der Wörter. Für die statistische Berechnung der Verteilungen der Wörter über die Genera gehen Altmann/Raettig davon aus, daß die Wörter mit gleichlautenden Endbuchstaben sich von der Wahrscheinlichkeit her gleichmäßig über die drei Geschlechter verteilen müßten, also: Probabilitätm = Probabilitätf = Probabilitätn =1/3.
Wird diese Verteilung nicht festgestellt, könne man ab einer bestimmten, statistisch festgelegten Häufigkeitsverteilung von signifikanten Assoziationen bzw. Dissoziationen zwischen Endbuchstabe (bzw. Endbuchstabengruppe) und Genuszuweisung sprechen, also regelgeleitete Genuszuordnung annehmen. Die Ergebnisse von Altmann/Raettig sind in Auswahl in nachfolgender Tabelle zusammengefaßt. Leitend für die Auswahl war, daß nur solche Endbuchstaben oder Endbuchstabenketten wiedergegeben werden, die auch bei einsilbigen Ncmen auftreten können. Die Assoziation bzw. Dissoziation zwischen Endung und Genus geben Altmann/ Raettig (1973:302) folgendermaßen wieder:
m
f
-b
A*
D**
-g
A**
D**
-
-m
-ang -h -seh
A!
D!
D!
-n
A**
D**
A**
D**
Endung
n
Endung
m
f
-k
n D* A**
A**
D** D**
-p
A**
D**
-
-s/:
A**
D**
Das Neue an dem Ansatz von Altmann/Raettig ist,
daß sie sich nicht mehr an
die morphologischen Grenzen, die in Suffix und Präfix ihren Ausdruck finden, halten, sondern ganz mechanisch nach bestimmten graphematischen Übereinstimmungen der Wörter suchen. Aufgrund dessen spielt es für sie dann auch keine Rolle mehr, ob ein ein- oder mehrsilbiges Wort vorliegt. Allerdings wäre das m.E. notwendig zu differenzieren, denn die hohen Signifikanzen sind zum Teil aufgrund der Ableitungssuffixe der mehrsilbigen Wörter zustande gekommen. Abschließend zur Frage der internen Evidenz eines zugrunde liegenden Systems zur Genuszuweisung soll das Phänomen des Genuswechsels betrachtet werden. Un die Jahrhundertwende glaubte Michels (1889:10), daß man auf der Suche nach völlig identischen Begriffen wenig Glück haben würde; vielmehr hätte man sich mit einer Verwandtschaft der Begriffe, die häufig durch Ähnlichkeit des Klanges unterstützt wird, zu begnügen. Schon vor Michels hatte Steinthal (1858) im 1
Die Symbole haben folgende Bedeutung: A = Assoziation; D = Dissoziation. Die Sterne geben die Stärke der Tendenz wieder: kein Stern bedeutet eine Wahrscheinlichkeit kleiner als O.O1, ein Stern eine Wahrscheinlichkeit kleiner als O.001, zwei Sterne eine Wahrscheinlichkeit kleiner als 0.0001, ein Ausrufezeichen bedeutet eine deterministische Regel, für die es in dem Korpus von Altmann/Raettig keine Ausnahme gibt.
10
Prinzip ganz ähnliche Gedanken zum Genuswechsel entwickelt. Für die Erklärung des Genuswechsels gibt Michels (1889:6f) folgendes Schema an:
"I.
Assoziation an Klangverwandte ('äußere Sprachform1): 1. Klanggleichheit, 2. Klangähnlichkeit a) Stammgleichheit oder -ähnlichkeit (Dazu auch Assoziation reimender oder alliterierender Worte), b) Bildungsgleichheit (überleitende zu II).
II. Assoziation an Begriffsverwandte 1. Angehörige gleicher Begriffskategorien (z.B. Verbalabstrakta). 2. Angehörige gleicher Begriffsreihen. a) übergeordnete und Untergeordnete. b) Gleichgeordnete: Synonyma - Opposita." Auch Polzin (19O3:6f) mißt dem Vorgang der Assoziation bei der Erklärung des Phänomens "Genuswechsel" großen Erklärungswert bei: "Klingt nun -ange in Schlange und Wange an, so klingen unbewußt, d.h. unter der Schwelle des Bewußtseins, Spange, Stange, Zange und der mit ihnen verbundene weibliche Artikel mit an. Die Begriffe der Worte selber koninen uns hierbei gar nicht deutlich zum Bewußtsein, und ihre Verschiedenheit kann so eine Angleichung der Worte aneinander nicht hintertreiben. Der Klang -ange ist den Klängen Schlange, Spange, Stange, Wange, Zange übergeordnet, wie der Begriff 'Baum' den Begriffen der Einzelbäume." Die Richtung des Genuswechsels erklärt Polzin (1903:12) durch folgende Faktoren: - Die überwiegende Zahl der Neman setzt ihr Genus gegenüber einzelnen Ncrnen durch; - handelt es sich bei dem alleinstehenden Nomen um ein häufig gebrauchtes Wort, wird es sein Genus bewahren; und - unter Umständen ist es möglich, daß ein häufig gebrauchtes, jedoch alleinstehendes Nomen einige seltener gebrauchte Nomen in ihrer Genuszuweisung beeinflussen wird. Im Prinzip lassen sich die Auffassungen von Michels und Polzin - wie später noch ausführlich gezeigt wird - mit denen der vorliegenden Arbeit zur Deckung bringen. Hier wie dort wird der phonologischen Gestalt der Nomen und ihrer jeweiligen Frequenz im alltäglichen Gebrauch entscheidende Bedeutung für ihre Genaszuweisung beigemessen (vgl. Abschnitt 1.4.3).
1.1.2
Genus und Semantik
Eine Reihe von Nomen gehören bestimmten Perzeptions- oder Sachgruppen an und erhalten von dort her ihr grammatisches Geschlecht. Entscheidend ist, daß
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die Wortbedeutungen der zu Perzeptions- oder Sachgruppen zusammengefaßten Wörter in mindestens einem entscheidenden (abstrakten) Merkmal übereinstimmen. Ich definiere die Wortbedeutung, Schmidt (1967:16) folgend, "... als die inhaltliche Widerspiegelung (Hervorhebung von mir, KMK) eines Gegenstandes, einer Erscheinung oder einer Beziehung der objektiven Realität im Bewußtsein der Angehörigen einer Sprachgemeinschaft, die traditionell mit einem Lautkomplex zu der strukturellen Einheit des Wortes verbunden ist." Diese Position stimmt überein mit der Feststellung von Miller/Johnson-Laird (1976:268ff), daß die Bedeutung eines Wortes nicht mit dem Perzept des Gegenstandes, auf den das Wort in spezifischen Redezusammenhängen bezogen wird, gleichzusetzen ist, sondern eher durch sozial-kognitive Vermittlungsinstanzen bedingt ist, die mit der Wortfeldzugehörigkeit eines Wortes zusammenhängen. Mi Her/Johnson-Laird führen diese Unterscheidung auf die von Frege (1892) vorgenommene Trennung zwischen 'Sinn 1 (sense) und 'Bedeutung1 (reference) zurück. Theoretisch könnte jedes Substantiv spezifischen semantischen Klassen angehören, denn eine Systematisierungsneigung seitens des Sprecher/Hörers, Ordnung in das sprachliche Inventar zu bringen, ist genau wie für die phonologisch-morphologische auch für die semantische Ebene anzunehmen. Beito (1976:14) weist auf die Relevanz semantischer Gruppen und ihre Tendenz, Vereinheitlichung herzustellen, hin, wenn er für die nordischen Sprachen sagt: "Übergang von neutralem zu maskulinem Genus ist schon im Spätaltnordischen bei folgenden Wörtern belegt: 'haust' (Herbst), 'kveld' (Abend), 'sumar' (Sommer) und 'vär' (Frühjahr), die jetzt alle in den skandinavischen Sprachen Maskulinum oder Genus commune haben... 1Diese Wörter gehören zu einer semantischen Gruppe, WD die maskulinen 'dagr (Tag), 'morgunn1 (Morgen), 'vetr' (Winter) als Muster gedient haben." Bei dem Bestreben, Kohärenz bei der Genuszuweisung innerhalb semantischer Gruppen zu erzielen, läßt sich als hervorstechendstes Beispiel das Bedürfnis nach einer 1:1-Korrespondenz zwischen natürlichem und grammatischem Geschlecht feststellen. Hierauf wird auch von Beito (1976:2O) hingewiesen: "Das natürliche sexuelle Genus hat sich in einigen Fällen beim Übergang vom Neutrum zum Femininum geltend gemacht. 'Viv' (Weib) war im Altnordischen Neutrum, und das neutrale Genus hat sich im Neuisländischen erhalten; es ist im Neunorwegischen und Schwedischen sowohl Neutrum als Femininum, im Dänischen Femininum." Nicht immer werden die semantischen Klassen so offensichtlich sein wie im Deutschen bei den nominalisierten Adjektiven, die durchgängig als Neutrum klassifiziert sind, den Kardinalzahlen, die feminin sind, oder wie bei dem natür-
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liehen Geschlecht und seiner zumindest in der Regel existierenden Korrespondenz zum grammatischen. Bei weniger offensichtlichen Zuordnungen könnte es sich auch um kognitive Strukturen handeln, die assoziativ bei der Genuszuweisung von Nomen aktiviert werden, sich jedoch weitgehend dem bewußten Zugriff entziehen, was nicht heißen soll, daß sie nicht wissenschaftlich beschrieben werden können. Der nachfolgend wiedergegebene Klassifikationsvorschlag von Brinkmann (1962 :28) scheint mir hingegen zu vage zu sein: "Das Tun, das die Feminina nennen, ist anderer Art als bei den Maskulina. Bei diesen herrscht die Gewalttätigkeit (Schlag, Schnitt, Stich, Biß, Riß usw.) ... und der Streit (Zank, Zorn, Spott, Verdruß)... Unter den Feminina aber, die menschliche Handlungen objektivieren, treffen wir eine Gruppe, die kund tut, wie sich der Mensch dem anderen zuwendet; es sind Substantiva der 'Kortnunikation': Bitte, Frage, Hilfe, Pflege, Lehre, Sprache ..." Daß eine so vorgenommene Gliederung des Wortschatzes bedenklich ist, zeigen schon Lexikoneintragungen wie 'Kraft 1 , 'Macht', 'Gewalt', die Brinkmann zufolge eigentlich Maskulina hätten sein sollen. Es ist anzunehmen, daß wir es mit mehreren semantischen Systemen zu tun haben und nicht mit einem einheitlichen System oder einem zufälligen Nebeneinander von semantischen Klassen. Dies widerspricht nicht unbedingt der Auffassung von Admoni (1970:96), "... daß das biologische Geschlecht eine wesentliche Rolle in dem Aufbau des grammatischen Geschlechts spielt. Es ist die seman^ische Achse, die das System des granmatischen Geschlechts organisiert. Kleinere semantische Substantivgruppierungen, die je zu einem grammatischen Geschlecht gehören, bedeuten in dieser Hinsicht sehr wenig." Es mag durchaus richtig sein, daß die Entstehung des grammatischen Geschlechts sich von einem außersprachlichen Phänomen, daß seine Entsprechung im Genus findet, herleitet (vgl. Abschnitt 1.3), allerdings dürften in der deutschen Gegenwartssprache solche Korrespondenzen nur noch rudimentär aufzufinden sein. Die Systeme dürften hierarchisch geordnet sein, wobei die verschiedenen semantischen Klassen voneinander abhängig und aufeinander bezogen sind, und zwar innerhalb des jeweiligen Systems. Diese Auffassung scheint Erkenntnissen der kognitiven Psychologie zufolge gerechtfertigt (vgl. Neisser 1974:378ff; Bandura 1979: 34f), denn aufgrund limitierter Gedächtniskapazität ist es leichter, ein System oder eine begrenzte Anzahl von Systemen zu erlernen als einen Wust nebeneinander geordneter semantischer Klassen. Bei der Aufstellung semantischer Klassen ist eine Beschränkung auf die einsilbigen Nomen unnötig, da die Semantik von Wörtern unabhängig von der Anzahl ihrer Silben
ist.
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Das Korpus der Einsilber stellt also in diesem Zusaimenhang nur einen möglichen Ausgangspunkt dar, von dem aus induktiv auch auf andere, mehrsilbige Substantive geschlossen werden kann. Sollten sich die verschiedenen Hypothesen zu den semantischen Systemen bewahrheiten und in sich konsistent sein, dann müßten sich auch die mehrsilbigen Substantive problemlos den verschiedenen semantischen Klassen zuordnen lassen. Eine sehr gute tabellarische Übersicht über die eigentlich in allen Grommatiken zur deutschen Sprache aufgestellten semantischen Regeln für die Genuszuweisung stellt die nachfolgend nach Sachgebieten geordnete Zusammenstellung von Spitz (1965:33) dar: Gebiet
Feminina
Neutra
1 . Personen
weiblichen Geschlechtes
Kinder Pejorativa
männlichen Geschlechtes
2 . Tiere
Weibchen
Junge
Männchen
3. unbelebte Natur
Metalle und Legierungen
Mineralien Winde Niederschläge
4. andere Bezeichnungen
Diminutiva physikalische Einheiten
alkoholische Getränke
Maskulina
5 . Substantivierungen
Grundzahlen
Infinitive, Abstrakta Farben Brüche
6. geograph. und astronomische Eigennamen
mitteleuropäische Flüsse
Städte Länder Täler
Flüsse außerh. v . Mi tteleuropa Berge / Seen Sterne
7. andere Eigennamen
Schiffe Flugzeugtypen
Hotels / Cafes Kinos
Autos Züge
Gegen den Ansatz von Spitz argumentierte Neumann (1967:16), wenn er dem Regelwerk "Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit" vorwirft. M.E. sind diese Varwürfe ungerechtfertigt, denn auch Spitz sind bei der Aufstellung seiner Regeln die sogenannten Ausnahmen bewußt gewesen. Zudem bedeuten einige Ausnahmen innerhalb eines stochastischen Ansatzes nicht, daß damit eine Regel hinfällig wird.
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1.1.3
Zur Genuszuweisung bei Fremdwörtern
Es liegen eine Fülle von Untersuchungen vor, die sich mit der Genuszuweisung bei Fremdwortentlehnungen im Deutschen auseinandersetzen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten geben Anlaß zu der Annahme, daß auch den einsilbigen deutschen Nomen und ihren jeweiligen Genera Regeln zugrunde liegen müssen, die der native speaker des Deutschen "kennt", die also Teil seiner sprachlichen Kompetenz sind und nach denen er Wörter klassifiziert, die aus fremden Sprachen in das Deutsche einfließen. Mit anderen Worten: Zuerst besteht eine Regel für die deutschen Nomina, und erst in einem zweiten Schritt wird ein neu in die Sprache kommendes VJbrt gemäß einer schon existierenden Regel klassifiziert. Für eine solche Annahme, die bisher allerdings nur sehr unzureichend durch experimentelle Befunde gestützt wird (vgl. Abschnitt 1 . 2 . 1 ) , spricht die relativ frühzeitig erworbene Sicherheit bei der Bestimmung des grammatischen Geschlechts für unbekannte Horter von Sprechern des Deutschen. Bei der Genuszuweisung zu Fremdwörtern werden phonologisch-morphologische und semantische Prinzipien durch den native speaker in Strategien umgesetzt. Gerade hierdurch zeigt sich die Produktivität dieser Prinzipien. Das Lexikon der deutschen Sprache wird durch Entlehnung aus fremden Sprachen ständig erweitert. Dies trifft besonders für die Nachkriegszeit zu, als durch die politische und wirtschaftliche Situation eine umfangreiche Konmunikation - vor allem mit der englisch- und russischsprachigen Welt - gefordert wurde. Gleichwohl gilt natürlich, daß auch schon im 17. und 18. Jahrhundert ein verstärktes Eindringen englischer Lehnwörter in den westeuropäischen Sprachraum zu konstatieren ist
(vgl. Ganz 1957).
Da im Deutschen jedes Substantiv ein Genus besitzt, taucht die Frage auf, nach welchem Muster Nomen aus einer fremden Sprache (z.B. dem Englischen, das nur den Einheitsartikel kennt) ein grammatisches Geschlecht zugewiesen wird. Weinreich (1968:46) zufolge ist die Wahl des Genus nicht so sehr abhängig von den jeweiligen Strukturen der Sprachen, die miteinander in Kontakt stehen, sondern mehr von individuellen, psychologischen und soziokulturellen Faktoren, die in der jeweiligen Kontaktsituation vorherrschend sind. Baetens Beardsmore (1971:158) kann jedoch in einer Untersuchung nachweisen, "... that although socio-cultural factors do play a part in determining the gender of loanwords, internal linguistic features and the structure of the languages in contact (hier Französisch und Flämisch, KMK) play an equal if not far greater role in the choice of gender, both on the individual and group levels."
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Die wesentlichen Strategien für die Genuszuweisung zu Fremdwörtern wurden schon von Aron (193O) aufgedeckt: Homophonie, deutsches Äquivalent oder Suffix determinieren die Artikelwahl. Ähnliche Ergebnisse wie Aron finden auch Reed (1942) für das Pennsylvania-Deutsche und Sachs (1953) für das Deutsche von kürzlich Inmigrierten. Weiterhin denkbar sind jedoch Strategien wie graphematische und semantische Analogie (vgl. Amdt 1970). Die Forschungsergebnisse von Wollmann (1953), Thiel (1959) und Clyne (1969) stützen mit weiteren Belegen diese Auffassung. Interessant ist,
daß die jeweilige genuszuweisende Strategie auch in einer
gewissen Abhängigkeit von der Herkunftssprache der Fremdwörter erfolgt, also input-gebunden verläuft. So kann Lipczuk (1974:45) feststellen, daß bei Genuszuweisungen zu englischen Lehnwörtern im Deutschen die Semantik gegenüber der formalen Analogie dominiert, bei Entlehnungen aus dem Französischen ist es genau entgegengesetzt. Lipczuk erklärt dieses Ergebnis mit der gegenüber dem Englischen entwickelteren Verwendung der Suffixe im Französischen. Daß Genusschwankungen englischer Lehnwörter in vielen Fällen ihre Ursache in einem Konflikt zwischen Bedeutungsgehalt und phonologisch-morphologischer Form des Nomens haben, weist Ganz (195O) nach. Aron (193O) und auch Clyne (1969) verzichten in ihren Arbeiten auf eine Problematisierung ihrer Ergebnisse, obwohl angenommen werden kann, daß Bilingualität zu einer gewissen Verschiebung der sprachlichen Kompetenz führt, d.h. die Informanten produzieren selbst schon eine Mischsprache, die bestimmten spezifischen Regeln folgt und mit Interferenzen von der Muttersprache (hier: Deutsch) und der Zweitsprache (hier: Englisch) durchsetzt ist.
Ein typischer Interferenz-
fehler ist die von Aron festgestellte Tendenz bei seinen Versuchspersonen, überwiegend feminines Geschlecht zu wählen. Aron führt das auf die Ähnlichkeit zwischen dem englischen //i:/ und dem deutschen 'die1 zurück. Die gleiche Tendenz stellt Clyne (1968) bei Kindern der zweiten Generation von Australieneinwanderern aus dem deutschen Sprachraum fest. Die betonte Form des bestimmten Artikels im Englischen wird übergeneralisiert und in den femininen Artikel 'die1 transformiert. Die Kompetenz solcher Versuchspersonen, englischen Substantiven nahezu übereinstimmend dasselbe Genus zuzuweisen, darf aufgrund der völlig unterschiedlichen sprachlich beeinflussenden Faktoren nicht ohne weiteres mit der Beschreigung der Kompetenz eines im deutschsprachigen Raum lebenden Sprechers des Deutschen gleichgesetzt werden. Zwar würde auch für monolinguale Sprecher des Deutschen ein hohes Maß an Übereinstimmung bei der Genuszuweisung erzielt werden,
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jedoch wahrscheinlich aufgrund anderer Faktoren. Gleason (1966:227) spricht von "... the high degree of agreement that will be found if, for example monolingual speakers of German are asked to assign genders to loanwords." Die Untersuchungen sind deshalb interessant, weil sie auf eine zugrunde
lie-
gende Regel verweisen; sie können jedoch kaum weiterhelfen bei der Bestimmung der Kompetenz derer, die im deutschen Sprachraum leben und die 'Norm1 setzen, die sich schließlich im Duden wiederfindet. Ein Wort wie 'Team' wird von Mackensen (1952:730) und der Duden-Rechtschreibung (1952:679) im Jahre 1952 noch mit dem femininen Artikel geführt, zwei Jahre später in der 14. Auflage des Dudens heißt es dann 'das Team1. Clyne (1969:224) glaubt in diesem Zusammenhang, daß "lautliche Faktoren als Genuskriterium" eine Rolle gespielt haben, sagt aber nicht, welche Faktoren das im einzelnen gewesen sein könnten. An diesem Beispiel wird deutlich, daß von Sprecher/Hörer verschiedene Strategien für die Genuszuordnung benutzt werden. Die Strategien sind sowohl auf semantischer als auch phonologischer Ebene anzusiedeln, können sich gegenseitig überschneiden oder aber auch einander ablösen (vgl. Simmons 1971). Der Genuswachsel bei "Team1 scheint ein Ablösungsbeispiel zu sein: von der Anlehnung an das deutsche Äquivalent (die Arbeitsgruppe, die Mannschaft) hin zu einer phonologischen Integration. Eine Beschreibung der Strategie der phonologischen Integration darf sich nicht mit bloßen plakativen Benennungen wie "Klanggefühl" oder "Sprachempfinden" zufrieden geben, sondern muß exakt die Assoziations- bzw. Dissoziationsstellen eines Wortes benennen, die für die Genuszuweisung verantwortlich sind. Eine schematische Darstellung eines solchen Vorgangs hätte folgendes Aussehen: Ein englisches Wort soll von einem Sprecher des Deutschen ein Genus zugewiesen bekommen. Bei der phonologischen Integration würde der Sprecher das Wort auf ein ihm bekanntes deutsches Wort und dessen Genus spiegeln, dabei können sich auf der lautlichen Ebene theoretisch folgende Integrationspunkte anbieten: der anlautende Konsonant, der Vokal, der anlautende Konsonant + Vokal, Vokal + auslautende Konsonant oder das gesamte Wort, das auf der lautlichen Ebene eine Entsprechung in der Muttersprache besitzt. In einem Schaubild hätten diese Überlegungen folgendes Aussehen:
17
Abbildung 1: Integrationspunkte Englisches Wort, dem von einen Sprecher des Deutschen ein Genus zugeordnet werden soll.
Deutsches Wort, auf ffafi das englische Wort von einem Sprecher des Deutschen gespiegelt wird.
Die schraffierten Teile in dem Schaubild geben die zwischen dem englischen Stimuluswort und dem zu ihm assoziierten deutschen Wort identischen Lautabschnitte wieder, die die Genuszuweisung auf der formalen Ebene beeinflussen könnten. Um ein Beispiel zu nennen: Der Integrationspunkt I resultiert aus der Identität des gemeinsamen anlautenden Konsonanten in beiden Wörtern, für den Integrationspunkt II gilt, daß anlautender Konsonant + Vokal identisch sind, für die Integrationspunkte III - VII gilt entsprechendes. Bisher war immer nur von der aufgrund phonologisch-morphologischer oder semantischer Übereinstimmungen genuszuweisenden Dominanz einer Einzelsprache die Rede, derzufolge ein Fremdwort sein grammatisches Geschlecht zugewiesen bekommt. Der Vollständigkeit halber soll kurz auch die entgegengesetzte Richtung erwähnt warden, d.h. die Beeinflussung der Genuszuweisung zu den Nomen einer Einzelsprache durch eindringende Fremdwörter, öhmann (1968:3) hat, allerdings nur bei sehr wenigen und vereinzelten Fällen, untersucht, inwieweit "ein Substantiv sein Genus durch den Einfluß einer fremden Sprache verändert hat." Voraussetzung hierfür ist Öhmann (1968:13) zufolge, daß "das Genussystem einer Sprache durch verschiedene Ursachen bereits untergraben war, (dann) stand das Feld der Genusbeeinflussung in großem Maßstab offen, falls die betreffende Sprache sich im Wirkungsbereich einer anderen strahlungskräftigen Sprache befand." Den Nachweis, daß in "großem Maßstab" - also systematisch - Beeinflussung stattfand, erbringt öhmann nicht. Seine Arbeit beruht auf einer Reihe von Einzelbeispielen aus verschiedenen Sprachen und Dialekten, ohne daß zwischen ihnen irgendwelche systematischen Beziehungen festgestellt werden können. M.E. müßten neben der im obigen Zitat angesprochenen Diffusität im Genussystem einer Sprache konkretere Faktoren gewirkt haben, die sich enger an die Ehonologie oder Semantik der Sprache binden lassen. Dies wäre z.B. gegeben, wenn entweder die zugrunde liegende Regel für eine bestimmte lautliche Struktur
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nur sehr schwach oder ambivalent, d.h. für zwei Genera, ausgebildet ist oder wenn der Bedeutungsgehalt schwankt. Es wird sich später zeigen, daß die aufgrund der Phonologie formulierten genuszuweisenden Regeln von ganz unterschiedlicher Mächtigkeit sind; insofern stellen auch die eher schwachen Regeln theoretisch mehr Angriffsfläche für mögliche Modifikationen der ursprünglichen Genuszuweisung bereit. Es ist schon gesagt worden, daß die Semantik für die Genuszuweisung zu Fremdwörtern eine Rolle spielt. Folglich kann angenommen werden, daß mit der Semantik eines Wortes auch das 'richtige1 Genus impliziert ist, es sei denn, daß phonologische Regeln ein stärkeres Recht geltend machen. Hier wäre genau zu spezifizieren, welche Regeln dies im einzelnen sind. Wenn die Wörter jedoch aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten semantischen Klassen ihr Genus zugewiesen bekommen, so geschieht dies im allgemeinen unabhängig von ihrer phonologischen Repräsentation. Beispiele wären die von Hennig (1963:58) angeführten Begriffe "Punsch", "Rum", "Grog" und "Gin", die alle maskulin sind, weil sie 2 zu der Klasse der 'alkoholischen Getränke1 zählen. Die semantische Klasse der 'alkoholischen Getränke' ist auch in die vorliegende Arbeit aufgenommen worden (vgl. Abschnitt 3.1). Eine im Prinzip richtige und den theoretischen Implikationen dieser Arbeit entsprechende Auffassung vertritt Thiel (1959:266), wenn er über den übergeordneten Gattungsbegriff 'Tanz' spricht, denn Namen von Tänzen erhalten maskulines Genus, "soweit nicht der Auslaut auf -ett,
-a, -e sein stärkeres Recht geltend
nacht." Diese Argumentation scheint eher brauchbare Ergebnisse zu liefern als die von Hennig (1963:62f), der Griims Theorie übernimmt und das Maskulinum als "das Raschere, Tätige, Bewegende" bezeichnet. Zu belegen versucht Hennig die Grimmsche Theorie mit einer Liste englischer Substantive, die er durchweg für maskulin erklärt. Das ist in mindestens zwei Fällen von der Zuweisung des 2 Hennig (1963:53)'hält es zwar für unzureichend festzustellen, "daß Getränke (Hervorhebung von mir, KMK) vorwiegend m. sind", und führt als Gegenbeispiel "die Bowle1 an, jedoch können m.E. solche Einzelbeispiele eine Gesamttendenz kaum widerlegen, besonders dann nicht, wenn man sich auf die semantische Klasse 'alkoholische Getränke' beschränkt, übrigens ist es möglich, daß im Fall von 'Bowle1 zwei miteinander konkurrierende Marker auftreten, nämlich der /e/-Auslaut, der Femininum, und die semantische Klasse, die Maskulinum fordert. Hier könnten, wie von Thiel (1959) angedeutet, Regeln des Prinzips "wenn semantischer Marker und phonologischer Marker, dann dominiert ph. Marker' wirken. Auch von Simmons (1971:98) werden die alkoholischen Getränke zu einer semantischen Klasse zusammengefaßt. In diese Klasse ist auch das Wort 'der Drink1 mitaufzunehmen. Beispiele wie "der Crusta1 oder "der Martini' zeigen für diese semantische Klasse, Haß die Form des Wortes kaum Einfluß auf dessen Genuszuweisung ausübt.
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Dudens
abweichend, denn "Pub" und "Jam" werden dort nicht maskulin, sondern
neutral klassifiziert. Mit solchen übergreifenden und zu allgemeinen Klassifizierungen sollte also vorsichtig verfahren werden.
1.2
Externe Evidenz für die Annahme eines zugrunde liegenden Regelsystems für die Genuszuweisung zu Einsilbern Die nachfolgend dargestellten Befunde für die Genuszuweisung zu Fremdwör-
tern bzw. zur psychologischen Realität des Genussystems in verschiedenen Sprachen liefern, da sie experimentell gewonnen worden sind, externe Evidenz für die Annahme eines zugrunde liegenden Regelsystems für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache. Sowohl für die Genuszuweisung zu Fremdwörtern als auch für die Frage der psychologischen Realität von Genusregeln gilt, daß diese Fähigkeit entweder am lautkomplex (also der Phonemfolge eines Nomens) oder der Semantik der Nomen festzumachen ist.
1.2.1
Experimentelle Befunde über die Genuszuweisung bei Fremdwörtern
Experimentelle Untersuchungen, deren Ziel es war, Strategien für die Genuszuweisung zu Fremdwörtern aufzudecken, wurden vorzugsweise mit bilingualen Versuchspersonen durchgeführt. In diesen Experimenten wurde ansatzweise die psychologische Realität von Genusregeln überprüft. Allerdings, und das ist überraschend, wurde nie eine bestiimtte Regel, die vorher in ihrem Aufbau definiert wurde, überprüft oder bewiesen. Die Ergebnisse verweisen lediglich darauf, da R irgendwie geartete Regeln existieren müssen. Eine konsequente Beschreibung dieser Regeln wird nicht geleistet, obwohl dies durch das bei solcher Art von Experimenten verwendete induktive Verfahren möglich erscheint. Eine Ausnahme hierzu stellt der Aufsatz von Lang (1976) dar. Lang legte ihren Versuchspersonen Kunstwörter vor, deren Endungen von englischen Lehnwörtern stammen, die auch von Sprechern des Deutschen benutzt werden. Das Wortmaterial wurde deutschsprachigen Versuchspersonen in drei Durchgängen präsentiert: isoliert von einem semantischen Kontext, in einem semantischen Kontext und in einer Konfliktsitua3 Der Duden wird von mir im Rahmen dieser Arbeit nur in dem oben angedeuteten Normierungsprozeß durch den native speaker als "richtig1 akzeptiert, da es hier um die Aufdeckung von Regelsystemen geht, die sich sozial oder dialektal unterscheiden, aber durchaus als jeweils in sich geschlossen (d.h. konsistent und systematisch) erscheinen können.
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tion zwischen beiden. Lang (1976:64) stellt fest, "... that the gender assignment is significantly linked to the (semantic) context of the test items, even when this context conflicts with the assumed morphological gender assignment." Das bedeutet: Wenn einerseits ein Wort eine norphologische Struktur hat, die in der Regel dem Maskulinum zuzuordnen ist, aber andererseits Teil einer semantischen Klasse ist, die das Femininum evoziert, wirkt für die Genuszuordnung die semantische Determinante stärker. Ervin (1962) nahm ebenfalls ein Experiment mit Kunstwärtern vor, die sie native speakers des Italienischen präsentierte, um den phonetischen Faktor, der möglicherweise die Konnotation beeinflußt, zu kontrollieren. Bedenklich ist dabei allerdings die Methode, mit der sie die Kunstwörter gewinnt. Ervin (1962:257) schreibt: "A list of thirty root morphemes was prepared, of consonant-vowel-consonant form, by systematically rotating vowels and consonants." Dieses Verfahren garantiert m.E. keineswegs, daß man von der lautlichen Besetzung der einzelnen Strukturpositionen her tatsächlich mögliche italienische Wörter erhält. Es wird nicht berücksichtigt, welche Konsonanten oder Konsonantenverbindungen initial oder final mit welchen Vokalen kombiniert werden können. Vor dieser methodischen Schwäche ist das mit Osgoods semantischem Differential erzielte Ergebnis von Ervin (1962:259) zu sehen, "... that there is a tendency to ascribe different connotations to masculine and feminine words in Italian." Hinzu kommt, daß lediglich die Existenz eines Kontrasts nachgewiesen wird, nicht jedoch seine Ausdehnung. Resümierend kann festgehalten werden: Beide Untersuchungen stützen - zumindest für den Bereich der Fremdwörter - die Grundthese dieser Arbeit; die phonologisch-morphologische Ebene der Nomen kann als Ausgangspunkt für die Genuszuweisung fungieren. Gleichzeitig wird nahegelegt, daß die Semantik der Nanen ihre Form dominiert. 1.2.2 Experimentelle Befunde über die psychologische Realität eines zugrunde liegenden Systems für die Genuszuweisung Wesensmerkmal des amerikanischen Strukturalismus und der behavioristischen Psychologie war, daß mit dem wissenschaftlichen Begriffsinstrumentarium allein unmittelbar Beobachtbares gemessen werden sollte. Alles Verhalten wurde in einem
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iteiz-Keaktionsschema beschrieben, wobei Reaktion als Produkt bestimnter äußerer Konstellationen (Stimuli) verstanden wurde. Für den Untersuchungsgegenstand "Sprache" führte Hag zu der Maxime, jeden semantischen Aspekt aus dem Interessenbereich auszuschließen, eben weil sich Bedeutung der unmittelbaren Beobachtung entzieht. Wahrnehmbar und experimentell nachzuweisen waren Schallwellen und Mundbewegung auf der Sprecherseite und die entsprechend beobachtbaren Reaktionen auf der Hörerseite. Alle theoretischen Begriffe, wie etwa Phonem oder Morphem, mußten vollständig auf beobachtbare Ereignisse reduzierbar sein. So bestand der Anspruch, mechanisch angeben zu können, auf welche Klassen nachweisbarer Ereignisse mit den theoretischen Termini rekurriert wurde. Ein gewichtiger Einwand der Kritiker des Distributionalismus war jener, daß eine Theorie von Sprache überhaupt fehle und daß man den Untersuchungsgegenstand 4 schon im Vorfeld um den Komplex der semantischen Ebene beschnitt. Die Distributionalisten wollten jedoch ihrem eigenen Anspruch nach weder ein Modell von Sprache entwickeln noch Bedeutungszusammenhänge untersuchen. Die Kritik mußte somit den Nachweis erbringen, Haß man auch mit Begriffen arbeiten konnte und daß auch Inhalte sinnvoll schienen, die der unmittelbaren Wahrnehmung nicht uneingeschränkt zugänglich waren. Die behavioristisch verfahrende Psychologie übertrug ihre Verhaltenstheorie auf den Untersuchungsgegenstand Sprache: Sprachliches Verhalten wurde als Folge von vorhergehenden Ereignissen aufgefaßt. Demnach war "Lernen von Sprache" auch nur die Entwicklung von assoziativen Fähigkeiten durch Hag Kind, nämlich zwischen den einzelnen Stimuli Verbindungen herstellen zu können. Konsequenterweise wurde von den Vertretern einer solchen Konzeption bezüglich des Genusproblems die These vertreten, daß das Genus bei jedem einzelnen Nomen vom Kind respektive vom Ausländer, der eine Genussprache als zweite Sprache erwirbt, mitgelernt werden muß. Chomsky ist es zu verdanken, daß sich während der späten 5Oer und frühen 60er Jahre in der Linguistik die mentalistische Position gegenüber dem Behaviorismus durchsetzte. Chomsky (1959; 1974:97f) argumentierte gegen den oben skizzierten lemtheoretischen Ansatz des Spracherwerbs folgendermaßen: "Das Kind, das eine Sprache lernt, hat gewissermaßen für sich aufgrund seiner Beobachtung von Sätzen und Nicht-Sätzen (d.h. Verbesserungen durch die 4 Von einer Theorie über sprachliches Verhalten ist zu verlangen, daß sie sprachliches und nichtsprachliches Verhalten spezifizieren kann. Damit wird es möglich, den Begriff des "Sprachlichen" über die Theorie zu definieren. Der logische Positivismus hat zwar eine Theorie, er operiert jedoch mit inhaltlich leeren Begriffen in einem rein mathematischen Verfahren.
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Sprachgemeinschaft) die Grammatik konstruiert. Untersuchungen der wirklichen beobachteten Fähigkeit eines Sprechers, Sätze von Nicht-Sätzen zu unterscheiden, Doppeldeutigkeiten zu entdecken etc., zwingen uns offenbar zu dem Schluß, daß diese Granmatik von äußerster Komplexität und Abstraktheit ist und daß das kleine Kind eine Leistung vollbracht hat, die, zumindest unter einem formalen Aspekt, eine bemerkenswerte Art von Theoriekonstruktion zu sein scheint. Außerdem wird diese Aufgabe in erstaunlich kurzer Zeit, weitgehend intelligenzunabhängig und von allen Kindern in vergleichbarer Weise gemeistert... Daß alle normalen Kinder im wesentlichen vergleichbare Grammatiken von großer Komplexität und bemerkenswerter Geschwindigkeit sich aneignen, läßt vermuten, daß dieses Phänomen im Menschen irgendwie speziell angelegt ist, eine Fähigkeit zum Umgehen mit Daten und "Formulieren von Hypothesen1 unbekannter Art und Komplexität. Die Untersuchung linguistischer Strukturen bringt vielleicht schließlich einige wichtige Einsichten in dieses Phänomen." Chomskys Überlegungen bedeuten somit, daß das Kind zu jedem Zeitpunkt des Spracherwerbs, ausgehend von einer angeborenen sprachlichen Kompetenz, ein mehr oder weniger differenziertes Modell einer generativen Grammatik entwirft. Theoretisch müßte es möglich sein, für jedes einzelne Stadium des Spracherwerbs das Konstrukt einer generativen Granmatik zu erstellen. Solche Versuche scheitern jedoch im wesentlichen an den damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten. Insofern wurden bisher immer nur kleinere Ausschnitte der Grammatik, quasi in ihr enthaltene Subsysteme, analysiert. Auf diese Weise konnte der Grundgedanke, das Aufbauen generativer Granrnatiken durch das Kind, im Prinzip gerechtfertigt werden. Allerdings wurde bisher kaum untersucht, bis zu welchem Grad und in welcher Form die verschiedenen Subsysteme miteinander interagieren. Auf der Ebene der Morphologie hatte schon Bühler systematische "Fehler" bei Kindern beobachtet. Berko (1958) kann für den Bereich der Pluralmorpheme des Englischen anhand sinnloser Wörter nachweisen, daß 4- bis 5-jährige Vorschulkinder über eindeutig definierbare morphologische Regeln verfügen, die von der Erwachsenenkompetenz aus betrachtet abweichend sind. In der gleichen Untersuchung konnte festgestellt werden, daß 5- bis 6 1/2-jährige Erstkläßler über ein System von Regeln verfügen, das inner noch von dem der Erwachsenen abweicht, sich jedoch schon nicht mehr mit dem der Vorschulkinder zur Deckung bringen läßt. Deutlich wird an den Ergebnissen dieses Experiments, daß Kinder die Flexionsformen für die Pluralbildung nicht für jedes einzelne Wort "trainieren", sondern kreativ mit ihrer Sprachfähigkeit operieren und eigene, je nach Altersgruppe konsistente Regelsysteme entwerfen. Dieser generative Aspekt, der hier die Phänologie und Morphologie der Wörter zum Ausgangspunkt hat, müßte sich m.E. auch bei der Genuszuweisung zu unbekannten Nomen oder Kunstwörtern, die jedoch den Prinzipien der Phonologie und Morphologie des Deutschen zu folgen hätten, nachweisen lassen.
