Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich: Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen [1 ed.] 9783428581481, 9783428181483

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German Pages 804 [805] Year 2021

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Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich: Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen [1 ed.]
 9783428581481, 9783428181483

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Studien zum vergleichenden Privatrecht Studies in Comparative Private Law Band / Volume 14

Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen

Von

Karolina Badura

Duncker & Humblot · Berlin

KAROLINA BADURA

Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich

Studien zum vergleichenden Privatrecht Studies in Comparative Private Law Band / Volume 14

Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen

Von

Karolina Badura

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2567-5427 ISBN 978-3-428-18148-3 (Print) ISBN 978-3-428-58148-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2019 bei der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation eingereicht und im April 2020 von ihr angenommen. Anlässlich der Veröffentlichung wurde die Arbeit auf den Stand von August 2020 gebracht. Zunächst möchte ich mich herzlich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Richard Giesen für die Betreuung dieser Arbeit und seine vielen wertvollen Anregungen bedanken. Bei Herrn Prof. Dr. Martin Franzen bedanke ich mich vielmals für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ein außerordentlich großer Dank gebührt zudem Herrn Prof. Dr. Aleksander Kappes von der Universität Łódz´ für seine gutachterliche Stellungnahme zu meiner Arbeit aus Sicht des polnischen Rechts. Darüber hinaus möchte ich mich von ganzem Herzen bei meinen Eltern dafür bedanken, dass sie mir den eingeschlagenen Lebensweg überhaupt erst ermöglicht haben, stets an mich geglaubt haben und mich in jeder Lebenssituation unterstützt und ermutigt haben. Mein tiefster Dank gilt jedoch meinem Ehemann Christian, ohne dessen Rückhalt, Verständnis und Zuspruch die Fertigstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Als gebürtige Polin, die mehrere Jahre im wunderschönen Pless (Pszczyna) in Polen aufwachsen durfte, bin ich nach wie vor sehr mit meiner Heimat verbunden. Die Erstellung dieser Arbeit hatte für mich daher eine ganz besondere Bedeutung. Gewidmet ist diese Arbeit meinen geliebten Söhnen Benedict und Leonard. München, im Februar 2021

Karolina Badura

Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einführung

29

A. Leitgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

B. Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

C. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

Kapitel 2 Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und Polen

37

A. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung des deutschen Mitbestimmungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 82

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sozialtheorien des Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marxismus und Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Katholische und evangelische Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Selbstverwaltungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 157 159 163 171 172 173

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Garantien der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kollektivarbeitsrechtliche Grundstrukturen und Grundprinzipien . . . . . . . . .

175 175 182 184

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kapitel 3 Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

207

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung 207 I. Rechtsgrundlagen der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

8

Inhaltsübersicht II. Ziel und Rechtfertigung der zwingenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 239 244 268 272

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitbestimmung im Vorstand einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275 276 278 434

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Arbeitnehmerbeteiligung in sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Arbeitnehmerbeteiligung in polnischen Staatsunternehmen als Relikt aus dem Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

446 447 453 466

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Kapitel 4 Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

472

A. Die Bedeutung europäischer Entwicklungen für das deutsche und polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 B. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Gesellschaftsformen . . . . . . . . 474 I. Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 II. Die Europäische Genossenschaft („spółdzielnia europejska“) . . . . . . . . . . . . . 530 C. Grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 I. Die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . 533 II. Umsetzung der Richtlinie in Deutschland und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Kapitel 5 Unternehmensmitbestimmung im System der kollektiven Arbeitsbeziehungen

543

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 I. Funktion, Rolle und Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 II. Gewerkschaften und die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588

Inhaltsübersicht B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung . . . . . . . . . III. Verhältnis zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene und nicht gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

606 607 623 629

C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . 635 I. Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital („partycypacja kapitałowa“) . . . . . . . . 635 II. Rat des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Kapitel 6 Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

643

A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 I. Begriff, Zweck und Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 II. Corporate-Governance-Regelwerke als Steuerungs- und Kontrollinstrument 651 B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System . . . . . . . . . . . . 659 I. Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter in den Corporate-Governance-Regelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 II. Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Kapitel 7 Zukunft der Unternehmensmitbestimmung? A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . I. Kritik am deutschen Mitbestimmungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

692 693 695 700 709

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 I. Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . 710 II. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – eine nur vorübergehende Lösung? 717 Kapitel 8 Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

749

A. Bedeutung des historischen und ideologischen Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749

10

Inhaltsübersicht

B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 C. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . 763 D. Unternehmensmitbestimmung im Kontext des kollektivarbeitsrechtlichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 E. Unternehmensmitbestimmung im Lichte der Corporate-Governance-Debatte . . 766 F. Aktuelle Tendenzen und Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Kapitel 9 Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?

769

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

29

A. Leitgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 32

C. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

Kapitel 2 Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und Polen A. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung des deutschen Mitbestimmungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte der Mitbestimmungsidee in Deutschland bis 1945 . . . . . . . . . a) Erste Ansätze der Arbeitnehmerbeteiligung im 19. Jahrhundert . . . . . b) Gesetzesnovellen im deutschen Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Arbeitnehmerbeteiligung in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . d) Einbruch der Mitbestimmung unter dem NS-Regime . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung einer Unternehmensmitbestimmung in der Montanindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Betriebsverfassungsgesetz 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetze zur Sicherung der Montanmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kampf der Gewerkschaften um das MitbestG 1976 . . . . . . . . . . . . . . . e) Wesentliche Gesetzesänderungen und neue Gesetzgebung . . . . . . . . . II. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Arbeitnehmerpartizipation in den Jahren 1918–1939 . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitnehmerpartizipation in der Volksrepublik Polen (bis 1980) . . . . . . a) Die letzten Kriegsmonate und das Dekret über Betriebsräte von 1945 b) Arbeitnehmerselbstverwaltung in den Jahren 1956–1958 . . . . . . . . . . . c) Das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung von 1958 und das Ende der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitnehmerselbstverwaltung in der Krise der 1980er Jahre . . . . . . . . . . a) Wirtschaftskrise als Treiber des Partizipationsgedankens . . . . . . . . . . . b) Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 37 38 38 44 46 52 53 54 64 66 68 79 82 82 90 93 100 106 110 110 115

12

Inhaltsverzeichnis c) Einführung des Kriegsrechts und die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Vereinbarungen des „Runden Tisches“ im Jahre 1989 . . . . . . . . . . 4. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation während der Transformationsphase der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beginn der Wirtschaftsreform und Einleitung des Privatisierungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Privatisierungsgesetz von 1990 und die Abschaffung der Belegschaftsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Pakt über das Staatsunternehmen von 1993 und die Entstehung des Kommerzialisierungs- und Privatisierungsgesetzes von 1996 . . . . d) Entwicklung kollektivarbeitsrechtlicher Regelungen und des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Integration Polens in die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118 122 125 126 130 137 147 155

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sozialtheorien des Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marxismus und Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Katholische und evangelische Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Selbstverwaltungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 157 159 163 171 172 173

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Garantien der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kollektivarbeitsrechtliche Grundstrukturen und Grundprinzipien . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der soziale Dialog als Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft . . . . . . . . . b) Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 175 175 178 182 184 184 186 186 190 195

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kapitel 3 Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

207

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Rechtsgrundlagen der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Inhaltsverzeichnis 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensmitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwingende gesetzliche Mitbestimmungsvorgaben für die Gesellschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen . . . . . c) Sozialvereinbarungen zur Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel und Rechtfertigung der zwingenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Menschenwürde und Humanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichgewicht von Kapital und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kontrolle wirtschaftlicher Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Soziale Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Integrationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Förderung der Wirtschaftsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Integrationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschränkung der Arbeitnehmerrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Montanmitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. DrittelbG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mitbestimmungserhaltungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonderregelungen und Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommerzialisierungsgesetz vom 30. September 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Kommerzialisierung als Voraussetzung der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitnehmerbeteiligung auch in teilweise privatisierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bisherige Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 207 207 208 212 212 213 217 220 221 221 224 225 226 227 229 229 230 231 233 234 235 236 237 238 239 239 239 240 242 243 244 244 244 246 247 247

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Inhaltsverzeichnis bb) Neue Rechtslage seit 1.1.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwingende Arbeitnehmerbeteiligung auch bei vollständig privatisierten Unternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die kommerzialisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung („sp. z o. o.“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezielle Privatisierungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996 . . . . . . . 5. Fehlende gesetzliche Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in Unternehmen der Privatwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben und Funktionen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Zuständigkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überwachung der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Überwachungsgegenstand und -maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Überwachungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Berichtspflichten und Auskunftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Meinungsäußerung und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Einsichts- und Prüfrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personalkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorstandsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Weitere Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeiten der unternehmerischen Mitbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . c) Schutzfunktion zugunsten verschiedener Interessen und Interessengruppen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Größe des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahl der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275 276 278 278 278 280 280 281 281 283 284 285 288 294 295 297

251 259 260 262 264 266 268 268 270 272

300 302 302 302 304 306 306 308

Inhaltsverzeichnis (1) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erster Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Alleinaktionärsstellung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung des Staates . . . . (2) Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erfahrungen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahl der Anteilseignervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wahl der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Erfahrungen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wahl sonstiger und neutraler Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . d) Aktives und passives Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahlberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wählbarer Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Arbeitnehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gewerkschaftsvertreter und Gewerkschaftstätigkeit . . . . . . . . (3) Ausschluss bestimmter Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Besondere persönliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Frauenquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Ergänzende Satzungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Amtsperiode und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . 3. Auswirkungen der Mitbestimmung auf die innere Ordnung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsorganisation und Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufsichtsratssitzungen, Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung . . . 4. Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Wahl von Arbeitnehmervertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eintragungsfähigkeit ins Handels- bzw. Unternehmerregister . . . . . . . 5. Rechte und Pflichten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat . . . . . . . a) Allgemeine Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . aa) Persönliche und weisungsfreie Amtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kontroll- und Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Pflicht zur Wahrung des Unternehmensinteresses . . . . . . . . . . . . .

15 308 309 309 310 312 314 314 314 317 317 319 319 325 325 326 327 327 330 330 333 343 347 352 354 356 360 360 363 368 374 375 381 388 391 391 392 393 395

16

Inhaltsverzeichnis dd) Sorgfaltspflichten und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (1) Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (2) Allgemeine Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 (3) Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 (4) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 ee) Recht auf Vergütung und Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 b) Besondere Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter . . 416 aa) Behinderungs- und Benachteiligungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 bb) Freistellung und Entgeltfortzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 cc) Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 6. Funktion, Rolle und Bedeutung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 a) Informationsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 aa) Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat („nach oben“) . . . . . 423 bb) Informationsvermittlung an die Belegschaft („nach unten“) . . . . . 426 b) Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess im Aufsichtsrat . . . . . . . . . 427 c) Einfluss auf unternehmenspolitische Entscheidungen? . . . . . . . . . . . . . 429 d) Besondere Bedeutung während der Privatisierungsprozesse . . . . . . . . . 433 III. Mitbestimmung im Vorstand einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 1. Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors/Arbeitnehmervertreters 435 2. Funktion und Bedeutung des Arbeitsdirektors/Arbeitnehmervertreters . . 442

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen . . . . . . . . . . . . . . 446 I. Die Arbeitnehmerbeteiligung in sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 II. Die Arbeitnehmerbeteiligung in polnischen Staatsunternehmen als Relikt aus dem Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 1. Das Staatsunternehmen als Rechtsform sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 2. Das Modell der Arbeitnehmerselbstverwaltung nach den Gesetzen von 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 a) Organisationsverfassung des Staatsunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 aa) Der Direktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 bb) Der Belegschaftsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 cc) Die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung . . . . . . . . . . . . . 459 b) Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 c) Vergleich mit der Arbeitnehmerbeteiligung in Kapitalgesellschaften . 463 3. Arbeitnehmerbeteiligung bei Fremdverwaltung des Staatsunternehmens . 465 III. Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

Inhaltsverzeichnis

17

Kapitel 4 Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

472

A. Die Bedeutung europäischer Entwicklungen für das deutsche und polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 B. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Gesellschaftsformen . . . I. Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungskonzept der SE-RL zur Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . a) Zielsetzung der SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subsidiäre Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung der europäischen Vorgaben in Deutschland und Polen . . . . . . a) Gegenstand, Zielsetzung und räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . b) Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einleitung des Einberufungsverfahrens und Information . . . . . . . bb) Sitzverteilung auf Mitgliedstaaten und Gesellschaften . . . . . . . . . cc) Persönliche Voraussetzungen der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zuständigkeit, Wahlgremium und Urwahl . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Quorums- und Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitnehmerbeteiligung kraft Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhandlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Arbeitnehmerbeteiligung kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geltung der Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammensetzung und Befugnisse des Vertretungsorgans . . . . . . (1) Wahlverfahren und Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Innere Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zuständigkeiten des Vertretungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Sachverständige, Kosten und Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regeln für die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen . . . . (1) Verteilung der Sitze auf die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . (2) Ermittlung der inländischen Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . (3) Persönliche Voraussetzungen der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . e) Geheimhaltungspflicht und Tendenzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . g) Missbrauchsverbot, Straf- und Bußgeldvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praktische Bedeutung und Akzeptanz der SE in Deutschland und Polen II. Die Europäische Genossenschaft („spółdzielnia europejska“) . . . . . . . . . . . . 1. Regelungskonzept der SCE-RL zur Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . .

474 474 476 476 476 478 479 481 482 482 484 486 489 489 493 494 494 499 503 504 505 506 508 509 511 513 514 515 518 519 521 524 526 530 531

18

Inhaltsverzeichnis 2. Umsetzung ins nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

C. Grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 I. Die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . 533 II. Umsetzung der Richtlinie in Deutschland und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

Kapitel 5 Unternehmensmitbestimmung im System der kollektiven Arbeitsbeziehungen A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktion, Rolle und Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Kompetenzen der Gewerkschaften a) Gewerkschaftsbegriff und -merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründung, Organisationsstruktur und Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . aa) Gründung und Binnenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufbau des Gewerkschaftssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompetenzen der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einfluss auf die Arbeits- und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tarifvertragsverhandlungen und -abschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zuständigkeiten auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Sonstige Befugnisse und Einflussmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechte und Schutz von Gewerkschaftsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rolle der Gewerkschaften während der Transformationsprozesse bb) Gegenwärtige Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewerkschaften und die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzungen und Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überschneidungen in sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personelle Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrenz oder Einfluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gewerkschaften – friend or foe der Unternehmensmitbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfluss der Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

543 544 544 545 546 549 549 550 555 558 560 561 565 565 572 574 576 576 577 577 581 588 588 588 590 592 592 600

Inhaltsverzeichnis B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arbeitnehmerräte in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammensetzung und Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompetenzen des Arbeitnehmerrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kosten, Verschwiegenheit und sonstige Rechte bzw. Pflichten . . . . . . e) Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmerrat und Arbeitgeber . . . . . . . . 3. Betriebliche Ad-hoc-Repräsentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Arbeitnehmervertretung bei Arbeitssicherheit und -hygiene . . . . . . . . . . . 5. Europäische Betriebsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung . . . . . . . . . III. Verhältnis zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene und nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

606 607 607 608 609 612 615 618 619 619 621 622 623 629 629 632

C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . 635 I. Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital („partycypacja kapitałowa“) . . . . . . . . 635 II. Rat des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Kapitel 6 Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

643

A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 I. Begriff, Zweck und Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 II. Corporate-Governance-Regelwerke als Steuerungs- und Kontrollinstrument 651 B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System . . . . . . . . I. Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter in den Corporate-Governance-Regelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen bei der Definition des Unternehmensinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Empfehlung der Europäischen Kommission 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit im DCGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unabhängigkeit in polnischen Corporate-Governance-Regelwerken . II. Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzögerte Entscheidungsprozesse und mangelnde Handlungsfähigkeit . 2. Aufsichtsrat als Forum der Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

659 661 661 664 664 665 670 677 678 679

20

Inhaltsverzeichnis 3. Mangelnde Professionalität und Fachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 4. Eingeschränkte Information und Marginalisierung des Aufsichtsrats durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Kapitel 7 Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

692

A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . I. Kritik am deutschen Mitbestimmungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mäßigung des gesetzlichen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausweitung der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

693 695 700 700 702 705 706 709

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – eine nur vorübergehende Lösung? 1. Tendenzen in Rechtswissenschaft und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generelle Zurückhaltung gegenüber der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitnehmerräte als vorzugswürdiges Mittel der Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Andere Formen der Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzesprojekt 2006/2007 über ein Kollektivarbeitsgesetzbuch und die weitgehende Einführung von Unternehmensmitbestimmung in allen Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reformvorhaben 2010/2011 zur Abschaffung der gesetzlichen Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in kommerzialisierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorschläge der Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts vom 14. März 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

710 710 717 718 720 725 728 732

732

735 740 741

Kapitel 8 Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

749

A. Bedeutung des historischen und ideologischen Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749

Inhaltsverzeichnis

21

B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 C. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Rechtsformen . . . . . . . . . 763 D. Unternehmensmitbestimmung im Kontext des kollektivarbeitsrechtlichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 E. Unternehmensmitbestimmung im Lichte der Corporate-Governance-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 F. Aktuelle Tendenzen und Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Kapitel 9 Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?

769

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. a. E. AEUV a. F. AG AktG ArbGB ArbGG Art. Artt. ARUG II Az. BAG BB Bd. BDA BDI BeckOK ArbR BetrVG BGB BGBl. BGH BR-Drucks. BRG BT-Drucks. BVerfG bzw. ca. CDU CSU d. DCGK

anderer Auffassung am angegebenen Ort Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz Arbeitsgesetzbuch („kodeks pracy“) Arbeitsgerichtsgesetz Artikel (Singular) Artikel (Plural) Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12. Dezember 2019 Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesvereinigung der Deutschen Industrie Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesrats-Drucksache Betriebsrätegesetz Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht beziehungsweise circa Christlich Demokratische Union Christlich-soziale Union der/die/das/des Deutscher Corporate Governance Kodex

Abkürzungsverzeichnis DCGK 2017 DCGK 2020 DDR ders. DGB d.h. dies. DrittelbG Dz. U. EBRG EBRG-PL EG EGV Einl. EMRK endg. ErfK ArbR etc. EU EuGH EUV EuZA f. FAZ FDP ff. Fn. FS FZZ GewG GG ggf. GmbH GmbHG GPW GRCh GroßKommAktG HGB

23

Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 7. Februar 2017 Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019 Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt dieselbe/n Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Dziennik Ustaw (das polnische Gesetzblatt) Gesetz über Europäische Betriebsräte polnisches Gesetz über Europäische Betriebsräte („ustawa o europejskich radach zakładowych“) Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei fortfolgende Fußnote Festschrift Das Gewerkschaftsforum („Forum Zwia˛zków Zawodowych“) Gewerkschaftsgesetz („ustawa o zwia˛zkach zawodowych“) Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Warschauer Wertpapierbörse („Giełda Papierów Wartos´ciowych w Warszawie“) Grundrechtecharta der Europäischen Union Großkommentar zum Aktiengesetz Handelsgesetzbuch

24 HGG h. M. Hrsg. Hs. IG IG BCE IG Metall ILO InfKonsG

insb. INSPRO IPiSS i. S. d. i.V. m. KG KGaA KollArbGB KollStrG KölnKommAktG KOM KommerzG

KommerzG-PKP

KommerzG-Post

KommWirtG KSchG lit. MgVG

Abkürzungsverzeichnis Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften („kodeks spółek handlowych“) herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Industriegewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Industriegewerkschaft Metall International Labour Organization Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer („ustawa o informowaniu pracowników i przeprowadzaniu z nimi konsultacji“) insbesondere Institut für Bürgerangelegenheiten („Instytut Spraw Obywatelskich“) Institut für Arbeit und Soziales („Instytut Pracy i Spraw Socjalnych“) im Sinne der/des in Verbindung mit Kommanditgesellschaft/Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Kollektives Arbeitsgesetzbuch Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten („ustawa o rozwia˛zywaniu sporów zbiorowych“) Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Mitteilung der Kommission Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Arbeitnehmerrechte („ustawa o komercjalizacji i niektórych uprawnieniach pracowników“) Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) („ustawa o komercjalizacji i restrukturyzacji przedsie˛biorstwa pan´stwowego ,Polskie Koleje Pan´stwowe‘“) Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ („ustawa o komercjalizacji pan´stwowego przedsie˛biorstwa uz˙ytecznos´ci publicznej ,Poczta Polska‘“). Gesetz über die kommunale Wirtschaft („ustawa o gospodarce komunalnej“) Kündigungsschutzgesetz litera Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung

Abkürzungsverzeichnis MgV-PL

25

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaften („ustawa o uczestnictwie pracowników w spółce powstałej w wyniku transgranicznego poła˛czenia sie˛ spółek“) MitbestBeiG Mitbestimmungsbeibehaltungsgesetz MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer MontanMitbestErgG Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz MontanMitbestG Montan-Mitbestimmungsgesetz MoP Monitor Prawniczy (Zeitschrift) MoPr Monitor Prawa Pracy (Zeitschrift) M. P. Monitor Polski m. sp. Änd. mit späteren Änderungen MünchAnwaltsHdb. Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht ArbR MünchHdb. ArbR Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht MünchHdb. GesR Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts MünchKommAktG Münchener Kommentar zum Aktiengesetz m.w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Nr. Nummer NS Nationalsozialismus NSZZ „Solidarnos´c´“ Unabhängiger Selbstverwalteter Gewerkschaftsbund „Solidarnos´c´“ („Niezalez˙ny Samorza˛dny Zwia˛zek Zawodowy ,Solidarnos´c´‘“) NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Beilage Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Beilage NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OPZZ Gesamtpolnische Gewerkschaftsallianz („Ogólnopolskie Porozumienie Zwia˛zków Zawodowych“) PiP Pan ´ stwo i Prawo (Zeitschrift) PIS Recht und Gerechtigkeit („Prawo i Sprawiedliwos´c´“) PiZS Praca i Zabezpieczenie Społeczne (Zeitschrift) PKP Polnische Staatsbahnen („Polskie Koleje Pan´stwowe“) Pkt. Punkt Pos. Position PPH Przegla˛d Prawa Handlowego (Zeitschrift) PrivG 1990 Gesetz über die Privatisierung von Staatsunternehmen vom 13. Juli 1990 („ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych“) PVAP Polnische Vereinigte Arbeiterpartei („Polska Zjednoczona Partia Robotnicza“)

26 RatSozDialogG

RdA RGBl. RL Rn. RPEiS S. S. A. SCE SCEAG

SCEBG SCEG-PL SCE-VO SchiffsRegG SE SEAG

SEBG SelbstVerwG

SEG-PL

SE-RL SE-VO SGG sog. SPD SPH SPP

Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs („ustawa o Radzie Dialogu Społecznego i innych instytucjach dialogu społecznego“) Recht der Arbeit (Zeitschrift) Reichsgesetzblatt Richtlinie Randnummer Ruch prawniczy, ekonomiczny i socjologiczny (Zeitschrift) Seite polnische Aktiengesellschaft („spółka akcyjna“) Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) (SCE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft Gesetz über die Europäische Genossenschaft („ustawa o spółdzielni europejskiej“) Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Gesetz über das Polnische Schiffsregister („ustawa o Polskim Rejestrze Statków“) Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft in Staatsunternehmen („ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego“) Gesetz über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft („ustawa o europejskim zgrupowaniu interesów gospodarczych i spółce europejskiej“) Richtlinie 2001/86/EG über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE Verordnung 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgerichtsgesetz sogenannte/r/s Sozialdemokratische Partei Deutschlands System prawa handlowego System prawa prywatnego

Abkürzungsverzeichnis sp. z o. o.

27

polnische Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“) StaatsUntG Gesetz über Staatsunternehmen („ustawa o przedsie˛biorstwach pan´stwowych“) StaatsVermVerwG Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatvermögen („ustawa o zasadach zarza˛dzania mieniem pan´stwowym“) TriparKomG Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften („ustawa o Trójstronnej Komisji do Spraw Społeczno-Gospodarczych i wojewódzkich komisjach dialogu społecznego“) TVG Tarifvertragsgesetz u. a. unter anderem/und andere u. ä. und ähnlich UmwG Umwandlungsgesetz Unterabs. Unterabsatz urspr. Fassung ursprüngliche Fassung usw. und so weiter Verf. Verfasserin Verschmelzungs-RL Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vgl. vergleiche VO Verordnung Vorbem. Vorbemerkung/en VVaG Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit VW Volkswagen WiRO Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Zeitschrift) WRV Weimarer Reichverfassung z. B. zum Beispiel ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) ZPGB Zivilprozessgesetzbuch („kodeks poste˛powania cywilnego“) ZZL Zarza˛dzanie Zasobami Ludzkimi (Zeitschrift) ZZPPMM Gewerkschaft der Arbeitnehmer in der Kupferindustrie („Zwia˛zek zawodowy pracowników przemysłu miedziowego“)

Kapitel 1

Einführung A. Leitgedanken „Nirgendwo ist die Palette des Rechts in Europa bunter als im Bereich der Arbeitnehmermitwirkung an unternehmerischen Entscheidungen. Jedes Mitgliedsland der EU geht hier einen Sonderweg, dessen Richtung von der jeweiligen kulturellen und sozial-politischen Tradition bestimmt ist.“ (Manfred Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177))

Nicht nur wirtschaftliche Verflechtungen sind prägend für Europa, auch im Bereich des Rechts sind europäische Einflüsse heutzutage nicht mehr wegzudenken. In zahlreichen Bereichen hat es Angleichungen und Vereinheitlichungen gegeben. Kaum eine andere Frage hat jedoch für so viele Kontroversen gesorgt wie die der Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmen. Eine Vereinheitlichung in dem Bereich schien lange Zeit unmöglich und konnte auch nur bedingt erreicht werden. Die Ursache für jene Kontroversen ist unzweifelhaft in den Traditionen und gewachsenen Strukturen der Mitgliedstaaten zu sehen. Arbeitnehmerbeteiligung ist nicht nur ein hoch politisches Thema, sie ist vor allem das Ergebnis eines Machtkampfes zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, beeinflusst von historischen Entwicklungen und abhängig von der Durchsetzungsstärke ihrer Befürworter. Es wundert also nicht, dass – wie Manfred Weiss1 es trefflich beschreibt –, jeder Mitgliedstaat der EU hier einen „Sonderweg“ geht. Umgekehrt lässt sich die Arbeitnehmerbeteiligung in ihrer Ausprägung, Reichweite und Bedeutung nur unter Berücksichtigung der nationalen Entwicklungen und Traditionen verstehen und beurteilen. Mit seinem Mitbestimmungsniveau hält Deutschland unbestritten die Spitzenrolle in Europa. In keinem anderen Land gibt es derart stark ausgeprägte Arbeitnehmerbeteiligungsrechte. Unzweifelhaft trägt hierzu das hohe Niveau der Unternehmensmitbestimmung und insbesondere die quasi-paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 bei, die Deutschland eine einsame Sonderstellung im europäischen und internationalen Vergleich verleiht. „Die Mitbestimmung deutscher Prägung ist ein Unikat“, stellt dementsprechend der Kommissionsbericht der BDI und BDA aus dem Jahre 2004 fest.2 Derart weitgehende 1 2

Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177). BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 1.

30

Kap. 1: Einführung

Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer – auf betrieblicher wie auch auf Unternehmensebene – seien in keinem anderen Land vorzufinden.3 Ebenso fehle die Bereitschaft, das weitreichende System der deutschen Mitbestimmung zu übernehmen.4 Nicht zuletzt der jahrzehntelang dauernde Kampf um die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft („Societas Europaea“ – „SE“) hat gezeigt, welch unterschiedlichen Modelle und Ansichten in den einzelnen Mitgliedstaaten zu diesem Themenkomplex bestehen. Versuche deutscher Politiker und Gewerkschaften, das deutsche Mitbestimmungsmodell auf Europa auszuweiten, waren daher auch „fruchtlos und illusorisch“.5 Im Jahre 2016 feierte das Mitbestimmungsgesetz aus dem Jahr 1976 sein 40jähriges Jubiläum. Doch auch innerhalb Deutschlands wurde kaum eine andere Materie derart kontrovers und kritisch diskutiert wie die der gesetzlichen Vorgaben zur Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in den Gesellschaftsorganen einer Kapitalgesellschaft. Nachdem die Debatte um die Unternehmensmitbestimmung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1979 abgeklungen war, ist seit Beginn des neuen Jahrtausends die Kritik unter neuen Aspekten wieder aufgelebt. Im Vordergrund steht nicht mehr die Verfassungsfrage, vielmehr liegt die Kritik in den zunehmenden internationalen Verflechtungen und den europäischen Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung, die allesamt Deutschlands Attraktivität als Unternehmensstandort in Frage stellen, sowie der Forderung nach einer guten Corporate Governance begründet. Dabei spielt der rechtsvergleichende Blick eine beachtliche Rolle. Die deutsche Mitbestimmung sieht sich einem kritischen europäischen Vergleich ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint ein rechtsvergleichender Blick auf die Republik Polen besonders interessant. Als das größte der zu den ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion gehörende Nachbarland ist Polen heute ein wichtiger Handelspartner Deutschlands und interessanter Wirtschaftsstandort für viele Unternehmen. Durch die seit Beginn der 1990er Jahre erfolgende Annäherung an die europäische Gemeinschaft und den Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahre 2004 haben sich die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Polen deutlich dem westlichen Standard angeglichen. Gleichwohl findet die – bedingt durch die historischen Entwicklungen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg – unterschiedliche kulturelle und sozialpolitische Tradition, die Manfred Weiss gerade für das System der Arbeitnehmermitwirkung in den einzelnen europäischen Staaten als richtungsweisend bezeichnet6, auch heutzutage noch in vielfältiger Hinsicht ihren Niederschlag nicht nur im rechtlichen Sinne, sondern auch in der Unternehmenspraxis. Die Prägung durch das kommu3 4 5 6

Ebenda. Ebenda Ebenda. Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177).

A. Leitgedanken

31

nistische System, die Herausforderungen der wirtschaftlichen Transformation und die mit dem Beitritt in die EU verbundenen Anpassungen haben die rechtlichen Strukturen in Polen – wie auch in anderen osteuropäischen Ländern – auch im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung maßgeblich beeinflusst und mitgestaltet. Auch die in Polen vorzufindende Arbeitnehmervertretung auf Unternehmensebene ist maßgeblich geprägt von der historischen und sozialpolitischen Entwicklung des Landes. Eine Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane einer Kapitalgesellschaft, die dem deutschen System der Unternehmensmitbestimmung vergleichbar ist, ist dabei erst nach dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch in den Jahren 1989/1990 ins polnische Rechtssystem eingeführt worden. Ein rechtsvergleichender Blick auf Polen eröffnet damit nicht nur die Möglichkeit, die Beweggründe und Ziele der Einführung dieser Partizipationsform nach dem Übergang Polens zur Marktwirtschaft und politischen Demokratie zu untersuchen. Auch die Frage der regulatorischen Umsetzung in einer sich grundlegend geänderten Rechtsordnung sowie die der Arbeitnehmervertretung auf Organebene zuteil kommende Funktion und ihre Bedeutung im gesamten System der sich neu formenden kollektiven Arbeitsbeziehungen nach 1989 lässt die Thematik als besonders interessantes Untersuchungsfeld erscheinen. Gleichzeitig stellt sich vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren in Deutschland geführten Diskussion um gute Corporate Governance die Frage, wie die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen in Polen im Zusammenhang mit Corporate Governance gesehen und bewertet wird. Über die rein nationalen Aspekte hinaus ist angesichts der angestrebten und teilweise erfolgten Rechtsangleichung in Europa auch die Umsetzung europäischer Vorgaben im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung, allen voran in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), von besonderem Interesse. Schließlich stellt sich im Rahmen der rechtsvergleichenden Betrachtung auch die Frage nach den Perspektiven der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen. Eine diese vielfältigen Aspekte aufgreifende, breit angelegte rechtsvergleichende Untersuchung der Unternehmensmitbestimmung ist bislang weder für Polen noch für andere osteuropäische Länder unternommen worden. Die wenigen Beiträge, die das Thema der Unternehmensmitbestimmung in Polen überhaupt aufgreifen, beschränken sich auf eine skizzenhafte und oberflächliche Darstellung, die sich im Wesentlichen in der zahlenmäßigen Betrachtung der von Arbeitnehmervertretern zu besetzenden Aufsichtsratssitze erschöpft.7 Diese nur sehr rudimentäre und kursorische Betrachtung wird dem komplexen Thema der Unterneh7 Vgl. etwa die Übersicht auf http://www.worker-participation.eu/National-In dustrial-Relations/Across-Europe/Board-level-Representation2/TABLE-Worker-boardlevel-participation-in-the-31-European-Economic-Area-countries, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso die Darstellung auf http://de.worker-participation.eu/Natio nale-Arbeitsbeziehungen/Laender/Polen/Unternehmensmitbestimmung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 1: Einführung

mensmitbestimmung nicht gerecht. Eine aussagekräftige Gegenüberstellung der in Deutschland und Polen bestehenden Unternehmensmitbestimmung kann nur aufgrund einer tiefgreifenden Analyse erfolgen, die mit dieser Arbeit unternommen werden soll. Dabei sollen, soweit zugänglich, auch praktische Erfahrungen Polens mit der Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene in die Betrachtung einfließen.

B. Ziel und Gang der Untersuchung Ziel der Arbeit ist eine umfassende und tiefgründige Rechtsvergleichung der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen. Neben einer fundierten vergleichenden Auseinandersetzung mit den Detailfragen der jeweiligen gesetzlichen Lösungen wird hierfür die Entwicklung eines breiten Verständnisses für die deutschen und polnischen Regelungen, welches mit dem historischen und ideologischen Hintergrund beginnt und bis in den breiten systematischen Kontext des kollektiven Arbeitsrechts und der Corporate-Governance-Strukturen reicht, als unabdingbar angesehen. Insbesondere die Zielsetzung der Unternehmensmitbestimmung, ihre Bedeutung im Zusammenhang mit der Funktion und Tätigkeit des Aufsichtsrats und ihr Zusammenspiel mit anderen Formen der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen sollen dabei eine besondere Beachtung finden. Der Komplexität der Thematik entsprechend sollen die vielfältigen relevanten Aspekte beleuchtet, untersucht und dargestellt werden. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung sollen als Denkanstöße im Rahmen der Diskussionen um eine Reform der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen dienen können, die Arbeit maßt sich jedoch nicht an, ein für beide Länder einheitliches Modell der Unternehmensmitbestimmung vorzuschlagen oder gar eine Übernahme des einen oder anderen Modells zu suggerieren. Dies würde den länderspezifischen Traditionen nicht gerecht werden. Um ein Verständnis für die Herkunft, das Ziel und die gesellschaftspolitische Bedeutung der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen zu entwickeln, sind die rechtshistorischen Entwicklungen und die ideologischen Hintergründe von maßgeblicher Bedeutung, weswegen ihnen in Kapitel 2 ein verhältnismäßig breiter Raum eingeräumt wird. Ohne diese Hintergründe fiele es schwer, die heutige Gesetzgebung in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung und Tragweite richtig einzuordnen. Gleiches gilt für den verfassungsrechtlichen und kollektivarbeitsrechtlichen Rahmen, in dem sich die Unternehmensmitbestimmung bewegt. Die auf nationalen Gesetzen beruhenden Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung werden in Kapitel 3 im Detail untersucht und rechtsvergleichend dargestellt. Neben der einleitenden Darstellung der vielen Rechtsgrundlagen ist insbesondere die Frage nach der Zulässigkeit und Bedeutung von außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen stehenden privatautonomen Vereinbarungen interes-

B. Ziel und Gang der Untersuchung

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sant. Eine wesentliche Rolle spielt sodann die Untersuchung der mit den Regelungen verfolgten Zielsetzungen und ihrer Rechtfertigung, ferner der Geltungsbereich und die Reichweite der Mitbestimmungsgesetze. Die eigentlichen mitbestimmungsrechtlichen Regelungen werden in praxisrelevanter Weise im Rahmen der Aktiengesellschaft untersucht und im Zusammenspiel mit den allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften erläutert. Auf diese Weise wird dem institutionellen Ansatz der Unternehmensmitbestimmung8 und der ihr Wesensmerkmal darstellenden Verankerung der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte in der gesellschaftsrechtlichen Struktur des Unternehmens9 Rechnung getragen. Nach einer notwendigen Darstellung der Aufgaben und Funktionen des mitbestimmten Aufsichtsorgans im jeweiligen Rechtssystem erfolgt eine detaillierte Analyse der Zusammensetzung des Aufsichtsrats, des Wahlverfahrens und des aktiven und passiven Wahlrechts in Bezug auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Ferner werden unter anderem auch die Rechtsfolgen einer nicht erfolgten oder fehlerhaft erfolgten Wahl sowie die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegenübergestellt. Von besonderem Interesse ist die Untersuchung der Funktion, Rolle und Bedeutung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat. Hierbei werden, soweit zugänglich, auch empirische Studien im Rahmen der Untersuchung herangezogen. Schließlich wird auch die Arbeitnehmervertretung im Vorstand der Aktiengesellschaft rechtsvergleichend analysiert, bevor einige Sonderfälle der unternehmerischen Mitbestimmung in Polen dargestellt werden. Eine Untersuchung der Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung in den supranationalen Gesellschaftsformen der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) sowie bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen erfolgt in Kapitel 4. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Umsetzung der europäischen Vorgaben ins nationale Recht und einer vergleichenden Betrachtung der diesbezüglichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. In Kapitel 5 wird die Unternehmensmitbestimmung in den breiten Kontext des kollektiven Arbeitsrechts in Deutschland und Polen gesetzt und es werden ihre Wechselwirkungen mit anderen Formen der Interessenvertretung der Arbeitnehmer beleuchtet. Unerlässlich erschien es dabei, zunächst auch die Grundstrukturen des kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere des Systems der gewerkschaftlichen Interessenvertretung und der nicht-gewerkschaftlichen betrieblichen Arbeitnehmervertretungen, sowie ihre Bedeutung in Deutschland und Polen in notwendigem Umfang darzustellen. Ein besonderer Fokus wird auf mögliche Verflechtungen 8 Vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 1 („Als Mitbestimmung im Unternehmen wird heute allgemein jede durch Mitgliedschaft von ArbN-Vertretern in Unternehmensorganen vermittelte institutionelle Teilhabe der Belegschaft an Planungen und Entscheidungen des Unternehmens bezeichnet.“). 9 Vgl. hierzu Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 62; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 54 ff.

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Kap. 1: Einführung

zwischen den verschiedenen Partizipationsformen in sachlicher und personeller Hinsicht sowie auf die potentiellen wie auch tatsächlichen Einflussmöglichkeiten anderer Arbeitnehmervertretungen über das Instrument der Unternehmensmitbestimmung gelegt. Corporate Governance nimmt sowohl in Deutschland als auch in Polen eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Vor dem Hintergrund der auf Corporate-Governance-Gesichtspunkten beruhenden Kritik der deutschen Unternehmensmitbestimmung wird in Kapitel 6 ein rechtsvergleichender Blick auf die polnischen Corporate-Governance-Strukturen und ihr Zusammenspiel mit der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen geworfen. Dabei werden vor allem die Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter im Rahmen der maßgeblichen Corporate-Governance-Regelwerke sowie die auf einer Beeinträchtigung der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats durch die vorgeschriebene Arbeitnehmervertretung fußende Kritik beleuchtet. Kapitel 7 ist der Frage nach der Zukunft der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen gewidmet. Dabei werden die Diskussionen und Reformvorschläge dargestellt und Entwicklungstendenzen herausgearbeitet. Auch jüngste politische Vorhaben werden in diesem Zusammenhang näher betrachtet. In Kapitel 8 werden die wesentlichen Erkenntnisse aus der Untersuchung zusammengefasst, bevor in Kapitel 9 ein abschließender Ausblick auf die Entwicklung der Unternehmensmitbestimmung und Denkanstöße für die Diskussion in Deutschland und Polen gegeben werden sollen.

C. Begriffsbestimmungen Der Begriff der „Unternehmensmitbestimmung“ ist gesetzlich nicht definiert, wird jedoch in der deutschen Literatur und Praxis gemeinhin verwendet. Bezeichnet wird damit das Recht der Arbeitnehmer, in die Unternehmensorgane eigene Vertreter entsenden zu können, die in dieser Funktion und im Rahmen der den jeweiligen Organen zustehenden Kompetenzen an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen beteiligt werden und so auf Entscheidungen im Unternehmen Einfluss nehmen können. Vor diesem Hintergrund wird die Unternehmensmitbestimmung auch als eine „durch Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern in Unternehmensorganen vermittelte institutionelle Teilhabe der Belegschaft an Planungen und Entscheidungen des Unternehmens“ definiert.10 Eine polnische Entsprechung findet der Begriff der Unternehmensmitbestimmung nicht. Üblicherweise wird diese Form der Arbeitnehmervertretung umschrieben, etwa als Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen 10 So Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 1.

C. Begriffsbestimmungen

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(„udział pracowników w organach spółek“)11 oder Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat und Vorstand von Kapitalgesellschaften („przedstawicielstwa pracownicze w radach nadzorczych oraz zarza˛dach spółek kapitałowych“)12. In dieser Arbeit wird sowohl der Begriff der Unternehmensmitbestimmung als auch der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen gebraucht, dieselbe Bedeutung wird den Begriffen der unternehmerischen Mitbestimmung oder Mitbestimmung auf Unternehmensebene bzw. Organebene beigemessen.13 Die die Unternehmensmitbestimmung regelnden deutschen Gesetze verwenden den Begriff der „Mitbestimmung“, weswegen sie üblicherweise und daher auch hier unter der Bezeichnung „Mitbestimmungsgesetze“ bzw. „Mitbestimmungsrecht“ 14 zusammengefasst werden. Indes wird der Begriff der „Mitbestimmung“ in der Rechtswissenschaft vielmehr als Oberbegriff für sämtliche Formen der Beteiligung von Arbeitnehmern, deren Intensität vom bloßen Informationsrecht bis zum echten Mitentscheidungsrecht reicht, gebraucht und umfasst gleichsam die im BetrVG geregelte betriebliche Mitbestimmung und die Unternehmensmitbestimmung.15 In Polen werden üblicherweise die Begriffe der „Arbeitnehmerpartizipation“ („partycypacja pracownicza“)16 oder „Arbeitnehmerbeteiligung“ („uczestnictwo pracowników“)17 als Oberbegriff für sämtliche Formen der Be11 So bspw. Nartowski, Konflikt interesów, etyka, lojalnos ´c´ i zaufanie, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/tag/konflikt-interesow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 12 So bspw. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 49. 13 Wenngleich sich hören ließe, dass – wie Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 8 in Fn. 3, hervorhebt – der Begriff der Unternehmensmitbestimmung an die gesellschaftsrechtliche Struktur anknüpft, wogegen dem Begriff der unternehmerischen Mitbestimmung vielmehr eine inhaltliche Bedeutung zugrunde liegt, so dass den Begriffen durchaus eine andere Bedeutung beigemessen werden könnte. Gleiches trifft auf den Begriff der Mitbestimmung auf Unternehmensebene zu. Da in der deutschen Literatur die Begriffe jedoch üblicherweise synonym verwendet werden, soll dies auch hier der Fall sein. 14 Vgl. die entsprechenden Buchtitel bei Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, sowie Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht. 15 Die allerdings in der Öffentlichkeit und Wissenschaft unterschiedlich gebrauchte Bedeutung des Begriffs „Mitbestimmung“ hob sogar die Biedenkopf-Kommission in ihrem Bericht im Jahre 1970 hervor, vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 8. Vgl. zu den unterschiedlichen Deutungen des Begriffs „Mitbestimmung“ auch schon Teuteberg, Geschichte, S. XVII. 16 Vgl. die so lautenden Buchtitel bei Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju?; ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej; Wratny, Partycypacja pracownicza. Zur Verwendung des Begriffs der „Arbeitnehmerpartizipation“ als Oberbegriff vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 15; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 17 So Giedrewicz-Niewin ´ska, Uczestnictwo pracowników w spółce europejskiej, Kapitel 2, legalis S. 14 ff. sowie Schlusskapitel, legalis S. 2 f.; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 59 ff.; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 9 ff.

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Kap. 1: Einführung

teiligung der Arbeitnehmer verwendet.18 Dabei umfassen diese Begriffe – anders als das deutsche Verständnis von der Arbeitnehmerbeteiligung 19 – auch die gewerkschaftliche Interessenvertretung.20 Hieran anknüpfend wird in dieser Arbeit die Verwendung der Begriffe der „Arbeitnehmerpartizipation“ – bzw. synonym hierzu – der „Arbeitnehmerbeteiligung“ als Bezeichnung für sämtliche Formen und Ebenen arbeitnehmerseitiger Interessenvertretung favorisiert und dabei aufgrund der Spezifika des polnischen Rechtssystems auch die gewerkschaftliche Tätigkeit mit erfasst.

18

Teilweise wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der „Arbeitnehmerpartizipation“ mehrere Definitionen habe, die jeweils andere Aspekte hervorheben, vgl. näher hierzu Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (44 f.). Zum Begriff und den Formen der Arbeitnehmerpartizipation vgl. auch Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 15 ff. In der polnischen Übersetzung der SE-RL wird dagegen der Begriff der „Partizipation“ zur Bezeichnung der Unternehmensmitbestimmung verwendet, vgl. hierzu und der abweichenden Begriffswahl im polnischen Umsetzungsgesetz auch Giedrewicz-Niewin´ska, Uczestnictwo pracowników w spółce europejskiej, Kapitel 2, legalis S. 14 ff. sowie Schlusskapitel, legalis S. 2 f., die sich kritisch zu den unterschiedlich gewählten Begriffsbestimmungen der Begriffe „zaangaz˙owanie“, „partycypacja“ und „uczestnictwo“ in der polnischen Übersetzung der SE-RL und im polnischen Umsetzungsgesetz äußert und den Begriff „uczestnictwo“ (Teilhabe, Beteiligung) als Oberbegriff favorisiert. Zu den begrifflichen Schwierigkeiten vgl. auch Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (28) sowie Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 59 ff. 19 Vgl. die deutsche Fassung von Art. 2 lit. h) SE-RL und § 2 Abs. 8 SEBG, die die „Beteiligung“ als Oberbegriff für sämtliche Teilhabeformen im Unternehmen verwenden. 20 So ausdrücklich Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 15; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46.

Kapitel 2

Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und Polen Die Entwicklung der heute bestehenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen hängt wie das gesamte System der kollektiven Arbeitsbeziehungen in Deutschland und Polen untrennbar mit den im jeweiligen Land eingetretenen historischen Ereignissen zusammen. Daneben wurde die Idee der Arbeitnehmerbeteiligung auch von verschiedenen ideologischen Strömungen geprägt, die einen wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung im jeweiligen politischen und wirtschaftlichen System hatten.

A. Geschichtlicher Hintergrund Die ersten Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern waren bereits in der Antike anzutreffen.1 Auch im Mittelalter gab es Formen gemeinschaftlicher Interessenvertretung.2 Zwar ist die Bedeutung dieser frühen Formen der kollektiven Interessenwahrnehmung nicht zu verkennen.3 Gleichwohl wird die Entstehung der heutigen kollektiven Arbeitsbeziehungen – in Deutschland wie auch in Polen – gemeinhin auf die Entwicklungen im 19. Jahrhundert zurückgeführt.4 In dieser Zeit entstanden jene „großen sozialen und politischen Ideen“, von denen die späteren Entwicklungen des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt wurden.5

I. Entstehung des deutschen Mitbestimmungssystems Das deutsche Mitbestimmungssystem hat sich in seiner heutigen Form erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Gleichwohl reicht der historische Hintergrund der Mitbestimmung in Deutschland – bzw. des kollektiven Arbeitsrechts 1

Gładoch, Dialog społeczny, S. 41 m.w. N. Näher hierzu Gładoch, Dialog społeczny, S. 41 ff.; vgl. auch Warlich, Die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes 1976, S. 3. 3 Gładoch, Dialog społeczny, S. 41. 4 Vgl. etwa Gładoch, Dialog społeczny, S. 41 ff.; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1. 5 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2. 2

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

im Allgemeinen – bis ins 19. Jahrhundert zurück. Dabei stand zunächst die Entstehung einer betrieblichen Mitbestimmung im Vordergrund. Auch die gesetzlichen Neuerungen im deutschen Kaiserreich betrafen nur die Beteiligung der Arbeitnehmer an betrieblichen Angelegenheiten. Von wegweisender Bedeutung waren allerdings die politischen und gesetzlichen Entwicklungen in der Weimarer Republik, die auch zu einer erstmaligen gesetzlichen Verankerung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen eines Unternehmens führten. 1. Geschichte der Mitbestimmungsidee in Deutschland bis 1945 a) Erste Ansätze der Arbeitnehmerbeteiligung im 19. Jahrhundert Der geschichtliche Ursprung der Mitbestimmung in Deutschland wird gemeinhin im Zusammenhang mit der im 19. Jahrhundert beginnenden Industrialisierung gesehen.6 Genauer genommen wurzelt die Ideengeschichte bereits in der sich anbahnenden Industrialisierung in der Zeit des Vormärz zwischen 1815 und der Märzrevolution von 1848.7 Auslöser für die Entstehung der Mitbestimmungsidee war die vor dem Hintergrund der Industrialisierung aufkommende „soziale Frage“. Der Übergang vom Feudalismus zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung und die damit einhergehende Gewerbe- und Vertragsfreiheit führte auch zu einer Liberalisierung der Arbeitsbedingungen, so vor allem in Bezug auf die Arbeitszeiten und Gehälter.8 Vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und unterlegenen Stellung sah sich die Arbeiterschaft jedoch den einseitigen Arbeitsbedingungen der Arbeitgeber machtlos ausgesetzt, was sich nicht zuletzt in unverhältnismäßig langen Arbeitszeiten, geringer Entlohnung sowie Kinderarbeit, schwerer Frauenarbeit und in den Fabriken fehlenden Sicherheitsvorkehrungen gegen Gefahren für Leben und Gesundheit der Arbeiter manifestierte.9 Unzureichende Wohnund Lebensverhältnisse sowie eine fehlende alters- und krankheitsbezogene Versorgung waren weitere soziale Folgen der neuen liberalen Wirtschaftsordnung 6 Vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1. 7 Vgl. Teuteberg, Geschichte, S. 1 ff.; Warlich, Die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes 1976, S. 3. 8 Vgl. Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 18; Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (288); Potthoff/ Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2. 9 Vgl. Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts. S. 273 (289); Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2 ff.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 31 f.

A. Geschichtlicher Hintergrund

39

und des industriellen Fortschritts, mit denen zugleich auch Not und Elend der Arbeiterklasse einhergingen.10 Eine öffentliche und rechtspolitische Diskussion über die „soziale Frage“ begann in Deutschland noch bevor die Industrialisierung tatsächlich in Deutschland angekommen war, in der Zeit des sog. Vormärz.11 Die zunächst in England und Frankreich eingesetzte Industrialisierung lieferte deutschen Sozialtheoretikern dabei eine plakative Grundlage für die mit dem industriellen Fortschritt einhergehende Not und das Elend der Arbeiterschaft.12 Dabei waren nicht nur die tatsächlichen Entwicklungen in England und Frankreich – die von allen Sozialtheoretikern als bezeichnend für die damaligen Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse empfunden wurden –, sondern in großem Maße auch die sich damit auseinandersetzenden englischen und französischen Schriften von großem Einfluss auf die Debatte in Deutschland.13 Dennoch entwickelte sich schon bald eine – wie es Teuteberg beschreibt – „spezifisch deutsche Auffassung von den zwischenmenschlichen Verhältnissen in der Industrie“.14 Beruhend auf den Ansätzen der deutschen Philosophie und „ihrem Streben nach der Ganzheit des Menschenbildes“ wurde die soziale Frage letztlich als „sittlich-pädagogisches Problem“ verstanden, dem durch eine „Humanisierung der Fabrikbetriebe“ entgegengewirkt werden könne.15 Schon früh entwickelte sich mithin der Gedanke einer Humanisierung der Arbeitsbedingungen, der auch heute noch ein Begründungsansatz für die Unternehmensmitbestimmung ist. Als Vorschlag zur stärkeren Einbindung der Arbeiterklasse entwickelte sich unter den deutschen Sozialreformern der Gedanke eines Zusammenschlusses der Arbeiter in eigenen Interessenvertretungen, sog. „Assoziationen“.16 Ferner entstanden auch Vorschläge für eine Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn sowie zu diesem Zwecke zu gründende Arbeiterausschüsse, denen auch ein Recht auf Einsicht in die Bücher des Unternehmens zustehen sollte.17 Die verschiedenen Reformvorschläge zur stärkeren Beteiligung der Fabrikarbeiter wurden angesichts der in Deutschland noch nicht spürbaren Folgen der Industria10 Stollreither, Mitbestimmung, S. 31 f.; vgl. auch Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2. 11 Ausführlich hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 2 ff. Der Industrialismus wurde in Deutschland als „gefahrdrohende Gewitterwolke [. . .] am Horizont der Zeit“ gesehen, „[a]uf breitester Grundlage wurden die Vor- und Nachteile des neuen Fabrikwesens [. . .] erörtert“. 12 Teuteberg, Geschichte, S. 2. 13 Teuteberg, Geschichte, S. 2 f. 14 Teuteberg, Geschichte, S. 4 f. 15 Teuteberg, Geschichte, S. 5. 16 Ausführlich hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 5 ff., der die verschiedenen Ausprägungen und Ideen, die seinerzeit mit dem uneinheitlich gebrauchten Begriff „Assoziation“ in Verbindung gebracht wurden, darstellt. 17 Teuteberg, Geschichte, S. 26.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

lisierung bis zum Beginn der 1840er Jahre jedoch lediglich unter den Sozialreformern diskutiert, ein reges öffentliche Interesse entstand erst im Laufe der 1840er Jahre.18 Im Zuge dessen wurde auch zunehmend in breiten liberalen und bürgerlichen Kreisen die Auffassung vertreten, dass „das Selbstbewußtsein der arbeitenden Klassen“ gesteigert werden müsse und „der Arbeiter durch Hebung seiner Bildung und gemeinnützigen Zusammenschluß ermuntert werden [müsse], an dem allgemeinen wirtschaftlichen Wettbewerb und dem Aufstieg teilzunehmen“.19 Gefördert wurde die Gründung sog. Arbeiter- und Handwerkervereine, womit sich die Liberalen nicht zuletzt auch die Heranführung der Arbeiter an ein demokratisches politisches System erhofften.20 Doch auch die Verfechter des Sozialismus begrüßten die Entstehung derartiger Arbeitervereinigungen, die ihnen als geeignetes Mittel zur Steigerung der Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse erschienen.21 Nach und nach wurden konkrete Vorschläge zur stärkeren Einbindung der Arbeiterschaft vorgelegt. So etwa schlug am 13. September 1848 der Berliner Centralverein die allgemeine Einführung von Arbeiterkranken- und Unterstützungskassen sowie die Bildung von Fabrikvereinen vor, die neben der Gründung und Verwaltung der Kassen auch „zur Verfolgung anderer, auf die Verbesserung und Ordnung des betreffenden Fabrikwesens und auf das Wohl der Arbeiter gerichteten Zwecke“ bestimmt und zu gleichen Teilen aus Vertretern der Fabrikbesitzer und Arbeiter zusammengesetzt sein sollten.22 Die angedachten Aufgaben der Fabrikvereine betrafen sowohl fabrikinterne Angelegenheiten wie etwa die Fabrikordnung, die Durchführung der Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse sowie die Schlichtung von Streitigkeiten, als auch die soziale Absicherung der Arbeiter.23 Im Zuge der Revolution von 1848 stellten auch Handwerker- und Arbeiterkongresse Forderungen zur Bewältigung der sozialen Missstände auf.24 So etwa richteten sich Forderungen des ersten reinen Arbeiterkongresses in Berlin im Jahre 1848 unter anderem auf die Einführung eines Mindestlohns, staatlicher Unterstützungs- und Fürsorgemaßnahmen sowie die Einberufung einer aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzten Kommission, die für die Festlegung von Arbeitszeiten zuständig sein sollte.25 Von besonderer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Mitbestimmung war der Entwurf einer Gewerbeordnung für das deutsche Reich, der von einer 18

Näher Teuteberg, Geschichte, S. 44 ff. Teuteberg, Geschichte, S. 47. 20 Teuteberg, Geschichte, S. 47, 50. 21 Teuteberg, Geschichte, S. 50. 22 Mitteilungen des Centralvereins, II. Lieferung, 1849, S. 261 ff., auszugsweise abgedruckt bei Teuteberg, Geschichte, S. 56, 58. 23 Näher Teuteberg, Geschichte, S. 56 f. 24 Hierzu ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 59 ff. 25 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 4. 19

A. Geschichtlicher Hintergrund

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Minderheit des volkswirtschaftlichen Ausschusses der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche als sog. „Minoritäts-Gegenentwurf“ im Februar 1849 eingebracht wurde.26 Die Frankfurter Nationalversammlung war Adressatin und Hoffnungsträgerin einer umfassenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Reform, mit der insbesondere auch die verfassungsrechtliche Verankerung der bürgerlichen Freiheit und die politische Einheit Deutschland einhergehen sollte.27 Die Abgeordneten waren sich dabei weitgehend einig, dass auch eine arbeitsrechtliche Reform im Handwerks- und Fabrikwesen sowie in sonstigen Gewerben erfolgen musste und der Staat hierfür korrigierend in das liberale Wirtschaftsgeschehen und die Arbeitsbeziehungen eingreifen müsse.28 Als Pendent zur politischen Verfassung sollte daher eine vom volkswirtschaftlichen Ausschuss auszuarbeitende Reichsgewerbeordnung die wirtschaftlichen Beziehungen regeln.29 Mangels einer absoluten Mehrheit brachte der volkswirtschaftliche Ausschuss zwei Entwürfe einer Reichsgewerbeordnung hervor.30 Der Entwurf der von Degenkolb angeführten Minderheit schlug in Art. III eine Fabrikordnung vor, die die Errichtung von Fabrikausschüssen in den Fabriken, Fabrikräten auf Gewerbebezirksebene und Fabrikschiedsgerichten vorsah.31 Sowohl die Fabrikausschüsse als auch die Fabrikräte sollten dabei von der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite besetzt werden. Die Fabrikausschüsse sollten gemäß § 43 unter anderem bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermitteln, eine besondere Fabrikordnung entwerfen und für deren Aufrechterhaltung sorgen. Teuteberg32 bewertet den Minoritäts-Gegenentwurf als „eines der bedeutendsten Dokumente in der Geschichte der deutschen Mitbestimmung“. Die Fabrikausschüsse könnten als Vorläufer der heutigen Betriebsräte angesehen werden. Dabei hebt Teuteberg hervor, dass der Entwurf „nicht von einem prinzipiellen Interessengegensatz der Arbeitnehmer und Arbeitgeber [. . .], sondern im Gegenteil von einer ,vertrauensvollen Zusammenarbeit‘“ ausging und daher in seinem sozialpolitischen Ansatz deutliche Parallelen zum heutigen Betriebsverfassungsrecht aufzeigte. Es verwundert daher nicht, dass der Minoritätenentwurf trotz fehlenden gesetzlichen Niederschlags als Anfang des deutschen Mitbestimmungssystems interpretiert wird.33 26

Abgedruckt bei Teuteberg, Geschichte, S. 109. Teuteberg, Geschichte, S. 94. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Teuteberg, Geschichte, S. 100. 31 Abgedruckt bei Teuteberg, Geschichte, S. 109. 32 Teuteberg, Geschichte, S. 111. 33 So Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1; ebenso wohl Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15; zu Stimmen aus früheren Zeiten vgl. Teuteberg, S. 111 f. 27

42

Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

In der Zeit nach Scheitern der 1848-er Revolution erfolgte eine Beteiligung der Arbeitnehmer zunächst nur auf freiwilliger Basis. In den Fabriken entstanden nach und nach freiwillige Arbeitervertretungen in Form von Fabrikkrankenkassen, bei denen es sich letztlich um eine Fortentwicklung der schon vor der Industrialisierung bestehenden betrieblichen Sozialeinrichtungen wie etwa genossenschaftlichen Unterstützungskassen handelte.34 Nicht nur förderten diese angesichts der von den Arbeitern in die Kassen eingezahlten Beiträge die Fachkräftebindung, allen voran boten die bewährten Sozialeinrichtungen den unerfahrenen Fabrikinhabern in Anbetracht der großen Anzahl an Fabrikarbeitern eine willkommene Unterstützung sowohl bei der sozialen Fürsorge als auch bei der Überwachung der Fabrikordnung, der Disziplinierung der Arbeiter und im Zusammenhang mit Arbeitsstreitigkeiten.35 Zunehmend entwickelte sich hieraus eine Kooperation zwischen den Fabrikinhabern und Arbeitnehmervertretern in verschiedenen Angelegenheiten, zudem konnten die Arbeitnehmervertreter aufgrund des Vertrauens von beiden Seiten zwischen dem Fabrikinhaber und der Belegschaft vermitteln und so für ein gutes Betriebsklima sorgen.36 Nach und nach wurden den Kassen auch andere Kompetenzen – wie etwa Mitspracherechte bei der Arbeitszeit- und Lohngestaltung und der Erstellung der Fabrikordnung – übertragen, womit sich ihre Funktion immer mehr zu einer arbeitnehmerseitigen Interessenvertretung fortentwickelte.37 Die so entstandenen – weniger auf den Konzepten der Sozialtheoretiker als vielmehr auf einer tatsächlichen Entwicklung beruhenden – betrieblichen Arbeitnehmervertretungen etablierten sich unter der Bezeichnung „Arbeiterausschuß“, „Fabrikrat“, „Ältesten-Collegium“, „Arbeiterrat“ u. ä., ihre Bildung erfolgte hauptsächlich nach Errichtung des Bismarck-Reiches.38 Bis 1890 waren deutschlandweit mindestens 50 Arbeiterausschüsse entstanden.39 Neben den gedanklichen Wurzeln eines Mitbestimmungsrechts und der Entstehung von freiwilligen Arbeiterausschüssen hat sich im 19. Jahrhundert auch allmählich die Gewerkschaftsbewegung entwickelt. Nach der politischen Unterdrückung gewerkschaftlicher Vereinigungen wurde das Koalitionsrecht zunächst im Jahre 1861 in Sachsen und 1869 weitestgehend auch im Norddeutschen Bund

34 Näher Teuteberg, Geschichte, S. 115 ff., zu den vorindustriellen betrieblichen Sozialeinrichtungen S. 118 ff. 35 Teuteberg, Geschichte, S. 116 f. 36 Teuteberg, Geschichte, S. 117. 37 Teuteberg, Geschichte, S. 117, 209; dagegen kritisch hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 53 ff., die die Fabrikausschüsse aufgrund der von ihnen oft wahrgenommenen Disziplinierungsfunktion nicht als geeignete Institution der Interessenvertretung ansehen. 38 Teuteberg, Geschichte, S. 118. 39 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 4. Beispiele von freiwilligen Fabrikordnungen finden sich bei Teuteberg, Geschichte, S. 219, 224.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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anerkannt.40 Zwischen 1865 und 1867 entstanden mit den Zentralverbänden für Tabakarbeiter, Buchdrucker und Schneider die ersten Gewerkschaften in Deutschland.41 Entsprechend ihrer Ideologie und parteipolitischen Ausrichtung konnten die entstehenden Gewerkschaften in die sog. „freien Gewerkschaften“, die der Sozialdemokratie zugewandt waren, die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine sowie die christlichen Gewerkschaften, die der Zentrumspartei nahestanden, unterteilt werden.42 Die Gewerkschaftsbewegung konnte auch nicht durch das von 1878 bis 1890 geltende Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (sog. „Sozialistengesetz“)43 aufgehalten werden, obwohl sich dieses mit dem Verbot aller sozialdemokratischer und kommunistischer Schriften, Versammlungen und Vereine auch gegen die „freien Gewerkschaften“ richtete.44 Aufgrund des geltenden Berufsverbandsprinzips und dem damit einhergehenden starken gewerkschaftlichen Pluralismus in den Betrieben waren die einzelnen Gewerkschaften anfangs jedoch noch nicht stark genug, um die Arbeitnehmerinteressen wirksam repräsentieren zu können.45 Den freiwillig eingerichteten Fabrikausschüssen standen die Gewerkschaften zunächst skeptisch gegenüber und setzten sich erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts für ihre Errichtung in den Fabriken ein.46 Tarifverträge wurden zwar seit 1848 abgeschlossen, jedoch fehlte es trotz mehrerer Versuche zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage im Kaiserreich an einer gesetzlichen Normierung des Tarifvertragsrechts bis 1918.47 Vor 1914 hatten Tarifverträge einen ausschließlich privatrechtlichen Charakter.48 Bis zur Änderung der Rechtsprechung des Reichsgerichts im Jahre 1910 galten sie darüber hinaus als unverbindlich und konnten vor Gericht nicht eingeklagt werden.49

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Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (298). Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 222 Rn. 1. 42 Näher Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (297 f.); Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 102; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 222 Rn. 1 ff. 43 Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878, RGBl. S. 351. 44 Vgl. Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (298 f.); Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 103; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 217 Rn. 2. 45 Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (300). 46 Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (301). 47 Nautz, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 71 (72); hierzu auch Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 31. 48 Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 163. 49 Vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 20. Januar 1910, Az.: VI 660/08, RGHZ 73, S. 92 (99 f.); Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 31, 129 f. 41

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

b) Gesetzesnovellen im deutschen Kaiserreich Den ersten gesetzlichen Niederschlag fand der Mitbestimmungsgedanke im Jahre 1890, als im Rahmen der Arbeitsschutzgesetzgebung von Kaiser Wilhelm II. die damalige Gewerbeordnung geändert und eine Regelung über die Bildung von sog. „ständigen Arbeiterausschüssen“ (vgl. § 134 h der Gewerbeordnung50) eingeführt wurde.51 Neben den damaligen wirtschaftlichen Problemen der Arbeiterklasse, der erstarkenden Sozialdemokratie und dem in diesem Zusammenhang stehenden großen Bergarbeiterstreik im Jahre 1889 trugen auch die guten Erfahrungen mit der Arbeitnehmervertretung im Krankenversicherungsbereich sowie die arbeitnehmerfreundlichere Einstellung Kaiser Wilhelms II. zu der Gesetzesnovelle bei.52 Die Einrichtung der Arbeiterausschüsse war zwar lediglich fakultativ, doch wurde ein Anhörungsrecht der Arbeiter bei Erlass der obligatorischen Fabrikordnung vorgeschrieben, welches durch die Arbeiterausschüsse wahrgenommen werden konnte.53 Die erste obligatorische Arbeitnehmervertretung wurde erstmals mit der Bayerischen Bergrechtsnovelle von 1900 eingeführt, die die Einrichtung ständiger Arbeiterausschüsse in Bergwerken mit mehr als zwanzig Beschäftigten festlegte.54 Dem folgte angesichts des Bergarbeiterstreiks im Ruhrbergbau die Reform des Preußischen Berggesetzes im Jahr 1905, durch die in allen Bergwerken mit mehr als einhundert Arbeitern ständige Arbeiterausschüsse vorgeschrieben wurden.55 Dem Arbeiterausschuss oblag es einerseits, für „das gute Einvernehmen“ im Betrieb zu sorgen, andererseits auch „Anträge, Wünsche und Beschwerden der Belegschaft“ zu betriebsbezogenen und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten des Bergwerks an den Bergwerksbesitzer heranzutragen.56 Ferner musste der Aus50 Auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 38; zum Inhalt der Gesetzesnovelle ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 376 ff. 51 Stollreither, Mitbestimmung, S. 37 f.; näher zur Arbeitsschutzgesetzgebung unter Kaiser Wilhelm II. Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 97; Teuteberg, Geschichte, S. 362 ff., 376 ff. 52 Näher zu den Hintergründen Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 96 ff.; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 58 ff.; Teuteberg, Geschichte, 362 ff. 53 Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (301); Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60; Teuteberg, Geschichte, S. 383 f. 54 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60; näher hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 425 f. 55 Vgl. § 80 f Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juli 1905, abgedruckt bei Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 22; hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 6; ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 427 ff. 56 Vgl. § 80 f Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juli 1905, abgedruckt bei Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 22.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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schuss vor Erlass einer Arbeitsordnung gehört werden.57 Mit den dargestellten Gesetzesnovellen im Bergbau wurde die erstmalige obligatorische Arbeitnehmervertretung in einem Schlüsselzweig der deutschen Industrie eingeführt.58 Eine weitere gesetzliche Novelle brachte das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 191659. In Anlehnung an das Preußische Berggesetz60 wurde eine obligatorische Bildung von „ständigen Arbeiterausschüssen“ in allen kriegswichtigen Betrieben vorgeschrieben, die mehr als fünfzig Arbeiter beschäftigten (vgl. § 11 des Gesetzes). Gleichsam oblag den Arbeiterausschüssen, das „gute Einvernehmen“ im Betrieb zu fördern und Anliegen der Belegschaft an den Unternehmensinhaber zu übermitteln (vgl. § 12 Abs. 1 des Gesetzes). Darüber hinaus sah das Gesetz auch ein allgemeines Anhörungsrecht des Arbeiterausschusses auf Verlangen von einem Viertel der Ausschussmitglieder vor (vgl. § 12 Abs. 2 des Gesetzes). Das eigentliche Ziel des Gesetzes war jedoch die vollständige Erfassung der im Zuge des Krieges immer weniger werdenden Arbeitskräfte, womit die benötigte Kriegsproduktion und der Nachschub an der Front sichergestellt werden sollte.61 Vor diesem Hintergrund sah das Gesetz eine Verpflichtung aller Arbeiter zwischen 17 und 60 Jahren zum vaterländischen Hilfsdienst vor (vgl. §§ 1, 7, 9 des Gesetzes). Die Errichtung von Arbeiterausschüssen stellte dabei einerseits ein Zugeständnis an die SPD und die Gewerkschaften dar, mit dem ihre Akzeptanz für das Gesetz herbeigeführt werden sollte62, andererseits sollten die eingeräumten Mitspracherechte den bereitwilligen Einsatz der Arbeitskraft durch die Arbeiterschaft fördern63. In Bezug auf Letzteres sei es erforderlich gewesen, „daß ein für allemal die Zeit als endgültig vorüber angesehen wird, in der der Arbeiter nur als Objekt betrachtet wird, [. . .] über das man bedingungslos verfügen könnte“.64 Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft kritisierte das Gesetz hingegen als ein Produkt des Militarismus und Kapitalismus, welches den Arbeitern als ein „aus sozialistischem Geiste“ entstandenes Ge57 Vgl. § 80 g des Gesetzes über die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juli 1905, abgedruckt bei Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 22. 58 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60 f. 59 Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916, RGBl. S. 1333. 60 Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 23. 61 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 139; vgl. auch Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 22. 62 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 22. 63 Vgl. die Verhandlungen des Reichstages, 76. und 79. Sitzungen am 29. November 1916 und 2. Dezember 1916, S. 2156, 2286 ff., abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 164 ff. 64 Rede von Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg während der Verhandlungen des Reichstages, 76. und 79. Sitzung am 29. November 1916 und 2. Dezember 1916, S. 2156, 2286 ff., abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 164 ff. (165).

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

setz „schmackhaft“ gemacht werden sollte, in Wahrheit jedoch durch Einschränkung der freien Berufswahl die Arbeiter den Unternehmern zur „Ausbeutung“ überlasse und die Arbeitskraft – das einzige Gut des Arbeiters – „rücksichtlos beschlagnahm[e]“.65 c) Die Arbeitnehmerbeteiligung in der Weimarer Republik Eine neue Weichenstellung für die Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland erfolgte im Rahmen der Neuordnung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Weimarer Republik. In den ersten Monaten nach Kriegsende zeigten sich innerhalb der politischen Gruppierungen deutliche Differenzen in Bezug auf das künftige politische System Deutschlands.66 Dem Konzept der parlamentarischen Demokratie stand der sich nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland entwickelte Rätegedanke gegenüber.67 Dieser zielte darauf ab, „dem Faktor Arbeit als dem konstitutiven Element von Gesellschaft eine seiner Funktion angemessene Position“ zuzuweisen68, was in wirtschaftlicher Hinsicht durch Vergemeinschaftung der wesentlichen Wirtschaftsbereiche sichergestellt werden sollte69. Die ersten Anläufe der Rätebewegung zeigten sich bereits in den Massenstreiks im Juni 1916, April 1917 und Januar/Februar 1918.70 Die anwachsenden gesellschaftlichen Unruhen im Jahre 1918 gipfelten schließlich Anfang November in einer landesweiten Revolution, die das Ende der monarchistischen Herrschaft und den Beginn der Republik markierte.71 Gleichzeitig waren ähnlich wie in Russland in zahlreichen Städten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet worden.72 Nach den stürmischen Ereignissen im November 1918 wurde die Rätebewegung in Deutschland infolge des gemeinsamen Widerstands von Industrie, Gewerkschaften und den Mehrheitssozialisten schon sehr bald wieder eingedämmt.73 Um den Forderungen nach einer radikalen Sozialisierung entgegen65 Vgl. die Rede des sozialdemokratischen Abgeordneten Haase während der Verhandlungen des Reichstages, 76. und 79. Sitzung am 29. November 1916 und 2. Dezember 1916, S. 2156, 2286 ff., abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 164 ff. (166 ff.). 66 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 7. 67 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 7; ausführlich zur Rätebewegung und zum Rätegedanken Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 116 ff. 68 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 62. 69 Näher Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 23. 70 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 116; Stollreither, Mitbestimmung, S. 39. 71 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 63. 72 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 63; Stollreither, Mitbestimmung, S. 39. 73 Näher hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 141 ff.; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 63; Stollreither, Mitbestimmung, S. 39 f.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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zutreten, verständigten sich die Industrie und die Gewerkschaften bereits am 15. November 1918 über die Bildung einer „Zentralen Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands“, im Rahmen dessen auch die Bildung von Arbeiterausschüssen festgelegt wurde.74 Die freien Gewerkschaften wurden darin als Vertreter der Arbeiterschaft anerkannt, die Arbeitsbedingungen sollten durch Kollektivvereinbarungen festgesetzt werden. Zudem wurde die Bildung eines Arbeiterausschusses in allen Betrieben mit mindestens fünfzig Beschäftigten vorgesehen. Der zentralen Arbeitsgemeinschaft lag eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zugrunde, womit in ihr ansatzweise auch der Mitbestimmungsgedanke zutage trat.75 Gleichwohl beschäftigte sich die Arbeitsgemeinschaft vor allem mit sozialpolitischen Themen, eine Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Fragen der Unternehmen ging damit kaum einher.76 Die nach und nach schwächere Zusammenarbeit führte jedoch letztlich zur Auflösung der Arbeitsgemeinschaft im Jahre 1924.77 Nach Ansicht von Unternehmensvertretern hat die Vereinbarung aber „Deutschland vor dem Chaos und vor einer bolschewistischen Revolution bewahrt“.78 Mit Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 191979 (nachfolgend: auch „WRV“) war die Entscheidung für eine parlamentarische Demokratie und gegen eine sozialistische Räterepublik besiegelt.80 Allerdings fand der Rätegedanke letztlich doch Einzug in die Weimarer Verfassung, wenn auch nur marginal.81 Nachdem sich die Reichsregierung in einer amtlichen Kundgebung am 25. Februar 1919 noch entschieden gegen das Rätesystem gewehrt hatte („Kein Mitglied des Kabinetts denkt daran oder hat je daran gedacht, das Rätesystem in irgend einer Form, sei es in der Verfassung, sei es in den Verwaltungsapparat einzugliedern“) bewogen zahlreiche Massenstreiks die Regierung doch zu einem zumindest teilweisen Einlenken.82 In der Weimarer Reichsverfassung

74 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 71 f.; der Inhalt der Vereinbarung ist auszugsweise wiedergegeben bei Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 84 f. 75 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 9. 76 Ebenda. 77 Ebenda. 78 So die Einschätzung der Zentralarbeitsgemeinschaft aus Arbeitgebersicht, 1954, abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 185 ff. Die Gewerkschaften zelebrierten die Vereinbarung dagegen als einen „gewerkschaftlichen Sieg von seltener Größe“. Allerdings war die Arbeitsgemeinschaft in beiden Lagern nicht unumstritten, vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 9 sowie Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 85 f. 79 Die Verfassung des deutschen Reichs vom 11. August 1919, RGBl. S. 1383. 80 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 143; Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 23. 81 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; Stollreither, Mitbestimmung, S. 40. 82 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 116 f.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

wurden daher Arbeiterräte auf Ebene des Betriebs, des Bezirks und des Reiches vorgesehen, die die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer vertreten sollten (vgl. Art. 165 WRV). Mit der Weimarer Reichsverfassung wurde so eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer nicht nur in sozialen, sondern auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet.83 Der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Garantie diente zunächst die in einer Verordnung vom 23. Dezember 1919 vorgesehene Einführung betrieblicher Arbeiterausschüsse.84 Danach erlies der Gesetzgeber im Jahr 1920 das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 192085 (nachfolgend: „BRG 1920“). Von dem eigentlichen Rätegedanken war dieses jedoch mittlerweile sehr weit entfernt.86 Vielmehr erinnerte es an die Arbeiterausschüsse der Vor- und Kriegszeit.87 Insoweit wurde es auch als „Ergebnis der ,Zügelung‘ der Rätebewegung durch SPD- und Gewerkschaftsführung“ betrachtet.88 Nach dem BRG 1920 sollten in allen Betrieben, die in der Regel mindestens zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, Betriebsräte errichtet werden. Das Gesetz wies ihnen in § 1 eine doppelte Funktion zu89: Erstens die „Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber“ und zweitens die „Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke“. Die Betriebsräte sollten mithin die Interessen der Arbeitnehmer vertreten, gleichzeitig jedoch auch den Arbeit83 So auch Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 13. Dies kam auch in Art. 156 WRV zur Geltung, vgl. Potthoff, a. a. O. 84 Vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 40. 85 Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920, RGBl. S. 147. 86 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 24; ebenso Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 144 („Das [Betriebsräte-]Gesetz zieht den Schlußstrich unter das Kapitel der rechtlichen Entmachtung der Räte“); Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 144 („So war das Betriebsrätegesetz [. . .] nur noch eine Karikatur des revolutionären Rätegedankens“). 87 Vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 40 sowie Fraenkel, Zehn Jahre Betriebsrätegesetz, in: Die Gesellschaft, Nr. 2, 1930, S. 120/121 und 126, zitiert nach Schneider/ Kuda, Mitbestimmung, S. 146: „Soweit das Betriebsrätegesetz die Räte als sozialpolitisches Sprachrohr der Belegschaften anerkennt, ist es weitgehend eine Kodifikation des Arbeiterausschusswesens, wie sich dieses in der Vorkriegs- und Kriegszeit herausgebildet hatte.“ 88 So Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 163. Dementsprechend heftig war auch die Kritik der Rätebefürworter, vgl. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. Doch auch von Seiten der Industrie wurde es kritisiert, vgl. die Resolution des Reichsverbandes der Deutschen Industrie zum Entwurf des Betriebsrätegesetzes am 24. September 1919, abgedruckt bei Nagel, a. a. O. („[. . .] so gefährlich für die Leitung, Ordnung und Leistungsfähigkeit der Betriebe und damit so vernichtend für das gesamte deutsche Wirtschaftsleben, daß der Entwurf in dieser Form keinesfalls Gesetz werden darf.“). 89 So auch Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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geber und die Betriebszwecke fördern. In der zweitgenannten Funktion manifestiert sich zum ersten Mal gesetzlich der Gedanke einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.90 Die bisherigen Gesetze im Kaiserreich hatten demgegenüber noch davon gesprochen, dass die Arbeiterausschüsse für „das gute Einvernehmen“ im Betrieb zu sorgen hatten und ihnen damit im Wesentlichen nur eine Disziplinierungs- und Schlichtungsfunktion beigemessen. Dagegen schlug sich im BRG 1920 der kooperative Ansatz der damals führenden Mehrheitssozialdemokraten nieder.91 Dieser kam insbesondere in den §§ 66 ff. BRG 1920 zum Ausdruck.92 Die Rechte des Betriebsrats konzentrierten sich zwar im Wesentlichen auf den betrieblichen und personellen Bereich93, gleichwohl war auch schon eine Einbeziehung des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten vorgesehen, indem diesem Auskunftsansprüche in Bezug auf die Geschäfts- und Beschäftigungslage sowie Einsichtsrechte in die Bilanzen des Arbeitgebers gewährt wurden (vgl. §§ 71, 72 BRG 1920). Insgesamt enthielt das BRG 1920 viele Elemente, die auch im heutigen Betriebsverfassungsgesetz wiederzufinden sind. Für die Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland war es in Anbetracht der erstmaligen gesetzlichen Verankerung einer Beteiligung der Arbeitnehmer an der Betriebsführung von immenser Bedeutung.94 Das BRG 1920 schrieb darüber hinaus auch erstmals eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat vor. § 70 Satz 1 BRG 1920 sah vor, dass in Unternehmen, in denen ein Aufsichtsrat bestand und für die nicht auf Grund anderer Gesetze eine gleichartige Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vorgesehen war, nach Maßgabe eines besonderen hierüber zu erlassenden Gesetzes ein oder zwei Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat entsandt werden sollten, „um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer sowie deren Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs zu vertreten“. Die Vertreter sollten in allen Sitzungen des Aufsichtsrats einen Sitz und ein Stimm90 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 24. Zwar lag auch schon dem Minoritäts-Gegenentwurf von 1849 der Gedanke einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zugrunde, allerdings kam es letztlich nicht zur Verabschiedung des Gesetzes, vgl. hierzu oben Kapitel 2, A.I.1.a). 91 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70. 92 So hatte der Betriebsrat etwa die Aufgabe, „die Betriebsleitung durch Rat zu unterstützen, um dadurch mit ihr für einen möglichst hohen Stand und für möglichste Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sorgen“ (§ 66 Nr. 1 BRG 1920) sowie darauf hinzuwirken, dass „von beiden Seiten Forderungen und Maßnahmen unterlassen werden, die das Gemeininteresse schädigen“ (§ 68 BRG 1920). 93 Vgl. hierzu die Regelungen in §§ 66 bis 90 BRG 1920. Die Betriebsräte hatten Informationsrechte bzw. teilweise sogar Mitspracherechte u. a. im Zusammenhang mit Entlassungen und Einstellungen, der Durchführung von Tarifverträgen, Einführung neuer Arbeitsmethoden, Ausgestaltung der Arbeitsordnung und Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren. 94 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 8.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

recht haben, lediglich eine Aufwandsentschädigung erhalten und über vertrauliche Angaben Stillschweigen bewahren (§ 70 Satz 2 BRG 1920). Bei § 70 BRG 1920 handelte es sich jedoch lediglich um eine Rahmenregelung, die den Erlass eines Ausführungsgesetzes vorsah.95 Ein solches stellte sodann das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 192296 dar. Als Zweck der Entsendung der Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat benennt § 70 BRG 1920 ausdrücklich die Vertretung der „Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer“ und ihrer „Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs“. Der Gesetzesentwurfsbegründung lässt sich entnehmen, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat mit dem Ziel eingeführt wurde, „die Arbeitsfreudigkeit, das Verantwortlichkeitsgefühl und das Interesse an der Hebung der Betriebsleistungen und des Ertrags“ zu steigern, und dass in der Überzeugung der Urheber des Gesetzes die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung als der geeignetste Weg hierfür erschien.97 Von dieser „Neuerung völlig grundlegender Art“ und „so weitgehenden Befugnis“ 98 erhoffte man sich also zum einen mehr Motivation und Engagement bei den Mitarbeitern, zum anderen wohl aber auch positive wirtschaftliche Effekte99. Darüber hinaus wurde der neuen Institution aber auch eine „Befriedungsfunktion“, „Informationsfunktion“ und schließlich eine „Demokratisierung des Unternehmens bzw. der Aufsichtsratsfunktionen“ zugesprochen.100 Da die Gesetzesbegründung auch davon spricht, dass nur dort ein Mitbestimmungsrecht eingefügt werden könne, „wo wegen der gesellschaftlichen Form des Unternehmens bereits ein kollegialer Aufsichtsrat besteht, dem die Arbeitnehmervertretung leicht eingefügt werden kann“ 95 Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 273; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestG Vorbem. Rn. 4. 96 Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922, RGBl. I S. 209. 97 Begründung zum Entwurf des Gesetzes über Betriebsräte vom 16. August 1919, Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338, Drucks. Nr. 928, S. 22 („Eine Neuerung völlig grundlegender Art, die ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in der Betriebsleitung der größeren Unternehmungen herbeiführt, bildet schließlich die Entsendung von Vertretern des Betriebsrats in den Aufsichtsrat derjenigen Unternehmungen, für welche ein solcher besteht. Die Verleihung einer so weitgehenden Befugnis, welche das im allgemeinen gewährte Mitberatungsrecht in ein Mitbestimmungsrecht verwandelt, wird in der Überzeugung vorgeschlagen, dass nichts so sehr die Arbeitsfreudigkeit, das Verantwortlichkeitsgefühl, und das Interesse an der Hebung der Betriebsleistungen und des Ertrags zu steigern geeignet ist, als die verantwortliche Mitwirkung an der obersten Leitung des Unternehmens, [. . .]“). 98 Begründung zum Entwurf des Gesetzes über Betriebsräte vom 16. August 1919, Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338, Drucks. Nr. 928, S. 22. 99 In diese Richtung auch schon Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 14, die von einer „ökonomischen Rechtfertigung“ ausgeht. 100 Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 274 m.w. N.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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und gleichzeitig den „bereits verworfenen Weg der Schaffung zweier gleichgeordneter, einander lähmender Organe“ erwähnt, scheinen auch andere Konzepte als die Verankerung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat im Vorfeld diskutiert worden zu sein.101 Das Ausführungsgesetz war mit nur elf kurzen Paragraphen äußerst knapp. Es enthielt im Wesentlichen lediglich Bestimmungen über die betroffenen Unternehmen, die Anzahl der zu entsendenden Betriebsratsmitglieder (ein oder zwei), die Wahl und Ersatzmitgliedschaft sowie die Beendigung des Amtes. Die Gesetzesentwurfsbegründung stellte darüber hinaus klar, dass auf die Betätigung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat – „ohne daß dies im Gesetz ausgesprochen zu werden braucht“ – die Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes über die Mitglieder der Betriebsvertretungen ohne Weiteres Anwendung fanden, so etwa die Freistellung von der Arbeit.102 In § 3 des Ausführungsgesetzes wurde die zuvor angesichts der Formulierung in § 70 BRG 1920 („um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer sowie deren Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs zu vertreten“) aufgekommene Streitfrage, ob diese Norm eine inhaltliche Beschränkung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat auf die Wahrnehmung ausschließlich sozialpolitischer Interessen der Arbeitnehmer impliziere oder aber sämtliche Aufsichtsratsmitglieder gleichberechtigt seien, zugunsten letzterer Ansicht gelöst.103 Was den Einfluss der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat betrifft, so war die Bedeutung der Arbeitnehmervertreter wohl eher gering. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang zum einen auf ihre Minderheitenstellung.104 Zum anderen wurden die Arbeitnehmervertreter von der Entscheidung über bedeutsame Angelegenheiten – etwa Vorstandsfragen – ausgeschlossen, indem diese im Wege von Satzungsänderungen auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder Ausschüsse übertragen wurden, in denen die Belegschaftsvertreter nicht vertreten waren.105 Die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beschränkte sich damit letztlich auf die Belegschaft betreffende Fragen, wobei hierbei neben einem man101

So schon Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 14. Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 370, Nr. 3110 Anlage 1, S. 2930, 2932. 103 Vgl. Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 370, Nr. 3110 Anlage 1, S. 2930, 2931 f.; ferner die Akten der Reichskanzlei Weimarer Republik, Kabinett Fehrenbach, Bd. 1, Dokumente, Nr. 156 Kabinettssitzung vom 15. Januar 1921, 16 Uhr, TOP 8: Entwurf eines Gesetzes über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat., S. 414–415 m.w. N., abrufbar unter http://www.bundes archiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0u1/feh/feh1p/kap1_2/kap2_156/para3_8.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 274 m.w. N. 104 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 25. 105 Näher Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 275 f. m.w. N. 102

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

gelnden Interesse auch ihre fehlenden Qualifikationen für eine fundierte Auseinandersetzung mit sonstigen Themen des Aufsichtsrats eine Rolle gespielt haben dürften.106 Insgesamt betrafen die Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats nach dem BRG 1920 damit im Wesentlichen nur den sozialen und personellen Bereich.107 Seine Bedeutung in wirtschaftlichen Angelegenheiten blieb trotz der Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat gering.108 Das BRG 1920 und das Ausführungsgesetz von 1922 legten jedoch eine entscheidende neue Weichenstellung für das deutsche Mitbestimmungssystem, indem die Aufsichtsräte erstmalig nicht mehr nur ein ausschließliches Gremium von Anteilseignervertretern darstellten.109 Auch im Hinblick auf das sonstige Arbeitsrecht war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von großer Bedeutung, als dann erst – vor dem Hintergrund einer neuen politischen Ordnung – die Denkansätze des 19. Jahrhunderts rechtliche Formen annehmen konnten und die Entstehung eines modernen Arbeitsrechts eingeleitet wurde.110 So etwa wurde mit der Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918111 die erste gesetzliche Grundlage für das deutsche Tarifvertragssystem erlassen. Kritisiert wird jedoch auch, dass die während der Novemberrevolution erkämpften Rechte, so insbesondere das Streikrecht, allmählich wieder beschnitten wurden.112 d) Einbruch der Mitbestimmung unter dem NS-Regime Eine Zäsur in der Entwicklung des deutschen Mitbestimmungssystems erfolgte mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft. Nach 1933 wurden nicht nur jegliche demokratischen Strukturen im politischen Bereich abgeschafft, auch in den Betrieben und der Wirtschaft erhielt das sog. „Führerprinzip“ Einzug.113 106

Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 277. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. 108 Ebenda. 109 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 15. 110 Vgl. Häberle, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 145 (148) („[. . .] ganz offensichtlich gibt es ein eigentliches Arbeitsrecht erst nach 1918, als die alte Gesellschaft überwunden war, und als hinreichende zivilbürgerliche Rechts- und Verfassungsvorstellungen, die freilich ideell längst vorlagen, auch hinreichend praktisch werden konnten, indem durch Abdankung, Revolution und allgemeinen Zusammenbruch des alten Staates überhaupt erst die wirkliche Chance eines allgemeinen zivilbürgerlichen Staates entstanden war.“). 111 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918, RGBl. S. 1456. 112 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 145. 113 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 13; vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934, RGBl. I S. 45: „Der Führer des Betriebs entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten.“ 107

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Alle Akteure im Arbeitsleben – Gewerkschaften wie Arbeitgeberorganisationen, Arbeiter wie Unternehmer –, wurden unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Status in der „deutschen Arbeitsfront“, die eine Erziehungsaufgabe im Sinne der nationalsozialistischen Doktrin übernehmen sollte, vereint.114 Die Arbeitsbedingungen sollten fortan in einer vom Führer des Betriebs einseitig zu erlassenden Betriebsordnung festgesetzt werden (vgl. §§ 26 ff. des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934115). Verboten wurde der Arbeitskampf.116 Für die Einhaltung des Arbeitsfriedens hatte ein „Treuhänder der Arbeit“ – ein Reichsbeamter unter Aufsicht des Reichsarbeitsministers – zu sorgen (vgl. §§ 18 f. des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit). Das BRG 1920 und das Ausführungsgesetz von 1922 widersprachen dem „Führerprinzip“ und wurden daher aufgehoben (vgl. § 65 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit).117 Es gab zwar einen „Vertrauensrat“, der aus dem Führer des Betriebs und Vertrauensmännern der Gefolgschaft bestand (vgl. § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit). Doch wurde nicht nur der Vertrauensrat vom Führer des Betriebs geleitet, auch wurden die Vertrauensmänner vom Führer des Betriebs zur Wahl durch die Gefolgschaft aufgestellt (vgl. §§ 5 Abs. 1, 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit). Das nationalsozialistische Ordnungssystem verhinderte so jegliche Art von Mitbestimmung im Betrieb oder Unternehmen.118 2. Entwicklung der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 Die Entwicklung des Arbeitsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte im Rahmen des Wiederaufbaus des politischen und wirtschaftlichen Systems in Deutschland, der sich maßgeblich unter dem Einfluss der Alliierten und ihrer Entflechtungsmaßnahmen vollzog und nicht nur von einer antifaschistischen, sondern in breiten Kreisen auch antikapitalistischen Einstellung geprägt war.119 Im Zuge der Neuordnung der staatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung nach Kriegsende wurde auch die Mitbestimmungsidee schon sehr bald wiederbelebt.120 Bereits 1946 erließ der alliierte Kontrollrat das für alle Besatzungszonen

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Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 14. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934, RGBl. I S. 45. 116 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 14. 117 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 11. 118 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 14; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 26. 119 Ausführlich Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 144 ff. 120 Stollreither, Mitbestimmung, S. 146. 115

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geltende Betriebsrätegesetz vom 10. April 1946121, mit welchem die Errichtung von Betriebsräten wieder erlaubt wurde. Hinsichtlich der Neuordnung der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung wurde in den westlichen Besatzungszonen an die Weimarer Verfassung sowie die rechtlichen und wirtschaftspolitischen Konzepte der damaligen Zeit angeknüpft.122 Prägend war dabei die aus der Weimarer Zeit stammende Idee der Wirtschaftsdemokratie.123 Diese wurde nicht nur von den Gewerkschaften wiederaufgegriffen124, auch in den Programmen der politischen Parteien fand sich ein wirtschaftsdemokratischer Ansatz125. Daran anknüpfend fanden sich auch in den neugefassten Verfassungen der Bundesländer in den westlichen Besatzungszonen Bestimmungen zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer im wirtschaftlichen Bereich.126 a) Einführung einer Unternehmensmitbestimmung in der Montanindustrie Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren sich die Besatzungsmächte einig, dass eine Entnazifizierung, Entmilitarisierung und ein Wiederaufbau Deutschlands auf demokratischer Grundlage notwendig war.127 Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 einigten sich die Alliierten darauf, „[i]n praktisch kürzester Frist [. . .] das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit 121 Kontrollratsgesetz Nr. 22 (Betriebsräte) vom 10. April 1946, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, S. 133. 122 Vgl. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 26; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 25 f.; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 26. 123 Ausführlich zum ideologischen Konzept der Wirtschaftsdemokratie unten Kapitel 2, B.VI. 124 Vgl. Grundsatzprogramm des DGB von 1949, in der die „Demokratisierung der Wirtschaft“ eine zentrale Rolle spielt, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70 ff. 125 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 25; vgl. etwa das Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947 (Präambel), das von einer „gemeinwirtschaftlichen Ordnung“ spricht, durch die „das deutsche Volk eine Wirtschaftsund Sozialverfassung erhalten [sollte], die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert“. 126 Näher hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 28 f. 127 Vgl. Directive JCS 1067 des Generalstabs der Vereinigten Staaten an General Eisenhower vom April 1945 über die weitere Behandlung Deutschlands: „Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung des Weltfriedens zu werden. Wichtige Schritte zur Erreichung dieses Ziels sind die Ausschlagung des Nazismus und des Militarismus in jeder Form, die sofortige Verhaftung der Kriegsverbrecher zum Zwecke der Bestrafung, die industrielle Abrüstung und Entmilitarisierung mit langfristiger Kontrolle des Deutschen Kriegsapparats und die Vorbereitung zu einem späteren Wiederaufbau des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage.“

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dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen“.128 Von dieser Absichtserklärung betroffen war vor allem die deutsche Schwerindustrie.129 Der vom Alliierten Kontrollrat am 28. März 1946 herausgegebene sog. „Industrieplan“ 130 sah Restriktionen in Bezug auf das industrielle Produktionsvolumen sowie die umfassende Demontage kriegsnütziger Produktionsanlagen vor.131 1947 begann in der Stahl- und Eisenindustrie die Dekonzentration und Aufspaltung der acht großen Eisen- und Stahlkonzerne, aus denen bereits im Frühjahr 1948 25 Unternehmen entstanden waren.132 Die anfänglich auf Reparationen und Entmilitarisierung Deutschlands gerichtete Politik der Alliierten wandte sich zunehmend der Frage nach dem Wiederaufbau Deutschlands zu.133 Vor dem Hintergrund, dass die den Demontagen unterliegenden Anlagen auch für nicht-militärische Zwecke notwendig waren, musste eine erneute Aufrüstung Deutschlands im Wege der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung verhindert werden.134 Dabei gab es verschiedene Überlegungen zur Gestaltung der deutschen Wirtschaft. Der anfängliche Vorschlag Morgenthaus, Deutschland in einen Agrarstaat zu wandeln, wurde schon bald aufgegeben.135 Deutlich mehr Beachtung erhielt jedoch das Konzept der Sozialisierung, insbesondere in Bezug auf die Montanindustrie und Großchemie.136 Während die Amerikaner lediglich eine Entflechtung der Großkonzerne zum Ziel hatten, waren die Briten durchaus der Sozialisierung zugeneigt137, in der sowjetischen Besatzungszone stand dagegen von Anfang an die Verstaatlichung fest.138 128 Punkt III.B.12 des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945, abrufbar unter http://www.documentarchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 129 Stollreither, Mitbestimmung, S. 147. 130 „Plan für Reparationen und den Nachkriegsstand der deutschen Wirtschaft und für die Demontagen“ vom 28. März 1946, vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22. 131 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77; näher zu den Maximalgrenzen für die Stahlproduktion und Gesamtindustrie Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22. 132 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77; Stollreither, Mitbestimmung, S. 147. 133 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 180. 134 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77. 135 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77. 136 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 31. 137 Die Briten sahen die Entflechtung der Eisen- und Stahlindustrie ausdrücklich als eine Vorstufe der Sozialisierung, die analog zu der in England unter der an die Macht gekommenen Labour Party erfolgten Verstaatlichung der Stahlindustrie ebenfalls für die deutsche Grundstoffindustrie erfolgen sollte, Stollreither, Mitbestimmung, S. 147. 138 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77.

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Auch in Deutschland selbst gingen die Meinungen auseinander. Im Grundsatz anerkannt war unter den sich nach Kriegsende wiederaufbauenden Parteien und Gewerkschaften, dass nur eine umfassende Neuordnung die Wiederholung der Geschehnisse unter dem NS-Regime für immer verhindern könne.139 Dabei wurde dem Kapitalismus nicht nur von Verfechtern der sozialistischen Ideologie, sondern auch in konservativen bürgerlichen Kreisen eine Mitschuld am Ende der Weimarer Republik gegeben, sodass die Sozialisierung von weiten Teilen als alternativlos angesehen wurde.140 Dementsprechend weit verbreitet war neben antifaschistischen Bestrebungen auch der Zuspruch für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und eine damit einhergehende Wirtschaftsplanung sowie die Einführung betrieblicher und überbetrieblicher Kontrollmechanismen in Bezug auf die Produktion.141 So etwa sprach sich die SPD in den ersten Nachkriegsjahren generell für die Sozialisierung aus142, auch die Gewerkschaften gingen von einer notwendigen Vergemeinschaftung der Schlüsselindustrien und einer zentralen volkswirtschaftlichen Planung aus143. Selbst die CDU hatte in ihrem Ahlener Programm vom Februar 1947 die Vergesellschaftung des Bergbaus, der eisenund stahlerzeugenden Industrie und chemischen Großindustrie sowie anderer monopolartiger Großindustrien gefordert.144 Demgegenüber wehrte sich die Unternehmerseite schon früh gegen die Sozialisierung.145

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Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78 f.; vgl. das Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947: „Das kapitalistische System ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“ (Präambel). 141 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 145. 142 Vgl. die Politischen Leitsätze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Aktionsprogramm der SPD) vom 11. Mai 1946 in Hannover: „[. . .] Die Sozialdemokratie erstrebt eine sozialistische Wirtschaft durch planmäßige Lenkung und gemeinwirtschaftliche Gestaltung. [. . .] Die Sozialisierung hat zu beginnen bei den Bodenschätzen und den Grundstoffindustrien. Alle Betriebe des Bergbaues, der Eisen- und Stahlerzeugung und -bearbeitung bis zum Halbzeug, der größte Teil der chemischen Industrie und die synthetischen Industrien, die Großbetriebe überhaupt, jede Form der Versorgungswirtschaft und alle Teile der verarbeitenden Industrie, die zur Großunternehmung drängen, sind in das Eigentum der Allgemeinheit zu überführen.“; vgl. hierzu auch Potthoff/ Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 31. 143 Vgl. Grundsatzprogramm des DGB, beschlossen auf dem Gründungskongress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949, auszugweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70. 144 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Punkt II.3 und II.4 sowie Antrag 2 der CDU-Fraktion des Landes Nordrhein-Westfalen. 145 So ein seitens der Industrie auf der ersten Konferenz zwischen Vertretern der Ruhrindustrie und der Gewerkschaften im Mai 1946 in Düsseldorf vorgebrachter Gegenvorschlag zur Sozialisierung, der dahingehend lautete, ein neues deutsches Gesellschaftsrecht zu schaffen, welches „den Mißbrauch der Wirtschaftskraft ausschließt und die verantwortliche Mitwirkung der Angehörigen des Betriebes an seiner Entwicklung sichert“, vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 27. 140

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Die Verfassungen einzelner Bundesländer sahen zwar die Überführung von Schlüsselindustrien ins Gemeineigentum vor.146 Doch wurde schon 1947 die Umsetzung von Sozialisierungsbeschlüssen in Bayern, Schleswig-Holstein und in Groß-Berlin unter amerikanischem Einfluss verhindert, ebenso wurde einem Sozialisierungsbeschluss des Landes Nordrhein-Westfalen vom 6. August 1948 nicht zugestimmt.147 Die Entscheidung über die Vergemeinschaftung sollte vielmehr der neuen demokratischen Regierung in Deutschland vorbehalten bleiben und nicht durch geschaffene Tatsachen vorweggenommen werden.148 Allein in Hessen war teilweise eine Überführung ins Gemeineigentum erfolgt.149 Vor dem Hintergrund ihrer überlegenen Stellung gegenüber Großbritannien und Frankreich, die auf finanzielle Unterstützung angewiesenen waren, sowie der stark angeschlagenen Sowjetunion konnten die Amerikaner letztlich ihr Konzept von einem kapitalistischen Wiederaufbau Westdeutschlands realisieren und den Grundstein für die weitere Entwicklung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung legen.150 Das 1949 erlassene Grundgesetz, welches „keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ 151 enthält, eröffnete in Art. 15 zwar die Möglichkeit der Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, ordnete sie jedoch nicht an.152 Spätestens mit Bildung der ersten Regierung unter Konrad Adenauer kam eine Sozialisierung nicht mehr in Betracht.153 Die ersten Nachkriegsjahre waren für die Entwicklung und Durchsetzung der Mitbestimmungsidee – nicht zuletzt aufgrund der starken Stellung der Gewerkschaften – weichenstellend. Im Rahmen der Überlegungen und Diskussionen um die staatliche und wirtschaftliche Neuordnung Deutschlands wurde auch der Mit-

146 So etwa Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946, abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 179 f., sowie Art. 27 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 1950, vgl. Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 181. 147 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 180 f. 148 Vgl. die Richtlinien der amerikanischen Regierung an den Kommandierenden General der Besatzungsstreitkräfte der Vereinigten Staaten in Deutschland, General Lucius D. Clay, veröffentlicht am 17. Juli 1947, Pkt. 21 c), auszugsweise abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 167 ff.; vgl. hierzu auch Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, a. a. O., S. 146. 149 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 31. 150 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 144, 146. 151 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 119. 152 Wie dies noch in einigen Länderverfassungen der Fall war, vgl. Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946: „Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden 1. In Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schiene oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen [. . .]“, abgedruckt bei Blanke/ Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 179 f. 153 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 29.

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bestimmungsgedanke wiederbelebt. Schon früh fand daher die Mitbestimmung in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen Eingang in die Programme der Gewerkschaften und politischen Parteien. Die sich nach 1945 erst wieder neu gründenden Gewerkschaften154 griffen in ihren Vorstellungen zur Neuordnung Deutschlands auf die Ideen der Weimarer Zeit und das damals propagierte Konzept der Wirtschaftsdemokratie zurück.155 Neben der Forderung nach einer weitgehenden Mitbestimmung in personellen und betrieblichen Angelegenheiten kam daher auch schon früh die Forderung auf, dass die Arbeiter in den Vorständen und Aufsichtsräten vertreten sein müssten.156 Im Jahre 1949 fanden die in den ersten Nachkriegsjahren entstandenen Vorstellungen ihren Niederschlag im Grundsatzprogramm des DGB.157 Neben der notwendigen Vergemeinschaftung der Schlüsselindustrien und einer zentralen volkswirtschaftlichen Planung war die „Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung“ zentrale Forderung des DGB.158 Aber auch die Politik sah in der Mitbestimmung einen wichtigen Baustein der neuen Ordnung. Die SPD sprach sich

154 Dies erfolgte unter der Kontrolle der Militärregierung der Alliierten, vgl. etwa Industrial Relations Directive Nr. 16 vom 12. April 1945 „Gründung von Gewerkschaften in der britischen Besatzungszone (Drei-Phasen-Plan)“, auszugsweise abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 164 ff. 155 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 24; vgl. auch Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 79. Ausführlich zum ideologischen Konzept der Wirtschaftsdemokratie unten Kapitel 2, B.VI. 156 Vgl. Entschließung Nr. 8 des ersten Gewerkschaftskongresses der britischen Zone vom 12 bis 14. März 1946 in Hannover-Linden sowie die dortige Rede von Hans Böckler („Wir müssen in der Wirtschaft selber als gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft. Also der Gedanke ist der: Vertretung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Gesellschaften.“), zitiert nach Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 29. Die Forderung nach einer paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte kam auch in der Entschließung des zweiten Gewerkschaftskongresses vom 21. bis 23. August 1946 ausdrücklich zutage: „Die Gewerkschaften halten es deshalb für notwendig, daß die Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichts- und Kontrollorganen der Unternehmungen paritätisch mit den Vertretern der Unternehmer beteiligt sind. Die Auswahl der Arbeitnehmervertreter obliegt dabei den Gewerkschaften mit der Maßgabe, daß mindestens zwei Vertreter aus dem Betriebsrat genommen werden“, zitiert nach Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 30. 157 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 79. 158 Grundsatzprogramm des DGB von 1949, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70. Eine Mitbestimmung in der freien Marktwirtschaft hielten die Gewerkschaften damals noch für unmöglich, vgl. die Rede von Hans Böckler auf dem Gründungskongress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949: „Für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft ist allerdings eine Planmäßigkeit der letzteren Voraussetzung“, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 70. Stollreither (S. 71) hebt hervor, dass sich diese Auffassung wohl auch nach Ansicht der Gewerkschaften nicht bewahrheitet hat, umso mehr jedoch die Mitbestimmung als Mittel gegen „wirtschaftliche Zusammenballungen“ angesehen wurde.

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stets für Mitbestimmung aus.159 Doch auch im Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947 ist zu lesen: „In den Betrieben, in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht, ist ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist den Arbeitnehmern des Betriebs in den Aufsichtsorganen, z. B. im Aufsichtsrat des Unternehmens, die ihnen zustehende Vertretung einzuräumen.“ Der Mitbestimmungsgedanke erhielt zudem in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen Eingang in einige Landesverfassungen160 und Landesgesetze161. Vor allem aber boten die Demontagen und Entflechtungspläne der Alliierten einen nahrhaften Boden für die tatsächliche Einführung der von Seiten der Gewerkschaften geforderten Mitbestimmung in den Unternehmensorganen. Die geplanten Abbaumaßnahmen hatten nicht nur die Unternehmensspitzen, sondern angesichts der Konsequenzen für die Arbeitsplätze auch die Belegschaften und Betriebsräte zu verhindern versucht.162 Regelmäßig nahmen Belegschaftsvertreter und Gewerkschaften an den Verhandlungen über die Demontagen teil, womit die wichtige Rolle der Betriebe betont werden sollte.163 Der Einfluss der Gewerkschaften war in dieser Zeit auch insofern bedeutsam, als sie – anders als die Großunternehmer, die in breiten Kreisen als mitverantwortlich für die Geschehnisse der NS-Zeit angesehen wurden – nicht in gleichem Maße verunglimpft waren und zudem oft deutlich früher als die Unternehmer von den Entflechtungsplänen der Alliierten erfuhren.164 Vor diesem Hintergrund waren die Unternehmer auf eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften angewiesen, was sie auch zu Zugeständnissen in Bezug auf die Mitbestimmung bewog. Ausschlaggebend war insoweit die Verkündung des Entflechtungsplans der britischen Besatzungsmacht im Jahre 1947, infolge derer die Leitungen der Großkonzerne, die die Realisie159 So z. B. die Politischen Leitsätze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Aktionsprogramm der SPD) vom 11. Mai 1946 in Hannover: „[. . .] Der Sozialismus will soviel wirtschaftliche Selbstverwaltung wie möglich, unter stärkster Beteiligung der Arbeiter und Verbraucher [. . .] Zur Vertretung der Interessen der Arbeitenden in den Betrieben sind Betriebsräte mit weitgehenden Rechten zu bilden“; vgl. auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 93 ff. 160 Z. B. Art. 38 Abs. 3 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946: „Die Gewerkschaften und die Vertreter der Unternehmen haben gleiches Mitbestimmungsrecht in den vom Staat mit der Durchführung seiner Lenkungsaufgaben beauftragten Organen“, abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 177 ff. (179). 161 Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27. 162 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22; näher hierzu Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 23 f. 163 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 24; vgl. auch Potthoff/Blume/ Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22 f. 164 Stollreither, Mitbestimmung, S. 147 f.

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rung der einschneidenden Maßnahmen verhindern wollten, an die Gewerkschaften herantraten und auf freiwilliger Basis eine Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten anboten.165 In einem Brief an die Einheitsgewerkschaft erklärte der Vorstand der Gutehoffnungshütte Oberhausen AG diesbezüglich: „Um eine Entflechtung durchzuführen, welche die Wirtschaftlichkeit der Werke nicht gefährdet, halten wir es für geboten, daß die erforderlichen Maßnahmen von denjenigen Stellen beeinflusst werden, welche mit den Betriebsverhältnissen und den verwaltungsmäßigen Zusammenhängen vertraut sind, also von der Verwaltung und der Betriebsvertretung unter Mitwirkung der Gewerkschaften. Wir denken uns dies in der Weise, daß der Aufsichtsrat durch die Zuwahl von Vertretern der Arbeitnehmer beziehungsweise Gewerkschaft erweitert wird, und daß von diesem Kreise die Vorschläge für eine zweckentsprechende Lösung ausgehen.“ 166

Das Angebot der Klöckner-Werke war noch konkreter und weitgehender: „Der Aufsichtsrat der Klöckner-Werke wird nach dem Grundsatz der Gleichstellung von Kapital und Arbeit umgebildet. Die Vertreter der Arbeitnehmer sollen hierbei, zusammen mit der öffentlichen Hand, die Mehrheit der Sitze erhalten.“ 167

Hatten die Unternehmer die Forderungen der Gewerkschaften nach paritätischer Besetzung des Aufsichtsrats noch im Jahre 1946 mit Verweis auf eine notwendige – für alle Unternehmen und mindestens für das gesamte rheinisch-westfälische, besser noch für das gesamte Bundesgebiet geltende – gesetzliche Regelung abgewiesen168, so waren angesichts der geplanten Entflechtungsmaßnahmen Mitbestimmungsrechte letztlich im Gegenzug für die Unterstützung der Gewerkschaften angeboten worden. Die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten fand auch die entsprechende Billigung seitens der britischen Besatzungsmacht.169 Im Zuge der Entflechtungen war eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte sodann in immer mehr Unternehmen erfolgt.170 In der britischen Besatzungszone waren schließlich in allen entflochtenen Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie paritätisch besetzte Aufsichtsräte mit je fünf Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie einem Vertreter der Treuhandverwaltung vorzufinden.171 Die Arbeitnehmerseite war dabei mit zwei Betriebsratsmitgliedern, zwei Gewerk165 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 40; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 181. 166 Brief der Gutehoffnungshütte Oberhausen AG vom 18. Januar 1947, abgedruckt bei Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 182. 167 Brief der Klöckner-Werke an die Einheitsgewerkschaft vom 18. Januar 1947, abgedruckt bei Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 43. 168 Näher zu den diesbezüglichen Gesprächen zwischen den Klöckner-Werken und der Gewerkschaft Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 31 f. 169 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 187; vgl. auch Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 28; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 34 ff., 50. 170 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 191. 171 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77 f.; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 48; vgl. zu der Zusammensetzung der Aufsichtsräte auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 148.

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schaftsmitgliedern sowie einem Vertreter der öffentlichen Hand besetzt.172 Infolge einer Verständigung zwischen der Treuhandverwaltung und den Gewerkschaften wurden auch die Vorstände der entflochtenen Gesellschaften mit Gewerkschaftsvertretern, die die Funktion des Arbeitsdirektors einnahmen, besetzt.173 Es entstand das Amt des Arbeits- und Sozialdirektors, der nur mit Zustimmung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat ins Amts berufen werden konnte.174 Daneben waren auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen175 oder Landesgesetzen176 Betriebsräte mit weitgehenden Mitbestimmungsrechten in wirtschaftlichen Angelegenheiten eingerichtet worden. Die starke Stellung der Gewerkschaften und die aus Sicht der Unternehmer notwendige Kooperation zur damaligen Zeit verhalf so einer sehr weitreichenden Mitbestimmung zum Einzug in die Praxis. Infolge des sich ankündigenden Rückzugs der Alliierten und der Wiederanwendung deutschen Rechts, welches keinerlei Arbeitnehmervertretung in den Unternehmensorganen vorsah, drohte jedoch die praktizierte Mitbestimmung unterlaufen zu werden.177 Im Jahre 1949 hatten sich die politischen Bedingungen für die Verwirklichung des gewerkschaftlichen Konzepts zur Neuordnung Deutschland, dessen wesentlichen Teil die Mitbestimmung darstellte, deutlich verschlechtert.178 Durch die federführende amerikanische Deutschlandpolitik, den Marshall-Plan und die Währungsreform war der Weg einer Neuordnung auf kapitalistischer Grundlage beschritten worden.179 Das am 13. Mai 1949 erlassene Grundgesetz machte keine Vorgaben zur Wirtschaftsverfassung, enthielt keine dem Art. 165 der Weimarer Verfassung vergleichbare Vorschrift und sah auch 172

Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78; Stollreither, Mitbestimmung, S. 148. 174 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78. 175 So etwa beispielhaft die Betriebsvereinbarung bei Bode Panzer aus dem Jahre 1946, in der dem Betriebsrat nicht nur ein Mitentscheidungsrecht („im Einverständnis des Betriebsrates“) in personellen Angelegenheiten wie Einstellungen, Entlassungen und Beförderungen sowie Lohnfragen eingeräumt wurde, sondern der Betriebsrat darüber hinaus „bei dem betrieblichen Wiederaufbau, bei der Festlegung des Produktionsprogramms und bei der Schaffung neuer Arbeitsmethoden“ mitwirken sollte, jegliche Betriebsänderungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats erfolgen durften und der Betriebsrat Einsicht in alle maßgeblichen Unterlagen in Bezug auf die Arbeitnehmer berührenden Betriebsvorgänge sowie auch die Vermögensverhältnisse des Unternehmens haben sollte; Auszug der Betriebsvereinbarung abgedruckt bei Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 26. Die sehr weitgehende Betriebsvereinbarung war durch einen Bergarbeiterstreik Ende 1946 forciert worden, nachdem sich die Betriebleitung zunächst weigerte, die Forderungen der Arbeitnehmervertreter zu akzeptieren, vgl. hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 171 f. 176 So in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, vgl. Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27; näher hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 205 ff. 177 Näher Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 191. 178 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 82. 179 Ebenda. 173

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keine konkrete Sozialisierung vor.180 Die Mitbestimmungsidee und das Konzept der Wirtschaftsdemokratie hatten zwar zuvor auch Eingang in die Programme von politischen Parteien gefunden, und auch Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte sich in seiner Regierungserklärung am 22. September 1949 für eine Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgesprochen und eine „Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien“ aufgrund der „sozial- und gesellschaftspolitischen Anerkennung der Arbeitnehmerschaft“ für notwendig erachtet.181 Doch die bürgerliche Mehrheit im neu gewählten Bundestag und die aus CDU/CSU sowie FDP bestehende Regierungskoalition boten keine nahrhafte Grundlage für die Mitbestimmungsforderungen der Gewerkschaften.182 Die mitregierende FDP drohte sogar mit einem Koalitionsbruch, sollte die Regierung die Mitbestimmungsthematik aufgreifen.183 Das im Oktober 1949 festgelegte Grundsatzprogramm des DGB war somit zu diesem Zeitpunkt politisch nicht mehr realisierbar und konnte daher lediglich die Sicherung der gewerkschaftlichen Errungenschaften der ersten Nachkriegsjahre bezwecken.184 Die folgenden politischen und gesetzgeberischen Entwicklungen blieben entsprechend weit hinter den Forderungen der Gewerkschaften zurück. Nachdem ein gemeinsamer Gesetzesvorschlag der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände aufgrund unüberwindbarer Differenzen in Bezug auf die Unternehmensmitbestimmung nicht zustande kam185, folgten zahlreiche Gesetzesentwürfe und Vorschläge von Seiten der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, der CDUCSU-Fraktion und der SPD. Die Konzepte reichten von einer maximalen Drittelbeteiligung bis hin zur völligen Parität, umstritten war auch die Frage des Vorschlagsrechts und damit zusammenhängend des Einflusses der Gewerkschaften.186 Ein letztlich von der Regierung ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zum Betriebsverfassungsgesetz187 deckte sich weitgehend mit den Vorschlägen der 180

Ebenda. Regierungserklärung des Bundeskanzlers Konrad Adenauer vor dem Deutschen Bundestag am 20. September 1949, abrufbar unter http://www.konrad-adenauer.de/do kumente/erklarungen/regierungserklarung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 182 Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 83 f. 183 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 72. 184 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 82, 84. 185 Vgl. hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 207; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 84; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 72. 186 Vgl. näher zu den einzelnen Gesetzesentwürfen und Vorschlägen Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 72 ff.; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 41; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 191 ff.; Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 43 ff. 187 Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben (Betriebsverfassungsgesetz) vom 31. Oktober 1950, BT-Drucks. 01/1546. 181

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Arbeitgeberorganisationen und sah eine drittelparitätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern vor, die dem Betrieb angehören mussten und grundsätzlich vom Betriebsrat vorgeschlagen wurden.188 Die hohe Anzahl an Stellungnahmen und Gesetzesvorschlägen zeigt, wie kontrovers das Thema Mitbestimmung im Jahre 1950 behandelt wurde.189 Dabei war die in der Eisen- und Stahlindustrie gelebte Mitbestimmung bis August 1950 in den politischen Diskussionen um ein neues Betriebsverfassungsgesetz noch weitestgehend ausgeklammert gewesen.190 Seit Herbst 1950 verschärfte sich jedoch die Situation, als die Einführung einer paritätischen Mitbestimmung in der gesamten Wirtschaft immer unwahrscheinlicher wurde und die praktizierte paritätische Mitbestimmung an Boden zu verlieren drohte, nachdem eine im Bundeswirtschaftsministerium ausgearbeitete Durchführungsverordnung zum neuen Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 27 die entflochtenen Unternehmen ohne Sonderregelung in Bezug auf die gelebte Unternehmensmitbestimmung wieder deutschem Recht unterstellen wollte.191 Aus Angst vor einem Verlust der bestehenden Mitbestimmungsrechte drohten die Gewerkschaften schließlich mit einem Streik, um die paritätische Mitbestimmung gesetzlich zu sichern.192 Daraufhin folgende zähe Verhandlungen zwischen der Regierung, der Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite, in denen vor allem der „elfte Mann“ und der Arbeitsdirektor im Vorstand heftig umstritten waren, mündeten schließlich in einer Einigung über die gesetzliche Regelung der Mitbestimmung in der Montanindustrie.193 Die Arbeitgeberseite hatte schlussendlich der gesetzlichen Verankerung der bereits praktizierten Mitbestimmung im Eisen- und Stahlsektor sowie ihrer Ausweitung auf den Bergbau zustimmen müssen, sodass es den Gewerkschaften letztlich mithilfe der konkreten Streikandrohung nicht nur gelungen war, die bestehende Mitbestimmung zu sichern, sondern auch im Bergbau einzuführen.194 188 Vgl. hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 84; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 73; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 193; Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 45 ff. 189 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 73. 190 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 84 f. 191 Näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 85; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 76; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 42; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 193. 192 Näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 77; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 193 ff. In der zu diesem Zweck im Vorhinein organisierten Urabstimmung erteilten 95,9 % der organisierten Beschäftigten in der Metallindustrie und 92,8 % der Beschäftigten im Bergbau dem Vorstand die gewünschte Vollmacht, die Arbeiter im entscheidenden Augenblick zum Streik aufzurufen. 193 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 78; Stollreither, Mitbestimmung, S. 149. 194 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86; Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 30.

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Am 10. April 1951 verabschiedete der Bundestag das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (nachfolgend: „MontanMitbestG“)195. Für die Gewerkschaften war dieser Erfolg zwar ein „recht guter Anfang“, jedoch „nicht die volle Erfüllung der Wünsche der Arbeitnehmerschaft“.196 Vielmehr sollte die Errungenschaft auf die gesamte Wirtschaft ausgedehnt werden („Die ganze Wirtschaft wollen wir ja umformen, neu aufbauen [. . .]“).197 b) Das Betriebsverfassungsgesetz 1952 Die der Verabschiedung des MontanMitbestG folgenden Versuche der Gewerkschaften, eine derart weitgehende Mitbestimmung auch in anderen Wirtschaftszweigen einzuführen, blieben zunächst fruchtlos.198 Nachdem die Beratungen über das Betriebsverfassungsgesetz im Jahre 1950 vor dem Hintergrund der Regelung für den Bereich der Montanindustrie ausgesetzt worden waren, hatten sich zu dem Zeitpunkt, als die Beratungen wieder aufgenommen wurden, die Bedingungen für eine Realisierung der weitgehenden Forderungen der Gewerkschaften noch weiter verschlechtert.199 Die Altaktionäre hatten wieder zunehmend mehr an Bedeutung gewonnen, die Mitbestimmung immer mehr Widerstand bekommen.200 Die Gewerkschaften setzten den Kampf um die Durchsetzung ihrer Forderungen fort, doch trotz aller Proteste des DGB und zahlreicher Versuche, auf Bundesregierung und Bundestag mithilfe von Stellungnahmen, Demonstrationen und kurzfristigen Warnstreiks einzuwirken, blieben die gewerkschaftlichen Bemühungen ohne Erfolg.201 Am 11. Oktober 1952 wurde das Betriebsverfassungsgesetz202 (nachfolgend: „BetrVG 1952“) erlassen. Im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung wurde für alle Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, die nicht unter das Montanmitbestimmungsgesetz fielen, eine drittelparitätische Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat eingeführt (vgl. § 76 BetrVG 1952). Ausgenommen 195 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestG) vom 21. Mai 1951, BGBl. I S. 347. 196 Rede von Hans Böckler auf der außerordentlichen Generalversammlung der IG Bergbau am 30. Januar 1951, zitiert nach Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 44. 197 Ebenda. 198 Ausführlich hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 202 ff. 199 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 204. 200 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 108. 201 Im Einzelnen ausführlich hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 204 ff., der in diesem Zusammenhang auch die deutlich stärkere Zurückhaltung Adenauers im Vergleich zu den Diskussionen um die Montanmitbestimmung betont. 202 Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952, BGBl. I S. 681.

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hiervon waren lediglich Familienunternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern (vgl. § 76 Abs. 6 BetrVG). Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigten, war ein Aufsichtsrat mit entsprechender Besetzung zu bilden (vgl. § 77 Abs. 1 BetrVG 1952). Wahlberechtigt waren alle volljährigen Arbeitnehmer des Unternehmens, die im Besitz der „bürgerlichen Ehrenrechte“ waren (vgl. § 76 Abs. 2 i.V. m. § 6 BetrVG 1952), das Wahlvorschlagsrecht gebührte sowohl den Arbeitnehmern als auch den Betriebsräten (vgl. § 76 Abs. 3 BetrVG 1952). Sollte nur ein Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden, so musste dieser selbst Arbeitnehmer des Unternehmens sein; bei zwei oder mehr Arbeitnehmervertretern mussten mindestens zwei Vertreter im Unternehmen beschäftigt sein (vgl. § 76 Abs. 2 Satz 2, 3 BetrVG 1952). Hierdurch war die Wählbarkeit von nicht unternehmensangehörigen Gewerkschaftsvertretern beschränkt worden. Neben der Unternehmensmitbestimmung regelte das Gesetz allen voran die betriebliche Mitbestimmung. Beteiligungsrechte räumte es dabei allerdings vor allem der Belegschaft, nicht der Gewerkschaften, ein.203 Insgesamt ließ das BetrVG1952 die Wünsche der Gewerkschaften unerfüllt, lehnte es sich doch vielmehr an das BRG 1920 als an die in der Montanindustrie durchgesetzte Mitbestimmung oder gar die nach einigen Ländergesetzen vorgesehene Mitbestimmung an.204 Den gewerkschaftlichen Vorstellungen zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft war damit eine klare Absage erteilt worden.205 Dementsprechend heftig wurde es von Gewerkschaftsseite kritisiert. Mit dem BetrVG 1952 werde „die dringende Neuordnung der Wirtschaft wie schon einmal in der Weimarer Republik verhindert, an der grundsätzlichen Struktur der kapitalistischen Wirtschaft nichts verändert [. . .] und das alleinige Entscheidungsrecht des Unternehmers aufrechterhalten“ 206. Der DGB sah das BetrVG 1952 nur als einen „unvollkommenen Schritt auf dem Wege zur Demokratisierung der Wirtschaft“ und erklärte, dass er „seinen Kampf um ein volles Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer“ fortführen würde.207 Was die Bedeutung des Gesetzes in der Praxis angeht, so wurde das Gesetz von Seiten der Gewerkschaften noch Jahre später als völlig unzureichend kritisiert. Vor dem Hintergrund der Beteiligungsquote von nur einem Drittel aller Aufsichtsratssitze sowie der gänzlich fehlenden Arbeitnehmervertretung im Vor203 So auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 154. Eine nähere Erläuterung des BetrVG 1952 findet sich bei Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 120 ff. 204 Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27. 205 Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 11 f. („schmerzliche Niederlage“). 206 Funktionärszeitschrift des DGB „Die Quelle“ vom August 1952, zitiert nach Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27. 207 Stellungnahme des DGB zum BetrVG 1952, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 84.

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stand habe es sich in der Praxis als „vollkommen unzulänglich für eine Einflußnahme auf Unternehmensebene [. . .] erwiesen“.208 c) Gesetze zur Sicherung der Montanmitbestimmung Als infolge der 11. Durchführungsverordnung zum Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 27 vom 5. November 1951209 wieder nicht produzierende, geschäftsführende Obergesellschaften gegründet werden durften und daraufhin bald wieder Konzernstrukturen in der Montanindustrie entstanden, drohte die Montanmitbestimmung untergraben zu werden, da die Obergesellschaften der neu entstandenen Konzerne regelmäßig nicht selbst die Anwendungsvoraussetzungen des MontanMitbestG erfüllten.210 Nach scharfen Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschafts- und Unternehmerseite über die Anwendung der Montanmitbestimmung auf diese Obergesellschaften, die sich insbesondere im Rahmen des Mannesmann-Konzerns abspielten, kam es schließlich zu einer gesetzlichen Regelung dieser Frage.211 Am 7. August 1956 ausgefertigt wurde das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (nachfolgend: „MontanMitbestErgG“)212. Weitere gesetzliche Maßnahmen zur Absicherung der Montanmitbestimmung kamen in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre mit der „Lex Rheinstahl“ und dem Montanmitbestimmungsfortgeltungsgesetz. Mit der „Lex Rheinstahl“ sollte die nach dem MontanMitbestErgG einschlägige Mitbestimmung in den Obergesellschaften der Montanindustrie gesichert werden. Das MontanMitbestErgG hatte in seiner ursprünglichen Fassung nur dann Anwendung auf die Obergesellschaft gefunden, wenn die mitbestimmten Tochtergesellschaften mindestens 50 % des gesamten Konzernumsatzes erwirtschafteten (vgl. § 3 Abs. 2 MontanMitbestErgG urspr. Fassung). Aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeit, nicht dem Montanbereich unterfallende, weiter208

So Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 212. Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 27 vom 5. November 1951, Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, S. 1294. 210 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 89 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestErgG Einl. Rn. 2 f.; vgl. auch Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 45; zur Nichtanwendbarkeit des MontanMitbestG auf Holdinggesellschaften vgl. aus der Rechtsprechung LG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 1953, Az.: 3 O 164/53, NJW 1954, S. 236 (236 f.). 211 Ausführlich hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 45 ff. sowie Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 112 ff. 212 Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestGErgG) vom 7. August 1956, BGBl. I, S. 707; auch bekannt unter dem Namen „Lex Mannesmann“, vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 13. 209

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verarbeitende Unternehmen in die Konzernstruktur aufzunehmen, war jedoch gegen Ende der 1950er Jahre ein Absinken des Anteils der montanmitbestimmten Tochtergesellschaften am Gesamtumsatz des Konzerns zu verzeichnen.213 Die Obergesellschaften drohten daher, aus dem Anwendungsbereich des Montanmitbestimmungsergänzungsgesetzes herauszufallen. Dringenden Handlungsbedarf löste ein Unternehmenserwerbs der Rheinstahl AG aus, infolge dessen der Montanumsatz im Konzern auf 46 % gesunken war.214 Mit Änderungsgesetz vom 27. April 1967215 (auch als „Lex Rheinstahl“ bezeichnet216) änderte der Gesetzgeber § 16 MontanMitbestErgG daher dahingehend, dass fortan eine Obergesellschaft erst dann aus dem Anwendungsbereich des MontanMitbestErgG fiel, wenn der Montanumsatz im Konzern in fünf – statt wie vorher zwei – aufeinanderfolgenden Jahren unter 50 % lag. Die „Lex Rheinstahl“ konnten die SPD und der linke Flügel der CDU gegen den Widerstand der FDP, des bürgerlichen Teils der CDU und sogar der Regierung durchfechten.217 Das Bundesverfassungsgericht erachtete das Gesetz als verfassungsgemäß.218 Ähnlich wie die „Lex Rheinstahl“ verfolgte auch das Gesetz über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in bisher den Mitbestimmungsgesetzen unterliegenden Unternehmen vom 29. November 1971219 (sog. „Mitbestimmungsfortgeltungsgesetz“ 220) das Ziel, die Montanmitbestimmung zu erhalten. Es sah in § 1 Abs. 1 eine Fortgeltung der Montanmitbestimmung für den Fall vor, dass das dem MontanMitbestG unterliegende Unternehmen nicht mehr die Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes erfüllt. Damit war insbesondere der Fall erfasst, dass ein montanmitbestimmtes Unternehmen seine Produktion änderte und der Betriebszweck fortan nicht mehr überwiegend – wie von § 1 Abs. 1 MontanMitbestG gefordert – dem Montanbereich zuzuordnen war.221 Nur bei vollständiger Einstellung der Montanproduktion sollte das MontanMitbestG nicht mehr gelten (vgl. § 1 Abs. 2 des Mitbestimmungsfortgeltungsgesetzes). Zusätzlich änderte 213

Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 92. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 92 f. 215 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 27. April 1967 („Lex Rheinstahl“), BGBl. I S. 505. 216 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 93; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 22. 217 Stollreither, Mitbestimmung, S. 158, vgl. hierzu auch ders., Mitbestimmung, S. 157. 218 BVerfG, Urteil vom 7. Mai 1969, Az.: 2 BvL 15/67, NJW 1969, S. 1203; näher hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 158. 219 Gesetz über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in der MontanIndustrie (Montanmitbestimmungsfortgeltungsgesetz) vom 29. November 1971, BGBl. I S. 1857. 220 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 22. 221 Stollreither, Mitbestimmung, S. 170. 214

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das Gesetz die Schwelle für die dem MontanMitbestErgG unterliegenden Obergesellschaften dahingehend, dass die Obergesellschaft erst dann aus dem Anwendungsbereich fiel, wenn entweder in fünf nacheinander folgenden Jahren der Montanumsatz im Konzern unter 40 % oder in zwei aufeinanderfolgenden Jahren unter 25 % fiel (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 des Mitbestimmungsfortgeltungsgesetzes). Hintergrund für die Gesetzgebung war, dass es in den Jahren zwischen 1951 und 1969 aufgrund von strukturellen Veränderungen im Montanbereich zu einer wesentlichen Absenkung der Anzahl von mitbestimmten Unternehmen gekommen war, sodass die Mitbestimmungsgesetze mangels erfasster Unternehmen leerzulaufen drohten.222 Die Gewerkschaften hatten ein solches Gesetz schon seit 1967 gefordert und hierzu einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der allerdings aufgrund der eingesetzten Biedenkopf-Kommission zurückgestellt wurde.223 Nachdem sich auch nach Veröffentlichung des Kommissionberichts eine Verzögerung bei der Verabschiedung eines in der gesamten Wirtschaft geltenden Mitbestimmungsgesetzes andeutete, wurde letztlich auf Initiative der SPD und der Gewerkschaften das Mitbestimmungsfortgeltungsgesetz ausgearbeitet.224 Das verabschiedete Gesetz wurde von vornherein zeitlich befristet und sollte nur bis zum 31. Dezember 1975 gelten. Anscheinend hatte man bis dahin mit einer die gesamte Wirtschaft erfassenden paritätischen Mitbestimmung in Großunternehmen gerechnet.225 d) Kampf der Gewerkschaften um das MitbestG 1976 Die 1950er Jahren waren geprägt vom wirtschaftlichen Aufschwung, neoliberalen und – nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Situation in der DDR – antikommunistischen Tendenzen sowie einer stabilen politischen Herrschaft der CDU.226 Für die weitgehenden Mitbestimmungsforderungen der Gewerkschaften bot das politische Klima keinen nahrhaften Boden, was sich bereits in den Schwierigkeiten der Gewerkschaften bei der Sicherung der Montanmitbestimmung durch das MontanMitbestErgG zeigte.227 Hinzu kam, dass angesichts der zu Beginn der 1950er Jahre sehr hohen Arbeitslosigkeit auch die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften gering war.228 Abgesehen von dem MontanMitbestErgG kam es in den 1950er Jahren daher zu keinen mitbestimmungsrelevanten Gesetzesnovellen. 222 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 94. Von 105 mitbestimmten Unternehmen im Jahre 1951 waren im Jahr 1969 noch 56 mitbestimmt, Muszynski, a. a. O. 223 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 57 f. 224 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 58. 225 So Stollreither, Mitbestimmung, S. 170. 226 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 147 f. 227 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 13; näher zum MontanMitbestErgG oben Kapitel 2, A.I.2.c) sowie Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 46 ff. 228 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 147.

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Dagegen lösten gesetzgeberische Änderungen im Bereich des Umwandlungsund Steuerrechts229, aufgrund derer es in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre im Bereich der Montanindustrie zu Verschmelzungen der Tochtergesellschaften auf die Obergesellschaft kam, aus Sicht der Gewerkschaften neue Gefahren für die erreichte Mitbestimmung aus.230 Aus der Obergesellschaft, für die das MontanMitbestErgG galt, wurde aufgrund der Verschmelzung eine produzierende Gesellschaft, die fortan unter das MontanMitbestG fiel.231 Gleichzeitig wurden aus den bislang selbstständigen Tochtergesellschaften unselbstständige Betriebsabteilungen der aufnehmenden Gesellschaft, womit auch die Mitbestimmung in den umgewandelten Tochtergesellschaften wegbrach.232 Aufgrund von zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen der Gewerkschaften und Arbeitnehmer in der Montanindustrie kam es schließlich mit einigen Konzernen zu freiwilligen Vereinbarungen über die Mitbestimmung, im Rahmen derer man sich unter anderem darauf einigte, in den die Stahl- und Kohleproduktion umfassenden Werksgruppen anstelle der weggefallenen Aufsichtsräte Beiräte zu errichten, welche die Zusammensetzung und Funktion der ehemaligen Aufsichtsräte innehatten.233 Auch wurden statt der bisherigen Vorstände Direktorien eingerichtet, denen ein Arbeitsdirektor angehörte.234 So kam es auch aus Sicht der Gewerkschaften zu einer sachgerechten Lösung der Mitbestimmungsfrage.235 Neben den starken Bemühungen der Gewerkschaften, die bereits erreichte Mitbestimmung im Montanbereich zu sichern, hielten die Gewerkschaften in den 1960er Jahren auch trotz der wenig förderlichen wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse an ihrer Forderung fest, in den größeren Unternehmen aller Wirtschaftszweige eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat und einen 229 Gemeint sind das Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften vom 12. November 1956 (BGBl. I S. 844) sowie das Gesetz über Steuererleichterungen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften (Umwandlungs-Steuergesetz) vom 11. Oktober 1957 (BGBl. I S. 1713). Beide Gesetze sollten zwar die Umwandlung von kleineren Kapitalgesellschaften in Personenhandelsgesellschaften erleichtern, galten aber auch für die Übertragung des Vermögens einer Gesellschaft auf den übernehmenden Hauptgesellschafter und waren daher auch für die größeren Unternehmen der Montanindustrie attraktiv, hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 49 f. 230 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 49 f. 231 So etwa beim Mannesmann-Konzern, vgl. hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 50. 232 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 50. 233 Näher zum Inhalt der als „Lüdenscheider Abkommen“ bekanntgewordenen Mitbestimmungsvereinbarung zwischen den Gewerkschaften und den Konzernen Hoesch, Ilseder Hütte und Klöckner sowie zu den mit anderen Konzernen getroffenen Vereinbarungen siehe Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 50 ff.; vgl. zu weiteren Fällen von privatrechtlichen Mitbestimmungsvereinbarungen auch den Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 12 f. 234 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 51 f. 235 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 51.

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Arbeitsdirektor einzuführen.236 Dazu trug auch die Sorge bei, dass die Reichweite der Montanmitbestimmung immer weiter abzunehmen drohte.237 Ende 1964 wurde der Ausbau der paritätischen Mitbestimmung zur zentralen Forderung des DGB erhoben.238 Von den Arbeitgeberverbänden wurden die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen dagegen „unter Darlegung ihrer wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gefahr“ entschieden zurückgewiesen.239 Sie betrachteten sie als eine Bedrohung für die Wirtschaft, hielten sie für unvereinbar mit der Eigentumsgarantie und der marktwirtschaftlichen Ordnung („Demokratisierte Wirtschaft und soziale Marktwirtschaft schließen sich gegenseitig aus“ 240, „Die Montanmitbestimmung ist und bleibt in der sozialen Marktwirtschaft ein Fremdkörper“ 241) und verwiesen auf „die zu befürchtende gewerkschaftliche Machtkonzentration“ 242.243 In Auftrag gegebene Studien bezeugten ferner, dass die Belegschaften an einer Vertretung ihrer sozialen und betrieblichen Interessen durch den Betriebsrat weitaus mehr Interesse zeigten, sodass die paritätische Mitbestimmung aus Arbeitgebersicht allein dem gewerkschaftlichen Streben nach Macht entsprang.244 Dagegen wurden auf Seiten der Gewerkschaften alsbald die ursprünglichen Konzepte zur Sozialisierung und zentralen volkswirtschaftlichen Planung aufgeben und die Mitbestimmung als Garantie einer freiheitlich-demokratischen Ordnung propagiert, um sie von ihrer „systemgefährdenden Funktion“ 245 zu befreien.246 Beide Lager versuchten zunehmend, mit Aktionsprogrammen und Kampagnen den Zuspruch der Öffentlichkeit für ihren Standpunkt zu gewinnen.247 Die Mitbestimmungsfrage wurde zu einer der konfliktreichsten 236 Vgl. hierzu das Grundsatzprogramm des DGB von 1963, beschlossen auf dem Außerordentlichen Bundeskongress des DGB am 21./22. November 1963 in Düsseldorf, v. a. Präambel, Pkt. 4 „Grundlagen des Wirtschaftens“ sowie ausdrücklich Pkt. 8 „Wirtschaftliche Mitbestimmung“. 237 So Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 211. 238 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 19. 239 Jahresbericht der BDA 1. Dezember 1967 bis 30. November 1968, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 5. Dezember 1968, S. 48. 240 Dokumentation des Arbeitskreises Mitbestimmung der BDA „Wirtschaftliche Mitbestimmung und freiheitliche Gesellschaft“, Oktober 1965, S. 34. 241 Dokumentation des Arbeitskreises Mitbestimmung der BDA „Wirtschaftliche Mitbestimmung und freiheitliche Gesellschaft“, Oktober 1965, S. 39. 242 Jahresbericht der BDA 1. Dezember 1967 bis 30. November 1968, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 5. Dezember 1968, S. 50. 243 Näher hierzu Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 15 f., 20 f.; vgl. ferner die Dokumentation des Arbeitskreises Mitbestimmung der BDA „Wirtschaftliche Mitbestimmung und freiheitliche Gesellschaft“, Oktober 1965, S. 34 ff. 244 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 21 f. 245 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 152. 246 Vgl. Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 152; Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 23 m.w. N. 247 Ausführlich Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 19 ff.; vgl. auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 72 ff., 83 ff.; vgl. auch die Ausführungen zur Öffent-

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gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit.248 Nicht unerheblich für die Mitbestimmungsthematik war auch die 1968er-Bewegung und das allgemeine Streben nach mehr Selbstbestimmung.249 Eine Diskussion um die Mitbestimmung hatte sich nicht nur zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden entwickelt, sondern beschäftigte seit Mitte der 1950er Jahre zunehmend auch die Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler. Es wurden zahlreiche empirische Untersuchungen über die Montanmitbestimmung durchgeführt, um die Auswirkungen der Mitbestimmung zu analysieren.250 Eine breite rechtspolitische Diskussion begann über Ziel und Rechtfertigung der Mitbestimmung. Die Befürworter sahen in der Mitbestimmung vor allem ein Mittel, um der Objektstellung und Fremdbestimmung der Arbeitnehmer entgegenzuwirken, eine verständnisvolle Zusammenarbeit anstelle von Kampfbereitschaft zu fördern sowie insgesamt die Arbeitseinstellung der Mitarbeiter zu verbessern, wodurch indirekt auch das demokratische System geschützt werde.251 Gegner der Mitbestimmung warnten vor allem vor einer Machtkonzentration der Gewerkschaften.252 Wirtschaftspolitische Analysen untersuchten die prognostizierten wirtschaftlichen Auswirkungen einer über den Montanbereich hinausgehenden paritätischen Mitbestimmung und die Rechtswissenschaft beschäftigte sich mit den vielfältigen Rechtsfragen, die sich in Bezug zum Verfassungs-, Arbeits- und Gesellschaftsrecht stellten.253 Auf politischer Ebene kam es erst mit Einzug der Sozialdemokraten in die Regierung infolge der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD im Dezember 1966 zu einem Durchbruch für die Mitbestimmungsfrage.254 Die SPD hatte sich schon seit Langem und konsequent für die Mitbestimmung ausgesprochen.255 Doch nicht nur die SPD hatte spätestens seit 1965 die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen weitestgehend übernommen, auch im linken Flügel der CDU fanden diese starken Zuspruch.256 In seiner Regierungserklärung kündigte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger die Einberufung einer unabhängilichkeitsarbeit der BDA im Jahresbericht der BDA 1. Dezember 1967 bis 30. November 1968, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 5. Dezember 1968, S. 50. 248 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 16 („gesellschaftspolitische Grundsatzfrage allererster Ordnung“). 249 Näher Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 37. 250 Vgl. hierzu die umfangreichen Nachweise bei Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 24. 251 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 25 m.w. N. 252 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 26 m.w. N. 253 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 27 f. m.w. N. 254 Näher hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 149 f.; Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 27 ff. 255 Ausführlich hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 93 ff. So beispielsweise im Godesberger Programm von 1959. 256 Stollreither, Mitbestimmung, S. 156.

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gen Sachverständigenkommission an, welche die bis dahin mit der Mitbestimmung gesammelten Erfahrungen auswerten und dadurch eine „Grundlage weiterer Überlegungen“ liefern sollte.257 Nachdem sich die Zusammensetzung der Kommission – insbesondere aufgrund von Meinungsverschiedenheiten im Bezug auf die Anwesenheit der Sozialpartner – schwierig gestaltete, erfolgte schließlich im November 1967 die Bildung der Kommission unter dem Vorsitz von Dr. Kurt Biedenkopf.258 Ihren Bericht stellte die Kommission erst im Januar 1970 fertig.259 In der Zwischenzeit war die Ungeduld und der Unmut der Gewerkschaften über den zögerlichen Fortgang in der Mitbestimmungsfrage gewachsen, sodass diese mit diversen Öffentlichkeitsoffensiven Druck auf die Politik auszuüben versuchten.260 Im März 1968 veröffentlichte der DGB einen eigenen Gesetzesentwurf, der eine paritätische Mitbestimmung nach dem Modell der Montanindustrie in allen Kapitalgesellschaften vorsah, die zwei der folgenden Kriterien erfüllten: mindestens 2.000 Arbeitnehmer, mindestens 75 Millionen DM Bilanzsumme, mindestens 150 Millionen DM Jahresumsatz.261 Die Gewerkschaften sollten drei von fünf Arbeitnehmervertretern entsenden und bei den übrigen von der Belegschaft gewählten zwei Mitgliedern ein Einspruchsrecht haben dürfen.262 Dagegen reagierten die Arbeitgeberverbände mit eigenen Konzepten.263 Neben dem so entfachten Propagandakampf wurden auch von der SPD264 und FDP265 eigene 257 Regierungserklärung von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger vom 13. Dezember 1966, abrufbar unter https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=9d53 505a-4e53-d998-0fe9-2d8f836b0571&groupId=252038, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 258 Näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 157. 259 Der Bericht wurde dem Bundestag im Februar 1970 vorgelegt, vgl. Mitbestimmung im Unternehmen – Bericht der Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung (Mitbestimmungskommission), Januar 1970, BT-Drucks. VI/334 vom 4. Februar 1970. 260 Ausführlich hierzu Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 28 ff., 31 ff. „Die Unruhe und der Druck von außen müssen wachsen, und zwar so stark, daß den Parteien keine Möglichkeit mehr bleibt, sich ihrer Verpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern und dem sozialen Auftrag des Grundgesetzes zu entziehen“, gab der IG MetallVorsitzende Otto Brenner ausdrücklich kund, Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 31. 261 Vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 27 f.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 74 f. 262 Ebenda. 263 Ebenfalls im Jahr 1968 veröffentlichte die BDA ein Faltblatt mit dem Titel „10 Gründe gegen die Gewerkschaftsmitbestimmung“, hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 88 ff. 264 Es wurden insgesamt fünf Gesetzesentwürfe zum Themenkomplex Mitbestimmung vorgelegt, vgl. hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 158 f. Die Gesetzesinitiative in Bezug auf die Mitbestimmung war innerhalb der SPD umstritten, letztlich konnte sich der gewerkschaftsnahe Flügel der SPD aber damit durchsetzen, einen Gesetzesvorschlag entgegen der Koalitionsvereinbarung vorzulegen, Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 34.

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Gesetzesvorschläge eingebracht. Die FDP stand der Unternehmensmitbestimmung weiterhin ablehnend gegenüber. Sie verwies auf die ausreichenden Beteiligungsrechte nach dem BetrVG 1952, befürwortete eine auf der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer beruhende Mitbestimmung und wollte externe Gewerkschaftsvertreter von der Ausübung des Aufsichtsratsmandats ausschließen.266 Die von der SPD und FDP eingebrachten Gesetzesentwürfe wurden an die zuständigen Fachausschüsse des Bundestages weitergeleitet, dort allerdings bis zum Ablauf der Legislaturperiode nicht final behandelt.267 Auch in der neuen Legislaturperiode ab 1969 blieb die Frage der Unternehmensmitbestimmung zunächst außen vor. Die neue Koalition zwischen der SPD und FDP begann zwar nach Vorlage des Berichts der Biedenkopf-Kommission mit der Überarbeitung des BetrVG 1952.268 Allerdings war aufgrund der unabrückbaren Haltung der FDP die Frage der Unternehmensmitbestimmung in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich ausgeklammert worden, sodass das am 15. Januar 1972 ausgefertigte Betriebsverfassungsgesetz269 (nachfolgend: „BetrVG 1972“) allein die betriebliche Mitbestimmung regelte und im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung das BetrVG 1952 fortgalt.270 Das Thema der Unternehmensmitbestimmung war mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz daher keineswegs gelöst. Der DGB hielt weiterhin an seiner Forderung nach paritätischer Mitbestimmung in allen Großunternehmen fest, die nach Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes nun wieder lauter wurde.271 Seit dem Saarbrücker Parteitag 1970 forderte auch die SPD die Parität in den Aufsichtsräten aller Großunternehmen, einen Arbeitsdirektor und das Recht der Gewerkschaften, die Hälfte aller Arbeitnehmervertreter benennen zu dürfen, wobei die Arbeitnehmervertreter generell auch betriebsfremd sein dürfen sollten.272 Die FDP, lange Zeit entschiedene Gegnerin einer Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung273, relativierte ihre Position in den auf dem Freiburger Parteitag im Oktober 1971 beschlossenen neuen Thesen zur Unternehmensmitbe-

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Vgl. hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 160. Näher zur Position der FDP Stollreither, Mitbestimmung, S. 160. 267 Stollreither, Mitbestimmung, S. 160. 268 Stollreither, Mitbestimmung, S. 162. 269 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972, BGBl. I S. 13. 270 Näher Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 48 f.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 160 ff. 271 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 61; näher zu den Forderungen der Gewerkschaften Stollreither, Mitbestimmung, S. 221. 272 Stollreither, Mitbestimmung, S. 221 f. 273 Vgl. hierzu Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 29; Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 58 ff.; näher zu den Positionen der FDP siehe Stollreither, Mitbestimmung, S. 104 ff. 266

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stimmung (sog. „Freiburger Thesen“).274 Die FDP befürwortete darin eine Verteilung von sechs Aufsichtsratssitzen für die Anteilseigner, vier für die Arbeitnehmer und zwei für Vertreter der Leitenden Angestellten275, lehnte jedoch nach wie vor die Entsendung externer Gewerkschaftsvertreter und Besonderheiten bei der Bestellung des Arbeitsdirektors ab.276 In der CDU/CSU entstand eine ganze Bandbreite von Mitbestimmungsmodellen, die einen sehr gewerkschaftsnahen Vorschlag ebenso wie anti-paritätische Konzepte enthielt.277 Noch vor der anstehenden Bundestagswahl im November 1972 begannen die Gewerkschaften, ihren Forderungen durch immer mehr Kundgebungen Nachdruck zu verleihen.278 In öffentlichen Äußerungen gaben Gewerkschaftsvertreter zu verstehen, dass sie sich in der Mitbestimmungsfrage nicht weiter vertrösten ließen und nicht dulden würden, dass das Thema auch in der anstehenden Legislaturperiode „ausgeklammert“ würde; es sei „einfach Zeit zum Handeln“, und dies würde jeder neuen Bundesregierung „eindeutig klargemacht werden“.279 Die Unternehmer hingegen fühlten sich durch die Politik – sowohl die FDP als auch die CDU – immer mehr im Stich gelassen und gingen verstärkt in die Offensive.280 Kurz vor der Bundestagswahl warnten sie: „Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und an Grund und Boden soll sozialisiert werden – durch offene Enteignung oder stufenweise, über Mitbestimmung. Das nennt man dann ,Demokratisierung‘. Zwischen einer solchen Gesellschaftsordnung und dem Kommunismus gibt es keine Unterschiede mehr.“ 281 Die Mitbestimmungsdiskussion wurde ferner beflügelt von den Erkenntnissen und Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission. Die Kommission hatte Befragungen in 62 Unternehmen der Montanindustrie und 373 Unternehmen, die dem BetrVG 1952 unterlagen, durchgeführt und 55 Amtsinhaber, zu denen u. a. Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzende, Arbeitsdirektoren und Betriebsrats- sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzende zählten, angehört.282 Nach einer Auswertung der 274 So schon Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 19. 275 Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik der FDP, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg vom 25./27. Oktober 1971, Archiv des Liberalismus, Druckschriftenbestand Sign. D1-123, S. 63 f. 276 Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik der FDP, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg vom 25./27. Oktober 1971, Archiv des Liberalismus, Druckschriftenbestand Sign. D1-123, S. 67. 277 Stollreither, Mitbestimmung, S. 241; ausführlich zu den einzelnen Modellen in der CDU/CSU ders., Mitbestimmung, S. 117 ff., S. 222 f., S. 234 ff. 278 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 62; Stollreither, Mitbestimmung, S. 222. 279 Aussagen vom Vorsitzenden der IG Metall, Eugen Loderer, im Oktober und November 1972, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 222. 280 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 62 f. 281 Zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 63. 282 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 9.

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bisherigen Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung sprach sich die Kommission in ihrer Empfehlung letztlich für ein unterparitätisches Modell des Aufsichtsrats aus: Im Falle eines Aufsichtsrats mit 12 Mitgliedern sollte sich dieser aus sechs Anteilseigner- und vier Arbeitnehmervertretern sowie zwei weiteren Mitgliedern zusammensetzen, denen die Mehrheit der Vertreter beider Gruppen zustimmen müsste; bei größeren Aufsichtsräten sollte die Anzahl der Anteilsund Arbeitnehmervertreter entsprechend erhöht werden.283 Weitere Kernpunkte der Empfehlung betrafen die Wahl unternehmensexterner Arbeitnehmervertreter durch die Belegschaft auf Vorschlag der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften sowie die obligatorische Bestellung eines Personalvorstands, für den allerdings keine Besonderheiten im Vergleich zur Bestellung der übrigen Vorstandsmitglieder gelten sollten.284 Die Arbeitgebervertreter sahen in dem Gutachten „die einstimmige Ablehnung der paritätischen Mitbestimmung als ein mit den Grundsätzen eines marktwirtschaftlichen Systems unvereinbares Ordnungsprinzip sowie die Absage an die Institution des ,Arbeitsdirektors‘“ 285, die Gewerkschaften hingegen hoben die positiven Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung hervor und fühlten sich in ihrer Auffassung zur paritätischen Mitbestimmung bestärkt.286 Das Gutachten lieferte den gewerkschaftlichen und politischen Akteuren neue Antriebskraft in der Mitbestimmungsthematik.287 Anfang der 1970er Jahre kam es vermehrt zu Widerständen der Arbeiter gegen die aus ihrer Sicht unzureichenden Arbeitsbedingungen.288 Diese Widerstände – sowohl individueller als auch kollektiver Art – suchte man durch mehr betriebliche Mitbestimmungsrechte im Rahmen der Novellierung des BetrVG 1952 und neue Formen zur „Humanisierung des Arbeitslebens“ zu besänftigten, gleichzeitig begünstigten diese Umstände die Forderungen der Gewerkschaften nach paritätischer Mitbestimmung.289 Neuen Aufschwung auf politischer Ebene erhielt die Thematik der Unternehmensmitbestimmung nach 1972 mit Beginn der neuen Legislaturperiode der sich fortsetzenden Koalition aus SPD und FDP. Die nach der Bundestagswahl im November 1972 fortgeführte und gestärkte Koalition von SPD und FDP konnte sich der Mitbestimmungsthematik nicht länger verschließen.290 Bundeskanzler Brandt

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Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 103 f. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 96. 285 Jahresbericht der BDA, 1. Dezember 1969 bis 30. November 1970, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 15. Dezember 1970, S. 50. 286 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 54 m.w. N. 287 Stollreither, Mitbestimmung, S. 162. 288 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 151. 289 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 151. 290 Stollreither, Mitbestimmung, S. 223. 284

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kündigte daher in seiner Regierungserklärung eine Ausweitung der Mitbestimmung an: „Den Ausbau der Mitbestimmung sehen wir als eine unserer Hauptaufgaben. Mitbestimmung gehört zur Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft. In ihr erkennen wir die geschichtliche Voraussetzung für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen. [. . .] Wir werden das Unternehmensrecht im Sinne der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in dieser Legislaturperiode weiterentwickeln. [. . .] Dabei gehen wir aus vom Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit.“ 291 Im Jahr 1973 nahm die Mitbestimmungsdiskussion ein bisher unbekanntes Ausmaß an: Die SPD und FDP mussten sich auf ein gemeinsames Konzept einigen, die CDU in ihrer Oppositionsrolle mit Gegenvorschlägen profilieren.292 Der DGB-Bundesvorstand ließ nicht los von seinen Hauptforderungen, die im Grunde die Ausweitung der Montanmitbestimmung bezweckten293, die Deutsche Angestelltengewerkschaft legte eigene Vorschläge vor294. Die BDA warnte vor einem „Griff nach der Macht“, den die Gewerkschaften anstrebten.295 Die Unternehmensvertreter forderten „eine klare und institutionell abgesicherte Mehrheit der Eigentümervertreter im Aufsichtsrat“, die Berücksichtigung der besonderen Stellung von leitenden Angestellten im Unternehmen und widersprachen einem Delegationsrecht der Gewerkschaften, da auch die „Unternehmensfremden vom Vertrauen der Belegschaft getragen sein“ müssten.296 Auch innerhalb der SPD bildeten sich unterschiedliche Ansichten.297 Die FDP lehnte die von den Gewerkschaften vorgetragenen Forderungen kategorisch ab und bestand auf ihrem Freiburger Modell.298 So kam es, dass im Jahre 1973 von den verschiedensten Seiten, so insbesondere auch innerhalb der großen Parteien, eine unzählige Menge und Bandbreite an Mitbestimmungsmodellen entwickelt und an Diskussionen geführt wurde.299 Alle politischen und gesellschaftlichen Akteure und 291 Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 18. Januar 1973, Punkt IX, S. 47, abrufbar unter http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/a88-06578.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 292 Stollreither, Mitbestimmung, S. 225. 293 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 65 f.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 225 f. 294 Näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 226 f. 295 Jahresbericht der BDA, 1. Dezember 1972 bis 30. November 1973, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Bonn-Bad Godesberg am 6. Dezember 1973, S. 180; vgl. hierzu auch Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 67. 296 Jahresbericht der BDA, 1. Dezember 1972 bis 30. November 1973, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Bonn-Bad Godesberg am 6. Dezember 1973, S. 181 ff. 297 Näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 232. 298 „Es gibt entweder das von der FDP auf dem Freiburger Parteitag verabschiedete Modell, oder es gibt in dieser Legislaturperiode überhaupt kein Modell“, Horst-Ludwig Riemer, Landesvorsitzender der FDP für Nordrhein-Westfalen, zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 65. 299 Eine ausführliche Übersicht hierzu ist zu finden bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 225 ff.; vgl. auch Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 68: „In dieser

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teilweise auch ihre einzelnen Gruppierungen wollten in dieser Sache Stellung beziehen.300 In den Jahren 1968 bis 1974 waren so insgesamt über 50 verschiedene Konzepte für eine Zusammensetzung der Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften vorgelegt worden.301 Es kristallisierte sich heraus, dass insbesondere die Entsendungsrechte in Bezug auf die unternehmensexternen Gewerkschaftsvertreter und die Anwesenheit der leitenden Angestellten auf der Arbeitnehmerbank wesentliche Streitpunkte in der Koalition werden würden.302 Die Selbstverpflichtung der Regierungsparteien, in der begonnenen Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen, setzte sie gleichwohl unter Druck.303 Nachdem die SPD und FDP zunächst am 22. Januar 1974 einen Kompromiss und sodann einen Regierungsentwurf vorlegten, spitzte sich die politische Auseinandersetzung weiter zu.304 Der Entwurf sah zwar Parität vor, räumte aber den leitenden Angestellten einen Platz auf der Arbeitnehmerbank ein. Aus Sicht von Teilen der CDU und der Unternehmervertreter enthielt der Entwurf zu viel Mitbestimmung, aus Sicht der Gewerkschaften nicht genug.305 Durch die Einbeziehung der leitenden Angestellten in die Arbeitnehmerbank sahen die Gewerkschaften die Parität untergraben, weil die leitenden Angestellten dem Arbeitgeberlager zuzurechnen seien.306 Für die Arbeitgeberverbände war der Entwurf dagegen „unannehmbar“ und eine Bedrohung für die soziale Marktwirtschaft, die „durch ein System des syndikalistischen Sozialismus“ abgelöst würde.307 Im März 1974 versammelten sich über 3.000 Unternehmer und demonstrierten unter dem Motto „Marktwirtschaft oder Gewerkschaftsstaat“ gegen die Regierungspläne.308 Mit Erklärungen, Vorträgen, Debatten und anderen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen warnten die Arbeitgeberverbände vor den vom Ge-

Situation, wo nach Kompromissen und Wegen gesucht wurde, eine gesetzliche Regelung zu finden, die eine tragfähige politische Mehrheit hinter sich zu scharen vermochte, schossen Mitbestimmungsmodelle wie Pilze aus dem Boden.“ 300 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 68. 301 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. 302 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 69. 303 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 65. 304 Ausführlich hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 244 ff. 305 So der DGB-Vorsitzende Heinz O. Vetter, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 254. 306 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 73 m.w. N. 307 Stellungnahme des Präsidenten der BDA, Dr. Hanns Martin Schleyer, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 257 ff. Der Präsident der BDI, Professor Dr. Hans-Günther Sohl, seit zwanzig Jahren Vorstandsvorsitzender der montanmitbestimmten August Thyssen-Hütte AG, sah das geplante Gesetz ebenfalls als Bedrohung, vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 259. 308 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 72; Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 34.

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setzesentwurf ausgehenden Gefahren.309 Eine deutliche Missbilligung kam auch aus den Reihen der CDU.310 Die Angriffe gegen die Mitbestimmung mehrten sich, die Position der Gewerkschaften verschlechterte sich zunehmend.311 Auf einer Großkundgebung bekräftigten sie zwar noch ihre Kampfbereitschaft („Wer den Kampf will, soll ihn haben“ 312), verzichteten letztlich aber doch auf Demonstrationen gegen die Mitbestimmungspläne, da die politische Lage für weitergehende Forderungen nicht förderlich war und ihnen auch in den eigenen Reihen die Rückendeckung für eine kämpferische Durchsetzung der gewerkschaftlichen Konzepte fehlte.313 Widerwillig mussten sie akzeptieren, dass ihren Forderungen – zumindest in dieser Legislaturperiode – nicht entsprochen werden würde, und konnten nur noch hoffen, dass sich die politischen Diskussionen nicht noch weiter zugunsten der Arbeitgeber verlagerten.314 Nachdem sich die parteipolitischen Kontroversen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens fortsetzt hatten315, von zwischenzeitlich eingeholten Rechtsgutachten zur Verfassungswidrigkeit des Regierungsentwurfs zusätzlich angeheizt wurden und daraufhin auf Bestreben der FDP sogar eine neue Koalitionsvereinbarung getroffen wurde, die den Gesetzesentwurf mehr in Richtung Arbeitgeberlager rückte316, wurde schließlich am 18. März 1976 das Mitbestimmungsgesetz317 (nachfolgend: „MitbestG“) mit überragender Mehrheit318 vom Bundestag verabschiedet und trat zum 1. Juli 1976 in Kraft. Angesichts der langjährigen, politisch hoch brisanten und breiten Diskussion über das Ob und Wie der Mitbestimmung fällt die Gesetzesentwurfsbegründung erstaunlich knapp aus319, beschränkt sie sich letztlich auf die sich wiederholende Bekundung, Ziel des Ent309

Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 72. Näher hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 261. 311 Ausführlich zu den Auseinandersetzungen zwischen den Mitbestimmungskritikern und den Gewerkschaften Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 71 ff.; zur Gegenwehr der Gewerkschaften ders., S. 75 ff. 312 DGB-Vorsitzender Heinz-Oskar Vetter, Rede auf der Mitbestimmungskundgebung des DGB am 7. Mai 1974 in Essen, DGB-Archiv, 5/DGCS 39, zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 76. 313 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 76, 79. 314 Näher hierzu Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 79 ff. 315 Ein Überblick zur Behandlung des Gesetzesentwurfs im Bundestag und Bundesrat und die Änderungsvorschläge findet sich bei Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 25 ff. 316 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 80 f.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 26. 317 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 4. Mai 1976, BGBl. I S. 1153. 318 Von 412 Abgeordneten stimmten 389 mit Ja, 21 mit Nein und es gab eine Enthaltung, vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 89; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 28. 319 Ähnlich Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 („bemerkenswert unbestimmt“). 310

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wurfs sei die „gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen“, und zwar „auf der Grundlage des geltenden Gesellschaftsrechts“ und unter dessen „weitgehender Beibehaltung“.320 Nach Erlass des MitbestG wurde der Streit um die Unternehmensmitbestimmung vor Gericht fortgeführt. Am 29. Juni 1977 erhoben dreißig Arbeitgeberverbände und neun Unternehmen Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz.321 Kaum verwunderlich trug dies zur weiteren Zerrüttung der Verhältnisse zwischen der Unternehmerseite und den Gewerkschaften bei.322 Die Arbeitgebervertreter unterlagen vor dem Bundesverfassungsgericht, das Gesetz wurde als verfassungskonform beurteilt.323 Indes stützte sich das Gericht dabei unter anderem darauf, dass sich die Arbeitnehmervertreter aufgrund des doppelten Stimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht gegen den Willen der Anteilseigner durchsetzen könnten324 und bremste damit zugleich die gewerkschaftlichen Forderungen nach „volle[r] Parität“ aus325. e) Wesentliche Gesetzesänderungen und neue Gesetzgebung Mit der Montanmitbestimmung, der Drittelbeteiligung nach den §§ 76 ff. BetrVG 1952 und dem MitbestG wurde ein System der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland entwickelt, das bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben ist.326 Gleiches gilt für die auf dem BetrVG 1972 beruhende betriebliche Mitbestimmung. Im Bereich der Montanmitbestimmung erfolgten nach 1976 mit dem Änderungsgesetz vom 21. Mai 1981327 („2. Lex Mannesmann“ 328), dem Gesetz zur 320 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/2172, S. 16 f. 321 Näher zu den Beschwerdeführern Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 39; zu den jeweiligen Positionen der Arbeitgeberseite, der Bundesregierung und der Gewerkschaften zusammenfassend ders., Unternehmensmitbestimmung, S. 39 ff. 322 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 91 („die Beziehung zwischen den Sozialpartnern war auf einem Tiefpunkt angelangt“). 323 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699. 324 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 139, 144. 325 So Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 93. 326 Ausführlich zu den gesetzlichen Änderungen seit 1976 Wißmann, in: Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 31 ff. 327 Gesetz zur Änderung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom 21. Mai 1981, BGBl. I S. 441. 328 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 35.

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Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung vom 23. Juli 1987329 sowie dem Gesetz zur Sicherung der Montanmitbestimmung vom 20. Dezember 1988330 einige gesetzliche Änderungen, die den Anwendungsbereich der Montanmitbestimmung ausweiteten.331 Das MitbestG war bis 1990 nicht geändert worden, danach erfolgten neben sprachlichen und redaktionellen Änderungen (z. B. die Ersetzung des Begriffs „Wahlmänner“ durch „Delegierte“) auch einige inhaltliche Änderungen durch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001332 und die in den Jahren 2002 und 2004 erlassenen Änderungsgesetze zur Vereinfachung des Wahlverfahrens333.334 Mit dem Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz 335 aus dem Jahr 1994 sollte die Anwendbarkeit des MitbestG nach einer grenzüberschreitenden Einbringung von Anteilen, Betrieben oder Betriebsteilen gesichert werden.336 Den Erhalt der Mitbestimmung bezweckte auch die Einfügung des § 325 UmwG im Rahmen der im Jahre 1994 erfolgten Reform des Umwandlungsrechts337.338 Die drittelparitätische Beteiligung der Arbeitnehmervertreter nach den – auch nach Verabschiedung des BetrVG 1972 weitergeltenden – Regelungen des BetrVG 1952 zur Unternehmensmitbestimmung erfuhr eine wesentliche Änderung durch das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des 329 Gesetz zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung vom 23. Juli 1987, BGBl. I S. 1676. 330 Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2312. 331 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 35 f. 332 Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerf-Reformgesetz) vom 23. Juli 2001, BGBl. I S. 1852. 333 Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 23. März 2002, BGBl. I S. 1130 sowie Zweites Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974. 334 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 31 ff.; vgl. zum rechtspolitischen Hintergrund auch Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (338 f.). 335 Gesetz zur Beibehaltung der Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen (Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz – MitbestBeiG) vom 23. August 1994, BGBl. I S. 2228. 336 Näher Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 40; ausführlich ders., in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 93 ff. 337 Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) vom 28. Oktober 1994, BGBl. I S. 3210. 338 Näher Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 41; ausführlich ders., in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 77 ff.

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Aktienrechts vom 2. August 1994339, infolge derer der Anwendungsbereich des Gesetzes verringert wurde.340 Im Jahr 2004 wurde das BetrVG 1952 durch das Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004341 (nachfolgend: „DrittelbG“) abgelöst. Hierdurch sollte lediglich die Anwenderfreundlichkeit der aufgrund von Gesetzesänderungen unübersichtlich gewordenen Regelungen verbessert werden, „ohne den bisherigen Geltungsbereich und den Inhalt des Gesetzes zu verändern“.342 Im Zusammenhang mit der Privatisierung einiger Staatsbetriebe – allen voran der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn343 sowie der Deutschen Bundespost344 – wurden Sonderregelungen getroffen, aufgrund derer Beamte, Soldaten u. ä. als Arbeitnehmer für die Zwecke der Unternehmensmitbestimmung gelten.345 Eine umfassend neue Gesetzgebung im Bereich der Unternehmensmitbestimmung erfolgte aufgrund europarechtlicher Vorgaben zu grenzüberschreitenden Unternehmensformen (SE, SCE) und Verschmelzungen. Die Umsetzung der europäischen Richtlinien zur Arbeitnehmerbeteiligung erfolgte mit Erlass des SEBG346, SCEBG347 und MgVG348.349 Relevant für die Unternehmensmitbestimmung waren auch Veränderungen im Unternehmensrecht350, so insbesondere die Entwicklungen im Bereich der Cor-

339 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2. August 1994, BGBl. I S. 1961. 340 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 37. 341 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974. 342 Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 18. Februar 2004, BT-Drucks. 15/2542, S. 1, 10. 343 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) vom 27. Dezember 1993, BGBl. I S. 2378. 344 Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325. 345 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 42; vgl. auch Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. 69. 346 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675 (3686). 347 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteiligungsgesetz – SCEBG) vom 4. August 2006, BGBl. I S. 1911 (1917). 348 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) vom 21. Dezember 2006, BGBl. I S. 3332. 349 Ausführlich hierzu Kapitel 4. 350 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 44 ff.

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porate Governance, die für ein starkes Wiederaufleben der Diskussionen um das Thema Mitbestimmung gesorgt haben351. Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung war die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 2001352 von erheblicher Bedeutung. Das BetrVG 1972 wurde daraufhin in der Bekanntmachung vom 25. September 2001353 neu gefasst.

II. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen Infolge der zuletzt im Jahre 1795 erfolgten Aufteilung des polnischen Staatsgebietes unter den Großmächten Preußen, Russland und Österreich-Ungarn existierte im 19. Jahrhundert der polnische Staat als solcher nicht mehr, in den Gebieten galten die jeweiligen Gesetze der Besatzungsmächte. Erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Polen seine Unabhängigkeit wieder. Zwar waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche als „polnisch“ anzusehende Gewerkschaftsorganisationen entstanden.354 Der Beginn einer Arbeitnehmerpartizipation wird im polnischen Schrifttum jedoch erst auf das Jahr 1918 datiert.355 Die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation nach dem Zweiten Weltkrieg hing sodann eng mit den jeweiligen politischen Verhältnissen im realen Sozialismus zusammen. 1. Die Arbeitnehmerpartizipation in den Jahren 1918–1939 Mit Wiedererlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1918 begann in Polen die Entwicklung eines eigenen und einheitlichen Rechtssystems.356 Dabei stand das Land vor der Herausforderung, die in den drei Besatzungsgebieten geltenden unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen zu konsolidieren.357 In den ersten 351 Vgl. hierzu insbesondere die Reformvorschläge des Berliner Netzwerks Corporate Governance, veröffentlicht in AG 2004, S. 200 (200 f.); ferner die vertieften Auseinandersetzungen zur Vereinbarkeit der Unternehmensmitbestimmung mit Corporate Governance bei Brocker, Unternehmensmitbestimmung, sowie bei Gietzen, Unternehmensmitbestimmung. Ausführlich zu der Problematik siehe Kapitel 6. 352 Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerf-Reformgesetz) vom 23. Juli 2001, BGBl. I S. 1852. 353 Bekanntmachung der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 25. September 2001, BGBl. I S. 2518. 354 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 73 ff.; vgl. zur Entwicklung einzelner Gewerkschaftsorganisationen vor 1918 auch Masewicz, Połoz˙enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 78 ff. 355 So etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36. 356 Näher hierzu Jas ´kiewicz/Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 41 ff. 357 Näher Jas´kiewicz/Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 41 f.; S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 105 ff.

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Jahren nach Kriegsende (1918–1925) erfolgten auch zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich des Arbeitsrechts, welches auch in den Gesetzen der Besatzungsmächte noch nicht sehr weit entwickelt war und daher von Grund auf neu aufgebaut werden musste.358 Als Beginn der polnischen Arbeitnehmerpartizipation gelten die sog. Arbeiterdelegiertenräte, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren.359 Es handelte sich dabei um lokal von der Arbeiterschaft gewählte Arbeitnehmervertretungen.360 Sie organisierten und vereinten die von den jeweiligen Belegschaften in den Betrieben gewählten Fabrikausschüsse, deren Zweck einerseits die Sicherstellung der beruflichen und sozialen Bedürfnisse der Arbeiter, andererseits die Inganghaltung und Beaufsichtigung der nach dem Krieg verlassenen Betriebe war.361 Jedoch agierten diese Organisationen ohne gesetzliche Grundlage362 und waren in nur wenigen Regionen – so vor allem in Warschau, Lodz, im Dombrowaer Kohlegebiet und in Lublin, wo die Unabhängigkeitsbewegungen und radikalen gesellschaftlichen Tendenzen am stärksten aufgetreten waren – aktiv363. Die Arbeiterdelegiertenräte waren unter dem Einfluss der Rätebewegung in Russland entstanden und vertraten dementsprechend oftmals auch radikale soziale Tendenzen.364 In Bezug auf ihre Rolle bestand in politischen und gewerkschaftlichen Kreisen jedoch Uneinigkeit, was sie sowohl in ihrer Bedeutung als auch in ihrer Entwicklung beeinträchtigte. 365 Während sie nach den Vorstellungen der sozialistischen Arbeiterpartei die damalige Übergangsregierung beim 358 Vgl. S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 105; ausführlich zu der Entwicklung des Arbeitsrechts Jas´kiewicz/Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 41 ff.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 105 ff.; S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff. 359 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; ausführlich hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 7 ff. 360 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15. 361 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7); ausführlich hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 7–15. 362 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9); Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (91). 363 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7); näher hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 8 ff. 364 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch Balcerek/ Gilejko, Społeczno-ekonomiczne funkcje samorza˛du robotniczego, S. 8; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 81 f. 365 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7 f.).

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Aufbau eines neuen Wirtschaftssystems unterstützen und dabei die Arbeitnehmerinteressen in beruflichen und sozialen Angelegenheiten vertreten sollten, sahen die Kommunisten vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Russland in den Arbeiterdelegiertenräten ein Mittel zur Herbeiführung einer gesellschaftlichen Revolution und Einführung einer Diktatur des Proletariats.366 Als die revolutionären Bestrebungen in Polen nach und nach verblassten und der Aufbau neuer Staatsstrukturen begann, sank auch im Allgemeinen das Interesse an einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung in Gestalt der Arbeiterdelegiertenräte.367 Nicht zuletzt war die Nähe der Arbeiterdelegiertenräte zur sozialistischen Bewegung und ihr oftmals radikaler Charakter der Grund dafür, dass die sich neu formende politische und wirtschaftliche Macht in Polen, die traditionellerweise eher nach Westen ausgerichtet war, an ihrer Liquidation interessiert war.368 So wird auch der Erlass zahlreicher arbeitnehmerfreundlicher Regelungen – etwa der Einführung eines 8-Stunden-Tages und einer 46-Stunden-Arbeitswoche sowie einer Institution der Arbeitsinspektion369 – auf das Bestreben der neuen Regierung zurückgeführt, die Arbeiterdelegiertenräte in ihrer Entwicklung zu schwächen und damit Polen vor dem Bolschewismus zu bewahren.370 Mit Erlass eines Dekrets vom 8. Februar 1919 betreffend die Gewerkschaften371 sollten ferner die gemäßigten Gewerkschaften gestärkt und dadurch eine weitere Verbreitung der Arbeiterdelegiertenräte verhindert werden.372 Im Sommer 1919 wurden die Arbeiterdelegiertenräte durch die neue Regierung aufgelöst.373 Auch wenn die Arbeiterdelegiertenräte letztlich nur ein kurzes Dasein verzeichneten, werden sie in der polnischen Literatur als Ausdruck authentischer Initiativen und Bestrebungen der polnischen Arbeiter nach Arbeitnehmerpartizipation374 und 366 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7 f.); ausführlich hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 44 ff.; vgl. ders., a. a. O., S. 152 ff. 367 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16. 368 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 82 m.w. N. 369 Vgl. Artt. 1 ff., 12 des Gesetzes zur Arbeitszeit in der Industrie und im Handel vom 18. Dezember 1918, Dz. U. 1920 Nr. 2 Pos. 7; eine ausführliche Darstellung zur Entwicklung des polnischen Arbeitsrecht findet sich bei S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff. 370 So Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 81, 105; dies andeutend auch S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 43. 371 Dekret des Staatsoberhaupts zu temporären Vorschriften über Gewerkschaften vom 8. Februar 1919, Dz.Pr.P.P. 1919 Nr. 15 Pos. 209. 372 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 82 m.w. N.; vgl. hierzu sowie zum sehr gewerkschaftsfreundlichen Inhalt des Dekrets auch S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 44. 373 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (8). 374 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16.

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wichtiger Wegbereiter für spätere gesetzliche Regelungen der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen375 betrachtet. Gesetzliche Grundlagen für eine Arbeitnehmerpartizipation gab es lediglich in Teilen Polens. Auf den Gebieten der ehemaligen Besatzungsmächte galten die früheren Gesetze fort – so auf dem Gebiet der ehemaligen Preußischen Besatzungsmacht die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918376, die weiterhin in den Woiwodschaften Poznan, Pommern und Oberschlesien Anwendung fand.377 In Oberschlesien galt auch das deutsche Betriebsrätegesetz von 1920378, allerdings nicht auch das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922379.380 Insoweit bestand in diesem Gebiet die am weitesten gehende Arbeitnehmerpartizipation in Polen.381 Eine weitere besondere Mitbestimmungsregelung galt im Dombrowaer Kohlegebiet, wo sich aus den Arbeiterdelegiertenräten eine eigenständige Form der Arbeitnehmervertretung entwickelt hatte, die schließlich durch Rechtsverordnung vom 25. August 1919 rechtlich bestätigt wurde.382 In den anderen Gebieten Polens regelten die noch in Kraft befindlichen rechtlichen Vorschriften der ehemaligen Besatzungsmächte die Frage der Arbeitnehmerpartizipation jedoch nur bruchteilhaft und unzureichend.383 Darüber hinaus gab es in vereinzelten polnischen Gesetzen Mitspracherechte von Belegschaftsvertretern, so etwa in Bezug auf die Aufstellung von Urlaubsplänen.384

375 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). 376 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918, RGBl. S. 1456. 377 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23; Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 378 Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920, RGBl. S. 147. 379 Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922, RGBl. I S. 209. 380 Hierzu Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 22; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 19; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. Das Gesetz galt aufgrund der deutsch-polnischen Konvention Oberschlesiens vom 15. Mai 1922, vgl. Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 22. 381 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16 f. 382 Näher Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23; Masewicz, Połoz˙enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 163 f.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 128. 383 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16. 384 Art. 5 Satz 2 des Gesetzes vom 16. Mai 1922 betreffend den Urlaub von in Industrie und Handel beschäftigten Arbeitnehmer, Dz. U. 1922 Nr. 40 Pos. 334; vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 129.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

In vielen Betrieben entstanden jedoch Arbeitnehmervertretungen, die entweder auf Tarifverträgen bzw. sonstigen betrieblichen Vereinbarungen beruhten oder aber auch gar keine gesetzliche oder vertragliche Grundlage hatten.385 Es handelte sich dabei meistens um einzelne Delegierte bzw. Vertrauensmänner der Arbeiter, da sich die Belegschaften das Recht zur Berufung und die Anerkennung von Arbeitnehmervertretern oft durch Streik erkämpfen mussten und die Unternehmer in der Regel der Errichtung eines Arbeitnehmervertretungsgremiums ablehnend gegenüberstanden.386 Oft fungierten die Delegierten daher auch ohne vertragliche Grundlage und stützten ihre Tätigkeit allein auf das Vertrauen der Belegschaft.387 Sowohl die rechtliche Stellung als auch die Rolle und Kompetenzen der Delegierten war in den einzelnen Betrieben unterschiedlich und mitunter abhängig von der politischen und wirtschaftlichen Situation des Betriebs, der Autorität der sie unterstützenden Gewerkschaften und persönlichen Eigenschaften.388 Aus Sicht der Unternehmer sollte der Delegierte vor allem Konflikte im Betrieb verhindern.389 In der Regel war der Delegierte Repräsentant der gesamten Belegschaft – nicht nur der Gewerkschaftsmitglieder –, selbst jedoch Gewerkschaftsfunktionär oder jedenfalls Gewerkschaftsmitglied.390 Oftmals entstanden in diesem Zusammenhang auch Konkurrenzen zwischen verschiedenen Gewerkschaften.391 Abgesehen von den betrieblichen Arbeitnehmervertretungen wurden die Arbeitnehmerinteressen vornehmlich von den Gewerkschaften vertreten. Die ersten Nachkriegsjahre waren für die Entwicklung der Gewerkschaften sehr förderlich. Dabei zeichnete sich die Entstehung von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen sowie kollektiver Arbeitsbeziehungen durch einen stark dezentralen Charakter aus.392 Nachdem bereits mit dem Dekret vom 8. Februar 1919393 die Koalitionsfreiheit anerkannt wurde, wurde die Koalitionsfreiheit sodann auch in Art. 108 der Verfassung vom 17. März 1921394 garantiert. Mit der Verfassung der 385 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 53; Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 164, 166; Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/ 1991, S. 89 (91). 386 Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 19 f. 387 Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 19. 388 Ebenda. 389 Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 20. 390 Ebenda. 391 Szubert, Rady zakładowe w s ´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (91). 392 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (107). 393 Dekret des Staatsoberhaupts zu temporären Vorschriften über Gewerkschaften vom 8. Februar 1919, Dz.Pr.P.P. 1919 Nr. 15 Pos. 209. 394 Verfassung vom 17. März 1921, Dz. U. 1921 Nr. 44 Pos. 267, S. 653. Art. 108 lautete: „Obywatele maja˛ prawo koalicji, zgromadzania sie˛ i zawia˛zywania stowarzyszen´ i zwia˛zków.“

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II. Republik Polen vom 17. März 1921 wurden damit die Grundlagen für einen sozialen Dialog gelegt.395 Aus der Koalitionsfreiheit wurde gleichzeitig das Streikrecht abgeleitet.396 Insgesamt charakterisiert die Gewerkschaftsbewegung in den Jahren 1918 bis 1939 jedoch eine sehr starke organisatorische Zersplitterung – es existierten 71 Gewerkschaftszentralen und 1.944 Gewerkschaften, die jedoch oftmals nicht einmal 100 Mitglieder zählten.397 Gewerkschaftlich organisiert waren allerdings insgesamt nur ungefähr 2,2 % bis 2,8 % der Gesamtbevölkerung, was im europäischen Vergleich wenig war.398 Ihre höchste Zahl verzeichneten die Gewerkschaften in den Jahren 1921 bis 1923: Zu dieser Zeit waren ca. 35 bis 40 % aller abhängig Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert.399 In den Jahren 1924 bis 1926 war ein starker Rückgang der Mitgliederzahlen um ca. 40 % zu beobachten, was auf die fehlende Tradition gewerkschaftlicher Organisationen, die steigende Arbeitslosigkeit und mangelnde Bereitschaft der Arbeitgeberseite, sich auf die Forderungen der Gewerkschaften einzulassen, sowie die zunehmende innere Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung in sich teilweise gegenseitig bekämpfende Organisationen zurückgeführt wird.400 Gleichzeitig hatte gerade mitunter auch die große Zersplitterung zur Folge, dass sich die einzelnen Gewerkschaften durch eine hohe Aktivität zu profilieren versuchten, was zu der – auch im internationalen Vergleich – beträchtlichen Anzahl von 19.239 Streiks und davon erfassten 141.000 Betrieben im Zeitraum von 1919 bis 1938 führte.401 Die gesetzlichen Garantien und Freiheiten der Gewerkschaften wurden nach dem Militärputsch von Józef Piłsudzki im Jahre 1926 zwar teilweise wieder eingeschränkt. So etwa unterlagen sie den Bestimmungen des Vereinigungsgesetzes vom 27. Oktober 1932402 und das Streikrecht in öffentlichen Einrichtungen wurde durch das 1932 erlassene Strafgesetzbuch eingeschränkt403. Die Aprilverfassung von 1935404 garantierte anders als die Märzverfassung von 1921 nicht 395

Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. Ebenda. 397 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 17. 398 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 18; weitere statistische Angaben finden sich bei Masewicz, Połoz˙enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 87 ff. 399 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 83. 400 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 83 m.w. N. Zu den größten Gewerkschaftsorganisationen vgl. die Angaben bei Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 19 f. 401 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 21. 402 Verordnung des Präsidenten der Republik Polen vom 27. Oktober 1932 – Vereinigungsgesetz, Dz. U. 1932 Nr. 94 Pos. 808; vgl. hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 84, 110. 403 Vgl. Art. 223 des Strafgesetzbuchs vom 11. Juli 1932, Dz. U. 1932 Nr. 60 Pos. 571; vgl. hierzu Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 404 Verfassung vom 23. April 1935, Dz. U. 1935 Nr. 30 Pos. 227. 396

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

mehr ausdrücklich das Koalitionsrecht, sondern lediglich die Vereinigungsfreiheit, und dies auch nur in den Schranken des Gemeinwohls.405 Dennoch sind dadurch letztlich weder die Autonomie noch die demokratischen Strukturen der Gewerkschaften beschränkt worden.406 Das wichtigste Instrument bei der Entwicklung des sozialen Dialogs in der damaligen Zeit waren Tarifverträge.407 Mit Ausnahme der lediglich in den Woiwodschaften Poznan, Pommern und Oberschlesien geltenden408 deutschen Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918409 fehlte es an einer gesetzlichen Grundlage für den Abschluss von Tarifverträgen, sodass die tatsächlichen Entwicklungen den rechtlichen vorausgingen410. Tarifverträge waren weit verbreitet411, insbesondere im ehemals preußischen Gebiet, und wurden nicht nur mit den Gewerkschaften, sondern auch anderen Arbeitnehmervertretern geschlossen.412 Gerade in kleineren Betrieben waren die Arbeiter oftmals nicht gewerkschaftlich organisiert, sodass die Tarifverträge – auch als „kollektiver Vertrag“, „Vergleich“ „Tarifkontrakt“ u. ä. bezeichnet –, von anderen Arbeitnehmervertretungen geschlossen wurden.413 Tarifverträge wurden generell meist dezentral auf Betriebsebene unterzeichnet.414 Ursprünglich hatten die Tarifverträge nur Lohnfragen geregelt, wurden aber zunehmend um Regelungen in Bezug auf die Arbeitszeit, die Vergütung von Überstunden, die Stellung der Arbeitnehmervertretungen und andere für die Belegschaft wichtige Aspekte ausgeweitet.415 Für die Gewerkschaften waren die Tarifverträge eines der wichtigsten Betätigungsfelder und wurden als Ergänzung der Koalitionsfreiheit und des Streikrechts angesehen.416 Sie versuchten mithilfe von Tarifverträgen die wenigen Befugnisse, die 405 Art. 5 Abs. 2, 3 der Verfassung vom 23. April 1935, Dz. U. 1935 Nr. 30 Pos. 227; vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 112. 406 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 24. 407 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 53. 408 Vgl. hierzu Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23; Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 409 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918, RGBl. S. 1456. 410 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 184. 411 Eine ausführliche statistische Darstellung der abgeschlossenen Tarifverträge findet sich bei Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 10 ff. 412 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 53; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 89. 413 Gładoch, Dialog społeczny, S. 53. Übersetzung d. Verf. 414 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (107). 415 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 183; vgl. in Bezug auf die Regelung von Arbeitnehmervertretungen in Tarifverträgen oder sonstigen betrieblichen Vereinbarungen auch Masewicz, a. a. O., S. 166. 416 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 89.

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ihnen nach dem Dekret vom 8. Februar 1919 zugestanden waren, aufzustocken.417 An einer gesetzlichen Regelung des Tarifvertragsrechts wurde zwar schon seit 1919 gearbeitet, doch wurde erst 1937 das Gesetz über Tarifverträge418 erlassen.419 Allerdings wies das Gesetz die Kompetenz zum Abschluss von Tarifverträgen auf Arbeitnehmerseite ausschließlich den Gewerkschaften zu.420 Tarifverträgen in kleineren Betrieben mit kaum gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern wurde dadurch ein Riegel vorgeschoben.421 Dass es in den Jahren 1918 bis 1939 nicht zu einer einheitlichen gesetzlichen Regelung in Bezug auf eine betriebliche Arbeitnehmervertretung gekommen ist, hat verschiedene Ursachen. Dabei wurde eine gesetzliche Regelung gerade von den Gewerkschaften mehrheitlich gefordert, die sich durch die verschiedenen Arbeitnehmervertretungen, deren Rolle und Aufgabe nicht eindeutig geregelt waren, zunehmend bedroht fühlten.422 Schon im Jahr 1920 postulierten sie die zügige gesetzliche Einführung einer Arbeitnehmervertretung in den Betrieben, die den Arbeitern Einfluss auf die Produktion und Betriebsführung sichern würde.423 Einzig kleinere Gewerkschaften sahen auch in den gesetzlich abgesicherten betrieblichen Arbeitnehmervertretungen eine Gefahr für ihre eigene, oft hart erkämpfte Existenz.424 Die Regierungen zögerten die gesetzliche Regelung einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung jedoch hinaus, beriefen sich dabei auf die fehlende Entschlossenheit der Gewerkschaften, die Gefahr unzureichender Qualifikationen der berufenen Arbeitnehmervertretungen und radikaler Tendenzen sowie mangelnde Kontrollmöglichkeiten ihrer Tätigkeit.425 Befürchtet wurde auch die Entstehung einer Arbeitnehmervertretung nach dem Vorbild der deutschen Betriebsräte auf Grundlage des BRG 1920.426 So waren auch Versuche der Gewerkschaften, den Geltungsbereich des BRG 1920 auf andere Teile Polens auszudehnen, nicht erfolgreich gewesen.427 Im Jahre 1938 begann man schließ-

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Ebenda. Gesetz über Tarifverträge vom 14. April 1937, Dz. U. 1937 Nr. 31 Pos. 242. 419 Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 420 Vgl. Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über Tarifverträge vom 14. April 1937, Dz. U. 1937 Nr. 31 Pos. 242. 421 Gładoch, Dialog społeczny, S. 53; ausführlich zu der Auseinandersetzung um die Tariffähigkeit anderer Arbeitnehmervertretungen Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 16 ff. 422 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 136 m.w. N. 423 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 165. 424 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 136. 425 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 165. 426 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 165 f. 427 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 128, 136. 418

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lich mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über Arbeitnehmerräte.428 Der Entwurf lehnte sich an die deutschen Betriebsräte an, räumte ihnen jedoch keine derart weitgehenden Mitbestimmungsrechte ein und sah die Bildung von Arbeitnehmerräten erst in Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmern vor; in kleinen Unternehmen sollten dagegen lediglich Delegierte fungieren.429 Es handelte sich dabei um eines der umstrittensten Gesetzgebungsprojekte der damaligen Zeit.430 Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte indes die Finalisierung des Gesetzes.431 Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – die gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Arbeitnehmerpartizipation nur unzureichend waren, hatte sich in den Jahren 1918 bis 1939 in Polen eine immense Vielzahl an verschiedenen Formen von Arbeitnehmervertretungen herausgebildet. Zwar fehlte es dadurch an einem für das gesamte Land einheitlichen System der Arbeitnehmerpartizipation, gleichwohl zeichneten sich die entstehenden Interessenvertretungen durch Authentizität aus und genossen die Akzeptanz der Belegschaften.432 2. Arbeitnehmerpartizipation in der Volksrepublik Polen (bis 1980) Obwohl es in den Jahren 1918 bis 1939 nicht gelungen ist, eine einheitliche gesetzliche Regelung für die Arbeitnehmerbeteiligung zu erlassen, war die Idee nicht durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges untergegangen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde von dem Departament für Arbeit und Soziales der sich im Londoner Exil befindlichen polnischen Regierung zusammen mit Vertretern der christlichen Gewerkschaft ein Konzept zur Neugestaltung der polnischen Staates erarbeitet.433 Kernelement des Konzepts war die auf einem Betriebsrats-

428 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (8); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 429 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23. 430 Szubert, Rady zakładowe w s ´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (91). 431 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (8); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 432 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 24. 433 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 97 f., 131; Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89; näher hierzu Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 30 ff.; vgl. zu den Arbeiten des Departaments ausführlich Szubert, Wspomnienia o Departamencie Pracy i Opieki Społecznej Delegatury Rza˛du (1941– 1944), Przegla˛d Historyczny, Bd. LXXX 1/1989, S. 133 (133 ff.).

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system beruhende Selbstverwaltung, die eine Alternative sowohl zum Kapitalismus als auch zum Sozialismus darstellen sollte.434 Im Zuge der konzeptionellen Arbeiten wurde eine Verordnung über Betriebsräte erarbeitet, die am ersten Tag des Warschauer Aufstandes, dem 1. August 1944, von dem Nationalen Ministerrat („Krajowa Rada Ministrów“) erlassen wurde.435 Es handelte sich dabei jedoch lediglich um einen symbolischen Akt, der die Bedeutung, die die im Exil befindliche Regierung der Arbeitnehmerbeteiligung beigemessen hatte, zum Ausdruck bringt.436 Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes am 1. August 1944 verhinderte dagegen ein Inkrafttreten der Verordnung, welche dennoch als Wegbereiterin für spätere Formen der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen diente.437 Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in Polen eine neue politische und wirtschaftliche Staatsordnung. In der Theorie beruhte das entstandene politische System in Polen auf zwei Grundsätzen: der Volksherrschaft im Sinne einer Teilhabe aller Bürger an der politischen und wirtschaftlichen Macht sowie der führenden Rolle des Proletariats.438 Die führende Rolle des Proletariats sollte sich in der politischen Dominanz der Arbeiterklasse äußern und durch die Arbeiterpartei wahrgenommen werden.439 In kurzer Zeit führte dies allerdings zur Alleinherrschaft der Arbeiterpartei, andere Parteien wurden entweder „eliminiert“ oder „dominiert“.440 Die wirtschaftliche Neuordnung beruhte auf der Verstaatlichung der wichtigsten Wirtschaftszweige. Auf der Grundlage von Nationalisierungsakten wurden wesentliche Ressourcen, Produktionsmittel und -geräte verstaatlicht, was zu einer radikalen und sehr weitgehenden Transformation der Eigentumsverhältnisse führte.441 Noch vor Kriegsende läutete die kommunistische Regierung 1944 eine Landwirtschaftsreform ein.442 Mit Gesetz vom 3. Januar 1946443 wurden die 434 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 98; ausführlich hierzu Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 31 ff.; zum konzeptionellen Hintergrund ferner Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (92 ff.). 435 Verordnung über Betriebsräte vom 1. August 1944, Dz. U. Teil III, Nr. 2 Pos. 16; vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 131; Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (89); näher zum Inhalt der Verordnung Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (94 ff.). 436 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 437 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 132. 438 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. 439 Ebenda. 440 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20 f. 441 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17 m.w. N. 442 Dekret betreffend die Landwirtschaftsreform vom 6. September 1944, Dz. U. 1944 Nr. 4 Pos. 17.

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wichtigsten Wirtschaftszweige (so insbesondere Industrie, Bergbau, Erdgas und Elektrik) in Staatseigentum überführt. Daneben kam es zu einer Übernahme der Leichtindustrie, des größeren Handwerks und des nahezu gesamten Handels durch den Staat.444 Die Nationalisierung der der Produktion dienenden Rohstoffe, Mittel und Geräte war dabei der erste Schritt beim Aufbau der neuen Staatsordnung.445 Schrittweise wurde in Polen so die Zentralverwaltungswirtschaft eingeführt. Auf der untersten Stufe dieses Wirtschaftssystems befand sich das „Staatsunternehmen“ – ein Wirtschaftssubjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit, das allerdings in das planwirtschaftliche System vollständig eingebettet war.446 Nach der theoretischen Konzeption hatte das Staatsunternehmen zwar einen Teil des Volkseigentums im Besitz, doch besaß der Staat weiterhin nicht nur das Eigentum an den jeweiligen Produktionsmitteln und Vermögenswerten, sondern auch die volle Verfügungsbefugnis.447 Da sich der Staat aufgrund des eingeführten Wirtschaftssystems den unmittelbaren Einfluss auf die Wirtschaft gesichert hatte, hatte einen solchen gleichermaßen die dominierende Arbeiterpartei.448 Die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation erfolgte im Rahmen dieser politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Idee der Arbeitnehmerpartizipation an der Unternehmensführung war eines der grundlegenden Elemente des polnischen politischen Systems während der kommunistischen Herrschaft, die Gesetzgebung evolvierte unter dem Einfluss sich wandelnder politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren.449 In Bezug auf das Arbeitsrecht galt die Theorie der Konfliktlosigkeit, die von einem Gleichlauf der Interessen der Belegschaften und der Unternehmen ausging.450 Vor diesem Hintergrund fehlten Regelungen zum Arbeitskampf und zur Lösung von Interessenkonflikten zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite und auch der Begriff

443 Gesetz betreffend die Überführung von grundlegenden Wirtschaftszweigen in Staatseigentum vom 3. Januar 1946, Dz. U. 1946 Nr. 3 Pos. 17 und Dz. U. 1946 Nr. 72 Pos. 394. 444 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. 445 Ebenda. 446 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62 f. 447 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 448 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. 449 Vgl. Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). Näher zum theoretischen Ansatz der Verbindung zwischen der Arbeitnehmerpartizipation und der kommunistischen Doktrin siehe unten Kapitel 2, B.II. 450 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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des kollektiven Arbeitsrechts verschwand schließlich aus dem juristischen Wortschatz.451 a) Die letzten Kriegsmonate und das Dekret über Betriebsräte von 1945 Als sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die Kriegsfront von Osten nach Westen verschob und zahlreiche verlassene Betriebe zu zerfallen drohten, übernahmen die an ihrem Fortbestand interessierten Belegschaften die Betriebsführung, kümmerten sich um die Wiedererlangung von aus den Betrieben entnommenen Betriebsmittel und organisierten die Produktionsprozesse, die in erster Linie der Versorgung des Militärs und der Bevölkerung dienten.452 Man hatte sich damals an den russischen Arbeiterräten und den Arbeiterräten des Dombrowaer Kohlegebiets aus dem Jahre 1918 orientiert.453 Die so im Jahre 1945 aus eigenem Antrieb entstehenden Arbeitergremien in Form von Betriebsräten und Fabrikausschüssen übernahmen im Wesentlichen die Unternehmensführung und hatten in Bezug auf alle wesentlichen Angelegenheiten im Betrieb, mitunter selbst die Bestellung der Direktoren, Mitentscheidungsrechte.454 Die Tätigkeit der Belegschaftsvertreter im Jahre 1945 ist in Erinnerung geblieben als eine Institution, die durch die von ihr in Gang gesetzten Vorgänge und Überwachungsmaßnahmen maßgeblich zur Ordnung der Produktionsprozesse beitrug.455 Es handelte sich um eine „aus der Not geborene Form der Selbstverwaltung“.456 Mit dem Dekret vom 6. Februar 1945 über Betriebsräte457 wurde diesen spontan entstehenden Arbeitnehmervertretungen Gesetzeskraft verliehen.458 Der Erlass des Dekrets vom 6. Februar 1945 erfolgte auf Bestreben der kommunistischen Regierung und dies auch äußerst eilig.459 Die neue politische Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg begünstigte die Gesetzgebung im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung, da die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung als Ausdruck der Volksherrschaft und der vorherrschenden Rolle 451 Vgl. C ´ wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137. 452 Jaworski, T., Samorza˛d robotniczy, S. 16; Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16. 453 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16. 454 Balcerek/Gilejko, Społeczno-ekonomiczne funkcje samorza˛du robotniczego, S. 8; Jaworski, T., Samorza˛d robotniczy, S. 16 f.; Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16 f. 455 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16 f. 456 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16 („samorza˛d z koniecznos´ci“, Übersetzung d. Verf.). 457 Dekret vom 6. Februar 1945 über Betriebsräte, Dz. U. 1945 Nr. 8 Pos. 36. 458 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 17. 459 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

der Arbeiterpartei zu den propagierten Grundprinzipien des sozialistischen Systems gehörte.460 Durch die Arbeitnehmerpartizipation sollte der Einfluss der Arbeiterklasse auf das Wirtschaftsgeschehen als einem für das Land essentiellen Bereich manifestiert werden.461 Die Arbeitnehmerpartizipation in den Staatsunternehmen hatte mithin einen sehr bedeutsamen politischen Hintergrund.462 Das Dekret vom 6. Februar 1945 war der erste polnische Rechtsakt, der die Arbeitnehmerpartizipation einheitlich und einigermaßen vollständig regelte.463 Das Dekret legte fest, dass in Betrieben mit mehr als zwanzig Arbeitnehmern Betriebsräte zu errichten waren, in Betrieben mit fünf bis zwanzig Arbeitnehmern sollte ein Delegierter die Arbeitnehmervertretung wahrnehmen (vgl. Artt. 1, 2 des Dekrets). Die Größe der Betriebsräte hing von der Arbeitnehmerzahl der Betriebe ab und betrug zwischen drei und maximal dreißig Betriebsratsmitgliedern (vgl. Art. 7 des Dekrets). Die Betriebsräte wurden von allen Arbeitnehmern des Betriebs gewählt, konnten von der Allgemeinen Arbeitnehmerversammlung jederzeit aufgelöst werden und waren dieser einmal in Quartal zur Berichterstattung verpflichtet (vgl. Artt. 9 Abs. 1, 21, 31 des Dekrets). Sie waren insoweit als Vertreter der Belegschaft anzusehen.464 Gleichwohl hing das passive Wahlrecht unter anderem davon ab, dass der Kandidat seit mindestens einem Jahr einer gewerkschaftlichen Organisation angehörte (vgl. Art. 9 Abs. 2 des Dekrets). Insoweit war die Rolle der Betriebsräte nicht ganz eindeutig: Einerseits waren sie Vertreter der Arbeitnehmer, aufgrund des passiven Wahlrechts aber gleichzeitig Organe gewerkschaftlicher Organisationen.465 Die Betriebsräte hatten nach Art. 3 des Dekrets einerseits die Aufgabe, die beruflichen Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten, andererseits aber auch über die Verbesserung der Produktivität des Betriebs nach Maßgabe der wirtschaftspolitischen Richtlinien des Staates zu wachen. Im Einzelnen sollten die Betriebsräte insbesondere die Arbeitsbedingungen und die sozialen Einrichtungen des Betriebs überwachen, der Arbeitsordnung zustimmen, Streitigkeiten schlichten und bei der Personalplanung sowie der Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern mitbestimmen (vgl. Art. 3 Satz 2 Abs. 1 bis 5 des Dekrets). Vorgesehen war ferner eine Zusammenarbeit mit staat460 Vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). 461 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. 462 Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21; zu den weiteren Aspekten der Arbeitnehmerbeteiligung vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (4 f.). 463 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. 464 Ebenso Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 38. 465 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21 f.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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lichen Organen im Rahmen der Verbesserung und Kontrolle der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betriebs (vgl. Art. 4 Abs. 2, 3 des Dekrets). Der Arbeitgeber war zu regelmäßigen, mindestens monatlichen Abstimmungen mit dem Betriebsrat im Hinblick auf betriebliche Angelegenheiten verpflichtet (vor allem die Produktivität und Arbeitsdisziplin, Hygiene und Sicherheit sowie technische und organisatorische Verbesserungen); ferner hatte er dem Betriebsrat quartalsweise über die Lage des Betriebs zu berichten (vgl. Art. 5 des Dekrets). Mit den eingeräumten Rechten konnte der Betriebsrat einerseits die kollektiven beruflichen Interessen der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber vertreten und so die Funktion als Organ der Gewerkschaften wahrnehmen, andererseits aber auch in gewissen Umfang Einfluss auf die Leitung des Betriebs nehmen.466 Kritisiert wird jedoch vereinzelt467, dass die in den Betriebsräten erfolgte Verknüpfung von zwei Institutionen – der Arbeitnehmerselbstverwaltung und der Eigenschaft als gewerkschaftliches Organ – weder für das eine noch das andere förderlich war und eine Schwächung der Position der Betriebsräte im Vergleich zu den spontan entstandenen Betriebsräten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zur Folge hatte. Die Betriebsräte hätten sich angesichts einer fehlenden Selbstverwaltungstradition auf die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen konzentriert und so vor allem die gewerkschaftliche Funktion wahrgenommen, womit sie die gegen Ende des Krieges erworbenen Befugnisse der spontan gebildeten Räte nach und nach aufgegeben hätten. Dagegen seien die Gewerkschaften in ihrer Funktion als Arbeitnehmervertreter gehemmt gewesen, weil sie die Produktivität der Betriebe mit zu verantworten hätten, dies aber oftmals nur zu Lasten der Belegschaft möglich gewesen sei. Das Dekret von 1994 habe insgesamt das Ende der gegen Ende des Krieges entstandenen Selbstverwaltung der Belegschaft markiert und stattdessen eine Phase der „gleichberechtigten Mitwirkung“ eingeleitet.468 Auffallend ist darüber hinaus die gesetzlich verankerte Orientierung an staatlichen Vorgaben und Zusammenarbeit mit staatlichen Organen, die den Einfluss des Staates auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Unternehmen unterstreicht und den Aufbau der Zentralwirtschaft widerspiegelt. Auch den zum Ende des Krieges entstandenen Fabrikkomitees und Betriebsräten, die die Betriebsleitung übernommen hatten, war allmählich der Wille des Staates aufgezwungen worden – gleichermaßen im Hinblick auf die Produktion als auch auf die Person des Betriebsdirektors, der den Belegschaften von oben aufgedrängt wurde und die Vorgaben der politischen Zentralgewalt durchsetzen sollte.469 466

Ebenso Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 22. So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 18. 468 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 18 („Wydanie dekretu kon ´czyło włas´ciwie okres pełnej władzy załogi i rozpoczynało okres równorze˛dnego uczestnictwa“, Übersetzung d. Verf.). 469 Vgl. hierzu das Beispiel bei Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 18 f. 467

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Über die vorgenannten Beteiligungsrechte hinaus sah das Dekret vom 6. Februar 1945 ferner die Vertretung eines Betriebsratsmitglieds im Vorstand vor. Nach Art. 6 des Dekrets erhielt in Betrieben, die unter staatlicher Leitung oder Selbstverwaltung standen, ein Vertreter des Betriebsrats einen Sitz in den „Vorständen“ des jeweiligen Betriebs, sofern dieser mehrere Personen zählte. Durch diese Bestimmung hätte die Position des Betriebsrats und seine Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Betriebsführung deutlich verstärkt werden können, allerdings fand die Regelung keine Entsprechung in dem am 3. Januar 1947 erlassenen Dekret über die Entstehung staatlicher Unternehmen470, nach dessen Art. 11 die Berufung der Direktion allein dem zuständigen Minister oblag.471 Das Auseinanderfallen der Regelungen im Dekret von 6. Februar 1945 und dem Dekret vom 3. Januar 1947 zeugt nach Ansicht von Ra˛czka472 entweder davon, dass es an einer einheitlichen Konzeption der Arbeitnehmerpartizipation fehlte, oder aber davon, dass das nach dem Dekret vom 6. Februar 1945 bestehende Modell der Arbeitnehmerpartizipation wieder eingedämpft werden sollte. Die weitere Entwicklung der Betriebsräte ließe eher auf Letzteres schließen. Das Dekret vom 6. Februar 1945 unterlag in den folgenden Jahren wesentlichen Änderungen. Die erste Änderung erfolgte mit Gesetz vom 16. Januar 1947473. Art. 1 sprach nunmehr ausdrücklich von der Errichtung einer „Arbeitnehmervertretung“ in Gestalt eines Betriebsrates „als Organ der Gewerkschaften“. Die Betriebsräte hatten damit ausdrücklich eine doppelte Funktion erhalten – einerseits waren sie Vertreter der Belegschaft, andererseits betriebliches Organ der Gewerkschaften.474 Sie wurden dadurch in die gewerkschaftliche Branchenstruktur einbezogen.475 Formal behielten aber die Betriebsräte ihre Eigenschaft als Belegschaftsvertreter, da das aktive Wahlrecht nach wie vor allen Arbeitnehmern des Betriebs zustand.476 Im Jahre 1949 wurden die Betriebsräte ihrer Funktion als Belegschaftsvertreter allerdings gänzlich beraubt, sie waren danach nur noch ein Organ der Gewerkschaften. Dies geschah infolge der Verabschiedung des Gesetzes über Gewerk470 Dekret über die Entstehung staatlicher Unternehmen vom 3. Januar 1947, Dz. U. 1947 Nr. 8 Pos. 42. 471 So zutreffend Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 22. Nach Art. 10 des Dekrets sollte jedes staatliche Unternehmen eine Direktion und einen Rat der sozialen Aufsicht, der der Aufsicht des Präsidiums des Nationalrates unterstand, haben. Wie Ra˛czka, a. a. O., hervorhebt, sah das Dekret weder eine Einflussmöglichkeit des Betriebsrates auf die Wahl und Abwahl der Direktion noch eine Beteiligung in dem Rat der sozialen Aufsicht vor. 472 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 22. 473 Gesetz vom 16. Januar 1947, Dz. U. 1947 Nr. 24 Pos. 92. 474 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 475 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23. 476 So schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23.

A. Geschichtlicher Hintergrund

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schaften vom 1. Juli 1949477, mit dem der „Zentralrat der Gewerkschaften“ ins Leben gerufen wurde. In dem Statut des Zentralrates wurde das aktive Wahlrecht bei der Wahl von Betriebsräten – in Widerspruch zu Art. 9 Abs. 1 des Dekrets vom 6. Februar 1945 – auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkt478 und dadurch sowohl die Eigenständigkeit der betrieblichen Arbeitnehmervertretung als auch ihr Charakter als Vertretungsorgan der gesamten Belegschaft aufgehoben479. Gleichzeitig beschränkte das Statut die Kompetenzen der Betriebsräte auf soziale und produktionsbezogene Angelegenheiten, die kennzeichnend für die damaligen gewerkschaftlichen Funktionen waren.480 Die Betriebsräte verloren dadurch all diejenigen Eigenschaften, die die Arbeitnehmerbeteiligung an der Betriebsführung ausmachten.481 Mit dem am 26. Oktober 1950 verabschiedeten und das Dekret vom 3. Januar 1947 ablösenden neuen Dekret über Staatsunternehmen482 wurde die Unternehmensleitung ausdrücklich allein dem Direktor, der vom zuständigen Minister berufen wurde, zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen (vgl. Art. 14 Abs. 1 des Dekrets). Weder war ein Rat der sozialen Aufsicht wie zuvor nach dem Dekret vom 3. Januar 1947483 noch waren Beteiligungsrechte des Betriebsrats an der Wahl des Direktors vorgesehen. Mit der Verabschiedung des Dekrets von 1950 wurde die Einführung der Zentralverwaltungswirtschaft bestätigt und zementiert.484 Nach Art. 1 wurden Staatsunternehmen ausdrücklich zu dem Zweck gegründet, um die sich aus dem Wirtschaftsplan ergebenden Aufgaben wahrzunehmen. Die Staatsunternehmen waren damit integraler Bestandteil eines einheitlichen staatlichen Wirtschaftsapparates, der basierend auf den Grundsätzen des sog. „demokratischen Zentralismus“ zentral von oben gesteuert wurde.485 Die Entwicklung in den Jahren 1944 bis 1950 zeigt eine schrittweise Schwächung der Betriebsräte als Arbeitnehmervertretungsorgan. Waren die gegen Ende 477

Gesetz über Gewerkschaften vom 1. Juli 1949, Dz. U. 1947 Nr. 41 Pos. 293. Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10). 479 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 38. 480 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 481 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 482 Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, Dz. U. 1950 Nr. 49 Pos. 439. 483 Wie Bar schreibt, hatte der sich entwickelnde Zentralismus ohnehin die Einberufung des Rates der sozialen Aufsicht in der Praxis verhindert, vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); hierzu auch Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 64. 484 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. 485 Ebenda. 478

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des Zweiten Weltkrieges spontan gebildeten Betriebsräte noch eine echte Form der Selbstverwaltung486, so wurden sie infolge der Gesetzgebung der Nachkriegsjahre schrittweise in ihrer Unabhängigkeit und ihren Kompetenzen beschnitten und letztlich in ihrer Bedeutung erheblich eingeschränkt. Diese mit den gesetzgeberischen Änderungen des Dekrets vom 8. Februar 1945 und den Gesetzen über das Staatsunternehmen und die Gewerkschaften einhergehende Schwächung der Betriebsräte und ihre Einbettung in die festen gewerkschaftlichen Strukturen ist dabei untrennbar mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in Polen verbunden. Sie ging Hand in Hand mit dem durch den 3-Jahres-Plan im Jahre 1947 eingeleiteten Prozess der Zentralisierung des Wirtschaftssystems, im Zuge dessen die Staatsunternehmen ihre Selbstständigkeit verloren und letztlich als organisatorische Basiseinheit der Planwirtschaft zu einem Ausführungsorganen des Staates wurden, denen eigene Interessen und eigene Rechte abgesprochen wurden.487 Wie Ra˛czka488 trefflich hervorhebt, blieb in einem derart stark zentralisierten und bürokratischen Wirtschaftssystem schlichtweg kein Raum für eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung. Gleichfalls habe auch die politische Entwicklung hin zu einem von einer einzigen Partei dominierten, antidemokratisch und autoritär geführten Staat die Entstehung demokratischer Strukturen innerhalb der Betriebe verhindert.489 Die Einbettung der betrieblichen Arbeitnehmervertretung in die festen organisatorischen Gewerkschaftsstrukturen ist in demselben Kontext zu sehen.490 Es handelte sich dabei um ein typisches Phänomen in kommunistischen Staaten.491 Die Gewerkschaften wurden zentralistisch strukturiert und hatten sich an den parteipolitischen Zielen und der Ideologie der Arbeiterpartei zu orientieren, wodurch auch sie ihre Unabhängigkeit verloren.492 Die Rolle der Gewerkschaften bei der Staatsverwaltung und dem Aufbau des Sozialismus spiegelte sich in den Statuten der Gewerkschaften wider: Die Gewerkschaften sollten „aktiv die Politik der Regierung stützen und sich kontinuierlich um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter bemühen, indem sie eine Steigerung der Produktivität und der Einnahmen förderten und einen ständigen und bedingungslosen Kampf gegen die kapitalistischen Elemente in Städten und Dörfern führten“.493 Vorgezeichnet 486

So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16. Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 488 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23 f. 489 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24. 490 Ebenda. 491 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. Allein in Jugoslawien war dies nicht der Fall. 492 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41; ausführlich zur Entwicklung der Gewerkschaften nach 1944 ferner Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 142 ff. 493 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 20. Übersetzung d. Verf. 487

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war mithin die Funktion der Gewerkschaften als „Transmissionsriemen“ 494 zwischen der Arbeiterpartei und der Bevölkerung. Diese Funktion der Gewerkschaften wurde verstärkt, indem die betriebliche Interessenvertretung in die gewerkschaftliche Organisation eingebettet wurde.495 Die Gewerkschaften wurden zu einer Institution geformt, die die Mobilisierung, Überwachung und Erziehung der Arbeiter übernehmen sollte – mit wahrhaftiger Arbeitnehmervertretung hatte das kaum mehr etwas zu tun.496 Die übrigen Entwicklungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts497 gingen damit Hand in Hand. Die Koalitionsfreiheit wurde ausgehöhlt. Zwar sah Art. 2 des Gesetzes über Gewerkschaften vom 1. Juli 1949498 vor, dass es den Arbeitnehmern freistand, sich in Gewerkschaften zu vereinigen. Da aber nach Art. 9 der Zentralrat der Gewerkschaften zuständig für die Registrierung und damit auch Entstehung von neuen Gewerkschaften war, beinhaltete die Koalitionsfreiheit lediglich noch das Recht, bestehenden und vom Zentralrat gebilligten Gewerkschaften beizutreten, nicht möglich war indes die Gründung davon unabhängiger Gewerkschaften.499 Gleichzeitig verschwanden aber auch die unabhängigen Arbeitgeberorganisationen, da infolge der Verstaatlichung der Produktionsmittel der Staat die Arbeitgeberfunktion einnahm und die privaten Unternehmer in Polen nur noch verschwindend geringe Bedeutung hatten.500 Tarifverträge wurden zwar abgeschlossen, allerdings handelte es sich bei diesen Vereinbarungen, die zwischen den unter staatlicher Kontrolle stehenden Gewerkschaften und den als Teil der Staatsverwaltung fungierenden Arbeitgebern unterzeichnet wurden, letztlich lediglich um die Niederschrift einer von oben seitens der Zentrale ge494 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 59; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41 m.w. N.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62; ausführlich zur Rolle der Gewerkschaften während des sozialistischen Systems Wratny, Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 8 ff. (Übersetzung der polnischen Bezeichnung „pas transmisyjny“ nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41). 495 Gładoch, Dialog społeczny, S. 59. 496 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 42. 497 Der Begriff verschwand in dieser Zeit aus der polnischen Literatur, vgl. etwa C´wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137. 498 Gesetz über Gewerkschaften vom 1. Juli 1949, Dz. U. 1947 Nr. 41 Pos. 293. 499 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 138, die diese Regelung als massiven Eingriff in die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit nach den internationalen Standards der ILO-Konvention Nr. 87 bewertet. 500 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41 („Zugleich wurden die privaten Unternehmer im polnischen Wirtschaftsleben marginalisiert“); ebenso Gładoch, Dialog społeczny, S. 58. Ausführlich zur Situation der polnischen Arbeitgeber zu Zeiten des realen Sozialismus und zur Arbeitgeberrolle des Staates vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 56 ff., 63 ff.; vgl. hierzu auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (89 f.).

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troffenen Entscheidung.501 Ein sozialer Dialog nach heutigem Verständnis fand indes nicht statt.502 Die in den Jahren 1950–1955 auf Grundlage des sog. „Sechs-Jahres-Plans“ erfolgende intensive Industrialisierung korrespondierte mit dem Aufbau des staatlichen Verwaltungsapparats und einer starken Zentralisierung des Wirtschaftsgeschehens.503 In einem solchen System war kein Raum für jedwede Art von Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung, geschweige denn Selbstverwaltung.504 Vielmehr erschöpfte sich die Rolle der Belegschaft in der bloßen Ausführung von Verwaltungsanweisungen.505 b) Arbeitnehmerselbstverwaltung in den Jahren 1956–1958 Die gesellschaftlichen Entwicklungen im Jahre 1956 und der Tod des damaligen Staatspräsidenten Bolesław Bierut ebneten einen neuen Weg für die Arbeitnehmerpartizipation. Noch in der ersten Hälfte des Jahres 1956 kam es zu zahlreichen Diskussionen über die Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Wirtschaftsreformen.506 Ausgelöst wurden diese mitunter von Journalisten, die schon im April 1956 nach Jugoslawien geschickt wurden, um Informationen über die dort in den in den Unternehmen bestehende Selbstverwaltung zu sammeln.507 Die Journalisten sollten die Selbstverwaltung kritisch beleuchten und dadurch zur Propaganda gegen dieses Modell beitragen, doch nach ihrer Rückkehr popularisierte ein Teil der Journalisten stattdessen das Konzept von Arbeiterräten.508 Zwischen Juni und Oktober 1956 kam es zu massenhaften Protesten der Arbeiter.509 In der Öffentlichkeit wurden Forderungen nach einer Demokratisierung der politischen Verhältnisse, Durchführung einer Wirtschaftsreform, Bürokratieabbau und Dezentralisierung des Wirtschaftssystems laut.510 Im Zuge dessen wurde auch die in den Jahren zuvor erfolgte Entmachtung und Unterordnung der Betriebsräte kritisiert und eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung gefordert.511 Die Regierung beabsichtigte, die bestehenden 501

Gładoch, Dialog społeczny, S. 58 f. Gładoch, Dialog społeczny, S. 58. 503 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 19 f. 504 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 20. 505 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 19. 506 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 23. 507 Ebenda. 508 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 23 m.w. N. 509 Ausführlich hierzu Jaworski, Mieczysław, in: Jaworski, Marek, Paz ´ dziernik ’56, S. 17 (17 ff.). 510 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24. 511 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 142; ausführlich 502

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Betriebsräte zu stärken und ihre Kompetenzen auf die Unternehmensführung auszuweiten, doch stießen diese Pläne aufgrund des fehlenden Vertrauens der Arbeiter in die Gewerkschaften und die diesen unterstehenden Betriebsräte auf Ablehnung seitens der Arbeiter.512 Statt dessen gründeten die Arbeiter eigene Arbeitnehmervertretungen in Form von „Arbeiterräten“, die sich rasch in ganz Polen verbreiteten.513 Zwischen April und Dezember 1956 waren ca. 3.000 Arbeiterräte entstanden, die durch diverse organisatorische Veränderungen die Effektivität der Staatsunternehmen zu steigern versuchten.514 Die Oktoberrevolution führte dazu, dass sich eine neue politische Führung konstituierte und das politische System teilweise liberalisiert wurde. Die spontan entstandenen Arbeiterräte stießen auf die Anerkennung der neuen politischen Kräfte und erhielten mit dem Gesetz vom 19. November 1956 über Arbeiterräte515 eine gesetzliche Grundlage.516 Entsprechend erklärt die Präambel die „Realisierung der Initiative der Arbeiterklasse in Bezug auf ihre unmittelbare Beteiligung an der Unternehmensführung“ als Ziel des Gesetzes.517 Das Gesetz entstand in einem äußert zügigen Gesetzgebungsprozess innerhalb von nur drei Nächten.518 Nach Art. 1 des Gesetzes sollten in Staatsunternehmen der Industrie, Bau- und Landwirtschaft Arbeiterräte gebildet werden, sofern sich die Mehrheit der Arbeitnehmer dieser Unternehmen hierfür aussprach. Die Bildung der Arbeiterräte war mithin nicht obligatorisch – wie dies im Dekret vom 6. Februar 1945 über Betriebsräte der Fall war – sondern lediglich erlaubt. Auch war der Anwendungsbereich des Gesetzes von 1956 auf Staatsunternehmen der Industrie-, Bauund Landwirtschaftsbranchen beschränkt, während das Dekret vom 6. Februar 1945 noch für alle Unternehmen galt. Die Unterschiede werden damit erklärt, dass sich im Jahre 1946 der staatliche Wirtschaftssektor erst noch im Aufbau zu den Hintergründen der Proteste vgl. Jaworski, Mieczysław, in: Jaworski, Marek, Paz´dziernik ’56, S. 17 (17 ff.). 512 Vgl. Balcerek/Gilejko, Społeczno-ekonomiczne funkcje samorza˛du robotniczego, S. 10; Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 65; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 513 Vgl. Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 65; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 514 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 33 f. m.w. N.; vgl. auch Jaworski, T., Samorza˛d robotniczy, S. 18. 515 Gesetz über Arbeiterräte vom 19. November 1956, Dz. U. 1956 Nr. 53 Pos. 238. 516 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 517 Präambel des Gesetzes über Arbeiterräte: „W celu zrealizowania inicjatywy klasy roboczej w zakresie jej bezpos´redniego udziału w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami stanowi sie˛, co naste˛puje: [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 518 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 12.

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befand und die Betriebsräte aus Sicht des Gesetzgebers ein Instrument waren, um den Privatunternehmer einzuschränken und den Nationalisierungsprozess zu erleichtern.519 Dagegen war im Jahre 1956 der private Wirtschaftssektor in Polen kaum mehr existent; das Thema der Arbeitnehmerpartizipation sei daher für denjenigen Wirtschaftssektor geregelt worden, der repräsentativ für die damalige Wirtschaft war.520 Die Arbeiterräte und die Betriebsräte bestanden nebeneinander.521 Daneben waren in den Betrieben auch Parteikomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) vertreten.522 Nach dem Gesetz von 1956 waren die Arbeiterräte ein wahrhaftiges Vertretungsorgan der gesamten Belegschaft, welches unabhängig war von den Gewerkschaften und politischen Organisationen.523 Dies zeigt sich mitunter darin, dass bereits die Einberufung und Größe des Arbeiterrates vom Willen der Belegschaft abhing, seine Mitglieder Arbeitnehmer des Unternehmens sein mussten und von der Belegschaft gewählt wurden, wobei weder das aktive noch das passive Wahlrecht an eine Gewerkschaftszugehörigkeit gekoppelt war (vgl. Artt. 6 f. des Gesetzes).524 Zwar hatte auch der Direktor des Unternehmens einen festen Sitz im Arbeiterrat (vgl. Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes), doch wurde dieser vom zuständigen Staatsorgan nur im Einvernehmen mit dem Arbeiterrat bestellt und der Arbeiterrat hatte sogar ein Vorschlagsrecht im Hinblick auf die Bestellung und Abberufung des Direktors (vgl. Art. 13 des Gesetzes). Der Arbeiterrat hatte sich gegenüber der Belegschaft zu verantworten, ihr Bericht zu erstatten und sollte besonders wichtige Entscheidungen zuvor in einer Arbeitnehmerversammlung besprechen (vgl. Art. 5 des Gesetzes).525 Die Aufgabe des Arbeiterrates bestand gemäß der Generalklausel in Art. 2 Abs. 1 darin, „das im Volkseigentum stehende Staatsunternehmen im Namen der Belegschaft zu führen“.526 Hierdurch wurde dem Arbeiterrat eine Generalzuständigkeit in Bezug auf alle Kompetenzen des Staatsunternehmens zugesprochen, die diesem selbst im Hinblick auf das in seiner Obhut stehende Volkseigentum

519

So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. Ebenda. 521 Dies ergibt sich zum Beispiel ausdrücklich aus Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. November 1956 über Arbeiterräte, wonach in bestimmten Angelegenheiten Beschlüsse des Arbeiterrates im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erfolgen sollten. 522 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 29. 523 So auch schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. 524 Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. 525 Ebenda. 526 Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeiterräte: „Rada robotnicza zarza˛dza w imieniu załogi przedsie˛biorstwem be˛da˛cym własnos´cia˛ ogólnonarodowa˛“, Übersetzung d. Verf. Dass das Gesetz von „Volkseigentum“ sprach, war eine ausdrückliche Bestätigung der herrschenden Theorie vom einheitlichen Staatseigentum, vgl. hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. 520

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zustanden.527 Dabei hatten sich die Arbeiterräte zwar an das Gesetz sowie die dem Staatsunternehmen im nationalen Wirtschaftsplan aufgetragenen Aufgaben zu halten (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes), doch wurden ihnen Entscheidungsoder jedenfalls Mitentscheidungsrechte im Hinblick auf strategische, organisatorische und finanzielle Angelegenheiten des Unternehmens eingeräumt, die von wesentlicher Bedeutung für die Tätigkeit und langfristige Entwicklung des Unternehmens waren.528 Daneben hatten sie auch in Bezug auf betriebliche Angelegenheiten wie etwa die Arbeitseffektivität und -mittel, Vergütung und Arbeitsschutz weitgehende Kompetenzen. Auch durften sie über die Bestellung des Direktors mitentscheiden, der für die alltäglichen, operativen Geschäfte zuständig war (vgl. Artt. 13 ff. des Gesetzes).529 Der Direktor hatte sich grundsätzlich an Beschlüsse des Arbeiterrates zu halten (vgl. Art. 14 Abs. 2 Pkt. 2 des Gesetzes) und war somit ein Ausführungsorgan des Arbeiterrates530, wenngleich er auch dem übergeordneten Staatsorgan unterstand (vgl. Art. 14 Abs. 1, 2 Pkt. 2 des Gesetzes) und die Ausführung von Beschlüssen des Arbeiterrates, die gegen das Gesetz oder den Wirtschaftsplan verstießen, verweigern durfte (vgl. Art. 15 des Gesetzes).531 In der gespaltenen Rolle des Direktors zeigt sich, dass das Gesetz die Interessen der Belegschaft und diejenigen des zentralistischen Staates an der Unternehmensführung zu vereinbaren versuchte.532 Das Gesetz über die Arbeiterräte hatte den Grundstein für eine sehr weitgehende Arbeitnehmerpartizipation gelegt, die an die Arbeitnehmerselbstverwaltung im eigentlichen Sinne sehr stark heranreichte.533 Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass die eingeräumten Befugnisse der Arbeiterräte aufgrund der Einbettung des Staatsunternehmens in das System der Planwirtschaft in

527 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24 f.; vgl. hierzu auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 528 Vgl. hierzu insbesondere Art. 3 des Gesetzes sowie die Erläuterungen bei Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 67 ff., Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 26 sowie bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 529 So auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 26 und Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (12). 530 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 38. 531 Vgl. hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 26. In Abweichung zu Art. 14 Abs. 1 und 4 des Dekrets über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, der ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt wurde (vgl. Art. 17 des Gesetzes über Arbeiterräte), leitete der Direktor das Unternehmen somit nicht selbstständig. 532 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (13). 533 So etwa Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (13).

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Wirklichkeit doch recht beschränkt waren.534 Die tatsächlichen Kompetenzen der Arbeiterräte hingen letztlich im jeweiligen Einzelfall davon ab, wie viel Selbstständigkeit dem Staatsunternehmen zugestanden wurde.535 Dies beruhte darauf, dass gemäß Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeiterräte die Arbeiterräte nur im Rahmen der dem Unternehmen durch den Ministerrat eingeräumten Rechte tätig werden durften.536 Der Ministerrat entschied damit über das Maß der Selbstständigkeit des Staatsunternehmens und somit auch letztlich über die tatsächlichen Kompetenzen der Arbeiterräte.537 Eine gewisse Selbstständigkeit wurde den Staatsunternehmen in der Industrie aufgrund eines Beschlusses des Ministerrates vom 10. November 1956 betreffend die Erweiterung der Rechte von Staatsunternehmen538 eingeräumt, als diesen mehr Rechte u. a. in Bezug auf die Produktionsplanung und Produktion, Investitionen, die Unternehmensorganisation, Personalplanung, Finanzen sowie die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Unternehmens zugestanden wurden.539 Die höhere Selbstständigkeit der Unternehmen erlaubte es den Arbeitnehmervertretungen, mehr Einfluss auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Lage der Staatsunternehmen auszuüben und steigerte so das Bewusstsein der Arbeitnehmer, nicht nur durch ihre Arbeit, sondern auch die Beteiligung an der Unternehmensleitung die Geschicke des Unternehmens beeinflussen zu können.540 Die Tätigkeit der Arbeiterräte verbesserte auch tatsächlich die wirtschaftliche Situation zahlreicher Unternehmen.541 Auch wenn das Gesetz von 1956 mehr versprach als es den Arbeitnehmern tatsächlich an Arbeitnehmerpartizipation und Einfluss an der Unternehmensführung zugestehen konnte, so wird diesem dennoch eine bahnbrechende Bedeutung für die damaligen wie auch künftigen Entwicklungen in Polen zugesprochen.542 Allerdings wurden die infolge der Oktoberrevolution von 1956 geweckten Hoffnungen auf eine Liberalisierung und stärkeren Einfluss der Arbeitnehmer schon sehr bald enttäuscht.543 Obwohl das Gesetz vom 19. November 1956 den Arbeiterräten eine führende Rolle einräumte, waren ihre realen Handlungsmög-

534 So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 24 f., dies ebenso andeutend Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 535 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 536 Ebenda. 537 Ebenda. 538 Beschluss des Ministerrates vom 10. November 1956, M. P. 1956 Nr. 94 Pos. 1047. 539 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. Gleichzeitig sank die Zahl der verbindlichen Richtlinien auf nur acht, Ra˛czka, a. a. O. 540 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 541 Näher hierzu Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 24. 542 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64 f. 543 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28.

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lichkeiten durch andere Gesetze und Verordnungen eingeschränkt.544 Nachfolgende staatsorganisatorische Änderungen führten erneut zu einer Beschränkung der Selbstständigkeit der Staatsunternehmen.545 Als schließlich wahrhaftige Demokratisierungsprozesse ausblieben und sich ein Rückgang zur Zentralverwaltungswirtschaft abzeichnete, schwand auch das enorme und authentische Interesse der Belegschaften an den Arbeiterräten, dessen Grundlage die mit den Ereignissen des Jahres 1956 geweckten Hoffnungen auf eine Demokratisierung im politischen und betrieblichen Bereich waren.546 Im Zuge der Rückkehr zur zentral gesteuerten Wirtschaft hatten die Belegschaften immer weniger den Eindruck, dass ihre Beteiligung an der Unternehmensführung tatsächlich etwas bewirken könne und ihre Tätigkeit Anerkennung fände.547 Zunehmend verschlechterte sich auch das Ansehen der Arbeiterräte.548 Der Gesellschaft fehlte das Bewusstsein für eine derart weitgehende Arbeitnehmerpartizipation, und den Arbeiterräten fehlten oft notwendige Kenntnisse einer wirtschaftlichen Unternehmensführung.549 Auf breite Ablehnung stießen vor allem auch die von den Arbeiterräten oftmals beschlossenen Personalabbaumaßnahmen.550 Die Arbeiterräte gerieten ferner in die Schusslinie der Politik. Sie wurden von der Regierung schon sehr bald als Bedrohung für die kommunistische Partei und die Gewerkschaften verstanden, denn der demokratische Charakter und ihre Akzeptanz unter der Belegschaft führten dazu, dass die Rolle der politischen Partei und der Gewerkschaften in Unternehmen zu untergraben werden drohte.551 Schon im Jahre 1957 erklärte der damalige Parteichef der PVAP, Władysław Gomułka, auf einem Parteiplenum, dass die Partei sich nicht länger als Arbeiterpartei bezeichnen dürfe, wenn ihr die Zusammensetzung der Arbeiterräte egal sei.552 Die Aufgabe der Partei bestünde darin, den Arbeitern diejenigen Kandidaten aufzuzeigen, die die beste Garantie für die Arbeit wären. Die Parteiorganisation müsse die Arbeiterräte mittels eigener Vertreter im Arbeiterrat steuern und instruieren, außerdem bestünde die Notwendigkeit, die Arbeiterräte an die Gewerk544

Näher hierzu Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 24. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 546 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28. 547 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 28. 548 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 28; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28. 549 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28. 550 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 143 f. m.w. N. 551 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (13 f.). 552 Gomułka, We˛złowe problemy polityki partii, Referat auf dem IX Plenum der KC PZPR, veröffentlicht in Nowe Drogi 6/1957, S. 9–19, zitiert nach Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 26. 545

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schaften zu koppeln. Auf dem IV. Gewerkschaftskongress vom 14. bis 19. April 1958 stellte Gomułka sodann das Konzept einer sog. „Konferenz“ vor, die sich aus Vertretern der Partei, der Gewerkschaften und der Arbeiterräte zusammensetzen sollte.553 c) Das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung von 1958 und das Ende der Selbstverwaltung Das Modell der Arbeiterräte überstand nur zwei Jahre. Auf Bestreben der kommunistischen Partei und mit Zustimmung der Gewerkschaften554 wurde am 20. Dezember 1958 das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung555 beschlossen und damit die Eigenständigkeit der Arbeiterräte aufgehoben. Das Gesetz vom 19. November 1956 trat außer Kraft556, stattdessen sah das Gesetz von 1958 ein neues System der „Arbeiterselbstverwaltung“ vor.557 Als Organe der Selbstverwaltung galten fortan die Konferenz der Arbeiterselbstverwaltung, die Arbeiterräte auf Unternehmensebene, deren Präsidium sowie die Arbeiterräte auf Ebene der Abteilungen (vgl. Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes von 1958). Auch wenn die Bildung von Arbeiterräten weiterhin erlaubt war, so waren Vertreter des Betriebsrats – der seit 1947 letztlich das betriebliche Organ der Gewerkschaften war – sowie Vertreter der PVAP zwingende Mitglieder des Arbeiterrates sowohl auf Unternehmens- als auch Abteilungsebene sowie des Präsidiums (vgl. Artt. 12 Abs. 4, 13 Abs. 3, 4 des Gesetzes von 1958). Außerdem war das federführende Organ der Selbstverwaltung die „Konferenz der Arbeiterselbstverwaltung“, die sich aus den Vertretern des Arbeiterrates, des Betriebsrates und des betrieblichen Parteikomitees der PVAP zusammensetzte (vgl. Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes von 1958). Der Konferenz wurden alle entscheidenden Kompetenzen in Bezug auf die Aufsicht und Entscheidung über strategische und langfristig bedeutsame wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens zugewiesen, während sich die Kompetenz des Arbeiterrates fortan im Wesentlichen auf organisatorische Aufgaben sowie die Ausführung der Beschlüsse der Konferenz beschränkte (vgl. Artt. 7, 8 des Gesetzes von 1958).558 Indem sie ferner generalklauselartig „in allen Angelegenheiten der Selbstverwaltungsorgane“ entscheiden konnte (vgl. Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes von 1958), bestimmte die Kon553

Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 26. Hierzu Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (14). 555 Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958, Dz. U. 1958 Nr. 77 Pos. 397. 556 Vgl. Art. 31 des Gesetzes über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958. 557 Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29 ff. 558 Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29 f. 554

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ferenz ferner über die Kompetenzen der anderen Selbstverwaltungsorgane.559 Darüber hinaus sollte der Zentralrat der Gewerkschaften „die ordnungsgemäße Funktionsweise der Arbeiterselbstverwaltung“ überwachen und seine Tätigkeit landesweit koordinieren sowie Richtlinien für die Arbeitsordnung der Konferenz und des Arbeiterrates erlassen (vgl. Artt. 24, 25 Abs. 3 des Gesetzes von 1958). Die Konferenz wurde so schnell zum verlängerten Arm der PVAP und der Gewerkschaften, die sich auf diesem Wege den maßgeblichen Einfluss auf die von der Konferenz wahrgenommenen Aufgaben sicherten.560 Durch die in diesem Rahmen erfolgte Unterordnung der Arbeiterräte unter die PVAP verloren diese letztlich nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch ihre Authentizität.561 Hinzu kam, dass infolge der Novellierung des Art. 14 Abs. 1 des Dekrets vom 28. März 1950 über Staatsunternehmen562 die führende Rolle bei der Unternehmensleitung wieder dem Direktor zugewiesen wurde.563 Das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958 führte zwar erstmals gesetzlich den Begriff der „Arbeiterselbstverwaltung“ ein, von einer Selbstverwaltung konnte indes bei Weitem nicht die Rede sein.564 Vielmehr waren die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Belegschaft auf die Unternehmensführung äußerst eingeschränkt. Offiziell wurde die Entstehung der Konferenz zwar damit begründet, dass die Arbeiterselbstverwaltung sich nicht lediglich auf die Arbeiterräte beschränken dürfe, sondern alle im Betrieb tätigen Organisationen, die zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen berufen waren, umfassen müsse.565 In Wahrheit war es aber die Angst der betrieblichen Organisationen des PVAP und der Gewerkschaften, angesichts der demokratisch gewählten Arbeiterräte an Einfluss in den Betrieben zu verlieren.566 So wird in der polnischen Literatur darauf hingewiesen, dass es nicht zuletzt auch die politischen Umstände gewesen seien, die die Entstehung einer „authentischen Arbeitnehmerpartizipation“ verhinderten.567 Das Fehlen einer politischen Demokratie habe schlussend559 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39; Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 82. 560 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 30. 561 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 562 Vgl. Art. 14 der Bekanntmachung der einheitlichen Gesetzesfassung des Dekrets vom 26. Oktober 1950 durch den Ministerpräsidenten vom 28. März 1960. 563 Nach der neuen Fassung des Art. 14 leitete der Direktor das Unternehmen und vertrat es nach außen. Hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29. 564 In diese Richtung auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29; Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 65. 565 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (14). 566 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29. 567 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31.

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lich seine Spuren auf der Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation hinterlassen müssen.568 Daneben trug auch die volkswirtschaftliche Struktur dazu bei, dass das Interesse der Arbeitnehmer an der Arbeitnehmerpartizipation sank.569 Nach der kurzzeitigen Liberalisierung und Verselbstständigung der Staatsunternehmen infolge der Ereignisse von 1956 wurden diese bald schon wieder zu bloßen Ausführungsorganen der Zentralverwaltung degradiert.570 In den 1960er und 1970er Jahren wurde die Zentralisierung der Wirtschaft fortgesetzt, die Bildung von den Staatsunternehmen übergeordneten Organisationseinheiten (Kombinaten) beschränkte die Staatsunternehmen noch mehr in ihrer Selbstständigkeit.571 Entsprechend gering waren auch die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Arbeiterselbstverwaltung auf die Entwicklung der Staatsunternehmen, da die wesentlichen Entscheidungen auf übergeordneter Ebene getroffen wurden.572 Die Kompetenzen der Arbeiterselbstverwaltung hatten damit letztlich lediglich noch einen „Scheincharakter“.573 Zu einer „Wiederbelebung der Arbeitnehmerpartizipation“ 574 kam es auch nicht, als im Jahre 1976 der Grundsatz der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung in die Verfassung der Volksrepublik Polen aufgenommen wurde.575 Dies war typisch für das kommunistische System, wo die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensleitung als ein Grundsatz der sozialistischen Demokratie deklariert wurde.576 Mit Schlagwörtern wie „Volksherrschaft“ 568

Ebenda. Ausführlich Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 30 f. 570 Näher Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 571 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66; vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7). Im Gegensatz zum Wirtschaftssystem in der ersten Hälfte der 1950er Jahre war das nunmehr bestehende zwar etwas dezentralisierter, da eine mittlere Ebene dazwischengeschaltet worden war. Allerdings wurde das Wirtschaftsgeschehen weiterhin zentral von oben gesteuert, mit dem Unterschied nur, dass die Staatsunternehmen nicht unmittelbar der Zentrale, sondern den dazwischengeschalteten Verbänden unterstellt waren, hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 572 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (17 f.); vgl. auch Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7). 573 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31 („charakter fasadowy“, Übersetzung d. Verf.). 574 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32 („próby reanimacji pracowniczego uczestnictwa w zarza˛dzaniu“, Übersetzung d. Verf.). 575 Vgl. Art. 13 Satz 2 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36 („Załoga przedsie˛biorstwa uczestniczy w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami“); hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39. 576 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 569

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und „Vergemeinschaftung der Betriebsmittel“ versuchte die kommunistische Propaganda den Arbeitern eine Beteiligung an der Unternehmensführung einzureden, doch wollte sie sich damit lediglich ihren Rückhalt sichern, wahrhaftige Mitspracherechte waren damit nicht bezweckt.577 Es fehlten dementsprechend auch Ausführungsgesetze, die dem Verfassungsgrundsatz Geltung verliehen hätten.578 Vielmehr führten Maßnahmen des Zentralrats der Gewerkschaften zu einer weiteren Degradierung und sogar Verhinderung der Arbeiterräte.579 Im Jahre 1978 wurden die Arbeiterräte liquidiert, an ihre Stelle trat ein neu ins Leben gerufene Präsidium der Konferenz, dessen Vorsitzender der Erste Sekretär des betrieblichen Parteikomitees und sein Stellvertreter der Vorsitzende der Betriebsrates – mithin eines Gewerkschaftsorgans – waren.580 Ins Leben gerufen wurde ferner die neue Institution einer Konferenz von Vertreten der Arbeiterselbstverwaltung auf überbetrieblicher Ebene, infolge derer selbst die Konferenz auf Unternehmensebene kaum noch Entscheidungsbefugnisse hatte und lediglich noch die Funktion eines innerbetrieblichen „Transmissionsriemens“ 581 ausübte.582 Ende der 1970er Jahre war die Arbeiterselbstverwaltung damit letztlich nur noch eine „Attrappe“.583 Die aufgezeigten Entwicklungen in Polen waren paradigmatisch dafür, dass in einem totalitären politischen System und einer zentral gesteuerten, stark bürokratisierten Wirtschaftsverfassung trotz aller ideologischen Propaganda eine authentische Arbeitnehmerbeteiligung nicht existieren konnte.584 Forderungen nach einer Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung und die Enttäuschung der Bevölkerung über die Degradierung der bestehenden Arbeitnehmer577 Vgl. Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 63 („ludowładztwo“, „uspołecznienie s´rodków produkcji“, Übersetzung d. Verf.) 578 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 145. 579 Näher hierzu Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7); Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 30; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 580 Richtlinien des Zentralrats der Gewerkschaften („CRZZ“) von 1978 betreffend die Regularien der Arbeiterselbstverwaltung, Biuletin CRZZ aus dem Jahre 1978, S. 10, zitiert nach Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32 und Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (18). 581 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 582 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 31; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 583 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (19) („Pod koniec lat siedemdziesia˛tych samorza˛d robotniczy w Polsce był juz˙ tylko atrapa˛“, Übersetzung d. Verf.); ebenso Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 584 So auch schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35 f.

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vertretungen waren mitunter ein Grund für wiederholte Unruhen in den Jahren 1956 bis 1980.585 Die Zahl der Arbeiterräte verringerte sich im Laufe der Jahre zunehmend: Waren es Anfang der 1970er Jahre noch ca. 6.000 Arbeiterräte, so waren es nach den vom Zentralrat der Gewerkschaften eingeführten Änderungen nur noch 600, im Januar 1980 existierte nur noch ein einziger Arbeiterrat und im Juni 1980 überhaupt keiner mehr.586 3. Arbeitnehmerselbstverwaltung in der Krise der 1980er Jahre a) Wirtschaftskrise als Treiber des Partizipationsgedankens Eine neue Dimension der Arbeitnehmerpartizipation in Polen begann infolge der im Jahre 1980 ausgebrochenen Krise, in der die sich zunehmend verstärkende Wirtschaftskrise des Landes mündete.587 Aufgrund ihrer Erstreckung auf die gesamte Wirtschaft und Bevölkerung wird sie auch als die bis dahin tiefgehendste und umfassendste Krise des Landes betrachtet.588 Ihre Ursachen wurden von weiten Teilen in den zentralistischen und bürokratischen Strukturen des Landes gesehen589, womit auch zunehmend das Vertrauen der Gesellschaft in die politische Führung und das bestehende politische und wirtschaftliche System schwand590. Gleichzeitig wurde auch der Wunsch nach einer unabhängigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer und der Abkehr vom bisherigen, stark bürokratisierten und zentralisierten Gewerkschaftssystem immer lauter.591 Sowohl unter den Arbeitern als auch in intellektuellen Kreisen wuchs die Überzeugung, dass die Krise des Landes nur durch die Schaffung unabhängiger Gewerkschaftsstrukturen überwunden werden konnte.592 Im Zuge dieser Entwicklung kam es zur Entstehung einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die schließlich in der Gründung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gipfelte.593 Vorreiter war das Mitte der 1970er Jahre im Untergrund entstandene

585 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 145; vgl. etwa Jaworski, Mieczysław, in: Jaworski, Marek, Paz´dziernik ’56, S. 17 (17 ff.). 586 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 30; vgl. auch Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7). 587 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 588 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 589 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 m.w. N.; so auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 590 Strobel, NSZZ „Solidarnos ´c´ “, S. II. 591 Vgl. Strobel, NSZZ „Solidarnos ´c´ “, S. 2 ff. 592 Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 18. 593 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 ff.; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´“, S. 2 ff.

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„Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (kurz „KOR“)594 – eine aus Kreisen der bürgerlichen Intelligenz stammende Vereinigung, deren Ziel die Verteidigung von Arbeitnehmerinteressen und die Unterstützung von unabhängigen Arbeitnehmervertretern war.595 Das KOR nahm eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung von Widerstandbewegungen wahr und trug maßgeblich zur Entstehung von Gründungskomitees freier Gewerkschaften bei.596 Von wegweisender Bedeutung für die Entstehung einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung war ferner die auf den bahnbrechenden Streik in der Lenin-Werft zurückgehende Unterzeichnung des Danziger Abkommens am 31. August 1980, in welchem die Anerkennung „unabhängiger und sich selbst verwaltender neuer Gewerkschaften“ zugesichert wurde.597 Mitte September 1980 beschlossen Vertreter von 35 Gründungskomitees freier Gewerkschaften aus ganz Polen die Gründung eines Dachverbands unter dem Vorsitz von Lech Wałe˛sa, dem sie in Anlehnung an die Danziger Streikpostulate und den Solidaritätsstreik den Namen „Solidarnos´c´ “ gaben.598 Nach einer Auseinandersetzung hinsichtlich der Ergänzung ihres Statuts um die Anerkennung der führenden Rolle der PVAP wurde die NSZZ „Solidarnos´c´ “ schließlich am 10. November 1980 registriert.599 Innerhalb von drei Monaten nach der Registrierung zählte sie fast 10 Millionen Mitglieder.600 Ihre Tätigkeit ging weit über das traditionelle gewerkschaftliche Verständnis hinaus und strahlte vielmehr auf den gesamten sozialen und gesellschaftlichen Bereich aus.601 Mit der Entstehung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ als einer gewaltigen, von der politischen Macht unabhängigen Gewerkschaft und gleichzeitig sehr starken sozial-politischen Bewegung ging schließlich auch der Zerfall der bisherigen Gewerkschaftsstrukturen und der darin vereinten Gewerkschaften einher.602 Gleich-

594 „Komitet obrony robotnikow“, Übersetzung nach Strobel, NSZZ „Solidarnos´c ´“, S. 2 und Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149. 595 Ausführlich zur Tätigkeit und Rolle des KOR Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 ff.; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´“, S. 2 f. 596 Näher hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 ff.; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´“, S. 2 ff. 597 Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 18 f. sowie ders., Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 18 f. („Rza˛d zobowia˛zał sie˛ do zgwaratowania i zapewnienia pełnego poszanowania ,niezalez˙nosc´i i samorza˛dnos´ci nowych zwia˛zków zawodowych, [. . .]‘“, Übersetzung d. Verf.); ausführlich Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 153 ff. 598 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 161; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´ “, S. 9. 599 Strobel, NSZZ „Solidarnos ´c´ “, S. II, S. 9 f. 600 Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (70). 601 Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (72). 602 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (71 f.) („CRZZ rozpadła sie˛, niczym domek z kart“ – „Die CRZZ fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen“, Übersetzung d. Verf.).

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zeitig bedeutete dies eine Abkehr von der dem sozialistischen System immanenten Rolle der Gewerkschaften als „Transmissionsriemen“ 603 der PVAP.604 Die Arbeiterschaft und die NSZZ „Solidarnos´c´ “ bezweckten eine grundlegende Reform der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse.605 Im Grunde ging es um die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen und die Liberalisierung der wirtschaftlichen Strukturen.606 Gleichzeitig erwuchsen Forderungen nach einer gewissen Demokratisierung des politischen Systems, wobei allerdings die Dominanz der Arbeiterpartei nicht ernsthaft in Frage gestellt worden war.607 Sogar in der dominierenden PVAP begann das Bewusstsein zu wachsen, dass grundlegende Veränderungen unerlässlich waren.608 Unter den Reformvorschlägen lebte auch die Forderung nach einer authentischen Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung in den Staatsunternehmen wieder auf.609 Angesichts der bisherigen Erfahrungen hing diese Forderung untrennbar mit der Forderung nach mehr Selbstständigkeit und Verantwortung für die Staatsunternehmen sowie der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente, die eine Beurteilung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen ermöglichen würden, zusammen.610 Eine zentrale Bedeutung in der Reformdiskussion erlangte das Konzept der Selbstverwaltung, dessen tragendes Element eine wahrhaftige Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung darstellte.611 Bereits seit Oktober 1980 hatten sich Arbeitnehmer – ermutigt durch die auf die Streiks folgenden Vereinbarungen – zu spontanen Belegschaftsräten zusammenzuschließen begonnen.612 Bis März 1981 waren ungefähr 300 Belegschaftsräte entstanden, nach den im März von einer eingesetzten Regierungskommission veröffentlichten „Thesen zum Gesetz über Selbstverwaltung in Staatsunter603 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 604 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 35. 605 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 606 Näher Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 33. 607 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 33 f. 608 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 609 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Szubert, Kierunki rozwoju zbiorowego prawa pracy, PiP 6/1981, S. 15 (21 ff.) sowie ders., Współczesne tendencje przemian w prawie pracy, PiP 8/1981, S. 3 (10); Zielin´ski, Prawo pracy a reforma gospodarcza, PiP 9–12/1981, S. 4 (11–13). 610 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 33. 611 Näher Hausner/Indraszkiewicz, Samorza˛d załogi, S. 137, 139. 612 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 36; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66.

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nehmen“ waren es bis Juli 1981 weitere 700.613 Dieses verbreitete und lebhafte Interesse an der Errichtung von Belegschaftsräten wurde gefördert durch die NSZZ „Solidarnos´c´ “.614 Während die NSZZ „Solidarnos´c´ “ in der ersten Phase nach ihrer staatlichen Anerkennung vor allem mit gewerkschaftlichen Fragen beschäftigt war, rückte zunehmend die Frage der Selbstverwaltung in ihren Fokus.615 Am 26. Juli 1981 beschloss das Nationalkomitee der NSZZ „Solidarnos´c´ “ schließlich, dass „die Reform auf den Grundsätzen einer authentischen Arbeitnehmerselbstverwaltung beruhen“ müsse.616 Die Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde so zu einer zentralen Forderung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ erhoben.617 Den Positionen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ stand der Ansatz der Regierung gegenüber. Umstritten war die grundlegende Frage, wie groß der Einfluss der Arbeitnehmer auf die Unternehmensführung sein sollte; hiervon hing auch die konkrete Ausgestaltung der Kompetenzen und Rechte der Arbeitnehmervertretung in den Konzepten ab.618 Angesichts der vehementen Auseinandersetzungen um das Konzept der Selbstverwaltung wird in der polnischen Literatur auch von einer „Schlacht“ gesprochen.619 Die Regierung hatte eine „Kommission der Wirtschaftsreform“ („Komisja Reformy Gospodarczej“) unter dem Vorsitz von Professor Ludwik Bar einberufen, welche Gesetzesentwürfe zur Regelung der Arbeitnehmerselbstverwaltung ausarbeiten sollte.620 Die bereits im März 1981 vorgestellten Kommissionsentwürfe sahen eine Zweiteilung der beabsichtigten Regelung in einem Gesetz über Staatsunternehmen und einem Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des

613

Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 36. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 615 Näher Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66 f. 616 Beschluss des Nationalkomitees der NSZZ Solidarnos´c ´ vom 26. Juli 1981, zitiert nach Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 67 („reforma musi byc´ oparta na zasadach autentycznego samorza˛du pracowniczego“, Übersetzung d. Verf.). 617 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66.; ausführlich zu dieser Entwicklung Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 187 ff. 618 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 34; zu den einzelnen Streitpunkten und Konzepten vgl. Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (20 ff.). 619 So etwa Jakubowicz, Bitwa o samorza˛d; Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (3 f.) („moz˙na okres´lic´ mianem bitwy“); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66 („nierozegrana bitwa“); Übersetzung d. Verf. 620 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 67. 614

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Staatsunternehmens vor.621 Die Entwürfe liefen dabei entgegen der gewählten Bezeichnung „Selbstverwaltung“ nur auf ein „partizipatives Modell“ hinaus.622 Die Arbeitnehmer sollten zwar an strategisch wichtigen Entscheidungen beteiligt werden, die Unternehmensführung selbst jedoch grundsätzlich dem Direktor des Staatsunternehmens zustehen.623 Die Zweiteilung der Gesetze implizierte, dass die sogenannte „Selbstverwaltung“ gerade nicht – wie von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gefordert – als integraler Bestandteil des Staatsunternehmens angesehen wurde, sondern lediglich einen Zusatz hierzu darstellte.624 Sichtlich wollte die Regierung die Kontrolle über die Wirtschaft behalten.625 Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ hatte dagegen einen eigenen Gesetzesvorschlag zur Arbeitnehmerselbstverwaltung erarbeitet und ins Parlament eingebracht.626 Angelehnt hatte sich NSZZ „Solidarnos´c´ “ dabei an dem jugoslawischen Selbstverwaltungsmodell.627 Nach dem Gesetzesentwurf sollten Wirtschaftssubjekte grundsätzlich die Form eines sogenannten „Gemeinschaftsunternehmens“ haben, in welchem die Unternehmensführung gänzlich der Belegschaft sowie einem von dieser gewählten Belegschaftsrat zustehen sollte.628 Beruhend auf dem Konzept der vollständigen Selbstverwaltung sollte die Belegschaft über grundlegende Angelegenheiten wie die Tätigkeit und Entwicklung des Unternehmens sowie die Bestellung und Abberufung des Direktors und seiner Stellvertreter allein entscheiden dürfen.629 Der Direktor sollte lediglich Ausführungsorgan der Belegschaft sein.630 Neben dem Recht zur Bestellung und Abberufung des Direktors hatte die Gewerkschaft auch der Belegschaftsversammlung und dem Referendum – beides Formen einer „direkten Demokratie innerhalb der Unternehmen“ – be621

Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 190. Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (22); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 190; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 623 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 34. 624 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 625 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 626 Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/ 2011, S. 3 (5); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 67. 627 Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 849 (868). 628 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 629 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 34; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (22); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 630 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 622

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sondere Bedeutung beigemessen.631 Indem das Konzept der NSZZ „Solidarnos´c´ “ von nur einem Gesetzesentwurf ausging, manifestierte sich der von der Gewerkschaft vertretene Standpunkt, dass die Selbstverwaltung integraler Bestandteil der Unternehmensverfassung sei.632 Die von der Regierung eingebrachten Gesetzesentwürfe zum Staatsunternehmen und zur Selbstverwaltung in den Staatsunternehmen wurden seit Juli 1981 im Sejm behandelt.633 Die im Zuge dessen erfolgten Konsultationen zwischen den Mitgliedern des zuständigen Ausschusses und Vertretern der NSZZ „Solidarnos´c´ “ sowie anderer Institutionen, die zur Abgabe einer Stellungnahme gebeten wurden, bewirkten eine nicht unwesentliche Abänderung der ursprünglichen Gesetzesentwürfe zugunsten der von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ vertretenen Positionen.634 b) Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft Am 25. September 1981 wurden das Gesetz über Staatsunternehmen635 (nachfolgend: „StaatsUntG“) und das Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens636 (nachfolgend: „SelbstVerwG“) verabschiedet. Das Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950 sowie das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958 wurden hierdurch abgelöst.637 Entsprechend der Konzeption der Regierung wurden die Regelungen über das Staatsunternehmen und diejenigen über die Selbstverwaltung in zwei verschiedenen Gesetzen verankert. Art. 1 StaatsUntG definierte das Staatsunternehmen als die organisatorische Basiseinheit der nationalen Volkswirtschaft, sprach dem Staatsunternehmen aber gleichzeitig Eigenständigkeit, Selbstverwaltung und Selbstfinanzierung sowie eine eigene Rechtspersönlichkeit zu. Gegründet wurde das Staatsunternehmen von einem staatlichen Organ, dem sog. „Gründerorgan“. Gemäß Art. 2 StaatsUntG sollte es im Rahmen der Zielvorgaben des nationalen Wirtschaftsplans seine wirtschaftliche Tätigkeit eigenständig führen. Grundlage hierfür waren ein eigener einjähriger und mehrjähriger Wirtschaftsplan, der mit den Vorgaben des nationalen Wirtschaftsplans übereinstimmen musste (vgl. Art. 46 StaatsUntG). Nach wie vor verwaltete das Staatsunter631

Ebenda. Ebenda. 633 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 69. 634 Ebenda. 635 Gesetz über Staatsunternehmen vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 122. 636 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123. 637 Vgl. Art. 69 StaatsUntG urspr. Fassung und Art. 52 SelbstVerwG. 632

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nehmen einen ihm zugewiesenen Teil des Volkseigentums, nahm diesbezüglich aber – mit Ausnahme einiger gesetzlichen Einschränkungen – alle Rechte wahr (vgl. Artt. 2, 38 ff. StaatsUntG). Das Staatsunternehmen trat nach außen im eigenen Namen auf, handelte auf eigene Rechnung sowie nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Selbstfinanzierung und war zur Buchführung verpflichtet (vgl. Artt. 39, 47 f. StaatsUntG). Es war grundsätzlich alleinverantwortlich für sein Handeln, unterlag aber in gewisser Hinsicht der Kontrolle des staatlichen Gründerorgans (vgl. Artt. 41, 52 ff. StaatsUntG). Mit dem SelbstVerwG wurde eine neue Form der Arbeitnehmerpartizipation in Polen eingeführt. Angelehnt hatte man sich hierbei an das jugoslawische Modell der Selbstverwaltung.638 So sprechen auch die Gesetze vom 25. September 1981 von „Selbstverwaltung“, in Wahrheit handelte es sich jedoch lediglich um ein Partizipationsmodell, d.h. eine Beteiligung an der Unternehmensführung, wenn auch der Belegschaft durchaus sehr weitgehende Beteiligungsrechte eingeräumt wurden.639 Dies wird schon aus Art. 1 SelbstVerwG deutlich, indem es darin heißt, dass die Belegschaft an der Unternehmensführung „teilnimmt“. Das SelbstVerwG wies den Selbstverwaltungsorganen – der Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung und dem Belegschaftsrat640 – im Allgemeinen sehr weitgehende Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse zu. In nahezu allen wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens war eine Beteiligung, teilweise sogar Alleinzuständigkeit, der Selbstverwaltungsorgane vorgesehen. Zu den wesentlichen Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane gehörten u. a. der Beschluss der Unternehmenssatzung und des Wirtschaftsplans, die Bestellung und Abberufung des Direktors (wobei allerdings der Staat diesbezüglich Entscheidungsrechte behielt), das Kontrollrecht über die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens sowie umfassende Informations-, Initiativ- und Meinungsäußerungsrechte.641 Dem Direktor waren die Selbstverwaltungsorgane generell übergeordnet.642 Von Gewerkschaften und parteipolitischen Organisationen waren die Selbstverwal-

638 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 639 Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/ 2011, S. 3 (7); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 70. 640 Obwohl bei einer wortlautgetreuen Übersetzung eher von „Arbeitnehmerrat“ („rada pracownicza“) zu sprechen wäre, wird in dieser Arbeit – in Anlehnung an Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 199 – zwecks sprachlicher Abgrenzung zu den Arbeitnehmerräten nach dem InfKonsG von 2006 der Begriff „Belegschaftsrat“ für die „rada pracownicza“ i. S. d. SelbstVerwG verwendet; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 199, zu anderen Übersetzungsmöglichkeiten. 641 Ausführlich zur Verfassung und zu den Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane unten Kapitel 3, D.II.2. 642 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 35.

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tungsorgane gemäß der Regelung des Art. 1 Abs. 3 SelbstVerwG grundsätzlich und bis auf einige wenige Einschränkungen unabhängig.643 Das Modell der Arbeitnehmerpartizipation in den Gesetzen vom 25. September 1981 war letztlich ein Kompromiss zwischen den Forderungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und den Positionen der Regierung.644 Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang war der in Art. 34 StaatsUntG urspr. Fassung sichergestellte Einfluss des Staates auf die Bestellung und Abberufung des Direktors.645 Nach Einschätzung der polnischen Literatur wurde die „Schlacht um die Selbstverwaltung“ dennoch leicht zugunsten der NSZZ „Solidarnos´c´ “ entschieden.646 Bezeichnet wurde die Ausgestaltung der Arbeitnehmerpartizipation daher auch als „dominierende Arbeitnehmerbeteiligung“.647 Andere zeitgenössische Beobachter glorifizierten das SelbstVerwG als eine „nach jahrzehntelanger politischer Verbannung durch die starke Rolle der sich solidarisierten, arbeitenden Bevölkerung errungene Rückkehr der Arbeitnehmerselbstverwaltung in die polnischen Betriebe“ 648 und eine Bestätigung des in Art. 8 der Polnischen Verfassung verankerten Grundsatzes, wonach das Recht der Volksrepublik Polen „Ausdruck der Interessen und des Willen der arbeitenden Bevölkerung“ 649 war650. Zum Leben erweckt worden sei dadurch die in den 1970er Jahren leblose Bestimmung in Art. 13 der Polnischen Verfassung, dass „die Belegschaft [. . .] an der Unternehmensführung beteiligt“ 651 sei.652 Hervorgehoben wurden die Ähnlichkeiten des SelbstVerwG mit dem Gesetz von 1956 über Arbeiterräte, bevor dieses durch die gesetzlichen Änderungen im Jahre 1958 „deformiert“ wurde.653 Im Vergleich 643

Näher hierzu unten Kapitel 3, D.II.2.b). Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35; Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 69. 645 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. 646 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 69. 647 So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 35. 648 So Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4 („Po dziesie˛cioletniej ˙ politycznej banicji powrócił do polskich fabryk samorza˛d zatrudnionych w nich robotników i pracowników [. . .]. Powrócił z silnej swa˛ solidarnos´cia˛ roli ludu pracuja˛cego [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 649 Art. 8 Abs. 1 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36: „Prawa Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej sa˛ wyrazem interesów i woli ludu pracuja˛cego.“ Übersetzung d. Verf. 650 Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4. ˙ 651 Art. 13 Satz 2 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36: „Załogi przedsie˛biorstw uczestnicza˛ w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami.“ Übersetzung d. Verf. 652 Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4. ˙ 653 So Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4; ebenso Jermakowicz, Sa˙ morza˛d pracowniczy, S. 33, 35. 644

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zum Gesetz von 1956 räumte das Gesetz von 1981 der Belegschaft jedoch deutlich mehr Befugnisse ein und war somit das bis dahin weitgehendste Gesetz zur Arbeitnehmerpartizipation in Polen.654 Nach der Verabschiedung der Gesetze vom 25. September 1981, die zum 1. Oktober 1981 in Kraft traten, konstituierten sich explosionsartig Selbstverwaltungsorgane in den Staatsunternehmen; bis Dezember 1981 waren bereits in 4.800 Staatsunternehmen – was 80 % aller Staatsunternehmen entsprach – Selbstverwaltungsorgane entstanden.655 Die rasante Entwicklung wird auch auf Art. 51 Abs. 1 SelbstVerwG, der die Belegschaften zur Errichtung von Selbstverwaltungsorganen bis zum 31. Dezember 1981 verpflichtete, zurückgeführt.656 Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ forderte zwar auch nach Inkrafttreten der Gesetze Änderungen und drohte mit einem landesweiten Referendum, doch wurde dieses durch die Einführung des Kriegsrechts verhindert.657 c) Einführung des Kriegsrechts und die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane in den 1980er Jahren Die uneingeschränkte Geltung der Gesetze von 1981 war äußerst kurz. Zum 13. Dezember 1981 wurde in Polen der Kriegszustand ausgerufen658 und mit einer Verordnung des Ministerrates vom 30. Dezember 1981659 die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane in Staatsunternehmen für die Dauer des Kriegszustandes eingestellt; ihre Kompetenzen wurden auf den Direktor übertragen. Gleichzeitig kam es zur einem Verbot der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und der Verhaftung zehntausender Aktivisten, was auch als eigentliches Ziel des ausgerufenen Kriegszustandes vermutet wird.660 Die Verordnung vom 30. Dezember 1981 sah 654 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 36; so auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. 655 Dies ergaben die Schätzungen des Gesellschaftlichen Komitees der Wirtschaftsreform, nach einer Auswertung des Regierungsbevollmächtigten zur Wirtschaftsreform waren es 2.978 von 4.478 analysierten Unternehmen, vgl. hierzu Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 37 m.w. N. Die Diskrepanz soll sich daraus ergeben haben, dass in der einen Auswertung die Übergangskomitees mit berücksichtigt wurden, in der anderen nicht. 656 So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 37. 657 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 70. 658 Vgl. § 1 des Beschlusses des Landesrates vom 12. Dezember 1981 über die Einführung des Kriegszustands, Dz. U. 1981 Nr. 29 Pos. 155. 659 Vgl. §§ 1, 2 der Verordnung vom 30. Dezember 1981, Dz. U. 1981 Nr. 32 Pos. 185, beruhend auf Art. 16 des Dekrets vom 12. Dezember 1981 über den Kriegszustand, Dz. U. 1981 Nr. 29 Pos. 154. 660 Vgl. Art. 15 des Dekrets vom 12. Dezember 1981 über den Kriegszustand, Dz. U. 1981 Nr. 29 Pos. 154; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 206; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73; ferner die Beiträge „Tragische Gestalt der polnischen Geschichte“

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zwar vor, dass die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane vom zuständigen Minister in Einzelfällen wieder erlaubt werden könne661, was beginnend mit dem 21. März 1982 auch nach und nach erfolgte.662 Doch wurde die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane zum einen bis Ende August 1982 nur in lediglich 3 % aller Unternehmen wieder aufgenommen, zum anderen unterlagen diese weiterhin zahlreichen Beschränkungen.663 Die Wiederzulassung der Selbstverwaltungen stellte eine gezielte Maßnahme der PVAP dar, die damit die beabsichtigte Durchführung der Wirtschaftsreformen vorspielen wollte, sich in Wahrheit aber mittels der kontrolliert gebildeten Belegschaftsräte neue Einflussmöglichkeiten in den Betrieben zu verschaffen suchte, nachdem sich die betrieblichen Gewerkschaftsstrukturen aufgelöst hatten.664 Das Interesse an einer Wiederbelebung der Selbstverwaltung war jedoch gering.665 Die lag einerseits an der Zurückhaltung der nach einer ungeteilten Machtausübung strebenden Direktoren, andererseits aber auch an dem verbreiteten Desinteresse der Belegschaft an einer von der Staatsmacht kontrollierten Selbstverwaltung, sowie nicht zuletzt auch an ihrem Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt.666 Dort, wo Selbstverwaltungsorgane bestanden, hatten sie zum überwiegenden Teil nur sehr geringen Einfluss und nahmen eine lediglich beratende Rolle ein.667 Auch nachdem der Kriegszustand am 31. Dezember 1982 eingestellt und sodann am 22. Juli 1983 aufgehoben wurde, wonach Selbstverwaltungsorgane wieder in größerem Maße wiederbelebt wurden668, blieb die Tätigkeit der Selbstver-

in der Süddeutschen Zeitung vom 25. Mai 2014 anlässlich des Todes von Wojciech Jaruzelski, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/zum-tod-von-wojciech-ja ruzelski-tragische-gestalt-der-polnischen-geschichte-1.1399662, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, „Ein Leben zwischen Helligkeit und Finsternis“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Mai 2014 sowie den Nachruf für Wojciech Jaruzelski im The Economist vom 14. Juni 2014. Die offizielle Begründung war, dass mit der Ausrufung des Kriegszustandes eine Intervention Russlands verhindert werden sollte. 661 Vgl. § 4 der Verordnung vom 30. Dezember 1981, Dz. U. 1981 Nr. 32 Pos. 185. 662 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 38 f. m.w. N. 663 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 38 f. So etwa stand den Selbstverwaltungsorganen kein Mitentscheidungsrecht bei der Bestellung und Abberufung des Direktors zu. Die Unternehmensführung oblag weiterhin allein dem Direktor, ferner waren die Möglichkeiten zur Durchführung eines Referendums und der Einberufung von Arbeitnehmerversammlungen ausgeschlossen. 664 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 204 f. m.w. N. 665 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 39. 666 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 39. 667 Dies ergaben die Untersuchungen des Instituts für Organisation und Verbesserung der Unternehmensführung unter der Leitung von B. Błaszczyk im Jahre 1982, veröffentlicht in Błaszczyk, Raport przejs´ciowy z badan´ nt. „Zmiany procesu planowania w przedsie˛biorstwie w 1982 r.“, zitiert nach Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 40. 668 Formal gab es im Februar 1983 4.000 wiederbelebte Selbstverwaltungen, vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 41.

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waltungsorgane durch gesetzliche Sonderregelungen weiterhin beschränkt669. So etwa konnten die Selbstverwaltungsorgane im Fall einer Störung des Rechtsfriedens und der sozialen Interessen eingestellt bzw. sogar gänzlich aufgelöst werden670, auch hatten sie in Staatsunternehmen von besonderer Bedeutung für die Volkswirtschaft keine Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des Direktors671. Ziel der Regierung war es, die Selbstverwaltungsorgane dem staatlichen Parteiapparat unterzuordnen und solche Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen, die ihr entsprechende Einflussmöglichkeiten in den Betrieben verschaffen würden.672 So erfolgte die Neuerrichtung der Selbstverwaltungsorgane nach 1982 in überwiegender Mehrheit unter Aufsicht der PVAP, ähnlich wie der Wiederaufbau der Gewerkschaftsstrukturen.673 In der Konsequenz waren Mitte der 1980er Jahre die allermeisten Belegschaftsräte entweder dem Direktor, der PVAP oder den parteiabhängigen Gewerkschaften untergeordnet.674 Trotz der eingeführten gesetzlichen Beschränkungen nahmen die Selbstverwaltungsorgane ihre Tätigkeit überwiegend wieder auf, wobei sie sich vor allem um Fragen der Entlohnung, die Produktionspläne und Gewinnverteilung kümmerten und die Unternehmenstätigkeit bewerteten.675 Zwar lehnten die Beschäftigten anfangs die unter staatlicher Aufsicht stehende Selbstverwaltung ab, womit sie ihrem gesellschaftlichen Protest gegen die Unterdrückung der unabhängigen NSZZ „Solidarnos´c´ “ Ausdruck verliehen676, auch wurde die Selbstverwaltung von der sich im Untergrund befindenden NSZZ „Solidarnos´c´ “ selbst boykottiert677. Nach und nach wurden die legalen Selbstverwaltungsstrukturen jedoch als einziger Weg identifiziert, um die Ziele und Vorstellungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ in 669 Vgl. das Gesetz vom 18. Dezember 1982 über die gesetzliche Sonderregelung für die Zeit der Einstellung des Kriegszustandes, Dz. U. 1982 Nr. 41 Pos. 273, sowie das Gesetz betreffend Sonderregelungen für die Zeit der Überwindung der wirtschaftlichen Krise vom 21. Juli 1983, Dz. U. 1983 Nr. 39 Pos. 176; vgl. hierzu auch Jas´kiewicz/ Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 130 f.; Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 41 f.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73 ff. 670 Vgl. Art. 9 Abs. 2 des Gesetzes betreffend Sonderregelungen für die Zeit der Überwindung der wirtschaftlichen Krise vom 21. Juli 1983. 671 Näher Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73. 672 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 205 m.w. N.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73 f. 673 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (143). 674 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74 m.w. N. 675 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 42 f. 676 Ge˛sicka, in: Jakubowicz, Niezalez ˙ ne samorza˛dy pracownicze, S. 425 (431 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 206 f. 677 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39.