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Zu dem Begriff, "über eine Regel zu verfügen", ist anzumerken, daß hierunter nicht zu verstehen ist, daß die Regel X bewußt ist oder auch nur bewußt gemacht werden kann, sondern lediglich, daß sprachliche Daten in einer Weise produziert bzw. perzipiert werden, die durch die Regel X beschreibbar ist. Wie könnten nun zugrunde liegende Regelsysteme für das Problem der Genuszuweisung zu den Nomen der deutschen Gegenwartssprache aussehen? Diese für die vorliegende Arbeit grundlegende Fragestellung soll zunächst auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden. Hiermit wird neben der Frage nach den zugrunde liegenden Prinzipien bei der Genuszuweisung zu Fremdwörtern und Lehnübersetzungen ein weiteres Argument für die Berechtigung meiner Annahme, es gebe ein zugrunde liegendes System für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen des Deutschen, entfaltet. An dieser Stelle darf ein Referat über die in diese Richtung gehenden Untersuchungen, die sich mit dem Russischen, Hebräischen, Französischen und Deutschen befassen, nicht ausgespart bleiben, weil so Evidenz aus dem Erstspracherwerb bereitgestellt wird. a) Zum Genuserwerb im Russischen Zunächst einige erläuternde Bemerkungen bezüglich dieses grammatischen Problems im Russischen, die hier von Slobin (1966a) übernommen werden: Das Russische hat drei Genera (m,f,n); die Nomen, Pronomen und Adjektive flektieren gemäß der Genuszuweisung, des Kasus und des Nimerus. Die Imperfektsingularform der Verben weist das Genussuffix desjenigen Nomens auf, das als Subjekt im Satz fungiert. Im allgemeinen enden feminine Nomen auf -a, maskuline mit einem Konsonanten und neutrale auf -o. Popova (1958) untersuchte die Fähigkeit von 55 Kindern zwischen 1;1O und 3;6 Jahren, für maskuline und feminine Nomen Übereinstimmung zur Imperfektsingularform des Verbs herzustellen. Sie erzählte den Kindern kleinere Geschichten im Präsens und stellte ihnen anschließend Fragen in der Imperfektpluralform: z.B. 'Welche Tiere liefen weg in den Wald?1 Es stellte sich heraus, daß nur 13 der 55 Kinder das Genus in mehr als 75% der Fälle korrekt am Verb gebrauchten. Die jüngeren Kinder nahmen eine Ubergeneralisierung des Femininums vor. Mit zunehmendem Alter wird diese übergeneralisierung durch eine des Maskulinums ersetzt. Ein Anwachsen des korrekten Gebrauchs des Genus konnte für diesen Altersabschnitt nicht beobachtet werden. Popova erklärt ihre Ergebnisse folgendermaßen: Das Femininum ist ein deutlich und konsistent markiertes Genus (-a im Gegensatz zu einer Anzahl von Konsonanten beim Maskulinum); russisch sprechende kleine Kinder neigen dazu, offene gedehnte Sil-
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ben zu sprechen, und zwar auch bei maskulinen Nomen (Beispiel: 'tigra' anstelle •von 'tigr'); Tagebuchmaterial belegt, daß etwa 7O% der von Kindern dieses Alters gebrauchten Nomen auf -a auslauten. Für die Kinder, die das Genus im allgemeinen korrekt benutzen, gilt, daß sie sich eher an formalen morphologischen denn an semantischen Hilfen orientieren. Das wurde deutlich an einer Reihe von Verwandtschaftsbezeichnungen, die zwar auf -a auslauten, trotzdem aber Maskulinum sind (Beispiel: 'papa'). In solchen Fällen gebrauchten die Kinder die feminine Endung für die Imperfektform des Verbs. Gleiches geschah in den Fällen, in denen das Maskulinum offen und gedehnt im Auslaut gesprochen wurde, also wieder 'tigra' anstelle von 'tigr'. Daß die Vokal- oder Konsonantenmarkierungen im Auslaut für russisch
ler-
nende Kinder ein erstes Klassifizierungsschema sind, konnte auch von Zakharova (1958) in einem Experiment zum Kasusgebrauch nachgewiesen werden, denn wenn die Kinder das Genus der Nomen bei der Kasusflexion berücksichtigten, taten sie das zunächst bei den am konsistentesten phonologisch oder morphologisch markierten Ncmen. b) Zum Genuserwerb im Hebräischen Für das Hebräische gelten ähnliche Kongruenzverhältnisse zwischen Subjektund Verbform wie für das Russische. Die Pluralbildung erfolgt im Hebräischen, das im übrigen nur die Genera Maskulinum und Femininum kennt, in Abhängigkeit vom Genus, und zwar werden maskuline Nomen durch -im und feminine durch -ot, -uyot oder -iyot suffigiert. Für den Erwerb der Pluralbildung kann Levy (1979a und 1979b) in einer Experimental- und in einer Longitudinalstudie feststellen, daß Kinder im Alter zwischen 1;10 und 2;1O Jahren eher formalen-phonologischen Strategien folgen als semantischen. Mit etwa drei Jahren sind muttersprachlich hebräisch sprechende Kinder dazu in der Lage, die Pluralbildung, Proncminalisierung, Genuszuweisung und die Unterscheidung zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft mit Hilfe eines im Hebräischen überaus vielfältigen Flexionssystems zu meistern. Berman (1981:268) schreibt: "Ihis impressive achievment can be attributed to the fact that most of these inflections correlate with some clear conceptual and semantic content, hence reflecting Slobin's (1973) observation that acquisition is facilitated when semantic relations are clearly and overtly marked."5 5 Die Erwerbsprinzipien von Slobin (1973), auf die sich Berman hier bezieht, werden im Schlußteil dieser Arbeit näher ausgeführt werden (vgl. Abschnitt 5.3).
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Die Resultate zum Genus im Hebräischen und wahrscheinlich im allgemeinen zun Genuserwerb implizieren jedoch nicht eine Generalisierung von Geschlechtsunterscheidungen auf der Basis der granmatischen Kategorie Genus, denn eine Studie von Guiora/Acton (1979:9) besagt, "that five-year old Israeli children will be guided by the assumed sexual connotation of the words denoting them, and not by their grammatical gender. " c) Zum Genuserwerb im Französischen Tucker et al. (1968) haben in einem Experiment mit 8- bis 16-jährigen muttersprachlich französisch sprechenden Kindern unter Zuhilfenahme von Kunstwörtern nachweisen können, daß die Endungen der Nomen im Französischen eine verläßliche Genusmarkierung darstellen. Hinzu kommt, daß in uneindeutigen Fällen (z.B. der Auslaut /e/ ist 1398mal maskulin und 1393mal feminin) auch die präfigierende Silbe den Charakter einer zusätzlichen Informationshilfe bekommt. In einem weiterführenden Experiment, in dem die aus dem Erstspracherwerb gewonnenen Daten für den Zweitspracherwerb fruchtbar gemacht werden sollten, konnten Tucker et al. (1969) nachweisen, daß Schüler, wenn sie explizite Hinweise auf existierende Regeln erhalten, dazu in der Lage sind, das Genusproblem im Französischen signifikant besser zu meistern als ohne solche Hinweise. Die Schüler folgten dabei explizit einem Muster, das implizit von Kindern beim Erstspracherwerb angewendet wird. Ganz im Sinne der Resultate Tuckers et al. (1969) sind die Untersuchungsergebnisse Kühnels (1974). Seine Studie kommt zu dem Ergebnis, daß englische Lehnwörter, die mit einem Konsonanten enden, im Französischen mit dem Maskulinum assoziiert werden. Karmiloff-Smith (1978) kann mit Hilfe von Kunstwörtern und Wort-Bild-Präsentationen nachweisen, daß 3- bis 4-jährige Kinder ein sehr mächtiges implizites System von phonologisehen Regeln konstruieren. Dieses sich nach der Wortendung ausrichtende System ist so stark, daß weder syntaktische (Vermittlung des Genus durch den unbestimmten Artikel) noch semantische Hilfen (das natürliche Geschlecht der auf den dargebotenen Bildern abgebildeben Personen) dazu beitragen, Genusübereinstimmung zwischen Artikel und Nomen, Adjektiv und Nomen etc. herzustellen. Erst wenn eine Ambiguität zwischen formalen und semantischen Markierungen oder überhaupt keine phonologische Markierung \orliegt, machen die 3- bis 4-jährigen Kinder Gebrauch von syntaktischen und/ oder semantischen Informationshilfen. Wenn die Kinder über die Bilder sprachen und ein Konflikt zwischen phonologischer Feminin-Markierung und semantischer Maskulin-Determination vorlag (z.B. bei der Abbildung eines Mannes), neigten die 3- bis 4-jährigen dazu, bei der Pronominalisierung des Maskulinum zu ver-
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wenden; das bedeutet, daß die phonolcgiscto-morphologische Markierung in der Sprachproduktion nur isoliert und für eine sehr kurze Zeitspanne relevant ist und daß die die Genuszuweisung beeinflussenden semantischen Faktoren die formalen dominieren. Aus den Ergebnissen von Karmiloff-Smith folgt, daß der Genuserwerb auf der alleinigen Grundlage eines Konzepts, das besagen würde, natürliche Geschlechtsunterscheidungen finden ihren Ausdruck in entsprechenden granmatischen Geschlechtsunterscheidungen, zurückgewiesen werden kann. Vielmehr gelten für das Französische phonologische Prozeduren. Phonologisch-rnorpholcgische Fähigkeiten koexistieren jedoch mit syntaktischen, semantischen und pragmatischen; eine irgendwie geartete Abfolge und das Aufeinanderaufbauen dieser Fähigkeiten im Spracherwerb gemäß einer Hierarchie gilt nach Karmiloff-Smith nicht. Es zeigt sich - wie schon bei den Daten zum Russischen und Hebräischen -, daß die Kinder Prozeduren anwenden, die sich nach dem konsistentesten Input-Muster richten. Das Kind sucht nach Mustern und versucht, diese bei der Bewältigung bestinmter sprachlicher Probleme durchzuhalten. Erst wenn die Ausnahmen sich wiederum in ein erkennbares Muster einordnen lassen, werden zusätzlich modifizierende "Stand-by-Prozeduren" (Karmiloff-Smith) notwendig und vom Kind entwickelt. Karmiloff-Smith (1978:16) will diesen Prozeß als ein permanentes Suchen und Aufstülpen von Mustern verstanden wissen. d) Zum Genuserwerb im Deutschen Zum Genuserwerb im Deutschen liegt meines Wissens lediglich ein relevantes psycholinguistisches Experiment vor. MacWhinney (1978) präsentierte drei Altersgruppen von Kindern zwischen 3;O bis 4;O, 4;2 bis 6;0 und 11;0 bis 12,
Jahren reale Wörter und Kunstwörter unter
drei verschiedenen Bedingungen: a) ohne irgendwelche syntaktischen Hinweise; die typische Formulierung des Experimentators war: "Dieses Spielzeug heißt X"; b) mit syntaktischen Hilfen durch den Gebrauch des unbestimtiten Artikels, der Aufschluß über das Genus des Wortes gibt; z.B. "Ich nehme ein (eine, einen) X in die Hand"; c) mit dem Gebrauch des jeweiligen Pronomens, also wieder mit syntaktischen Hilfen; z.B. "Ich nehme es (sie, ihn) in die Hand". Bei jeder Bedingung wurde der Gegenstand nach seiner Präsentation unter einen Tisch gehalten und gefragt: "Wie fragst Du, wo ist
...?" Die Frage war so
konstruiert, daß die Kinder im Nom. Sing, antworteten und somit ihre Genusassoziation mitteilen mußten.
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Als Stimulusmaterial dienten sechs maskuline, sechs feminine und sechs neutrale Nomen, jeweils zwei waren semantisch oder morphologisch markiert, und zwei Wörter waren nach MacWhinney in ihrer Genuszuweisung jeweils arbiträr. MacWhinney kam in seinem Experiment zu folgenden Ergebnissen: Die älteren Kinder lösten die Aufgaben unter allen drei Bedingungen signifikant besser als die jüngeren. Alle Altersgruppen konnten zu realen Wörtern das Genus sicherer zuordnen als zu Kunstwörtern. Die Bedingungen b) und c) führten zu besseren Ergebnissen als Bedingung a). Semantische und morphologische Informationshilfen wurden mit zunehmendem Alter erfolgreicher verarbeitet. Phonologisch-morphologische Informationen waren für die Bestimmung des Genus von Kunstwörtern relevanter als für reale Wörter; solche Informationen waren dann besonders wirkungs\roll, wenn syntaktische Hilfen nicht gegeben wurden. Am effektivsten waren phonologisch-morphologische Markierungen für feminine Nomen, die Markierungen waren hier entweder der Auslaut /e/ oder das Ableitungssuffix
-ei.
Ohne MacWhinneys Ergebnisse in ihrer ganzen Breite diskutieren zu wollen, scheint es mir entscheidend festzuhalten, daß mit diesem Experiment auch für das Deutsche der Nachweis semantischer und phonolcgisch-norphologischer Informationshilfen für die korrekte Genuszuweisung erbracht werden konnte. Daß gerade /e/ und -ei die effektivsten Informationshilfen darstellen, liegt m.E. daran, daß mit ihnen eine sehr konsistente morphologische Markierung für das Femininum vorliegt. Der erst relativ spät einsetzende Gebrauch phonologisch-morphologischer Informationshilfen läßt genau wie das Erkennen und Benutzen von Pronomen und unbestimmten Artikeln für die Genusz\_weisung durch Dreijährige die Interpretation zu, daß Kinder ein System von grammatischen Implikationen entwickeln: Z.B. korrespondiert in einem solchen System das Pronomen 'sie1 sowohl mit 'eine Frau' als auch 'die Frau' . Über die Korrespondenz zwischen Sexus und Genus hinausweisende Zusammenhänge zwischen dem Bedeutungsgehalt eines Wortes und seiner Genuszuweisung sind meines Wissens in der Spracherwerbsforschung bislang keine Untersuchungen durchgeführt worden. Trotzdem kann m.E. die Hypothese gewagt werden, daß die Bedeutungsassoziation und die Genuszuweisung je nach dem zugrunde liegenden semantischen Strukturschema des eine Genussprache erwerbenden Kindes miteinander korrespondieren. Weiterhin liegen bis heute keine gesicherten Untersuchungsergebnisse darüber vor, wann und in welchen Schritten Kinder das deutsche Genussystem erwerben oder ob der Genuserwerb überhaupt für Sprecher/Hörer des Deutschen ein Problem darstellt. Aus einer unveröffentlichten Arbeit von Mills (1978) ist allerdings zu entnehmen, daß Kinder bis zu ihrem 6./7. Lebensjahr die Genuszuweisung mög-
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licherweise beherrschen. Als Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme kann auch die Nichtbehandlung dieser Problematik im Deutschunterricht der Schulen interpretiert werden. Aufgrund der oben vorgestellten Daten zum Erwerb zugrunde liegender Regeln für die Genuszuweisung im Russischen, Hebräischen, Französischen und Deutschen erscheint es wahrscheinlich, daß auch für das Deutsche ein auf Phonologie, Morphologie und Semantik basierendes System für die Zuordnung des korrekten Genus existiert. Wenn Kinder implizit irgendwie strukturierten Regeln folgen, dann müssen diese Regeln auch am Lexikon, das im Rahmen dieser Arbeit nicht nur aus lexemeintragungen besteht, sondern daneben zumindest auch die Genuszuweisung enthält, explizierbar sein. Ein solches Vorgehen ist bisher nahezu ausschließlich an mehrsilbigen Ncmen verfolgt worden (vgl. dazu Abschnitt 1.1.1). Die hier geschilderten Experimente zeigen, daß Sprache aktiv und in gewisser Weise einer Eigengesetzlichkeit folgend vom Kind erworben wird. Zur sprachlichen Kompetenz des Sprechers zählt jedoch nicht nur, alles schon einmal Gehörte korrekt zu wiederholen, es also gleichsam auswendig zu lernen, sondern im besonderen Maße seine Kreativität, nämlich die Fähigkeit, neue Äußerungen zu produzieren bzw. zu perzipieren; oder, um den Bezug zur Genusproblematik herzustellen: auch vorher nie gehörten Nomen ein Genus zuweisen zu können. Die Sprache ist für den Sprecher mit den Worten von Kainz (1943:36) "nicht eine statisch-starre Nomenklatur, sondern eine dynamisch-aktive und produktive Potenz, eine Verfahrens- und Bildungsweise." 1.3 Theoretische Ansätze zur Herkunft des Genus und einer ihm zugrunde liegenden Systematik In diesem Abschnitt sollen einige theoretische Auffassungen vorgestellt werden, die, obwohl aus ganz unterschiedlichen Richtungen und Zeiten könnend, gemeinsam haben, die Genuszuweisung nicht arbiträr und als rein grammatikalisches Phänomen zu betrachten. Die verschiedenen Interpretationsansätze verfolgen
ent-
weder inhaltliche (z.B. Grimm oder Wienold) oder formale Prinzipien (Brugmann, Fodor) für die Erklärung des grammatischen Geschlechts. Die hier referierten Theorien stellen zwar nur einen kleinen Ausschnitt dessen dar, was an verschiedenen Erklärungsversuchen für dieses Phänomen vorgelegt worden ist,
immerhin repräsentieren gerade sie aber die Rezeptionsschwerpunkte.
6 Eine ausführliche Darstellung nominaler Klassifizierungstheorien bis zum Beginn des 2O. Jahrhunderts findet sich bei Royen (1929).
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1.3.1 Grinms idealistische Theorie Für Grimm (1890:314) ist das Genus "... eine, aber im frühesten zustande der spräche schon vorgegangene anwendung oder Übertragung des natürlichen auf alle und jede nonina." In einer zweiten, umfassenderen Definition sagt Grimm (1890:343): "Das grammatische genus ist ... eine in der phantasie der menschlichen spräche entsprungene ausdehnung des natürlichen auf alle und jede gegenstände." In dem letzten Zitat deutet sich schon an, daß die das menschliche Sein umgebenden Gegenstände als Männliches oder Weibliches betrachtet werden. Die besondere Rolle des Neutrums im Rahmen seines Ansatzes erklärt Grimm (1390:312) folgendermaßen: "Urbedeutung des neutrums scheint, daß es die unentwicklung des geschlechts, nicht gerade geschlechtslosigkeit bezeichne." Die neutrale GenusZuweisung zu Abstrakta hat Grimm (1890:523) zufolge mit der diesem Genus eigenen Unbestimmtheit und Allgemeinheit zu tun. Überwiegend über die Bedeutung der Vtörter will Grimm Zugang zu dem System der Genuszuweisung gewinnen, denn Grimm (1890:356) schreibt: "... auf diesem wege allein kann es vielleicht gelingen, analogien aufzuspüren, denen die menschliche einbildungskraft nachgehangen hat, indem sie das natürliche geschlecht auf eine unabsehbare menge anderer substantiva übertrug." Für Grimm (1890:357) werden die drei Genera durch folgende Eigenschaften beschrieben: "Das masculinum scheint das frühere, größere, festere, sprödere, raschere, das thätige, bewegliche, zeugende; das femininum das spätere, kleinere, weichere, stillere, das leidende, empfangende; rias neutrum das erzeugte, gewirkte, Stoffartige, generelle, unentwickelte, collective, das stumpfere, leblose." Fairerweise darf hier nicht unterschlagen werden, daß Grimm von diesen Klassifizierungsmerkmalen nur sehr vorsichtig und von Fall zu Fall Gebrauch machen wollte. Kurz erwähnt werden soll, daß Brugmann (1889:100) gegen diejenigen, die die Entstehung des Genus "... in der Einbildungskraft des Menschen, welche die toten Dinge belebt und wie Lebewesen tehandelt habe", polemisiert. Brugmanns ausschließlich formale Argumentation entlang morphologischen Prinzipien steht Grimms Auffassung entschieden entgegen. Mit Brugmann und
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Grirtm prallten die Exponenten zweier theoretischer Auffassungen aufeinander: "die materialistische der Junggrammatiker und die spiritualistische der Romantiker" (Royen 1929:137). Der Brugmannsche Interpretationsansatz wurde in neuerer Zeit von Fodor (1959) wiederaufgenommen. Fodor vertritt die These, daß das Genus in den indogermanischen Sprachen seinen Ursprung eher aus syntaktischen und morphologischen Gründen erhalten hat, als durch Assoziation zu dem natürlichen Geschlecht zu erklären ist.
1.3.2 Wundts Wertungstheorie In seiner "Völkerpsychologie" hat Wundt (1922) die Auffassung vertreten, daß "Wertunterscheidungen" genusdeterminierend gewirkt hätten. Unter "Wertunterscheidungen" versteht Wundt (192 2:19): " 1. Unterscheidungen h ö h e r e r und n i e d e r e r Gegens t ä n d e ... 2. Unterscheidung m e n s c h l i c h e r W e s e n (mit Einschluß der Frauen) von anderen Gegenständen ... 3 . Unterscheidung b e l e b t e r u n d u n b e l e b t e r Wes e n ... 4. Unterscheidung v o n M a n n und W e i b u n d Übertragung dieser Unterscheidung auf alle anderen Gegenstandsbegriffe — 5. Unterscheidung d r e i e r G e n e r a , bei denen teils die Unterscheidung der Geschlechter, teils die von Person und Sache, teils aber auch andere Wertgrade ursprünglich eine Rolle gespielt zu haben scheinen ..." Daneben soll aber auch die "Lautassimilation" eine entscheidende Bedeutung für die Bestimmung des Genus gehabt haben: "Zu diesen realen Assoziationen (also die "Wertunterscheidung", KMK), von denen wir wohl vermuten dürfen, daß sie die ursprünglicheren waren, da sie innerhalb primitiver Kulturbedingungen noch ziemlich unverhüllt zutage treten, müssen jedoch bei einzelnen Stämmen früher schon andere, f o r m a le A s s o z i a t i o n e n hinzugetreten sein, darin bestehend, daß bestaunte Wortformen anderen, ihnen in den formbildenden Elementen ähnlichen, auch im Artikel und in den attributiv beigegebenen Adjektiven sich anglichen." (Wundt 1922:22) Nur durch das Zusammenwirken von einerseits semantischen und andererseits in starkem Maße phonologisch-morphologischen Qualitäten glaubt Wundt (1922:22f) die "Ausbreitung der Genusunterscheidung" erklären zu können: "In der Tat kann eine Ausbreitung der Genusunterscheidung auf die sämtlichen Nominalbildungen, wie sie die indogermanischen und semitischen Sprachen aufweisen, kaum anders als durch eine ganz überwiegende Beteiligung solcher formalen Angleichungsvorgänge entstanden sein. Dabei konnten dann natürlich
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diese Angleichungen an verschiedenen Orten oder in verschiedenen Zeiten auch nach verschiedenen Richtungen wirken, so daß das Genus eines und desselben Wortes nicht inmer konstant blieb." Offensichtlich vertritt Wundt also die Auffassung, daß zumindest der Entstehung des gramnatischen Geschlechts eine Systematik zugrunde gelegen haben muß; Wundt (1922:18) schreibt: "Nur eine große Klasse von Begriffen ragt aus jenem verschollenen System noch in seiner lebendig gebliebenen Bedeutung in spätere Zeiten hinüber: das sind gewisse W e r t b e g r i f f e , die ihren Ausgangspunkt in der Wertschätzung des Menschen selbst besitzen." Er gelangt schließlich zu dem Schluß, die sogenannte Geschlechtsunterscheidung nur ein Glied in einer Reihe ähnlicher Unterscheidungen ist. Sie machen überdies wahrscheinlich, daß teils durch die Vermischungen mit Determinativbildungen ändern Ursprungs, teils infolge sonstiger Einflüsse früher schon Übertragungen stattgefunden haben, die den ursprünglichen Sinn unsicher machten. Dabei haben die alten gramtatischen Bezeichnungen des "Maskulinum, Femininum und Neutrum1 entschieden ungünstig auf die Erkenntnis dieses ursprünglichen Sinnes gewirkt." (Wundt 1922:2O) Bei Wundt treffen also die inhaltliche und formale Erklärung für Genusunterscheidungen zusammen. Gleichwohl wird die inhaltliche Dimension als die ursprünglichere angenommen, während die formale später hinzugetreten sein soll und lediglich für die Ausbreitung des Genus sorgte. Wundt hat seine Werttheorie deduktiv gewonnen. Ihre eingehende Überprüfung an konkreten Daten von einander völlig unterschiedenen Sprachen ist von Wundt selbst nicht geleistet worden.
1.3.3 Ethnolinguistische Erklärungsversuche: Die Korrespondenzhypothese zwischen sprachlicher und außersprachlicher Welt Die Motivierung von Genusunterscheidungen kann ethnolinguistischen Erklärungsversuchen zufolge in den verschiedenen Sprachen nach ganz unterschiedlichen Prinzipien erfolgt sein. So gilt für die hamito-semitische Grundsprache eine Unterscheidung in belebt/unbelebt, wobei das maskuline und feminine Genus für belebte Ncmen verwendet wurde und ffog Neutrum für unbelebte (vgl. Schaade 1927). Ganz ähnliche Verhältnisse weist Lohmann (1932) für die indogermanischen Sprachen nach, darüber hinaus erbringt er den Beweis, daß dort der Sexus ursprünglich in keiner Beziehung zum Genus stand.
Für das Wintu (eine kaliforni-
7 Reichhaltiges linguistisches Material aus mehreren romanischen, germanischen und slavischen Sprachen findet sich bei Eugen Seidel (1948). Die Analyse
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sehe Indianersprache) handelt es sich Demetracopoulou-Lee (1942) zufolge um eine Opposition von aktiven und passiven Begriffen, die mit dem graitnatischen Geschlecht korrelieren. Und schließlich gilt für die Sprachen der Ureinwohner Australiens, Ozeaniens und z.T. Amerikas, daß die dort zu beobachtenden dualistischen Kulturen ihren Niederschlag in sprachlichen Formen, hier die ZweiteiQ
lung in männliches und weibliches Genus, finden.
Die sozialen und kulturellen
Lebensverhältnisse dieser Gemeinschaften korrespondieren also mit der Zuweisung des männlichen oder weiblichen granniatischen Geschlechts zu den Dingen der realen Welt. Einen Versuch, kulturelle mit biologischen Faktoren zu verbinden und das Zusaimienspiel beider Ebenen als konstitutives Muster für die Wortklassifikation in den Sprachen zu entwerfen, findet man bei De Leeuwe (1960), der das Gegensatzpaar "ungeformt" und "umrissen" analog zu "wichtig" und "nicht so wichtig" (vgl. De Leeuwe 1960:367) benutzt. Daß bei der Entstehung des Genus mythische Einflüsse und eine Korrespondenz zwischen außersprachlicher und sprachlicher Welt eine Rolle gespielt haben, die dann zu einer systematischen, jedoch nicht immer bewußten Genuszuweisung führten, wird überzeugend von Wienold (1967) für die indogermanischen Sprachen nachgewiesen. Er wertet Daten aus Sprachen indogermanischen Ursprungs aus, "die auf eine Modellebene des rekonstruierenden prähistorischen Verfahrens projiziert werden" (Wienold 1967:319). Einen ähnlichen Ansatz zur Erklärung des grammatischen Geschlechts vertritt auch Havers (1960:152), wenn er es als "eine reizvolle Aufgabe" bezeichnet, "... die sprachlichen Spuren und Überreste darzulegen, die sich im Indogermanischen aus 'mutterrechtlicher Zeit1 gehalten haben." Havers könnt auf der Basis einer Analyse von Zaubersprüchen, in denen sich seiner Meinung nach solche Spuren manifestieren, in seinem Aufsatz zu folgendem Schluß: "Das primitive Denken personifiziert nicht nur die Krankheiten, sondern auch alle möglichen anderen Dinge und sieht Lebewesen in Dingen, die uns als leblos erscheinen. Und wie die Krankheiten in unseren Zaubersprüchen als männlich und weiblich erscheinen, so wurde auch anderen Objekten, die persönlich aufgefaßt wurden, ein bestimmtes Geschlecht, das ja notwendig zur Persönlichkeit gehört, zugewiesen. Sie erscheinen teils als dieses Materials berechtigt zu der Annahme eines Gegensatzpaars "belebt/unbelebt" für die indogermanischen Sprachen. 8 Vgl. Nieuwenhuis (1932) und vor allen Dingen Nieuwenhuis (1935): Nieuwenhuis1 ethnologischer Ansatz wurde erst kürzlich, wenn auch ohne direkte Bezugnahme, von Greenberg (1978) mit Hintergrundinformationen der modernen, auf Universalien in den verschiedenen Sprachen bedachten Linguistik versehen.
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weiblich, teils als männlich, und darauf geht in letzter Linie auch in vielen Fällen unser gramtiatisches Geschlecht in der Sprache zurück." (Havers 1960:155) Dieser Ansatz kann zwar für einen Teil der indogermanischen Wörter (z.T. auch für Wörter der deutschen Gegenwartssprache) den Ursprung der Genuszuweisung erklären, jedoch nicht, weil m.E. zu sehr an Mythen längst vergangener Zeiten orientiert, das heute zugrunde liegende gesamte Genussystem beschreiben und erklären. Ein weiterer Einwand gegen die Gültigkeit der Korrespondenzhypothese heute wäre, daß für ein Kind, das eine Genussprache erlernt, historische Kenntnisse unabdingbar wären, die im diachronen Vergleich von sprachlichen Entwicklungen Ifegularitäten aufzufinden helfen. Es kann für die Ziele der vorliegenden Arbeit nicht mehr darum gehen, "eine Darstellung der Selektionen nach einem einheitlichen Prinzip" (Wienold 1967:326) zu vermitteln, sondern lediglich um sinnvolle Reduktionen des Datenmaterials auf eine überschaubare Anzahl zugrunde liegender Regeln und Prinzipien. Eine Klassifikation nach nur einem zugrunde liegenden Prinzip ist m.E. unwahrscheinlich, da zu häufig durch die Sprachgemeinschaft Genusveränderungen vorgenommen worden sind (vgl. Wienold 1970). Das von Wienold (1967) nachgewiesene mythisch-religiöse Protoprinzip schimmert heute nur noch rudijmentär durch, keinesfalls aber wird es sich als das für die Gegenwartssprache gültige und von ihr deduzierbare Grundmuster nachweisen o lassen. Ein nur semantisch verfahrender Ansatz würde auch aus dem Grunde zu kurz greifen, weil zu viele Wörter unberücksichtigt blieben, also gar nicht in das Blickfeld der Untersuchung gelangten.
1.4
Sprachsystematische Überlegungen Zur Verdeutlichung der zugrunde gelegten sprachtheoretischen Folien werden
in diesem Abschnitt die grundlegenden Gedanken de Saussures und deren Einmünden in die mentalistische Theorie der Linguistik kurz skizziert werden. Diese zunächst sehr abstrakten Gedanken werden schließlich unter strikter Bezugnahme auf die Problemstellung in einen eigenen theoretischen Ansatz eingebracht. 9
Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gelangt Givon (1972:14) für die Bantusprache: "The Bantu noun gender system seems synchronically to be largely meaning free, traces of older semantic significance of this system still abound, and it is clear that at an earlier historical period this system represented a semantic categorization of noun universe."
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1.4.1
Sprachsystematische Grundlagen Ferdinand de Saussures
Begriffe wie System, Lautkomplex (Ausdrucksseite) und Semantik (Inhaltsseite) erinnern an den Namen de Saussure. Für de Saussure (1931:120) ist Sprache ein System, "dessen Teile in ihrer synchronischen Wechselbeziehung betrachtet werden können und müssen." Mit dieser Aussage wendet sich de Saussure gegen die im 19. und Anfang des 2O. Jahrhunderts vorherrschende diachrone Betrachtungsweise von Sprache. De Saussure definiert Sprache als ein System von Zeichen, dabei wird von ihm zwischen den einander bedingenden Teilen Ausdrucksseite (signifiant) und Inhaltsseite (signifie) unterschieden. Bezieht man den de Saussureschen Ansatz auf die Genusproblematik, so ergeben sich zwei mögliche Interpretationsansätze: 1. Jedes Genus hat als morphologische Form, die sich z.B. am Artikel repräsentiert, seine eigene Bedeutung und kongruiert mit bestimmten lexikalischen Einheiten aufgrund deren Bedeutungsübereinstirrrnung. Konsequenterweise müßte dann aber auch zum einen den verschiedenen Genera jeweils eine Gesamtbedeutung zugeschrieben werden können, und zum anderen müßte sich bei allen (oder zumindest bei vielen) Nomen entsprechend der intendierten Bedeutung die Genuszuweisung ändern. Dieses Phänomen ist jedoch nur bei sehr wenigen Nomen zu beobachten, z.B. 'der/das Mensch1 oder 'der/das Balg1 (vgl. Spiewok 1975). In Abschnitt 1.1.2 wurde darüber hinaus deutlich, daß die Vorschläge zur Etablierung einer Gesamtbedeutung viel zu vage sind. 2. Die morphologischen Formen der Genera sind theoretisch als Bestandteile der Ausdrucksseite (phonologische Bestandteile) von spezifischen Einzellexemen und nicht als eigenständige sprachliche Zeichen (signe) zu betrachten. Aus diesem Interpretationsansatz würde für die Genuszuweisung eher auf Arbitrarität zu schließen sein. Wenn Sprache von de Saussure als ein System verstanden wird, dann dürfte dieses dem Individuum für dessen komnunikative Intentionen nur durch eindeutige Verbindungen zwischen Inhalt und Form zugänglich sein. Wenn Sprache jedoch in erster Linie der Kommunikation dient, dann bezieht sich eine strukturierte und grammatischen Regeln unterworfene Lautfolge (also ein Wort oder eine Wortfolge in einem Sprechakt) immer auf einen Sachverhalt im weitesten Sinne, auf einen Teil sensitiv oder kognitiv wahrnehmbarer Realität. Diese Realität wird in irgendeiner Form strukturiert und selektiv wahrgenommen, und dies wiederum kann seinen Niederschlag in der Genuszuweisung für ein Nomen finden. Sprache ist in ihrer kam-
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munikativen Funktion auch ein Gestalten von Welt, denn im Produktions- und Perzeptionsprozeß von Sprache wird (Un-)Welt nicht nur beschrieben, sondern auch gegliedert. Dies vollzieht sich in einem dynamischen gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zum jeweiligen kulturellen Zusammenhang, in dem eine Einzelsprache steht. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, würde also der erste der beiden oben vorgestellten Interpretationsansätze, demzufolge der Genusmorphologie eine Bedeutung zuzuordnen ist,
zutreffen. Allerdings war hierfür nur eine sehr schwache
lendenz nachzuweisen.
1.4.2
Weiterentwicklung durch Noam Chomsky
Spätestens seit de Saussure ist aus der Sprachwissenschaft der Begriff des Zufälligen und Unsystematischen auf der synchronen Sprachbeschreibungsebene verdrängt worden. Für alle menschlichen Sprachen, wird angenommen, gibt es Systeme. Der de Saussuresche Begriff von System, also "langue", betrifft die Sprachgemeinschaft selbst und nicht das Individuum. Das sprachliche System gilt als soziales (intermenschliches) Wesen, das unabhängig vom Individuum und entgegen dessen Unordnung im Denken und im phonetischen Ausdruck existiert. Entgegen dieser Annahme geht Chomsky von der Auffassung aus, daß sich eine grundlegende Systematik im menschlichen Denken finden ließe und daß Systematik in der Sprache eine Auswirkung hiervon sei. Demnach ließen sich Systematiken in der Sprache auch in der sprachlichen Kompetenz des zu einer Sprachgemeinschaft zählenden Individuums feststellen. Wenigstens drei Beobachtungen verweisen im Zusammenhang mit der Problematik der Genuszuweisung auf den Kompetenzbegriff Chomskys: 1. Jeder erwachsene native speaker des Deutschen kann auch ihm unbekannten Nomen das 'richtige1 Genus zuordnen. Dabei muß 'richtig1 nicht unbedingt bedeuten, daß die in Wörterbüchern kodifizierte Norm getroffen wird, sondern lediglich, daß einem dialekt- oder soziolektabhängigen Regelsystem annähernd konsequent gefolgt wird. Auch die meist einheitliche Zuweisung des Genus zu Fremdwörtern verweist auf den Gebrauch eines irgendwie strukturierten Regelinventars. 2. Auch Kinder entdecken und wenden Regelmäßigkeiten bei der Genuszuweisung an. Sehr gut denkbar und bisher völlig unerforscht ist,
daß Kinder verschiedene
Stadien durchlaufen und für jedes einzelne Stadium ein in sich strukturiertes Regelsystem entwerfen. Systematisch 'falsche' Zuordnungen müßten auf solche Regularitäten verweisen. Erst in einem bestimmten Alter (bisher ist nicht nachgewiesen, wann genau das ist) haben Kinder endgültig die von ihren Eltern oder sonstigen Bezugspersonen gesprochene Grammatik adaptiert.
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Unter dieser Prämisse wäre also die häufig von 6- bis 8-jährigen Kindern vorgenonmene Genuswahl "der Pflaster* kein Fehler, sondern lediglich ein Hinweis auf die vom Kind gebrauchte Regel, daß das Morphem -er maskuline Genuszuweisung veranlaßt. In der Tat sind über 9O% der auf
-er auslautenden Vtörter im
Deutschen maskulin (vgl. Mater 197O:481ff). Genau wie beim ersten Punkt wird auch hier die Fähigkeit des Menschen deutlich, mit grammatischen Regeln kreativ umzugehen. 3. Sprecher des Deutschen sind dazu in der Lage, die Polysemie von 'der/das Teil' zu dekodieren, und zwar wählen sie das Genus entsprechend der Intention ihrer Sprachäußerung aus. Eine solche Fähigkeit weist auf eine semantische Regel hin. Die Semantik von 'der' bzw. 'das Teil' ist nicht identisch, sie ist aber gleichzeitig nicht eindeutig unterschieden wie bei 'der/die See'. Hingegen ist bei 'der/das Gong1 keine semantische Differenz festzustellen. Bei allen drei Beobachtungen wurde vom Sprachverhalten ausgegangen, um von dort aus induktiv auf ein zugrunde liegendes graimetisches Regelsystem zu schließen. Die Kompetenz, also das einer jeden performatorischen Äußerung quasi als Folie unterliegende abstrakte 'Wissen', vereinigt sich bei Chomsky im idealen Sprecher/Hörer. Für Chomsky (1969:13f)
ist
"der Gegenstand einer linguistischen Theorie — in erster Linie ein idealer Sprecher/Hörer, der in einer völlig homogenen Sprachgemeinschaft lebt, seine Sprache ausgezeichnet kennt und bei der Anwendung seiner Sprachkenntnisse in der aktuellen Rede von solchen grainnatisch irrelevanten Bedingungen wie: begrenztes Gedächtnis, Zerstreutheit und Verwirrung, Verschiebung in der Aufmerksamkeit und im Interesse, Fehler (zufällige oder typische) nicht affiziert wird. Eine Aufzeichnung natürlicher Rede zeigt stets zahlreiche falsche Ansätze, Abweichungen von Regeln, Änderung der Strategie mitten im Sprechen usw. Für den Linguisten ebenso wie für das Kind, das die Sprache erlernt, besteht das Problem, aus den Daten der Sprachverwendung heraus das zugrunde liegende Regelsystem zu bestimmen, über das der Sprecher/Hörer verfügt und das er in der aktuellen Sprachverwendung in Gebrauch ninmt." Chomskys Überlegungen beziehen sich nahezu ausschließlich auf den Bereich der Syntax, sie lassen sich aber auch auf jeden anderen in sich selbst strukturierten und systematischen, expliziten Regeln folgenden Aspekt von Sprache übertragen, also auch auf die Phonologie. "The rules of granmar operate in a mechanical fashion; one may think of them as instructions that might be given to a mindless robot, incapable of exercising any judgement or imagination in their application. Any ambiguity or inexplicitness in the statement of rules must in principle be eliminated, since the receiver of the instructions is assumed to be incapable of using intelligence to fill in gaps or to correct errors. To the extent that the rules do not meet this standard of explicitness and precision, they fail to express the linguistic facts." (Chomsky/Halle 1968:60)
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Nach der Chcmskyschen Auffassung von Regelhaftigkeit könnte bezüglich der Genuszuweisung völlige Arbitrarität zutreffen, ausreichend wäre es, wenn jedes Neman ein bestirntes Genus, aber nur ein Genus, zugewiesen bekäme. Die Regeln für diesen Zuweisungsvorgang könnten im Lexikon verankert sein. Die Genuszuweisung sollte vom native speaker ohne Beeinflussung performatorischer Schwächen vorgenonmen werden. Gegen diese Auffassung ist einzuwenden, daß gerade die performatorischen Faktoren es sind, die zu einer nichtarbiträren, also systematischen Genuszuweisung führen. Eine vollständig arbiträre Genuszuweisung würde zu enormen Erwerbs- und Speicherungsproblemen für die GenusZuordnung zu den Nomen führen. Weiterhin bliebe die Kapazität von Sprechern des Deutschen, neu in die Sprache eindringenden Nomen systematisch ein Genus zuzuweisen, für diesen Ansatz unerklärbar. Betrachtet man das Genus - gekennzeichnet durch den bestimmten Artikel als eine Klasse von Elementen und die Nomen des Deutschen als eine zweite, dann sollen zugrunde liegende Regularitäten als abstrakte Konstruktionen einer Grammatik alle möglichen und nur diese Kombinationen von beiden Elementklassen eindeutig zuordnen und verknüpfen. Der von Chcmsky verwendete Begriff der Kompetenz ist keineswegs als Beschreibung eines statischen Systems zu begreifen. Chomsky selbst bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Humboldt, der Sprache als 'energeia1, als dynamisches Prinzip, verstand. Humboldt (1836; 1963:71) schreibt: "Das Sprechenlernen der Kinder ist nicht ein Zumessen von Wörtern, Niederlegen im Gedächtnis und Wiedernachlallen mit den Lippen, sondern ein Wachsen des Sprachvermögens durch Alter und Übung." Daß diese Dynamik auch für den Bereich des Genus im Deutschen Gültigkeit besitzt, läßt sich in einem diachronen Vergleich der Entwicklung des Genus für das ;*>rt 'die Frucht' illustrieren. Kluge (1975) zufolge stammt das Wort ursprünglich von dem lateinischen 'fructus' (m.) ab, nahm dann im Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Altniederländischen die Form 'Vruht1 (m.) an, im Altsächsischen wurde das Wort zu 'fruht' ( f . ) . Zur Erklärung des femininen Geschlechts führt Kluge (1975:221) an: 1O Hiermit soll nicht gesagt werden, daß die Funktion des bestürmten Artikels ausschließlich darin besteht, das Genus von Nomen zu bezeichnen. Die Genuskennzeichnung am Artikel ist - genau wie beim Adjektiv oder Pronomen - lediglich eine Kongruenzerscheinung. Es soll hier unmißverständlich darauf hingewiesen werden, daß der Artikel nicht als Geschlechtswort aufgefaßt wird (vgl. Vater 1968).