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legaler Form zu verwirklichen.678 So formierte sich Mitte der 1980er Jahre in etwa 1 % bis 5 % aller Belegschaftsräte eine Gruppe, die – gelenkt von der im Untergrund agierenden NSZZ „Solidarnos´c´ “ und in zahlreichen Fällen unterstützt von der katholischen Kirche, Akademikern und sich illegal formierenden Oppositionsparteien – trotz der Gefahr ihrer eigenen Unterdrückung und Schikanen ihre Rechte einzufordern und durchzusetzen versuchte.679 Im Untergrund erscheinende Veröffentlichungen riefen nicht nur zur Aktivität in den Selbstverwaltungsorganen auf, sondern boten den Belegschaftsräten und ihren Beratern auch eine Auslegung der Gesetze von 1981, die diese als Grundlage für ihre Tätigkeit heranziehen konnten.680 Die Jahre 1983 bis 1989 zeichneten sich insgesamt durch ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen den wiederbelebten Selbstverwaltungsorganen und dem Parteiapparat aus.681 Während die Belegschaftsräte die Selbstständigkeit der Staatsunternehmen zu stärken versuchten, indem sie ihre Kompetenzen in Bezug auf die Wahl der Direktoren sowie wichtige strategische wirtschaftliche Entscheidungen und ihre Ausführung wahrnahmen und dadurch ein Gegengewicht zu den Organisationen des Parteiapparats bildeten, versuchten Letztere die Rolle und Unabhängigkeit der Belegschaftsräte mit allen zur Verfügung stehenden politischen, rechtlichen, propagandistischen und sogar repressiven Mitteln zu schwächen.682 Das Kräfteverhältnis zwischen den im Staatsunternehmen an der Unternehmensführung beteiligten Akteuren, d.h. dem Direktor, Belegschaftsrat, der Betriebsgewerkschaft und dem betrieblichen Parteikomitee war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in den einzelnen Unternehmen und Bereichen demnach äußerst unterschiedlich ausgeprägt und schwankte von reinen Konsultations- bis hin zu starken Mitbestimmungsrechten der Belegschaftsräte, wobei allerdings eine starke Aktivität der Belegschaftsräte in nur ganz wenigen Unternehmen vorzufinden war.683 Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Geschichte der Arbeitnehmerselbstverwaltung bis 1989 durch einen „Kampf um die Wiedererlangung der im Gesetz von 1981 eingeräumten Rechte“ gekennzeichnet war.684

678 Ge˛sicka, in: Jakubowicz, Niezalez ˙ ne samorza˛dy pracownicze, S. 425 (431 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 207. 679 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74. 680 Ebenda. 681 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73. 682 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (31), die diesen Zustand als „Positionskampf“ („wojna pozycyjna“) bezeichnen. 683 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (143 f.). 684 So Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39 („Az do wiosny ˙ 1989 r. historia samorza˛du pracowniczego w Polse nacechowana była walka˛ o odzyskanie uprawnie przyznanych w ustawie z 1981 r.“, Übersetzung d. Verf.).

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Gleichzeitig vertiefte sich im Laufe der 1980er Jahre die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise des Landes.685 Zurückgeführt wird dies vor allem auf die Ineffektivität des zentralisierten und stark bürokratisierten Wirtschaftssystems und die hohe Überschuldung, zunehmende Konflikte in der Gesellschaft sowie die aufgrund des Kriegszustandes eingeführten Restriktionen der Nachbarländer.686 Seit Mitte der 1980er Jahre entwickelten sich grundsätzlich drei Richtungen in der Debatte um die Wirtschaftsreform: eine der Marktwirtschaft und auf Privateigentum beruhenden Lösungen zugeneigte, eine im Wesentlichen weiterhin auf Staatseigentum aufbauende und schließlich eine dazwischen liegende, die auf der Idee der Selbstverwaltung fußte.687 Im Laufe der Jahre war auch eine Veränderung in den Positionen der Selbstverwaltungsbewegung zu beobachten.688 Während Anfang der 1980er Jahre die Selbstständigkeit der Staatsunternehmen im Fokus der Betrachtung stand, verlagerte sich der Schwerpunkt der Debatte zunehmend auf die Eigentumsverhältnisse im Staatsunternehmen und die Möglichkeiten einer Privilegierung der Belegschaften.689 Innerhalb der Selbstverwaltungsbewegung entstanden diesbezüglich zahlreiche Konzepte.690 Bedingt durch die unheilbare Wirtschaftskrise und die treibende Kraft der NSZZ „Solidarnos´c´ “ wurde der Widerstand der Selbstverwaltungsorgane gegen den staatlichen Machtapparat gegen Ende der 1980er Jahre immer größer691, auch die Aktivität der Selbstverwaltungsorgane nahm deutlich zu692. Diese Entwicklungen trugen maßgeblich zu dem im Jahre 1989 folgenden Umbruch bei, der letztlich das Ende des sozialistischen Systems bedeutete. d) Die Vereinbarungen des „Runden Tisches“ im Jahre 1989 Im Laufe der 1980er Jahre spitzte sich die Wirtschaftskrise immer weiter zu. Obwohl die Regierung am 13. Juni 1988 die Liberalisierung der Zentralverwaltungswirtschaft durch Gründung privater Unternehmen ankündigte, mündete die gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise im Sommer 1988 in einer sich auf 685

Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (21). So Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (21). 687 Ausführlich hierzu Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (145 ff.). 688 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74; näher Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (142 ff., 145 ff.). 689 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74; ausführlich Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (142 ff., 145 ff.). 690 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (147). 691 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73. 692 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (144). 686

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das ganze Land ausdehnenden Streikwelle.693 Aufbauend auf den Streikpostulaten forderte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ in ihrer sogenannten „Dialogerklärung“ unter anderem die Wiederzulassung des gewerkschaftlichen Pluralismus und der Vereinigungsfreiheit, ferner sollten gemeinsam Lösungen zur wirtschaftlichen Sanierung des Landes gefunden werden.694 Nach einer langen Vorbereitungszeit fanden schließlich im Zeitraum vom 6. Februar 1989 bis 5. April 1989 Gespräche zwischen der PVAP, der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der katholischen Kirche und anderen Gruppen statt, die zu den sog. „Vereinbarungen des Runden Tisches“ führten. In diesen Vereinbarungen wurden wesentliche Änderungen im Hinblick auf das politische und wirtschaftliche System festgelegt. Zugesagt wurden freie Wahlen zum Senat und teilweise freie Wahlen zum Sejm.695 Auch der gewerkschaftliche Pluralismus und damit auch die Relegalisierung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ wurde von Seiten der Regierung anerkannt.696 Vereinbart wurde ferner die Durchführung einer umfassenden Wirtschaftsreform, die zu einer neuen Wirtschaftsordnung führen und insbesondere auf der Weiterentwicklung der Selbstverwaltung und der Arbeitnehmerpartizipation, der Zulassung einer pluralistischen Eigentümerstruktur, der Einführung von Marktelementen und Konkurrenz sowie der Zurückdrängung der zentralistischen Planwirtschaft beruhen sollte.697 Die Vereinbarungen befürworteten das nach dem SelbstVerwG von 1981 vorgesehene Selbstverwaltungsmodell und sahen sogar seine Stärkung vor.698 Die nach 1981 eingeführten Beschränkungen sollten wieder aufgehoben werden, ferner sollte die Entstehung überbetrieblicher, landesweiter Strukturen der Selbstverwaltung zugelassen werden.699 Auch sollte eine Beteiligung von Arbeitnehmern in Unternehmen und Gesellschaften der Privatwirtschaft, die mindestens 100 Mitarbeiter zählten, gesetzlich vorgeschrieben werden und lediglich im Fall der Beteiligung ausländischer Investoren freiwillig sein.700 Mit dem Gesetz vom 9. März 1990

693 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 259 m.w. N. 694 Ebenda. 695 Nach der Vereinbarung sollten 65 % der Sitze im Sejm der Regierungskoalition, 35 % der Opposition zustehen, vgl. NSZZ „Solidarnos´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 8. 696 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 6. 697 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24; vgl. ferner die Erläuterungen bei Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22 ff.). 698 Vgl. NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24 ff.; Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 699 NSZZ „Solidarnos ´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 25 f.; näher hierzu Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 75. 700 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 26.

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zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen701 wurden die meisten Vereinbarungen des Rundes Tisches umgesetzt und gingen auch teilweise über die Forderungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ hinaus, etwa indem die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Direktors im Grundsatz allein dem Belegschaftsrat zugewiesen wurde.702 Nach den Vereinbarungen des Rundes Tisches nahm sowohl die Aktivität als auch das Renommee der Belegschaftsräte zu.703 Beflügelt wurde die Selbstverwaltungsbewegung durch die Ereignisse der folgenden Monate, so insbesondere die offizielle Wiederzulassung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ durch Registrierung am 17. April 1989, die im Juni 1989 erfolgte Wahlniederlage der PVAP, die darauffolgende Bildung der ersten nichtkommunistischen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki im September 1989 sowie schließlich auch die Auflösung der PVAP im Januar 1990.704 Hierdurch veränderten sich auch die Machtstrukturen innerhalb der Staatsunternehmen.705 In den meisten Staatsunternehmen wurden alsbald Neuwahlen für den Belegschaftsrat und dessen Präsidium durchgeführt, wodurch Vertreter der PVAP und der Gewerkschaftsorganisation OPZZ („Ogólnopolskie Porozumienie Zwia˛zków Zawodowych“ 706) vielfach von Mitgliedern der NSZZ „Solidarnos´c´ “ abgelöst wurden.707 Die Direktoren wurden in den weit überwiegenden Fällen ebenfalls ausgetauscht.708 Auch die betrieblichen Parteikomitees der PVAP wurden bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 liquidiert, wohingegen betriebliche Organisationen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ Einzug in die Staats-

701 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen vom 9. März 1990, Dz. U. 1990 Nr. 17 Pos. 99. 702 Vgl. Art. 1 Abs. 12 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen vom 9. März 1990; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76. 703 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 704 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76. 705 Ebenda. 706 Auf Deutsch „Gesamtpolnische Gewerkschaftsallianz“, Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 250; ausführlich zur Entstehung dieser zweiten bedeutsamen Gewerkschaftsorganisation in Polen Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 249 ff. 707 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (32). 708 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (32); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76; näher zu statistischen Angaben vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (28) m.w. N. und Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (32). Wratny (a. a. O.) betont, dass der Austausch der Führungskader negative Konsequenzen für die Gewerkschaften hatte, da die abgeschobenen Direktoren, die daraufhin oftmals Führungspositionen in Unternehmen der Privatwirtschaft übernahmen, von anti-gewerkschaftlichen Motiven geleitet waren.

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unternehmen fanden.709 Hierdurch wurde das bis dahin in Staatsunternehmen bestehende „Machtviereck“, bestehend aus dem Direktor, dem Belegschaftsrat, einer Gewerkschaftsorganisation des OPZZ und dem betrieblichen Parteikomitee der PVAP710, abgelöst durch ein sich neu formierendes „Machtdreieck“, zu dem der Direktor, der Belegschaftsrat sowie die betriebliche Organisation der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gehörten.711 Darüber hinaus nahm die Zusammenarbeit der Belegschaftsräte auf überbetrieblicher Ebene zu, sodass sich eine rege betriebsübergreifende Selbstverwaltungsbewegung entwickelte.712 Insgesamt hatten die auf die Vereinbarungen des Runden Tisches folgenden Entwicklungen nicht nur zu einer so spürbaren Stärkung der Rolle und Bedeutung der Selbstverwaltungsorgane geführt, sondern auch ihre Funktion als „Hauptinstitution einer industriellen Demokratie“ wiederhergestellt.713 Der durch die Vereinbarungen des Runden Tisches bedingte Aufschwung der Belegschaftsräte war jedoch nicht von langer Dauer.714 Mit Einleitung der wirtschaftlichen Transformation im Jahre 1990 war das Ende der Selbstverwaltung vorgezeichnet. Der Sieg der Selbstverwaltungsbewegung im Jahre 1989 wird daher auch als „Pyrrhussieg“ 715 bezeichnet: Die Bekämpfung des Gegners – namentlich des kommunistischen Systems – habe gleichzeitig den Untergang des einstigen Siegers initiiert, der „wie sich herausstellte, nur Dank der Konfrontation mit dem damaligen System existieren konnte“.716 4. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation während der Transformationsphase der 1990er Jahre Im Zuge der in Polen als dem ersten osteuropäischen Land eingeleiteten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation war die Entwicklung neuer arbeitsrechtlicher Strukturen und der Beziehungen zwischen den So709

Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (31). Hierzu auch Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (143). 711 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76. Später wurde dieses auch in negativer Hinsicht als „Bermuda-Dreieck“ („trójka˛t bermudzki“) bezeichnet, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76 und Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26). 712 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76; Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (144). 713 So Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (31) („przywrócenie im funkcji głównej instytucji demokracji przemysłowej“, Übersetzung d. Verf. 714 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 715 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78 („zwycie˛stwo [. . .] pyrrusowe“, Übersetzung d. Verf.). 716 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78 („jak sie˛ okazało, mógł egzystowac´ wyła˛cznie dzie˛ki konfrontacji z tamtym systemem“, Übersetzung d. Verf.). 710

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zialpartnern von wesentlicher Bedeutung.717 Die Entstehung des kollektiven Arbeitsrechts und der kollektiven Arbeitsbeziehungen nach 1989 wurde dabei maßgeblich vom „Erbe der 1980er Jahre“, insbesondere den Errungenschaften der 1980/81er Jahre, beeinflusst.718 Die im Jahre 1989 eingeschlagene Transformationspolitik, ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen und die seitdem entwickelten institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen formten sodann das sich gänzlich neu aufbauende System der kollektiven Arbeitsbeziehungen.719 a) Beginn der Wirtschaftsreform und Einleitung des Privatisierungsprozesses Obwohl im Rahmen der während der Gespräche am Runden Tisch vorgebrachten Reformüberlegungen zur wirtschaftlichen Sanierung Polens die Privatisierung der Staatsunternehmen nicht im Vordergrund stand720, wurden bereits in diesen Gesprächen Zusicherungen für eine pluralistische Eigentümerstruktur abgegeben721 und die Modalitäten der Überführung von Staatseigentum in Privateigentum thematisiert722. Im Herbst 1989 erwies sich sodann das weitere Festhalten am realen Sozialismus als untragbar.723 Infolge des Wahlerfolgs der „Solidarnos´c´ “ im Juni 1989 wurde dann auch seit Anfang des Jahres 1990 die Privatisierung zum alles dominierenden Aspekt der neu entstehenden Staats- und Wirtschaftsordnung.724 Zum 1. Januar 1990 wurde auf Grundlage des Ende 1989 ausgearbeiteten sog. „Balcerowicz-Plans“ eine grundlegende Wirtschaftsreform eingeleitet, die den Übergang Polens zur Marktwirtschaft initiierte.725 Der Balcerowicz-Plan fußte auf einem liberalen Ansatz und bezweckte eine schnelle und großflächige Privatisierung.726 Aufgrund der damit einhergehenden Radikalität des beginnenden Privatisierungsprozesses erhielt er auch den Namen „Schock717 Ba˛czkowski, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1. 718 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (26) („dziedzictwo lat 80.“, Übersetzung d. Verf.). 719 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (26). 720 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (139). 721 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24. 722 Vgl. die Version der Opposition und der NSZZ „Solidarnos´c ´ “ in Bezug auf die Rahmenbedingungen für die Schaffung einer pluralistischen Eigentümerstruktur, NSZZ „Solidarnos´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 27. 723 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (139). 724 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22). 725 Ausführlich zur Politik der neuen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki vgl. etwa Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 78 ff. 726 Vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77.

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therapie“ 727. Gleichzeitig waren bereits Ende des Jahres 1989 Änderungen der polnischen Verfassung beschlossen worden, in denen sich die Abkehr vom bisherigen System und die eingeleitete Demokratisierung Polens manifestierte.728 Die Selbstverwaltungsbewegung war im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform gespalten: Während für die einen die Selbstverwaltung das Endziel darstellte, sahen andere darin lediglich eine Übergangslösung, durch welche die Belegschaft Einfluss auf die Privatisierungsprozesse nehmen können sollte.729 Dabei setzte sich zunehmend die letzte Ansicht durch.730 Von wesentlicher Bedeutung war auch die seit Ende der 1980er Jahre einsetzende tatsächliche und unkontrollierte Privatisierung, die keine gesetzliche Grundlage hatte und dadurch gekennzeichnet war, dass Betriebsmittel der Staatsunternehmen von neu gegründeten Gesellschaften aufgekauft wurden, an denen die bisherigen Machtinhaber wesentlich beteiligt waren.731 Gegen den Übergang des Staatseigentums an die bisherigen Machtinhaber lehnte sich die Selbstverwaltungsbewegung unter Berufung auf den „Schutz des Volkseigentums“ auf.732 Bald schon entstand innerhalb der Selbstverwaltungsbewegung eine unzählige Fülle von eigenen Vorschlägen zur Privatisierung vor, die im Kern auf eine Privilegierung der Belegschaft beim Erwerb von Aktien der umgewandelten Staatsunternehmen und eine Sicherstellung ihres Verbleibs unter den Belegschaften abzielten.733 Neben der Entwicklung eines eigenen „Selbstverwaltungssektors“ wurde von der Selbstverwaltungsbewegung im Wesentlichen die Förderung von Arbeitnehmeraktionärstum („akcjonariat pracowniczy“) und die Entstehung sog. 727 So etwa Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24) („plan Balcerowicza, nazywany szokowa˛ terapia˛“, Übersetzung d. Verf.). 728 Vgl. das Verfassungsänderungsgesetz vom 29. Dezember 1989, Dz. U. 1989 Nr. 75 Pos. 444; Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 31. So etwa wurde der Polen wieder als „Rzeczpospolita“ bezeichnet, Formulierungen, die auf die führende Rolle der Arbeiterpartei, die Planwirtschaft und das sozialistische Systems sowie die Freundschaft zur Sowjetunion hindeuteten, gestrichen und Polen als „demokratischer Rechtsstaat“ erklärt. 729 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76 f.; vgl. auch Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (144 f.). 730 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 731 Vgl. Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (139 f.); Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (23). Gefördert wurde diese Entwicklung von seinerzeit niedrigen Krediten, den bestehenden personell-organisatorischen Strukturen und einer infolge der Preispolitik der PVAP einsetzenden Inflation, die den Wert der Betriebsmittel drastisch sinken ließ. 732 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (23); vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 733 Näher Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (147 f.).

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„Arbeitnehmergesellschaften“ gefordert.734 Der in den 1980er Jahren hartnäckig geführte Kampf der Selbstverwaltungsbewegung um die Rechte der Selbstverwaltungsorgane und die Eigenständigkeit der Staatsunternehmen entwickelte sich so zu einem „Kampf ums Eigentum“.735 Die Eigentumsfrage wurde in der Debatte um eine neue Staats- und Wirtschaftsordnung zum alles übertönenden Hauptaspekt, die bisherigen Reformvorschläge mündeten in den unzähligen Konzepten zur Privatisierung und einer in diesem Zusammenhang geforderten Privilegierung der Belegschaften.736 Im Hinblick auf die Konzepte zur wirtschaftlichen Transformation gingen die Positionen der Selbstverwaltungsbewegung und derjenigen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ allerdings auseinander. Hintergrund hierfür war die eingeleitete enge Zusammenarbeit zwischen der Regierung Mazowieckis und den um Balcerowicz gruppierten Wirtschaftsreformatoren mit führenden Persönlichkeiten der NSZZ „Solidarnos´c´ “, allen voran Lech Wałe˛sa.737 Infolge dieser Zusammenarbeit unterstützte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ die vom Balcerowicz-Plan breit angelegte und auf liberalen Konzepten beruhende Privatisierung738 und verwarf damit zugleich die noch in den – mit der früheren sozialistischen Regierung geführten – Gesprächen am Runden Tisch angestrebte Weiterentwicklung der Selbstverwaltungsidee in Staatsunternehmen739. Der NSZZ „Solidarnos´c´ “ sollte dabei im Rahmen der Transformationsprozesse eine doppelte Funktion zukommen: Zum einen sollte sie in Zusammenarbeit mit den Belegschaftsräten und Direktionen die Umwandlungen der Staatsunternehmen im Sinne der neoliberalen Konzepte vorantreiben, zum anderen einen „Schutzschirm“ über die geplante Wirtschaftsreform und die damit einhergehenden meist unliebsamen wirtschaftlichen Entscheidungen ausbreiten.740 Gleichzeitig schien sie mehr an der Entwicklung eines Aktionärstums

734 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77; hierzu auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (23 f.); näher zu den sog. Arbeitnehmergesellschaften unten Kapitel 3, D.I. 735 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77 („gra o własnos´c´ “, Übersetzung d. Verf.). 736 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (148). 737 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (27); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293. 738 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 739 Vgl. Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6) f.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293. 740 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (27 f.); vgl. auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77.

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aller Bürger als dem Arbeitnehmeraktionärstum interessiert.741 An die NSZZ „Solidarnos´c´ “ gerichtete Aufforderungen der Selbstverwaltungsbewegung, im Wege einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ die Selbstverwaltungsidee zu realisieren, die Entwicklung von Arbeitnehmeraktionärstum zu fördern und die Umwandlungsprozesse im Sinne der Belegschaften durchzuführen, blieben folglich erfolglos.742 Indes führte die Unterstützung der Regierungspolitik und die Abkehr vom noch in den Gesprächen des Runden Tisches unterstützten Selbstverwaltungsmodell auch zu Spannungen innerhalb der Solidarnos´c´-Bewegung, was sich insbesondere in der Reaktivierung des bereits 1981 gegründeten „Netzwerks der Betriebskomitees der Solidarnos´c´ aus führenden Unternehmen“ („Siec´ “) im Jahre 1990 zeigt.743 Diese reaktivierte Abspaltung der Solidarnos´c´-Bewegung sah die Arbeitnehmerinteressen durch die NSZZ „Solidarnos´c´ “ als nicht mehr ausreichend vertreten an und befürwortete die Entwicklung und Förderung von Arbeitnehmeraktionärstum, womit sie die Selbstverwaltungsbewegung entsprechend unterstützte.744 Kennzeichnend für die Entwicklungen in der Umbruchphase 1989/1990 war, dass die Ausgestaltung der neuen Staats- und Wirtschaftsordnung unter dem wachsenden Druck der tatsächlichen Umstände – so auch der voranschreitenden tatsächlichen Privatisierung und der steigenden Inflation – erfolgen musste.745 Die im osteuropäischen Umfeld kaum vergleichbare Vehemenz der tatsächlichen Entwicklungen ließ der Eigentumsfrage einen derart hohen Stellenwert beikommen, dass keiner der Akteure das Feld räumen wollte.746 Unter diesen Umständen war es – anders als etwa in der Tschechoslowakei, die das deutsche Modell übernahm – undenkbar, bewährte Konzepte aus den westlichen Nachbarstaaten einfach nur zu kopieren.747

741 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. Nach dem liberalen Konzept sollten der Bevölkerung Optionen zum Erwerb von Aktien der an Börsen gelisteten Unternehmen ausgegeben werden, vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25). 742 Vgl. Appell des V. Nationalen Selbstverwaltungsforums an den II. Delegiertenkongress der NSZZ „Solidarnos´c´ “, zitiert nach Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24). 743 Gilejko, in: ders., Społeczne ruchy czasu przełomu, S. 12 (13); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293 f. 744 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24); vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293 f. 745 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (140). 746 Ebenda. 747 Ebenda.

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b) Das Privatisierungsgesetz von 1990 und die Abschaffung der Belegschaftsräte In den konzeptionellen Arbeiten an einem Privatisierungsgesetz Ende des Jahres 1989 und Anfang des Jahres 1990 spiegelten sich die zahlreichen Diskussionen um die Wirtschaftsreform und die Ausgestaltung der Eigentumsverhältnisse wider.748 Am 13. Juli 1990 wurde das erste Gesetz über die Privatisierung von Staatsunternehmen749 (nachfolgend: „PrivG 1990“) beschlossen. Es trat am 1. August 1990 in Kraft. Mit dem PrivG 1990 wurde ein Transformationsprozess eingeleitet, der eine massenhafte und in bisher nicht vergleichbarem Umfang durchgeführte Umwandlung von Staatsunternehmen zur Folge hatte.750 Es war das erste Privatisierungsgesetz in Osteuropa.751 Das PrivG 1990 sah zwei Privatisierungswege vor – die sog. „Kapitalprivatisierung“ und die sog. „Liquidationsprivatisierung“.752 Die Kapitalprivatisierung beruhte auf der Gewährung von Anteilen des in eine Gesellschaft umgewandelten Staatsunternehmens an Dritte (vgl. Art. 1 PrivG 1990). Sie war vor allem für große Unternehmen, die über eine solide Finanzlage und beachtliche Vermögenswerte verfügten, gedacht.753 Mit Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister verlor diese ihren Status als Staatsunternehmen und unterlag fortan den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (vgl. Art. 7 PrivG 1990). Nach der Umwandlung sollten sodann in einem weiteren Schritt die allein vom Staat gehaltenen Anteile bzw. Aktien der Gesellschaft auf Dritte übertragen werden. Nach der Konzeption des PrivG 1990 war die Umwandlung in eine Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung des Staates lediglich als Zwischenschritt gedacht, dem die Übertragung von Anteilen an Dritte alsbald folgen musste.754 Dies wird auf die Überzeugung der Gesetzesurheber zurückgeführt, dass die Unternehmen von privater Hand wirtschaftlich effektiver geführt werden würden.755 Die Liquidationsprivatisierung bestand dagegen in der Übertragung des Eigentums, d.h. der

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Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (151). Gesetz über die Privatisierung von Staatsunternehmen vom 13. Juli 1990, Dz. U. 1990 Nr. 51 Pos. 298. 750 Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 55; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. 751 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9. 752 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (151 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 295. 753 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 16; Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (152). 754 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 16; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9 f.; Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 65. 755 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9. 749

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Betriebsmittel des Staatsunternehmens auf Dritte oder dem Verkauf des Unternehmens (vgl. Artt. 1, 37 PrivG 1990). Dem Belegschaftsrat wurden wesentliche Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt, sodass dieser eine entscheidungserhebliche Rolle im Zusammenhang mit der Privatisierung der Staatsunternehmen erhalten hatte.756 Die Verabschiedung des PrivG 1990 war von einschneidender Bedeutung für die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen. Dies zum einen, weil es eine neue Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat von Gesellschaften ins Leben rief.757 Gemäß Art. 17 Abs. 1 PrivG 1990 war in den umgewandelten Staatsunternehmen ein Aufsichtsrat zu bilden, dessen Mitglieder zu einem Drittel von den Arbeitnehmern gewählt wurden. Dieses Recht der Arbeitnehmer konnte auch solange nicht durch eine entsprechende Satzungsbestimmung abbedungen werden, solange der Staat über die Hälfte der Aktien hielt und sich nicht die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hierfür aussprach (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990). Die drittelparitätische Vertretung im Aufsichtsrat war mithin für eine gewisse Übergangszeit, die vom Fortschritt der Privatisierung abhing, garantiert. Darüber hinaus beschränkte sich das Gesetz auf eine Regelung zum besonderen Kündigungsschutz für die Arbeitnehmervertreter sowie die Aussage, dass nur die übrigen Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung im Wege der Gruppenwahl gewählt werden konnten (vgl. Art. 17 Abs. 3, 4 PrivG 1990) Das Gesetz enthielt keine Vorschriften in Bezug auf das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter, vielmehr schien es in Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990 davon auszugehen, dass die Satzung entsprechende Bestimmungen zur Wahl der Arbeitnehmervertreter vorsehen würde.758 Zusätzlich zu der eingeführten Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat wurde den Arbeitnehmern eine Kapitalbeteiligung („partycypacja kapitałowa“ 759) zugesichert. Bereits im Herbst 1989 entstand eine Organisation namens „Union des Arbeitnehmereigentums“ („Unia Własnos´c´i Pracowniczej“), die sich für das Arbeitnehmeraktionärstum in Anlehnung an die amerikanischen „Employee Stock Ownership Plans“ einsetzte und auf die – gemeinsam mit der Selbstverwaltungsbewegung und dem „Netzwerk der Betriebskomitees der Solidarnos´c´ aus führen756 Vgl. Artt. 5 Abs. 1, 37 PrivG 1990; vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 295 f. 757 Gänzlich neu war das Konzept der Arbeitnehmervertretung in den Leitungsorganen der polnischen Rechtstradition zwar nicht, doch ist es nur in entfernter Verwandtschaft in einem gänzlich anderen Kontext zu finden – so etwa in Art. 6 des Dekrets vom 6. Februar 1945, wonach Vertreter des Betriebsrats einen Sitz im mehrköpfigen Vorstand erhalten sollten, sowie ähnlich auch in Art. 17 Abs. 2 Gesetzes vom 10. Juli 1985 über gemischte Unternehmen (Dz. U. 1985 Nr. 32 Pos. 142), vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 249. Zum Dekret vom 6. Februar 1945 ausführlich oben Kapitel 2, A.II.2.a). 758 So wohl auch Wratny, partycypacja pracownicza, S. 42. 759 Wratny, partycypacja pracownicza, S. 41.

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den Unternehmen“ („Siec´ “)760 – ein letztlich ins polnische Parlament eingebrachter Gesetzesentwurf von Abgeordneten zurückgeht.761 Zwar konnte sich der Gesetzesentwurf nicht durchsetzen, er hinterließ jedoch seine Spuren auf der Ausgestaltung des PrivG 1990.762 Gemäß Art. 24 Abs. 1 PrivG 1990 erhielten die Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens das Recht zum Erwerb von bis zu 20 % der Aktien der Gesellschaft zu vergünstigten Bedingungen. Der Preis für eine Aktie war um die Hälfte günstiger als der Preis von im allgemeinen Verkauf angebotenen Aktien (vgl. Art. 24 Abs. 4 PrivG 1990). Darüber hinaus ermöglichte das PrivG 1990 die sog. „Arbeitnehmerprivatisierung“ („prywatyzacja pracownicza“) und schuf die Voraussetzungen für die Gründung sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“).763 Als sog. Arbeitnehmergesellschaften werden Gesellschaften bezeichnet, bei denen die Belegschaft den gesamten oder jedenfalls einen wesentlichen Teil der Anteile der Gesellschaft hält.764 Sie entstanden insbesondere infolge der dritten Möglichkeit der Liquidationsprivatisierung, bei der die Betriebsmittel des Staatsunternehmens an eine Gesellschaft verpachtet wurden, welcher die Mehrzahl der Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens beigetreten war (vgl. Artt. 37 Abs. 1 Nr. 3, 38 PrivG 1990).765 Diese sog. Arbeitnehmergesellschaften unterlagen zwar den Vorschriften des Handelsgesetzbuches, zeichneten sich jedoch durch eine enge Verbundenheit mit der Liquidationsprivatisierung aus, weswegen das Privatisierungsgesetz auch nähere Regelungen in Bezug auf ihre Gründung und den Pacht-

760 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24, 26) („,Siec´‘ Komisji Zakładowych ,Solidarnos´ci‘ z kluczowych zakładów“, Übersetzung d. Verf.). 761 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94); vgl. hierzu auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26). Der Gesetzesentwurf sah die Errichtung eines sog. „Arbeitnehmereigentumsfonds“ („Fundusz Własnos´ci Pracowniczej“, Übersetzung d. Verf.) vor, der die Schaffung des Arbeitnehmeraktionärstums finanziell unterstützen sollte, vgl. Artt. 22 ff. des Gesetzesentwurfs vom 6. April 1990, Sejm-Drucks. Nr. 335 (X. Kadenz). 762 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94). 763 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 56. Vgl. hierzu unten Kapitel 3, D.I. 764 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51. Der Begriff der Arbeitnehmergesellschaft ist jedoch gesetzlich weder definiert noch wird er im KommerzG erwähnt, in der Literatur wird der Begriff nicht einheitlich verwendet – hierzu Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242 m.w. N. Kritisch zu dem Begriff Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97), den sie als irreführend und missverständlich ansehen. 765 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57.

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vertrag traf.766 Die Alternative einer Arbeitnehmergenossenschaft, in der alle Arbeitnehmer gleiche Mitgliedsrechte und Einflüsse erhielten und sich der Einfluss nicht an der Kapitalbeteiligung des Einzelnen bemaß, wurde in den Gesetzesarbeiten verworfen.767 Die im PrivG1990 neu eingeführten Berechtigungen der Arbeitnehmer stellten – zumindest teilweise – einen Ersatz dar für den Wegfall der Arbeitnehmerselbstverwaltung, wie sie in SelbstVerwG von 1981 garantiert worden war.768 Da mit Eintragung der umgewandelten Gesellschaft ins Handelsregister eine Liquidation der im ehemaligen Staatsunternehmen agierenden Selbstverwaltungsorgane einherging, führte die eingeleitete Privatisierung der Staatsunternehmen zur Abschaffung der Arbeitnehmerpartizipation in Form von Belegschaftsräten.769 Wie sich aus dem Programm der Liberalen ergab, sollte den Belegschaften als Ersatz hierfür eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zugestanden werden („[. . .] dies hat in jedem Fall die Beschränkung des Einflusses der Belegschaft zur Folge, da die Selbstverwaltungsorgane liquidiert werden. Als Ersatz hierfür erhält die Belegschaft jedoch 1/3 der Sitze im Aufsichtsrat [. . .]“ 770). So wird im Hinblick auf diese Kontinuität in der polnischen Literatur auch hervorgehoben, dass die Selbstverwaltungsbewegung ihre „Fußstapfen“ auf der Privatisierung in Polen hinterlassen habe.771 Gleichsam wird es als paradox erachtet, dass die Belegschaftsräte, denen entscheidende Mitspracherechte in Bezug auf die Einleitung der Privatisierung zukamen, mit Zustimmung zur Privatisierung gleichzeitig die Zustimmung zu ihrer Selbstauflösung erteilten.772 Oft sei dies vor allem unter dem Einfluss der Belegschaften, die sich aus der Privatisierung Vorteile versprachen, geschehen.773 Aus diesem Grund bezeichnet Wratny den Sieg der Selbstverwaltungsbewegung im Jahre 1989 gegen das kommunistische System auch als 766

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 57. 767 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 56 f. 768 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40. 769 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 770 Kongres Liberałów, Z ˙ ycie Gospodarcze 1989, Nr. 49, zitiert nach Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25 f.) („ruch ten oznacza w kaz˙dym razie ograniczenie wpływu załogi na zarza˛dzanie – naste˛puje likwidacja władzy samorza˛du. W zamian pojawia sie udział załogi w radach nadzorczych na poziomie 1/3 składu rady“, Übersetzung d. Verf.). 771 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 772 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. 773 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

„Pyrrhussieg“.774 Im Hinblick auf die Ausgestaltung der neuen Partizipationsform im PrivG 1990 kritisiert er, dass die neuen Beteiligungsformen kein wahrhaftiges Äquivalent der vormaligen Arbeitnehmerpartizipation in Staatsunternehmen darstellten, insbesondere weil eine Partizipationsform auf betrieblicher Ebene fehlte.775 Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass das Recht zur Entsendung von Arbeitnehmervertretern nur für den Fall der Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Gesellschaft vorgesehen wurde – im Fall der Liquidationsprivatisierung fielen die Belegschaftsräte dagegen ersatzlos weg.776 Allenfalls im Rahmen der sog. Arbeitnehmergesellschaften war ein Einfluss der Arbeitnehmer über ihre Kapitalbeteiligung gewährleistet. Die mit dem PrivG 1990 einhergehende Abschaffung der Belegschaftsräte ist auf den neoliberalen Ansatz der Wirtschaftsreformatoren der 1989/1990er Jahre zurückzuführen.777 Diese hielten die Belegschaftsräte zwar für eine nützliche Institution im Sozialismus, betrachteten sie jedoch in einer Demokratie für überflüssig und im Hinblick auf die notwendige Überwindung der wirtschaftlichen Krise Polens und die Investitionsbereitschaft aus dem Ausland sogar für schädlich.778 Kritisiert wurde auch, dass die Selbstverwaltung eine klare Bestimmung der Rolle der Eigentümer und Zuweisung von Verantwortlichkeiten erschwere.779 Von wesentlicher Bedeutung war ferner die untrennbare Verknüpfung der Arbeitnehmerselbstverwaltung mit dem Staatsunternehmen als speziellem Wirtschaftssubjekt einer auf Staatseigentum beruhenden Zentralverwaltungswirtschaft.780 Der Systemwechsel hin zu einer Marktwirtschaft und die angestrebte Integration mit der Europäischen Gemeinschaft führten dazu, dass die systembedingte Grundlage sowohl für das spezielle Konstrukt des Staatsunternehmens als auch die Selbstverwaltung entfallen war.781 Zugleich hatte die Verwurzelung der Selbstverwaltung im früheren System dazu geführt, dass auch die Unterstützung der Bevölkerung, die sich in breiten Kreisen gegen das alte System und für den Systemwechsel aussprach, für diese Form der Arbeitnehmerpartizipation abnahm.782

774 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78 („zwycie˛stwo [. . .] pyrrusowe“, Übersetzung d. Verf.). 775 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41 f. 776 In diese Richtung auch Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33). 777 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 778 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44 f.). 779 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (92). 780 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 152. 781 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 152 f. 782 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 523.

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In Bezug auf die Ausgestaltung der Arbeitnehmerpartizipation wird das PrivG 1990 als ein Kompromiss zwischen dem liberalen Ansatz und den von der Selbstverwaltungsbewegung vorgebrachten Projekten angesehen.783 So lassen sich die in dem PrivG 1990 vorgesehenen Regelungen in Bezug auf das Arbeitnehmeraktionärstum, die Errichtung von Arbeitnehmergesellschaften und die Einführung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat als Ersatz für die Selbstverwaltungsorgane auf Forderungen der Selbstverwaltungsbewegung zurückführen.784 Die Einführung der neuen Partizipationsform auf Ebene der Gesellschaftsorgane orientierte sich dabei anscheinend am Vorbild der deutschen Mitbestimmung.785 Ein im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens eingebrachter Minderheitsantrag, die Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichtsrat paritätisch auszugestalten, wurde jedoch abgelehnt.786 Der Vorschlag hatte vorgesehen, dass in Gesellschaften mit Mehrheitsbeteiligung des Staates die Arbeitnehmer das Recht haben sollten, die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder zu wählen, und dass im Fall einer Patt-Situation ein vom Aufsichtsrat mit einfacher Mehrheit gewählter Schiedsrichter entscheiden sollte. Auch von der Selbstverwaltungsbewegung vorgebrachte Konzepte zur Gründung von sog. staatlichen Arbeitnehmerunternehmen („przedsie˛biorstwa pan´stwowo-pracownicze“) und Gesellschaften mit strategisch bedeutsamer Aktionärsstellung der Arbeitnehmer konnten sich nicht durchsetzen.787 So konnte auf Grundlage des PrivG 1990 das von der Selbstverwaltungsbewegung geforderte sog. „Arbeitnehmerunternehmen“ im Grunde nur im Rahmen der Errichtung von Arbeitnehmergesellschaften entstehen.788 Letztlich überwog damit nach Einschätzung polnischer Autoren der liberale Ansatz, was sich insbesondere darin zeige, dass die den Arbeitnehmern eingeräumten Rechte, Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat wählen und Aktien zu vergünstigten Preisen beziehen zu kön-

783 So Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 784 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77; vgl. in Bezug auf die Regelungen zum privilegierten Aktienerwerb durch Arbeitnehmer auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26) sowie Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94). 785 So Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (113); vgl. aber auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 249, die darauf hinweist, dass das Konzept der Arbeitnehmervertretung in den Leitungsorganen auch schon in früheren polnischen Gesetzen zu finden war – so etwa in Art. 6 des Dekrets vom 6. Februar 1945 (hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.2.a)) sowie in Art. 17 Abs. 2 Gesetzes vom 10. Juli 1985 über gemischte Unternehmen, Dz. U. 1985 Nr. 32 Pos. 142. 786 Vgl. Sejm-Drucks. Nr. 424 (X. Kadenz), S. 4 f. 787 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26). 788 Ebenda.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

nen, doch eher beschränkte Berechtigungen darstellten, die zudem einen lediglich vorübergehenden Charakter hatten.789 Im Zuge der voranschreitenden Privatisierungsprozesse sank das Ansehen der Selbstverwaltungsorgane.790 Hatten sie in den 1980er Jahren noch eine „historische Rolle“ im Hinblick auf den im Jahre 1989 erfolgenden Umbruch wahrgenommen791, so sahen sie sich alsbald danach dem Vorwurf der Liberalen ausgesetzt, die Privatisierung zu erschweren oder gar zu blockieren792. So wurde das sich neu geformte Machtdreieck in Staatsunternehmen, bestehend aus der betrieblichen Gewerkschaftsorganisation, dem Belegschaftsrat und dem diesen beiden Institutionen unterliegendem Direktor, von liberalen Kreisen auch als „Bermuda-Dreieck“ („trójka˛t bermudzki“) bezeichnet, welches nicht nur Effektivität der Staatsunternehmen einschränke, sondern auch die Reformprozesse zu verhindern versuche.793 Damit ging eine durchaus aggressive Propaganda der unter dem Einfluss der Liberalen stehenden Medien einher.794 Während auch manche Stimmen in der polnischen Literatur darauf hindeuteten, dass die Belegschaftsräte sich im Zuge zunehmender negativer Effekte der Wirtschaftsreform immer häufiger gegen die Reformmaßnahmen auflehnten795, hoben andere Autoren die Unrichtigkeit dieser Anschuldigungen hervor796. In Wahrheit seien die Selbstverwaltungsorgane – mit einigen Ausnahmen – der Privatisierung gegenüber positiv

789 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 55 f. 790 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 791 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, 54 f. („[. . .] samorza˛dy załogi odegrały historyczna˛ role˛ w latach 80. [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). 792 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, 54 f.; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77 f. 793 Vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. Sogar die NSZZ „Solidarnos´c´ “ wurde als Teil des „Bermuda-Dreiecks“ von den neoliberal gestimmten Medien beschuldigt, die wirtschaftlichen Reformen zu blockieren, obwohl sie sich gerade zu Beginn sehr aktiv für die Privatisierung eingesetzt hatte, vgl. Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (28). 794 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33). 795 So Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 796 So Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (27); Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78.

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eingestellt gewesen797 und hätten nur selten der Umwandlung von Staatsunternehmen im Wege gestanden798. Die durchwachsenen Erfahrungen und gefestigten Überzeugungen führten jedoch dazu, dass sich eine ablehnende Haltung nicht nur in Bezug auf die Arbeitnehmerselbstverwaltung, die als Widerstand gegen eine wirtschaftliche Unternehmensführung und notwendige Reformen angesehen wurde, sondern auch im Hinblick auf andere Formen der Arbeitnehmerpartizipation entwickelte.799 Im Laufe der in den 1990er Jahren voranschreitenden Privatisierung schrumpfte die Anzahl der Staatsunternehmen, für die die Gesetze vom 25. September 1981 weiterhin Geltung hatten. Die in den Staatsunternehmen noch bestehenden Belegschaftsräte verloren damit zunehmend an Bedeutung.800 c) Der Pakt über das Staatsunternehmen von 1993 und die Entstehung des Kommerzialisierungs- und Privatisierungsgesetzes von 1996 Die am 1. Januar 1990 eingeleitete Wirtschaftsreform stieß anfangs auf breiten Rückhalt in der Bevölkerung.801 Dieser nahm jedoch ab, als die Reformmaßnahmen negative Begleiterscheinungen wie eine wachsende Arbeitslosigkeit, unsichere Beschäftigungsverhältnisse sowie damit einhergehende Absenkung des Lohnniveaus und der Lebensbedingungen zu Tage trugen.802 Im Zuge dessen nahm auch die Unterstützung der betrieblichen Organisationen und der Basis der NSZZ „Solidarnos´c´ “ für die neoliberale Wirtschaftspolitik ab.803 Die Privatisierungsprozesse gerieten ins Stocken.804 Im Juni 1992 brach eine Streikwelle aus, von der – angesichts der vor allem die Belegschaften der großen Staatsunternehmen treffenden negativen Konsequenzen – in erster Linie die großen Staatsunternehmen erfasst waren.805

797 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78; näher Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (27). 798 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33 f.). 799 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (18). 800 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (7); Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40. 801 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229). 802 Näher Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229); Pan ´ków/ Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29). 803 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29). 804 Vgl. Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 55; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 332; Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 4. 805 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229).

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Die Regierung und die Führungsspitze der NSZZ „Solidarnos´c´ “ waren davon überzeugt, dass die schwierige Situation durch eine Fortsetzung der Transformationsprozesse überwunden werden konnte.806 Mit dem Ziel, die Privatisierungsprozesse zu beschleunigen und sich den Rückhalt der Bevölkerung für die Reformen zu sichern, trat die Regierung im Juli 1992 an die fünfzehn größten landesweiten Gewerkschaftsorganisationen und einige Arbeitgeberorganisationen mit dem Vorschlag heran, eine Vereinbarung in Bezug auf die künftigen Reformmaßnahmen zu treffen.807 Gegenstand der angestrebten Einigung sollte eine Vereinbarung von Eckpunkten in Bezug auf die für die Staatsunternehmen und ihre Belegschaften wesentlichen Fragen der Privatisierungs- und Restrukturierungsprozesse sowie sozialer Angelegenheiten sein.808 Die Gespräche, welche von der Regierung und den Arbeitgebervertretern getrennt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und den übrigen Gewerkschaften geführt werden mussten809, begannen am 6. Oktober 1992 und führten nach langen Verhandlungen schließlich am 22. Februar 1993 zur Unterzeichnung des „Paktes über das Staatsunternehmen in der Umstrukturierung“ („pakt o przedsie˛biorstwie pan´s´twowym w trakcie przekształcania“) (im Folgenden: „Pakt“) in Form von drei separaten, wenngleich nahezu identischen Dokumenten.810 Die Vereinbarungen des Paktes unterteilten sich in drei Teilbereiche. Der erste Teil umfasste Vereinbarungen in Bezug auf die Privatisierungsprozesse und -instrumente, der zweite Teil war den Staatunternehmen und ihrer Finanzierung gewidmet und der dritte Teil bezog sich auf soziale bzw. die Arbeitnehmer betreffende Angelegenheiten. Der Pakt enthielt zahlreiche Zugeständnisse seitens der Regierung, die sich hierdurch den Rückhalt der Gewerkschaften für die Fortset-

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Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 332. Näher Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 332; vgl. auch Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 55 f.; Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 4. Mangels gesetzlicher Repräsentativitätskriterien wurde der Verhandlungsvorschlag an die 15 größten landesweiten Gewerkschaftsorganisationen gerichtet, u. a. die NSZZ „Solidarnos´c´ “ und die OPZZ. Von der Arbeitgeberseite wurden die „Konföderation der polnischen Arbeitgeber“, die Landwirtschaftskammer, der „Zentrale Genossenschaftsrat“ sowie in beratender Funktion der „Business Center Club“ eingeladen, Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230). 808 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230). 809 Ausführlich zum Ablauf der Gespräche Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230). Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ weigerte sich entschieden gegen gemeinsame Verhandlungen mit anderen Gewerkschaften, vor allem der OPZZ. 810 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29); Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 334 m.w. N. Am Ende wurden die Pakte zwischen der Regierung, der Konföderation der Polnischen Arbeitgeber und der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der OPZZ und einer Gruppe von sieben weiteren Gewerkschaften unterzeichnet. 807

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zung der Privatisierungsprozesse sichern wollte.811 Im Rahmen der sozialen Angelegenheiten (auch bezeichnet als Arbeitnehmerangelegenheiten) verpflichtete sich die Regierung zu grundlegenden Änderungen des Arbeitsrechts in Bezug auf das Tarifvertragsrecht, Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit, Schutz der Arbeitnehmerforderungen im Fall der Arbeitgeberinsolvenz und den betrieblichen Sozialfond.812 Die im Pakt von 1993 getroffenen sozialen Vereinbarungen fangen ihren Niederschlag in zahlreichen Gesetzen, die eine grundlegende Reform des Arbeitsrechts bewirken sollten.813 Ferner ebnete der unterzeichnete Pakt den Weg für die Entstehung einer neuen Form des dreiseitigen Dialogs.814 Obwohl sie noch das gemeinsame Verhandeln abgelehnt hatte, stimmte auch die NSZZ „Solidarnos´c´ “ der Einberufung der sog. „Triparitätischen Kommission für Sozialund Wirtschaftsangelegenheiten“ („Trójstronna Komisja do Spraw SpołecznoGospodarczych“) (nachfolgend: „Triparitätische Kommission“) zu, die sich aus Vertretern der Regierung, der Arbeitgeberseite und Vertretern verschiedener Gewerkschaften zusammensetzen sollte.815 Die praktische Umsetzung der Vereinbarung über eine Triparitätische Kommission erfolgte sehr zügig – bereits im Februar 1994 wurde diese zum ersten Mal einberufen, ihre gesetzliche Fixierung folgte im Jahr 1995.816 Auch für die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen war der Pakt von 1993 von wegweisender Bedeutung.817 Die maßgeblichen Vereinbarungen in diesem Zusammenhang wurden im Abschnitt betreffend die Privatisierungsprozesse verankert. Die Erweiterung der Mitspracherechte der Arbeitnehmer bei der Privatisierung ihrer Staatsunternehmen war ein wesentliches Ziel des Paktes.818 Entsprechend sahen die Vereinbarungen unter anderem 811 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (95); vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 336. 812 Näher hierzu Goz ´dziewicz, Propozycje w ramach rza˛dowego projektu „Paktu o przedsie˛biorstwie pan´stwowym“, PiZS 12/1992, S. 1 (1 ff.); Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (13 ff.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 334 ff. 813 Näher hierzu Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (231). 814 Vgl. Ba˛czkowski, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2); Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229, 231). 815 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (231). 816 Vgl. Mouranche, Dos ´wiadczenia trójstronnos´ci, S. 63; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 337. 817 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57. 818 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, Präambel S. 3; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 7; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, Präambel S. 3; vgl. auch Goz´dziewicz, Propozycje w ramach rza˛dowego projektu „Paktu o przedsie˛biorstwie pan´stwowym“, PiZS 12/

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

das Recht der Belegschaft vor, dem zuständigen staatlichen Gründerorgan ein Konzept für die durchzuführende Privatisierung vorzulegen, welches die bevorzugte Privatisierungsmethode umfassen sollte.819 Darüber hinaus sollten die Arbeitnehmer der privatisierten Unternehmen 10 % der Aktien unentgeltlich und 10 % der Aktien vergünstigt erwerben dürfen, während ihnen gemäß Art. 24 des PrivG 1990 nur das Recht zum Erwerb von bis zu 20 % zum halben Preis des Nominalwertes zustand.820 Schließlich sollte die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung garantiert werden, indem die Belegschaften das Recht erhalten sollten, ihre Vertreter in den Aufsichtsrat und ein Vorstandsmitglied wählen zu dürfen.821 Im Hinblick auf die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sowie die erforderliche Mitarbeiterschwelle für das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds waren die Positionen der Regierung, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberseite umstritten. Während mit der OPZZ und den übrigen Gewerkschaften schließlich eine Einigung gelang, war eine solche mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “ zum Schluss nicht möglich, sodass die Differenzen unter dem Punkt „Gegensätzliche Positionen“ („rozbiez˙nos´ci“) im Pakt festgehalten wurden.822 Mit den anderen Gewerkschaften einigte sich die Regierung auf die Regelung, dass den Arbeitnehmern „vor Zurverfügungstellung von Aktien“ („przed udoste˛pnieniem akcji“) das Recht zur Wahl von 1/3 der Aufsichtsratsmitglieder sowie bei Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds zustehen sollte.823 „Nach Privatisierung“ („po 1992, S. 1 (2); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 336; Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 7. 819 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 7; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3; vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 336. 820 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9 f.; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3. 821 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3, und Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 („Zagwarantowany zostanie udział pracowników w zarza˛dzaniu spólkami, przez przyznanie im prawa wyboru swoich przedstawicieli do rady nadzorczej oraz wyboru członka zarza˛du [. . .].“); vgl. auch Pakt mit OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9, der ebenfalls von einer Beteiligung an der Unternehmensführung spricht („Przyje˛to naste˛puja˛ce zasady uczestnictwa pracowników w zarza˛dzaniu spółkami: [. . .]“). 822 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5. 823 Vgl. den Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos ´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9 sowie den Pakt mit den übrigen Gewerkschaften,

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sprywatyzowaniu“) sollte die Zahl der Arbeitnehmervertreter von der Größe des Aufsichtsrats abhängen: Bei einem Aufsichtsrat mit 5 bis 10 Mitgliedern sollten die Arbeitnehmer einen, bei 11 bis 15 Mitgliedern zwei und bei mehr als 16 Mitgliedern im Aufsichtsrat drei Vertreter sowie ein Vorstandsmitglied in Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern wählen dürfen.824 Eine betriebliche Mitbestimmung wurde in den Vereinbarungen nicht vorgesehen und soweit ersichtlich auch nicht thematisiert, jedenfalls wurden im Pakt keine derartigen Forderungen der Gewerkschaften festgehalten.825 Das früher geforderte Konzept der Arbeitnehmerselbstverwaltung war mittlerweile gänzlich aufgegeben worden.826 Die Vereinbarungen im Pakt in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen wurden in der polnischen Literatur im Hinblick auf die Begrifflichkeiten „vor Zurverfügungstellung von Aktien“ und „nach Privatisierung“ und damit den zeitlichen Geltungsbereich unterschiedlich ausgelegt, was ihren wenig eindeutigen Charakter zeigt. Während einige Autoren827 „vor Zurverfügungstellung von Aktien“ als das Stadium bis zu vollständigen Privatisierung des Unternehmens und „nach Privatisierung“ als die Zeit ab Veräußerung aller

in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 f. Dagegen forderte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ einen Vertreter bei einem Aufsichtsrat mit fünf bis sieben Mitgliedern, zwei Vertreter bei acht bis zwölf Mitgliedern sowie drei Vertreter in Aufsichtsräten mit mehr als dreizehn Mitgliedern, ferner das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds bei Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern. Die Arbeitgeberseite und Regierung wollten nur einen Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten mit fünf bis zehn Mitgliedern und zwei Vertreter ab einer Aufsichtsratsgröße von elf und mehr Mitglieder akzeptieren. Die Regierung wollte ferner den Arbeitnehmern einen dritten Vertreter bei mehr als sechszehn Mitgliedern im Aufsichtsrat zugestehen. Ein Vorstandsmitglied sollte in Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern von den Arbeitnehmern gewählt werden dürfen, vgl. zu diesen gegensätzlichen Positionen den Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5. 824 Vgl. den Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos ´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9 sowie den Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 f. Die Arbeitgeberseite wollte nur einen Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten mit 5 bis 10 Mitgliedern und zwei Vertreter ab einer Aufsichtsratsgröße von 11 und mehr Mitglieder akzeptieren. Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f.; Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, RPEiS 2/ 1993, S. 1 (14); Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 8. 825 Kritisch zur fehlenden Regelung über eine betriebliche Mitbestimmung etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19). 826 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 338 f. 827 So Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, S. 8; ders., Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19); ebenso Mouranche, Dos´wiadczenia trójstronnos´ci, S. 62.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Staatsanteile ansahen, gingen andere Autoren828 davon aus, dass im Pakt unterschieden wurde zwischen solchen Unternehmen, in denen der Staat Alleinaktionär war, und solchen, deren Privatisierung, d.h. Veräußerung von Anteilen an Dritte, bereits begonnen hatte. Entsprechend gespalten war die Bewertung des Paktes. Wratny829 sah darin „den ersten Schritt“ in Richtung einer „systematischen“ Konzeption der Arbeitnehmerpartizipation, wie diese etwa in Deutschland anzutreffen sei. Dagegen kritisierte Ra˛czka830 die beabsichtigten Änderungen bei der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dafür, dass die Vereinbarungen im Pakt eine Verschlechterung gegenüber den bestehenden gesetzlichen Regelungen im Privatisierungsgesetz von 1990 darstellten. Die angedachte Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die im Vergleich zur 1/3-Beteiligung nach dem Privatisierungsgesetz von 1990 geringer ausfiel, würde zu einer „Marginalisierung der Arbeitnehmerpartizipation“ führen.831 Gleichsam kritisierte Ra˛czka832, dass die Vereinbarungen im Pakt keine Regelung zur drittelparitätischen Vertretung im Aufsichtsrat in allen privatisierten, ehemaligen Staatsunternehmen, unabhängig von einer verbleibenden Kapitalbeteiligung des Staates, vorsehen würde. Die beabsichtigten Regelungen zur Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat würden ferner insgesamt von dem in anderen europäischen, auf Marktwirtschaft beruhenden Ländern geltenden Mitbestimmungsstandard, so etwa der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Norwegen und Dänemark, abweichen.833 Schließlich wurde generell bemängelt, dass der Pakt nicht die Beibehaltung der Belegschaftsräte als einem autonomen und außerhalb der Unternehmensverfassung stehenden Vertretungsorgan der Arbeitnehmer vorsah.834 828 So Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (14); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162. 829 Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19) („Pewien skromny krok naprzód w kierunku nadania partycypacji pracowniczej w przedsie˛biorstwie prywatyzowanym charakteru bardziej systemowego [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). 830 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f. 831 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f. („doprowadzi do marginalizacji partycypacji pracowniczej [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). Denn während das PrivG 1990 eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmervertreter solange gewährleistet hatte, wie der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990), würde die Drittelbeteiligung nunmehr nur „bis zur Zurverfügungstellung von Anteilen“ gewährleistet sein – nach dem Verständnis von Ra˛czka mithin lediglich bis zur Einleitung des Privatisierungsprozesses. Danach belaufe sich die Beteiligung der Arbeitnehmer auf einen bis drei Vertreter je nach Größe des Aufsichtsrats, womit die Beteiligung zwischen 10 % und 20 % schwanken würde. 832 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163. 833 Ebenda. 834 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; ebenfalls Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19 f.). Dies wurde auch schon vor der Unterzeichnung des Paktes von der polnischen

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Die Frage nach der richtigen Ausgestaltung der Arbeitnehmerpartizipation in einer Kapitalgesellschaft beschäftigte in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zahlreiche Autoren der polnischen Rechtswissenschaft. Diskutiert wurde die Verankerung der Partizipation in den Unternehmensorganen835 oder alternativ hierzu in einem separaten, außerhalb der Unternehmensverfassung stehenden Organ836 ebenso wie die Einführung beider Partizipationsformen837. Die rechtsvergleichende Betrachtung nahm für die Erarbeitung neuer Lösungen eine wichtige Rolle ein.838 Herangezogen wurden die in den westlichen Nachbarländern bestehenden Mitbestimmungsregelungen und die damit gemachten Erfahrungen wie auch Ansätze zur Arbeitnehmerpartizipation auf europäischer Ebene.839 Oft diente das deutsche Mitbestimmungsmodell als Referenz und Anhaltspunkt für mögliche Lösungen.840 Abweichend vom deutschen Modell der paritätischen Mitbestimmung wurde jedoch eine Minderheitsbeteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat weitestgehend akzeptiert und als sachgerecht empfunden.841 Auch wurde die im deutschen Recht vorgesehene Anwesenheit von nicht Literatur gefordert, vgl. etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72). 835 Vgl. hierzu etwa die Ausführungen bei Seweryn ´ski, in: Acta Universitatis Lodziensis, Problemy prawa pracy i polityki społecznej, S. 163 (163 ff.) sowie Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff. 836 Hierfür etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72 f.). 837 Hierfür etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff., 164. 838 Vgl. die rechtsvergleichende Untersuchung bei Seweryn ´ski, in: Acta Universitatis Lodziensis, Problemy prawa pracy i polityki społecznej, S. 163 (163 ff.) sowie bei Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (11 ff.); ferner Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff.; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179); vgl. hierzu auch Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94). 839 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff. sowie S. 168; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179); Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 840 So etwa ausführlich Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff., der die in Deutschland geltende Regelungen im Montan-MitbestG, im MitbestG von 1976 sowie der betrieblichen Mitbestimmung nach dem BetrVG 1952 für seine Vorschläge heranzieht; ebenso Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (11 ff., 20), der im deutschen Recht Vorbilder für mögliche Lösungen sieht; vgl. auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 105 m.w. N., der darauf hinweist, dass die deutsche Mitbestimmung in der polnischen Literatur schon seit den 1980er Jahren Gegenstand zahlreicher Darstellungen war. 841 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f., 165; ebenso wohl Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (180), der darauf hinweist, dass eine Drittelbeteiligung dem europäischen Standard entspräche; weitergehend allerdings Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (20), der für Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung sowie Mehrheitsbe-

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertretern im Grundsatz begrüßt, dabei jedoch die zwingende gesetzliche Quote abgelehnt und statt dessen die Einführung einer vom Willen der Belegschaft abhängigen, zahlenmäßig jedoch gedeckelten Möglichkeit der Wahl von externen Arbeitnehmervertretern postuliert.842 Andere Autoren betrachteten die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dagegen als rein symbolisch und ungeeignet, eine wirkungsvolle Arbeitnehmerpartizipation sicherzustellen.843 Vielfach wurde von Politikern, Wissenschaftlern und Arbeitnehmern befürwortet, die Arbeitnehmerpartizipation durch die Schaffung eines separaten Arbeitnehmervertretungsorgans – an Stelle der alten Belegschaftsräte – sicherzustellen.844 Betont wurde jedoch, dass diese neue Partizipationsform den neuen Gegebenheiten angepasst werden müsste und ihre Kompetenzen nicht derart weitgehend sein dürften wie die der Selbstverwaltungsorgane.845 Hingewiesen wurde auch darauf, dass die neuen Belegschaftsräte eine andere Rolle und Funktion als die deutschen Betriebsräte einnehmen müssten, was dem unterschiedlichen Modell der gewerkschaftlichen Kompetenzen in beiden Ländern geschuldet sei.846 Die in den Staatsunternehmen bestehende Institution der Arbeitnehmerversammlung wurde demgegenüber als wirkungslos erachtet und eine vergleichbare Institution in der Kapitalgesellschaft abgelehnt.847 Die gesetzgeberische Umsetzung der Vereinbarungen aus dem Pakt im Hinblick auf eine Neuregelung des Privatisierungsgesetzes wurde durch den Regierungswechsel im Herbst 1993 unterbrochen.848 Aufgrund der in die Länge gezogenen Verhandlungen wurde der Pakt zu einem Zeitpunkt unterzeichnet, als der gesellschaftliche Rückhalt für die Privatisierung bereits deutlich abgesunken war, was im Herbst 1993 zum Wahlerfolg der als „Postkommunisten“ bezeichneten

teiligung des Staates sogar eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat vorschlug, in sonstigen Gesellschaften hingegen auch eine Drittelbeteiligung empfahl. 842 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163. 843 So etwa Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (113). 844 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (45); so etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70, 72 f.; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; ebenso wohl auch Kulpin´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (113 f.). 845 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (45); ausführlich Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164 ff. 846 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 165 f.; näher hierzu unten Kapitel 5. 847 Hierfür Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164. 848 Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 56 f.; Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29).

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SLD („Sojusz Lewicy Demokratycznej“ 849) führte, die eine sozialverträglichere Gestaltung der Transformationsprozesse versprachen.850 Eine gesetzgeberische Neuregelung des Privatisierungsgesetzes kam dadurch erst im Jahre 1996 zustande.851 Änderungen an dem bestehenden Privatisierungsgesetz erwiesen sich als wenig zielführend, sodass mit der Erarbeitung eines neuen Privatisierungsgesetzes begonnen wurde.852 Am 21. Juli 1995 wurde vom Sejm ein neues Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen beschlossen.853 Diesem verweigerte jedoch zunächst der Präsident seine Zustimmung, nachfolgend erklärte auch das Polnische Verfassungsgericht einige Bestimmungen des Gesetzes für nicht verfassungsgemäß.854 Die vom Verfassungsgericht vorgebrachten Mängel wurden im neuen Gesetzesprojekt entsprechend berücksichtigt.855 Am 30. September 1996 wurde das Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen856 beschlossen, welches mit zwischenzeitlichen Änderungen bis heute gilt und seit dem 1. Januar 2017 die Bezeichnung „Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Rechte der Arbeitnehmer“ trägt857 (nachfolgend: „KommerzG“). Es trat zum 8. April 1997 in Kraft und löste seitdem das PrivG 1990 ab. Die Entstehungsgeschichte des KommerzG geht zwar maßgeblich auf den am 22. Februar 1993 unterzeichnete „Pakt über das Staatsunternehmen in der Umstrukturierung“ zurück.858 Jedoch weichen die letztlich verabschiedeten Regelungen im Privatisierungsgesetz hinsichtlich der 849 In der deutschen Literatur übersetzt als „Allianz Demokratische Linke“, Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 340. 850 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29). 851 Näher zu den Problemen im Gesetzgebungsprozess vgl. die Ausführungen in der Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2 f. sowie bei Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 852 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 853 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 854 Vgl. Urteil des Verfassungsgerichts vom 22. November 1995; Az.: K. 19/95; Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 3; hierzu auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 855 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. Parallel zu den Arbeiten am neuen Gesetzesentwurf wurde auch das bestehende Privatisierungsgesetz von 1990 nochmal überarbeitet. Aufgrund der Novelle vom 8. August 1996 galt das PrivG 1990 in überarbeiteter Fassung bis zum 7. April 1997 fort, Katner, a. a. O. 856 Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen vom 30. September 1996, Dz. U. 1996 Nr. 118 Pos. 561 (urspr. Fassung). 857 „Ustawa o komercjalizacji i niektórych uprawnieniach pracowników“, Übersetzung d. Verf.; vgl. Art. 14 Pkt. 1 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 858 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 79.

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Arbeitnehmerberechtigungen von den Konzepten des Paktes deutlich zu Gunsten der Arbeitnehmer ab. So sah das neue Gesetz zum einen das Recht der Arbeitnehmer vor, bis zu 15 % der dem Staat gehörenden Anteile an der kommerzialisierten Gesellschaft unentgeltlich zu erwerben (vgl. Art. 36 KommerzG). Die im PrivG 1990 den Belegschaften gewährte Berechtigung, bis zu 20 % der Aktien zum halben Nominalwert erwerben zu können, hatte sich in vielen Fällen – insbesondere im Falle von Unternehmen mit schwacher Finanzlage – als zu teuer und zu sehr risikobehaftet erwiesen, womit das Gesetz den Arbeitnehmern zu wenige Anreize zum Erwerb von Anteilen am eigenen Unternehmen geboten hatte.859 Die Neuerung sollte dazu beitragen, die Akzeptanz der Arbeitnehmer für die Privatisierungsprozesse zu erhöhen.860 Auf diese in der Gesetzesbegründung vorzufindende Zielsetzung ist auch die gesetzliche Verankerung der im Vergleich zum Privatisierungsgesetz von 1990 und den Vereinbarungen im Pakt von 1993 deutlich stärkeren Ausprägung der Arbeitnehmerpartizipation zurückzuführen: So wurde nicht nur die vorgeschriebene Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erhöht, auch erhielten die Arbeitnehmer in Unternehmen mit bereits mehr als 500 Mitarbeitern das Recht, ein Vorstandsmitglied wählen.861 Insgesamt erhielt das neue Gesetz im Vergleich zum PrivG 1990 deutlich ausführlichere Regelungen. Auch erlaubte das KommerzG die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Kapitalgesellschaft (die sog. „Kommerzialisierung“) sowohl zum Zwecke der späteren Privatisierung als auch zu einem anderen Zweck, insbesondere der Restrukturierung (vgl. Art. 3 Abs. 2 KommerzG urspr. Fassung).862 Das Privatisierungsgesetz von 1990 hatte die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Kapitalgesellschaft ausschließlich als Übergangsstadium der Privatisierung angesehen, nach der alsbald die Anteile bzw. Aktien an Dritte verkauft werden mussten, das Unternehmen also privatisiert werden musste.863 Durch die gesetzliche Neuregelung wurde der Privatisierungsprozess entschleunigt und die Restrukturierung der Staatsunternehmen vor ihrer Privatisierung rückte stärker in den Vordergrund.864 Verworfen wurde das Konzept, eine 859

Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 10. Vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 1 f.; hierzu auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12 f. Näher zu den Zielen der Arbeitnehmerbeteiligung unten Kapitel 3, A.II.2. 861 Ausführlich hierzu Kapitel 3. Zur Gegenüberstellung des KommerzG und des PrivG 1990 vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 79; Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51. 862 Vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 3 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12 f. 863 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9 f. 864 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 340. 860

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allgemeine Kommerzialisierung aller Staatsunternehmen durchzuführen.865 Stattdessen wurden einige Unternehmen, etwa solche in Liquidation oder Insolvenz, ausdrücklich von der Möglichkeit der Kommerzialisierung ausgenommen. d) Entwicklung kollektivarbeitsrechtlicher Regelungen und des sozialen Dialogs Im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Transformation Polens entstand ein neues Arbeitsrechtssystem, allmählich entwickelten sich neue Instrumente der kollektiven Arbeitsbeziehungen und ein auf Partnerschaft und Dreiseitigkeit beruhender sozialer Dialog.866 Im Hinblick auf den angestrebten Beitritt Polens zur Europäischen Union war dabei auch die Anpassung des polnischen Arbeitsrechts an die europäischen Vorgaben von wesentlicher Bedeutung.867 Nicht zuletzt auch aufgrund der vor dem Zweiten Weltkrieg bestehenden Verknüpfungen mit dem deutschen Recht wurde der Aufbau neuer gesetzlichen Regelungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts maßgeblich von westlichen Leitbildern beeinflusst.868 Nach dem Umbruch von 1989 waren angesichts der mit der Wirtschaftstransformation einhergehenden Rationalisierungsmaßnahmen und der Beschäftigungspolitik in den ersten Jahren neben dem Kündigungsrecht zunächst vor allem auch Fragen des Sozialrechts, insbesondere hinsichtlich der Arbeitslosenleistungen, von besonderer Bedeutung.869 Doch musste darüber hinaus sowohl das individuelle als auch kollektive Arbeitsrecht an die neuen wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Im sozialistischen System hatte der Staat die Arbeitgeberrolle eingenommen, es galt der Grundsatz der Konfliktlosigkeit.870 Die Arbeitsbedingungen waren stark reguliert und die Verhand-

865 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 9; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 13. 866 Ba˛czkowski, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (1). 867 Ebenda. 868 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 50 m.w. N. 869 Als eins der ersten Gesetze wurde das Beschäftigungsgesetz erlassen, welches den Arbeitslosen 12 Monate lang den Bezug von staatlichen Unterstützungsleistungen gewährte, vgl. Kulpin´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (109); ausführlich zur Beschäftigungspolitik und den in diesem Zusammenhang erlassenen Gesetzen vgl. Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (19 ff.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (14). 870 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 49, 137, 421. Ausführlich zur Arbeitgeberrolle des Staates vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 63 ff.; vgl. hierzu auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (89 f.).

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lungsmöglichkeiten dementsprechend begrenzt.871 Bereits 1989 wurden erste Änderungen an dem geltenden Arbeitsgesetzbuch vom 26. Juni 1974872 vorgenommen.873 Zur Vorbereitung einer grundlegenden Reform des polnischen Arbeitsrechts zwecks seiner Anpassung an die neue Staats- und Wirtschaftsordnung wurde 1990 eine Kommission ins Leben gerufen, die eine umfassende Novelle des Arbeitsgesetzbuches erarbeiten sollte.874 Neben der Anpassung des individuellen Arbeitsrechts mussten auch neue gesetzliche Grundlagen für die Gewerkschaftstätigkeit und im weiteren Sinne auch die kollektiven Arbeitsbeziehungen geschaffen werden.875 Die sich im Laufe der 1980er Jahre herausgebildete authentische Gewerkschaftsbewegung fußte nach dem Umbruch von 1989/1990 zunächst weiterhin auf dem 1982 verabschiedeten Gewerkschaftsgesetz – welches auf Grundlage der Vereinbarungen des Runden Tisches angepasst wurde876 – und den von Polen ratifizierten ILO-Konventionen.877 Vor dem Hintergrund des sozialistischen Systems, in dem der Staat faktisch die Arbeitgeberrolle eingenommen hatte, existierten vor 1989 keine Arbeitgeberorganisationen und dementsprechend auch keine rechtlichen Grundlagen für ihre Tätigkeit.878 Sowohl innerhalb der NSZZ „Solidarnos´c´ “ als auch im Senat wurden Konzepte für ein neues Gewerkschaftsgesetz erarbeitet.879 Neben einer weitgefassten Garantie der Koalitionsfreiheit und einem Vorschlag zur Definition des Reprä871 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (26); vgl. auch Gładoch, Dialog społeczny, S. 58 f. 872 Arbeitsgesetzbuch vom 26. Juni 1974, Dz. U. 1974 Nr. 24 Pos. 141. 873 So wurde etwa das Koalitionsrecht ausdrücklich in Art. 19 § 1 ArbGB normiert, vgl. Art. 1 Abs. 1 Änderungsgesetz vom 7. April 1989, Dz. U. 1989 Nr. 20 Pos. 107; vgl. Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24), der allerdings betont, dass die ersten Änderungen einen lediglich „kosmetischen Charakter“ („charakter kosmetyczny“, Übersetzung d. Verf.) hatten. 874 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24). 875 Vgl. Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Vor Art. 1 GewG. 876 Entsprechend den Vereinbarungen des Runden Tisches wurde etwa die Koalitionsfreiheit im Gewerkschaftsgesetz von 1982 verankert, vgl. Art. 1 Pkt. 1 Änderungsgesetz vom 7. April 1989, Dz. U. 1989 Nr. 20 Pos. 105; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 285. 877 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Vor Art. 1 GewG. 878 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (32); Gładoch, Dialog społeczny, S. 60. Die vereinzelten Wirtschaftsvereine, die von privaten Arbeitgebern in den 1980er Jahren errichtet wurden, gründeten erst nach den Vereinbarungen des Runden Tischen im November 1989 die „Konföderation der Arbeitgeber“ als erste Arbeitgeberorganisation in der Geschichte der polnischen Nachkriegszeit, Gładoch, Dialog społeczny, S. 60. Ausführlich zur Situation der polnischen Arbeitgeber zu Zeiten des realen Sozialismus vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 56 ff.; zur Entwicklung von Arbeitgeberorganisationen in Polen auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (79 ff.). 879 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 296; Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 67.

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sentativitätskriteriums, welches angesichts des starken gewerkschaftlichen Pluralismus notwendig war, strebte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ im vorgelegten Gesetzesentwurf auch entsprechend ihrem Selbstverständnis an, die „Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen“ gesetzlich als ausschließliche Funktion der Gewerkschaften zu definieren.880 Allein für die Organisation der Wahlen der Arbeitnehmervertreter in das Leitungsorgan der Gesellschaft sollten die Gewerkschaften darüber hinaus zuständig sein.881 Damit wollte man sich ersichtlich von den ideologischen und sog. „produktionsbezogenen“ Funktionen, die den als „Transmissionsriemen“ 882 verstandenen Gewerkschaften zu Zeiten des realen Sozialismus zukamen, lossagen.883 Nach langen, kontroversen Arbeiten und umfassenden Korrekturen an der vorgelegten Gesetzesentwürfen884 wurden schließlich am 23. Mai 1991 drei Gesetze verabschiedet, die auch gegenwärtig noch die wesentlichen Pfeiler des polnischen kollektiven Arbeitsrechts bilden: das Gewerkschaftsgesetz885 (nachfolgend: „GewG“), das Arbeitgeberverbandsgesetz886 sowie das Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten887. Das gesetzgeberische Engagement der Gewerkschaften fand seinen unverkennbaren Niederschlag in der letztendlich erfolgten Ausgestaltung der Gesetze.888 Wesentlicher Inhalt des Gewerkschaftsgesetzes von 1991 war die Verankerung der Koalitionsfreiheit (vgl. Art. 2 GewG) sowie die Anerkennung der Gewerkschaften als einer „freiwilligen und selbstverwaltenden Organisation der arbeitenden Menschen, die zur Vertretung und Verteidigung ihrer Rechte sowie ihrer beruflichen und sozialen Interessen berufen ist“ (vgl. Art. 1 Abs. 1 GewG).889 In Abkehr vom kommunistischen Ge880 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 297; Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 67 f.; ders., Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 66. 881 Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 67 f. 882 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 883 Mit der sog. „produktionsbezogenen“ Funktion gemeint ist die Aufgabe der als „Transmissionsriemen“ fungierenden Gewerkschaften, für die Mobilisierung der Belegschaften bei der Realisierung der Planvorgaben zu sorgen und so entsprechend Art. 85 der Polnischen Verfasung von 1976 einen Beitrag zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu leisten; näher zur Rolle der Gewerkschaften während des sozialistischen Systems Gładoch, Dialog społeczny, S. 59; Wratny, Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 8 ff. 884 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 296 ff. 885 Gewerkschaftsgesetz vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 234. 886 Arbeitgeberverbandsgesetz vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 235. 887 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 888 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 325 f. 889 Art. 1 Abs. 1 GewG: „Zwia˛zek zawodowy jest dobrowolna˛ i samorza˛dna˛ organizacja˛ ludzi pracy, powołana˛ do reprezentowania i obrony ich praw, interesów zawodowych i socjalnych.“ Übersetzung d. Verf.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

werkschaftsverständnis wurden ideologische und produktionsbezogene Funktionen abgeschafft, stattdessen sollten die Gewerkschaften entsprechend der Normierung in Art. 1 Abs. 1 GewG wieder vorrangig die traditionelle Schutzfunktion ausfüllen.890 Im Rahmen kollektiver Angelegenheiten wurde den Gewerkschaften das Recht zur Vertretung aller Arbeitnehmer – unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit (vgl. Art. 7 GewG) – sowie zur Verhandlung und zum Abschluss von Kollektivvereinbarungen nach Maßgabe besonderer Gesetze (vgl. Art. 21 GewG) eingeräumt. Mit der Gesetzesnovelle vom 29. September 1994891 wurde das Tarifvertragsrecht reformiert und als neues Kapitel XI des Arbeitsgesetzbuchs kodifiziert. Eine große Novelle des Arbeitsgesetzbuchs erfolgte im Jahre 1996.892 Sie diente der Anpassung der arbeitsrechtlichen Vorschriften an das neue demokratische System893 und sollte den Bedürfnissen der Privatwirtschaft sowie den Grundsätzen einer marktwirtschaftlichen Ordnung Rechnung tragen894. Auch sollte dadurch die eine Annäherung des polnischen Arbeitsrechts an die internationalen Anforderungen der ILO-Konventionen895, des Europarates und der Europäischen Union erfolgen.896 Als wesentlich wurde die Zurückdrängung der Rolle des Staates auf die Festlegung von unabdingbaren Mindeststandards und die Einführung einer weitgehenden Autonomie der Arbeitsvertragsparteien und der Sozialpartner im Zusammenhang mit der Regelung der Arbeitsbeziehungen erachtet, was letztlich seinen gesetzgeberischen Ausdruck in der Anerkennung von Tarifverträgen und sonstigen Kollektivvereinbarungen als Rechtsquellen des Arbeitsrechts fand (vgl. Art. 9 ArbGB).897 Zum anderen mussten auch jegliche sprachlichen und ideologischen Bezüge zum sozialistischen System entfernt werden.898 Die ar-

890 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (30); Gładoch, Dialog społeczny, S. 62. 891 Änderungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch vom 29. September 1994, Dz. U. 1994 Nr. 113 Pos. 547. 892 Änderungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch vom 2. Februar 1996, Dz. U. 1996 Nr. 24 Pos. 110. 893 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24 f.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (14 ff.). 894 Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Einl. Rn. 4. 895 Zwar hatte Polen die ILO-Konventionen Nr. 87 (Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts) und Nr. 98 (Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen) bereits 1956 ratifiziert, aufgrund der damaligen politischen Rahmenbedingungen ließ das polnische Recht jedoch lediglich die Gründung von Gewerkschaften innerhalb der offiziell anerkannten Gewerkschaftszentrale zu, was von der ILO auch beanstandet wurde, hierzu Florek, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 47 (49). 896 Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Einl. Rn. 4. 897 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24 f.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (14 ff.). 898 Ebenda.

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beitsrechtlichen Neuerungen zeugten von der gesetzgeberischen Absicht, die rechtlichen Normen flexibler zu gestalten und den Arbeitgebern größere Spielräume bei organisatorischen, betrieblichen und entgeltbezogenen Angelegenheiten einzuräumen.899 Dabei wurde den Arbeitgeberinteressen insoweit Rechnung getragen, als sich dies mit der „die Arbeitnehmerinteressen schützenden Funktion des Arbeitsgesetzbuchs“ vereinbaren ließ.900 Gleichzeitig wurden im Zuge der Anpassung des Arbeitsrechts an die internationalen Standards der ILO eine Reihe von Vorschriften erlassen, die die Rechtsposition des Arbeitnehmers stärkten – so etwa im Hinblick auf angemessene Entlohnung, Gleichberechtigung, Diskriminierungsschutz, Urlaubsansprüche sowie Arbeitsschutz und -hygiene.901 Auch über die internationalen Standards hinaus wurden mehrere weitere Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer eingefügt.902 In den ersten Jahren der Transformationsphase zeichneten sich die kollektiven Arbeitsbeziehungen noch durch einen „Konfliktcharakter“ aus, verbunden mit einer großen Streikbereitschaft.903 Erst im Laufe der 1990er Jahre schritt die Entwicklung eines sozialen Dialogs voran.904 Der soziale Dialog wurde als wesentliches Element des neuen Arbeitsrechtssystems angesehen.905 Schon in den Jahren 1991–93 arbeitete eine mit Experten der ILO besetzte Gruppe an dem Projekt „Sozialer Dialog“, welches über das PHARE906-Programm finanziell unterstützt 899 So Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2). 900 So Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2) („uwzgle˛dniono interesy pracowdawców w zakresie, jaki sie˛ da pogodzic´ z ochronna˛ wobec pracowników funkcja˛ przepisów tego kodeksu“, Übersetzung d. Verf.); vgl. auch Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (26). 901 Näher hierzu Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (27 f.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12, 22 f.; vgl. auch Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Einl. Rn. 5; ausführlich zum Einfluss der ILO-Konventionen und Empfehlungen auf das polnische Arbeitsrecht Florek, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 47 (47 ff.). 902 Näher Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (29); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (23 f.). 903 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (112) („charakter konfliktowy“, Übersetzung d. Verf.). 904 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; dies., Dialog społeczny, S. 63 f. 905 So etwa Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (1). 906 „Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies.“

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wurde.907 Gemeinhin werden vor allem die Verhandlung und der Abschluss von Tarifverträgen als Ausdruck des sozialen Dialogs verstanden.908 Von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung des sozialen Dialogs in Polen war ferner der am 22. Februar 1993 unterzeichnete Pakt und die darin beschlossene Errichtung der „Triparitätischen Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten“ („Trójstronna Komisja do Spraw Społeczno-Gospodarczych“).909 Diese Institution sollte der Entwicklung des Dialogs und der gegenseitigen Verständigung dienen und wurde als ein ständiges Forum für die Zusammenarbeit zwischen der Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bei Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik etabliert.910 Im Zusammenhang mit den Privatisierungsprozessen äußerte sich der soziale Dialog vor allem in sog. Sozialvereinbarungen, die auch als Sozialpakte oder – gerade aufgrund ihres sachlichen Kontextes – als Privatisierungsvereinbarungen bezeichnet wurden (nachfolgend: „Sozialvereinbarungen“).911 Eine wesentliche Rolle nahmen hierbei die Gewerkschaften ein. Bei den Sozialvereinbarungen handelte es sich um Vereinbarungen zwischen dem zukünftigen strategischen Investor, der die Aktien des kommerzialisierten ehemaligen Staatsunternehmens vom Staat erwerben wollte, und den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften.912 Sie ergänzten den Anteilskaufvertrag, der zwischen dem strategischen Investor und dem Staat in Bezug auf Aktien des kommerzialisierten Unternehmens geschlossen wurde.913 Rechtsgrundlage für den Abschluss der Sozialvereinbarungen durch die Gewerkschaften war die ihnen durch das Gewerkschaftsgesetz zugewiesene Funktion zur Vertretung und Verteidigung der Rechte sowie der beruflichen und sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung (Art. 1 Abs. 1 GewG) sowie zur Vertretung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer (vgl. Art. 26

907 Sobótka, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 81 (90). 908 Vgl. Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (1 f.); Gładoch, Dialog społeczny, S. 29, 57 ff. 909 So auch z. B. Gładoch, Dialog społeczny, S. 63 f.; Sobótka, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 81 (88). 910 Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2); näher zur Funktion und den Kompetenzen der Triparitätischen Kommission vgl. Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (232 ff.). Im Jahre 2015 wurde die Triparitätische Kommission vom Rat des Sozialen Dialogs abgelöst, vgl. Art. 89 des Gesetzes über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 911 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 22. 912 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 22. 913 Ebenda.

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Pkt. 2 GewG), später ging auch das KommerzG vom Abschluss derartiger Sozialvereinbarungen aus (vgl. Artt. 33 Abs. 2, 48 Abs. 2 Satz 2 KommerzG a. F.).914 Der Abschluss der Sozialvereinbarungen resultierte vor allem aus den vor dem Hintergrund der anstehenden Privatisierung und damit zusammenhängenden Rationalisierungsmaßnahmen bestehenden Ängsten der Belegschaften um ihren Arbeitsplatz und die Lohnpolitik.915 Die Sozialvereinbarungen sollten diese Sorgen abmildern, indem der strategische Investor darin verschiedene Zusicherungen machte und den Belegschaften bestimmte Rechte und Leistungen zu gewähren versprach.916 Die in den Sozialvereinbarungen getroffenen Regelungen betrafen daher insbesondere Arbeitsplatzgarantien, Grundzüge der Entlohnung und der Lohnsteigerungen, Sozialleistungen, Arbeitsschutz- und Hygienebestimmungen und die Zuteilung von Arbeitnehmeraktien.917 Den Arbeitnehmern wurden gesetzlich nicht garantierte Rechte zugesagt sowie zahlreiche gesetzliche Vorschriften präzisiert. Die Sozialvereinbarungen sorgten für sozialen Frieden in den Betrieben und ermöglichten eine reibungslose Durchführung der Privatisierung.918 Gleichzeitig nutzten sie aber vor allem auch den Gewerkschaften, da ihr Ansehen unter den Belegschaften wuchs.919 Auch die Rechte der Gewerkschaften sowie die auf Grundlage der Privatisierungsgesetze vorgeschriebene Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand wurden oftmals im Rahmen der Sozialvereinbarungen präzisiert oder ausgebaut.920 Die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung sowie der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer wurden an das jeweilige Unternehmen angepasst, konkretisiert oder zugunsten der Arbeitnehmer abgeändert.921 Dabei nutzten die Gewerkschaften oftmals ihre Rolle als Partei der Sozialvereinbarung 914 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70 f. 915 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 20 ff. 916 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 22. 917 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 29; vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 71; ausführlich zu den verschiedenen Regelungen Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 50 ff. 918 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 23. 919 Ebenda. 920 Näher hierzu unten Kapitel 3, A.I.2.c) sowie Kapitel 5, A.II.2.b). 921 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76; vgl. auch ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58, 71; zum Inhalt von Sozialvereinbarungen, die für einzelne Unternehmen abgeschlossen wurden, in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung siehe Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76 ff.; näher hierzu Kapitel 3, A.I.2.c).

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und ließen sich im Zuge der näheren Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung verschiedene Rechte einräumen.922 Am 2. April 1997 wurde die neue Polnische Verfassung923 verabschiedet. In Art. 20 erklärte die Verfassung die soziale Marktwirtschaft, basierend auf „unternehmerischer Freiheit, Privateigentum, Solidarität und dem Dialog und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern“, zur Grundlage der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung der Republik Polen.924 Abgesehen von der gesetzlich eingeführten Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG im Jahre 1996 und dem sich entwickelnden sozialen Dialog erfolgte längere Zeit keine weitere Entwicklung im Bereich der Arbeitnehmerpartizipation. Aus Sicht polnischer Autoren brachte das erste Jahrzehnt nach Beginn der wirtschaftlichen Transformationsprozesse keine Partizipationsform hervor, die der zuvor geltenden und langsam ihre Lebensgrundlage verlierenden Arbeitnehmerpartizipation in Gestalt der Selbstverwaltungen gleichkommen konnte.925 Das Thema Arbeitnehmerpartizipation war in den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Polen generell „unpopulär“: Nicht nur bei den Arbeitgebern stieß es auf breite Ablehnung, auch in Regierungs- und Gewerkschaftskreisen fand es wenig Zuspruch.926 Die im Laufe der 1990er Jahre abnehmenden Diskussionen und Publikationen zum Thema Arbeitnehmerpartizipation zeugten von einem allgemein immer schwächer werdenden Interesse.927 Sicherlich hatte auch die gewachsene Überzeugung, die Selbstverwaltungen hätten wichtige Reformen in den Unternehmen verhindern wollen, ihre Spuren auf der Zurückhaltung gegenüber sonstigen Formen der Arbeitnehmerpartizipation hinterlassen.928 Die tieferen Ursachen hierfür werden jedoch auf Seiten der Arbeitgeber und der Regierung vor allem in früheren Erfahrungen und der allgemeinen Abneigung gegenüber dem überwundenen sozialistischen System gesehen, mit welchem die Arbeitnehmerpartizipation assoziiert wurde.929 In der pol922

Näher hierzu unten Kapitel 3, A.I.2.c) und Kapitel 5, A.II.2.b). Polnische Verfassung vom 2. April 1997, Dz. U. 1997 Nr. 78 Pos. 483. 924 Art. 20 der Polnischen Verfassung: „Społeczna gospodarka rynkowa oparta na wolnos´ci działalnos´ci gospodarczej, własnos´ci prywatnej oraz solidarnos´ci, dialogu i współpracy partnerów społecznych stanowi podstawe˛ ustroju gospodarczego Rzeczypospolitej Polskiej.“, Übersetzung d. Verf. 925 So etwa Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7); in dieselbe Richtung auch Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41 f. 926 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5) („[. . .] jest to problematyka w Polsce niepopularna“, Übersetzung d. Verf.). 927 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7). 928 Vgl. Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (18). 929 So Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 923

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nischen Literatur wird darauf hingewiesen, dass insbesondere die Arbeitgeber mithilfe ihrer Zusammenarbeit in Arbeitgeberverbänden jegliche Initiativen zur Erweiterung der Arbeitnehmerpartizipation zu verhindern versucht hätten, da sie in diesen die Rückkehr zum alten System befürchteten.930 Die Arbeitnehmerbeteiligung hätten sie mit einer einseitigen Anspruchshaltung der Arbeitnehmer assoziiert, die aus ihrer Sicht in Verbindung mit der arbeitnehmerfreundlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung eine „existentielle Bedrohung“ darstellte.931 Die Gewerkschaften hingegen sahen andere Formen von Arbeitnehmerpartizipation als Konkurrenz, durch die sie sich in ihrer Monopolstellung bedroht fühlten.932 Neue Entwicklungen im Bereich der Arbeitnehmerpartizipation zeichneten sich erst Anfang des neuen Jahrtausends ab, was offensichtlich mit dem Beitritt Polens zur EU und der Anpassung des geltenden Rechts an die europäischen Vorgaben zusammenhing.933 5. Die Integration Polens in die EU Wie auch bei anderen postkommunistischen Staaten erforderte Polens angestrebter Beitritt zur Europäischen Union neben dem äußert zügigen Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch andere weitreichende Veränderungen, um die Anforderungen der EU zu erfüllen.934 Dabei stellte insbesondere auch die Annäherung der polnischen Gesetzgebung an das Europäische Recht eine wesentliche Bedingung für die wirtschaftliche Integration Polens in die Europäische Gemeinschaft dar.935 Seit Beginn der 1990er Jahre begann daher auch die Anpassung des polnischen Arbeitsrechts an die europäischen Standards. Dies waren neben den Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft auch solche des Europarates, allen voran die in der Europäischen Sozialcharta niedergelegten Standards.936 930

So Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161

(163). 931 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 102 f. („zagrozenie o charakterze wre˛cz egzys˙ tencjalnym“, Übersetzung d. Verf.). 932 Opalski, Rada nadzorcza, S. 103; Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5 f.). Näher hierzu unten Kapitel 5, A.II.2.a). 933 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (8). 934 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161). 935 Vgl. Art. 68 des im Dezember 1991 unterzeichneten Europa-Abkommens zwischen Polen und der Europäischen Gemeinschaft. Gemäß Art. 69 umfasste die Annäherung insbesondere den „Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz“. Ausführlich zur Anpassung des polnischen Arbeitsrechts Matey, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (63 ff.). 936 Matey, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (64).

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

In Bezug auf die Arbeitnehmerpartizipation zeigte sich der Einfluss des europäischen Rechts zunächst im Bereich des sozialen Dialogs. Die Förderung des sozialen Dialogs stellte in den 1990er Jahren ein Hauptanliegen der Europäischen Sozialpolitik dar.937 Die in Polen schrittweise voranschreitende Entstehung eines sozialen Dialogs korrespondierte daher mit dieser Entwicklung auf europäischer Ebene.938 Weitere gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der Arbeitnehmerpartizipation kamen jedoch erst mit der Umsetzung europäischer Richtlinien ins nationale Recht. So wurde noch vor der EU-Mitgliedschaft am 5. April 2002 das Gesetz über Europäische Betriebsräte939 verabschiedet. Am 4. März 2005 folgte das Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft940, am 7. April 2006 erging das Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer941 und 22. Juli 2006 das Gesetz über die Europäische Genossenschaft942. Schließlich wurde die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen943 durch Änderungsgesetz vom 25. April 2008944 sowie durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008945 ins polnische Recht umgesetzt. Mit Verabschiedung der genannten Gesetze rückte das polnische System der Arbeitnehmerpartizipation ein Stück näher an das in den westeuropäischen Ländern vorzufindende Bild der Arbeitnehmerbeteiligung. 946 937 Matey, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (78). 938 Zur Entwicklung des sozialen Dialogs in Polen oben Kapitel 2, A.II.4.d). 939 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. 940 Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 2005, Dz. U. 2005 Nr. 62 Pos. 551; ausführlich zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft unten Kapitel 4, B.I. 941 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 942 Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 2006, Dz. U. 2006 Nr. 149 Pos. 1077; näher zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Genossenschaft unten Kapitel 4, B.II. 943 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 310 vom 25. November 2005, S. 1–9. 944 Änderungsgesetz zum Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 524; näher hierzu unten Kapitel 4, C. 945 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung enstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 525. 946 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40.

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation Auch wenn teilweise behauptet wird, die deutsche Mitbestimmung entspringe „marxistischem Nährboden“, so kann ihr ideologischer Ansatz vielmehr in der christlichen Soziallehre gesehen werden.947 Fortschrittlich waren auch schon die angesichts der anlaufenden Industrialisierung und der damit einhergehenden sozialen Missstände entwickelten Sozialtheorien des Vormärz. In Polen erhielt die Arbeitnehmerbeteiligung eine ideologische Grundlage erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge des Aufbaus eines sozialistischen Staates.

I. Die Sozialtheorien des Vormärz Die ersten Sozialtheorien zur Arbeitnehmerbeteiligung entstanden in Deutschland sogar noch vor der tatsächlich einsetzenden Industrialisierung, als Reaktion auf die in England und Frankreich auftretenden sozialen Missstände der Fabrikarbeiter und die damit einhergehende „soziale Frage“.948 Wie derartige Missstände in Deutschland von vornherein vermieden werden könnten, wurde Gegenstand zahlreicher rechtstheoretischer Auseinandersetzungen in der Zeit des Vormärz. Nicht nur die tatsächlichen Erfahrungen, auch die englischen und französischen Theorien beeinflussten die deutsche Debatte.949 Gleichwohl entwickelte sich schon bald ein eigener deutscher Ansatz, der im Einklang mit der deutschen Philosophie das Menschenbild in den Vordergrund stellte und eine Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen in den Fabriken („Humanisierung der Fabrikbetriebe“) als Lösung für die Arbeiterfrage ansah.950 Die Arbeitnehmervertretung nahm eine zentrale Rolle in den Konzepten der Sozialreformer ein. Von Baader wollte den Arbeitern einen Rechtsanspruch auf Vertretung ihrer Interessen in den Standesversammlungen, Landtagen sowie auf verschiedenen Verwaltungsebenen (Distrikten, Provinzen, etc.) einräumen und hierdurch eine Integration der „heimatlos“ gewordenen Arbeiter in die Gesellschaft bewirken.951 Wohlwill postulierte die Einrichtung von Kommissionen, die mit Unternehmer- und Arbeitervertretern sowie neutralen, vom Staat benannten Mitgliedern besetzt sein sollten und die die widerstreitenden Interessen schlichten und „das gute Einverständnis“ sicherstellen sollten, wobei vor allem die Löhne verbindlich festgelegt werden sollten.952 Dagegen setzte von Mohl mehr 947

Stollreither, Mitbestimmung, S. 113 f. Näher oben Kapitel 2, A.I.1.a); eine ausführliche Darstellung der rechtspolitischen Diskussion findet sich bei Teuteberg, Geschichte, S. 2 ff. 949 Teuteberg, Geschichte, S. 2 f. 950 Teuteberg, Geschichte, S. 4 f. 951 Ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 13 ff. 952 Wohlwill, in: Aus der Büchersammlung von Gottfried Geffcken, Sammelband 22 des Hamburger StA, 1834, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 22 f. 948

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

auf eine Beteiligung Einzelner am Unternehmensgewinn953 als auf die „gesetzliche [. . .] Verbrüderung“ und „Organisation der Masse“ 954. Von Mohls Konzept fußte dabei auf der existenziellen Abhängigkeit des Fabrikarbeitern von dem Bestand des Betriebes, dem „natürliche[n] Gefühl des Wohlwollens und gemeinschaftlichen Interesses“ 955 und sozialethischen Aspekten.956 Die Gewinnbeteiligung sollte dem Gefühl der Ausbeutung unter den Arbeitern entgegenwirken, ferner das „Mißtrauen“ und die „Feindschaft“ zwischen dem Unternehmer und den Arbeitern beseitigen.957 Die individuellen Gewinnansprüche sollte ein Arbeiterausschuss ermitteln und verteilen, der darüber hinaus – unter strengster Vertraulichkeit – auch ein Kontrollrecht in Bezug auf die Gewinnermittlung des Unternehmers und ein Einsichtsrecht in die Bücher des Unternehmens haben sollte.958 Aus von Mohls Sicht war dagegen „eine demokratische Leitung von großen Gewerbeunternehmen [. . .] völliger Unsinn“.959 Fortschrittlich war auch ein Vorschlag Perthalers, der in den einzurichtenden Arbeiterausschüssen eine Form der fabrikinternen Sozialpartnerschaft sah, durch die Harmonie in den Betrieben und eine gesunde Betriebsorganisation hergestellt werden könne.960 Bereits in den Konzepten der Sozialtheoretiker des Vormärz klangen so schon Ansätze für eine Kooperation und Partnerschaft zwischen dem Unternehmensinhaber und der Belegschaft an, die durch eine Arbeitnehmervertretung sichergestellt werden könnte. Auch dem in der Paulskirche 1848 eingebrachten Minoritäts-Gegenentwurf als dem ersten deutschen Gesetzesentwurf für eine institutionelle Arbeitnehmervertretung in den Betrieben lag der Kooperationsansatz zugrunde. Der einen „prinzipiellen Interessengegensatz“ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ablehnende und vielmehr von einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ ausgehende Minoritäts-Gegenentwurf 961 wird daher auch als Anfang des deutschen Mitbestimmungssystems und Vorreiter des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes betrachtet962.

953

Näher Teuteberg, Geschichte, S. 26. von Mohl, in: Archiv der politischen Ökonomie und Polizeiwissenschaft, Bd. 2, H. 2, 1835, S. 190, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 16. 955 von Mohl, in: Archiv der politischen Ökonomie und Polizeiwissenschaft, Bd. 2, H. 2, 1835, S. 173, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 26. 956 Teuteberg, Geschichte, S. 25 f. 957 von Mohl, in: Archiv der politischen Ökonomie und Polizeiwissenschaft, Bd. 2, H. 2, 1835, S. 179, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 26. 958 Teuteberg, Geschichte, S. 26. 959 von Mohl, in: Deutsche Vierteljahreszeitschrift, H. 3, 1840, S. 65, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 27. 960 Teuteberg, Geschichte, S. 36 ff. 961 Teuteberg, Geschichte, S. 111. 962 Vgl. etwa Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1; Teuteberg, Geschichte, S. 111; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15. 954

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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Die Theorien und Konzepte des 19. Jahrhunderts zeigen, dass in der deutschen Debatte Bemühungen um eine „Humanisierung der Arbeitsbedingungen“ und der Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern anstelle eines grundsätzlichen Interessengegensatzes schon früh entstanden waren und in besonderem Maße die deutschen Theorien zur Lösung der Fabrikarbeiterfrage auszeichneten. Die Ansätze lassen sich bis heute in der Ausgestaltung und Begründung der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung wiederfinden. Gleichzeitig entwickelte sich im 19. Jahrhundert auch die Idee, die soziale Frage durch „Assoziationen“ zu überwinden963 – im Kern also Vereinigungen von Arbeitern zwecks gemeinsamer Interessenvertretung, die durchaus auch als Vorläufer der heutigen Gewerkschaften gesehen werden können.964

II. Marxismus und Sozialismus Nach der marxistischen Ideologie führt die Lohnarbeit im kapitalistischen System zu einer „Entfremdung der Arbeit“, mit der nicht nur die Beherrschung und Ausbeutung des Arbeiters durch die Kapitalisten965, sondern gleichzeitig die Entfremdung des Menschen in der Gesellschaft966 einhergeht.967 In wirtschaftspolitischer Hinsicht war die Abschaffung des Privateigentums Kernforderung der marxistischen Ideologie.968 Die „Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung“ bewirke eine „wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen“ und eine „Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d. h. menschlichen Menschen“.969 In diesem Sinne begreift sich der Kommunismus als „vollendeter Naturalismus“ und „Humanismus“.970 Anders als in der kapitalistischen Gesellschaft, wo die Arbeit das Kapital der Bourgeoisie mehre, sollte die Arbeit in einer kommunistischen Gesellschaft ein Mittel sein, um „den Lebensprozeß der Arbeiter zu erweitern, zu 963

Ausführlich hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 5 ff. Vgl. Richardi, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 1, § 2 Rn. 16. 965 Vgl. Marx, Das Kapital, S. 596; Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte: Die entfremdete Arbeit, S. 510 ff. 966 Vgl. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte: Privateigentum und Kommunismus, S. 533 ff. 967 Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. Eine ausführliche Darstellung der Grundlagen der marxistischen Lehre bietet Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 220 ff.; vgl. auch die Ausführungen bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 62 ff. 968 Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 475 ff.; näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 220 ff., 238 f. 969 Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte: Privateigentum und Kommunismus, S. 536. 970 Ebenda. 964

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

bereichern, zu befördern“.971 Der Sozialismus wurde als notwendige Vorstufe während des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus gesehen, die sich durch eine Vergesellschaftung des Privateigentums auszeichnete. In der Bundesrepublik Deutschland konnten sich radikale sozialistische oder kommunistische Ansätze nicht durchsetzen, beeinflussten jedoch die Entwicklung des Arbeitsrechts. Die auch in Deutschland bzw. der Bundesrepublik nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auftretenden sozialistischen Tendenzen, es sei etwa die Rätebewegung nach dem Ersten Weltkrieg und die von vielen Gruppen – so anfangs auch vehement von den Gewerkschaften – mitgetragenen Bestrebungen nach einer Vergemeinschaftung von Schlüsselindustrien nach dem Zweiten Weltkrieg genannt, wurden zwar recht schnell wieder eingedämmt.972 Gleichwohl hinterließen diese Tendenzen ihre Spuren auf der Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts und der Arbeitnehmermitbestimmung. Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg schlug sich der Rätegedanke in der Weimarer Verfassung und in der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes von 1920 nieder, wenngleich die gesetzliche Regelung nur noch sehr beschränkt den ursprünglichen Rätegedanken wiedergab.973 Mit den Zugeständnissen zur Mitbestimmung versuchte man damals der radikalen Rätebewegung Einhalt zu gebieten. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten vor allem die Amerikaner dafür, dass der Wiederaufbau Deutschlands auf kapitalistischer Grundlage erfolgte. Forderungen nach einer Vergemeinschaftung von Schlüsselindustrien konnten sich daher letztlich nicht durchsetzen. Allerdings wurde von breiten Kreisen der Politik die Arbeitnehmerbeteiligung als sozialpolitisches Element anerkannt und fand so Eingang in die Parteiprogramme. Dagegen hatte in Polen die neue politische Führung nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Aufbau eines sozialistischen Staates, der auf der marxistischen Ideologie beruhte, und einer damit einhergehenden Vergemeinschaftung von Betriebs- und Produktionsmitteln974 nach dem Grundsatz des „demokratischen Zentralismus“ begonnen.975 Der Verstaatlichung der wichtigsten Wirtschaftszweige lag der theoretische Ansatz zugrunde, dass das Eigentum an den Betriebs- und Produktionsmitteln der gesamten Bevölkerung zustehen sollte, was durch Um971

Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 476. Vgl. näher zur Rätebewegung in der Weimarer Republik oben Kapitel 2, A.I.1.c) sowie zu den Konzepten nach dem Zweiten Weltkrieg oben Kapitel 2, A.I.2.a). 973 Vgl. Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 24; Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 144 sprechen von einer „rechtlichen Entmachtung der Räte“; ebenso Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 144 („nur noch eine Karikatur des revolutionären Rätegedankens“). Näher oben Kapitel 2, A.I.1.c). 974 Näher hierzu Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 31 Rn. 8; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. Zur Verstaatlichung einzelner Wirtschaftszweige oben Kapitel 2, A.II.2. 975 Näher Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17, 19. 972

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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wandlung des Privateigentums in Volkseigentum (staatliches Eigentum) gewährleistet werde.976 Das Volkseigentum sollte indes vom Staat im Namen und Interesse der Bevölkerung verwaltet werden, da die Bevölkerung als Gesamtheit hierzu nicht in der Lage war.977 Insbesondere gehörte daher die Organisation der Produktionsprozesse zur staatlichen Hoheit, was sich entsprechend in der Zentralverwaltungswirtschaft niederschlug.978 Dabei wurde die gesamte Volkswirtschaft als ein „einheitlicher Organismus“ verstanden, innerhalb dessen die Entscheidungen vom Zentrum getroffen und von den einzelnen Wirtschaftssubjekten lediglich ausgeführt wurden.979 Da die Betriebs- und Produktionsmittel im Volkseigentum standen, hatten die einzelnen Wirtschaftssubjekte an den von ihnen verwalteten Teilen des Volkseigentums keine eigenen Rechte.980 Seine theoretische Grundlage hatte das Modell in einem Konzept von A. W. Wieniediktow über das „einheitliche Staatseigentum“, welches in allen – mit Ausnahme von Jugoslawien – sozialistischen Staaten angenommen wurde.981 Gesetzlich schlug es sich vor allem in dem speziellen Rechtssubjekt des Staatsunternehmens und dessen Ausgestaltung auf Grundlage des Dekrets über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950982 nieder.983 Die Arbeitnehmerpartizipation stellte ein tragendes Element des Sozialismus dar, sie wurde als Ausfluss der Volksherrschaft und der führenden Rolle der Arbeiterklasse – die sich mittels der Arbeitnehmerpartizipation sogar in einem so wichtigen Bereich wie der Volkswirtschaft zeigte – betrachtet.984 Die marxistische Lehre galt dabei in Polen als tragende ideologische Grundlage für die Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung; andere Ideologien wie etwa die katholischen Soziallehren und andere nicht-marxistische Sozialtheorien wurden dagegen ausgeblendet.985 Die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung der Staatsunternehmen sollte gewährleisten, dass das Volkseigentum im Namen und im Interesse der arbeitenden Bevölkerung genutzt wird und damit den gemeinschaftlichen Charakter des Volkseigentums widerspiegeln.986 Wie auch in 976

Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 19. Ebenda. 978 Ebenda. 979 Ebenda. 980 Ebenda. 981 Näher hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 19 f. („[. . .] w koncepcji A. W. Wieniediktowa jednolitej własnos´ci pan´stwowej“, Übersetzung d. Verf.). 982 Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, Dz. U. 1950 Nr. 49 Pos. 439. 983 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. 984 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21 m.w. N.; vgl. auch Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). 985 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17 f. 986 Ebenda. 977

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

anderen sozialistischen Staaten war die Arbeitnehmerpartizipation in Polen somit ein wesentliches Prinzip der sozialistischen Ideologie, welches stark mit dem Grundsatz der Volksherrschaft, dem Volkseigentum sowie dem demokratischen Zentralismus zusammenhing.987 Daneben diente auch die leninistische Lehre vom Absterben des Staates988 als ideologische Grundlage der Arbeitnehmerbeteiligung.989 Doch auch wenn die Arbeitnehmerpartizipation nach der ideologischen Konzeption dem sozialistischen System immanent sein sollte, so konnte kaum von einer wahrhaftigen Arbeitnehmerpartizipation während des realen Sozialismus gesprochen werden.990 Die politische Diktatur und die zentrale Wirtschaftslenkung ließen von vornherein keinen Raum für demokratische Strukturen einer Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung.991 Ra˛czka992 kritisiert, dass die Anhänger der marxistischen Lehre nur sehr einseitig die „pro-partizipativen“ Elemente der Ideologie betonten, dagegen aber diejenigen Elemente ausblendeten, die zur Entstehung einer Diktatur und eines zentralen Wirtschaftssystem führten. Dabei seien es gerade diese Elemente gewesen, die abgesehen von Jugoslawien die sozialistischen Staaten prägten und die letztlich die Entwicklung einer authentischen Arbeitnehmerbeteiligung, die den Arbeitnehmern tatsächliche Einflussmöglichkeiten eröffnet hätte, verhinderten. Rudolf993 hebt dagegen hervor, dass die Propaganda zwar die Arbeiter als die regierende und wichtigste Gruppe in der Bevölkerung darstellte, sie in Wahrheit jedoch Manipulationen von Seiten der Machtinhaber ausgesetzt waren. Die Verfassung als sozialistischer Staat und die ideologische Verankerung im Marxismus wirkten sich auf das gesamte Arbeitsrecht und die kollektiven Arbeitsbeziehungen aus. Wesentlich war hier insbesondere, dass der Staat in weiten Bereichen der Wirtschaft die Rolle des Arbeitgebers einnahm und damit die privaten Unternehmer verdrängte.994 Nicht nur gab es aus diesem Grund keinerlei Arbeitgeberorganisationen und rechtliche Rahmenbedingungen für ihre Tätig-

987

Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. Leninistische Schrift „Staat und Revolution“ von 1917. 989 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. 990 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35 f.; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161). 991 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32 f., 35 f.; ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.2. 992 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. 993 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161). 994 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41, 49; ausführlich zur Situation der polnischen Arbeitgeber zu Zeiten des realen Sozialismus und zur Arbeitgeberrolle des Staates vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 56 ff., 63 ff.; vgl. hierzu auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (89 f.). 988

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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keit.995 Der in der sozialistischen Wirtschaft geltende Grundsatz der Konfliktlosigkeit996 führte dazu, dass die bestehenden Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts, allen voran Gewerkschaften und betriebliche Arbeitnehmervertretungen, zunehmend ihrer schützenden und demokratischen Merkmale entkleidet wurden.997 Vielmehr wurden sowohl die Gewerkschaften als auch die betrieblichen Arbeitnehmervertretungen in die zentral gesteuerten Wirtschaftsstrukturen eingebettet und damit letztlich auch der führenden Arbeiterpartei unterstellt, womit sie jegliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit verloren.998 Der Begriff des kollektiven Arbeitsrechts war schließlich vollständig aus der polnischen Literatur und Rechtswissenschaft verschwunden.999 Nach dem Umbruch 1989 erfolgte eine sehr eindeutige Abkehr vom kommunistischen Gedankengut. So wurden bereits Ende des Jahres 1989 die in der polnischen Verfassung enthaltenen Formulierungen, die auf die führende Rolle der Arbeiterpartei, die Planwirtschaft und das sozialistische System sowie die Freundschaft zur Sowjetunion hindeuteten, aus dem Verfassungstext gestrichen.1000 Polen wurde wieder als „Rzeczpospolita“ bezeichnet und zum „demokratischen Rechtsstaat“ erklärt (vgl. Art. 1 des Verfassungsänderungsgesetzes vom 29. Dezember 1989).

III. Katholische und evangelische Soziallehre Sowohl in Deutschland als auch in Polen wurde die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung von den sozialethischen Lehren der Kirche beeinflusst. Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen war jedoch der Spielraum der Kirchen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die katholische Soziallehre gründete auf dem Gedanken einer „sozialen Partnerschaft“ 1001 als einer auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt, Ehrlichkeit und 995

Gładoch, Dialog społeczny, S. 58. Es wurde gemeinhin nicht von einem Gegensatz, sondern vielmehr von einem Gleichlauf der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgegangen; vgl. hierzu Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 49. 997 Vgl. C ´ wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10 f.). 998 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161); ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.2. 999 C ´ wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137. 1000 Vgl. das Verfassungsänderungsgesetz vom 29. Dezember 1989, Dz. U. 1989 Nr. 75 Pos. 444; Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 31. 1001 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 249. 996

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Wohlwollen beruhenden Gemeinschaft und Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und war damit von ihrem Ansatz her immer eine „Harmonielehre“ 1002.1003 Sie betonte die Würde des Menschen und die ihm unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung zustehenden Rechte.1004 Die katholische Kirche forderte ein staatliches Eingreifen zum Schutz der sozial Schwachen und kämpfte dadurch mit ihrem Standpunkt sowohl gegen den Liberalismus, der staatliche Korrekturen ablehnte, als auch gegen den Marxismus, der die Verstaatlichung sämtlicher Produktions- und Betriebsmittel forderte.1005 Die Grundlagen der katholischen Soziallehre entstanden im 19. Jahrhundert.1006 In päpstlichen Enzykliken (Rundschreiben)1007 wurden seit 1832 zunehmend auch soziale und politische Fragen behandelt.1008 Ausführlich mit der Arbeiterfrage beschäftigte sich erstmals die 1891 erschienene Enzyklika „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII.1009 Dabei befasste sich der Papst eingehend mit der Berechtigung des Privateigentums, den Lösungsansätzen des Sozialismus und dem „Verhältnis zwischen der besitzenden und der unvermögenden, arbeitenden Klasse“ 1010, kurzum dem Verhältnis von Kapital und Arbeit. Papst Leo XIII. widersetzte sich dem Sozialismus, der aus seiner Sicht die Arbeiterfrage nicht lösen könne, dagegen sowohl der Arbeiterklasse selbst als auch dem Staat schade.1011 Die Sozialisten entzögen den Arbeitern das Recht, ihren erarbeiteten Lohn „nach Gutdünken anzulegen“ und „rauben ihnen eben dadurch die Aussicht und Fähigkeit, ihr kleines Vermögen zu vergrößern und sich durch Fleiß zu einer besseren Stellung emporzuringen“.1012 Das Privateigentum erachtete Papst Leo XIII. hingegen als ein natürliches Recht des Menschen, welches unangetastet bleiben müsse.1013 Für selbstverständlich erachtete er: „Wie die Wirkung ihrer Ursache folgt, so folgt die Frucht der Arbeit als rechtmäßiges Eigen-

1002

Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 253. Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 249 f. m.w. N., S. 254. Zum Ausdruck kommt der Harmoniegedanke etwa bei Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 15. 1004 Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (356). 1005 Stollreither, Mitbestimmung, S. 54 m.w. N. 1006 Stollreither, Mitbestimmung, S. 52. 1007 Zur Bedeutung von Enzykliken allgemein Stollreither, Mitbestimmung, S. 52. 1008 Als erste berührte die Enzyklika „Mirari vos“ von Papst Gregor XVI. im Jahre 1832 soziale und politische Fragen, Stollreither, Mitbestimmung, S. 53. 1009 Stollreither, Mitbestimmung, S. 54; v. Nell-Breuning, in: Leo XIII./Pius XI., Die sozialen Enzykliken, Einführung, S. IV. 1010 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 15. 1011 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 3. 1012 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 4. 1013 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 4, 12. 1003

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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tum demjenigen, der die Arbeit vollzogen hat.“ 1014 Dagegen gleiche der Entzug von Privateigentum einem „Raub [. . .] an dem, was durch die Arbeit erworben ist“.1015 Nicht zuletzt warnte Papst Leo XIII. auch vor den Konsequenzen des Sozialismus: „Mit dem Wegfalle des Spornes zu Strebsamkeit und Fleiß würden auch die Quellen des Wohlstandes versiegen. Aus der eingebildeten Gleichheit aller würde nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung für alle.“ 1016 Vielmehr sprach sich Papst Leo XIII. ausdrücklich dafür aus, dass „diesen niederen Klassen Antrieb gegeben wird, bei Fleiß und Anstrengung zu einem kleinen Grundbesitz zu gelangen“.1017 Nicht nur würden sich hierdurch die Unternehmer und Arbeiter langsam annähern und die Kluft zwischen Wohlstand und Elend schwinden, auch fördere das „Bewusstsein, auf Eigentum zu arbeiten“, mithin durch fleißige Arbeit Privateigentum zu erwerben, die Motivation der Arbeitnehmer.1018 In seinen Ausführungen zum Verhältnis von Kapital und Arbeit betonte Papst Leo XIII. die Notwendigkeit einer Kooperation zwischen den Unternehmensinhabern und Arbeitnehmern („Die eine hat die andere durchaus notwendig. So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen.“); sie müssten in „einträchtiger Beziehung“ – nicht im Kampf – zueinander stehen.1019 Im Hinblick auf die Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betonte er unter anderem die gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme.1020 Ausdrücklich befürwortete Papst Leo XIII. die Bildung von Arbeitnehmervereinigungen zwecks gemeinschaftlicher Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber, die vom Staat unterstützt und nicht – wie oft geschehen – verboten werden sollte.1021 Anlässlich des 40. Jubiläums des „Rerum novarum“ griff Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Quadragesimo anno“ aus dem Jahr 1931 die Gedanken von Papst Leo XIII. erneut auf.1022 Nach Papst Pius XI. sollte die neue gesellschaftliche Ordnung auf Körperschaften beruhen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Zwecke des Gemeinwohls zusammenwirken sollten.1023 Ferner befür1014

Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 8. Ebenda. 1016 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 12. 1017 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 35. 1018 „Denn bei dem Bewußtsein, auf Eigentum zu arbeiten, arbeitet man ohne Zweifel mit größter Betriebsamkeit und Hingabe“, Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 35. 1019 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 15. 1020 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 16 f. 1021 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 34, 36 ff. 1022 Ausführlich hierzu Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (359 ff.); Stollreither, Mitbestimmung, S. 55 ff. 1023 Pius XI., Quadragesimo anno, Nr. 81 ff.; vgl. hierzu auch Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (360); Stollreither, Mitbestimmung, S. 58. 1015

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

wortete Papst Pius XI. eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer sowie auch den „Mitbesitz“ und die „Mitverwaltung“ durch Arbeitnehmer.1024 In der Enzyklika kommt somit nicht nur der Gedanke der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Ausdruck, auch scheint die Kirche die Idee der Mitbestimmung aufgegriffen zu haben.1025 Mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen setzt sich erstmalig Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Mater et Magistra“ aus dem Jahre 1961 auseinander.1026 Dabei hebt Papst Johannes XXIII. zunächst das in der menschlichen Natur angelegte „Bedürfnis [. . .], daß, wer produktive Arbeit tut, auch in der Lage sei, den Gang der Dinge mitzubestimmen und durch seine Arbeit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gelangen“ hervor.1027 Nach Papst Johannes XXIII. forderten „die Arbeiter mit Recht aktive Teilnahme am Leben des sie beschäftigenden Unternehmens“, ohne hierbei allgemeingültige Vorschläge für eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der „Gestaltung der Angelegenheiten ihres Unternehmens“ unterbreiten zu wollen.1028 Allerdings dürfe es nicht sein, dass „wer Tag für Tag in ihm arbeitet, als bloßer Untertan zu betrachten ist, dazu bestimmt, stummer Befehlsempfänger zu sein, ohne das Recht, eigene Wünsche und Erfahrungen anzubringen“.1029 Papst Johannes XXIII. hob dabei sowohl die Notwendigkeit einer von gegenseitigem Respekt und Wohlwollen geprägten Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als auch das in der Natur des Menschen angelegte Verantwortungsbewusstsein hervor.1030 Darüber hinaus sei „heute besonders zu wünschen, daß die Arbeiter in geeigneter Weise in Mitbesitz an ihrem Unternehmen hineinwachsen“ 1031, womit eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital und Unternehmensgewinn anklingt1032. Gleichzeitig stellte Papst Johannes XXIII. auch klar, dass in der Wirtschaft der Eigeninitiative des Einzelnen oder einer Interessengemeinschaft der Vorrang vor staatlichem Eingriff gebühre.1033 Zur Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung äußerte sich die katholische Kirche sodann auch in dem zweiten Vatikanischen Konzil von

1024

Pius XI., Quadragesimo anno, Nr. 56 ff., 65. Vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 57 f.; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 246. 1026 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 247. 1027 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 82. 1028 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 91. 1029 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 92. 1030 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 92 f. 1031 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 77. 1032 So auch Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (361). 1033 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 51 f. 1025

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1967.1034 Darin sprach sich die katholische Kirche ausdrücklich dafür aus, „unter Bedachtnahme auf die besonderen Funktionen der einzelnen, sei es der Eigentümer, der Arbeitgeber, der leitenden oder der ausführenden Kräfte, und unbeschadet der erforderlichen einheitlichen Werkleitung die aktive Beteiligung aller [. . .] an der Unternehmensgestaltung voran[zu]bringen“.1035 Allerdings sei „die geeignete Art und Weise der Verwirklichung [. . .] näher zu bestimmen.“ 1036 Von besonderer Bedeutung für die katholische Soziallehre war schließlich auch die Enzyklika von Papst Johannes Paul II. „Laborem Exercens“ aus dem Jahre 1981, die sich ausführlich mit der menschlichen Arbeit auseinandersetzte.1037 Papst Johannes Paul II. wies darin auf den Vorrang der Arbeit gegenüber dem Kapital hin, womit er jedoch in erster Linie „den Primat des Menschen im Produktionsprozeß, den Primat des Menschen gegenüber den Dingen“ meinte, da sämtliche Produktionsmittel – das „Kapital“ – nur durch die Arbeit entstünden.1038 Gleichwohl erfordere „die Anerkennung der richtig verstandenen Stellung der Arbeit und des arbeitenden Menschen im Produktionsprozeß“ entsprechende Berücksichtigung bei den Eigentumsverhältnissen, Papst Johannes Paul II. erwähnt in diesem Zusammenhang das „Miteigentum an den Produktionsmitteln, die Mitbestimmung, die Gewinnbeteiligung, die Arbeitnehmeraktien und ähnliches“.1039 In seinen weiteren Enzykliken kritisierte Papst Johannes Paul II. die Beschränkung der Eigentumsfreiheit und hob die Rolle der Gewerkschaften als Institution der Arbeitnehmervertretung hervor.1040 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die soziale Frage zunehmend auch in Kreisen der evangelischen Kirche diskutiert.1041 1924 beschloss der Deutsche Evangelische Kirchentag eine „soziale Botschaft der evangelischen Kirche“, in der die evangelische Kirche ihren Willen bekräftigte, sich neben ihren Aufgaben im Bereich der Seel- und Fürsorge auch mit sozialen Themen zu beschäftigen.1042 Eine dezidierte Auseinandersetzung der evangelischen Kirche mit gesell-

1034 Stollreither, Mitbestimmung, S. 52; vgl. auch Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 248. 1035 II. Vatikanum, zitiert nach Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 249. 1036 Ebenda. 1037 Näher hierzu Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (362 f.); vgl. auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (226 f.). 1038 Johannes Paul II., Laborem exercens, Nr. 12. Vgl. hierzu auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (226 f.). 1039 Johannes Paul II., Laborem exercens, Nr. 14. 1040 Näher Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (364). 1041 Näher hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 60. 1042 Stollreither, Mitbestimmung, S. 61.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

schaftspolitischen Fragen erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung.1043 Beruhend auf dem Konzept einer „verantwortlichen Gesellschaft“ forderte die evangelische Sozialethik eine verantwortungsbewusste Ausübung der wirtschaftlichen Macht gegenüber denjenigen, die von dieser Macht abhängig sind.1044 Zu verwirklichen sei dies durch eine „Demokratisierung der Institutionen in ihrem inneren Gefüge“, was „das mitbestimmende, geordnete Teilhaben der in die jeweiligen Institutionen eingefügten Menschen an ihrer Leitung und Verantwortung“ bedeute und in der Konsequenz zu einer „Humanisierung“ der Institutionen führe.1045 Sinn der Mitbestimmung läge darin, das „bloße Lohnarbeitsverhältnis zu überwinden und den Arbeiter als Mensch und Mitarbeiter ernst zu nehmen“.1046 Ausführlich mit der Mitbestimmung beschäftigte sich die Studie der „Kammer für soziale Ordnung“ aus dem Jahre 1968.1047 Ausgehend von der Annahme, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln zu einer der Menschenwürde widersprechenden Ausübung von Macht über die abhängigen Lohnarbeiter führen könne, erläuterte die Studie die Vorteile der Mitverantwortung, beleuchtete jedoch gleichzeitig auch die drohenden Konsequenzen einer zu weitgehenden Mitbestimmung.1048 Die Lehren der katholischen und evangelischen Kirche flossen wesentlich in die Diskussion um die deutsche Mitbestimmung ein. Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche traten schon früh nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Unternehmern und Arbeitnehmern zusammen und diskutierten die Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft.1049 Auch an der Mitbestimmungsdebatte der 1960er und 1970er Jahre beteiligten sich die Kirchen mit eigenen Vorschlägen.1050 Aufgrund ihrer großen Bedeutung stellen die katholischen und evangelischen Lehren eine sehr bedeutsame „geistige Wurzel der Mitbestimmungsidee“ 1051 in Deutschland dar. In Polen war die katholische Kirche über Jahrhunderte hinweg ein prägendes Element der polnischen Kultur und der polnischen Werteordnung.1052 Vor allem 1043 Stollreither, Mitbestimmung, S. 61; näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 260 f. 1044 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 260 f. m.w. N. 1045 Wendland, in: Zeitschrift für evangelische Ethik, 1965, S. 11, zitiert nach Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 261. 1046 Rat der EKD, Sozialethische Erwägungen zur Mitbestimmung in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland – Eine Studie der Kammer für soziale Ordnung, 1968, These 1, zitiert nach Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 261 m.w. N. 1047 Näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 262 ff. 1048 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 262 ff. m.w. N. 1049 Näher Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 33. 1050 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 266. 1051 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 7. 1052 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 170 m.w. N.

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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nach dem Verlust der staatlichen Souveränität im Jahre 1795 und der darauffolgenden Herrschaft der Besatzungsmächte Preußen, Österreich und Russland war die katholische Kirche ein Anker und Bezugspunkt der polnischen nationalen Identität.1053 Diese historisch gewachsene Verbundenheit verhinderte die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Bestrebungen der neuen atheistischen Regierung, den gesellschaftlichen Einfluss der Kirche zu schmälern, und ermöglichte der Kirche die Zusicherung weitgehender – im gesamten Ostblock einmaliger – Rechte.1054 Dank ihrer geschickten Strategie, als neutraler Gesprächspartner der sozialistischen Regierung zu agieren, schaffte sich die Kirche Freiräume und etablierte sich so insgeheim nach und nach als „kulturelle Widerstandskraft“ und „De-facto-Opposition“, die – getragen vom Vertrauen der Gesellschaft als die „einzig glaubwürdige Institution“ während des sozialistischen Systems – die Interessen der Bevölkerung wahrzunehmen versuchte.1055 Die Ideen der katholischen Soziallehre wurden in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg unterstützt von Vertretern des sog. „gesellschaftlichen Solidarismus“ 1056, die eine Beschränkung des Eigentums zum Wohle der Gemeinschaft forderten.1057 Im Solidarismus wurzelt die Auffassung, dass die Arbeitnehmereigenschaft als solche das Recht zur Beteiligung am Unternehmenseigentum begründe.1058 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch die Arbeitnehmerbeteiligung auf die marxistische Ideologie gestützt, die katholischen Lehren hingegen als ideologische Grundlage ausgeblendet.1059 Trotz der führenden marxistischen Ideologie gelang es der katholische Kirche jedoch, die Grundsätze der katholischen Soziallehre in der Öffentlichkeit zu verbreiten und diverse Schriften hierzu zu publizieren.1060 Eine wichtige Rolle spielten hierbei die päpstlichen Enzykliken und andere Dokumente des Vatikans und die darin enthaltenen Aussagen zur menschlichen Arbeit, die von den polnischen Vertretern der katholischen Soziallehre1061 aufgegriffen wurden und als Anregung dienten, die Bedeutung der Arbeit für den Ein1053

Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 170 m.w. N. Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 171 m.w. N. 1055 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 172 m.w. N. 1056 „solidaryzm społeczny“, vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 42. 1057 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 42; als größter Vertreter in Polen galt damals Leonard Caro. 1058 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (231); dies., Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 42. 1059 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17 f. 1060 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 172 f. m.w. N. Dies war im Wesentlichen der Verdienst von Kardinal Stefan Wyszyn´ski, Stegemann, a. a. O., S. 172. 1061 So insbesondere Czesław Strzeszewski, vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 173. 1054

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

zelnen und die Gesellschaft und die hierfür unabdingbare Achtung der Menschenrechte durch den Staat hervorzuheben.1062 Mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. traten die Lehren der polnischen Kirche nach 1978 immer offener zutage.1063 Die katholische Kirche sprach sich fortan deutlich für die Koalitionsfreiheit und unabhängige Gewerkschaftsorganisationen aus.1064 Von wesentlicher Bedeutung für die Sozialtheoretiker war auch, dass die Gewerkschaften die Einbindung der Belegschaften in die Entscheidungen in den Betrieben förderten und so die Partizipationsfunktion in den Betrieben ausfüllten.1065 Im Vordergrund stand ferner die Entwicklung eines sozialen Dialogs zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie die Konfliktlösung durch Verhandlungen und Zusammenarbeit.1066 Mit Papst Johannes Paul II. und seinen deutlichen Predigten, in denen er unter anderem auf die Würde des Menschen, die wichtige Stellung der Arbeit für die Selbstverwirklichung der Menschen sowie die Rolle des Staates bei der Beachtung der Menschenrechte hinwies, bestärkte die katholische Kirche die polnische Gesellschaft darin, ihre Rechte gegen den Staat durchzusetzen, und trug so wesentlich zu den gesellschaftlichen Bewegungen Anfang der 1980er Jahre bei.1067 Die Kirche sympathisierte und unterstützte die NSZZ „Solidarnos´c´ “, war aber nach außen hin um die Wahrung ihrer neutralen Stellung und ihrer Funktion als Gesprächspartner der sozialistischen Regierung bemüht.1068 Die Unruhen zu Beginn der 1980er Jahren versuchte sie mit Blick auf den gesellschaftlichen Frieden zu besänftigen und nahm hierbei eine Vermittlerrolle zwischen der Regierung und der Solidarnos´c´-Bewegung ein, die sich auch nach Verhängung des Kriegszustandes fortsetzte.1069 Schlussendlich nahm die katholische Kirche auch während der Gespräche des Runden Tisches im Jahr 1989 eine äußert wichtige Vermittlerfunktion wahr, womit sie maßgeblich zum erzielten Kompromiss beitrug.1070

1062 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 173 m.w. N. 1063 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 174. 1064 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 174; Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 17. 1065 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 175 m.w. N. 1066 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 175 f. 1067 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 177 f. m.w. N. 1068 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 179. 1069 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 182 ff. 1070 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 186 m.w. N.

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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IV. Liberalismus Nach den altliberalen Theorien des 17. und 18. Jahrhunderts, für die das „freie Individuum“ an oberster Stelle stand, beruhte die Gesellschaftsordnung auf einem natürlichen Ausgleich der individuellen Interessen und dem „freie[n] Spiel der Kräfte“, ohne dass es korrigierender staatlicher Eingriffe oder die gesamte Gesellschaft erfassender Ordnungsprinzipien bedürfe.1071 Die Wirtschaftsordnung folge danach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten: Angebot und Nachfrage führten unreglementiert zur besten Preisfindung und effektivsten Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel, da allein das Eigeninteresse des Einzelnen, am allgemeinen Wohlstand teilzuhaben, den nötigen Ansporn zur Steigerung der Produktivität liefere.1072 Der altliberale Ansatz wurde von den neo- bzw. ordoliberalen Theorien modifiziert. Diese fußen zwar nach wie vor auf dem freien Wettbewerb und dem Wohlfahrtsstreben des Individuums, erachten aber die staatsseitige Herstellung eines Ordnungsrahmens durch eine Wirtschaftsordnung für notwendig, um Fehlentwicklungen des kapitalistischen Systems zu verhindern.1073 Nach den Vorstellungen der Neoliberalen gehören unter anderem Privateigentum, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, Preiskonkurrenz und Währungsstabilität zu den tragenden Prinzipien der Wirtschaftsordnung.1074 Daneben gibt es einige notwendige, korrigierende Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik, zu denen u. a. die Monopolkontrolle und Arbeitsschutzmaßnahmen zählen.1075 Dem neoliberalen Ansatz entspricht im Wesentlichen die seit 1949 in Westdeutschland bestehende soziale Marktwirtschaft.1076 Im Rahmen der Diskussionen um die deutsche Mitbestimmung wurde in neoliberalen Kreisen zwar eine beratende Mitwirkung der Arbeitnehmer sogar als Bereicherung für unternehmerische Entscheidungen empfunden, eine paritätische Mitbestimmung jedoch entschieden abgelehnt.1077 In Polen kam dem neoliberalen Ansatz in der Umbruchphase der 1989/1990er Jahre eine entscheidende Bedeutung zu. Die verantwortlichen Wirtschaftsreformatoren waren inspiriert von einer neoliberalen Wirtschaftsdoktrin.1078 So beruhte auch der Balcerowicz-Plan, mit dem zum 1. Januar 1990 eine grundlegende Wirtschaftsreform in Polen eingeleitet und eine schnelle und großflächige 1071

Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 180. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 180 f. 1073 Ausführlich Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 181 ff. 1074 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 183. 1075 Ebenda. 1076 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 182. 1077 Ausführlich hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 190 ff. 1078 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 1072

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Privatisierung bezweckt wurde, auf neoliberalen Konzepten.1079 Auch die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Privatisierungsgesetzen hat – mag sie auch auf die Forderungen der Selbstverwaltungsbewegung zurückzuführen sein – letztlich ihre Grundlage in dem liberalen Ansatz der Wirtschaftsreformatoren, der sich gegenüber den Selbstverwaltungskonzepten durchsetzen konnte.1080

V. Selbstverwaltungskonzepte In der polnischen Rechtsgeschichte der Nachkriegszeit spielten Arbeitnehmerselbstverwaltungsmodelle eine entscheidende Rolle. Die Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde zu einem „Begriff, der genauso viele Emotionen wie Kontroversen und genauso viel Enthusiasmus wie Ablehnung hervorruft.“ 1081 In ihrer Tragweite reichte sie weit über die betrieblichen Angelegenheiten hinaus ins politische und wirtschaftliche System. Im sprachlichen Sinne bedeutet Selbstverwaltung die „unabhängige, eigenverantwortliche Verwaltung“.1082 Im rechtlichen Sinne stand der Begriff für die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung der Staatsunternehmen im volksrepublikanischen Polen, in ihrer rechtlichen und tatsächlichen Ausprägung variierten die im Zeitraum von ca. vierzig Jahren bestehenden Modelle stark.1083 Als entscheidendes Merkmal der Arbeiterselbstverwaltung wurde im polnischen Rechtssystem – wie auch in anderen Staaten – die Eigenständigkeit und Entscheidungsmacht bei der Erfüllung von Staatsaufgaben durch die damit betrauten Organe betrachtet.1084 Mit der Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde in Polen die Hoffnung und die Erwartung verbunden, dass sie zur Lösung der Wirtschaftsprobleme im Lande beitragen und die Unzulänglichkeiten des polnischen Wirtschaftssystems aufwiegen könne.1085 Die Selbstverwaltung wurde zum einen als Garant für mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Staatsunternehmen von der zentralen Wirtschaftsverwaltung gesehen.1086 Zum anderen wurde angenommen, dass sich

1079 Vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77; näher zur Einleitung der Transformationsphase oben Kapitel 2, A.II.4.a). 1080 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.b). 1081 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 6. 1082 Duden-Online-Wörterbuch, 2020, abrufbar unter https://www.duden.de/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1083 Vgl. zu den in diesem Zeitraum erlassenen Dekrets und Gesetzen oben Kapitel 2, A.II.2 und Kapitel 2, A.II.3.b). 1084 Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 9 f. ˙ 1085 So etwa Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 8 f. 1086 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 9.

B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation

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die Selbstverwaltung positiv auf die Motivation der Arbeitnehmer und ihr Interesse an den wirtschaftlichen Erträgen des Unternehmens auswirken und damit insgesamt zu einer Effektivitätssteigerung der Staatsunternehmen, geringeren Fehlzeiten und Fluktuationen innerhalb der Belegschaft sowie zu einer höheren Kompromissbereitschaft der Arbeitnehmer führen würde.1087 Darüber hinaus entspräche die Selbstverwaltung dem in der Natur des Menschen angelegten Wunsch nach Selbstbestimmung.1088 Ein echtes Selbstverwaltungsmodell bestand im damaligen Jugoslawien. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Polen verhinderten dagegen die dauerhafte Entstehung einer authentischen Arbeitnehmerselbstverwaltung in den Staatsunternehmen. Doch stellten selbst die kurzlebigen Formen der weitgehenden Arbeitnehmerbeteiligung nach den Gesetzen von 1956 und 1981 keine echte Form der Arbeitnehmerselbstverwaltung dar, sondern lediglich eine sehr weitgehende Form der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung.1089 Die von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ vorgelegte Konzeption eines „Gemeinschaftsunternehmens“ in den Gesetzen von 1981 hatte sich zwar an dem jugoslawischen Selbstverwaltungsmodell orientiert, letztlich setzte sich jedoch das lediglich partizipative Modell der Regierung durch.1090

VI. Wirtschaftsdemokratie Kaum ein anderes Konzept scheint so prägend und allgegenwärtig in der deutschen Mitbestimmungsdiskussion der Nachkriegszeit gewesen zu sein wie der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie. Doch auch in der polnischen Rechtswissenschaft wird heutzutage auf diesen Gedanken im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung zurückgegriffen.1091 Entstanden ist der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts in England unter der Federführung von Sidney und Beatrice Webb („Industrial Democracy“).1092 In Deutschland entwickelte sich die Idee der „Wirtschaftsdemokratie“ erst in der Weimarer Zeit, als eine vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund errichtete Kommission unter der Regie von Fritz 1087

Ebenda. Ebenda. 1089 Vgl. etwa Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68; ausführlich zu den Gesetzen von 1956 und 1981 oben Kapitel 2, A.II.2.b) bzw. Kapitel 2, A.II.3.b). 1090 Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 849 (868); hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.3.b). 1091 So etwa Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 1092 Vgl. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 13; Stollreither, Mitbestimmung, S. 42. 1088

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Naphtali die berühmte Schrift „Wirtschaftsdemokratie“ 1093 erstellte.1094 In dem Werk wird die politische Demokratie allein als nicht ausreichend betrachtet, da sie „noch keineswegs die Beseitigung der wirtschaftlichen Unfreiheit bedeutete“, vielmehr sei die „bloß politische Demokratie zur sozialen auszugestalten“.1095 Dies sollte unter anderem durch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer über Betriebsräte und über eine paritätische Besetzung mit Arbeitnehmervertretern in allen Körperschaften mit wirtschaftspolitischer Bedeutung sowie die gewerkschaftliche Vertretung in den Unternehmensleitungen monopolartiger Wirtschaftsunternehmen erfolgen.1096 Naphtali betrachtete dabei die „Demokratisierung der Wirtschaft als Weg zum Sozialismus“.1097 Durch die Wirtschaftsdemokratie sollte letztendlich die Abschaffung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und die Verwirklichung des Sozialismus erfolgen („[. . .] keinen Ersatz für den Sozialismus, sondern es bedeutet eine Ergänzung der sozialistischen Idee in Richtung der Klärung des Weges zur Verwirklichung. Sozialismus und Wirtschaftsdemokratie sind als Endziel untrennbar miteinander verknüpft. Es gibt keine vollendete Wirtschaftsdemokratie ohne sozialistisches Wirtschaftssystem, und das Ideal des Sozialismus ist ohne demokratischen Aufbau der Wirtschaftsführung nicht zu verwirklichen.“).1098 An dem Leitbild der Wirtschaftsdemokratie aus der Zeit vor 1933 orientierten sich nach dem Zweiten Weltkrieg erneut die Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter, als es um die Neuordnung des Staates ging.1099 Schon im Frühjahr 1945 erschien eine Schrift von ins Exil vor dem NS-Regime geflohenen Gewerkschaftsvertretern, in der die Forderung aufgestellt wurde, „Gewerkschaften und Betriebsvertretungen [. . .] an der Leitung größerer Betriebe zu beteiligen“.1100 Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und Rückkehr der ins Exil geflohenen Gewerkschaftsvertreter schlugen sich diese Gedanken in dem auf dem Gründungskongress des DGB im Oktober 1949 beschlossenen Grundsatzprogramm nieder.1101 Der DGB hielt darin fest: „Die Erfahrung der Jahre 1918 bis 1933 haben gelehrt, dass die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des

1093

Naphtali, Wirtschaftsdemokratie. Vgl. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 42. 1095 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 15 f. 1096 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 185. 1097 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 25. 1098 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 16. 1099 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 24. 1100 Die neue deutsche Gewerkschaftsbewegung (Broschüre), London 1945, zitiert nach Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 24 f. 1101 Vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 25; Stollreither, Mitbestimmung, S. 71 f. 1094

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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politischen Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden.“ 1102 In den 1970er Jahren war die Wirtschaftsdemokratie das Kernargument in der politischen Diskussion um die deutsche Mitbestimmung.1103 Der Ansatz der Wirtschaftsdemokratie fand auch Eingang in die polnische Literatur, die sich nach 1989 mit der Neugestaltung der Arbeitnehmerpartizipation auseinandersetzte.1104 Die Arbeitnehmerpartizipation wird nunmehr auch in Polen als Ausdruck der Wirtschaftsdemokratie („demokracja przemysłowa“) verstanden.1105 Sicherlich liegt dies mitunter an der beim Aufbau des neuen Systems erfolgten Orientierung nach Westen und der rechtsvergleichenden Auseinandersetzung mit westlichen Vorbilden.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs Im Zuge der Anpassung an das europäische, auf Demokratie und Marktwirtschaft beruhende System haben sich die verfassungs- und kollektivarbeitsrechtlichen Grundstrukturen in Polen nach 1989 erheblich verändert. Die Arbeitnehmerbeteiligung im Allgemeinen und in den Gesellschaftsorganen im Besonderen bewegt sich heutzutage innerhalb eines verfassungs- und einfachgesetzlichen Rahmens, der im Wesentlichen den gleichen Grundprinzipien wie in Deutschland folgt.

I. Verfassungsrechtlicher Rahmen 1. Deutschland Mit dem Grundgesetz erfolgte „keine unmittelbare Festlegung oder Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ 1106; vielmehr ist das Grundgesetz „wirtschaftspolitisch neutral“ 1107 in dem Sinne, dass „sich der Verfassungsgeber 1102 Grundsatzprogramm des DGB von 1949, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70 ff. (72). 1103 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23. Zur Wirtschaftsdemokratie als sozialethischer Rechtfertigung der Mitbestimmung unten Kapitel 3, A.II.1.b). 1104 Vgl. Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 1105 So ausdrücklich Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 1106 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 119. 1107 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 120.

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nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat“.1108 Auch werden keine Grundsätze zur Ordnung des Wirtschaftslebens – wie noch in der Weimarer Reichsverfassung (vgl. Artt. 151 ff. WRV) – aufgestellt.1109 Die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung obliegt vielmehr dem Gesetzgeber, der innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes die „ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik“ verfolgen darf.1110 So beruht das in Deutschland bestehende Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft auf einer wirtschaftsund sozialpolitischen Entscheidung des Gesetzgebers, die nach dem Grundgesetz möglich, aber nicht zwingend ist.1111 Das Grundgesetz trifft zwar eine Garantie in Bezug auf die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie (vgl. Art. 9 Abs. 3 GG).1112 Dagegen enthält es keine Bestimmungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Aus dem Umstand, dass im Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes die Mitbestimmungsfrage bereits heftig diskutiert worden war und der Verfassungsgeber daher selbst eine Aussage zur Mitbestimmung hätte treffen können, kann zwar nicht ohne Weiteres auf die Verfassungsgemäßheit jeglicher Mitbestimmungsregelung geschlossen werden; andererseits hielt sie der Verfassungsgeber augenscheinlich auch nicht für grundsätzlich verfassungswidrig.1113 Eine verfassungsrechtliche Diskussion entbrannte trotz der jahrelang bereits bestehenden paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie erst im Zuge der Auseinandersetzungen um eine Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf Großunternehmen in der gesamten Wirtschaft.1114 Die Diskussion fokussierte sich von Beginn an darauf, ob die paritätische Mitbestimmung einzelne Grundrechte verletze.1115 Nach der Verabschiedung des MitbestG legten 29 Arbeitgeberverbände, neun Unternehmen und die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein, mit der allen voran die Unvereinbarkeit des Mitbestimmungsgesetzes mit der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der wirtschaftlichen Hand-

1108 BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954, Az.: 1 BvR 459/52 (Investitionshilfe), NJW 1954, S. 1235 = juris Rn. 38. 1109 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 119. 1110 BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954, Az.: 1 BvR 459/52 (Investitionshilfe), NJW 1954, S. 1235 = juris Rn. 38 f. 1111 BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954, Az.: 1 BvR 459/52 (Investitionshilfe), NJW 1954, S. 1235 = juris Rn. 39. 1112 Näher hierzu unten Kapitel 2, C.III.1. 1113 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 41. 1114 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 48. 1115 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 42.

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lungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) gerügt wurde.1116 Anders als die Beschwerdeführer nahm das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. März 1979 keinen Verstoß der jeweiligen beanstandeten Vorschriften des MitbestG gegen Grundrechte der betroffenen Gesellschaften, Anteilseigner und Arbeitgeberkoalitionen an.1117 Mit Verweis auf die Wirtschaftsneutralität des Grundgesetzes verneinte das Bundesverfassungsgericht den Prüfungsmaßstab eines über den individualrechtlichen Inhalt von Grundrechten hinausgehenden „institutionellen Zusammenhangs der Wirtschaftsverfassung“ und eines „Schutz- und Ordnungszusammenhangs der Grundrechte“ und prüfte das Mitbestimmungsgesetz stattdessen anhand derjenigen „Einzelgrundrechte, welche die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Einführung einer erweiterten Mitbestimmung markieren“.1118 Als verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Mitbestimmung legte das Bundesverfassungsgericht so die vom Grundgesetz garantierte Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG), Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), Berufs- bzw. Unternehmerfreiheit (Art. 12 GG), die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) seiner Prüfung zugrunde. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht unter anderem auf die verfassungsrechtlich zulässige „Sozialbindung des Anteilseigentums“ und den „sozialen Bezug“ sowie die „soziale Funktion“ der Unternehmerfreiheit und setze sich mit dem Einfluss der Mitbestimmungsregeln auf die Gegnerunabhängigkeit der Tarifpartner und die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems auseinander.1119 Zwar wird vereinzelt ein „Grundrecht auf Mitbestimmung“ bejaht1120, richtigerweise ist ein solches jedoch zu verneinen1121. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist zu schließen, dass das MitbestG zwar eine verfassungsrechtlich zulässige, nicht aber eine „verfassungsrechtlich gebotene“ Regelung 1116 Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 28 ff. 1117 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699, Leitsatz. 1118 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 118 ff. 1119 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 131 ff., 176, 197 ff. und 203 ff.; eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Urteil des BVerfG findet sich bei Badura, Paritätische Mitbestimmung und Verfassung. 1120 So Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 129 ff., 155, 157 ff., 161, der dieses aus Art. 1 GG herleiten will. 1121 So etwa Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (11) m.w. N.

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darstellt.1122 Aufgrund der damit einhergehenden Tangierung der Freiheits- und Eigentumsrechte der Anteilseigner und der Gesellschaften bedarf die Mitbestimmung einer Rechtfertigung.1123 2. Polen Im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz trifft die Polnische Verfassung vom 2. April 19971124 eine eindeutige Aussage zur Wirtschaftsordnung. Gemäß Art. 20 der Polnischen Verfassung ist Grundlage des polnischen Wirtschaftssystems „die soziale Marktwirtschaft, die auf unternehmerischer Freiheit, Privateigentum und der Solidarität, dem Dialog und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern beruht“.1125 Die Polnische Verfassung legt damit nicht nur die Wirtschaftsordnung fest, auch konkretisiert sie die aus Sicht des Verfassungsgebers hierfür entscheidenden Elemente. Die Mehrzahl dieser Grundsätze war dem polnischen Verfassungsrecht bis dahin fremd, und sowohl der Begriff als auch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft („społeczna gospodarka rynkowa“) wurde mutmaßlich aus dem deutschen Rechtskreis übernommen.1126 Indem sich der Verfassungsgeber ausdrücklich für das Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft entschieden hat, wurde eine Rückkehr zum sozialistischen System der Planwirtschaft verfassungsrechtlich ausgeschlossen und die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung dahingehend eingeschränkt.1127 Gleichzeitig implizierte die Aufzählung von Privateigentum im Rahmen der fundamentalen Bestandteile der sozialen Marktwirtschaft das Gebot, die Privatisierung voranzutreiben und zu finalisieren.1128 Neben der Bezeichnung des Eigentumsrechts als einer der Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft sichert die Verfassung das Eigentums- und Erbrecht in Art. 21 und Art. 64 der Polnischen Verfassung auch dem einzelnen Bürger als Individualrecht zu. Der soziale Aspekt der neuen Wirtschaftsordnung fand seinen Niederschlag in den näheren Spezifizierungen der Art. 24 und Artt. 65 bis 76 der Polnischen Verfas-

1122 Badura, Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, in: FS Rittner, S. 1 (11); ebenso Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (S. 11). 1123 Badura, Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, in: FS Rittner, S. 1 (10 f.); ebenso BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 6; ausführlich zur Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung unten Kapitel 3, A.II.1. 1124 Polnische Verfassung vom 2. April 1997, Dz. U. 1997, Nr. 78 Pos. 483. 1125 Art. 20 der Polnischen Verfassung: „Społeczna gospodarka rynkowa oparta na wolnos´ci działalnos´ci gospodarczej, własnos´ci prywatnej oraz solidarnos´ci, dialogu i współpracy partnerów społecznych stanowi podstawe˛ ustroju gospodarczego Rzeczypospolitej Polskiej.“ Übersetzung d. Verf. 1126 Dies andeutend Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 94. 1127 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 94; Witkowski, in: Witkowski/Bien ´ -Kacała, Prawo konstytucyjne, S. 101 f. 1128 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne (3. Aufl. 2006), S. 79; Witkowski, in: Witkowski/Bien´-Kacała, Prawo konstytucyjne, S. 104.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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sung, in denen eine Vielzahl sozialer Rechte der Bürger und sozialer Aufgaben des Staates verfassungsrechtlich garantiert sind.1129 Unter anderem werden darin die Arbeit unter staatlichen Schutz gestellt (vgl. Art. 24), die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit gewährleistet (vgl. Art. 65 Abs. 1) und bestimmte Arbeitsbedingungen (Arbeitssicherheit, Urlaub) verfassungsrechtlich garantiert (vgl. Art. 66). In vielen sozialistischen oder kommunistischen Staaten war die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensführung in der Verfassung garantiert, was sich damit erklären lässt, dass die Arbeitnehmerbeteiligung als ein Grundsatz der „sozialistischen Demokratie“ propagiert wurde.1130 So wurde im Jahre 1976 auch in die Verfassung der Volksrepublik Polen der Grundsatz der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung aufgenommen.1131 Eine wahrhaftige Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen war damit indes nicht beabsichtigt, vielmehr wollten sich die politischen Machtinhaber in Wirklichkeit lediglich die Akzeptanz und das Wohlwollen der Belegschaften sichern.1132 Obwohl dies in den ersten Verfassungsentwürfen zur neuen Verfassung nach dem Umbruch noch so vorgesehen war, wurde das Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung an der Unternehmensführung in der Polnischen Verfassung vom 2. April 1997 nicht ausdrücklich garantiert, was auf den Widerstand der Arbeitgeberseite und mutmaßlich auch den der Gewerkschaften, die vor betriebsinterner Konkurrenz fürchteten, zurückgeführt wird.1133 Gleichwohl bildet heutzutage Art. 20 der Polnischen Verfassung die verfassungsrechtliche Grundlage für sämtliche Formen der Arbeitnehmerbeteiligung. 1134 Zwar wird die Arbeitnehmerbeteiligung nicht ausdrücklich in Art. 20 der Polnischen Verfassung genannt, als besondere Form des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern hat sie jedoch auch indirekt ihre Verankerung in der Verfassung.1135 Unter „Sozialpartnern“ sind dabei die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite zu

1129 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 95; Witkowski, in: Witkowski/Bien ´ -Kacała, Prawo konstytucyjne, S. 102. 1130 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); vgl. hierzu auch oben Kapitel 2, B.II. 1131 Vgl. Art. 13 Satz 2 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36 („Załoga przedsie˛biorstwa uczestniczy w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami“); vgl. hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39. 1132 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 1133 Ausführlich hierzu Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 66 ff. 1134 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224); ebenso Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182. 1135 Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

verstehen.1136 Als Parteien des Dialogs sind diejenigen Organisationsstrukturen anzusehen, die zur Vertretung der Interessen der jeweiligen Seite legitimiert sind.1137 Dies sind die einzelnen Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände einerseits und die Gewerkschaften sowie „andere Formen und Organisationsstrukturen von betriebsinternen Arbeitnehmervertretungen, die zur Vertretung des Willens, der Interessen und der Forderungen der Arbeitnehmer berufen sind“, andererseits.1138 Unter Letzteres fallen insbesondere die Belegschaftsräte aufgrund des SelbstVerwG vom 25. September 19811139 sowie die Arbeitnehmerräte aufgrund des InfKonsG vom 7. April 20061140.1141 Nach dem genannten Verständnis des Begriffs der Sozialpartner sind auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – als eine besondere Form der Arbeitnehmervertretung im Unternehmen – als Sozialpartner zu verstehen.1142 Insofern geht der Begriff der Sozialpartner über die Vertragspartner eines Tarifvertrages oder anderer kollektiver Vereinbarungen i. S. d. Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung hinaus, denn Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung benennt in diesem Zusammenhang ausschließlich die Gewerkschaften als Arbeitnehmervertreter.1143 Während Art. 20 der Polnischen Verfassung vom „Dialog [. . .] zwischen den Sozialpartnern“ spricht, heißt es in der Präambel der Verfassung, dass der „soziale Dialog“ einen der Grundsätze bildet, auf denen die Verfassung fußt.1144

1136 So Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (15 f.). Nicht als Sozialpartner wird hingegen der Staat angesehen; vgl. Sanetra, a. a. O., ebenso Gładoch, Dialog społeczny, S. 18, 67 ff.; Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 917; anders wohl Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 96, mit Verweis auf die Triparitätische Kommission, in der der Staat vertreten war. 1137 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (16). 1138 Ebenda. 1139 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123. 1140 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 1141 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (16). 1142 So auch Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182, der die verfassungsrechtliche Grundlage der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung i. S. d. Art. 182 ArbGB und damit auch auf Grundlage des KommerzG in Art. 20 der Polnischen Verfassung sieht; ebenso wohl Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224). 1143 Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen von Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (17). 1144 Präambel der Polnischen Verfassung: „[. . .] ustanawiamy Konstytucje˛ Rzeczypospolitej Polskiej jako prawa podstawowe dla pan´stwa oparte na poszanowaniu wolnos´ci i sprawiedliwos´ci, współdziałaniu władz, dialogu społecznym oraz na zasadzie pomocniczos´ci umacniaja˛cej uprawnienia obywateli i ich wspólnot.“ Übersetzung d. Verf.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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Diese Begrifflichkeiten sind insofern voneinander zu unterscheiden, als der „soziale Dialog“ weiter ist und sogar auch den Austausch zwischen den Sozialpartnern und Regierungsvertretern im Rahmen der früheren Triparitätischen Kommission – heute des Rates des Sozialen Dialogs – sowie ggf. Vertretern der territorialen Selbstverwaltung erfasst.1145 Der Dialog „zwischen den Sozialpartnern“ kann somit als Spezialfall des sozialen Dialogs betrachtet werden.1146 Zum sozialen Dialog zählt daher auch die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen auf Grundlage des KommerzG, die als eine Form der Mitentscheidung eine der intensiveren Ausprägungen des sozialen Dialogs darstellt.1147 Verfassungsrechtlich garantiert sind ferner die Vereinigung- und Koalitionsfreiheit im Sinne einer Freiheit im Hinblick auf die Gründung und Tätigkeit von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, berufsständischen Organisationen der Landwirte, Vereinen, Bürgerbewegungen und sonstigen freiwilligen Vereinigungen und Stiftungen (vgl. Artt. 12, 58, 59 der Polnischen Verfassung). Die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit wurden dabei nicht nur als ein Recht des Einzelnen konzipiert (vgl. Art. 58 der Polnischen Verfassung), sondern als einer der fundamentalen Grundsätze der Verfassung Polens (vgl. Art. 12 der Polnischen Verfassung). Jedoch darf das Ziel oder die Tätigkeit der Vereinigungen nicht im Widerspruch zur Verfassung oder dem Gesetz stehen (vgl. Art. 58 Abs. 2 der Polnischen Verfassung), sie dürfen sich insbesondere nicht auf totalitäre – nationalsozialistische, faschistische oder kommunistische – Praktiken berufen, Rassismus hegen oder zulassen, eine Machtergreifung oder politischen Einfluss mittels Gewalt anstreben oder Strukturen und Mitgliedschaften verheimlichen wollen (vgl. Art. 13 der Polnischen Verfassung).1148 Den Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie ihren Vereinigungen sichert die Verfassung das Recht zur Verhandlung und zum Abschluss von Tarifverträgen und anderen Vereinbarungen zu (vgl. Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung). Auch das Streikrecht wurde verfassungsrechtlich garantiert, wobei sich dieses innerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Schranken halten muss (vgl. Art. 59 Abs. 3 der Polnischen Verfassung). Eine einfachgesetzliche Beschränkung der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit erlaubt die Verfassung nur in dem Maße, in dem internationale Verträge, durch die Polen gebunden ist, dies erlauben (vgl. Art. 59 Abs. 4 der Polnischen Verfassung).

1145 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23). 1146 Vgl. Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23 f.), der sich kritisch zu den unpräzisen Begrifflichkeiten im polnischen Recht äußert. 1147 So auch Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 950. 1148 Vgl. hierzu Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne (3. Aufl. 2006), S. 111.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

II. Europäische Garantien der Arbeitnehmerbeteiligung Nach europäischem Verständnis stellt die Arbeitnehmerbeteiligung ein Element des sozialen Dialogs dar.1149 In Art. 151 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union1150 (nachfolgend: „AEUV“) wird der soziale Dialog – und damit auch seine Verbreitung1151 – als eines der Ziele der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten aufgezählt, in Art. 152 AEUV die Rolle und Autonomie der Sozialpartner anerkannt und die Förderung des sozialen Dialogs zugesichert. Dabei wird die notwendige Berücksichtigung der Unterschiede in den nationalen Systemen betont. Auf europäischer Ebene soll nach Art. 152 Abs. 2 AEUV der Dreigliedrige Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung zum sozialen Dialog beitragen. Nach Art. 153 Abs. 1 lit. e) und f) AEUV unterstützt und ergänzt die Europäische Union die Mitgliedstaaten in dem Bereich der „Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer“ sowie der „Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung“. Aufgrund des weitgefassten Wortlauts lässt sich schließen, dass auch die Mitbestimmung in Gestalt der Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen nach europäischem Verständnis ein Element des sozialen Dialogs darstellt. Artt. 154, 155 AEUV konkretisieren die von der Europäischen Union angestrebte Förderung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene. Dass in der Europäischen Union viel Wert gelegt wird auf den sozialen Dialog wird auch in verschiedenen anderen Dokumenten der Europäischen Union deutlich.1152 Der soziale Dialog wird dabei als Merkmal des europäischen Sozialmodells angesehen, welches in besonderer Weise die wirtschaftliche Entwicklung und Durchführung von Reformen fördern könne.1153 Eine besondere Bedeutung kommt auf europäischer Ebene dem Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen zu. Die Europäische Grundrechtecharta (nachfolgend: „GRCh“)1154 statuiert in Art. 27 GRCh ein Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (bzw. ihrer Vertreter) im Unternehmen, wobei dieses „auf den geeigneten 1149 So Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (149) jedenfalls in Bezug auf die betriebliche Arbeitnehmerbeteiligung. 1150 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 26. Oktober 2012, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 47–199. 1151 Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (149). 1152 Näher hierzu Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (163 f.). 1153 Ebenda. 1154 Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18. Dezember 2000, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 364 vom 18. Dezember 2000, S. 1–22.

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Ebenen [. . .] in den Fällen und unter den Voraussetzungen gewährleistet sein [muss], die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind“. Umstritten ist, ob Art. 27 GRCh ein echtes Grundrecht oder lediglich einen Grundsatz i. S. d. Art. 52 Abs. 5 GRCh darstellt.1155 Nach herrschender Meinung gewährt Art. 27 GRCh den Arbeitnehmern jedoch – wortlautgetreu – nur ein Recht auf Unterrichtung und Anhörung, womit eine echte Mitbestimmung bzw. Mitentscheidung und damit auch die Unternehmensmitbestimmung nicht von dieser unionsrechtlichen Norm erfasst ist.1156 Abgesehen vom sozialen Dialog und dem Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung werden in zahlreichen europäischen und internationalen Dokumenten die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit garantiert und die Bedeutung von Kollektivverhandlungen hervorgehoben, so beispielsweise in Art. 12 GRCh oder in den ILO-Konventionen Nr. 87 und Nr. 981157. Konkrete Vorgaben zur Beteiligung von Arbeitnehmern finden sich in zahlreichen Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union. Hervorzuheben seien hier insbesondere die Richtlinie 2002/14/EG zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer1158 sowie die Richtlinie 2001/86/EG über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE1159. Allerdings zeigt sich mit den Regelungen zur SE, die keine eigenständige, zwingende Verpflichtung zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen der SE enthalten, sondern diesbezüglich lediglich eine dem bisher geltenden Mitbestimmungsniveau folgende Auffangregelung vorsehen, dass die Unternehmensmitbestimmung aus europäischer Sicht keine „unverzichtbare Grundentscheidung“ darstellt.1160

1155 Junker, Grundfreiheiten, Gesellschaftsrecht und Mitbestimmung, EuZA 2013, Bd. 6, S. 223 (234) m.w. N.; Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (157). 1156 Junker, Grundfreiheiten, Gesellschaftsrecht und Mitbestimmung, EuZA 2013, Bd. 6, S. 223 (234) m.w. N. 1157 Zum Einfluss der ILO-Konventionen auf das polnische Recht vgl. Florek, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 47 (49). 1158 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 80/29. 1159 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 294/22. 1160 So BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 17; ausführlich zur Mitbestimmung in der SE unten Kapitel 4, B.I.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

III. Kollektivarbeitsrechtliche Grundstrukturen und Grundprinzipien Von kollektiven Arbeitsbeziehungen kann in Polen erst nach dem Umbruch von 1989 gesprochen werden.1161 Auch der Begriff des kollektiven Arbeitsrechts war lange Zeit aus dem juristischen Wortschatz verschwunden und ist erst in den 1980er Jahren wieder aufgelebt.1162 Heutzutage lassen sich jedoch ähnliche Kernelemente und Grundstrukturen im deutschen und polnischen kollektiven Arbeitsrecht finden, innerhalb derer das System der Arbeitnehmerbeteiligung besteht. 1. Deutschland Kernelemente des deutschen kollektiven Arbeitsrechts sind die verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, das Tarifvertragssystem und Streikrecht, die betriebliche und schließlich auch die Unternehmensmitbestimmung. Die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit schützt die Koalitionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern „in ihrem Bestand und ihrer Betätigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“.1163 Der Schutz beinhaltet sowohl die individuelle als auch kollektive, positive und negative Koalitionsfreiheit.1164 In individueller Hinsicht wird das Recht gewährleistet, Vereinigungen zu bilden, beizutreten und in ihnen zu verbleiben und für sie tätig zu werden genauso wie das Recht, aus Koalitionen auszutreten oder ihnen von Anfang an fernzubleiben.1165 Gleichzeitig werden die Koalition selbst in ihrem Bestand und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung geschützt sowie die freie und unabhängige Regelung ihrer Organisation gewährleistet.1166

1161

Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (60). Gładoch, Dialog społeczny, S. 18; C´wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 30 ff. 1163 BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549. 1164 Näher Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 107 ff., 113 ff. 1165 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1965, Az.: 2 BvR 54/62, NJW 1966, S. 491; BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 183 m.w. N.; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2549 f.); Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb. ArbR, § 71 Rn. 17; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 107; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 218 Rn. 1 f. 1166 BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2549 f.); BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1999, Az.: 1 BvR 123/93, NJW 1999, S. 2657 (2657); Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb. ArbR, § 71 Rn. 26 ff.; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 113; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 218 Rn. 4 m.w. N. 1162

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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Art. 9 Abs. 3 GG garantiert darüber hinaus die Tarifautonomie.1167 Gewährleistet wird das Recht der Tarifvertragsparteien, eigenständig Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für ihre Mitglieder treffen zu können.1168 Einfachgesetzliche Grundlage des deutschen Tarifvertragssystems ist das Tarifvertragsgesetz von 19491169. Auch das Streikrecht wird nach h. M. abgeleitet aus Art. 9 Abs. 3 GG.1170 Zwar erwähnt das Grundgesetz das Streikrecht nicht ausdrücklich, jedoch unterfallen Arbeitskampfmaßnahmen dem Schutz der Koalitionsfreiheit, sofern sie „auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind“ und „allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen“ 1171. Das Streikrecht wird in mehreren Vorschriften vorausgesetzt – so etwa in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 11 Abs. 5 AÜG, § 74 Abs. 2 BetrVG. Bei der Mitbestimmung charakterisiert sich das deutsche System durch eine Zweistufigkeit: die Mitbestimmung auf Betriebsebene und auf Unternehmens-, d.h. Gesellschaftsorganebene. Rechtliche Grundlage der betrieblichen Mitbestimmung bildet das Betriebsverfassungsgesetz von 19721172 (nachfolgend: „BetrVG“), welches das frühere BetrVG von 1952 – bis auf die damaligen Vorschriften zur drittelparitätischen Unternehmensmitbestimmung – ablöste. Das BetrVG charakterisiert sich – wie auch schon seine Vorgänger von 1952 und 1920 – dadurch, dass ein von den Gewerkschaften getrenntes Vertretungsorgan im Betrieb vorgesehen ist. Wenngleich die rechtsdogmatische Einordnung der Unternehmensmitbestimmung nicht ganz einfach ist1173, so sind die Bezugspunkte zur kollektiven Interessenvertretung durch die institutionell gewährleistete Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen unverkennbar. Die betrieb-

1167 St. Rspr. seit BVerfG, Urteil vom 18. November 1954, Az. 1 BvR 629/52, NJW 1954, S. 1881; vgl. Linsenmaier, in: ErfK ArbR, Art. 9 GG Rn. 51; Treber, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 195 Rn. 6. 1168 Franzen, in: ErfK ArbR, § 1 TVG Rn. 3; Waas, in: BeckOK ArbR, § 1 TVG Rn. 106; vgl. zum möglichen Ausschluss bestimmter Berufsgruppen aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages BAG, Urteil vom 24. April 1985, Az.: 4 AZR 457/83, NZA 1985, S. 602 (603). 1169 Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969, BGBl. I S. 1323. 1170 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2550); BVerfG, Beschluss vom 2. März 1993, Az.: 1 BvR 1213/85, NJW 1993, S. 1379 (1379 f.); Linsenmaier, in: ErfK ArbR, Art. 9 GG Rn. 102. 1171 BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2550). 1172 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001, BGBl. I S. 2518. 1173 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 5 („Das MitbestG lässt sich systematisch weder dem Gesellschafts- noch dem Arbeitsrecht zwanglos zuordnen“).

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

liche und die Unternehmensmitbestimmung werden daher auch als „Subsysteme eines einheitlichen Systems Mitbestimmung“ angesehen.1174 2. Polen Kernelemente des heutigen polnischen kollektiven Arbeitsrechts sind der soziale Dialog sowie als besondere Elemente hiervon – ähnlich wie im deutschen Recht – die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, das Tarifvertragsrecht, Streikrecht und die Arbeitnehmerbeteiligung. Die gesetzlichen Grundlagen des kollektiven Arbeitsrechts in Polen finden sich – neben der Verfassung – zum Teil unmittelbar im Arbeitsgesetzbuch1175 (nachfolgend: „ArbGB“), dort insbesondere im Abschnitt I, Kapitel II „Grundprinzipien des Arbeitsrechts“ 1176 sowie in Abschnitt XI, zum Teil in Spezialgesetzen außerhalb des Arbeitsgesetzbuchs. a) Der soziale Dialog als Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft Der soziale Dialog wird in der Rechtswissenschaft nicht so sehr als ein rechtliches, sondern vielmehr als gesellschaftliches bzw. demokratisches Phänomen verstanden, das sich allerdings innerhalb rechtlich festgelegter Regeln bewegt.1177 Der Begriff des „sozialen Dialogs“ wird jedoch in der Rechtswissenschaft, Publizistik und Umgangssprache uneinheitlich und oft lediglich intuitiv gebraucht, ebenso ist das Verständnis vom sozialen Dialog in verschiedenen polnischen Rechtsgrundlagen unterschiedlich.1178 Bereits die Polnische Verfassung spricht einerseits vom „sozialen Dialog“, den sie in ihrer Präambel zu einem Grundsatz, auf dem die Verfassung beruht, erhebt, und andererseits vom „Dialog zwischen den Sozialpartnern“, den sie in Art. 20 als einen Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft aufzählt.1179 Streng genommen sind dies zwei voneinander zu unterscheidende Begrifflichkeiten.1180 Einzelne Gesetze, die den sozialen Dialog erwähnen, 1174

So Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (23). Arbeitsgesetzbuch vom 26. Juni 1974, Dz. U. 1974 Nr. 24 Pos. 141. Dies, obwohl das ArbGB an sich nur das Individualarbeitsrecht regelt, vgl. hierzu die Anmerkungen von Wratny, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 5. 1176 „Podstawowe zasady prawa pracy“, Übersetzung d. Verf.; anders Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch und Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466 („Grundsätze des Arbeitsrechts“). 1177 Gładoch, Dialog społeczny, S. 9 f. 1178 Hierzu ausführlich Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (9 ff.); ebenso Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 945, der darauf hinweist, dass diese Uneinheitlichkeit alle Aspekte des sozialen Dialogs betrifft, d.h. sowohl die Parteien, den Gegenstand, Formen als auch Ebenen des Dialogs. 1179 Zu dem verfassungsrechtlichen Rahmen sowie zur Bedeutung der unterschiedlichen Begriffe siehe oben Kapitel 2, C.I.2. 1180 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23). 1175

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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gehen von einer jeweils eigenen Zielsetzung und einem jeweils eigenen Inhalt des Dialogs aus.1181 Unklar erscheinen sowohl die Definition der Parteien des sozialen Dialogs, als auch im Allgemeinen Ziel, Gegenstand, Inhalt und Form des sozialen Dialogs.1182 Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgestaltung im Gesetz über die Triparitätische Kommission vom 6. Juli 20011183 wurde diskutiert, ob der Begriff des sozialen Dialogs auf den Dialog unter Einbeziehung der Mitglieder der Triparitätischen Kommission – d.h. Gewerkschaften, Arbeitgebervertreter und Regierungsvertreter – beschränkt ist oder weiter zu verstehen ist, im Sinne eines Oberbegriffs für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, deren Formen unter anderem der Abschluss von Tarifverträgen, die Information und Konsultation der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat und die Triparitätische Kommission darstellen.1184 Letztlich wird der soziale Dialog gemeinhin als Oberbegriff verstanden, der jegliche Formen des Austausches und der Zusammenarbeit zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Vertretern der Regierung oder territorialer Selbstverwaltungseinheiten, zusammenfasst.1185 Damit zählen sowohl der Abschluss von Tarifverträgen und anderen Kollektivvereinbarungen als auch alle (anderen)1186 Formen der Arbeitnehmerpartizipation, auch die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen, zum sozialen Dialog.1187 In diesem Sinne wurde der Begriff des sozialen Dialogs auch im Gesetzesentwurf zum kollektiven Arbeitsgesetzbuch aus April 2007 verstanden.1188

1181 Näher hierzu Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (9 ff.). 1182 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (13). 1183 Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 2001, Dz. U. 2001 Nr. 100 Pos. 1080, außer Kraft getreten und ersetzt worden durch das Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 1184 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (10). 1185 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 10, 18, 29 f., 263; Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23); Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 946 f. 1186 Nach polnischem Verständnis gehört die gewerkschaftliche Tätigkeit begrifflich zur Arbeitnehmerpartizipation, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 15; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1187 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 10, 263; Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23); Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 946 f., 950. 1188 Näher hierzu Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (10). Zu dem Gesetzesentwurf eines kollektiven Arbeitsgesetzbuchs aus dem Jahr 2007 siehe unten Kapitel 7, B.II.2.a).

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Zum sozialen Dialog gezählt werden auch die historisch wegweisenden Verhandlungen am Runden Tisch im Jahre 1989 sowie die Vereinbarungen im Pakt über das Staatsunternehmen von 1993.1189 Der heutige soziale Dialog wird auf verschiedenen Ebenen geführt – so etwa auf Ebene der Betriebe, Unternehmen, Branchen, Regionen als auch landesweit und sogar grenzüberschreitend.1190 Der Begriff der Arbeitnehmerpartizipation ist hingegen deutlich enger als der des sozialen Dialogs, da diese sich nur auf ein bestimmtes Wirtschaftssubjekt bezieht und dabei auf Betriebs- bzw. Unternehmensebene sowie in den Unternehmensorganen abspielt.1191 Im Rahmen des sozialen Dialogs gelten die Gewerkschaften als Hauptakteure, die Tarifverträge als Hauptausdrucksform des Dialogs.1192 So sollen im Zuge des sozialen Dialogs autonome Rechtsquellen bzw. im weiteren Sinne kollektive Vereinbarungen die Rechtsstellung der Arbeitnehmer bestimmen.1193 Eine besondere Form des sozialen Dialogs stellt der dreiseitige Dialog im Rahmen des Rates des Sozialen Dialogs dar, der sich aus (repräsentativen) Vertretern der Arbeitgeber, Gewerkschaften und der Regierung zusammensetzt, und der im Jahre 2015 die bis dahin diese Funktion innehabende Triparitätische Kommission ablöste. Die Triparitätische Kommission wurde zwar trotz entsprechender Überlegungen nicht in der Polnischen Verfassung kodifiziert1194, als eines der Verhandlungsergebnisse des Paktes über das Staatsunternehmen1195 erfuhr sie ihre Kodifizierung jedoch im Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 20011196 (nachfolgend: „Gesetz über die Triparitätische Kommission“ oder „TriparKomG“). Die Triparitätische Kommission stellte danach ein „Forum des sozialen Dialogs“, im Rahmen dessen ein Ausgleich der Interessen der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und des Gemeinwohls erfolgen sollte, Ziel ihrer Tätigkeit war die Sicherstellung gesellschaftlichen Friedens (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 TriparKomG). In gegenständlicher Hinsicht sollte sich der soziale Dialog auf Fragen der Lohnpolitik und Sozialleistungen sowie sonstige wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten beziehen (vgl. Art. 1 Abs. 3

1189

Vgl. Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 964 f. Gładoch, Dialog społeczny, S. 11; näher Sanetra, in: Wypych-Z˙ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (21 f.). 1191 Gładoch, Dialog społeczny, S. 30. 1192 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 11 f., 264 f.; Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 946 f. 1193 Gładoch, Dialog społeczny, S. 19 f. 1194 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 96. 1195 Hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.4.c). 1196 Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 2001, Dz. U. 2001 Nr. 100 Pos. 1080. 1190

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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TriparKomG). Das Gesetz sah ferner vor, dass die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in diesem Rahmen überbetriebliche Tarifverträge schließen konnten (vgl. Art. 2 Abs. 4 TriparKomG). Neben der zentralen Triparitätischen Kommission auf Landesebene bestanden auch Kommissionen auf Woiwodschaftsebene, die für regionale Angelegenheiten sowie im Falle übertragener Aufgaben zuständig waren (vgl. Artt. 2b Abs. 1, 16 ff. TriparKomG). Mit dem Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 20151197 (nachfolgend: „RatSozDialogG“) wurde die Triparitätische Kommission von dem neu ins Leben gerufenen Rat des sozialen Dialogs abgelöst und das Gesetz über die Triparitätische Kommission aufgehoben. Der Rat setzt sich aus Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie der Regierung zusammen, wobei wie auch schon im Rahmen der Triparitätischen Kommission die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nur von repräsentativen Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen vertreten werden (vgl. Artt. 22 ff. RatSozDialogG).1198 Der nunmehr die Funktionen der Triparitätischen Kommission übernommene Rat hat allerdings zum Teil andere Aufgaben und Zielsetzungen.1199 Der Dialog wird vom Rat mit dem Ziel geführt, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Polens zu fördern, die Wettbewerbsfähigkeit Polens zu steigern und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern (vgl. Art. 1 Abs. 2 RatSozDialogG). Zu den Aufgaben des Rates und seiner Mitglieder zählt neben allgemeinen Stellungnahmen und Äußerungen auch die Kommentierung von Gesetzesvorhaben und die Initiierung von Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 2 RatSozDialogG). Die Mitglieder des Rates können Vereinbarungen treffen und gemeinsame Stellungnahmen abgeben (vgl. Art. 3 Abs. 1 RatSozDialogG), die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ferner wie auch schon im Rahmen der Triparitätischen Kommission überbetriebliche Tarifverträge schließen (vgl. Art. 15 RatSozDialogG). Auch auf Woiwodschaftsebene werden Räte gebildet (vgl. Artt. 41 ff. RatSozDialogG). Zu beobachten ist, dass auch in der Rechtswissenschaft die Annahme eines prinzipiellen Konfliktes zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite allmählich der Überzeugung weicht, dass ihre Interessen nicht zwingend entgegen1197 Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 1198 Das RatSozDialogG benutzt in Artt. 22 f. weiterhin die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitnehmerseite“, obwohl es nunmehr sowohl in Art. 1 RatSozDialogG als auch in Art. 23 RatSozDialogG für die Repräsentativität hinsichtlich der Mitgliederzahl entsprechend dem erweiterten Geltungsbereich des Koalitionsrechts auf die „erwerbstätigen Personen“ i. S. d. Art. 11 GewG abstellt (vgl. Art. 15 des Gesetzes über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608). Zur Erweiterung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts siehe unten Kapitel 5, A.I.1. 1199 Vgl. http://www.dialog.gov.pl/dialog-krajowy/rada-dialogu-spolecznego/rada-dia logu-spolecznego/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

gesetzt sein müssen – wobei aber keine Konfliktlosigkeit wie im Sozialismus angenommen wird –, jedenfalls aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur durch Gespräche und Zusammenarbeit ihre beidseitigen Interessen verwirklichen können.1200 b) Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht Ähnlich wie im deutschen Recht zeichnet sich das polnische kollektive Arbeitsrecht durch die Grundsätze der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie und das Streikrecht aus. Die Koalitionsfreiheit wird als ein „Kardinalgrundsatz“ des polnischen kollektiven Arbeitsrechts betrachtet.1201 Neben der verfassungsrechtlichen Garantie ist die Koalitionsfreiheit auch im polnischen Arbeitsgesetzbuch in Art. 181 ArbGB verankert, wo sie zu den „Grundprinzipien des Arbeitsrechts“ 1202 zählt.1203 Die einfachgesetzliche Norm orientiert sich auf internationaler Ebene an den von Polen ratifizierten ILO-Konventionen Nr. 87 und Nr. 98.1204 Art. 181 ArbGB statuiert das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, „zum Zwecke der Vertretung und Verteidigung ihrer Rechte und Interessen“ Vereinigungen zu bilden und solchen beizutreten.1205 Hinsichtlich der Bildung und der Tätigkeit dieser Vereinigungen verweist das ArbGB auf die Gesetze über Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen sowie andere Vorschriften. Zu Letzteren zählen das Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten1206 (nachfolgend: „KollStrG“) und Abschnitt XI im Arbeitsgesetzbuch über Tarifverträge.1207 Die genannten Gesetze konkretisieren insoweit das Koalitionsrecht.1208

1200

Näher Gładoch, Dialog społeczny, S. 20 ff., 24 m.w. N. So Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. 1202 Vgl. Überschrift von Abschnitt I, Kapitel II des ArbGB („podstawowe zasady prawa pracy“), Übersetzung d. Verf. Andere Übersetzungen lauten „Grundsätze des Arbeitsrechts“, so etwa Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466. 1203 Verfassungsrang erhielt die Koalitionsfreiheit erst 1997, dies nachdem sie im Zuge der Reform des Arbeitsgesetzbuchs in Art. 181 ArbGB aufgenommen wurde, vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466. 1204 Vgl. S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1; Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1; Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. 1205 Art. 181 ArbGB: „Pracownicy i pracodawcy, w celu reprezentacji i obrony swoich praw i interesów, maja˛ prawo tworzyc´ organizacje i przyste˛powac´ do tych organizacji.“ Übersetzung d. Verf. 1206 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 1207 Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 2. 1208 Vgl. Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1; Ra˛czka, in: Gersdorf/ Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. 1201

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

191

Das mit dem Koalitionsrecht einhergehende Recht, Tarifverträge und sonstige Kollektivvereinbarungen zu verhandeln und abzuschließen, hat ebenfalls Verfassungsrang (vgl. Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung). Auch wird dieses Recht implizit in Art. 181 § 2 ArbGB gewährleistet.1209 Tarifverträge und Kollektivvereinbarungen sind gemäß Art. 9 ArbGB – neben der Verfassung und Gesetzen sowie Regularien und Statuten1210 – als Rechtsquellen des Arbeitsrechts anerkannt, womit ihnen – neben einer schuldrechtlichen – auch eine normative Geltung zukommt.1211 Das Tarifvertragsrecht hat seine einfachgesetzliche Grundlage in Abschnitt XI des Arbeitsgesetzbuchs, welcher im Zuge der Tarifvertragsreform 1994 – und somit noch vor der großen Arbeitsgesetzbuchsreform im Jahre 1996 – gänzlich neugestaltet worden ist.1212 Die Notwendigkeit einer Neuregelung ergab sich vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Transformation und dem damit verbundenen Übergang von der einseitigen und monopolartigen Bestimmung der Arbeitsbedingungen durch den Staat hin zu kollektiv zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern (oder Arbeitgebern) ausgehandelten Vereinbarungen.1213 Die einstige Monopolstellung des Staates beschränkt sich seitdem darauf, gesetzliche Mindeststandards festzulegen, während den Sozialpartnern ein großer Verhandlungsspielraum eingeräumt ist.1214 In einem Tarifvertrag werden gemäß Art. 240 §§ 1, 2 ArbGB die Arbeitsbedingungen der vom Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer, die schuldrechtlichen Pflichten der Tarifvertragsparteien und ggf. andere Angelegenheiten1215 geregelt. Insbesondere betreffen Tarifverträge Fragen der Vergütung sowie anderer Leistungen bzw. Zuwendungen an die Arbeitnehmer.1216 Zum Abschluss von Tarifverträgen sind ausschließlich Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände auf der einen Seite und die Gewerkschaft als Arbeitnehmervertretung auf der anderen Seite berechtigt (vgl. Art. 24114 ArbGB, Art. 24123 ArbGB).1217 Das polnische Recht unterscheidet nunmehr zwischen Tarifverträgen auf Betriebsebene und überbetrieblichen Tarifverträgen (vgl. Artt. 24114 ff. ArbGB sowie Artt. 24123 ff. ArbGB). Anders als nach dem früher geltenden Branchengrundsatz sind nunVgl. S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. Ausführlich hierzu S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 11 ff. 1211 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 484 f.; Włodarczyk, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 856. 1212 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 1. 1213 Ebenda. 1214 Ebenda. 1215 Zur Frage, ob die Unternehmensmitbestimmung hierunter fällt, siehe ausführlich unten Kapitel 3, A.I.1.b). 1216 Wratny, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 5. 1217 Vgl. hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 481; Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 24114 Rn. 2. 1209 1210

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

mehr unternehmensspezifische Tarifverträge möglich.1218 Zwar wurden bereits 1986 Tarifverträge auf Betriebsebene als Ergänzung zu den Branchentarifverträgen bzw. Berufstarifverträgen zugelassen, doch erst mit der Gesetzesnovelle vom 29. September 1994 wurde eine Tarifvertragsfreiheit auf Betriebs- und Branchenebene garantiert.1219 Wichtige Regelungen enthalten Art. 239 § 1 ArbGB sowie Art. 7 GewG: Aus diesen Normen ergibt sich, dass ein abgeschlossener Tarifvertrag für alle von seinem Geltungsbereich erfassten, bei einem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer gilt, unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit.1220 Dies stellt ein in der Tradition begründetes, charakteristisches Merkmal des polnischen Tarifvertragssystems dar.1221 Vor diesem Hintergrund, verbunden mit der stark pluralistischen Gewerkschaftsstruktur, war auch die Frage der Repräsentativität bei der Novellierung des Tarifvertragssystems nach dem Umbruch von entscheidender Bedeutung.1222 Wesentliche Änderungen in diesem Zusammenhang brachte jüngst das Änderungsgesetz vom 5. Juli 20181223, welches zum 1. Januar 2019 in Kraft trat: Nicht nur wurde hierdurch der personelle Geltungsbereich von Tarifverträgen über Arbeitnehmer hinaus auch auf sonstige erwerbstätige Personen erstreckt (vgl. Artt. 238 ff. ArbGB i.V. m. Art. 21 Abs. 3 GewG n. F.1224), auch wurden die gesetzlichen Regelungen zur Repräsentativität der Gewerkschaften wesentlich geändert (vgl. Artt. 252 f. GewG n. F.).1225 Neben dem Tarifvertrag erwähnt Art. 9 ArbGB ferner andere „Kollektivvereinbarungen“ 1226. Sie haben wie Tarifverträge auch eine normative Geltung und stellen damit Rechtsquellen des Arbeitsrechts dar (vgl. Art. 9 § 1 ArbGB). Art. 9 ArbGB meint dabei jedoch ausweislich des Wortlauts nur solche Kollektivvereinbarungen, die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien festlegen und „ihre Grundlage im Gesetz haben“ 1227. Die Auslegung der letztgenannten Vor1218 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (110). 1219 Gładoch, Dialog społeczny, S. 61. 1220 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 3; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 2; näher hierzu unten Kapitel 5, A.I.1.c)bb). 1221 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 335. 1222 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 335. Näher zum Erfordernis der Repräsentativität unten Kapitel 5, A.I.1.b). 1223 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608. 1224 Art. 21 Abs. 3 GewG: „Przepisy działu jedenastego ustawy z dnia 26 czerwca 1974 r. – Kodeks pracy stosuje sie˛ odpowiednio do innych niz˙ pracownicy osób wykonuja˛cych prace˛ zarobkowa˛ oraz ich pracodawców, a takz˙e do organizacji zrzeszaja˛cych te podmioty.“ 1225 Näher hierzu unten Kapitel 5, A.I.1. 1226 „Porozumienia zbiorowe“; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485. 1227 Art. 9 ArbGB: [. . .] i innych opartych na ustawie porozumien ´ zbiorowych [. . .] okres´laja˛cych prawa i obowia˛zki stron stosunku pracy.“ Übersetzung d. Verf.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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aussetzung ist nicht unproblematisch. Es wird unterschieden zwischen den sog. benannten Kollektivvereinbarungen (bzw. Kollektivvereinbarungen im engeren Sinne), die von einer gesetzlichen Norm expressis verbis vorgesehen werden, indem die gesetzliche Norm ausdrücklich die Regelung bestimmter Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in einer Vereinbarung ermöglicht oder gebietet1228, und den sog. unbenannten Kollektivvereinbarungen (bzw. Kollektivvereinbarungen im weiteren Sinne).1229 Um benannte Kollektivvereinbarungen handelt es sich beispielsweise bei Vereinbarungen nach dem Abschluss einer Kollektivstreitigkeit (vgl. Artt. 9, 14 KollStrG) oder im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang (vgl. Art. 261 Abs. 3 GewG).1230 Dagegen gehören zu den unbenannten Kollektivvereinbarungen etwa auch die im Rahmen der früheren Triparitätischen Kommission bzw. heute im Rahmen des Rates des Sozialen Dialogs geschlossenen dreiseitigen Vereinbarungen zwischen der Regierung, den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.1231 Während erstere die Kriterien für eine Qualifizierung als normative Kollektivvereinbarungen i. S. d. Art. 9 ArbGB in aller Regel unzweifelhaft erfüllen, ist dies bei den sog. unbenannten Kollektivvereinbarungen problematisch und uneindeutig.1232 Diskutiert wird, ob sich die von Art. 9 ArbGB geforderte „Grundlage im Gesetz“ auch aus allgemeineren Vorschriften wie etwa Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung herleiten lässt.1233 Meistens wurde den unbenannten Kollektivvereinbarungen jedoch eine lediglich schuldrechtliche Wirkung zugesprochen.1234 Relevant war diese Frage insbesondere während der Transformationsphase, als heftig diskutiert wurde, ob auch Sozialpakte, die zwischen den Gewerkschaften und einem strategischen Investor, der Aktien des sich im Privatisierungsprozess befindenden Staatsunternehmens erwerben wollte, abgeschlossen wurden, Kollektivvereinbarungen im engeren Sinne und damit Rechtsquellen i. S. d. Art. 9 ArbGB darstellten oder es

1228 Oberstes Gericht, Urteil vom 7. September 1999, Az.: I PKN 243/99, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 8; vgl. auch S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 m.w. N. 1229 Vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 912, 922, 926; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485. 1230 Hierzu sowie zu weiteren Beispielen vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 922; Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 21 GewG Rn. 1. 1231 Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 915; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485. 1232 Ausführlich hierzu Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 922, 926 ff. 1233 Vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 914; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 m.w. N. 1234 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 m.w. N.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

sich hierbei lediglich um einen schuldrechtlichen Vertrag handelte.1235 Allerdings können auch im Fall einer lediglich schuldrechtlichen Wirkung Arbeitnehmer Rechte aus den Vereinbarungen geltend machen können, wenn diese als Verträge zugunsten Dritter i. S. d. Art. 393 Zivilgesetzbuch qualifiziert werden.1236 Insgesamt ist im Zusammenhang mit Kollektivvereinbarungen in der polnischen Literatur vieles sehr kontrovers und ungeklärt, zumal der Begriff der Kollektivvereinbarung in Bezug auf verschiedene zwei- und mehrseitige Vereinbarungen mit unterschiedlichem Inhalt und Rechtscharakter verwendet wird und auch die Rechtsprechung in diesem Bereich sehr uneinheitlich ist.1237 Verhandlungspartei auf Seiten der Arbeitnehmer sind auch bei Kollektivvereinbarungen vorrangig die Gewerkschaften, jedoch kommen auch andere Arbeitnehmervertretungen in Betracht.1238 Zwar gewährleistet Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung ausdrücklich nur den Gewerkschaften das Recht, neben Tarifverträgen auch sonstige Vereinbarungen im Interesse der Arbeitnehmer zu schließen. Gleichwohl steht die Verfassung aufgrund des weiten Begriffs der Sozialpartner in Art. 20 der Polnischen Verfassung, der auch die nicht-gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung erfasst, einfachgesetzlichen Regelungen nicht entgegen, die den Abschluss von kollektiven Vereinbarungen zwischen der Arbeitgeberseite und anderen nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen vorsehen.1239 Entsprechend wird in einigen Angelegenheiten das Recht zum Abschluss von Kollektivvereinbarungen auch anderen Arbeitnehmervertretungen zubilligt, sofern in dem betroffenen Betrieb keine Betriebsgewerkschaft existiert (vgl. etwa Artt. 91 § 2, 231a § 1, 676 § 4 ArbGB), in anderen Angelegenheiten entscheidet der Arbeitgeber in nicht-gewerkschaftlich organisierten Betrieben dagegen allein, so z. B. bei der Arbeitsordnung (vgl. Art. 1042 § 2 ArbGB).1240 In letzterem Fall können die den Gewerkschaften gesetzlich zustehenden Rechte somit nicht durch eine nicht-gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung wahrgenommen werden, vielmehr unterliegen die entsprechenden Regelungen in diesen Fällen der einseitigen Bestimmung durch den Arbeitgeber.1241 1235 Vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 913; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 13 m.w. N. 1236 Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 913; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 15; vgl. etwa den Beschluss des Obersten Gerichts vom 24. November 1993, Az.: I PZP 46/93, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1237 Ausführlich hierzu Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 913 ff., 918; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485 ff.; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 ff. m.w. N. 1238 Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 917. 1239 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (16 f.). Näher hierzu unten Kapitel 5, B.I.3. 1240 Vgl. hierzu auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47.

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Ein weiteres Kernelement des polnischen kollektiven Arbeitsrechts ist das Arbeitskampfrecht. Ebenfalls verfassungsrechtlich in Art. 59 Abs. 3 der Polnischen Verfassung garantiert, findet sich die einfachgesetzliche Regelung im Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 19911242. Dabei steht die Kompetenz im Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen ausschließlich den Gewerkschaften zu (vgl. Artt. 2 Abs. 1, 3 KollStrG).1243 Während der Laufzeit eines Tarifvertrages besteht Friedenspflicht (vgl. Art. 4 Abs. 2 KollStrG).1244 c) Die Arbeitnehmerpartizipation Das Arbeitsgesetzbuch statuiert in Art. 182 ArbGB ausdrücklich das Recht der Arbeitnehmer, „an der Führung des Betriebes in dem durch besondere Vorschriften bestimmten Umfang und nach den in diesen Vorschriften bestimmten Grundsätzen“ teilzunehmen.1245 Dabei ist von einem weiten Verständnis des Begriffs der „Führung des Betriebes“ (bzw. der „Betriebsführung“) auszugehen, der sowohl Entscheidungen des Eigentümers bzw. Arbeitgebers im Hinblick auf wirtschaftliche Angelegenheiten als auch auf klassische Arbeitnehmerangelegenheiten sowie soziale Angelegenheiten und Arbeitsschutzmaßnahmen betrifft.1246 Unter Berücksichtigung des Umstands, dass gerade die wirtschaftlichen Angelegenheiten meist auf Unternehmensebene in den Gesellschaftsorganen – im Vorstand oder Aufsichtsrat – entschieden werden1247, ist anzunehmen, dass der Begriff der Betriebsführung i. S. d. Art. 182 ArbGB – in weiter Auslegung – sowohl die Entscheidungen auf betrieblicher Ebene als auch auf Unternehmensebene umfasst.1248 1241 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47. 1242 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 1243 Zu diesbezüglichen Reformüberlegungen vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47 f. 1244 Hierzu auch S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 2. 1245 Art. 182 ArbGB: „Pracownicy uczestnicza˛ w zarza˛dzaniu zakładem pracy w zakresie i na zasadach okres´lonych w odre˛bnych przepisach“. Übersetzung nach Major/ Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch. 1246 Ausführlich Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 861 ff. 1247 Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 864. 1248 So wohl auch Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 864; vgl. auch Gładoch, in: Goz´dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (205 ff.), die die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG ebenfalls als „Arbeitnehmerbeteiligung an der Führung des Betriebes“ ansieht (Gładoch, a. a. O., S. 205) und die Beteiligung an der „Führung des Unternehmens“ generell der Beteiligung an der „Führung des Betriebes“ gleichsetzt (Gładoch, a. a. O., S. 210), ferner die Anmerkungen zum Begriff der „Führung des Betriebes“ im Gesetz von 1981 (Gładoch, a. a. O., S. 206). Im Allgemeinen scheint der Begriff des Betriebs („zaklad“) im polni-

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Ebenso wie das Koalitionsrecht ist die Arbeitnehmerbeteiligung an der Betriebsführung systematisch im Abschnitt „Grundprinzipien des Arbeitsrechts“ 1249 verankert. Allerdings werden von Art. 182 ArbGB keine bestimmten Ausprägungen der Arbeitnehmerbeteiligung verpflichtend vorgegeben.1250 Vielmehr wird dieses Recht erst durch besondere Gesetze bzw. Regelungen ausgefüllt. Auf nationaler Ebene wird das Recht auf Arbeitnehmerpartizipation konkretisiert durch das SelbstVerwG von 19811251, das KommerzG von 19961252 sowie durch das Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 20061253 (nachfolgend: „InfKonsG“).1254 Ferner sehen einige unternehmensbezogene Spezialgesetze sowie das Gesetz über die kommunale Wirtschaft eine Arbeitnehmerpartizipation vor. Darüber hinaus wird die Arbeitnehmerbeteiligung auf europäischer Ebene durch das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 20021255, das Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 20051256, das Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 20061257 und das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaften vom 25. April 20081258 geregelt. Eine Konkretisierung des Art. 182 ArbGB dürften auch betriebliche Ad-hoc-Repräsentationen darstellen, die auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften zum Abschluss bestimmter Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber berechtigt sind. Die von schen Recht und auch in der polnischen Literatur nicht derart eindeutig verwendet zu werden wie im deutschen Sprachgebrauch, wo er eng mit dem Betriebsverfassungsgesetz und der betrieblichen Mitbestimmung verbunden ist. Gleichwohl wird von einigen Autoren die deutsche Unterscheidung herangezogen, so wohl Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 868. 1249 „Podstawowe zasady prawa pracy“, Übersetzung d. Verf.; anders Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch und Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466 („Grundsätze des Arbeitsrechts“). 1250 Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 2. 1251 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123. 1252 Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Rechte der Arbeitnehmer vom 30. September 1996, Dz. U. 1996 Nr. 118 Pos. 561. 1253 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 1254 Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 1; Wratny, Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 2. 1255 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. 1256 Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 2005, Dz. U. 2005 Nr. 62 Pos. 551. 1257 Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 2006, Dz. U. 2006 Nr. 149 Pos. 1077. 1258 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung enstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 525.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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Art. 182 ArbGB vorgesehene Arbeitnehmerpartizipation zeichnet sich aufgrund der genannten, die Norm konkretisierenden Vorschriften durch eine Vielfalt an rechtlichen Formen und Ausprägungen der Arbeitnehmerbeteiligung aus, die abhängig vom konkreten gesetzlichen Anwendungsbereich sowohl auf betrieblicher Ebene als auch in den Gesellschaftsorganen und sogar auf europäischer Ebene erfolgt, eine unterschiedliche Intensität annimmt und durch verschiedene Repräsentanten wahrgenommen wird.1259 Art. 183 ArbGB verpflichtet die Arbeitgeber und Verwaltungsorgane, entsprechende Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass das Koalitionsrecht nach Art. 181 ArbGB und das Recht auf Arbeitnehmerpartizipation nach Art. 182 ArbGB wahrgenommen werden können. Die Vorschrift wird verstanden als Pflicht, bei der Wahrnehmung der in Art. 181 und Art. 182 ArbGB gewährten Rechte mitzuwirken und diese zu unterstützen (z. B. durch entsprechende Information, Freistellung etc.)1260, als Verbot, die Wahrnehmung dieser Rechte zu erschweren oder zu behindern1261 sowie als Leitlinie bei der Interpretation der von Art. 181 ArbGB und Art. 182 ArbGB erfassten Vorschriften1262. Inhaltlich korrespondiert die Verpflichtung der Arbeitgeber und Verwaltungsorgane mit den jeweiligen Rechten der Arbeitnehmer.1263 Allerdings sieht Art. 183 ArbGB selbst keine Sanktionen für den Fall eines Verstoßes vor, vielmehr richten sich die Rechtsfolgen im Fall eines Verstoßes nach den jeweiligen Vorschriften, durch die Art. 181 ArbGB und Art. 182 ArbGB konkretisiert werden.1264 Charakteristisch für das polnische System der Arbeitnehmerbeteiligung ist zunächst, dass bestimmte Partizipationsformen lediglich im staatlichen bzw. ehemals staatlichen Sektor vorzufinden sind, was in der sozialistischen Vergangenheit des Landes begründet liegt. So erfassen das SelbstVerwG und das KommerzG ausschließlich existierende oder ehemalige Staatsunternehmen. Die neueren Partizipationsformen, die unter europäischem Einfluss entstanden sind, finden dagegen auch in der Privatwirtschaft Anwendung. Dogmatisch differenziert die polnische Rechtswissenschaft zwischen der Arbeitnehmerpartizipation auf erster, d.h. betrieblicher Ebene, und der Arbeitnehmerpartizipation in den Organen einer Gesellschaft, die auch als zweite Ebene 1259

Vgl. auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. Vgl. Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 3; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1261 So Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 3; Stelina, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1262 So Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1263 S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1264 Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 4; Stelina, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 2; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 3. 1260

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

der Arbeitnehmerpartizipation bezeichnet wird.1265 Hierbei wird die deutsche Unterscheidung zwischen dem Betrieb und Unternehmen herangezogen.1266 Eine Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen ist auf nationaler Ebene nur auf Grundlage des KommerzG von 1996 vorgesehen, ferner in europäischer Dimension aufgrund der Gesetze über die SE, die Europäische Genossenschaft und die grenzüberschreitende Verschmelzung. Eine Sonderform bildet hier die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981.1267 Auf betrieblicher Ebene besteht seit 2006 aufgrund des InfKonsG – abgesehen von der Tätigkeit der Betriebsgewerkschaften, betrieblicher Ad-hoc-Repräsentationen und den Europäischen Betriebsräten – unter gewissen Voraussetzungen nunmehr auch eine Beteiligung auf betrieblicher Ebene durch Arbeitnehmerräte.1268 Weiter wird danach unterschieden, ob die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmerrepräsentanten wahrgenommen werden (sog. repräsentative Partizipation) oder ob eine persönliche Teilhabe sämtlicher Arbeitnehmer, etwa in Versammlungen, vorgesehen ist (sog. unmittelbare Partizipation).1269 Anders als im deutschen Recht wird in der polnischen Rechtswissenschaft generell die Arbeitnehmervertretung durch Gewerkschaften begrifflich zur Arbeitnehmerpartizipation gezählt.1270 Die Gewerkschaften, genauer die Betriebsgewerkschaften, werden sogar als die vorrangigen Repräsentanten der Arbeitnehmer angesehen, durch die diese Beteiligungsrechte wahrnehmen können.1271 Weitere Rechtssubjekte, die im Namen der Arbeitnehmer an der Unternehmens- bzw. Betriebsführung beteiligt sind, sind je nach gesetzlicher Grundlage die Selbstverwaltungsorgane, Ar1265 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46 f.; Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 868. 1266 Vgl. Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 868. 1267 Die dogmatische Einordnung ist hier allerdings nicht eindeutig. Einige Autoren aus der polnischen Rechtswissenschaft tendieren dazu, diese Form der Arbeitnehmerpartizipation als Beteiligung auf erster, d.h. betrieblicher Ebene zu qualifizieren. Dies wird hier anders gesehen, ebenso http://de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbe ziehungen/Laender/Polen/Unternehmensmitbestimmung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Hierzu auch unten Kapitel 3, D.II.2.c). 1268 Ausführlich zur Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene durch die Betriebsgewerkschaften unten Kapitel 5, A.I.1.c)dd), durch andere nicht-gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretungen unten Kapitel 5, B. 1269 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Woz ´niak, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 103 (107); vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46, der zwischen der „repräsentativen Arbeitnehmerpartizipation“ und der „kapitalbasierten Arbeitnehmerpartizipation“ unterscheidet. 1270 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18; dies., Dialog społeczny, S. 63; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1271 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 46.

C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen

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beitnehmerräte, Arbeitnehmerrepräsentanten in den Gesellschaftsorganen (d.h. im Aufsichtsrat oder Vorstand) kommerzialisierter polnischer Aktiengesellschaften sowie Arbeitnehmerrepräsentanten in der SE, Europäischen Genossenschaft, europäische Betriebsräte und ad hoc berufene Arbeitnehmervertretungen.1272 Als Besonderheit des polnischen Systems und anders als im deutschen Recht lässt sich in polnischen Betrieben heutzutage eine zweispurige Interessenvertretung der Arbeitnehmer feststellen: auf der einen Seite durch den Arbeitnehmerrat und auf der anderen Seite durch die Betriebsgewerkschaft, der zahlreiche Kompetenzen auf betrieblicher Ebene zustehen.1273 Dabei haben die Betriebsgewerkschaften die weitaus größere Bedeutung.1274 Anders als im deutschen Recht wird in der polnischen Rechtswissenschaft zusätzlich zur Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene und in den Gesellschaftsorganen auch das sog. Arbeitnehmeraktionärstum („akcjonariat pracowniczy“) als Sonderform der Arbeitnehmerpartizipation klassifiziert – und zwar als eine Form der sog. unmittelbaren Partizipation auf zweiter Ebene, d.h. auf Organebene, die auch als „kapitalbasierte Arbeitnehmerpartizipation“ bezeichnet wird.1275 Beim Arbeitnehmeraktionärstum sind die Arbeitnehmer in der Regel zu einem kostenlosen oder vergünstigten Erwerb von Unternehmensaktien berechtigt und können über ihr Stimmrecht in der Hauptversammlung – letztlich also auf Ebene eines Gesellschaftsorgans – an der Unternehmensführung teilhaben.1276 Das Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung an der Unternehmensführung beruht dabei nicht auf einem „laboristischen“ Ansatz wie im Fall der repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung, sondern auf Eigentum.1277 Die Verwirklichung des Partizipationsgedankens über das Eigentum wurzelt in liberalen und christlichen Ideologien.1278 Während der Transformationsphase spielte das Arbeitnehmeraktionärstum eine erhebliche Rolle.1279

1272

Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18, S. 159 ff. Gładoch, Dialog społeczny, S. 63. Ausführlich zu den Kompetenzen der Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene siehe unten Kapitel 5, A.I.1.c)dd). 1274 Gładoch, Dialog społeczny, S. 63. 1275 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Woz ´niak, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 103 (107); Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 ff.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1276 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111). 1277 Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111). 1278 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (17). 1279 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.4. 1273

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer nehmen je nach Rechtsgrundlage eine unterschiedliche Intensität an, beginnend mit dem Recht auf Information und Konsultation auf Grundlage des InfKonsG von 2006 bis hin zur Arbeitnehmerselbstverwaltung1280 auf Grundlage der aus den Zeiten des Sozialismus stammenden Gesetze von 1981. Die in den verschiedenen Gesetzen unterschiedlich ausgeformten Beteiligungsrechte beschränken die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers somit auch in unterschiedlichem Umfang.1281

D. Zusammenfassung Die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Deutschland und Polen erfolgte unter grundlegend verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Rahmenbedingungen, die nicht nur einen anderen Ausgangspunkt für die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Entscheidungen im Unternehmen bildeten, sondern auch ihre jeweiligen rechtlichen Formen beeinflussten und bis heute dem jeweiligen System der Arbeitnehmerbeteiligung ihr Gepräge geben. Die Idee der Arbeitnehmerbeteiligung entstand in Deutschland bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Schon damals wurde sie als Antwort auf das Ungleichgewicht zwischen dem Faktor Kapital und dem Faktor Arbeit und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Problemen („soziale Frage“) verstanden. Erste Formen der Arbeitnehmervertretung in den Betrieben entstanden jedoch nicht auf dem Papier – wenngleich durchaus fortschrittliche Konzepte schon während der 1848er Revolution entwickelt wurden – sondern auf tatsächlicher und freiwilliger Grundlage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die in den Fabriken eingerichteten Arbeitnehmervertretungen, die eine Weiterentwicklung bewährter betrieblicher Sozialeinrichtungen darstellten, förderten zunehmend eine Kooperation zwischen dem Unternehmensinhaber und der Belegschaft. Später dienten sie als Vorbild für die gesetzlich verbindliche Einrichtung von Arbeiterausschüssen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde mit dem BRG 1920 als Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche und die radikale Rätebewegung nicht nur der Grundstein für die betriebliche Mitbestimmung, sondern auch die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen gelegt. Erstmals erhielt auch der Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ seine gesetzliche Verankerung. In der Weimarer Republik entstanden damit die gesetzlichen und darüber hinaus auch die ideologischen 1280 Das Modell nach dem SelbstVerwG von 1981 wird zwar gemeinhin als Selbstverwaltungsmodell bezeichnet, gleichwohl wird in der polnischen Literatur hervorgehoben, dass es sich tatsächlich auch hierbei nur um ein partizipatives Modell handelt, vgl. Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (22); Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 849 (868); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 1281 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; näher hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 47 f.

D. Zusammenfassung

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Fundamente für die Mitbestimmung, an die nach dem Zweiten Weltkrieg angeknüpft werden konnte. Dagegen sah sich der nach dem Ersten Weltkrieg neu aufbauende polnische Staat zuvorderst der Schwierigkeit ausgesetzt, ein einheitliches Rechtssystem zu schaffen und die diversen, unter den drei Besatzungsmächten geltenden Regelungen und Systeme zu vereinen. Dadurch fehlte auch eine einheitliche arbeitsrechtliche Tradition. Die spontanen Arbeitnehmervertretungen in Form von Arbeiterdelegiertenräten waren aufgrund ihrer engen Verwandtschaft mit der bolschewistischen Rätebewegung in den federführenden politischen Kreisen unbeliebt und verloren nach den anfänglichen radikalen Bewegungen auch in der Bevölkerung bald stark an Zuspruch. Obwohl in Teilen Polens auch noch das deutsche BRG 1920 galt, scheiterte eine landesweite Ausweitung des Gesetzes, ebenso wie die im Jahre 1938 begonnene Ausarbeitung eines Betriebsrätegesetzes. So waren bis zum Zweiten Weltkrieg keinerlei gesetzliche Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von betriebsinternen Arbeitnehmervertretungen außerhalb der Gewerkschaftsorganisationen geschaffen worden. Die Funktion der Arbeitnehmerinteressenvertretung nahmen in der Praxis vielmehr überwiegend die Gewerkschaften wahr, auch wenn diese regional stark zersplittert und daher kaum einheitlich aufgetreten waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts und insbesondere der Arbeitnehmerpartizipation in Deutschland und Polen im Rahmen grundlegend verschiedener politischer und wirtschaftlicher Systeme. In Deutschland wurde die Mitbestimmung zu einem zentralen und von breiten politischen und gesellschaftlichen Kreisen getragenen Aspekt der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung Deutschlands. Die Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Entscheidungen wurde unter dem Schlagwort der „Wirtschaftsdemokratie“ postuliert, sie sollte eine Einschränkung des für den Krieg mitverantwortlich gemachten Kapitalismus gewährleisten und dadurch eine Wiederholung des nationalsozialistischen Regimes in Zukunft verhindern. Vor allem aber begünstigten die in den ersten Nachkriegsjahren geschaffenen Tatsachen die Entwicklung der Mitbestimmung. Vor dem Hintergrund der Entflechtungs- und Demontagemaßnahmen der Alliierten waren die geschwächten Unternehmer auf eine Kooperation mit den Gewerkschaften angewiesen, die dadurch ihre Mitbestimmungsforderungen in der Praxis durchsetzen konnten. Die Nachwehen der Kriegsgeschehnisse, die verbreitete antikapitalistische Haltung und schließlich auch die notwendige Kooperation zwischen Unternehmer- und Belegschafts- bzw. Gewerkschaftsseite verhalfen so dem Einzug der Mitbestimmung sowohl in die politischen Konzepte als auch in die Realität. Den durchsetzungsstarken Gewerkschaften gelang mit der Montanmitbestimmung die gesetzliche Absicherung eines vor dem Hintergrund der Entflechtungsmaßnahmen der Alliierten entstandenen und in der Praxis mehrere Jahre gelebten Modells der Arbeitnehmerbeteiligung. In gleichem Maße waren es die Gewerkschaften, die auf

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

eine Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf Großunternehmen in der gesamten Wirtschaft drängten. Die harten politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, die von einer Fülle an empirischen und wissenschaftlichen Untersuchungen und Abhandlungen begleitet wurden, lassen die Mitbestimmung heute als eine der konfliktreichsten politischen Fragen der deutschen Nachkriegszeit erscheinen. Dabei konnte nicht nur die Mitbestimmung in der Montanindustrie als Ansatzpunkt für die Gewerkschaften und ihre weitergehenden Forderungen nach Mitbestimmung in allen Unternehmen der Privatwirtschaft gelten. Auch ermöglichten die gemachten Erfahrungen eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema in politischen und juristischen Kreisen. Der im Laufe der ersten drei Jahrzehnte nach Kriegsende hartnäckig geführte Kampf der Gewerkschaften trug schließlich dazu bei, dass auch außerhalb der Montanindustrie ein ähnliches Mitbestimmungsmodell für Großunternehmen der Privatwirtschaft eingeführt wurde. Die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen stieß nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen auf systembedingte, in der politischen und wirtschaftlichen Ordnung wurzelnde Widerstände. In dem Kontext des zentral gesteuerten, bürokratischen Wirtschaftssystems und der autoritären politischen Alleinherrschaft der Arbeiterpartei war für eine authentische Arbeitnehmervertretung schlichtweg kein Raum.1282 Die Arbeitnehmerbeteiligung war zwar in der politischen Ideologie angelegt und sollte die führende Rolle der Arbeiterklasse untermauern, doch dienten die Partizipationsformen in Wahrheit nur der Aufsicht und Kontrolle des Parteiapparates. Sowohl die betrieblichen als auch die gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen waren lediglich „Transmissionsriemen“ der führenden Partei, nicht jedoch authentische Repräsentanten der Arbeitnehmer. Im System der zentral gesteuerten Wirtschaft war den Staatsunternehmen im Wesentlichen keinerlei Selbstständigkeit zugebilligt, insoweit war auch eine etwaig gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung durch äußere Umstände beschränkt. Die auf gesellschaftliche Umbrüche und Partizipationsbestrebungen der Bevölkerung zurückzuführenden Gesetze über Betriebsräte von 1945 und über Arbeiterräte von 1956 wurden schon nach kürzester Zeit ausgehöhlt und die Arbeitnehmervertretungen zu einem Instrument der parteipolitischen Organisationen umfunktioniert, womit sie ihre anfängliche Authentizität und damit einhergehend auch den entsprechenden Rückhalt der Belegschaften verloren. Auch der Durchbruch in den Jahren 1980/1981 wurde von der Regierung schnell wieder gebändigt. Propaganda und Wirklichkeit gingen zu Zeiten der Volksrepublik Polen stark auseinander, und so gab es in der polnischen Geschichte bis 1989 – abgesehen von den Jahren 1956 bis 1958 sowie von September bis Dezember 1981 – kein echtes, authentisches und unabhängiges Arbeitnehmerbeteiligungsmodell. Es wundert daher nicht, dass sich bis 1990 1282

So auch schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35 f.

D. Zusammenfassung

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kein dauerhaftes, beständiges System der Arbeitnehmerbeteiligung entwickeln konnte. Zu Recht lässt sich sagen, dass die Entwicklung einer echten Arbeitnehmerbeteiligung zu Zeiten des realen Sozialismus durch die politische und wirtschaftliche Lage Polens verhindert wurde.1283 Doch auch wenn die Arbeitnehmerpartizipation in der polnischen Geschichte viele Brüche erlitt und die Authentizität, Unabhängigkeit und Einflussmöglichkeiten der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen stark schwankten, so war die Arbeitnehmerpartizipation ein in der polnischen Rechtsgeschichte stets vorhandenes Element.1284 Nicht zuletzt hatten auch die jahrzehntelangen Bestrebungen nach authentischer Arbeitnehmervertretung bzw. Selbstverwaltung und die Errungenschaften der Jahre 1980/81 schließlich stark zum Umbruch im Jahre 1989 verholfen. Der Kampf der polnischen Arbeiterschaft um mehr Selbstbestimmung war immer auch ein Kampf gegen das autoritäre sozialistische System. Nach 1989 erfolgte in Polen eine grundlegende Transformation des gesamten politischen und wirtschaftlichen Systems, im Zuge derer auch die kollektiven Beziehungen, insbesondere die Arbeitnehmerpartizipation, neu geregelt werden mussten. Innerhalb kürzester Zeit und in Angesicht sich überschlagender politischer und wirtschaftlicher Umbrüche trat an die Stelle der Selbstverwaltungen eine völlig neue, sich an westlichen Vorbildern orientierende Partizipationsform in Gestalt der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter, ehemaliger Staatsunternehmen. Insofern ist die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen der kommerzialisierten bzw. privatisierten Unternehmen als eine Kontinuität der früheren Selbstverwaltungen zu sehen, die als Kompensation für die Auflösung der – mit dem neuen, auf Marktwirtschaft und Privateigentum beruhenden System nicht länger kompatiblen – Selbstverwaltungsorgane eingeführt wurde. Die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen liegt daher wesentlich in der Geschichte vor 1989 und der Existenz der Selbstverwaltungen begründet, denen eine dem neuen Wirtschaftssystem angepasste Form der Arbeitnehmerpartizipation verliehen werden musste. In dieser – mehr ideologischen und politischen als rechtlichen – Kontinuität hat der in Polen mehrere Jahrzehnte lang geführte Kampf um die Selbstverwaltung als Gegenpart zur staatlichen Autorität seine Spuren auf dem polnischen Modell der Arbeitnehmerpartizipation bis heute hinterlassen. Gleichzeitig färbten jedoch auch die mit den Selbstverwaltungsorganen gemachten negativen Erfahrungen und gefestigten Überzeugungen auf das Verständnis der Arbeitnehmerbeteiligung im Unternehmen ab. Der historische Nachlass an negativen Erfahrungen mit dem sozialistischen System warf einen langen Schatten auch auf die Arbeitnehmerpartizipation, der seit Einleitung der wirtschaftlichen Transformation mit großer Zurückhaltung begegnet wurde. 1283

So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. Zutreffend schon hervorgehoben von Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 168. 1284

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

Abgesehen von der in jener Kontinuität begründeten gesetzlichen Zusicherung einer Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen schlug die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation nach der wirtschaftlichen und politischen Transformation eine neue Richtung ein. Bei der Neuregelung des kollektiven Arbeitsrechts in Polen lag der Fokus auf der Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen für unabhängige Gewerkschafts- und Arbeitgeberorganisationen und die Entwicklung des sozialen Dialogs, im Rahmen dessen die Gewerkschaften die wesentliche Rolle spielten. Eine gewerkschaftsunabhängige betriebliche Mitbestimmung wurde erst mit Umsetzung der europäischen Richtlinie 2002/14/EG zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer eingeführt, sodass lange Zeit die Gewerkschaften in der Privatwirtschaft die einzige unternehmensinterne Institution zur Wahrung arbeitnehmerseitiger Interessen darstellten. Auch wenn sich Polen an westlichen Vorbildern, unter anderem auch am deutschen Mitbestimmungsmodell, orientierte, so fand es einen eigenen Weg zur Neuregelung des kollektiven Arbeitsrechts und der Arbeitnehmerpartizipation, der sich vom deutschen Modell doch grundlegend unterschied. Beim Neuaufbau der wirtschaftlichen und politischen Ordnung wurde zu neuen Mechanismen gegriffen – so etwa der Triparitätischen Kommission –, die in Deutschland keine institutionelle Entsprechung finden. Noch bedeutsamer als die Frage der Arbeitnehmerpartizipation erschien im Rahmen der wirtschaftlichen Neuordnung indes die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen. Im Rahmen der Konzepte zur Neuordnung Polens war die Eigentumsfrage zu einem zentralen Streitpunkt geworden, gleichsam nahm daher auch die sog. „Kapitalpartizipation“ der Arbeitnehmer an den privatisierten Unternehmen über einen vergünstigten oder unentgeltlichen Anteilserwerb eine überragende Rolle ein. Die Privatisierungsgesetze begünstigten die Entstehung von sog. Arbeitnehmergesellschaften, in denen die Belegschaften wesentlich am Kapital der Unternehmen beteiligt waren. Doch auch wenn die Entwicklungslinien und Hintergründe der Arbeitnehmerpartizipation in Deutschland und Polen kaum unterschiedlicher sein könnten, so lassen sich im Hinblick auf die Bedeutung und Tragweite der Arbeitnehmerbeteiligung im gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext grundsätzliche Gemeinsamkeit herausstellen. In beiden Ländern ist zu beobachten, dass sich Partizipationsbestrebungen und -formen immer im Nachgang zu schweren Krisen oder grundlegenden Umbrüchen entwickelten, die eine wesentliche Neuordnung erforderten. In Deutschland schon mit anbrechender Industrialisierung, dann vor allem jeweils nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, durch den nahezu alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche betroffen waren, in Polen sowohl im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Ersten (Arbeiterdelegiertenräte) und Zweiten Weltkrieg (Betriebsräte) sowie im Nachgang zu den gesellschaftlichen Protesten im Jahre 1956 („Polnischer Oktober“) und im Jahre 1980, die jeweils von schweren wirtschaftlichen Krisen ausgelöst wurden. In beiden Ländern nahm die Bedeutung der Arbeitnehmerbeteiligung und -vertretung eine Dimension ein, die über die

D. Zusammenfassung

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reinen arbeitsrechtlichen Implikationen und kollektiven Arbeitsbeziehungen hinausging. In Deutschland manifestierte sich dies in der elementaren Verknüpfung der Mitbestimmung mit der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung nach den verlorenen Weltkriegen. In Polen wiederum war das Streben nach authentischer Arbeitnehmerbeteiligung immer wieder vor allem ein Versuch der Bevölkerung, sich gegen das autoritäre Staatssystem und die zentralen Wirtschaftsstrukturen aufzulehnen und so gesamtwirtschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Vor allem im Rahmen der politischen Spannungen in den 1980er Jahren war die Frage der Arbeitnehmerbeteiligung ein zentrales Element des politischen Kampfes gegen das autoritäre Staatssystem. Gleichzeitig stellte die Arbeitnehmerselbstverwaltung einen wesentlichen Aspekt in den Konzepten zur Überwindung der langjährigen wirtschaftlichen Krise des Landes dar, in den Gesprächen des Runden Tisches war sie ein proklamiertes Fundament der Staatsreform. Die Arbeitnehmerselbstverwaltung hatte so über ihre Funktion in einzelnen Unternehmen hinaus eine wesentliche Bedeutung nicht nur für die arbeitsrechtlichen und politischen Beziehungen in Zeiten des realen Sozialismus, sondern letztlich für die gesamte staatliche und wirtschaftliche Ordnung.1285 Nach dem Umbruch von 1989 zeigte sich die gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerpartizipation darin, dass die mit den Privatisierungsgesetzen eingeführte Unternehmensmitbestimmung ein Zugeständnis an die Arbeitnehmer darstellen sollte, mit dem sich die Regierung ihre Akzeptanz für die wirtschaftlichen und oft mit negativen Konsequenzen für die Arbeitnehmer behafteten Privatisierungsprozesse sichern wollte. Arbeitnehmerpartizipation war daher sowohl in Deutschland als auch in Polen ein – wenngleich im unterschiedlichen Kontext – vor allem auch gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Thema. Teilweise war sie sogar Teil eines Kampfes gegen das System: Während sich die polnische Arbeiterschaft über eine authentische Arbeitnehmerbeteiligung Freiheiten im sozialistischen System erkämpfen wollte, war in Deutschland jedenfalls in den ersten Nachkriegsjahren die Mitbestimmung als Beschränkung des Kapitalismus gedacht. Die Geschichte Polens zeigt indes, dass überhaupt nur in Letzterem eine authentische Arbeitnehmerbeteiligung bestehen kann. Die heutige Ausprägung der kollektiven Arbeitsbeziehungen in Deutschland und Polen hat sich nicht zuletzt durch den europäischen Einfluss erheblich angenähert. Gewerkschaften, Tarifverträge, gewerkschaftsunabhängige betriebliche Interessenvertretungen und in Teilen sogar die Unternehmensmitbestimmung lassen sich als Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts in beiden Rechtsordnungen finden. Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beruhen auf den gleichen Grundprinzipien der politischen Demokratie, sozialen Marktwirtschaft, verfassungsrechtlich gewährleistetem Privateigentum, Koalitionsfrei1285 So auch schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 59.

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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung

heit und Tarifautonomie. Gleichwohl färben die historischen Hintergründe noch heute auf das System der kollektiven Arbeitsbeziehungen ab. So reicht die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern in Deutschland bereits ins 19. Jahrhundert zurück, während in Polen erst nach dem Umbruch 1989 nach und nach ein sozialer Dialog entstehen konnte. Der deutsche Ansatz von einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ fand sich bereits in Konzepten während der 1848er Revolution, manifestierte sich schließlich in den freiwillig etablierten Fabrikausschüssen im 19. Jahrhundert, zeigte sich auch beim Zusammenwirken der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite beim staatlichen Wiederaufbau nach 1945 und dem Widerstand gegen existenzbedrohende Demontagen und ist auch heute nicht nur im Gesetz (Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“, vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG), sondern auch im Bewusstsein der Sozialpartner und der gelebten Praxis verankert. Das deutsche Modell der paritätischen Unternehmensmitbestimmung entstand nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Fundament einer tatsächlich gelebten und notwendigen Kooperation zwischen den Unternehmensinhabern und den Arbeitnehmern sowie ihren Vertretern. In Polen wurde authentischen Kooperationen, sofern sie denn auftraten, dagegen bald wieder der Boden entzogen, indem die Arbeitnehmervertretungen wieder den parteipolitischen und gewerkschaftlichen Organisationen unterstellt wurden. Eine wahrhaftige Kooperation zwischen den Arbeitnehmervertretungen und dem Unternehmensinhaber – dem Staat – konnte angesichts der autoritären politischen Führung schon per Definition nicht dauerhaft gelingen. Die Arbeitnehmerpartizipation in Polen wurde dadurch geprägt von einem Kampf der Arbeitnehmervertretungen gegen den autoritären Unternehmensinhaber. Erst nach 1989 konnte überhaupt eine Kooperation zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft frei von systembedingten Zwängen entstehen.

Kapitel 3

Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung I. Rechtsgrundlagen der Unternehmensmitbestimmung 1. Deutschland a) Unternehmensmitbestimmungsgesetze Die rechtlichen Grundlagen für das Recht der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland finden sich im Wesentlichen in vier Gesetzen: a) dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 19511 („MontanMitbestG“); b) dem Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 7. August 19562 („MontanMitbestErgG“); c) dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 19763 („MitbestG“); und d) dem Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18. Mai 20044 („DrittelbG“). Darüber hinaus gibt es verschiedene Sonderregelungen, etwa zur Mitbestimmungserhaltung (z. B. § 325 UmwG5), für bestimmte Unternehmen (z. B. das VW-Gesetz6) oder auf Grundlage von völkerrechtlichen Verträgen (z. B. 1 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951, BGBl. I S. 347, m. sp. Änd. 2 Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 7. August 1956, BGBl. I S. 707, m. sp. Änd. 3 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 1976, BGBl. I S. 1153, m. sp. Änd. 4 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974, m. sp. Änd. 5 Vgl. hierzu etwa Ahrendt, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 116 Rn. 38. 6 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960, BGBl. I S. 585; ausführlich hierzu Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 269 ff.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

betreffend die deutsch-schweizerischen Grenzkraftwerke7). Im Saarland findet sich ferner eine das MontanMitbestG abändernde Sonderregelung.8 Die gesetzlichen Regelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen sind zwingend.9 Sie können daher weder durch tarifvertragliche Abreden, Betriebsvereinbarungen oder die Satzung geändert werden10 noch sind sie einem arbeitnehmerseitigen Verzicht zugänglich11. b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen Eine Regelung der Unternehmensmitbestimmung durch Tarifvertrag ist nach herrschender Meinung12 unzulässig. Zum einen können gemäß § 1 Abs. 1 TVG die Bestimmungen eines Tarifvertrages nur „den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ regeln, sodass die Unternehmensverfassung bereits nach dem eindeutigen Wortlaut nicht in den Regelungsbereich von Tarifverträgen fällt.13 Zum anderen fehlen den Mitbestimmungsgesetzen Öffnungsklauseln für eine Gestaltung der Mitbestimmung durch Tarifvertrag – vergleichbar manchen Vorschriften des BetrVG –, die eine Abweichung von den zwingenden Vorschriften der Mitbestimmungsgesetze durch Tarifvertrag erlauben würden.14 Ferner wird vorgebracht, dass es mit dem Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit der Tarifver-

7 Vgl. Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 42; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 15; ausführlich hierzu sowie zu den deutsch-österreichischen Grenzkraftwerken Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 241 ff. 8 Gesetz Nr. 560 über die Einführung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaues und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie vom 22. Dezember 1956, Amtsblatt Saarland S. 1703, vgl. Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 1; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 40. 9 Allg. Meinung, vgl. statt aller Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 368 Rn. 12 m.w. N. 10 Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 2; Raiser, in: Raiser/Veil/ Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 57. 11 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 57; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 368 Rn. 12. 12 So etwa Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 55; Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (47); Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 368 Rn. 12; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 8 m.w. N. 13 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 55; Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (47); Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 8 m.w. N. 14 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 8.

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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tragsparteien unvereinbar sei, wenn die Gewerkschaft letztlich mithilfe des Tarifvertrages auf die Verfassung des Tarifgegners einwirken könnte.15 Eine Betriebsvereinbarung zur Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung ist schon allein deshalb undenkbar, weil Fragen der Unternehmensverfassung nicht in den Zuständigkeitsbereich der Betriebsräte nach dem BetrVG fallen und freiwillige Betriebsvereinbarungen lediglich soziale Angelegenheiten auf der betrieblichen Ebene (vgl. § 88 BetrVG) regeln können.16 In bestimmten Fällen möglich ist allerdings eine privatautonome Vereinbarung zwischen Unternehmen oder Anteilseignern und Gewerkschaften außerhalb des Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrechts, mit der ein bestimmtes, über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehendes Mitbestimmungsniveau vereinbart und daraufhin im jeweiligen Gesellschaftsvertrag festgelegt werden kann. Per se ausgeschlossen ist dies bei Anwendbarkeit des MitbestG, des MontanMitbestG und des MontanMitbestErgG, da diese Gesetze die Zahl der Arbeitnehmervertreter dergestalt zwingend festlegen, dass weder zu Ungunsten noch zu Gunsten der Arbeitnehmer von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden kann.17 Sofern keines der genannten Mitbestimmungsgesetze einschlägig ist, ist im Hinblick auf die Möglichkeit privatautonomer Vereinbarungen und darauf beruhender Bestimmungen in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag rechtsformspezifisch zu unterscheiden zwischen der Aktiengesellschaft und KGaA einerseits und der GmbH sowie anderen Rechtsformen andererseits.18 Denn die Möglichkeit privatautonomer Vereinbarungen über die Unternehmensmitbestimmung findet ihre Grenze dort, wo zwingende gesetzliche Regelungen einer solchen Vereinbarung entgegenstehen würden.19 Dies ist nach ganz herrschender Meinung20 etwa im Falle der Einführung oder satzungsmäßigen Erhöhung von Arbeitnehmersitzen im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft der Fall, da die gesetzlichen Vorschriften

15 So Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (48). 16 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 65. 17 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 20 ff., 50 ff. m.w. N.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 4 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 2 MontanMitbestG Rn. 3; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 5 MitbestErgG Rn. 1. Im Anwendungsbereich des MitbestG, MontanMitbestG und MontanMitbestErgG ist allenfalls eine Erhöhung der Arbeitnehmerbeteiligung durch Satzung nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 2 MitbestG, § 9 MontanMitbestG und § 5 Abs. 1 Satz 3 MontanMitbestErgG möglich; näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.b)aa). 18 Vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6 f.; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 20 ff. 19 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 21. 20 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 50.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft (§ 96 AktG) zwingend sind und – mangels Öffnungsklausel i. S. d. § 23 Abs. 5 AktG – entsprechende Satzungsänderungen unzulässig wären.21 Dasselbe gilt wegen § 278 Abs. 3 AktG im Fall der KGaA.22 Eine freiwillige Einführung oder Erhöhung der Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kann in diesem Fall nur durch tatsächliches Abstimmungsverhalten der Aktionäre in der Hauptversammlung bzw. entsprechende Stimmbindungsverträge – soweit ihre Zulässigkeit bejaht wird – erreicht werden.23 In letzterem Fall ist jedoch weder eine Erfüllungsklage aus dem Stimmbindungsvertrag möglich noch wird eine Abstimmung ungültig, wenn ein Aktionär entgegen der Vereinbarung abstimmt; allenfalls kann ein Schadensersatzanspruch gegen den jeweiligen Aktionär bestehen.24 Aus der Unzulässigkeit mitbestimmungserweiternder Satzungsregelungen folgt nicht nur das Verbot, durch Satzungsbestimmung eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Zahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat festzulegen, auch ist die satzungsmäßige Einräumung eines Entsendungsrechts für Gewerkschaften oder Betriebsräte oder die Koppelung des Aufsichtsratsmandats an die Arbeitnehmereigenschaft oder Gewerkschaftszugehörigkeit unzulässig.25 Im Falle überhaupt nicht mitbestimmter sowie nach wohl überwiegender Ansicht auch im Falle nur drittelparitätisch mitbestimmter26 GmbHs sowie bei Personengesellschaften bestehen hingegen keine zwingenden Vorschriften, die einer

21 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestG Vorbem. Rn. 153 m.w. N.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6 m.w. N.; ausführlich hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 50 ff.; zur zahlenmäßigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats unten Kapitel 3, C.II.2.b)aa). 22 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 20. 23 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 55, 57 ff.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6. Die Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen ist allerdings umstritten, vgl. die Nachweise bei Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6; für ihre Zulässigkeit etwa Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 8; kritisch zu Stimmbindungsverträgen Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (52 ff.). 24 Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 8. 25 Hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 53 mit weiteren Beispielen. 26 Str., vgl. hierzu OLG Bremen, Beschluss vom 22. März. 1977, Az.: 2 W 102/75, NJW 1977, S. 1153 (1154 f.); Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 23; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rn. 10a; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 7; jeweils m.w. N. Nach wohl h. M. wird es für zulässig erachtet, wenn im Gesellschaftsvertrag der drittelparitätisch mitbestimmten GmbH die Zahl der Arbeitnehmervertreter über die gesetzlich vorgesehene Drittelparität hinaus aufgestockt wird, da § 4 Abs. 1 DrittelbG nur eine zwingende Untergrenze enthalte, hierzu etwa OLG Bremen, Beschluss vom 22. März 1977, Az.: 2 W 102/75, NJW 1977, S. 1153 (1154 f.); Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 371 Rn. 8 m.w. N.

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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satzungsmäßigen Einführung oder Erhöhung der Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat oder der Bildung eines separaten Organs zur Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten entgegenstehen würden.27 In diesen Fällen kann mithin die Mitbestimmung im Unternehmen gänzlich neu eingeführt, aufgestockt oder in Anlehnung an andere gesetzliche Mitbestimmungsmodelle ausgestaltet werden.28 Freiwillige Mitbestimmungsvereinbarungen sind der deutschen Geschichte indes nicht fremd – erwähnt sei nicht zuletzt die in den ersten Nachkriegsjahren zunächst nur auf freiwilliger Basis bestehende Mitbestimmung in der Montanindustrie, oder auch das sog. „Lüdenscheider Abkommen“, mit dem die Mitbestimmung in anderen Gremien als dem Aufsichtsrat eingeführt wurde.29 Von der Literatur wird kritisiert, dass die geltende Rechtslage eine konkrete Anpassung der Mitbestimmung an das jeweilige Unternehmen, beispielweise im Wege einer Verhandlungslösung nach dem Vorbild der SE, verhindere.30 Als Hintergrund der zwingenden gesetzlichen Vorgaben zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei der Aktiengesellschaft wird vermutet, dass der Gesetzgeber damit unternehmensinterne Machtkämpfe in Bezug auf die Mitbestimmung von vornherein unterbinden wollte.31 Abgesehen hiervon bleibt die Möglichkeit unbenommen, eine Vereinbarung in Bezug auf konzerninterne Umstrukturierungen zu treffen, im Zuge derer die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines Mitbestimmungsgesetzes erfüllt werden.32 Möglich sind auch lediglich normkonkretisierende Vereinbarungen, durch die Unklarheiten und drohende Auseinandersetzungen bei noch nicht hinreichend geklärten Fallgestaltungen ausgeräumt werden sollen.33

27 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 5, 7. 28 Ebenda. 29 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.a) und Kapitel 2, A.I.2.d); vgl. auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 48, die auf eine Vereinbarung zwischen der IG BCE und der RAG AG im Hinblick auf die Arbeitsdirektoren in Konzernunternehmen, die nicht der Montanmitbestimmung unterlagen, verweist, sowie zu weiteren Fällen von privatrechtlichen Mitbestimmungsvereinbarungen auch den Biedenkopf-Bericht, BTDrucks. VI/334, S. 12 f.; vgl. auch Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 55, der darauf hinweist, dass die Rechtsnatur, Rechtsfolgen und verfassungsrechtlichen Aspekte sog. „mitbestimmungsrechtlicher Unternehmensverträge“ in weitem Maße noch klärungsbedürftig sind. 30 So etwa Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 1 MitbestG Rn. 39. 31 So Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 51 m.w. N. 32 Koch, in: Schaub, ArbR-Hdb., § 257 Rn. 7; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 371 Rn. 10; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 8. 33 Näher Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 75 f.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

2. Polen a) Zwingende gesetzliche Mitbestimmungsvorgaben für die Gesellschaftsorgane Eine gesetzlich vorgeschriebene Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat oder Vorstand einer Gesellschaft sieht in Polen vor allem das KommerzG von 1996 vor. Im Vergleich zum Vorgängermodell im PrivG 1990 ist die Arbeitnehmerbeteiligung im KommerzG deutlich stärker ausgeprägt.34 Daneben finden sich Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen in einigen Spezialgesetzen, die die Kommerzialisierung bzw. Privatisierung bestimmter Großunternehmen besonders regelten. Dies betrifft insbesondere die Polnische Staatsbahn („Polskie Koleje Pan´stwowe“ („PKP“))35 und die Polnische Post („Poczta Polska“)36. Besonderheiten gab es ferner bei den nationalen Investmentfonds37 und gibt es auch weiterhin im Gesetz über das Polnische Schiffsregister38. Abgesehen von der in den oben genannten Gesetzen vorzufindenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen von Kapitalgesellschaften besteht in Polen heutzutage nach wie vor eine Sonderform der Mitbestimmung nach den Gesetzen über das Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltungsorgane vom 25. September 1981. Die Arbeitnehmer nehmen in diesem Rahmen über zwei Unternehmensorgane, die Arbeitnehmerversammlung und den Belegschaftsrat, an der Unternehmensführung teil.39 Ferner ist auch eine Unternehmensmitbestimmung in kommunalen Gesellschaften auf Grundlage des Gesetzes über die kommunale Wirtschaft von 20. Dezember 199640 vorzufinden.

34 Ebenso Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 79; Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51. Zur Entstehungsgeschichte ausführlich oben Kapitel 2, A.II.4. 35 Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948; zur Kommerzialisierung der Polnischen Staatsbahn vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 150 ff. 36 Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008, Dz. U. 2008 Nr. 180 Pos. 1109. 37 Gesetz über die Privatisierung nationaler Investmentfonds vom 30. April 1993, Dz. U. 1993 Nr. 44 Pos. 202. 38 Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000, Dz. U. 2000 Nr. 103 Pos. 1098; vgl. hierzu Michalski, Spółka akcyjna, S. 675. 39 Vgl. Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182. 40 Gesetz über die kommunale Wirtschaft von 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 43.

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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Die in den vorgenannten Gesetzen vorzufindenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung sind zwingend und können nicht durch Satzungsänderung abbedungen werden.41 Die gesetzlichen Vorgaben – jedenfalls diejenigen nach Art. 12 KommerzG und Art. 14 KommerzG – werden jedoch als Minimum angesehen, welches durch Satzungsbestimmung erweitert werden kann.42 b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen Ob die Arbeitnehmervertretung auf Ebene der Gesellschaftsorgane einer Regelung durch Tarifvertrag zugänglich ist, hängt davon ab, ob eine zwingende gesetzliche Regelung Anwendung findet. Denn gemäß Art. 240 ArbGB können Inhalt eines Tarifvertrages nicht nur Arbeitsbedingungen und die gegenseitigen Pflichten der Tarifvertragsparteien sein, sondern auch andere Angelegenheiten, „soweit diese nicht durch die Vorschriften des Arbeitsrechts zwingend geregelt sind.“ 43 (vgl. 240 § 2 ArbGB). Unter diese dritte Gruppe fallen grundsätzlich auch verschiedene Fragen des kollektiven Arbeitsrechts, unter anderem die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung durch Information und Konsultation der Arbeitnehmervertretungen im Betrieb sowie durch Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften. 44 Es mag sich indes die Frage stellen, ob eine Regelung durch Tarifvertrag im Anwendungsbereich des KommerzG zulässig ist, da die Mitbestimmungsvorgaben als zwingend anzusehen sind.45 Unter „zwingenden Rechtsvorschriften“ i. S. d. Art. 240 § 2 ArbGB sind jedoch derartige Rechtsvorschriften zu verstehen, von denen weder zu Ungunsten noch zu Gunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann.46 In Bezug auf die Mitbestimmungsvorgaben der Art. 12 und Art. 14 KommerzG ist jedoch davon auszugehen, dass diese nur als Minimum zu verstehen sind und durch die Satzung grundsätzlich erweitert werden können.47 Der41

Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911. So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). Jedenfalls in Bezug auf Art. 14 KommerzG auch Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84. 43 Übersetzung nach Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch. 44 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 4, 47; vgl. auch S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 13. 45 Zum zwingenden Charakter vgl. etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911. 46 Wratny, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 7. 47 So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84 ausdrücklich in Bezug auf Art. 14 KommerzG sowie Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/ 2013 Teil 6, S. 230 (231) im Hinblick auf Artt. 12 und 14 KommerzG. Inwieweit dies auch für Art. 11 KommerzG gelten dürfte, ist angesichts der festgelegten fixen Anzahl von Arbeitnehmervertretern und fehlenden Öffnungsklausel für eine Satzungsregelung fraglich. 42

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

artige, nur „nach unten hin“ zwingende Rechtsvorschriften sollen indes durch Tarifvertrag zugunsten der Arbeitnehmer geändert werden dürfen.48 Vor diesem Hintergrund erscheint eine Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung durch Tarifvertrag zugunsten der Arbeitnehmer gemäß Art. 240 § 2 ArbGB möglich.49 Angedacht werden könnte allenfalls, ob Art. 240 § 3 ArbGB einer Einführung der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen nicht mitbestimmter Gesellschaften bzw. der Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in kommerzialisierten Gesellschaften durch Tarifvertrag entgegenstehen könnte. Gemäß Art. 240 § 3 ArbGB dürfen durch einen Tarifvertrag Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang könnte vertreten werden, dass die Einführung bzw. Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat zugunsten der Arbeitnehmer stets notwendigerweise mit einer Beschränkung der Wahlrechte der Anteilseigner – des Staates und/oder privater Investoren – einhergeht, womit diese in ihren Eigentümerrechten beschränkt würden. Sofern die Anteilseigner als Dritte im Sinne des Art. 240 § 3 ArbGB anzusehen wären, könnte eine gemäß Art. 240 § 3 ArbGB unzulässige Beeinträchtigung angenommen werden.50 Unabhängig von der obigen Frage der Regelungsfähigkeit durch Tarifvertrag besteht die Möglichkeit, dass eine Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene bzw. eine Erweiterung oder Konkretisierung der gesetzlichen Mitbestimmungsvorschriften auf Grundlage anderweitiger, außertariflicher Kollektivvereinbarungen im weiteren Sinne51 zwischen den Gewerkschaften und dem Arbeitgeber oder – wie dies im Zusammenhang mit der Privatisierung häufig der Fall war – zwischen den Gewerkschaften und dem strategischen Investor vereinbart wird.52 Im Gegensatz zum Tarifvertrag ist jedoch in Bezug auf derartige Kollektivvereinbarungen problematisch, ob ihnen eine normative oder lediglich schuldrechtliche Wirkung zukommt.53 48 So geht Wratny auch davon aus, dass die gesetzlichen Rechte der Gewerkschaften aus dem GewG durch Tarifvertrag gemäß Art. 240 § 2 ArbGB erweitert werden können, vgl. Wratny, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 7. 49 Uneindeutig diesbezüglich Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 47, der sich auf die Anmerkung beschränkt, dass das KommerzG einen nur beschränkten Anwendungsbereich hat; auch unklar S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 4 ff. 50 Diese Fragestellung wird, soweit ersichtlich, in der polnischen Literatur nicht thematisiert, vgl. etwa Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 47, der die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen ausdrücklich als zulässigen Regelungsgegenstand nach Art. 240 § 2 ArbGB benennt, ohne auf Art. 240 § 3 ArbGB einzugehen. 51 Generell zum Begriff und zur Rechtsnatur der Kollektivvereinbarungen siehe oben Kapitel 2, C.III.2.b). 52 Zu den letzteren, als Sozialvereinbarungen oder auch Sozialpakte bezeichneten Vereinbarungen sogleich unten Kapitel 3, A.I.2.c). 53 Dazu ausführlich oben Kapitel 2, C.III.2.b).

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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Eine Einführung oder Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen durch freiwillige Vereinbarung ist zum einen deshalb möglich, weil – anders als etwa im Fall des deutschen MitbestG – die gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung in Artt. 12, 14 KommerzG lediglich als Minimum angesehen werden, welches durch Satzungsbestimmung erweitert werden kann.54 Zum anderen steht auch das polnische Aktienrecht – anders als das deutsche – weder einer freiwilligen Begründung noch der Konkretisierung oder Erweiterung einer gesetzlich vorgegebenen Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen zu Gunsten der Arbeitnehmer durch entsprechende Satzungsbestimmung entgegen.55 Denn anders als das deutsche Recht sieht das polnische Aktienrecht eine generelle Öffnungsklausel für vom Gesetz abweichende Satzungsbestimmungen für die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern vor (vgl. Art. 385 § 2 HGG). Gemäß Art. 385 §§ 1, 2 HGG wird zwar der obligatorische Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft grundsätzlich von der Hauptversammlung bestellt, allerdings kann die Satzung ein anderes Verfahren für die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern vorsehen. Gemeint ist damit insbesondere die in Art. 354 § 1 HGG explizit vorgesehene Möglichkeit, durch Satzungsbestimmung einem einzelnen Aktionär besondere Rechte in Bezug auf die Bestellung und Abbestellung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern zuzubilligen.56 Darüber hinaus kann ein solches Recht auch Dritten, außerhalb der Aktiengesellschaft stehenden Personen57 oder bestimmten Interessengruppen58 gewährt werden. Im Hinblick auf den Vorstand sieht Art. 368 § 4 HGG ebenfalls die Möglichkeit vor, die Bestellung der Vorstandsmitglieder in der Satzung zu regeln. Für die GmbH gilt dies gleichermaßen: Auch der – fakultative (vgl. Art. 213 HGG) – Aufsichtsrat einer GmbH wird grundsätzlich von der Gesellschafterversammlung bestellt, wenn nicht die Satzung ein anderes Verfahren für die Bestellung oder Abbestellung vorsieht (vgl. Art. 215 § 2 HGG). Ebenso findet sich für den Vorstand eine dem Art. 368 § 4 HGG entsprechende Vorschrift in Art. 201 § 4 HGG. Das Recht zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern kann nur dann nicht einem anderen Subjekt als der Hauptversammlung durch Satzung 54 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84 ausdrücklich in Bezug auf Art. 14 KommerzG sowie Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231) im Hinblick auf Artt. 12 und 14 KommerzG. Problematisch ist dies bei Art. 11 KommerzG, der eine feste Anzahl von Arbeitnehmervertretern festlegt. 55 Vgl. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 15, der darauf hinweist, dass die Satzung einer Aktiengesellschaft eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vorsehen darf. 56 Michalski, Spółka akcyjna, S. 673. 57 Michalski, Spółka akcyjna, S. 673 f.; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 58 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421 f.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

übertragen werden, wenn diese Kompetenz gesetzlich zwingend der Hauptversammlung zugewiesen ist.59 Dies ist etwa der Fall bei Banken sowie in kommerzialisierten Unternehmen, in denen der Staat Alleinaktionär ist.60 Denn da Art. 12 Abs. 1 KommerzG für diesen Zeitraum die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ausdrücklich der Hauptversammlung zuweist, wäre eine anderweitige Satzungsbestimmung in diesem Fall unwirksam.61 Seinem Wortlaut nach schränkt Art. 12 Abs. 1 KommerzG allerdings nur die Möglichkeiten der satzungsmäßigen Änderung der Bestellungs- und Abberufungsmodalitäten ein. Dies spricht jedoch nicht gegen eine zahlenmäßige Erweiterung der in Art. 12 Abs. 1 vorgesehenen Arbeitnehmerbeteiligung von zwei Fünfteln durch eine Satzungsbestimmung, nach der zwar die Hauptversammlung die Aufsichtsratsmitglieder bestellen, jedoch ein bestimmter – über Art. 12 KommerzG hinausgehender – Teil der Aufsichtsratsmitglieder vorab von den Arbeitnehmern gewählt werden würde. Für das Wahlverfahren dürfte dann das Gleiche gelten, wie gemäß Art. 12 Abs. 1, 3 KommerzG für die bereits kraft Gesetzes zu wählenden Arbeitnehmervertreter.62 Unbeschadet der Möglichkeit, in der Satzung die Bestimmung aufzunehmen, wonach eine bestimmte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch eine bestimmte Gruppe nominiert bzw. sogar gewählt wird, kann eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern auch faktisch dadurch erfolgen, dass die Hauptversammlung entsprechende Kandidaten wählt. Das polnische Aktienrecht begünstigt diese Möglichkeit durch die in Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG vorgesehene besondere Regel, wonach Aktionärsgruppen, die zusammen mindestens 1/5 des Grundkapitals vertreten, eine Wahl durch Gruppen fordern können. In diesem Fall kann jede Gruppe ihren eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat wählen (vgl. Art. 385 § 5 HGG).63 Diese Möglichkeit kann auch nicht durch Satzung ausgeschlossen werden (vgl. Art. 385 § 3 Satz 2 HGG).64 Eine besondere Relevanz dürfte diese Möglichkeit bei den sog. Arbeitnehmergesellschaften65 zugekommen sein, bei denen aufgrund des unentgeltlichen oder vergünstigten Aktienerwerbs ein Teil der Aktionäre gleichzeitig Arbeitnehmer des Unternehmens waren. Im Fall der kommerzialisierten Gesellschaften war allerdings noch bis vor Kurzem die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1, Abs. 3 KommerzG a. F. zu beachten, wonach in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates die Aufsichtsratsmitglieder mit Ausnahme der von Art. 12 KommerzG vorgesehenen Arbeitnehmerver59

Michalski, Spółka akcyjna, S. 673 f. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 61 Vgl. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 62 Zum Wahlverfahren siehe unten Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 63 Näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.c). 64 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911, der eine Opt-out-Lösung hierzu vorschlägt. 65 Hierzu ausführlich unten Kapitel 3, D.I. 60

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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treter nicht zugleich Arbeitnehmer der Gesellschaft sein durften. Auch durften die Aufsichtsratsmitglieder gemäß Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1, Abs. 3 KommerzG a. F. keine Funktion in einer Betriebsgewerkschaft innehaben.66 Insofern konnten in kommerzialisierten Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates durch faktisches Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung oder Gruppenwahl nur andere Arbeitnehmervertreter als Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden. c) Sozialvereinbarungen zur Privatisierung Im Zuge der eingeleiteten Privatisierungsprozesse kam es häufig zum Abschluss von sog. Sozialvereinbarungen. Dabei handelte es sich um Vereinbarungen, die zwischen dem strategischen Investor und der im jeweiligen Staatsunternehmen tätigen Betriebsgewerkschaft in Bezug auf die anstehende Privatisierung des Staatsunternehmens abgeschlossen wurden.67 In den Sozialvereinbarungen wurden regelmäßig Fragen der Beschäftigungssicherung, Entlohnungsgrundsätze, Sozialleistungen, Arbeitsschutzmaßnahmen und die Rechte der Gewerkschaften geregelt.68 Auch die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen und die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer war häufiger Gegenstand der Sozialvereinbarungen.69 Die in den Privatisierungsgesetzen vorgesehenen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen sowie der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer wurden im Rahmen der Sozialvereinbarungen an das jeweilige Unternehmen angepasst, die gesetzlichen Regelungen konkretisiert oder zugunsten der Arbeitnehmer abgeändert.70 Dadurch wurden die Regelungen der Privatisierungsgesetze, so insbesondere des noch heute geltenden KommerzG von 1996, in den Sozialvereinbarungen vertraglich präzisiert bzw. erweitert.71 Im Falle der noch auf Grundlage des alten PrivG 1990 erfolgenden Privatisierungen wurde in den Sozialvereinbarungen beispielsweise häufig eine dauerhafte Arbeitnehmervertretung vorgesehen, obwohl das Gesetz diese verbindlich nur für eine Übergangszeit vorsah – namentlich solange der Staat mehr als die Hälfte der Gesellschaftsanteile hielt (vgl. Art. 17 PrivG 1990).72 Im Falle von Privatisierun66

Näher zu Art. 13 KommerzG a. F. unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 9. 68 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych S. 29; ausführlich zu den verschiedenen Regelungen Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 50 ff. 69 Nogalski/Czapiewski, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 495 ff. (504); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58. 70 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76. 71 Ebenda. 72 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 67

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

gen auf Grundlage des KommerzG von 1996 wurde insbesondere das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch Sozialvereinbarungen näher bestimmt.73 Häufig wurden hierbei auch die Rechte der Gewerkschaften konkretisiert bzw. ausgebaut.74 Die Gewerkschaften nutzten ihre Rolle als Partei der Sozialvereinbarung und ließen sich so verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen einräumen. So etwa ließen sie sich zusichern, dass sie die Grundätze für die Wahl und Abwahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat erarbeiten konnten und die jeweiligen diesbezüglichen Satzungsbestimmungen der Gesellschaft mit den im Unternehmen tätigen Gewerkschaften abgestimmt werden müssen.75 Auch in Bezug auf die Wahl und Abwahl des Arbeitnehmervertreters im Vorstand von privatisierten Unternehmen mit durchschnittlich mehr als 500 Mitarbeitern wurde den Gewerkschaften ein Mitspracherecht eingeräumt.76 Teilweise wurde in den Sozialvereinbarungen auch geregelt, dass die Kompetenzen des Arbeitnehmervertreters im Vorstand auf Grundlage eines Antrages der Betriebsgewerkschaft vom Vorstand festgelegt würden.77 Auf diese Weise wurden die wenig konkreten Regelungen der Privatisierungsgesetze präzisiert, gleichzeitig erweiterten die Gewerkschaften dabei im Wege von Sozialvereinbarungen auch ihre eigenen Rechte78. Die Gewerkschaften sicherten sich im Rahmen der Sozialvereinbarungen Zugang zu Informationen über das Unternehmen entweder dadurch, dass Gewerkschaftsvertreter einen Sitz im Aufsichtsrat erhielten oder durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, bestimmte Informationen an die Gewerkschaften weiterzuleiten. 79 Die Kompetenz der Gewerkschaften zum Abschluss der Sozialvereinbarungen wurde aus der allgemeinen Funktionsbeschreibung im GewG von 1991 abgeleitet, wonach die Gewerkschaften zur Vertretung und Verteidigung der Rechte sowie der beruflichen und sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung (Art. 1 Abs. 1 GewG) sowie zur Vertretung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer (vgl. Art. 26 Pkt. 2 GewG) berufen sind; später sah auch das KommerzG den Abschluss derartiger Sozialvereinbarungen vor (vgl. Artt. 33 Abs. 2, 48 Abs. 2

73

Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58. 74 Näher hierzu unten Kapitel 5, A.II.2.b). 75 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77; ders., Partycypacja pracownicza, S. 44. 76 Ebenda. 77 Ebenda. 78 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77; ausführlich zu den vereinbarten Rechten der Gewerkschaften ders., a. a. O., S. 68 ff. 79 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 36.

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Satz 2 KommerzG a. F.).80 So etwa sah Art. 33 KommerzG a. F. für die sog. „mittelbare Privatisierung“ 81 (auch als sog. „Kapitalprivatisierung“ 82 bezeichnet) vor, dass die mit interessierten Investoren geführten Verhandlungen Investitionszusagen, Verpflichtungen zum Umweltschutz und Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Schutz der Arbeitnehmerrechte betreffen konnten, wobei die näheren Voraussetzungen hierfür in einer Rechtsverordnung des Ministerrats geregelt werden sollten (vgl. Art. 33 Abs. 2 KommerzG a. F.). Art. 48 KommerzG a. F. regelte, dass im Falle der öffentlichen Ausschreibung zur unmittelbaren Privatisierung im jeweiligen Unternehmenskaufvertrag Verpflichtungen des Erwerbers in Bezug auf Investitionen, Umwelt- und Kulturschutz und den Schutz der Arbeitsplätze zu berücksichtigen waren. Die zwischen dem Erwerber und den Arbeitnehmervertretern verhandelten Sozialvereinbarungen wurden von Art. 48 Abs. 2 Satz 2 KommerzG a. F. ausdrücklich zum integralen Teil des Unternehmenskaufvertrages erklärt. Das KommerzG von 1996 erlaubte mithin den Abschluss von Sozialvereinbarungen zwischen dem Unternehmenserwerber bzw. späterem Inhaber und den Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Privatisierung. Auch die Rechtsprechung betonte, dass es keine abschließende Aufzählung von Situationen gäbe, in denen die Gewerkschaften Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber treffen dürften, und daher derartige besonderen Verträge zulässigerweise von Gewerkschaften und dem Unternehmenserwerber abgeschlossen werden dürften.83 Besonders kontrovers wurde jedoch die Rechtsnatur dieser sog. Sozialvereinbarungen diskutiert, namentlich ob diese als Kollektivvereinbarungen mit normativer Wirkung im Sinne des Art. 9 ArbGB eingestuft werden konnten.84 So wur80 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70 f. Die Art. 33 und Art. 48 KommerzG sind zum 1. Januar 2017 gestrichen worden, vgl. Art. 14 Pkt. 21 lit. b) und Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260; näher hierzu unten Kapitel 3, B.II.1.b). 81 „prywatyzacja pos´rednia“, Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. Übersetzung d. Verf. 82 „prywatyzacja kapitałowa“, vgl. Wrzeszcz-Kamin ´ ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 102 (103). Übersetzung d. Verf. 83 Vgl. Oberstes Gericht, Beschluss vom 24. November 1993, Az.: I PZP 46/93, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 17. Februar 2000, Az.: I PKN 541/99, abrufbar unter http://www. sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 84 Ausführlich zu dieser Problematik S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 13; Wagner, Pakiet socjalny, PiZS 9/2006, S. 2 (2 ff.); Wratny, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 8; ders., Porozumienia zbiorowe – czy dekompozycja prawotwórstwa zakładowego? PiZS 7/2011, S. 2 (5 ff.); generell zu Kollektivvereinbarungen Cudowski, Charakter prawny porozumien´ zbiorowych, PiP 8/1998, S. 59 (59 ff.); Goz´dziewicz, Charakter prawny porozumien´ zbiorowych w prawie pracy, PiZS 3/1998, S. 18 (18 ff.); Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 926 ff.; Wratny, Porozumienia zbiorowe – czy dekompozycja prawotwórstwa zakładowego? PiZS 7/2011, S. 2 (2 ff.).

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den die Normen des KommerzG (Artt. 33, 48 KommerzG) als zu wenig konkret erachtet, als dass sie als eine unmittelbare rechtliche Grundlage der jeweiligen Sozialvereinbarungen betrachtet werden könnten und die Annahme einer normativen Kollektivvereinbarung i. S. d. Art. 9 ArbGB abgelehnt.85 Umstritten war, welche Voraussetzungen an die von Art. 9 ArbGB geforderte „Grundlage im Gesetz“ zu stellen sind und ob die Art. 59 Abs. 2 sowie Art. 20 der Polnischen Verfassung als ausreichende gesetzliche Grundlage angesehen werden könnten.86 Die Rechtsprechung in diesem Bereich ist sehr uneinheitlich und unübersichtlich.87 Die in der Praxis bestehende Rechtsunsicherheit führte zu der Tendenz, die Abreden der Sozialvereinbarungen in dem später zwischen den Gewerkschaften und dem neuen Arbeitgeber abgeschlossenen Tarifvertrag als Bestandteil aufzunehmen, um ihnen normative Wirkung zu verleihen.88 3. Vergleich Sowohl nach deutschem als auch nach polnischem Recht stellen die gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen zwingendes Recht dar, allerdings werden diese in Polen – anders als nach deutschem Recht – generell nur als Minimum angesehen, das zugunsten der Arbeitnehmer erweitert werden kann. Während nach deutschem Recht der Spielraum für eine freiwillige Einführung oder Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nur sehr beschränkt bzw. im Falle der Aktiengesellschaft gänzlich ausgeschlossen ist, ist nach polnischem Recht gerade auch der Bereich der Arbeitnehmerpartizipation und damit auch der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene – entsprechend dem starken Fokus auf den sozialen Dialog – einer Vereinbarung durch Tarifvertrag oder jedenfalls eine anderweitige Kollektivvereinbarung zugänglich, wodurch sehr individuelle Ergebnisse in einzelnen Unternehmen erzielt werden können. Insbesondere die Sozialvereinbarungen, die als ergänzende Vereinbarungen zwischen dem strategischen Investor und den Gewerkschaften in den zu privatisierenden Staatsunternehmen abgeschlossen wur-

85 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 81 f.; so wohl auch Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (237). 86 Zum Meinungsstand in der polnischen Literatur ausführlich Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 932 ff. 87 Vgl. die umfassenden Rechtsprechungsnachweise bei S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 13 sowie bei Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 927 ff.; hierzu auch Wratny, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 8; ders., Porozumienia zbiorowe – czy dekompozycja prawotwórstwa zakładowego? PiZS 7/2011, S. 2 (7 ff.). 88 Gładoch, Dialog społeczny, S. 150; Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (237). Zur Frage, ob eine freiwillige Einführung oder Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen durch Tarifvertrag zulässig ist, vgl. oben Kapitel 3, A.I.2.b).

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den, sind ein häufiges Beispiel für privatautonome Vereinbarungen, durch die die gesetzlichen Vorgaben konkretisiert oder sogar erweitert und damit speziell auf die Bedürfnisse eines Unternehmens abgestimmte Regelungen getroffen werden konnten. Gleichzeitig wurde dadurch jedoch faktisch nicht nur die Ausprägung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen letztlich von der Stärke und dem Einfluss der Gewerkschaften beeinflusst, auch konnten die Gewerkschaften auf diesem Wege ihre eigene Position stärken.

II. Ziel und Rechtfertigung der zwingenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene 1. Deutschland Die Mitbestimmung war schon seit jeher kontrovers. Bis 1954 waren allein schon 7.000 Arbeiten zu dem Thema Mitbestimmung verzeichnet worden.89 Die Mitbestimmung stellt einen Eingriff in Freiheits- und Eigentumsrechte der Anteilseigner und der Gesellschaften dar und bedarf daher einer Rechtfertigung.90 In den Gesetzesbegründungen zu den Mitbestimmungsgesetzen sind Erläuterungen zum Hintergrund der eingeführten Mitbestimmung nur sehr dürftig. So etwa spricht die Begründung des von der CDU/CSU-Fraktion stammenden Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb aus dem Jahr 1950 lediglich davon, dass „die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vertreten werden sollen“ 91, der wenig später eingereichte SPD-Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Wirtschaft hingegen von der „Erkenntnis“, dass „Kapital und Arbeit gleichberechtigte Faktoren in der Wirtschaft sind“ 92. Die Regierungsentwürfe zum MontanMitbestG und BetrVG 1952 lassen eine Begründung der eingeführten Unternehmensmitbestimmung schließlich gänzlich vermissen.93 Lediglich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde in den Debatten auf einzelne Aspekte eingegangen94, etwa den Beitrag der Arbeiter und Gewerkschaften beim

89

Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. Ausführlich hierzu Badura, Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, FS Rittner, S. 1 (7 ff.); ders., Paritätische Mitbestimmung und Verfassung, S. 39 ff.; ebenso BDA/ BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 6. 91 Gesetzesentwurf der CDU/CSU-Fraktion über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb vom 17. Mai 1950, BT-Drucks. 1/970, S. 24. 92 Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion zur Neuordnung der Wirtschaft vom 25. Juli 1950, BT-Drucks. 1/1229, S.1. 93 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen des Bergbaus sowie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 30. Januar 1951, BT-Drucks. 1/1858 sowie Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben (Betriebsverfassungsgesetz) vom 31. Oktober 1950, BT-Drucks. 1/1546, S. 64 f. 94 Vgl. hierzu auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 18. 90

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Widerstand gegen die Demontagen und Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft95 oder dass die Mitbestimmung eine Wiederholung der Geschehnisse unter dem NS-Regime verhindern würde96. Auch die Menschenwürde wurde angesprochen.97 Das Fehlen jeglicher Aussage sowohl in den Gesetzen als auch in den Gesetzesbegründungen zum Sinn und Zweck der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen erscheint indes umso bemerkenswerter, als das BRG 1920, welches erstmals eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat vorsah, den Zweck dieser Entsendung sogar ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen hatte – gemäß § 70 Satz 1 BRG 1920 sollte die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat erfolgen, „um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer sowie deren Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs zu vertreten“. Auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum MitbestG ist im Hinblick auf Sinn und Zweck des Gesetzes zurückhaltend. Die Regierungsentwurfsbegründung beschränkt sich letztlich auf die wiederholte Betonung des Ziels, eine „gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen“ einzuführen, die „auf der Grundlage“ und „unter weitgehender Beibehaltung des geltenden Gesellschaftsrechts“ erfolgen solle.98 Darüber hinaus bezieht sich die Regierungsentwurfsbegründung lediglich noch auf die Aussagen in der Regierungserklärung vom 18. Januar 197399, in der die Mitbestimmung als „Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft“ und „Voraussetzung für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen“ bezeichnet und der Ausbau der Mitbestimmung nach dem „Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern“ zugesagt worden war100. Insofern ließe sich in die Begründung wohl auch der Demokra95 So Imig, Abgeordneter der SPD, während der Bundestagsdebatte auf der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1951, Plenarprotokoll Nr. 01/117 vom 14. Februar 1951, S. 4447. 96 Imig, Abgeordneter der SPD, während der Bundestagsdebatte auf der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1951, Plenarprotokoll Nr. 01/117 vom 14. Februar 1951, S. 4436. 97 So Wessel, Abgeordneter der Zentrumspartei, während der Bundestagsdebatte auf der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1951, Plenarprotokoll Nr. 01/117 vom 14. Februar 1951, S. 4452. 98 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16 f. 99 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17. 100 Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 18. Januar 1973, Punkt IX, S. 47, abrufbar unter http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/a88-06578.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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tie- und Sozialstaatsgedanke hineininterpretieren. Nicht zu Unrecht wird jedoch in der deutschen Rechtswissenschaft die nur sehr dürftige Gesetzesbegründung kritisiert.101 Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung wurde jedoch jedenfalls dem MitbestG von Seiten des Bundesverfassungsgerichts attestiert.102 In seinem Mitbestimmungsurteil setzte sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Zielsetzung des MitbestG auseinander und identifizierte die „Erweiterung der Legitimation der Unternehmensleitung, Kooperation und Integration“ als Ziele, die mit der Mitbestimmung verwirklicht werden sollten und die sich als Rechtfertigung für die im MitbestG getroffenen Regelungen eigneten.103 Auch stellte das Bundesverfassungsgericht fest, die – nur geringfügige – Einschränkung der Berufsfreiheit der erfassten Gesellschaften sei der „Preis der angestrebten Ergänzung der ökonomischen durch eine soziale Legitimation der Unternehmensleitung in größeren Unternehmen, der Kooperation und Integration aller im Unternehmen tätigen Kräfte, deren Kapitaleinsatz und Arbeit Voraussetzung der Existenz und der Wirksamkeit des Unternehmens ist“.104 Entsprechend sah das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe der Unternehmensmitbestimmung auch darin, „die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern [. . .] und die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen“.105 Eine tiefgehende und auch heute noch vielfach herangezogene Darstellung der mit der Unternehmensmitbestimmung verfolgten Ziele sowie ihrer Rechtfertigung findet sich im Anfang 1970 vorgelegten Bericht der von der CDU/SPDKoalition Ende 1967 unter dem Vorsitz von Dr. Kurt Biedenkopf gebildeten Kommission (sog. Biedenkopf-Kommission).106 Auch heute bietet der Bericht eine fundierte Quelle in Bezug auf die mit der Einführung einer paritätischen Mitbestimmung auch außerhalb der Montanindustrie verfolgten und kontrovers 101

So etwa Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22. Das MontanMitbestG und MontanMitbestErgG wurden verfassungsrechtlich indes nicht in Frage gestellt, allerdings wurden einzelne Ergänzungen zu den Montanmitbestimmungsgesetzen vom BVerfG abgesegnet, weswegen dieses augenscheinlich von einer Verfassungsmäßigkeit der Montanmitbestimmung auszugehen scheint, näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 51. 103 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 165. 104 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 177. 105 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 106 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18–21. 102

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diskutierten Ziele.107 Der Biedenkopf-Bericht nennt sozialethische, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Argumente für die Mitbestimmung.108 Zu den sozialethischen Argumenten werden im Allgemeinen neben der Menschenwürde auch die Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie in Großunternehmen und die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit gezählt.109 Dagegen werden als sozial- und gesellschaftspolitische Ziele die Kontrolle wirtschaftlicher Macht, die Sicherstellung einer sozialen Unternehmenspolitik und eine von der Mitbestimmung ausgehende Integrationswirkung verstanden.110 a) Menschenwürde und Humanisierung Die erste sozialethische Begründung fußt auf der in der christlichen Lehre wie auch in der Verfassung verankerten Würde der Menschen (vgl. Art. 1 Abs. 1 GG) und seiner freien Entfaltung (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG).111 Durch die Unternehmensmitbestimmung soll die Selbstverantwortung und Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmer, die dem Weisungsrecht und der Organisationshoheit ihrer Arbeitgeber und damit der Unternehmensspitzen untergeordnet sind, in gewissem Maße wieder sichergestellt werden.112 Vor allem in Großunternehmen sei der Arbeitnehmer lediglich ein „Rädchen im Getriebe“, ein „fremdbestimmtes Objekt“, dessen „Subjektstellung“ nur durch die Unternehmensmitbestimmung wiederhergestellt werden könne.113 Die betriebliche Mitbestimmung allein könne dies nicht gewährleisten, da hierfür eine Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Unternehmenspolitik im Ganzen – nicht nur in Bezug auf betriebliche Fragen – und dabei insbesondere auch auf die den Entscheidungen vorgelagerten Absichten und Pläne notwendig sei.114 Die „Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen“ wurde auch in parteipolitischen Konzepten als eines der wichtigsten Ziele der Unterneh107 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 1; ebenso Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 3. 108 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18 ff.; so auch Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 1. 109 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2; ebenso Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 ff. 110 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3; ebenso Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25 ff. 111 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18, 56. 112 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2; vgl. auch die Rede von Hans Böckler auf dem Gründungskongress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949: „[. . .] Bürger, nicht mehr Untertan wollen wir sein. Wir wollen mitraten, [. . .] und mitverantworten in allen wichtigen Dingen des Lebens der Gesamtheit. Vor allem aber in den Angelegenheiten der Wirtschaft unseres Landes“, abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 71. 113 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18. 114 Ebenda.

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mensmitbestimmung definiert.115 Auch das Bundesverfassungsgericht hatte den Gedanken der Humanisierung aufgegriffen, indem es die Aufgabe der Unternehmensmitbestimmung auch darin verstand, „die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern“ 116. Vereinzelt wird aus Art. 1 GG auch ein „Grundrecht auf Mitbestimmung“ abgeleitet117, von der herrschenden Meinung jedoch abgelehnt118. b) Wirtschaftsdemokratie Ebenfalls als sozialethischer Aspekt der Unternehmensmitbestimmung wird derjenige der „Wirtschaftsdemokratie“ bzw. der „Demokratisierung der Wirtschaft“ verstanden. In den 1970er Jahren stand das Argument der „Wirtschaftsdemokratie“ im Vordergrund der politischen und ideologischen Auseinandersetzung um die Mitbestimmung.119 Die vor allem von den Gewerkschaften erhobenen, dahingehenden Forderungen120 knüpften zwar an das in der Weimarer Republik unter der Regie von Naphtali entwickelte Konzept von der Wirtschaftsdemokratie121 an, jedoch hatte das damalige Konzept die Sozialisierung als Endziel anvisiert, während die später vorgebrachten Konzepte der Gewerkschaften die marktwirtschaftliche Ordnung akzeptierten und ihnen das selbstständige, nicht in Gemeineigentum überführte Unternehmen als Wirtschaftssubjekt in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zugrunde lag.122 Die Gewerkschaften postu115 So etwa im Rahmen des 1973 beschlossenen CDU-Mitbestimmungsmodells, siehe Punkt I. des Beschlusses „zur Reform des Unternehmensrechts“ auf dem 22. CDUBundesparteitag im Jahre 1973, abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 242. 116 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 117 Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 129 ff., 155, 157 ff., 161. 118 Vgl. etwa Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 100; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestG Vorbem. Rn. 79 m.w. N. 119 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; ausführlich zur damaligen ideologischen Auseinandersetzung Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177 ff. 120 Vgl. etwa das Grundsatzprogramm des DGB von 1949, in dem die „Demokratisierung der Wirtschaft“ eine zentrale Rolle spielt, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70 ff.; ferner das DGB-Aktionsprogramm von 1965, beschlossen vom DGB-Bundesausschuss am 19. März 1965 in Duisburg („demokratische Umgestaltung unseres Arbeits- und Wirtschaftslebens“) sowie die DGB-Denkschrift „Mitbestimmung – eine Forderung unserer Zeit“ aus dem Jahre 1966 („Demokratisierung der Unternehmen“). 121 Vgl. hierzu oben Kapitel 2, B.VI. sowie Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 11, Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 25. 122 Vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 16 f. Die Biedenkopf-Kommission unterscheidet daher auch begrifflich zwischen der „Wirtschaftsdemokratie“ und der „Demokratisierung der Wirtschaft“, in der Literatur wird eine derartige begriffliche Un-

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

lierten, dass die Mitbestimmung zu einer „demokratische[n] Integration der Bürger auch innerhalb der Arbeitswelt“ beitrage und „das Unternehmen damit in die demokratische Gesamtordnung“ hineinstelle.123 Die Mitbestimmung sollte die Unternehmensleitung in Großunternehmen auf demokratische Weise legitimieren, indem die von ihren Entscheidungen betroffenen Gruppen über die Bestellung, Abberufung und Kontrolle der Unternehmensleitung mitentscheiden durften, und damit die Beschäftigten gleichzeitig auch vor einer willkürlichen Machtausübung schützen.124 Auch das Bundesverfassungsgericht schrieb der Unternehmensmitbestimmung die Funktion zu, „die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen“ 125 und identifizierte die „Erweiterung der Legitimation der Unternehmensleitung“ als einen Ansatz, der sich als Rechtfertigung für die im MitbestG getroffenen Regelungen eignete126. c) Gleichgewicht von Kapital und Arbeit Als drittes sozialethisches Argument für die Unternehmensmitbestimmung wird schließlich die Herstellung eines Gleichgewichts von Kapital und Arbeit innerhalb des Unternehmens, welches einen „sozialen Verband“ 127 darstelle, angeführt.128 Dieses Ziel wird als Einziges ausdrücklich in der Gesetzesbegründung zum MitbestG genannt129, indem die „gleichberechtigte und gleichgewichtige Mitbestimmung der Arbeitnehmer“ 130 eingangs als Ziel des Gesetzesentwurfs bzw. die „gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen“ 131 in den terscheidung jedoch üblicherweise nicht getroffen, vgl. etwa Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2. 123 DGB-Denkschrift „Mitbestimmung – eine Forderung unserer Zeit“ aus dem Jahre 1966, abgedruckt bei Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft – Dokumente, S. 10 ff. (13). 124 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 19 f.; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2. 125 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 126 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 165. 127 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 56. 128 Vgl. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 24; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2. 129 So zutreffend bereits Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. 130 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16. 131 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17.