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"das dt. Wort ist f. geworden nach dem Vorbild der f.-Abstrakta auf idg. -ti, germ, -i, ahd. -t: Brut, Flucht, Geburt, Geduld, Schuld, Vernunft, Zucht." Kluges Erklärung beruht offensichtlich auf einer diachronisch-itiorphologischen Regelmäßigkeit in der Genuszuweisung, denkbar wäre auch, daß das Wort aufgrund seines /xt/-Auslauts zu einem Femininum geworden ist, 1
wie auch die deutschen Bei-
1
spiele 'Macht , 'Nacht , 'Schlacht', 'Zucht', 'Flucht' usw. aufgrund des Auslauts Femininum sind. Damit würde sich das Wort in eine phonologische Genusregel integrieren lassen, die etwa folgendermaßen lauten muß: 'alle /xt/ auslautenden Wörter sind feminin, es sei denn, daß besondere phonologisch-morphologische oder semntische Markierungen vorhanden sind, die dem Wort eines der beiden anderen Genera zuweisen1 (vgl. a. Abschnitt 3.3.2.3). Ein weiteres Argument für die Dynamik in der Genuszuweisung betrifft die Tatsache, daß im Mittelhochdeutschen die meisten Substantive auf -e feminin waren. Möglicherweise wegen eines Systematisierungsdrucks movierten in die Klasse der Feminina ehemalige Maskulina und Neutra: z.B. mhd. 'der bluome1, 'der snecke", 'daz kole', 'daz ecke1 > nhd. 'die Blume", "die Schnecke', "die Kohle1, "die Ecke' (vgl. Schmidt 1966:103).
1.4.3 Theoretische Folgerungen und Vorüberlegungen zu einem eigenen theoretischen Konzept Im vorausgegangenen Abschnitt wurde der Begriff der sprachlichen Kompetenz unter strikter Bezugnahme auf den Gegenstand dieser Arbeit diskutiert. Im Rahmen des hier zu lösenden Problems muß die zugrunde liegende Folie von ineinandergreifenden Regeln auf folgenden Ebenen gesucht werden: a) auf einer phonologischen, b) auf einer morphologischen und c) auf einer semantischen Ebene. Die nachfolgende Abbildung 2 stellt schematisch dar, über welche Punkte sich das Genus G eines Nomens der allgemeinen Struktur K.. V K- determinieren und erklären läßt.
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Abbildung 2;
Schematische Darstellung für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen im Deutschen :11
phonologische Erklärung phonol. Regeln
K1 K., V V VK2 K2 K1/K2
phonolog . Struktur
morphologische Erklärung morphol. Regeln
Pluralmarkierung
morpholog. Struktur
semantische Erklärung semantische Regeln
SG
»
semantische Struktur
11 Die Abkürzungen in dem Schema haben folgende Bedeutungen: K.. = Anlaut (gleichgültig, ob es sich hierbei um einen einzelnen Konsonanten, ein Konsonantencluster oder eine Leerstelle in der Struktur handelt); K2 = Auslaut (wie bei K . ) ; V = Vokal; K..V = Konsonant-Vokal-Verbindung im Anlaut; VK2 = Vokal-Konsonant-Verbindung im Auslaut; K../K2 = Verhältnis von anlautenden zu auslautenden Konsonanten; SG = Semantische Gruppe.
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Bei Einsilbern könnte die Genuszuweisung auf der phonologischen Ebene nur entlang bestimmten lautlichen Übereinstimmungen der Nomen erfolgt sein. Es sind dies der Anlaut K.., der Übergang von anlautenden Konsonanten zum Vokal K. V, der Vokal V, der Übergang vom Vokal zum auslautenden Konsonanten VK„, der auslautende Konsonant K~ und das Verhältnis zwischen anlautenden und auslautenden Konsonanten K 1 /K 2 Auf der morphologisehen Ebene korrespondiert, abgesehen von einigen meistens semantisch zu erklärenden Ausnahmen, das Pluralmorphem -en mit der femininen Genuszuweisung (z.B. 'die Tür1 - 'die Türen'). Auf der semantischen Ebene korrespondieren bestimmte Gemeinsamkeiten des von den Nomen 'Bezeichneten' mit einer identischen Genuszuweisung. Diese Nomen lassen sich zu semantischen Gruppen zusammenfassen: SG.; SG2 etc. Theoretisch ist ein dynamisches Aufeinandereinwirken von Phonologie (oder MDrphologie) und Semantik eines Wortes im Zusammenhang mit der Genuszuweisung vorstellbar: Der Auslaut -e bedeutet bei vielen mehrsilbigen Nomen, wenn es sich bei dem Wort nicht um eine Partizipialableitung handelt (wie z.B. bei 'der Gesandte') , daß das feminine Genus zugewiesen wird, während der Auslaut -er Maskulinum evoziert. Die Frage ist aber, ob hier nicht aufgrund der Semantik der Nomen teilweise dem widersprechende GenusZuweisungen vorgenommen werden müßten. Schematisch lassen sich die beiden theoretisch existierenden Möglichkeiten folgendermaßen darstellen: ·? a) Phonologie/Morphologie =» Genus *= Semantik des Wortes b) Semantik des Wortes => Genus «= Phonologie/Morphologie Möglichkeit a) bedeutet, daß ein Wort aufgrund seiner phonologisch-morphologischen Struktur ein bestimmtes Genus zugewiesen bekommt, theoretisch denkbar ist, daß die Semantik des Wortes dieser Zuweisung widerspricht. Möglichkeit b) hat die Semantik des Wortes zum Ausgangspunkt für die Genuszuweisung, hier könnte die phonologisch-morphologische Markierung am Nomen zu einem Widerspruch führen. Es wird später zu klären sein, welche Interdependenzen für die Genuszuweisung existieren und ob das Regelsystem in sich hierarchisch gegliedert ist. Es soll dann untersucht werden, welche der möglichen Ansatzpunkte im Sinne eines ökonomischen Verfahrens den größten Erklärungswert besitzen und welche nur von untergeordneter Bedeutung sind. Theoretisch müßten sowohl die phonolcgisch-morphologische als auch die semantische Ebene jeweils für sich allein genommen Erklärungen für die Genuszuwei-
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sung zu den Nomen bereitstellen. Die in Abschnitt 1.3 referierten Theorien Grimns, Wundts und Wienolds weisen darauf hin, daß die Genuszuweisung ursprünglich sehr klaren Prinzipien folgte. Sprachinhärente Phänomene führten jedoch zu einer gewissen Auflösung dieses eindeutigen Zuweisungsrausters und erklären somit auch, daß bei den meisten zu formulierenden Regeln eine Reihe von Ausnahmen auftreten: 1. Phonologisch-morphologische Ursachen für die Entstehung von Ausnahmen: a) Sprachinhärente phonologische Regelmäßigkeiten führen zur Auflösung existierender phonologischer Systeme. Hierzu zählt u.a., daß Konsonanten und Vokale ihre Qualität verändern, daß Konsonantenschwund zu beobachten ist und daß der Ausfall von Vokalen zur Bildung von Konsonantenclustern führt. b) Bestimmte in der Vergangenheit bedeutungstragende morphologische Kennzeichen können aus dem Gesamtsystem einer Einzelsprache völlig verschwinden, vgl. z.B. die in Abschnitt 1.4.2 erwähnten /t/-Abstrakta. 2. Lexikalische Ursachen für die Entstehung von Ausnahmen: a) Wortentlehnungen aus anderen Sprachen können zur Auflösung bestimmter Regelmäßigkeiten beitragen, wenn sie ihr ursprüngliches Genus beibehalten, wie z.B. Ozeanus' (m.) > Ozean1 (m.). Der gleiche Effekt kann entstehen, wenn Entlehnungen aus anderen Dialekten vorgenommen werden. Historischdialektologische Untersuchungen, die im Rahmen des Themas der vorliegenden Arbeit vorzugsweise an der Genuszuweisung zu Flurnamen vorgenommen worden sind, zeigen, daß ehemals relativ abgeschlossene Systeme existiert haben. Die Verbreitungsflächen von verschiedenen Genuszuweisungen zu dem gleichen Nomen lassen sich in diesen Untersuchungen deutlich voneinander abgrenzen; erst außersprachlich-kulturelle Faktoren haben häufig einen Genuswechsel initiiert bzw. zu Unsicherheiten in der Genuszuweisung geführt (vgl. Kunze 1976; öhmann 1965; Rosenthal 1973). b) Wortverkürzungen, wie 'Trambahn' > "Tram1 oder 'Flugzeugabwehrkanone1 > 'Flak', sorgen, weil sie eigenen Regelmäßigkeiten folgen, für Uneinheitlichkeiten in der Genuszuweisung. Eine dieser Regeln ist, daß das letzte, in der Wortverkürzung jedoch gelöschte Nomen eines Konpositums für die Genuszuweisung verantwortlich ist. Solche Ableitungsprozesse sind auf einer synchronen Ebene für den Sprecher/Hörer nicht mehr nachzuvollziehen, da die Wortverkürzung als eigenständige Lexemeintragung aufgefaßt wird. 3. Semantische Ursachen für die Entstehung von Ausnahmen: Verschiedene Wörter dehnen den Geltungsbereich ihrer Bedeutung aus oder
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engen ihn ein. Damit einhergehend kann es zu Verschiebungen in der Genuszuweisung können. Zum Beispiel bezieht sich das Wort 'Backfisch1 heute kaum noch auf einen Fisch, sondern in den meisten Fällen auf ein junges, unerfahrenes Mädchen. Für den Spracherlerner und -benutzer besteht, wenn er mit Sprache im kommunikativen Zusairmenhang effektiv umgehen will, ein Systematisierungsdruck, Prinzipien für den Erwerb und die Speicherung bestimnter sprachlicher Phänomene aufzustellen. Betrachtet man Sprache aus dieser Perspektive, müßte eine vollständige Regelmäßigkeit in der GenusZuweisung aufzufinden sein. Beispielsweise sind dem Kind bei seiner Analyse sprachlicher Daten Regeln für die oben erwähnten sprachlichen Einzeltatsachen kaum zugänglich, sondern lediglich von einem diachron verfahrenden Linguisten mit historischen Kenntnissen zu gewinnen. Somit beschreibt die aus einem diachronen Verfahren resultierende Grammatik m.E. auch nicht die zugrunde liegende sprachliche Kompetenz des Sprecher/Hörers. Darüber hinaus können diese Erklärungsversuche für sich nicht beanspruchen, psychologisch real zu sein. Eine auf einer synchronen Ebene ansetzende Sprachtheorie über die Funktion von GenusZuweisungen zu Nomen hat einerseits deren koranunikativen Wert und andererseits konkrete Prinzipien ihres Erwerbs durch Kinder bzw. ihrer Speicherung durch Erwachsene zu berücksichtigen. Der kcmtiunikative Wert von GenusZuweisungen liegt in erster Linie darin, daß sie dem Sprachbenutzer im kommunikativen Zusammenhang anaphorische Referenzierungen erleichtern. Dies erklärt, warum Genuszuweisungen sich nicht einheitlich einem vorgegebenen Ctoerbegriff folgend verhalten. Nimmt man z.B. den Oberbegriff 'Küchengegenstände1, so ist
festzustellen,
daß sich die drei Genera scheinbar willkürlich auf die sich unter diesen Begriff subsumierbaren Benennungen verteilen, also: 'der Löffel 1 , "die Gabel1, 'das Messer', 'der Topf,
"die Pfanne 1 , 'das Sieb" etc.
Im Redezusammenhang wird jedoch
bei der Referenzierung durch Pronomen die deiktische Funktion dieses scheinbar so unnützen sprachlichen Phänomens deutlich. Das würde bedeuten, daß Nomen, die mit großer Wahrscheinlichkeit im gleichen Redezusammenhang auftreten, möglichst unterschiedliche GenusZuweisungen erhalten. Die Systemhaftigkeit des Lexikons wird bezüglich der Genuszuweisung nicht als abstrakte strukturelle Gestalt betrachtet, sondern als Konsequenz aus einerseits dem Systematisierungsdruck
zur Erleichterung von Erwerb und Speicherung
durch die Sprachbenutzer und andererseits der Funktion von Sprache im Kommunikationszusanmenhang. Von den Uhtersuchungsergebnissen der Psycholinguistik wissen wir, rfofl sprachliche Einzeltatsachen schneller und leichter gespeichert werden, wenn ihnen Systematiken zugrunde liegen. Weiterhin ist bekannt, daß Kinder wäh-
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rend des Spracherwerbs morphologische Einzeltatsachen zu Systemen zusammenstellen, die offensichtlich nicht mit denen der Erwachsenensprache zur Deckung zu bringen sind. Andererseits gilt auch, daß sowohl Erwachsene als auch Kinder in ihrem Bedürfnis, Systematiken aufzufinden, sprachliche Einzeltatsachen modifizieren, um sie in das jeweilige System zu integrieren. Wörter, die in der Kommunikation häufig benutzt werden, könnten rein assoziativ gelernt und gespeichert werden. D.h. mit dem Anwachsen von Frequenz und Ausbreitung von Wörtern in alltäglicher Kommunikation nimmt die Möglichkeit ihrer autonomen, also unabhängig von Regeln vorgenommenen Speicherung im lexikalischen Speicherungsnetz des einzelnen Sprachteilnehmers zu. Darüber hinaus bedeutet das: Wenn ein Wort durch Generationen hindurch in der Kommunikation sehr frequent ist und zudem von nahezu allen Sprachteilnehmern benutzt wird, wird es weniger stark einem diachronisch vermittelten Systematisierungsdruck ausgesetzt sein. Solche Wörter zählen zum Kernbestandteil des Lexikons. Die Wörter, die nur eine sehr niedrige Frequenz und Ausbreitung aufweisen und nur von sehr spezifischen Sprechergruppen benutzt werden (z.B. die Fachsprachen von Seeleuten oder Technikern), entziehen sich ebenfalls solchem Systematisierungsdruck bzw. werden von den spezifischen Sprachbenutzern nach selbständigen, nur dieser Gruppe zugänglichen Regeln geordnet. In gewisser Weise gilt hier der Interpretationsansatz (1) des de Saussureschen Denkens (vgl. Abschnitt 1.4.1), wonach jedes Genus als morphologische Farm seine eigene Bedeutung zugewiesen bekommt, die wiederum mit bestimmten lexikalischen Einheiten aufgrund von Bedeutungsübereinstirnnungen kongruiert; z.B. erhalten alle physikalischen Maß- und Meßeinheiten neutrale Genuszuweisungen. Solche Wörter zählen zur Peripherie des Gesamtlexikons. Hier finden sich auch Neuprägungen und Lehnwörter, die noch nicht in die Alltagssprache eingedrungen sind und auf die folglich kaum Systenatisierungsstrategien gewirkt haben können. Diese Wörter weisen ihre (noch) nicht erfolgte Integration auf der sprachlichen Erscheinungsebene durch Genusschwankungen aus. Weitaus der größte Teil des Wortschatzes befindet sich zwischen den beiden Extrempunkten "sehr frequent und ausgebreitet" auf der einen und "wenig frequent 12
Diese grundsätzlichen Gedanken über die Aufspaltung des Gesamtlexikons sowie der sprachlichen Phänomene überhaupt in Kern-, System- und Peripheriebestandteile sind ^forlesungsmaterialien von David Zubin (State University of New York at Buffalo) entnommen und beruhen auf theoretischen, allerdings nicht publizierten Überlegungen von William Diver (Columbia University, New York). Letztlich haben dessen überlegungen wiederum ihren Ursprung in denen der Prager Schule.
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und sprachbenutzerspezifisch" auf der anderen Seite. Diese Nomen erhalten aufgrund bestürmter von den Sprachteilnehmern etablierter Systematiken zum Zwacke der Erleichterung ihres Erwerbs und ihrer Speicherung ihr jeweiliges Genus. Grundsätzlich ist zu bedenken, daß die Grenzen zwischen den Bereichen Kern, System und Peripherie fließend verlaufen, d.h. ein Wort kann z.B. durchaus aufgrund außersprachlicher soziokultureller Faktoren aus dem Bereich der Peripherie in den des Systems oder gar Kerns des Gesamtlexikons gelangen. Prinzipiell sind dabei den verschiedenen Richtungen des Wechsels keine Grenzen gesetzt. Solche Prozesse wären auf einer diachronen Untersuchungs- und Verfahrensebene nachzuweisen. 1.5 Methodische Bemerkungen Die noch zu beschreibenden Regeln werden in den seltensten Fällen Ausnahmen ausschließen, denn Sprache wird sich nie vollständig mathematisieren lassen. \fon "Regeln1 ist hier bewußt deshalb die Rede, weil es nicht um Gesetze, sondern eher um Tendenzen im Sinne der Stochastik geht (vgl. dazu auch die theoretischen Überlegungen in Abschnitt 1 . 4 ) . Eine mathematisierte Beschreibung von natürlichen Sprachen halte ich für unangemessen, weil sie aufgrund ihrer formalisierten Darstellungsweise von ihrem Gegenstand notwendig abstrahieren muß. In der vorliegenden Arbeit soll Sprache als ein stochastischen Regeln gehorchender Prozeß betrachtet werden, in dem das Auftreten verschiedener Zeichen oder deren Kombination die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter anderer Zeichen bedingt. Ein bestiirmtes einsilbiges Nomen der Struktur K-V^ besitzt aufgrund seiner phonologisch-morphologischen Struktur einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad, etwa mit dem Genus Maskulinum verbunden zu werden, gleichzeitig aber auch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit - g_uasi als Komplementärfunktion -, das Femininum oder Neutrum zu evozieren. Eine stochastische Regel stellt nicht den Chomskyschen Begriff der Kompetenz in Frage, es wird jedoch von einem solchen Regeltyp die Strenge und der Absolutheitsanspruch Chomskyscher Beschreibungen von Kompetenz etwas zurückgenommen. Stochastische Regeln werden, sofern sie bestimmten statistischen Anforderungen entsprechen, der Forderung nach eindeutigen Regeln gerecht; darüber hinaus reflektieren sie, daß Sprache dem Prinzip permanenter Veränderung unterworfen ist. Die Regeln müssen also einen Mechanismus enthalten, der Statik aufhebt bzw. verhindert. Grundsätzlich gilt, daß sprachliche Regeln per se eine explanative Kraft beinhalten. Sie teilen uns etwas über die Struktur des menschlichen Geistes mit (vgl. Chomsky 1977:12ff).
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Man könnte, um statistisch abgesicherte Tendenzen festzustellen, von der Annahme ausgehen, daß die drei Genera sich gleichmäßig über die Gesamtzahl der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache verteilen. Diese Voraussetzung wird von Altitiann/Raettig (1973) gemacht, sie entspricht jedoch nicht den tatsächlichen Verhältnissen bei den einsilbigen Substantiven und wäre somit im Rahman dieser Untersuchung idealtypisch. In absoluten Zahlen verhalten sich die drei Genera, meinen Zählungen der Dudeneinträge gemäß, wie folgt: m : f : n = 940 : 2O5 : 321 = 4,6 : 1 : 1,6.
Die Zahl der femininen Nomen ist unter den Einsilbem überraschend gering. Die Einsilber stellen jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtlexikon der Nomen dar. Betrachtet man nämlich die Gesamtheit der Nomen im Deutschen, so gleichen sich die Verhältniszahlen durch die sehr produktiven femininen Suffixe -heit, -keit, -ung etc. aus. Zudem ist der Auslaut -e in nahezu allen Fällen ein Kennzeichen für das Femininum, allerdings sind alle Nomen, die diese Markierung aufweisen, mindestens Zweisilber. Eine für die Regelbildung grundsätzliche Frage ist,
ob die oben angegebene
Verteilung der einsilbigen Nomen auf die drei Genera als latent bewußt beim Sprecher/Hörer des Deutschen vorausgesetzt werden kann, er sich also in Zweifelsfällen grundsätzlich für das Maskulinum entscheiden würde. Diese Frage wäre nur dann positiv zu beantworten, wenn alltägliche Konrounikation die Verhältniszahlen widerspiegelte. Tatsächlich gilt jedoch, daß die Einsilber zwar in Kompositabildungen sehr produktiv sind, da grundsätzlich das letzte Nomen im Kompositum den Ausschlag für die Genuszuweisung gibt, jedoch gleichzeitig eine Reihe sehr produktiver Suffixe existiert, die feminine GenusZuweisung evozieren. Zudem ließ sich durch eigene Stichprobenuntersuchungen der Druckerzeugnisse der Boulevardpresse nachweisen, daß dort die Favorisierung einsilbiger maskuliner Nomen keineswegs gegeben ist.
Insofern kann davon ausgegangen werden, daß der Sprecher/Hörer bei
jedem Nomen theoretisch vor die Itöglichkeit gestellt ist,
zwischen drei Genus-
zuweisungen auszuwählen. Bei den oben aufgestellten Verhältniszahlen wurde jedes Wort mit mehr als einem Genus doppelt gezählt (Lautfolgen mit drei GenusZuweisungen sind im Korpus nicht vorhanden), gleichgültig, ob das Wort durch die andere Genuszuweisung seine Bedeutung verändert (wie bei 'der/die See1) oder nicht (wie bei 'der/das Gong 1 ). Daraus folgt im Rahmen dieser Untersuchung eine Totale von 1466 Genuszuweisungen.
46
Da es die Zielsetzung dieser Arbeit ist, phonologische Distributionen festzustellen
, die stark genug sind, um vom Spracherwerbenden und Sprachbenutzer
als Lern- und Speicherungsprinzipien angewendet zu werden, kann es im Prinzip nicht darum gehen, nur nach Distributionen mit statistischen Signifikanzen zu suchen. Selbst wenn man unterstellt, daß die phonologischen Regeln (vgl. Abschnitt 3.3) nur durch Zufall zustande gekommen sind, widerspricht das nicht einem Lern- und Speicherungsprinzip, da die grundsätzliche Fragestellung dieser Arbeit sich nicht um Erklärungen für bestürmte Verteilungen bemüht, sondern darum, was vom Sprachbenutzer des gegenwärtigen Sprachsystems zu perzipie-
ist.
ren
Die in den Abschnitten 3.3 bis 3.3.3 beschriebenen Regeln versuchen nach Möglichkeit, generellen phonologischen Prinzipien gerecht zu werden, dies geschieht jedoch nicht, um statistische überprüfbarkeit zu gewährleisten, sondern um möglicherweise zugrunde liegende Lern- und Speicherungsprinzipien für die Genuszuweisung aufzufinden.
1.6
Das Korpus
1.6.1
Korpustheoretische Überlegungen in der Linguistik
Prinzipiell ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß der Anspruch auf ein vollständiges Korpus nicht erhoben wird. Fast täglich kommen neue Wörter in die deutsche Sprache (z.B. als Fremdwörter), werden in Landschaften Wörter benutzt, die in anderen nicht mehr in Gebrauch und damit veraltet sind bzw. als Dialekt14 Wörter geführt werden. Nicht einmal das Lexikon eines Dialekts läßt sich mit absoluter Vollständigkeit und Sicherheit zu einem Zeitpunkt bestimmen. Für die Lösung meiner Aufgabenstellung dienten die einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache als Korpus, um von hier aus einer zugrunde liegenden Systematik für die Bestimmung des grammatischen Geschlechts auf die Spur zu kommen. Weitreichende Einschränkungen bei der Materialsammlung hat es nicht gegeben, so daß, so hoffe ich, die Gefahr einer subjektiven Verengung des Gegenstands ausgeschlossen werden konnte. 13
Zur Erinnerung: Morphologische und semantische Regeln haben in der vorliegenden Arbeit nur sekundäre Bedeutung, und zwar werden sie in Fällen uneindeutiger phonologischer Erklärungszusammenhänge relevant.
14
Bei den meisten Neuprägungen handelt es sich übrigens weniger um wirklich neue Wortschöpfungen, sondern eher um Komposita, Ableitungen, Lehnübersetzungen oder Fremdworteinflüsse.
47
Van de Velde (1979:15) kennzeichnet mit folgender "fliese den Stand der Lexikonarbeiten in der Linguistik in den 6Oer und 7Oer Jahren: "Eine deduktive Systematisierung sprachwisschenschaftlicher Erkenntnisse ist ohne Hinzunahme von Lexikoninformationen nicht auf empirische Phänomene menschlicher natürlicher Sprachen beziehbar. Lexikonarbeiten scheinen aber weniger im Interesse der deduktiven Systematiker gestanden zu haben als sonstige Bestandteile der Grammatik." Der Grund für das Abrücken von Untersuchungen an Textkorpora läßt sich aus dem Anspruch der generativen Transformationsgramtatik erklären, die zugrunde liegende Fähigkeit der Kompetenz zu beschreiben, deren Geltungsbereich weiter gefaßt werden kann, als er von einem begrenzten Korpus vorgegeben wäre. Bierwisch (1970:9) formuliert seine Bedenken gegen eine Textsammlung folgendermaßen: "Einmal kann sie unkontrolliert nebeneinander ganz unterschiedliche Erscheinungen enthalten: grammatische und ungrammatische Sätze, grammatische Abweichungen der verschiedensten Art, die zu einer ganz wertlosen Grammatik führen würden, wenn man sie alle berücksichtigte. Zum anderen enthält sie, strenggenommen, keinerlei Festlegungen über Granmatikalität, strukturelle Ähnlichkeit, Ambiguität usw. Ein bloß durch Sammlung gewonnenes Material enthält also einerseits zu viel, andererseits zu wenig, um den eigentlichen Gegenstand der Linguistik, die von den Sprechern beherrschten Regularitäten, zu erfassen." Bierwischs Auffassung mag für den Bereich der Grammatik, also für die Beschreibung von Hegelsystemen für unendlich viele Sätze, korrekt sein, jedoch beruht die vorliegende Arbeit auf einer begrenzten Anzahl von Genuszuweisungen, die alle aufgezählt werden können und aufgezählt worden sind (vgl. Anhang 6.6). Statt Korpusuntersuchungen wurde von der mentalistisch geprägten Sprachwissenschaft überwiegend dga Verfahren der Intuition bzw. Introspektion gewählt. Hierdurch glaubte man hinter die unendliche Menge sprachlicher Daten zu sehen, un über die bloße Beschreibung der Performanz hinausgehend die Sprachkompetenz des idealen Sprecher/Hörers zu erfassen. Zu Recht gibt Bungarten (1979) zu bedenken, daß die Sprecherintuition eines konkreten Sprechers nicht unbedingt mit der Sprachkompetenz des idealen Sprecher/Hörers identifiziert werden darf, eben weil Intuition ungrammatische sprachliche Äußerungen nicht ausschließt. "Es erscheint zweifelhaft, ob die Sprecherintuition diese Verbindung garantiert, denn intuitive Sprecheräußerungen scheinen darauf hinzudeuten; daß es keinen direkten Zugang zur idealen Sprecher-Hörer-Kompetenz gibt. Ver15 Es muß angemerkt werden, daß Korpusanalysen von den Generativisten nicht prinzipiell abgelehnt werden. Zumindest läßt die folgende Äußerung von diomsky (1969:14) diesen Schluß zu: "Für den Linguisten ebenso wie für Kind, das die Sprache erlernt, besteht das Problem, aus den Daten der Sprachverwendung heraus das zugrunde liegende Regelsystem zu bestürmen..."
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schiedene empirische Untersuchungen zum individuellen, schichtenspezifischen, dialektgeographischen, fachsprachlichen und altersspezifischen Sprachgebrauch führen zu der Annahme, daß die individuellen Kompetenzen der Sprecher biographisch, sozial und regional determiniert sind und erhebliche Unterschiede aufweisen." (Bungarten 1979:31) Von dieser Position Bungartens kann man rechtfertigen, daß der Duden und die von ihm angegebenen Genuszuweisungen eine sehr gute Grundlage für ein Korpus abgeben, denn in gewissem Sinne repräsentiert der Duden eine Durchschnittsgröße der im gegenwärtigen Deutschen vorgenommenen Genuszuweisungen. Aus den vorangegangenen Bemerkungen zur Sprecherintuition folgt, daß die durch sie gewonnenen sprachlichen Daten methodologisch auf der gleichen Ebene anzusiedeln wären wie die empirischen Befunde eines Korpus. Auch die Sprecherintuition ist von performatorischen Begrenzungen affiziert. Gegenüber einem Korpus haben solche Daten den entscheidenden Nachteil, daß man durch sie bei ihrem isolierten Einsatz auf den m.E. unbrauchbaren Begriff der individuellen Kompetenz zurückgeworfen wäre, wohingegen das Korpus - wenn es bestimmten statistischen Anforderungen entspricht - den Begriff der Repräsentativ!tat für sich in Anspruch nehmen darf. Allen (1977:1) schreibt: "A corpus designed as a basis for the investigation of a language is of necessity a selection from the sum of manifestations. Given that it is possible to obtain such a corpus, it will as a sample tell us something about the sum of manifestations (the population), with the (un)certainty inherent in this kind of procedure. It will tell us something about the language system only indirectly. There is also the risk of errors, anacolutha, etc. in the corpus. Thus, in terms of information theory, there are two types of noise: statistical and linguistic/communicative." Lyons (1968) nimmt für Korpusuntersuchungen neben der Grundbedingung eines Mindestumfangs auch jene der Repräsentativität auf. Erst hierdurch wird es möglich, strukturbeschreibende Regeln aufzustellen, die die grammatikalische Akzeptabilität der im Korpus aufgeführten Daten erklären können: "The number of potential utterances in any language is unlimited. Any given collection of utterances, however large, but representative of the totality of potential utterances, it will, ex hypothesi, manifest all the regularities of formation characteristic of the language as a whole... If rules are established to account for the acceptability of any representative sample of utterances, the same rules will necessarily account for a much larger set of utterances not in the original corpus, unless the application of the rules is very severely, and "unnaturally1, restricted. Moreover, if certain rules with particular properties are incorporated into the description, it will be capable of accounting for an infinite, but specified, set of acceptable utterances." (Lyons 1968:139f) Lyons' Aussagen beziehen sich zwar auf Untersuchungen von Sätzen, treffen jedoch m.E. auch auf Lexikonerhebungen zu.
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Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen warden, daß die Frage der metnodisch-operativen Abhängigkeiten bei der Arbeit mit Korpora bisher keineswegs befriedigend gelöst worden ist
(vgl. Rieger 1979:61ff). Insgesamt jedoch ist ein
Korpus von seiner empirischen Aussagekraft her höher zu bewerten als introspektiv oder intuitiv gewonnene Daten. Für eine Korpusanalyse sprechen auch die wissenschaftstheoretischen Kriterien der intersubjektiven Nachprüfbarkeit der Ergebnisse und der eindeutigen Unterscheidung von Subjekt- und Objektebene bei der Analyse. Erst hierdurch werden metasprachlich formulierte Ergebnisse auf eine zugrunde gelegte Datensanmlung beziehbar. Bei der für die vorliegende Arbeit zugrunde gelegten Datensanmlung der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache handelt es sich nicht um eine Stichprobe, sondern um den Versuch einer Vollerfassung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auf eine Stichprobe zurückzugreifen, z.B. über die Auswertung von Frequenzwörterbuchern (vgl. z.B. Kaeding 1898; Pfeffer 1970; Wängler 1963), war wegen des zu geringen Bestands der in solchen Wörterbüchern verzeichneten Eintragungen wenig sinnvoll. Die Datenbasis wäre viel zu schmal gewesen, um aus ihr Ifegeln abzuleiten. In Wängler (1963) beispielsweise konnten nur 88 einsilbige Lernen festgestellt werden, also nur etwa 6% der Eintragungen, die Grundlage dieser Arbeit sind. Zum Schluß dieses Abschnitts soll geklärt werden, ob es sich bei der Datensammlung für diese Arbeit um ein Korpus oder um eine Belegsammlung handelt. Eine Belegsammlung versucht, in der Performanz Daten aufzufinden, die ein genau definiertes morphologisches, syntaktisches oder semantisches Problem betreffen
(vgl.
Bungarten 1979:35). Hingegen werden in einem Korpus Sprachformen als 'Datenkonserven1 aus Komriunikationszusaninenhängen (hierzu gehören Intention, Rezeption, Situation etc.) in einer Stichprobe oder exemplarisch möglichst vollständig erfaßt und nicht von vornherein, entsprechend einer vorgegebenen Fragestellung, ausgewählt. Die Daten der vorliegenden Arbeit können nicht, da der Duden als Grundlage diente, im eigentlichen Sinne als aus der primären Performanz abgeleitet betrachtet werden. Die Grammatikalitätsurteile des Dudens spiegeln in etwa die durchschnittliche Kompetenz, allerdings mit normierender Intention, wider. Schon aus diesen wenigen Bemerkungen wird deutlich, daß eine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Begriffe Belegsaitmlung versus Korpus ausgesprochen schwierig ist.
Ich werde im folgenden den Begriff Korpus in einem weiteren Sinne
verwenden, und zwar auch deshalb, weil in die vorliegende Datensammlung wahrscheinlich nicht alle einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache einge-
50
gangen sind. Eine Vollerhebung ist aus Gründen der Begrenzung des Wortschatzes prinzipiell schwierig, denn nicht inner ist klar, welche Wörter zum Wortschatz gehören. Fast täglich dringen neue Wörter in die Sprache ein oder sterben alte aus. Die hieraus resultierende Unsicherheit in der Begrenzung ließe sich wahrscheinlich problemlos anhand eines Vergleichs verschiedener Wörterbücher mit einer randomisierten Wortauswahl demonstrieren. 1.6.2 Beschreibung des Korpus Das Korpus für diese Untersuchung setzt sich aus dem von Hirsch-Wierzbicka (1971) aus dem Leipziger Rechtschreib-Duden von 1967 gewonnenen Wortmaterial zusaninen. Aus Hirsch-Wierzbickas Korpus wurden die Wörter, die nicht als Substantive auftreten, ausgesondert. Diese neue Liste wurde mit der Mannheimer Ausgabe des Rechtschreib-Dudens verglichen, dabei stellte sich heraus, daß verschiedene Wörter, wie z.B. 'Kaim', die im DDR-Duden auftauchen, dort nicht verzeichnet sind. Solche Wörter wurden nicht berücksichtigt. Es ergab sich ein 1466 Wörter umfassendes Korpus. Oder, genauer gesagt, gehen 1466 Fälle von Genuszuweisung in die Untersuchung ein, denn Wörter mit mehr als einem Genus zählen doppelt (Lautfolgen, die drei Genuszuweisungen erhalten, tauchen im Korpus nicht auf). Jedes Wort einschließlich seiner phonologischen Transkription und seines im Mannheimer Rechtschreib-Duden angegebenen graimatischen Geschlechts (oder seiner grammatischen Geschlechter) wurde von mir auf eine Lochkarte geschrieben. Wörter, die im Duden als 'veraltet1 (V), 'fremdsprachig1 (F) oder 'mundartlich' (D) markiert waren, erhielten eine entsprechende Eintragung auf der für sie geltenden Lochkarte. Wörter, die bei Hirsch-Wierzbicka wegen mehrerer Aussprachemöglichkeiten mehr als einmal auftauchen, wurden nur einmal aufgenommen. In solchen Zweifelsfällen wurden native speakers nach ihrer Aussprache befragt, und 16 Es mag auf den ersten Blick problematisch erscheinen, die verschiedenen Duden-Ausgaben aus der DDR und der BRD in ein und derselben Korpuszusammenstellung zu berücksichtigen. Jedoch gilt, daß in dem "Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" von Klappenbach/Steinitz (1961-1977) auf 85 000 Stichwörter nur gut 1% Neuprägungen zu verzeichnen sind, diese beziehen sich in erster Linie auf mehrsilbige Wörter oder Wortkomposita. Für die einsilbigen Nomen kann festgehalten werden, daß ihr Auftreten und ihre Genuszuweisung in den beiden Duden nahezu identisch ist. Insgesamt wurden nur drei Belege im Duden der DDR festgestellt, die im Mannheimer Rechtschreib-Duden nicht verzeichnet waren. 17 Für den Teil der phonologischen Transkription der Wörter folgte ich HirschWierzbicka (1971:1Off), die hierfür das Mannheimer Aussprachewörterbuch zu Rate zog.
51
diese wurde dann als gültig für die Transkription eines Wortes akzeptiert. 18 Die der Hochlautung folgende Festsetzung der Aussprache von Wörtern ist in gewissem Sinne problematisch, denn einerseits ist bekannt, daß die Genuszuweisung für eine Reihe von Wörtern dialektabhängig ist, also von derjenigen in der Hochsprache abweicht, andererseits hat die Hochlautung den Vorteil, ein übergreifendes vereinheitlichendes System und eine Art Durchschnittskompetenz darzustellen. Hierdurch gelangt die Erfassung der zugrunde liegenden Kompetenz wieder in den Blickwinkel der Untersuchung. In diesem Zusaimenhang muß auch die Frage beantwortet werden, ob nur solche Wörter in das Korpus aufzunehmen sind, die alle Sprecher kennen. Allerdings wird sich hier wohl kaum Homogenität herstellen lassen. Bezüglich der phonologischen Untersuchung kann man zunächst davon ausgehen, daß Sprecher/Hörer auf der Basis der ihnen bekannten Lautkomplexe Regeln aufstellen, die sie auch auf unbekannte Wörter, z.B. fachsprachliche Ausdrücke der Seemannssprache, ausdehnen. Solche Ausdrücke wären gegebenenfalls in einem weitergehenden Schritt aus der phonologischen Untersuchung auszugliedern, um sie dann auf der Basis ihres spezifischen Verwendungszusaimenhangs durch spezielle Sprechergruppen zu untersuchen. Es werden also zunächst keine weitreichenden Restriktionen bezüglich der Aufnahme der Wörter in das Korpus vorgenommen, dies gilt auch für Fremdwörter, denn diese Wörter werden nicht nur häufig mit deutschen Phonemen und deutscher Betonung ausgesprochen, sondern es wird ihnen auch grundsätzlich vom Sprecher des Deutschen ein Genus zugeschrieben. Die GenusZuordnung braucht dabei nicht der der Herkunftssprache des Wortes zu entsprechen. Allerdings ist der Grad der Sicherheit in der Genuszuweisung bei Fremdwörtern von der Häufigkeit ihrer Verwendung und dem Ausmaß ihrer Eindeutschung in der Aussprache abhängig. In gewisser Weise signalisiert Genuswechsel Zweifel in der Sprecher/Hörer-Gemeinschaft über das korrekte Genus eines Fremdwortes. Neuerliche Beispiele für dieses tastende Suchen sind 'der/das Convention" (Zusammenkunft) und "der/das Record1 (Urkunde, Schallplatte, Höchstleistung), die immer wieder mit unterschiedlicher GenusZuweisung in Presse, Rundfunk und Fernsehen gebraucht werden. Auf der Basis der Lochkarteneintragungen wurden vom Computer verschiedene Wortlisten zusamnengestellt, und zwar entsprechend:
18 Grundsätzlich wurden von mir nur erwachsene native speakers befragt, die im Hamburger Raum aufgewachsen waren.
52
a) der orthographischen Repräsentation;
b) der phonologischen Transkription nach b1 ) dem Anlaut, b2) dem Inlaut, b3) dem Auslaut; c) dem graima tischen .Geschlecht;
19
d) der Markierung V, F und D. Hierdurch sollte der Prozeß der Regelbildung, so wie er sich in Abschnitt 3.3 findet, erleichtert werden.