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folgenden Ausführungen als dem Gesetzesentwurf zugrundeliegende Erwägung benannt wird. Die Befürworter der gleichberechtigten Mitbestimmung gehen davon aus, dass die zwei Faktoren Kapital und Arbeit für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gleichermaßen notwendig seien und einander gegenseitig erforderten.132 Eine Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit rechtfertige sich zudem daraus, dass die Arbeitnehmer aufgrund der möglichen Auswirkungen auf ihre Arbeitsplätze mindestens genauso stark von den Entscheidungen im Unternehmen betroffen seien wie die Kapitalgeber; meist beeinträchtige ein etwaiger Arbeitsplatzabbau die erfassten Arbeitnehmer sogar deutlich stärker in ihrer Lebenslage als dies beim Kapitalverlust der Anteilseigner der Fall sei.133 Schließlich sei die gleichberechtige Mitentscheidung bei der Bestellung der Unternehmensleitung notwendig, damit die Arbeitnehmerinteressen hinreichende Berücksichtigung in der Unternehmenspolitik fänden und Interessengegensätze zwischen der Gruppe der Anteilseigner und Arbeitnehmer – etwa im Hinblick auf die Beschäftigungssicherung – nicht stets zulasten der Arbeitnehmer entschieden würden.134 Die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte wurde verstanden als Ansatz, um die Kraftverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit generell neu zu ordnen.135 d) Kontrolle wirtschaftlicher Macht Als sozial- und gesellschaftspolitisches Ziel der Mitbestimmung wird zunächst die Kontrolle wirtschaftlicher Macht genannt.136 Die Mitbestimmung soll eine Absicherung gegen eine zu starke Kumulation und missbräuchliche Entfaltung wirtschaftlicher Macht durch Großunternehmen bieten und damit das geltende Kartell- und Wettbewerbsrecht zum Schutz der Verbraucher und des Arbeitsmarktes ergänzen.137 Gleichzeitig soll die Mitbestimmung auch die politischen Einflussmöglichkeiten von Großunternehmen einschränken und dabei vor allem einer Druckausübung auf Willensbildungsprozesse im Parlament und der finanziellen Unterstützung bestimmter politischer Gruppierungen vorbeugen können.138 Der Aspekt der Kontrolle wirtschaftlicher Macht hatte vor allem in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine wesentliche Bedeutung erlangt.139 Bis in die 1950er Jahre prägte die Forderung nach einer Kontrolle der 132

Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18 f. 134 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 19. 135 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 109. 136 So etwa Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3. 137 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 20. 138 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 20. 139 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. 133

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wirtschaftlichen Macht die Diskussion um die deutsche Mitbestimmung.140 Insbesondere von den Gewerkschaften wurde die Kontrolle wirtschaftlicher und politischer Macht durch ein Gegengewicht auf Seiten der Gewerkschaften als Ziel der Mitbestimmung betont.141 In breiten politischen Kreisen stellte die Einschränkung der wirtschaftlichen Macht ein Kernelement bei der Neuordnung der wirtschaftlichen und politischen Ordnung dar. So etwa hieß es im Ahlener Programm der CDU, dass „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung [. . .] nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes“ sein könne, und das deutsche Volk „[d]urch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung [. . .] eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten [solle], die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert“.142 Durch die Kontrolle der wirtschaftlichen Macht über die Mitbestimmung sollte nach weit verbreiteter Ansicht eine Wiederholung der Geschehnisse unter dem NS-Regime verhindert werden können.143 Die Industrie schien jedenfalls in den ersten Nachkriegsjahren die Mitbestimmung – wie auch schon nach dem Ersten Weltkrieg – als kleineres Übel im Vergleich zur Sozialisierung zu akzeptieren. So lautete ein seitens der Unternehmer schon auf der ersten Konferenz im Mai 1946 vorgebrachter Gegenvorschlag zur Sozialisierung dahingehend, ein neues deutsches Gesellschaftsrecht zu schaffen, welches „den Mißbrauch der Wirtschaftskraft ausschließt und die verantwortliche Mitwirkung der Angehörigen des Betriebs an seiner Entwicklung sichert.“ 144

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Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 4, der kritisiert, dass sich dieses Ziel weder aus der Entstehungsgeschichte des MitbestG noch aus dem Urteil des BVerfG herleiten lässt; vgl. zur Einstellung der Gewerkschaften etwa die Aussage des DGB-Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter auf einer Großkundgebung in Essen am 7. Mai 1974, als die Gewerkschaften ihre Positionen gegen die Mitbestimmungsgegner zunehmend stärker zu verteidigen versuchen mussten: „Wer die Mitbestimmung als einen Schritt zum Gewerkschaftsstaat verteufelt, versucht, davon abzulenken, wie groß und entscheidend die Macht der Unternehmer heute noch ist. [. . .] Jawohl, die Mitbestimmung ist eine Machtfrage. Aber es geht nicht um den Aufbau irgendeiner Gewerkschaftsmacht. Sondern es geht um die Überwindung der ausschließlichen Unternehmermacht. [. . .] Freiwillig und von sich aus räumen die Unternehmer keine Handbreite ihrer Macht. Und freiwillig gewähren sie uns nichts – es sei denn, es nützt ihren eigenen Interessen“, zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 77. 142 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Präambel. 143 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78; vgl. die Aussage von Hans Böckler: „Nicht der Wille zur Macht hat die Gewerkschaften, wie man ihnen böswillig unterstellt, bestimmt, eine gleichberechtigte Stellung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft zu fordern, sondern vor allem die Erkenntnis, dass der politischen Demokratie, soll sie nicht ein weiteres Mal zum Nachteil des Volkes und der ganzen Welt missbraucht werden, die wirtschaftliche Demokratie zur Seite gestellt werden muss“, zitiert nach Weiss, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene. Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 9 (15). 141

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e) Soziale Unternehmenspolitik Als zweites sozial- und gesellschaftspolitisches Ziel der Unternehmensmitbestimmung wird die Sicherstellung einer sozialen Unternehmenspolitik genannt.145 Die Mitbestimmung solle gewährleisten, dass die Unternehmenspolitik in hinreichendem Maße auch soziale Aspekte, allen voran die Belange der Arbeitnehmer und darüber hinaus auch der Allgemeinheit, berücksichtige.146 f) Integrationswirkung Schließlich soll die Mitbestimmung auch die Integration der Arbeitnehmer innerhalb der Unternehmen fördern.147 Hierauf stützte sich auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Mitbestimmungsurteil, in dem es unter anderem die „Kooperation und Integration“ als Ziele der Mitbestimmung identifizierte148 und die „Kooperation und Integration aller im Unternehmen tätigen Kräfte, deren Kapitaleinsatz und Arbeit Voraussetzung der Existenz und der Wirksamkeit des Unternehmens ist“ als einen Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der Berufsfreiheit der Gesellschaften ansah149. Unter dem Aspekt der Integrationswirkung wird aber auch die „soziale[] Integration der Gesellschaft insgesamt“ 150 bzw. die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft durch die Gesellschaft151 verstanden. Die Unternehmensmitbestimmung sei „geeignet, die Marktwirtschaft [. . .] politisch zu sichern“.152 Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistete der Wandel in der Einstellung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerschaft, die von ihrer anfänglichen Forderung nach Sozialisierung allmählich Abstand nahmen und die Marktwirtschaft als Grundordnung akzeptierten.153 Auch das Bundesverfassungsgericht betonte diese über 144 So der Gegenvorschlag der Unternehmerseite auf der ersten Konferenz zwischen Vertretern der Ruhrindustrie und der Gewerkschaften im Mai 1946 in Düsseldorf, zitiert nach Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 27. 145 So etwa Gietzen Unternehmensmitbestimmung, S. 25 f.; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3. 146 Vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 19; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25 f., die jedoch die Vertretung der Interessen der Allgemeinheit durch die Arbeitnehmervertreter als fragwürdig kritisiert; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 3. 147 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3. 148 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146, 165. 149 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 177. 150 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 8; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 26. 151 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 69; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3 m.w. N. 152 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 69. 153 Darauf bezugnehmend Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 69.

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das „reine[] Gruppeninteresse“ hinausgehende „allgemeine gesellschaftspolitische Bedeutung“ der Mitbestimmung.154 Im 1973 beschlossenen CDU-Mitbestimmungsmodell wurde die Mitbestimmung als „eine Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft“ deklariert.155 2. Polen Eine derart umfassende Auseinandersetzung um die Ziele und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung wie in Deutschland lässt sich in Polen nicht finden. In der polnischen Literatur wird jedoch stets der enge Zusammenhang der Anfang der 1990er Jahre neu eingeführten Partizipationsform einer repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene mit dem Privatisierungsprozess betont.156 Auch die Ziele, die mit der eingeführten Arbeitnehmervertretung auf Organebene verfolgt wurden, sind untrennbar verbunden mit den wirtschaftlichen und politischen Geschehnissen und Umbrüchen zu Beginn der 1990er Jahre. Die eingeleiteten Privatisierungsprozesse bilden den geschichtlichen Hintergrund und gleichzeitig die Begründung und Rechtfertigung der Arbeitnehmervertretung. Darauf lässt nicht nur der systematische Kontext der Regelungen, die in die Privatisierungsgesetze eingebettet wurden, und ihr auf den staatlichen Sektor beschränkter Anwendungsbereich schließen, auch die Gesetzesbegründung zum KommerzG von 1996 sieht die Zielsetzung der eingeführten Arbeitnehmervertretungen in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter und privatisierter Unternehmen eindeutig im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform.157 Das übergeordnete Ziel des KommerzG war es dagegen, Staatsunternehmen durch entsprechende Umwandlungsprozesse in die Marktwirtschaft zu überführen und geeignete Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit unter der neuen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten zu schaffen.158 Zwar werden in der Literatur vermehrt auch andere Aspekte der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen hervorgehoben. Anders als Deutschland gab es in Polen jedoch keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Werten und Belangen, die mit der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen 154 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 155 Punkt I. des Beschlusses „zur Reform des Unternehmensrechts“ auf dem 22. CDU-Bundesparteitag im Jahre 1973, abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 242. 156 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 157 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 1 ff. 158 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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verfolgt würden, die losgelöst gewesen wäre von den in der Vergangenheit wurzelnden ideologischen Erschwernissen.159 Vielmehr waren sämtliche Formen der Arbeitnehmerbeteiligung aufgrund der zuvor bekannten Partizipationsformen im gesellschaftlichen Bewusstsein untrennbar mit dem sozialistischen System und der sozialistischen Ideologie verbunden.160 a) Förderung der Wirtschaftsreform Das vorrangige Ziel der eingeführten Arbeitnehmervertretung auf Gesellschaftsorganebene ist in der Förderung der wirtschaftlichen Reformen zu sehen.161 Die Urheber der polnischen Unternehmensmitbestimmung waren überzeugt, dass die wirtschaftlichen Reformen einfacher durchgesetzt werden könnten, wenn die Betroffenen selbst an den Reformen mitwirkten.162 Die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen sollte daher zeigen, dass die Belegschaften über die Geschicke des Unternehmens mitentscheiden durften.163 Die Belegschaften, die sich angesichts der anstehenden Veränderungen nicht wenigen Unwägbarkeiten ausgesetzt sahen, erhielten mit der eingeführten Arbeitnehmerbeteiligung eine Möglichkeit, auf die im Zuge der Transformation erfolgenden Entwicklungen im Unternehmen Einfluss nehmen zu können.164 Auf diesem Aspekt fußt auch die Gesetzesbegründung zum KommerzG von 1996165. Einleitend wird in der Gesetzesbegründung166 darauf hingewiesen, dass das erste Privatisierungsgesetz von 1990 entstanden war, ohne dass auf Erfahrungswerte bei einer derart großflächigen Privatisierung – auch nicht in Europa – zurückgegriffen werden konnte, und dass dieses Gesetz und seine Folgen unter sorgfältiger Beobachtung gestanden habe. Wie sich gezeigt habe, waren die initiierten Privatisierungsprozesse nur schleppend verlaufen und auf starken Widerstand gestoßen. Zurückzuführen sei dies zum einen auf die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz der Wirtschaftstransformation und zum anderen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten der Unternehmen, die mit der Anpassung an die Marktwirtschaft zu kämpfen hatten. Hingewiesen wird auf die Zukunftsängste der Belegschaften sowie das verbreitete Gefühl, bei den Reformen außen vor ge159

Opalski, Rada nadzorcza, S. 103. Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. 161 So etwa Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (14). 162 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224). 163 Ebenda. 164 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 165 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz). 166 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 1. 160

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

lassen zu werden. Es sei offensichtlich geworden, dass eine Beschleunigung der Reformen und die davon erhofften Wirtschaftsfolgen nur erreicht werden könnten, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz, insbesondere der in den Staatsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer, für die Privatisierung gewonnen werden könne. Dies wiederum sei nur durch grundlegende Gesetzesänderungen zu erreichen. Der Reformbedarf sei schon im Jahre 1992 deutlich geworden, und entsprechende Änderungsvorschläge seien daraufhin in dem Pakt über das Staatsunternehmen im Jahre 1993 gemündet.167 Dessen Parteien – die Regierung, die NSZZ „Solidarnos´c´ “, die OPZZ und andere Gewerkschaften sowie die Konföderation der Polnischen Arbeitgeber – seien sich dabei einig gewesen, dass die soziale Akzeptanz für die Wirtschaftstransformation nur über eine Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung sowohl an der Unternehmensführung privatisierter Unternehmen als auch an den ökonomischen Früchten der Privatisierung erreicht werden könne.168 Die Gesetzesurheber selbst sahen somit in der Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf Gesellschaftsorganebene ein Mittel, die Zustimmung der Belegschaften und dadurch auch der Gesamtbevölkerung zu den eingeleiteten Transformationsprozessen zu gewinnen und dadurch den Fortschritt der Wirtschaftsreform zu fördern. Vor diesem Hintergrund wird die Einführung der neuen Partizipationsformen auf Organebene in der polnischen Literatur daher auch als „Transaktion“ bezeichnet.169 Sie sei, so heißt es, ein Teil des Preises, der an die Belegschaften für ihre Zustimmung zur Kommerzialisierung und Privatisierung der Staatsunternehmen zu zahlen war.170 Betont wird jedoch, dass dies lediglich ein Teil des Preises sein sollte, und dabei auch nicht der Wichtigste.171 Deutlich bedeutsamer gewesen seien das den Arbeitnehmern eingeräumte Recht, 15 % der Unternehmensaktien kostenlos zu erwerben (vgl. Art. 36 Abs. 1 KommerzG) sowie die im Rahmen von Sozialvereinbarungen erteilten Zusagen des Investors beispielsweise in Bezug auf die Erhaltung der Arbeitsplätze über einen bestimmten Zeitraum oder verschiedene Sonderleistungen zugunsten der Arbeitnehmer.172

167 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Pakt mit der OPZZ und Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym; näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 168 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2. 169 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; ders., Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (14). 170 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; ders., Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (14). 171 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 172 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; vgl. auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12, der die Beteiligung der Belegschaften an dem Erwerb von Aktien und Anteilen ihres Unternehmens als vorrangiges Ziel des Gesetzgebers, der hierdurch das Interesse der Belegschaften an der Privatisierung wecken wollte, versteht.

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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b) Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung Die erstmalig im PrivG 1990 neu eingeführte Partizipationsform in den Aufsichtsräten privatisierter Unternehmen stellte – zumindest teilweise – auch einen Ersatz dar für den durch die Privatisierung bedingten Wegfall der Arbeitnehmerselbstverwaltung, wie sie in dem SelbstVerwG von 1981 garantiert worden war.173 Das Instrument der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter und privatisierter Unternehmen wird daher auch als eine Fortwirkung der in Staatsunternehmen bestehenden Institution der Arbeitnehmerselbstverwaltung174 bzw. als ein entferntes Äquivalent des früheren Belegschaftsrates verstanden, auch wenn sich diese zwei Institutionen im rechtlichen Sinne erheblich voneinander unterschieden175. Auf Grundlage des PrivG 1990 und KommerzG von 1996 ging mit Eintragung der umgewandelten Gesellschaft ins Handelsregister eine Liquidation der im ehemaligen Staatsunternehmen agierenden Selbstverwaltungsorgane einher. Somit führte die eingeleitete Privatisierung der Staatsunternehmen zur Abschaffung der Arbeitnehmerpartizipation in der Gestalt von Belegschaftsräten.176 Aus den liberalen Konzepten folgte ausdrücklich, dass den Belegschaften als Ersatz hierfür eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zugestanden werden sollte („[. . .] dies hat in jedem Fall die Beschränkung des Einflusses der Belegschaft zur Folge, da die Selbstverwaltungsorgane liquidiert werden. Als Ersatz hierfür erhält die Belegschaft jedoch 1/3 der Sitze im Aufsichtsrat [. . .]“ 177). Durch die neue Partizipationsform in den Gesellschaftsorganen sollte zumindest zum Teil ein Ersatz für die im Zuge der Transformationsprozesse schwindende Arbeitnehmerselbstverwaltung geschaffen werden.178 Begründet wird diese beabsichtigte Kontinuität zum einen damit, dass es sich bei kommerzialisierten bzw. privatisierten Unternehmen um ehemalige Staatsunternehmen handelte und es deren Belegschaften waren, die im Widerstand zum damaligen System das Institut der Selbstverwaltung erkämpften, sodann aber die 173 Einhellige Meinung, vgl. etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238); ders., Nadzór korporacyjny, S. 193; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 174 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 175 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 176 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 177 Kongres Liberałów, Z ˙ ycie Gospodarcze 1989, Nr. 49, zitiert nach Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25 f.). 178 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Zustimmung zur Privatisierung der Staatsunternehmen und damit gleichzeitig ihrer eigenen Selbstauflösung erteilten.179 Die auf oppositionelle Kreise zurückzuführende Arbeitnehmerselbstverwaltung, die „als Forum eines unabhängigen Dialogs der Gesellschaft mit der damaligen Staatsmacht“ imstande war, eine willkürliche Gestaltung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen durch die damalige Staatsmacht einzuschränken, sollte in neuen Partizipationsformen fortgeführt werden.180 Unter Bezugnahme auf einen mehr laboristischen Ansatz wird angeführt, dass die Rechte, die die Belegschaften durch die Selbstverwaltungsorgane im Hinblick auf die Unternehmensführung erhalten hatten, auch im Rahmen einer privatrechtlichen Unternehmensverfassung respektiert und gesichert werden mussten.181 Ferner scheint auch das Fehlen gut entwickelter und allgemeinverbindlicher Instrumente zum Schutz der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer eine Rolle gespielt zu haben.182 Das Institut der Arbeitnehmervertretung in den Organen kommerzialisierter und privatisierter Unternehmen erklärt sich somit zumindest teilweise mit dem früheren Bestand von Selbstverwaltungsorganen.183 Es war notwendig, der Belegschaft eine Fortführung der erkämpften Partizipationsinstrumente in einer Form zu gewährleisten, die sich mit der Struktur einer privaten Kapitalgesellschaft vereinbaren ließ.184 Vor diesem Hintergrund wurde die Arbeitnehmerbeteiligung in die bestehende Unternehmensverfassung einer Kapitalgesellschaft eingebettet und ihre Rolle dabei so weit beschränkt, wie dies – so Wratny – in diesem Rahmen erforderlich war.185 Im Vergleich zu der Arbeitnehmerselbstverwaltung auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981 stellte die neu eingeführte Partizipationsform eine Verringerung des Arbeitnehmereinflusses dar. c) Integrationswirkung Den in den Privatisierungsgesetzen getroffenen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen wird ferner eine Integrationswirkung at179

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 53. 180 So die Ausführungen in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 13; zu dem Gesetzesvorhaben unten Kapitel 7, B.II.2.b). 181 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 182 So die Ausführungen in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 13, in der auf diesen Aspekt hingewiesen wird. 183 So ausdrücklich Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 184 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 185 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53.

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

235

testiert.186 Sie würde den sozialen Frieden in den Unternehmen und die Akzeptanz auch unliebsamer Entscheidungen fördern.187 Hingewiesen wird einerseits auf die Vorteile für die Arbeitgeber, anderseits auch auf die gesellschaftlichen Auswirkungen, die die Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen mitgebracht habe.188 Die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensführung habe während der politischen und wirtschaftlichen Transformation Polens zum sozialen Frieden beigetragen und die Konflikte innerhalb der Arbeitsbeziehungen im neuen System gemildert.189 d) Sozialethische Aspekte Auch sozialethische bzw. laboristische Aspekte werden vereinzelt als Hintergrund für die in den Privatisierungsgesetzen eingeführte Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen umgewandelter Staatsunternehmen genannt.190 Als Legitimation der Arbeitnehmervertretung auf Organebene wird ein sog. „laboristischer“ Ansatz herangezogen, wobei – entsprechend der katholischen Soziallehre191 – davon ausgegangen wird, dass der Arbeitnehmerstatus bzw. die Arbeit als solche die Grundlage für das Recht auf Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung darstelle.192 Bei der Einführung einer neuen Partizipationsform in den Gesellschaftsorganen der umgewandelten Staatsunternehmen sei es daher auch darum gegangen, das laboristisch begründete Recht der Belegschaften zur Beteiligung an der Unternehmensführung nicht zu verneinen und dieses – von den Belegschaften mühselig erkämpfte – Recht auch innerhalb der Struktur einer Kapitalgesellschaft zu respektieren, weswegen eine Fortführung der Arbeitnehmerselbstverwaltung in einer mit der Verfassung einer Kapitalgesellschaft vereinbaren Form geboten war.193 Inwieweit sich der polnische Gesetzgeber bei der Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften tatsächlich von sozialethischen bzw. „axiologischen“ Gesichtspunkten hat leiten lassen, kann nur schwer nachvollzogen werden. Der Gesetzesentwurfsbegründung lässt sich dies nicht entnehmen. Doch selbst wenn sozialethische Gesichts186 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 187 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. 188 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 189 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 190 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43, der diese auch als „ethisch-psychologische“ („etyczno-psychologiczne“) Aspekte bezeichnet. 191 Näher hierzu oben Kapitel 2, B.III. 192 Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111); vgl. auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16. 193 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

punkte eine Rolle gespielt haben mögen, so dürfte dieser Aspekt doch deutlich hinter der in erster Linie bezweckten Förderung der Wirtschaftsreform und der Kontinuität der Selbstverwaltungsorgane gestanden haben. In der polnischen Literatur wird betont, dass es in Polen nie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den „axiologischen“ Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane – etwa anders als in Deutschland – gegeben habe.194 Die Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen sei gerade keine wohlüberlegte, auf axiologischen Gesichtspunkten beruhende Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, sondern ein reines Zugeständnis an die Arbeitnehmer.195 Es fehle den gesetzlichen Lösungen an einem bündigen Konzept, vielmehr wirke es, als seien sie „eher zufällig“ gewählt worden.196 Im Hinblick auf die Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen wird in der polnischen Literatur darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung ein Ausdruck „emanzipatorischer Forderungen“ der Arbeitnehmerschaft sei, die nach mehr Selbstbestimmung und einer „demokratischen Partnerschaft“ strebten.197 Es wird auf andere Staaten der Europäischen Union verwiesen, wo die Arbeitnehmerpartizipation als Humanisierung der Arbeit, die ein fundamentales Menschenrecht darstelle, verstanden und in allen Mitgliedstaaten jedenfalls in Form der Unterrichtung und Anhörung anerkannt werde.198 e) Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz Heutzutage werden auch ökonomische Vorteile der Arbeitnehmerpartizipation hervorgehoben.199 Die Arbeitnehmerpartizipation könne durch die damit einhergehende Selbstverwirklichung200 und Ausnutzung der Innovationskraft201 der Ar194

Opalski, Rada nadzorcza, S. 103. So Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422. 196 Gładoch, in: Goz ´ dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225) („Raczej przypadkowe wydaja˛ sie˛ byc´ rozwia˛zania ustawodawcy, w szczególnos´ci w zakresie uczestnictwa pracowników w organach zarza˛dzaja˛cych spółek powstałych z przekształcenia przedsie˛biorstw pan´stwowych“). 197 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (16) („[. . .] wynika z emancypacyjnych da˛z˙en´ robotników, którzy chca˛ kontrolowac´ swoja˛ sytuacje˛ i realizowac´ zasade˛ demokratycznego partnerstwa“). 198 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch CierniakEmerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29); Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/ 2001, S. 224 (233); Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (47). 199 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29); Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (50). 200 So Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (50). 195

A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung

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beitnehmer zu einer Steigerung der Produktivität der Unternehmen beitragen. Letzteres sei mittlerweile auch in dem Bewusstsein vieler Unternehmensleitungen angekommen.202 Einige Autoren betrachten die Ausnutzung des Potentials und der intellektuellen und innovativen Fähigkeiten der Mitarbeiter daher auch als eines der wichtigsten Ziele der Arbeitnehmerpartizipation.203 Gleichzeitig wird die Arbeitnehmerpartizipation als ein Mittel gesehen, um die Motivation der Arbeitnehmer zu steigern.204 Wenngleich sich die genannten Argumente auf die Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen und nicht im Speziellen auf die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene beziehen, so wird in Bezug auf Letztere jedenfalls hervorgehoben, dass diese ein kooperatives Zusammenwirken der Arbeitnehmer mit dem Unternehmensinhaber zum Wohle des Unternehmens fördere und die Arbeitnehmerinteressen in diesem Rahmen nur unter Berücksichtigung langfristiger Entwicklungen des Unternehmens vertreten würden.205 f) Beschränkung der Arbeitnehmerrechte? Vereinzelt wird vertreten, dass die tatsächliche Absicht des Gesetzgebers bei Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf Organebene auf Grundlage des PrivG 1990 eher darin zu sehen sei, den Arbeitnehmereinfluss, der in den Staatsunternehmen über die Belegschaftsräte garantiert war, nach und nach zu beseitigen.206 Als einen wesentlichen Bestandteil der sich neu formenden Ordnung habe der Gesetzgeber diese Form der Arbeitnehmerbeteiligung dagegen nicht angesehen, da die Arbeitnehmervertretung für Unternehmen außerhalb des Geltungsbereiches des PrivG 1990 nicht verpflichtend eingeführt worden war.207 Die im polnischen Recht vorzufindende Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene stelle ein Zugeständnis, nicht aber eine wohlüberlegte, wertbasierte gesetzgeberische Entscheidung dar.208 Davon zeuge neben dem auf den staatlichen Sektor beschränk201 Vgl. Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29). m.w. N.; Haus, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (53 ff.); Ignys´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358); Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (46). 202 Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358). 203 So Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358). 204 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (16). 205 So Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/ 2011, S. 3 (15). 206 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (160). 207 Ebenda. 208 Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; ebenso Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

ten Anwendungsbereich der Arbeitnehmervertretung auf Organebene auch der Umstand, dass erst aufgrund des europäischen Einflusses weitere Formen der Arbeitnehmerbeteiligung entstanden sind.209 3. Vergleich In Deutschland war die Einführung der Unternehmensmitbestimmung begleitet worden von einer in politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kreisen lebhaft geführten Diskussion über ihre Zielsetzung und Rechtfertigung, deren Ausmaß die in Polen vorzufindenden Beiträge um ein Vielfaches übersteigt. Die Debatte um die Unternehmensmitbestimmung in Deutschland zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass sie von breiten Kreisen als ein wesentliches Element bei der Neugestaltung der wirtschaftlichen und politischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden wurde. Die geltenden Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung entspringen einer dezidierten Auseinandersetzung um grundlegende gesellschaftliche Werte und Vorstellungen – der Menschenwürde, der Sicherstellung einer demokratischen Legitimation der Unternehmensleitung, der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Kapital und Arbeit und der Kontrolle der wirtschaftlichen Macht von Großunternehmen. Sie manifestieren ferner das Bedürfnis nach einer institutionellen Absicherung einer sozialen Unternehmenspolitik. Zwar hatte auch in Polen die Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen eine gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung, die – wie in Deutschland – weit über das einzelne Unternehmen hinausging. Schließlich sollte die Arbeitnehmerbeteiligung in beiden Ländern nicht nur eine Integration der Arbeitnehmer im Unternehmen, sondern auch eine Integration der Gesellschaft insgesamt in der neuen Wirtschaftsordnung fördern. Eine derart wertbasierte Grundlage wie in Deutschland hat die polnische Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG jedoch nicht. Auch wenn in der polnischen Literatur auch sozialethische und wirtschaftliche Aspekte zugunsten der Arbeitnehmerbeteiligung im Allgemeinen angeführt werden, so lag das mit der Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf Organebene verfolgte Ziel unzweifelhaft in der Förderung der Wirtschaftsreform und Herbeiführung einer gesellschaftlichen Akzeptanz für die notwendigen Reformen und den Aufbau einer neuen Staats- und Wirtschaftsordnung. Dabei spielte die Kontinuität der von der Arbeitnehmerschaft hart erkämpften Arbeitnehmerselbstverwaltung innerhalb des neuen wirtschaftlichen Systems eine bedeutende Rolle. In dieser Kontinuität, dem Entgegenkommen zugunsten der Belegschaften und der damit erhofften gesellschaftlichen Akzeptanz für die neue Wirtschaftsordnung ist die Rechtfertigung der Beteiligung der Arbeitnehmer in den Gesellschaftsorganen kommerzia209

Opalski, Rada nadzorcza, S. 102.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

239

lisierter bzw. privatisierter Unternehmen in Polen zu sehen. Als einen fundamentalen Grundsatz der neu entstehenden kollektivarbeitsrechtlichen Beziehungen, der auch im privaten Wirtschaftssektor Geltung haben sollte, hat der Gesetzgeber diese Form der Arbeitnehmerbeteiligung dagegen nicht angesehen. Aus den Zielen der mit den Gesetzen eingeführten Unternehmensmitbestimmung lässt sich auch der heutige Anwendungsbereich der Gesetze erklären. Die in Deutschland zugrundeliegenden Zielsetzungen – so insbesondere die Vermeidung einer gegen die Menschenwürde sprechenden Fremdbestimmtheit und das Verlangen nach einer Kontrolle der wirtschaftlichen Macht – spielen im Grunde nur bei Großunternehmen der Privatwirtschaft eine wirkliche Rolle. In Polen bestand das primäre Ziel der eingeführten Unternehmensmitbestimmung dagegen in der Förderung der Privatisierungsprozesse, womit sich auch der auf ehemalige Staatsunternehmen beschränkte Anwendungsbereich erklärt.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze Sowohl in Deutschland als auch in Polen sind von den nationalen Regelungen210 zur Unternehmensmitbestimmung nur bestimmte Unternehmen erfasst.

I. Deutschland Ob ein Unternehmen von einem deutschen Mitbestimmungsgesetz erfasst wird, hängt maßgeblich von der Rechtsform und der Mitarbeiterzahl ab. Für den Fall, dass ein Unternehmen von mehreren Gesetzen erfasst wird, stellen die Mitbestimmungsgesetze Konkurrenzregeln selbst auf. Wird ein Unternehmen der Montanindustrie zugeordnet und erfüllt es auch die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen, dann sind die speziellen Regelungen des MontanMitbestG bzw. des MontanMitbestErgG vorrangig gegenüber denen des MitbestG und des DrittelbG. Gleichermaßen hat das weitergehende MitbestG Vorrang gegenüber dem DrittelbG. 1. Montanmitbestimmungsgesetze Das MontanMitbestG vom 21. Mai 1951211 erfasst ausdrücklich nur Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie. Dieser branchenspezifisch beschränkte Anwendungsbereich ist historisch bedingt, sollte doch zumindest die in der Praxis gelebte Mitbestimmung in der Montanindustrie zu210 Ausgeklammert werden in diesem Abschnitt die auf europäischem Recht beruhenden Mitbestimmungsregelungen, dazu siehe unten Kapitel 4. 211 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestG) vom 21. Mai 1951, BGBl. I S. 347 m. sp. Änd.

240

Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

nächst gesetzlich gesichert werden.212 Unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen nur solche Unternehmen, die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert sind (vgl. § 1 Abs. 2 MontanMitbestG ) und – da die Mitbestimmung auf Großunternehmen und -konzerne ausgerichtet war –, in der Regel mehr als 1.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ein Wegfall der genannten Anwendungsvoraussetzungen führt erst dann zu einer Nichtanwendbarkeit des MontanMitbestG, wenn die Voraussetzungen in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht mehr erfüllt wurden (vgl. § 1 Abs. 3 MontanMitbestG). Mit dem MontanMitbestErgG vom 7. August 1956213, sollten auch Unternehmen von der Mitbestimmung erfasst werden, die zwar selbst nicht dem MontanMitbestG unterfallen, jedoch ein oder mehrere montanmitbestimmte Unternehmen beherrschen.214 Das MontanMitbestErgG gilt für die Konzernobergesellschaft, wenn dem MontanMitbestG unterfallende Konzernunternehmen den Unternehmenszweck des Konzerns prägen (vgl. § 3 Abs. 1 MontanMitbestErgG). Dies ist der Fall, wenn diese Unternehmen insgesamt entweder mindestens ein Fünftel der Gesamtumsätze des Konzerns erzielen oder regelmäßig mehr als ein Fünftel aller Arbeitnehmer im Konzern beschäftigen (vgl. § 3 Abs. 2 MontanMitbestErgG). Bisher nicht montanmitbestimmte Konzernobergesellschaften unterfallen dem MontanMitbestErgG – nach heutiger Fassung215 – jedoch erst, wenn der Umsatz der beherrschten Unternehmen, die unter das MontanMitbestG fallen, in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes des Konzerns betragen hat (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 MontanMitbestErgG). Liegen die in § 3 MontanMitbestErgG genannten Voraussetzungen in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht mehr vor oder wird überhaupt kein montanmitbestimmtes Unternehmen mehr beherrscht, so ist das MontanMitbestErgG nicht mehr auf das herrschende Unternehmen anwendbar (vgl. § 16 Abs. 2 MontanMitbestErgG). 2. MitbestG Anders als die Montanmitbestimmungsgesetze ist das MitbestG vom 4. Mai 1976216 ohne Begrenzung auf einen bestimmten Wirtschaftszweig grundsätzlich in der gesamten Privatwirtschaft anwendbar. Voraussetzung ist einzig, dass das 212

Zum geschichtlichen Hintergrund ausführlich oben Kapitel 2, A.I.2.a). Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestGErgG) vom 7. August 1956, BGBl. I S. 707 m. sp. Änd. 214 Zur historischen Entwicklung siehe Kapitel 2, A.I.2.c). 215 Zu den Änderungen des MontanMitbestErgG, die der Erhaltung der Mitbestimmung in der Montanindustrie dienten, siehe oben Kapitel 2, A.I.2.c). 216 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 4. Mai 1976, BGBl. I S. 1153 m. sp. Änd. 213

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

241

Unternehmen eine in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG genannte Rechtsform hat und die regelmäßige Zahl der Arbeitnehmer217 die Schwelle von 2.000 überschreitet. Dabei kann ein Unternehmen aufgrund von Zurechnungstatbeständen (vgl. §§ 4, 5 MitbestG) die Mitarbeiterschwelle erreichen, selbst wenn es allein für sich genommen unterhalb dieser Schwelle bleibt. Ausgeschlossen aus dem Anwendungsbereich des MitbestG sind sog. Tendenzunternehmen.218 Der Kreis der vom MitbestG erfassten Rechtformen ist im Vergleich zur Montanmitbestimmung weiter. Erfasst werden nicht nur Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern auch solche, die als Kommanditgesellschaft auf Aktien oder Genossenschaft organisiert sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG). Es handelt sich um eine abschließende, nicht analogiefähige Aufzählung.219 Über § 4 MitbestG wird darüber hinaus mittelbar auch die GmbH & Co. KG in die Mitbestimmung einbezogen, wobei allerdings die Vorgaben des MitbestG auf die persönlich haftende GmbH angewendet werden.220 Beschränkt ist der Anwendungsbereich des MitbestG auf deutsche Rechtsformen – nach ausländischem Recht organisierte Unternehmen werden nicht erfasst.221 Auch muss es sich um ein Unternehmen mit Sitz im Inland handeln.222 Die erforderliche Mitarbeiterzahl von in der Regel mehr als 2.000 Mitarbeitern lässt sich mit der beabsichtigten Zielsetzung der Mitbestimmung erklären. Hintergrund sind die sich vor allem in Großunternehmen stellenden Probleme der mit der Unternehmensgröße zusammenhängenden Anonymität der Arbeitnehmer223 sowie ihrer zunehmenden Entfernung von den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen224 und einer damit einhergehenden, der 217 Zur Frage, wer als Arbeitnehmer i. S. d. § 1 Abs. 1 MitbestG zählt, vgl. etwa Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 3 MitbestG Rn. 8 ff.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 1 MitbestG Rn. 6 ff. sowie ders., in: ErfK ArbR, § 3 MitbestG Rn. 1 ff. 218 Ausführlich hierzu etwa Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 56 ff. 219 Einhellige Meinung, vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 31 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 1 MitbestG Rn. 2; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 10. 220 In formaler Hinsicht stellt § 4 MitbestG daher keine Ausnahme des an die Rechtsform anknüpfenden Ansatzes des § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG dar, hierzu Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 32, § 1 MitbestG Rn. 31. 221 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 33; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 53. 222 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 13; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 33; Wißmann, in: Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 18. 223 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 9. 224 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Menschenwürde widersprechenden Fremdbestimmung225. So hieß es auch schon in dem sich mit der Neuordnung der Wirtschaft befassenden Ahlener Programm der CDU im Jahre 1947, es sei „[i]n den Betrieben, in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht, [. . .] ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung sicherzustellen“, was dadurch geschehen müsse, „daß die Arbeitnehmer des Betriebes in den Aufsichtsorganen, z. B. im Aufsichtsrat des Unternehmens, die ihnen zustehende Vertretung haben“ und zusätzlich ein langjähriger Betriebsangehöriger im Vorstand von Großbetrieben mitwirke.226 Das Bundesverfassungsgericht sprach die „mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung“ an, die durch die Mitbestimmung gemildert werden solle.227 Auch die Biedenkopf-Kommission begründete die von ihr vorgeschlagene Beschränkung auf Unternehmen mit mindestens 1.000 bis 2.000 Mitarbeitern damit, dass erst mit „Überschreiten einer bestimmten Betriebsgröße die Probleme der Anonymisierung der Arbeitnehmer, der Bürokratisierung der Unternehmensverwaltungen und damit der Entstehung von Dienstwegen verbunden sind, die die Sicherung einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch entsprechende Institutionen besonders notwendig machen.“ 228 In Kleinbetrieben hingegen sei „keine ausreichend differenzierte Organisation“ vorzufinden, die als Anknüpfungspunkt für die von der Kommission empfohlenen Mitbestimmungsregelungen dienen könnte.229 Nicht anwendbar ist das MitbestG gemäß § 1 Abs. 4 MitbestG auf sog. Tendenzunternehmen sowie auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen.230 3. DrittelbG Auch das DrittelbG vom 18. Mai 2004231 ist grundsätzlich in der gesamten Privatwirtschaft anwendbar und nicht auf einen bestimmten Wirtschaftszweig beDrucks. 7/2172, S. 19; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 52; in diese Richtung auch Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114 f. 225 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 9. 226 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Punkt III. sowie Antrag 3 der CDU-Fraktion des Landes Nordrhein-Westfalen. 227 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 228 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114 f. Die Kommission wollte sich allerdings nicht eindeutig auf die Schwelle von 1.000 oder 2.000 Mitarbeitern festlegen. 229 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114. 230 Näher hierzu etwa Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 1 MitbestG Rn. 20 ff. 231 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974 m. sp. Änd.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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grenzt. Wie auch im Fall des MitbestG hängt die Anwendbarkeit des DrittelbG von der Rechtsform und der Mitarbeiterzahl ab. Das DrittelbG gilt nur für Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Mitarbeitern (vgl. § 1 Abs. 1 DrittelbG). Die vom DrittelbG erfassten Rechtsformen gleichen denen im MitbestG, zusätzlich ist der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) erfasst (vgl. § 1 Abs. 1 DrittelbG). Dagegen fehlt eine dem § 4 MitbestG vergleichbare Regelung für die GmbH & Co. KG, die damit der Mitbestimmung solange nicht unterliegt, solange sie nicht mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt.232 Wie im MitbestG sind auch sog. Tendenzunternehmen und Religionsgemeinschaften vom Anwendungsbereich ausgenommen. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und die Deregulierung des Aktienrechts am 10. August 1994233 galt die vorgeschriebene Drittelbeteiligung für die Aktiengesellschaft und KGaA auch unterhalb der Schwelle von 501 beschäftigten Arbeitnehmern234, die ausnahmsweise Geltung erst ab 501 Mitarbeitern war auf Familiengesellschaften sowie die GmbH und den VVaG beschränkt (vgl. §§ 76 Abs. 6, 77 BetrVG 1952). Für Altgesellschaften gilt dies bis heute (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 2 DrittelbG).235 4. Mitbestimmungserhaltungsregeln Für bestimmte Fälle sehen Sonderregelungen vor, dass die Mitbestimmung erhalten bleibt, selbst wenn die Anwendungsvoraussetzungen eines Mitbestimmungsgesetzes wegfallen. Unter diese Kategorie fallen etwa die bereits oben erwähnten Regelungen des § 1 Abs. 3 MontanMitbestG sowie des § 16 MontanMitbestG, die die Fortgeltung der Montanmitbestimmung für einen Zeitraum von sechs Jahren nach Wegfall der Anwendungsvoraussetzungen der Gesetze vorschreiben. Weitere Sonderregelungen finden sich im § 325 UmwG und § 1 MitbestBeiG.236

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Rieble, Schutz vor paritätischer Mitbestimmung, BB 2006, S. 2018 (2018). Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und die Deregulierung des Aktienrechts vom 2. August 1994, BGBl. I S. 1961. 234 Umstritten war jedoch, ob die Drittelbeteiligung ab einem, drei oder fünf Arbeitnehmern galt, vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 DrittelbG Rn. 17 m.w. N. 235 Ausführlich hierzu Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 DrittelbG Rn. 17 ff.; kritisch Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 149. 236 Näher Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 150; Oetker, in: ErfK ArbR, § 325 UmwG Rn. 1 ff.; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 382 Rn. 2 f.; vgl. hierzu auch oben Kapitel 2, A.I.2.e). 233

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

5. Sonderregelungen und Spezialgesetze Sonderregelungen im Zusammenhang mit der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen finden sich auch in einigen Spezialgesetzen, die in ihrem Anwendungsbereich entsprechend dem jeweiligen Gesetz beschränkt sind. Zu nennen seien hier etwa das sog. VW-Gesetz237 oder die das Montan-MitbestG modifizierende Sonderregelung im Saarland238. Für die deutsch-schweizerischen sowie die deutsch-österreichischen Grenzkraftwerke gibt es ferner Sonderregelungen auf Grundlage von völkerrechtlichen Verträgen239.

II. Polen 1. Kommerzialisierungsgesetz vom 30. September 1996 Die in Polen am weitesten verbreitete Form der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene beruht auf dem KommerzG vom 30. September 1996240. Die darin enthaltenen Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen betreffen Kapitalgesellschaften in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft („spółka akcyjna“ („S. A.“)) sowie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“ („sp. z o. o.“)), die im Wege der Kommerzialisierung eines Staatsunternehmens entstanden sind. Das KommerzG löste mit Wirkung zum 8. April 1997 das alte Privatisierungsgesetz aus dem Jahre 1990 ab.241 Vor dem Inkrafttreten des neuen Privatisierungsgesetzes durchgeführte Privatisierungen beruhten auf dem PrivG 1990. In den Anwendungsbereich des neuen Gesetzes fielen zum einen alle zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens noch nicht umgewandelten Staatsunternehmen, die bislang von dem StaatsUntG und dem SelbstVerwG aus dem Jahre 1981 erfasst waren. Auch wurden diejenigen Staatsunternehmen vom neuen Privatisierungsgesetz erfasst, die zwar bereits einen Antrag auf Umwandlung gestellt hatten, deren 237 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960, BGBl. I S. 585 m. sp. Änd.; ausführlich hierzu Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 269 ff. 238 Gesetz Nr. 560 über die Einführung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaues und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie vom 22. Dezember 1956, Amtsblatt Saarland S. 1703, vgl. Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 1; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 40. 239 Vgl. Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 42; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 15; ausführlich hierzu Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 241 ff. 240 Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Rechte der Arbeitnehmer vom 30. September 1996, Dz. U. 1996 Nr. 118 Pos. 561 m. sp. Änd. 241 Vgl. Art. 74 KommerzG urspr. Fassung; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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Antrag jedoch bis zum Inkrafttreten des KommerzG nicht bearbeitet worden war (vgl. Art. 58 KommerzG). Darüber hinaus erfasste das KommerzG gemäß Art. 60 Abs. 1 KommerzG auch solche Unternehmen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KommerzG bereits in eine Gesellschaft umgewandelt und ins Handelsregister eingetragen worden waren, deren alleiniger Anteilsinhaber aber weiterhin der Staat war. Allerdings sah Art. 60 Abs. 2 bis 4 KommerzG a. F.242 für diesen Fall Sonderregeln für die Arbeitnehmerbeteiligung in diesen Gesellschaften vor. Auf umgewandelte Gesellschaften, deren Anteile im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KommerzG nicht mehr allein vom Staat gehalten wurden, fand das KommerzG hingegen keine Anwendung. Für diese Gesellschaften galten somit auch nicht die Mitbestimmungsregelungen des neuen Privatisierungsgesetzes, sondern weiterhin die Vorgaben des alten PrivG 1990 (vgl. Art. 67 KommerzG). Zweck des KommerzG war in erster Linie die Regelung der Privatisierungsprozesse in Polen. Dabei sollten die Staatsunternehmen durch entsprechende Umwandlungsprozesse in die Marktwirtschaft überführt und geeignete Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit innerhalb der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung geschaffen werden.243 Die Regelungen zur Arbeitnehmerpartizipation wurden aufgrund des mit ihnen verfolgten Zwecks und des sachlichen Zusammenhangs mit der Privatisierung gesetzlich im KommerzG verankert.244 Entsprechend war das Thema Arbeitnehmerpartizipation auch nicht als eine Angelegenheit der Arbeits- und Sozialpolitik, sondern als ein Aspekt der Privatisierungsprozesse diskutiert und behandelt worden.245 Eine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen wurde dabei nicht für alle ehemaligen Staatsunternehmen vorgesehen, sondern lediglich diejenigen, die im Wege der Kommerzialisierung in eine Aktiengesellschaft oder GmbH umgewandelt wurden. Die Kommerzialisierung konnte dabei die erste Stufe der sog. „mittelbaren Privatisierung“ bilden.246 Neben der mittelbaren Privatisierung sah das KommerzG die Möglichkeit der sog. „unmittelbaren Privatisierung“ vor.247 Während die mittelbare Privatisierung sich in zwei Schritten vollzog und darauf beruhte, dass das Staatsunternehmen zunächst in eine Gesellschaft umgewandelt, d.h. kommerzialisiert, und erst anschließend privatisiert wurde, erfolgte im Fall 242 Aufgehoben zum 1. Januar 2017, vgl. Art. 14 Pkt. 29 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 243 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 244 Zu Ziel und Rechtfertigung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene in Polen siehe oben Kapitel 3, A.II.2. 245 Krzywdzinski, Arbeits- und Sozialpolitik in Polen, S. 143. 246 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. 247 Ebenda.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

der unmittelbaren Privatisierung eine Verfügung über das gesamte materielle und immaterielle Vermögen des Unternehmens.248 Da das KommerzG eine zwingende Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nur im Fall von kommerzialisierten und mittelbar privatisierten Unternehmen vorsah, hing die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vorrangig davon ab, welche Form der Privatisierung für das Staatsunternehmen gewählt wurde. Mit Änderungsgesetz vom 16. Dezember 2016249 hat der polnische Gesetzgeber die Systematik des KommerzG wesentlich geändert und die bisher geltende Unterscheidung zwischen mittelbar privatisierten Unternehmen einerseits und unmittelbar privatisierten Unternehmen andererseits aufgehoben. Nach wie vor gilt jedoch, dass eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und ggf. auch Vorstand nur in Gesellschaften vorgesehen ist, die aus der Kommerzialisierung ehemaliger Staatsunternehmen entstanden sind. Die Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand hängt dabei zusätzlich davon ab, dass das kommerzialisierte Unternehmen im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt (vgl. Art. 16 KommerzG). Im Einzelnen unterscheiden sich die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeitnehmerbeteiligung je nachdem, ob das Unternehmen lediglich kommerzialisiert oder auch bereits zum Teil privatisiert wurde. a) Die Kommerzialisierung als Voraussetzung der Arbeitnehmerbeteiligung Eine Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten und Vorständen ist nach dem KommerzG nur für diejenigen ehemaligen Staatsunternehmen vorgeschrieben, die kommerzialisiert wurden. Die Kommerzialisierung beruht gemäß Art. 1 Abs. 1 Hs. 1 KommerzG auf der Umwandlung eines Staatsunternehmens in eine Gesellschaft. Art. 2 Pkt. 1 KommerzG stellt insoweit klar, dass mit dem im Gesetz verwendeten Begriff der „Gesellschaft“ stets eine Aktiengesellschaft („spółka akcyjna“ („S. A.“)) oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“ („sp. z o. o.“)) gemeint sind. Eine Kommerzialisierung bedeutet mithin immer eine Umwandlung eines Staatsunternehmens i. S. d. StaatsUntG in eine Aktiengesellschaft oder in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In der Regel erfolgte aber die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Aktiengesellschaft.250 Die kommerzialisierte Gesellschaft tritt gemäß Art. 1 Abs. 1 Hs. 2 KommerzG in sämtliche Rechtsverhältnisse des Staatsunternehmens ein, unabhängig vom jeweiligen Rechtscharakter. Die Kommerzialisierung wird vom 248 Näher hierzu Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28 ff. sowie unten Kapitel 3, B.II.1.a). 249 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 250 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51.

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Gründerorgan251 auf eigene Initiative oder auf gemeinsamen Antrag des Direktors und des Belegschaftsrates durchgeführt (vgl. Art. 4 Abs. 1, 2 KommerzG). Durch die Kommerzialisierung wird das Unternehmen aus dem Geltungsbereich des StaatsUntG und SelbstVerwG herausgenommen und den Regelungen des Gesetzbuches über die Handelsgesellschaften252 („Kodeks Spółek Handlowych“ („k.s.h.“)) (nachfolgend: „HGG“) unterstellt.253 Dabei ersetzt der Kommerzialisierungsakt die nach den allgemeinen Regelungen des HGG notwendigen Handlungen zur Gründung einer Aktiengesellschaft (vgl. Art. 9 Abs. 3 KommerzG). In Art. 3 Abs. 3 KommerzG wurden bestimmte Staatsunternehmen von der Möglichkeit der Kommerzialisierung gänzlich ausgenommen. Dies betrifft insbesondere Staatsunternehmen, die sich in der Liquidation, Insolvenz oder Restrukturierung befinden sowie solche, die nicht dem StaatsUntG unterstanden. Im Gegensatz zum alten PrivG 1990 (vgl. Art. 19 Abs. 1 PrivG 1990) ist nach dem KommerzG nicht zwingend, dass jede kommerzialisierte Gesellschaft anschließend auch privatisiert werden muss.254 b) Arbeitnehmerbeteiligung auch in teilweise privatisierten Unternehmen aa) Bisherige Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Privatisierung Das KommerzG regelte in seiner noch bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung zwei grundlegende Formen der Privatisierung – die sog. „mittelbare“ und „unmittelbare“ Privatisierung.255 Im Fall der sog. „mittelbaren Privatisierung“ (auch als sog. „Kapitalprivatisierung“ 256 bezeichnet) erfolgte eine Privatisierung der zunächst kommerzialisierten Gesellschaft – es handelte sich mithin um einen zweistufigen Privatisie251 Nach der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung war hierfür der Minister Skarbu Pan´stwa zuständig. Das Ministerium wurde jedoch aufgelöst. 252 Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 15. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 94 Pos. 1037 m. sp. Änd. 253 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29. 254 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9 f. Die Notwendigkeit der Privatisierung aller Staatsunternehmen war bei Erlass des PrivG 1990 umstritten gewesen, entschieden hatte man sich letztlich dafür, dass in jedem Fall eine Privatisierung erfolgen musste, Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9. Die Vorgabe fand ihren Niederschlag in Art. 19 Abs. 1 PrivG 1990, wonach sämtliche Aktien innerhalb von zwei Jahren nach Eintragung der umgewandelten Gesellschaft ins Handelsregister Dritten zur Verfügung gestellt werden mussten, vgl. hierzu auch Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (180). 255 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. 256 „prywatyzacja kapitałowa“, vgl. Wrzeszcz-Kamin ´ ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 102 (103). Übersetzung d. Verf.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

rungsprozess, wobei die Kommerzialisierung die erste Stufe und die anschließende Privatisierung die zweite Stufe bildete.257 Die Privatisierung konnte dabei entweder aufgrund des Bezugs von Aktien bzw. Anteilen258 im Rahmen einer Kapitalerhöhung (vgl. Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1 KommerzG a. F.)259 oder durch Veräußerung der vom Staat gehaltenen Aktien bzw. Anteile erfolgen (vgl. Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1a KommerzG a. F. i.V. m. Artt. 31a ff. KommerzG a. F.).260 Für die Veräußerung der Aktien bzw. Anteile sah das KommerzG mehrere Möglichkeiten vor, unter anderem konnte die Veräußerung aufgrund eines öffentlichen Angebots, einer öffentlichen Ausschreibung oder aufgrund von Verhandlungen, die nach einer öffentlichen Einladung aufgenommen wurden, erfolgen (vgl. Art. 33 KommerzG a. F.). In der Praxis traten oft Mischformen auf.261 Die Unterscheidung zwischen der bislang nur kommerzialisierten und bereits privatisierten Gesellschaft spielte eine wesentliche Rolle für die anwendbaren Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung, da das KommerzG unterschiedliche gesetzliche Vorgaben daran knüpfte, ob der Staat weiterhin Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft war oder ob die Privatisierung bereits eingeleitet wurde (vgl. Artt. 12 bis 14 KommerzG a. F.).262 Neben der „mittelbaren Privatisierung“ sah das KommerzG a. F. in Kapitel V (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) bis zum 31. Dezember 2016263 – wie auch schon das Vorgängergesetz von 1990 (vgl. Artt. 37 ff. PrivG 1990)264 – die Möglichkeit 257 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. 258 Obwohl das KommerzG in Art. 1 Abs. 2 nur von Aktien sprach, waren damit gleichermaßen Anteile an einer GmbH gemeint (vgl. Art. 2 Pkt. 2 KommerzG). 259 Diese Variante wurde erst durch Änderungsgesetz vom 5. Dezember 2002, Dz. U. 2002 Nr. 240 Pos. 2055, in Art.1 Abs. 2 KommerzG aufgenommen. Die ursprüngliche Gesetzesfassung enthielt allein die Variante der Veräußerung von vom Staat gehaltener Aktien, also des subsidiären Aktienerwerbs. 260 Ausführlich zu diesen voneinander strikt zu trennenden Möglichkeiten der mittelbaren Privatisierung Pawłowski, in: Blicharz, Prawne aspekty prywatyzacji, S. 365 (366 ff.); die in Art. 1 Abs. 2 Pkt. 2 KommerzG a. F. genannten Möglichkeiten stellten dagegen Unterfälle der unmittelbaren Privatisierung dar, vgl. Art. 39 Abs. 1 KommerzG a. F. 261 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29. 262 Näher zu den einzelnen Regelungen betreffend die Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats unten Kapitel 3, C.II.2. 263 Durch die Gesetzesänderung zum 1.1.2017 wurde das gesamte Kapitel V gestrichen (vgl. Art. 14 Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 264 Die unmittelbare Privatisierung wurde im PrivG 1990 noch als „Privatisierung des Staatsunternehmens im Liquidationsweg“ („prywatyzacja przedsie˛biorstwa pan´stwowego w dordze likwidacji“, Übersetzung d. Verf.) bezeichnet, da sie mit der Liquidation des Staatsunternehmens einherging. Entsprechend hatte sich auch in der polnischen Literatur der Begriff der „Liquidationsprivatisierung“ („prywatyzacja likwidacyjna“) ein-

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einer sog. „unmittelbaren Privatisierung“ des Staatsunternehmens vor. Anstelle einer zunächst erfolgenden Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft und einer anschließenden Übernahme von Gesellschaftsanteilen durch Dritte beruhte die unmittelbare Privatisierung gemäß Art. 39 KommerzG a. F. auf der „Verfügung über das gesamte materielle und immaterielle Vermögen des Staatsunternehmens“ 265. Hierfür bot das Gesetz die Möglichkeiten des Verkaufs des Unternehmens, der Einbringung des Unternehmens in eine Gesellschaft und der Verpachtung des Unternehmens (sog. „Arbeitnehmerleasing“ 266) (Art. 39 Abs. 1 Pkt. 1 bis 3 KommerzG a. F.). Mit Beschluss über die unmittelbare Privatisierung endete die Funktion der Organe des Staatsunternehmens267, im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse fand die Vorschrift zum Betriebsübergang nach Art. 231 ArbGB entsprechende Anwendung und das Staatsunternehmen wurde nach Abschluss der unmittelbaren Privatisierung aus dem Unternehmensregister gestrichen (vgl. Artt. 43, 44 KommerzG a. F.). Das KommerzG a. F. enthielt jedoch Einschränkungen, für welche Staatsunternehmen der Weg der unmittelbaren Privatisierung generell und die drei genannten Möglichkeiten (Verkauf, Einbringung oder Verpachtung) im Speziellen offenstanden. Hintergrund hierfür war, dass das sog. „Arbeitnehmerleasing“, d.h. die unmittelbare Privatisierung mittels Verpachtung, ursprünglich lediglich für kleinere und mittelgroße Unternehmen konzipiert wurde, die die finanziellen Anforderungen des Leasingvertrages erfüllen konnten, und lediglich als Ergänzung zur mittelbaren Privatisierung sowie anderer Privatisierungswege gedacht war, sich jedoch bald herausstellte, dass dieser Privatisierungsweg unter den Belegschaften am populärsten war und daher die Mehrzahl aller Staatsunternehmen erfasste.268 Daher wurden im KommerzG Beschränkungen für die Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung eingefügt, die sich anhand der Größe, des Eigenkapitals und des Umsatzes des Unternehmens orientierten.269 Nach der ursprünglich verabschiedeten Gesetzesfassung war die unmittelbare Privatisierung daher nur zulässig, wenn das Unternehmen nicht mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigte und bei einem Eigenkapital von nicht mehr als 2 Millionen Euro der Jahresumsatz des gebürgert, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 65. 265 Art. 39 Abs. 1 KommerzG a. F.: „Prywatyzacja bezpos ´rednia polega na rozporza˛dzeniu wszystkimi składnikami materialnymi i niematerialnymi maja˛tku przedsie˛biorstwa pan´stwowego przez [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 266 „Leasing pracowniczy“, vgl. Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30; Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97); kritisch zu der Bezeichnung als Leasing Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 176. 267 Zu den einzelnen Organen eines Staatsunternehmens i. S. d. StaatsUntG ausführlich unten Kapitel 3, D.II.2.a). 268 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97). 269 Ebenda.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Unternehmens 6 Millionen Euro nicht überstieg (vgl. Art. 39 Abs. 2 KommerzG urspr. Fassung). Diese Einschränkung ist später insoweit modifiziert worden, als das KommerzG in seiner zuletzt geltenden Fassung vor der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 allein noch an die Verpachtung des Unternehmens Voraussetzungen knüpfte, die sich an Umsatz und Eigenkapital orientierten (vgl. Art. 39 Abs. 2 KommerzG a. F.). Anders als im Fall der Kommerzialisierung und der mittelbaren Privatisierung sah das KommerzG im Rahmen der unmittelbaren Privatisierung keine verpflichtende Beteiligung von Arbeitnehmervertretern auf Organebene vor. Die Privilegierung der Arbeitnehmer und ein Schutz ihrer Interessen sollte durch anderweitige Regelungen abgesichert sein, die auf dem Gedanken des Arbeitnehmeraktionärstums beruhten.270 Der dadurch begünstigte und geförderte Erwerb von Aktien bzw. Anteilen an Gesellschaften durch Arbeitnehmer führte dazu, dass in jenen Gesellschaften oftmals ein Großteil der Anteile von Arbeitnehmern gehalten wurde, weswegen diese Gesellschaften in der polnischen Literatur auch als sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ bezeichnet wurden.271 bb) Neue Rechtslage seit 1.1.2017 Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 hat der polnische Gesetzgeber nicht nur die Unterscheidung der mittelbaren und unmittelbaren Privatisierung aufgehoben, es wurde generell der Begriff der Privatisierung aus dem Gesetzestext und dem Gesetzestitel gestrichen.272 Hintergrund hierfür war, dass mit dem Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016273 (nachfolgend: „StaatsVermVerwG“) eine grundlegende Reform im Hinblick auf die Ausübung von Eigentumsrechten des Staates erfolgen sollte.274 Im Zuge der Reform sollte auch ein neues Modell für die Verwaltung und Veräußerung von vom Staat gehaltenen Aktien und Anteilen geschaffen werden, weswegen auch in anderen Gesetzen – so auch dem KommerzG – Änderungen erforderlich wurden.275 So wurden die Artt. 31a bis 35 KommerzG a. F. über die Veräußerung der 270

Hierzu unten Kapitel 3, D.I. Ausführlich zur Arbeitnehmerbeteiligung in den sog. Arbeitnehmergesellschaften siehe unten Kapitel 3, D.I. 272 Der Titel des KommerzG lautete zuvor „Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen“. 273 Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2259. 274 Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 1; vgl. ausführlich zum StaatsVermVerwG Adamus, Spółka z udziałem pan´stwowym a przepisy o zarza˛dzaniu mieniem pan´stwowym, MoP 8/2017, S. 411 (411 ff.). 275 Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1054 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 2, 7. 271

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vom Staat an einer kommerzialisierten Gesellschaft gehaltenen Aktien sowie das gesamte Kapitel V des KommerzG betreffend die unmittelbare Privatisierung (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) gestrichen, da die allgemeinen Grundsätze über die Veräußerung von Staatsanteilen im Gesetz über die Verwaltung von Staatsvermögen neu geregelt wurden.276 Trotz der gesetzgeberischen Änderungen ist für die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene weiterhin entscheidend, ob eine Gesellschaft aus der Kommerzialisierung eines ehemaligen Staatsunternehmens hervorgegangen ist sowie ob der Staat Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist oder ob auch andere Investoren Anteile an der Gesellschaft halten, da das KommerzG unterschiedliche Mitbestimmungsvorgaben hieran knüpft (vgl. Artt. 12, 14 KommerzG). Gleichwohl haben sich durch die Gesetzesänderung im Detail auch einige Änderungen in Bezug auf die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen ergeben.277 c) Zwingende Arbeitnehmerbeteiligung auch bei vollständig privatisierten Unternehmen? In der Praxis lassen sich Beispiele finden, in denen Unternehmen nach der Veräußerung aller vom Staat gehaltenen Aktien Satzungsänderungen beschließen ließen, durch die eine Vertretung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten oder Vorständen gänzlich abbedungen wurde. So etwa beschloss die Hauptversammlung des großen börsennotierten Bergbauunternehmens Kopex S. A.278 im Februar 2010, nachdem der Staat kurz zuvor seine letzte Aktie veräußert hatte, eine Satzungsänderung, durch die alle Satzungsbestimmungen, die auf den gesetzlichen Vorgaben des KommerzG beruhten, abgeschafft oder abgeändert wurden, so insbesondere die satzungsmäßigen Konkretisierungen der Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand und Aufsichtsrat.279 In dem Vorstandsbeschluss zur vorgeschlagenen Satzungsänderung stützte sich der Vorstand der Gesellschaft darauf, dass der Staat am 22. und 23. Dezember 2009 die letzten noch vom ihm gehaltenen Anteile der Gesellschaft an der Börse veräußert habe.280 Infolgedes276 Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1054 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 9. 277 Hierzu an entsprechender Stelle im Rahmen der Ausführungen in Kapitel 3, C. 278 Die Kopex S. A. hatte im Jahre 2009 ca. 6.600 Mitarbeiter, im Jahre 2016 waren es noch ca. 3.400 Mitarbeiter, im Jahr 2018 allerdings nur noch ca. 1.140, vgl. https:// www.money.pl/gielda/spolki-gpw/PLKOPEX00018,o_firmie.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 279 Beschluss Nr. 4 der außerordentlichen Hauptversammlung der Kopex S. A. vom 17. Februar 2010, abrufbar unter https://www.primetechsa.pl/stock/walne-zgromadzenie-akcjonariuszy-2010, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 280 Beschluss des Vorstands der Kopex S. A. vom 15. Januar 2010, abrufbar unter https://www.primetechsa.pl/stock/walne-zgromadzenie-akcjonariuszy-2010, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

sen sei der Privatisierungsprozess im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1a KommerzG (a. F.) abgeschlossen, womit das KommerzG – und mithin auch seine Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat (Art. 14 KommerzG) und Vorstand (Art. 16 KommerzG) – nicht mehr für die Gesellschaft gelte. Die Satzungsänderung wurde am 5. März 2010 ins Unternehmerregister eingetragen.281 In der polnischen Literatur herrschte Uneinigkeit darüber, ob das Recht der Arbeitnehmer auf Vertretung in den Gesellschaftsorganen erlischt, wenn der Staat sämtliche Anteile veräußert, das Unternehmen mithin vollständig in private Hand überführt wird. Während die wohl überwiegende Ansicht davon ausging, dass die Regelungen des KommerzG auch dann zwingend weitergelten, wenn der Staat alle Anteile an der privatisierten Gesellschaft veräußert hat282, sahen andere Autoren die Beteiligung des Staates mit zumindest einem Anteil als notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsregelungen des KommerzG283. Soweit ersichtlich, fand jedoch eine ausführliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik nicht statt, obwohl darauf hingewiesen wurde, dass satzungsändernde Beschlüsse, durch die nach Veräußerung aller Staatsanteile das Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen abbedungen werde, sogar die Regel seien und daher die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nur vorübergehender Natur sei.284 Die Frage wurde mittlerweile höchstrichterlich geklärt. Das Oberste Gericht in Polen hat sich mit seinem Urteil vom 19. November 2015285 der zweiten Ansicht angeschlossen, wonach die Beteiligung des Staates mit zumindest einer Aktie bzw. einem Anteil 281 Vgl. https://m.bankier.pl/wiadomosc/KOPEX-S-A-Zarejestrowanie-przez-Sad-uch walonych-zmian-w-Statucie-Spolki-2107511.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 282 So Bieniek, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych według ustawy z 30. sierpnia 1996 r. – cze˛s´c´ II, PiZS 7–8/1997, S. 18 (21); Opalski, Rada nadzorcza, S. 101; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238); ders., Nadzór korporacyjny, S. 194; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (172); ebenso Michał Romanowski, Professor der Juristischen Fakultät an der Universität Warschau, in einem am 3. Juni 2011 veröffentlichten Interview, vgl. Artikel in der Rzeczpospolita vom 3. Juni 2011 mit dem Titel „Die Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichtsräten ist nicht länger zeitgemäß“ („Udział załogi w radach nadzorczych nie odpowiada czasom“), abrufbar unter http://www4.rp.pl/artykul/668024-Udzial-zalogiw-radach-nadzorczych-nie-odpowiada-czasom.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 283 So Pajkiert, in: Blicharz, Prawne aspekty prywatyzacji, S. 235 (242) und Piwowarczyk, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 79 (84 f.); davon ausgehend wohl auch Haus, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (57), der auf den lediglich vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat hinweist. 284 So Piwowarczyk, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 79 (85). 285 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Artt. 14, 16 KommerzG und die zwingende Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat bzw. Vorstand ist. Die Ansicht des Obersten Gerichts überzeugt. Die Auslegung der Artt. 14, 16 KommerzG lässt darauf schließen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen nur solange sichergestellt ist, wie der Staat überhaupt noch als Aktionär an der Gesellschaft beteiligt ist und daher lediglich vorübergehender Natur ist.286 Das KommerzG selbst definiert seinen Anwendungsbereich als solchen nicht ausdrücklich. Kommerzialisiert und privatisiert werden können grundsätzlich alle Staatsunternehmen, bis auf die in Art. 3 Abs. 3 KommerzG genannten Ausnahmen. In einigen Sondervorschriften bezieht das KommerzG auch solche Unternehmen ein, deren Privatisierung bereits auf Grundlage des alten PrivG 1990 eingeleitet wurde (vgl. Art. 60 KommerzG). Das KommerzG enthält jedoch keine ausdrückliche Vorschrift dazu, ob seine Geltung endet, wenn die Privatisierung vollständig durchgeführt ist. Der Wortlaut der maßgeblichen Mitbestimmungsvorschriften – Art. 14 KommerzG und Art. 16 KommerzG – enthält hierzu ebenfalls keine ausdrückliche Regelung und ist in dieser Hinsicht uneindeutig. Gemäß Art. 14 KommerzG können „ab dem Moment, in dem der Staat nicht mehr Alleinaktionär der im Wege der Kommerzialisierung entstandenen Gesellschaft ist“, die Satzungsbestimmungen betreffend die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern geändert werden, wobei die Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmer und Landwirte oder Fischer das Recht zur Wahl der gesetzlich näher spezifizierten Zahl von eigenen Vertretern „beibehalten“.287 Nach Art. 16 Abs. 1 KommerzG steht den Arbeitnehmern einer Gesellschaft, die im Wege der Kommerzialisierung entstanden ist und die durchschnittlich im Jahr mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt, das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds „auch nach Veräußerung von mehr als der Hälfte der vom Staat gehaltenen Aktien“ zu.288 Der Wortlaut der zitierten Vorschriften 286 Zu der Methodik und den Grundsätzen der Auslegung im polnischen Arbeitsrecht vgl. ausführlich Wypych-Z˙ywicka, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 1253 ff., 1266 ff. Im Wesentlichen erfolgt ähnlich wie im deutschen Recht eine grammatikalische, systematische sowie teleologische – sog. funktionale – Auslegung, wobei Letztere auch die Entstehungsgeschichte bzw. den Willen des Gesetzgebers mit berücksichtigt. 287 Art. 14 Abs. 1 KommerzG: „Od chwili, w której Skarb Pan ´stwa przestał byc´ jedynym akcjonariuszem spółki powstałej w wyniku komercjalizacji, postanowienia statutu dotycza˛ce powoływania i odwoływania członków rady nadzorczej moga˛ byc´ zmienione, z tym ˙ze pracownicy albo pracownicy i rolnicy lub rybacy zachowuja˛ prawo wyboru: [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 288 Art. 16 Abs. 1 KommerzG: „W spółkach powstałych w drodze komercjalizacji, a takz˙e po zbyciu przez Skarb Pan´stwa ponad połowy akcji spółki, pracownicy wybieraja˛ jednego członka zarza˛du, jez˙eli s´rednioroczne zatrudnienie w spółce wynosi powyz˙ej 500 pracowników.“ Übersetzung d. Verf.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

lässt mithin durchaus die Interpretation zu, nach der von den Vorschriften auch diejenige Situation erfasst ist, dass der Staat alle seine Anteile veräußert hat.289 Auf der anderen Seite lässt sich der Wortlaut „ab dem Moment, in dem der Staat nicht mehr Alleinaktionär [. . .] ist“ jedoch auch dergestalt verstehen, dass der Staat zwar nicht mehr Alleinaktionär, aber immerhin noch Aktionär sein muss – mithin zumindest mit noch einer Aktie oder einem Anteil an der Gesellschaft beteiligt sein muss.290 Auch aus der Gesetzessystematik lassen sich sowohl Argumente für als auch gegen die Weitergeltung der Mitbestimmungsregelungen nach vollständiger Privatisierung herleiten. Unzweifelhaft stehen die Mitbestimmungsvorschriften in untrennbarem Zusammenhang mit der Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen. Dieser Zusammenhang besteht darin, dass die Entstehung einer Gesellschaft im Wege der Kommerzialisierung – als erster Stufe der bisherigen sog. „mittelbaren Privatisierung“ – Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Artt. 14, 16 KommerzG ist. Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass die Mitbestimmungsregeln allein auf diesem Umstand, namentlich der Entstehung einer Gesellschaft im Wege der Kommerzialisierung, beruhen, unabhängig davon, ob der Staat in der Folgezeit an ihr beteiligt bleibt oder nicht.291 Aus diesem Grund bestünde das Recht auch dann weiter, wenn der Staat in der Gesellschaft, die im Wege der Kommerzialisierung entstanden ist, nur noch Minderheitsaktionär ist oder überhaupt keine Aktionärsstellung mehr einnimmt.292 Gleichwohl lässt sich dem entgegenhalten, dass das KommerzG a. F. zwei Wege zur Überführung von Staatsunternehmen in die Marktwirtschaft vorgesehen hatte – die mittelbare und die unmittelbare Privatisierung. Für Gesellschaften, die aus der unmittelbaren Privatisierung hervorgingen, bürdete es dem privaten Inhaber jedoch keine Beschränkungen im Bezug auf die Bestellung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern auf.293 Eine unterschiedliche Behandlung der mittelbar und unmittelbar privatisierten Gesellschaften nach vollständigem Abschluss des Privatisierungsprozesses sei aber nicht gerechtfertigt.294

289

So wohl auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 101. So Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 3 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Pajkiert, in: Blicharz, Prawne aspekty prywatyzacji, S. 235 (242). 291 So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238). 292 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). 293 So die Argumentation des Obersten Gerichts in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 294 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 290

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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Auch aus der Gesetzesgeschichte lassen sich keine zweifelsfreien Anhaltspunkte für oder gegen die Weitergeltung der Mitbestimmungsregeln nach vollständiger Privatisierung entnehmen. Weder das Vorgängergesetz von 1990295 noch der verhandelte Pakt über das Staatsunternehmen296 oder die ursprüngliche Fassung des Art. 14 KommerzG lassen den Rückschluss zu, dass die heutigen Regelungen des KommerzG zur Arbeitnehmerbeteiligung auch nach vollständiger Privatisierung gelten sollen. (i) Das PrivG 1990 hatte zwar ausdrücklich vorgesehen, dass die zwingenden Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat solange nicht durch Satzungsbestimmung abbedungen werden könnten, wie der Staat mehr als 50 % der Anteile hielt (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990). Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass eine Mindestzahl an Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat danach nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben war. Die Mitbestimmungsregelung im PrivG 1990 hatte mithin eindeutig einen nur vorübergehenden Charakter.297 Insoweit könnte vorgebracht werden, dass – hätte der Gesetzgeber eine Abdingbarkeit der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung nach Veräußerung aller Staatsanteile vorsehen wollen – eine ähnliche Regelung wie im Vorgängermodell des PrivG 1990 naheliegend gewesen wäre. Dies insbesondere, als das Problem der nur vorübergehend gewährleisteten Arbeitnehmerbeteiligung nach dem PrivG 1990 bereits in der Rechtswissenschaft diskutiert worden war.298 Allerdings lässt sich aus dem Fehlen einer derartigen Regelung eine eindeutige Absicht des Gesetzgebers nicht herleiten. (ii) Die Vereinbarungen im Pakt über das Staatsunternehmen von 1993, die für das neue KommerzG eine wesentliche Rolle gespielt hatten299, sind in dieser Hinsicht ebenfalls nicht eindeutig. Im Pakt – genauer gesagt den drei nahezu wortlautgleichen Pakten mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der OPZZ und anderen Gewerkschaften300 – wird ausdrücklich unterschieden zwischen der Beteiligung der Arbeitnehmer „vor der Zurverfügungstellung von Aktien bzw. Anteilen“ 301, die 1/3 der Aufsichtsratssitze betragen und ggf. das Recht zur

295

Zur Entstehungsgeschichte des PrivG 1990 oben Kapitel 2, A.II.4.b). „Pakt über das Staatsunternehmen in der Umstrukturierung“, hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 297 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 56. 298 Vgl. etwa Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19), der darauf hinweist. 299 Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. oben Kapitel 2, A.II.4.c). 300 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 301 „przed udoste˛pnieniem akcji“ (Übersetzung d. Verf.), vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie 296

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Wahl eines Vorstandsmitglieds beinhalten soll, und der Beteiligung „nach Privatisierung“ 302, die zwischen einem und drei Aufsichtsratsmitgliedern je nach Größe des Aufsichtsrats und die ggf. Wahl eines Vorstandsmitglieds ausmachen soll.303 Allerdings sind die Begrifflichkeiten nicht klar definiert. So interpretierten einige Autoren die Vereinbarungen im Pakt dahingehend, dass die Drittelbeteiligung bis zur Beendigung der Privatisierung bestehen und die Arbeitnehmer in vollständig privatisierten Unternehmen das Recht zur Bestimmung von ein bis drei Aufsichtsratsmitgliedern und ggf. eines Vorstandsmitglieds haben sollten.304 Damit gingen sie von einem dauerhaft bestehenden Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung aus. Naheliegender erscheint es jedoch, den Wortlaut „vor der Zurverfügungstellung von Aktien bzw. Anteilen“ mit dem Stadium der bislang nur durchgeführten Kommerzialisierung gleichzusetzen, d.h. mit dem Zeitraum, in dem noch keine einzige Aktie in private Hand übergegangen ist.305 „Nach Privatisierung“ ist dagegen vielmehr so zu verstehen, dass die Privatisierung bereits eingeleitet worden ist, mithin auch andere Investoren eingestiegen und der Staat nicht mehr Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist. Die letztgenannte Interpretation entspricht auch der Differenzierung, die letztlich im KommerzG angenommen wurde (vgl. Art. 12 KommerzG: „Solange der Staat Alleinpan´stwowym, S. 5; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3. 302 „po sprywatyzowaniu“ (Übersetzung d. Verf.), vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 4. 303 Vgl. die Regelung in den drei separat unterzeichneten Pakten zwischen der NSZZ Solidarnos´c´, der OPZZ sowie anderen Gewerkschaften auf der einen Seite, der Konföderation der Polnischen Arbeitgeber auf der anderen Seite sowie der Regierung (Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 f.). 304 So Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, S. 8; ders., Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19); ebenso Mouranche, Dos´wiadczenia trójstronnos´ci, S. 62. 305 So auch Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (14); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f., der davon ausgeht, dass die Vereinbarung im Pakt eine Verschlechterung gegenüber dem PrivG 1990 darstellten. Das PrivG 1990 hatte eine Drittelbeteiligung so lange garantiert, wie der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990). Nach der hier vertretenen Interpretation der Vereinbarungen des Paktes würde die Arbeitnehmerbeteiligung dagegen bereits mit Veräußerung der ersten Aktien durch den Staat auf eine Beteiligung von nur 10 bis 20 % sinken.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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aktionär ist [. . .]“ 306). Nach diesem Verständnis ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch nach Abschluss des Privatisierungsprozesses die eingeräumten Arbeitnehmerrechte fortgelten sollen. (iii) Schließlich lässt sich auch aus der ursprünglich verabschiedeten Fassung des Art. 14 KommerzG kein Hinweis darauf entnehmen, dass nach vollständiger Privatisierung die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen weitergelten solle.307 Art. 14 KommerzG hatte in der bis 2002 geltenden Fassung vorgesehen, dass die gestaffelte Arbeitnehmerbeteiligung erst dann einschlägig war, wenn der Staat mehr als die Hälfte seiner Anteile veräußert hatte. Da Art. 12 KommerzG jedoch nur die Arbeitnehmerbeteiligung bei alleiniger Aktionärsstellung des Staates regelte, war unklar, was in der Zeit zwischen Veräußerung nur eines Anteils und mehr als der Hälfte aller Anteile des Staates gelten sollte.308 Im Jahre 2002309 wurde der Wortlaut des Art. 14 KommerzG dahingehend abgeändert, dass die gestaffelte Arbeitnehmerbeteiligung bereits dann eingreift, wenn der Staat auch nur einen einzigen Anteil veräußert. Die Änderung hat auf die Frage der Weitergeltung der zwingenden Mitbestimmungsvorgaben nach vollständiger Privatisierung jedoch keine Auswirkung.310 Eine Betrachtung der Mitbestimmungsregeln nach Sinn und Zweck spricht jedoch eher gegen die zwingende Weitergeltung der Artt. 14, 16 KommerzG nach vollständiger Privatisierung. Hierfür lässt sich anführen, dass die eingeführte Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene vorrangig die soziale Akzeptanz für die wirtschaftlichen Reformen fördern sollte, indem die Arbeitnehmer die Geschicke ihres Unternehmens mitgestalten und beeinflussen können sollten.311 Dies zugrunde gelegt, besteht nach Abschluss der Privatisierungsprozesse weder eine Notwendigkeit noch eine Rechtfertigung mehr für eine Fortgeltung der Mitbestimmung. Dem kann zwar entgegengehalten werden, dass ein wichtiger Aspekt 306 Art. 12 KommerzG: „W czasie, w którym Skarb Pan ´stwa pozostaje jedynym akcjonariuszem [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 307 So auch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 308 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 1; Chrós´cicki, Komentarz do ustawy o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 61. 309 Vgl. Art. 2 Abs. 8 des Gesetzes vom 5. Dezember 2002 betreffend die Änderung des Gesetzes über die Ausübung von einigen Rechten des Staates, des Gesetzes über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen sowie einiger anderer Gesetze, Dz. U. 2002 Nr. 240 Pos. 2055. 310 So auch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 311 Siehe hierzu oben Kapitel 3, A.II.2.a).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

bei Einführung der Arbeitnehmervertretung auf Organebene auch die Kontinuität der früheren Arbeitnehmerselbstverwaltung war, ferner der Arbeitnehmerbeteiligung auch sozialethische, laboristische und sogar wirtschaftliche Motive sowie Integrationsaspekte zugrunde gelegt werden und sich diese Zielsetzungen nicht mit Abschluss des Privatisierungsprozesses erübrigen.312 Denn gerade die angestrebte Kontinuität der Selbstverwaltungsorgane – die als dauerhafte Institution in den Staatsunternehmen etabliert waren – würde ins Leere laufen, wenn das Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene in den Fällen, in denen das Unternehmen gänzlich in private Hand übergeht, nicht länger gesetzlich gewährleistet wäre. Auch – so könnte argumentiert werden – dürfte es kaum zu der ebenfalls bezweckten gesellschaftlichen Akzeptanz der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung beitragen, wenn die Überführung von Unternehmen in Privateigentum gleichzusetzen wäre mit dem Verlust der – hart erkämpften – Arbeitnehmerrechte und Einflussmöglichkeiten. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, dass der übergeordnete Sinn und Zweck des KommerzG darin bestand, Staatsunternehmen an eine Tätigkeit im Rahmen der neuen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen heranzuführen.313 Wenn aber Ziel des KommerzG die Regelung des Statuses der Staatsunternehmen bis zur vollständigen Privatisierung war, so leuchtet es nicht ein, warum das Recht der Arbeitnehmer zur Beteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand über diesen Zeitraum hinaus garantiert werden sollte.314 Es überzeugt, dass das ehemalige Staatsunternehmen ab dem Zeitpunkt der vollständigen Privatisierung den gleichen rechtlichen und marktwirtschaftlichen Regeln unterworfen sein sollte wie alle anderen Gesellschaften der Privatwirtschaft, für die das polnische Recht gerade keine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vorsieht. Insgesamt lassen sich Argumente sowohl für als auch gegen die Weitergeltung der Mitbestimmungsvorschriften in Artt. 14, 16 KommerzG nach vollständiger Privatisierung der kommerzialisierten Gesellschaft finden. Die Gesetzeskonzeption und -geschichte bieten für diese Frage keine eindeutigen Anhaltspunkte. Gleichwohl spricht insbesondere die mit dem KommerzG bezweckte Überführung der ehemaligen Staatsunternehmen in die Marktwirtschaft gegen die Annahme einer Weitergeltung. Denn vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gerechtfertigt, eine Gesellschaft auch nach ihrer vollständigen Privatisierung nur deshalb anderen Regeln zu unterstellen als sonstige Gesellschaften der Privatwirtschaft, weil sie aus der Kommerzialisierung hervorgeht. Diese Ansicht scheint 312

Hierzu oben Kapitel 3, A.II.2. So auch die Argumentation des Obersten Gerichts in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4, 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 314 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 313

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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sich auch in der Praxis und Rechtsprechung durchgesetzt zu haben. Damit handelt es sich bei der Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG letztlich um eine lediglich vorübergehende Lösung. Weder das KommerzG noch ein sonstiges Gesetz enthält ausdrückliche Regelungen zur Mitbestimmungsbeibehaltung in den Fällen, in denen das kommerzialisierte Unternehmen auf einen anderen Rechtsträger übergeht, etwa im Wege einer Verschmelzung. Hier dürfte neben der Voraussetzung, dass der Staat über eine Beteiligung verfügt, maßgeblich sein, ob die übernehmende Gesellschaft noch als eine im Wege der Kommerzialisierung entstandene Gesellschaft angesehen werden kann. Indes scheint diese Problemfeld in der polnischen Literatur und Rechtsprechung nicht thematisiert worden zu sein. d) Die kommerzialisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung („sp. z o. o.“) Für kommerzialisierte sowie teilweise privatisierte Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“ („sp. z o. o.“)) gilt das KommerzG zwar grundsätzlich gleichermaßen wie für die Aktiengesellschaft. Allerdings ist ein Aufsichtsrat in der polnischen GmbH grundsätzlich nicht obligatorisch, das Aufsichtsrecht steht dann grundsätzlich allen Gesellschaftern zu (vgl. Artt. 212, 213 § 1 HGG). Gemäß Art. 213 § 2 HGG soll jedoch ein Aufsichtsrat oder eine Revisionskommission315 bestellt werden, wenn das Stammkapital der Gesellschaft 500.000 PLN übersteigt und die Gesellschaft mehr als 25 Gesellschafter hat.316 Die Vorschrift wird in der polnischen Literatur nach wohl einhelliger Ansicht trotz des anders anmutenden Wortlauts („soll“) als obligatorisch angesehen, sodass in diesen Fällen ein Aufsichtsrat oder alternativ eine Revisionskommission zu errichten ist.317 Das KommerzG sieht – anders als das deutsche Recht (vgl. § 6 Abs. 1 MitbestG, § 3 Abs. 1 MontanMitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG) – keine verbindliche Errichtung eines Aufsichtsrats vor, sondern bestimmt in Art. 11 Abs. 2 KommerzG sogar ausdrücklich, dass die Bildung eines Aufsichtsrats in Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht obligatorisch ist und das Kontrollrecht ansonsten der Gesellschafter oder ein vom diesem Bevollmächtigter ausübt. Im Gegensatz zum deutschen Recht, in welchem die Mitbestimmungsgesetze die verpflichtende Er315 Die früher auch für die Aktiengesellschaft bestehende Möglichkeit einer Revisionskommission wurde dagegen im HGG abgeschafft, vgl. hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 37. 316 Art. 213 § 2 HGG: „W spółkach, w których kapitał zakładowy przewyzsza kwote˛ ˙ 500 000 złotych, a wspólników jest wie˛cej niz˙ dwudziestu pie˛ciu, powinna byc´ ustanowiona rada nadzorcza lub komisja rewizyjna.“ 317 So etwa Szajkowski/Tarska/Szuman ´ ski, in: Sołtysin´ski/Szajkowski/Szuman´ski/ Szwaja, Kodeks spółek handlowych, Bd. 2, Art. 213 Rn. 1; Weiss/Szuman´ski, in: Pyzioł/ Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 39 Rn. 1190, 1201.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

richtung eines Aufsichtsrats für die GmbH vorschreiben, dürfte sich vor diesem Hintergrund vielmehr die Frage stellen, ob Art. 11 Abs. 2 KommerzG in den Fällen des Art. 213 § 2 HGG der sonst obligatorischen Errichtung eines Aufsichtsrats oder einer Revisionskommission wieder einen rein fakultativen Charakter verleiht. Hierfür spräche der allgemeine lex specialis-Grundsatz, der sich in Art. 5 Abs. 1 KommerzG manifestiert. Wird allerdings ein Aufsichtsrat in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung bestellt, so gelten für diesen auch die Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung nach dem KommerzG. Grundsätzlich ließe sich auf Grundlage der Vorschriften des KommerzG und des HGG der zwingenden Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat ohne Weiteres durch die Rechtsformwahl der GmbH ausweichen. In der Regel wurden Staatsunternehmen jedoch in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.318 Die Vorschrift des Art. 16 KommerzG betreffend die Bestellung eines Vorstandsmitglieds gilt dagegen stets auch für die GmbH. 2. Spezielle Privatisierungsgesetze Neben dem KommerzG von 1996 wurden für einzelne Unternehmen spezielle Kommerzialisierungs- bzw. Privatisierungsgesetze erlassen. Dies betraf vor allem die Polnische Staatsbahn („Polskie Koleje Pan´stwowe“ („PKP“)) und die Polnische Post („Poczta Polska“). Die Kommerzialisierung dieser Staatsunternehmen wurde mit dem Gesetz über die Kommerzialisierung, Restrukturierung und Privatisierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000319 (nachfolgend: „KommerzG-PKP“) und dem Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008320 (nachfolgend: „KommerzG-Post“) speziell geregelt. Die Gesetze enthalten auch besondere Vorgaben für die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen der umgewandelten Gesellschaften (vgl. Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG-PKP, Art. 10 KommerzGPost).321 Auch das Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000322 sieht Abweichungen zum KommerzG auch im Hinblick auf die Arbeit-

318

Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51. Gesetz über die Kommerzialisierung, Restrukturierung und Privatisierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948, urspr. Fassung. Seit dem 1. Januar 2017 lautet der Gesetzestitel „Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“)“. 320 Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008, Dz. U. 2008 Nr. 180 Pos. 1109. 321 Näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2. 322 Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000, Dz. U. 2000 Nr. 103 Pos. 1098. 319

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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nehmerbeteiligung vor (vgl. Art. 18 des Gesetzes über das Polnische Schiffsregister). Die genannten Gesetze gelten bis heute. Sondergesetze oder Sonderregelungen wurden darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der Umwandlung bzw. Privatisierung anderer Unternehmen erlassen, so etwa für das polnische Luftfahrtsunternehmen „LOT“, welches aus dem Geltungsbereich des StaatsUntG von 1981 ausgenommen war (vgl. Art. 6 Abs. 3 StaatsUntG urspr. Fassung) und daher dem PrivG 1990 durch ausdrückliche Regelung unterstellt werden musste.323 Das diesem Zweck dienende Gesetz sah allerdings anders als die Gesetze über die Polnische Staatsbahn und die Polnische Post keine Besonderheiten im Hinblick auf die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vor. Eine Besonderheit im Hinblick auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats fand sich allerdings im Gesetz über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung vom 30. April 1993324, welches jedoch mit Wirkung zum 1. Januar 2013 aufgehoben wurde.325 Bei den nationalen Investmentfonds handelte es sich um vom Staat gegründete Aktiengesellschaften, die an privatisierten Gesellschaften meist strategisch bedeutsame Aktien- bzw. Anteilspakete hielten und deren Ziel darin bestand, den Marktwert dieser Gesellschaften zu steigern, was insbesondere durch eine Verbesserung der Unternehmensführung, die Festigung ihrer Marktposition und die Beschaffung neuer Technologien und Kredite für die Gesellschaften erfolgen sollte (vgl. Artt. 3, 4 des Gesetzes über die nationalen Investmentfonds und ihre Privatisierung).326 Das Gesetz sah zwar keine zwingende zahlenmäßige Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat oder Vorstand der nationalen Investmentfonds vor, jedoch erfolgte die Nominierung der Aufsichtsratsmitglieder durch eine Kommission, in der neben verschiedenen von staatlicher Seite berufenen Mitgliedern auch Entsandte repräsentativer Gewerkschaftsorganisationen vertreten waren (vgl. Art. 15 Abs. 2, 3 des Gesetzes über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung). Unter dem Einfluss der Gewerkschaften wurden auf diese Weise Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte der nationalen Investmentfonds gewählt.327

323 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Umwandlung des polnischen Luftfahrtsunternehmens „LOT“ vom 14. Juni 1991, Dz. U. 1991 Nr. 61 Pos. 260. 324 Gesetz über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung vom 30. April 1993, Dz. U. 1993 Nr. 44 Pos. 202. 325 Art. 15 des Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung und Änderung einiger anderer Gesetze vom 30. März 2012, Dz. U. 2012 Pos. 596. 326 Näher zu den nationalen Investmentfonds Karczmarczuk, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 77 (79 ff.); Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 39 f. 327 Vgl. Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (204).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

3. Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft Eine besondere Form der Arbeitnehmerbeteiligung findet sich in dem auch heute noch geltenden – wenn auch in seiner praktischen Relevanz stark begrenzten – SelbstVerwG vom 25. September 1981328. Das Gesetz findet ausschließlich Anwendung auf Staatsunternehmen im Sinne des ebenfalls vom 25. September 1981 datierenden StaatsUntG329.330 Ein Staatsunternehmen im Sinne dieser Gesetze ist eine rechtliche Sonderform für ein Unternehmen, die noch aus der Zeit des realen Sozialismus rührt. Das Staatsunternehmen als Rechtsform wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Einführung der sozialistischen Planwirtschaft ins Leben gerufen.331 Es handelte sich dabei um die auf unterster Stufe des planwirtschaftlichen Systems stehende organisatorische Einheit, ein Wirtschaftssubjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit, das allerdings in das planwirtschaftliche System vollständig eingegliedert war und von übergeordneten Organisationseinheiten – je nach gesetzlicher Ausgestaltung, die im Laufe des über 40-jährigen Bestehens der Volksrepublik oftmals variierte – mehr oder weniger stark kontrolliert und beeinflusst wurde und somit entsprechend mehr oder weniger Befugnisse und Eigenständigkeit besaß.332 In seiner ursprünglichen Fassung definierte das StaatsUntG das Staatsunternehmen in Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung noch als die „organisatorische Basiseinheit der nationalen Volkswirtschaft“, welche der Befriedigung öffentlicher Bedürfnisse dienen und durch die Herstellung von Gütern, Erbringung von Dienstleistungen oder eine andere Tätigkeit positive wirtschaftliche Ergebnisse erzielen sollte.333 Nach Art. 2 StaatsUntG urspr. Fassung verwaltete das Staatsunternehmen den ihm zugeteilten Teil des Volkseigentums und führte die wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig entsprechend den Zielen des nationa-

328 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123 m. sp. Änd. 329 Gesetz über Staatsunternehmen vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 122 m. sp. Änd. 330 Einige besondere Staatsunternehmen sowie Banken wurden aus dessen Anwendungsbereich jedoch ausgenommen, so etwa das Luftfahrtunternehmen „LOT“, vgl. Art. 6 Abs. 3 StaatsUntG ursp. Fassung. 331 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. Die erste gesetzliche Grundlage hierfür war das Gesetz über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950. 332 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20, 27; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62 f.; ausführlich zu den gesetzlichen Grundlagen in der Volksrepublik Polen oben Kapitel 2, A.II.2. und Kapitel 2, A.II.3.b). 333 Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung: „Przedsie˛biorstwo pan ´stwowe jest podstawowa˛ jednostka˛ organizacyjna˛ gospodarki narodowej, słuz˙a˛ca˛ zaspokojaniu potrzeb społecznych, tworzona˛ w celu osia˛gania efektywnych ekonomicznie wyników przez produkcje˛ dóbr, s´wiadczenie usług czy inna˛ działalnos´c´.“

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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len Plans. Nach dem Wechsel von der sozialistischen Planwirtschaft zur marktwirtschaftlichen Ordnung wurden diese Vorschriften gestrichen bzw. geändert, ebenso wie weitere Vorschriften, die auf das sozialistische System Bezug nahmen (z. B. Art. 3 StaatsUntG urspr. Fassung). Art. 1 StaatsUntG n. F. beschränkt die Definition des Staatsunternehmens nunmehr – in Anlehnung an Art. 1 Abs. 2 StaatsUntG urspr. Fassung – darauf, dass es sich bei dem Staatsunternehmen um einen selbstständigen, sich selbstverwaltenden und selbstfinanzierenden Unternehmer handelt, der eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt.334 Das Gesetz über Staatsunternehmen unterscheidet zwischen Staatsunternehmen im Allgemeinen und solchen, die der öffentlichen Daseinsvorsorge dienen. Für Letztere enthält Art. 6 Abs. 1 StaatsUntG einen beispielhaften Katalog. Danach sind Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge u. a. dazu bestimmt, Produkte und Dienstleistungen auf dem Gebiet der Sanitäranlagen, öffentlicher Nahverkehrseinrichtungen, Energiezulieferung, Bestattungsdienste und Kultur zu erbringen. Die im SelbstVerwG enthaltenen Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung erfassen grundsätzlich alle Staatsunternehmen, die unter das StaatsUntG fallen. Die Mitbestimmungsvorgaben unterscheiden sich jedoch je nachdem, ob das Staatsunternehmen selbst- oder fremdverwaltet wird.335 Zu Beginn der Transformationsphase im Jahre 1990 existierten 8.453 Staatsunternehmen in Polen.336 Zum 31. Dezember 2015 waren es nur noch 41 Staatsunternehmen, wovon auch nur 19 aktiv waren, d.h. einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgingen.337 Der Großteil der Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge war bereits Anfang der 1990er Jahre kommunalisiert worden.338 Die praktische Relevanz des formal weiterhin geltenden SelbstVerwG ist daher gering. Eine Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde ferner auch in anderen Gesetzen vorgesehen. So etwa besteht in sog. „gemischten Unternehmen“ auf Grundlage

334 Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG n. F.: „Przedsie˛biorstwo pan ´stwowe jest samodzielnym, samorza˛dnym i samofinansuja˛cym sie˛ przedsie˛biorca˛ posiadaja˛cym osobowos´c´ prawna˛.“ 335 Näher hierzu unten Kapitel 3, D.II. 336 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5 sowie die Informationen des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) vom 9. März 2016 auf der damaligen Homepage des Ministeriums, https://bip.msp.gov.pl/bip/raporty-analizy/przeksztal cenia-wlasnos/10245,stan-na-dzien-31-grudnia-2015-roku.html, zuletzt aufgerufen am 23. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar). 337 Bericht des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan ´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, Sejm-Drucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5. 338 Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 18.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

des Gesetzes vom 10. Juli 1985339 eine Arbeitnehmerselbstverwaltung, wenn das Unternehmen mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt (vgl. Artt. 19 ff. des Gesetzes über gemischte Unternehmen). Auch wurde für das staatliche Flughafenunternehmen „Porty Lotnicze“ ein vom StaatsUntG gesondertes Gesetz340 verabschiedet, welches ebenfalls Selbstverwaltungsorgane vorsieht (vgl. Artt. 28 ff. des Gesetzes über das Staatsunternehmen „Porty Lotnicze“). 4. Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996 Eine zwingende Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene findet sich ferner im Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996341 (nachfolgend: „KommWirtG“). Die kommunale Wirtschaft erfasst insbesondere den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge (vgl. Art. 1 Abs. 2 KommWirtG). Das Gesetz fußt auf dem Grundsatz der territorialen Selbstverwaltung (vgl. Art. 1 Abs. 1 KommWirtG) und sieht vor, dass die kommunale Wirtschaft von den territorialen Selbstverwaltungseinheiten auch über eine Handelsgesellschaft, insbesondere eine GmbH oder Aktiengesellschaft, geführt werden kann (vgl. Artt. 2, 9 KommWirtG). Dabei können die territorialen Selbstverwaltungseinheiten die Gesellschaften sowohl selbst gründen als auch Anteile an bestehenden Gesellschaften erwerben (vgl. Art. 9 KommWirtG). Eine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen schreibt das Gesetz jedoch in Art. 18 KommWirtG nur noch für diejenigen Gesellschaften vor, die durch eine Umwandlung kommunaler Unternehmen gemäß Art. 14 KommWirtG entstanden sind. Kommunale Unternehmen unterstanden allen voran den im März 1990 erlassenen Gesetzen über die territoriale Selbstverwaltung342 und die Arbeitnehmer in der territorialen Selbstverwaltung343.344 Diejenigen kommunalen Unternehmen, über deren organisatorische und rechtliche Form oder Privatisierung bis zum 30. Juni 1997 keine Entscheidung von den damals zuständigen Gemeinden getroffen worden war, wurden gemäß Art. 14 KommWirtG mit Wirkung

339 Gesetz über gemischte Unternehmen vom 10. Juli 1985, Dz. U. 1985 Nr. 32 Pos. 142. 340 Gesetz über das Staatsunternehmen „Porty Lotnicze“ vom 23. Oktober 1987, Dz. U. 1987 Nr. 33 Pos. 185. 341 Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 43. 342 Gesetz über die territoriale Selbstverwaltung vom 8. März 1990, Dz. U. 1990 Nr. 16 Pos. 95. 343 Gesetz über die Arbeitnehmer in der territorialen Selbstverwaltung vom 22. März 1990, Dz. U. 1990 Nr. 21 Pos. 124. 344 Vgl. Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 18.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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zum 1. Juli 1997 kraft Gesetzes in eine Gesellschaft mit 100 %-iger Beteiligung der Gemeinde umgewandelt. In diesen Gesellschaften erhielten die Arbeitnehmer der ehemaligen kommunalen Unternehmen das Recht, eine bestimmte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern zu wählen (vgl. Art. 18 KommWirtG).345 In der ursprünglichen Gesetzesfassung fand sich ferner eine Regelung, wonach eine Arbeitnehmerbeteiligung auch im Aufsichtsrat solcher Gesellschaften vorgeschrieben war, die von der Gemeinde neu gegründet wurden oder an denen die Gemeinde Anteile erworben hatte (vgl. Artt. 9, 12 Abs. 3 KommWirtG urspr. Fassung). Diese Regelung wurde jedoch im Jahre 2003346 gestrichen, sodass eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat auf Grundlage des KommWirtG nunmehr ausschließlich noch in Gesellschaften, die aus einer Umwandlung ehemaliger kommunaler Unternehmen gemäß Art. 14 KommWirtG entstanden sind, vorgeschrieben ist. Das Gesetz trifft jedoch keine ausdrückliche Regelung zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Fällen, in denen die territoriale Selbstverwaltungseinheit nicht mehr Alleingesellschafterin der umgewandelten Gesellschaft ist. Gemäß Art. 10a Abs. 2 KommWirtG gelten im Hinblick auf den Aufsichtsrat von Gesellschaften, an denen die territoriale Selbstverwaltungseinheit beteiligt ist, die Vorschriften des HGG, jedoch nur unter Berücksichtigung der im KommWirtG normierten Vorschriften. Mithin ist Art. 18 KommWirtG als eine in diesem Sinne zu berücksichtigende, speziellere Vorschrift vorrangig. Ihrem Wortlaut nach stellt die Norm nur auf die Herkunft der Gesellschaft ab, nämlich dass es sich um ein umgewandeltes ehemaliges kommunales Unternehmen handeln muss.347 Die alleinige, mehrheitliche oder überhaupt eine Beteiligung der territorialen Selbstverwaltungseinheit an der Gesellschaft wird in Art. 18 KommWirtG nicht gefordert. Insoweit könnte eine wortlautgetreue Auslegung der Norm dafür sprechen, dass das Recht der Arbeitnehmer zur Wahl ihrer Aufsichtsratsmitglieder auch bestehen bleibt, wenn Aktien oder Anteile an der Gesellschaft teilweise in private Hand übergehen oder die territoriale Selbstverwaltung sogar alle Anteile veräußert. Gleichwohl soll dies nach der polnischen Literatur348 unter Zugrundelegung der systematischen und funktionalen Auslegung nicht der Fall sein. Vielmehr soll Art. 18 KommWirtG nur so lange anwendbar und die Arbeitnehmerbeteiligung daher nur so lange gesetzlich gewährleistet sein, wie die territoriale Selbstverwaltungseinheit Alleinaktionärin der Gesellschaft ist.349 Dies ergäbe sich zum einen daraus, dass Art. 18 KommWirtG nur auf Gesellschaften im Sinne 345

Näher hierzu unten Kapitel 3, D.III. Vgl. Art. 1 Pkt. 2 Änderungsgesetz zum KommWirtG vom 17. Oktober 2003, Dz. U. 2003 Nr. 199 Pos. 1937. 347 Art. 18 Abs. 1 KommWirtG: „W spółce powstałej w wyniku przekształcenia przedsie˛biorstwa komunalnego [. . .]“. 348 So etwa Zie˛ty, Ustawa o gospodarce komunalnej, Art. 18 Rn. 2 m.w. N. 349 Zie˛ty, Ustawa o gospodarce komunalnej, Art. 18 Rn. 2. 346

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

des Art. 14 KommWirtG anwendbar ist, dieser aber ausdrücklich von der Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung der territorialen Selbstverwaltungseinheit spricht.350 Zum anderen sei mit der von Art. 18 KommWirtG gewährleisteten Arbeitnehmerbeteiligung bezweckt gewesen, die früheren Belegschaftsräte in kommunalen Unternehmen zu kompensieren, was aus funktionaler Sicht ebenfalls für eine Geltung des Art. 18 KommWirtG nur bei Alleinaktionärsstellung der territorialen Selbstverwaltungseinheit spräche.351 Möglich sei es jedoch, nach der Veräußerung von Anteilen der territorialen Selbstverwaltungseinheit eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat durch die Satzung der Gesellschaft vorzusehen.352 Neben der in Art. 18 KommWirtG vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung bestand ferner eine Arbeitnehmerbeteiligung nach Maßgabe der Artt. 11 ff. KommerzG in kommerzialisierten sowie teilweise privatisierten ehemaligen kommunalen Unternehmen, da Art. 68 Abs. 1 KommerzG a. F. die Regelungen des KommerzG auf die Kommerzialisierung und Privatisierung kommunaler Unternehmen für entsprechend anwendbar erklärte.353 Art. 68 KommerzG a. F. wurde jedoch zum 1. Januar 2017 gestrichen.354 5. Fehlende gesetzliche Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in Unternehmen der Privatwirtschaft Für Unternehmen der Privatwirtschaft, die nicht aus der Kommerzialisierung ehemaliger Staatsunternehmen entstanden sind, sieht das polnische Recht keine verbindlichen Regeln zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vor. In derartigen Unternehmen kann die Arbeitnehmerbeteiligung jedoch auf freiwilliger Basis eingeführt werden.355 Die Einführung einer auf Organebene verankerten Arbeitnehmerbeteiligung in der Privatwirtschaft scheint in den 1990er Jahren nie ernsthaft auf politischer Ebene diskutiert worden zu sein.356 Lediglich in der Rechtswissenschaft wurde vereinzelt die Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene auch in 350

Ebenda. Ebenda. 352 Ebenda. 353 Oberstes Gericht, Urteil vom 14. Juni 2018, Az.: V CSK 172/18, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo/ (dort S. 8 ff., 11), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Spyra, in: Włodyka, SPH Bd. 2, Prawo spółek handlowych (2. Aufl. 2012), Kapitel 13 Rn. 630. 354 Vgl. Art. 14 Pkt. 32 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 355 Näher zur Frage der Zulässigkeit von tarifvertraglichen und sonstigen Vereinbarungen über die Arbeitnehmerbeteiligung siehe oben Kapitel 3, A.I.2.b). 356 Zu einem entsprechenden Gesetzesvorschlag 2006/2007 vgl. unten Kapitel 7, B.II.2.a). 351

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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der Privatwirtschaft – unabhängig vom Kontext der Privatisierung – postuliert und so ein allgemeingültigeres Konzept der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene vorgeschlagen.357 So etwa schlug Wratny358 vor, in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung sowie Mehrheitsbeteiligung des Staates eine paritätische Mitbestimmung mit neutralem Aufsichtsratsvorsitzendem und in Gesellschaften mit überwiegendem privaten Kapital eine Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat einzuführen. In beiden Fällen sollte zusätzlich ein Arbeitsdirektor im Vorstand vorgesehen werden. Auch Rudolf359 kritisierte, dass das – damals geltende – Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) aus dem Jahr 1934 keine Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat enthielt. Vor allem aber wurde in der polnischen Literatur die fehlende Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene kritisiert bzw. eine solche gefordert.360 Generell war jedoch die Stimmungslage in den 1990er Jahren nicht förderlich für die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen. Zu stark war die ideologische Verknüpfung mit dem alten sozialistischen System, zu groß die Abneigung gegenüber der Einführung neuer Partizipationsformen sowohl bei den Arbeitgebern und der Regierung, als auch bei den Gewerkschaften.361 In den letzten Jahren wurden sowohl in der Literatur als auch auf politischer Bühne Stimmen laut, die eine Unterscheidung zwischen den aus einer Kommerzialisierung rührenden – genauso am Wirtschaftsverkehr beteiligten – Unternehmen und anderen Unternehmen der Privatwirtschaft nicht länger für zeit- und sachgemäß hielten, und die aus diesem Grund die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen forderten.362

357 So Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19 f.); vgl. auch Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179). 358 Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (20). 359 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (179). 360 So etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72 f.); Gładoch, in: Goz´dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225 f.); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163, 165 ff.; Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (20). 361 Vgl. Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5 f.); ausführlich hierzu unten Kapitel 7, B.I.; zum Verhältnis der Gewerkschaften zu anderen Formen der Arbeitnehmerpartizipation siehe unten Kapitel 5, A.II.2. 362 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ausführlich hierzu unten Kapitel 7, B.II.1 und Kapitel 7, B.II.2.b).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

III. Reichweite der Mitbestimmung 1. Deutschland Nach den Auswertungen der Hans-Böckler-Stiftung zur Mitbestimmung in Deutschland bestanden Ende 2014 Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten von geschätzt 2.135 Unternehmen.363 Von den einst 110 montanmitbestimmten Unternehmen bestehen heute noch ca. 30.364 Zum 31. Dezember 2016 hatten 641 Unternehmen einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat auf Grundlage des MitbestG und der SE-Gesetzgebung, davon 234 Aktiengesellschaften, 354 GmbHs und 14 Europäische Aktiengesellschaften (SE).365 Die Zahl der Unternehmen mit einer Arbeitnehmerbeteiligung nach dem DrittelbG wird auf ca. 1.500 geschätzt.366 Nach Einschätzung der Gewerkschaften besteht jedoch in nicht einmal der Hälfte der vom DrittelbG erfassten Unternehmen367 tatsächlich eine Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat.368 Insgesamt ist in Deutschland ein Rückgang der Mitbestimmung zu verzeichnen. Dies gilt insbesondere für die Montanmitbestimmung. Doch auch die Zahl der auf Grundlage des MitbestG paritätisch mitbestimmten Unternehmen ist seit 363 Vgl. Sick, Mitbestimmungsfeindlicheres Klima. Unternehmen nutzen ihre Freiheiten – Arbeitnehmer werden um ihre Mitbestimmungsrechte gebracht, Report Mitbestimmungsförderung, September 2015, Hans-Böckler-Stiftung, S. 1; unklar ist, ob diese Zahl auch die montanmitbestimmten Unternehmen mit einschließt, in jedem Fall werden die mitbestimmten SE mitgezählt. 364 Kramer, Mitbestimmung im Ausland attraktiver machen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1. Im Jahre 1998 waren es noch 45 montanmitbestimmte Unternehmen, vgl. Bertelsmann/BöcklerBericht, S. 43. 365 Vgl. Grafik zu den aktuellen Zahlen und der Vergleich zum Vorjahr unterschieden nach Rechtsformen zum Stichtag 31. Dezember 2016, Hans-Böckler-Stiftung, 2017, abrufbar unter http://www.boeckler.de/66935.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Im Übrigen waren 19 KGaA, 12 Kapitalgesellschaft & Co. KG und 8 Genossenschaften nach dem MitbestG mitbestimmt. Damit waren im Vergleich zum Vorjahr (insgesamt 635 paritätisch mitbestimmte Unternehmen) erstmals seit längerer Zeit wieder mehr Unternehmen paritätisch mitbestimmt. 366 Sick, Mitbestimmungsfeindlicheres Klima. Unternehmen nutzen ihre Freiheiten – Arbeitnehmer werden um ihre Mitbestimmungsrechte gebracht, Report Mitbestimmungsförderung, September 2015, Hans-Böckler-Stiftung, S. 1, 9; laut Bertelsmann/ Böckler-Bericht, S. 45 in Fn. 7, gab es Ende der 1980er Jahre noch 3.500 Unternehmen mit drittelparitätischer Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. 367 Vgl. zu den zahlenmäßigen Schwankungen in Bezug auf die Bezifferung der dem DrittelbG unterfallenden Unternehmen Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 49 m.w. N.; der BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 4, ging im Jahre 2004 von ca. 3.500 Unternehmen aus. 368 Hoffmann, Mehr Demokratie in Unternehmen wagen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1; Sick, Mitbestimmungsfeindlicheres Klima. Unternehmen nutzen ihre Freiheiten – Arbeitnehmer werden um ihre Mitbestimmungsrechte gebracht, Report Mitbestimmungsförderung, September 2015, Hans-Böckler-Stiftung, S. 9.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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dem Jahre 2002, in dem der Höchststand 767 Unternehmen erreichte, kontinuierlich und stetig gesunken.369 Erstmals seit Langem war zum Ende des Jahres 2016 im Vergleich zum Vorjahr wieder ein geringer Anstieg der paritätisch mitbestimmten Unternehmen von 635 auf 641 zu verzeichnen gewesen.370 Kritisiert wird von Seiten der Gewerkschaften, dass viele Unternehmen eine ausländische Rechtsform wählten oder vor Erreichen der maßgeblichen Mitarbeiterschwellen in die Rechtsform einer SE wechselten, wodurch die Mitbestimmung umgangen würde.371 Vor dem Hintergrund vermeintlicher Vermeidungsstrategien wird daher auch auf politischer Ebene von den Mitbestimmungsbefürwortern eine Sicherung der Unternehmensmitbestimmung gegen „Schlupflöcher“ und ihre Ausweitung gefordert.372 Trotz des zahlenmäßigen Rückgangs der erfassten Unternehmen hat die Mitbestimmung in Deutschland eine nach wie vor große Bedeutung, erfasst sie schließlich die größten deutschen Unternehmen und somit auch eine erhebliche Zahl von Arbeitnehmern. Genaue Zahlen hierzu lassen sich allerdings nur schwer ermitteln. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 1998 ging für das Jahr 1996 noch von ca. 400.000 Arbeitnehmern aus, die in montanmitbestimmten Unternehmen beschäftigt waren.373 5,2 Millionen Arbeitnehmer sollen in vom MitbestG erfassten Unternehmen gearbeitet haben, wobei diese Schätzung mit Vorsicht zu betrachten ist.374 Diese Zahlen dürften heute deutlich geringer ausfallen.375 Wie viele Arbeitnehmer in vom DrittelbG erfassten Unternehmen beschäftigt werden, kann mangels aktueller Statistiken kaum verlässlich beurteilt werden. In den 1980er Jahren wurde die Zahl der im 369 Vgl. Grafik zur Entwicklung der Anzahl der mitbestimmten Unternehmen seit 1981, Hans-Böckler-Stiftung, 2017, abrufbar unter http://www.boeckler.de/66942.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 370 Vgl. Grafik zu den aktuellen Zahlen und der Vergleich zum Vorjahr unterschieden nach Rechtsformen zum Stichtag 31. Dezember 2016, Hans-Böckler-Stiftung, 2017, abrufbar unter http://www.boeckler.de/66935.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 371 So etwa Hoffmann, Mehr Demokratie in Unternehmen wagen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1. 372 Näher hierzu unten Kapitel 7, A.II.4. 373 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 43, wobei ca. 100.000 Mitarbeiter davon nicht selbst in der Montanindustrie tätig waren; vgl. auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 48. 374 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 48. 375 So im Hinblick auf die Montanmitbestimmung Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 48, die dies auf die Zerschlagung der Mannesmann AG, die allein zwischen 80.000 und 100.000 Mitarbeiter beschäftigte, zurückführt. Vor dem Hintergrund der im Vergleich zu 1996 gesunkenen Zahl der vom MitbestG erfassten Unternehmen von 728 (Bertelsmann/Böckler-Bericht 1998, S. 45) auf 627 (die 14 SE rausgerechnet) im Jahr 2016 dürfte auch die Zahl der Beschäftigten, die Vertreter im Aufsichtsrat auf Grundlage des MitbestG haben, zurückgegangen sein. Es fehlen allerdings zuverlässige aktuelle Angaben hierzu.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Geltungsbereich des BetrVG 1952 beschäftigten Arbeitnehmer auf etwa 1 Million geschätzt, allerdings ist auch bei dieser Schätzung Vorsicht geboten.376 2. Polen In wie vielen Unternehmen in Polen eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat – und ggf. sogar Vorstand – besteht, lässt sich kaum schätzen. Zwar wurden zahlreiche empirische Untersuchungen in mitbestimmten Unternehmen durchgeführt377, es fehlen jedoch statistische Erhebungen, die eine zuverlässige Aussage zur Gesamtzahl der mitbestimmten Unternehmen ermöglichen würden. Lediglich die Statistiken zur Privatisierung können einen ungefähren Anhaltspunkt bieten, da von der Durchführung und Art der Privatisierung die Anwendbarkeit der jeweiligen Mitbestimmungsvorschriften abhing bzw. abhängt. Die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen befindet sich heutzutage in einem nahezu finalen Stadium.378 Während im Jahre 1990 insgesamt 8.453 Staatsunternehmen existierten, waren es zum 31. Dezember 2015 lediglich noch 41, davon waren noch 19 Staatsunternehmen aktiv tätig.379 Von dem SelbstVerwG von 1981 werden heutzutage somit nur noch sehr wenige Unternehmen betroffen, weswegen diese Art der Mitbestimmung schon fast als ausgestorben gilt.380 Im Zuge der wirtschaftlichen Transformation wurden die verschiedenen Möglichkeiten, die die Privatisierungsgesetze zur Privatisierung der Staatsunternehmen bereithielten, in der Praxis durchaus ausgeschöpft.381 Je nach Größe und Branche des Staatsunternehmens, potentiellen Investoren und dem Engagement der Belegschaften wurde ein Privatisierungsweg gewählt, der 376 Vgl. Bertelsmann/Böckler-Bericht 1998, S. 45 in Fn 7; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 49. 377 Vgl. etwa die empirischen Untersuchungen des IPiSS, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 56 ff. sowie Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 75 ff.; ferner auch die Untersuchungen von Ogrodowczyk in den Jahren 1995–1996, dargestellt bei Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff.) und Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182 ff.). 378 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1. 379 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5 sowie die Informationen des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) vom 9. März 2016 auf der damaligen Homepage des Ministeriums, https://bip.msp.gov.pl/bip/raporty-analizy/przeksztal cenia-wlasnos/10245,stan-na-dzien-31-grudnia-2015-roku.html, zuletzt aufgerufen am 23. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar). 380 In diese Richtung etwa Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 59. 381 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 31.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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im Hinblick auf die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Interessengruppen am besten geeignet erschien.382 Der beliebteste Privatisierungsweg war die unmittelbare Privatisierung im Wege der Verpachtung.383 Im Zeitraum seit Beginn der Transformationsphase bis zum 31. Dezember 2015 wurde laut den Angaben des Ministeriums für Staatsvermögen384 für 2.308 Staatsunternehmen die unmittelbare Privatisierung eingeleitet, davon erfolgte in 1.402 Fällen die unmittelbare Privatisierung im Wege der Verpachtung. Kommerzialisiert, d.h. in eine Gesellschaft umgewandelt, die fortan – neben den Vorschriften des KommerzG – den Regelungen des HGG unterlag, wurden im selbigen Zeitraum 1.756 Staatsunternehmen. Davon wurden 1.739 in eine Gesellschaft umgewandelt, an der der Staat 100 % aller Anteile hielt.385 In 1.301 kommerzialisierten Gesellschaften wurden Aktien- bzw. Anteile auch anderen Subjekten als dem Staat zur Verfügung gestellt, wobei dies vor allem über den nationalen Investmentfond (in 512 Unternehmen) sowie die mittelbare Privatisierung im Sinne des Abschnitts IV des KommerzG a. F. (in 543 Unternehmen) erfolgte, lediglich in 18 Unternehmen über den Weg der Kapitalerhöhung. Insgesamt war zu beobachten, dass in den Fällen der mittelbaren Privatisierung die eigentliche Privatisierung, d.h. die Zurverfügungstellung der Gesellschaftsanteile an Dritte, entweder sehr schnell erfolgte, oder das zunächst nur kommerzialisierte Unternehmen, in dem der Staat Alleinaktionär war, sogar mehrere Jahre lang bestand.386 Der gewählte Privatisierungsweg und die Verfassung der privatisierten Unternehmen hatten in den 1990er Jahren und Anfang des 21. Jahrhunderts über das Ausmaß und die tatsächliche Bedeutung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen entschieden.387 Dies insbesondere, als zu diesem Zeitpunkt andere Partizipationsformen – abgesehen von den Selbstverwaltungsorganen auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981 – noch nicht vorhanden waren.388 Entsprechend der Sta382 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 31 f.; näher zu den Privatisierungsmöglichkeiten der mittelbaren und unmittelbaren Privatisierung oben Kapitel 3, B.II.1.b)aa). 383 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30. 384 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5, 8. 385 In den übrigen 17 Gesellschaften erhielten Gläubiger des Staatsunternehmens Anteile für die teilweise oder gänzliche Konversion ihrer Forderungen auf Basis des mittlerweile aufgehobenen Kapitels III des KommerzG. 386 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 82. 387 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41. 388 Erst mit dem Beitritt Polens zur EU zum 1. Mai 2004 trat das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556, in Kraft. Arbeitnehmerräte auf betrieblicher Ebene bestehen erst aufgrund des Gesetzes über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

tistik waren die Anwendungsvoraussetzungen für die Mitbestimmungsregeln betreffend die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat auf Grundlage des KommerzG (bzw. ggf. noch des Vorgängergesetzes von 1990) grundsätzlich in 1.756 kommerzialisierten Gesellschaften erfüllt. Eine Angabe, wie viele davon die Schwelle von 500 Mitarbeitern überschritten – und daher auch die Voraussetzungen für die Bestellung eines Arbeitnehmervertreters in den Vorstand erfüllten –, enthält die Statistik des Ministeriums für Staatsvermögen nicht. Unklar ist auch, wie viele Unternehmen davon heutzutage noch bestehen, in wie vielen die Mitbestimmungsregeln tatsächlich in der Praxis umgesetzt wurden und ob nicht nach Veräußerung aller Staatsanteile geltende Mitbestimmungsstatute wieder aufgehoben wurden389. Empirische Untersuchungen zeigten, dass trotz Anwendbarkeit der entsprechenden Mitbestimmungsvorschriften des KommerzG nicht immer auch tatsächlich Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt wurden.390 Eine genaue Beurteilung der Branche, Größe und Mitarbeiterzahl der grundsätzlich von der Arbeitnehmerbeteiligung erfassten kommerzialisierten Unternehmen ist ebenso nur schwer möglich. Lediglich vereinzelte Angaben bieten teilweise Aufschluss hierüber. Kommerzialisiert und anschließend mittelbar privatisiert wurden etwa vor allem große Unternehmen, vorwiegend im Bereich der verarbeitenden Industrie (73,4 % aller Staatsunternehmen in diesem Bereich), die in der Folgezeit auch oft an die Börse gebracht wurden.391 Eine Kommerzialisierung dürfte ferner nur für solche Staatsunternehmen in Betracht gekommen sein, die sich in einer recht soliden finanziellen Verfassung befanden. Denn gemäß Art. 4 KommerzG waren Staatsunternehmen, die sich in der Liquidation, Insolvenz oder Restrukturierung befanden, von der Möglichkeit der Kommerzialisierung ausgenommen. Auch hatte sowohl das StaatsUntG vom 25. September 1981 als auch das KommerzG für Staatsunternehmen mit schlechten Zukunftsaussichten die Möglichkeit der Liquidation vorgesehen.

IV. Vergleich Im Hinblick auf den Geltungsbereich der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene lässt sich ein wesentlicher struktureller Unterschied zwischen den deutschen und polnischen Gesetzen feststellen. Während die deutsche Unternehmensmitbestimmung gezielt auf die Privatwirtschaft ausgePos. 550. Auch die Arbeitnehmerbeteiligung in transnationalen Gesellschaftsformen wie der SE und der SCE wurde erst durch entsprechende Gesetze in den Jahren 2005 und 2006 eingeführt. 389 Zu dieser Problematik siehe oben Kapitel 3, B.II.1.c). 390 Vgl. die empirischen Untersuchungen des IPiSS, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 102. 391 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 34.

B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze

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legt ist, beschränken sich die polnischen Mitbestimmungsregelungen auf den staatlichen bzw. ehemals staatlichen Bereich. Dabei ist jedoch der Anwendungsbereich des formal nach wie vor geltenden SelbstVerwG von 1981 mit nur 19 aktiven Gesellschaften heute verschwindend gering und hat daher in Wirklichkeit lediglich noch rechtshistorische Bedeutung.392 Auch die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage von Sondergesetzen – etwa dem Gesetz über gemischte Unternehmen oder dem KommWirtG – ist in ihrem Anwendungsbereich und daher auch ihrer Bedeutung entsprechend begrenzt. Eine faktische Bedeutung kommt somit nahezu ausschließlich noch der auf dem KommerzG beruhenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter und gegebenenfalls anschließend privatisierter ehemaliger Staatsunternehmen zu. Ferner findet sich eine spezielle Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene noch vereinzelt in spezialgesetzlich kommerzialisierten Unternehmen wie der Polnischen Staatsbahn („PKP S. A.“) und der Polnischen Post („Poczta Polska S. A.“). Der Grund für die in Deutschland und Polen unterschiedliche Anwendbarkeit der Mitbestimmungsvorgaben auf die Privatwirtschaft bzw. lediglich den ehemaligen staatlichen Sektor liegt im unterschiedlichen geschichtlichen Hintergrund der Gesetze. Auch war es charakteristisch, dass in weit entwickelten, industrialisierten westlichen Staaten mehr Wert gelegt wurde auf die Arbeitnehmerbeteiligung im privaten Sektor, in sich entwickelnden Ländern dagegen auf den staatlichen Sektor.393 Neben der unterschiedlichen Anwendbarkeit der Mitbestimmungsvorgaben auf die Privatwirtschaft bzw. lediglich den ehemaligen staatlichen Sektor lassen sich auch weitere Unterschiede ausmachen. Zwar haben in beiden Ländern sowohl die Rechtsform als auch die Mitarbeiterzahl eine Bedeutung im Rahmen der Mitbestimmungsgesetze. Jedoch ist der Kreis der von der deutschen Unternehmensmitbestimmung erfassten Rechtsformen deutlich größer als in Polen, wo die Mitbestimmungsvorgaben im KommerzG eine Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene lediglich in (kommerzialisierten) Aktiengesellschaften und GmbHs – dort allerdings nur in dem Fall, dass die GmbH tatsächlich überhaupt einen Aufsichtsrat hat – vorsehen. Anders als in Deutschland ist die Errichtung eines Aufsichtsrats bei der GmbH auch im Fall einer kommerzialisierten und daher grundsätzlich der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft nicht obligatorisch. Ferner spielt in Polen die Mitarbeiterzahl der Unternehmen im Gegensatz zu Deutschland nur insoweit eine Rolle, als es um das Recht der Arbeitnehmer geht, einen Vertreter in den Vorstand kommerzialisierter Gesellschaften zu wählen. Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat ist unabhängig von der an der Mitarbeiterzahl gemessenen Größe des Unternehmens. Dieser Unterschied lässt sich mit den 392 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 59. 393 Seweryn ´ski, in: Acta Universitatis Lodziensis, Problemy prawa pracy i polityki społecznej, S. 163 (165).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

unterschiedlichen Zielsetzungen der Mitbestimmungsgesetzgebung erklären. In Polen spielten die Einbindung der Belegschaften zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Reformen und die Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung der ehemaligen Staatsunternehmen – die auf Grundlage der Gesetze von 1981 nicht von der Größe des Staatsunternehmens abhängig gewesen war – eine erstrangige Rolle.394 Dagegen ist die deutsche Mitbestimmung vor dem Hintergrund der befürchteten Anonymisierung und Fremdbestimmung der Arbeitnehmer in größeren Unternehmensorganisationen bewusst auf Großunternehmen ausgelegt.395 Im Gegensatz zu Deutschland fehlen in Polen entsprechende statistische Untersuchungen zur Anzahl, Größe und Mitarbeiterzahl der von der Mitbestimmung erfassten Unternehmen gänzlich, sodass die faktische Reichweite der Mitbestimmung nicht konkret beziffert werden kann. Ausgehend von bislang 1.756 kommerzialisierten Gesellschaften, für die die Mitbestimmungsvorschriften des KommerzG grundsätzlich Anwendung fanden, ist zu beachten, dass mangels statistischer Daten keine Aussage darüber möglich ist, wie viele Unternehmen davon tatsächlich noch bestehen, in wie vielen Unternehmen trotz des gesetzlich eingeräumten Rechts keine Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt wurden und in wie vielen die Gesellschaftsstatute das Mitbestimmungsregime nach Veräußerung aller Anteile des Staates änderten, weil sie von der damit verbundenen Unanwendbarkeit des KommerzG ausgingen. Mit Sicherheit ist die Anzahl der Gesellschaften, die in Polen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (und ggf. auch Vorstand) haben, deutlich geringer als die in Deutschland geschätzte Zahl von ca. 2.135 mitbestimmten Unternehmen. Mutmaßlich kann das Fehlen entsprechender Statistiken in Polen auf ein geringes – jedenfalls keinesfalls mit Deutschland vergleichbares – Interesse an dieser Form der Arbeitnehmerpartizipation zurückgeführt werden. Schlussendlich weist das polnische Recht die Besonderheit auf, dass die geltenden Mitbestimmungsregeln einen vergänglichen Charakter haben. Durch die Beschränkung der gesetzlichen Mitbestimmungsvorgaben auf Gesellschaften, die aus der Kommerzialisierung ehemals staatlicher Unternehmen hervorgehen, kann die Anzahl der vom KommerzG betroffenen Unternehmen de facto nur noch sinken, etwa wenn diese Gesellschaften ihre Tätigkeit einstellen, liquidiert oder vollständig privatisiert werden. Aufgrund der Gesetzeskonzeption können dagegen faktisch betrachtet keine neuen, von den Mitbestimmungsregeln des KommerzG betroffenen Unternehmen hinzutreten. Denn es ist – trotz formaler Weitergeltung der Vorschriften des StaatsUntG vom 25. September 1981 und auch der dortigen Vorschriften über die Gründung von Staatsunternehmen – mehr als unwahrscheinlich, dass in der neuen Wirtschaftsordnung Polens wieder Staats394 395

Hierzu oben Kapitel 3, A.II.2. Näher hierzu oben Kapitel 3, A.II.1.a) und Kapitel 3, B.I.2.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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unternehmen neu gegründet werden396, die anschließend auf Grundlage des KommerzG kommerzialisiert werden würden.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft Heutzutage lassen sich in Deutschland und Polen vergleichbare gesellschaftsrechtliche Grundstrukturen finden. Den rechtlichen Rahmen für polnische Gesellschaften bildet heute das zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften397 („Kodeks Spółek Handlowych“ („k.s.h.“)) (nachfolgend: „HGG“). Hierdurch wurden die bis dahin geltenden Regelungen des Handelsgesetzbuchs von 1934398 abgelöst.399 Das Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1934 hatte zwar zum Teil – vor allem in Bezug auf die Regelungen zur GmbH und Aktiengesellschaft400 – formal auch während des sozialistischen Systems weitergegolten, doch war seine praktische Bedeutung angesichts der verstaatlichten und zentralistisch gesteuerten Wirtschaft äußerst gering.401 Im Zuge der nach dem Umbruch von 1989 eingeleiteten Arbeiten zur Reform des Gesellschaftsrechts hatte man sich stark von westlichen Vorbildern, allen voran dem deutschen Gesellschaftsrecht, leiten lassen.402 Bereits das Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1934 hatte sich am deutschen Modell orientiert und so wurden auch viele Regelungen des neuen HGG dem deutschen Recht nachgebildet.403 Zudem hatten die polnischen Verfasser im Zuge der Arbeiten an dem neuen Handelsge396 Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 17, der die Vorschriften des StaatsUntG über die Gründung von Staatsunternehmen daher auch als „leblose Vorschriften“ bezeichnet. 397 Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 15. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 94 Pos. 1037 m. sp. Änd. 398 Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 399 Vgl. Art. 631 Abs. 1 HGG i.V. m. 633 HGG; näher hierzu Mosio, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 1, Kapitel 1 Rn. 2; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 2 ff. 400 Vgl. Art. VI § 1 Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch vom 23. April 1964, Dz. U. 1964 Nr. 16 Pos. 94; Mosio, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 1, Kapitel 1 Rn. 1. Dagegen wurde ein Teil der Regelungen des Handelsgesetzbuchs im Zuge der Einführung des Zivilgesetzbuches abgeschafft, vgl. Mosio, a. a. O. 401 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (178 f.). Die Kenntnisse des Handelsgesetzbuches gehörten noch nicht einmal zum Stoffplan der Rechtswissenschaften, Rudolf, a. a. O. 402 Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 10, 22; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 6. 403 Włodyka, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 6; vgl. Mosio, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 1, Kapitel 1 Rn. 1; vgl. auch die Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 22.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

setzbuchs auch den Rat namhafter deutscher Rechtswissenschaftler hinzugezogen.404 Daneben suchte man sich Inspirationen im französischen, italienischen, österreichischen, niederländischen und Schweizer Recht als auch in den neuen Kodifikationen anderer postkommunistischer Staaten wie Ungarn und Kroatien.405 Sowohl die deutschen Mitbestimmungsgesetze als auch die polnischen Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung im KommerzG sind rechtsformbezogen und erfassen nur bestimmte juristische Personen des Privatrechts.406 In beiden Ländern wurden die Mitbestimmungsvorgaben in die bestehende gesellschaftsrechtliche Struktur der Unternehmen eingefügt. Von praktischer Relevanz ist dabei insbesondere die Arbeitnehmerbeteiligung in der Aktiengesellschaft.

I. Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft – Überblick Die Aktiengesellschaft zeichnet sich in Deutschland und Polen durch die gleichen Wesensmerkmale aus, die generell typisch für Kapitalgesellschaften sind.407 Hierzu gehören vor allem die eigene Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft (vgl. § 1 Abs. 1 AktG, Art. 12 HGG), die grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, Art. 301 § 5 HGG), die für die Entstehung der Aktiengesellschaft konstitutive Registereintragung (vgl. §§ 36 Abs. 1, 41 Abs. 1 AktG, Art. 12 HGG), die Unabhängigkeit vom konkreten Gesellschafterbestand (vgl. §§ 41 Abs. 4, 68 AktG, Artt. 337 ff. HGG) und ein gesetzlich festgelegtes Mindestkapital, das von den Gesellschaftern bei Gründung der Gesellschaft aufzubringen ist (vgl. §§ 7, 36a AktG, Artt. 308 § 1, 309 §§ 3, 4 HGG). Ferner charakteristisch ist die sog. Fremdorganschaft, d.h. die Unternehmensführung durch ein gesetzlich bestimmtes Organ, dessen Mitglieder nicht zwingend zugleich auch Gesellschafter sein müssen (vgl. §§ 76 ff. AktG, Art. 368 § 3 HGG). Die Aktiengesellschaft ist stets eine Handelsgesellschaft, selbst wenn

404 Dies waren Prof. M. Lutter, Prof. E. Meincke, Prof. Bayer, Prof. M. Pelzer, hierzu die Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 4; Strze˛pka/Zielin´ska, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 1 Rn. 1. 405 Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 22; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 6. 406 Zur Unterscheidung der Gesellschaften im polnischen Recht nach Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften vgl. Art. 4 § 1 Abs. 1, 2 HGG; ferner Strze˛pka/ Zielin´ska, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 4 Rn. 2 f.; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 3 Rn. 25 ff. 407 Vgl. für die deutsche Aktiengesellschaft Bachmann, in: GroßKommAktG, Bd. 1, § 1 AktG Rn. 11 ff., 30 ff.; für die polnische Aktiengesellschaft Strze˛pka/Zielin´ska, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 4 Rn. 3.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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ihr Zweck nicht in dem Betrieb eines Handelsgewerbes besteht (vgl. § 3 Abs. 1 AktG, Artt. 1 § 2, 151 § 1 HGG408). Die Aktiengesellschaft bedarf in beiden Ländern im Vergleich zur GmbH eines höheren Grundkapitals und ist auf eine wirtschaftliche Tätigkeit größeren Ausmaßes ausgerichtet, zudem ist sie zum Schutz von Gläubigern und Aktionären sowie zur Sicherstellung der Verkehrsfähigkeit der Aktien deutlich formalisierter und strenger reguliert als die GmbH.409 Kennzeichnend ist, dass – jedenfalls anders als bei der deutschen GmbH410 (vgl. § 45 GmbHG) – die Satzung der Aktiengesellschaft nur dann von den gesetzlichen Vorschriften abweichen darf, wenn das Gesetz dies ausdrücklich erlaubt; Ergänzungen sind nur insoweit zulässig, als das Gesetz keine abschließende Regelung trifft, in Polen ferner nur, wenn sie der Natur der Aktiengesellschaft und guten Gepflogenheiten nicht widersprechen (Grundsatz der Satzungsstrenge, vgl. § 23 Abs. 5 AktG, Art. 304 §§ 3, 4 HGG).411 Allerdings erfährt die im polnischen Aktienrecht normierte Satzungsstrenge eine erhebliche Relativierung dadurch, dass das Gesetz dem Satzungsgeber an zahlreichen Stellen im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild erlaubt.412 Im Hinblick auf die Verfassung einer Aktiengesellschaft folgte der polnische Gesetzgeber dem im deutschen Recht entstandenen dualistischen Modell.413 Dabei werden Geschäftsführung und Kontrolle auf zwei separate Organe – den Vorstand und den Aufsichtsrat – verteilt. In beiden Ländern führt der Vorstand die Geschäfte der Gesellschaft und vertritt diese nach außen (vgl. §§ 76 Abs. 1, 78 AktG, Art. 368 § 1 HGG), während der Aufsichtsrat die Geschäftsführung bzw. Geschäftstätigkeit der Gesellschaft überwacht (vgl. § 111 Abs. 1 AktG, Art. 382 § 1 HGG). Neben der obligatorischen Konstituierung eines eigenständigen Auf-

408 Vgl. Włodyka, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 4 Rn. 3 f. 409 Vgl. für das deutsche Recht Vetter, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 23 AktG Rn. 22; für Polen Sołtysin´ski/Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 1 Rn. 15 f. 410 Obwohl in Art. 157 § 1 HGG eine den Art. 304 §§ 3, 4 HGG entsprechende Regelung fehlt, ist dies in Polen in Bezug auf die GmbH umstritten, teilweise wird eine Analogie zu Art. 304 §§ 3, 4 HGG angenommen, vgl. hierzu ausführlich Sołtysin´ski/ Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 1 Rn. 17 m.w. N.; vgl. dazu auch Rachwał, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 12 Rn. 16 f. 411 Die polnischen Vorschriften der Art. 304 §§ 3, 4 HGG orientierten sich am deutschen § 23 Abs. 5 AktG, Sołtysin´ski/Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 1 Rn. 16. 412 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 3). 413 Opalski, Einleitung S. XXI., S. 31 ff.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

sichtsorgans (vgl. §§ 95 ff. AktG, Art. 381 HGG)414 zeichnet sich das dualistische Modell durch das Verbot des gleichzeitigen Mandats in Vorstand und Aufsichtsrat (vgl. § 105 Abs. 1 AktG, Art. 387 § 1 HGG)415 und die fehlende Kompetenz des Aufsichtsrats, initiativ geschäftsführend tätig zu werden, aus.416 Als drittes Organ der Aktiengesellschaft fungiert die Hauptversammlung, in deren Kompetenz die Beschlussfassung über besonders bedeutsame Angelegenheiten fällt (vgl. etwa die nicht abschließenden Kataloge in § 119 Abs. 1 AktG sowie Art. 393 HGG).417

II. Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Der Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hängt maßgeblich davon ab, wie groß im Allgemeinen der Einfluss des Aufsichtsrats einer Gesellschaft ist.418 Da im Vergleich zu anderen Kapitalgesellschaften der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft über die größten Einflussmöglichkeiten verfügt, war das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung des MitbestG auch von der Aktiengesellschaft ausgegangen.419 1. Aufgaben und Funktionen des Aufsichtsrats a) Gesetzliche Zuständigkeiten des Aufsichtsrats In der Organisationsverfassung der deutschen Aktiengesellschaft hat der Aufsichtsrat die vorrangige Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen (vgl. § 111 Abs. 1 AktG). Das Gesetz stellt dem Aufsichtsrat hierfür verschiedene Instrumente zur Verfügung (vgl. § 111 Abs. 2 bis 4 AktG). Darüber hinaus werden dem Aufsichtsrat auch andere Aufgaben zugewiesen, die sich nicht alle als 414 Hiervon gibt es in Polen allerdings eine Ausnahme gemäß Art. 11 Abs. 3 KommerzG für den Fall, dass die Insolvenz des kommerzialisierten Unternehmens verkündet wird. Hintergrund hierfür ist, dass im Fall der Insolvenz sämtliche Funktionen im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung des insolventen Unternehmens auf einen Syndikus übergehen und daher die Aufrechterhaltung – und Vergütung – eines Aufsichtsrats eine wenig sachgerechte Vorgabe darstellen würde, hierzu Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 52. 415 Vgl. aber § 105 Abs. 2 AktG, Art. 383 § 1 HGG. 416 Opalski, Rada nadzorcza, S. 34. 417 Vgl. für das deutsche Recht Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 76 AktG Rn. 5; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 118 Rn. 6; Liebscher, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 119 AktG Rn. 1; für das polnische Recht etwa Krysik, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 393 Rn. 19 ff.; Pabis, in: Opalski, Kodeks spółek handlowych, Bd. III B, Art. 393 Rn. 3 ff. 418 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 91 f. 419 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 92.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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Aspekte der Überwachungspflicht verstehen lassen.420 Besonders hervorzuheben sind hierbei die Personalentscheidungskompetenzen des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Vorstandsbesetzung (vgl. § 84 AktG); daneben gehören hierzu auch Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder und andere Personen (vgl. §§ 89, 115 AktG) sowie Vertragsabschlüsse mit einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern (vgl. § 114 AktG), die Festlegung der Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung des Vorstands (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG), die Erteilung des Prüfungsauftrages für den Jahres- und den Konzernabschluss an den Abschlussprüfer (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG) sowie die Aufgaben des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Jahresabschluss und der Gewinnverwendung (vgl. §§ 170 ff. AktG).421 Ferner hat der Aufsichtsrat verschiedene Funktionen im Vorfeld und im Rahmen der Hauptversammlung, darf über die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mitentscheiden und Änderungen der Satzung in Bezug auf die Satzungsfassung veranlassen.422 Die grundsätzlichen Kompetenzen des Aufsichtsrats in polnischen Aktiengesellschaften sind hiermit im Wesentlichen vergleichbar, wenn auch manche Unterschiede im Detail liegen. In erster Linie hat auch der polnische Aufsichtsrat die Aufgabe, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft zu überwachen (vgl. Art. 382 § 1 HGG) und ist hierfür mit verschiedenen Kompetenzen ausgestattet (vgl. Art. 382 §§ 3, 4 HGG). Ebenfalls ist der polnische Aufsichtsrat grundsätzlich für die Bestellung und Abberufung sowie Suspendierung des Vorstands zuständig, wobei allerdings – anders als im deutschen Recht423 – zum einen die Satzung Abweichendes vorsehen kann, zum anderen die Kompetenz zur Abberufung oder Suspendierung von Vorstandsmitgliedern kraft Gesetzes stets auch der Hauptversammlung zusteht (vgl. Art. 368 § 4 HGG). Sofern es die Satzung so vorsieht, ist der Aufsichtsrat auch für die Geschäftsordnung des Vorstands zuständig (Art. 371 § 6 HGG). Im Übrigen hat der Aufsichtsrat auch verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Hauptversammlung (vgl. Artt. 399, 422 § 2 Pkt. 1, 425 HGG) und Kapitalmaßnahmen (vgl. Artt. 432 f., 442 § 2, 446 § 2, 447 § 1 HGG) und darf zudem über die Gewinnverwendung mitentscheiden (vgl. Art. 382 § 3 HGG).424

420

Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 1. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 2 ff. 422 Näher Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 6 ff. 423 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 84 AktG Rn. 9 m.w. N.; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 AktG Rn. 5 ff., 65. 424 Vgl. zu den wichtigsten Kompetenzen des Aufsichtsrats ferner die Ausführungen bei Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 3 und Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 382 Rn. 2 ff. 421

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

aa) Überwachung der Geschäftsführung Die vorrangige Aufgabe sowohl des deutschen als auch des polnischen Aufsichtsrats stellt die Überwachung der Geschäftsführung dar. Zwecks Erfüllung seiner Überwachungstätigkeit sieht sowohl das deutsche als auch das polnische Aktienrecht verschiedene Rechte des Aufsichtsrats vor. (1) Überwachungsgegenstand und -maßstab Nach § 111 Abs. 1 AktG hat der deutsche Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen. Gegenstand der Überwachungstätigkeit sind nach herrschender Meinung jedoch lediglich diejenigen Entscheidungen des Vorstands, denen eine besondere Bedeutung für die Leitung, Lage oder Entwicklung des Unternehmens zukommt (sog. „Leitungs- und Führungsentscheidungen“ 425), nicht hingegen sämtliche Einzelheiten der alltäglichen Geschäftsführung.426 Umstritten ist, ob die Überwachungsaufgabe in personeller Hinsicht allein auf den Vorstand bzw. einzelne Vorstandsmitglieder beschränkt ist oder ob auch Entscheidungen und Maßnahmen von Mitarbeitern und Führungskräften unterhalb der Vorstandsebene erfasst werden.427 Gegenstand der Überwachung durch die polnischen Aufsichtsräte ist gemäß dem Wortlaut des Art. 382 § 1 HGG „die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft in allen ihren Bereichen“ 428. Das polnische Gesetz bezieht die Überwachung auf die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft, nicht auf die Geschäftsführung durch den Vorstand. Die Kontrolle ist damit gegenständlich und nicht personell umrissen, sie bezieht sich nicht auf einzelne, isoliert zu betrachtende Geschäftsführungsmaßnahmen, sondern auf die Geschäftsführung als einem komplexen Gesamtprozess und kann sich gleichermaßen auf Maßnahmen nachgelagerter Führungsebenen erstrecken.429 Darüber hinaus beschränkt sich das Gesetz auf die Aussage, dass der Aufsichtsrat eine „ständige Aufsicht“ zu üben hat. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass der Aufsichtsrat sich dauernd mit allen Einzelheiten der Un-

425

Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 27. Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 19 f.; HoffmannBecking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 27; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 2; jeweils m.w. N. 427 Für eine personelle Beschränkung auf die Vorstandsebene etwa HoffmannBecking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 29 m.w. N.; a. A. etwa Spindler, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 9 m.w. N.; die praktische Relevanz des Meinungsstreits ist jedoch gering, Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 4. 428 Art. 382 § 1 HGG: „Rada nadzorcza sprawuje stały nadzór nad działalnos´cia˛ spółki we wszystkich dziedzinach jej działalnos´ci.“ 429 Opalski, Rada nadzorcza, S. 335; vgl. auch Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 382 Rn. 3. 426

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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ternehmenstätigkeit auseinanderzusetzen hat.430 Die gesetzgeberische Konzeption der Aufsichtsratstätigkeit als bloßer Nebentätigkeit erlaubt es nicht, dass der Aufsichtsrat sich mit jeder noch so kleinen Entscheidung im Rahmen der alltäglichen Geschäftsführung befasst.431 Die Überwachung bezieht sich daher ausschließlich auf die wichtigsten Geschäftsführungsmaßnahmen, sodass der Aufsichtsrat vor allem die Unternehmensstrategie und Unternehmensstruktur, darunter das interne Kontrollsystem und Risikomanagement, die Personalpolitik des Vorstands in Bezug auf den Führungskader sowie die auf diesen übertragenen Kompetenzen kontrollieren sollte.432 Sowohl in Deutschland als auch in Polen beschränkt sich die Überwachungstätigkeit nicht auf eine ex post-Kontrolle bereits abgeschlossener Geschäftsführungsmaßnahmen, vielmehr hat der Aufsichtsrat einen Kontrollauftrag auch im Hinblick auf laufende und künftige Geschäftsführungsmaßnahmen.433 Maßstab der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats sind sowohl in Deutschland als auch in Polen nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Ordnungsgemäßheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung.434 (2) Überwachungsmittel Zur Erfüllung seiner Überwachungsfunktion stehen sowohl dem deutschen als auch dem polnischen Aufsichtsrat verschiedene Mittel zur Verfügung. (a) Berichtspflichten und Auskunftsrecht Für die Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe ist die Informationsversorgung des Aufsichtsrats von grundlegender Bedeutung. Dieser dienen sowohl Berichtspflichten als auch Auskunftsrechte. In diesem Zusammenhang sind zunächst die zugunsten der deutschen Aufsichtsräte in § 90 AktG normierten Berichtspflichten des Vorstands zu nennen, denen für die Überwachungstätigkeit der Aufsichtsräte eine grundlegende Bedeu-

430

Opalski, Rada nadzorcza, S. 334. Ebenda. 432 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 4; ders., Rada nadzorcza, S. 334. 433 Vgl. für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831); Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 10; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 2; für das polnische Recht ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 339 ff. 434 Vgl. für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831); BGH, Urteil vom 20. März 2018, Az.: II ZR 359/16, NZG 2018, S. 629 (630); Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 3 m.w. N.; für das polnische Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 342 ff. 431

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

tung zukommt.435 Danach hat der Vorstand dem Aufsichtsrat zum einen regelmäßig Bericht zu erstatten über „die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung“, „die Rentabilität der Gesellschaft“ sowie „den Gang der Geschäfte“, hierbei insbesondere über den Umsatz und die Lage der Gesellschaft (vgl. § 90 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AktG). Daneben hat der Vorstand rechtzeitig über „Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können“, sowie „aus sonstigen wichtigen Anlässen“ zu berichten (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, S. 3 AktG). Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat – bzw. ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied – gemäß § 90 Abs. 3 AktG jederzeit vom Vorstand einen Bericht über „Angelegenheiten der Gesellschaft, über ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen sowie über geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluß sein können“, verlangen. Der Aufsichtsrat hat das Recht, aber auch die Pflicht, weitere Berichte vom Vorstand zu verlangen, wenn sich ein Informationsbedarf über die regelmäßig erstatteten Berichte hinaus ergibt.436 Spiegelbildlich zu den allein den Vorstand treffenden Berichtspflichten hat sich jedoch auch der Aufsichtsrat nach traditioneller Ansicht mit seinen Informationsanliegen grundsätzlich an den Vorstand zu richten.437 Allerdings wird dem Aufsichtsrat ein unmittelbares Auskunftsrecht gegenüber Arbeitnehmern unterhalb des Vorstands sowohl bei Verdacht auf Pflichtwidrigkeiten und Unregelmäßigkeiten des Vorstands438 als auch im Zusammenhang mit dem in § 111 Abs. 2 AktG normierten Einsichts- und Prüfrecht eingeräumt, in letzterem Fall sofern die Arbeitnehmer in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung stehen439. Das polnische Recht enthält keinen detaillierten Katalog von Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat. Zwar hat der Aufsichtsrat gemäß Art. 382 § 3 HGG auch die Aufgabe, den jährlichen Bericht des Vorstands über die Geschäfte und die Finanzlage der Gesellschaft für das abgelaufene Geschäftsjahr zu bewerten, diese jährliche Berichtspflicht des Vorstands besteht jedoch in erster Linie nicht gegenüber dem Aufsichtsrat, sondern gegenüber der Hauptversammlung, die den Bericht sodann eruiert und bestätigt (vgl. Art. 395 § 2 Nr. 1 HGG). Allerdings wird aus dem Grundsatz der Zusammenarbeit und Loyalität der Gesell435

Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 5. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 129, 150 f. 437 So bspw. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 29; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 90 AktG Rn. 11, § 111 AktG Rn. 21; vgl. hierzu auch Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 52 ff. 438 So etwa Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 29 m.w. N.; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 Rn. 21 m.w. N. (str.). 439 So etwa Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 80 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 6 m.w. N. (str.). 436

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schaftsorgane eine ungeschriebene Pflicht des Vorstands abgeleitet, den Aufsichtsrat unverzüglich über außergewöhnliche Ereignisse mit wesentlicher Bedeutung für die Gesellschaft zu informieren.440 Anders als das deutsche Recht normiert Art. 382 § 4 HGG vielmehr eine generelle Kompetenz des Aufsichtsrats, vom Vorstand und den Arbeitnehmern der Gesellschaft zur Erfüllung seiner Überwachungstätigkeit Auskunft verlangen zu dürfen. Die Norm gewährt dem Aufsichtsrat ein grundsätzlich unbeschränktes Recht, jederzeit von dem Vorstand und – anders als in Deutschland – auch den Arbeitnehmern Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen zu dürfen.441 Die Grenze des in Art. 382 § 4 HGG normierten Auskunftsrechts bildet rechtsmissbräuchliches Auskunftsverlangen, was dann anzunehmen ist, wenn die Informationen nicht der Wahrnehmung der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats, sondern anderen Zwecken dienen.442 So dürften etwa technische Daten, spezifisches Know-how oder Produktionsgeheimnisse nur ausnahmsweise für die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats maßgeblich sein, sodass diesbezüglich in der Regel ein Informationsrecht des Aufsichtsrats zu verneinen sein dürfte.443 Besondere Bedeutung hat das Verweigerungsrecht bei Informationsverlangen der von einer Minderheit gewählten Aufsichtsratsmitglieder, bei denen die Gefahr besteht, dass sensible Informationen den jeweiligen Aktionären und damit gegebenenfalls auch Konkurrenten preisgegeben werden.444 Anders als in Deutschland erfordert das polnische Aktienrecht eine aktive Aufforderung des Aufsichtsrats zur Informationserteilung, wohingegen das deutsche Recht regelmäßige Berichtspflichten unabhängig von einem Auskunftsverlangen des Aufsichtsrats vorsieht. (b) Meinungsäußerung und Beratung Die Meinungsäußerung des Aufsichtsrats und die Beratung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zählt in Deutschland zu den häufigsten und wohl auch geeignetsten Mitteln einer auf die Zukunft ausgerichteten Kontrolle.445 Auch in Polen stellt die Meinungsäußerung des Aufsichtsrats und der Dialog mit dem Vorstand ein wichtiges Mittel zur Wahrnehmung der auf laufende und künftige Geschäftsführungsmaßnahmen bezogenen Überwachungsfunktion des Aufsichts440 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 21; ders., Rada nadzorcza, S. 349. 441 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 47, 346. 442 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 6, 25. 443 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 25. 444 Ebenda. 445 Vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831) m.w. N.; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 111 AktG Rn. 5; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 39 f.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 2.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

rats dar, da hierdurch der Aufsichtsrat die Entscheidungen des Vorstands in der Planungsphase beeinflussen und mitgestalten kann.446 (c) Einsichts- und Prüfrecht Ein weiteres Überwachungsmittel stellt sowohl in Deutschland als auch in Polen die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Unterlagen der Gesellschaft dar (vgl. § 111 Abs. 2 AktG, Art. 382 § 4 HGG). Hierdurch kann sich der Aufsichtsrat durch eigenständige Untersuchungen ein Bild von der Lage der Gesellschaft machen und vom Vorstand erlangte Informationen auf ihre Richtigkeit hin überprüfen.447 Die Wahrnehmung des Einsichts- und Prüfrechts ist unstreitig bei Vorliegen eines konkreten Anlasses gerechtfertigt448, teilweise werden jedoch auch stichprobenmäßige Untersuchungen ohne konkreten Verdacht für zulässig erachtet449. Aus dem im § 111 Abs. 2 AktG gewährten Recht wird gleichzeitig eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Durchführung von Nachforschungen abgeleitet, etwa wenn Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit eines Berichts bestehen oder der Verdacht auf eine Pflichtwidrigkeit des Vorstands naheliegt.450 Auch beinhalte das in § 111 Abs. 2 AktG normierte Einsichts- und Prüfrecht ein Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand und denjenigen Arbeitnehmern, die zu den geprüften Unterlagen und Vermögensgegenständen in sachlichem Zusammenhang stehen.451 Art. 382 § 4 HGG gewährt dem polnischen Aufsichtsrat zwecks Erfüllung seiner Aufgaben ein umfassendes Einsichts- und Prüfrecht in Bezug auf alle Dokumente der Gesellschaft und das Gesellschaftsvermögen. Gemeinsam mit dem Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand und den Arbeitnehmern ermöglicht dies dem Aufsichtsrat einen vollständigen und uneingeschränkten Zugang zu Informationen über die Gesellschaft, soweit dieser für die Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats erforderlich ist.452 Wie auch im Rahmen des Auskunftsrechts 446

Opalski, Rada nadzorcza, S. 425. Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 376 f.; Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 19, 22. 448 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 397; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 52; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 6. 449 So Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 78; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 397; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 Rn. 19; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 52. 450 Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 72; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 377, 387 f. m.w. N. 451 So etwa Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 80 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 6 m.w. N. (str.); hierzu auch oben Kapitel 3, C.II.1.a)aa)(2)(a). 452 Vgl. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 6, 25. 447

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kann der Vorstand ein Informationsverlangen des Aufsichtsrats nur in Fällen rechtsmissbräuchlichen Verlangens verweigern.453 In der polnischen Literatur wird hervorgehoben, dass der Aufsichtsrat zur Wahrnehmung des Einsichts- und Prüfrecht verpflichtet ist, wenn dies für die ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist, und die volle Verantwortung für seine unzureichende Information trägt.454 Jedoch sollen Erklärungen und Auskünfte des Vorstands die grundlegende Form der Informationsbeschaffung durch den Aufsichtsrat darstellen und die Einsicht und Prüfung von Unterlagen der Gesellschaft als eine Form der unmittelbaren Informationsquelle (neben der Befragungen von Mitarbeitern) eher subsidiär und zurückhaltend zur Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte des Vorstands eingesetzt werden (müssen).455 (d) Zustimmungsvorbehalte Ein weiteres wichtiges Überwachungsmittel bilden sowohl in Deutschland als auch in Polen Zustimmungsvorbehalte. Gemeinsam ist beiden Ländern, dass durch die Zustimmungsvorbehalte der Grundsatz, wonach die Geschäftsführung dem Vorstand obliegt, in gewissem Maße durchbrochen wird.456 Allerdings erhält der Aufsichtsrat hierdurch keine eigenständige Kompetenz zur Geschäftsführung und kein Initiativrecht zur Vornahme von bestimmten Geschäften, auch kann er den Vorstand nicht hierzu verpflichten.457 Vielmehr wird der Aufsichtsrat lediglich an der Geschäftsführung beteiligt, weswegen die Zustimmungsvorbehalte als ein Überwachungsinstrument zu betrachten sind.458 Die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats nimmt hierdurch einen „präventiven“ Charakter an.459 Während allerdings das deutsche Aktienrecht obligatorisch die Festlegung eines Katalogs von Zustimmungsvorbehalten in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat vorschreibt (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) und damit der Hauptversammlung und dem Aufsichtsrat eine „konkurrierende Pflicht“ zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten auferlegt460, hat die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten im polnischen Aktienrecht ausweislich des Gesetzeswortlauts in 453

Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 25. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 21. 455 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 22. 456 Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 7; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 398; vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 424 f. 457 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 51; Opalski, Rada nadzorcza, S. 424 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 399 m.w. N. 458 Vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 39 ff., 51; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 5 ff.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 424. 459 Opalski, Rada nadzorcza, S. 331, 424. 460 Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 8. 454

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Art. 384 HGG461 einen ausschließlich fakultativen Charakter462. Im Unterschied zum deutschen Recht können Zustimmungserfordernisse für bestimmte Handlungen des Vorstands in Polen allein in der Satzung festgelegt werden (vgl. Art. 384 § 1 HGG), eine Festlegung durch den Aufsichtsrat selbst ist nicht vorgesehen und daher unzulässig.463 Daran ändert auch die Generalklausel des Art. 384 § 1 Hs. 1 HGG, wonach die Satzung die Kompetenzen des Aufsichtsrats generell erweitern kann, nichts. Denn der klare Wortlaut von Art. 384 § 1 Hs. 2 HGG, nach welchem die Satzung insbesondere vorsehen kann, dass der Vorstand verpflichtet ist, die Zustimmung des Aufsichtsrats vor der Vornahme von „in der Satzung genannten Handlungen“ 464 einzuholen, verbietet eine Übertragbarkeit der Kompetenz zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten auf den Aufsichtsrat. Welche Geschäfte von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden können, wird weder im deutschen noch im polnischen Aktienrecht ausdrücklich geregelt. Für das deutsche Recht ist anerkannt, dass der Umfang des Zustimmungskatalogs zwar pflichtgemäßem Ermessen unterliegt, allerdings aufgrund der andernfalls bedrohten Eigenverantwortlichkeit des Vorstands nur solche Geschäfte einem Zustimmungsvorbehalt unterstellt werden dürfen, die nach ihrer Art, ihrem Gegenstand, Umfang oder dem damit zusammenhängenden Risiko von besonderer, grundlegender Bedeutung für das jeweilige Unternehmen sind.465 Gleichermaßen wird auch in Polen angenommen, dass eine Zustimmungsbedürftigkeit nur für solche Geschäfte vorgesehen werden darf, die nach Ausmaß, Gegenstand, Bedeutung oder dem damit verbundenen Risiko über die gewöhnlichen Geschäftsvorfälle hinausgehen oder in strategischer Hinsicht eine wesentliche Rolle spielen.466 In beiden Ländern muss sich der Zustimmungsvorbehalt auf konkret bezeichnete bzw. hinreichend bestimmbare Geschäfte beziehen, eine generalklauselartige Erfassung etwa aller bedeutsamen Geschäfte wäre unzulässig.467 Allerdings können nach deutschem Recht – anders als in Polen468 – 461 Art. 384 § 1 HGG: „Statut moze rozszerzyc ´ uprawnienia rady nadzorczej, a w ˙ szczególnos´ci przewidywac´, ˙ze zarza˛d jest obowia˛zany uzyskac´ zgode˛ rady nadzorczej przed dokonaniem okres´lonych w statucie czynnos´ci.“ 462 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 463 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 435 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 400 f. 464 Art. 384 § 1 Hs. 2 HGG: „[. . .] okres ´lonych w statucie czynnos´ci“, Übersetzung d. Verf. 465 Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 120; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 680 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 8, 9. 466 Opalski, Rada nadzorcza, S. 428. 467 Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. Januar 2015, Az.: I-6 U 48/14, BeckRS 2015, 16131 (Rn. 44); Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 120; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 9 m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 428. 468 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 435.

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einzelne Geschäfte auch ad hoc einem Zustimmungsvorbehalt unterstellt werden; dies nach wohl allgemeiner Ansicht jedenfalls dann, wenn sie von besonderer Bedeutung für die Gesellschaft sind.469 Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung zu zustimmungsbedürftigen Geschäften, kann sich der Vorstand sowohl in Deutschland als auch in Polen an die Hauptversammlung zwecks Zustimmungsersetzung wenden (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG, Art. 384 § 2 HGG470). Allerdings erfordert § 111 Abs. 4 AktG eine Dreiviertelmehrheit, während nach polnischem Recht die allgemeinen Regeln gelten, mithin eine absolute Stimmenmehrheit – d.h. die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (vgl. Art. 4 § 1 Pkt. 10 HGG)471 – ausreicht, sofern die Satzung kein anderes Mehrheitserfordernis vorsieht (vgl. Art. 414 HGG). Wird ein Geschäft ohne die erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen, so ist dieses zwar im Außenverhältnis wirksam, jedoch handelt der Vorstand in diesem Fall pflichtwidrig und kann sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen (vgl. Artt. 17 § 3, 483 HGG).472 Abgesehen von den in der Satzung – bzw. nach deutschem Recht durch den Aufsichtsrat – zu definierenden Zustimmungsvorbehalten sieht sowohl das polnische als auch das deutsche Recht für einige Maßnahmen bereits gesetzliche Zustimmungsvorbehalte vor, beispielsweise bei Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn (§ 59 Abs. 3 AktG, Art. 349 § 1 HGG), im Rahmen von Kapitalerhöhungen (vgl. §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1, 205 Abs. 2 Satz 2 AktG, Artt. 446 § 2, 447 § 1 HGG) oder im deutschen Recht auch bei Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern (§ 114 Abs. 1 AktG) oder Kreditgewährungen an Aufsichtsratsmitglieder (vgl. § 115 AktG).473 Für polnische Gesellschaften mit Allein- oder Mehrheitsaktionärsstellung des Staates, die aus der Kommerzialisierung oder auf andere Art und Weise entstanden sind, enthielten ferner Art. 19b und Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F. einen gesetzlichen Zustimmungsvorbehalt. Danach bedurfte es der Zustimmung des Aufsichtsrats im Fall von Schenkungen, Erlassverträgen und Verträgen, die in keinem Zusammenhang mit der satzungsgemäß bezeichneten wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft standen, sofern diese 5.000 EUR überstiegen. Art. 19b und Art. 69a Abs. 3 KommerzG wurden auf469 Vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1993, Az.: II ZR 235/92, NJW 1994, S. 520 (524); Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 55 m.w. N.; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 39 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 9 m.w. N. 470 Die polnische Regelung basiert auf dem deutschen Vorbild, Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 399. 471 Als abgegebene Stimme gelten sowohl die Ja und Nein-Stimmen als auch die Enthaltungen, vgl. Art. 4 § 1 Pkt. 9 HGG. 472 Zum deutschen Recht vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 147; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 10. 473 Näher zum polnischen Recht Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 396 ff.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

grund des StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016474 jedoch mit Wirkung zum 1. Januar 2019 gestrichen.475 Die Vornahme eines Geschäftes ohne Einhaltung des gesetzlichen Zustimmungsvorbehaltes führt im polnischen Recht kraft Gesetzes zu seiner Nichtigkeit (vgl. Art. 17 § 1 HGG). Auch in Deutschland ist das Geschäft regelmäßig rückabzuwickeln.476 Eine besondere Regelung in Bezug auf Zustimmungsvorbehalte besteht aufgrund des StaatsVermVerwG nunmehr auch allgemein für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung – d.h. auch bloßer Minderheitsbeteiligung. Gemäß Art. 17 Abs. 2 und 3 StaatsVermVerwG ist das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass für den Fall der in Art. 17 Abs. 2 und 3 StaatsVermVerwG genannten Berater- und Marketingverträge sowie Schenkungs- und Erlassverträge ein Zustimmungsvorbehalt durch Hauptversammlungsbeschluss oder die Satzung festgelegt wird. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen gesetzlichen Zustimmungsvorbehalt, sondern lediglich um eine an das die staatlichen Rechte ausübende Subjekt gerichtete Verpflichtung. bb) Personalkompetenzen Den zweiten wichtigen Pfeiler der Aufsichtsratsaufgaben bildet sowohl in Deutschland als auch in Polen die Personalkompetenz des Aufsichtsrats. Hierzu gehört vor allem die Entscheidungskompetenz im Hinblick auf die Besetzung des Vorstands (vgl. § 84 AktG, Art. 368 § 4 Satz 1 Hs. 1 HGG). Die Kompetenz zur Bestellung des Vorstands ist im deutschen Recht nach §§ 84 Abs. 1, 107 Abs. 3 Satz 7 AktG zwingend und ausschließlich dem Aufsichtsrat als Gesamtgremium zugewiesen.477 Gleiches gilt für dessen Abberufung.478 Dagegen sieht das polnische Aktienrecht lediglich grundsätzlich vor, dass der Aufsichtsrat – ebenfalls als Gesamtgremium479 – für die Bestellung und 474 Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2259. 475 Vgl. Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 476 Vgl. etwa Henze, in: GroßKommAktG, Bd. 2, § 59 AktG Rn. 31. 477 BGH, Urteil vom 24. November 1980, Az.: II ZR 182/79, NJW 1981, S. 757 (758); Spindler, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 84 AktG Rn. 12; Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 17. 478 BGH, Urteil vom 24. November 1980, Az.: II ZR 182/79, NJW 1981, S. 757 (758); Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 44. 479 Sowohl in Deutschland als auch in Polen wird die Bestellung von Vorstandsmitgliedern in der Regel durch den Personalausschuss des Aufsichtsrats vorbereitet, wenn auch der Aufsichtsrat über die Bestellung als Gesamtgremium entscheiden muss, vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1993, Az.: II ZR 89/92, NJW 1993, S. 2307 (2311); Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 17; ausführlich zur Vorberei-

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Abberufung sowie Suspendierung des Vorstands zuständig ist (vgl. Artt. 368 § 4 Satz 1 Hs. 1, 383 § 1 HGG). Dieser Grundsatz erfährt in zweierlei Hinsicht eine Durchbrechung: Zum einen kann die Satzung Abweichendes vorsehen (vgl. Art. 368 § 4 Satz 1 Hs. 2 HGG), und das Recht zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern etwa der Hauptversammlung oder einem einzelnen Aktionär (vgl. die ausdrückliche exemplarische Nennung in Art. 354 § 1 Satz 2 HGG) gewähren.480 Zum anderen sieht Art. 368 § 4 Satz 2 HGG vor, dass stets auch die Hauptversammlung ein konkurrierendes Recht zur Abberufung oder Suspendierung von Vorstandsmitgliedern hat. Dieses Recht kann mangels entsprechender Öffnungsklausel (wie etwa noch bei Art. 368 § 4 Satz 1 HGG) auch nicht in der Satzung ausgeschlossen werden.481 Eine Ausnahme vom soeben Gesagten bestand bis Ende 2018 allerdings bei kommerzialisierten Gesellschaften, in denen der Staat weiterhin mehr als die Hälfte der Anteile hielt. Gemäß Art. 19a KommerzG a. F., der insoweit lex specialis zu Art. 368 § 4 HGG war482, lag in diesen Fällen die ausschließliche Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Vorstands beim Aufsichtsrat, der zugleich für die Durchführung einer Eignungsprüfung der Vorstandskandidaten zuständig war. Gleichermaßen galt dies auch für andere Gesellschaften mit staatlicher Allein- oder Mehrheitsbeteiligung (vgl. Art. 69a Abs. 3 KommerzG). Die Vorschriften wurden allerdings aufgrund des StaatsVermVerwG mit Wirkung zum 1. Januar 2019 aufgehoben.483 Gleichzeitig verpflichtete Art. 18 StaatsVermVerwG urspr. Fassung das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt dazu, auf einen Hauptversammlungsbeschluss bzw. eine Satzungsbestimmung hinzuwirken, wonach der Vorstand nach Durchführung eines Qualifikationsverfahrens vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen wird. Die Vorschrift wurde durch Änderungsgesetz vom 21. Februar 2019484, in zweierlei Hinsicht geändert: Zum einen soll das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus

tung der Personalentscheidung durch den Personalausschuss Opalski, Rada nadzorcza, S. 399 ff. 480 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). In der Praxis lässt sich jedoch jedenfalls bei den börsennotierten Gesellschaften feststellen, dass größtenteils die gesetzliche Kompetenzzuweisung für die Bestellung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat beibehalten und nur ausnahmsweise etwa der Hauptversammlung übertragen wurde, vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 397. 481 Ebenso Opalski, Rada nadzorcza, S. 392 m.w. N.; Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2); Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 368 Rn. 17; kritisch zu diesem Recht der Hauptversammlung Opalski, Rada nadzorcza, S. 392 f. 482 Opalski, Rada nadzorcza, S. 396. 483 Vgl. Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 484 Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Dz. U. 2019 Pos. 492.

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den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt nunmehr nur noch in dem Fall, dass der Vorstand vom Aufsichtsrat bestellt wird, auf einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss bzw. eine entsprechende Satzungsbestimmung hinwirken485; ob dies der Fall ist, ergibt sich aus der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag486. Zum anderen wurde von dem Qualifikationsverfahren das von den Arbeitnehmern zu wählende Vorstandsmitglied ausgenommen.487 Auch der Abschluss des schuldrechtlichen Dienstvertrages zwischen der Gesellschaft und dem einzelnen Vorstandsmitglied gehört sowohl in Deutschland als auch in Polen zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, der in diesem Fall die Gesellschaft nach außen vertritt (vgl. §§ 84 Abs. 1 Satz 5, 112 AktG, Art. 379 § 1 HGG). Allerdings ist spiegelbildlich zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern auch die Kompetenz zum Abschluss und zur Bestimmung des Inhalts des Dienstvertrages einschließlich der Vergütung im deutschen Recht ausschließlich dem Aufsichtsrat zugewiesen (vgl. § 87 AktG).488 Daher werden auch Weisungen der Hauptversammlung oder Gehaltsbemessungen in der Satzung als unzulässig erachtet.489 Dagegen können diese Befugnisse nach polnischem Aktienrecht auch durch die Hauptversammlung oder teilweise sogar einen einzelnen Aktionär wahrgenommen werden. Der Dienstvertrag mit dem Vorstandsmitglied wird gemäß Art. 379 § 1 HGG entweder vom Aufsichtsrat oder von einem von der Hauptversammlung Bevollmächtigten im Namen der Gesellschaft abgeschlossen. Es handelt sich hierbei somit um eine alternative Kompetenz des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung, wobei allerdings die Wahrnehmung dieser Befugnis durch die Hauptversammlung die Kompetenz des Aufsichtsrats im Hinblick sowohl auf die Entscheidung als auch Vertretung der Gesellschaft in dieser Hinsicht ausschließt.490 Die Festlegung der Vorstandsvergütung wird in Art. 378 485

Art. 18 Abs. 1 StaatsVermVerwG: „[. . .] sa˛ obowia˛zane podejmowac´ działania maja˛ce na celu okres´lenie, w drodze uchwały walnego zgromadzenia lub w statucie tej spółki, ˙ze w p r z y p a d k u g d y członkowie organu zarza˛dzaja˛cego sa˛ powoływani przez organ nadzorczy, [. . .]“ (Hervorhebung d. Verf.). 486 Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Sejm-Drucks. Nr. 3053 vom 27. November 2018 (VIII. Kadenz), S. 14 f. 487 Vgl. Art. 1 Pkt. 11 des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Dz. U. 2019 Pos. 492. In der ursprünglichen Fassung des StaatsVermVerwG waren die von den Arbeitnehmer zu wählenden Vorstandsmitglieder dagegen nicht ausdrücklich ausgeklammert gewesen, was den Widerstand der Gewerkschaften hervorrief, vgl. http://www.opzz.org.pl/aktualnosci/kraj/pracownicy-powinnimiec-wybor, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 488 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Februar 1954, Az.: II ZR 63/53, NJW 1954, S. 797 (798); Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 20. 489 Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 20 m.w. N.; vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 6. April 1964, Az.: II ZR 75/62, NJW 1964, S. 1367 (1368). 490 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 466; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 411 m.w. N.

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§ 1 HGG (als lex specialis zu Art. 379 § 1 HGG)491 zwar grundsätzlich als Kompetenz des Aufsichtsrats ausgestaltet, allerdings kann die Satzung hiervon Abweichendes regeln und diese Kompetenz etwa auf die Hauptversammlung (vgl. Art. 378 § 2 HGG) oder sogar nur einen einzelnen Aktionär übertragen (vgl. Art. 354 § 1 a. E. HGG). Darüber hinaus kann die Hauptversammlung den Aufsichtsrat dazu ermächtigen, dem Vorstand eine Gewinnbeteiligung an dem jährlich unter den Aktionären zu verteilenden Gewinn zuzusprechen (vgl. Art. 378 § 2 HGG). Nach früherer Rechtslage erschien fraglich, ob für Gesellschaften mit staatlicher Mehrheits- oder Alleinbeteiligung, die durch Kommerzialisierung oder auf andere Weise entstanden sind, anzunehmen war, dass auch der Abschluss und der Inhalt des Dienstvertrages in die ausschließliche Kompetenz des Aufsichtsrats fiel (vgl. Art. 19a KommerzG a. F. i.V. m. Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F.492). Da Art. 19a KommerzG a. F. aber ausweislich des Wortlauts nur die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern dem Aufsichtsrat zugewiesen hat, den Abschluss des schuldrechtlichen Dienstvertrages jedoch unerwähnt hat, war wohl davon auszugehen, dass gemäß Art. 5 KommerzG493 in Bezug auf das schuldrechtliche Verhältnis zwischen Vorstand und Gesellschaft auch bei Gesellschaften mit staatlicher Mehrheits- oder Alleinbeteiligung (vgl. Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F.) die allgemeinen Regeln des Aktienrechts Anwendung fanden. Eine entsprechende Anwendung von Art. 19a KommerzG a. F., aus der sich auch die ausschließliche Kompetenz des Aufsichtsrats zum Abschluss und zur inhaltlichen Ausgestaltung des Dienstvertrages ableiten ließe, dürfte angesichts des Wortlauts des Art. 19a KommerzG a. F. und der subsidiär geltenden aktienrechtlichen Regelungen zu verneinen gewesen sein. Allerdings sahen gesetzliche Sonderregeln494 sowie Hinweise des Ministeriums für Staatsvermögen495 für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung Besonderheiten in 491

Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 378 Rn. 2. Aufgehoben zum 1. Januar 2019 durch Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 493 Die Regelung in Art. 5 KommerzG hielt Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 40, noch bezogen auf das frühere Handelsgesetzbuch von 1934 (d.h. das Vorgängergesetz zum HGG) für überflüssig, denn entsprechend den allgemeinen Auslegungsregeln und den Grundsätzen der Rechtsanwendung fand dieses als lex generalis ohnehin auf alle Kapitalgesellschaften Anwendung fand, soweit diese nicht durch Spezialgesetze abweichend geregelt wurden. 494 Vgl. Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202, welches das Gesetz über die Vergütung von Personen, die bestimmte Rechtssubjekte leiten, vom 3. März 2000, Dz. U. 2000 Nr. 26 Pos. 306, ablöste. 495 Vgl. die Hinweise des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zur Arbeit der Aufsichtsräte in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung und Mehrheitsbeteiligung des Staates, die unter https://www. 492

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Bezug auf die Festlegung der Vergütung von Vorstandsmitgliedern vor. Das StaatsVermVerwG trifft zur Frage der Zuständigkeit für den Abschluss und Inhalt des Dienstvertrages zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand keine Regelung, sodass nunmehr erst recht von der Geltung der allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze auszugehen ist. Allerdings enthält das Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten, vom 9. Juni 2016496 Vorgaben und Richtlinien für die Bestimmung der Vergütung des Vorstands (sowie auch des Aufsichtsrats), an die sich das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt halten muss. Die im polnischen Recht vorzufindende alternative bzw. durch Satzungsbestimmung mögliche Personalkompetenz der Hauptversammlung im Hinblick auf die Besetzung des Vorstands und die mit den Vorstandsmitgliedern abzuschließenden Verträge stellt einen wesentlichen Unterschied zum deutschen Aktienrecht dar, der sich auch auf die Stellung des Aufsichtsrats auswirkt. Im Vergleich zum früheren polnischen Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) aus dem Jahre 1934497, der die Personalkompetenz noch grundsätzlich der Hauptversammlung zugewiesen und lediglich durch Satzungsbestimmung eine Übertragung auf den Aufsichtsrat ermöglicht hatte (vgl. Art. 366 § 3 Handelsgesetzbuch von 1934), stellt die heutige Regelung zwar eine Stärkung der Stellung des Aufsichtsrats im organisatorischen Gesamtgefüge der Aktiengesellschaft und eine Abkehr vom klassischen Modell der sog. „Aktionärsdemokratie“ 498 dar. Durch die nach polnischem Recht vorgesehene Wahrnehmung der Personalkompetenz durch die Hauptversammlung bzw. teilweise sogar durch nur einen einzelnen Aktionär wird jedoch weiterhin der Einfluss der Anteilseigner – d.h. der wirtschaftlichen Eigentümer – auf die personelle Besetzung des Vorstands abgesichert.499 Zudem wird einem die Kapitalmehrheit erlangenden Hauptaktionär hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, zeitnah mittels entsprechender Besetzung des Vorstands auf die strategische Ausrichtung der Gesellschaft Einfluss nehmen zu können.500 Gleichzeitig birgt aber gerade die Möglichkeit der jederzeitigen Abberufung des Vorstands durch die Hauptversammlung – auch ohne wichtigen Grund, vgl. Art. 370 HGG – eine Gefahr sowohl für die weisungsunabhängige Geschäftsführung durch den msp.gov.pl/pl/polityka-wlascicielska /wsparcie/zarzadzenia-wskazowki-w/30165,Zarza dzenia-wskazowki-wytyczne.html abrufbar waren, zuletzt aufgerufen am 30. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar); vgl. hierzu auch Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (235). 496 Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202. 497 Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 498 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 393. 499 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 403 f. 500 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 404 m.w. N.

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Vorstand als auch – insbesondere im Falle häufiger Aktionärswechsel – für die Realisierung einer langfristigen, von Vorstand und Aufsichtsrat verfolgten Unternehmensstrategie.501 Der im deutschen Recht vorzufindende gänzliche Ausschluss der Hauptversammlung von der Personalkompetenz stärkt dagegen die Position des Aufsichtsrats, aber auch des Vorstands im Verhältnis zu den Aktionären.502 Die Zuweisung der Personalkompetenz an den Aufsichtsrat im Gegensatz zur Hauptversammlung hat umso größere Bedeutung, wenn der Aufsichtsrat nicht allein vom strategischen Investor bzw. Hauptaktionär gewählt wird und daher ohnehin dessen Willen folgt, sondern auch Minderheiten, Arbeitnehmervertreter oder unabhängige Mitglieder vertreten sind, da der Aufsichtsrat dann im Verhältnis zum Hauptaktionär autonomer ist.503 Die Wahrnehmung der Kompetenz zur Besetzung des Vorstands durch den Aufsichtsrat verbessert die Stellung dieser Minderheiten, die anders – bzw. leichter – als bei einer Entscheidung durch die Hauptversammlung wenigstens im Wege einer Kompromisslösung Einfluss auf die Vorstandsbesetzung ausüben können.504 Mutmaßlich sah deshalb das polnische Recht eine Ausnahme von den in Art. 368 § 4 HGG eröffneten Möglichkeiten der Einflussnahme der Hauptversammlung auf die Besetzung des Vorstands für den Fall einer aus der Kommerzialisierung hervorgegangen Gesellschaft vor, in der der Staat weiterhin mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 19a KommerzG a. F.505).506 Dadurch, dass die ausschließliche Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Vorstands in diesem Fall beim Aufsichtsrat lag, wurde die Stellung der im Aufsichtsrat vertretenen Arbeitnehmer gestärkt, da hierdurch der Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf die Unternehmenspolitik durch Wahl entsprechender Vorstandsmitglieder ermöglicht wurde. Zu den weiteren Personalkompetenzen des Aufsichtsrats zählen im deutschen Recht Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder und andere Personengruppen (vgl. §§ 89, 115 AktG), die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern (§§ 93, 112 AktG) und der Abschluss von Dienst- bzw. Werkverträgen mit einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern (vgl. § 114 AktG).507 Dagegen wird im polnischen Recht die Entschei501

Opalski, Rada nadzorcza, S. 396 f. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 403. 503 Opalski, Rada nadzorcza, S. 395. 504 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 395. 505 Die Vorschrift wurde allerdings gestrichen zum 1. Januar 2019, vgl. Art. 14 Pkt. 19 i.V. m. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 506 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 395. 507 Zur Klassifizierung dieser Zuständigkeiten des Aufsichtsrats als Personalkompetenzen siehe Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 2. 502

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

dungskompetenz im Hinblick auf Kreditgewährungen an Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern ausdrücklich und ausschließlich der Hauptversammlung zugewiesen und kann auch nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden (vgl. Artt. 15, 393 Pkt. 2 HGG i.V. m. Art. 304 §§ 3, 4 HGG).508 Der Aufsichtsrat behält allerdings auch in diesen Fällen die aus Art. 379 § 1 HGG folgende Vertretungsbefugnis gegenüber dem Vorstand, sofern nicht die Hauptversammlung einen Bevollmächtigten bestellt.509 Darüber hinaus hat sowohl der deutsche als auch der polnische Aufsichtsrat das Recht, für einen begrenzten Zeitraum (in Deutschland höchstens ein Jahr, in Polen drei Monate) eigene Mitglieder stellvertretend für ein fehlendes oder verhinderts Vorstandsmitglied in den Vorstand zu entsenden (vgl. § 105 Abs. 2 AktG, Art. 383 § 1 HGG). Der polnische Aufsichtsrat hat darüber hinaus die gesetzlich ausdrücklich normierte Pflicht, im Falle der Verhinderung eines Vorstandsmitglieds unverzügliche Maßnahmen zwecks Änderung der Vorstandsbesetzung zu ergreifen (Art. 383 § 2 HGG). cc) Vorstandsorganisation Sowohl in Deutschland als auch in Polen kann der Aufsichtsrat ferner die Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung des Vorstands regeln. In beiden Ländern kann sich der Vorstand grundsätzlich selbst eine Geschäftsordnung geben, allerdings kann die Satzung diese Kompetenz dem Aufsichtsrat übertragen (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AktG, Art. 371 § 6 HGG). Anders als nach deutschem Recht kann die Satzung einer polnischen Aktiengesellschaft diese Kompetenz allerdings auch der Hauptversammlung zuweisen (vgl. Art. 371 § 6 HGG). Ausgehend von Wortlaut des Art. 371 § 6 HGG, der sowohl vom Erlass als auch der Billigung einer Geschäftsordnung spricht510, sind verschiedene Ausgestaltungen denkbar: So kann die Satzung etwa vorsehen, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsordnung selbst ausarbeitet oder lediglich eine vom Vorstand ausgearbeitete Geschäftsordnung billigt – was in der Praxis häufig vorkommt –, oder auch dass der Aufsichtsrat die Geschäftsordnung ausarbeitet und diese sodann von der Hauptversammlung gebilligt wird.511 Im Gegensatz zum polnischen Recht sieht das deutsche Aktienrecht in § 77 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG darüber hinaus vor, dass der Aufsichtsrat auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung die Zuständigkeit an sich reißen und eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlassen kann. Tut er dies, so erlischt dadurch das Recht des Vorstands zum Erlass einer Ge508

Opalski, Rada nadzorcza, S. 452 f. Opalski, Rada nadzorcza, S. 453. 510 Art. 371 § 6 HGG: „[. . .] prawa do uchwalenia lub zatwierdzenia regulaminu zarza˛du“. 511 Opalski, Rada nadzorcza, S. 498 m.w. N. 509

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schäftsordnung und eine gegebenenfalls bereits erlassene Geschäftsordnung verliert ihre Gültigkeit.512 dd) Weitere Zuständigkeiten Über die vorgenannten Kompetenzen hinaus sind sowohl dem deutschen als auch dem polnischen Aufsichtsrat noch eine Reihe weiterer Zuständigkeiten zugewiesen. Der deutsche Aufsichtsrat prüft den vom Vorstand vorzulegenden Jahresabschluss, Lagebericht und Vorschlag zur Gewinnverwendung und berichtet diesbezüglich an die Hauptversammlung (vgl. §§ 170 ff. AktG). Ähnlich prüft auch der polnische Aufsichtsrat die Geschäfts- und Finanzberichte des Vorstands sowie dessen Vorschläge zur Gewinnverwendung bzw. Verlustdeckung und berichtet hierüber an die Hauptversammlung (vgl. Art. 382 § 3 HGG i.V. m. Art. 395 § 2 Pkt. 1 HGG). Während allerdings der Jahresabschluss nach entsprechender Billigung durch den deutschen Aufsichtsrat festgestellt ist und der Hauptversammlung nur noch mitsamt des Aufsichtsratsberichts zur Kenntnis vorgelegt wird (sofern nicht Vorstand und Aufsichtsrat die Feststellung der Hauptversammlung überlassen, vgl. §§ 172, 173 AktG), ist im polnischen Recht letztlich stets die Hauptversammlung für die Bestätigung der Geschäfts- und Finanzberichte des Vorstands zuständig (vgl. Art. 395 § 2 Pkt. 1 HGG). Im Hinblick auf die Wahl und Beauftragung des Abschlussprüfers unterscheiden sich das deutsche und polnische Aktienrecht hingegen deutlich. Nach deutschem Recht ist der Aufsichtsrat dafür zuständig, Vorschläge zur Wahl des Abschlussprüfers durch die Hauptversammlung zu unterbreiten (vgl. § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) und den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluss zu erteilen (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), was neben der formellen Beauftragung auch die inhaltliche Ausgestaltung des Prüfungsauftrages und die Honorarvereinbarung umschließt513. Das polnische Recht sieht dagegen hinsichtlich des für die Wahl des Abschlussprüfers zuständigen Organs keine verbindliche gesetzliche Regelung vor, sondern überlässt diese Festlegung der Satzung.514 Es handelt sich hierbei mithin um eine der Angelegenheiten, die gemäß Art. 384 HGG auf den Aufsichtsrat übertragen werden können, wodurch seine Stellung gestärkt werden kann.515 Für die formelle Beauftragung und inhaltliche Ausgestaltung der Vereinbarung ist hingegen der Vorstand als nach außen hin vertretungsberechtigtes Organ der Gesellschaft zuständig, allenfalls wird in der Praxis die Vereinbarung dem Aufsichtsrat vor einer durch ihn zu erfolgenden Wahl vorgelegt.516 In 512 513 514 515 516

Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 22 Rn. 30. Näher Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 451 ff. Näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 368 f. Opalski, Rada nadzorcza, S. 369 m.w. N. Näher und kritisch hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 369 f.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

der polnischen Literatur wird hierin eine Unvereinbarkeit mit den Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers gesehen und eine entsprechende gesetzliche Zuweisung der Kompetenzen zur Erteilung und inhaltlichen Ausgestaltung des Prüfungsauftrags einschließlich der Honorarvereinbarung an den Aufsichtsrat gefordert.517 Darüber hinaus haben sowohl der deutsche als auch der polnische Aufsichtsrat insbesondere auch verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Hauptversammlung. Hierzu gehört vor allem die Einberufung einer ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 111 Abs. 3 AktG, Art. 399 HGG) und das Recht, Beschlüsse der Hauptversammlung anzufechten (vgl. § 245 Nr. 5 AktG, Artt. 422 § 2 Pkt. 1, 425 HGG). Ferner gewähren beide Rechtsordnungen dem Aufsichtsrat Zustimmungsrechte im Hinblick auf die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals (vgl. §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1 Satz 1 AktG, Artt. 446 § 2, 447 § 1 HGG)518 und die Gewährung von Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn (§ 59 Abs. 3 AktG, Art. 349 § 1 HGG).519 Der deutsche Aufsichtsrat ist ferner gemeinsam mit dem Vorstand für die Abgabe der Entsprechungserklärung nach § 161 AktG zuständig.520 Nach deutschem Recht ist der Aufsichtsrat des Weiteren auch für die Entscheidung über die Ausübung von Beteiligungsrechten nach § 32 MitbestG und § 15 MitbestErgG zuständig.521 Im polnischen Recht finden sich ferner weitere Zuständigkeiten des Aufsichtsrats in besonderen Gesellschaften aufgrund von Spezialgesetzen.522 Darüber hinaus haben Aufsichtsräte von Gesellschaften, an denen der Staat beteiligt ist, über die Regelungen des HGG hinausgehende besondere Zuständigkeiten aufgrund von anderen Gesetzen, Rechtsverordnungen oder Grundsätzen der Eigentümeraufsicht. 523 Hierzu gehört etwa die Durchführung von Qualifikationsverfahren für Vorstandsmitglieder, die Zustimmung zu Schenkungen oder der Verzicht auf Forderungen der Gesellschaft sowie früher auch die Sicherstellung, dass der Vorstand seinen Berichtspflichten gegenüber dem Ministerium für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) rechtzeitig und ordnungsgemäß nachkam.524 517

So Opalski, Rada nadzorcza, S. 370. Näher hierzu Scholz, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 59 Rn. 48; Opalski, Rada nadzorcza, S. 504 ff. 519 Hierzu auch schon oben Kapitel 3, C.II.1.a)aa)(2)(d). 520 Zur vergleichbaren Entsprechenserklärung im polnischen Recht unten Kapitel 6, A.II. 521 Ausführlich hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 61 ff. 522 Näher Michalski, Spółka akcyjna, S. 673. 523 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (234). 524 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (234). Das Ministerium für Staatsvermögen wurde mittlerweile aufgelöst. 518

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Das polnische Aktienrecht sieht in der Generalklausel des § 384 HGG vor, dass die Satzung die Kompetenzen des Aufsichtsrats erweitern kann. Auch von den meisten Regelungen der Artt. 368 bis 429 HGG kann durch Satzung abgewichen werden, sodass den jeweiligen Organen verschiedene Kompetenzen zugewiesen werden können und sich dadurch abhängig vom Willen des Satzungsgebers die Entscheidungsmacht auf den Vorstand, Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung verlagern kann.525 Eine Einschränkung diesbezüglich bilden lediglich die zwingend geltenden Bestimmungen in Artt. 369 bis 429 HGG, die meist dem Schutz der Minderheitsaktionäre dienen.526 Dem Satzungsgeber wird damit ein sehr weitgehender Spielraum eingeräumt. So können vor allem der Hauptversammlung mehr Kompetenzen zugestanden, der Aufsichtsrat zum strategisch entscheidenden Organ der Gesellschaft befördert oder auch ein abgestuftes System für die Zustimmungsbedürftigkeit des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung eingeführt werden.527 Die meisten Satzungen von polnischen Aktiengesellschaften sehen in der Tat im Hinblick auf bedeutsame Geschäftsführungsmaßnahmen mehr Kompetenzen für die Hauptversammlung und den Aufsichtsrat als das gesetzlich vorgegebene Minimum vor.528 Eine entsprechende generelle Ermächtigung zur Ausweitung der Befugnisse des Aufsichtsrats findet sich im deutschen Aktienrecht nicht. Nach dem Grundsatz der Satzungsstrenge (vgl. § 23 Abs. 5 AktG) kann die Satzung zwar von den Vorschriften des Aktiengesetzes abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist, und Ergänzungen vornehmen, sofern nicht das Aktiengesetz eine abschließende Regelung enthält. Die gesetzlich definierte Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Organen stellt jedoch nach § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG zwingendes Recht dar und unterliegt daher nicht dem Spielraum des Satzungsgebers.529 b) Möglichkeiten der unternehmerischen Mitbeteiligung Auch wenn nach der Kompetenzverteilung des deutschen Aktiengesetzes in erster Linie der Vorstand für die Leitung der Gesellschaft und der Aufsichtsrat hauptsächlich für die Überwachung zuständig ist und das Aktienrecht gerade keine – dem monistischen System immanente – „gemeinsame Oberleitung“ der Gesellschaft kennt530, der Vorstand stets weisungsfrei handelt und das Initiativrecht für die Vornahme von Geschäftsführungsmaßnahmen behält, so ist es dem deutschen Aufsichtsrat – wie das Bundesverfassungsgericht betont hatte – auf525 Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1745, näher ders., a. a. O., § 46 Rn. 2437 ff. 526 Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1745. 527 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 528 Ebenda. 529 Sailer-Coceani, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 6 Rn. 10. 530 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 83.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

grund der gesetzlich eingeräumten Kompetenzen, insbesondere dem Recht zur Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder (vgl. §§ 84 f. AktG) sowie über die verschiedenen Zustimmungsvorbehalte (vgl. § 111 AktG) möglich, „in nicht unerheblichem Umfang auf die Unternehmensentscheidungen Einfluß zu nehmen“ 531. Auch die Beratungspflicht des Aufsichtsrats resultiert in einer Mitwirkung des Aufsichtsrats bei bedeutsamen unternehmerischen Entscheidungen.532 Die deutsche Literatur spricht daher im Hinblick auf die Kompetenzen des Aufsichtsrats zu Recht von „unternehmerischer Mitbeteiligung und Mitverantwortung“ 533, „unternehmerischer Verwaltungstätigkeit“ 534, „Mitverwaltungsrechten und -pflichten“ 535 sowie der „Teilhabe an der Leitungsaufgabe des Vorstands“ 536. Ferner wird der Aufsichtsrat als „mit-unternehmerisches Organ der Gesellschaft“ 537, „Mit-Leitungsorgan“ 538 oder sogar als ein „Führungsorgan“ 539 bezeichnet.540 Nach Hopt/Roth liegt die heute – im Vergleich zu früher – deutlich stärkere Einbindung des Aufsichtsrats in die Unternehmensleitung darin begründet, dass das Aktiengesetz einen großen Spielraum bei der Frage zulässt, was konkret die Überwachung der Geschäftsführung bedeutet, wie die Überwachungstätigkeit zu erfolgen hat und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind.541 Insgesamt lässt sich im Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat in der Unternehmenswirklichkeit seit den 1990er Jahren ein stärkerer Einfluss des Aufsichtsrats feststellen.542 Auch nach dem polnischen Aktienrecht hat der Aufsichtsrat weitgehende Einflussmöglichkeiten, da er grundsätzlich auf Personalentscheidungen und die Unternehmensstrategie Einfluss nehmen kann.543 Zwar ist stets der Grundsatz zu 531 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 91. 532 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 50. 533 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 32. 534 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 46 ff., 85. 535 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85. 536 Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 13. 537 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 57 f. 538 Seibt, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 391 (397). 539 Albach, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance (1. Aufl. 2003), S. 361 (373). 540 Zu den dargestellten Begrifflichkeiten Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85; zu weiteren gebräuchlichen Bezeichnungen vgl. auch Mertens/ Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 31 m.w. N.; Seibt, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 391 (397) m.w. N. 541 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85. 542 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85 („Machtverschiebung zugunsten des Aufsichtsrats“); näher zu den Gesetzesreformen in den 1990er Jahren Seibert, Aktienrechtsreform in Permanenz? AG 2002, S. 417 (419). 543 Opalski, Rada nadzorcza, S. 331.

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beachten, dass dem Vorstand keine bindenden Weisungen vom Aufsichtsrat – ebenso wie von der Hauptversammlung – erteilt werden dürfen (vgl. Art. 3751 HGG) und der Vorstand allein das Initiativrecht für einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen behält. Vor allem die Personalkompetenz zur Bestellung und Abberufung des Vorstands ermöglicht dem Aufsichtsrat aber eine Einflussnahme auf die strategische Ausrichtung der Gesellschaft und die künftige Unternehmenspolitik.544 Aber auch dadurch, dass sich die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats auch auf die geplante zukünftige Geschäftsentwicklung erstreckt, hat er einen mittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft und ist damit an der Unternehmensführung beteiligt.545 Ferner bietet die mögliche Festlegung von Zustimmungsvorbehalten ein Instrument zur Beteiligung des Aufsichtsrats an der Unternehmensführung.546 Allerdings hat der polnische Gesetzgeber dem Aufsichtsrat eine insgesamt deutlich schwächere Stellung gegenüber dem Vorstand und der Hauptversammlung eingeräumt, als dies in anderen Staaten mit einer dualistischen Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft – so auch in Deutschland – der Fall ist.547 Ein Vergleich der Ausgestaltung der Kompetenzen des Aufsichtsrats zeigt zum einen, dass der Vorstand einer polnischen Aktiengesellschaft insgesamt mehr Macht hat und weniger Kontrolle unterliegt als der Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft.548 Zum anderen sieht das polnische Aktienrecht im Vergleich zum deutschen Recht deutlich mehr Kompetenzen der Hauptversammlung vor, welche im deutschen Recht dem Aufsichtsrat zugewiesen sind. Die schwächere Stellung des polnischen Aufsichtsrats zeigt sich etwa insbesondere darin, dass die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats zu bestimmten Geschäftsführungsmaßnahmen im polnischen Recht lediglich fakultativ und ausschließlich dem Satzungsgeber vorbehalten ist, während in Deutschland der Aufsichtsrat selbst Zustimmungsvorbehalte vorab oder auch ad hoc festlegen darf. Weiter sieht das polnische Recht auch keine regelmäßigen Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat vor, sondern räumt dem Aufsichtsrat lediglich ein – wenn auch umfassendes – Auskunftsrecht ein, womit es auf die Initiative des Aufsichtsrats setzt. Darüber hinaus hat der polnische Gesetzgeber dem Satzungs544

Opalski, Rada nadzorcza, S. 391. Opalski, Rada nadzorcza, S. 341. 546 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 396 ff. 547 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 548 So Kunert, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 421 (424); vgl. auch Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/ 2014, S. 1005 (legalis S. 2); Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 46 Rn. 2440. Allerdings ist hierbei einschränkend zu berücksichtigen, dass der Vorstand – anders als in Deutschland – jederzeit auch ohne wichtigen Grund vom Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung abberufen werden kann (vgl. Artt. 368 § 4, 370 § 1 HGG). 545

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

geber einen weiten Entscheidungsspielraum bei der Festlegung der Zuständigkeiten der einzelnen Organe eingeräumt. Dadurch kann die Stellung des Aufsichtsrats im Vergleich zum gesetzlichen Leitbild gestärkt, aber auch noch weiter geschwächt werden. So kann von den nach gesetzlichem Leitbild dem Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgaben durch Satzungsbestimmung abgewichen und diese Kompetenzen der Hauptversammlung oder auch lediglich einem einzelnen Aktionär zugewiesen werden. Diesbezüglich bemerkenswert ist vor allem, dass einem einzelnen Aktionär durch Satzungsbestimmung Sonderrechte gewährten werden können, die sich auch – wie etwa die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern – auf wesentliche Angelegenheiten der Gesellschaft beziehen können. Insgesamt führt die gesetzliche Ausgestaltung des polnischen Aktienrechts dazu, dass der polnische Aufsichtsrat eine deutlich schwächere Stellung im organisatorischen Gefüge der Aktiengesellschaft einnimmt als das deutsche Organ. In der polnischen Literatur werden die schwache Funktion und Effektivität des Aufsichtsrats bemängelt und vor dem Hintergrund der Bestrebungen nach guter Corporate Governance grundlegende Änderungen gefordert.549 c) Schutzfunktion zugunsten verschiedener Interessen und Interessengruppen? Der deutsche Aufsichtsrat ist dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 116 Satz 1 AktG). Hierunter wird gemeinhin das Unternehmensinteresse verstanden.550 Auch der polnische Aufsichtsrat hat im Unternehmensinteresse zu handeln.551 Der Begriff des Unternehmensinteresses ist indes nicht einfach zu definieren. Im deutschen Recht wird das Unternehmensinteresse üblicherweise dahingehend verstanden, dass es grundsätzlich mehr als nur das Interesse der Anteilseigner bedeutet, vielmehr umfasse es auch die Interessen der Arbeitnehmer, der Gläubiger sowie der Allgemeinheit.552 In Polen wird der Begriff des Unternehmensinteresses uneinheitlich definiert.553 Oft – und insoweit dem traditionellen Verständnis entsprechend554 – wird das Unternehmensinteresse weitestgehend mit dem Interesse der Aktionäre gleichgesetzt.555 549

Vgl. Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 7 f.); Opalski, Rada nadzorcza, S. 512 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 893 ff. 550 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 78 m.w. N. 551 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 498. 552 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 78. 553 Näher zur Definition des Unternehmensinteresses siehe unten Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 554 Vgl. Kappes/Matysiak, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan ´ stwa a Skarb Pan´stwa, S. 61 (64). 555 So Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August

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Daran anknüpfend lässt sich die Frage stellen, ob der Aufsichtsrat neben seinen gesetzlichen Aufgaben auch eine weitere Funktion dahingehend einnimmt, dass er als Forum verschiedener Interessengruppen – nicht nur der Aktionäre – fungiert. In der polnischen Literatur wird der deutsche Aufsichtsrat in der Tat als ein derartiges Forum zum Ausdruck der Interessen unterschiedlicher Interessengruppen und als Instrument zur Förderung der wechselseitigen Beziehung der Gesellschaft zu verschiedenen Wirtschaftspartnern wahrgenommen.556 Dies wird mitunter auf die Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zurückgeführt.557 Eine solche Funktion ließe sich dem polnischen Aufsichtsrat dagegen nicht oder nur in geringem Maße zuschreiben.558 Nur ausnahmsweise fungiere der Aufsichtsrat als ein Instrument zur Repräsentanz einzelner Interessengruppen und zur Förderung der wechselseitigen Beziehungen mit diesen Gruppen – so etwa aufgrund der Regelungen des KommerzG, die eine Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vorsehen.559 Dennoch ist zu berücksichtigen, dass ausweislich der Gesetzesbegründung zum KommerzG auch in dem Fall, dass die Arbeitnehmer einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder wählen, der Aufsichtsrat die Aufsicht über die Geschäftsführung im Namen der Anteilseigner – nicht der Arbeitnehmer – ausüben soll.560 Abgesehen vom KommerzG kann von einer Schutzfunktion des Aufsichtsrats zugunsten einzelner Interessengruppen aufgrund entsprechender Regelungen zur Besetzung des Aufsichtsrats ferner bei Betreibergesellschaften regulierter Märkte sowie bei Arbeitnehmerrentenfonds gesprochen werden.561 Die Funktion des polnischen Aufsichtsrats besteht anders als im deutschen Recht vorrangig im Schutz der Gesamtheit der Aktionäre sowie der Minderheits2020; Opalski, Rada nadzorcza, S. 20, S. 152 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 171 ff.; a. A. Michalski, Spółka akcyjna, S. 672, unter Verweis darauf, dass das Unternehmensinteresse und das Aktionärsinteresse nicht immer gleichlaufen müssen; abweichend auch Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 961, der die Interessen von Gläubigern und Arbeitnehmern als grundsätzlich gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre ansehen und je nach konkretem Einzelfall bestimmten Interessengruppen den Vorrang einräumen möchte. Gleichzeitig betont der Autor, dass das Unternehmensinteresse in Bezug auf die Gesellschaft als einem eigenständigen Wirtschaftssubjekt selbst und nicht etwa einzelne ihrer Interessengruppen verstanden werden sollte. Zu der in der polnischen Literatur umstrittenen Frage, wie das Unternehmensinteresse zu definieren ist, vgl. auch Weber, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan´stwa a Skarb Pan´stwa, S. 184 (185, 188 f.) m.w. N. 556 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 33. 557 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 33 f. 558 Opalski, Rada nadzorcza, S. XXI. 559 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 22; ebenso Michalski, Spółka akcyjna, S. 672. 560 So die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 10. Näher zu der Problematik, wem gegenüber die Arbeitnehmervertreter bei Ausübung ihrer Aufsichtsratstätigkeit verpflichtet sind, unten Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 561 Näher Michalski, Spółka akcyjna, S. 672 f.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

aktionäre.562 Der Aufsichtsrat soll zum einen die Gesamtheit der Aktionäre vor Handlungen des Vorstands schützen, die ihnen als dem wirtschaftlichen Eigentümer der Gesellschaft Schaden zufügen könnten.563 Zum anderen soll der Aufsichtsrat die Minderheitsaktionäre vor dem Machtmissbrauch eines strategischen Aktionärs schützen.564 Dass der polnische Gesetzgeber letzterer Funktion eine besondere Bedeutung beigemessen hatte, lässt sich den Regelungen der Art. 385 § 3 HGG und Art. 390 § 2 HGG entnehmen, wonach Aktionärsminderheiten ein Recht auf Durchführung der Wahlen zum Aufsichtsrat in Gruppen zugestanden und ihren gewählten Vertretern ein individuelles Kontrollrecht und die Teilnahme an den Vorstandssitzungen zwecks Beratung des Vorstands eingeräumt wird.565 Teile der polnischen Literatur nennen zusätzlich zur Schutzfunktion des Aufsichtsrats zugunsten der Gesamtheit der Aktionäre den Schutz des Unternehmensinteresses als eigenständige Funktion des Aufsichtsrats, da sich die Interessen der Aktionäre und des Unternehmens nicht immer decken würden.566 Daneben wird dem polnischen Aufsichtsrat ferner eine Beratungsfunktion gegenüber dem Vorstand sowie eine Prestigefunktion beigemessen, da die Mitgliedschaft namhafter Persönlichkeiten im Aufsichtsrat einer Gesellschaft deren öffentliches Ansehen steigern könne.567 2. Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats Die Mitbestimmung knüpft sowohl in Deutschland als auch in Polen an bereits bestehende Organe der Kapitalgesellschaft an. Insbesondere wird dadurch die Zusammensetzung des Aufsichtsrats modifiziert. In Polen findet sich zudem die Besonderheit, dass die gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung oft durch Sozialvereinbarungen präzisiert wurden.568 a) Größe des Aufsichtsrats aa) Deutschland Deutsche Aufsichtsräte können zwischen drei und einundzwanzig Mitglieder zählen. Das deutsche Aktiengesetz geht von dem Grundsatz aus, dass der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern besteht (vgl. § 95 Satz 1 AktG). Die Satzung kann 562

Ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 20 f. Opalski, Rada nadzorcza, S. 20. 564 Ebenda. 565 Opalski, Rada nadzorcza, S. 20; näher zum Gruppenwahlrecht unten Kapitel 3, C.II.2.c)aa). 566 So Michalski, Spółka akcyjna, S. 672. 567 Opalski, Rada nadzorcza, S. 23 f.; ebenso Michalski, Spółka akcyjna, S. 673. 568 Ausführlich hierzu Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76 ff.; zur Rechtsnatur von Sozialvereinbarungen siehe oben Kapitel 3, A.I.2.c). 563

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jedoch eine bestimmte höhere Zahl festsetzen, die nach der Aktienrechtsreform 2016569 nur noch dann durch drei teilbar sein muss, „wenn dies zur Erfüllung mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist“ (vgl. § 95 Sätze 2 und 3 AktG).570 Abhängig vom Grundkapital der Gesellschaft bestehen nach § 95 Satz 3 AktG Höchstgrenzen für die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder (neun Aufsichtsratsmitglieder bei einem Grundkapital bis zu 1.500.000 EUR, fünfzehn bei einem Grundkapital zwischen 1.500.000 EUR und 10.000.000 EUR und einundzwanzig bei einem Grundkapital von mehr als 10.000.000 EUR). Die Regelungen des § 95 Sätze 1 bis 3 AktG werden durch das MitbestG, des MontanMitbestG und das MitbestErgG modifiziert (vgl. § 95 Satz 4 AktG). Das Drittelbeteiligungsgesetz enthält dagegen keine Abweichungen bezüglich der Größe des Aufsichtsrats, allein die Teilbarkeit der Aufsichtsratssitze durch drei muss sichergestellt sein (vgl. § 4 Abs. 1 DrittelbG i.V. m. § 95 Satz 2 AktG). Ist das MitbestG auf ein Unternehmen anwendbar, so bestimmt sich die Größe des Aufsichtsrats nach der Zahl der in dem Unternehmen (und beherrschten Konzernunternehmen, vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG) regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern (vgl. § 7 Abs. 1 MitbestG). Das Gesetz unterscheidet zwischen Unternehmen mit in der Regel nicht mehr als 10.000, mehr als 10.000 und mehr als 20.000 Arbeitnehmern und sieht eine der steigenden Arbeitnehmerzahl entsprechende Abstufung von (genau) zwölf, sechzehn und zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern vor (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 MitbestG). Spielraum für den Satzungsgeber besteht nur insoweit, als die für eine höhere Arbeitnehmerzahl vorgeschriebene Aufsichtsratsgröße für anwendbar erklärt werden kann, selbst wenn das Unternehmen diese Zahl tatsächlich nicht überschreitet (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AktG). In der Montanindustrie sind Aufsichtsräte mit elf, fünfzehn oder einundzwanzig Mitgliedern anzutreffen. Grundsätzlich setzt sich der Aufsichtsrat von unter das MontanMitbestG fallenden Unternehmen aus elf Mitgliedern zusammen (vgl. § 4 Abs. 1 MontanMitbestG). Allerdings kann durch Satzung eine Zahl von fünfzehn bzw. einundzwanzig Aufsichtsratsmitgliedern festgelegt werden, wenn das Nennkapital der Gesellschaft mehr als 10.000.000 EUR bzw. mehr als 25.000.000 EUR beträgt (vgl. § 9 MontanMitbestG). Ein nicht dem MontanMitbestG selbst unterfallendes herrschendes Unternehmen, für welches das MontanMitbestErgG einschlägig ist, zählt gemäß § 5 Abs. 1 MontanMitbestErgG grund569 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22. Dezember 2015, BGBl. I S. 2565. 570 Die Änderung beruht auf der Aktienrechtsreform zum 31. Dezember 2015, vorher musste die Mitgliedszahl stets durch drei teilbar sein. Die Regelung beruhte auf der bis 1994 für alle Aktiengesellschaften geltenden Drittelbeteiligung und sollte ihre Umsetzung sicherstellen, vgl. hierzu Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz (1. Aufl. 2013), § 95 AktG Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 95 AktG Rn. 3.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

sätzlich fünfzehn Mitglieder im Aufsichtsrat. Bei einem Gesellschaftskapital von mehr als 25.000.000 EUR kann die Satzung jedoch eine Vergrößerung des Aufsichtsrats auf einundzwanzig Mitglieder vorsehen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 MontanMitbestErgG). bb) Polen Gemäß Art. 385 § 1 HGG muss sich der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft aus mindestens drei Mitgliedern zusammensetzen, im Falle einer sog. Publikumsgesellschaft („spółka publiczna“)571 aus mindestens fünf Mitgliedern. Eine Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder sieht das Gesetz nicht vor. Im polnischen Recht ist jedoch nicht vorgesehen, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder nur durch Satzung festgelegt werden kann. Ausweislich des Wortlauts von Art. 304 § 1 Pkt. 8 HGG „soll“ 572 die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder selbst festlegen oder jedenfalls eine Mindest- oder Höchstzahl sowie ein Subjekt bestimmten, welches über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats entscheiden darf. Die polnische Literatur betrachtet die Vorschrift entgegen dem eigentlichen Wortlaut zwar als obligatorisch, sodass die Satzung mindestens die dort genannten Spezifizierungen enthalten müsse.573 Gleichwohl kann sich die Satzung auf eine Mindest- und Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beschränken und die nähere Festlegung einem anderen Subjekt übertragen. Dabei kann es sich nach teilweiser Ansicht etwa um eine einzelne Person (z. B. einen einzelnen Aktionär), Institution oder Gesellschaft (z. B. die Konzernobergesellschaft) handeln.574 Auch denkbar ist, dass das Recht an eine bestimmte Aktiengattung geknüpft wird.575 Im Falle des ersten Aufsichtsrats müssen jedoch sowohl die konkrete Zahl der Aufsichtsratsmitglieder als auch die jeweiligen Personen feststehen, da die Errichtung des ersten Aufsichtsrats eine notwendige Voraussetzung für die Registrierung der Gesellschaft ist (vgl. Art. 306 Pkt. 3 HGG).576 Die Namen der Aufsichtsratsmitglieder werden bei Anmeldung der Gesellschaft zum Registergericht mitgeteilt (vgl. Art. 318 Pkt. 8 HGG), ferner ist der Anmeldung auch das 571 Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft i. S. d. Art. 4 Pkt. 20 des Gesetzes über das öffentliche Angebot und die Bedingungen für die Zulassung von Finanzinstrumenten in den regulierten Markt sowie über Publikumsgesellschaften, Dz. U. 2005 Nr. 184 Pos. 1539; zur Definition vgl. Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 42 Rn. 1645 ff. 572 Art. 304 § 1 HGG: „Statut spółki akcyjnej powinien okres´lac ´ : [. . .]“. 573 Einhellige Ansicht, vgl. Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 304 Pkt. 1; Napierała/Sójka, in: Koch/Napierała, Prawo spółek handlowych, S. 462 f.; Michalski, Spółka akcyjna, S. 677 ff.; Pabis, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 304 Rn. 12; Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1739. 574 Vgl. Napierała/Sójka, in: Koch/Napierała, Prawo spółek handlowych, S. 463; Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 640. 575 Spyra, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 640 m.w. N. 576 Vgl. auch Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1714.

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Dokument beizufügen, aus welchem sich die Errichtung und Zusammensetzung des Aufsichtsrats ergibt (vgl. Art. 320 § 1 Pkt. 5 HGG). Die Regelung des Art. 385 § 1 HGG wird vom KommerzG für kommerzialisierte Gesellschaften modifiziert bzw. verschärft. Zum einen legt das KommerzG fest, dass der erste Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft eine verbindliche Größe von fünf Mitgliedern hat (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG). Zum anderen schreibt es vor, dass für die folgenden Aufsichtsräte die Größe des Aufsichtsrats durch Satzung festgelegt werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG). Nicht möglich ist mithin lediglich die satzungsmäßige Bestimmung einer Mindest- und Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder. In der polnischen Literatur wird vertreten, dass sich aus Art. 12 Abs. 1 KommerzG aufgrund der dort vorgeschriebenen Beteiligung von Arbeitnehmern, Landwirten und Fischern zu zwei Fünfteln auch für die weiteren Aufsichtsräte die Vorgabe ergäbe, aus mindestens fünf Mitgliedern bestehen zu müssen.577 Dies gelte jedenfalls für Unternehmen, in denen auch Landwirte und Fischer ihre Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden könnten.578 Die Vorgabe des KommerzG, die Größe des Aufsichtsrats – abweichend von der Grundregel des HGG – durch Satzung festlegen zu müssen, gilt nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 KommerzG auch dann, wenn die Privatisierung der Gesellschaft eingeleitet wurde oder der Staat nur noch Minderheitsaktionär ist.579 Denn Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG stellt allein auf die Eigenschaft der Gesellschaft als einem kommerzialisierten Unternehmen ab, ohne eine bestimmte Beteiligung des Staates zu fordern. Entsprechend kann die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder in kommerzialisierten Gesellschaften auch nur durch eine Satzungsänderung geändert werden. Eine Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder legt das KommerzG nicht fest. Allein für Unternehmen von besonderer Bedeutung für die nationale Wirtschaft schrieb Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. bis zum 31. Dezember 2016 vor, dass der Aufsichtsrat maximal neun Mitglieder zählen durfte.580 Gemäß der subsidiär geltenden Regeln des HGG (vgl. Art. 5 Abs. 1 KommerzG) gilt mithin, dass – sofern nicht eine feste Zahl wie gemäß Art. 11 Abs. 1 KommerzG vorgegeben ist – die Größe des Aufsichtsrats keiner Höchstbeschränkung unterliegt (vgl. Art. 385 HGG).

577

So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 579 Zur Streitfrage, ob Art. 14 KommerzG noch Anwendung findet, wenn der Staat alle seine Anteile veräußert hat, siehe oben Kapitel 3, B.II.1.c). 580 Auch für diese Gesellschaften verblieb es allerdings im Hinblick auf den ersten Aufsichtsrat bei der Regel des Art. 11 Abs. 1 KommerzG, der insoweit lex specialis zu Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. war, so Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75 f. Die Regelung des Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. wurde zum 1. Januar 2017 gestrichen, vgl. Art. 14 Pkt. 3 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 578

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

In der Praxis lässt sich beobachten, dass die Größe polnischer Aufsichtsräte überschaubar ist.581 So zeigte sich beispielsweise während einer empirischen Untersuchung von Majer582 zur Effektivität und Rolle der Eigentümeraufsicht des Staates, die über 60 Gesellschaften umfasste, dass die Größe der Aufsichtsräte in den meisten Gesellschaften bei 6 bis 7 Mitgliedern lag. b) Zahl der Arbeitnehmervertreter aa) Deutschland Die Zahl der Arbeitnehmervertreter in deutschen Aufsichtsräten unterscheidet sich je nach anwendbarem Mitbestimmungsgesetz. Die weitestgehende Form der Mitbestimmung in Deutschland besteht in der Montanindustrie. Die Aufsichtsräte von montanmitbestimmten Gesellschaften setzen sich zusammen aus der gleichen Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern sowie einem bzw. drei weiteren Mitgliedern (vgl. § 96 Abs. 1 AktG, § 4 MontanMitbestG, § 5 MontanMitbestErgG). Die Aufsichtsräte der dem MontanMitbestG unterfallenden Gesellschaften bestehen im Falle eines elfköpfigen Aufsichtsrats aus jeweils vier Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer und je einem weiteren Mitglied, sowie einem weiteren neutralen Mitglied (vgl. § 4 Abs. 1 MontanMitbestG). Bei einer Vergrößerung des Aufsichtsrats auf fünfzehn bzw. einundzwanzig Mitglieder steigt die Zahl der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter auf sechs bzw. acht (vgl. §§ 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 MontanMitbestG). Die Aufsichtsräte der dem MontanMitbestErgG unterfallenden Konzernobergesellschaften bestehen aus je 7 bzw. 10 Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer, sowie einem neutralen Mitglied (vgl. § 5 MontanMitbestErgG). Bei der Montanmitbestimmung handelt es sich um eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern, wobei zusätzlich weitere neutrale Mitglieder vertreten sind. Im Anwendungsbereich des MontanMitbestErgG muss unter den Arbeitnehmervertretern eine bestimmte Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern vertreten sein (vgl. § 6 MontanMitbestErgG). In den dem MontanMitbestG unterliegenden Gesellschaften werden Gewerkschaftsvertreter üblicherweise aufgrund des Vorschlagsrechts der Gewerkschaften im Aufsichtsrat vertreten sein (vgl. §§ 6 Abs. 3, 9 MontanMitbestG). Die Aufsichtsräte von dem MitbestG unterfallenden Gesellschaften bestehen ebenfalls aus der gleichen Anzahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern, die jeweils sechs, acht oder zehn beträgt (vgl. § 7 Abs. 1 MitbestG). Auch das MitbestG enthält in § 7 Abs. 2 MitbestG eine verbindliche Vorgabe bezüglich 581 Opalski, Rada nadzorcza, S. 270; vgl. auch ders., in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 3, demzufolge polnische Aufsichtsräte eher zu klein als zu groß sind. 582 Majer, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 67 (68 f.).

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der Anzahl der Gewerkschaftsvertreter, die sich unter der in § 7 Abs. 1 MitbestG vorgegebenen Anzahl von Arbeitnehmervertretern befinden müssen. Allerdings sieht das MitbestG kein weiteres bzw. keine weiteren neutralen Mitglieder vor, sondern räumt in Pattsituationen dem Aufsichtsratsvorsitzenden – der nicht gegen den Willen der Anteilseigner gewählt werden kann (vgl. § 27 MitbestG) – ein doppeltes Stimmrecht ein (vgl. § 29 Abs. 2 MitbestG). Da hierdurch die Anteilseignervertreter einen Vorteil im Falle der Stimmgleichheit haben, wird die Mitbestimmung nach dem MitbestG teilweise auch nur als „quasi-paritätisch“ bezeichnet.583 Zwar war die Herstellung einer gleichberechtigten Teilhabe von Arbeitnehmern und Anteilseignern ein erklärtes Ziel des Gesetzgebers584, dieses Ziel ist jedoch aufgrund des leichten Übergewichts der Anteilseignerseite nicht erreicht worden585. Vielmehr liegt die im MitbestG vorgesehene Mitbestimmung „unterhalb der Parität“.586 Jedoch gerade deshalb scheint das Bundesverfassungsgericht das MitbestG als verfassungskonform angesehen zu haben, sodass eine volle Parität möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.587 In der Literatur wird darüber hinaus vorgebracht, die Parität sei abgesehen von dem doppelten Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden auch durch die Pflichtmitgliedschaft des leitenden Angestellten (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG), der

583 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 9; vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 90 („Wird „Parität“ mit der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung als ein Verhältnis zweier Partner aufgefaßt, in dem keine Seite imstande ist, eine von ihr gewünschte Entscheidung ohne die Zustimmung der anderen Seite oder doch eines Teils von ihr zu erzwingen, in dem daher auch jede Seite die andere hindern kann, ihre Ziele (allein) durchzusetzen, so bleibt die Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz unterhalb der Parität. Der Anteilseignerseite kommt ein leichtes Übergewicht zu.“); vgl. auch Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 7 MitbestG Rn. 3. 584 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16 f.; zu Ziel und Rechtfertigung der Mitbestimmung siehe oben Kapitel 3, A.II.1. 585 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 586 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 90. 587 Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 177. In diese Richtung auch Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 93 („Gleichzeitig wurden aber weiter gehenden Mitbestimmungsforderungen, die auf volle Parität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zielten, Grenzen gesetzt.“); ebenso der BDA/BDIMitbestimmungsbericht, S. 33, im Rahmen der vorgeschlagenen Vereinbarungslösung („Auf der anderen Seite darf schon aus verfassungsrechtlichen Gründen auch für Unternehmen mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern keine Regelung vereinbart werden, die eine Überzahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichts- oder Verwaltungsrat vorsehen würde.“); zurückhaltend aber Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 50.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

aufgrund seiner Stellung eher die Interessen der Unternehmensleitung vertrete, verzerrt.588 Im Fall des Drittelbeteiligungsgesetzes besteht der mitbestimmte Aufsichtsrat nur zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern (vgl. § 4 Abs. 1 DrittelbG). Die Anzahl der Arbeitnehmervertreter kann aufgrund der im Rahmen des § 95 AktG möglichen Größe des Aufsichtsrats von bis zu einundzwanzig Mitgliedern zwischen einem und sieben Vertretern schwanken. Dass die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und damit auch ihr Einfluss mit der an der Anzahl der Beschäftigten gemessenen Unternehmensgröße zunimmt, stellt ein Charakteristikum des deutschen Mitbestimmungssystems dar.589 Die Abstufung der unterschiedlichen Mitbestimmungsregelungen sah die Biedenkopf-Kommission als eine Konsequenz der Tatsache, dass „die innere Organisation der Unternehmen mit wachsender Belegschaft funktionell und damit auch institutionell aufgefächert wird und daher auch nach einer entsprechend weiterentwickelten Form der Mitbestimmung verlangt“.590 Die Vorgaben der Mitbestimmungsgesetze zur Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind zwingend und können auch nicht durch Satzung geändert – d.h. auch nicht erhöht – werden.591 Allein aufgrund der durch die Mitbestimmungsgesetze selbst ausdrücklich eingeräumten Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Vergrößerung des gesamten Aufsichtsrats steigt auch die Zahl der Arbeitnehmervertreter (vgl. §§ 7 Abs. 1 Satz 2 MitbestG, § 9 MontanMitbestG).592 Eine in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht relevante Besonderheit besteht für den ersten Aufsichtsrat – dieser ist gemäß § 30 Abs. 2 AktG regelmäßig mitbestimmungsfrei.593 bb) Polen (1) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 Im Hinblick auf die Zahl der in den Aufsichtsrat zu wählenden Arbeitnehmervertreter differenziert das KommerzG im Grunde nach dem Entwicklungsstadium der Gesellschaft und dem Fortschritt der Privatisierung. Das Gesetz enthält unterschiedliche Vorgaben für den ersten Aufsichtsrat nach Kommerzialisierung eines Unternehmens, den Aufsichtsrat einer kommerzialisierten, aber noch nicht privatisierten Gesellschaft sowie den Aufsichtsrat einer Gesellschaft, die bereits teil588

So Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 11. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 49. 590 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 115. 591 Näher hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 20 ff., 50 ff. m.w. N. sowie oben Kapitel 3, A.I.1.b). 592 Hierzu auch oben Kapitel 3, C.II.2.a)aa). 593 Näher hierzu Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 6 MitbestG Rn. 7 ff. 589

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weise privatisiert wurde. Besonderheiten sieht das KommerzG für kommerzialisierte Gesellschaften, die aus der Umwandlung eines landwirtschaftlichen Unternehmens entstanden sind, vor. Dort wird auf Kosten der den Arbeitnehmern zustehenden Aufsichtsratssitze eine Beteiligung von Vertretern der Landwirte bzw. Fischer im Aufsichtsrat vorgesehen.594 (a) Erster Aufsichtsrat Der erste Aufsichtsrat einer kommerzialisierten Gesellschaft, dessen Größe das KommerzG auf fünf Mitglieder festlegt, muss mit zwei Arbeitnehmervertretern besetzt sein (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG). Für kommerzialisierte Unternehmen der Landwirtschaft gilt hiervon abweichend, dass jeweils die Arbeitnehmer des Unternehmens einen Vertreter und die Landwirte bzw. Fischer einen Vertreter im Aufsichtsrat haben (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 3 KommerzG). Die Vornamen und Namen aller Organmitglieder der ersten Amtsperiode – mithin auch der Aufsichtsratsmitglieder – werden bereits im Kommerzialisierungsakt festgelegt (vgl. Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG). Die Regelung des Art. 11 Abs. 1 KommerzG mag die Frage aufwerfen, ob eine Erweiterung der Beteiligung der Arbeitnehmer über die gesetzlich vorgegebenen zwei Vertreter hinaus zulässig wäre, denn zum einen legt die Norm eine feste Zahl von Arbeitnehmervertretern fest (anders als Art. 12 KommerzG), zum anderen enthält sie keine Öffnungsklausel für Satzungsbestimmungen (anders als Art. 14 KommerzG). In der Praxis dürfte diese Frage indes im Fall des ersten Aufsichtsrats der umgewandelten Gesellschaft kaum relevant werden. (b) Alleinaktionärsstellung des Staates Solange der Staat Alleinaktionär der Gesellschaft ist, die Gesellschaft also zwar kommerzialisiert – d.h. umgewandelt –, aber noch nicht privatisiert wurde595, schreibt Art. 12 Abs. 1 KommerzG eine Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu zwei Fünfteln vor. In Unternehmen der Landwirt594 Zum Hintergrund dieser Privilegierung der Landwirte und Fischer enthält die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG keine Aussage. Im PrivG 1990 war eine derartige Regelung nicht vorgesehen. Hintergrund dieser Regelung scheint jedoch gewesen zu sein, dass den Fischern und Landwirten eine Beteiligung im Aufsichtsrat aufgrund ihrer Stellung als wichtige Zulieferer und Gläubiger der Gesellschaften zustehen sollte, vgl. Kosikowski, in: Kosikowski/S´niegucki, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, Art. 11 Rn. 3; Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 15, abrufbar unter http://orka. sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 („Podobnie rada nadzorcza nie jest odpowiednim forum do gwarantowania praw rolników i rybaków dostarczaja˛cych do przedsie˛biorstwa spółki powstałej w drodze komercjalizacji surowce i be˛da˛cych z tego tytułu wierzycielami spółki.“). 595 Zu den Begrifflichkeiten siehe oben Kapitel 3, B.II.1.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

schaft hat der Aufsichtsrat zu je einem Fünftel aus Vertretern der Arbeitnehmer und der Landwirte bzw. Fischer zu bestehen. Da Art. 11 Abs. 1 S. 2 KommerzG eine Sonderregelung für den ersten Aufsichtsrat trifft, betrifft Art. 12 KommerzG lediglich die weiteren Aufsichtsräte einer kommerzialisierten, aber noch nicht privatisierten Gesellschaft. Im Unterschied zum ersten Aufsichtsrat kann die Größe des Aufsichtsrats in diesem Entwicklungsstadium der Gesellschaft durch Satzung auch abweichend von Art. 11 KommerzG mehr – aber nach Ansichten in der polnischen Literatur wohl nicht weniger596 – als fünf Mitglieder betragen. Gestützt wird diese Auffassung scheinbar auf den Umstand, dass eine Aufsichtsratsgröße von drei oder vier Mitgliedern zu einer paritätischen bzw. sogar überparitätischen Besetzung mit Arbeitnehmervertretern führen würde.597 Da das KommerzG jedoch nicht verlangt, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder stets durch fünf teilbar sein muss, stellt sich auch bei Aufsichtsräten mit mehr als fünf Mitgliedern die Frage, wie viele Arbeitnehmervertreter (bzw. Vertreter von Arbeitnehmern und Landwirten bzw. Fischern) – etwa bei einem sieben- oder neunköpfigen Aufsichtsrat – zu wählen sind. Es ist davon auszugehen, dass die Formulierung in Art. 12 Abs. 1 KommerzG („zu zwei Fünfteln“ 598) eine Mindestregelung darstellt599, sodass bereits bei einem Aufsichtsrat mit sechs oder sieben Mitgliedern aufgrund der erforderlichen Aufrundung die Arbeitnehmer drei Vertreter, bei einem Aufsichtsrat mit acht oder neun Mitgliedern dagegen bereits vier Vertreter wählen dürfen. So wäre auch hier eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern theoretisch denkbar. Die polnische Literatur scheint sich mit dieser Frage jedoch nicht näher auseinandergesetzt zu haben. Mutmaßlich liegt dies daran, dass in der Praxis der Aufsichtsrat von kommerzialisierten Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates regelmäßig aus fünf Mitgliedern besteht.600 (c) Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung des Staates Eine wiederum anderweitige Vorgabe zur Arbeitnehmerbeteiligung enthält Art. 14 KommerzG für den Fall, dass der Staat nicht mehr Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 14 KommerzG soll jedoch sein, dass Anteile an dem kommerzialisierten Unternehmen von anderen nicht staatlichen Wirtschaftsakteuren erworben wur596

So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. Hierauf scheint Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75, seine Auffassung zu stützen. 598 Art. 12 Abs. 1 KommerzG: „[. . .] dwie pia˛te składu rady nadzorczej stanowia˛ [. . .] osoby wybrane przez pracowników“. 599 So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). 600 Vgl. Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). 597

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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den.601 Richtigerweise gelten die Vorgaben des Art. 14 KommerzG nur solange, solange der Staat überhaupt noch – wenigstens mit einem Anteil – an der Gesellschaft beteiligt ist.602 Art. 14 KommerzG sieht in diesem Entwicklungsstadium der Gesellschaft eine der Größe des Aufsichtsrats nach gestaffelte Beteiligung von Arbeitnehmern (bzw. Arbeitnehmern und Landwirten oder Fischern) vor: (i) In Aufsichtsräten mit bis zu sechs Mitgliedern haben die Arbeitnehmer das Recht, zwei Mitglieder des Aufsichtsrats zu wählen (vgl. Art. 14 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG). Handelt es sich um ein ehemaliges Staatsunternehmen der Landwirtschaft, so wählen jeweils die Arbeitnehmer und die Landwirte bzw. Fischer einen Vertreter (vgl. Art. 14 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG). Obwohl Art. 385 § 1 HGG, der gemäß Art. 5 Abs. 1 KommerzG subsidiär anwendbar ist, eine Mindestgröße von drei Mitgliedern fordert, geht die polnische Literatur davon aus, dass nicht nur der erste Aufsichtsrat, sondern auch die folgenden Aufsichtsräte mindestens fünf Mitglieder zählen müssen.603 Würde eine Mindestgröße von nur drei Mitgliedern für die folgenden Aufsichtsräte gelten, so wäre aufgrund der Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG bei vier Aufsichtsratsmitgliedern eine paritätische und bei nur drei Aufsichtsratsmitgliedern sogar eine überparitätische Besetzung mit Arbeitnehmervertretern vorgeschrieben.604 Dies ist nach wohl allgemeiner Ansicht in der polnischen Literatur jedoch nicht vorgesehen.605 (ii) Hat der Aufsichtsrat zwischen sieben und zehn Mitgliedern, so steht den Arbeitnehmern das Recht auf die Wahl von drei Aufsichtsratsmitgliedern zu (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG), wobei in kommerzialisierten Unternehmen der Landwirtschaft die Arbeitnehmer zwei und die Landwirte bzw. Fischer einen Vertreter wählen (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG). (iii) Bei einer Größe des Aufsichtsrats von elf oder mehr Mitgliedern haben die Arbeitnehmer das Recht, vier Mitglieder des Aufsichtsrats zu wählen (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG). In kommerzialisierten Unternehmen der Landwirtschaft stehen den Arbeitnehmern und den Landwirten bzw. Fischern jeweils zwei Aufsichtsratssitze zu (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG). 601 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 83. Gleichermaßen ging auch das KommerzG a. F. selbst in Art. 1 Abs. 2 KommerzG a. F. (aufgehoben zum 1. Januar 2017) davon aus, dass die Privatisierung im Wege der Kapitalerhöhung auf dem Erwerb der im Alleineigentum des Staates stehenden Anteile durch andere Subjekte als den Staat oder staatliche Rechtspersönlichkeiten beruhte. 602 Str., zu dieser Problematik siehe oben Kapitel 3, B.II.1.c). 603 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 604 In diese Richtung argumentierend Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 605 Vgl. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75 sowie Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (6) in Fn. 14, der von einer Arbeitnehmerbeteiligung zwischen 30 % und 43 %, nicht jedoch einer paritätischen oder gar überparitätischen Besetzung ausgeht.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Die proportionale Arbeitnehmerbeteiligung – blendet man für diese Betrachtung die Sonderregeln für Unternehmen der Landwirtschaft aus – beträgt somit abhängig von der satzungsmäßigen Größe des Aufsichtsrats in privatisierten Gesellschaften zwischen 30 % und 43 %, sofern der Aufsichtsrat nicht mehr als dreizehn Mitglieder zählt. Da allerdings eine Begrenzung der Größe des Aufsichtsrats nach oben hin nicht vorgesehen ist, ist es denkbar, durch Vergrößerung des Aufsichtsrats die proportionale Arbeitnehmerbeteiligung zu verringern.606 Dies war allenfalls in Unternehmen von besonderer Bedeutung für die nationale Wirtschaft nicht möglich, da dort gemäß Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. der Aufsichtsrat maximal neun Mitglieder zählen durfte. Die Vorgaben des Art. 14 KommerzG zur Arbeitnehmerbeteiligung sind als gesetzliches Minimum für die Arbeitnehmerbeteiligung zu verstehen, welches durch die Satzung erweitert werden kann.607 (2) Spezialgesetze Vom KommerzG abweichende Sonderregeln im Hinblick auf die Zahl der in die Aufsichtsräte von kommerzialisierten Gesellschaften zu wählenden Arbeitnehmervertreter finden sich teilweise in Spezialgesetzen, die die Kommerzialisierung bestimmter Großunternehmen besonders regelten. Dies betrifft insbesondere die Gesetze über die Polnische Staatsbahn („PKP“) und die Polnische Post („Poczta Polska“), die bis heute gelten. Für den Aufsichtsrat der kommerzialisierten Polnischen Staatsbahn sieht Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 2 des Gesetzes über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“)608 (nachfolgend: „KommerzG-PKP“) vor, dass der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen muss. Obwohl die Vorschrift in dieser Hinsicht vom Wortlaut und von der Systematik her ungenau ist, dürfte davon auszugehen sein, dass sie sich nicht nur auf den ersten Aufsichtsrat, sondern auch auf die folgenden Aufsichtsräte bezieht. Für den ersten Aufsichtsrat galt allerdings die Besonderheit, dass die Vor- und Nachnamen der Aufsichtsratsmitglieder im Kommerzialisierungsakt aufzunehmen waren und dass eine nicht erfolgte Wahl die Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister sowie die Beschlussfähigkeit des 606

Opalski, Rada nadzorcza, S. 101 f. So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). Zur Zulässigkeit privatautonomer Vereinbarungen über die Arbeitnehmerbeteiligung siehe oben Kapitel 3, A.I.2. 608 Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948; bis zum 31. Dezember 2016 lautete der Gesetzestitel „Gesetz über die Kommerzialisierung, Restrukturierung und Privatisierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“)“; zur Kommerzialisierung der Polnischen Staatsbahn vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 150 ff. 607

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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Aufsichtsrats nicht verhinderte (vgl. Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 1, Abs. 3 KommerzG-PKP). Dass das Gesetz auch für die folgenden Aufsichtsräte eine Drittelbeteiligung vorschreibt, lässt sich einerseits auf den Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 2 KommerzG-PKP stützen, der diese Vorgabe – anders als noch in Hs. 1 sowie Abs. 3 der Vorschrift – nicht ausdrücklich auf den ersten Aufsichtsrat beschränkt. Zum anderen sollten nach Art. 2 Abs. 6 KommerzG-PKP urspr. Fassung auch nicht etwa die Vorschriften des KommerzG über die Arbeitnehmerbeteiligung subsidiär gelten, da ausschließlich nur auf die subsidiäre Geltung von Kapitel 4 des KommerzG (Artt. 31a bis 35 KommerzG a. F.609) verwiesen wurde (weswegen sich konsequenterweise die aktuelle Fassung von Art. 2 Abs. 6 KommerzG-PKP ebenfalls nur auf die Veräußerung von Aktien bezieht und diesbezüglich auf die Vorschriften des StaatsVermVerwG verweist). Ferner bräuchte es in dem Fall, dass sich die Vorgabe zur Arbeitnehmerbeteiligung lediglich auf den ersten Aufsichtsrat beziehen sollte, auch nicht der Rückausnahme in Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 2 KommerzG-PKP i.V. m. Art. 4 Abs. 3 KommerzG-PKP, wonach im Fall des ersten Aufsichtsrats die nicht erfolgte Bestellung von Arbeitnehmervertretern kein Eintragungshindernis darstellt. Die Arbeitnehmerbeteiligung in Konzerngesellschaften der PKP S. A. sollte indes in den jeweiligen Satzungen und Gesellschaftsverträgen festgelegt werden (vgl. Art. 4 Abs. 4 KommerzGPKP). Das Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ 610 (nachfolgend: „KommerzG-Post“) schreibt dagegen in der derzeit gültigen Fassung nach dem Änderungsgesetz vom 23. Januar 2020611 vor, dass der Aufsichtsrat aus fünf bis neun Mitgliedern, darunter zwei Arbeitnehmervertretern, bestehen muss (vgl. Art. 10 Abs. 2 KommerzG-Post). Dies gilt jedenfalls zweifellos, solange der Staat Alleinaktionär der Poczta Polska S. A. ist. Ab Veräußerung von Anteilen des Staates dürfte indes aufgrund der in Art. 2 Abs. 3 KommerzG-Post sowie in Art. 6 KommerzG-Post erklärten Geltung der Artt. 5 bis 8 KommerzG, Art. 12 Abs. 5 und 6 KommerzG sowie Artt. 14, 15 und 16 KommerzG im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat die in Art. 14 KommerzG getroffene Staffelungsregelung gelten. Zwar erscheint das Verhältnis von Art. 10 Abs. 2 KommerzG-Post zu Art. 14 KommerzG angesichts des Wortlauts von Art. 10 Abs. 2 KommerzG-Post, der sich nicht ausdrücklich nur auf die Alleinaktionärsstellung des Staates bezieht, nicht ganz eindeutig, allerdings dürfte sich dies zum einen aus den Verweisen auf Art. 5 Abs. 1 KommerzG (vgl. Art. 6 KommerzG-Post) und Art. 14 KommerzG (vgl. Art. 2 Abs. 3 KommerzG-Post) ergeben, zum anderen dürfte Art. 10 609 Aufgehoben zum 1. Januar 2017 durch Art. 14 Pkt. 21 lit. b i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 610 Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008, Dz. U. 2008 Nr. 180 Pos. 1109. 611 Art. 56 des Änderungsgesetzes vom 23. Januar 2020, Dz. U. 2020 Pos. 284.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Abs. 2 KommerzG-Post im systematischen Kontext mit Art. 10 Abs. 1 KommerzG-Post zu lesen sein und daher ebenfalls nur das Stadium der Alleinaktionärsstellung des Staates betreffen. Abweichungen zum KommerzG im Hinblick auf die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat finden sich auch im Gesetz über das Polnische Schiffsregister612 (nachfolgend: „SchiffsRegG“). Der erste Aufsichtsrat setzte sich gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 3 SchiffsRegG urspr. Fassung aus sechs Mitgliedern, davon zwei Arbeitnehmervertretern, zusammen. Für die folgenden Aufsichtsräte bestimmte Art. 18 Abs. 1 Satz 1 SchiffsRegG urspr. Fassung lediglich, dass der Aufsichtsrat sieben Mitglieder haben musste. Die Zahl der darin vertretenen Arbeitnehmervertreter bestimmte sich allerdings nach den einschlägigen Vorschriften des gemäß Art. 4 SchiffsRegG urspr. Fassung subsidiär anwendbaren KommerzG. Nunmehr gilt gemäß Art. 18 Abs. 1 SchiffsRegG n. F., dass der Aufsichtsrat aus sieben Mitgliedern, darunter zwei Arbeitnehmervertretern, bestehen muss. (3) Erfahrungen aus der Praxis Empirische Untersuchungen zeigten, dass die gesetzlich vorgegebene Anzahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zwar oft – jedoch nicht immer – erfüllt wurde.613 Teilweise wurden die gesetzlichen Vorgaben jedoch auch übererfüllt und es waren mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vertreten als gesetzlich vorgeschrieben.614 c) Wahlverfahren Sowohl das deutsche als auch das polnische Aktienrecht sehen grundsätzlich vor, dass die Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung gewählt werden (vgl. § 101 Abs. 1 AktG, Art. 385 § 1 HGG). Aus den einschlägigen Mitbestimmungsgesetzen ergeben sich jedoch Abweichungen bzw. Besonderheiten im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter, in Polen darüber hinaus auch für die Wahl der Anteilseignervertreter. aa) Wahl der Anteilseignervertreter Die Wahl der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat einer mitbestimmten Gesellschaft bestimmt sich in Deutschland nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen (vgl. § 5 MontanMitbestG, § 5 Abs. 2 MontanMitbestErgG, § 8 MitbestG). Das polnische Recht modifiziert die allgemeinen gesellschafts612 Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000, Dz. U. 2000 Nr. 103 Pos. 1098. 613 Vgl. die empirischen Untersuchungen des IPiSS aus dem Jahr 2001, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 60. 614 Vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 60.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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rechtlichen Wahlvorschriften geringfügig dagegen auch für die Wahl der Anteilseignervertreter. Die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft werden sowohl im deutschen als auch polnischen Recht grundsätzlich von der Hauptversammlung gewählt (vgl. § 101 Abs. 1 AktG, Art. 385 § 1 HGG). Während das deutsche Aktienrecht Ausnahmen hiervon nur für den Fall individuell eingeräumter Entsendungsrechte (vgl. § 101 Abs. 2 AktG) sowie der sich aus Mitbestimmungsvorschriften ergebenden Vorgaben erlaubt, sieht Art. 385 § 2 HGG eine allgemeine Öffnungsklausel für die Satzung vor, die auch ein anderes Verfahren zur Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder bestimmen kann. Dadurch kann dieses Recht etwa einem einzelnen Aktionär (vgl. Art. 354 § 1 HGG) oder auch außerhalb der Gesellschaft stehenden Personen oder Institutionen sowie bestimmten Interessengruppen übertragen werden.615 Hiervon weicht das KommerzG allerdings insofern ab, als in kommerzialisierten Gesellschaften, in denen der Staat noch Alleinaktionär ist, aufgrund des Art. 12 Abs. 1 KommerzG die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ausschließlich der Hauptversammlung zusteht, sodass eine abweichende Satzungsbestimmung in diesem Fall – abweichend von Art. 385 § 2 HGG – unwirksam wäre.616 Faktisch besteht in diesem Fall die Hauptversammlung allein aus dem hierfür zuständigen Vertreter des Staates.617 Hat der Staat bereits Anteile an der Gesellschaft veräußert, so kann gemäß Art. 14 KommerzG ein abweichendes Verfahren für die Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder – wie auch in Art. 385 § 2 HGG vorgesehen – durch Satzung geregelt werden. Als Besonderheit des polnischen Aktienrechts ist die durch Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG eingeräumte Möglichkeit einer Wahl in Gruppen anzusehen, die dem Minderheitenschutz dient.618 Danach können Aktionärsgruppen, die zusammen mindestens 1/5 des Grundkapitals vertreten, eine Wahl durch Gruppen fordern. Diese Möglichkeit kann auch nicht durch Satzung ausgeschlossen werden (vgl. Art. 385 § 3 Satz 2 HGG).619 Eine Gruppe können gemäß Art. 385 § 5 HGG diejenigen Aktionäre bilden, die so viele Aktien halten, wie sich aus der Division der Gesamtzahl der Aktien durch die Zahl der Aufsichtsratssitze ergibt; dies ent-

615 Beispielsweise Finanzinstituten, vgl. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 15; vgl. hierzu Michalski, Spółka akcyjna, S. 673 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421 f.; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 616 Vgl. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 617 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 77. 618 Vgl. Doman ´ ski/Jagielska, Rada nadzorcza spółki akcyjnej, S. 48 m.w. N.; Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 619 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911, der eine Opt-out-Lösung hierzu vorschlägt.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

spricht bei einem fünf-köpfigen Aufsichtsrat einem Fünftel aller Aktien, im Fall eines drei-köpfigen Gremiums einem Drittel, usw. Jede Gruppe kann ihren eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat wählen, ist dann aber von der Wahl der übrigen Aufsichtsratsmitglieder ausgeschlossen (vgl. Art. 385 § 5 HGG). In der polnischen Literatur wird allerdings auf das Problem hingewiesen, dass im Fall eines drei oder vier Mitglieder zählenden Aufsichtsrats der aufgrund der gesetzlichen Bestimmung erforderliche Mindestanteil von 33,3 % bzw. 25 % der Gesamtzahl der Aktien eine hohe Schwelle für die Entsendung eines eigenen Vertreters in den Aufsichtsrat darstellt, weswegen in manchen Fällen bewusst zwecks Umgehung der Minderheitenrechte eine Verkleinerung des Aufsichtsrats erfolgt war.620 Sofern von den Arbeitnehmern Aufsichtsratsmitglieder nach Maßgabe des KommerzG gewählt wurden, kann sich das Gruppenwahlrecht gemäß Art. 385 §§ 4, 8 HGG nur auf die übrigen Aufsichtsratssitze beziehen, denn die vom KommerzG vorgesehene Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer stellt ein gesondertes Verfahren für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder im Sinne dieser Regelungen dar.621 Unabhängig von ihren Wahlrechten nach den Artt. 11 ff. KommerzG können aber auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft von dem Gruppenwahlrecht in ihrer Eigenschaft als Aktionäre Gebrauch machen.622 Begünstigt wurde bzw. wird die Möglichkeit durch die im KommerzG enthaltenen Regelungen zum unentgeltlichen Erwerb von Aktien an der Gesellschaft, sowohl im Rahmen der mittelbaren als auch unmittelbaren Privatisierung.623 Insbesondere im Rahmen der sog. Arbeitnehmergesellschaften hielten die Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens den gesamten oder jedenfalls einen wesentlichen Teil der Anteile der Gesellschaft.624 So gewählte Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind jedoch streng genommen Vertreter der Anteilseigner, nicht der Belegschaft.625 Gleichwohl zeigte sich in der Praxis, dass die Arbeitnehmer-Aktionäre nur selten von 620

Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 1. So nun ausdrücklich das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 14. Juni 2018, Az.: V CSK 172/18, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo/ (dort S. 11 f.) bezogen auf Art. 14 KommerzG, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; anders noch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, demzufolge die Wahl nach Maßgabe der Artt. 12, 14 KommerzG keine derartiges gesondertes Wahlverfahren i. S. d. Art. 385 § 4 HGG darstellte. 622 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 68 f.; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (181 f.). 623 Vgl. Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (182). 624 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51. Dieser Begriff ist jedoch gesetzlich weder definiert noch wird er im KommerzG erwähnt, es handelt sich um ein dogmatisches Konstrukt; auch wird der Begriff nicht einheitlich verwendet wird – vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242 m.w. N. Zu den sog. Arbeitnehmergesellschaften siehe unten Kapitel 3, D.I. 625 So schon Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (182). 621

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der Gruppenwahl Gebrauch gemacht haben – nicht weil sie die Aktien nicht erworben hätten, sondern weil sie diese sehr bald nach dem Erwerb weiterverkauften.626 Eine Sonderregel für die Wahl der Anteilseignervertreter ergab sich aus Art. 1a Abs. 4 KommerzG a. F.627 für Unternehmen von besonderer Bedeutung für die Wirtschaft. Die Anteilseignervertreter wurden zwar auch von der Hauptversammlung gewählt, allerdings war vorher die Meinung des je nach Geschäftsbetrieb des Unternehmens zuständigen Ministers einzuholen. Die Rechte der Arbeitnehmer zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern wurden hierdurch gemäß Art. 1a Abs. 6 KommerzG a. F. jedoch nicht berührt. Einschränkungen ergaben sich ferner auch aus Artt. 13, 15a KommerzG a. F.628 Nach der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 ergeben sich Besonderheiten im Rahmen der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund der Artt. 19 ff. StaatsVermVerwG. bb) Wahl der Arbeitnehmervertreter Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in deutsche Aufsichtsräte divergiert je nachdem, welches Mitbestimmungsgesetz einschlägig ist. In Polen gelten unterschiedliche Wahlverfahren je nachdem, in welchem Entwicklungsstadium sich das kommerzialisierte Unternehmen befindet bzw. wie weit der Privatisierungsprozess vorangeschritten ist. (1) Deutschland Das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter im mitbestimmten Aufsichtsrat ist in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen detailliert und komplex geregelt. Ergänzt werden diese gesetzlichen Vorgaben durch die dazugehörigen Wahlordnungen. Angesichts der außerordentlich detailreichen mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben kann nachfolgend nur ein kurzer Überblick über die wesentlichen Aspekte zwecks der rechtsvergleichenden Untersuchung gegeben werden.629 Die Wahl der Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG ist in den §§ 9 bis 18 MitbestG sowie ergänzend hierzu detailliert in drei Wahlordnungen630 ge626

Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182). In der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung. 628 Artt. 13, 15a KommerzG wurden zum 1. Januar 2017 aufgehoben, vgl. Art. 14 Pkt. 14, 15 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 629 Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Wahlvorschriften findet der interessierte Leser an anderer Stelle, etwa bei Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, §§ 9–18 MitbestG; Oetker, in: ErfK ArbR, §§ 9–18 MitbestG; ders., in: ErfK ArbR, § 6 Montan-MitbestG. 630 Erste Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1682; Zweite Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I 627

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regelt, die gemäß § 39 MitbestG von der Bundesregierung erlassen wurden. Insgesamt ist das Wahlprozedere sehr kompliziert geregelt und äußerst zeitintensiv.631 Das MitbestG sieht dabei im Wesentlichen zwei voneinander zu unterscheidende Wahlverfahren vor: die unmittelbare Wahl der Arbeitnehmervertreter durch alle wahlberechtigten Arbeitnehmer und die Delegiertenwahl. Die Hauptversammlung ist für die Wahl der Arbeitnehmervertreter gänzlich unzuständig. Für die Frage, welches Wahlverfahren anzuwenden ist, legt § 9 MitbestG ein Regel-Ausnahme-Prinzip fest: In Unternehmen mit in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern werden die Arbeitnehmervertreter durch Delegierte gewählt, wenn nicht die unmittelbare Wahl von den wahlberechtigten Arbeitnehmern beschlossen wird (vgl. § 9 Abs. 1 MitbestG), in Unternehmen mit in der Regel nicht mehr als 8.000 Arbeitnehmern erfolgt dagegen eine unmittelbare Wahl der Arbeitnehmervertreter, wenn nicht eine Wahl durch Delegierte beschlossen wird (vgl. § 9 Abs. 2 MitbestG). Das MitbestG enthält detailreiche Vorgaben zur Wahl der Delegierten, deren persönlicher Voraussetzungen, Anzahl, Amtszeit, usw. (vgl. §§ 10 ff. MitbestG). Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat von dem MontanMitbestG unterfallenden Unternehmen erfolgt in der Aktiengesellschaft zwar durch die Hauptversammlung, allerdings auf Grundlage bindender Wahlvorschläge der Betriebsräte des Unternehmens bzw. des Konzernbetriebsrats (vgl. §§ 6, 1 Abs. 4 MontanMitbestG). Das Gesetz gewährt den Spitzenorganisationen der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ein Veto-Recht hinsichtlich der vom Betriebsrat vorgeschlagenen, unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter (vgl. § 6 Abs. 1, 2 MontanMitbestG) bzw. ein Vorschlagsrecht im Hinblick auf die zwei nicht zwingend unternehmensangehörigen Kandidaten sowie das weitere Mitglied der Arbeitnehmerbank, welches allerdings nur gegenüber den Betriebsräten besteht (vgl. § 6 Abs. 3, 4 MontanMitbestG). Falls mehrere Spitzenorganisationen in den Betrieben des Unternehmens vertreten sind, sind diese entsprechend dem zahlenmäßigen Verhältnis ihrer Vertretung vorschlagsberechtigt (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 MontanMitbestG), weswegen keine konkurrierenden Wahlvorschläge für denselben Aufsichtsratsposten an die Betriebsräte unterbreitet werden.632 Die der Hauptversammlung vorzuschlagenden Kandidaten werden ausschließlich von den Betriebsräten gewählt (vgl. § 6 Abs. 5 MontanMitbestG). Nach der ursprünglichen Gesetzesfassung des MontanMitbestG hatten die Gewerkschaften hinsichtlich der zwei nicht zwingend unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter und des weiteren Mitglieds der Arbeitnehmerbank noch ein eigenes Vorschlags-

S. 1708; Dritte Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1741. 631 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 28 Rn. 25. 632 Näher hierzu Oetker, in: ErfK ArbR, § 6 Montan-MitbestG Rn. 8; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 6 MontanMitbestG Rn. 8; jeweils m.w. N.

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recht gegenüber der Hauptversammlung (vgl. § 6 Abs. 3, 4 MontanMitbestG urspr. Fassung). Dies wurde im Jahre 1981 geändert.633 Für die vom MontanMitbestErgG erfassten Konzernobergesellschaften gelten im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat seit der Gesetzesänderung im Jahre 1988634 weitestgehend die gleichen Regelungen wie im MitbestG. Auch hier ist demnach eine unmittelbare Wahl oder eine Delegiertenwahl der Arbeitnehmervertreter vorgesehen, das Regel-Ausnahme-Prinzip des § 7 MontanMitbestErgG hängt wie beim MitbestG vom Überschreiten einer Schwelle von 8.000 Arbeitnehmern ab. Das DrittelbG sieht hingegen stets eine unmittelbare Wahl der Arbeitnehmervertreter von allen wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebe vor (vgl. § 5 DrittelbG). § 5 Abs. 1 DrittelbG legt den Grundsatz der Mehrheitswahl sowie der allgemeinen, geheimen, gleichen und unmittelbaren Wahl der Arbeitnehmervertreter fest und bestimmt darüber hinaus, dass die Wahl für dieselbe Zeit erfolgt, die nach dem Gesetz oder der jeweiligen Satzung für die von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmitglieder gilt. Wahlvorschläge können sowohl von den Betriebsräten als auch den Arbeitnehmern gemacht werden, allerdings benötigen die Wahlvorschläge der Arbeitnehmer den durch Unterschriften nachzuweisenden Rückhalt von alternativ mindestens einem Zehntel aller Wahlberechtigten oder einhundert Wahlberechtigten (vgl. § 6 DrittelbG). Die näheren Einzelheiten des Wahlverfahrens werden in den jeweiligen Wahlordnungen geregelt.635 Wahlgrundsätze werden nur vom DrittelbG ausdrücklich aufgestellt. (2) Polen (a) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 Ähnlich wie bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats unterscheidet sich in Polen auch das Wahlverfahren je nachdem, in welchem Entwicklungs- bzw. Privatisierungsstadium sich das ehemalige Staatsunternehmen befindet.

633 Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom 21. Mai 1981, BGBl. I S. 441. 634 Vgl. Art. 3 Abs. 5, 6 des Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der MontanMitbestimmung vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2312. 635 Vgl. Erste Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1682; Zweite Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1708; Dritte Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1741; Wahlordnung zum Drittelbeteiligungsgesetz vom 23. Juni 2004, BGBl. I S. 1393; Wahlordnung zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz vom 10. Oktober 2005, BGBl. I S. 2927 (2932).

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Die Arbeitnehmervertreter im ersten Aufsichtsrat des kommerzialisierten Unternehmens werden zwingend von der Arbeitnehmerversammlung („ogólne zebranie pracowników“) bzw. der Delegiertenversammlung („ogólne zebranie delegatów“) gewählt (vgl. Art. 12 Abs. 4 KommerzG). Gemeint ist damit das im ehemaligen Staatsunternehmen – neben dem Belegschaftsrat – bestehende Organ der unmittelbaren Selbstverwaltung.636 Entsprechend entscheidet sich auf Grundlage der Vorschriften des SelbstVerwG von 1981, insbesondere Art. 8 SelbstVerwG, ob die Arbeitnehmerversammlung oder die Delegiertenversammlung zuständig ist. Eine Delegiertenversammlung tritt an Stelle der Arbeitnehmerversammlung, wenn das Staatsunternehmen mehr als 300 Arbeitnehmer hat, unabhängig davon, ob es sich um ein Unternehmen mit nur einem Betrieb oder mehreren Betrieben handelt. In der Zeit, in der der Staat Alleinaktionär des kommerzialisierten Unternehmens ist, werden die Aufsichtsratsmitglieder gemäß Art. 12 Abs. 1 KommerzG zwingend von der Hauptversammlung – in diesem Entwicklungsstadium der Gesellschaft allein aus dem zuständigen Vertreter des Staates bestehend637 – bestellt. Eine abweichende Satzungsbestimmung wäre – entgegen der Grundregel des Art. 385 § 2 HGG – unzulässig.638 Allerdings bestimmt Art. 12 Abs. 3 KommerzG, dass das Verfahren für die Wahl der Arbeitnehmervertreter durch die Satzung bzw. den Gesellschaftsvertrag selbst oder ein entsprechend den Bestimmungen der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrages erlassenes Regularium festgelegt wird. Die Vorschrift wird von der polnischen Literatur als Abweichung vom Grundsatz des Art. 12 Abs. 1 KommerzG dahingehend verstanden, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer die Arbeitnehmervertreter – nicht nur die Kandidaten für diesen Posten – selbst und unmittelbar wählen und ins Amt bestellen, sodass die Hauptversammlung nur noch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder bestellt.639 Diese Auffassung erscheint jedoch in Anbetracht des zu Art. 14 KommerzG ergangenen Urteils des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013640 jedenfalls zweifelhaft. Das Oberste Gericht hat im Zusammenhang mit Art. 14 KommerzG entschieden, dass bei Fehlen einer abweichenden Satzungsbestimmung zur Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder die Arbeitnehmer lediglich Kandidaten wählen, diese jedoch erst durch die Hauptversammlung ins Amt bestellt werden. Da Art. 14 KommerzG einleitend bestimmt, dass nach Veräußerung von Anteilen des Staates die Satzung bezüglich der Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder geändert werden kann, ist die Vorschrift so zu verste636

Näher hierzu unten Kapitel 3, D.II. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 77. 638 Vgl. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 639 So ausdrücklich Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 1. 640 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 637

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hen, dass es mangels abweichender Satzungsbestimmung bei dem in Art. 12 KommerzG normierten Grundsatz verbleibt. Das Urteil des Obersten Gerichts, welches den Fall der fehlenden abweichenden Satzungsbestimmung betraf, lässt sich daher auch auf Art. 12 KommerzG als der Grundsatz- und Auffangregelung von Art. 14 KommerzG beziehen. Dies würde bedeuten, dass auch im Rahmen des Art. 12 KommerzG die Hauptversammlung alle Aufsichtsratsmitglieder bestellt und die Arbeitnehmer lediglich eine (Vor-)Wahl der Kandidaten treffen.641 Für eine ähnliche Auffassung im Rahmen des Art. 12 KommerzG spricht zudem der Wortlaut der Artt. 12, 14 KommerzG, die beide zwischen der „Bestellung“ durch die Hauptversammlung und der „Wahl“ durch die Arbeitnehmer unterscheiden.642 Das Gesetz verwendet diese Begrifflichkeiten gerade nicht synonym.643 Zum anderen heißt es in Art. 12 Abs. 1 KommerzG, dass der Aufsichtsrat zu zwei Fünfteln aus von den Arbeitnehmern „gewählten“ Aufsichtsratsmitgliedern „besteht“ – nicht jedoch, dass zwei Fünftel der Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern „bestellt“ werden. Gegen eine solche Interpretation könnte allenfalls sprechen, dass in Art. 12 KommerzG eine dem Art. 14 Abs. 2 Satz 2 KommerzG vergleichbare Regelung fehlt, wonach die Wahl durch die Arbeitnehmer für die Hauptversammlung bindend ist. Die Frage dürfte sich im Fall des ersten Aufsichtsrats (vgl. Art. 12 Abs. 3 KommerzG) dagegen nicht stellen, weil in diesem Fall die Hauptversammlung überhaupt keine Zuständigkeit im Zusammenhang mit der Bestellung des Aufsichtsrats hat, sondern die Aufsichtsratsmitglieder im Kommerzialisierungsakt des zuständigen Ministers benannt werden (vgl. Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG). Unabhängig von der Frage des letztlich für die Bestellung zuständigen Organs bzw. Subjekts gilt für die Wahl durch die Arbeitnehmer gemäß Art. 12 Abs. 3 Satz 1 KommerzG, dass das Wahlverfahren in der Satzung bzw. in einer Wahlordnung niederzulegen ist. Art. 12 Abs. 3 Satz 2 KommerzG schränkt die Gestaltungsfreiheit aber insofern ein, als die Arbeitnehmervertreter in unmittelbarer, geheimer und allgemeiner Wahl gewählt werden müssen. Sobald der Staat nicht mehr Alleinaktionär des kommerzialisierten Unternehmens ist, können die Satzungsbestimmungen bezüglich des Verfahrens zur Wahl 641 Hiervon scheint auch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, auszugehen. 642 Art. 12 Abs. 1 KommerzG: „[. . .] członków rady nadzorczej powołuje i odwołuje walne zgromadzenie, z tym ˙ze dwie pia˛te składu rady nadzorczej stanowia˛ [. . .] osoby wybrane przez pracowników“; Art. 14 Abs. 1 KommerzG: „[. . .] postanowienia statutu dotycza˛ce powoływania i odwoływania członków rady nadzorczej moga˛ byc´ zmienione, z tym ˙ze pracownicy albo pracownicy i rolnicy lub rybacy zachowuja˛ prawo wyboru: [. . .]“. 643 So auch schon das Oberste Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/ 12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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und Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern geändert werden (vgl. Art. 14 Abs. 1 KommerzG). Es ist dann – entsprechend der Grundregel des Art. 385 § 2 HGG – nicht mehr zwingend, dass die Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung gewählt werden. Art. 14 Abs. 1 KommerzG, der den Arbeitnehmern eine bestimmte Anzahl an Aufsichtsratssitzen zugesteht, ist jedoch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts644 dergestalt zu verstehen, dass ohne anderweitige Satzungsbestimmung zwar die Wahl (bzw. Nominierung) der Arbeitnehmervertreter außerhalb der Hauptversammlung erfolgt, jedoch diese Arbeitnehmervertreter erst durch eine Wahl der Hauptversammlung, also einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss, ins Amt bestellt werden.645 Dies folgt auch aus Art. 14 Abs. 2 KommerzG, der erklärt, dass die Arbeitnehmervertreter in unmittelbarer, geheimer und allgemeiner Wahl gewählt werden und dass das Ergebnis der Wahl für die Hauptversammlung bindend ist.646 Damit also die Wahl der Arbeitnehmervertreter außerhalb der Hauptversammlung auch zu einer unmittelbaren Bestellung dieser Mitglieder ins Amt führt, muss dies eine entsprechende Satzungsbestimmung – wie von Art. 385 § 2 HGG und Art. 14 Abs. 1 KommerzG erlaubt – vorsehen.647 Das Oberste Gericht geht dabei davon aus, dass im Fall des Art. 14 Abs. 1 KommerzG die Hauptversammlung aufgrund der Formulierung in Art. 14 Abs. 2 KommerzG verpflichtet ist, einen entsprechenden Beschluss zur Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu fassen.648 Die Abstimmungsfreiheit der Aktionäre sei in dieser Hinsicht beschränkt, da sie den Bestel644 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 645 Ebenso richtigerweise Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2; a. A. noch Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 3, der auch im Rahmen der Regelung des Art. 14 KommerzG davon ausgeht, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer nicht nur die Kandidaten, sondern die Arbeitnehmervertreter selbst direkt wählen; ebenso wohl Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84, der davon spricht, dass die Hauptversammlung das Ergebnis der Wahl der Arbeitnehmervertreter nur noch „zur Kenntnis nimmt“, und Opalski, Rada nadzorcza, S. 129 sowie Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 647. 646 A.A. Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 3, der entsprechend der von ihm vertretenen Ansicht bezüglich der direkten Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder durch die Arbeitnehmer die Regelung des Art. 14 Abs. 2 KommerzG als „unverständlich“ kritisierte. 647 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 648 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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lungsbeschluss unabhängig von ihrer eigenen Meinung zu den gewählten Arbeitnehmervertretern und deren Eignung für das Aufsichtsratsmandat fassen müssten – denn diese Bewertung habe der Gesetzgeber gerade den Arbeitnehmern überlassen.649 Das erstinstanzliche Gericht hatte noch bemerkt, dass die Verpflichtung der Hauptversammlung dann nicht bestehe, wenn die Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter gegen das Gesetz oder das Unternehmensinteresse verstoße.650 Weder das Berufungsgericht noch das Oberste Gericht haben diese Aussage jedoch ausdrücklich bestätigt oder verneint.651 Unklar ist daher, ob in diesem Fall die Verpflichtung der Aktionäre ausnahmsweise entfällt. Die polnische Literatur verneint eine Bindung der Hauptversammlung, wenn die Wahl der Arbeitnehmervertreter nicht ordnungsgemäß erfolgte.652 Damit dürften vor allem Gesetzesverstöße sowie Verstöße gegen die Wahlregularien gemeint sein.653 Sachgerecht erscheint es, eine Ausnahme von der Bindungswirkung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds evident gegen das Gesetz verstoßen würde – beispielsweise einer der Ausschlusstatbestände des Art. 387 §§ 1, 2 HGG vorliegt. Die gesetzliche Grundkonzeption, dass letzten Endes doch die Hauptversammlung die Arbeitnehmervertreter wählen muss, wird von einigen Stimmen in der polnischen Literatur sehr kritisch gesehen, da dadurch in der Praxis der Mehrheitsaktionär die Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter zuungunsten der Arbeitnehmer leicht verhindern und – unzulässigerweise654 – etwa andere Mitglieder an ihrer Stelle in den Aufsichtsrat wählen könne.655 Problematisch sei dies insbesondere deshalb, weil die Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem Fall begrenzt seien und eine gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl nicht die gewählten Arbeitnehmervertreter ins Amt berufe.656 649 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 650 Bezirksgericht Legnica, Urteil vom 17. Oktober 2011, Az.: VI GC 159/11 (nicht veröffentlicht); vgl. hierzu die Ausführungen im Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl (dort S. 3), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 651 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 652 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. 653 Unklar in dieser Hinsicht Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. 654 Vgl. Chrós ´cicki, Komentarz do ustawy o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 60; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 10. 655 So etwa Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 656 Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2; vgl. hierzu die Urteile des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie vom

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Im Vergleich zum deutschen Recht sind die Regelungen des KommerzG im Hinblick auf das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter äußert knapp und überlassen die Regelung der Einzelheiten im Wesentlichen dem Satzungsgeber (vgl. Art. 12 Abs. 3 KommerzG, Art. 14 Abs. 1 KommerzG). Anders als im deutschen Recht finden auf dieselbe Gesellschaft unterschiedliche gesetzliche Vorgaben im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter Anwendung, abhängig davon, in welchem Entwicklungsstadium sich das kommerzialisierte Unternehmen gerade befindet. Die Kompetenz zur Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder liegt – sofern man dies nicht nur für Art. 14 KommerzG, sondern auch im Fall des Art. 12 KommerzG bejaht – ähnlich wie im Fall des MontanMitbestG – und anders als beim MitbestG, DrittelbG und MontanMitbestErgG – bei der Hauptversammlung. Als Besonderheit des polnischen Rechts kommt hinzu, dass die Regelungen des KommerzG insbesondere im Hinblick auf das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter in sog. Sozialvereinbarungen präzisiert wurden, die stets für ein konkretes Unternehmen zwischen den Betriebsgewerkschaften und dem strategischen Investor abgeschlossen wurden.657 Dadurch konnten sich auch die Gewerkschaften verschiedene Rechte in Bezug auf das Wahlverfahren zusichern. So etwa nutzten die Gewerkschaften ihre Rolle als Partei der Sozialvereinbarung und ließen sich garantieren, dass sie die Grundätze für die Wahl und Abwahl erarbeiten durften und die jeweiligen Satzungsbestimmungen der Gesellschaft mit den im Unternehmen tätigen Gewerkschaften abgestimmt werden mussten.658 Auf diese Weise erweiterten die Gewerkschaften im Wege von Sozialvereinbarungen auch ihre eigenen Rechte.659 Bemerkenswert sind darüber hinaus die im KommerzG niedergelegten, verbindlichen Grundsätze der Wahl. Sowohl in dem Fall, dass der Staat Alleinaktionär ist als auch wenn der Staat bereits Anteile veräußert hat, werden die Arbeit3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Rodzynkiewicz, a. a. O., scheint ferner davon auszugehen, dass aufgrund der konstitutiven Wirkung des Urteils zur Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl alle bis zu einem derartigen Urteil ergangenen Handlungen des Aufsichtsrats wirksam seien. Eine derartige Auffassung ist allerdings vor dem Hintergrund des Urteils des Obersten Gerichts vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 8), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, welches von einer ex tunc-Wirkung des Urteils ausgeht, nicht überzeugend. Näher zu dieser Problematik unten Kapitel 3, C.II.4. 657 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58; näher hierzu Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, sowie oben Kapitel 3, A.I.2.c). 658 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 659 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77.