1.6.3 Die verwendeten Transkriptions zeichen Im Textteil der Arbeit werden die phonetischen Werte folgendermaßen phonematisch dargestellt: I) Vokale a) Kurze Vokale:
b) Lange Vokale;
c) Diphthonge:
[a]
= /a/
[a:]
= /a:/
[ai]
= /ai/
[*]
= /e/
[e:]
= /e:/
[aCö]
= /au/
[i] [o]
= /V = /o/
[i=] [o:]
- /i:/ = /o:/
[oy]
=
/oü/
[O] = /u/
[u:]
= /u:/
[0]
= /ö/
[0:]
=
[y]
= /ü/
[y:]
= /ü:/
/c/
/ö:/
II ) Konsonanten [b]
= /b/
[k]
=
/k/
[c]
=
[p] = /P/
[gl
= / /
[]
= / /
[m]
= /m/
[v]
=
/v/
[1]
=
/!/
[d]
= /d/
[f]
=
/f/
[r]
=
/r/
[t]
= /t/
[z]
=
/z/
[s]
=
/S/
[n]
= /n/
[s]
=
/s/
[5]
=
/S/
[g]
= /g/
[j]
=
/j/
[h]
=
/h/
19 Ein Wort mit mehr als einem Genus, z.B. m + f, taucht sowohl in der Liste der maskulinen als auch in der der femininen Wörter auf.
53
1.7 Zusammenf assung In den vorausgegangenen Abschnitten konnte gezeigt werden, daß die Annahme eines zugrunde liegenden Systems für die Zuweisung des Genus prinzipiell sinnvoll ist und daß dieses System sowohl phonologisch-morphologische als auch semantische Ebenen enthalten muß. Interne, also von den sprachlichen Daten selbst ausgehende Evidenz konnte vorzugsweise durch die Analyse mehrsilbiger Nomen erbracht werden, daneben wurde aber auch deutlich, daß eine ganze Reihe von Nomen ihr Genus aufgrund ihres Bedeutungsfeldes erhalten. Die Genuszuweisung zu Fremdwörtern kann als eine Schnittstelle zwischen phonologisch-morphologischen und semantischen Informationshilfen interpretiert werden, denn beide Ebenen werden vom Sprecher/ Hörer des Deutschen produktiv genutzt. Externe Evidenz für die Berechtigung der Hypothesen einer regelgeleiteten Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen konnte aus experimentellen Untersuchungen zur Genuszuweisung zu Fremdwörtern und aus Ergebnissen zur psychologischen Realität des Genussystems im Russischen, Hebräischen, Französischen und Deutschen gewonnen werden. In diesen beiden Untersuchungsfeldern wird im Gegensatz zu den vorher genannten induktiv vorgegangen, d.h. nicht die sprachlichen Daten und deren Distribution entlang bestimmter Regelmäßigkeiten bilden den Ausgangspunkt für diese Untersuchungen, sondern experimentelle Verfahren, mit deren Hilfe auf zugrunde liegende Regeln geschlossen werden kann. Diese implizit gewonnenen Regeln wären in einem weiteren Schritt am sprachlichen Material, so wie es sich in Wörterbüchern findet, zu explizieren; dieser Schritt wird in den genannten Untersuchungen nicht vorgenonmen. In Abschnitt 1.3 wurden einige diachron verfahrende theoretische Ansätze zur Genuszuweisung vorgestellt. Dabei wurde deutlich, daß die Idee eines zugrunde liegenden Systems prinzipiell durchaus schon vorgedacht worden ist, und zwar sowohl auf der phonologisch-rnorphologischen (formalen) Ebene als auch auf der semantischen. Der Abschnitt "Sprachsystematische Überlegungen" diente - unter Einschluß der vorher erörterten Abschnitte - dazu, eine fundierte Theorie über die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache zu erstellen. Dabei wurde den grundsätzlichen sprachtheoretischen Überlegungen de Saussures und den Gedanken Chomskys zur sprachlichen Kompetenz besondere Bedeutung beigemessen. Msine theoretischen Überlegungen gehen bezüglich des Genussystems davon aus, daß neben einem Systematisierungsdruck, der prinzipiell für
54
den Sprachbenutzer und den Spracherlerner existiert, auch kommunikative und soziale Prinzipien bestehen, die einerseits zur Entstehung, andererseits zur Bewahrung von Ausnahmefällen führen. Grundgedanke war, daß die Nomen sich auf einem Kontinuum verteilen; der Großteil der Nomen soll dabei von bestimmten phonologisch-morphologischen oder semantischen Regelmäßigkeiten in ihrer Genuszuweisung zu erklären sein. Nomen, die entweder in der täglichen Kommunikation sehr frequent sind oder nur von spezifischen Sprechergruppen benutzt werden, entziehen sich diesen Systemen. Nach den Bemerkungen zur Methode, in denen erläutert wird, warum für die Auswertung der sprachlichen Daten stochastischen Regeln der Vorzug gegeben wird, schließt das erste Kapitel mit der Beschreibung des für die Arbeit zugrunde gelegten Korpus und der für die Beschreibung der Daten verwendeten phonologischen Symbole.
2.
ZUR PHONOLOGIE DER EINSILBER
2.1
Die Struktur der Einsilber: bisherige Untersuchungen und Ergebnisse Im nachfolgenden Teil werden verschiedene schon im ersten Teil angedeutete
Positionen wiederaufgenommen und vertieft. Unter anderem soll der von der Kombinatorik von Phonemen zulässige Aufbau der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache dargestellt werden. Daneben bedarf es aber auch der weiteren Klärung so wichtiger Begriffe wie 'Phonem1 und 'Silbe1.
2.1.1
Definition von 'Phonem1 und 'Silbe1
In Abschnitt 1.4.1 wurde schon kurz die de Saussuresche Dichotomie zwischen langue und parole erwähnt. Sie wurde von Trubetzkoy (1939; 1968) für die Phonologie wiederaufgenonmsn, und zwar korrespondiert bei ihm der Begriff des 'Sprechaktes' mit der parole, der des 'Sprachgebildes1 mit der langue: "Der Sprechakt ist immer konkret, findet an einem bestimmten Orte und zu einer bestimmten Zeit statt. Er setzt voraus: einen bestimmten Sprecher (einen 'Sender'), einen bestimmten Angesprochenen (einen 'Empfänger') und einen bestimmten Sachverhalt, worauf er sich bezieht... Der Sprechakt setzt aber noch etwas voraus: damit der Angesprochene den Sprecher versteht, müssen beide dieselbe Sprache beherrschen, und das Vorhandensein einer im Bewußtsein der Mitglieder der Sprachgemeinschaft lebenden Sprache ist die Vorbedingung jedes Sprechaktes. Im Gegensatz zum immer einmaligen Sprechakt ist die Sprache oder das S p r a c h g e b i l d e etwas Allgemeines und Konstantes. Das Sprachgebilde besteht im Bewußtsein aller Mitglieder der gegebenen Sprachgenossenschaft und liegt unzähligen konkreten Sprechakten zugrunde." (Trubetzkoy 1939; 1968:5) Trubetzkoys phonologische Analyse hat ihren Kernpunkt darin, Phoneme unter Zuhilfenahme von distinktiven Merkmalen darzustellen. Wichtigstes Mittel zur Bestimmung der Phoneme ist die Kommutationsprobe; dabei werden Oppositionen wie 'Bar1 und 'Bier' aufgestellt, wobei sich in diesem Fall die Vokale /a:/ und /i:/ als Minimalpaare gegenüberstehen, da durch den gegenseitigen Austausch der beiden Vokale innerhalb der gleichen Umgebung Bedeutungsunterschiede erzielt werden. Aus solchen Oppositionen folgt Trubetzkoys Definition für das Phonem:
56
"Phonologische Einheiten, die sich vom Standpunkt der betreffenden Sprache nicht in noch kürzere aufeinanderfolgende phonologische Einheiten zerlegen lassen, nennen wir P h o n e m e . Somit ist das Phonem die kleinste phonologische Einheit der gegebenen Sprache. Die bezeichnende Seite jedes Wortes im Sprachgebilde läßt sich in Phoneme zerlegen, als eine bestimmte Reihe von Phonemen darstellen... Man darf sich die Phoneme nicht etwa als Bausteine vorstellen... Vielmehr ist jedes Wort eine lautliche Ganzheit, eine G e s t a l t , und wird auch von den Hörern als eine Gestalt erkannt... Das Erkennen von Gestalten setzt aber ihre Auseinanderhaltung voraus, und diese ist nur dann möglich, wenn die einzelnen Gestalten sich voneinander durch gewisse Merkmale unterscheiden. Die Phoneme sind eben die U n t e r s c h e i d u n g s m a l e der Wortgestalten. .. Man darf sagen, daß das P h o n e m die Gesamtheit der phonologisch relevanten Eigenschaften e i n e s L a u t g e b i l d e s i s t . " (Trubetzkoy 1939; 1968:34f) Unter 'Phonemgehalt1 versteht Trubetzkoy diejenigen Merkmale, die ein Phonem von anderen Phonemen einer Einzelsprache unterscheiden. In der generativen Phonologie ist die Grundeinheit nicht mehr das Phonem, sondern das Merkmal, obwohl genaugenommen in keiner Phonologie ohne den Begriff des Merkmals operiert wurde, denn auch in den Theorien, in denen mit dem Phonem als kleinster Einheit gearbeitet wird, werden die Phoneme in Phonemsysteme als Nasallaute, Frikativa etc. gruppiert. Chomsky/Halle (1968) glauben die verschiedenen Phoneminventare von Einzelsprachen durch ein limitiertes universales Inventar von ca. 15 binären distinktiven Merkmalen überwinden zu können. Aus einem solchen Netz von Merkmalen sollen dann alle Einzelsprachen abgeleitet sein. In dieser Theorie verschwindet demnach das Phonem hinter einem Bündel solcher Merkmale und wird damit gegenüber diesen sekundär (vgl. Kohler 1977:17). Der Universalitätsanspruch und die Unabhängigkeit einer solchen Theorie gegenüber Einzelsprachen wird von der generativen Phonologie expressis verbis formuliert. So schreiben Chomsky/Halle (1965:120): "... they provide a universal phonetic theory that determines all possible Outputs' of the phonological component of any generative grammar. That is, the feature system determines the class of 'possible sentences' from which the sentences of any human language are drawn, and, furthermore, imposes an intrinsic classification, in terms of feature composition, on the sounds that constitute utterances. Hence the theory provides an empirical hypothesis about the phonetic constitution of any human language and the organization and structure of the system of sounds and possible phonetic contrasts that a human language can utilize." Ob eine solche übergreifende Verallgemeinerung zum jetzigen Zeitpunkt, also vor der extensiven Erforschung von Dialekten und Einzelsprachen, gerechtfertigt ist, sei dahingestellt.
57
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt herrscht in der theoretischen Phonologie keine Einigkeit über die Begründung und Beschreibung der distinktiven Merkmale. Die theoretischen Grundlagen folgen akustischen, artikulatorischen oder abstrakten Beschreibungsparatnetern (vgl. Kenstowicz/Kisseberth 1977; Jacobson 1962; Hooper 1976; Ladefoged 1971; Chomsky/Halle 1968). Ungeklärt ist, ob den distinktiven Merkmalen ein universaler Geltungsanspruch zukommt, in welchem Verhältnis die Merkmale zu einer Einzelsprache stehen und welche Rolle die Markiertheit überhaupt in der Phonologie spielt. Die unterschiedlichen Auffassungen lassen sich an der Behandlung der Frikative demonstrieren. Chomsky/Halle (1968:329) nehmen die Unterscheidung "strident" versus "nonstrident" vor: "Strident sounds are marked acoustically by greater noisiness than their nonstrident counterparts." folglich sind für Chomsky/Halle die Frikative /f, s, s/ strident und die Frikative /c, x/ nonstrident. Eine eher traditionelle Unterscheidung in "sibilant" und "nonsibilant" nimmt Ladefoged (1971:57) für die Frikative vor: "Hie most important example of the useful division of a physiological category in terms of auditory criteria is the division of fricatives into sibilants and nonsibilants... Fricatives such as /s/ and /I"/ are distinguished from others by having a comparetively large amount of acoustic energy at high frequencies. Sounds with an acoustic structure of this kind may be said to have the auditory feature SIBILANCE." Für die Frikative des Deutschen würden die Unterscheidungen zu folgenden Klassifizierungen führen: Chomsky/Halle:
strident /s/
/s/
nonstrident /f/
/c/
/x/
1
Ladefoged:
sibilant
nonsibilant
Wegen der oben erwähnten theoretischen Uneinigkeit in der gegenwärtigen Phonologie und wegen der für die Ziele der Arbeit eher geeigneten traditionellen Klassifizierungen (vgl. z.B. die Behandlung der Frikative bei den Auslautregeln, Abschnitt 3.3.2.3) soll hier somit ein eher konservativer Standpunkt bezogen werden, der gegebenenfalls später durch beliebige distinktive Merkmale weiterinterpretiert werden kann. Bestimmten phonologischen Regeln folgende Kombinationen von Phonemen bilden "dürter, wobei - im Grunde analog zur generativen Grammatik - aus einem begrenz-
58
ten Set von Phonemen und Kombinationsregeln wenigstens theoretisch unendlich viele Phonemfolgen gebildet werden können. Unter "Wort" kann hier, da es sich um einsilbige Nomen handelt, auch "Lexem (+ Nullmorphem)" (vgl. Philipp 1974: 11) verstanden werden. Eine ausgiebige Erörterung des Wortbegriffs in der modernen Linguistik kann also ausgespart bleiben, da es für die vorliegende Untersuchung gleichgültig ist,
ob unter Wort nun eine im Satz verschiebbare,
durch eine fakultative Pause in einer Äußerung isolierbare Einheit oder das kleinste Zeichen, das allein einen Satz bilden kann, verstanden wird. Für die einsilbigen Nomen fällt der Begriff des Lexems mit dem der Silbe zusammen. Das abstrakte Grundmuster für Silben wäre KVK, wobei sowohl der anlautende als auch der auslautende Konsonant 'leer1 bleiben kann. Diese Struktur findet sich nach Jacobson (1969:20ff) in allen Sprachen. Ohne hier den Universalitätsanspruch für Definitionen von "Silbe1 weiter zu problematisieren, kann, da nur einsilbige Nomen Untersuchungsgegenstand sind, auf die Definition von O'Connor /Trimm (1953:103) zurückgegriffen werden: "... the syllable may be defined as a minimal pattern of phonem combination with a vowel unit as nucleus proceeded and followed by a consonant unit or permitted consonant combination." Die neuere Diskussion über den Begriff der Silbe und über Wortsegmentierungen wird in dem Sammelband von Bell/Hooper (1978) ausführlich repräsentiert.
2.1.2
Ausgewählte Forschungsergebnisse zur Phonemdistribution im Deutschen
Die nachfolgend dargestellten Forschungsergebnisse werden in der chronologischen Reihenfolge ihrer Erscheinungsjahre referiert und beziehen sich ausschließlich auf die deutsche Sprache. Es geht hierbei darum, phonologische Strukturen zu fixieren, die gegebenenfalls mit Genuszuordnungen korrelieren.
2.1.2.1
Twaddells Ergebnisse
Twaddell (1939 und 1940/41) untersuchte ein ca. 37.OOO ein- und zweisilbige Wörter umfassendes Korpus; er ging dabei vor allen Dingen der Frage nach, ob zwischen an- und auslautenden Konsonanten (oder Konsonantenverbindungen) irgendwelche Relationen bestehen und ob diesen Relationen eine Systematik zugrunde liegt. Im einzelnen lauteten seine Fragestellungen: "1. Are there marked inequalities in the exploitation of the various possible non-consecutive combinations of consonants preceding and following the stressed vowel in the forms which comprise the German vocabulary?
59
2. Can such inequalities be determined and appraised objectively? 3. Are such inequalities merely random and arbitrary, or do they exhibit any systematic character?" (Itoaddell 1939:194f) Sein Korpus leitete Iwaddell aus dem Rechtschreibduden von 1934 und Siebs Aussprachewörterbuch von 193O ab. Neben Dialektformen fanden auch viele Fremdwörter Aufnahme in die Untersuchung. Bedenklich an der Untersuchung Itoaddells ist die unreflektierte Aufnahme von Flexionsformen, wird doch so von der Bedeutung und Funktion des phonologischen Wortes abgesehen (vgl. Hintze 1948). IWaddell (1939:190) begründet die Aufnahme von flektierten Formen in sein Korpus folgendermaßen: "The inclusion of all different forms within a morphological class appears to be necessary; for there is no essential linguistic basis for regarding, e.g., the nom. sing, of a noun as more fundamental than the gen. plur." Dagegen macht Hintze (1948:41f), m.E. völlig zu Recht, geltend: "Dies scheint mir aber ein rein mechanistischer Standpunkt zu sein, der das Wesen der sprachlichen F u n k t i o n der phonischen Gebilde und ihrer Abstraktionen verkennt." Hintzes Kritik gipfelt schließlich in folgender Bemerkung: "Es ist bekannt, daß das Wort nicht inmer reines Semantem ist, sondern oft aus Semantem + Morphem(en) besteht. Nun zeigt aber die Erfahrung, daß Semanteme und Morpheme oft eine wesentlich voneinander abweichende Struktur aufweisen (infolge ihrer unterschiedlichen Stellung im System einer Sprache) . Deswegen hat man bei der Untersuchung der Wortstruktur auch in dieser Hinsicht auf völlige Homogenität des Materials zu achten. Man muß also zunächst die M o r p h e m g r e n z e im Wort beachten und hat ihrer Rolle bei der Kombinatorik ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen." (Hintze 1943:46f) Daß auch Veröffentlichungen jüngeren Datums die Kritik Hintzes nicht aufgearbeitet haben, wird z.B. an Seilers Untersuchung (vgl. Abschnitt 2.1.2.3) deutlich. Doch zurück zu Twaddells Studie: Aus der Differenz zwischen prognostiziertem und real gefundenem Wert für die Verteilung bestimmter Konsonanten vor und nach dem Vokal soll auf eine Systematik geschlossen werden: "... we need two sets of figures: one set of figures which indicate the number of forms in which a given combination of consonants appears; another set of figures which indicate the number of forms in which a given combination might bei expected to appear." (Iwaddell 1939:195) Twaddell (1939:196) verdeutlicht dies an einem Beispiel:
60
"We find that, of the 37.572 forms, 3612 display [n] following the stressed vowel. This is slightly less than 10% of the total number of forms. Then, if there where equal exploitation of combinations of consonants preceding and following stressed vowel, we should expect to find that about 10% of the forms with any given preceding consonant would have [n] following." Für den Fall des Auftretens von Differenzen zwischen real gefundenem und prognostiziertem Wert formuliert Twaddell (1939:197): "If the percentage is positive, then the given combination is over-exploited, i.e. it is relatively favored combination in the structure of German forms. If the percentage is negative, the combination is under-exploited, i.e. it is relatively avoided. The percentage of difference thus appears to be a measure of irregularity and of inequality of exploitation of the combinations of consonants preceding and following the stressed vowel." Zu Twaddells Ergebnissen: Eine erste systematische Regularität stellt er für den Fall fest, daß der gleiche Konsonant vor und nach dem Vokal auftaucht. Mit zwei Ausnahmen, [p, s], kann er für diese Kombinationen einen z.T. erheblich niedrigeren Wert in der realen Verteilung feststellen, als zu erwarten gewesen wäre. Twaddell (1940/41:41) bezeichnet dieses Ergebnis als eine "repulsion of identicals" und formuliert dann unter artikulatorischen Gesichtspunkten weiter: "This repulsion is strongest and most consistent in the case of the oral resonants [r, 1]; next with the nasal resonants [m, n]; less with the fricatives; and least with the stops, especially the fortis voiceless stops." Bei der Kombination von Phonemen, geordnet nach deren Artikulationsort, setzt sich die für einfache Konsonanten gefundene Tendenz fort. Twaddell (1940/41:43) folgert daraus: "It appears proper to conclude, accordingly, that the repulsion of identicals is only a special case of the repulsion of consonants with a like place of articulation." Gleiches gilt auch, wenn man die Konsonanten nach ihrem Artikulationsmodus ord-
net. Obwohl Twaddells Abstoßungsgesetz für die Frage der Genuszuweisung keine Halle zu spielen scheint, sind es doch prinzipiell solche Ideen über die phonologische Struktur von Wörtern, die Korrespondenzen zwischen Phonologie und Genuszuweisung zu entdecken helfen.
61
2.1.2.2
Menzeraths Ergebnisse
Menzerath (1954) untersucht in seiner "Architektonik des deutschen Wortschatzes" 'Worttypen1 , die er dann weiter untergliedert in 'Klassen' der Einlauter, Zweilauter, Dreilauter etc. Hinzu kontnt der 'Formtyp', er ergibt sich aus der Position der Laute innerhalb der Klasse. Die Fragestellung von Menzerath (1954:2) lautet: "... welche theoretischen (abstrakten, deduktiv abgeleiteten) Typen sich in der Wirklichkeit (konkret, induktiv feststellbar) vorfinden, d.h. realisiert sind. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die theoretischen Möglichkeiten sich faktisch nicht alle bestätigen. Dazu möchten wir wissen, in welcher Ausdehnung (Häufigkeit, Belastung, Dichte) die einzelnen Formtypen vorkommen, d.h. welche Arten 'typisch' (charakteristisch) sind und welche weniger, kaum oder gar nicht vorkommen. " Grundlage für Menzeraths Untersuchung war das deutsche Aussprachewörterbuch von Vietor; hieraus wurden, unter Vernachlässigung der flektierten Formen , aber unter Einschluß der Fremdwörter, 2O.453 Eintragungen
gewonnen, darunter
2245 Einsilber. Der Worttyp des Einsilbers zerfällt in sieben Klassen. Insgesamt kommen 37 von 51 möglichen Formtypen vor, die jedoch ganz unterschiedlich besetzt sind. Die Darstellung der Wortreihen vollzieht sich bei Menzerath in kompliziert angeordneten Listen von minimal pairs. Verschiedene Einzelaufnahmen in diese vtortreihen sind allerdings zu kritisieren, so die der Interjektionen und Namen, die in ihrer Bildung anderen, eigenen phonologischen Regelmäßigkeiten folgen. Hinzu kommt die nicht erfolgte Unterscheidung zwischen Kurz- und Langvokalen.
4
Zu Menzeraths Ergebnissen: Der Formtyp des vierlautigen Einsilbers tritt in der größten Dichte auf. "Die Reihenfolge ist dabei so, daß dem maximalen Vierlautwort (962) das Dreilautwort (645) folgt, dann das Fünflautwort ( 4 4 4 ) , in starkem Abstand 1
Unter 'Worttypen' versteht Menzerath die Ein-, Zwei- und Drei- bis Neunsilber.
2 Flexionsformen werden von Menzerath allerdings nicht konsequent ausgeschlossen; z.B. sind auf S.32 die Wörter 'ans* und "ins1 aufgenommen, diese Formen sind zweifellos flektiert. 3 "Homonyme (Homophone)" wurden dabei von Menzerath "doppelt, drei- oder mehrfach" gezählt (vgl. Menzerath 1954:13). 4
So finden sich z.B. 'im' und 'ihm' ohne weitere Differenzierung in der gleichen Wortreihe (vgl. Menzerath 1954:26).
62
davon das Zweilautwort ( 1 1 4 ) , der Sechslauter (69), der Einlauter ( 9 ) , und endlich der Siebenlauter ( 2 ) . " (Menzerath 1954:72) Die Drei-, Vier- und Fünflauter, also der Kern (Gipfel) der Verteilungskurve, vereinigen 9O% der gesamten Einsilber auf sich. Daraus schließt Menzerath (1954:
72): " Die W o r t m a s s e n l i e b i g , s o n d e r n
sind d e m n a c h s y s t e m a/t i s c h
n i c h t bev e r t e i l t . "
Für die Distribution der Vokale bei den Einsilbern gilt folgendes: "1. die Kurzvokale (sind) doppelt so häufig wie die Langvokale; 2. ... der häufigste Vokal ist schlechthin /a/... Der zweithäufigste /i/... 3. die Häufigkeit der gerundeten Palatal vokale (ist) erstaunlich gering, namentlich bei den kürzeren... 4. von den Diphthongen (werden durch) /ei/ allein gut die Hälfte aller Fälle umfaßt. In weitem Abstand folgt /au/, in noch größerem Abstand davon /eu/..." (Menzerath 1954:73) Für die Konsonantenverteilung und -kombinatorik stellt Menzerath (1954:76ff) fest: A) Einfache An- und Auslaute: Im Anlaut tauchen mit Ausnahme von /rj/ und dem stimmlosen /s/ alle Vokale und Konsonanten auf; im Auslaut sind /b, d, g, s/ immer stimmlos, stimmhaft sind am Wortende nur die Liquide, Nasale und Vokale. Ein auslautendes /h/ gibt es im Deutschen nicht. B) Einfache Konsonantencluster im Anlaut: Sieht man von /St/, /sp/ und einigen anderen ab, dann gibt es im Deutschen keine anlautenden Cluster, die sich aus der Kombinationsfolge Frikativ + Plosiv zusammensetzen. Die anderen im Anlaut für die Einsilber registrierten Cluster setzen sich aus Plosiv + Frikativ (wie /pf/ oder /ts/ in "Pfahl 1 bzw. 'Zahl'); Plosiv + Liquida (wie in 'Platz'); Frikativ + Liquida (wie in 'Flucht') oder Plosiv + /w/ (wie in 'Quell') zusammen. C) Dreifache Konsonantencluster im Anlaut: Eine Konsonantenverbindung dieses Typs taucht im Anlaut nur selten auf. In erster Position sind nur /p/, /t/ und /s/ festzustellen, die dritte Position wird immer von /r/, /!/ oder /w/ eingenommen. D) Einfache Konsonantencluster im Auslaut: 1. Plosiv + Plosiv (wie in 'Abt') 2. Plosiv + Frikativ (wie in 'Gips') 3. Affrikata (wie in 'Kopf') 4. Frikativ + Plosiv (wie in 'Ast')
63
5. Frikativ + Frikativ (wie in 'Reichs' ) 6. Liquida + Plosiv (wie in 'Alk') 7. Nasal + Plosiv (wie in 'Amt')
8. Nasal + Frikativ (wie in 'Ramsch') 9. Liquida + Frikativ (wie in 'Elch') 10. Liquida + Nasal (wie in 'Arm') 11. Liquida + Liquida (wie in
'Kerl')
E) Dreifache Konsonantencluster im Auslaut: 1. Plosiv + Frikativ + Plosiv (wie in 'Obst') 2. Liquida + Frikativ + Plosiv (wie in 'Fürst')
3. Liquida + Affrikata (wie in 'Harz') 4. Liquida + Plosiv + Frikativ (wie in 'Knirps') 5. Liquida + Liquida + Plosiv (wie in 'quirlt' ) 6. Liquida + Liquida + Frikativ (wie in 'Kerls' ) 7. Liquida + Nasal + Frikativ (wie in 'Harms' ) 8. Nasal + Frikativ + Plosiv (wie in 'Wanst')
9. Nasal + Plosiv + Plosiv (wie in 'prompt' ) 10. Frikativ + Frikativ + Plosiv (wie in 'läufst' ) F) Vierfache Konsonantencluster im Auslaut: Solche Cluster werden von Menzerath - wahrscheinlich wegen ihres seltenen Vorkommens - nicht differenziert behandelt. Einsilbige Nomen dieser Konsonantenverbindung sind: 'Herbst', 'Ernst 1 , 'Arzt'. In allen Einsilbern mit einem vierfachen Konsonantencluster im Auslaut setzt sich die zweite Hälfte des Clusters immer aus Frikativ + Plosiv (/s/ + /t/) zusammen. Inwieweit die von Menzerath für die Einsilber insgesamt festgestellten Strukturen auf die einsilbigen Nomen übertragbar sind und ob bestimmte Strukturen mit Genuszuordnungen korrespondieren, soll später geklärt werden. Besonders wichtig an Menzeraths Arbeit ist seine Zusammenstellung von möglichen Anlaut- und Auslautclustern und deren Häufigkeit im Deutschen. Diese Ergebnisse können als Basis für die induktive Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Lautstruktur und Genuszuweisung dienen. 5 Dieses Konsonantencluster wird durch mein Korpus nicht abgedeckt. Menzerath erzielt es durch die Aufnahme deklinierter Formen. 6
Die Konsonantencluster 5, 6, 7, 9 und 1O werden durch mein Korpus nicht abgedeckt, dies liegt z.T. daran, daß sie nicht durch Ncmen besetzt sind (Menzerath beitühte sich auch um andere Wortarten) oder daß Menzerath Pluralformen oder heute vom Duden nicht mehr geführte Formen aufnimmt.
64
2.1.2.3 Seilers Ergebnisse Grundlage für die Untersuchung von Seiler (1962) ist ein Korpus, das sich aus dem gesprochenen Umgangsdeutsch zusammensetzt, nähere Erläuterungen hierzu gibt Seiler leider nicht. Seilers Material umfaßt alles, "was als Einheit Wort isoliert werden kann" (376), also auch flektierte Formen.
Von den Fremdwör-
tern sind nur diejenigen aufgenormten, deren Lautstruktur sich der des Deutschen angepaßt hat. Eigennamen sind nicht berücksichtigt. Das Ziel seiner Untersuchung umreißt Seiler (1962:375) folgendermaßen: "1. Es ist die lautliche Struktur der deutschen Wörter zu beschreiben, die nicht mehr als eine Silbe ausmachen. 2. Es ist zu untersuchen, ob sich Zusammenhänge erkennen lassen zwischen einer dergestalt herausgearbeiteten Lautstruktur und semasiologischen Charakteristiken deutscher Wörter..." Dies läßt sich dadurch präzisieren, daß Seiler ein zugrunde liegendes Muster bereitstellen wollte, in das sowohl alle Neubildungen als auch Fremdwörter im Deutschen eingepaßt werden müssen. Daß diese Auffassung für viele gängige Fremdwörter nicht zutrifft, weist Hirsch-Wierzbicka (1971) nach. Um sich seinem Ziel zu nähern, operiert Seiler auf quantitativer und qualitativer Ebene: "1. Quantitativ: Wie viele Laute gibt es minimal - maximal in einem ES (Einsilber, KMK)? Wie viele vor dem Gipfel-Vokal, wie viele nachher? 2. Qualitativ: Was für Laute und Qualitäten (Vokal, Halbvokal, Konsonanten, Verschluß, Dauer, Reibelaut, Liquiden usw.)? 3. Positionen: Im Anlaut, Gipfel, im Auslaut, vorhergehend, folgend, 1., 2., 3. Glied der Gruppe usw. 4. Modalitäten: 'muß' (+), 'kann1 (±), 'kann nicht' (-). 5. Kombinierbarkeit: z.B. /t/ nur mit /s/ und /s/ nur mit /t/." (Seiler 1962:376). Seilers Strukturformel der deutschen Einsilber ist das Ergebnis dieser VorgeQ
hensweise:
7 Die sehr unscharfe Definition von Wort und Silbe macht allerdings gerade eine Schwäche der Seilerschen Arbeit aus. 8 Für die Transkription seines Materials führt Seiler folgende Modifikationen ein: der velare Nasal [3] wird von ihm als Phonemverbindung aufgefaßt, da er bei seinen Informanten keine Opposition zwischen [zarjk] = und [zarjk] = feststellen kann. Er transkribiert also einheitlich /zank/. In den auslautenden Clustem tmpf, mpft, mpfs, mpfst] wird der Verschluß /p/ nicht-oppositionell gewertet: [hampf] = und [kämpf] = . [mpf] usw. werden daher als /mf/ usw. geschrieben. Weiterhin wird [ns] und [nts] einheitlich als /ns/ geschrieben und [nst] und [ntst] als /nst/. Entsprechendes gilt für /1s/ und /Ist/. Das orthographische wird phonemisch als Doppellaut /ts/ aufgefaßt (vgl. Seiler 1962:378f).
65
Abbildung 3; Die Strukturformel der deutschen Einsilber von Seiler (1962:377): Anlaut 1
2
Gipfel l
3
4
s- -k
s -m k n
ts- -v
k-
s0; c:^;
-p -t ;
P -f
t-
-s
g (±£)P
5
6
Auslaut 7
l
8
(±s)(±t) t
(o)- i
r (v)
s
(u) (±L)
(±p)f (-n)
(a)
u
X
I
1 ^n(±s)(±t) r -n
k f
1
b (-n)
9
-1 t
xf-
m
d (-n,
p-
n
(-n,
r
m- P 's t-
(rf)t
f
nX
k Zur Erläuterung der Formel: Die Zahlenangaben 1-4 am Kopf der Formel beziehen sich auf den Anlaut, 5-7 meint den Gipfel (G) des Wortes, wobei 'L 1 Vokallänge symbolisiert; die Positionen 8 und 9 beziehen sich auf den Auslaut. In den Positionen 3 und 8 sind die Konsonanten aufgeführt, die einzeln im Anlaut bzw. Auslaut stehen können. Alle Konsonanten unter Position 8, und da links vom Balxen, können sicn mit den nächsthöheren Konsonanten auf der rechten Seite verbinden, also mit /s/ oder /t/ oder /st/. Die Laute links vom Balken verbinden sich mit denen rechts so, wie es die Querstriche angeben: Strich von einem Laut zur Mittellinie bedeutet, daß der Laut nur mit dem der anderen Seite kombiniert werden kann; weist der Querstrich auf eine Lücke, so gilt als Verbindungsmöglichkeit der nächsthöhere der anderen Seite. Freistehende Laute der einen Seite können mit freistehenden der anderen Seite verbunden werden. Im einzelnen könnt Seiler zu folgenden Ergebnissen: Die Liquiden und Nasale /r l m n/ sind im Anlaut wie im Auslaut die "kombinationsfreudigsten Laute" (383). Im Anlaut sind sie nur als zweite oder dritte Glieder zugelassen, hingegen im Auslaut fast nur an erster Position. Die Konsonantengruppen von Liquiden und Nasalen verhalten sich, wenn man sich eine Symmetrieachse durch den Gipfel denkt, spiegelbildlich zueinander: CRJJRC (C = Konsonant, R = Liquid oder Nasal, G = Gipfel). /ä/ findet sich im Anlaut immer in erster Position, im Aus-
66
laut jedoch fast nur als zweites Glied. Daneben stellt Seiler an Restriktionen fest, daß ein Konsonant im Anlaut fehlen kann (vgl. bei Position 1 das Zeichen "0"), im Auslaut jedoch nicht ; /t/ ist im Anlaut nur sehr beschränkt koiribinierbar: /ts/, /tv/ und /It/, hingegen ist /t/ im Auslaut in zweiter bis vierter Position nahezu unbeschränkt kombinierbar. Ähnliches gilt für /s/. Stimmhafte Laute, die ein stimmloses Pendant haben, sind nur im Anlaut zugelassen. Die Ergebnisse Seilers für die gesprochene Sprache lassen sich im Prinzip mit den vorher referierten Resultaten Menzeraths zur Deckung bringen.
2.1.2.4
Hirsch-Wierzbickas Ergebnisse
Hirsch-Wierzbicka
(1971) versucht in ihrer Dissertation, "die zulässigen
Kombinationen der Einsilber der deutschen Gegenwartssprache zu ermitteln und systematisch darzustellen..."(5). Sie operiert in diesem Zusammenhang mit dem Begriff 'funktionelle Belastung1, worunter sie Aussagen "über Positionen in einem Strukturtypus" versteht (69). Aussagen wie "die Position A hat die funktionelle Belastung n" (69) werden dabei von ihr angestrebt. Grundlage für Hirsch-Wierzbickas Untersuchung sind sämtliche 166O Einsilber aus dem Leipziger Rechtschreibduden von 1967. Keine Aufnahme in das Korpus fanden veraltete Wörter, Flexionsformen, Eigennamen, Interjektionen, Qnomatopöien, Abkürzungen und zum Teil fremdsprachige Itörter. Interessant, weil hier erheblich über Menzeraths Ergebnisse hinausweisend, sind Hirsch-Wierzbickas Resultate bezüglich der Häufigkeitsverteilung der Strukturtypen, die nach dem Inlaut (Vokal) geordnet sind. Die nachfolgend wiedergegebene Tabelle entspricht mit Ausnahme von Umstellungen in der Reihenfolge der Strukturtypen gemäß ihrer realen Belastung den Angaben von Hirsch-Wierzbicka (1971:81). Hirsch-Wierzbickas Aufschlüsselung der Einsilber nach verschiedenen Strukturtypen wird, wie sich noch zeigen wird, für die Bildung von genuszuweisenden Regeln von erheblichem Wert sein (vgl. Abschnitt 3.3 und darin besonders Abschnitt 3.3.1). Darüber hinaus lassen sich aus ihrer Arbeit bestimmte Prinzipien über das Verhältnis zwischen Vokalklassen und Genuszuweisung ableiten (vgl. Abschnitt 5.2). 9 Diese Auffassung Seilers scheint mir nicht zutreffend zu sein, wenn man an Wörter wie 'der Bau1 denkt.
67
Tabelle I: . 10 Häufigkeitsangabe der Strukturtypen, geordnet nach Nuklei:
st
D
Total
187
83
469
17
350
6
373
128
157
56
341
8
150
4
162
5
65
-
70
28
1
2O
49
24
-
18
42
6
17
8
31
12
11
7
30
1
30
Strukturtyp
N
1
I
199
2
I NF F
3 4
11NF1 1
1 1 2 I I NF 2 1 1 I^NF^
5
IlNFlF2F3
6
I,N
7
,, , 2 1
8
I3I2I1NF1
9
NF1
vL
N
v
N
10
NF..F, 1 2
2
27
11
I^NF^F-j
1
24
25
12
I
18
18
13
I
14
NF F F
15
N
16
3I2I1NP1P2
-
3
6
1
4
1
6
1
-
2
3
I NF F P F
-
2
-
2
17
NF F F F
—
2
—
2
18
i3i2ilNFlF2F3
3I2I1N 1 2 3
1
1 2 3 4
1 2 3 4
Total
3
1
435
1016
1
2O9
1660
1O Im einzelnen haben die in der Tabelle verwendeten Abkürzungen bei HirschWierzbicka folgende Bedeutung: N = Nukleus (Vokal), N ... = Nukleus ist ein langer Vokal, N = Nukleus ist ein kurzer Vokal, NQ = Nukleus ist ein Diphthong, F.. bis F, = einfache finale Konsonanten bis nin zu viergliedrigen Konsonantenclustern, I.. bis I3 = einfache initiale Konsonanten bis hin zu dreigliedrigen Konsonantenclustern. Grundsätzlich werden die Konsonanten vom Nukleus ausgehend gezählt, die, die unmittelbar an den Vokal grenzen, erhalten die Bezeichnung ~L. bzw. F...
68
2.1.2.5 Zusammenfassung Die Darstellung verschiedener Untersuchungsergebnisse zu den Einsilbern im Deutschen sollte deren lautliche Struktur verdeutlichen. Die Forschungsergebnisse von Twaddell, Menzerath, Seiler und Hirsch-Wierzbicka könnten mögliche Ansatzpunkte bezüglich einer Korrelation zwischen der phonologischen Struktur und dem Genus der Nomen abgeben. Eine detaillierte Umsetzung dieser Ansätze findet sich im 3. Teil dieser Arbeit. Allerdings ist dabei zu bedenken, daß keine der referierten Arbeiten sich auf die einsilbigen Nomen des Deutschen beschränkt. Das Herausfiltern einer Wortart aus der Klasse der Einsilber könnte dazu führen, daß andere als die gefundenen Verteilungsprinzipien auftreten. Insofern erscheint es sinnvoll, zunächst eine Darstellung der Struktur der einsilbigen Nomen und der zu ihr möglicherweise korrespondierenden Genuszuweisung zu leisten. Die entscheidende Schwäche einiger Arbeiten ist, daß in ihnen flektierte Formen gleichwertig neben unflektierten stehen und analysiert werden. Diese methodische Schwäche (vgl. die Kritik Hintzes in Abschnitt 2.1.2.1) soll hier vermieden werden. Besonders interessant, um mögliche Korrespondenzen zwischen der lautlichen Struktur und dem Genus der Nomen zu ermitteln, scheinen mir Menzeraths und Hirsch-Wierzbickas Ansätze zu sein. Menzerath nimmt Abstraktionen von bestimmten Phonemen und Phonemkombinationen nach artikulatorischen Kriterien vor. Hirsch-Wierzbicka gliedert den Wortschatz in Strukturtypen auf. Es sind gerade solche allgemeinen, über einen konkreten Laut hinausweisenden Gesichtspunkte, die Zusammenhänge zwischen phonologischer Struktur und Genuszuweisung zu entdecken helfen (vgl. den gesamten Abschnitt 3.3).
3.
REGELN FÜR DIE GENUS ZUWEISUNG ZU EEN EINSILBIGEN NOMEN GER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE
Für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache lassen sich drei verschiedene Typen von Kegeln konstruieren: semantische, morphologische und phonologische. Die semantischen Ragein sind auf der Basis gemeinsamer Bedeutungsinhalte der verschiedenen Nomen aufgestellt worden, sie haben jedoch im Rahmen dieser Arbeit lediglich die Funktion, die Ausnahmen zu den phonologischen Regeln zu reduzieren, um so die Mächtigkeit dieses Regeltyps zu erhöhen. Die morphologischen Regeln operieren auf der Basis der Pluralmorphologie der einsilbigen Nomen. Die meisten dieser Regeln schließen lediglich eine mögliche Genuszuweisung aus, insofern sind also weitere phonologische Regeln notwendig, um zu einer eindeutigen Genuszuweisung zu gelangen. Die phonologischen Rsgeln haben bestimmte lautliche Gemeinsamkeiten der Wörter zur Grundlage. Die einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache weisen die allgemeine Struktur
,,
^ auf; hierbei kann die anlautende Posi-
tion K. bzw. die auslautende K~ 'leer' oder auch, neben dem einfachen Konsonanten, durch ein zweigliedriges oder dreigliedriges Konsonantencluster besetzt sein. In einigen Fällen ist der Auslaut aus einem vierfachen Konsonantencluster zusammengesetzt. "Leer1 sind die Positionen K 1 respektive K- bei Wörtern wie 'der Aal' bzw. 'der Bau'. Die nachfolgende Abbildung soll die mögliche Distribution der Laute unabhängig von ihrer konkreten Gestalt verdeutlichen.
70
Abbildung 4;
Distributionsschema der Laute für einsilbige Nonen:
Anlaut (initiale Konsonanten) K
1=Ko
0; i,, I2i,; W,
Nukleus (Vokal) N =
Auslaut (finale Konsonanten)
JJJ? V ±lang
W; , ; V-lang -, * V-Hang
1
K
0 '* . t ? 1 *'
2=Ko
FF1 * P P P · P " P P P 12' 1 2 3 ' 1 2 3 4
Beispielwörter für initiale Dreiercluster wären 'der Strumpf oder 'der Pflug 1 , für finale Vierercluster 'der Ernst' oder 'der Herbst'. Gezählt wird bei den Konsonantenverbindungen grundsätzlich von innen nach außen, also im2 ner von Vokal als dem Kern der Silbe ausgehend. Allen im zweiten Teil referierten Arbeiten, die sich mit der phonologischen Struktur der Wörter im Deutschen befassen, ist gemeinsam, daß sie sich nicht ausschließlich mit den einsilbigen Nomen beschäftigen, sondern entweder mehrsilbige Wörter mitberücksichtigen oder - wie Hirsch-Wierzbicka - neben dem Nomen auch andere Wortarten, sofern sie als Einsilber auftreten, bearbeiten. Nach der Darstellung der für die Arbeit relevanten semantischen und morphologischen Regeln wird die Leitfrage für die Aufstellung eines für die Genuszuweisung verantwortlichen Regelinventars sein: Welche Phonemdistributionen lassen sich für die einsilbigen Noten der deutschen Gegenwartssprache aufstellen, und korrelieren Phonemdistribution und Genuszuweisung?
3.1
Semantische Regeln Die Geltungsbereiche der verschiedenen im folgenden aufgestellten semanti-
schen Regeln erstrecken sich nicht nur auf die einsilbigen, sondern auch auf alle mehrsilbigen Nomen, die aufgrund eines gemeinsamen Bedeutungsmerkmals einer semantischen Klasse angehören. Gerade hierdurch läßt sich die Berechtigung und Konsistenz der aufgestellten semantischen Klassen stützen. In verschiedenen Fällen widerspricht die semantische Klassifizierung der phonologisch-morpholo1
Die Indizes bei K3 und K4 geben jeweils den Bereich an, innerhalb dessen anlautende bzw. auslautende Konsonanten in diesen Positionen auftreten können. 'vy1 symbolisiert die Diphthonge.
2 Eine vollständige Liste aller an- oder auslautenden Konsonanten und Konsonantenverbindungen findet sich in den Anhängen 6.1 und 6.2.
71
gischen. Z.B. sind 'das Mädchen1 und 'das Fräulein' entsprechend zu der Regel, da3 rta-s natürliche Geschlecht seine Entsprechung im grammatischen findet, als Ausnahmen zu betrachten. Andererseits veranlassen die Diminutivsuffixe -cnen und -lein grundsätzlich neutrale Genuszuweisung. Insofern ist festzustellen, daß eindeutig markierte Suffixe gegenüber der Semantik doninieren. Liegt eine eindeutige Suffigierung nicht vor, dominiert im allgemeinen die Semantik die phonologisch-morphologische Markierung für die Genuszuweisung. Die semantischen Klassen sind weder in einem systematischen Zusammenhang geordnet noch wird Anspruch auf ihre Vollständigkeit erhoben. Es würde wahrscneinlich kaum Schwierigkeiten bereiten, weitere Klassen aufzustellen, jedocn würden sich die Geltungsbereiche solcher Klassen immer weiter verengen und deren Relevanz als möglicherweise zugrunde liegende Lern- und Speicherungsprinzipien für die Genuszuweisung durch den Sprecher des Deutschen verringern. Jeder semantischen Klasse wird eine Regelnunmer zugeordnet, wodurch einerseits die maschinelle Genuszuweisung gewährleistet (vgl. Abschnitt 4. und Anhang 6.6), andererseits dem Leser die Möglichkeit gegeben werden soll, einen Großteil der im phonologischen Regelteil aufgeführten Ausnahmen als semantisch klassifizierte Nomen wiederaufzufinden. Im einzelnen gelten folgende semantische Klassen (in Klammern sind sämtliche im Korpus enthaltenen Nomen, die im Geltungsbereich der jeweiligen semantischen Klassen liegen, aufgeführt): Maskulinum sind: - Naturereignisse und ihre Benennung. Hierzu zählen a) natürliche Zeiteinheiten ('der Herbst', 'der Lenz', 'der März', 'der Mai 1 , 'der Tag' und als Ausnahme zu der semantischen Regel 'die Nacht'); b) Bezeichnungen für Huimelsrichtungen ('der Nord", 'der Ost', 'der Süd', "der West'); c) Bezeichnungen für Winde und Windarten ('der Föhn1, 'der Sturm1, "der Wind' und als Ausnahnie 'die Boe'); d) Niederschläge ('der Firn', 'der Fog1, 'der Reif, 'der Schnee', 'der Tau 1 ). Unterstützung erhält diese Regel durch mehrsilbige Wörter wie 'der Morgen, 'der Abend', 'der Januar', 'der Osten', 'der Orkan', 'der Passat", 'der Ragen1 etc. Demnach heißt die semantische Regel (1):
Nomen, die auf natürliche Zeiteinheiten, Himmelsrichtungen, Winde und Niederschlagsarten referenzieren, erhalten maskuline Genuszuweisung.
- Bezeichnungen für Mineralien und Gesteine ('der Bol1, 'der Fels', 'der Flint1, 'der Gneis', 'der Kalk', 'der Karst', 'der Kern 1 , 'der Kies', 'der Lehm', 'der
72
Löß', 'der Quarz 1 , 'der Sand1, 'der Schlamm1, 'der Schorl1, 'der Spat1, 'der Staub1, 'der Stein', 'der Strand', 'der Straß', 'der Ton', 'der Torf, 'der Traß', "der T u f f ) . Diese Regel erhält Unterstützung durch mehrsilbige Wörter wie "der Juwel', 'der Diamant1. Ausnahmen zu dieser Regel sind: 'die Gur1 und 'das Flöz1. Es gilt die semantische Regel ( 2 ) :
Nomen, die auf Mineralien und Gesteine referenzieren, erhalten maskuline Genuszuweisung.
- Bezeichnungen für Menschen, Berufe und Ränge ohne Bezugnahme auf das natürliche Geschlecht3 ('der Abt', 'der Ahn 1 , 'der Arzt 1 , 'der Baas', 'der Beg1, 'der Bei1, 'der Boß', 'derButz 1 , 'der Chef, 'der Clown1, 'der Depp', 'der Don', 'derDrost', 'derEarl', 'der Fant', 'der Faun', 'der Fex1, 'der Fips', 'der Flaps', 'der Fürst', 'der Geck', 'der Geist', 'der Gnom', 'der Gott', 'der Graf, 'der Held', 'der Hirt', 'der Knecht', 'der Knirps', 'der Koch', 'der Lord', 'der Lump 1 , 'der Matz 1 , 'der Mensch', 'der Mönch1, 'der Mohr1, 'der Muck 1 , 'der Narr', 'der Nix', 'der Papst1, 'der Peer', 'der Prinz 1 , 'der Propst1, 'der Protz", 'der Schah1, 'der Schech', 'der Scheik1, 'der Schelm', 'der Schenk1, 'der Schlaks', 'der Schmied', 'der Schratt', 'der Schütz1, 'der Schuft', 'der Senn', 'der Stift', 'der Strolch', 'der Tor', 'der Tramp', 'der Troll1, 'der Tropf, 'der Wanst', 'der Wirt', 'der Zar', 'der Zwerg 1 ). Mehrsilbige Wörter, die diese Regel unterstützen, sind z.B. 'der Indianer", 'der Chinese', "der Heizer' etc. Es gilt semantische Regel (3):
Nomen, die auf Menschen, Berufe und Ränge ohne eine Bezugnahme auf das natürliche Geschlecht referenzieren, erhalten maskuline Genuszuweisung.
- Bezeichnungen für alkoholische Getränke ('der Drink1, 'der Flip', 'der Gin', 'der Grog1, 'der Kirsch', "der Kwaß', 'der Punsch', 'der Rum 1 , 'der Schnaps', 'der Sekt', 'der Wein'; Ausnahmen zu dieser Regel sind "das Bier' und "das Bräu"). Daher lautet die semantische Regel ( 4 ) :
Nomen, die auf alkoholische Getränke referenzieren, erhalten maskuline Genuszuweisung.4
3 Zu dieser semantischen Klasse zählen nicht die metaphorischen Begriffe wie "Schachtel" etc. Einige der zu dieser semantischen Klasse gezählten Nomen beziehen sich vielleicht nur auf Männer, in solchen Fällen existiert immer auch neben der maskulinen Form eine feminine: z.B. 'der Wirt" - "die Wirtin'; d.h. durch den Gebrauch des Morphems -in wird Übereinstimmung mit dem natürlichen Geschlecht erzielt (vgl. auch Abschnitt 1.1). 4 Vgl. zu dieser Regel auch S.18 in der vorliegenden Arbeit.
73
Femininum sind: - Grundzahlen ('die Acht1, 'die Drei', 'die Eins', 'die E l f , 'die Fünf, 'die Neun', 'die Null 1 , 'die Sechs1, 'die Vier', 'die Zehn', 'die Zwei', 'die Zwölf). Hierzu zählen auch die Nomen 'die Terz', 'die Quart' und 'die Quint', da sich auch bei diesen Nomen die Genuszuweisung nach dem Muster der Grundzahlen richtet. Die nachfolgende Regel (5) gilt auch für alle mehrsilbigen Zahlen und für Zahlenbezeichnungen aus dem Lateinischen, die in dem heutigen Deutsch noch gängig sind, wie z.B. 'die Sexta', 'die Quinta', 'die Quarta'
etc. Semantische Regel (5):
Nomen, die auf Grundzahlen referenzieren, erhalten feminine Genuszuweisung.
- Abkürzungen ('die Tram', 'die Flak 1 , 'die Lok'). Diese Wörter erhalten ihre feminine Genuszuweisung entweder auf der Basis des weggefallenen letzten Nomens im Substantivkompositum, wie bei 'die Trambahn', oder durch die Verbindung initialer Buchstaben, wie bei 'die Flugzeugabwehrkanone', oder schließlich dadurch, daß eine Kurzform des Nomens gebildet wird, wie bei 'die Lokomotive1. Im allgemeinen richtet sich die Genuszuweisung zu Abkürzungen nach dem letzten Nomen des Substantivkonpositums ('der DGB1 = der Deutsche Gewerkschaftsbund) . Die im Korpus enthaltenen Abkürzungen sind ausnahmslos feminin. Es gilt: semantische Regel (6):
Nomen, die als Abkürzung lexikalisiert sind, erhalten die Genuszuweisung des letzten Nomens der vollen Form.
Neutrum sind: - Bezeichnungen für Wortarten ("das Verb'). Ebenfalls zu dieser semantischen Klasse gehört der Begriff "das Wort 1 . Gerechtfertigt ist die Etablierung einer solchen Klasse, da auch alle mehrsilbigen Nomen, die Wortarten bezeichnen, neutrale Genuszuweisung aufweisen: z.B. 'das Nomen", 'das Adverb' etc. Diese Regel gilt nicht, wenn durch eine eindeutige Suffixmarkierung eine andere Genuszuweisung veranlaßt wird, wie bei 'die Präposition'. Semantische Regel ( 7 ) :
Nomen, die auf Wortarten referenzieren, erhalten - solange keine eindeutige Suffixmarkierung eine andere Genuszuweisung veranlaßt - neutrale Genus Zuweisung.
- Nominalisierungen ohne Ableitungsmorphem ('das Arg', 'das Aus', 'das Blau', 'das Braun', 'das Du', 'das Einst1, "das Er 1 , 'das Es', 'das Gelb', 'das
74
Grau 1 , 'das Groß', 'das Grün 1 , 'das Hoch1, 'das Ich1, 'das Ja 1 , 'das Jetzt 1 , 'das Klein', 'das Muß', 'das Nicht 1 , 'das Nichts1, 'das Out 1 , 'das Plus1, 'das Prä', 'das Pro', 'das Prost1, 'das Rot 1 , 'das Schwarz1, 'das Sein1, 'das Selbst', 'das Sie', 'das Soll1, 'das Süß 1 , •das Tief, 'das Tun', 'das Viel', 'das Weiß', 'das Wohl'). Zu dieser semantischen Klasse zählen genaugenommen auch alle Buchstaben. Sie sind jedoch nicht im Korpus verzeichnet. Bei den in dieser Klasse aufgeführten Nomen handelt es sich um sogenannte Nullableitungen, die ohne Ausnahme neutrale Genuszuweisung erhalten. Bestätigt wird diese Regel durch nominalisierte Infinitive. Es gilt also semantische Regel
(8):
Nomen, die aus Nullableitungen entstehen, erhalten neutrale Genuszuweisung.
- Bezeichnungen für physikalische und theoretische Einheiten ('das All 1 , 'das Bar', 'das Erg1, 'das Gen 1 , f das Gros1, f das Lux', 'das Ohm', 'das Pfund 1 , f
das Phon", 'das Pond1, 'das Pud', 'das Quant1, 'das Quart', !das Quent1,
'das Stilb1, 'das Torr", 'das Volt', 'das Watt 1 ). Die Aufnahme theoretischer Einheiten wie 'das All1 und ldas Gen1 rechtfertigt sich dadurch, daß auch mehrsilbige theoretische Einheiten neutrale Genuszuweisung erhalten: z.B. 'das Atom', 'das Molekül', 'das Elektron1, !das Proton1, 'das Neutron1 etc. Im übrigen sind in der physikalischen Fachsprache auch 'Liter' und 'Meter' neutralen Geschlechts. Lediglich in der Umgangssprache hat sich hier das Maskulinum durchgesetzt. Demnach gilt
semantische Regel
(9): Nomen, die auf physikalische und theoretische Einheiten referenzieren, erhalten neutrale Genuszuweisung.
- Bezeichnungen für chemische Elemente und Metalle ('das Blech', 'das Blei', 'das Bor', 'das Brom1, 'das Chlor1,
1
das Chrom1, 'das Gold1, 'das Jod', 'das
Salz1, 'das Zer", 'das Zink', 'das Zinn 1 ). Es gilt die semantische Regel (10):
Nomen, die auf Metalle und chemische Elemente referenzieren, erhalten neutrale Genuszuweisung.
- Bezeichnungen für Sprachen ('das Deutsch', 'das Platt'). Auch wenn sich im Untersuchungskorpus nur zwei Noten finden, die zu dieser semantischen Klasse gehören, rechtfertigt die große Anzahl der zu dieser Klasse zählenden mehrsilbigen Wörter die Etablierung einer semantischen Regel. Es gilt semantische Regel (11):
Nomen, die auf Sprachen referenzieren, erhalten neutrale Genuszuweisung.
75
- Bezeichnungen für Tonarten ('das As 1 , 'das Ces', 'das Cis 1 , 'das Des', 'das Dis', 'das Dur 1 , 'das Fes1, 'das Fis 1 , 'das Ges 1 , 'das Gis', 'das His', 'das Moll'). Semit gilt semantische Regel (12):
Nomen, die auf Tonarten referenzieren, erhalten neutrale Genuszuweisung.
Ein Teil der im Korpus enthaltenen Nomen läßt sich entsprechend einer Regel, daß Sexus und Genus in einer 1:1-Korrespondenz zueinander stehen, in ihrer Genuszuweisung erklären. Begriffe, die auf direkte Verwandtschaftsbeziehungen referenzieren, sind in ihrer Genuszuweisung unterschieden. Folgendes zugrunde liegende Schema gilt: Genus und Sexus entsprechen einander, wenn das Nomen auf Menschen referenziert
männliches Geschlecht
weibliches Geschlecht
Genus:
Maskulinum
Femininum
Beispiel:
'der Mann'
'die Frau'
Dieses Schema trifft für folgende im Korpus enthaltene Nomen zu: Maskulinum sind: "der Bub 1 , 'der Greis', 'der Herr", 'der Kerl 1 , 'der Mann', 'der Sohn1 und 'der Ohm 1 . Femininum sind: 'die Fee1, 'die Braut 1 , 'die Frau', 'die Magd1 und 'die Miss1. Die einzige Ausnahme im Korpus ist "das Weib 1 . Mehrsilbige Nomen, die Verwandtschaftsbeziehungen bezeichnen und die Gültigkeit der Regel bestätigen, sind: 'der Onkel', 'die Tante1, 'der Enkel', "die Nichte" etc. Demnach gilt die semantische Regel (13):
Nomen, die auf Menschen referenzieren, erhalten entsprechend zum natürlichen Geschlecht maskuline oder feminine Genuszuweisung.
Für viele domestizierte und jagdbare Tiere gilt eine ähnliche zugrunde liegende Einteilung wie für die semantische Regel (13). Allerdings mit dem Unter-
76
schied, daß direkte Nachkoninen nicht entsprechend zu ihrem natürlichen Geschlecht voneinander unterschieden werden, sondern einheitlich neutrale Genuszuweisung erhalten. Es gilt folgendes Schema: Oberbegriff für domestizierte und jagdbare Tiere
Genus: Neutrum
Beispiel; 'das Huhn1
männl. Tier
weibl. Tier
Nachkomme
Genus:
Maskulinum
Femininum
Neutrum
Beispiel;
'der Hahn1
'die Henne1
'das Kücken1
Die Oberbegriffe für domestizierte und jagdbare Tiere sind in ihrer Genuszuweisung neutral, im Uhtersuchungskorpus treten folgende Nomen auf: "das Huhn", 'das Pferd 1 , 'das Reh 1 , 'das Rind', 'das Roß', "das Schaf, "das Schwein', 'das Vieh' und 'das wild 1 . Entsprechend zu ihrem natürlichen Geschlecht sind im Untersuchungskorpus folgende Nomen markiert, und zwar als: Maskulinum: 'der Bock', 'der Drohn1, 'der Elch 1 , 'der Gaul1, 'der Hahn 1 , 'der Hengst1, 'der Hirsch1, 'der Ochs1, 'der Stier1 und 'der Ur 1 ; Eemininum: 'die Gans', 'die Geiß', 'die Kuh' und 'die Sau'; Neutrum; 'das Biest', 'das Kalb', 'das Kitz' und 'das Lamm'. Die Gültigkeit dieses zugrunde liegenden Paradigmas läßt sich durch Bildungen wie 'das Kätzchen1 als Bezeichnung für eine junge Katze bestätigen. Der Sprecher des Deutschen macht, wenn kein selbständiges Morphem vorhanden ist, von den Diminutivsuffixen -chen und -lein Gebrauch, um dem Paradigma zu folgen. Demnach gilt: semantische Regel ( 1 4 ) : Nomen, die auf domestizierte und jagdbare Tiere referenzieren, erhalten entsprechend zu ihrem
77
natürlichen Geschlecht rraskuline oder feminine Genuszuweisung. Neutrum sind solche Manen, die als Oberbegriffe in dem Paradigma fungieren oder sich auf Jungtiere beziehen. Bisher sind nur eindeutige semantische Regeln aufgestellt worden, im Prinzip spricht jedoch nichts gegen die Aufnahme uneindeutiger Regeln, die lediglich eine der drei möglichen Genuszuweisungen ausschließen. Nahezu alle Ncmen, die auf Wasserflächen referenzieren, sind entweder maskulin oder feminin. Maskulin sind: 'der Bach1, 'der Brunn 1 , 'der Fjord', 'der Golf, 'der Fluß', 'der Pfuhl', 'der Pool1, 'der Priel', 'der Quell', 'der Spring1, 'der See', 'der Strom1, 'der Sumpf, 'der Sund' und 'der Teich'. Feminin sind: "die Au", 'die Bai 1 , "die Bucht1, 'die Gracht' und 'die See'. Ausnahmen zu dieser Regel sind die im Korpus enthaltenen Nomen 'das Fließ1, 'das Haff und 'das Meer'. Die Gültigkeit und Berechtigung einer Regel, die die Zuweisungsvorschrift 'Maskulinum oder Femininum für Bezeichnungen für Wasserflächen' enthält, wird durch mehrsilbige Nctnen wie 'die Mündung', 'die Lagune1, 'die Pfütze 1 , 'die Förde', 'der Hafen 1 , 'der Qber-/Unterlauf', 'der Weiher', 'der Meerbusen', 'der Brunnen", 'der Ozean1 etc. bestätigt. Es gilt die semantische Regel (15):
Nomen, die auf Wasserflächen referenzieren, erhalten maskuline oder feminine Genuszuweisung.
Für den Rahmen und die Ziele dieser Arbeit genügen die oben aufgestellten 15 semantischen Regeln; grundsätzlich sollte es keine großen Schwierigkeiten bereiten, weitere solcher Regeln zu formulieren, allerdings fehlt bisher ein sinnvolles Bezugssystem, das aus dem mehr oder weniger willkürlichen Nebeneinander der hier aufgeführten semantischen Regeln ein irgendwie motiviertes Über- und Untereinander konstruiert. Genau hier sind m.E. für die Bestiitmung der Rolle der Semantik bei der Genuszuweisung nicht nur für die einsilbigen Nomen über diese Arbeit hinausreichende und tiefergreifende Untersuchungen notwendig. Vor allem die in den semantischen Regeln (13) - (15) vorgenoriTnenen Klassifizierungen deuten darauf hin, daß möglicherweise ein egozentrisches Einteilungsmuster zugrunde liegt, das den Menschen und das natürliche Geschlecht zum Ausgangspunkt hat. Entsprechend hierzu wird die den Menschen angebende Natur klassifiziert (vgl. auch die vorgestellten Theorien in Abschnitt 1.3). Darüber hinaus wäre ausführlich zu untersuchen, ob in verschiedenen Fach-
78
sprachen (z.B. in der der Naturwissenschaftler oder Seeleute) die Favorisierung eines bestintnten Genus erfolgt. Der mit dieser Fragestellung implizierte sehr weite Begriff von Senentik hätte sozial vermittelte und gesteuerte Konnotationen zu berücksichtigen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit scheinen die seeitiannssprachlichen Fachausdrücke eine starke Tendenz zum Femininum auf zuweisen. Den femininen Nomen 'die Bö 1 , 'die Crew1, 'die Drift', 'die Flut', 'die Fock', 'die Hulk', 'dieKetsch', 'dieKiitm 1 , ' d i e K u f f , 'die Lee1, 'die Luv 1 , 'die Neck', 'die Pier', 'die Prau', 'die Schlup', 'die Schmack1, 'die Spring" und 'die Werft 1 stehen als Maskulina 'der Bord', 'der Bug 1 , 'der Kahn', 'der Kai', 'der Kiel' und 'der Mast' und als Neutra 'das Boot', 'das Deck', 'das Heck', 'das Lot' und 'das Schiff gegenüber. Bei der Abfassung der phonologischen Regeln (vgl. Abschnitt 3.3) werden bei einigen Regeln die seemannssprachlichen Ausdrücke als in ihrer Genuszuweisung 'erklärt1 klassifiziert werden. Es muß jedoch zugestanden werden, daß keine explizite semantische Regel entwickelt worden ist
(z.B. für die Bevor-
zugung des Femininums in der Fachsprache der Seeleute), die die oben angerissene weite Begriffsdefinition
von Semantik zur Grundlage hat, dazu sind die
Überlegungen auf diesem Gebiet bisher zu unausgereift. Für den 4. Abschnitt dieser Arbeit bedeutet das, daß bei der Diskussion der Ergebnisse mit einem automatischen Zuweisungsverfahren auf der Basis der explizit formulierten Regeln (vgl. die Abschnitte 4.1 und 4.2) die vermutete Tendenz der seemannssprachlichen Fachtermini zum Femininum nicht weiter berücksichtigt werden kann.
3.2
Morphologische Regeln Wir haben in Abschnitt 1.1.1 gesehen, daß bestürmte Ableitungssuffixe ein-
deutige Markierungen für die Genuszuweisung darstellen können, allerdings handelt es sich bei solchen Nomen grundsätzlich um Mehrsilber. Im Rahmen dieser Arbeit könnte theoretisch die Genitiv- und Pluralflexion als Informationshilfe für die Genuszuweisung fungieren. Aus dem konmunikativen Zusammenhang wird ersichtlich, daß Genitivbildungen mit dem Nullmorphem nur für feminine Nomen in Frage können. Die Genitivallomorphe -s und -ns
hingegen können nur bei maskulinen und neutralen Nomen auf-
5 Genaugenommen müßte auch das Genitivmorphem -ens aufgeführt werden, allerdings werden Vokale am Ende des Wortes in der gesprochenen Sprache häufig gelöscht.
79
treten. Auf einer abstrakten Ebene wäre die Genitivmorphologie also als mögliche Informationshilfe für die korrekte Genuszuweisung zu Nomen zu betrachten; berücksichtigt man jedoch das Postulat einer zugrunde liegenden Lern- und Speicherungshilfe und damit eine psycholinguistische Überlegung bei der Genuszuweisung, dann ist die Genitivmorphologie eher als unbedeutend einzuschätzen. Die Untersuchung von Weier (1968) zeigt, daß der Gebrauch des Genitivs in alltäglicher Konmunikation sehr selten ist, folglich wird ein Kind während des Spracherwerbs ein neues Wort einige Male benutzt haben, bevor in seiner Konmunikation Genitivbildungen auftauchen. Im Gegensatz zur Genitivmorphologie ist die Pluralmorphologie unter Lernund Speicherungsgesichtspunkten als Informationshilfe für die Genuszuweisung zu betrachten, denn Pluralbildungen wie 'die Perlen1, 'die Schulden' oder 'die Schichten1 sind im kommunikativen Zusammenhang möglicherweise häufiger als die entsprechenden Singularformen. Zudem treten Nomen wie 'die Perl(e)' sehr oft in Kompositabildungen in der Pluralform auf, wie in 'Perlenkette1 oder 'Perlentaucher'. Hingegen gibt es auch Nomen, die - obwohl auf sie auch die oben angegebene Regelmäßigkeit zutrifft - so gut wie gar nicht im Plural auftreten: z.B. 'die Posten1 als Plural des Nomens 'die Post'. Hierzu ist anzumerken, daß in der vorliegenden Arbeit Regeln auf der Basis des Lexikons aufgestellt werden, die im Sinne der Stochastik eine deutliche Tendenz aufweisen und die aufgrund dieser Tendenz möglicherweise Lern- und Speicherungshilfen für den Sprachbenutzer sein können. Das Regelwerk erhält also zunächst lediglich den Status eines theoretischen Konstrukts, es wird damit nicht notwendig postuliert, daß der Sprachbenutzer tatsächlich von den mit den Regeln verbundenen Zuweisungsvorschriften konsequent und in allen Fällen Gebrauch macht (vgl. auch Abschnitt
5.3). Unter Berücksichtigung der Semantik der Nonen lassen sich die oben gefundenen Regelmäßigkeiten zu Regeln umschreiben. Für die Pluralallomorphe »«er und -er sind keine femininen Ausnahmen im Korpus enthalten. Es gilt also die morphologische Regel ( 1 ) : [[K^K*] er] =Mn./n. 6 Nom Pl Das Pluralmorphem
tritt bei folgenden neutralen Nomen auf: 'das Bruch1
und 'das Floß1. Somit gilt die
6
Zur Bedeutung der in dieser und den folgenden Regeln enthaltenen Symbole vgl. Anm.1 dieses Kapitels.
80
morphologische Regel ( 2 ) : [[K 3 V K 4 ] »] ·* 0 °Nom Pl
m./f.
Zu dem Pluralmorphem -9 finden sich im Korpus die femininen Nomen: 'die Kuff, 'die Phlox1, 'die Prau', 'die Ranch1, 'die Sphinx' und 'die Spring'. Es gilt somit morphologische Regel (3):
[[K 3 V K 4 ] a] => m./n. 0 °Ncm Pl
Die einzige eindeutige Genuszuweisung über die Pluralmorphologie - nämlich das Femininum - ist mit dem Pluralmorphem -(·) verbunden. Von den maskulinen Ncnen, auf die diese Regel zutrifft, sind durch die Semantik 'der Fels1 (semantische Regel ( 2 ) ) ; 'der Ahn 1 , 'derButz', 'der Depp1, 'der Fürst', 'der Geck', 'der Graf, 'der Held', 'der Hirt', 'der Lump 1 , 'der Mensch1, 'der Mohr1, 'der Narr', 'der Prinz 1 , 'der Schenk', 'der Schütz', 'der Tor', 'der Zar' (semantische Regel ( 3 ) ) ; "der Ochs1, 'der Drohn" (semantische Regel ( 1 4 ) ) erklärt. Echte maskuline Ausnahmen zu dieser Regel sind: 'der Bär', 'der Bronn', 'der Brunn", "der Dorn', "der Fink', 'der Fleck1, 'der Frank', 'der Nerv 1 , "der Pfau', 'der Pulp', 'der Schmerz', 'der Schneck', 'der Schreck1, 'der Schroff', 'der See1, 'der Spalt', 'der Spatz", "der Sporn", "der Staat", "der Strahl', 'der Typ', 'der Zeh1 und 'der Zins". Von den neutralen Nomen, die mit dem Pluralmorphem -(a)n verbunden werden können, sind 'das Verb' durch die semantische Regel (7) und "das Quant' durch die semantische Regel (9) in ihrer Genuszuweisung erklärt. Als Ausnahmen sind zu verzeichnen: 'das Bett', 'das Fakt', 'das Hemd", 'das Herz', 'das Leid', 'das Leik' und 'das Ohr'. Es gilt die morphologische Regel ( 4 ) : [[K 3 V K ] (»)n] -» 0 °Nom Pl
f.
Das Pluralmorphem -s bewirkt maskuline oder neutrale Genuszuweisung. Von den femininen Ausnahmewörtern sind 'die Tram1 und "die Lok' durch die semantische Regel (6) erklärt; auf 'die Miss1 findet die semantische Regel (13) Anwandung. Nicht über die Semantik zu erklärende Ausnahmewörter sind: 'die Band1, 'die Bill1, 'die Crew', 'die Krem", 'die Pier1, 'die Schlup' und 'die Show'. Es gilt die morphologische Regel (5):
[[K 3 V K 4 ] s] => m./n. 0 °Nom Pl
Nahezu jedes Nomen des Untersuchungskorpus wird von jeweils einer der fünf
81
morphologischen Regeln affiziert (vgl. den Computerausdruek in Anhang 6 . 6 ) , allerdings kann mit den morphologischen Regeln - abgesehen von Regel (4) - keine eindeutige Genuszuweisung erzielt werden; erst durch das Zusammenwirken zwischen irorphologischen Regeln und den noch auszuarbeitenden phonologischen sind die angestrebten eindeutigen Genuszuweisungen für eine Vielzahl von Nomen zu erzielen (vgl. auch Abschnitt 4.1 und Abschnitt 4 . 2 ) .
3.3 Phonologische Regeln Bei den phonologischen Regeln unterscheide ich folgende Arten von Regeln: a) Strukturregeln; b) Hauptregeln: b1) Anlautregeln, b2) Inlautregeln, b3) Auslautregeln; c) Stand-by-Regeln. Die Strukturregeln sind weitgehend unabhängig von den konkreten lautlichen Besetzungen der verschiedenen Strukturpositionen (K-VK-j) aufgestellt worden. Lediglich die Vokalklassen (lange und kurze Vokale oder Diphthonge) finden Berücksichtigung, aber auch hier wird nie vom konkreten \fokal ausgegangen. Für die Hauptregeln gilt, daß bei ihnen grundsätzlich immer nur eine konkrete Stelle der allgemeinen Struktur K..VK2 isoliert untersucht wird, also im falle der Anlautregeln ' K ' ; im Falle der Inlaut regeln 'V und im Falle der Auslautregeln 'K 2 '. Die Stand-by-Regeln berücksichtigen Relationen zwischen An- und Inlaut, Inund Auslaut und An- und Auslaut, also grundsätzlich zwei lautliche Realisierungen der Struktur K-.VK2 (daher auch der Terminus ' Stand-by-Regel'). Wegen ihrer größeren Komplexität stellen diese Regeln für die meisten Fälle von Genuszuweisung lediglich einen zusätzlichen Informationswert bereit, der zudem nur für relativ wenige Nomen relevant
ist.
Bei Wörtern mit zwei Genuszuweisungen wird angenommen, daß sich die meisten Fälle unter Berücksichtigung semantischer und morphologischer Bestimmungen aufklären lassen. Zudem ist bei einer Reihe dieser Nomen Genusschwankung ohne Bedeutungsveränderung festzustellen. Problematisch sind Wörter wie z.B. "die Lok" und 'das Log' oder 'der Peer1 und "die Pier". Es liegen zwar identische phonologische Repräsentationen vor,
82
nämlich /lok/ bzw. /pi:r/, jedoch unterscheiden die Nomen sich in ihrer Orthographie und Genuszuweisung voneinander.
In dieser Arbeit werden Fälle wie 'der
1
Luchs" und 'das Lux jeweils für sich gezählt, da es sich um zwei völlig verschiedene Bedeutungen handelt und die lautliche Identität als rein zufällig betrachtet werden kann. In den nachfolgenden Abschnitten werden an einigen Stellen Auslautregeln oder Stand-by-Regeln dazu angeführt, um von bestimmten Struktur-, Anlaut- oder Inlautregeln abweichende Genuszuweisungen zu erklären. Gerechtfertigt wird dieses Vorgehen dadurch, daß den Auslautregeln und den Stand-by-Regeln in der Gesamtregelhierarchie eine dominierende Stellung über die anderen phonologischen Regeln zugewiesen wird. Die Stand-by-Regeln erhalten diesen Status nur deshalb, weil sie sich ausschließlich aus Kombinationen zwischen Inlaut + Auslaut zusammensetzen (vgl. Abschnitt 3.3.2). Diese Regeln stellen gewissermaßen erweiterte Auslautregeln dar. Neben dieser Hierarchie innerhalb des Bereichs der Phonologie gilt, daß die semantischen und morphologischen Regeln die phonologischen dominieren (vgl. auch Abschnitt 4 . 1 ) .
3.3.1
Strukturregeln
Die 1466 Genusfälle, die das Korpus dieser Untersuchung ausmachen, verteilen sich auf 18 Strukturtypen
(vgl. dazu auch die in Abschnitt 2.1.2.4 gemachten
Ausführungen zu der Arbeit von Hirsch-Wierzbicka). Nomen, bei denen Genusschwankungen vorliegen (z.B. 'der/das Gong 1 ) oder bei denen die gleiche lautliche Repräsentation durch unterschiedliche Genuszuweisung eine unterschiedliche Bedeutung evoziert, zählen doppelt. Die folgende Tabelle gibt darüber Auskunft, wie sich die 1466 Genusfälle auf die 18 Strukturtypen verteilen; darüber hinaus sind in dieser Tabelle die Vbkalklassen und die drei Genera berücksichtigt worden (zur Bedeutung der in der Tabelle verwendeten Abkürzungen vgl. die Ausführungen in Abschnitt 2 . 1 . 2 . 4 ) .
7
Zu der Diskrepanz zwischen graphemischen und phonemischen Systemen im Deutschen vgl. z.B. Grosse (1967) und Penzl (1973).
83
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I
m./n.
(67 Nomen)
aufstellen. Von dieser Regel werden folgende feminine Nomen affiziert: 'die Braut1, 'die Frau' (oeide erklärt durch die semantische Regel (13)), 'die Drei1 (erklärt durch die semantische Regel ( 5 ) ) , 'die Prau1 zählt zur seemännischen Faciisprache, da ein malaiisches Auslegerboot bezeichnet wird, "die Klau1 und 'die Zeit' werden durch die morphologische Regel (4) in ihrer Genuszuweisung erklärt. Eine weitere Regel in Abhängigkeit von den Vokalklassen ist Strukturregel ( 4 ) :
[0 V+lan Y] =» m./n.
(13 Nomen).
Das einzige feminine Nomen, das im Geltungsbereich dieser Regel liegt, ist
'die
1
Uhr . Dieses Nomen ist durch die morphologische Regel (4) in seiner Genuszuweisung erklärt. In der nachfolgenden Tabelle IV ist von den allgemeinen Anlautstrukturen abgesehen worden, lediglich \tokalklassen, Genera und allgemeine Auslautstrukturen sind in Betracht gezogen worden. Die Tabelle IV hebt genau wie Tabelle III Informationen, 11
die schon in Tabelle II enthalten sind, hervor.
Zur Bedeutung der verschiedenen Abkürzungen vgl. Abschnitt 2.1.2.4.
87
Tabelle IV; Häufigkeitsverteilung der Strukturposition K- für die Nomen der deutschen Gegenwartssprache, geordnet nach Vokalklassen und Genera:^ Vokal lang m f
St
167 43
X NF1
1
X NF1F2 X NF.,F2F3
1
3
n
m
kurz f
n
97
218
16
77
93
11
30
478
7O 204
7
351
38
74
8
3
3
370
94
84
-
54
19
9
1
56
19
10
3
-
1
3
-
1
8
33
22
22
116 28 42
940
2 _
-
17
8
14
1
197 54
118
627
X NF^F^ X N 0
Total
Diphthong m f n
_
15 14 123 161
Total f n
m
2O5 321
Aufgrund der Angaben von Tabelle IV läßt sica keine Regel aufstellen, die unabhängig von den Vokalklassen existiert. Für die Struktur X NF., kann für die kurzen Vokale Strukturregel (5):
[X V_lan F., ] =» m./n.
(311 Nomen)
formuliert werden. Von den 16 femininen Nomen, die in dem Geltungsbereich dieser Regel liegen, lassen sich 'die Null1 durch die semantische Regel ( 5 ) , 'die Ibk 1 , 'die Tram1 und 'die Flak1 durch die semantische Regel (6) und 'die Miss' durch die semantische Regel (13) in ihrer Genuszuweisung erklären. Als seemannssprachliche Ausdrücke, auf die keine eindeutige morphologische Regel operiert, sind 'die Kuff, 'die Schmack', 'die Kimm', 'die Spring' und 'die Schlup' markiert. Die morphologische Regel (4) erklärt die Genuszuweisung zu 'die Fock', 'die Nock' und 'die Klanin'. Als echte Ausnahmen zu dieser Regel bleiben damit die Nomen 'die Bill', 'die Stadt1 und 'die Nuß' zurück. Eine weitere Regel läßt sich für die gleiche Struktur in Abhängigkeit von den Diphthongen aufstellen. Es gilt:
12 Zur ßedeutung der verschiedenen Abkürzungen vgl. Abschnitt 2.1.2.4. "X 1 symbolisiert hier, wie auch in den nachfolgenden Fällen, jede mögliche Lautfolge vor den für die Regelbildung relevanten Merkmalen.
88
Strukturregel (6):
[X V^ FI ] -» m. /n.
(134 Nomen).
Ein Teil der femininen Noten läßt sich folgendermaßen erklären: 'die Neun1 durch die semantische Regel ( 5 ) , 'die Braut' durch die semantische Regel (13), 'die Geiß' durch die semantische Regel (15). Die Nomen 'die Kausch', 'die Maut', 'die Rain' und 'die Zeit1 werden durch die morphologische Regel (4) in ihrer femininen Genuszuweisung erklärt. Als echte Ausnahmen zu der mit Strukturregel (6) verbundenen Zuweisungsvorschrift bleiben 'die Laus", 'die Maus', 'die Haut' und 'die Pein1 bestehen. Ein Verzeichnis aller Strukturregeln und ihrer jeweiligen Geltungsbereiche über die drei Genera hinweg findet sich in Abschnitt 3.4.