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nehmervertreter in unmittelbarer, geheimer und allgemeiner Wahl gewählt (vgl. Art. 12 Abs. 3 Satz 2 KommerzG und Art. 14 Abs. 2 KommerzG). Den Grundsatz der gleichen Wahl nennt das KommerzG hingegen nicht ausdrücklich. Damit unterscheidet es sich nicht nur von der vergleichbaren deutschen Regelung des § 5 Abs. 1 DrittelbG, sondern weicht ab von den Vorschriften zur Wahl von Belegschaftsräten in Staatsunternehmen (vgl. Art. 13 Abs. 2 SelbstVerwG) oder – im Fall der Fremdverwaltung – zur Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat (vgl. Art. 45b Abs. 3 StaatsUntG), die den Grundsatz der gleichen Wahl noch ausdrücklich benennen.660 Es ist daher denkbar, dass die Satzung oder die auf ihrer Grundlage beschlossenen Wahlregularien vorsehen, dass bestimmte Arbeitnehmer des Unternehmens ein höheres Stimmgewicht erhalten als andere Arbeitnehmer.661 (b) Spezialgesetze Besondere Regelungen bzw. Abweichungen zum KommerzG im Hinblick auf das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter finden sich auch im KommerzGPost. So wurde darin unter anderem festgelegt, dass die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum ersten Aufsichtsrat nur dann bindend sei, wenn mindestens 50 % aller Arbeitnehmer an der Wahl teilgenommen haben (vgl. Art. 10 Abs. 6 KommerzG-Post). Im KommerzG-PKP wurden ebenfalls besondere Vorgaben für die Wahl des ersten Aufsichtsrats vorgesehen, indem diesbezüglich an die Regelungen zur Wahl im ehemaligen Staatsunternehmen „PKP“ angeknüpft wurde (vgl. Art. 4 Abs. 2 KommerzG-PKP). (c) Erfahrungen aus der Praxis Zur Wahl der Arbeitnehmervertreter bieten die Untersuchungen des IPiSS662 aus den Jahren 2001663 und 2003664 interessante Erkenntnisse.665 Darin zeigte sich zum einen, dass das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter in Wahlregularien geregelt wurde, die entweder als eigenständige Regelwerke oder als Anhänge zur Geschäftsordnung des Aufsichtsrats konzipiert wurden, in jedem Fall aber der Billigung des Aufsichtsrats bedurften. Im Rahmen ihrer Ausarbeitung kam den in den Unternehmen vertretenen Gewerkschaften re660 Ausführlich zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in Staatsunternehmen unten Kapitel 3, D.II. 661 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 54 f. 662 „Instytut Pracy i Spraw Socjalnych“. 663 Dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 56 ff., 62 ff. 664 Dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 105 ff. 665 Die folgenden Ausführungen geben die Erkenntnisse aus den vorgenannten Untersuchungen des IPiSS wieder.

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gelmäßig entscheidender Einfluss zu, indem diese die Entwürfe der Wahlregularien vorbereiteten oder jedenfalls hinsichtlich des Inhalts konsultiert wurden. Auch im Zusammenhang mit den Kandidaturen für den Aufsichtsratsposten übten die Gewerkschaften einen nicht unwesentlichen Einfluss aus und waren oft der entscheidende Faktor im Hinblick auf die Erfolgschancen der Kandidaten.666 Die Kandidaten konnten sich zwar auch eigenständig ohne gewerkschaftliche Unterstützung für den Aufsichtsratsposten nominieren, brauchten aber einen entsprechenden Rückhalt in der Belegschaft, den sie üblicherweise durch eine Unterschriftenliste nachzuweisen hatten. Von den Gewerkschaften vorgeschlagene Kandidaten waren von diesem Erfordernis in den Wahlregularien oftmals befreit. Ein wesentlicher Einfluss der Unternehmensleitung auf die Wahl der Kandidaten war indes in der Regel nicht zu verzeichnen. Vielmehr war in der Regel eine entsprechende Zurückhaltung der Unternehmensseite bei den Wahlen zu beobachten, wenngleich sie am Wahlausgang durchaus interessiert war. Die Untersuchungen zeigten ferner, dass die Zahl der Kandidaturen zum Aufsichtsrat im Laufe der Zeit zunahm. Während sich in der Regel drei Kandidaten auf einen Aufsichtsratsposten der Arbeitnehmer bewarben, hatten in einem Unternehmen sogar zwanzig Kandidaten um drei Aufsichtsratssitze konkurriert. Begründet wurde dies mit dem Prestige und Ansehen, welches mit der Wahl einherging, dem Kündigungsschutz sowie dem durchaus rentablen Honorar für die Aufsichtsratstätigkeit. Der Wahlkampf selbst dauerte in den untersuchten Unternehmen nicht länger als zwei Wochen, doch war er durchaus intensiv. Die Wahlen selbst fanden an ein bis vier Tagen statt und zeichneten sich durch eine hohe Wahlbeteiligung aus. Die Wahlversprechen der Kandidaten betrafen mitunter den Schutz der Arbeitnehmerinteressen. cc) Wahl sonstiger und neutraler Aufsichtsratsmitglieder Zusätzlich zu den Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer sehen die Montanmitbestimmungsgesetze weitere Aufsichtsratsmitglieder vor. Während das gemäß § 4 Abs. 1 lit. a) MontanMitbestG in den Aufsichtsrat zu bestellende weitere Mitglied der Anteilseignerbank wie auch die übrigen Anteilseignervertreter und das weitere Mitglied der Arbeitnehmerbank wie die von Gewerkschaftsseite vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter von der Hauptversammlung gewählt werden (vgl. §§ 5, 6 Abs. 4 MontanMitbestG), sehen sowohl das MontanMitbestG als auch das MontanMitbestErgG besondere Vorgaben für die Wahl des neutralen weiteren Mitglieds im Sinne der § 4 Abs. 1 lit. c) MontanMitbestG so666 Zum passiven Wahlrecht unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb), zum Einfluss der Gewerkschaften in Bezug auf die gewählten Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer unten Kapitel 5, A.II.2.b).

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wie § 5 Abs. 1 S. 2 lit. c) MontanMitbestErgG vor. Auch dieses weitere Mitglied wird zwar im Fall der Aktiengesellschaft durch die Hauptversammlung gewählt, allerdings auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder, wobei der Vorschlag durch diese Aufsichtsratsmitglieder mit der Mehrheit aller Stimmen beschlossen wird (vgl. § 8 MontanMitbestG, § 5 Abs. 3 MontanMitbestErgG). Er bedarf jedoch der Zustimmung von mindestens je drei Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank. Bei Uneinigkeit ist ein Vermittlungsausschuss einzuberufen. Die Wahlvorschrift soll sicherstellen, dass das „weitere Mitglied“ nach § 4 Abs. 1 lit. c) MontanMitbestG und § 5 Abs. 1 S. 2 lit. c) MontanMitbestErgG vom Vertrauen sowohl der Anteilseigner- als auch der Arbeitnehmervertreter getragen wird und seine Wahl nicht gegen die Mehrheit der einen oder anderen Gruppe im Aufsichtsrat erfolgen kann.667 Im polnischen Recht sehen zahlreiche Spezialgesetze die Mitgliedschaft von besonderen Aufsichtsratsmitgliedern vor.668 So wird insbesondere in einigen Gesetzen dem Staat das Recht eingeräumt, eigene Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen bzw. zu entsenden und in diesem Zusammenhang auch das Wahlverfahren modifiziert.669 d) Aktives und passives Wahlrecht aa) Wahlberechtigung Nach den deutschen Mitbestimmungsgesetzen wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Unternehmens bzw. Konzerns, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (vgl. §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 2, 18 Satz 1 MitbestG, § 8 Abs. 2 MontanMitbestErgG, §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 2 DrittelbG). Während nach dem MitbestG leitende Angestellten ebenfalls wahlberechtigt sind (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG), werden diese vom DrittelbG ausdrücklich ausgenommen (vgl. § 3 Abs. 1 DrittelbG). Über den Verweis auf § 7 Satz 2 BetrVG sind darüber hinaus auch volljährige Leiharbeitnehmer wahlberechtigt, sofern sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Arbeitnehmer von Konzernunternehmen sind nach Maßgabe von § 5 MitbestG und § 2 Abs. 1 DrittelbG wahlberechtigt.670 Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer von Konzernunternehmen sind hingegen nicht wahlberechtigt, was nach dem jüngsten Urteil des EuGH auch nicht gegen Unionrecht verstößt.671 Da 667

Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 8 MontanMitbestG Rn. 1. Vgl. hierzu Michalski, Spółka akcyjna, S. 674 f. 669 Vgl. etwa Art. 28 des Gesetzes über Radiophonie und Fernsehen vom 29. Dezember 1992, Dz. U. 1993 Nr. 7 Pos. 34; Art. 19 des Gesetzes über Häfen und Anlegeplätze vom 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 44. 670 Vgl. hierzu Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 5 MitbestG Rn. 1 ff.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 2 DrittelbG Rn. 1. 671 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 18. Juli 2017, Az.: C-566/15 (Erzberger/ TUI AG), ECLI:EU:C:2017:562 = NJW 2017, S. 2603; vgl. hierzu auch KG Berlin, Vorlagebeschluss vom 16. Oktober 2015, Az.: 14 W 89/15, NZG 2015, S. 1311. 668

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die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten von vom MontanMitbestG erfassten Unternehmen nicht von den Arbeitnehmern, sondern von den Betriebsräten gewählt werden, enthält das MontanMitbestG auch keine Vorgaben zum aktiven Wahlrecht. Die gesetzlichen Regelungen sind zwingend672, sodass das aktive Wahlrecht nicht an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden kann. Das polnische KommerzG gewährt das Wahlrecht ohne weitere Einschränkung „den Arbeitnehmern“ (vgl. Art. 12 Abs. 1, 3 KommerzG und Art. 14 KommerzG). Da das KommerzG diesbezüglich keine eigenständigen oder abweichenden Regelungen enthält, ist hinsichtlich der Definition des Arbeitnehmers auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des polnischen Rechts zurückzugreifen. Gemäß Art. 2 ArbGB ist ein Arbeitnehmer „eine Person, die auf Grundlage eines Arbeitsvertrages, einer Bestellung, einer Wahl, einer Ernennung oder eines genossenschaftlichen Arbeitsvertrages beschäftigt wird“.673 Die Definition der „berechtigten Arbeitnehmer“ in Art. 2 Abs. 5 KommerzG ist in diesem Zusammenhang dagegen nicht einschlägig, da dieser Begriff vom KommerzG lediglich im Rahmen der Vorschriften zum erleichterten Erwerb von Aktien durch Arbeitnehmer (vgl. Artt. 36 ff. KommerzG), nicht aber der Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene, gebraucht wird.674 Bis vor Kurzen war mangels entsprechender Regelung bzw. Verweise im KommerzG davon auszugehen, dass Arbeitnehmer von Konzernunternehmen nicht wahlberechtigt sind.675 Mit Änderungsgesetz vom 1. März 2018676 wurden Art. 12 KommerzG und Art. 14 KommerzG jedoch jeweils um einen neuen Absatz ergänzt, wonach nunmehr auch die Arbeitnehmer einer abhängigen Gesellschaft der aus der Kommerzialisierung hervorgegangenen Gesellschaft berechtigt sind, die im Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreter zu wählen (und abzuwählen) (vgl. Artt. 12 Abs. 8, 14 Abs. 3 KommerzG). Die Regelung erweitert mithin den Kreis der wahlberechtigten Arbeitnehmer und ähnelt damit den deutschen Regelungen in § 5 MitbestG und § 2 DrittelbG, die die Arbeitnehmer von Konzernunternehmen nicht nur für die Frage der Anwendbarkeit des jeweiligen Mitbestimmungsgesetzes auf die Ober-

672 Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 18 MitbestG Rn. 1; Oetker, in: ErfK ArbR, § 18 MitbestG Rn. 1. 673 Art. 2 ArbGB: „Pracownikiem jest osoba zatrudniona na podstawie umowy o prace˛, powołania, wyboru, mianowania lub spółdzielczej umowy o prace˛.“; Übersetzung nach Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch. 674 So auch Brol, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 2 Pkt. V. Rn. 1 (S. 28 f.). 675 Hiervon ging ausdrücklich auch die Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 31. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 4, aus. 676 Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG vom 1. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 702.

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gesellschaft im Hinblick auf die erforderliche Beschäftigtenanzahl (ggf. bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen, vgl. § 2 Abs. 2 DrittelbG) mitzählen, sondern ihnen auch das aktive (und passive) Wahlrecht zusprechen677. Da allerdings Artt. 12 Abs. 8, 14 Abs. 3 KommerzG hinsichtlich der Definition der abhängigen Gesellschaft auf Art. 3 Abs. 1 Pkt. 39 des Gesetzes über die Rechnungslegung vom 29. September 1994678 verweisen, diese Norm wiederum als abhängige Gesellschaft sowohl polnische Handelsgesellschaften als auch nach ausländischen Recht verfasste Gesellschaften versteht679, sind für die Zwecke der Artt. 12 Abs. 8, 14 Abs. 3 KommerzG auch die Arbeitnehmer der nach ausländischem Recht verfassten und daher auch der im Ausland ansässigen Tochtergesellschaften – anders als nach deutschem Recht – mit einzubeziehen. Eine ausdrückliche Regelung oder einen Verweis zur Wahlberechtigung von Leiharbeitnehmern enthält das KommerzG nicht, so dass hier aufgrund des allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs davon auszugehen sein dürfte, dass Leiharbeitnehmer nicht wahlberechtigt sind. Allerdings erscheint dies aufgrund der Verweisungsnorm in Art. 5 des Gesetzes über Arbeitnehmerüberlassung vom 9. Juli 2003680 nicht ganz unproblematisch, da die Norm – recht uneindeutig – bestimmt, dass auf den Verleiher, den Leiharbeitnehmer und den Entleiher arbeitsrechtliche Vorschriften Anwendung finden, sofern nichts Abweichendes geregelt ist.681 Insofern könnte unter anderem jedoch bereits fraglich sein, ob die Vorschriften des KommerzG überhaupt zu jenen arbeitsrechtlichen Normen zu zählen sind. Wie in Deutschland ist es unzulässig, das aktive Wahlrecht auf einen bestimmten Personenkreis einzuschränken, beispielsweise nur denjenigen Arbeitnehmern zuzugestehen, die auch gleichzeitig Anteile am Unternehmen halten.682 Zulässig 677 Vgl. BAG, Beschluss vom 24. November 1981, Az.: 1 ABR 80/79, NJW 1982, S. 2518 (2518 f.); Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 5 MitbestG Rn. 3; ders., in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 2 DrittelbG Rn. 4, 12; Oetker, in: ErfK ArbR, § 2 DrittelbG Rn. 1 ff., 15 ff. 678 Gesetz über die Rechnungslegung vom 29. September 1994, Dz. U. 1994 Nr. 121 Pos. 591 m. sp. Änd. 679 Art. 3 Abs. 1 Pkt. 39 des Gesetzes über die Rechnungslegung vom 29. September 1994: „Ilekroc´ w ustawie jest mowa o: [. . .] jednostce zalez˙nej – rozumie sie˛ przez to jednostke˛ be˛da˛ca˛ spółka˛ handlowa˛ lub podmiotem utworzonym i działaja˛cym zgodnie z przepisami obcego prawa handlowego, kontrolowana˛ przez jednostke˛ dominuja˛ca˛“. 680 Gesetz über Arbeitnehmerüberlassung vom 9. Juli 2003, Dz. U. 2003 Nr. 166 Pos. 1608. 681 Art. 5 des Gesetzes über Arbeitnehmerüberlassung vom 9. Juli 2003, Dz. U. 2003 Nr. 166 Pos. 1608: „W zakresie nieuregulowanym odmiennie przepisami ustawy i przepisami odre˛bnymi do agencji pracy tymczasowej, pracownika tymczasowego i pracodawcy uz˙ytkownika stosuje sie˛ przepisy prawa pracy dotycza˛ce odpowiednio pracodawcy i pracownika, z uwzgle˛dnieniem art. 6“, Übersetzung d. Verf. 682 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 105.

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soll es hingegen sein, bestimmten Arbeitnehmern ein höheres Stimmgewicht zuzugestehen.683 bb) Wählbarer Personenkreis (1) Arbeitnehmereigenschaft Den deutschen Mitbestimmungsgesetzen ist gemein, dass sie alle zumindest für einen Teil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Arbeitnehmereigenschaft beim mitbestimmten Unternehmen oder Konzernunternehmen fordern. So müssen sich gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MontanMitbestG unter den vier Arbeitnehmervertretern i. S. d. § 4 Abs. 1 Buchst. b) MontanMitbestG zwei Arbeitnehmer des Unternehmens befinden. Bei einer Vergrößerung des Aufsichtsrats auf fünfzehn Mitglieder müssen es drei von sechs Arbeitnehmervertretern, bei einer Vergrößerung auf einundzwanzig Mitglieder dagegen vier von acht sein (vgl. § 9 MontanMitbestG). § 6 Abs. 1 MontanMitbestErgG verlangt bei einem fünfzehn-köpfigen Aufsichtsrat die Arbeitnehmereigenschaft bei fünf von sieben Arbeitnehmervertretern und bei einem einundzwanzig-köpfigen Aufsichtsrat bei sieben von zehn Vertretern. Dabei knüpft das MontanMitbestErgG den erforderlichen Arbeitnehmerstatus nicht an das mitbestimmte Unternehmen, sondern an den Konzern. Auch das MitbestG sieht eine erforderliche Arbeitnehmereigenschaft bei einem überwiegenden Teil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor (vier von sechs, sechs von acht und sieben von zehn, vgl. § 7 Abs. 2 MitbestG). Als Besonderheit sieht § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG vor, dass sich unter den Arbeitnehmervertretern ein leitender Angestellter befinden muss. Das DrittelbG verlangt die Unternehmenszugehörigkeit aller Arbeitnehmervertreter, wenn nur ein oder zwei Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden; bei mehr als zwei Vertretern müssen lediglich zwei davon Arbeitnehmer sein (vgl. § 4 Abs. 2 DrittelbG). Mit Ausnahme des MontanMitbestG sehen alle Gesetze eine Mindestdauer der Unternehmens- bzw. Konzernzugehörigkeit von einem Jahr vor (vgl. § 6 Abs. 2 MontanMitbestErgG, § 7 Abs. 4 MitbestG, § 4 Abs. 3 DrittelbG). Rechtlich zulässig ist es auch, dass gewählte Anteilseignervertreter Arbeitnehmer des Unternehmens bzw. Konzerns sind, da das Aktienrecht kein allgemeines Verbot vorsieht, wonach die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat nicht auch Arbeitnehmer des Unternehmens sein dürften (vgl. § 101 AktG). Allein die weiteren Mitglieder im Aufsichtsrat montanmitbestimmter Unternehmen und Konzernobergesellschaften dürfen nicht Arbeitnehmer sein (vgl. § 4 Abs. 2 lit. c) MontanMitbestG, § 5 Abs. 3 MontanMitbestErgG). Sofern die Mitbestimmungsgesetze die Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern vorschreiben, können auch diese zugleich Arbeitnehmer des Unternehmens bzw. Konzerns sein.684 683

Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 54 f.

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Das polnische KommerzG sieht dagegen weder für alle noch für einen Teil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor, dass diese in einem Arbeitsverhältnis zum mitbestimmten Unternehmen stehen müssen. Das KommerzG fordert nur, dass „Vertreter der Arbeitnehmer“ in den Aufsichtsrat bestellt werden (vgl. Art. 12 KommerzG), es fordert dagegen nicht, dass die Vertreter selbst Arbeitnehmer des Unternehmens sind.685 Damit können auch nicht unternehmensangehörige Personen als Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat gewählt werden.686 Dementsprechend stellt das KommerzG auch keine Vorgaben zur Dauer der Unternehmenszugehörigkeit auf. Das KommerzG verbietet ein Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmervertreter zum kommerzialisierten Unternehmen jedoch ebenfalls nicht. Auch die Regelung in Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG a. F.687, wonach Aufsichtsratsmitglieder in einem kommerzialisierten Unternehmen, an dem der Staat zu 100 % beteiligt war, nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem Unternehmen stehen durften, galt gemäß Art. 13 Abs. 3 KommerzG a. F. ausdrücklich nicht für diejenigen Aufsichtsratsmitglieder, die von den Arbeitnehmern als ihre Vertreter gewählt worden waren. Zu beachten sind jedoch auch für die Arbeitnehmervertreter die Beschränkungen des Art. 387 §§ 1, 2 HGG, wonach bestimmte Personen vom Aufsichtsratsmandat ausgeschlossen sind – so etwa dem Vorstand unmittelbar unterstehende Personen.688 Im europäischen Vergleich ist die – sowohl in Polen als auch in Deutschland – anzutreffende Regelung, dass Arbeitnehmervertreter auch Personen sein können, die nicht Arbeitnehmer des Unternehmens sind, zwar nicht so verbreitet.689 Gleichwohl scheinen in der polnischen Unternehmenspraxis die gewählten Arbeitnehmervertreter in der Regel auch Arbeitnehmer der Gesellschaften mit einer langen Betriebszugehörigkeit gewesen zu sein.690 Wie in Deutschland können die von der Hauptversammlung als Anteilseignervertreter gewählten Aufsichtsratsmitglieder – unter Berücksichtigung des Art. 387 §§ 1, 2 HGG – grundsätzlich auch Arbeitnehmer der Gesellschaft sein.

684 So ausdrücklich noch Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 7 MitbestG Rn. 36. 685 Ebenso die Interpretation von Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 686 So auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75; Ogrodowczyk, in: Kozek/ Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164); Postula, Nadzór korporacyjny, S. 192. 687 Aufgehoben zum 1. Januar 2017 durch Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 688 Oberstes Gericht, Urteil vom 6. November 2001, Az.: I PKN 674/00, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 12), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; näher zu Art. 387 HGG unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(3). 689 Rebhahn, in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41 (57). 690 Vgl. die empirischen Untersuchungen von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164) sowie des IPiSS, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 61 und Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103.

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Dies war nach dem früher geltenden Handelsgesetzbuch von 1934691 noch anders und wurde erst aufgrund der im PrivG 1990 eingeführten Arbeitnehmerbeteiligung geändert.692 In der polnischen Literatur wird allerdings kritisiert, dass nicht lediglich eine Ausnahme für die vom KommerzG erfassten Unternehmen eingeführt, sondern das Handelsgesetzbuch diesbezüglich generell geändert wurde.693 Hervorgehoben wird, dass die so gewählten Arbeitnehmervertreter keinen besonderen Schutz vor einer Kündigung oder nachteiliger Änderung ihres Arbeitsverhältnisses entsprechend Art. 15 KommerzG genießen, was ihre Unabhängigkeit als Aufsichtsratsmitglied nicht unerheblich einschränken könne.694 Eine Ausnahme galt allerdings bis zum 31. Dezember 2016 für kommerzialisierte Unternehmen mit Alleinaktionärsstellung des Staates aufgrund des Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG a. F. Die von der Hauptversammlung gewählten Anteilseignervertreter durften danach nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft stehen oder aufgrund anderweitigen Rechtsverhältnisses Dienste oder Arbeiten für die Gesellschaft erbringen. Diese Regelung hatte für kommerzialisierte Unternehmen mit Alleinaktionärsstellung des Staates zur Folge, dass Arbeitnehmer des Unternehmens nur im Rahmen der durch das KommerzG vorgesehenen Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat gewählt werden konnten, nicht jedoch durch die Hauptversammlung auf Grundlage des Art. 385 HGG als Aufsichtsratsmitglied der Anteilseigner bestellt werden konnten.695 Im Falle einer Wahl zum Aufsichtsratsmitglied hätten sie daher ihr Arbeitsverhältnis beenden müssen.696 Hintergrund des Art. 13 KommerzG a. F. war das Ziel, Korruption vorzubeugen.697 Art. 13 KommerzG a. F. wurde zum 1. Januar 2017 gestrichen698 und eine nahezu wortlautgleiche Regelung in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 bis 5, Abs. 2 bis 4 StaatsVermVerwG aufgenommen. Nach Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 StaatsVermVerwG dürfen die vom Staat benannten Kandidaten für das Aufsichtsratsmandat nicht zugleich Arbeitnehmer der Gesellschaft sein. Abgesehen hiervon scheint es in der Praxis jedoch ohnehin ein eher seltener Fall zu sein, dass die Hauptversammlung Arbeitnehmer zu Aufsichtsratsmitgliedern wählt.699 Die in Deutschland in jüngerer Zeit aufgekommene Frage, ob die Beschränkung des passiven Wahlrechts für den Aufsichtsratsposten als unternehmensange691 Vgl. Art. 378 des Handelsgesetzbuchs („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934 urspr. Fassung, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 692 Hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 216. 693 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 216. 694 Opalski, Rada nadzorcza, S. 218 f. 695 Ebenso Postula, Nadzór korporacyjny, S. 192. 696 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 192. 697 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 81. 698 Vgl. Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 699 Opalski, Rada nadzorcza, S. 218.

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höriger Arbeitnehmervertreter auf im Inland Beschäftigte Arbeitnehmer unionsrechtskonform ist700, hat in Polen angesichts der ohnehin nicht erforderlichen Arbeitnehmereigenschaft keine Bedeutung. (2) Gewerkschaftsvertreter und Gewerkschaftstätigkeit Wesentliches Merkmal des deutschen Mitbestimmungsrechts sind die Sitzgarantien für Gewerkschaftsvertreter. Im MontanMitbestG war ursprünglich ein Entsendungsrecht der Gewerkschaften vorgesehen, dieses wurde 1981 aufgehoben und zugunsten des nunmehr in § 6 Abs. 3 MontanMitbestG normierten Vorschlagsrechts der Gewerkschaften gegenüber den Betriebsräten in Bezug auf zwei, drei bzw. vier Arbeitnehmervertreter, abhängig von der Gesamtgröße des Aufsichtsrats (vgl. §§ 6 Abs. 3, 9 MontanMitbestG), geändert.701 Ebenfalls abhängig von der Größe des Aufsichtsrats und der Gesamtzahl der Arbeitnehmervertreter schreiben sowohl das MitbestG als auch das MontanMitbestErgG die Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat ausdrücklich vor (vgl. § 7 Abs. 2 MitbestG, § 6 Abs. 1 MontanMitbestErgG). Die Vorgabe bezieht sich auf diejenigen Arbeitnehmervertreter, die nicht zwingend als Arbeitnehmer des Unternehmens bzw. Konzerns beschäftigt werden müssen.702 Nach dem MitbestG sind dies zwei von vier oder von sechs Arbeitnehmervertretern bzw. drei von zehn (vgl. § 7 Abs. 2 MitbestG), nach dem MontanMitbestErgG zwei von sieben bzw. drei von zehn Arbeitnehmervertretern (vgl. § 6 Abs. 1 MontanMitbestErgG). Beide Gesetze sehen vor, dass nur Vertreter von solchen Gewerkschaften in den Aufsichtsrat gewählt werden können, die in dem mitbestimmten Unternehmen oder in einem Konzernunternehmen, dessen Arbeitnehmer wahlberechtigt sind, vertreten sind (vgl. § 7 Abs. 5 MitbestG, § 6 Abs. 3 MontanMitbestErgG). Den Gewerkschaften steht in Bezug auf die vorgeschriebenen Gewerkschaftsvertreter ein Vorschlagsrecht zu, sie werden jedoch von den Delegierten bzw. den Arbeitnehmern des Unternehmens gewählt (vgl. § 16 MitbestG, § 10d MontanMitbestErgG). Das DrittelbG schreibt weder die Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern noch ein Vorschlagsrecht der Gewerkschaften vor. Die vorgeschriebenen Gewerkschaftsvertreter müssen weder Arbeitnehmer der Gesellschaft sein noch müssen sie zwingend selbst der Gewerkschaft angehören.703 Insbesondere vor und während des Gesetzgebungsverfahrens zum 700 Hierzu EuGH (Große Kammer), Urteil vom 18. Juli 2017, Az.: C-566/15 (Erzberger/TUI AG), ECLI:EU:C:2017:562 = NJW 2017, S. 2603; KG Berlin, Vorlagebeschluss vom 16. Oktober 2015, Az.: 14 W 89/15, NZG 2015, S. 1311. 701 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 6 MontanMitbestG Rn. 8. 702 Hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(1). 703 Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 7 MitbestG Rn. 15; Oetker, in: ErfK ArbR, § 7 MitbestG Rn. 4 m.w. N.; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 7 MitbestG

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

MitbestG war die Anwesenheit betriebsfremder Gewerkschaftsvertreter und ein diesbezügliches Delegationsrecht der Gewerkschaften einer der zentralen Streitpunkte.704 Laut der Regierungsentwurfsbegründung zum MitbestG gehört die Teilnahme von Vertretern der Gewerkschaften als einer überbetrieblichen Organisation der Arbeitnehmer jedoch „zu einer gleichberechtigten und vor allem auch gleichgewichtigen Beteiligung der Anteilseigner und der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Unternehmen“.705 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts trage die Anwesenheit von externen Gewerkschaftsvertretern dazu bei, „auch auf der Arbeitnehmerseite besonders qualifizierte Vertreter zu entsenden“ und einen „Betriebsegoismus“ abzuschwächen bzw. sogar zu verhindern.706 Sie vermöge darüber hinaus, sich „in Fällen, in denen der Widerspruch zwischen kurzfristigen und langfristigen Arbeitnehmerinteressen besonders stark ist, zum Wohl des Unternehmens auszuwirken“.707 Auf der anderen Seite können auch die nicht als Gewerkschaftsvertreter gewählten Arbeitnehmervertreter gewerkschaftsangehörig sein. Gleiches gilt für von der Hauptversammlung gewählte Anteilseignervertreter. Das polnische KommerzG sieht keine verpflichtende Wahl bzw. Entsendung von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsrat vor. Gleichwohl ist es möglich, dass die Arbeitnehmervertreter einer Gewerkschaft – sowohl einer Betriebsgewerkschaft als auch einer überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation708 – angehören und dort bestimmte Funktionen bekleiden. Dies lässt sich im Umkehrschluss aus dem früheren Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 i.V. m. Abs. 4 KommerzG a. F.709 sowie aus der neuen Gesetzesfassung des Art. 19 StaatsVermVerwG710 folgern: Bis zum 31. Dezember 2016 war es in kommerzialisierten Gesellschaften, solange der Staat alleiniger Aktionär war, noch unzulässig, zeitgleich als Aufsichtsratsmitglied und Funktionär einer Betriebsgewerkschaft tätig zu sein. Das Verbot Rn. 27 m.w. N.; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Februar 2017, Az.: 20 W 8/16, ZIP 2017, S. 671 = BeckRS 2017, 105058 (Rn. 37). 704 Hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.d). 705 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17. 706 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 167. 707 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 167, bezugnehmend auf die Erkenntnisse der Biedenkopf-Kommission, Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 107. 708 Zu den Gewerkschaftsstrukturen in Polen siehe unten Kapitel 5, A.I.1.b). 709 Aufgehoben durch Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 710 In der Fassung nach dem Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG vom 1. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 702.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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folgte aus Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 i.V. m. Abs. 4 KommerzG a. F. Den Aufsichtsratsmitgliedern – gleichermaßen den Anteilseignervertretern wie auch den Arbeitnehmervertretern – war gemäß Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F. die Ausübung von Tätigkeiten verboten, die „im Gegensatz zu den Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder stehen oder den Verdacht auf Parteilichkeit oder Eigennutz hervorrufen könnten“.711 Dadurch sollte sichergestellt sein, dass in der Zeit, in der der Staat Alleinaktionär des Unternehmens war, die Aufsichtsratsmitglieder zum Wohle des Unternehmens handelten und nicht korrumpierbar waren.712 Art. 13 Abs. 4 KommerzG a. F. zählte „die Ausübung einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft, die aus einer Wahl herrührt“ 713, ausdrücklich zu jenen unvereinbaren Tätigkeiten.714 Nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 4 KommerzG a. F. war jedoch nur das Amt eines Funktionärs in der Betriebsgewerkschaft nicht vereinbar mit dem Amt des Aufsichtsratsmitglieds, nicht aber eine sonstige bloße Gewerkschaftszugehörigkeit – auch in der Betriebsgewerkschaft – oder eine Gewerkschaftsfunktion außerhalb des Unternehmens. Unzulässig war mithin lediglich eine gleichzeitige Ausübung einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft und der Aufsichtsratsfunktion im selben Unternehmen,715 zulässig hingegen die Ausübung einer Gewerkschaftsfunktion auf einer betriebsübergreifenden Ebene716 sowie auch nur die bloße Mitgliedschaft in der Betriebsgewerkschaft. Als Funktion kam dabei etwa das Amt als Vorstandsvorsitzender, Vorstandsmitglied oder Sekretär der Betriebsgewerkschaft in Betracht.717 Hintergrund der Regelung in Art. 13 Abs. 4 KommerzG war ausweislich der Gesetzesbegründung zum KommerzG die Konfliktsituation im Falle eines Streiks: Verhindert werden sollte die Situation, dass die Betriebsgewerkschaft einen Streik gegen den Vorstand des Unternehmens richtete und ein Funktionär dieser Gewerkschaft, der gleichzeitig Mitglied des Aufsichtsrats wäre, im Rahmen seiner Aufsichtsratsfunktion Macht

711 Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F.: „członkowie rady nadzorczej tej spółki nie moga˛: [. . .] 4) wykonywac´ zaje˛c´, które pozostawałyby w sprzecznos´ci z ich obowia˛zkami albo mogłyby wywołac´ podejrzenie o stronniczos´c´ lub interesownos´c´.“ Übersetzung d. Verf. 712 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 59. 713 Art. 13 Abs. 4 KommerzG a. F.: „Zaje˛ciem, o którym mowa w ust. 1 pkt 4, jest równiez˙ pełnienie funkcji z wyboru w zakładowej organizacji zwia˛zkowej.“ Übersetzung d. Verf. 714 Näher zur Betriebsgewerkschaft unten Kapitel 5, A.I.1.b). 715 So auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 82. 716 Bieniek, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych według ustawy z 30. sierpnia 1996 r. – cze˛s´c´ II, PiZS 7–8/1997, S. 18 (20); Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 59. 717 Kosikowski, in: Kosikowski/S ´ niegucki, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, Art. 13 Rn. 6; vgl. auch Bieniek, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan´stwowych według ustawy z 30. sierpnia 1996 r. – cze˛s´c´ II, PiZS 7– 8/1997, S. 18 (20).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

über den Vorstand ausüben könne.718 Das Gesetz ging daher davon aus, dass Gewerkschaftsvertreter zwar grundsätzlich Aufsichtsratsmitglieder werden konnten, sie aber für die Dauer ihrer Amtszeit die Tätigkeit als Betriebsgewerkschaftsfunktionär stilllegen oder beenden mussten.719 Die Beschränkung des Art. 13 KommerzG a. F. galt jedoch nur für kommerzialisierte Unternehmen mit Alleinaktionärsstellung des Staates und war nicht mehr anwendbar, sobald die Privatisierung des Unternehmens mit der Zurverfügungstellung von Aktien an Dritte eingeleitet wurde.720 Demnach war es für die Arbeitnehmervertreter in teilweise721 privatisierten Unternehmen, die auf Grundlage des Art. 14 KommerzG gewählt wurden, auch möglich, eine Funktion in der Betriebsgewerkschaft innezuhaben. Wratny begründet den Unterschied damit, dass nach eingeleiteter Privatisierung die privaten Investoren in ausreichendem Maße dafür Sorge tragen könnten, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder am Wohl des Unternehmens orientierten, gleichzeitig aber die Interessen der Belegschaft in legitimier Weise durch die Anwesenheit von Gewerkschaftsfunktionären im Aufsichtsrat stärker akzentuiert werden könnten.722 Die Gesetzesbegründung traf indes keine Aussage dazu, warum der Anwendungsbereich des Art. 13 KommerzG a. F. auf Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates beschränkt wurde. Durch Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 ist die Vorschrift des Art. 13 KommerzG a. F. aus dem KommerzG gestrichen worden.723 Stattdessen wurde eine fast wortlautgleiche Regelung im StaatsVermVerwG aufgenommen, welches das Gesetz über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Befugnisse des Staates vom 8. August 1996724 ablöste725 und grundsätzlich auf Handelsgesellschaften mit (Allein-, Mehrheits- und Minderheits-)Beteiligung des Staates sowie sog. „staatliche Rechtspersonen“ („pan´stwowe osoby prawne“) Anwendung findet726. 718 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 10. 719 Vgl. Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 10; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 59. 720 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 59 f. 721 Zur Streitfrage, ob Art. 14 KommerzG auch bei vollständiger Privatisierung weitergilt, ausführlich oben Kapitel 3, B.II.1.c). 722 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 59 f. 723 Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 724 Gesetz über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Befugnisse des Staates vom 8. August 1996, Dz. U. 1996 Nr. 106 Pos. 493 m. sp. Änd. 725 Vgl. Art. 133 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 726 Vgl. hierzu auch Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 1; ausführlich zum

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In Art. 19 StaatsVermVerwG finden sich auch Einschränkungen in Bezug auf Tätigkeiten von Aufsichtsratsmitgliedern. Gemäß Art. 19 Abs. 1 Pkt. 5 StaatsVermVerwG dürfen Aufsichtsratsmitglieder – wie nach dem früheren Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F. – keine Tätigkeiten ausüben, die „im Gegensatz zu den Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder stehen oder den Verdacht auf Parteilichkeit oder Eigennutz hervorrufen könnten“ oder – zusätzlich zum früheren Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F. – „einen Interessenkonflikt begründen könnten“.727 In der ursprünglichen Gesetzesfassung benannte Art. 19 Abs. 4 StaatsVermVerwG urspr. Fassung – in wortlautgetreuer Übernahme des Art. 13 Abs. 4 KommerzG a. F. – „die Ausübung einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft, die aus einer Wahl herrührt“ 728, ausdrücklich als eine dieser unvereinbaren Tätigkeiten. Mit Änderungsgesetz vom 1. März 2018729 wurde Art. 19 Abs. 4 StaatsVermVerwG gestrichen. Dagegen wurde in Art. 22 Abs. 2 lit. d) StaatsVermVerwG, der bestimmte Personen von der Ausübung des Vorstandsamtes ausschließt, eine entsprechende Regelungen beibehalten. In Bezug auf die Überführung der in Art. 13 KommerzG a. F. enthaltenen Beschränkungen in Art. 19 StaatsVermVerwG konnte sich zunächst die Frage stellen, ob die nunmehr in Art. 19 StaatsVermVerwG enthaltenen Vorgaben überhaupt auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gelten sollten. Die Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz730 geht wie selbstverständlich davon aus, dass Art. 19 StaatsVermVerwG auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gelten würde, weswegen eine Änderung von Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG und die Festlegung, dass die in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1, 2 und 4 StaatsVermVerwG genannten Voraussetzungen für Arbeitnehmervertreter nicht gelten würden, für geboten gehalten wurde731. Dies erscheint angesichts der Zielsetzung des StaatsVermVerwG sowie des Wortlauts von Art. 19 StaatsVermVerwG jedoch nicht zweifelsfrei. Nicht überraschend ist es daher, dass in der Praxis eine Unsicherheit darüber entstanden ist, ob denn die in Art. 19 StaatsVermVerwG normierten Voraussetzungen u. a. in Bezug auf die notwendigen Qualifikationen

StaatsVermVerwG Adamus, Spółka z udziałem pan´stwowym a przepisy o zarza˛dzaniu mieniem pan´stwowym, MoP 8/2017, S. 411 (411 ff.). 727 Art. 19 Abs. 1 Pkt. 5 StaatsVermVerwG: „[. . .] nie wykonuje zaje˛c ´ , które pozostawałyby w sprzecznos´ci z jej obowia˛zkami jako członka organu nadzorczego albo mogłyby wywołac´ podejrzenie od stronniczoz´c´ lub interesownos´c´ lub rodzic´ konflikt interesów wobec działalnos´ci spółki.“ Übersetzung d. Verf. 728 Art. 19 Abs. 4 StaatsVermVerwG urspr. Fassung: „Zaje˛ciem, o którym mowa w ust. 1 pkt 5, jest równiez˙ pełnienie funkcji z wyboru w zakładowej organizacji zwia˛zkowej.“ Übersetzung d. Verf. 729 Vgl. Art. 1 Pkt. 2 lit. b) Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG vom 1. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 702. 730 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz). 731 Hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4).

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auch für die von den Belegschaften auf Grundlage des KommerzG zu ernennenden Aufsichtsratsmitglieder gelten sollen.732 Ziel des StaatsVermVerwG war es – wie die Gesetzesbezeichnung nahelegt – Grundsätze für die Ausübung der Rechte des Staates in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung festzulegen.733 In Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG heißt es dementsprechend auch einleitend, dass die zur Ausübung der Rechte aus den dem Staat gehörenden Aktien Berechtigten sowie die staatlichen Rechtspersonen, soweit sie Rechte aus Aktien wahrnehmen, sicherzustellen haben, dass die von ihnen vorgeschlagenen Kandidaten für das Aufsichtsratsmandat bestimmte, im Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG näher bezeichnete Voraussetzungen erfüllen müssen. Ausweislich des Wortlauts sind damit eindeutig nur die vom Staat nominierten Aufsichtsratsmitglieder gemeint. Insofern überraschend wirkt die Regelung des Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG, wonach einzelne Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG für die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder nicht gelten. Eine Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG auf die Arbeitnehmervertreter lässt sich aber wohl aus Art. 19 Abs. 6 StaatsVermVerwG herleiten. Die Norm erklärt, dass das für die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder zuständige Organ die für die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds notwendigen Schritte zu unternehmen hat, wenn das Aufsichtsratsmitglied die in Art. 19 Abs. 1 bis 5 StaatsVermVerwG normierten Voraussetzungen nicht erfüllt. Ihrem allgemein gehaltenen Wortlaut nach findet die Norm auf sämtliche Aufsichtsratsmitglieder – mithin auch auf die Arbeitnehmervertreter – Anwendung, sodass diese bei Nichterfüllung der genannten Voraussetzungen abzuberufen sind. Eine ausdrückliche Regelung, wonach auch die Arbeitnehmervertreter die in Art. 19 Abs. 1 bis 5 StaatsVermVerwG genannten Anforderungen zu erfüllen haben, wäre indes eindeutiger gewesen. Dies insbesondere deshalb, weil ein derartiges Verständnis von Art. 19 Abs. 6 StaatsVermVerwG implizieren würde, dass auch die Aufsichtsratsmitglieder, die von anderen Anteilseignern als dem Staat oder der staatlichen Rechtsperson, d.h. von privaten Investoren, vorgeschlagen oder ggf. nach dem Gruppenwahlverfahren der Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG gewählt werden können734, ebenfalls die in Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG genannten Voraussetzungen erfüllen müssten – was indes angesichts der Zielsetzung des StaatsVermVerwG, Grundsätze für die Ausübung der Rechte des Staates festzulegen, mehr als fragwürdig erscheint und auch von den Gesetzesentwurfsbegründungen zum Staats-

732 Vgl. hierzu etwa http://www.opzz.org.pl/opinie-i-analizy/opinie-i-analizy-opzz/ opinie-opzz/psl-upomina-sie-o-prawa-przedstawicieli-pracownikow-w-radach-nadzor czych; http://www.opzz.org.pl/opinie-i-analizy/opinie-i-analizy-opzz/opinie-opzz/rzadogranicza-partycypacje-pracownicza; jeweils zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 733 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 1 ff. 734 Zu der Möglichkeit einer Gruppenwahl oben Kapitel 3, C.II.2.c)aa).

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VermVerwG735 und zum Änderungsgesetz736 nicht angenommen wurde. Die damaligen Gesetzesentwurfsbegründungen zum StaatsVermVerwG737 und zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG738 erwähnten die Arbeitnehmervertreter im Zusammenhang mit den Anforderungen des Art. 19 StaatsVermVerwG überhaupt nicht, sodass sie nicht nur keinen Aufschluss in Bezug auf die Anwendbarkeit von Art. 19 StaatsVermVerwG auf die Arbeitnehmervertreter gaben, sondern auch die Frage nahelegten, ob Art. 13 KommerzG a. F. nicht lediglich mechanisch in Art. 19 StaatsVermVerwG übertragen wurde, ohne dass die Arbeitnehmervertreter bedacht worden waren. Aus den Ausführungen in der Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz vom 21. Januar 2018739 lässt sich allerdings entnehmen, dass der Gesetzgeber jedenfalls heute von einer Anwendbarkeit des Art. 19 StaatsVermVerwG auf die Arbeitnehmervertreter ausgeht, da er mit der Erweiterung des Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG das ausdrücklich erklärte Ziel verfolgte, die Arbeitnehmervertreter von den Qualifikationsanforderungen des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 StaatsVermVerwG sowie dem Erfordernis eines positiven Urteils des „Rates für Angelegenheiten der Gesellschaften mit Beteiligung des Staates oder staatlicher Rechtspersonen“ 740 i. S. d. Art. 24 Pkt. 1 StaatsVermVerwG auszunehmen.741 Die zum 29. März 2019742 erfolgte Ergänzung des StaatsVermVerwG um Art. 19 Abs. 7 StaatsVermVerwG dürfte an diesem Verständnis von Art. 19 StaatsVermVerwG nichts geändert haben. In diesem ein eingefügten Absatz wurde klargestellt, dass die Verpflichtung der zur Ausübung der Rechte aus den dem Staat gehörenden Aktien Berechtigten sowie die staatlichen Rechtspersonen gemäß Art. 19 Abs. 6 StaatsVermVerwG zur Abberufung eines Kandidaten, der die Anforderungen des Art. 19 StaatsVermVerwG nicht erfüllt, nicht hinsichtlich der735 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 16 ff. 736 Vgl. Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3, die ausdrücklich nur von den Kandidaten des Staates oder der staatlichen Rechtsperson und den Arbeitnehmervertretern spricht. 737 Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz). 738 Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1054 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz). 739 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3. 740 „Rada do spraw spółek z udziałem Skarbu Pan ´stwa i pan´stwowych osób prawnych“, Übersetzung d. Verf. 741 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3; näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 742 Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Dz. U. 2019 Pos. 492.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

jenigen Aufsichtsratsmitglieder gilt, die von einem anderen Subjekt gewählt wurden – womit auch die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder erfasst sein dürften. Wenngleich durch die Gesetzesänderung erneut in Frage gestellt werden könnte, ob denn überhaupt Art. 19 StaatsVermVerwG auch auf die Arbeitnehmervertreter Anwendung finden soll – jedenfalls wenn dies aus Art. 19 Abs. 6 StaatsVermVerwG hergeleitet wird (siehe soeben) –, so scheint jedenfalls hiervon der Gesetzgeber stillschweigend ausgegangen zu sein. Denn in Bezug auf die Änderung des Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG und Erweiterung des Wortlauts auf Landwirte und Fischer stellte die Gesetzesentwurfsbegründung klar, dass die von den Landwirten und Fischern gewählten Aufsichtsratsmitglieder die gleichen Anforderungen zu erfüllen haben sollen wie die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder743, womit die Auffassung bestätigt wird, dass – mit Ausnahme von Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1, 2 und 4 StaatsVermVerwG (vgl. Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG) – auch die Arbeitnehmervertreter die übrigen in Art. 19 StaatsVermVerwG genannten Voraussetzungen (namentlich Art. 19 Abs. 1 Pkt. 3, 5 und 6 StaatsVermVerwG) zu erfüllen haben. Die Regelung des neuen Art. 19 Abs. 7 StaatsVermVerwG ist daher wohl lediglich als Klarstellung dahingehend zu verstehen, dass den zur Ausübung der Rechte aus den dem Staat gehörenden Aktien Berechtigten sowie den staatlichen Rechtspersonen keine Kompetenz bzw. Verpflichtung zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, die von anderen Subjekten gewählt wurden, zukommt. Nichtsdestotrotz ist die Gesetzesentwurfsbegründung hier äußerst knapp und wenig aufschlussreich, zudem hätte sich eine Klarstellung angeboten, ob im Falle der Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 3, 5 und 6 StaatsVermVerwG die Arbeitnehmer eine Pflicht zur Abberufung trifft. Bemerkenswert ist, dass nunmehr aufgrund der neuen Regelung des Art. 19 StaatsVermVerwG die Beschränkungen für die Aufsichtsratsratsmitglieder in allen Gesellschaften mit Beteiligung des Staates (bzw. einer staatlichen Rechtsperson) gelten, auch bei einer Minderheitsbeteiligung. Insofern ist der Anwendungsbereich der Regelung des Art. 19 StaatsVermVerwG weiter als von Art. 13 KommerzG a. F., der nur für die kommerzialisierte Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung des Staates galt. Zu dem mit der Aufhebung von Art. 19 Abs. 4 StaatsVermVerwG urspr. Fassung und dem darin normierten Verbot der gleichzeitigen Funktion in einer Betriebsgewerkschaft verfolgten Zweck enthält die Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz744 jedoch keine Aussage. Allerdings lässt sich vermuten, dass der Gesetzgeber – wie ausdrücklich in Bezug auf die Änderung des Art. 19 743 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze, Sejm-Drucks. Nr. 3053 vom 27. November 2018 (VIII. Kadenz), S. 16. 744 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz).

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Abs. 2 StaatsVermVerwG geäußert745 – auch hierbei Erleichterungen für die Arbeitnehmervertreter im Blick hatte und deswegen die zeitgleiche Funktion in einer Betriebsgewerkschaft fortan nicht generell zu einem Ausschluss des betroffenen Arbeitnehmervertreters vom Aufsichtsratsmandat führen soll. Zwar ist aufgrund der Regelung in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 5 StaatsVermVerwG im Einzelfall zu prüfen, ob ein Arbeitnehmervertreter Tätigkeiten ausübt, die seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied beeinträchtigen, den Verdacht auf Parteilichkeit oder Eigennutz hervorrufen oder einen Interessenkonflikt begründen könnten. Allein die Ausübung einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft ohne zusätzliche Anhaltspunkte dürfte diese Annahme nach der erfolgten Gesetzesänderung allerdings nicht rechtfertigen. Zu bemerken ist, dass die Aufhebung von Art. 19 Abs. 4 StaatsVermVerwG urspr. Fassung nur für kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates eine wesentliche Änderung brachte. Denn eine fehlende Beschränkung der gleichzeitigen Funktion im Aufsichtsrat und in der Betriebsgewerkschaft galt bereits nach der früheren Rechtslage für teilweise privatisierte Gesellschaften, da für diese Art. 13 KommerzG a. F. keine Anwendung fand und somit keine Einschränkungen für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder gegeben waren. Auch wenn aufgrund der erfolgten Gesetzesänderungen die gleichzeitige Ausübung des Aufsichtsrats- und Betriebsgewerkschaftsmandats in kommerzialisierten Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht mehr generell unterbunden ist, so sind die Regelungen des früheren Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4, Abs. 4 KommerzG a. F. und des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 5, Abs. 4 StaatsVermVerwG urspr. Fassung dennoch bemerkenswert für die Zwecke der rechtsvergleichenden Betrachtung. Die genannten Regelungen bewerten die Ausübung einer Gewerkschaftsfunktion im Unternehmen neben dem Amt des Aufsichtsratsmitglieds als potentiellen Interessenkonflikt, der die ordnungsgemäße Ausübung des Aufsichtsratsmandats vereiteln könne. Das deutsche Recht geht hingegen von keiner Unvereinbarkeit des Aufsichtsratsmandats und einer Gewerkschaftstätigkeit aus, auch wenn die personellen Verflechtungen von Seiten der Literatur als Kritikpunkt angebracht werden.746 Von der Frage der Zulässigkeit einer gleichzeitigen Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied und Gewerkschaftsfunktionär oder Gewerkschaftsmitglied zu unterscheiden ist die gesetzlich zwingende Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat. Die im deutschen Recht verpflichtend vorgeschriebene Entsendung von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsrat stieß in der polnischen Literatur

745 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3; näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 746 Näher zu potentiellen Konflikten unten Kapitel 5, A.II.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

auf Ablehnung.747 Befürwortet wurde zwar die Möglichkeit der Wahl von externen Arbeitnehmervertretern durch die Belegschaft, allerdings wurde die gesetzliche Verankerung einer Höchstzahl externer Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat postuliert, um einer Entfremdung der Arbeitnehmervertreter von der Belegschaft entgegenzuwirken.748 Eine solche Begrenzung wurde jedoch weder ins KommerzG noch ins StaatsVermVerwG aufgenommen. Empirische Untersuchungen der polnischen Unternehmenspraxis zeigten, dass abhängig vom gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Unternehmen den Aufsichtsräten oft auch Gewerkschaftsvertreter angehörten.749 Dabei gehörten die Arbeitnehmervertreter regelmäßig der OPZZ oder der NSZZ „Solidarnos´c´ “, teilweise aber auch anderen, auch rein betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen an. In manchen Unternehmen entsprach das Verhältnis dem allgemeinen Verhältnis der Gewerkschaften in den Betrieben.750 In anderen Unternehmen überwogen Vertreter der OPZZ, wogegen die NSZZ „Solidarnos´c´ “ deutlich unterrepräsentiert war, was damit erklärt wird, dass die Basis der NSZZ „Solidarnos´c´ “ vor allem aus Arbeitern bestehe.751 In den im Jahre 2003 vom IPiSS untersuchten Unternehmen nahm keiner der Arbeitnehmervertreter gleichzeitig eine Gewerkschaftsfunktion wahr.752 In einigen der untersuchten Unternehmen hatte das Gesellschaftsstatut die gleichzeitige Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats und einer Gewerkschaftsfunktion verboten, was aber angesichts der für kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates ohnehin bestehenden gesetzlichen Beschränkung des Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4, Abs. 4 KommerzG a. F. im Hinblick auf die Funktion in einer Betriebsgewerkschaft vor allem bei privatisierten Unternehmen eine Rolle gespielt haben dürfte, auch wenn die Zulässigkeit solcher Satzungsbestimmungen zweifelhaft erscheint.753

747

So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163 f. Ebenda. 749 Vgl. die Untersuchungen des IPiSS im Jahr 2001, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 61 f. sowie im Jahr 2003, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. 750 Dies zeigten die Untersuchungen des IPiSS im Jahr 2001, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 62. 751 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. 752 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104; anders im Fall der untersuchten Unternehmen im Jahr 2001, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 61. Allerdings ist unklar, ob es sich bei diesen Unternehmen um kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates handelte, für die Art. 13 KommerzG a. F. galt, oder nicht. 753 Zur Frage, ob eine solche Beschränkung durch Satzungsbestimmung wirksam ist, siehe unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(6). 748

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(3) Ausschluss bestimmter Personengruppen Sowohl das deutsche als auch das polnische Recht sehen in einigen Fällen vor, dass bestimmte Personen generell nicht als Aufsichtsratsmitglieder bzw. nicht als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat fungieren dürfen. Beschränkungen für die Aufsichtsratstätigkeit ergeben sich bereits aus den jeweiligen allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften. So bestimmt etwa § 100 Abs. 1 AktG, dass Mitglied des Aufsichtsrats nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein kann, und schließt in § 100 Abs. 2 AktG sowie in § 105 AktG einige Personengruppen hiervon aus. Die Beschränkungen in § 100 Abs. 2 AktG betreffen Personen, die in bestimmten anderen Handelsgesellschaften ein Aufsichtsrats- oder Vorstands-/Geschäftsführermandat innehaben oder in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft waren. Nach § 105 Abs. 1 AktG kann ein Aufsichtsratsmitglied nicht gleichzeitig auch Vorstandsmitglied, dauerhafter Stellvertreter eines Vorstandsmitglieds, Prokurist oder ein mit Vertretungsmacht für den gesamten Geschäftsbetrieb ausgestatteter Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaft sein. Diese Beschränkungen gelten auch für die Arbeitnehmervertreter sowie die weiteren Aufsichtsratsmitglieder in der Montanindustrie, wie sich aus § 100 Abs. 3 AktG ergibt. Auch nach polnischem Gesellschaftsrecht sind bestimmte Personen von der Ausübung der Aufsichtsratstätigkeit ausgeschlossen. Art. 387 § 1 HGG bestimmt – insofern weiter als § 105 AktG –, dass ein „Vorstandsmitglied, Prokurist, Liquidator, Abteilungs- oder Betriebsleiter sowie ein von der Gesellschaft angestellter Hauptbuchhalter, Rechtsberater oder Anwalt“ nicht gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied sein darf.754 Art. 387 § 2 HGG erweitert dieses Verbot auf alle „Personen, die unmittelbar dem Vorstand oder Liquidator unterstellt sind“.755 Hierunter ist das obere Führungsmanagement zu verstehen, welches organisatorisch und disziplinarisch unmittelbar dem Vorstand untergeordnet ist und auf welches ein Teil der Vorstandskompetenzen in Bezug auf die Unternehmensführung delegiert wird.756 Hintergrund der Regelung ist, dass in dieser Situation eine objektive Beurteilung der Geschäftsführung nicht möglich ist.757 Die Beschränkungen des Art. 387 §§ 1, 2 HGG gelten auch für die nach dem KommerzG gewählten Arbeitnehmervertreter.758 Während mithin das deutsche MitbestG die Anwesenheit 754 Art. 387 § 1 HGG: „Członek zarza˛du, prokurent, likwidator, kierownik oddziału lub zakładu oraz zatrudniony w spółce główny ksie˛gowy, radca prawny lub adwokat nie moz˙e byc´ jednoczes´nie członkiem rady nadzorczej.“ Übersetzung d. Verf. 755 Art. 387 § 2 HGG: „Przepis § 1 stosuje sie˛ równiez do innych osób, które podle˙ gaja˛ bezpos´rednio członkowi zarza˛du albo likwidatorowi.“ Übersetzung d. Verf. 756 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 428. 757 Ebenda. 758 Oberstes Gericht, Urteil vom 6. November 2001, Az.: I PKN 674/00, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 12), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 57 f.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

von leitenden Angestellten ausdrücklich vorsieht (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG), werden in Polen Abteilungs- und Betriebsleiter sowie das obere, dem Vorstand direkt unterstehende Management – mithin Personengruppen, die in jedem Fall den deutschen leitenden Angestellten entsprechen dürften – ausdrücklich von der Aufsichtsratstätigkeit ausgeschlossen. Gleichwohl hat sich in empirischen Untersuchungen gezeigt, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in der Regel leitende Positionen im Unternehmen bekleideten.759 Oft gehörten die Führungskräfte zur mittleren Führungsebene (Abteilungs- und Bereichsleiter) oder sogar zur oberen Führungsebene (Bereichsleiter; Regionenleiter).760 Wratny schlussfolgert hieraus, dass die Belegschaften in den Aufsichtsräten der meisten Unternehmen von Arbeitnehmern vertreten wurden, die zum Führungskader der Unternehmen gehörten.761 Im Hinblick auf die Beschränkungen des Art. 387 §§ 1, 2 HGG – dessen Vorgängerregelung in Art. 378 des Handelsgesetzbuchs von 1934 die gleiche Beschränkung vorsah – ist dieses Untersuchungsergebnis erstaunlich. Art. 387 § 3 HGG verbietet die gleichzeitige Ausübung des Aufsichtsratsmandats in der Gesellschaft und des Vorstandsmandats oder der Funktion eines Liquidators in einer abhängigen Gesellschaft oder Genossenschaft. Damit verbietet Art. 387 § 3 HGG wie § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG die gleichzeitige Ausübung eines Vorstandsmandats in Tochtergesellschaften, die sonstigen Fälle des § 100 Abs. 2 AktG finden im polnischen Aktienrecht dagegen keine Entsprechung. In Deutschland besteht ferner eine Besonderheit im Hinblick auf die in der Montanindustrie im Aufsichtsrat neben den Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern vorgeschriebenen „weiteren Mitglieder“ (vgl. § 4 Abs. 2 MontanMitbestG, § 5 Abs. 3 MontanMitbestErgG). Als „weiteres Mitglied“ kann nicht gewählt werden, wer Vertreter einer Gewerkschaft, Arbeitgebervereinigung oder Spitzenorganisation ist oder mit diesen ein ständiges Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis unterhält bzw. dies innerhalb des letzten Jahres vor seiner Wahl zum Aufsichtsrat der Fall war, in dem Unternehmen als Arbeitnehmer beschäftigt ist, eine Arbeitgeberfunktion darin wahrnimmt oder ein wesentliches wirtschaftliches Interesse an dem Unternehmen hat. Dies gilt auch für das weitere Mitglied auf der Arbeitnehmerbank i. S. d. § 4 Abs. 1 lit. a) MontanMitbestG. Im Hinblick auf die Arbeitnehmervertreter sieht das deutsche Recht keine sonstigen besonderen Beschränkungen vor. Insbesondere verbietet es weder die 759 So die Ergebnisse der Untersuchungen von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (162, 164) sowie von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (183) und des IPiSS im Jahr 2003, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103 f. 760 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103 f. 761 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104.

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gleichzeitige Ausübung eines Betriebsratsmandats – was in der Praxis regelmäßig der Fall ist762 – oder politischer Funktionen. Im polnischen Recht ergab sich bis zum 31. Dezember 2016 ein genereller Ausschluss bestimmter Personengruppen für das Aufsichtsratsmandat neben den Beschränkungen nach dem HGG auch aus Art. 13 KommerzG a. F.763, sofern es sich um eine kommerzialisierte Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung des Staates handelte. Dabei galten die in Art. 13 Abs. 1 KommerzG a. F. aufgelisteten Beschränkungen zum überwiegenden Teil gleichermaßen für Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Die Aufsichtsratsmitglieder durften (i) keine Dienste bzw. Dienstleistungen für die Gesellschaft erbringen (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG), (ii) mit Ausnahme von Aktien, die zum Handel an einem regulierten Markt zugelassen waren, keine Aktien bzw. Anteile an von der kommerzialisierten Gesellschaft gegründeten Unternehmen halten, wobei darunter lediglich 100 %-ige Tochtergesellschaften zu verstehen waren764 (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG), (iii) weder zu den vorgenannten Unternehmen in einem Arbeitsverhältnis stehen noch für diese Dienstleistungen erbringen (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG a. F.), sowie (iv) keine Tätigkeiten ausüben, die im Widerspruch zu ihren Pflichten als Aufsichtsratsmitglied stehen oder den Verdacht auf Parteilichkeit oder Eigennutz hervorrufen konnten (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F.). Die Ausübung eines Aufsichtsratsmandats war hingegen ausdrücklich zugelassen, sofern dies nicht bei Konkurrenzunternehmen erfolgte (vgl. Art. 13 Abs. 2 KommerzG a. F.). Für die Anteilseignervertreter galt zusätzlich, dass sie nicht Arbeitnehmer der kommerzialisierten Gesellschaft sein durften (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG a. F.). Dieses Verbot umfasste die Arbeitnehmervertreter ausdrücklich nicht, vgl. Art. 13 Abs. 3 KommerzG a. F.765 Wie oben766 dargestellt, verbot Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4, Abs. 4 KommerzG a. F. ferner die gleichzeitige Ausübung des Aufsichtsratsmandats und eines Amtes in der Betriebsgewerkschaft. Durch Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 wurde die Vorschrift des Art. 13 KommerzG a. F. aus dem KommerzG gestrichen767 und dafür in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 bis 5, Abs. 2 bis 4 StaatsVermVerwG eine weitestgehend ähnliche Regelung aufgenommen. Damit wurde der Anwendungsbereich der Beschränkungen

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Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 7 MitbestG Rn. 28. In der Fassung vor dem 31. Dezember 2016; aufgehoben zum 1. Januar 2017 aufgrund Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 764 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 13 Rn. 3. 765 Zur Arbeitnehmereigenschaft siehe oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(1). 766 Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 767 Vgl. Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 763

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

auf sämtliche Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung – nicht nur kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates – ausgeweitet. Inhaltlich bestehen nur wenige Unterschiede im Vergleich zum früheren Art. 13 KommerzG a. F. So etwa bezieht sich Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2, 4 StaatsVermVerwG anders als Art. 13 Abs. 1 Pkt. 2 und 3 KommerzG a. F. nicht auf von der Gesellschaft gegründete Unternehmen, sondern auf abhängige Gesellschaften. Weiter als der bisherige Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F. sieht Art. 19 Abs. 1 Pkt. 5 StaatsVermVerwG ferner vor, dass neben den Tätigkeiten, die im Widerspruch zu den Pflichten als Aufsichtsratsmitglied stehen oder den Verdacht auf Parteilichkeit oder Eigennutz hervorrufen können, auch solche Tätigkeiten verboten sind, die einen Interessenkonflikt hervorrufen können. Die Aufsichtsratstätigkeit ist nunmehr anders als in Art. 13 Abs. 2 KommerzG a. F. ohne Einschränkung erlaubt, sodass sie auch bei einem Konkurrenzunternehmen erfolgen könnte (vgl. Art. 19 Abs. 1 Pkt. 4, Abs. 3 StaatsVermVerwG). Wenngleich nicht zweifelsfrei, ist aufgrund der Regelung des Art. 19 Abs. 6 StaatsVermVerwG sowie vor dem Hintergrund der Ausführungen in der Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz vom 1. März 2018768 davon auszugehen, dass die in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 bis 5 StaatsVermVerwG genannten Beschränkungen grundsätzlich sowohl für die vom Staat bzw. der staatlichen Rechtsperson nominierten Vertreter als auch für die Arbeitnehmervertreter gelten sollen.769 Allerdings werden die Arbeitnehmervertreter gemäß Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG von dem in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 und 4 StaatsVermVerwG normierten Verbot eines bestehenden Arbeitsverhältnisses zur kommerzialisierten Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften ausgenommen. Darüber hinaus sieht Art. 19 Abs. 5 StaatsVermVerwG einen Ausschluss bestimmter weiterer Personengruppen vom Aufsichtsratsmandat vor. Ausgeschlossen sind danach Mitarbeiter von Abgeordneten, Senatoren, politischen Organisationen oder Organe von politischen Parteien. Die Regelung entspricht im Wesentlichen dem früheren Art. 15a KommerzG a. F., der ebenfalls zum 1. Januar 2017 gestrichen wurde.770 Anders als Art. 13 KommerzG a. F. hatte sich der frühere Art. 15a KommerzG a. F. ausschließlich auf die vom Staat nominierten Aufsichtsratsmitglieder bezogen. Sofern nunmehr von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 1 bis 5 StaatsVermVerwG (soweit nicht gemäß Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG ausdrücklich ausgenommen) auch für die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder ausgegangen wird, würden die Arbeitnehmervertreter nunmehr – anders als im Fall des früheren Art. 15a KommerzG a. F. – auch den Beschränkungen des Art. 19 Abs. 5 StaatsVermVerwG 768 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3. 769 Hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 770 Vgl. Art. 14 Pkt. 15 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260.

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unterliegen. Weitere Einschränkungen können sich aus Spezialgesetzen ergeben.771 Neu eingefügt durch Änderungsgesetz vom 21. Februar 2019772 wurde Art. 19c StaatsVermVerwG, der für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung eine Beschränkung der zeitgleichen Ausübung des Aufsichtsratsmandats in mehreren Gesellschaften mit staatlicher oder kommunaler Beteiligung, bei denen allein oder gemeinsam bestimmte Beteiligungsschwellen der öffentlichen Hand überschritten werden, vorsieht. (4) Besondere persönliche Anforderungen Im deutschen und polnischen Recht finden sich vereinzelt besondere persönliche Voraussetzungen, die ein Aufsichtsratsmitglied erfüllen muss. Mit Ausnahme des MontanMitbestG wird in allen deutschen Mitbestimmungsgesetzen gefordert, dass die Arbeitnehmer, die als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden, das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 1 MitbestG, § 6 Abs. 2 Satz 1 MontanMitbestErgG, § 4 Abs. 3 Satz 1 DrittelbG). Für die Gewerkschaftsmitglieder gibt es keine solche Regelung in den Mitbestimmungsgesetzen. Allerdings verlangt bereits das AktG für alle Aufsichtsratsmitglieder – d.h. auch die Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaftsvertreter – eine unbeschränkte Geschäftsfähigkeit (vgl. § 100 Abs. 1 AktG). Das polnische HGG fordert ebenfalls die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit der Aufsichtsratsmitglieder (vgl. Art. 18 § 1 HGG). Daneben führt sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht eine strafrechtliche Verurteilung grundsätzlich zum Ausschluss von der Aufsichtsratstätigkeit. Aufgrund des Verweises auf § 8 Abs. 1 Satz 2 BetrVG (vgl. 7 Abs. 4 Satz 4 MitbestG, § 6 Abs. 2 Satz 4 MontanMitbestErgG, § 4 Abs. 3 Satz 4 DrittelbG) können diejenigen Arbeitnehmer nicht zum Arbeitnehmervertreter gewählt werden, die „infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen“, nicht besitzen. Für die Gewerkschaftsvertreter gilt dies angesichts einer fehlenden Verweisungsnorm auf § 8 Abs. 1 BetrVG allerdings nicht.773 Auch nach polnischem Recht verhindert die strafrechtliche Verurteilung wegen bestimmter Straftatbestände grundsätzlich die Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats (vgl. Art. 18 § 2 HGG). Dies betrifft vor allem Verurteilun771 Vgl. etwa das Gesetz über Beschränkung der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch Personen, die ein öffentliche Funktionen wahrnehmen, vom 21. August 1997, Dz. U. 1997 Nr. 106 Pos. 679; vgl. dazu Boc´ /Guzin´ski/Kocowski, Uczestnictwo pracowników jednoosobowej spółki Skarbu Pan´stwa w radzie nadzorczej, PPH 4/1997, S. 1 (2, 4 ff.). 772 Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Dz. U. 2019 Pos. 492. 773 So ausdrücklich Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 7 MitbestG Rn. 36.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

gen im Zusammenhang mit der Vertraulichkeit von Informationen, Urkundenfälschung, Diebstahl und weiteren Vermögens- und Wirtschaftsdelikten. Allerdings führt die Verurteilung dann nicht mehr zum Ausschluss, wenn fünf Jahre nach Rechtskraft des Urteils, nicht jedoch weniger als drei Jahre nach Vollzug der Strafe, vergangen sind (vgl. Art. 18 § 3 HGG). Art. 18 § 4 HGG räumt dem Verurteilten darüber hinaus die Möglichkeit ein, innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils einen Antrag auf Befreiung von dem Verbot oder Verkürzung der Verbotsdauer zu stellen. Als weitere persönliche Wählbarkeitsvoraussetzung kann im deutschen Recht ferner die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG geforderte Eigenschaft als leitender Angestellter von mindestens774 einem Arbeitnehmervertreter angesehen werden.775 Diese Anforderung wird teilweise kritisiert mit dem Argument, dass der leitende Angestellte aufgrund seiner Stellung eher die Interessen der Unternehmensleitung als der Arbeitnehmer vertrete.776 Dadurch sei die formale Parität im Aufsichtsrat – zusätzlich zum doppelten Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden – verzerrt.777 Die Regierungsentwurfsbegründung zum MitbestG war dagegen davon ausgegangen, dass „[g]erade die leitenden Angestellten [. . .] durch ihre Kenntnisse und Einsichten in die organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Unternehmens die Informations- und Entscheidungsgrundlagen des Aufsichtsrats wesentlich bereichern“ könnten.778 Das KommerzG sieht eine solche Vorgabe zur Anwesenheit von leitenden Angestellten nicht vor. Vielmehr sind Abteilungs- und Betriebsleiter sowie die dem Vorstand unterstehende Leitungsebene – mithin Personengruppen, die den deutschen leitenden Angestellten vergleichbar sind – gemäß Art. 387 §§ 1, 2 HGG ausdrücklich von der Aufsichtsratstätigkeit ausgeschlossen. Empirische Untersuchungen haben gleichwohl gezeigt, dass die gewählten Arbeitnehmervertreter in der Regel höhere Positionen im Unternehmen bekleideten.779 774 Näher hierzu Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 15 MitbestG Rn. 26 ff. Arbeitnehmergruppenintern werden die den leitenden Angestellten und den übrigen Arbeitnehmer zustehenden Sitze nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren verteilt und besetzt, Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 15 MitbestG Rn. 2, 4 m.w. N.; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 15 MitbestG Rn. 27 f. 775 Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 15 MitbestG Rn. 4. 776 So Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 11. 777 Ebenda. 778 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17. 779 So die Ergebnisse der Untersuchungen von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (162, 164) sowie von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (183) und des IPiSS im Jahr 2003, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103 f.; näher hierzu schon oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(3).

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Darüber hinaus finden sich im deutschen Recht vereinzelt weitere Anforderungen, die Aufsichtsratsmitglieder erfüllen müssen. So etwa sieht § 100 Abs. 5 AktG vor, dass bei Gesellschaften, die kapitalmarktorientiert i. S. d. § 264d HGB sind, sowie in bestimmten Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen, mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats sachkundig auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung sein muss und die Aufsichtsratsmitglieder als Gesamtheit über entsprechende Branchenkenntnis verfügen müssen. Eine besondere persönliche Voraussetzung sah das polnische Recht bis vor Kurzem noch für kommerzialisierte Gesellschaften, an denen der Staat zu 100 % beteiligt war, in Art. 12 Abs. 2, 7 KommerzG a. F.780 vor. Danach mussten alle Aufsichtsratsmitglieder, auch die Vertreter der Arbeitnehmer (bzw. Landwirte und Fischer), grundsätzlich eine besondere Eignungsprüfung abgelegt haben. Der genaue Inhalt der Eignungsprüfung sollte gemäß Art. 12 Abs. 7 KommerzG a. F. vom Ministerrat im Wege einer Verordnung bestimmt werden. Darin legte der Ministerrat fest, welche Kriterien die Kandidaten für das Aufsichtsratsmandat (sowohl als Anteilseigner- als auch Arbeitnehmervertreter) erfüllen mussten und bestimmte den Inhalt der Schulungs- und Prüfungsthemen, das Verfahren zur Einberufung der Prüfungskommission sowie der Prüfungsdurchführung und legte auch die Kriterien fest, wann ein Kandidat von der Pflicht zur Prüfung befreit werden konnte (vgl. Art. 12 Abs. 7 Pkt. 2 KommerzG a. F.). Zusätzlich sah Art. 12 Abs. 7 Pkt. 1 KommerzG a. F. vor, dass durch Rechtsverordnung die Organisation der Schulungen für die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder des ersten Aufsichtsrats festgelegt werden sollte. Art. 12 Abs. 2 KommerzG galt gemäß Art. 69a Abs. 2 KommerzG a. F. entsprechend für Gesellschaften, die aufgrund anderer Vorschriften als dem KommerzG entstanden waren und an denen der Staat oder sonstige staatliche Rechtspersonen beteiligt waren. Auch Art. 12 Abs. 2, 7 KommerzG a. F. sowie Art. 69a Abs. 2 KommerzG a. F. wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2017 gestrichen.781 Statt dessen findet sich nunmehr eine deutlich umfassendere und detailliertere Regelung in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 StaatsVermVerwG, der die besonderen persönlichen Voraussetzungen von Kandidaten festlegt, die vom Staat oder der staatlichen Rechtsperson – in Ausübung der ihnen aus den gehaltenen Aktien zustehenden Befugnisse – als Aufsichtsratsmitglied nominiert werden. Der Kandidat muss alternativ einen/eine der im Katalog des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 lit. a) bis k) StaatsVermVerwG genannten Abschlüsse bzw. Prüfungen nachweisen können. Hierzu gehören unter anderem der Doktorgrad im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften oder Naturwissenschaften, der Master of Business Administration (MBA) oder 780

In der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung. Vgl. Art. 14 Pkt. 13 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 781

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

der Certified International Investment Analyst (CIIA) sowie die Zulassung als Rechtsanwalt, Steuerberater, Investmentberater oder Restrukturierungsberater. Ferner sind Kandidaten zugelassen, die aufgrund der früheren Regelung des Art. 12 Abs. 2, 7 KommerzG a. F. eine Eignungsprüfung oder eine nach Art. 21 StaatsVermVerwG vorgesehene Prüfung bestanden haben. In Art. 21 StaatsVermVerwG ist näher festgelegt, welche Bereiche die besondere Eignungsprüfung abdecken muss. Erfasst sind Themengebiete aus der Volkswirtschaft, dem Wirtschafts-, Arbeits- und Kapitalmarktrecht und Europäischen Wirtschaftsrecht sowie Themen aus den Bereichen Management, Finanzen sowie den CorporateGovernance-Grundsätzen in Polen und Europa. Nähere Einzelheiten im Hinblick auf die Eignungsprüfung werden in einer Rechtsverordnung geregelt. Darüber hinaus haben die Kandidaten für den Aufsichtsratsposten eine positive Bewertung des „Rates für Angelegenheiten der Gesellschaften mit Beteiligung des Staates oder staatlicher Rechtspersonen“ 782 i. S. d. Art. 24 Pkt. 1 StaatsVermVerwG vorzuweisen (vgl. Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG). Mit Änderungsgesetz vom 1. März 2018 wurde in Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG ausdrücklich aufgenommen, dass die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder nicht die in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 StaatsVermVerwG genannten Qualifikationsanforderungen erfüllen und über eine positive Bewertung des „Rates für Angelegenheiten der Gesellschaften mit Beteiligung des Staates oder staatlicher Rechtspersonen“ verfügen müssen.783 Ausweislich der Gesetzesentwurfsbegründung soll diese Änderung sicherstellen, dass die Arbeitnehmer Kandidaten benennen können, die zwar diese Voraussetzungen nicht erfüllen, gleichwohl aber über Wissen in Bezug auf das Unternehmen verfügen und das Vertrauen der Belegschaft genießen.784 Damit gelten die Vorgaben des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 StaatsVermVerwG sowie Art. 21 StaatsVermVerwG im Hinblick auf die besondere Eignung bzw. die Eignungsprüfung nicht für die Arbeitnehmervertreter, anders als dies gemäß Art. 12 Abs. 2, 7 KommerzG a. F. der Fall war. Für Gesellschaften von besonderer Bedeutung für die Volkswirtschaft sieht Art. 33 Abs. 2 StaatsVermVerwG zusätzlich zu den Anforderungen nach Art. 19 Abs. 1 bis 3, 5 StaatsVermVerwG vor, dass der Kandidat für das Aufsichtsratsmandat Kenntnisse oder Berufserfahrung im Hinblick auf die Geschäftsführung, Aufsicht über die Geschäftsführung, wirtschaftliche Beratung oder die Spezifika des Marktes, in dem sich die Gesellschaft bewegt, verfügen muss. Die Regelung in Art. 33 StaatsVermVerwG stellt eine Verschärfung gegenüber dem – ebenfalls

782 „Rada do spraw spółek z udziałem Skarbu Pan ´stwa i pan´stwowych osób prawnych“, Übersetzung d. Verf. 783 Zu Frage der Anwendbarkeit des Art. 19 StaatsVermVerwG auf die Arbeitnehmervertreter oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 784 Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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zum 1. Januar 2017 aufgehobenen785 – Art. 1a Abs. 4 Satz 3 KommerzG a. F. dar, der lediglich klarstellte, dass die besondere Eignungsprüfung gemäß Art. 12 Abs. 2 KommerzG a. F. auch von den Kandidaten für den Aufsichtsratsposten in Gesellschaften von besonderer Bedeutung für die Wirtschaft abgelegt werden musste. Zum einen sieht das StaatsVermVerwG nunmehr selbst inhaltliche Vorgaben für die Kandidaten in Art. 19 und Art. 33 vor, zum anderen bezog sich Art. 1a KommerzG a. F. nur auf Gesellschaften, die sich allein in staatlicher Hand befanden (vgl. Art. 1a Abs. 1 KommerzG a. F. sowie Art. 69a Abs. 1 KommerzG a. F.), während das neue Gesetz auch auf Gesellschaften mit einer Minderheitsbeteiligung des Staates Anwendung findet. Obwohl nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, ist sowohl in Deutschland als auch in Polen gemeinhin anerkannt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied gewisse Mindestfähigkeiten und -kenntnisse haben muss, die es ihm ermöglichen, die gewöhnlichen Vorgänge im Unternehmen selbstständig und ohne Hinzuziehung fremder Hilfe verstehen und sachgemäß bewerten zu können.786 Daneben ergeben sich Leitlinien für die besonderen persönlichen Voraussetzungen der Aufsichtsratsmitglieder sowohl in Deutschland als auch in Polen aus dem jeweiligen Corporate-Governance-Regelwerk. Grundsatz 11 des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019 (nachfolgend: „DCGK 2020“ 787) weist darauf hin, dass der Aufsichtsrat so zusammenzusetzen ist, „dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen und die gesetzliche Geschlechterquote eingehalten wird“ (früher: Ziffer 5.4.1. Abs. 1 und Abs. 3 DCGK 2017). Auch das wichtigste polnische Corporate-Governance-Regelwerk, die von der Warschauer Börse erlassenen „Guten Praktiken GPW 2016“ 788, bestimmen in Ziffer II.R.1., dass Aufsichtsratsmitglieder über hohe Qualifikationen und Erfahrungen verfügen sollten. Ferner soll unter den Aufsichtsratsmitgliedern eine Vielfalt unter anderem im Hinblick auf das Geschlecht, die Ausbildung, das Alter und die Berufserfahrung angestrebt werden (vgl. Ziffer II.R.2. Gute Praktiken GPW 2016). Sowohl in Deutschland als auch in Polen sehen die Corporate Governance Kodices die Anwesenheit unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder vor (vgl. Ziffern C.1 und C.6 bis C.12 DCGK 2020 (früher: Ziffer 5.4.2. DCGK 2017), Ziffern II.Z.3. und II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016).789 785 Vgl. Art. 14 Pkt. 3 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 786 Für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 15. November 1982, Az.: II ZR 27/82, NJW 1983, S. 991 (991); für das polnische Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 143 f. 787 Der DCGK 2020 trat mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 20. März 2020 in Kraft und löste damit den bisher geltenden DCGK in der Fassung vom 7. Februar 2017 ab. 788 Näher hierzu unten Kapitel 6, A.II. 789 Hierzu ausführlich unten Kapitel 6, B.I.2.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Empirische Untersuchungen, die in polnischen kommerzialisierten Gesellschaften durchgeführt worden waren, zeigten, dass die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten in der Regel über das Abitur, eine technische Berufsausbildung oder sogar einen – meist technischen – Hochschulabschluss verfügten und im Unternehmen leitende Positionen innehatten, dagegen nur selten Arbeiter als Repräsentanten in den Aufsichtsrat gewählt worden waren.790 Aus diesem Grund wurde in einigen Unternehmen auch eine Überzahl der aus Kreisen der OPZZ im Vergleich zur NSZZ „Solidarnos´c´ “ stammenden Arbeitnehmervertreter festgestellt, da die Basis der NSZZ „Solidarnos´c´ “ größtenteils, teilweise nahezu ausschließlich, aus Arbeitern bestand.791 Im Hinblick auf ihre Ausbildung und Position im Unternehmen wiesen die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten somit kaum Parallelen zu den früheren Belegschaftsräten in den Staatsunternehmen oder gar den noch früheren Arbeiterräten auf.792 Nach Ansicht von Wratny sei dies auf die Einsicht der Belegschaft zurückzuführen, dass ihre Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der den Spielregeln der Privatwirtschaft unterworfenen Unternehmen den Anteilseignervertretern sowohl intellektuell als auch fachlich mindestens auf Augenhöhe begegnen können mussten.793 (5) Frauenquote Durch das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24. April 2015794 wurde in Deutschland die sog. „Frauenquote“ eingeführt. Die Frauenquote wurde dabei an die Börsenzulassung sowie die Mitbestimmung gekoppelt. Für börsennotierte Unternehmen, die der Mitbestimmung nach dem MitbestG, dem MontanMitbestG oder dem MontanMitbestErgG unterliegen, gilt nunmehr eine starre Quote von mindestens 30 % Frauen- und Männeranteil in 790 Vgl. die Ergebnisse der Untersuchungen von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (162, 164) sowie von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (183) und des IPiSS, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103 f. 791 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 86, 104. 792 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. Dem widerspricht scheinbar die Beobachtung von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (180), dessen Untersuchungen zeigten, dass ein Teil der Arbeitnehmervertreter vorher Funktionäre im – aufgrund der Umwandlung aufgelösten – Belegschaftsrat waren, so dass die Umwandlung und Einrichtung eines Aufsichtsrats sowie die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder aus Sicht von Rudolf eine bloße Formalität darstellten. 793 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. 794 Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24. April 2015, BGBl. I S. 642.

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den Aufsichtsräten (vgl. § 96 Abs. 2 AktG). Ist das Unternehmen entweder börsennotiert oder mitbestimmt, so hat der Aufsichtsrat die Pflicht, Zielgrößen für den Anteil der Frauen im Aufsichtsrat und Vorstand sowie eine Umsetzungsfrist hierfür festzulegen, wobei die gesetzten Zielgrößen den jeweils in den Organen bereits bestehenden Frauenanteil nicht unterschreiten dürfen, wenn der Frauenanteil unter 30 % liegt (vgl. § 111 Abs. 5 AktG). Bei börsennotierten mitbestimmten Gesellschaften bezieht sich die vorgenannte Pflicht des Aufsichtsrats allein auf die Festlegung von Zielgrößen für den Vorstand (vgl. § 111 Abs. 5 AktG). Gleichsam besteht für den Vorstand die Pflicht, Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands festzulegen (vgl. § 76 Abs. 4 AktG). Sowohl über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zum Frauenanteil als auch über die gesetzten Ziele und ihre Erreichung bzw. Nichterreichung während des Bezugszeitraums sowie die Gründe für die Nichterreichung ist in der jährlichen Erklärung zur Unternehmensführung zu berichten (vgl. § 289f Abs. 2 Nr. 4, 5 HGB). Die gesetzliche fixe 30 %-Quote ist grundsätzlich für die Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter insgesamt, d.h. vom Aufsichtsrat als Ganzem, zu erfüllen (vgl. § 96 Abs. 2 Satz 2 AktG). Eine getrennte Erfüllung des Mindestanteils ist allerdings dann erforderlich, wenn entweder die Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter der Gesamterfüllung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden vor der Wahl widersprochen haben (vgl. § 96 Abs. 2 Satz 3 AktG). Eine Wahl bzw. Entsendung der Anteilseignervertreter unter Verletzung des Mindestanteilsgebots ist nichtig (vgl. § 96 Abs. 2 Satz 5 AktG). In Bezug auf die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer enthalten die Mitbestimmungsgesetze gesonderte Regelungen für den Fall der Nichterreichung des Mindestanteils (vgl. § 18a MitbestG, §§ 5a, 6 Abs. 6 MontanMitbestG, § 10f MontanMitbestErgG). Das polnische Recht sieht keine Frauenquote für die Besetzung im Aufsichtsrat, Vorstand oder auf weiteren Führungsebenen vor. Das polnische Parlament hat sich Anfang des Jahres 2013 auch entschieden gegen einen Vorschlag der EUKommission bezüglich einer verbindlichen Frauenquote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen ausgesprochen.795 Allerdings heißt es in dem bedeutsamsten polnischen Corporate-Governance-Regelwerk, den Guten Praktiken GPW 2016, dass bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats auch die Vielfalt in Bezug auf das Geschlecht der Aufsichtsratsmitglieder angestrebt werden soll (vgl. Ziffer II.R.2. Gute Praktiken GPW 2016). 795 333 Abgeordnete stimmten gegen den Vorschlag, 60 waren dafür und 35 enthielten sich, vgl. die Nachricht des Nachrichtenmagazins Handelsblatt vom 4. Januar 2013, abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-vorschlag-polenlehnt-frauenquote-in-aufsichtsraeten-ab/7590948.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. zu diesbezüglichen Diskussionen in Polen Jagura, „Kwoty płci na stanowiskach kierowniczych“ – sprawozdanie z mie˛dzynarodowej konferencji naukowej w Sejmie RP, MoP 11/2013, S. 584 (584 ff.).

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(6) Ergänzende Satzungsbestimmungen Ergänzende weitere persönliche Voraussetzungen kann im deutschen Recht die Satzung nach Maßgabe des § 100 Abs. 4 AktG nur für die Anteilseignervertreter sowie die weiteren Mitglieder i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 lit. a) MontanMitbestG fordern.796 Weitere Voraussetzungen können etwa in Bezug auf ein bestimmtes Mindest- oder Höchstalter, die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz, das Geschlecht, die berufliche Qualifikation oder Sachkunde oder unternehmerische Erfahrung und die Aktionärseigenschaft aufgestellt werden.797 Für die Arbeitnehmervertreter und sonstige weitere Mitglieder ist die Aufstellung weiterer Voraussetzungen aufgrund der damit einhergehenden Einschränkung der Wahlfreiheit der Arbeitnehmer durch Satzungsbestimmung unzulässig.798 Das polnische Aktienrecht sieht keine ausdrückliche Vorschrift diesbezüglich vor. Nach allgemeiner Meinung darf die Satzung sowohl weitere positive als auch negative Voraussetzungen für die Aufsichtsratsmitglieder vorsehen, beispielsweise in Bezug auf das Alter, Qualifikationen oder Berufserfahrung.799 Es stellt sich jedoch die Frage, ob derartige Satzungsbestimmungen auch die Arbeitnehmervertreter erfassen dürfen. Zwar könnte einerseits vertreten werden, dass das KommerzG keine abweichende Vorschrift enthält und in Art. 5 Abs. 1 KommerzG auf die allgemeinen Vorschriften – und damit auch die allgemeinen Grundsätze – des HGG verweist. Dagegen spricht jedoch, dass die Aufstellung weiterer Voraussetzungen für die Arbeitnehmervertreter oder gar ein Ausschluss bestimmter, über Art. 13 KommerzG a. F. hinausgehender Personengruppen (etwa von Gewerkschaftsfunktionären in überbetrieblichen oder landesweiten Gewerkschaftsorganisationen) durch Satzung – d.h. letztlich durch einen Beschluss der Aktionäre – das Recht der Arbeitnehmer, ihre Vertreter nach eigenem Belieben auswählen zu können, in unzulässiger Weise beschneiden würde. Auch aus Art. 12 Abs. 3 KommerzG und Art. 13 KommerzG a. F. dürfte sich nichts anderes ergeben. Da Art. 12 Abs. 3 KommerzG ausweislich seines Wortlauts lediglich die nähere Regelung des Verfahrens für die Wahl der Arbeitnehmervertreter durch Satzung zulässt, sich also auf formelle Fragen des Wahlverfahrens bezieht, kann hieraus keine Ermächtigung zur Aufstellung weiterer positiver oder negativer Voraussetzungen für die Arbeitnehmervertreter durch Satzung herausgelesen werden. In Art. 13 KommerzG a. F. hingegen hatte sich der polnische Gesetzgeber explizit dafür entschieden, sowohl für die Anteilseigner- als auch die Arbeit796 Näher hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 100 AktG Rn. 211 f.; Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 100 AktG Rn. 55 ff. 797 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 100 AktG Rn. 58 m.w. N. 798 BGH, Urteil vom 21. Februar 1963, Az.: II ZR 76/62, NJW 1963, S. 905 (906); Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 100 AktG Rn. 56; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 100 AktG Rn. 21; Oetker, in: ErfK ArbR, § 100 AktG Rn. 5. 799 Doman ´ ski/Jagielska, Rada nadzorcza spółki akcyjnej, S. 29 f.; Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 7.

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nehmervertreter bestimmte Personen bzw. Personengruppen vom Aufsichtsratsmandat auszuschließen. Dieser Ausschluss dürfte jedoch im Hinblick auf die Arbeitnehmervertreter als abschließende Regelung verstanden werden, die nicht durch Satzung ergänzt werden kann. Der Wegfall des Art. 13 KommerzG a. F. zum 1. Januar 2017 ändert hieran nichts. Denn ohne diese Regelung verbleibt es erst recht bei dem Grundsatz, dass die Arbeitnehmer ihre Vertreter im Aufsichtsrat autonom wählen dürfen. Dieses Recht würde konterkariert, wenn eine Beschränkung des wählbaren Personenkreises durch eine Entscheidung der Aktionäre möglich wäre. In diese Richtung scheint auch das Oberste Gericht zu tendieren, das in seinem Urteil vom 3. Juni 2015800 festgestellt hat, dass im Fall des Art. 14 Abs. 1 KommerzG die Hauptversammlung aufgrund der Formulierung in Art. 14 Abs. 2 KommerzG verpflichtet sei, einen entsprechenden Beschluss zur Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu fassen und die Abstimmungsfreiheit der Aktionäre in dieser Hinsicht beschränkt sei. Vielmehr müssten sie den Bestellungsbeschluss unabhängig von ihrer eigenen Meinung zu den gewählten Arbeitnehmervertretern und deren Eignung für das Aufsichtsratsmandat fassen, da der Gesetzgeber diese Bewertung gerade den Arbeitnehmern überlassen habe.801 Dem würde es widersprechen, wenn die Aktionäre durch Satzungsbestimmung die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre Vertreter einschränken könnten. Die obige Frage scheint in der polnischen Literatur bislang nicht diskutiert worden zu sein. Allenfalls Nartowski802 deutete an, dass ein genereller Ausschluss jeglicher Gewerkschaftsfunktionäre vom Aufsichtsratsmandat auf Grundlage des KommerzG nicht möglich sein dürfte. Nartowski begrüßte eine von der PKP Cargo S. A. aufgenommene Klausel in der Satzung, wonach es Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats untersagt war, gleichzeitig eine Funktion in der Betriebsgewerkschaft, einer überbetrieblichen Gewerkschaft sowie einer landesweiten Gewerkschaftsorganisation, Föderation oder Konföderation wahrzunehmen. Jedoch wies er gleichzeitig darauf hin, dass die Arbeitnehmerbeteiligung in der PKP Cargo S. A. auf dem KommerzG-PKP fußte, welches die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen der Konzerngesellschaften der PKP S. A. – anders als das KommerzG – der Satzung der Gesellschaft überließ (vgl. Art. 4 Abs. 4 KommerzG-PKP). Im Fall der KGHM Polska Miedz´ S. A., deren verpflichtende Arbeitnehmerbeteiligung sich aus Art. 14 KommerzG ergab, konnte die Hauptversammlung dagegen die ihr unliebsamen Gewerkschaftsver800 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 801 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 802 Nartowski, Zwia˛zkowiec w konflikcie interesów, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 16. Oktober 2015, im Internet abrufbar unter http://www. andrzejnartowski.pl/tag/konflikt-interesow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

treter nicht einfach durch Satzungsänderung ausschließen.803 Gleichwohl ließen sich in der Praxis auch Beispiele finden, dass die Satzung eine gleichzeitige Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats und einer Gewerkschaftsfunktion untersagt hatte.804 e) Amtsperiode und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern Das deutsche Aktienrecht bestimmt in § 102 Abs. 1 AktG, dass die Aufsichtsratsmitglieder „nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt“. Bei der Berechnung wird das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, nicht einbezogen. Damit bestimmt das Gesetz eine Höchstdauer der Amtszeit von ca. fünf Jahren, lässt der Satzung und der Hauptversammlung allerdings einen großen Spielraum bei der konkreten Festlegung der Amtszeit.805 Die Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG, DrittelbG und MontanMitbestErgG werden ebenfalls für die Amtszeit gewählt, die im Gesetz oder in der Satzung für die Anteilseignervertreter vorgesehen ist (vgl. § 15 Abs. 1 MitbestG, § 5 Abs. 1 DrittelbG, § 10c Abs. 1 MontanMitbestErgG). Für die Arbeitnehmervertreter nach dem MontanMitbestG gilt schon aufgrund der Wahl durch die Hauptversammlung die gleiche Amtszeit wie für die Anteilseignervertreter.806 Die Festlegung einer kürzeren Amtsperiode für die Arbeitnehmervertreter als für die Anteilseignervertreter ist unzulässig.807 Durchaus möglich ist es jedoch, dass die gleich lange Amtszeit der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter oder auch einzelner Mitglieder zu verschiedenen Zeitpunkten beginnt und endet, da die jeweiligen Aufsichtsratsmitglieder zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt bestellt werden können.808 Wiederholte Amtsperioden sind möglich, da das AktG insoweit keine Einschränkung vorsieht.

803 Der Streit zwischen den Gewerkschaftsvertretern und dem Staat als Mehrheitsaktionär mündete in den Urteilen des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www. sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 804 So die Beobachtung von Wratny aufgrund der vom IPiSS im Jahr 2003 durchgeführten Untersuchungen, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. Unklar ist jedoch, ob sich die Beobachtung auf Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates, für die ohnehin Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4, Abs. 4 KommerzG a. F. galt, bezog und welche Gewerkschaftsfunktion – auf Betriebsoder betriebsübergreifender Ebene – konkret ausgeschlossen wurde. 805 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 30 Rn. 68. 806 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 30 Rn. 73. 807 Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 15 MitbestG Rn. 5; vgl. auch Wißmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 374 Rn. 87 f. m.w. N. 808 Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 15 MitbestG Rn. 20; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 30 Rn. 72, 74.

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Da das KommerzG selbst keine Amtsperiode für Anteilseignervertreter oder Arbeitnehmervertreter des mitbestimmten Unternehmens festlegt, gelten gemäß Art. 5 Abs. 1 KommerzG für beide Gruppen gleichermaßen die Vorschriften des HGG. Nach polnischem Aktienrecht darf die Amtszeit eines Aufsichtsratsmitglieds – letztlich ähnlich wie im deutschen Recht – nicht länger als fünf Jahre betragen (vgl. Art. 386 § 1 HGG). Die Dauer der Amtszeit soll in der Satzung festgelegt werden809, andernfalls wird von einer 5-jährigen Amtszeit ausgegangen810. Damit wird eine Kompetenz des die Aufsichtsratsmitglieder bestellenden Organs – in der Regel der Hauptversammlung – zur Festlegung der Amtszeit von der polnischen Literatur anders als in Deutschland nicht angenommen.811 Über den Verweis in Art. 386 § 2 HGG gelten für die Aufsichtsratsmitglieder die in Art. 369 HGG vorgesehenen Regelungen für Vorstandsmitglieder entsprechend. Die Amtsperiode endet spätestens am Tag der Hauptversammlung, die den Finanzbericht für das letzte Geschäftsjahr der Amtszeit des Aufsichtsratsmitglieds bestätigt (vgl. Art. 369 § 4 HGG i.V. m. Art. 386 § 2 HGG). Grundsätzlich sind die Amtsperioden der einzelnen Organmitglieder voneinander unabhängig, allerdings kann die Satzung eine gemeinsame Amtszeit aller Organmitglieder festlegen (vgl. Art. 369 § 3 HGG i.V. m. Art. 386 § 2 HGG). Wiederholte Amtsperioden sind möglich, eine Neuwahl darf jedoch nicht früher als ein Jahr vor Ablauf der laufenden Amtsperiode erfolgen (vgl. Art. 369 § 1 HGG i.V. m. Art. 386 § 2 HGG). Eine empirische Untersuchung des IPiSS im Jahr 2003 zeigte, dass in der Regel nach Ablauf der Amtsperiode dieselben Arbeitnehmervertreter wiedergewählt wurden.812 Im Hinblick auf die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern differenziert das deutsche Aktienrecht nicht nur danach, ob das Aufsichtsratsmitglied Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter war, sondern auch danach, ob der Anteilseignervertreter von der Hauptversammlung gewählt oder auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt worden ist. Von der Hauptversammlung gewählte Anteilseignervertreter können mit einer Drei-Viertel-Mehrheit jederzeit von der Hauptversammlung abberufen werden (vgl. § 103 Abs. 1 AktG), entsandte Mitglieder hingegen von dem Entsendungsberechtigten jederzeit und von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit nur in dem Fall, dass die Entsendungsvoraus809 Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 386 Rn. 6; vgl. auch J. Bieniak, in: Bieniak u. a., Kodeks spółek handlowych, Art. 386 Rn. 1; Krysik, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 386 Rn. 2 ff. 810 Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 386 Rn. 6. 811 Vgl. auch Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 369 Rn. 5, der in Bezug auf die Amtszeit des Vorstands ebenfalls davon ausgeht, dass diese in der Satzung festzulegen ist und das den Vorstand bestellende Organ nur dann selbst die Amtszeit festlegen kann, wenn die Satzung dies vorsieht; vgl. hierzu auch Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 369 Rn. 6. 812 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

setzungen nicht mehr vorliegen (vgl. § 103 Abs. 2 AktG). Darüber hinaus kann ein Aufsichtsratsmitglied durch gerichtlichen Beschluss abberufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (vgl. § 103 Abs. 3 AktG). Für die Abberufung von Arbeitnehmervertretern gelten die jeweiligen Regelungen in den einschlägigen Mitbestimmungsgesetzen. Die Abberufung erfolgt danach im Wesentlichen spiegelbildlich zum Wahlverfahren. So ist in vom MontanMitbestG erfassten Unternehmen zwar die Hauptversammlung auch für die Abberufung der Arbeitnehmervertreter zuständig, allerdings ist diese gebunden an einen entsprechenden Vorschlag der Betriebsräte (vgl. § 11 Abs. 2 MontanMitbestG). Dabei kann die Abberufung eines von den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten im Sinne des § 6 Abs. 3 oder 4 MontanMitbestG nur auf Antrag dieser Spitzenorganisation der Hauptversammlung von den Betriebsräten vorgeschlagen werden (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 MontanMitbestG). Das MitbestG sieht vor, dass über die Abberufung entweder unmittelbar alle wahlberechtigten Arbeitnehmer oder die Delegierten entscheiden, je nachdem, ob der Arbeitnehmervertreter im Wege der unmittelbaren Wahl oder der Wahl durch Delegierte in den Aufsichtsrat gewählt wurde (vgl. § 23 Abs. 2, 3 MitbestG). Die Abberufung kann nur auf Antrag erfolgen, dabei bestimmt sich die Berechtigung zur Antragstellung danach, ob es sich bei dem Arbeitnehmervertreter um einen Arbeitnehmer, einen leitenden Angestellten oder ein Gewerkschaftsmitglied handelt (vgl. § 23 Abs. 1 MitbestG). Eine entsprechende Regelung – mit Ausnahme der Regelung betreffend die leitenden Angestellten – sieht auch § 10n MontanMitbestErgG vor. Nach dem DrittelbG sind – spiegelbildlich zur stets unmittelbaren Wahl – die wahlberechtigten Arbeitnehmer für die Abberufung zuständig, allerdings erfolgt die Abberufung auf Antrag entweder des Betriebsrats oder von mindestens einem Fünftel der wahlberechtigten Arbeitnehmer (vgl. § 12 Abs. 1 DrittelbG). Für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern sieht das polnische Aktienrecht gemäß Art. 386 § 2 i.V. m. Art. 370 HGG vor, dass die Abberufung grundsätzlich jederzeit und ohne wichtigen Grund erfolgen kann, sofern nicht die Satzung etwas Abweichendes – etwa die Abberufung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (vgl. Art. 370 § 2 HGG) – vorsieht. Zuständig ist bei Fehlen anderweitiger Satzungsbestimmungen die Hauptversammlung (vgl. Art. 385 §§ 1, 2 HGG). Im Hinblick auf die Abberufung der Arbeitnehmervertreter enthält das KommerzG nur sehr „fragmentarische“ Regelungen.813 Art. 12 Abs. 5 KommerzG trifft eine Sonderregelung für die Zeit, in der der Staat Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist. Danach wird auf schriftlichen Antrag von 15 % aller Arbeitnehmer der Gesellschaft eine Abstimmung über die Abberufung eines Arbeitnehmervertreters durchgeführt. Eine Abberufung der Arbeitnehmervertre813

Opalski, Rada nadzorcza, S. 129.

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ter kann damit ausschließlich auf Antrag der Arbeitnehmer erfolgen.814 Aus dem Wortlaut der Norm lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob die Arbeitnehmervertreter direkt aufgrund des Abstimmungsergebnisses abberufen werden oder erst durch die Hauptversammlung aufgrund des diese bindenden Abstimmungsergebnisses. Die Frage sollte konsequenterweise spiegelbildlich zur Wahl beantwortet werden.815 Sofern die Wahl durch die Arbeitnehmer auch im Rahmen des Art. 12 KommerzG nur als Vorwahl verstanden wird, sodass auch die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer erst durch die Hauptversammlung bestellt werden, wäre davon auszugehen, dass auch eine Abberufung erst durch die Hauptversammlung aufgrund des diese bindenden Abstimmungsergebnisses erfolgt.816 Die Abstimmung erfolgt dabei nach dem für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in der Satzung geregelten Verfahren.817 Ist die Gesellschaft bereits zum Teil privatisiert, so gilt für die Abberufung sowohl der Anteilseigner- als auch der Arbeitnehmervertreter Art. 14 KommerzG. Vorrangig ist demnach die entsprechende Regelung in der Satzung (vgl. Art. 14 Abs. 1 KommerzG). Sieht die Satzung jedoch nichts vor, so stellt sich die Frage, wie die Abberufung der Arbeitnehmervertreter erfolgen kann. Ältere Auffassungen in der Literatur, nach deren Ansicht die Arbeitnehmervertreter durch unmittelbare Wahl der Arbeitnehmer ohne jegliches Zutun der Hauptversammlung ins Aufsichtsratsamt bestellt werden818, gehen konsequenterweise davon aus, dass auch die Abberufung durch die Arbeitnehmer außerhalb der Hauptversammlung erfolgt819. Auf das Verfahren der Abberufung durch die Arbeitnehmer sei Art. 12 Abs. 5 KommerzG entsprechend anzuwenden.820 Inwieweit diese Ansicht jedoch nach dem Urteil des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013821 aufrechterhalten werden kann, ist zu bezweifeln. Sofern man daher mit der Rechtsprechung und jüngeren Literaturansichten davon ausgeht, dass mangels anderweitiger Satzungsbestimmung die Hauptversammlung letztlich für die Bestellung zuständig ist, jedoch – wie von Art. 14 Abs. 2 KommerzG bestimmt – an die (Vor- bzw. Aus-) Wahl durch die Arbeitnehmer gebunden ist822, so müsste für die Abberufung konsequenterweise spiegelbildlich das Gleiche gelten. Dann wäre davon auszuge814 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 79; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 61. 815 Siehe hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 816 A.A. wohl Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 79. 817 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 8. 818 So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 3; Opalski, Rada nadzorcza, S. 129; ebenso wohl Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84. 819 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 129. 820 Opalski, Rada nadzorcza, S. 129. 821 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 822 Siehe hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a).

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hen, dass gemäß Artt. 14 Abs. 1, 5 Abs. 1 KommerzG i.V. m. Art. 385 § 1 HGG bei Fehlen einer anderweitigen Satzungsbestimmung die Hauptversammlung für die Abberufung sowohl der Anteilseignervertreter als auch der Arbeitnehmervertreter zuständig ist. Allerdings sollte Art. 14 Abs. 2 KommerzG, der die Hauptversammlung bei der Wahl an die Wahlvorschläge der Arbeitnehmer bindet, auf den Fall der Abberufung entsprechend angewandt werden823, da ansonsten die Aktionäre eigenständig über die Abberufung der Arbeitnehmervertreter entscheiden dürften. Es erscheint sachgerecht, wenn die Hauptversammlung die Arbeitnehmervertreter nur auf entsprechenden bindenden Vorschlag der Arbeitnehmer abberufen darf, den die Arbeitnehmer außerhalb der Hauptversammlung im Wege einer Abstimmung gefasst haben. Vieles spricht dafür, für diese Abstimmung Art. 12 Abs. 5 KommerzG entsprechend anzuwenden.824 Inwieweit diese Lösung jedoch in der Praxis Anwendung findet, kann nur schwer beurteilt werden, da entsprechende Auseinandersetzungen mit dieser Problematik in der jüngeren polnischen Literatur und Rechtsprechung nicht ersichtlich sind. Möglicherweise liegt dies daran, dass in bereits teilweise privatisierten Gesellschaften wie von Art. 14 Abs. 1 KommerzG vorgesehen regelmäßig die Satzung das Verfahren für die Wahl und Abberufung der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter regelt, sodass auf die gesetzliche Grundregel nicht zurückgegriffen werden muss. Von der polnischen Literatur wird bemängelt, dass das KommerzG keine gerichtliche Möglichkeit vorgesehen hatte, um die Arbeitnehmervertreter auf Antrag von Aktionären, auch lediglich einer Minderheit, oder des Aufsichtsrats sowie der Belegschaft aus wichtigen Gründen abzuberufen.825 Sowohl in Deutschland als auch in Polen sind Änderungen in der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats zum Handelsregister bzw. Unternehmerregister anzumelden und bekanntzumachen (vgl. § 106 AktG, Artt. 318 Pkt. 8, 321 § 1 HGG, Artt. 39 Pkt. 2, 47 Abs. 1 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister826. 3. Auswirkungen der Mitbestimmung auf die innere Ordnung des Aufsichtsrats a) Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender Der deutsche Aufsichtsrat muss stets einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter wählen, die auch zum Handelsregister anzumelden sind (vgl. § 107 Abs. 1 823 So auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 129, der Art. 14 Abs. 2 KommerzG sowohl bei der Wahl als auch bei der Abberufung für anwendbar sieht. 824 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 129, der Art. 12 Abs. 5 KommerzG für die (direkte) Abberufung durch die Arbeitnehmer anwenden will. 825 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 129. 826 Gesetz über das nationale Gerichtsregister vom 20. August 1997, Dz. U. 1997 Nr. 121 Pos. 769.

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AktG). Sonderregeln für die Wahl und die Funktionen des Aufsichtsratsvorsitzenden sowie des Stellvertreters bestehen nach §§ 27, 29 MitbestG. Die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters bedarf im ersten Wahlgang einer Dreiviertelmehrheit aller Aufsichtsratsmitglieder (vgl. § 27 Abs. 1 MitbestG). Wird diese nicht erreicht, so findet ein zweiter Wahlgang statt, in dem die Anteilseignervertreter den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Arbeitnehmervertreter den Stellvertreter jeweils mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen wählen (vgl. § 27 Abs. 2 MitbestG). In der Praxis führt dies dazu, dass in der Regel der Aufsichtsratsvorsitzende aus dem Lager der Anteilseignervertreter und der Stellvertreter aus dem Lager der Arbeitnehmervertreter stammt.827 Dabei ist Letzterer regelmäßig ein unternehmensangehöriger Vertreter, der gleichzeitig auch ein Betriebsratsamt bekleidet; externe Gewerkschaftsvertreter werden nur in ca. einem Drittel aller Gesellschaften zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt.828 Eine Besonderheit des MitbestG ist ferner das dem Aufsichtsratsvorsitzenden eingeräumte doppelte Stimmrecht in Pattsituationen (vgl. § 29 Abs. 2 MitbestG), welches zu einem leichten Übergewicht der Anteilseignerseite führt.829 Dem Stellvertreter steht dieses doppelte Stimmrecht im Falle der Verhinderung des Aufsichtsratsvorsitzenden nach richtiger herrschender Meinung nicht zu.830 Für die übrigen mitbestimmten Unternehmen gelten dagegen die allgemeinen Regelungen des AktG. Beobachtungen haben allerdings gezeigt, dass in montanmitbestimmten Gesellschaften in der Regel ein externer Gewerkschaftsvertreter stellvertretender Vorsitzender ist, was in der besonderen Stellung der Gewerkschaften im MontanMitbestG begründet liege.831 In Polen gelten ebenfalls die aktienrechtlichen Regelungen auch für mitbestimmte kommerzialisierte Unternehmen. Das polnische HGG schreibt die Wahl des Vorsitzenden und seines Stellvertreters – anders als das deutsche Aktiengesetz (vgl. § 107 Abs. 1 AktG) – nicht ausdrücklich vor, jedoch sollte jeder Aufsichtsrat einen Vorsitzenden und Stellvertreter haben, um seine gesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen zu können.832 Anders als nach deutschem Recht kann die Satzung die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters dem Aufsichtsrat selbst, der Hauptversammlung oder sogar einem einzelnen Aktionär (vgl. Artt. 351, 354 § 1, 385 § 2 HGG) überlassen.833 Eine Wahl durch den Aufsichtsrat selbst konnte bislang nur im Rahmen einer Sitzung durch 827 Döring, in: Grobys/Panzer-Heemeier, SWK Arbeitsrecht, Unternehmensmitbestimmung, Rn. 90; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 50 m.w. N. 828 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 50 m.w. N. 829 Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 90, 93. 830 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 107 AktG Rn. 98 m.w. N. 831 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 50 m.w. N. 832 Näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 280. 833 Vgl. auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 281.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

persönliche Stimmabgabe der Mitglieder erfolgen, wobei die Hälfte aller Mitglieder des Aufsichtsrats an der Sitzung teilnehmen und alle Mitglieder ordnungsgemäß geladen sein mussten (vgl. Art. 388 § 4 i.V. m. § 1 HGG a. F.)834, ist nunmehr aber aufgrund der jüngsten Gesetzgebung zur Eindämmung von COVID19835 auch durch andere Formen der Beschlussfassung (Stimmabgabe durch einen Boten, schriftliche und fernmündliche Beschlussfassung) möglich. Die Satzung kann dem Aufsichtsratsvorsitzenden ein doppeltes Stimmrecht in Pattsituationen einräumen (vgl. Art. 391 § 1 Satz 2 HGG). Aufgrund der gesetzlichen Regelungen ist davon auszugehen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende auch in Gesellschaften mit vorgeschriebener Arbeitnehmerbeteiligung in der Regel aus dem Kreis der Anteilseignervertreter hervorgehen wird. Die Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden sind in beiden Ländern vergleichbar. Der Aufsichtsratsvorsitzende beruft die Aufsichtsratssitzungen ein, legt die Tagesordnung fest und leitet die Sitzungen.836 Seine wesentliche Aufgabe besteht ferner darin, die Tätigkeit des Aufsichtsrats zu organisieren, die Arbeit der einzelnen Ausschüsse zu koordinieren, die Rechtmäßigkeit und Ordnungsgemäßheit der Aufsichtsratstätigkeit zu überwachen und für den notwendigen Informationsfluss innerhalb des Aufsichtsrats zu sorgen.837 Darüber hinaus sollte der Aufsichtsratsvorsitzende in ständigem Austausch mit dem Vorstand stehen und dessen Tätigkeit beobachten.838 Eine Vertretungsbefugnis gegenüber dem Vorstand steht ihm jedoch nicht schon kraft Gesetzes zu839, vielmehr kann der Aufsichtsratsvorsitzende grundsätzlich nur zur Durchführung von Aufsichtsratsbeschlüssen gegenüber dem Vorstand durch den Aufsichtsrat ermächtigt werden.840 Üblicherweise repräsentiert der Aufsichtsratsvorsitzende den Aufsichtsrat 834

Ebenda. Vgl. Art. 27 Pkt. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über besondere Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vorbeugung, Eindämmung und Bekämpfung von COVID-19, anderer übertragbarer Krankheiten und dadurch ausgelöster Krisenzustände sowie einiger anderer Gesetze vom 31. März 2020, Dz. U. 2020 Pos. 568 sowie Art. 29 Pkt. 2 des Gesetzes über besondere Unterstützungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Ausbreitung von SARS-CoV-2 vom 16. April 2020, Dz. U. 2020 Pos. 695. 836 Vgl. Oetker, in: ErfK ArbR, § 107 AktG Rn. 5; Opalski, Rada nadzorcza, S. 281 f. 837 Vgl. Oetker, in: ErfK ArbR, § 107 AktG Rn. 5; ausführlich Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 107 AktG Rn. 84 ff., 110 ff.; zum polnischen Recht ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 280, 282 ff. 838 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 107 AktG Rn. 95 f. m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 283. 839 Vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 6. April 1964, Az.: II ZR 75/62, NJW 1964, S. 1367 (1367); BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013, Az.: II ZB 1/11, NZG 2013, S. 792 (794) m.w. N.; Oberstes Gericht, Urteil vom 23. September 2004, Az.: I PK 501/03, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort. S. 10 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Opalski, Rada nadzorcza, S. 484. 840 Vgl. näher hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 21, 100 ff., 103; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 107 AktG 835

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nach außen gegenüber der Öffentlichkeit sowie der Hauptversammlung841, für deren Eröffnung er in Polen per Gesetz (vgl. Art. 409 § 1 HGG) und in Deutschland regelmäßig in der Praxis842 zuständig ist. b) Arbeitsorganisation und Ausschüsse Die innere Organisation des deutschen Aufsichtsrats bestimmt sich vor allem nach der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats, welche dieser mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt.843 Auch in Polen bestimmt die Geschäftsordnung („regulamin“) die Arbeitsweise des Aufsichtsrats, allerdings weist das polnische Aktienrecht die Kompetenz zum Erlass einer Geschäftsordnung grundsätzlich der Hauptversammlung zu, wovon durch Satzung zugunsten des Aufsichtsrats abgewichen werden kann (vgl. Art. 391 § 3 HGG).844 Der Unterschied ist insofern bedeutsam, als eine von der Hauptversammlung beschlossene Geschäftsordnung den Aufsichtsrat stärker bindet, da sie auch nur von der Hauptversammlung geändert werden kann; dagegen kann der Aufsichtsrat eine von ihm selbst erlassene Geschäftsordnung jederzeit entsprechend den Bestimmungen der Satzung oder Geschäftsordnung durch Beschluss abändern.845 Unter den größten, an der Warschauer Wertpapierbörse notierten polnischen Gesellschaften ließ sich aber eine Vielzahl an Satzungen finden, die das Recht zum Erlass der Geschäftsordnung auf den Aufsichtsrat übertrugen.846 Teilweise werden bestimmte Verfahrensfragen bereits in der Satzung geregelt oder dem Satzungsgeber vorbehalten. Als das rangniedrigere Regelwerk muss sich die Geschäftsordnung innerhalb der durch die Satzung festgelegten Grenzen Rn. 143 ff., § 112 AktG Rn. 76, 97 ff., 100 f.; str. ist, ob die reine Kundgabe von Aufsichtsratsbeschlüssen auch ohne ausdrückliche Ermächtigung zulässig ist, vgl. die Nachweise bei Hoffmann-Becking, a. a. O. und Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 107 AktG Rn. 145 ff., § 112 AktG Rn. 94; zum polnischen Recht ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 283, 485 ff. m.w. N. 841 Oetker, in: ErfK ArbR, § 107 AktG Rn. 5; Opalski, Rada nadzorcza, S. 283 f. 842 Wicke, Amtsbeendigung des Hauptversammlungsleiters, NZG 2018, S. 161 (161) m.w. N. 843 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 1, 4. 844 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 449 f.; ferner Doman´ski/Jagielska, Rada nadzorcza spółki akcyjnej, S. 112 und Opalski, Rada nadzorcza, S. 260, die auch auf den Widerspruch zur gesetzlichen Regelung betreffend die Geschäftsordnung des Vorstands hinweisen, wonach grundsätzlich der Vorstand seine Geschäftsordnung selbst erlässt, sofern die Satzung diese Kompetenz nicht der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat zuweist (vgl. Art. 371 § 6 HGG). 845 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 448 f.; a. A. Opalski, Rada nadzorcza, S. 258 f., 319, der davon ausgeht, dass die vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsordnung dessen einfachen Beschlüssen gleichkommt und nur den Aufsichtsratsvorsitzenden bindet, hingegen der Aufsichtsrat jederzeit ad hoc entscheiden kann, eine Angelegenheit abweichend von der Geschäftsordnung zu regeln. 846 Opalski, Rada nadzorcza, S. 261.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

halten, auch bei mitbestimmten Gesellschaften.847 Der Satzung ausdrücklich vorbehalten ist sowohl in Deutschland als auch in Polen etwa die Regelung der Beschlussfähigkeit (vgl. § 108 Abs. 2 AktG, Art. 388 § 1 HGG) und Beschlussmehrheit848 (vgl. Art. 391 § 1 HGG) des Aufsichtsrats. In Polen konnte bislang ferner die Möglichkeit der Beschlussfassung auf schriftlichem oder fernmündlichem Wege nur in der Satzung geregelt werden (vgl. Art. 388 § 2, 3 HGG a. F.) – was sich erst jüngst durch die Gesetzgebung zur Eindämmung von COVID-19 geändert hat849 –, während dies nach deutschem Recht bislang auch schon die Geschäftsordnung festlegen konnte (vgl. § 108 Abs. 4 AktG). Insgesamt wird dem deutschen Aufsichtsrat durch § 107 AktG weitgehend selbst die Regelung seiner inneren Ordnung in der Geschäftsordnung überlassen.850 In der polnischen Literatur wurde die hingegen sehr beschränkte Autonomie des Aufsichtsrats stark kritisiert.851 Sowohl das deutsche als auch das polnische Aktienrecht gehen davon aus, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich als Gremium agiert und entscheidet (vgl. § 108 AktG, Artt. 388, 390 § 1 HGG). Anders als das polnische Recht sieht das deutsche Aktiengesetz allerdings die Bildung von Ausschüssen ausdrücklich vor (vgl. § 107 Abs. 3 AktG). Auch Ziffer D.2 Satz 1 DCGK 2020 (früher: Ziffer 5.3.1. des DCGK 2017) empfiehlt ausdrücklich die Errichtung von fachlich qualifizierten Ausschüssen in Abhängigkeit von der Größe des Aufsichtsrats und den Spezifika des Unternehmens. Aufgrund der Regelung in § 107 Abs. 3 AktG wird gemeinhin zwischen vorbereitenden, entscheidenden und überwachenden Ausschüssen unterschieden.852 Während vorbereitende Ausschüsse lediglich die Verhandlungen und Beschlüsse des Aufsichtsrats wie in § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG vorgesehen vorbereiten, werden entscheidenden Ausschüssen bestimmte Angelegenheiten zur Beschlussfassung an Stelle des Aufsichtsratsgremiums übertragen853, was im Umkehrschluss aus § 107 Abs. 3 Satz 7 AktG zulässig ist. Allein die darin genannten Entscheidungen muss nur der Aufsichtsrat als Gremium treffen.854 Überwachende Ausschüsse sollen in der Regel einzelne Bereiche der Geschäftsführung stärker überwachen, gegebenenfalls verfolgen sie auch die Aus-

847 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 2 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Juni 1975, Az.: II ZR 156/73, NJW 1975, S. 1412 (1412) bezogen auf die Schweigepflicht. 848 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 107 AktG Rn. 180. 849 Vgl. hierzu unten Kapitel 3, C.II.3.c). 850 Oetker, in: ErfK ArbR, § 107 AktG Rn. 1 f. 851 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 260 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 449 f. 852 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 32 Rn. 3. 853 Ebenda. 854 Näher hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 32 Rn. 4 ff.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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führung von Aufsichtsratsbeschlüssen durch den Vorstand, wie in § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG vorgesehen.855 Ein Prüfungsausschuss ist gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht obligatorisch, wird aber aufgrund der Empfehlung in Ziffer D.3 DCGK 2020 (früher: Ziffer 5.3.2. DCGK 2017) jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften regelmäßig errichtet werden.856 Wird ein Prüfungsausschuss gebildet, sind für dessen Zusammensetzung neben den gesetzlichen Vorgaben gemäß § 107 Abs. 4 i.V. m. § 100 Abs. 5 AktG für börsennotierte Gesellschaften auch die jetzigen Empfehlungen in Ziffer D.4 DCGK 2020 und Ziffer C.10 DCGK 2020 relevant.857 Durch das ARUG II und eine entsprechenden Ergänzung in § 107 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 AktG ist börsennotierten Gesellschaften ferner ausdrücklich die Bildung eines beschließenden Ausschusses für die Erteilung der notwendigen Zustimmung zu Geschäften mit nahestehenden Personen möglich.858 Die Mitbestimmungsgesetze sehen nur insoweit Sonderregeln vor, als nach § 27 MitbestG eine Pflicht zur Errichtung eines Vermittlungsausschusses besteht, der im Falle der Uneinigkeit bei der Bestellung des Vorstands einen Vorschlag machen soll (vgl. § 31 Abs. 3 AktG). § 27 MitbestG legt auch die Zusammensetzung für den Vermittlungsausschuss fest. Im Falle sonstiger Ausschüsse ist hingegen umstritten, inwieweit eine paritätische Besetzung der Ausschüsse bzw. die Vertretung von mindestens einem Arbeitnehmervertreter in jedem Ausschuss vorgesehen werden muss.859 Der BGH fordert sowohl für die gänzliche Nichtbeteiligung als auch die unterparitätische Beteiligung von Arbeitnehmervertretern an einzelnen Ausschüssen sachliche Gründe.860 Anders als das deutsche Recht sieht das polnische HGG keine ausdrückliche Ermächtigung des Aufsichtsrats vor, Ausschüsse zu bilden und an diese Aufgaben zu delegieren. Die Thematik wird sowohl in der polnischen Rechtsprechung als auch Literatur äußerst kontrovers beurteilt.861 Während die Einrichtung von ständigen Ausschüsse und Komitees, die für den Aufsichtsrat lediglich vorbereitend tätig sind, im Allgemeinen unkritisch gesehen wird862, ist die Möglichkeit der ständigen Wahrnehmung von Kontrollrechten durch Aufsichtsratsausschüsse 855

Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 32 Rn. 3. Oetker, in: ErfK ArbR, § 107 AktG Rn. 8. 857 Näher hierzu Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 107 Rn. 47. 858 Ausführlich hierzu Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 107 Rn. 48 ff. 859 Näher Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 107 AktG Rn. 140 ff. m.w. N. 860 BGH, Urteil vom 17. Mai 1993, Az.: II ZR 89/92, NJW 1993, S. 2307 (2311); vgl. hierzu Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 107 AktG Rn. 140 ff. 861 Ausführlich hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 267 ff. mit umfassenden Nachweisen aus der Rechtsprechung und Literatur. 862 So selbst Opalski, Rada nadzorcza, S. 269 f.; Michalski, Spółka akcyjna, 683 f., die die Delegation von Kontrollrechten auf Ausschüsse ablehnen. 856

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

stark umstritten.863 Teile der polnischen Literatur sehen die rechtliche Grundlage hierfür in Art. 390 § 1 HGG, der das Recht vorsieht, bestimmte Überwachungsaufgaben auf einzelne Aufsichtsratsmitgliedern zwecks selbstständiger Wahrnehmung zu übertragen.864 Danach könnten eingerichtete Ausschüsse so bestimmte Handlungen – wie etwa die Wahrnehmung des Auskunftsrechts gegenüber dem Vorstand und Mitarbeitern oder das Recht zur Einsicht in Unterlagen – eigenständig wahrnehmen, ohne vorher einen Beschluss des Aufsichtsratsgremiums einholen zu müssen, und wären nicht auf lediglich die Sitzungen des Gremiums vorbereitende und beratende Tätigkeiten beschränkt.865 Gegner dieser Ansicht sehen darin einen Verstoß gegen das in Art. 390 HGG normierte Kollegialprinzip und die in Art. 388 HGG niedergelegten Grundsätze der Beschlussfassung.866 Unstrittig ist hingegen, dass es – anders als im deutschen Recht – unzulässig ist, auf Ausschüsse die verbindliche Beschlussfassung anstelle des Aufsichtsratsgremiums zu übertragen.867 In Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2006/43/EG vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen868 besteht seit Juni 2009 für polnische Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel an einem regulierten Markt zugelassen sind, die gesetzliche Pflicht869, ein sog. Audit-Komitee zu errichten (vgl. Art. 128 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Pkt. 9 lit. a) des Gesetzes über Abschlussprüfer870). Das Audit-Komitee wird aus der Mitte der Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. eines anderen Aufsichts- bzw. Kontrollorgans (wie etwa – sofern es sich nicht um eine Aktienge863 Dafür etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 481; ablehnend Opalski, Rada nadzorcza, S. 269 f. 864 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 481; a. A. Opalski, Rada nadzorcza, S. 269 f., der die Errichtung von ständigen Ausschüssen zur Wahrnehmung von Kontrollaufgaben ablehnt. Näher zu Art. 390 § 1 HGG Opalski, Rada nadzorcza, S. 261 ff. 865 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 481 f., der aber auch darauf hinweist, dass einzelne Mitglieder des Ausschusses nur auf Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Ausschusses handeln können. 866 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 261 ff., 264. 867 Opalski, Rada nadzorcza, S. 275; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 482. 868 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, Amtsblatt der Europäischen Union, L 157, 9. Juni 2006, S. 87 ff. 869 Anders als die ebenfalls auf der Europäischen Richtlinie beruhende Vorschrift des § 107 Abs. 3 AktG betreffend den Prüfungsausschuss, die eine Errichtung nur fakultativ vorsieht. 870 Gesetz über Abschlussprüfer, Auditoren und die öffentliche Aufsicht vom 11. Mai 2017, Dz. U. 2017 Pos. 1089. Das Gesetz löste das im Jahr 2009 erlassene Gesetz über Abschlussprüfer, Berechtigte zur Prüfung von Finanzberichten und die öffentliche Aufsicht vom 7. Mai 2009, Dz. U. 2009 Nr. 77 Pos. 649, ab (vgl. zum obligatorischen AuditKomitee die dortigen Regelungen in Artt. 86 ff.).