3.3.2
Hauptregeln
Die bisherigen Regeln sind unabhängig von der konkreten lautlichen Besetzung der Strukturpositionen 'K..', 'V und 'PL·1 aufgestellt worden. In den folgenden Ausführungen wird nun versucht werden, jeweils auf der Basis konkreter Anlaute sowie Inlaute und Auslaute Ragein zu formulieren. Wiederum findet sich ein Verzeichnis dieser Ragein zusammen mit ihrer jeweiligen Verteilung über die drei Genera hinweg in Abschnitt 3.4.
3.3.2.1
Anlautregeln
Zieht man nur den Anlaut der einsilbigen Nomen in Betracht, sind folgende Regeln, die eine eindeutige Genuszuweisung veranlassen, zu bilden: Anlautregel (1a):
[/dr/ Y] =·> m.
(17 Nomen).
Zu dieser vorläufigen Regel existieren drei Ausnahmen: 'Die Drei1 ist durch die semantische Regel (5) erklärt, "die Drift" durch die morphologische Regel ( 4 ) , das Fremdwort 'das Dress1 bleibt als echte Ausnahme zurück. Anlautregel (1b):
[/tr/ Y] -> m.
(36 Nomen).
Sämtliche Ausnahmen zu dieser Regel lassen sich erklären, und zwar ist
"die
1
Tram durch die semantische Regel (6) in ihrer Genuszuweisung erklärt und 'die Tracht' und 'die Trift' durch die morphologische Regel ( 4 ) . Die Regeln (1a) und (1b) lassen sich zu der generelleren Anlautregel (1):
[T /r/ Y] -* m.
(53 Nomen)
89
zusamnenfassen. 'T 1 symbolisiert die beiden alveolaren Stopplaute /t/ und /d/, die die Merkmale [-son.; -cont.; +ant.; - -cor. ] auf sich gemeinsam vereinigen. Weiterhin gilt als eindeutige Regel Anlautregel ( 2 ) :
[/kn/ Y] =» m.
(15 Nomen).
'Das Knie' ist die einzige, allerdings nicht zu erklärende, Ausnahme zu dieser Regel. Die folgenden Regeln haben den Status vorläufiger Regeln, es sind im einzelnen: Anlautregel (3a):
[/ /
] =» m.
(26 Nomen).
Die Nomen 'die Schlacht1 und 'die Schlucht1 lassen sich durch die morphologische Regel (4) in ihrer Genuszuweisung erklären; 'die Schlup1 ist ein seemannssprachlicher Ausdruck; unerklärt bleibt 'das Schloß'. Anlautregel (3b):
[/Im/ Y] =* m.
(17 Nomen).
Auf das Nomen 'die Schmack' operiert die morphologische Regel (4). Echte Ausnahmen sind 'die Schmach' und 'das Schmalz'. Anlautregel (3c):
[/an/ Y] => m.
( 8 Nomen).
Das einzige feminine Nomen, das im Geltungsbereich dieser Regel liegt, ist 'die Schnur'. Dieses Nomen wird durch die Stand-by-Regel (1) (vgl. Abschnitt 3.3.3) in seiner Genuszuweisung erklärt. Anlautregel (3d):
[/sp/ Y] => m.
(30 Nomen).
Die Nomen "die Speltz1 und "die Spur1 sind durch die morphologische Regel (4) in ihrer Genuszuweisung erklärt. Bei 'der/das Spind1 liegt eine Genusschwankung vor, ohne rteft hierdurch die Bedeutung verändert wird. Echte Ausnahmen zu dieser Regel sind 'das Spiel1 und 'das Spill'. Anlautregel· (3e):
[/sr/ Y] =» m.
(13 Nomen).
Das einzige feminine Nomen ist 'die Schrift', dieses Nomen ist durch die morphologische Regel (4) in seiner von obiger Regel abweichenden Genuszuweisung erklärt. Anlautregel (3f):
[/st/ Y] ·» m.
(5O Nomen).
90
Das Nomen 'das Stilb1 ist durch die semantische Regel (9) und 'die Stirn' durch die morphologische Regel (4) erklärt. Als echte Ausnahme bleiben zurück: 'die Stadt', 'das Stift' und 'das Stück'. Anlautregel (3g):
[/sv/ Y] =* m.
(25 Nomen).
\bn den vier Ausnahmen zu dieser Regel lassen sich zwei erklären, und zwar 'das Schwarz' durch die semantische Regel (8) und 'das Schwein1 durch die semantische Regel (14). 'Das Schwär1 und 'das Schwert1 sind nicht zu erklären. Die vorläufigen Anlautregeln (3a) - (3g) lassen sich zusammenfassen zu Anlautregel ( 3 ) :
[/s/ K Y] => m.
(169 Nomen). 13
Weitere eindeutige Anlautregeln hätten sich über die initialen Dreiercluster aufstellen lassen, allerdings werden diese möglichen Regeln alle durch die Strukturregel (2) schon erfaßt, und zwar in bedeutend ökonomischerer Form, als das an dieser Stelle möglich gewesen wäre. Genuszuweisende Regeln, die zumindest eines der drei Genera ausschließen, lassen sich aufgrund der einfachen Anlaute /d/, /r/, /t/ und der Cluster /gr/ und /kr/ aufstellen. Im einzelnen gelten: Anlautregel ( 4 ) : Das einzige feminine Wort ist
f/d/ Y] =» m./n.
(35 Nomen).
'die Dult', auf dieses Nomen trifft die morpholo-
gische Regel (4) zu. Anlautregel (5):
[/r/ Y] => m./n.
(64 Nomen).
\ton den femininen Nomen sind 'die Rast1 und 'die Rein1 durch die morphologische Regel (4) in ihrer Genuszuweisung erklärt; auf 'die Ruhr' trifft die Stand-byRegel (1) zu; als echte Ausnahme schließlich bleibt 'die Ranch' stehen. Anlautregel ( 6 ) :
[/t/ Y] ·* m./n.
(49 Nomen).
Alle femininen Nomen, die im Geltungsbereich dieser Regel liegen, lassen sich erklären, und zwar "die Terz" durch die semantische Regel (5) und "die Tat1, 'die Tour1 und 'die Tür' durch die morphologische Regel ( 4 ) . 13 Der Buchstabe 'K' symbolisiert in dieser wie in allen folgenden Regeln einen einfachen Konsonanten. Da 'K' nicht eingeklammert ist, ist der einfache Konsonant nach /s"/ obligatorisch, um der Regel zu genügen.
91
Anlautregel (7a):
[/gr/ ] =» m./n.
(28 Noten).
Wiederum lassen sich alle femininen Nomen in ihrer Genuszuweisung erklären, und zwar 'die Gracht' durch die morphologische Regel (4) und 'die Gruft 1 durch die Auslautregel ( 2 ) . Anlautregel (Tb):
[/kr/ Y] => m./n. (26 Nomen).
Zu dieser Regel gibt es keine echten Ausnahmen, denn 'die Crew1 gehört zum Wortschatz der seemännischen Fachsprache; bei "der/die Krem1 liegt eine Genusschwankung vor, ohne daß hierdurch eine BedeutungsVeränderung bewirkt wird, und auf 'die Kraft 1 operiert die Auslautregel ( 2 ) . Die Anlautregeln (7a) und (7b) lassen sich zusammenfassen zur Anlautregel (7):
[G /r/ Y] =*· m./n. (54 Nomen).
'G' symbolisiert die beiden velaren Stopplaute /g/ und /k/. Beide Laute teilen miteinander die Merkmale [-son.; -cont.;. -ant.]. 3.3.2.2 Inlautregeln Bei den in Abschnitt 3.3.1 behandelten Strukturregeln wurden für einige Regeln die Vokalklassen berücksichtigt, jedoch wurde dabei von den konkreten Vokalen abgesehen. Im folgenden sollen die Vokale den Ausgangspunkt für weitere phonologische Regeln bilden. Die nachfolgenden Tabellen V und VT zeigen, wie sich die Nomen des Untersuchungskorpus über die kurzen bzw. langen \fc>kale des Deutschen und über die Genera in Abhängigkeit von den Strukturtypen verteilen.
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Q
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Γ|
94
Tabelle V scheint eine Reihe von Inlautregeln nahezulegen, allerdings werden sämtliche Möglichkeiten zur Regelbildung schon durch die sehr viel allgemeineren Strukturregeln aus Abschnitt 3.3.1 abgedeckt. Aufgrund der in Tabelle VI angegebenen Verteilung lassen sich folgende vorläufige Regeln aufstellen: Inlautregel (1a): [X /a:/ Y] => m./n.
(88 Nomen).
VDn den 14 femininen Nomen, die von dieser Regel affiziert werden, ist 'die Magd1 durch die semantische Regel (13) erklärt; die morphologische Regel (4) sorgt für die korrekte GenusZuweisung zu 'die Bahn', 'die Jagd', 'die Mahd', 'die Tat1, 'die Wahl 1 , 'die Saat1, "die Schar1, 'die Qual', 'die Zahl 1 , 'die Lahn'. Als echte Ausnahmen bleiben 'die Naht', 'die Scham' und 'die Schmach' zurück. Inlautregel (1b): [X /e:/ Y] =» m./n.
(52 Nomen).
Von den sieben femininen Nomen zu dieser Regel sind 'die Zehn1 und "die Fee" durch die semantische Regel (5) bzw. (13) erklärt. Bei "die Lee1 handelt es sich um einen seemannssprachlichen Fachausdruck, und für 'der/die Krem1 liegt Genusschwankung ohne Bedeutungsveränderung vor. Durch die höher geordnete morphologische Regel (4) erhalten 'die Geest1, 'die See1 und "die Wehr1 ihr korrektes Genus zugewiesen. Inlautregel (1c): [X /£·./ Y] =» m./n.
(7 Nomen).
Die einzige feminine Genuszuweisung bei dieser Regel wird durch die morphologische Regel ( 4 ) , die auf 'die Mär' anzuwenden ist, erklärt. Inlautregel (1d): [X /i:/ Y] =* m./n.
(63 Ncmen).
Von den fünf femininen Nomen, die unter diese Regel fallen, ist 'die Vier' durch die semantische Regel (5) erklärt; auf 'die Priem1 operiert die morphologische Regel (4) und auf 'die Gier', 'die Zier' und 'die Pier' die Stand-by-Regel ( 1 ) . Inlautregel (1e): [X /o:/ Y] => m./n.
(7O Nomen).
Das Nomen 'die Schot' ist durch die morphologische Regel (4) erklärt. Als echte Ausnahmen bleiben die Feminina 'die Not' und 'die Show' zurück. Inlautregel ( 1 f ) : [X /ö:/ Y] => m./n.
(12 Nomen).
95
Die beiden femininen Ncmen zu dieser Regel sind 'die Bö1 und 'die Pön1, beide vterden durch die morphologische Regel (4) erklärt. Inlautregel (1g): [X /u:/ Y] => m./n.
(69 Nomen).
\fc>n den 2O femininen Nomen ist 'die Kuh" durch die semantische Regel (14) erklärt; die morphologische Regel (4) bewirkt die korrekte Genuszuweisung zu 'die Kur 1 , 'dieMur 1 , 'die Tour', 'die Schur', 'die Flur', 'die Spur', 'die ttir1, 'die Flut', 'die Nut 1 , 'die Brut', 'die Glut 1 ; die Stand-by-Regel (1) erklärt 'die Ruhr' und "die Schnur1; seemannssprachliche Fachausdrücke sind "die Luv' und 'die Crew'. Als echte Ausnahmen, also durch diese Regel falsch klassifizierte Nomen, sind 'die Fluh', 'die Hut' und 'die Wut' zu betrachten. Inlautregel (1h): [X /ü:/ Y] =» m./n.
(8 Nomen).
Die beiden femininen Nomen 'die Kür1 und 'die Tür' sind durch die morphologische Regel (4) in ihrer Genuszuweisung erklärt. Die Inlautregeln (1a) - (1h) lassen sich zusammenfassen zur Inlautregel (1): [X V+1
Y] -» m./n.
(369 Nomen).
Abschließend zu diesem Teil soll versucht werden, auf der Basis der Diphthonge als Inlaute Regeln zu bilden. Tabelle VTI dient dabei als Grundlage.
96 Tabelle VII:
Strukturtyp
Häufigkeitsverteilungen der Strukturposition 'V für die Nonen der deutschen Gegenwartssprache, aufgeschlüsselt über die Diphthonge und die drei Genera in Abhängigkeit von den Strukturtypen:
m
/ai/ f
n
m
f
1
N
/oü/
/au/ n
m
f
n
_ _
1
NF1
2
-
1
-
-
2
X N
4
3
-
5
2
1
1
3
14
19 -
5 -
5 -
-
1 -
-
1
24
I NF
1 1 NF1F2
1
Total: V (Diph.) m f n
2
1
1
2
-
3
9
6
3
43
9
19
1
i 2 i lN
4
1
1
2
3
2
-
-
1
6
4
4
I1HF1F2
5
-
-
1
2
1
-
-
1
6
2
2
I2I1NF1
22
1
5
17 _
1 _
2 _
1 -
2
1 -
40
2
8
-
3
-
1 _
-
1
2
-
1
_
_
_
_
_
_
!3i2ilN
W^l i3i2ilNFl
1 _
_
_
6
-
-
_
_
I I NF F F
21
1 2 3
_
1 2
-
-
_
1 1 2 3 4
-
-
1 -
67
10
23
NF F F
123
NP P F P
1 2 3 4
Total
_
_
I NF P P P
8
_ _
_
_
-
-
-
-
-
-
—
—
—
-
-
1 -
47
14
13
2
4
6
116
28
42
Regeln ließen sich aufgrund der vorausgegangenen Tabelle zu folgenden Kombinationen aus Diphthong und allgemeiner struktureller Umgebung aufstellen:
und I Sämtliche dieser f-föglichkeiten zur Regelbildung sind jedoch schon durch die viel allgemeinere und mit größerer Applizierbarkeit ausgestattete Strukturregel (6) abgedeckt. Strukturregel· (6) berücksichtigt nur die Vokalklasse der Diphthonge als Inlaut und einen einfachen Konsonanten (F..) im Auslaut (vgl. Abschnitt 3.3.1). Insofern lassen sich auf der Basis der Diphthonge hier keine weiteren Hegeln aufstellen.
97
3.3.2.3 Auslautregeln Für die Frikative /c/, /x/, /f/, /s"/ und /s/ in finaler Position ist eine deutliche Tendenz zum Maskulinum und Neutrum zu erkennen, denn die Genusfälle verteilen sich über die Genera m : f : n = 1 3 3 : 4 : 6 9 . Allerdings ist es nicnt sinnvoll, auf dieser Basis eine neue Regel aufzustellen, da bis auf eine Restgruppe von vier maskulinen und fünf neutralen Genusfällen alle anderen Mbrter in ihrer Genuszuweisung durch schon weiter oben entworfene Regeln, vor allen Dingen durch die Strukturregeln (5) und ( 6 ) , erklärt werden. Erheblich wichtiger - besonders wegen ihrer Potenz, feminine Genuszuweisungen zu erklären - sind einfache Konsonantenverbindungen zwischen Frikativen und dem Stopplaut /t/. Hierbei ist zwischen sibilantischen und nicht-sibilantisehen Frikativen zu unterscheiden. 14 Finale Konsonantencluster, die aus den sibilantischen Frikativen /£/ oder /s/ und dem Stopplaut /t/ gebildet sind, haben die Tendenz, maskuline oder feminine Genuszuweisung zu bewirken. Von den vier neutralen Genusfällen 'das Fest', 'das Nest', 'das Biest1 und 'das Prost1 lassen sich die beiden zuletzt genannten durch die semantischen Regeln (14) bzw. (8) in ihrer GenusZuweisung erklären. Demnach gilt Auslautregel ( 1 ) : [XFrik+sibilant A/] ·* m./f.
(7O Normen).
Da 'X' grundsätzlich jede mögliche Lautfolge vor den für die Regelbildung relevanten Merkmalen symbolisiert, gilt die Auslautregel (1) auch für solche finalen Konsonantencluster, die aus drei Konsonanten zusammengesetzt sind und die in den Positionen F~ und F, Hag Muster der Auslautregel (1) erfüllen. In F.-Position können die Konsonanten /k/, /!/, /n/, /p/, /r/, /t/ und /g/ stellen. Von den drei neutralen Wörtern 'das Einst', 'das Obst', 'das Jetzt' sind 'das Einst' und 'das Jetzt1 durch die semantische Regel (8) in ihrer Genuszuweisung erklärt. Führte die Kombination sibilantischer Frikativ + /t/ im Auslaut lediglich zum Ausschluß der neutralen Genuszuweisung, so bewirkt die Verbindung zwischen einem nicht-sibilantischen Frikativ (/ /, /f/ und /x/) und /t/ sowohl den Ausschluß des Neutrums als auch den des Maskulinums. Von den 12 maskulinen Nomen sind 'der Knecht', 'der Stift1 und 'der Schuft' durch die semantische Regel (2) erklärt. Die Nomen 'der Hecht1, 'der Specht1, 'der Docht1 und "der Taft1 14 Zur Unterscheidung von sibilantischen und nicht-sibilantischen Frikativen vgl. Abschnitt 2.1.1.
98
erhalten aufgrund der morphologischen Regel (3) eine maskuline oder neutrale Genuszuweisung, eine feminine Genuszuweisung wird bei diesen Nomen also durch eine höhergeordnete Regel verhindert (zur Hierarchisierung der Regeln vgl. Abschnitt 4.1). Ähnliches gilt für das Nomen 'der Lift 1 , hier operiert die morphologische Regel (5). Echte maskuline Ausnahmen sind 'der Saft', 'der Schaft1, 'der Duft 1 und 'der Schacht'. Von den neutralen Genuszuweisungen, die unter den Geltungsbereich dieser Regel fallen, ist 'das Nicht' durch die semantische Regel (8) in seiner Genuszuweisung erklärt. Wie schon bei den maskulinen Nomen verhindert die morphologische Regel (3) eine feminine Genuszuweisung zu "das Recht', 'das Heft 1 , 'das Gift 1 und 'das Stift 1 . Gleiches wird für 'das Licht' und 'das Raff durch die morphologische Regel (1) respektive (5) erreicht. Somit gilt Auslautregel ( 2 ) :
[X ^ ^ - - - -
A/l =*
f
-
(55 Nomen).
Analog zur Auslautregel (1) gilt Auslautregel (2) auch für die nicht-sibilantischen Frikative + /t/, denen ein Konsonant vorausgeht. Das einzige maskuline Nomen ist 'der Werft', wo eine feminine Genus Zuweisung durch die morphologische Regel (3) verhindert wird. Entscheidendes Merkmal für die feminine Genuszuweisung ist die Kombination zwischen einem nicht-sibilantischen Frikativ und dem Stopplaut /t/. Die Nasallaute (/m/, /n/ und /n/) in finaler Position bewirken maskuline Genuszuweisung zu einsilbigen Nomen. Von den femininen Nomen mit diesem Merkmal sind 'die Tram1 durch die semantische Regel (6) und 'die Zehn' und 'die Neun1 durch die semantische Regel (5) erklärt. 'Die Spring1 ist ein seemannssprachlicher Fachausdruck. Eine Genusschwankung liegt bei "der/die Krem' vor. Durch die morphologische Regel (4) sind folgende Nomen in ihrer Genuszuweisung erklärt: "die Kiitm1 , "die Klairm' , 'die Priem1, "die Bahn', "die Lahn", 'die Rein' und 'die Pan 1 . Als echte Ausnahmen sind 'die Scham1 und 'die Pein' zu verzeichnen. Von den neutralen Nomen sind 'das Lamm', 'das Schwein', "das Huhn1 und 'das Ren1 durch die semantische Regel (14), 'das Brom1, 'das Chrom" und 'das Zinn' durch die semantische Regel (1O), "das Phon', 'das Ohm', 'aas Gen' durch die semantische Regel (9) und 'das Sein', 'das Klein', "das Tun', 'das Braun' und 'das Grün' durch die semantische Regel (8) erklärt. Bei 'der/ das Gong1 liegt eine Genusschwankung vor. Unerklärt bleiben "das Heim', f das Team", 'das Bein', 'das Lehn1, 'das Kinn1 und 'das Ding". Somit gilt Auslautregel (3a) :
[X Nasal] => m.
(148 Nomen).
99
Konsonantencluster, die dem Muster Nasal + Konsonant folgen, sind ebenfalls maskulin. Von den 12 femininen Nomen, die dieses Muster aufweisen, sind 'die Fünf, 'die Eins' und "die Quint1 durch die semantische Regel (5) und 'die Gans' durch die semantische Regel (14) erklärt. Genusschwankung liegt für das Nomen "der/die Gams' vor. Durch die morphologische Regel (4) sind 'die Pink 1 , 'die Front1 und 'die Bank1 in ihrer Genuszuweisung erklärt. Echte Ausnahmen bleiben somit: 'die Band', 'die Hand', 'die Mund1 und 'die Wand'. Von den 2O neutralen Nomen sind durch die semantische Regel (9) 'das Pfund', 'das Pond', 'das Quant' und 'das Quent1 bestimnt, die semantische Regel (1O) sorgt für die korrekte Genuszuweisung zu "das Zink'; und 'das Rind* schließlich erhält seine Genuszuweisung aufgrund der semantischen Regel (14). Fälle von Genusschwankungen liegen für die Noten 'der/das Sims' und 'der/das Spind' vor. Ebenfalls Genusschwankung, jedoch mit Bedeutungsveränderung, liegt für 'der/das Mensch' vor. Die neutrale Genuszuweisung sorgt bei diesem Nomen für eine abwertende Konnotation. Da hierfür keine Regel aufgestellt wurde, ist "das Mensch' neben 'das Amt', 'das Band1, 'das Bund', 'das Camp', 'das Dings', 'das Hemd', 'das Kind', 'das Land', 'das Pfand' und "das Wams' als Ausnahme zu betrachten. Es gilt Auslautregel (3b): [X Nasal K] => m.
(1O7 Nomen).
Für dreigliedrige Konsonantencluster, die mit einem Nasallaut beginnen, läßt sich Auslautregel (3c):
[X Nasal KK] =» m.
(35 Nomen)
aufstellen. Von den femininen Ausnahmen sind durch die Auslautregel (2) 'die Brunft' und 'die Zunft 1 in ihrer Genuszuweisung erklärt, denn grundsätzlich gilt: Wenn innerhalb einer Gruppe von Regeln zwei oder mehr Regeln auf ein Wort Anwendung finden, wird zunächst diejenige Regel mit der niedrigeren Regelnunmer wirksam (vgl. auch Abschnitt 4 . 1 ) . 'Die Sphinx' und 'die Fenz1 sind in ihrer Genuszuweisung durch die morphologische Regel (4) erklärt. Interessant ist, daß in der archäologischen Fachsprache häufig von 'der Sphinx1 gesprochen wird, wahrscheinlich weil in den meisten Fällen das Steinbild einen Männerkopf und nicht, wie gemeinhin angenonmen, einen Frauenkopf darstellt. Beide Versionen folgen bei der Genuszuweisung der Wahrnehmung des natürlichen Geschlechts. Als Ausnahmen bleiben lediglich 'die Angst', 'die Brunst', 'die Kunst1 und 'die Ranch' zurück. Das einzige neutrale Wort, das von der Auslautregel (3c) betroffen wird, ist 'das Einst'. Dieses Nomen ist in seiner Genuszuweisung durch die semantische Regel (8) erklärt. Die Regeln (3a) - (3c) lassen sich zu der
1OO
Auslautregel (3):
[X Nasal (K) (K) ] ·=» m.
(29O Nomen). 15
zusammenfassen. Entscheidendes Merkmal für die maskuline Genuszuweisung ist der Nasallaut, dem ein einfacher Konsonant oder ein Konsonantencluster folgen kann, jedoch nicht folgen muß. Für die Liquida /r/ und /!/ in finaler Position lassen sich ebenfalls eine Reihe von Regeln bilden. Taucht die Liquida /!/ isoliert in finaler Position auf, ist für die Genuszuweisung eine Tendenz zum Maskulinum oder Neutrum festzustellen. Von den fünf femininen Nomen ist
'die Null' durch die semantische 1
Regel (5) erklärt, auf 'die Qual", 'die Wahl und "die Zahl" operiert die morphologische Regel (4). Eine echte Ausnahme ist lediglich 'die Bill'. Somit gilt Auslautregel ( 4 ) :
[X /!/] => m./n.
(79 Nomen).
Führt die vorangegangene Regel zum Ausschluß des Femininums in der Genuszuweisung, so bedeutet eine Konsonantenverbindung, die mit /!/ eingeleitet wird, daß auch das Neutrum als potentielle Genuszuweisung ausgeschlossen wird. Von den 11 femininen Itörtem, die eine solche Konsonantenverbindung in finaler Position aufweisen, sind "die Elf
und "die Zwölf durch die semantische Regel (5)
erklärt. Bei 'der/die Holk' und 'der/die Hulk' handelt es sich um Fälle von Genusschwankung, außerdem operiert auf beiden femininen Versionen genau wie auf 'die Aln1, 'die Alp', "die Dult 1 , 'die Schuld' und 'die Welt" die morphologische Regel ( 4 ) . Echte Ausnahmen bleiben somit "die Huld' und "die Milch'. Von den 18 neutralen Nomen, die das oben beschriebene Muster aufweisen, ist
'das
1
Gelb durch die semantische Regel (8) erklärt, für 'das Stilb' und 'das Volt' wird die semantische Regel (9) und für 'das Salz1 und 'das Gold1 die semantische Regel (10) relevant; schließlich ist die semantische Regel (14) für die Genuszuweisung zu "das Kalb1 und 'das Wild" bedeutend. Eine Genusschwankung liegt für "der/das Kulm' vor. Als Ausnahmen bleiben bestehen: "das Balg1, 'das Bild1, 'das Feld1, 'das Geld', 'das Golf, 'das Pult', 'das Schild', 'das Schilf, 'das Volk1 und 'das Zelt'. Es gilt also Auslautregel (5):
[X /!/ K] -» m.
(89 Nomen).
Auslautregel (5) weist als Merkmal nicht nur die Liquida /!/ aus der Auslautregel (4) auf, die dort zu einer Begrenzung der Genuszuweisung auf das Maskulinum und Neutrum führt, sondern daneben eine größere Komplexität des Auslauts selbst. 15 Die Einklanmerung von 'K 1 bedeutet, daß die Besetzung dieser Position fakultativ ist, um der Regel zu genügen.
101
Zunehmende Komplexität des An- oder Auslauts scheint einherzugehen mit einer Itendenz zur maskulinen Genuszuweisung (vgl. Abschnitt 5.2). Insofern vereinigt die Auslautregel (5) zwei Tendenzen in sich und bewirkt wahrscheinlich deshalb eine eindeutige Genuszuweisung. Für den Liquidlaut /r/ + Stopplaut läßt sich eine Regel aufstellen, die die neutrale Genuszuweisung verhindert. Von den 11 neutralen Nomen lassen sich 'das \terb' und 'das Wort' durch die semantische Regel (7) und 'das Arg1 durch die semantische Regel (8) erklären. Die semantische Rsgel (9) ist für 'das Erg' und 'das Quart' entscheidend. Echte Ausnahmen sind 'das Bord', "das Mark', 'das Ort', 'das Schwert1 und 'das Werk'. Die sieben femininen Nomen 'die Bark1, 'die Burg', 'die Art 1 , 'die Furt', 'die Kerb 1 , 'die Mark1 und 'die Quart' sind durch die morphologische Regel (4) in ihrer Genuszuweisung erklärt. Es gilt Auslautregel (6a):
[X /r/ Stopp] ·* m.
(5O Nomen).
Ein ähnliches Muster wie Auslautregel (6a) weist Auslautregel (6b):
[X /r/ Stopp K] ~ m.
(15 Nomen)
auf. 'Die Terz' ist durch die semantische Regel (5) und 'das Schwarz' durch die semantische Regel (8) erklärt. Die Nomen 'das Herz1 und 'das Harz' sind Ausnahmen. Die Regeln (6a) und (6b) lassen sich zur Auslautregel (6):
[X /r/ Stopp (K) ] -» m.
(65 Nomen)
zusanrnenf assen. Weitere Auslautregeln lassen sich auf der Basis der Frikative /s/ und /£/ bilden. Für den Frikativ /s/ gilt, sofern ihm in einem Konsonantencluster ein anderer Konsonant vorausgeht, maskuline Genuszuweisung, /s/ vorausgehende Konsonanten können nur sein: /k/, /!/, /m/, /n/, /p/, /r/, /t/, /jj/. Die 12 femininen Ausnahmewörter lassen sich um 'die Eins', 'die Sechs' und 'die Gans1, die durch die semantischen Regeln (5) respektive (14) erklärt sind, reduzieren. Eine Genusschwankung liegt für 'der/die Gams' vor. Durch die morphologische Regel (4) sind 'die Box1, 'die Büx 1 , 'die Farce1, 'die Hatz1 und 'die Pütz1 erklärt. Als echte Ausnahmen sind 'die Lex', 'die Phlox' und 'die Plebs" zu verzeichnen. Von den 13 neutralen Wörtern sind 'das Lux1 durch die semantische Regel (9), 'das Salz1 durch die semantische Regel (1O) und 'das Kitz' durch die semantische Regel (14) in ihrer Genuszuweisung bestimmt. Fälle von Genusschwankung liegen für 'der/das Keks' und 'der/das Sims1 vor. Unerklärt bleiben 'das Wachs1, 'das Wams1,
102 'das Kips', 'das Match', 'das Netz 1 , 'das Kreuz', 'das Flöz1 und "das Dings'. Senat gilt Auslautregel ( 7 ) :
[X K /s/] => m.
(160Nonen).
Die Auslautregel (7) inkorporiert solche Fälle, bei denen sich das finale Auslautcluster aus drei Konsonanten zusammensetzt und deren letzter Laut /s/ ist. Die sechs femininen Nomen dieser finalen Lautfolge sind alle zu erklären, und zwar ist
'die Terz' durch die semantische Regel (5) bestimmt, Genusschwankung
liegt für 'der/die Sphinx1 vor, und für das korrekte Genus der Nomen 'die Balz', 'die Fenz', "die Milz" und "die Speltz' sorgt die morphologische Kegel ( 4 ) . Die neutralen Genusfälle verringern sich um 'd^s Nichts' und 'das Schwarz'. Beide Nomen sind durch die semantische Regel (8) in ihrer Genuszuweisung bestinmt. Ausnahmen sind "das Herz', 'das Malz 1 , 'das Schmalz', 'das Holz' und 'das Harz*. Obligatorisches Merkmal für die maskuline Genuszuweisung auf der Basis von Regel
(7) ist die Kombination zwischen einem Konsonanten und dem Frikativ /s/,
der in letzter Position im Auslaut stehen muß. Für den einfachen Auslaut /!*/ läßt sich Auslautregel (8):
[X /!/] => m.
(56 Nomen)
aufstellen. Das Femininum 'die Rausch' ist durch die morphologische Regel (4) in seiner Genuszuweisung erklärt. Die beiden neutralen Nomen 'das Fleisch1 und 'das Liesch1 lassen sich nicht erklären. Ebenfalls maskuline Genuszuweisung wird durch die Kombination zwischen einem Konsonanten -t- /§"/ veranlaßt, /s*/ vorauslaufende Konsonanten können sein: /!/, /m/, /n/, /r/ und /t/. Von den vier femininen Nomen, die unter den Geltungsbereich dieser Regel fallen, sind 'die Ketsch' und 'die Marsch' durch die morphologische Regel (4) erklärt, 'die Pirsch' und 'die Couch' bleiben unerklärt. Von den drei neutralen Genuszuweisungen läßt sich 'das Deutsch1 durch die semantische Regel (11) erklären. Als echte Ausnahmen bleiben 'das Bridge' und 'das Mensch' stehen. Das einzige dreigliedrige Konsonantencluster mit /s/ in finaler Position im Auslaut ist /nt5/. Nicht zu erklärende Ausnahme zu der Auslautregel (8) ist das feminine Fremdwort 'die Ranch1. Entscheidendes Merkmal dieser Regel ist, daß das Nomen mit dem Konsonanten /s"/ auszuklingen hat; dabei ist es völlig gleichgültig, ob unmittelbar vorher ein Vokal, ein einfacher Konsonant oder ein einfaches Konsonantencluster steht.
103
3.3.3 Stand-by-Regeln Sinnvolle Stand-by-Regeln lassen sich nur bezüglich der Kombination konkreter Inlaut + konkreter Auslaut aufstellen. Die Regeln, die sich auf der Basis der Kombinationen Anlaut + Inlaut und Anlaut + Auslaut bilden ließen, erreichen aufgrund der schon existierenden Regeln kaum neue Nomen. Daher kann von diesen Kombinationen abgesehen werden. Lange und zugleich hohe Vokale + Liquida /r/ weisen eine deutliche Tendenz zum Femininum auf. Als \fc>kale können in Betracht /i:/, /u:/ und /ü:/. Von den fünf maskulinen Nomen, die diese konkrete Kombination zwischen Inlaut + Auslaut aufweisen, sind "der Peer1, "der Stier" und "der Ur1 durch die semantischen Regeln (3) bzw. (14) in ihrer Genuszuweisung bestimmt. Durch die morphologische Regel (3) wird eine feminine Genuszuweisung zu 'der Flur1 verhindert. Als echte Ausnahme bleibt "der Schwur' zurück. Das neutrale Nomen 'das Dur1 ist durch die semantische Regel (12) erklärt. Wiederum verhindert auf einer höheren Zuweisungsebene die morphologische Regel (3) eine feminine Genuszuweisung zu 'das Bier' und 'das Wuhr 1 . Es gilt also die Stand-by-Regel ( 1 ) : [X V+lgn /r/] => f. +hoch
(25 Nomen).
Eine weitere Stand-by-Regel betrifft die Kombination zwischen einem kurzen Vokal + Stopplaut + Konsonant. Als Stopplaute können /p/, /t/ und /k/ auftreten, die diesen Lauten nachfolgenden Konsonanten können /f/, /s/, /s"/ und /t/ sein. Von den neun femininen Nomen, die diese Kombination zwischen Inlaut und Auslaut aufweisen, ist 'die Sechs" durch die semantische Regel (5) bestimmt. Durch die morphologische Regel (4) sind die Nomen "die Box', 'die Büx", "die Hatz', 'die Ketsch' und "die Pütz1 eindeutig in ihrer Genuszuweisung bestimmt. Echte feminine Ausnahmen bleiben: 'die Lex', "die Phlox' und "die Plebs". Für die neun neutralen Nomen gilt hier, daß 'das Lux' und "das Kitz1 durch die semantischen Regeln (9) bzw. (14) in ihrer Genuszuweisung zu erklären sind. Hingegen lassen sich für die Nomen "das Fakt', 'das Kips', "das Skript1, 'das Wachs', 'das Bridge', 'das Match" und 'das Netz1 keine Erklärungen finden. Somit kann Stand-by-Regel (2):
[X V_lan Stopp K] => m.
(124 Nomen)
aufgestellt werden. Die vorausgegangene Regel scheint das Zusammenfallen zweier Prinzipien zu demonstrieren: Eine Silbe mit geringer Sonorität führt zum Ausschluß des Femininums
104 in der Genuszuweisung, denn für die Kombination kurzer Vokal + Stopplaut ist eine Verteilung von m : f : n = 86 : 7 : 27 festzustellen.
Hierbei sind von
1
den sieben femininen Ausnahmen 'die Flak und "die Lok' durch die semantische Regel (6) erklärt, 'die Schlup1 ist ein seemannssprachlicher Fachausdruck, und die Genuszuweisung von 'die Fock1, "die Neck1 und 'die Schmack1 erklärt die morphologische Regel ( 4 ) . Das Ncmen 'die Stadt1 bleibt als echte Ausnahme zurück. Darüber hinaus führt eine starke Belastung des Auslauts (Positionen F.. F,) zu einer maskulinen Genuszuweisung (vgl. Abschnitt 5.2). In der Stand-byRegel (2) fallen diese beiden Prinzipien offensichtlich zusammen.
3.4
Zusaimienfassung Keine der aufgestellten phonologischen Regeln besitzt uneingeschränkte Gül-
tigkeit, fast ininer lassen sich Ausnahmen finden, auch wenn es sich hierbei relativ häufig um Nomen handelt, die als Fremdwort, Dialektwort oder veraltet gelten. Diese Wörter wurden mitberücksichtigt, weil angenommen wurde, daß das Genus sich bei ihnen nach einer irgendwie gearteten, aber schon am deutschen Wortschatz nachweisbaren und dem native speaker mehr oder weniger bewußten Regel richtet (vgl. Abschnitt 1.1.3). Die Ihese scheint sich nicht vollständig bestätigt zu haben, gleichwohl lassen sich bezüglich der Genuszuweisung zu Fremdwörtern Tendenzen nachweisen, die auf eine Integration solcher Wörter in existierende Regeln deuten (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.2). Nahezu alle phonologischen Regeln lassen sich in ihrem Erklärungswert für die Genuszuweisung mächtiger gestalten, wenn man semantische und morphologische Eigenschaften der Nomen, das Phänomen der Genusschwankung ohne Bedeutungsveränderung und eine Dominanz der Auslautregeln und Stand-by-Regeln gegenüber anderen phonologischen Regeln annimmt (vgl. auch Abschnitt 4.1 und Abschnitt 5.1). Da die Arbeit sich in der Hauptsache um phonologische Regeln bemüht, sind die Regeln so ausgewählt worden, daß sie auch ohne die Berücksichtigung anderer v
Prinzipien für den Erwerb und die Speicherung von Genuszuweisungen relevant sein könnten. Die nachfolgende Tabelle VIII führt alle phonologischen Regeln vor
und
nach
der Berücksichtigung der aufgeführten Restriktionsme-
chanismen auf.
16 Aufgrund dieser Zahlenverhältnisse hätte es nahegelegen, eine Regel zu bilden, allerdings sind die meisten der durch diese Regel erfaßten Genuszuweisungen schon in dem Geltungsbereich von Strukturregel (5) enthalten.
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Χ
107
Die folgenden Ausführungen beziehen sich grundsätzlich auf die in Spalte III von Tabelle VIII gemchten Zahlenangaben. Nimmt man sämtliche der von den Strukturregeln erfaßten Nomen zusammen, so liegen 664 Fälle von Genuszuweisung in ihrem Geltungsbereich. Eine im Sinne der Stochastik eindeutige Genuszuweisung als Maskulinum erhalten 155 Nomen, ihnen stehen vier feminine und neun neutrale Ausnahmen gegenüber (vgl. die Strukturregeln (1) und ( 2 ) ) . Die Strukturregeln (3) bis (6) sorgen lediglich für den Ausschluß der femininen GenusZuweisung. Aufgrund dieser Regeln erhalten 498 Noman eine Genuszuweisung. Bei sieben femininen Nomen führen diese Strukturregeln zu abweichenden Zuweisungen. Für die Anlautregeln gilt, daß in ihrem Geltungsbereich insgesamt 406 Genuszuweisungen liegen. Die Anlautregeln (1) bis (3) sorgen für eine eindeutige und mit der Dudenzuweisung übereinstimmende maskuline Bestimmung von 2O5 Nomen, ihnen gegenüber stehen zwei feminine und zehn neutrale Zuweisungen. Maskuline oder neutrale Genuszuweisungen werden durch die Anlautregeln (4) bis (7) bewirkt. Hierbei stehen, unter dem Vorbehalt der Uneindeutigkeit, einer femininen Zuweisung 188 korrekte Zuweisungen gegenüber. Schon an den Anlautregeln wird deutlich, daß mit steigender initialer Konsonantenanzahl die Tendenz zur maskulinen Genuszuweisung sich verstärkt, denn eindeutige Genuszuweisungen - und dann immer nur maskuline - können nur über initiale Konsonantencluster erzielt werden. In den Rahmen dieser Tendenz gehört auch die allgemeine Beobachtung, daß mit wachsendem Umfang des anlautenden Konsonantenclusters die Möglichkeit der Ableitung einer phonologischen Genusregel über die Strukturposition K., zunimmt. Auch wenn hier - wegen des Anspruchs, mit möglichst wenigen Regeln möglichst viele Genuszuweisungen zu erklären - nicht alle möglichen Regelableitungen aufgeführt werden, so ist doch aus Anhang 6.3 die Richtigkeit der oben genannten Beobachtung zu ersehen. Ein mögliches Erklärungsmcfnent hierfür mag sein, daß mit dem lautlichen Unfang des Anlauts auch sein Informationsgehalt bezüglich einer Genuszuweisung für den Sprecher des Deutschen zunimmt. Bei der Aufstellung von Inlautregeln wurden grundsätzlich konkrete An- bzw. Auslaute unberücksichtigt gelassen. Obwohl es sich auch hier wieder angeboten hätte, mehr als nur eine Regel aufzustellen, wurde mit der gleichen Begründung wie bei den Anlautregeln darauf verzichtet; zudem fallen die Nomen, für die zusätzliche Regeln möglich gewesen wären, in den meisten Fällen in den Geltungsbereich anderer phonologischer Regeln und werden durch diese in ihrer Genuszuweisung erklärt. Die Inlautregel (1) betrifft die langen Vokale und sorgt ledig-
108
lieh für den Ausschluß einer femininen Genuszuweisung. Die Regel gilt für alle langen Vokale, gleichgültig in welcher konsonantischen Umgebung sie sich befinden. Insgesamt werden durch diese Regel 315 Genusfälle korrekt zugewiesen, zumindest dann, wenn man sich damit zufriedengibt, daß die potentielle Anzahl möglicher Genuszuweisungen von drei auf zwei reduziert wird. Acht feminine Nomen erhalten durch diese Regel eine von der Dudenzuweisung abweichende Genuszuweisung. Ähnlich wie bei den Anlautregeln kann auch bei den Auslautregeln mit ansteigender konsonantischer Belastung der Strukturposition K~ eine zunehmende IVBglichkeit zur Regelbildung beobachtet werden. Wiederum bedeutet das in den meisten Fällen maskuline Genuszuweisung (vgl. auch Abschnitt 5.2). In dem Geltungsbereich der Auslautregeln liegen insgesamt 731 Genusfälle. Aufgrund der Regeln (3) und (5) bis (8) erhalten 482 Nomen eine maskuline Genuszuweisung; 18 feminine und 51 neutrale Nomen werden durch diese Regeln abweichend von ihrem im Duden verzeichneten Genus bestimmt. Regel (4) weist 74 Nomen maskulines oder neutrales Genus zu, in einem Fall erhält ein feminines Nomen ein von seiner Dudenzuweisung abweichendes Genus. Die Auslautregeln (1) und (2) betreffen Konsonantenverbindungen zwischen Frikativen und dem Stopplaut /t/. Die in ihrer Zuweisungsvorschrift uneindeutige Regel (1) sorgt für korrekte maskuline oder feminine Genuszuweisung zu 63 Ncmen, drei neutrale Nomen erhalten aufgrund dieser Regel eine abweichende Zuweisung. Den 35 korrekten femininen Zuweisungen durch Auslautregel (2) stehen vier maskuline Nomen gegenüber. In dem Geltungsbereich der Stand-by-Regeln liegen 133 Genuszuweisungen. Durch die Stand-by-Regel (1) erhalten 16 Nonen in Übereinstimmung mit dem Duden das Femininum zugewiesen; diesen positiven Zuweisungen steht ein maskulines Nomen gegenüber. Die Stand-by-Regel (2) weist in 1O6 Fällen das Maskulinum korrekt zu, drei feminine und sieben neutrale Nomen erhalten durch diese Regel eine vom Duden abweichende Genuszuweisung.
4.
DARSTELLUNG UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE
In diesem Teil der Arbeit soll mit Hilfe eines automatischen Zuweisungsprogramms die Leistungsfähigkeit der im dritten Teil entwickelten Regeln für die GenusZuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache überprüft werden. Dazu ist es zunächst wichtig, die Regeln in einen hierarchischen Zusammenhang zu bringen.
4.1
Zur Begründung der vorgenommenen Hierarchisierung der Regeln
Das Ziel dieses Abschnitts ist es, ein möglichst optimales Hierarchisierungsnetz der verschiedenen genuszuweisenden Regeln aufzustellen. Ideal wäre es, wenn bei einem Vergleich zwischen Dudenzuweisung und der auf der Basis der Regeln vorgenommenen Zuweisung keine Diskrepanz bestünde. Dieser ideale ifert einer 1:1-Korrespondenz wird annähernd erreicht, wenn die Regeltypen und Regeln in einer bestimmten Abfolge auf die im UntersuchungsKorpus enthaltenen Eintragungen operieren. Die Hierarchisierung berücksicntigt die unterschiedliche Präzision der Regeln: Zum einen ist festzustellen, daß eine ganze Reihe von Regeln uneindeutig bleibt. Solche Regeln können lediglich dafür sorgen, eines der drei Genera auszuschließen, und zwar in den meisten Fällen das Femininum, nur in einem Fall das Neutrum und niemals das Maskulinum. Zum anderen gibt es zu den verschiedenen Regeltypen unterschiedlich viele Ausnanmen. Nahezu überhaupt keine Ausnahmen existieren zu den semantischen Regeln, insofern dominiert dieser Typ alle anderen. Die morphologische Regel (4) sorgt für eindeutige Genuszuweisungen zu femininen Nomen, hingegen bleiben die anderen morphologischen Regeln in ihrer GenusZuweisung uneindeutig. Allerdings wird in nur relativ wenigen Fällen durch diesen Regeltyp eine Genuszuweisung vorgenommen, die von der Zuweisung des Dudens abweicht. Deshalb und weil für das Femininum kaum genuszuweisende Regeln auf der Basis der Phonologic existieren, ein Umstand, der wahrscheinlich mit der geringen Gesamtrepräsentanz der Feminina irn Verhältnis zu den beiden anderen Genera im Korpus zusammen!längt, ist es naheliegend, die morphologischen
110
Regeln den sonant ischen folgen zu lassen. Komplizierter ist es, die verschiedenen Arten phonologischer Regeln in einen hierarchischen Zusammenhang zu bringen. Viele Noten werden nicht nur von einer phonologischen Regel erfaßt, sondern liegen in dem Geltungsbereich verschiedener Arten von phonologischen Regeln. Für das Nomen "die Tracht" gelten z.B. die Strukturregel ( 1 ) , die Anlautregel (3) und die Auslautregel (2). In solchen Konfliktfällen zwischen zwei oder mehr phonologischen Regeln dominiert nahezu ausschließlich die auf der Basis der Auslautregel vorgenonroene Genuszuweisung die anderen phonologischen Regeln. Da die Strukturregeln insgesamt, wegen ihrer im Vergleich zu den anderen phonologischen Regeln geringeren Präzision, relativ viele Ausnahmen zulassen und zudem häufig uneindeutig bleiben, gelten Hierarchien der folgenden Art: 1. [I2I1NF1F2] =» m. ; wenn nicht [G /r/ Y] =» m./n. (wie z.B. bei 'das Kreuz 1 ). Oder: 2. [T /r/ Y] =» m.; wenn nicht [ Tracht1).
"^.^]^^ /t/1 =» f- (wie z.B. bei 'die
Zu 1 . : Die Strukturregel (1) bewirkt maskuline Genuszuweisung, solange nicht die Anlautregel (7) oder irgendeine andere Anlautregel eine abweichende Genuszuweisung veranlaßt. Zu 2.: Die Anlautregel (1) bewirkt maskuline Genuszuweisung. Wird eine hiermit konkurrierende Genuszuweisung durch irgendeine Auslautregel (in dem Beispiel oben ist es die Auslautregel (2) ) veranlaßt, dominiert diejenige Zuweisung, die auf der Basis des Auslauts vorgenannten wird. Da die Stand-by-Regeln auf der Basis von Inlaut + Auslaut aufgestellt worden sind, handelt es sich bei ihnen genaugencnmen um erweiterte Auslautregeln, insofern sollen diese Regeln in der Gesamthierarchie unmittelbar nach den Auslautregeln auf die Nomen operieren. Die Inlautregel ist in ihrer Zuweisungsvorschrift uneindeutig, daher folgt sie in der Hierarchie nach den Anlaut- und Strukturregeln. Innerhalb der verschiedenen Regelarten auf der Basis der Phänologie gilt grundsätzlich, daß diejenige Regel mit der niedrigeren Regelnurtmer alle Regeln mit höheren Regelnunmern dominiert, denn z.B. gilt für flag Wort 'die Zunft1 sowohl Auslautregel (3) als auch Auslautregel (2) : [X Nasal (K) (K) ] ·» m. ; wenn nicht eine Auslautregel mit niedrigerer Regel-
111
nunroer angewendet werden kann. Für 'die Zunft1 gilt auch [X Frik_ ., ., =* f.
/t/]
(Auslautregel ( 2 ) ) .
Zusannenfassend ergibt sich für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen des Deutschen folgende Hierarchie von Regeltypen und -arten: I.
Seirantische Regeln;
II.
rrorphologische Regeln;
III.
phonologische Hegeln:
III.
1. Auslautregeln;
III.
2. Stand-by-Regeln;
III. 3. Anlautregeln; III. 4. Strukturregeln; III.
5. Inlautregeln.
Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die vorgenonmene Hierarchisierung nur
eine
Möglichkeit unter vielen darstellt. Theoretisch hätte
iran die Regeln z.B. auch nach dem Umfang ihrer jeweiligen Geltungsbereiche ordnen können. Allerdings wären unter dieser Maßgabe erheblich weniger positive £litscheidungen bei der automatischen Genuszuweisung (vgl. Abschnitt 4.2 und Anhang 6.6) zustande gekommen.
4.2
Darstellung der Ergebnisse auf der Basis einer automatiscnen Zuweisung des Genus zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache In Anhang 6.6 findet sich das Wortmaterial dieser Untersuchung und die auto-
matische Genuszuweisung auf der Grundlage der im dritten Teil aufgestellten Regeln und der ihnen zugrunde gelegten Hierarchie. Das Computerprograitm versucht zunächst auf der Basis der semantischen Regeln (in Anhang 6.6.abgekürzt mit 'SEM. R . 1 ) eine Entscheidung für die Genuszuweisung zu den Worten zu finden. Wenn mit Hilfe der semantischen Regeln eine eindeutige Zuweisung möglich ist,
gilt der Zuweisungsprozeß als abgeschlossen.
Dies trifft bis auf Regel (15) für alle semantischen Regeln zu. Die semantische Rsgel (15) weist das Maskulinum und Femininum zu, damit wird die Genuswahl des Neutrums als eliminiert betrachtet. Da die in dieser Arbeit entwickelten Regeln keineswegs unabhängig voneinander auf die Nomen des Korpus operieren, wird in vielen Fällen eine korrekte Genuszuweisung erst durch die Interaktion der verschiedenen Regeltypen erzielt. Die semantische Regel (15) sorgt für den Ausschluß des Neutrums zu den im Geltungsbereich dieser Regel liegenden Nomen. Wenn
112
die nächste auf ein solches Nomen angewandte Regel - gleichgültig welchen Typs - eine maskuline oder neutrale GenusZuweisung veranlaßt, also das Femininum ausschließt, gilt für das Nomen das Maskulinum. Auf das Nomen 'die Au 1 operiert die semantische maskuline oder feminine Genuszuweisung. Die nächste bare Regel ist die morphologische Regel (4) (dieser mit 'MOR. R.' abgekürzt worden); durch sie wird das
Regel (15) und veranlaßt in der Hierarchie anwendRegeltyp ist in Anhang 6.6 Femininum zugewiesen;
damit ist der Zuweisungsprozeß abgeschlossen, das Genus von 'Au' ist Femininum. Für 'der Teich' gilt auch die (3) weist das Maskulinum oder Morphologie das Femininum als deutet, das Genus von 'Teich'
semantische Regel (15), die morphologische Regel Neutrum zu. In· diesem Fall wird also durch die mögliche Genuszuweisung ausgeschlossen. Das beist Maskulinum. Für das Nomen 'der Sumpf schließ-
lich gilt wiederum die semantische Regel ( 1 5 ) . Die morphologische Regel (2) bestätigt lediglich die maskuline oder feminine Genuszuweisung. Die dann in der Hierarchie folgende Regel ist die phonologische Auslautregel (3) , die die masKuline Genuszuweisung veranlaßt. Somit ist also das Genus von 'Sumpf Maskulinum.
Das Zusammenwirken der Regeln läßt sich schematisch in der Form eines Dreiecks, das das Genus G eines einsilbigen Nomens symbolisieren soll, darstellen. Abbildung 5:
semantische Regeln
/ "N/ / »
\ \X* *"^\
morphologische Regeln
phonologische Regeln
1
Folgende Abkürzungen sind in Anhang 6.6 für die phonologischen Regeln verwendet worden: 'HR-AIEL.' = Hauptregeln für Auslaute, 'HR-ANL.' = Hauptregeln für Anlaute, 'HR-INL.' = Hauptregeln für Inlaute, 'SB' = Stand-by-Regeln und 'ST1 = Strukturregeln.
113
Folgende Interaktionen zwischen den drei Regeltypen sind theoretisch möglich: a) Semantische + morphologische + phonologische Regeln, wie bei 'der Sumpf; b) semantische + morphologische Regeln, wie bei 'die Au 1 ; c) semantische + phonologische Regeln, hierzu ist im Korpus kein Beispiel enthalten; d) morphologische + phonologische Regeln, wie bei 'der Tisch'; e) phonologische + phonologische Regeln, wie bei 'der Dust". Bei der automatischen Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartsspracne werden die weiter unten in der Regelhierarchie angesiedelten Regeln kaum mehr entscheidungsrelevant (vgl. Anhang 6 . 7 ) , das bedeutet, daß bei der oben zugrunde gelegten Hierarchie eine erheblich geringere Anzahl von Regeln notwendig gewesen wäre, um eine annähernd vergleichbare Leistungsfähigkeit des Programms zu erzielen. Die Regeln sind trotzdem ausgedruckt worden, weil die nier gewählte Hierarchie, wie schon gesagt, nur eine unter mehreren Möglichkeiten darstellt und weil es bei der vorliegenden Arbeit nicht in erster Linie darum geht, ein möglichst effektives Zuweisungsprogramm zu entwickeln, sondern um die Auffindung möglicherweise zugrunde liegender Lern- und Speicherungshilfen bei der GenusZuweisung durch den native speaker des Deutschen. Die nachfolgende Tabelle IX gibt Auskunft über die Ergebnisse, die sich mit dem Computerprogramm erzielen lassen, dabei ist in dieser Tabelle nicht zwischen den Genera unterschieden worden. Hier, wie in den Tabellen X bis XII » sind in der Spalte '+' die Anzahl der Entscheidungen aufgeführt, die zu einer 1:1-Korrespondenz zwischen der Dudenzuweisung und der Computerentscheidung führen. Unter 'U 1 (= uneindeutig) finden sich die Entscheidungen, die lediglich zum Ausschluß einer der drei möglichen GenusZuweisungen führen; allerdings muß in diesen Fällen die Zuweisung des Dudens (z.B. Maskulinum) noch in der Entscheidung des Computers (z.B. 'das Nomen muß Maskulinum oder Neutrum sein1) enthalten sein. Hätte der Computer entschieden, daß das Nomen Femininum oder Neutrum ist, wäre in einem solchen Fall ein '-' zugewiesen worden. Unter der Spalte '-' finden sich die Fälle von Genuszuweisungen durch den Computer, die nicht zu der angestrebten Korrespondenz zur Dudenzuweisung führen. Scnließlicn werden unter der Spalte 1 die Fälle aufgeführt, auf die keine der im dritten Teil der Arbeit entwickelten Regeln operiert (vgl. zu diesen Ausführungen auch Anhang 6.6).
114
Tabelle IX; Vergleich zwischen den Genuszuweisungen des Dudens und den Gomputerentscheidungen über alle 1466 im Untersuchungskorpus enthaltenen GenusZuweisungen:
in absoluten Zahlen in Prozentangaben
+
U
-
O
Sunme
959
349
148
10
1466
65,4%
23,8%
10,1%
0,7%
100%
Es zeigt sich, daß in annähernd zwei Drittel der im Uhtersuchungskorpus enthaltenen Genuszuweisungen der Ccrnputer auf Basis der Regeln zu Entscheidungen konmt, die mit der Zuweisung des Dudens übereinstimnen. In 23,8% der Fälle haben die Regeln den Effekt, zumindest eine der drei möglichen Genuszuweisungen auszuschließen. Betrachtet man die 'U'-Entscheidungen des Computers als Eingrenzung des Gesamtspektrums der Entscheidungsmöglichkeiten, erhielte man etwa 90% 'korrekte' Zuweisungen, zumindest dann, wenn man sich damit zufriedengibt, daß in einem Teil der Fälle zwei Zuweisungsmöglichkeiten enthalten sind. unter der Voraussetzung, daß die Nomen, für die Genusschwankung ohne Bedeutungsveränderung gilt, nur jeweils einmal in das Korpus eingetragen werden, würde sich das Ergebnis noch erheblich verbessern, denn die Negativentscheidungen des Computers bei 'der Gams', 'das Bruch1, 'das Gong1, 'der HolJc', 'der Hulk1, 'das Keks1, 'die Krem1, 'das Kulm', 'die Phlox', 'das Ren', 'das Sims', 'die Sphinx', 'das Spind' und "das Spray1 {vgl. hierzu Anhang 6.6) würden so wegfallen, da zumindest eines der an der jeweiligen Genusschwankung beteiligten Genera von den Regeln korrekt zugewiesen wird. Berücksichtigt man weiterhin, daß bei einer Reihe von Nomen, für die ebenfalls Genusschwankung gilt, der Computer 'U'-Entscheidungen vornimmt, wobei diese Entscheidungen exakt die jeweiligen Genusschwankungen widerspiegeln und somit als positive Entscheidungen gewertet werden dürfen, steigt die Anzahl der positiven Entscheidungen um acht Fälle. Es handelt sich hierbei um folgende Nomen (vgl. Anhang 6.6): 'der/ die Gest', 'der/das Hehl1, 'der/das Kris', 'der/das Pfühl', 'der/das Schiet1, 'der/das Set", 'der/die Wulst1 und 'der/das Zeck1. Die vorausgegangenen Überlegungen würden die Tabelle IX folgendermaßen verändern: 967 = 67% positive Entscheidungen wären festzustellen, 333 = 23% 'U'-Entscheidungen und 134 = 9,3% negative Entscheidungen. Die Basiszahl für die zuletzt genannten Prozentangaben wäre nicht mehr 1466, sondern 1444, da 14 negative und 8 uneindeutige Zuweisungen abgezogen werden müßten.
115
Die folgenden Tabellen schlüsseln die in Tabelle IX enthaltenen Angaben jeweils über das Maskulinum, Femininum und Neutrum auf: Tabelle X: Vergleich zwischen den Genuszuweisungen des Dudens und den Conputerentscheidungen über die 94O im Untersuchungskorpus enthaltenen maskulinen Genuszuweisungen:
in absoluten Zahlen in Prozentangaben
+
U
-
0
Summe
708
194
31
7
940
75,3%
2O,6%
3,3%
0,7%
100%
Inroerhln 75% der maskulinen Nomen erhalten aufgrund der Regeln eine Zuweisung, die mit der des Dudens übereinstimmt. Wertet man wie schon in Tabelle IX die uneindeutigen Zuweisungen des Computers als korrekte Entscheidungen, so erhält man eine Prozentangabe von 96%. Für die isolierte Betrachtung der Feminina des Untersuchungskorpus gilt: Tabelle XI:
Vergleich zwischen den Genuszuweisungen des Dudens und den Computerentscheidungen über die 2O5 im Untersuchungskorpus enthaltenen femininen Genuszuweisungen:
in absoluten Zahlen in Prozentangaben
+
U
-
0
Summe
155
11
38
1
205
75,6%
5,4%
18,5%
0,5%
100%
Genau wie bei den maskulinen Nomen gilt auch für die femininen, daß in 75% der Fälle eine 1:1-Korrespondenz zwischen der Genuszuweisung des Dudens und der des Cbmputerprograimis erzielt wird. Zusammen mit den uneindeutigen Entscheidungen wird für die Feminina allerdings nur ein Wert von 31% erreicht. Dies ist darauf zurückzuführen, daß kaum uneindeutige Regeln aufgestellt worden sind, die das Femininum enthalten. Für die Neutra des Untersuchungskorpus gilt folgendes Ergebnis: Tabelle XII;
Vergleich zwischen den GenusZuweisungen des Dudens und den Computerentscheidungen über die 321 im Untersuchungskorpus enthaltenen neutralen Genuszuweisungen:
in absoluten Zahlen in Prozentangaben
+
U
-
0
Summe
96
144
79
2
321
29,9%
44,9%
24,6%
O,6%
100%
116
Für die Neutra ist der Wert der positiven Genuszuweisungen mit 29,9% sehr gering ausgefallen. Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, daß keine eindeutige morphologische oder phonologische Regel für neutrale Genuszuweisungen formuliert werden konnte, lediglich eine Reihe semantischer Regeln sorgen für neutrale Genuszuweisungen. Der Wert für uneindeutig bestiitmte Neutra liegt mit 44,9% erheblich über den entsprechenden Werten für das Maskulinum und Femininum, weil eine Vielzahl von Regeln neben der maskulinen Genuszuweisung auch die neutrale veranlassen. Faßt man die Prozentangaben für die uneindeutigen Entscheidungen mit denen der positiven zusanmen, erhält man mit 74,8% einen Wert, der etwa auch für das Femininum erzielt wird. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die erzielten Ergebnisse durchaus die Annahme eines zugrunde liegenden Regelsystems für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache rechtfertigen. Wenn man sich nur auf ein möglichst effektives Zuweisungsprogramm beschränken wollte, hätten erheblich weniger Regeln ausgereicht, denn der über alle Genera erzielte Prozentwert von 65,4% (vgl. Tabelle IX) wäre sogar mit nur einer einzigen Regel erzielt worden, nämlich 'weise grundsätzlich das Maskulinum zu 1 . Es soll an dieser Stelle noch einmal unmißverständlich darauf hingewiesen werden, daß es in der vorliegenden Arbeit nicht darum geht, ein effektives Zuweisungsprograrm für den Computer zu erstellen, sondern um die Aufdeckung der in den Lexikoneintragungen und ihren jeweiligen Genuszuweisungen enthaltenen Regelmäßigkeiten. Das Wissen über diese Regelmäßigkeiten gehört möglicherweise der sprachlichen Kompetenz des native speakers an, deshalb können die Regelmäßigkeiten als Lern-, Speicherungsund Generierungsprinzipien aufgefaßt werden (vgl. auch Abschnitt 5.3). Zudem kann mit einer Regel, die nur das Maskulinum zuweist, nicht erklärt werden, warum die Sprecher/Hörer des Deutschen auch das Femininum und Neutrum korrekt zuweisen können.
4.3 Zur Bestimmung der Kern- und Peripheriewortschätze und ihrer Rolle bei der Genuszuweisung Im theoretischen Teil der Arbeit (vgl. Abschnitt 1.4.3) ist die These vertreten worden, daß der größte Teil der einsilbigen Nomen in ihrer Genuszuweisung über ein Netz von Regeln zu erklären sein wird und daß es sich bei den Negativund Nullzuweisungen um Nomen handelt, die entweder zum Kernwortschatz oder zur Peripherie des Lexikons gehören. Um diese These zu verifizieren, ist ein Vergleich zwischen den Zuweisungsresultaten des Computerprograitins mit einer Fre-
117
quenzliste der gesprochenen Sprache
durchgeführt worden. Die Liste enthält 9O9
verschiedene einsilbige Nomen, hierin sind allerdings auch flektierte Formen und Eigennamen aufgeführt. Jedes Nomen ist in dieser Liste entsprechend zur Häufigkeit seiner Nennung durch die Informanten mit einer Kennzahl versehen worden. Nachdem von mir alle flektierten Formen, Eigennamen und solche Nomen mit einer Kennzahl kleiner als fünf aus der Liste herausgenommen worden waren, ergab sich eine Liste von 267 einsilbigen Nomen, die als zum Kernwortschatz gehörig klassifiziert worden sind. Da es offensichtlich außer der Frequenz keine Kriterien für die Bestimmung des Kernwortschatzes gibt, ist die Entscheidung für eine mindestens fünfmalige Nennung eines Nomens zwar willkürlich, aber leider unvermeidbar. Die Entscheidung kann aber dadurch gerechtfertigt werden, daß die zwischen zehn- und fünfmal genannten Nomen rteiner Intuition zufolge für den Sprecher/Hörer des Deutschen im Alltag eine bedeutende Rolle spielen. Es sind Nomen (in Klammern jeweils ihre Kennzahl) wie: 'der Bauch1 ( 5 ) , 'das Blut1 ( 5 ) , 'der Brief
( 9 ) , 'das Eis1 (10) etc.
Ungekehrt zähle ich die Nomen, die gar nicht von den Informanten genannt warden (also nicht in der 9O9 Nomen umfassenden Liste verzeichnet sind), zur Peripherie des Lexikons der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache. Diese Nomen tauchen im alltäglichen Leben des Sprechers des Deutschen (fast) nicht auf und können in vielen Fällen als sprachbenutzerspezifische oder als fachsprachliche Termini klassifiziert werden. Die nachfolgende Tabelle XIII listet alle Nomen des Untersuchungskorpus auf, die durch die Anwendung der aufgestellten Regeln als Negativ- oder Nullzuweisung bestimmt worden sind (vgl. Anhang 6.6). In den Spalten III und IV der Tabelle wird geprüft, ob das jeweilige Nomen im oben definierten Sinne dem Kernwortschatz bzw. der Peripherie zuzurechnen ist.
Dabei bedeutet ein Plus-
zeichen, daß das Nomen zum Kern- bzw. Peripheriewortschatz zu zählen ist, ein Minuszeichen symbolisiert das Gegenteil. In Spalte V bedeuten die Pluszeichen eine Bestätigung der These, die hier mit einem Minuszeichen markierten Nomen widersprechen ihr. Die in dieser Spalte neben den Plus- bzw. Minuszeichen befindlichen Fragezeichen sollen darauf hinweisen, daß meiner Intuition zufolge die Entscheidung entweder positiv hätte ausfallen müssen (z.B. bei "die Wut 1 ), da das jeweilige Nomen zum Kernwortschatz zählt, oder daß das Pluszeichen zwar 2
Die Liste ist mir freundlicherweise von Walter Lohnes und Alan Pfeffer (Institut for Basic German, Stanford University) zur Verfügung gestellt worden. Ich habe mich für diese Frequenzwortliste entschieden, weil sie zum einen umfangreich genug ist, um einen sinnvollen Vergleicn durchzuführen, und zum anderen, weil durch sie neueste Erhebungen repräsentiert werden.
118
gerechtfertigt ist, jedoch nicht, wie durch den Vergleich mit der Frequenzwortliste nahegelegt, durch die Eingliederung des Nomens in den Peripheriewortschatz, sondern im Gegenteil, weil das Nomen zum Kernwortschatz zu zählen
ist
1
(z.B. bei 'der Zeh ). In einer Reihe von Fällen steht also meine Intuition der Klassifizierung der Nomen durch die Wortliste entgegen; es ist jedoch eine prinzipielle Unzulänglichkeit . von Frequenzwortlisten der gesprochenen Sprache, daß ihre Wbrteintragungen und die dazugehörigen Kennzahlen, die in Spalte III von i&belle XIII in Klammern angegeben worden sind , oft von der Thematik der ausgezählten Konversationen abhängig sind. Die Ausrufungszeichen in Spalte V sollen andeuten, daß bei diesen Nomen eine Genusschwankung ohne Bedeutungsveränderung vorliegt und daß das jeweils andere Genus durch die Regeln erklärt wird. Tabelle XIII:
Vergleich der Negativ- und Nullzuweisungen durch den Computer mit einer Wortliste des Instituts für 'Basic German1 an der Stanford University:
einsili» . Nomen des Untersuchungskorpus
das Amt
II
III
IV
V
durch die Anwendung der Regeln '-'/'O 1
im Kemwortschatz enthalten
das Nomen ist der Peripherie zuzurechnen
die These wird bestätigt
+ (17)
_
der Bär
das Balg das Band die Band
+ (7)
das Bein das Bett
+ (32)
das Bier
+ (26)
das Bild die Bill
+ (66)
die Boe
das Bräu das Bridge der Bronn
3 Es sei hier angemerkt, daß die Kennzahlen nur einen sehr begrenzten Aussagewert haben, da es mir leider nicht gelungen ist, den Umfang des Gesamtkorpus von Lohnes/Pfeffer festzustellen. Mir ist lediglich bekannt, daß in dem Korpus 11.137mal einsilbige Nomen genannt werden, wobei diese Anzahl der Nennungen sich auf 9O9 verschiedene einsilbige Nomen verteilt.
119
rortsetzung von Tabelle XIII:
einsilb. Nomen des Untersuchungskorpus
II
III
IV
V
durch die Anwendung der Regeln '-'/'O'
im Kernwort schatz enthalten
das Noten ist der Peripherie zuzurechnen
die These wird bestätigt
das Bruch der Brunn
_
die Brust das Bund
+ (10)
das Camp die Crew das Ding
+ (18)
das Dings
+ (9)
der Dorn der Duft der Ern
O
der Ernst
O
+ (7)
das Fakt das Feld
+(22)
das Fest
+ (25)
der Fink der Fleck das Fleisch
+ (23)
das Fließ das Flöz das Floß die Fluh der Frank der Garns + (144)
das Geld der Germ
0
das Golf das Gong die Gur
das Haff die Hand der Harm
+ (78) 0
_
120 Fortsetzung von Tabelle XIII: I
II
III
IV
einsilb. Nomen des Uhtersuchungskorpus
durch die Anwendung der Regeln '-'/O 1
im Kernwortschatz enthalten
das Nomen ist der Peripherie zuzurechnen
das Harz die Haut
-
+( 2 2 )
-
+
-
-
-
- ?
+ (28)
-
+
-
-
H- ?
-
+ (12)
+ -
0 -
+ (14)
-
+
-
+
Holz Huld Hulk Hut
-
+ (25)
+ -
-
-
-
-
-
-
ria.q Keks
-
-
das Kind das Kinn
-
+ (101) -
das Kips
-
das Knie die Krem
-
das Kreuz
-
die Ruf f
-
das Kulm das Kumt der Lärm das Land
das Heim das Hemd das Herz
Ha P Heu der Holk das die der die
die Laus
die Lee das Lehn das Leid das Leik
die Lex das Liesch die Luv
das Malz
die These wird bestätigt
+
+
+ +
+
+ -
+
-
+
+
+ ?
-
+ -
+
-
-
-
+
+ +
+
-
+ (8) -
-
-
+
O
-
-
+ (109) -
+ + -
+
-
- ?
-
+
+
-
+
+
-
+
+ ?
-
+
+
+
+
-
+ +
+
-
+
+ (19)
-
-·-
+
- !
- ? 1
+
H- ?
121 Portsetzung von Tabelle XIII:
einsilb. Nomen des Untersuchungskorpus
II
III
IV
V
durch die Anwendung der Regeln •-•/•O'
im Kernwort schatz enthalten
das Nomen ist der Peripherie zuzurechnen
die These wird bestätigt
das Mark das Match die Maus
+( 2 4 )
das Meer das Mensch die Munt
+ (57)
die Nacht die Naht der Nerv das Nest
+ (10)
das Netz
+ (7)
die Not
+ (10)
die Nuß + (18)
das Obst
_ 7
das Ohr das Ort das Pas
O
das Perm
o
das Pfand der Pfau die Phlox die Pier die Plebs die Prau der Pulp das Pult die Ranch
das Ren das Rund der Saft der Schacht der Schaft
_
122
Fortsetzung von Tabelle XIII:
einsilb. Nomen des Untersuchungskorpus
II
III
IV
V
durch die Anwendung der Regeln '-'/'O 1
im Kernwort schatz enthalten
das Nonen ist der Peripherie zuzurechnen
die These wird bestätigt
die Scham der Scharm
O
die Scheu
O
_
das Schild das Schilf das Schloß
+ (57)
die Schlup die Schmach das Schmalz der Sclimerz der Schneck der Schreck der Schroff das Schwär das Schwert der Schwur der See
+ (33)
die Show das Sims das Skript der Spalt der Spatz die Sphinx das Spiel
+ (48)
das Spill das Spind der Sporn das Spray die Spreu die Spring der Staat
+ (30)
die Stadt
+ (364)
123
Portsetzung von Tabelle XIII: I
eins! 1h. Nomen des Untersuchungskorpus
II
durch die Anwendung der Regeln •-•/O-
III
IV
V
im Kernwortschatz enthalten
das Nomen ist der Peripherie zuzurechnen
die These wird bestätigt
das Stift
-
-
+
+
der Strahl
-
-
+
das Stroh
-
+ (7)
-
+ ? +
das Stück
-
+ (75)
-
+
das Team
-
-
+
+ ?
der Typ
-
+ (6)
-
+
das Volk
-
-
das Wachs
-
+ (16) -
-
+ _ -p
das Wams
-
-
+
+
die Wand
-
+ (30)
-
+
das Werk
-
+ (32)
-
die Wut
-
-
-
+ _ -p
der Zeh
-
-
+
+ ?
das Zelt
-
+ (27)
-
+
der Zins
-
-
+
+ ?
Betrachtet man Tabelle XIII unabhängig von den in Spalte V mit einem Frageoder Ausrufungszeichen versehenen Nomen, so ergibt sich, daß von den 158 aufgezählten Nomen nur 28 (= 17,7%) der These einer Aufgliederung des nominalen Lexikons in Kern-, System- und Peripheriebestandteile widersprechen. Das Ergebnis verbessert sich noch, wenn man die Nomen, für die GenusSchwankung ohne Bedeutungsveränderung gilt, vernachlässigt. Diese Nomen, es handelt sich um 'das Bruch1, 'das Gong', 'das Keks' und 'die Krem", sind in Tabelle XIII durch ein Ausrufungszeichen gekennzeichnet worden. Es kann deshalb von ihnen abgesehen werden, weil durch die genuszuweisenden Regeln zumindest eines der an der Genusschwankung beteiligten Genera in Übereinstimnung mit dem Duden zugewiesen wird. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für Tabelle XIII ein Prozentanteil von 15,6% Nomen, die der These widersprechen. Berücksichtigt man die erwähnten Unzulänglichkeiten von Frequenzwortlisten und vorausgesetzt, meine eigene Intuition erweist sich als gerechtfertigt, bleiben nur sieben Nonen (·- 4 , 4 % ) zurück, die der Idee von Kern-, System- und Peripheriebestandteilen im Lexikon widersprechen. Diese Überlegung ist natürlich
124
hypothetisch und bedarf der experimentellen Überprüfung, die jedoch nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehört. Die Annahme einer Aufspaltung des Gesamtlexikons der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache in Kern-, System- und Peripheriebestandteile kann somit als angemessen betrachtet werden. Mit dem Anwachsen der Frequenz und der Ausbreitung bestimmter Nomen in alltäglicher Kommunikation nimmt die Wahrscheinlichkeit ihrer unabhängig von Regeln vorgenommenen Speicherung durch den Sprecher/Hörer des Deutschen zu; solche Nomen zählen zum Kernbestandteil des Lexikons. Für Nomen, die wenig frequent und sprachbenutzerspezifisch sind, gilt, daß auf sie kaum Regeln wirken. Diese Nomen sind keinem Integrationsmechanismus - gleichgültig, ob dieser semantisch, morphologisch oder phonologisch vermittelt ist - ausgesetzt und zählen daher zur Peripherie des Gesamtlexikons der einsilbigen Nomen.
5.
SCHLUSSBEMERKUNGEN
In diesem Teil der Arbeit soll nicht nur eine allgemeine Bewertung und Zusammenfassung der Ergebnisse erfolgen, sondern daneben sollen auch allgemeine Prinzipien zur Korrelation zwischen dem phonologischen Bau der Nomen und ihrer Genuszuweisung und die psycholinguistischen Implikationen der im dritten Teil aufgestellten Regeln zur Genuszuweisung diskutiert werden.
5.1
Bewertung der Ergebnisse
Die grundlegende These dieser Arbeit', ein Regelnetz für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache müsse auf der synchronen Ebene nachzuweisen sein, ließ sich mittels dreier Regeltypen als zutreffend feststellen. Von den drei Regeltypen standen die phonologischen Regeln im Mittelpunkt der Untersuchung. Sie stellen den Kern der empirischen Arbeit dar. Daneben wird die Möglichkeit eingeräumt, daß es allgemeinere als die beschriebenen Regeln gibt; diese könnten möglicherweise festgestellt werden, wenn nicht nur einsilbige, sondern auch mehrsilbige Nomen berücksichtigt werden. Die morphologischen Regeln beinhalten ausschließlich die Pluralflexion des Deutschen; diese exklusive Behandlung der Morphologie führt zu einem einfachen und übersichtlichen morphologischen Regelteil. Obwohl die morphologischen Prinzipien einleuchtend sind, bleiben Zweifel an ihrer postulierten Bedeutung für die Genuszuweisung bestehen, d.h. es ist unklar, ob die Pluralflexion unter der Maßgabe der Lern- und Speicherungshilfen für die GenusZuweisungen wirklich für den Sprecher des Deutschen relevant ist.
Das Prinzip der Genuszuweisung auf der
Basis der Pluralflexion verläuft in zwei Richtungen: Zum einen kann von der Pluralflexion ausgehend das Genus eines Nomens bestinmt werden, zum anderen kann angenommen werden, daß das Genus Grundlage für die Pluralflexion ist. Genau diese auf einer synchronen Ebene nicht zu klärende Frage macht die morphologischen Regeln von einem psycholinguistischen Blickwinkel aus betrachtet pro-
126
hieratisch. Schematisch dargestellt stehen sich folgende Überlegungen gegenüber: a) Der Plural von 'die Post', also 'Posten', ist dem Sprecher/Hörer des Deutschen bekannt =» die Genus Zuweisung zu 'Post' ist Femininum. b) Dem Sprecher/Hörer des Deutschen ist das Genus von 'Post1 bekannt => die Pluralbildung von "Post" ist mit großer Wahrscheinlichkeit 'Posten1. Die Pluralflexion ist für sich allein genommen wegen der Uneindeutigkeit der meisten Regeln keine starke Hilfe für die Genuszuweisung, lediglich das Pluralmorphem -(9)n stellt eine eindeutige Markierung für das Femininum bereit. Die Uneindeutigkeit der anderen Regeln löst sich in den meisten Fällen auf, wenn phonologische Regeln und eine bestimmte Hierarchie des gesamten Regelinventars berücksichtigt werden (vgl. Abschnitt 4 . 1 ) . Die Bedeutung der morphologischen Regeln für eindeutige Genuszuweisungen wird mithin erst in Verbindung mit den phonologischen Regeln deutlich. Die semantischen Regeln stellen nur einen kleinen Ausschnitt möglicher Regeln dieses Typs dar, zeigen aber, daß prinzipiell Verbindungen zwischen Genuszuweisung und Semantik existieren. Der Sprecher/Hörer des Deutschen folgt z.B. mit Bildungen wie 'das Kätzchen1 einem in der semantischen Regel (14) enthaltenen Paradigma, dem zufolge Jungtiere, sofern sie domestiziert sind, neutrale Genuszuweisung erhalten. Wenn kein selbständiges Lexem für die Benennung eines jungen Tieres im Lexikon vorhanden ist,
können Bildungen wie 'Kätzchen1 als
Versuch gewertet werden, solche 'Leerstellen' des Lexikons auszufüllen, um damit dem Paradigma zu folgen. Dieses Beispiel zeigt auch, daß es allgemeinere und überdachende Prinzipien gibt, die weit über die einsilbigen Nomen hinausgreifen. Ein solches überdachendes Prinzip könnte z.B. 'Egozentrismus' sein. Die Klassifizierungen im Deutschen für die domestizierte Tierwelt stellen dabei nur einen kleinen Ausschnitt dar: Oberbegriffe für diese Tiere sind Neutrum, ebenfalls Neutrum sind 'das Gemüse1, 'das Obst 1 , 'das Lebensrnittel1, 'das Fleisch1 etc. Bei weiteren Forschungen auf dem Gebiet der Semantik und ihrer Relevanz für die Genuszuweisung wäre die These zu überprüfen, daß es eine Tendenz gibt, Oberbegriffen für die den Menschen umgebende und existentiell wichtige Welt Has Neutrum zuzuweisen. Die unter diese Oberbegriffe subsumierbaren Nomen würden dann ihre Genuszuweisung nahezu analog zu dem für die semantische Regel (14) zugrunde gelegten Schema erhalten. Es ist festgestellt worden, daß die auf der Basis der Semantik vorgenorrmenen Genuszuweisungen die morphologischen und phonologischen Regeln dominieren.
127
Weitere Forschungen im Bereich der Semantik werden wahrscheinlich dazu beitragen können, viele der Negativ- und Nullzuweisungen auf der Basis des gegenwärtig bestehenden Regelinventars zu eliminieren. Dies wird um so eher möglich sein, als man auch eine Reihe uneindeutiger semantischer Regeln prinzipiell wird aufstellen können. Für die drei Typen von genuszuweisenden Regeln gilt folgende Einschätzung: a) Bezüglich der Nomen, die auf Menschen und Tiere referenzieren, hat das Genus einen semantischen Wert. Die Welt wird - möglicherweise auf der Grundlage eines egozentrischen Prinzips - semantisch-perzeptuell eingeteilt. Es ist möglich, daß diese Klassifizierung viel weiter reicht, als es bisher durch einige semantische Regeln ausgedrückt worden ist. b) Für die Mehrheit der Nomen des Untersuchungskorpus gilt, daß phonologiscne Prinzipien für eine maskuline Genuszuweisung verantwortlich sind, hingegen gelten semantische Prinzipien für das Neutrum. c) Das Femininum wird überwiegend durch morphologische oder semantische Regeln zugewiesen.
5.2 Allgemeine Prinzipien zur Korrelation zwischen dem phonologischen Bau der Nonen und ihrer Genuszuweisung In Abschnitt 2.1.1 findet sich die für die Arbeit zugrunde gelegte Silbendefinition. Diese sehr allgemeine Definition war für die Bildung von phonologischen Regeln ausreichend. Gleichwohl lassen sich, wenn man die Merkmale 'Silbenlänge1 und 'Sonorität' der Silbe berücksichtigt, einige allgemeine Prinzipien bezüglich der Korrelation zwischen Silbentyp und Genuszuweisung aufstel-
len. a) Unausdeiinbare Silben mit gleichzeitig geringstmöglicher Sonorität, die die Struktur [X V_,
F-,„.
.] aufweisen, haben die Tendenz, eine maskuline
oder neutrale Genuszuweisung zu veranlassen. Folgende Verteilung ist festzustellen: m = 86; f = 7; n = 27. Von den sieben femininen Wörtern bleibt, nachdem höhergeordnete Regeln als Erklärung für Ausnahmen berücksichtigt worden sind, lediglich 'die Stadt1 zurück (vgl. Abschnitt 3.3.1). Dieses Wort gehört in den Bereich des Kernwortschatzes. b) Eine weitere allgemeine Tendenz ist, daß je stärker ein Nomen in initialer oder finaler Position mit Konsonanten besetzt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um ein maskulines Nomen handelt.
128 Tabelle XIV; Distribution der einsilbigen Nomen über die drei Genera in Abhängigkeit vom Anlaut (vgl. auch Tabelle III in Abschnitt 3.3.1); m
f
n
0
26
I1
502
10 134
21 217
2 1
370 42
Wl
55 6 (2)
80 3 (2)
m/n
m/f
1,24
2,6
2,31
3,75
4,63
6,73 7,0 (21,0)
14,0 (21,0)
Die bei J, -I.. in Klammern angegebenen Werte spiegeln die Zahlenverhältnisse t l wider, wenn semantische Bestinrnungen, fachsprachliche Ausdrücke und Doppelzuvveisungen ohne Bedeutungsveränderung berücksichtigt werden. Tabelle XV: Distribution der einsilbigen Nomen über die drei Genera in Abhängigkeit vom Auslaut (vgl. auch Tabelle IV in Abschnitt 3.3.1):
m
f
n
m/n
m/f
0
33
22
22
1,5
F
478
71
204
1,5 2,34
6,73
F F
370 56
93 (49)
84
4,4
3,98 (7,56)
19 (7) -
10
5,6 •p
2,95 (8,0) •p
1
12
F F F
123
F F F F
1234
3
1
Für die allgemeinen Auslautstrukturen F..F? und F-.F-F, ist für das Verhältnis m : f ein deutlicher Rückgang gegenüber F. festzustellen. Bei näherer Betrachtung der die Strukturpositionen ausfüllenden Konsonanten fällt jedoch auf, daß bei der Struktur F..F2 allein 44 der 93 femininen Genusfälle durch eine Kombination zwischen einem Frikativ + Stopplaut /t/ besetzt sind. Für die Struktur F-F-jF, gilt, daß bei 12 femininen Nomen die Positionen F^F-, durch diese Verbindung ausgefüllt sind. Die besondere Bedeutung, die diese Auslautkotibination für die feminine Genuszuweisung hat, ist schon in Abschnitt 3.3.2.3 besprochen worden. Die in Klammern angegebenen Werte zeigen, wie sich bei Vernachlässigung dieser konkreten Lautverbindung die Genera zueinander verhalten. Genau wie bei den Anlauten gilt auch für die Auslaute, daß mit steigender Konsonantenbelastung die Tendenz, das maskuline Genus zuzuweisen, zunimmt. Die Fragezeichen in Tabelle XV sollen andeuten, daß über die Verhältnisse m : n und m : f keine Aussagen möglich sind, weil die Auslautstruktur F.F-F..F. zu schwach besetzt ist.
129
Die nachfolgenden Abbildungen 6 und 7 zeigen, wie sich die in den Tabellen XEV und XV enthaltenen Informationen graphisch umsetzen lassen. Dabei zeigt die gepunktete Linie jeweils, wie sich die Tendenz zum maskulinen Genus bei zunehmender Komplexität des An- bzw. Auslauts fortsetzen würde, wenn die oben erwähnten Bedingungen berücksichtigt werden. Die Zahlen links von der vertikalen Achse geben die in den Tabellen XIV und XV festgestellten Verhältniszahlen an.
130
Abbildung 6; Für die Anlaute der einsilbigen Noten gilt bezüglich der Verhältniszahlen für m : n bzw. m : f folgender Kurvenverlauf:
m./n-
14 A 13 ·· 12 ·.
11
··
10 ··
9 ··
8 ··
7 ··
6 '·
5 ··
4
··
3 ··
2
··
0
Anzahl der Konsonanten in initialer Position
131
Abbildung 7:
Für die Auslaute der einsilbigen Noten gilt bezüglich der Verhältniszahlen für m : n bzw. m : f folgender Kurvenverlauf:
10
7
'· t \
m. /n.
4
"
3
··
m./f.
2 "
0
F F
1 2
F F F
123
Anzahl der Konsonanten in finaler -* Position F F F F 1234
Trifft die allgemeine Tendenz, der zufolge ein Konsonantencluster im Anlaut maskuline Genuszuweisung bewirkt, mit der Auslautregel (3) zusamnen, so addieren sich die Effekte der allgemeinen Tendenz und der phonologischen Ragel. Auslautregel (3) besagt: Findet sich ein Nasallaut (/m/, /n/ oder /n/) in finaler Position, bewirkt dieses maskuline Genuszuweisung. Die unabhängige Betrachtung sowohl der Tendenz als auch der Regel läßt eine Reihe von Ausnahmen zu. Für den Fall der Addition jedoch gibt es keine neutralen Genuszuweisungen und nur zwei feminine: 'die Priem1 und 'die Spring1. Zu 'die Priem1 ist zu sagen, daß das
132
Ncmen ein Stück Kautabak bezeichnet und auch als 'die Prieme1 im Duden geführt wird. Das auslautende -e kann als Genusmarkierung betrachtet werden. 'Die Spring' ist schon weiter oben als zum Lexikon der seemännischen Fachsprache gehörend charakterisiert worden. Beide Ausnahmen gehören eindeutig in den Bereich der Peripherie. Während die unter a) erwähnte Tendenz lediglich die feminine Genuszuweisung weitgehend ausschließt, führt das Zusanmenwirken der Tendenzen a) und b) dazu, auch die neutrale Genuszuweisung gegen Null gehen zu lassen. Die allgemeine Regel lautet [X V_lang ^ (gtopp F 2(prik) ] => m. Für diese Pegel kann - wenn semantisch oder morphologisch bestinnvte Nomen, Genusschwankungen für das Femininum und Neutrum und seemannssprachliche Ausdrücke vernachlässigt werden - folgende \ferteilung gefunden werden: m = 1 O 6 ; f = O ; n = 4. Die verbleibenden neutralen Ncmen 'das Fakt 1 , 'das Kips', 'das Netz' und "das Wachs' gehören zum Kern- bzw. Peripheriewortschatz der deutschen Gegenwartssprache. Bei den im phonologisehen Regelteil aufgestellten Regeln handelt es sich in den meisten Fällen um durch sie veranlaßte Maskulinzuweisungen; einen Beweis für die synchrone Wirksamkeit dieser Tendenz liefert die Genuszuweisung zu den als Fremdwörtern markierten einsilbigen Nomen des Gesamtkorpus. Während die Nomen des Gesamtkorpus sich über die drei Genera im Verhältnis m: f : n = 4 , 5 9 : 1 : 1,57 verteilen, ist für die isolierte Betrachtung der Fremdwörter folgendes festzustellen: m : f : n = 228 : 38 : 60 = 6 : 1 : 1,58. Zieht man von den femininen und neutralen Nomen seemannssprachliche Ausdrücke, Doppelzuweisungen ohne Bedeutungsveränderung und semantisch erklärte Nomen ab, so reduziert sich die Anzahl der femininen Nomen auf 26 und die der neutralen auf 32. Daraus ergeben sich für die Fremdwörter folgende Verhältnisse der drei Genera zueinander: m : f : n = 8,77 : 1 : 1,23. Diese im Vergleich zum Gesamtkorpus deutlich höher liegenden \ferhaltniszahlen weisen darauf hin, daß im Entlehnungsprozeß das Sprachgefühl derer, die solche Wörter entlehnen, eine starke Vorliebe für das Maskulinum aufweist. Durchaus denkbar ist, daß das Maskulinum - zumindest bei Entlehnungsvorgängen - als Restklasse verbleibt, es sei denn, daß semantische Markierungen oder Analogiezuweisungen entsprechend zu einem deutschen Wort (vgl. auch Abschnitt 1.1.3) neutrale oder feminine GenusZuweisung veranlassen. Die Berechtigung der These eines für die Genuszuweisung zugrunde liegenden Regelnetzes läßt sich nicht nur auf einer synchronen, sondern auch auf einer 1 Eine Tendenz zur maskulinen Genuszuweisung zu englischen Lehn- und Fremdwörtern im Deutschen stellt auch Carstensen (1980a und 198Ob) fest.
133
diachronen Ebene nachweisen. Evidenz hierfür bietet folgende Beobachtung: Die Kombination zweier alveolarer Laute in initialer Position veranlaßt maskuline Genuszuweisung. Als Alveolare in Doppelkonsonanz sind folgende Konsonanten festzustellen: /d/, /!/, /n/ f /r/, /s/ und /t/. Für die Phonologie des Gegenwartsdeutschen gilt, daß das alveolare /r/ zu einem velaren /r/ und das alveolare /s/ zu einem palatalen /£/ movierten. Aufgrund dieser inhärenten phonologischen Entwicklungen konnte sich die allgemeine Tendenz, daß die Kombination zweier alveolarer Laute Maskulinzuweisung evoziert, nicht durchsetzen. Für die deutsche Gegenwartssprache ist für diese Lautkcmbination bei gleichzeitiger Berücksichtigung des oben beschriebenen phonologischen Movierungsprozesses folgende Verteilung der Genusfälle über die drei Genera festzustellen: Tabelle XVI;
Verteilung von Genuszuweisungen für die Kombination von Alveolaren und palatalem /s"/: Anlaut
m
f
n
/dr/
14
2
/tr/
33
3
1 -
/Sl/
22
3
/sn/
7
1
1 -
/sr/ /^t/
10 45
1
-
2
3
131
12
5
Summe
Eine Berücksichtigung der für die Gegenwartssprache aufgestellten semantischen, morphologischen und anderen phonologischen Regeln soll hier nicht erfolgen, da hieraus eine Vermischung synchroner und diachroner Verfahrensweisen resultieren würde.
5.3 Ausblick auf psycholinguistische Implikationen der Ergebnisse Bei den im dritten Teil dieser Arbeit aufgestellten semantischen, morphologischen und phonologischen Regeln für die Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache handelt es sich um ein theoretisches Konstrukt. Das bedeutet, daß die Regeln in der angegebenen Form und Abfolge weder im Spracherwerbsprozeß noch als Speicherungshilfe für den erwachsenen Sprecher des Deutschen relevant sein müssen. Da sie deduktiv hergeleitet sind, repräsentieren sie lediglich eine im Prinzip plausible Möglichkeit, die Genuszuweisung
134
zu erklären. Im Grunde hat man es hier mit einer 'black box" zu tun, deren Inneres völlig unerschlossen ist.
Es ist lediglich - aufgrund bestimmter Ein-
gabe-Ausgabe-Verhältnisse dieses Kastens - möglich, Hypothesen über seine innere Ausgestaltung und die in ihm wirkenden Mechanismen anzustellen. Allerdings sollte das theoretische Konstrukt dazu in der Lage sein, die sprachliche Fähigkeit des kompetenten Sprechers zu simulieren, d.h. das Konstrukt muß jedem Nomen, auch solchen, die vorher nicht dem Lexikon angehört haben (z.B. Fremdwörter und Neologismen), ein Genus zuweisen können. Damit wird die Produktionskapazität der aufgestellten Regeln angesprochen. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die generative Potenz der oben aufgestellten Regeln weit über die einsilbigen Nomen hinausgeht, denn von diesem Konstrukt werden zumindest auch solche Komposita in ihrer Genuszuweisung erklärt, deren letztes Nomen aus einer Silbe besteht. In diesem Sinne sind die aufgestellten Regeln also äußerst produktiv. Im vorausgegangenen Teil ist deutlich geworden, daß der Idealfall - nämlich jedem Nomen eindeutig und in Übereinstimmung mit dem Duden ein Genus zuzuweisen - nicht völlig erzielt werden konnte. Das Generierungsmodell weist in seinem gegenwärtigen Zustand in einer Reihe von Fällen entweder überhaupt kein Genus zu oder ein von der Dudenzuweisung abweichendes. Darüber hinaus besitzt das Generierungsmodell noch die Schwäche, in längst nicht allen seinen Entscheidungen eindeutig zu sein. All dies resultiert zu einem großen Teil aus praktischen Gründen, denn zum einen sollte das Modell so konstruiert sein, daß mit einem möglichst geringen Aufwand an Regeln möglichst viele Nomen in ihrer Genuszuweisung erklärt werden können. Zum anderen sollten die Regeln nicht zu komplex werden, etwa in der Form, daß gewissen Regeln noch eine Liste mit Ausnahmen beigegeben wird. Für die Maschine hätte es kein großes Problem dargestellt, eine Liste mit Ausnahmen zu 'kennen* und mit ihnen zu operieren; für das eine Genussprache erwerbende Kind ist es jedoch bedeutend schwieriger, die Ausnahmen im Gedächtnis zu markieren. a) Erwerb von Genusregeln Es wäre zu überprüfen, ob Kinder während des Spracherwerbs bestimmte Hypothesen über die Genuszuweisung aufbauen und dabei regelgeleitete Zuweisungen vornehmen oder Regeln modifizieren, verwerfen und durch neue ersetzen und ob die Ausnahmen zu den Regeln auch als Ausnahmen perzipiert werden. Die zu dieser Frage bisher nur sehr bruchstückhaft vorliegenden Untersuchungsergebnisse lassen wenigstens im Prinzip ihre positive Beantwortung zu (vgl. Abschnitt 1.2.2), allerdings ist bislang keineswegs ausreichend beschrieben, welche Stra-
135
tegien vom Kind entwickelt werden, in welchen Schritten es die Genuszuweisung der Erwachsenennorm erwirbt, ob seine Hypothesen für eine angemessene Genuszuweisung entlang bestinmten im Lexikon enthaltenen Regelmäßigkeiten verlaufen und in welchem Maße die vom Kind entwickelte Hierarchie für genuszuweisende Regeln von der des Erwachsenen abweicht. Wenn man zunächst einmal die Dcminanz der phonologisch-morphologischen (formalen) Elemente gegenüber den semantischen für den Aufbau von Regeln durch Kinder akzeptiert, und auf die Berechtigung dieser Annahme weisen alle in Abschnitt 1.2.2 geschilderten Untersuchungergebnisse hin, dann gilt es, für den formalen Teil der Regeln festzustellen, ob sich diese Regeln ausschließlich von quantitativen Merkmalen, d.h. von der tatsächlichen Frequenz bestimmter Anlaute, Auslaute etc., der Nomen im Lexikon des Kindes ableiten oder ob statt dessen eher qualitative Momente eine Rolle spielen, und zwar in dem Sinne, daß Nomen, die sich nicht in eine Regel integrieren lassen, zu ihr also als sogenannte Ausnahmen fungieren, vom Kind und den mit ihm in Interaktion tretenden Erwachsenen und Spielgefährten so häufig gebraucht werden, daß das Kind zunächst aufgrund dieser Ausnahmen Regeln entwirft. Genaugencmnen stehen sich hier die Gebrauchsfrequenz und die Eintragungsfrequenz bestimmter Nomen in dem Lexikon des Kindes gegenüber. Es ist z.B. denkbar, daß das Kind zu einem bestinmten Zeitpunkt t1 eine ganze Reihe von einsilbigen Nomen, die einen Nasallaut im Auslaut aufweisen und somit der Auslautregel (3) zufolge Maskulinum sind, schon gehört und auch selbst benutzt hat. Verhielte sich das Kind dabei regelgeleitet und somit der Eintragungsfrequenz folgend, wäre zu erwarten, daß von ihm alle oder nahezu alle Nomen mit einem Nasallaut in finaler Position als Maskulinum interpretiert werden. Hingegen weisen gerade Wörter wie 'die Hand1 oder 'die Wand1 eine hohe Gebrauchsfrequenz in der das Kind umgebenden Sprache auf. Wenn wir solche Nomen als Prototypen in dem Lexikon des Kindes verstehen, ist es durchaus möglich, daß das Kind prototypgeleitet Genuszuweisungen vornimmt und in einem relativ frühen Erwerbsstadium nasal auslautenden Nomen das Femininum zuweist. Für die Lösung dieses Problems wären Fallstudien und die Analyse von Tagebuchaufzeichnungen unabdingbare Voraussetzungen. In weitergehenden Experimenten, auch unter Zuhilfenahme von Kunstwörtern, ließe sich möglicherweise zusätzliche Evidenz für die Berechtigung bestimmter Regeln gewinnen. Die aus dem Lexikon der einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache deduktiv abgeleiteten Regeln und die zuletzt angestellten Überlegungen lassen sich mit Slobins Spracherwerbsprinzipien zur Deckung bringen. Auf der Basis verfügbarer Studien zum Spracherwerb formulierte Slobin (1973) einige Prinzipien und Universalien, die Kinder im Spracherwerbsprozeß anwenden. Eine Reihe
136
dieser Prinzipien bedürfen m.E. jedoch weiterer Evidenz aus verschiedenen Sprachen, bevor ihnen ein universaler Geltungsanspruch zugewiesen werden kann. Im löhnten dieser Untersuchung ist Slobins "Operating Principle A: Pay attention to the ends of words" (Slobin 1973: 191) von Bedeutung. Ausgangspunkt für die Aufstellung dieses Prinzips war die Beobachtung, daß zwei billnguale Mädchen, die Ungarisch und Serbokroatisch lernten, die Lokativmarkierungen im Ungarischen eher gebrauchten als im Serbokroatischen. Slobin argumentiert, daß die Lokativmarkierungen sich im Serbokroatischen in einer perzeptuell weniger dominanten Position befinden als im Ungarischen; denn während im Serbokroatischen Präpositionen als Lokativmarkierungen fungieren, sind es im Ungarischen Morpheme am Ende der Wörter. Untersuchungsergebnisse aus verschiedenen anderen Sprachen (Russisch, Englisch, Deutsch, Polnisch, Türkisch, Finnisch, Koreanisch etc.) illustrieren, daß die sprachliche Beherrschung der Lokativität eher erworben wird, wenn ihre Umsetzung durch Morpheme am Ende der Wörter geschieht. Aufgrund dieser Daten formuliert Slobin (1973:191) folgende Universalie: "Universal A: Post-verbal and post-nominal locative markers are acquired earlier than pre-verbal and pre-nominal locative markers." Slobin begründet diese Universalie mit dem Spracherwerbsprinzip A, dem zufolge Kinder ihre Aufmerksamkeit auf die Wortendungen richten, weil sie sich in einer perzeptuell dominanten Position befinden. Da diese Universalie nicht nur für Lokativmarkierungen gilt, sondern auch andere Flexionssysteme betrifft, wie z.B. Kasusmarkierungen im Rassischen, Polnischen etc. oder Negationsmorpheme im Französischen, modifiziert Slobin seine Universalie A folgendermaßen: "Universal A1: For any given semantic notion, grammatical relations in the form of suffixes or postpositions will be acquired earlier than realizations in the form of prefixes or prepositions." (Slobin 1973:192) Wichtig für die psycholinguistischen Implikationen dieser Arbeit ist auch "Operating Principle E: Underlying semantic relations should be marked overtly and clearly." (Slobin 1973:202) Dieses Prinzip, für dessen Wirksamkeit Slobin nur wenige Belege anführt, gipfelt in "Universal E1: A child will begin to mark a semantic notion earlier if it's morphological realization is more salient perceptually (ceteris parihus)." (Slobin 1973:202)
137
Die übergeneralisierung bestimmter sprachlicher Phänomene ist eine weitere Strategie, die von Kindern während des Spracherwerbsprozesses angewendet wird. Slobin (1973:204) formuliert "Operating Principle F: Avoid exceptions." Dieses Prinzip manifestiert sich in einer Anzahl von Universauen. Eine von ihnen ist "Universal F1: The following stages of linguistic marking of a semantic notion are typically observed: (1) no marking, (2) appropriate marking in limited cases, (3) overgeneralization of marking (often accompanied by redundant marking), (4) full adult system." (Slobin 1973:205) Slobin führt als Beispiel die Präteritunmarkierungen für englische Verben an. Im ersten Stadion ignorieren Kinder solche Markierungen nahezu völlig: Verben wie 'to break1 und 'to drop1 werden in einem Präteritum-Kontext ohne Flexionsmarkierungen gebraucht, im zweiten Stadium tauchen dann einige Flexionen im Zusammenhang mit bestimmten Wörtern auf, z.B. 'broke1. Während dieses Stadiums haben die Kinder noch keine allgemeine Regel formuliert. Im dritten Stadium werden Ubergeneralisierungen der regelmäßigen Flexionen vorgenommen, z.B. "breaked", 'dropped1 oder "breakted1, 'dropted'. Gleichzeitig wird bisweilen auch die korrekte Form gebraucht, in vielen Fällen jedoch, wie bei dem unregelmäßigen Verb 'to break', wird die Präteritunmarkierung -ed für regelmäßige Verben anstelle der internen Vokalverschiebung von /-ea-/ nach /-o-/ wie in Stadium (2) benutzt. Wahrend des vierten Stadiums macht das Kind vollen Gebrauch von der Erwachsenengratmiatik, d.h. es läßt bestimmte Restriktionen auf die Regeln operieren, wodurch erreicht wird, daß die Regeln in einem gegebenen Kontext korrekt angewendet werden, also: 'broke1 und "dropped1. Für das Problem der Genuszuweisung zu den einsilbigen Nomen der deutschen Gegenwartssprache könnten diese Slobinschen Prinzipien in folgender Weise Anwendung finden: Im dritten und vierten Abschnitt dieser Arbeit konnte auf der Basis der Lexikoneintragungen die allgemeine Regel aufgestellt werden, daß in Konfliktfällen zwischen phonologischen Regeln die Auslautregeln die anderen phonologischen Regeln dominieren. Sollte sich in psycholinguistischen Experimenten tatsächlich Evidenz für eine solche Strategie für die Genuszuweisung finden lassen, wäre für Slobins Operating Principle A eine reale Grundlage im Laxikon selbst angelegt. Diese Beobachtung gilt auch für die mehrsilbigen Substantive des Deutschen, da lediglich eine Reihe von Suffixen eindeutige Genusmarkierungen bereitstellen, jedoch nie die Präfixe. Denkbar ist, daß die am
138
frühesten von Kindern aufgestellten Regeln die Auslaute der Nomen zur Grundlage haben und daß auch dann nur den konsistentesten phonologischen Informationshilfen für die Genuszuweisung gefolgt wird. Erst im weiteren Verlauf des Spracherwerbs werden vom Kind Restriktionen (z.B. semantische) gegenüber diesen Regeln aufgestellt. Dieses fortschreitende Differenzieren von Regeln wird sich in dem Maße vollziehen, wie neue Wörter, die sich mit ihrer Genuszuweisung nicht mit den von den Kindern aufgestellten Regeln vereinbaren lassen, das Lexikon des Kindes erweitern. Das Kind wird, dem Slobinschen Prinzip "Avoid exceptions" folgend, phonologisch-norphologische Unregelmäßigkeiten durch neue Regeln zu erklären suchen. Die Vielfalt der morphologischen und phonologischen Regeln des Deutschen und ihre unterschiedliche Produktivität lassen dem Kind wahrscheinlich zunächst gar keine andere Wahl, als Ubergeneralisierungen vorzunehmen. Erst in einem späteren Stadium werden - auch wegen ihrer vom Kind unbewußt erkannten sprachlichen Leistungen - Differenzierungen von Regeln vorgenatmen. Im Rahmen des Differenzierungsvorgangs von Regeln für die Genuszuweisung ist der Semantik der Nomen wahrscheinlich eine relativ mächtige Erklärungskraft für Ausnahmen zu formalen Regeln zuzuschreiben, allerdings wird die Semantik erst relativ spät im Spracherwerb relevant werden, da dem Kind zunächst einmal die Kriterien für die Aufstellung semantischer Regeln zugänglich sein müssen. Das zuletzt Gesagte steht nicht unbedingt im Widerspruch zu der Auffassung von Karmiloff-Smith (1978), daß phonologisch-norphologische Fähigkeiten mit syntaktischen, pragmatischen und semantischen koexistieren (vgl. Abschnitt 1.2.2). Es soll hier lediglich darauf aufmerksam gemacht werden, daß zum einen zwischen den verschiedenen semantischen Regeln und ihrer Produktivität im Spracherwerb sehr genau zu unterscheiden ist und daß zum anderen für die produktive Anwendung semantischer Regeln weitergehende kognitive Voraussetzungen geschaffen sein müssen als für formale Regeln. Bezüglich der Koexistenz von semantischen und formalen Fähigkeiten bedeutet das, daß nur sehr offensichtliche semantische Regeln und diese auch erst ab einem bestimmten Alter gleichwertig neben formalen Regeln im Sprachgebrauch des Kindes nachzuweisen sein werden. Möglicherweise werden solche semantischen Regeln, die auf das natürliche Geschlecht referenzieren und zudem in der Sprachproduktion der Erwachsenen gegenüber dem Kind relativ häufig sind, eher erkannt und im Spracherwerbsprozeß des Kindes produktiv werden als solche, die nur einen sehr kleinen Ausschnitt des Lexikons widerspiegeln und deren Gebrauchsfrequenz relativ niedrig
ist.
139
Erkenntnisleistung und produktiver Gebrauch von zugrunde liegenden semantischen Relationen durch das Kind werden in den Fällen am ehesten nachzuweisen sein, wo eine semantische Klasse auch in ihrer morphologischen Realisation markiert ist. Hiermit wird auf Slobins Operating Principle E eingegangen. Als Beispiel für die Genusmarkierung im Deutschen mögen hierfür mehrsilbige Nomen fungieren. Für belebte Nomen + Agensmarkierung -er gilt im Deutschen maskuline Genuszuweisung. Hier wird also durch eine eindeutige und klare morphologische Markierung, die sich zudem noch in einer perzeptuell auffälligen Position am Wertende befindet, eine semantische Klasse beschrieben. Diese Fälle, bei denen ivbrphologie und Semantik quasi als doppeltes, einander nicht widersprechendes Markierungssystem operieren, sollten im Rahmen des Erwerbs genuszuweisender Regeln mit am frühesten vom Kind beherrscht werden. Andererseits gibt es im Deutschen Nomen, die zwar belebt sind, jedoch nur scheinbar die Agensmarkierung aufweisen, z.B. 'die Mutter1 oder "die Schwester1. Die Wortendung -er fungiert hier nicht als Ableitungsmorphem, sondern ist Bestandteil eines mehrsilbigen Morphems. Für die sprachlichen Produktionen des Kindes sind für solche Fälle zum einen übergeneralisierungen der maskulinen Genuszuweisung und zum anderen Schwankungen in der Genuszuweisung, die auf eine Koexistenz zwischen formalen und semantischen Markierungen hinweisen, zu erwarten. Äußerungen des Kindes wie "Der Mutter ist im Garten, sie will..." sollten also im Laufe des Spracherwerbs zu beobachten sein. Zusammenfassend läßt sich für den Erwerb genuszuweisender Regeln folgende Abfolge von Stadien prognostizieren: (1) Das Kind wird Genuszuweisungen willkürlich vornehmen; (2) das Kind entwirft auf der Basis bestimmter, sehr konsistenter phonologischmorphologischer Markierungen Regeln. Die Regeln werden zunächst nur die konsistentesten Markierungen betreffen; (3) im weiteren Verlauf des Spracherwerbs werden weitere, weniger konsistente formale Markierungen berücksichtigt werden, übergeneralisierungen dieser Regeln werden häufig zu beobachten sein; (4) das Kind erkennt allmählich bestimmte semantische Klassen, die nicht nur die Bildung genuszuweisender Regeln ermöglichen, sondern zudem dazu in der Lage sind, Ausnahmen zu formalen Regeln zu erklären. Für eine kurze Zeitspanne des Spracherwerbsprozesses wird ein Konflikt zwischen formaler und semantischer Genuszuweisung in den Sprachproduktionen des Kindes auftreten; (5) das Kind erkennt, daß die semantiscnen Regeln die formalen dominieren, daß morphologische Regeln isolierte phonologische Regeln dominieren und daß bestimmte Nomen sich genuszuweisenden Regeln völlig entziehen. Das Kind läßt
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entsprechende Restriktionen auf seine Regeln operieren und folgt damit dem Erwachsenensystem. Aus einer Spracherwerbshilfe für das Problem der Genuszuweisung zu den Nomen ist ein Speicherungs- und Produktionssystem für die Genuszuweisung geworden. b) Speicherung von Genusregeln Der erwachsene Sprecher des Deutschen hat entweder die Möglichkeit, eine korrekte Genuszuweisung auf der Basis der aufgestellten oder anderer Regeln vorzunehmen, oder er hat die angemessene Genuszuweisung zusamnen mit dem Nomen zu speichern. Die Speicherung von Nomen + Genus als Einheit bezieht sich wahrscheinlich überwiegend auf in der Alltagssprache sehr gebräuchliche Nomen, wie z.B. 'die Hand1. Dieses Nomen liegt in dem Geltungsbereich der Auslautregel (3), stiitmt jedoch mit der damit verbundenen Zuweisungsvorschrift für das Maskulinum nicht überein. Insofern ist für die zum Kemwortschatz zu zählenden Nomen, die gleichzeitig häufig auch Ausnahmen zu Regeln bilden, anzunehmen, daß der Erwachsene auf diese Nomen keine Zuweisungsstrategien in der Form von Regeln operieren läßt, sondern statt dessen das Nomen mit seinem Genus gelernt hat. Für weniger häufige Nomen sollten semantische, morphologische und phonologische Regeln wirken, die im Prinzip das Aussehen der im dritten Abschnitt entwickelten Regeln haben. Nur durch das Zusarrmenwirken dieser beiden Zuweisungsstrategien ist die Sicherheit und der Grad der Korrektheit bei der Genuszuweisung durch erwachsene Sprecher des Deutschen zu erklären. Da wir bislang lediglich wissen, daß der Sprecher des Deutschen jedem Nomen ein Genus zuweist, und zwar auch solchen, die er vorher noch nie gehört hat (vgl. Abschnitt 1.1.3), sind die beiden Zuweisungsstrategien vorerst als Hypothesen zu betrachten. Die in dieser Arbeit aufgestellten Regeln sind deduktiv aus dem Wortschatz abgeleitet worden. Dabei dominiert in der Regelhierarchie die Semantik die Morphologie und die Morphologie die Phonologie. Die grundsätzliche Frage ist, ob die Regeln selbst psychologisch real sind und ob die angenomnene Hierarchie zur Sprecher/Hörer-Kompetenz zu zählen ist. Es ist vorstellbar, daß folgende, für das Konstrukt nicht berücksichtigte, für die psychologische Realität jedoch möglicherweise entscheidende Faktoren die Wirksamkeit und Stärke von Regeln beeinflussen: a) Das Verhältnis der von einer Regel betroffenen Nomen im Wortschatz zu der Anzahl der zu der Regel existierenden Ausnahmen; b) die Anzahl der von einer Regel betroffenen Nomen im spezifischen Lexikon des Sprechers;
141
c) die Frequenz der Nomen einer Regel in der Alltagssprache (festzustellen über Frequenzwörterbücher); d) die Frequenz, mit der Nomen einer Regel von spezifischen Sprechern wahrgenommen bzw. produziert werden; e) die Frequenz, mit der das Genus von Nomen einer Regel in der Alltagssprache morphologisch markiert ist; beispielsweise sind einige physikalische Einheiten zwar sehr gebräuchlich, jedoch werden sie weder häufig mit dem bestimmten Artikel gebraucht noch wird auf sie häufig mit Pronomen referenziert, z.B. 'das Watt1 oder 'das Volt'. Für die weitere um die psychologische Realität von Genusregeln als Speicherungshilfe bemühte Forschung wird es darum gehen, den Grad der Übereinstimmung von Sprechern bei wenig bekannten oder noch nie gehörten Nomen und ihrer jeweiligen Genuszuweisung festzustellen. Weiterhin muß überprüft werden, inwieweit die Genuszuweisungen phonologisch oder semantisch geleitet sind oder einfach geraten werden und ob morphologische Regeln für die korrekte GenusZuweisung relevant sind. Die Rolle der Pluralflexion für die Genuszuweisung läßt sich m.E. 2 relativ einfach durch eine Umkehrung des Berko-Tests nachweisen. Im Modell dominiert die Semantik die morphologischen und phonologischen Regeln, daher muß unter Zuhilfenahme von Kunstwörtern und Wort-Bild-Präsentationen untersucht werden, ob diese Hierarchie den Speicherungsstrategien für Genuszuweisungen entspricht. Schließlich ist die Frage zu stellen, ob der Sprecher/Hörer des Deutschen Ausnahmen zu Regeln auch als Ausnahmen perzipiert und inwieweit er dazu in der Lage ist, seine Bewußtheit über Regelmäßigkeiten zu artikulieren bzw. im Verhalten zu äußern. In einem Experiment könnte überprüft werden, ob unter Zeitdruck vorgenommene Genuszuweisungen zu einer ganzen Reihe von Nomen dazu führen, daß bestimmte Nomen eine von der Dudenzuweisung systematisch abweichende Genuszuweisung erhalten. Dies wäre m.E. als Evidenz für eine im Verhalten geäußerte Bewußtheit von Regelmäßigkeiten zu interpretieren. Es ist anzunehmen, daß der Sprecher des Deutschen auf der einen Seite die Genuszuweisungen zu vielen Nomen unabhängig von Regelmäßigkeiten gelernt hat und auf der anderen Seite entlang bestimmter Regelmäßigkeiten GenusZuweisungen vornimmt. Das Nomen 'die Kür 1 ist sowohl durch die morphologische Regel (4) als 2 Berko (1958) hatte englischsprachigen Kindern Kunstwörter vorgelegt, die in ihrem Aufbau der englischen Phonologie folgen. Die Kinder wurden von Berko gebeten, zu den Kunstwörtern den Plural zu bilden. Eine Lmkehrung dieses Verfahrens würde bedeuten, daß Kunstwörter, die der deutschen Phonologie entsprechen, mit verschiedenen Pluralflexionen dargeboten werden. Die Aufgabe der Versuchsperson wäre es dann, ihre Genusassoziation mitzuteilen.
142 auch durch die phonologische Auslautregel (1) als Femininum markiert, trotzdem ist es denkbar, daß das Wort unabhängig von diesen Regeln zusanmen mit seiner Genuszuweisung gespeichert ist.
Die Frage ist dann jedoch, was auf einer psy-
chologischen Ebene eine Ausnahme ist und wie sie identifiziert werden kann. Der Sprecher des Deutschen 'kennt' bestirtmte Prinzipien, parallel hierzu hat er eine ganze Reihe von Nomen unabhängig von diesen Prinzipien gespeichert. Wenn er trotz der ihm bekannten Regelmäßigkeiten ein von ihnen abweichendes Genus zuweist, kann angenommen werden, daß ihm diese GenusZuweisung als Ausnahme bekannt ist.
Zum Beispiel könnt das Nomen 'die Hand' häufig im Plural vor, auf-
grund der Pluralflexion dieses Nomens entfällt eine neutrale Genuszuweisung. Die Auslautregel (3) veranlaßt zu diesem Nomen maskuline Genuszuweisung, trotzdem wird der Sprecher des Deutschen in den meisten Fällen "die Hand' sagen. Dieses Nomen kann unter der Voraussetzung, daß die formalen Regeln dem Sprecher bekannt sind, als ihm bewußte Ausnahme interpretiert werden. c) Zur Produktivität von Genusregeln Jedesmal, wenn der Sprecher des Deutschen eine Genuszuweisung produziert, sei es am Artikel, am Adjektiv oder am Pronomen nachzuweisen, muß er eine Assoziation zwischen Nomen und Genus herstellen. Das setzt voraus, daß das Genus nicht als Bestandteil des Wortes verstanden werden kann. Für den Fall, daß ein konkretes Nomen zu dem substantivistischen Lexikon des Sprechers gehört, braucht die Produktivität nicht notwendig eine Rolle zu spielen. Denkbar ist,
daß ent-
weder eine Einzelassoziation zwischen dem Nomen und seinem Genus existiert oder daß eine regelgeleitete Assoziation auf der Basis der Lautgestalt oder des semantischen Bezugsfeldes des Nomens entsteht. Für den Fall, daß ein Nomen nicht zum substantivischen Lexikon des Sprechers gehört - dies können Fremdwörter, nicht bekannte deutsche Wörter oder nominalisierte Wörter aus anderen Wortklassen sein -, muß eine Genuszuweisung aufgrund irgendwelcher produktiver Prinzipien zustande können. Für nominalisierte und nicht explizit morphologisch markierte Wörter, die dem Sprecher auch als Bestandteile anderer Wortklassen bekannt sein können, gilt das sehr klare und einfache Prinzip der neutralen Genuszuweisung. Für die dem Sprecher unbekannten Nomen lassen sich für die Frage der Produktion von Genuszuweisungen folgende Hypothesen aufstellen: 1. Dem Nomen wird nach dem Vorbild eines Prototyps ein Genus zugewiesen; hierbei kann die Genuswahl aufgrund semantischer Übereinstimmungen mit einem bekannten Wort erfolgt sein, wie z.B. bei 'das Match' in semantischer Analogie zu 'das Spiel', oder die Genuszuweisung ist ein Produkt lautlicher Uberein-
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stinrtungen zu einem den Sprecher bekannten Wort. 2. Unbekannten Nomen wird aufgrund irgendwie strukturierter Regeln ein Genus zugewiesen; die Regeln können entweder semantischen oder phonologischen Prinzipien folgen. 3. Nicht von vornherein auszuschließen ist die Möglichkeit, daß der Sprecher unbekannten Nomen nach dem Zufallsprinzip ein Genus zuweist. Die zuletzt aufgestellte Hypothese sollte aufgrund der Ausführungen in dieser Arbeit und aufgrund von inzwischen unzählig vielen psycholinguistischen Studien unwahrscheinlich sein. Der Mensch duldet in seiner Grammatik einen gewissen, den Kemwortschatz betreffenden Grad von Arbitrarität, der größte Teil seiner Sprachlichkeit ist jedoch aufgrund von Erwerbs-, Speicherungs- und Produktionsbedingungen regelgeleitet.
6.
ANHÄNGE
6.1 Anlautende Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen /b/ /d/ /f/ , , /g/
Ar/ /kv/ /pf/ , ,,
/pl/
/h/
/pr/
/j/ A/
/ps/ /sf/
/!/ /iV /n/
/sk/ /sl/ /sm/
/P/ /r/ /t/ /v/
/st/ /sv/ /tr/ /ts/
/z/
/vr/
/!/ /bl/ /br/ /dr/
/Sl/ /V /In/
/fj/ /fV /fr/
/sv/ /pfl/
/gl/ /gn/ /gr/ AI/
/pfr/ /skr/ /spl/ /tsv/
An/
/Spr/ /Itr/ /0/ = die Position des anlautenden Konsonanten bleibt 'leer1
145
6.2 Auslautende Konsonanten bzw. Konsonantenverbindungen /b/ /«?/
/nS/ /pf/
/rps/ /rst/
/f/ /g/ A/
/ps/ /pt/ /r