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sellschaft handelt – der Revisionskommission871) gewählt (vgl. Art. 128 Abs. 1 des Gesetzes über Abschlussprüfer). Die Kompetenz zur Bestimmung der personellen Besetzung des Ausschusses liegt damit ausschließlich beim Aufsichtsrat. Zu den Aufgaben des Komitees gehören insbesondere die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des internen Revisionssystems und des Risikomanagementsystems sowie die Überwachung der Abschlussprüfung und der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers (vgl. Art. 130 Abs. 1 Pkt. 1, 2 des Gesetzes über Abschlussprüfer.872 Ausnahmsweise können die Aufgaben des Audit-Komitees auch dem Aufsichtsrat als Gremium übertragen werden, wenn es sich um eine kleine Kapitalgesellschaft handelt (vgl. Art. 128 Abs. 4 Pkt. 4 des Gesetzes über Abschlussprüfer).873 Die für an der Warschauer Börse notierten Gesellschaften geltenden Guten Praktiken GPW 2016 sehen zwar die Errichtung von Ausschüssen vor, verweisen aber auf Anhang I der Empfehlung der EU-Kommission 2005/162/EG vom 15. Februar 2005874 (vgl. Ziffer II.Z.7. sowie Ziffer II.Z.10.2. Gute Praktiken GPW 2016). Von der polnischen Literatur wurde bereits in Bezug auf die inhaltsgleiche Vorgängerregelung kritisiert, dass die Guten Praktiken keine eigenständige Empfehlung zur Arbeitsorganisation des Aufsichtsrats und der Errichtung von Ausschüssen trafen, sondern sich lediglich auf die Empfehlungen der Kommission bezogen.875 Das KommerzG enthält keine Sonderregelungen in Bezug auf die Arbeitsorganisation und Ausschüsse von Aufsichtsräten. Allerdings können sich Besonderheiten für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung aufgrund von Verordnungen und Hinweisen des zuständigen Ministeriums ergeben.876 So etwa sahen die Hin871

Im Gegensatz zur GmbH ist bei der Aktiengesellschaft die Errichtung einer Revisionskommission unzulässig, vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 37; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 381 Rn. 3. 872 Näher zur Vorgängerregelung Art. 86 Abs. 7 des Gesetzes über Abschlussprüfer aus dem Jahr 2009 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 486 ff. 873 Näher zu den Audit-Komitees Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 381 Rn. 3. 874 Empfehlung der Kommission 2005/162/EG vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 52 vom 25. Februar 2005, S. 51–63. 875 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 491 f. 876 Vgl. die Hinweise des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen zur Arbeit der Aufsichtsräte in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung und Mehrheitsbeteiligung des Staates sowie die Hinweise des Ministeriums für Staatsvermögen für die Aufsichtsratsmitglieder in Gesellschaften mit einer Minderheitsbeteiligung des Staates, die unter https://www.msp.gov.pl/pl/polityka-wlascicielska/wsparcie/zarzadze nia-wskazowki-w/30165,Zarzadzenia-wskazowki-wytyczne.html abrufbar waren, zuletzt aufgerufen am 3. April 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar); vgl. hierzu auch Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (235).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

weise des Ministeriums für Staatsvermögen detaillierte Regelungen beispielsweise zum Ablauf der ersten Aufsichtsratssitzung, der Geschäftsordnung oder der Zusammenarbeit des Aufsichtsrats mit dem Ministerium vor. Diese Hinweise hatten zwar keinen verbindlichen Rechtscharakter und wiesen dem Aufsichtsrat keine über das gesetzliche oder satzungsmäßige Maß hinausgehenden Kompetenzen zu, nahmen jedoch eine Ordnungs- und Musterfunktion wahr.877 c) Aufsichtsratssitzungen, Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung Sowohl das deutsche als auch das polnische Recht sehen eine verbindliche Anzahl von Aufsichtsratssitzungen vor. Nach deutschem Recht muss der Aufsichtsrat gemäß § 110 Abs. 3 Satz 1 AktG zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abhalten, allerdings besteht für nicht börsennotierte Gesellschaften die Möglichkeit, die verbindliche Anzahl der Sitzungen Kalenderhalbjahr durch Aufsichtsratsbeschluss auf eine zu reduzieren (vgl. 110 Abs. 3 Satz 2 AktG). Nach Art. 389 § 3 HGG soll der Aufsichtsrat stets bei Bedarf einberufen werden, allerdings mindestens drei Mal im Geschäftsjahr. Die Einberufung der Aufsichtsratssitzungen obliegt dem Aufsichtsratsvorsitzendem.878 Nach beiden Rechtsordnungen hat der Aufsichtsratsvorsitzende auch auf Verlangen des Vorstands oder einzelner Aufsichtsratsmitglieder eine Sitzung einzuberufen (vgl. § 110 Abs. 1 AktG, Art. 389 § 1 HGG). Tut er dies nicht, steht das Recht zur Einberufung dem Antragssteller selbst zu (vgl. § 110 Abs. 2 AktG, Art. 389 § 2 HGG). Nach wohl überwiegender Ansicht in der polnischen Rechtswissenschaft kann die Satzung aber auch nicht nur das Verlangen auf Einberufung, sondern sogar das Recht zur Einberufung der Aufsichtsratssitzungen selbst – neben dem Vorsitzendem – anderen Personen, etwa dem Vorstandsvorsitzendem, einem Vorstandsmitglied oder einem einzelnen Aktionär zugestehen.879 Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, sollen nach beiden Rechtsordnungen an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse grundsätzlich nicht teilnehmen (vgl. § 109 Abs. 1 AktG).880 Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluss (vgl. § 108 Abs. 1 AktG, Art. 388 HGG). Die Voraussetzungen für die Beschlussfähigkeit können in der Satzung geregelt werden, allerdings sehen sowohl das deutsche als auch das polnische Recht diesbezüglich Mindestvoraussetzungen vor. (i) Nach deutschem Recht müssen in jedem Fall gemäß § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen, so877

Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230

(235). 878

Oetker, in: ErfK ArbR, § 107 AktG Rn. 5; Opalski, Rada nadzorcza, S. 281 f. So u. a. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 461 m.w. N.; a. A. Opalski, Rada nadzorcza, S. 285 f. 880 Für das polnische Recht vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 289 ff. 879

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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dass die Satzung diesbezüglich keine abweichende Regelung treffen kann.881 Bestimmte Mindestanforderungen sehen ferner die Mitbestimmungsgesetze vor. Nach § 10 MontanMitbestG sowie § 11 MontanMitbestErgG ist für die Beschlussfähigkeit erforderlich, dass mindestens die Hälfte der gesetzlich oder durch Satzung insgesamt vorgesehenen Mitglieder des Aufsichtsrats an der Beschlussfassung teilnimmt. Die Regelung ist sowohl nach oben als auch nach unten hin zwingend, sodass die Satzung weder strengere noch schwächere Anforderungen aufstellen darf.882 Die gleiche Regelung trifft § 28 Abs. 1 MitbestG, allerdings heißt es dort „[. . .] nur beschlussfähig, wenn [. . .]“. Unstrittig ist eine Abmilderung der Anforderungen an die Beschlussfähigkeit durch Satzung unzulässig; umstritten ist jedoch, ob die Satzung die gesetzliche Vorgabe verschärfen darf.883 Die – wenngleich bislang nicht höchstrichterliche884 – Rechtsprechung hält verschärfende Satzungsregelungen für zulässig.885 Im Rahmen des DrittelbG gibt es keine Sonderregelung. Eine Einschränkung der Satzungsautonomie ergibt sich ferner aus § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG. Danach steht es der Beschlussfähigkeit „nicht entgegen, daß dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl angehören, auch wenn das für seine Zusammensetzung maßgebende zahlenmäßige Verhältnis nicht gewahrt ist.“ Letzteres bedeutet, dass die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats auch dann gegeben ist, wenn die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht dem gesetzlich vorgeschriebenen Verhältnis von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern entspricht.886 Aufgrund des zwingenden Charakters der Norm kann die Satzung die Beschlussfähigkeit nicht davon abhängig machen kann, dass der Aufsichtsrat entsprechend der gesetzlich oder satzungsgemäß vorgeschriebenen Zahl (d.h. entsprechend seiner „Soll-Stärke“) besetzt ist.887 Nach herrschender Meinung unzulässig wäre es auch, die Beschlussfähigkeit von der Teilnahme ei-

881

Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 60. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 40; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 10 MontanMitbestG Rn. 2. 883 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 40; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 63 sowie Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 28 MitbestG Rn. 8. 884 Der BGH hat die Frage in seinem Urteil vom 25. Februar 1982, Az. II ZR 145/ 80, NJW 1982, S. 1530 (1530), offen gelassen. 885 OLG Hamburg, Beschluss vom 4. April 1984, Az.: 2 W 25/80, OLGZ 1984, S. 307 (312 ff.); LG Frankfurt, Beschluss vom 3. Oktober 1978, Az.: 3/11 T 32/78, NJW 1978, S. 2398 (2399); LG Hamburg, Beschluss vom 29. Juni 1979, Az.: 64 T 3/ 79, NJW 1980, S. 235 (235). 886 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 108 AktG Rn. 104. 887 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 60; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 108 AktG Rn. 104. 882

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

ner bestimmten Person – etwa des Vorsitzenden888 oder Stellvertreters – abhängig zu machen, weil damit unter Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz einem einzelnen oder bestimmten Aufsichtsratsmitgliedern ein Veto-Recht zugestanden werden würde.889 Umstritten ist, ob die Satzung die Teilnahme aller Ist-Mitglieder des Aufsichtsrats an einer Aufsichtsratssitzung für die Beschlussfähigkeit fordern darf.890 Ist die Beschlussfähigkeit weder durch Gesetz noch durch Satzung bestimmt, gilt nach der Auffangregelung des § 108 Abs. 2 Satz 2 AktG, dass der Aufsichtsrat nur beschlussfähig ist, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung insgesamt zu bestehen hat, an der Beschlussfassung teilnimmt. (ii) Nach polnischem Recht ist Mindestvoraussetzung für die Beschlussfähigkeit, von der nicht nach unten hin durch Satzung abgewichen werden darf, dass mindestens die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder an der Aufsichtsratssitzung teilnehmen und alle Mitglieder ordnungsgemäß geladen wurden (vgl. Art. 388 § 1 HGG). Sieht die Satzung eine feste Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern vor, so ist diese Zahl maßgeblich; regelt die Satzung hingegen lediglich eine Mindest- und Höchstzahl, so ist die tatsächliche Mitgliederzahl maßgeblich.891 Allerdings muss sich diese im Rahmen der Satzung bewegen und darf die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzahl von Aufsichtsratsmitgliedern nicht unterschreiten.892 Denn anders als nach deutschem Recht (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG) ist der Aufsichtsrat stets beschlussunfähig, wenn seine tatsächliche Mitgliederzahl das gesetzliche oder satzungsmäßige Mini-

888 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25. Februar 1982, Az: II ZR 145/80, NJW 1982, S. 1530 (1531). 889 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 38 m.w. N.; HoffmannBecking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 60; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 108 AktG Rn. 93 m.w. N.; Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 108 AktG Rn. 12; vgl. aber OLG Hamburg, Beschluss vom 4. April 1984, Az.: 2 W 25/80, OLGZ 1984, S. 307 (315 ff.), wonach eine Satzungsbestimmung, die in einem 16-köpfigen Aufsichtsrat die Teilnahme von 12 Mitgliedern oder von acht Mitgliedern, darunter des Vorsitzenden, für die Beschlussfähigkeit verlangt hat, für zulässig befunden wurde. 890 Dafür Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 60; a. A. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 38; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 108 AktG Rn. 93; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 108 Rn. 15 (a. A. noch 12. Aufl. 2016, § 108 Rn. 15); Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 108 AktG Rn. 80. 891 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 463; dazu, dass die Satzung die Aufsichtsratsgröße nicht selbst konkret festlegen muss siehe oben Kapitel 3, C.II.2. a)bb); a. A. wohl Doman´ski/Jagielska, Rada nadzorcza spółki akcyjnej, S. 119, die stets auf die tatsächliche Mitgliederzahl abstellen wollen. 892 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 463.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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mum unterschreitet (sog. „skład kadłubowy“).893 Auch wird in Art. 388 § 1 Satz 1 HGG die ordnungsgemäße Ladung zur ausdrücklichen Voraussetzung der Beschlussfähigkeit erhoben (wobei auch nach deutschem Recht die fehlende Ladung einen Nichtigkeitsgrund darstellt894). Zulässig ist nach polnischem Recht eine Satzungsbestimmung, wonach für die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats die Anwesenheit aller Aufsichtsratsmitglieder erforderlich wäre (vgl. Art. 388 § 1 Satz 2 HGG).895 Ob die Teilnahme bestimmter Mitglieder für die Beschlussfähigkeit gefordert werden kann, dürfte angesichts des Wortlauts von Art. 388 § 1 Satz 2 HGG, der eine abweichende Satzungsregelung nur hinsichtlich des Quorums erlaubt, zu verneinen sein. Besonderheiten für mitbestimmte Gesellschaften ergeben sich aus dem KommerzG nur in sehr begrenztem Umfang. Allein für den ersten Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft bestimmt Art. 12 Abs. 6 KommerzG, dass die nicht erfolgte Wahl von Arbeitnehmervertretern kein Hindernis dafür darstellt, die Gesellschaft in das Unternehmerregister einzutragen oder wirksame Beschlüsse durch den Aufsichtsrat zu fassen. Die Regelung ist wichtig, weil nach den allgemeinen Grundsätzen des Aktienrechts (vgl. Art. 5 Abs. 1 KommerzG) die Beschlussfähigkeit nur gegeben ist, wenn das gesetzliche Minimum der Aufsichtsratsmitglieder nicht unterschritten wird (siehe oben).896 Da Art. 12 Abs. 1 KommerzG die Aufsichtsratsgröße auf fünf Mitglieder festlegt, es der Hauptversammlung jedoch nicht gestattet ist, an Stelle der fehlenden Arbeitnehmervertreter andere Anteilseignervertreter in den Aufsichtsrat zu wählen897, würde eine Nichterreichung der gesetzlich vorgegeben Zahl aufgrund einer nicht erfolgten Wahl von Arbeitnehmervertretern nach den Grundsätzen des HGG zu einer Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats führen („skład kadłubowy“). Die Regelung in Art. 12 Abs. 6 KommerzG führt indes dazu, dass bei der Bestimmung der Beschlussfähigkeit die fehlenden Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nicht mitgerechnet werden.898 Der Aufsichtsrat kann daher in unvollständiger Besetzung agieren, auch bis zum Ende seiner Amtsperiode.899 Hat die Arbeitnehmer893 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 4; Szuman ´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 46 Rn. 2434. 894 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 110 AktG Rn. 30; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 117. 895 Opalski, Rada nadzorcza, S. 292; ders., in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 388 Rn. 4. 896 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 463. 897 Chrós ´cicki, Komentarz do ustawy o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 60; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 10. 898 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80. 899 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 55; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80 („keine ,Vakanz-Situation‘, die den Aufsichtsrat zahlenmäßig belasten würde“, Übersetzung d. Verf.).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

versammlung von ihrem Recht zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in den ersten Aufsichtsrat keinen Gebrauch gemacht (vgl. Art. 12 Abs. 4 KommerzG), so geht die Zuständigkeit nach Ansicht von Grabowski aber auch nicht auf die Arbeitnehmer des kommerzialisierten Unternehmen während der laufenden Amtsperiode des Aufsichtsrats über, sodass der erste Aufsichtsrat dann bis zum Ende der Amtsperiode unvollständig – aber beschlussfähig – bleibt.900 Art. 12 Abs. 6 KommerzG stellt insoweit klar, dass ein fehlendes Interesse der Arbeitnehmer (oder Landwirte bzw. Fischer) an ihrer Vertretung im Aufsichtsrat dessen Funktionsweise nicht beeinträchtigt.901 Gleiches muss für die auch in den Spezialgesetzen für die Polnische Staatsbahn („PKP“) (vgl. Art. 4 Abs. 3 KommerzG-PKP) und die Polnische Post („Poczta Polska“) (vgl. Art. 2 Abs. 3 KommerzG-Post i.V. m. Art. 12 Abs. 6 KommerzG) enthaltenen entsprechenden Unbeachtlichkeitsregeln gelten. Im Umkehrschluss aus Art. 12 Abs. 6 KommerzG wird geschlussfolgert, dass die folgenden Aufsichtsräte vollständig besetzt sein müssen.902 Die Aufsichtsratssitzungen und Beschlüsse der nächsten Aufsichtsräte seien dagegen unwirksam, wenn die Zusammensetzung des Aufsichtsrats unvollständig ist, d.h. auch nicht den gesetzlichen Vorgaben zur Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat entspricht.903 Folgt man – richtigerweise – dieser Ansicht, so wäre hierin eine Verschärfung zu den Grundsätzen des HGG dergestalt zu sehen, dass nicht nur die tatsächliche Mitgliederzahl des Aufsichtsrats dem gesetzlichen Minimum und den satzungsgemäßen Vorgaben entsprechen muss904, sondern darüber hinaus auch die zwingenden Vorgaben des KommerzG zur Arbeitnehmerbeteiligung eingehalten werden müssen. Ansonsten fehle es an der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats. Für die Form der Beschlussfassung gibt es mehrere Möglichkeiten. Sowohl das deutsche als auch das polnische Recht sehen die Beschlussfassung in der Sitzung als Regelfall, erlauben aber auch anderweitige Abstimmungsmodalitäten (vgl. § 108 AktG, Art. 388 HGG).905 Im polnischen Recht hing die Zulässigkeit einer Stimmabgabe durch einen Boten sowie die schriftliche und fernmündliche

900

Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 55. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80. 902 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 348 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80. 903 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80, der dies allerdings kritisch sieht, da die Wahl von Arbeitnehmervertretern ein Recht und keine Pflicht sein sollte. 904 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 463. 905 Ausführlich hierzu zum deutschen Recht Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 88 ff., 94 ff.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 108 AktG Rn. 34 ff., 135 ff.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 108 AktG Rn. 3 ff.; zum polnischen Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 296 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 463 ff. 901

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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Stimmabgabe außerhalb der Sitzung jedoch noch bis vor Kurzem von einer entsprechenden Satzungsbestimmung und damit Entscheidung des Satzungsgebers bzw. der Hauptversammlung ab (vgl. Art. 388 §§ 2, 3 HGG a. F.), wogegen Ersteres im deutschen Recht bislang schon per Gesetz zulässig war (vgl. § 108 Abs. 3 AktG) und Letzteres auch der Aufsichtsrat selbst in der Geschäftsordnung festlegen konnte (vgl. § 108 Abs. 4 AktG). Zudem können – und konnten auch bisher schon – die Mitglieder des deutschen Aufsichtsrats bei fehlender Regelung im Einzelfall auch selbst durch Verzicht auf einen Widerspruch über die schriftliche oder fernmündliche Beschlussfassung entscheiden (vgl. § 108 Abs. 4 AktG). Damit war das deutsche Recht auch an dieser Stelle von einer stärkeren Autonomie des Aufsichtsrats zur Regelung seiner inneren Ordnung gekennzeichnet. Eine Änderung des polnischen Aktienrecht in dieser Hinsicht brachte jüngst die Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Eindämmung von COVID-19906, durch welche das Regel-Ausnahme-Verhältnis in Art. 388 §§ 2, 3 HGG umgekehrt wurde: Nunmehr sind sowohl die Stimmabgabe durch einen Boten als auch die schriftliche oder fernmündliche Beschlussfassung als Grundsatz per Gesetz zulässig, sofern nicht die Satzung Abweichendes bestimmt (vgl. Art. 388 §§ 11 bis 31 HGG n. F.). Die Mitbestimmungsgesetze führen in beiden Ländern keine Besonderheiten in Bezug auf die Modalitäten der Stimmabgabe ein. Im Hinblick auf die erforderliche Beschlussmehrheit nach dem AktG genügt nach allgemeiner Ansicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern weder das Gesetz noch die Satzung eine qualifizierte Mehrheit vorsehen; eine Enthaltung gilt dabei nicht als abgegebene Stimme.907 Eine stark ausdifferenzierte Regelung der erforderlichen Beschlussmehrheiten sieht das MitbestG vor, wobei es auch vom Grundsatz der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausgeht (vgl. § 29 Abs. 1 MitbestG) und in einzelnen Normen spezielle Mehrheitserfordernisse für bestimmte Angelegenheiten aufstellt (§§ 29 Abs. 2, 27, 31, 32 MitbestG). Von wesentlicher Bedeutung ist auch das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden in Pattsituationen (vgl. § 29 Abs. 2 MitbestG), welches trotz gleicher Mitgliederanzahl von Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern zu einem leichten Übergewicht der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat führt.908 Auch in § 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 8 Abs. 1 Montan-

906 Vgl. Art. 27 Pkt. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über besondere Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vorbeugung, Eindämmung und Bekämpfung von COVID-19, anderer übertragbarer Krankheiten und dadurch ausgelöster Krisenzustände sowie einiger anderer Gesetze vom 31. März 2020, Dz. U. 2020 Pos. 568 sowie Art. 29 Pkt. 2 des Gesetzes über besondere Unterstützungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Ausbreitung von SARS-CoV-2 vom 16. April 2020, Dz. U. 2020 Pos. 695. 907 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 66 m.w. N. 908 Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 90, 93.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

MitbestG und § 5 Abs. 3 MontanMitbestErgG finden sich Sonderregelungen im Hinblick auf die notwendigen Beschlussmehrheiten bei der Bestellung des Arbeitsdirektors sowie der Wahl des neutralen Aufsichtsratsmitglieds. Die in den Mitbestimmungsgesetzen enthaltenen Regelungen sind zwingend und können weder abgemildert noch verschärft werden.909 Das polnische Aktienrecht verlangt für die Beschlussfassung in Art. 391 § 1 Satz 1 HGG im Grundsatz die absolute Mehrheit. Art. 4 § 1 Pkt. 10 HGG definiert die absolute Mehrheit als die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, allerdings zählen hierzu nach Art. 4 § 1 Pkt. 9 HGG nicht nur die Ja- und Nein-Stimmen, sondern auch die Enthaltungen. Die Enthaltung hat in der Praxis damit die Wirkung einer Nein-Stimme.910 Durch Satzungsbestimmung kann von der gesetzlichen Grundregel abgewichen werden (vgl. Art. 391 § 1 Satz 1 Hs. 2 HGG). Zulässig ist sowohl eine Verschärfung (etwa die qualifizierte Mehrheit oder Einstimmigkeit) als auch eine Abmilderung des Mehrheitserfordernisses (etwa einfache Mehrheit).911 Ferner kann durch Satzungsbestimmung einzelnen Mitgliedern ein größeres Stimmgewicht gewährt oder die Zustimmung von bestimmten Aufsichtsratsmitgliedern verlangt werden.912 Das KommerzG sieht keine abweichenden Mehrheitserfordernisse für die Beschlüsse des Aufsichtsrats vor. Art. 12 Abs. 5 KommerzG betrifft den Fall der Abberufung eines Arbeitnehmervertreters durch die Arbeitnehmer der kommerzialisierten Gesellschaft913, wofür ein Antrag von mindestens 15 % aller Arbeitnehmer erforderlich ist. In der polnischen Literatur wird hervorgehoben, dass angesichts der vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung von nur rund einem Drittel die Arbeitnehmervertreter kaum tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungen des Aufsichtsrats nehmen können und daher primär eine Informationsfunktion wahrnehmen.914 4. Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Wahl von Arbeitnehmervertretern Unterbleibt die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, insbesondere der gesetzlich vorgeschriebenen Anzahl von Arbeitnehmervertretern, gänzlich oder teilweise, oder ist die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern fehlerhaft, stellt sich die Frage 909 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 71, 79 m.w. N. 910 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 466. 911 Ebenda. 912 Ebenda. 913 Nach Ansicht von Opalski, Rada nadzorcza, S. 129 ist Art. 12 Abs. 5 KommerzG auch analog bei der bereits privatisierten Gesellschaft anzuwenden; zur Abberufung von Arbeitnehmervertretern siehe oben Kapitel 3, C.II.2.e). 914 So Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4 f.). Zu der Informationsfunktion der Arbeitnehmervertreter siehe unten Kapitel 3, C.II.6.a).

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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nach den damit einhergehenden rechtlichen Konsequenzen. Dies betrifft zum einen etwaige getroffene bzw. unterbliebene Hauptversammlungsbeschlüsse. Zum anderen stellt sich die Frage, welche Konsequenzen eine unterbliebene Wahl von Arbeitnehmervertretern für die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats hat. Das deutsche Recht sieht zunächst als Möglichkeit zur gerichtlichen Klärung der richtigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats das Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG vor. Ein derartiges Verfahren ist in Polen nicht vorgesehen. a) Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit der Wahl Besteht nach einer erfolgten Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung der Verdacht auf eine unrichtige Zusammensetzung des Aufsichtsrats oder eine gesetzeswidrige Bestellung einzelner Aufsichtsratsmitglieder, so kommen im deutschen Recht grundsätzlich die Anfechtungs- und die Nichtigkeitsklage nach §§ 250 ff. AktG als Rechtsschutzmöglichkeiten in Betracht. Die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung kann angefochten werden, wenn sie gegen das Gesetz oder die Satzung verstößt (vgl. § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG). Eine Wahl, die entgegen der mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats erfolgt ist, ist jedoch stets sogar nichtig (vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 5 AktG). Die Wahl von Arbeitnehmervertretern nach dem MontanMitbestG ist auch nichtig, wenn sich die Hauptversammlung nicht an die bindenden Wahlvorschläge der Betriebsräte hält (vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Ihre Anfechtung kann darüber hinaus auch darauf gestützt werden, dass die Wahlvorschläge gesetzeswidrig zustande gekommen sind (vgl. § 251 Abs. 1 AktG). Abgesehen von den weiteren Nichtigkeitsgründen des Hauptversammlungsbeschlusses i. S. v. §§ 241, 250 AktG führen sonstige Gesetzesverstöße in der Regel nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. § 243 Abs. 1 AktG). Die Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses hat zur Folge, dass der Beschluss von Anfang an, d.h. ex tunc, keinerlei rechtliche Wirkungen entfacht.915 Die von der Hauptversammlung gewählte Person ist daher im Fall der Nichtigkeit niemals Mitglied des Aufsichtsrats geworden.916 Ein anfechtbarer Beschluss ist zwar zunächst schwebend wirksam, allerdings wird auch dieser durch rechtskräftiges Anfechtungsurteil für nichtig erklärt (vgl. §§ 248 Abs. 1 Satz 1, 241 Nr. 5 AktG), wobei die Nichtigkeitserklärung ex tunc wirkt.917 Dies gilt

915

Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 42 Rn. 35. BGH, Urteil vom 19. Februar 2013, Az.: II ZR 56/12, NJW 2013, S. 1535 (1537); Schmidt, in: GroßKommAktG, Bd. 7/2, § 250 AktG Rn. 27. 917 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 42 Rn. 29, 74. 916

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

auch im Falle eines Hauptversammlungsbeschlusses über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern.918 Während im Fall der Nichtigkeit eines Beschlusses nach einhelliger Auffassung das Registergericht die Eintragung abzulehnen hat, wird dies im Fall der bloßen Anfechtbarkeit unterschiedlich gesehen.919 Im Fall der Nichtigkeitsklage gegen Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung sind ein Aktionär, der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sowie die in §§ 250 Abs. 2, 251 Abs. 2 AktG genannten Arbeitnehmervertretungsgremien klageberechtigt (vgl. § 250 Abs. 3 AktG), im Fall der Anfechtungsklage die in § 245 Nr. 1, 2 und 4 AktG genannten Personen (vgl. § 251 Abs. 2 Satz 1 AktG). Für die Beanstandung der Wahl von Arbeitnehmervertretern nach dem MitbestG, DrittelbG und MontanMitbestErgG, die nicht durch die Hauptversammlung erfolgt, sehen die Mitbestimmungsgesetze spezielle Vorschriften vor. Eine danach erfolgte Wahl kann angefochten werden im Falle eines Verstoßes gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren, der nicht berichtigt worden ist, es sei denn, der Verstoß konnte keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben (vgl. § 22 MitbestG, § 11 DrittelbG und § 101 MontanMitbestErgG). Wird die rechtswirksame Anfechtung der Wahl vom Arbeitsgericht festgestellt, verlieren die davon betroffenen Arbeitnehmervertreter ihr Aufsichtsratsamt – anders als bei Anfechtung einer Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung – nur mit Wirkung ex nunc.920 Obwohl das MitbestG, DrittelbG und MontanMitbestErgG nur die Anfechtbarkeit der Wahl von Arbeitnehmervertretern regeln, geht die Literatur davon aus, dass auch Wahlen von Arbeitnehmervertretern, die einen Verstoß i. S. d. § 250 Abs. 1 AktG darstellen, unwirksam, d.h. nichtig, sind.921 Zur Anfechtung berechtigt sind neben den in § 22 Abs. 2 MitbestG, § 11 Abs. 2 DrittelbG und § 101 Abs. 2 MontanMitbestErgG genannten Arbeitnehmergruppen und Arbeitnehmervertretungsgremien auch das zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ des Unternehmens (vgl. § 22 Abs. 2 Nr. 7 MitbestG, § 11 Abs. 2 Nr. 3 DrittelbG und § 101 Abs. 2 Nr. 4 MontanMitbestErgG), im Fall der Aktiengesellschaft mithin der Vorstand. 918 BGH, Urteil vom 19. Februar 2013, Az.: II ZR 56/12, NJW 2013, S. 1535 (1537); Hüffer/Schäfer, in: MünchKommAktG, Bd. 4, § 248 AktG Rn. 15; Koch, in: MünchKommAktG, Bd. 4, § 252 AktG Rn. 10 m.w. N. 919 Vgl. näher hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 42 Rn. 6 m.w. N.; Schmidt, in: GroßKommAktG, Bd. 7/2, § 243 AktG Rn. 73; vgl. zur Eintragungsfähigkeit bei offensichtlicher Unbegründetheit – insbesondere Rechtsmissbräuchlichkeit – der Anfechtungsklage auch BGH, Beschluss vom 2. Juli 1990, Az.: II ZB 1/90, NJW 1990, S. 2747 (2750). 920 So die h. M., vgl. etwa BAG, Beschluss vom 4. November 2015, Az.: 7 ABR 42/ 13, NZA 2016, S. 559 (562); Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 22 MitbestG Rn. 15 m.w. N.; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 22 MitbestG Rn. 18 m.w. N.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 22 MitbestG Rn. 19 m.w. N. 921 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 101 AktG Rn. 240.

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Sonderregeln gelten für nach Maßgabe des § 101 Abs. 2 AktG entsandte Mitglieder des Aufsichtsrats. Unzulänglichkeiten in diesem Zusammenhang sind mit der Feststellungsklage geltend zu machen, die auf die in § 241 Nr. 1, 2 und 5 AktG sowie § 250 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AktG aufgelisteten Gründe gestützt werden kann.922 Zu den Rechtsfolgen einer nicht gesetzesmäßigen oder nicht satzungsmäßigen Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern trifft das polnische Aktienrecht keine explizite Regelung. Es gelten vielmehr die allgemeinen Regelungen in Bezug auf die Beanstandung von Hauptversammlungs- und Aufsichtsratsbeschlüssen. Hauptversammlungsbeschlüsse können in Polen nach Maßgabe der Art. 422 ff. HGG rechtlich beanstandet werden. Das polnische Recht unterscheidet dabei wie das deutsche zwischen der Anfechtungsklage (Art. 422 HGG) und der Nichtigkeitsklage (Art. 425 HGG). Eine Anfechtungsklage kann gemäß Art. 422 § 1 HGG erhoben werden, wenn der Hauptversammlungsbeschluss gegen die Satzung oder gute Gepflogenheiten („dobre obyczaje“) verstößt, das Unternehmensinteresse verletzt oder einen Aktionär zu schädigen bezweckt. Dagegen kann auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses geklagt werden, wenn der Hauptversammlungsbeschluss gegen das Gesetz verstößt (vgl. Art. 425 § 1 HGG). In beiden Fällen sind dieselben Personengruppen aktivlegitimiert. Gemäß Artt. 422 § 2, 425 § 1 HGG sind dies der Vorstand, Aufsichtsrat sowie die einzelnen Organmitgliedern sowie der Aktionär, der gegen den Beschluss gestimmt hat, der unzulässigerweise nicht zur Hauptversammlung zugelassen wurde oder der aufgrund einer fehlerhaften Einladung oder der fehlenden Bekanntmachung des betroffenen Tagesordnungspunktes nicht anwesend war. Es handelt sich hierbei um eine abschließende Aufzählung, die lediglich durch Sondervorschriften ergänzt wird.923 Einzelne Arbeitnehmer, Arbeitnehmergruppen bzw. -vertreter oder Gewerkschaften gehören damit nicht zu dem klageberechtigten Personenkreis. Insofern stehen diesen Personengruppen keine rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, einen Hauptversammlungsbeschluss zu beanstanden. Gleichwohl hat das Oberste Gericht924 in Polen in einem Fall, in dem die Hauptversammlung die Bestellung des von den Arbeitnehmern gewählten Arbeitnehmervertreters im Rahmen des Art. 14 KommerzG abgelehnt hatte (sog. „Negativbeschluss“ 925), 922

Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 101 AktG Rn. 241. Vgl. hierzu M. Bieniak, in: Bieniak u. a., Kodeks spółek handlowych, Art. 422 Rn. 13; Pabis/Opalski, in: Opalski, Kodeks spółek handlowych, Bd. III B, Art. 422 Rn. 113 ff.; näher Hajos-Iwan´ska, Niewaz˙nos´c´ czynnos´ci prawnych, Kapitel 4 § 3 II 1 (legalis S. 7). 924 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 925 Mit der Zulässigkeit der Beanstandung von sog. Negativbeschlüssen der Hauptversammlung im Zusammenhang mit Art. 14 KommerzG setzt sich der Oberste Gerichts ausführlich in seinem Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, auseinan923

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

festgestellt, dass das von den Arbeitnehmern gewählte – aber noch nicht ins Amt bestellte – Aufsichtsratsmitglied von den in Art. 422 HGG und Art. 425 HGG abschließend vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch machen müsse, wenn es seine Nichtwahl beanstanden wolle. Leider hat sich das Gericht in diesem Zusammenhang jedoch nicht näher mit der Aktivlegitimation nach Artt. 422 Abs. 2, 425 HGG auseinandergesetzt, die aufgrund der noch nicht bestehenden Organstellung durchaus bezweifelt werden könnte.926 Das Gericht führt auch nicht aus, ob die Aktivlegitimation auf anderen Umständen – etwa einer bestehenden Aktionärsstellung – beruhte. Eine Feststellungsklage auf Grundlage des Art. 189 des Zivilprozessgesetzbuchs927 (nachfolgend: „ZPGB“) erachtete das Oberste Gericht dagegen als unstatthaft.928 Der Kläger hatte in den Vorinstanzen eine Klage auf Feststellung seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat gemäß Art. 189 ZPGB erhoben, die allerdings als erfolglos abgewiesen wurde, weil die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat erst mit Beschluss der Hauptversammlung beginne.929 Die Aussage des Obersten Gerichtshof dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass nicht nur die Feststellung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses nicht auf Art. 189 ZPGB gestützt werden kann, sondern auch eine Klage auf Feststellung der Aufsichtsratsmitgliedschaft nach Art. 189 ZPGB – wie vom Kläger in den Vorinstanzen erhoben und von den Gerichten nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abge-

der. Die Konstruktion des „Negativbeschlusses“ wird in der polnischen Literatur kritisch gesehen, vgl. etwa Pabis/Opalski, in: Opalski, Kodeks spółek handlowych, Bd. III B, Art. 422 Rn. 16; Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 425 Pkt. 1. 926 Vergleichbar ist diese Problematik mit der Frage der Aktivlegitimation eines abberufenen Vorstands, der gegen seine Abberufung durch die Hauptversammlung vorgehen möchte. Die Literatur scheint diesbezüglich gespalten, die Rechtsprechung tendiert wohl zur Verneinung der Aktivlegitimation (so etwa das Bezirksgericht Warschau in seinem Urteil vom 18. Mai 2018, Az.: XX GC 109/16, abrufbar unter www.orzecze nia.ms.gov.pl (dort S. 3), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020), vgl. die Ausführungen und Nachweise bei M. Bieniak, in: Bieniak u. a., Kodeks spółek handlowych, Art. 422 Rn. 14, Hajos-Iwan´ska, Niewaz˙nos´c´ czynnos´ci prawnych, Kapitel 4 § 3 II 1 B (legalis S. 10 ff.) sowie die ausführliche Auseinandersetzung bei Pabis/Opalski, in: Opalski, Kodeks spółek handlowych, Bd. III B, Art. 422 Rn. 125 ff. Wenngleich aber der abberufene Vorstand zum Zeitpunkt des Abberufungsbeschlusses noch eine Organstellung innehatte, ist dies beim noch nicht bestellten Aufsichtsratsmitglied gerade nicht der Fall. Zu beachten ist auch, dass die Rechtsprechung eine Aktivlegitimation des Organmitglieds nicht nur im Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung verlangt, vgl. Berufungsgericht Danzig, Urteil vom 6. März 2014, Az.: I ACa 730/13, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 927 Zivilprozessgesetzbuch vom 17. November 1964, Dz. U. 1964 Nr. 43 Pos. 296. 928 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 929 Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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wiesen930 – unzulässig ist. Zulässiges Rechtsschutzmittel dürfte daher nunmehr ausschließlich die Beanstandung des sog. „Negativbeschlusses“ der Hauptversammlung nach Maßgabe der Artt. 422 ff. HGG sein, die abschließend und in umfassender Hinsicht spezieller im Verhältnis zu Art. 189 ZPGB sind. Im Fall der Beanstandung eines Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 2 KommerzG ist daher der Hauptversammlungsbeschluss grundsätzlich mit der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 425 HGG anzugreifen, da ein Verstoß gegen das Gesetz gerügt wird.931 Allerdings ist es dem von den Arbeitnehmern gewählten, jedoch von der Hauptversammlung nicht bestellten Aufsichtsratskandidaten nach der Rechtsprechung nicht möglich, von der Gesellschaft bzw. ihren Aktionären eine entsprechende Beschlussfassung oder diese ersetzende Erklärung gerichtlich zu verlangen. Dies, obwohl die Rechtsprechung davon ausgeht, dass die Hauptversammlung aufgrund der Formulierung in Art. 14 Abs. 2 KommerzG grundsätzlich verpflichtet ist, einen entsprechenden Beschluss zur Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu fassen und die Abstimmungsfreiheit der Aktionäre in dieser Hinsicht beschränkt ist.932 Eine Klage auf Verpflichtung der Gesellschaft zur Abgabe einer entsprechenden Beschlusses gemäß Art. 64 Zivilgesetzbuch933 sei jedoch nicht möglich, da nur der Vorstand verpflichtet werden könnte, der Beschluss aber von der Hauptversammlung zu fassen ist und dem Vorstand sonst Kompetenzen der Hauptversammlung zugesprochen würden; ferner begründe das nicht mit der Wahl der Arbeitnehmer übereinstimmende Abstimmungsverhalten der Aktionäre ebenfalls keine Verpflichtung des Vorstands zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung.934 Den gewählten Arbeitnehmervertretern ist es somit nicht möglich, auf gerichtlichem Weg ihre Mit-

930 Vgl. das Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 931 Allerdings hatte das Oberste Gericht entschieden, dass im Falle eines Verstoßes gegen das Gesetz auch eine Anfechtungsklage nach Art. 422 HGG zulässig sein kann, wenn der Gesetzesverstoß gleichzeitig als ein Verstoß gegen die „guten Gepflogenheiten“ anzusehen ist, vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/ 14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 8 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 932 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http:// www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; näher hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 933 Zivilgesetzbuch vom 23. April 1964, Dz. U. 1964 Nr. 16 Pos. 93. 934 Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

gliedschaft im Aufsichtsrat zu erzwingen.935 Die Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses führt lediglich dazu, dass die Hauptversammlung erneut über die Bestellung des von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratskandidaten zu beschließen hat.936 Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Artt. 422, 425 HGG dürften den gewählten, aber nicht bestellten Arbeitnehmervertretern sowohl in dem Fall zustehen, dass ihre eigene Bestellung von der Hauptversammlung abgelehnt wurde (sog. „Negativbeschluss“), als auch in dem Fall, dass ein anderes Aufsichtsratsmitglied an ihrer Stelle in den Aufsichtsrat bestellt wurde. Denn in beiden Fällen liegt bei einer bestehenden Verpflichtung der Hauptversammlung zur Bestellung des gewählten Arbeitnehmervertreters – die bei einem entsprechenden Ergebnis der von den Arbeitnehmern durchgeführten Wahl grundsätzlich937 anzunehmen ist – ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 2 KommerzG vor. Wurde jedoch ein anderes Aufsichtsratsmitglied von der Hauptversammlung an Stelle des gewählten Arbeitnehmervertreters in den Aufsichtsrat bestellt und erhebt der Arbeitnehmervertreter Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage, so verhindert allein die Klageerhebung jedoch grundsätzlich nicht die Registereintragung (vgl. Artt. 423 § 1, 425 § 5 HGG).938 Die dem Arbeitnehmervertreter zustehende Möglichkeit der Anfechtung bzw. Feststellung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses, durch den seine Bestellung abgelehnt wurde, oder durch den ein anderes Aufsichtsratsmitglied bestellt wurde, kann jedoch von ausschlaggebender Bedeutung für die Tätigkeit, insbesondere die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats, sein. Da nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts sowohl die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit als auch ein Anfechtungsurteil zwar konstitutive – nicht lediglich deklaratorische – Wirkung hat, die Wirkungen des Hauptversammlungsbeschlusses allerdings ex tunc beseitigt939, fällt die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat mit Wirkung von Anfang an weg. 935 Kritisch hierzu Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 425 Pkt. 1, demzufolge ein gerichtliches Urteil den Beschluss der Hauptversammlung nach Art. 64 Zivilgesetzbuch i.V. m. Art. 1047 ZPGB ersetzen könnte. 936 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 937 Die polnische Literatur verneint eine Bindung der Hauptversammlung, wenn die Wahl der Arbeitnehmervertreter nicht ordnungsgemäß erfolgte, vgl. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. Sachgerecht erscheint auch die Verneinung einer Bindungswirkung bei evidenten Gesetzesverstößen, etwa wenn die Berufung des gewählten Aufsichtsratsmitglieds gegen Art. 387 §§ 1, 2 HGG verstieße. Zu dieser Frage oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 938 Zur Prüfpflicht des Handelsregisters vgl. unten Kapitel 3, C.II.4.c). 939 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 8), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; zum Nichtigkeitsurteil ebenso Oberstes Gericht, Beschluss vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 12), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die Problematik der Rechtswirkungen des 425 HGG ist in der polnischen Literatur und Rechtsprechung äußert umstritten, vgl. hierzu etwa die aus-

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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Werden die Aufsichtsratsmitglieder aufgrund eines anderen, in der Satzung bestimmten Wahlverfahrens (vgl. Art. 385 § 2 HGG, Art. 14 Abs. 1 KommerzG) und nicht durch die Hauptversammlung ins Amt bestellt, etwa aufgrund der Wahl durch einzelne Aktionäre oder bestimmte Interessengruppen, stellt sich die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten hiergegen in Betracht kommen. Da die Artt. 422, 425 HGG nur für Hauptversammlungsbeschlüsse gelten, kommt entweder eine analoge Anwendung der Artt. 422, 425 HGG oder ein Rückgriff auf die allgemeine Feststellungsklage gemäß Art. 189 ZPGB, mit der gesetzeswidrige Rechtshandlungen nach Maßgabe der Art. 2 HGG i.V. m. Art. 58 Zivilgesetzbuch teilweise oder vollständig für unwirksam erklärt werden können940, in Betracht. Angesichts der Möglichkeit einer Feststellungsklage scheint indes für eine analoge Anwendung der Artt. 422 ff. HGG kein Raum.941 b) Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrats Hat ein unwirksam bestelltes Aufsichtsratsmitglied an Beschlüssen des Aufsichtsrats teilgenommen, oder ist der Aufsichtsrat mangels Bestellung von Arbeitnehmervertretern unterbesetzt, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen hieraus für die Aufsichtsratsbeschlüsse erwachsen. Im deutschen Recht führen Beschlüsse des Aufsichtsrats, die gegen das Gesetz oder die Satzung verstoßen, nach Auffassung des Bundesgerichtshofs und weiten Teilen der Instanzgerichte und des Schrifttums, die eine analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG ablehnen, stets zur Nichtigkeit, die mit der Feststellungklage unbefristet gerügt werden kann.942 Dagegen wollen andere Teile der Literatur und der instanzlichen Gerichte vermehrt zwischen der Nichtigkeit und bloßen Anfechtbarkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen differenzieren.943 Nichtig sind jedoch

führliche Darstellung im Beschluss des Obersten Gerichts vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, a. a. O. (dort S. 5 ff.) sowie bei Hajos-Iwan´ska, Niewaz˙nos´c´ czynnos´ci prawnych, Kapitel 4 § 3 II 4 (legalis S. 21 ff.). Die Annahme der konstitutiven und nicht lediglich deklaratorischen Wirkung des Nichtigkeitsurteils durch das Oberste Gericht wurde in der polnischen Literatur heftig kritisiert, vgl. etwa Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 425 Pkt. 1; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 940 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 474. 941 Für die Anwendung der allgemeinen Feststellungsklage nach Art. 189 ZPGB auch Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 643. 942 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Mai 1993, Az.: II ZR 89/92, NJW 1993, S. 2307 (2309); BayObLG, Beschluss vom 28. März 2003, Az.: 3Z BR 199/02, NZG 2003, S. 691 (693 f.); Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 81 m.w. N.; vgl. auch die Nachweise bei Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 113 f. 943 Ausführlich hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 115 ff. m.w. N.; vgl. auch die Nachweise bei Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 81.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

stets Beschlüsse eines nicht beschlussfähigen Aufsichtsrats oder wenn der Inhalt des Beschlusses gegen zwingendes Recht oder die Satzung verstößt.944 Im Fall einer fehlenden oder fehlerhaften Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist im Hinblick auf die Konsequenzen für die Aufsichtsratstätigkeit zu unterscheiden. Wird eine Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern für nichtig erklärt, so sind diese Personen zwar nie wirksam zu Aufsichtsratsmitgliedern bestellt worden.945 Allerdings sind die vom Aufsichtsrat unter Beteiligung dieses Aufsichtsratsmitglieds gefassten Beschlüsse nur dann nichtig, wenn der Aufsichtsrat nur unter Berücksichtigung dieses vermeintlichen Mitglieds beschlussfähig war oder die erforderliche Beschlussmehrheit nur unter dessen Mitwirkung erreicht worden ist.946 Hierbei zu berücksichtigen ist die Regelung des § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG, wonach eine Unterschreitung der gesetzlich oder durch Satzung festgelegten Zahl von Aufsichtsratsratsmitgliedern oder ein Verstoß gegen das Verhältnis zwischen Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseignerseite und der Arbeitnehmerseite nicht per se zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats führt. Nichtig sind jedoch stets Beschlüsse eines Aufsichtsrats, dessen Wahl insgesamt unwirksam war.947 Im Fall der Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung hat auch das Anfechtungsurteil eine ex tunc-Wirkung (vgl. §§ 248 Abs. 1 Satz 1, 241 Nr. 5 AktG).948 Dagegen wirkt eine rechtswirksame Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG, DrittelbG und MontanMitbestErgG (etwa bei Verfahrensverstößen) lediglich ex nunc, sodass die Arbeitnehmervertreter ihr Aufsichtsratsmandat nur mit Wirkung für die Zukunft verlieren.949 Das Anfechtungsurteil hat in diesem Fall keine Auswirkungen auf in der Vergangenheit erfolgte Stimmabgaben oder anderweitige Rechtshand-

944 Hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rn. 116. 945 BGH, Urteil vom 19. Februar 2013, Az.: II ZR 56/12, NJW 2013, S. 1535 (1537); Schmidt, in: GroßKommAktG, Bd. 7/2, § 250 AktG Rn. 27; näher hierzu oben Kapitel 3, C.II.4.a). 946 BGH, Urteil vom 19. Februar 2013, Az.: II ZR 56/12, NJW 2013, S. 1535 (1537); Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 101 AktG Rn. 276; Schmidt, in: GroßKommAktG, Bd. 7/2, § 250 AktG Rn. 31. 947 BGH, Urteil vom 16. Dezember 1953, Az.: II ZR 167/52, NJW 1954, S. 385 (387) (zur GmbH); Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 101 AktG Rn. 276; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 101 Rn. 20; Schmidt, in: GroßKommAktG, Bd. 7/2, § 250 AktG Rn. 31 m.w. N. 948 BGH, Urteil vom 19. Februar 2013, Az.: II ZR 56/12, NJW 2013, S. 1535 (1537); Hüffer/Schäfer, in: MünchKommAktG, Bd. 4, § 248 AktG Rn. 15; Koch, in: MünchKommAktG, Bd. 4, § 252 AktG Rn. 10. 949 So die h. M., vgl. etwa BAG, Beschluss vom 4. November 2015, Az.: 7 ABR 42/ 13, NZA 2016, S. 559 (562); Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 22 MitbestG Rn. 15 m.w. N.; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 22 MitbestG Rn. 18 m.w. N.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 22 MitbestG Rn. 19 m.w. N.

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lungen der Aufsichtsratsmitglieder, etwaige vom Aufsichtsrat gefasste Beschlüsse bleiben daher in jedem Fall wirksam.950 Unterschreitet die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder die zur Beschlussfähigkeit notwendige oder über drei Monate hinaus die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl, so ist eine gerichtliche Ersatzbestellung nach § 104 AktG möglich. Dabei soll das Gericht den Aufsichtsrat so ergänzen, dass das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern hergestellt wird und etwaige Wahlvorschläge berücksichtigen, sofern nicht überwiegende Belange der Gesellschaft oder der Allgemeinheit der Bestellung des Vorgeschlagenen entgegenstehen (vgl. § 104 Abs. 4 AktG). Das polnische Aktienrecht enthält keine Regelung darüber, wie Beschlüsse des Aufsichtsrats beanstandet werden können. Nach herrschender Meinung wird über den Generalverweis in Art. 2 HGG auf diese Fälle Art. 58 des Zivilgesetzbuchs angewendet, sofern die Beschlüsse Rechtshandlungen darstellen – was der Fall ist, wenn sie auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen ausgerichtet sind951 –, sodass die Aufsichtsratsbeschlüsse auf dieser Grundlage teilweise oder vollständig für unwirksam erklärt werden können.952 Die Unwirksamkeit kann im gerichtlichen Klageverfahren mit der Feststellungsklage gemäß Art. 189 ZPGB von jedem geltend gemacht werden, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der durch den Aufsichtsratsbeschluss herbeigeführten Rechtsverhältnisse darlegen kann.953 Artt. 422 ff. HGG finden keine analoge Anwendung.954 Die Unwirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses kann zum einen darauf gestützt werden, dass der Aufsichtsrat schon nicht beschlussfähig war. Dies ist etwa – anders als im deutschen Recht (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG) – der Fall, wenn der Aufsichtsrat nicht vollständig besetzt war, die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder mithin nicht dem gesetzlichen oder satzungsgemäßen Minimum ent-

950

Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 22 MitbestG Rn. 19 m.w. N. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 474. 952 Vgl. Oberstes Gericht, Beschluss vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 24 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 473; Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 689 f. m.w. N.; näher zu dieser Problematik Hajos-Iwan´ska, Niewaz˙nos´c´ czynnos´ci prawnych, Kapitel 4 § 6 (legalis S. 37 ff.) m.w. N. 953 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 474. 954 Oberstes Gericht, Beschluss vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 24 ff., 28 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 473. Die Frage der richtigen Rechtsgrundlage war allerdings umstritten und auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts unterschiedlich gehandhabt worden, vgl. hierzu die Ausführungen des Obersten Gerichts im Beschluss vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, a. a. O. (dort S. 25 ff.) sowie die Nachweise bei Oplustil, a. a. O. 951

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

sprach (sog. „skład kadłubowy“).955 In diesem Fall sind die vom Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse stets unwirksam.956 Wurde etwa ein Hauptversammlungsbeschluss im Hinblick auf die Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds anstelle eines Arbeitnehmervertreters nach Maßgabe des oben Gesagten erfolgreich beanstandet, so ist diese Person kein Aufsichtsratsmitglied, was zu einer Unterschreitung des gesetzlichen oder satzungsgemäßen Minimums führen kann.957 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts hat sowohl die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit als auch ein Anfechtungsurteil zwar konstitutive – nicht lediglich deklaratorische – Wirkung, allerdings werden dadurch die Wirkungen des Hauptversammlungsbeschlusses in beiden Fällen ex tunc beseitigt.958 Damit fällt die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat mit Wirkung von Anfang an weg, womit die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats von Beginn an beeinträchtigt sein kann. Die Unwirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses kann aber auch auf Mängeln bei der Stimmabgabe beruhen.959 Eine abgegebene Stimme ist nach Art. 58 § 1 Zivilgesetzbuch unwirksam, wenn sie entgegen dem geltenden Recht abgegeben wurde. Dies ist auch der Fall, wenn die Stimme von einer Person abgegeben wurde, die kein Aufsichtsratsmitglied ist.960 Allerdings führen Mängel bei der Stimmabgabe bzw. Beschlussfassung – wie im deutschen Recht – nur dann zur Unwirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses, wenn der Beschluss ohne die unwirksam abgegebene Stimme nicht gefasst worden wäre.961 Im Fall einer unvollständigen Besetzung des Aufsichtsrats, mit der die gesetzliche oder satzungsmäßige Mindestzahl von Aufsichtsratsmitgliedern unterschrit-

955 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 4; Szuman ´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 46 Rn. 2434. 956 Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 46 Rn. 2434. 957 Zu beachten ist jedoch, dass dies nicht stets der Fall sein muss. Denn im polnischen Recht kann die Satzung auch nur eine Mindest- und Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder festlegen, so dass im Fall einer Wahl, mit der die Höchstzahl erreicht worden wäre, die Unwirksamkeit der Wahl nicht zur Unterschreitung der Mindestanzahl führt. Zur Größe des Aufsichtsrats siehe oben Kapitel 3, C.II.2.a)bb). 958 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 8), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; zum Nichtigkeitsurteil ebenso Oberstes Gericht, Beschluss vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 12), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; zur heftig umstrittenen Frage der Rechtswirkungen des Art. 425 HGG vgl. etwa Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 425 Pkt. 1 sowie die ausführliche Darstellung des Streitstandes im Beschluss des Obersten Gerichts vom 18. September 2013, Az.: III CZP 13/13, a. a. O. (dort S. 5 ff.) und bei Hajos-Iwan´ska, Niewaz˙nos´c´ czynnos´ci prawnych, Kapitel 4 § 3 II 4 (legalis S. 21 ff.). 959 Opalski, Rada nadzorcza, S. 314. 960 Ebenda. 961 Opalski, Rada nadzorcza, S. 315 m.w. N.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 476; vgl. zur GmbH Berufungsgericht Posen, Urteil vom 4. September 1994, Az.: I ACa 405/97, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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ten wird (sog. „skład kadłubowy“), trifft den Vorstand die Pflicht, diesen Zustand durch Einberufung der Hauptversammlung zu beheben.962 Ferner gibt es im Falle der unvollständigen Besetzung des Aufsichtsrats gemäß Art. 42 Zivilgesetzbuch die Möglichkeit, des Aufsichtsrat durch einen gerichtlich bestellten Kurator vervollständigen zu lassen963, was an die im deutschen Recht vorzufindende Ersatzbestellung nach § 104 AktG erinnert. Darüber hinaus handelt der Vorstand ordnungswidrig gemäß Art. 594 § 2 HGG, wenn er es zulässt, dass der Aufsichtsrat länger als drei Monate in einer dem Gesetz oder der Satzung widersprechenden Weise zusammengesetzt ist. Eine gesetzeswidrige Zusammensetzung liegt auch dann vor, wenn die Besetzung des Aufsichtsrats nicht den gesetzlichen Vorgaben des KommerzG entspricht. Im KommerzG findet sich in Art. 12 Abs. 6 KommerzG eine Sonderregelung in Bezug auf Fehler bzw. Versäumnisse bei der Wahl von Arbeitnehmervertretern. Allerdings bezieht sich diese nur auf den ersten Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft. Art. 12 Abs. 6 KommerzG bestimmt, dass eine nicht erfolgte Wahl von Arbeitnehmervertretern in den ersten Aufsichtsrat eines kommerzialisierten Unternehmens kein Hindernis dafür darstellt, die Gesellschaft in das Unternehmerregister964 einzutragen oder wirksame Beschlüsse durch den Aufsichtsrat zu fassen. Im Hinblick auf die Eintragung hat die Vorschrift insbesondere deswegen Bedeutung, weil gemäß Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG im Kommerzialisierungsakt die Benennung der Organmitglieder erforderlich ist. Insoweit stellt Art. 12 Abs. 6 KommerzG klar, dass eine Nichtbenennung von Arbeitnehmervertretern im Kommerzialisierungsakt kein Eintragungshindernis darstellt. Hintergrund für die Regelung in Art. 12 Abs. 6 KommerzG ist, dass die Nichtwahrnehmung ihrer Rechte durch die Arbeitnehmer nicht dazu führen soll, dass die Kommerzialisierung ausgesetzt oder gar unterbrochen wird.965 Die zweite Aussage des Art. 12 Abs. 6 KommerzG, dass eine nicht erfolgte Wahl der Arbeitnehmervertreter in den ersten Aufsichtsrat diesen nicht daran hindert, wirksame Beschlüsse zu fassen, führt dazu, dass bei der Bestimmung der Beschlussfähigkeit und Berechnung der Stimmanzahl die fehlenden Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nicht mitgerechnet werden.966 Der Aufsichtsrat kann also – abweichend von den allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen – in unvollständiger Besetzung agieren, und zwar bis zum Ende seiner Amtsperio962 Chomiuk, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 3; Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 4. 963 Näher hierzu Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 5. 964 „Rejestr przedsie˛biorców“. Es handelt sich dabei um einen Teil des landesweiten Gerichtsregisters i. S. d. Gesetzes über das nationale Gerichtsregister vom 20. August 1997, Dz. U. 1997 Nr. 121 Pos. 769. 965 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 55. 966 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80.

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de.967 Es liegt daher gerade keine sog. „Vakanz“-Situation vor, die den Aufsichtsrat beeinträchtigen würde.968 Art. 12 Abs. 6 KommerzG stellt insoweit klar, dass das Desinteresse der Arbeitnehmer (oder Landwirte bzw. Fischer) an ihrem Vertretungsrecht im Aufsichtsrat keine Auswirkungen auf dessen Funktionsweise hat.969 Im Fall des ersten Aufsichtsrats ist die Arbeitnehmerbeteiligung mithin als ein Recht, nicht aber als eine Pflicht der Arbeitnehmer zur Wahl ihrer Vertreter ausgestaltet.970 Allerdings lässt sich aus Art. 12 Abs. 6 KommerzG nicht entnehmen, dass bei einer Nichtwahl durch die Arbeitnehmer die für sie im Aufsichtsrat „reservierten“ Sitze anderweitig von der Hauptversammlung besetzt werden dürften.971 Entsprechende Unbeachtlichkeitsregelungen wurden auch in den Spezialgesetzen für die Polnische Staatsbahn („Polskie Koleje Pan´stwowe“ („PKP“)) (vgl. Art. 4 Abs. 3 KommerzG-PKP) und die Polnische Post („Poczta Polska“) (vgl. Art. 2 Abs. 3 KommerzG-Post (früher: Art. 6 KommerzG urspr. Fassung) i.V. m. Art. 12 Abs. 6 KommerzG) vorgesehen; sie gelten allerdings ebenfalls nur für den ersten Aufsichtsrat. Ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts erfasst die Sonderregelung des Art. 12 Abs. 6 KommerzG ausschließlich nur den ersten Aufsichtsrat. Im Falle der nicht erfolgten Bestellung von Arbeitnehmervertretern in die folgenden Aufsichtsräte ist dagegen davon auszugehen, dass keine wirksamen Beschlüsse des Aufsichtsrats gefasst werden können und dieser somit in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt ist.972 Vielmehr müssen die folgenden Aufsichtsräte unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Anzahl von Arbeitnehmervertretern besetzt sein. Dies lässt sich zum einen auf einen Umkehrschluss aus Art. 12 Abs. 6 KommerzG stützen, der lediglich für den ersten Aufsichtsrat eine Unbeachtlichkeit der nicht erfolgten Wahl von Arbeitnehmervertretern für die wirksame Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat erklärt.973 Zum gleichen Ergebnis führt aber auch die Anwendung der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätze974, die gemäß Art. 5 KommerzG zur Geltung kommen und von denen Art. 12 Abs. 6 KommerzG lediglich für den ersten Aufsichtsrat eine Sonderregelung trifft. Gemäß Art. 11 Abs. 1 KommerzG muss in kommerzialisierten Gesell-

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Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 55. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80. 969 Ebenda. 970 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. 971 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 10. 972 Ebenso Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 348 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 59. 973 So Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 348 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 80; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. 974 Vgl. dazu Spyra, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 586. 968

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schaften stets – sowohl bei Alleinaktionärsstellung des Staates als auch nach Einleitung der Privatisierung – die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder konkret festlegen und darf abweichend von Art. 304 § 1 Pkt. 8 HGG nicht lediglich eine Mindest- und Höchstzahl bestimmen.975 Unterbleibt mithin eine Wahl von Arbeitnehmervertretern und bleibt dieser Posten vakant, ist der Aufsichtsrat schon aufgrund der Unterschreitung der durch Satzung festgelegten Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern nach den allgemeinen Grundsätzen des polnischen Aktienrechts beschlussunfähig.976 Werden anstelle der Arbeitnehmervertreter andere Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung gewählt, kann diese Wahl – wie oben dargestellt – nach Maßgabe der Artt. 422, 425 HGG mit ex tunc-Wirkung beanstandet werden, womit die gewählte Person nie Aufsichtsratsmitglied geworden ist und die in dieser Zusammensetzung gefassten Beschlüsse des Aufsichtsrats unwirksam sind. Allerdings muss die Wahl erst durch ein konstitutives Nichtigkeits- oder Anfechtungsurteil beseitigt werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine unterbliebene Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat sowohl in Deutschland als auch in Polen nicht unerhebliche Konsequenzen für die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats hat. Allerdings kann der deutsche Aufsichtstrat auch in unvollständiger Besetzung wirksam agieren und Beschlüssen fassen (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG), was relevant wird, wenn keine Arbeitnehmervertreter von der Belegschaft gewählt werden und die tatsächliche Zahl der Aufsichtsratsratsmitglieder daraufhin nicht der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorgabe entspricht. In Polen hat dagegen eine unterbliebene Wahl von Arbeitnehmervertretern und daraufhin vorliegende Unterbesetzung des Aufsichtsrats stets dessen Funktionsunfähigkeit zur Folge. Sowohl in Deutschland als auch in Polen ist in dem Fall, dass anstelle der Arbeitnehmervertreterposten andere Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden, eine Nichtigkeitsklage zu erheben, die ex tunc die Mitgliedschaft des betroffenen Mitglieds beseitigt und sich daher auch rückwirkend auf bereits gefasste Beschlüsse des Aufsichtsrats auswirken kann. Trotz des nicht unwesentlichen Risikos der Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats zeigten empirische Untersuchungen, dass in der polnischen Unternehmenspraxis eine Unterbesetzung der Aufsichtsräte mit Arbeitnehmervertretern 975

Hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.a)bb). Könnte die Satzung dagegen lediglich eine Mindestzahl festlegen und die konkrete Anzahl von einem anderen Subjekt erst bestimmt werden, würde sich dies anders darstellen: Denn sollte etwa die Satzung fünf Mitglieder als Minimum und zehn als Maximum festlegen und das hierzu berechtigte Subjekt die Zahl auf acht Mitglieder festlegen, hätten die Arbeitnehmer zwar nach Art. 14 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG das Recht, drei Vertreter zu wählen. Unterbliebe die Wahl jedoch, würde dennoch das satzungsmäßige Minimum von fünf Mitgliedern nicht unterschritten werden, womit nach den allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen keine Beschlussunfähigkeit vorläge (vgl. hierzu etwa die Ausführungen bei Chomiuk, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 3). 976

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im Vergleich zu den zwingenden Vorgaben des KommerzG nicht selten vorzufinden ist.977 c) Eintragungsfähigkeit ins Handels- bzw. Unternehmerregister Unterbleibt eine Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat, stellt sich ferner die Frage, ob dies Auswirkungen auf die Eintragung der neuen Zusammensetzung des Aufsichtsrats ins jeweilige Register hat. In Deutschland müssen bei Gründung der Aktiengesellschaft eine Urkunde über die Bestellung des Aufsichtsrats sowie eine Liste mit den Mitgliedern des Aufsichtsrats, die den Namen, Vornamen, Beruf und Wohnort der Mitglieder enthält, der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister beigefügt werden (vgl. § 37 Abs. 4 Nr. 3, 3a AktG). Im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Errichtung oder Anmeldung der Gesellschaft hat das Gericht die Eintragung abzulehnen (vgl. § 38 Abs. 1 AktG). Nach Maßgabe des § 38 AktG prüft das Registergericht alle formellen und materiellen Voraussetzungen für die Eintragung, so auch die Beifügung der gemäß § 37 Abs. 4 AktG notwendigen Anlagen.978 Im Umkehrschluss aus § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG folgt jedoch, dass bei einer Zusammensetzung des Aufsichtsrats entgegen der mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben der Aufsichtsrat dennoch wirksam bestellt ist, sodass das Registergericht die Eintragung nicht mit Verweis auf eine gegen die Mitbestimmungsgesetze verstoßende Zusammensetzung des Aufsichtsrats ablehnen kann. Gemäß § 106 AktG hat der Vorstand bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich eine aktualisierte Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats mit den genannten Angaben zum Handelsregister einzureichen. Die Einreichung der Liste der Aufsichtsratsmitglieder und ihre Bekanntmachung durch das Registergericht nach § 10 HGB haben jedoch einen rein informativen Charakter und sind weder für die Begründung noch die Beendigung der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat konstitutiv.979 In Polen sind die Mitglieder des Aufsichtsrats sowie Änderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats gemäß Artt. 318 Pkt. 8, 321 § 1 HGG sowie 977 Vgl. etwa die empirische Untersuchung des IPiSS im Jahre 2003, wo von sieben mittelbar privatisierten Unternehmen in einer Gesellschaft überhaupt keine Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat entsandt worden waren und in vier weiteren eine Unterbesetzung vorlag, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 102 f. Allerdings geht es aus den Ausführungen nicht eindeutig hervor, dass es sich nicht um Aufsichtsräte in der ersten Amtszeit handelte. 978 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 38 Rn. 6; Pentz, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 38 AktG Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Februar 1991, Az.: II ZR 104/90, NJW 1991, S. 1754 (1757 f.) betreffend die Prüfpflicht der formalen und materiellen Voraussetzungen im Fall einer Kapitalerhöhung. 979 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 106 AktG Rn. 13; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 30 Rn. 90.

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Artt. 39 Pkt. 2, 47 Abs. 1 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister980 ins Unternehmerregister981 einzutragen, wobei die Mitglieder namentlich zu benennen sind. Wie in Deutschland ist die Eintragung rein deklaratorischer Natur.982 In Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung wird ferner eine Liste mit den Namen der Aufsichtsratsmitglieder in der Kanzlei des Ministerpräsidenten geführt (vgl. Art. 8a Abs. 1 Pkt. 1 StaatsVermVerwG). Bei der kommerzialisierten Gesellschaft gibt es ferner noch eine weitere Besonderheit: Gemäß Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG sind die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats bereits im Kommerzialisierungsakt zu benennen. Im Fall einer unterbliebenen Bestimmung der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer wäre dieser als Organ unvollständig, weswegen ohne die Regelung des Art. 12 Abs. 6 KommerzG die Eintragung der Gesellschaft – und daher auch die Umwandlung vom Staatsunternehmen in eine Gesellschaft – nicht erfolgen könnte. Art. 12 Abs. 6 KommerzG bestimmt jedoch ausdrücklich, dass im Fall des ersten Aufsichtsrats einer kommerzialisierten Gesellschaft die fehlende Wahl von Arbeitnehmervertretern kein Hindernis für die Eintragung der Gesellschaft ins Unternehmerregister darstellt. Insofern wird mit Art. 12 Abs. 6 KommerzG bezweckt, dass die Nichtwahrnehmung ihrer Rechte durch die Arbeitnehmer zur Wahl eigener Vertreter in den Aufsichtsrat keine negativen Auswirkungen auf den Kommerzialisierungsvorgang haben soll.983 In Bezug auf die folgenden Amtsperioden wurde in der polnischen Literatur vertreten, dass bei Fehlen der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreter in den folgenden Aufsichtsräten eine Eintragung ins Unternehmerregister nicht möglich sei, sodass der Aufsichtsrat nicht wirksam errichtet werden könnte.984 Gestützt wurde diese Auffassung auf einen Umkehrschluss aus Art. 12 Abs. 6 KommerzG.985 Allerdings ist zu beachten, dass Art. 12 Abs. 6 KommerzG ausdrücklich davon spricht, dass die „Gesellschaft“ nicht ins Unternehmerregister eingetragen werden kann, mithin ausweislich des Wortlauts nur den Fall der erstmaligen Eintragung der Gesellschaft meint. Im Fall der folgenden Aufsichtsräte geht es dagegen nicht mehr um die Eintragung der Gesellschaft, sondern um die Eintragung bzw. Korrektur der konkreten namentlichen Zusammensetzung des

980 Gesetz über das nationale Gerichtsregister vom 20. August 1997, Dz. U. 1997 Nr. 121 Pos. 769. 981 Das Unternehmerregister („rejestr przedsie˛biorców“) ist ein Teil des landesweiten Gerichtsregisters („Krajowy Rejestr Sa˛dowy“), vgl. Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister. Es löste zum 1. Januar 2001 das bis dahin bestehende Handelsregister aus dem Jahr 1934 ab. Vgl. hierzu etwa Szuman´ski, in: Pyzioł/ Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1719 m.w. N. 982 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 11; Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 620. 983 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 55. 984 So Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 348 f. 985 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 348 f.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Aufsichtsrats, die gemäß Artt. 318 Pkt. 8, 321 § 1 HGG sowie Artt. 39 Pkt. 2, 47 Abs. 1 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister zu erfolgen hat. Mangels abweichender Vorschriften im KommerzG gelten hierfür die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (vgl. Art. 5 KommerzG). So ist auch für die folgenden Aufsichtsräte von einem rein deklaratorischen Charakter der Eintragung auszugehen. Allenfalls könnte eine entgegen den Vorgaben des KommerzG nicht erfolgte Wahl der Arbeitnehmervertreter dazu führen, dass die Eintragung der neuen Zusammensetzung des Aufsichtsrats ins Unternehmerregister aufgrund des Verstoßes gegen zwingendes Recht abgelehnt wird. Denn gemäß Art. 23 Abs. 1 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister prüft das Registergericht, ob der Antrag samt den eingereichten Dokumenten in formeller und inhaltlicher Hinsicht mit dem Gesetz übereinstimmt. Lediglich bei Vorliegen unwesentlicher Mängel, d.h. solcher, die das Unternehmensinteresse oder das öffentliche Interesse nicht beeinträchtigen, kann die Eintragung nicht verwehrt werden (vgl. Art. 317 § 2 HGG). Ansonsten wird der Gesellschaft im Falle behebbarer Mängel vom Registergericht eine Frist gesetzt, nach deren erfolglosem Ablauf die Eintragung abgelehnt wird (vgl. Art. 317 § 1 HGG). Bei einem Verstoß gegen die zwingenden Mitbestimmungsvorgaben ist von einem wesentlichen Mangel auszugehen, da in diesem Fall die durch das KommerzG geschützten Arbeitnehmerinteressen, die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts im Rahmen des KommerzG bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses zu berücksichtigen sind986, beeinträchtigt werden. Da aber die Bezeichnung der jeweiligen Aufsichtsratsmitglieder als Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter bei ihrer Anmeldung nicht vorgeschrieben ist, dürfte eine gegen das KommerzG verstoßende Zusammensetzung für das Registergericht nicht ohne Weiteres ersichtlich sein. Wurde eine Eintragung trotz wesentlicher Gesetzesverstöße vorgenommen, käme allenfalls noch ein Verfahren zur nachträglichen Behebung des Mangels gemäß Art. 327 § 1 HGG in Betracht, welches von Amts wegen oder auf Antrag von jedermann, der hieran ein rechtliches Interesse hat, angestoßen werden kann. Eine Auflösung der Gesellschaft durch das Registergericht droht jedoch nur im Fall der in Art. 21 HGG enumerativ aufgezählten Fälle, zu denen eine gesetzeswidrige Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht zählt. Problematisch ist indes das Verhältnis zwischen der Prüfpflicht des Registergerichts nach Art. 23 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister und den Artt. 423 § 1, 425 § 5 HGG.987 Gemäß den zitierten Vorschriften des HGG verhindert die Erhebung einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage grundsätzlich 986 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 10 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; zur Bestimmung des Unternehmensinteresses ausführlich unten Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 987 Vgl. Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 425 Pkt. 8.

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nicht die Registereintragung, wenngleich das Eintragungsverfahren unter Umständen ausgesetzt werden kann (vgl. Art. 423 § 1 Satz 2 HGG). Relevant werden kann dies in dem Fall, dass ein anderes Aufsichtsratsmitglied von der Hauptversammlung an Stelle des gewählten Arbeitnehmervertreters in den Aufsichtsrat bestellt wurde und der von der Belegschaft für diesen Posten gewählte Arbeitnehmervertreter Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss erhebt. In der polnischen Literatur wird vertreten, dass trotz der Regelungen der Artt. 423 § 1, 425 § 5 HGG aufgrund von Art. 23 des Gesetzes über das nationale Gerichtsregister bereits das Registergericht die materielle Richtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses prüfen sollte.988 5. Rechte und Pflichten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie die Anteilseignervertreter. Gleichwohl haben sie eine besondere Stellung inne, die teils aus den gesetzlichen Vorschriften, teils aus den tatsächlichen Umständen und ihrer Verbundenheit zu den Arbeitnehmern des Unternehmens resultiert. Auch unterliegen sie einem besonderen gesetzlichen Schutz. a) Allgemeine Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder Grundlage für die Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder ist sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht das „korporationsrechtliche Verhältnis“ zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft.989 Da die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und Funktionen den Aufsichtsrat als Organ und nicht dessen einzelne Mitglieder treffen, sind die Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder in den Pflichten des Aufsichtsrats begründet und daraus abzuleiten.990 Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben im deutschen wie auch im polnischen Recht die gleichen Rechte und Pflichten wie die Anteilseignervertreter991; für die Montanmitbestimmung ist dies sogar gesetzlich ausdrücklich in § 4 Abs. 3 Satz 1 MontanMitbestG normiert worden. Jedes Aufsichtsratsmitglied – egal ob Arbeitnehmer- oder Anteilseignervertreter – ist bei seiner Amtsausübung auf das Unternehmensinteresse verpflichtet und darf sich 988

So Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 425 Pkt. 8. Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 24; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 493; näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 134 ff. 990 Vgl. für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831); Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 25 m.w. N.; ebenso für das polnische Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 141. 991 Für das deutsche Recht etwa BGH, Urteil vom 25. Februar 1982, Az.: II ZR 123/ 81, NJW 1982, S. 1525 (1526); Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 19; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 2 m.w. N.; für Polen Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 692 ff., 699 ff. 989

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

nicht an den Interessen derer orientieren, die ihn zum Aufsichtsratsmitglied gewählt oder entsandt haben.992 Alle Aufsichtsratsmitglieder haben grundsätzlich – mit wenigen Ausnahmen – die gleichen Mitwirkungsrechte und -pflichten, die gleichen Informationsrechte, das gleiche Stimmrecht und den gleichen Anspruch auf Vergütung ihrer Aufsichtsratstätigkeit.993 aa) Persönliche und weisungsfreie Amtsausübung Die Aufsichtsratsmitglieder sind grundsätzlich zur persönlichen Wahrnehmung ihres Amtes verpflichtet. In Deutschland ergibt sich dies ausdrücklich aus § 111 Abs. 6 AktG, wobei sich die Verpflichtung auch auf alle anderen Aufgaben des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder außerhalb des § 111 AktG bezieht.994 In Polen ist die Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Amtes trotz fehlender gesetzlicher Norm ebenso anerkannt.995 Eine Vertretung in Aufsichtsratssitzungen ist unzulässig, lediglich die Teilnahme Dritter sowie die Übermittlung der Stimmabgabe wird zugelassen (vgl. §§ 108 Abs. 3, 109 Abs. 3 AktG, Art. 388 § 2 HGG).996 Die Inanspruchnahme von dem Aufsichtsratsmitglied untergeordneten Mitarbeitern zwecks Erledigung organisatorischer Angelegenheiten ist im Wesentlichen unproblematisch; auch kann der Aufsichtsrat – wohl aber grundsätzlich nicht das einzelne Aufsichtsratsmitglied997 – in einzelnen Angelegenheiten externe Experten und Sachverständige in Anspruch nehmen.998 Die Aufsichtsratsmitglieder üben ihr Amt weisungsfrei aus, sie sind weder an Weisungen der Hauptversammlung noch anderer Personen oder Personengruppen gebunden; dies gilt auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (vgl. ausdrücklich § 4 Abs. 3 Satz 2 MontanMitbestG).999 992 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 1 m.w. N.; so auch im polnischen Recht, vgl. auch Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 494. 993 Für das deutsche Recht vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 1 f.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 19; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 2, 11; für Polen vgl. Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 692 ff. 994 Näher Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 3 ff. 995 Opalski, Rada nadzorcza, S. 134, 146 ff.; Spyra, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 657 m.w. N. 996 Näher zum polnischen Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 146 ff. 997 Vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1982, Az.: II ZR 27/82, NJW 1983, S. 991 (992). 998 Vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 5 f.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 147 f. m.w. N.; vgl. auch Ziffer II.R.7. Gute Praktiken GPW 2016. 999 Vgl. für das deutsche Recht BAG, Urteil vom 21. Mai 2015, Az.: 8 AZR 956/13, NJW 2015, S. 1319 (1321); Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 4; für Polen Opalski, Rada nadzorcza, S. 170.

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bb) Kontroll- und Informationsrechte Sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht agiert und entscheidet der Aufsichtsrat im Grundsatz als Gremium (sog. „Kollegialprinzip“ 1000). Seine Willensbildung und Willensäußerung muss auf einem Beschluss beruhen (vgl. § 108 Abs. 1 AktG, Art. 388 § 1 HGG).1001 Dies bedeutet, dass es den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern grundsätzlich – mit Ausnahme der gesetzlich vorgesehenen Fälle – nicht gestattet ist, eigenständig die dem Aufsichtsrat zustehenden Kompetenzen wahrzunehmen.1002 Vielmehr muss der Aufsichtsrat über die Ausnutzung seiner Kompetenzen grundsätzlich durch Beschluss entscheiden und kann einzelne Aufsichtsratsmitglieder – etwa den Aufsichtsratsvorsitzenden – lediglich zur Durchführung der beschlossenen Maßnahmen ermächtigen.1003 Nur ausnahmsweise und vereinzelt werden einzelnen Mitgliedern individuelle Befugnisse zugebilligt. So etwa sieht § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG ausnahmsweise vor, dass auch ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied einen Bericht vom Vorstand verlangen kann, wobei dann der Bericht nur an den Aufsichtsrat ergeht. Dagegen steht das umfassende Auskunftsrecht nach Art. 382 § 4 HGG ausschließlich dem Aufsichtsrat zu, der über das Auskunftsverlangen durch Beschluss beschließen muss (vgl. Art. 388 § 1 HGG) und einzelne Aufsichtsratsmitglieder lediglich mit der Durchführung des beschlossenen Auskunftsverlangens betrauen kann.1004 Die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder können ohne vorherigen Aufsichtsratsbeschluss nicht an den Vorstand oder die Mitarbeiter herantreten bzw. Einsicht in die Gesellschaftsunterlagen verlangen.1005 Das polnische Aktienrecht sieht jedoch zwei wesentliche Ausnahmen von der kollegialen Ausübung der Rechte des Aufsichtsrats vor.1006 Die erste Ausnahme betrifft das Recht des Aufsichtsrats gemäß Art. 390 § 1 HGG, die Wahrnehmung bestimmter Kontrollrechte auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder zu delegieren. Unstreitig können auf dieser Grundlage einmalige Überwachungshandlungen auf

1000 „Zasada kolegialnos´ci“, Opalski, Rada nadzorcza, S. 261 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 451. 1001 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 108 AktG Rn. 19. 1002 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 451; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 382 Rn. 3; näher auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 261 ff. 1003 Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 107 AktG Rn. 59 ff., § 108 AktG Rn. 8 ff.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 108 AktG Rn. 1; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 451. 1004 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 262 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 451. 1005 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 451, der ein Initiativrecht jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds im Hinblick auf die Informationsrechte des Aufsichtsrats fordert. 1006 Ausführlich hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 452 ff.

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ein einzelnes Mitglied zwecks Durchführung übertragen werden.1007 Umstritten ist jedoch, ob hieraus auch das Recht folgt, näher bezeichnete Angelegenheiten auf ein oder mehrere Aufsichtsratsmitglieder (in Form von Ausschüssen) zwecks dauerhafter Ausübung bestimmter Kontrollrechte zu delegieren.1008 Vor dem Hintergrund, dass dies die Professionalität und Effektivität der Aufsichtsratstätigkeit steigern dürfte und der Wortlaut des Art. 390 § 1 HGG keine zeitliche Einschränkung vorsieht1009, erscheint die letztgenannte Ansicht vorzugswürdig, wenngleich es die Rechtsprechung1010 anders handhabt. Die zweite Ausnahme vom Kollegialprinzip sieht das polnische Aktienrecht in Art. 390 § 2 HGG vor. Danach hat im Fall, dass Aufsichtsratsmitglieder durch Gruppenwahl ins Amt gewählt wurden (vgl. Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG), jede Gruppe das Recht, einen der von ihr gewählten Aufsichtsratsmitglieder zur ständigen individuellen Wahrnehmung von Überwachungsmaßnahmen zu delegieren. Diese Aufsichtsratsmitglieder haben sodann das Recht, an den Vorstandssitzungen teilzunehmen und den Vorstand zu beraten. Zweck dieser Regelung ist jedoch nicht die Steigerung der Effektivität der Aufsichtsratstätigkeit, sondern der Minderheitenschutz.1011 Da die Wahl von Arbeitnehmervertretern auf Grundlage des KommerzG keine Gruppenwahl i. S. d. Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG darstellt, kann auf die so gewählten Arbeitnehmervertreter damit auch nicht das Recht zur ständigen individuellen Wahrnehmung von Überwachungsmaßnahmen nach Art. 390 § 2 HGG delegiert werden. Nur in dem Fall, dass Arbeitnehmer in ihrer Eigenschaft als Aktionäre ihre Vertreter im Wege der Gruppenwahl wählen, kommt für diese Aufsichtsratsmitglieder Art. 390 § 2 HGG in Betracht. Im Innenverhältnis zum Aufsichtsrat stehen den Aufsichtsratsmitgliedern verschiedene individuelle Rechte zu, die der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihres Aufsichtsratsmandats dienen.1012 Zu den Rechten der einzelnen Mitglieder gehören etwa das Recht, alle Informationen zu erhalten, die dem Aufsichtsrat oder seinen Ausschüssen vorliegen (vgl. etwa ausdrücklich § 90 Abs. 5 AktG in Be1007 Opalski, Rada nadzorcza, S. 262, 264 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 452. 1008 Dagegen Oberstes Gericht, Urteil vom 27. November 2003, Az.: IV CK 218/02, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Opalski, Rada nadzorcza, S. 264 ff.; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 390 Rn. 2 m.w. N.; dafür Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 452 ff.; Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 390 Rn. 1; zu Ausschüssen vgl. oben Kapitel 3, C.II.3.b). 1009 Ausführlich zu den dafür sprechenden Argumenten Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 453 ff. 1010 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 27. November 2003, Az.: IV CK 218/02, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1011 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 456, der diese Regelung kritisch vor dem Hintergrund guter Corporate Governance sieht. 1012 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 493.

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zug auf die Vorstandsberichte), das Recht zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen, Beschlussvorlagen und -anträge zu stellen, vom Vorsitzenden die Einberufung einer Aufsichtsratssitzung zu verlangen (vgl. § 110 Abs. 1 AktG, Art. 389 Abs. 1 HGG) und diese ggf. selbst einzuberufen (vgl. § 110 Abs. 2 AktG, Art. 389 § 2 HGG).1013 cc) Pflicht zur Wahrung des Unternehmensinteresses Sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht sind die Aufsichtsratsmitglieder dem Unternehmensinteresse verpflichtet.1014 Dies gilt auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.1015 Entscheidend dabei ist, was unter dem Begriff des Unternehmensinteresses zu verstehen ist. In Deutschland wurden hierunter – auch in Anlehnung an die Einführung der Unternehmensmitbestimmung – jahrzehntelang die Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit verstanden.1016 Die aktuelle Auseinandersetzung wird vor dem Hintergrund der Begriffe „shareholder value“ und „stakeholder value“ geführt: Während nach dem „shareholder value“-Konzept die Steigerung des Ertrags, des Unternehmenswertes und damit des Vermögens der Aktionäre als Zielbestimmung definiert wird, sind im Rahmen des „stakeholder value“-Konzepts die verschiedenen Interessengruppen – d.h. die Aktionäre, Arbeitnehmer, Kreditgeber, Lieferanten und Kunden sowie die Öffentlichkeit im Allgemeinen – zu berücksichtigen.1017 Nach wie vor scheint in Deutschland ein „stakeholder value“basierter Ansatz im Vordergrund zu stehen, was sich auch im deutschen Corporate-Governance-Regelwerk – dem Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“) – sowohl in seiner zuvor geltenden Fassung vom 7. Februar 2017 als auch in der aktuellen Fassung vom 16. Dezember 2019 entsprechend widerspiegelte bzw. widerspiegelt.1018 So hieß es in der noch bis vor Kurzem geltenden 1013 Vgl. zum deutschen Recht Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 108 AktG Rn. 17, § 109 AktG Rn. 7 ff.; zum polnischen Recht Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 493. 1014 Vgl. für das deutsche Recht etwa BGH, Urteil vom 18. September 2006, Az.: II ZR 137/05, NJW-RR 2007, S. 1179 (1181); Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 1; Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 4; jeweils m.w. N.; für das polnische Recht Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 498. 1015 Ausdrücklich etwa BGH, Urteil vom 5. Juni 1975, Az.: II ZR 156/73, NJW 1975, S. 1412 (1413); BGH, Urteil vom 18. September 2006, Az.: II ZR 137/05, NJWRR 2007, S. 1179 (1181); Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 1, 82; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 180 f. 1016 Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 19 Rn. 20; vgl. Hopt/ Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 78. 1017 Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 19 Rn. 21; vgl. hierzu auch v. Werder, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Vorstand Rn. 802 ff. 1018 Vgl. hierzu v. Werder, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Vorstand Rn. 802 ff.; ders., in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Ko-

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Ziffer 4.1.1. des DCGK in der Fassung vom 7. Februar 2017, dass der Vorstand „das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung“ leite. In der seit dem 20. März 2020 gültigen Fassung des DCGK vom 16. Dezember 2019 („DCGK 2020“) setzt sich dieses Verständnis vom Unternehmensinteresse fort: Schon in der dortigen Präambel heißt es nunmehr, dass Vorstand und Aufsichtsrat dazu verpflichtet sind, „im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, der Belegschaft und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse)“ (vgl. Präambel Abs. 1 Satz 3 DCGK 2020). Das polnische Handelsgesetzbuch verwendet den Begriff des Unternehmensinteresses in mehreren Vorschriften (vgl. Art. 345 § 6 Pkt. 2, Art. 422 § 1, Art. 51618 § 2 Pkt. 3 HGG), ohne dass der Begriff in einem Gesetz oder sonstigen Regularien definiert ist.1019 Es handelt sich um eine Generalklausel, die unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsnormen im konkreten Einzelfall definiert werden muss.1020 Früher enthielten die polnischen Corporate-GovernanceRegelwerke, die „Guten Praktiken“ aus den Jahren 2002 und 2005, noch eine Definition des Unternehmensinteresses. Im Abschnitt „Allgemeine Grundsätze“, Ziffer I., legten die Guten Praktiken 2002 und 2005 als grundlegendes Ziel der Handlungen der Gesellschaftsorgane die Verwirklichung des Unternehmensinteresses fest und definierten dieses als „die Vermehrung des der Gesellschaft anvertrauten Vermögens der Aktionäre, unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen anderer, mit der Gesellschaft verbundener Interessengruppen, insbesondere der Gläubiger und Arbeitnehmer“ 1021. Die Guten Praktiken 2002 und 2005 gingen mithin von einer Hierarchie der zu berücksichtigenden Interessen aus, indem sie den Aktionärsinteressen eindeutig den Vorrang einräumten.1022 Die dex, 1. Präambel Rn. 111; Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 19 Rn. 24; vgl. auch Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 f. m.w. N. Näher hierzu unten Kapitel 6, B.I.1. 1019 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 104; vgl. hierzu auch unten Kapitel 6, B.I.1. 1020 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 104. 1021 Allgemeine Grundsätze, Ziffer I., der Guten Praktiken 2002 und 2005: „Podstawowym celem działania władz spółki jest realizacja interesu spółki, rozumianego jako powie˛kszanie wartos´ci powierzonego jej przez akcjonariuszy maja˛tku, z uwzgle˛dnieniem praw i interesów innych niz˙ akcjonariusze podmiotów, zaangaz˙owanych w funkcjonowanie spółki, w szczególnos´ci wierzycieli spółki oraz jej pracowników.“ Übersetzung d. Verf. 1022 So auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 157, der dabei auch auf die weniger eindeutige Formulierung in Ziffer 33 der Guten Praktiken 2005 hinweist, wonach der Vorstand bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses die auf lange Sicht berechtigten Interessen der Aktionäre, Gläubiger, Arbeitnehmer sowie anderer mit der Gesellschaft zu-

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Definition wurde als Auslegungshilfe für den im HGG verwendeten Begriff des Unternehmensinteresses herangezogen.1023 Seit 2007 wurde die Definition jedoch aus den Corporate-Governance-Regelwerken gestrichen.1024 Dem traditionellen Verständnis in der polnischen Literatur entspricht es, das Unternehmensinteresse – anders als in Deutschland – weitestgehend mit dem Interesse der Aktionäre gleichzusetzen.1025 Dieses bestehe in der langfristigen Steigerung und dem Erhalt der Konkurrenzfähigkeit und Rentabilität des Unternehmens, was sich wiederum in positiven Finanzkennzahlen, einer Erhöhung des Eigenkapitals und der Steigerung des Börsenwertes der Aktien widerspiegele.1026 Zwar wird die Bedeutung guter Beziehungen der Gesellschaft zu anderen Interessengruppen – etwa Arbeitnehmern, Gläubigern, Kunden, etc. – für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft anerkannt, gleichwohl seien jedoch die Interessen dieser Personengruppen den Aktionärsinteressen eindeutig untergeordnet und nur insoweit zu berücksichtigen, als sie den Aktionärsinteressen nicht entgegenstehen, sondern mittelbar ihrer Realisierung dienen.1027 Vertreten wird damit ein deutlich stärkerer – wenngleich kein radikaler, nur auf die kurzfristige Wertsteigerung des Aktienwertes ausgelegter1028 – „shareholder value“-basierter Ansatz als in Deutschland. Es gibt jedoch auch Stimmen, die das Unternehmensinteresse nicht stets mit den Aktionärsinteressen gleichsetzen.1029 Andere sehen die Interessen von anderen Stakeholdern wie etwa Gläubisammenarbeitender Interessengruppen sowie lokale Interessen zu berücksichtigen hat. Allerdings stellt dies aus Sicht der Verf. keinen Widerspruch zu Ziffer I. dar, der ebenfalls die Berücksichtigung der Interessen anderer Gruppen vorsieht, darüber hinaus aber diesbezüglich eine Hierarchie festlegt. Vielmehr dürfte Ziffer 33 als Konkretisierung der zu berücksichtigenden Interessen zu verstehen sein, ohne selbst – abweichend von Ziffer I. – eine Rangfolge festlegen zu wollen. 1023 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 328 f. 1024 Näher hierzu unten Kapitel 6, B.I.1. 1025 Kappes/Matysiak, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan ´ stwa a Skarb Pan´stwa, S. 61 (64). So etwa das Verständnis des Unternehmensinteresses von Opalski, Rada nadzorcza, S. 20, 152 ff. und Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 172 ff., 175. 1026 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 175, 498. („Interes spółki powinien wie˛c byc´ zasadniczo utoz˙samiany z interesem ogółu akcjonariuszy wyraz˙aja˛cym sie˛ we wzros´cie i utrzymaniu rentownos´ci i konkurencyjnos´ci spółki w długim okresie, co z reguły znajdzie odzwierciedlenie w pozytywnych wynikach finansowych, pwoie˛kszeniu jej kapitału własnego oraz, w przypadku spółek publicznych, we wzros´cie giełdowego kursu akcji“.) 1027 Opalski, Rada nadzorcza, S. 154 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 175 f. 1028 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 180, der eine rein kurzfristige Wertsteigerung des Aktienwertes auf Kosten langfristigen Wachstums der Gesellschaft als widersprüchlich zum Unternehmensinteresse betrachtet. 1029 Michalski, Spółka akcyjna, S. 672, unter Verweis darauf, dass das Unternehmensinteresse und das Aktionärsinteresse nicht immer gleichlaufen müssen. Dies ablehnend Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar

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gern oder Arbeitnehmern als gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre an.1030 Wiederum andere sehen eine klare Trennung zwischen den Interessen der Gesellschaft und denjenigen der Arbeitnehmer und – vor allem in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates – denjenigen des Alleinaktionärs.1031 So kristallisiert sich eine dem traditionellen Verständnis entgegengesetzte Ansicht heraus, die das Unternehmensinteresse „als solches“ und neben den Interessen der Aktionäre begreift.1032 Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung ist im Hinblick auf die Bestimmung des Unternehmensinteresses ferner problematisch, dass – insbesondere neben den wirtschaftlichen Interessen – auch öffentliche Interessen als zusätzlicher Aspekt hinzutreten.1033 Die Rechtsprechung folgt bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses der traditionellen Auffassung und setzt das Unternehmensinteresse mit dem Interesse der Aktionäre gleich, womit sie diesem einen „shareholder value“-basierten Ansatz zugrundelegt.1034 So schien das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 5. November 20091035 eine Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen bei der Definition des Unternehmensinteresses auch überhaupt nicht für relevant zu halten. Das Gericht verstand das Unternehmensinteresse vielmehr als einen Kompromiss zwischen den Interessen aller Gesellschafter als den wirtschaftlichen Eigentümern der Gesellschaft unter Berücksichtigung des in der Satzung festgelegten Ziels.1036 Unzulässig sei die Identifikation des Unternehmensinteresses ausschließlich mit dem Interesse des Mehrheitsaktionärs ebenso wie die Annahme, dass der Schutz der Interessen der Minderheitsgesellschafter stets dem Unternehmensinteresse diene – vielmehr seien die Interessen aller Aktionäre unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. hierzu auch Weber, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan´stwa a Skarb Pan´stwa, S. 184 (185, 188). 1030 So etwa Spyra, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 961, der die Interessen von Gläubigern und Arbeitnehmern als grundsätzlich gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre ansieht und je nach konkretem Einzelfall bestimmten Interessengruppen den Vorrang einräumen möchte. Gleichzeitig betont der Autor, dass das Unternehmensinteresse in Bezug auf die Gesellschaft als einem eigenständigen Wirtschaftssubjekt selbst und nicht etwa einzelne ihrer Interessengruppen verstanden werden sollte. 1031 So Stankiewicz, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 50 (59). 1032 Vgl. Kappes/Matysiak, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan ´ stwa a Skarb Pan´stwa, S. 61 (64 f.). 1033 Vgl. zu dieser Problematik Postula, Nadzór korporacyjny, S. 101 ff., 109 sowie Weber, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan´stwa a Skarb Pan´stwa, S. 184 (184 ff.). 1034 Vgl. hierzu auch Kappes/Matysiak, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan´stwa a Skarb Pan´stwa, S. 61 (64 f.); Postula, Nadzór korporacyjny, S. 107. 1035 Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1036 Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort Leitsatz, S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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gleichsam zu berücksichtigen.1037 Darüber hinaus stellte das Oberste Gericht klar, dass eine Beeinträchtigung des Unternehmensinteresses nicht nur bei unmittelbaren Vermögenseinbußen der Gesellschaft vorliege, sondern ebenso im Fall der Schädigung des guten Rufes der Gesellschaft oder ihrer Organe, sowie im Fall der Existenzgefährdung der Gesellschaft.1038 Das Oberste Gericht ging in diesem Urteil mit keinem Wort auf die Berücksichtigung der Interessen anderer Stakeholder wie etwa der Gläubiger oder Arbeitnehmer der Gesellschaft bei der Definition des Unternehmensinteresses ein. Vielmehr stellte das Gericht fest, dass der Schutz von Interessen Dritter auf Kosten der Gesellschaft ebenfalls das Unternehmensinteresse verletze.1039 Auch Beschlüsse, die gegen das geltende Recht verstießen, beeinträchtigten das Unternehmensinteresse.1040 In der polnischen Literatur ist dieses Urteil insoweit auf Zustimmung gestoßen, als der Schutz der verschiedenen Interessengruppen nicht Gegenstand des HGG sei, sondern diesem Schutz vielmehr andere gesetzliche Vorschriften – etwa des Arbeitsrechts, Insolvenzrechts und Bankrechts – dienten.1041 Postula1042 wies jedoch darauf hin, dass auch wenn unter dem Unternehmensinteresse die Interessen der Aktionäre zu verstehen sind, die Gesellschaft sich an die verbindlichen rechtlichen Vorgaben außerhalb des HGG halten müsse, die dem Schutz der verschiedenen Interessengruppen dienten. Besondere Bedeutung habe diese Feststellung für kommerzialisierte und privatisierte Gesellschaften, in denen aufgrund Gesetzes Arbeitnehmern der Gesellschaft Rechte zustünden, die Arbeitnehmer in Gesellschaften der Privatwirtschaft nicht hätten. Dies würde sich auf die Bestimmung des Unternehmensinteresses entsprechend auswirken. In diese Richtung ging auch ein Urteil des Obersten Gerichts vom 3. Juni 20151043. Im Zusammenhang mit der Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses gemäß Art. 422 HGG unter Berufung auf die Verletzung des Unternehmensinteresses stellte das Gericht fest, dass aufgrund der durch Art. 14 KommerzG gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung im Fall kommerzialisierter Gesellschaften die Arbeitnehmerinteressen bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses zu berücksichtigen seien.1044 Daher widersprach eine 1037 Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1038 Ebenda. 1039 Ebenda. 1040 Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1041 So etwa Postula, Nadzór korporacyjny, S. 107. 1042 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 107. 1043 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1044 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 10 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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durch die Hauptversammlung abgelehnte Bestellung der von den Arbeitnehmern gewählten Vertreter in den Aufsichtsrat auch dem Unternehmensinteresse.1045 Letztlich stellte das Gericht jedoch lediglich fest, dass eine Wahl entgegen den mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben des KommerzG – mithin ein Verstoß gegen geltendes Recht – das Unternehmensinteresse beeinträchtige. Inwieweit Arbeitnehmerinteressen oder die Interessen anderer Stakeholder auch dann im Rahmen der Bestimmung des Unternehmensinteresses, so auch bei Beschlüssen des Aufsichtsrats, zu berücksichtigen sind, wenn diese nicht ausdrücklich auf einer gesetzlichen Vorschrift beruhen, ist damit noch nicht gesagt. In diesem Zusammenhang zu beachten ist, dass auch von den Verfassern des KommerzG eine vorrangige Bedeutung der Aktionärsinteressen angenommen wurde. So heißt es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass auch in dem Fall, in dem die Arbeitnehmer einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder wählen, der Aufsichtsrat die Aufsicht über die Geschäftsführung im Namen der Anteilseigner – nicht der Arbeitnehmer – ausüben soll.1046 Die polnische Literatur hebt hervor, dass nur wenn die Arbeitnehmer- und sonstigen Minderheitenvertreter im Aufsichtsrat nicht ihren Wählergruppen gegenüber verpflichtet sind, sondern sich an dem übergeordneten, maßgeblich an dem Aktionärsinteressen ausgerichteten Unternehmensinteresse orientieren, der Aufsichtsrat als geschlossene Einheit agieren könne.1047 Gleichwohl können bzw. sollen die Arbeitnehmervertreter – wie auch die Vertreter der Minderheitsaktionäre – in den Aufsichtsratssitzungen während des Meinungsbildungsprozesses die Interessen der Arbeitnehmer (sowie gleichfalls der Minderheitsaktionäre) akzentuieren, damit diese auch hinreichende Berücksichtigung durch die anderen Aufsichtsratsmitglieder finden.1048 Denn da es nicht möglich sei, das Unternehmensinteresse einheitlich objektiv festzulegen, könne dieses erst im Wege einer offenen Diskussion, der verschiedene Perspektiven zugrunde lägen, inhaltlich präzisiert werden.1049 Allerdings werden die Arbeitnehmer- und sonstigen Minderheitenvertreter am Ende den entscheidenden Einfluss des Mehrheitsaktionärs auf die konkrete Festlegung des Inhalts des Unternehmensinteresses akzeptieren müssen.1050 Empirische Untersuchungen zeigten, dass die Arbeitnehmervertreter 1045 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 10 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; zu den Rechtsschutzmöglichkeiten und Rechtsfolgen einer nicht erfolgten Wahl der Arbeitnehmervertreter siehe oben Kapitel 3, C.II.4. 1046 So die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 10. 1047 Opalski, Rada nadzorcza, S. 159. 1048 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 159; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 181. 1049 Opalski, Rada nadzorcza, S. 159. 1050 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 181.

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nicht nur im Wahlkampf den Schutz von Arbeitnehmerinteressen versprachen1051, sondern auch während ihrer Aufsichtsratstätigkeit Anliegen der Belegschaft und der Gewerkschaften, – jedenfalls wenn die Arbeitnehmervertreter mit diesen in irgendeiner Form verbunden waren – an den Aufsichtsrat übermittelten1052. dd) Sorgfaltspflichten und Haftung (1) Sorgfaltsmaßstab Im Grundsatz gelten für alle Aufsichtsratsmitglieder – sowohl Anteilseignervertreter als auch Arbeitnehmervertreter – die gleichen Sorgfaltspflichten.1053 Die Aufsichtsratsmitglieder müssen unter Zugrundelegung des Maßstabs nach §§ 116 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG diejenige Sorgfalt aufwenden, „die für eine ordentliche und gewissenhafte Erfüllung der Pflichten des Aufsichtsrats, insbesondere der Überwachungspflicht erforderlich ist“.1054 Nach der Rechtsprechung des BGH muss jedes Aufsichtsratsmitglied „diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen [. . .], die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können“.1055 Auch nach polnischem Recht werden von allen Aufsichtsratsmitgliedern gewisse Mindestqualifikationen und -kenntnisse verlangt, die es ihm erlauben, die Vorgänge im Unternehmen eigenständig verstehen und kritisch beurteilen zu können.1056 Wie andere Organmitglieder auch trifft Aufsichtsratsmitglieder der Sorgfaltsmaßstab des Art. 483 § 2 HGG, wonach bei Ausübung seines Amtes diejenige Sorgfalt anzuwenden ist, die sich „aus dem beruflichen Charakter seiner Tätigkeit ergibt“.1057 Die Formulierung entspricht der im früheren Handelsgesetzbuch von 1934 enthaltenen Formulierung der „Sorgfalt eines gewissenhaften Kaufmanns“ (vgl. Art. 474 § 2 des Handelsge-

1051 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 107. 1052 Vgl. die Untersuchung von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff., 167, 169). 1053 Für das deutsche Recht Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 33; Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 Rn. 2 m.w. N.; für das polnische Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 162. 1054 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 72; vgl. auch Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 57; Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 Rn. 3. 1055 BGH, Urteil vom 15. November 1982, Az.: II ZR 27/82, NJW 1983, S. 991 (991). 1056 Näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 143 ff., 162. 1057 Art. 483 § 2 HGG: „Członek zarza˛du, rady nadzorczej oraz likwidator powinien przy wykonywaniu swoich obowia˛zków dołoz˙yc´ starannos´ci wynikaja˛cej z zawodowego charakteru swojej działalnos´ci.“ Übersetzung d. Verf.

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setzbuchs von 19341058).1059 Sowohl nach deutschem als auch nach polnischem Recht können sich jedoch für bestimmte Aufsichtsratsmitglieder aufgrund ihrer Spezialkenntnisse und -fähigkeiten (z. B. Rechtsanwälte, Bänker, etc.) bei bestimmten Angelegenheiten erhöhte Sorgfaltspflichten ergeben.1060 (2) Allgemeine Sorgfaltspflichten Die Sorgfaltspflichten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds manifestieren sich in diversen Einzelpflichten, die eine ordnungsgemäße Organfunktion des Aufsichtsrats, insbesondere die Wahrnehmung seiner Überwachungsfunktion, gewährleisten sollen.1061 Zu den einzelnen Sorgfaltspflichten gehört sowohl nach deutschem als auch polnischem Recht vor allem die Pflicht, aktiv das Amt des Aufsichtsratsmitglieds wahrzunehmen, sich ausreichend und ordnungsgemäß über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu informieren, auf die Aufsichtsratssitzungen vorzubereiten sowie an diesen teilzunehmen.1062 Jedes Aufsichtsratsmitglied sollte ferner auf eine funktionsgerechte Organisation des Aufsichtsrats achten und Unregelmäßigkeiten der Tätigkeit des Aufsichtsrats oder einzelner seiner Mitglieder beanstanden, ggf. auch auf die Abberufung eines anderen Mitglieds hinwirken.1063 Bei Anhaltspunkten für Fehlentwicklungen oder eine fehlerhafte Geschäftsführung hat das Aufsichtsratsmitglied die anderen Mitglieder zu informieren und auf geeignete Maßnahmen des Aufsichtsrats hinzuwirken.1064 Die Aufsichtsratsmitglieder sind – wie auch in Deutschland (vgl. § 118 Abs. 3 Satz 1 AktG) – nach überwiegender Ansicht in der polnischen Literatur ferner zur Teilnahme an der Hauptversammlung grundsätzlich verpflichtet – nicht nur berechtigt, wie es der Wortlaut des Art. 4066 HGG (vormals Art. 406 § 4 HGG) implizieren würde.1065 Allerdings verlangen die Guten Praktiken GPW 2016 nur 1058 Art. 474 § 2 des Handelsgesetzbuchs von 1934: „starannos ´c´ sumiennego kupca“ (Übersetzung d. Verf.), Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 1059 Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 483 Rn. 2. 1060 Für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 20. September 2011, Az.: II ZR 234/ 09, NZG 2011, S. 1271 (1274) m.w. N.; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 74 m.w. N.; für das polnische Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 162. 1061 Vgl. Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 Rn. 3; Opalski, Rada nadzorcza, S. 160 f. 1062 Vgl. Döring, in: Grobys/Panzer-Heemeier, SWK Arbeitsrecht, Unternehmensmitbestimmung, Rn. 14; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 86 m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 160 ff. 1063 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 86 f. m.w. N.; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 116 AktG Rn. 12 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 3; Opalski, Rada nadzorcza, S. 160 f. 1064 Vgl. Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 3; Opalski, Rada nadzorcza, S. 161; näher Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 118 ff. m.w. N. 1065 Näher hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 163 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 499.

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noch die Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder in einer Besetzung, die die Beantwortung von aufkommenden Fragen während der Hauptversammlung sicherstellen kann (vgl. Ziffer IV.Z.11. Gute Praktiken GPW 2016). Dagegen hatten die Guten Praktiken aus dem Jahr 2005 noch die Anwesenheit aller Aufsichtsratsmitglieder sowie eine Erklärung bei Fehlen Einzelner gefordert (vgl. Ziffer 9 Gute Praktiken 2005). Teilweise werden Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder in der Geschäftsordnung oder – was aber seltener der Fall ist – in der Satzung konkretisiert.1066 (3) Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht Neben den allgemeinen Sorgfaltspflichten wird sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht die Loyalitätspflicht bzw. Treuepflicht des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft hervorgehoben.1067 Die Loyalitätspflicht ist gesetzlich nicht ausdrücklich normiert, liegt aber im korporationsrechtlichen Verhältnis zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft begründet.1068 In Polen wird sie aus dem in Art. 354 § 1 Zivilgesetzbuch niedergelegten Gebot hergeleitet, bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen die Grundsätze des „gesellschaftlichen Zusammenlebens“ 1069 zu beachten, was im Wesentlichen dem guten Glauben entspricht.1070 Die polnische Literatur sieht die Verschwiegenheitspflicht als einen Aspekt der Loyalitätspflicht1071, während im deutschen Recht die Verschwiegenheitspflicht oft als eine separate Pflicht betrachtet wird1072. Die Loyalitätspflicht im engeren Sinne bedeutet im deutschen wie auch im polnischen Recht im Wesentlichen die Pflicht, im Unternehmensinteresse zu handeln und im Gegensatz dazu stehende Handlungen zu unterlassen.1073 Bei ihrer näheren Bestimmung ist zu berücksichtigen, dass das Aufsichtsratsmandat ein 1066

Opalski, Rada nadzorcza, S. 135 f. Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 498. 1068 Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 116 AktG Rn. 46 m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 137; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 500. 1069 Art. 354 § 1 Zivilgesetzbuch: „Dłuznik powinien wykonac ´ zobowia˛zanie zgodnie ˙ z jego tres´cia˛ i w sposób odpowiadaja˛cy jego celowi społeczno-gospodarczemu oraz zasadom współz˙ycia społecznego, a jez˙eli istnieja˛ w tym zakresie ustalone zwyczaje – takz˙e w sposób odpowiadaja˛cy tym zwyczajom.“ Übersetzung d. Verf. 1070 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 139 m.w. N.; Wajda, Obowia˛zek lojalnos ´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis, S. 31). 1071 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501; Opalski, Rada nadzorcza, S. 166. 1072 So etwa Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 Rn. 4 f.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 142 ff., 190 ff. 1073 Vgl. zum deutschen Recht ausführlich Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 144 ff.; für das polnische Recht Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 498 ff., 500; ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 166 ff. 1067

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Nebenamt ist und sich die Loyalitätspflichten eines Aufsichtsratsmitglieds daher auch von denen eines Vorstandsmitglieds unterscheiden.1074 So etwa fehlt ein gesetzliches Wettbewerbsverbot, sodass Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich auch für Konkurrenzunternehmen tätig sein dürfen.1075 Eine Verletzung der Treuepflicht ist im Wesentlichen stets anzunehmen, wenn das Aufsichtsratsmitglied seine Organstellung zum eigenen Vorteil missbraucht, so etwa bei Annahme von Zuwendungen Dritter für die Herbeiführung bestimmter Maßnahmen.1076 In der deutschen Literatur wird insbesondere der Missbrauch von Insiderkenntnissen als typischer Fall eines Loyalitätsverstoßes angeführt.1077 Die polnische Literatur nennt beispielsweise auch die unentgeltliche Nutzung von Betriebsmitteln oder Arbeitskräften der Gesellschaft für eigene Zwecke als Treupflichtverstoß.1078 Die Loyalitätspflicht wird darüber hinaus insbesondere im Falle auftretender Interessenkonflikte der Aufsichtsratsmitglieder relevant.1079 Da das Aufsichtsratsmandat ein Nebenamt ist, sind Interessenkonflikte zwar nicht selten, sie sind nach deutschem Recht aber gleichwohl offenzulegen und können zu einer Stimmenthaltung, einem Ausschluss von Aufsichtsratssitzungen und schlimmstenfalls sogar einer Amtsniederlegung führen.1080 Auch nach polnischem Recht sind die Aufsichtsratsmitglieder gehalten, Interessenkonflikte zu vermeiden bzw. falls solche auftreten, diese offenzulegen und an entsprechenden Entscheidungen im Konfliktfall nicht mitzuwirken.1081 Für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat können sich Interessenkonflikte insbesondere aufgrund ihrer Beziehungen zum Betriebsrat oder zur Gewerkschaft ergeben. Praxisrelevant ist dies vor allem bei Arbeitskämpfen. Die deutschen Mitbestimmungsgesetze enthalten zu diesem Problemkreis keine Regelungen. Inwieweit die aktive Teilnahme eines Aufsichtsratsmitglieds an einem Streik oder gar dessen Organisation als Verletzung der Loyalitätspflicht zu sehen ist, ist in 1074 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 116 AktG Rn. 47; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 142 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 500. 1075 Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 4; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 500 f.; ein Konkurrenzverbot gilt im polnischen Recht gemäß Art. 390 § 3 Satz 3 i.V. m. Art. 380 HGG allerdings für diejenigen Aufsichtsratsmitglieder, die zur ständigen individuellen Kontrolle delegiert wurden. 1076 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 146; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501; Opalski, Rada nadzorcza, S. 193, 199 f. 1077 So etwa Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 4 m.w. N. 1078 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501. 1079 Ausführlich hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 171 ff. 1080 Vgl. Ziffer E.1 DCGK 2020 (früher: Ziffer 5.5.2. und Ziffer 5.5.3. DCGK 2017) sowie Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 116 AktG Rn. 15 m.w. N.; Hopt/ Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 173 ff. 1081 Vgl. Ziffern V.R.1., V.Z.2. der Guten Praktiken GPW 2016; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 498 ff., 500; ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 174 ff.

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der deutschen Literatur heftig umstritten.1082 Oft wird die aktive Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik für zulässig erachtet, nicht hingegen dessen Organisation.1083 Auch sollen nach teilweise geäußerter Ansicht die Arbeitnehmervertreter von der Teilnahme an Beratungen und Beschlussfassungen des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem jeweiligen Streik ausgeschlossen sein.1084 Der polnische Gesetzgeber war indes bei Verfassung des KommerzG davon ausgegangen, dass die Streiksituation – auch nur potentiell – einen Interessenkonflikt darstelle, der mit dem Amt des Aufsichtsratsmitglieds grundsätzlich nicht vereinbar ist.1085 Aus diesem Grund wurde in Art. 13 KommerzG a. F. die gleichzeitige Ausübung des Aufsichtsratsmandats und einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft per se untersagt.1086 Die Organisation eines Streiks durch ein Aufsichtsratsmitglied wird auch von der polnischen Literatur als eine grobe Verletzung der Loyalitätspflicht und damit rechtswidrige Handlung angesehen, die zu einer Schadensersatzpflicht gemäß Art. 483 § 1 HGG führen könne.1087 Denn die Loyalitätspflicht gegenüber der Gesellschaft habe absoluten Vorrang vor den Interessen anderer Interessengruppen, so auch der Arbeitnehmer, und auch wenn der Begriff des Unternehmensinteresses ausfüllungsbedürftig ist, so sei der Interpretationsspielraum überschritten, wenn das Handeln des Aufsichtsratsmitglieds lediglich einseitig den Interessen einer bestimmten Interessengruppe dient und nachteilig für die Marktposition der Gesellschaft oder ihre Konkurrenzfähigkeit ist.1088 Neben der Loyalität im engeren Sinne ist auch die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder von zentraler Bedeutung. Im deutschen Recht ist die Verschwiegenheitspflicht über § 116 Satz 1 AktG in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG sowie ferner in § 116 Satz 2 AktG gesetzlich verankert. Nach §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 Satz 3 AktG sind die Aufsichtsratsmitglieder zum Stillschweigen über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen aufgrund ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat bekanntgeworden sind, verpflichtet. Gemäß § 116 Satz 2 AktG sind die Aufsichts-

1082 Vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 82 m.w. N.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 182 ff. m.w. N. 1083 Vgl. Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 116 AktG Rn. 14; Hopt/ Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 183, 186 m.w. N.; Ruzik, Zum Streit über den Streik – Aufsichtsratsmandat und Gewerkschaftsführung im Arbeitskampf, NZG 2004, S. 455 (456 ff.). 1084 So Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 82 m.w. N.; vgl. hierzu auch Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG Rn. 34 f.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 184 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 24 f. 1085 Vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 10. 1086 Näher hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 1087 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 506. 1088 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 506.

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ratsmitglieder „insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet“. Die beiden Pflichten stehen selbstständig nebeneinander.1089 Über § 116 Satz 2 AktG werden vertrauliche Beratungen geschützt, selbst wenn diese keine Geheimnisse oder vertrauliche Angaben zum Gegenstand hatten.1090 Der konkrete Umfang der Verschwiegenheitspflicht bestimmt sich nach einem objektiven Maßstab anhand des Gesellschaftsinteresses an der Geheimhaltung und ist von jedem Aufsichtsratsmitglied eigenverantwortlich festzustellen.1091 Die Verschwiegenheitspflicht gilt für alle Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen, insbesondere sind die Arbeitnehmervertreter gegenüber dem Betriebsrat, der Gewerkschaft und der Belegschaft in gleichem Umfang zur Verschwiegenheit verpflichtet.1092 Die Verschwiegenheitspflicht besteht über die Beendigung des Aufsichtsratsmandats hinaus, solange die jeweilige Tatsache nicht öffentlich bekanntgemacht wurde oder die Gesellschaft kein Interesse mehr an der Geheimhaltung hat.1093 Im polnischen Aktienrecht ist die Verschwiegenheitspflicht nicht ausdrücklich geregelt. Gleichwohl wird sie als Gegenstück zum unbegrenzten Zugang des Aufsichtsrats zu Informationen über die Gesellschaft gemeinhin anerkannt, da ansonsten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Vorstand sowie eine Mitwirkung an strategischen Entscheidungen unmöglich wäre.1094 Die Verschwiegenheitspflicht bezieht sich auf all diejenigen Informationen, deren Geheimhaltung im Interesse der Gesellschaft liegt, etwa weil ihre Offenbarung der Gesellschaft schaden könnte.1095 Dabei ist der Begriff des Schadens weit auszulegen und umfasst neben materiellen Einbußen auch den Prestigeverlust oder Vertrauensverlust von Kunden oder Dritten.1096 Unabhängig hiervon sind auch die Beratungen und Abstimmungen im Aufsichtsrat sowie das jeweilige Abstimmungsverhalten ein-

1089 Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 5; vgl. hierzu auch Regierungsentwurfsbegründung des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 11. April 2002, BTDrucks. 14/8769, S. 18. 1090 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 64. 1091 BGH, Urteil vom 5. Juni 1975, Az.: II ZR 156/73, NJW 1975, S. 1412 (1412 f.); Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 61 f.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 116 AktG Rn. 6. 1092 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 58 m.w. N.; vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 5. Juni 1975, Az.: II ZR 156/73, NJW 1975, S. 1412 (1413); BAG, Beschluss vom 23. Oktober 2008, Az.: 2 ABR 59/07, NZA 2009, S. 855 (857); ausführlich Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 201, 211 ff. 1093 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 209. 1094 Opalski, Rada nadzorcza, S. 167; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501. 1095 Opalski, Rada nadzorcza, S. 168. 1096 Näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 168 f.

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zelner Mitglieder geheimhaltungsbedürftig.1097 Wie im deutschen Recht haben die Aufsichtsratsmitglieder eigenverantwortlich anhand eines objektiven Maßstabs zu entscheiden, welche Informationen der Geheimhaltung unterliegen.1098 Auch besteht die Verschwiegenheitspflicht gleichermaßen gegenüber den Personengruppen, denen das jeweilige Aufsichtsratsmitglied sein Mandat zu verdanken hat (Minderheitsaktionären, Arbeitnehmern, etc.).1099 Sie erlischt ebenfalls nicht mit Beendigung des Aufsichtsratsmandats, sondern erst dann, wenn die Gesellschaft kein Interesse mehr an der Geheimhaltung hat.1100 (4) Haftung Eine Verletzung der Sorgfalts-, Loyalitäts- oder Verschwiegenheitspflicht stellt in Deutschland eine Pflichtverletzung des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds dar und kann zu Schadensersatzansprüchen, ggf. aber auch strafrechtlichen Sanktionen (vgl. § 404 AktG) führen.1101 Die Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft bestimmt sich nach §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Nach dieser zwingenden Norm genügt für die Haftung einfache Fahrlässigkeit, gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG besteht eine Beweislastumkehr zu Lasten des Organmitglieds sowohl hinsichtlich des Verschuldens als auch der Pflichtwidrigkeit.1102 Demnach muss die Gesellschaft lediglich darlegen und beweisen, dass sie einen Schaden durch ein potentiell pflichtwidriges Verhalten des Organs bzw. eines Organmitglieds erlitten hat.1103 Zuständig für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ein Aufsichtsratsmitglied ist der Vorstand.1104 Die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern nach polnischem Recht bestimmt sich vor allem nach Art. 483 § 1 HGG. Danach haftet „ein Mitglied des Vorstands, des Aufsichtsrats oder ein Liquidator [. . .] gegenüber der Gesellschaft für den Schaden, der infolge seines rechts- oder satzungswidrigen Handels oder Un-

1097 1098 1099 1100 1101

Opalski, Rada nadzorcza, S. 170. Opalski, Rada nadzorcza, S. 170 m.w. N. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501 f. Näher hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 210,

273 ff. 1102 Vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009, Az.: II ZR 280/07, NJW 2009, S. 2454 (2456) m.w. N.; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 26 Rn. 2; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 93 Rn. 53 m.w. N.; vgl. hierzu ferner Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 274 ff., 288 m.w. N. 1103 BGH, Urteil vom 16. März 2009, Az.: II ZR 280/07, NJW 2009, S. 2454 (2455 f.); Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 288 m.w. N.; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 93 Rn. 53. 1104 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 69.

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terlassens entstanden ist, es sei denn, dass ihn kein Verschulden trifft“.1105 Die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens trifft aufgrund der negativen Formulierung in Art. 483 § 1 Hs. 2 HGG wie in Deutschland das Organmitglied, ein Verschulden wird mithin zunächst einmal vermutet.1106 Die Gesellschaft muss aber nachweisen, dass ihr ein Schaden entstanden ist und dass dieser Schaden adäquat kausal auf einem Handeln oder Unterlassen des Organmitglieds beruht, welches rechts- oder satzungswidrig war.1107 „Rechtswidrig“ („sprzeczne z prawem“) im Sinne des Art. 483 § 1 HGG ist nach allgemeiner Auffassung jedes Verhalten, das eine Rechtsnorm im HGG oder außerhalb des HGG verletzt.1108 In diesem Zusammenhang umstritten ist in der polnischen Literatur jedoch, ob auch allein die Verletzung des in Art. 483 § 2 HGG normierten Sorgfaltsmaßstabs für eine Haftung nach Art. 483 § 1 HGG genügt1109 oder ob der Sorgfaltsmaßstab vielmehr lediglich im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigen ist und daher stets auch die Verletzung einer konkreten Rechtsvorschrift oder Satzungsbestimmung vorliegen muss1110. Bei einem solch restriktiven Verständnis des „rechtswidrigen“ Verhaltens als der Verletzung einer konkreten Rechtsvorschrift erscheint ebenso fraglich, inwieweit die Verletzung der allgemeinen, gesetzlich nicht ausdrücklich normierten1111 Loyalitätspflicht sowie der einen Unterfall hiervon darstellenden Verschwiegenheitspflicht – die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage in Art. 156 Abs. 1 Pkt. 1, Abs. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes1112 nur für börsennotierte Gesellschaften hat – für 1105 Art. 483 § 1 HGG: „Członek zarza˛du, rady nadzorczej oraz likwidator odpowiada wobec spółki za szkode˛ wyrza˛dzona˛ działaniem lub zaniechaniem sprzecznym z prawem lub postanowieniami statutu spółki, chyba ˙ze nie ponosi winy.“ Übersetzung d. Verf. 1106 Ebenso Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 757; Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 483 Rn. 1. 1107 Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 483 Rn. 6. 1108 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 9. Februar 2006, Az.: V CSK 128/05, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 759; Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 483 Rn. 13; Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 483 Rn. 5 f.; Siemia˛tkowski/Szczurkowski, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 9 Rn. 51. 1109 So etwa Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 483 Rn. 17; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 763; Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 483 Rn. 4; Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 700; wohl auch Siemia˛tkowski/Szczurkowski, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 9 Rn. 51. 1110 So das Oberste Gericht, Urteil vom 9. Februar 2006, Az.: V CSK 128/05, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso Wajda, Obowia˛zek lojalnos´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis S. 29); vgl. zu dieser Streitfrage die weiteren Nachweise bei Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 761 ff. 1111 Hierzu kritisch Opalski, Rada nadzorcza, S. 137; näher zur Herleitung der Loyalitätspflicht oben Kapitel 3, C.II.5.a)dd)(3). 1112 Wertpapierhandelsgesetz vom 29. Juli 2005, Dz. U. 2005 Nr. 183 Pos. 1538.

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die Auslösung einer Haftung nach Art. 483 § 1 HGG genügt.1113 Lehnt man die Haftung bei Verletzung der allgemeinen Loyalitätspflicht und des Sorgfaltsmaßstabs ohne gleichzeitigen Verstoß gegen eine konkrete Rechtsnorm ab1114, wäre hierin ein deutlicher Unterschied zum deutschen Recht festzustellen. Denn während nach § 93 AktG jedes schadensverursachende Verhalten, mithin auch jede Sorgfalts-, Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflichtverletzung, eine Haftung nach sich ziehen kann, würde unter Zugrundelegung einer derart restriktiven Auffassung das polnische Aktienrecht deutlich stärker die Organmitglieder zu Lasten der Gesellschaft schützen.1115 In der Praxis könnte die Haftung zwar dadurch auch auf die Verletzung allgemeiner Loyalitätspflichten oder des Sorgfaltsmaßstabs ausgeweitet werden, dass entsprechende näher bezeichnete Pflichten in die Satzung aufgenommen würden.1116 Zu Recht wird jedoch kritisiert, dass eine derart kasuistische Aufzählung aus ex ante-Sicht kaum in der Lage ist, alle denkbaren Haftungsfälle zu erfassen.1117 Zu berücksichtigen ist ferner, dass in der allgemeinen Zivilrechtslehre der Begriff der Rechtswidrigkeit weit verstanden wird und jedes Verhalten erfasst, welches bestimmte Verhaltensregeln, Gebote und Verbote verletzt, selbst wenn diese nicht ausdrücklich in allgemeinverbindlichen Rechtsvorschriften normiert sind.1118 So ist der Ansicht zuzustimmen, wonach die Pflicht zur sorgfältigen Ausübung des Aufsichtsratsmandats ein Element des korporationsrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft darstellt und die Vorschriften des HGG in Bezug auf die Aufgaben und Kompetenzen der einzelnen Organe implizit auch das Gebot ihrer sorgfältigen Erfüllung beinhalten, weswegen die Verletzung der sich nach Art. 483 § 2 HGG beurteilenden Sorgfalt für sich allein schon als ausreichend für eine Haftung nach Art. 483 § 1 HGG anzu1113

Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 501 scheint eine Haftung nach Art. 483 § 1 HGG bei gravierenden Verstößen gegen die Loyalitätspflicht anzunehmen; dagegen will Wajda, Obowia˛zek lojalnos´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis S. 31), eine allgemeine Berufung auf die Verletzung der Loyalitätspflicht, die lediglich aus allgemeinen Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hergeleitet wird, nicht genügen lassen; ebenso wohl Siemia˛tkowski/Szczurkowski, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 9 Rn. 51 („skoro działanie musi byc´ sprzeczne z prawem, totez˙ podstawa˛ odpowiedzialnos´ci nie moz˙e byc´ działanie sprzeczne jedynie z zasadami współz˙ycia społecznego“ – „da das Verhalten rechtswidrig sein muss, kann die Haftung nicht allein auf die Verletzung von Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gestützt werden“, Übersetzung d. Verf.). Die Frage, ob die Verletzung allgemeiner Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens als rechtswidriges Verhalten zu bewerten ist, wird in der polnischen Literatur kontrovers diskutiert, vgl. die Nachweise bei Wajda, Obowia˛zek lojalnos´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis S. 31). 1114 So etwa Wajda, Obowia˛zek lojalnos ´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis S. 31). 1115 Zutreffend schon hervorgehoben von Wajda, Obowia˛zek lojalnos ´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis S. 31). 1116 Wajda, Obowia˛zek lojalnos ´ci, Kapitel 4.6.2. (legalis S. 31). 1117 So die Kritik von Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 763 f. 1118 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 764.

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sehen ist.1119 Es dürfte sich die Frage stellen, warum dies nicht auch für die Verletzung der Loyalitäts- und insbesondere der Verschwiegenheitspflicht gelten sollte. Denn auch diese liegen, wenn auch nicht ausdrücklich gesetzlich normiert, im korporationsrechtlichen Verhältnis zwischen Aufsichtsratsmitglied und Gesellschaft begründet und bestimmen die Verhaltensrichtlinien des Aufsichtsratsmitglieds im Rahmen der Ausübung seines Amtes. Gegebenenfalls ließe sich eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder auch auf andere Haftungstatbestände stützen, die neben Art. 483 § 1 HGG in Betracht kommen, beispielsweise Deliktsrecht.1120 ee) Recht auf Vergütung und Aufwendungsersatz Sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht besteht ein Recht der Aufsichtsratsmitglieder auf Vergütung ihrer Tätigkeit nur, wenn es die Satzung so vorsieht oder die Hauptversammlung beschließt (vgl. § 113 Abs. 1 AktG, Art. 392 § 1 HGG). Anders als im Fall von Vorstandsmitgliedern, wo die Vergütung Bestandteil des zwischen dem Vorstandsmitglied und der Gesellschaft abgeschlossenen Dienstvertrages ist, ist das Recht auf Vergütung ein Element des korporationsrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft und kann daher nur durch Satzung oder Hauptversammlungsbeschluss, nicht jedoch durch sonstige vertragliche Vereinbarung eingeräumt werden.1121 Das deutsche Aktienrecht sah in § 113 Abs. 3 AktG a. F.1122 eine zwingende Regelung für die Berechnung der Aufsichtsratsvergütung vor, sofern es sich um eine am Jahresgewinn der Gesellschaft ausgerichtete Tantieme handelte. Diese Vorschrift wurde im Zuge der Umsetzung der Zweiten Aktionärsrechterichtlinie1123 durch das ARUG II1124 abgelöst durch Regelungen in Bezug auf den in börsennotierten Gesellschaften mindestens alle vier Jahre zu fassenden Beschluss über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder (vgl. § 113 Abs. 3 AktG n. F.). Im Übrigen gilt für die Bemessung der Vergütung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 AktG,

1119

So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 764. Näher Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III B, Art. 483 Rn. 8 ff.; Siemia˛tkowski/Szczurkowski, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 9 Rn. 49. 1121 Für das deutsche Recht Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 10 m.w. N.; für Polen Opalski, Rada nadzorcza, S. 135. 1122 Geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12. Dezember 2019, BGBl. I S. 2637. 1123 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre (ABl. L 132 vom 20. Mai 2017, S. 1). 1124 Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12. Dezember 2019, BGBl. I S. 2637. 1120

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dass diese „in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen“ soll. Ergänzt wird die gesetzliche Regelung durch Ziffer G.17 DCGK 2020 (früher: Ziffer 5.4.6 Abs. 1 Satz 2 DCGK 2017), wonach aufgrund des zeitlichen Mehraufwands auch das Amt des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden im Aufsichtsrat sowie auch die Mitgliedschaft in einzelnen Ausschüssen und ein diesbezüglicher Vorsitz bei der Vergütungsfestsetzung Berücksichtigung finden sollen. Eine erfolgsorientierte Vergütung soll – falls sie gewährt wird – „auf eine langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet sein“ (vgl. Ziffer G.18 DCGK 20201125). Trotz des auch im Hinblick auf die Vergütung geltenden Grundsatzes gleicher Rechte und Pflichten für alle Aufsichtsratsmitglieder ist es grundsätzlich zulässig, eine unterschiedliche Vergütung für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder je nach individuellem Arbeitsaufwand festzulegen, da nach § 113 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AktG die Vergütung einem leistungs- und funktionsbezogenen Maßstab folgen soll.1126 Daher ist auch eine höhere Vergütung für den Aufsichtsratsvorsitzenden, seinen Stellvertreter und Ausschussmitglieder gerechtfertigt.1127 Unzulässig wäre jedoch eine Differenzierung nach Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern sowie nach Dienstalter, Qualifikationen oder „Marktwert“ der Aufsichtsratsmitglieder.1128 Zur Frage, wie eine Vergütung zu bemessen ist, trifft das polnische HGG keine Aussage. Einige Richtlinien lassen sich jedoch den Guten Praktiken GPW 2016 entnehmen. Zum einen heißt es darin in der Zielsetzung des Abschnitts VI. sowie in den Ziffern VI.R.1. und VI.R.2., dass die Gesellschaft ein an der Strategie sowie den kurz- und langfristigen Zielen, Interessen und Ergebnissen der Gesellschaft ausgerichtetes und der Diskriminierung vorbeugendes Vergütungssystem haben sollte, aus dem sich die Grundsätze für die Vergütung für die Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder sowie für Schlüsselpositionen innehabende Manager ergeben sollten. Gemäß der Empfehlung in Ziffer VI.R.4. soll die Vergütung dieser Personen ausreichend sein, um Personen mit unverzichtbaren Kompetenzen für die Führung und Kontrolle des Unternehmens zu gewinnen, zu halten und zu motivieren. Die Vergütung sollte adäquat sein zu den jeweiligen Aufgaben dieser Personen und sollte auch zusätzliche Funktionen, wie etwa die Arbeit in Aufsichtsratsausschüssen, berücksichtigen. Für die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder legt Ziffer VI.Z.3. ferner fest, dass diese nicht von Optionen oder sonstigen Variablen oder den Gewinnen der Gesellschaft abhängig sein sollte. Die Aufnahme der recht ausführlichen Bestimmungen in den neuen Guten Praktiken 1125 Die Vorgängerregelung in Ziffer 5.4.6. Abs. 2 Satz 2 DCGK 2017 sprach dagegen von einer „nachhaltigen Unternehmensentwicklung“. 1126 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 92 f. 1127 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 113 AktG Rn. 43 m.w. N.; Hopt/ Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 93 m.w. N. 1128 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 113 AktG Rn. 42 f.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 92, 95 m.w. N.

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GPW 2016 im Vergleich zu den vorangegangenen Regelwerken wurde in der polnischen Literatur positiv bewertet.1129 Gemeinhin wird in der polnischen Literatur ebenfalls vertreten, dass die Vergütung im Verhältnis zu den jeweiligen Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder angemessen sein soll, mithin den Arbeitsaufwand des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds etwa als Aufsichtsratsvorsitzender oder in Ausschüssen entsprechend berücksichtigen soll.1130 Darüber hinaus werden noch weitere Kriterien genannt, etwa dass die Vergütung der Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern in vergleichbaren Unternehmen entsprechen sowie die Qualifikationen des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds berücksichtigen sollte, ferner dass sie keinen wesentlichen Kostenpunkt der Gesellschaft darstellen und in angemessenem Verhältnis zur Vorstandsvergütung stehen sollte.1131 Eine unterschiedliche Vergütung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder wird dabei in Anlehnung an die genannten Kriterien für zulässig und sogar erstrebenswert erachtet.1132 Bemerkenswert ist, dass anders als in der deutschen Literatur auch die Qualifikation des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds als berücksichtigungsfähiges Kriterium genannt wird, während dieses Kriterium für sich allein genommen in der deutschen Literatur im Hinblick auf die gebotene Gleichbehandlung von Arbeitnehmervertretern nicht anerkannt wird.1133 Eine Sonderregelung besteht in Polen gemäß Art. 390 § 3 HGG für diejenigen Aufsichtsratsmitglieder, die für eine ständige individuelle Kontrolle delegiert sind. Diese Mitglieder haben kraft Gesetzes einen Anspruch auf eine Sondervergütung, deren Höhe die Hauptversammlung festzulegen hat.1134 Umstritten ist diesbezüglich, ob die Regelung sich ausschließlich auf diejenigen Aufsichtsratsmitglieder bezieht, die nach Art. 390 § 2 HGG durch Gruppenwahl gewählt und zur ständigen individuellen Kontrolle delegiert wurden1135, oder ob auch dieje-

1129

Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 392 Rn. 14. Vgl. etwa Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 392 Rn. 14; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 495; Sołtysin´ski/Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17B, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 15 Rn. 244. 1131 So Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 392 Rn. 14 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 495. 1132 So etwa Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 392 Rn. 15 und Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 495; a. A. Spyra, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 694, der aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine gleiche Vergütung für diejenigen Aufsichtsratsmitglieder fordert, die die gleichen Tätigkeiten ausüben. 1133 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 95 m.w. N. 1134 Näher hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 495 ff. 1135 So das Oberste Gericht, Urteil vom 27. November 2003, Az.: IV CK 218/02, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 7. Februar 2006, Az.: IV CSK 41/05, abrufbar unter http://www.sn.pl/ orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1130

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nigen Aufsichtsratsmitglieder erfasst sind, die auf Grundlage von Art. 390 § 1 HGG durch Aufsichtsratsbeschluss dauerhaft bestimmte Kontrolltätigkeiten wahrnehmen sollen.1136 Die deutschen Mitbestimmungsgesetze sehen keine Sonderregelungen für die Vergütung der Arbeitnehmervertreter vor. Allerdings sind Gewerkschaftsmitglieder aufgrund gewerkschaftsinterner Beschlüsse angehalten, Teile ihrer Aufsichtsratsvergütung an die Hans-Böckler-Stiftung oder ähnliche Organisationen bzw. Einrichtungen abzugeben.1137 Die Abführungspflicht ist üblicherweise gestaffelt nach wahrgenommener Funktion und Vergütungshöhe und wird von den Gewerkschaften vehement durchgesetzt, etwa indem nur solche Kandidaten zur Wahl aufgestellt werden, die sich zur Einhaltung der Abführungspflicht rechtlich bindend verpflichtet haben, die Abführungspflicht in gewerkschaftsinternen Medien veröffentlicht wird und notfalls gegen säumige Aufsichtsratsmitglieder gerichtliche Schritte unternommen werden.1138 In der Literatur wird diese Praxis unter verschiedenen Aspekten – u. a. der mittelbaren Gegnerfinanzierung, guter Corporate Governance, dem vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz1139 –, für kritisch oder jedenfalls fraglich erachtet.1140 Die Rechtsprechung billigt hingegen die Abführungspflicht1141, insbesondere sieht das BAG hierin weder einen Verstoß gegen § 113 AktG oder den vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen den koalitionsrechtlichen Grundsatz, dass kein Verband zur Finanzierung des gegnerischen Verbands verpflichtet werden kann1142. Für kommerzialisierte Gesellschaften, in denen der Staat Alleinaktionär war, gab es früher eine Regelung in Art. 12 Abs. 7 Pkt. 3 KommerzG a. F., wonach der Ministerrat durch Rechtsverordnung die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder festsetzte.1143 Mit Gesetz vom 3. März 2000 über die Vergütung von Personen, 1136 Näher zu dieser Problematik Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 496 f. m.w. N. 1137 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 24; näher zur üblichen Ausgestaltung der Abführungspflicht Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 14; vgl. hierzu auch BAG, Urteil vom 21. Mai 2015, Az: 8 AZR 956/13, NZA 2015, S. 1319; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rn. 83b, 85. 1138 Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 14 m.w. N. 1139 Näher hierzu Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 15 m.w. N. 1140 So etwa Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rn. 83b m.w. N.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 13; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 15 m.w. N. 1141 So etwa BAG, Urteil vom 21. Mai 2015, Az: 8 AZR 956/13, NZA 2015, S. 1319; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18. Dezember 2018, Az.: 4 U 86/18, NZG 2019, S. 945; LG Stuttgart, Urteil vom 27. Juli 2007, Az.: 26 O 543/06, NZG 2008, S. 558. 1142 BAG, Urteil vom 21. Mai 2015, Az: 8 AZR 956/13, NZA 2015, S. 1319 (1324). 1143 Vgl. Art. 12 Abs. 7 Pkt. 3 KommerzG urspr. Fassung sowie Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 77. Nachträglich wurde eingefügt, dass der Ministerrat hierbei

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die bestimmte Rechtssubjekte leiten1144, wurden gesetzliche Beschränkungen der Vergütung für Aufsichtsratsmitglieder unter anderem in Gesellschaften mit Allein- und Mehrheitsbeteiligung des Staates eingeführt.1145 Die Höhe der Festvergütung der Aufsichtsratsmitglieder war danach begrenzt auf das einfache des im letzten Quartal des vorangegangenen Jahres durchschnittlichen, vom Vorsitzenden des Polnischen Statistischen Hauptamtes1146 veröffentlichten Monatsverdienstes im Unternehmenssektor ohne Berücksichtigung von Sondervergütungen aus Gewinnen (vgl. Art. 8 Abs. 8 des vorgenannten Gesetzes). Nach Art. 5 des Gesetzes durften diese Aufsichtsratsmitglieder ausschließlich eine monatliche Festvergütung erhalten, Sondervergütungen und Sonderleistungen (etwa Sozialleistungen, Versicherungen, etc.) oder Jahresprämien durften nicht gewährt werden.1147 In der Praxis waren dennoch Aufsichtsratsvergütungen anzutreffen, die etwa für einzelne Sitzungstage gewährt wurden.1148 Oft hing das Interesse am Aufsichtsratsmandat nicht zuletzt auch mit der damit verbundenen Vergütung zusammen.1149 Durch das Gesetz vom 9. Juni 2016 über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten1150 wurden die obigen Regelungen abgelöst.1151 Seither gilt für alle Gesellschaften mit Beteiligung des Staates – auch lediglich im Falle einer Minderheitsbeteiligung – eine Verpflichtung für den Staat, bei Ausübung seiner Aktionärsbefugnisse aus den von ihm gehaltenen Aktien darauf hinzuwirken bzw. über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder auf der Hauptversammlung dergestalt abzustimmen, dass die in Art. 10 des Gesetzes verankerten Begrenzungen für die Aufsichtsratsvergütung nicht überschritten werden (vgl. Art. 2 Abs. 2 Pkt. 1 des genannten Gesetzes). Die darin genannten die Größe, wirtschaftliche Bedeutung und Finanzergebnisse des Unternehmens zu berücksichten hatte. 1144 Gesetz über die Vergütung von Personen, die bestimmte Rechtssubjekte leiten vom 3. März 2000, Dz. U. 2000 Nr. 26 Pos. 306. 1145 Näher hierzu Postula, Nadzór korporacyjny, S. 170 ff.; Spyra, in: Włodyka, SPH Bd. 2, Prawo spółek handlowych (2. Aufl. 2012), Kapitel 13 Rn. 679. 1146 „Główny Urza˛d Statystyczny“, Übersetzung d. Verf. 1147 Vgl. auch Postula, Nadzór korporacyjny, S. 172; Spyra, in: Włodyka, SPH Bd. 2, Prawo spółek handlowych (2. Aufl. 2012), Kapitel 13 Rn. 679. 1148 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116. In einer im Jahre 2003 vom IPiSS durchgeführten Befragung kritisierte ein ehemaliger Arbeitnehmervertreter das sehr hohe Honorar (2.000 PLN für eine Sitzung, was bei sechs Sitzungen im Jahr eine zusätzliche Einnahmequelle von 12.000 PLN ausmachte) als einen wesentlichen Fehler, da dies dazu führte, dass die Vertreter aus materiellen Gründen in diese Position kommen wollten, hierzu Wratny, a. a. O. 1149 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (180). 1150 Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202. 1151 Vgl. Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202.

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Beschränkungen unterscheiden sich je nach Mitarbeiterzahl, Umsatz und Aktivvermögen der Gesellschaft (vgl. Art. 10 i.V. m. Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes). Gemäß Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes darf die Vergütung um bis zu 10 % erhöht werden aufgrund besonderer Funktionen einzelner Mitglieder im Aufsichtsrat oder dessen Ausschüssen. Da das Gesetz ausschließlich von einer Monatsvergütung spricht, dürfte ähnlich wie beim Vorgängergesetz davon auszugehen sein, dass sowohl die Gewährung von variablen Vergütungsbestandteilen – anders als beim Vorstand – als auch eine Vergütung für einzelne Sitzungstage nicht erfolgen soll. Die gesetzlichen Regelungen wurden in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung ergänzt durch Hinweise des Ministeriums für Staatsvermögen, in denen sich auch Konkretisierungen zur Festlegung der Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern fanden.1152 Den deutschen wie auch den polnischen Aufsichtsratsmitgliedern steht unabhängig von einer Vergütung ein Recht auf Ersatz der von ihnen getätigten Aufwendungen gegen die Gesellschaft zu. Der Aufwendungsersatzanspruch besteht im deutschen Recht in entsprechender Anwendung der §§ 670, 675 BGB, ohne dass es einer Regelung in der Satzung oder eines Hauptversammlungsbeschlusses bedürfe1153, in Polen ist das Recht auf Aufwendungsersatz in Art. 392 § 3 HGG ausdrücklich normiert. Auch danach ist ein Hauptversammlungsbeschluss nicht erforderlich. Anders als das deutsche Recht sieht Art. 392 § 3 HGG jedoch keine ausdrückliche Beschränkung auf angemessene Aufwendungen, die das Aufsichtsratsmitglied den Umständen nach für erforderlich halten durfte, vor. Die polnische Literatur schränkt den Aufwendungsersatzanspruch allerdings dahingehend ein, dass die Aufsichtsratsmitglieder nur die ihnen im Rahmen ihrer Aufsichtsratstätigkeit unmittelbar entstandenen Aufwendungen wie etwa Reiseund Hotelübernachtungskosten, Telefonkosten und Verpflegung ersetzt verlangen dürfen, nicht hingegen auch Kosten, die die Aufsichtsratsarbeit lediglich erleichtern sollen (z. B. die Anmietung eines Büros, Beschäftigung einer Sekretärin, etc.).1154 Schulungs- und Seminarkosten, durch die für die Ausübung der Auf1152 Vgl. die Hinweise des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen zur Arbeit der Aufsichtsräte in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung und Mehrheitsbeteiligung des Staates, die unter https://www.msp.gov.pl/pl/polityka-wlasciciel ska/wsparcie/zarzadzenia-wskazowki-w/30165,Zarzadzenia-wskazowki-wytyczne.html abrufbar waren, zuletzt aufgerufen am 7. April 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar); vgl. hierzu auch Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (235). 1153 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 113 AktG Rn. 24; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 13. 1154 Opalski, Rada nadzorcza, S. 210; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 493; ähnlich im deutschen Recht, vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 113 AktG Rn. 25 f. In Deutschland wird aber nicht selten dem Aufsichtsratsvorsitzenden größerer Unternehmen ein Büro mit Sekretariat zur Verfügung gestellt, vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 14.

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sichtsratstätigkeit erforderliche Qualifikationen erworben werden sollen, sind nach beiden Rechtsordnungen grundsätzlich nicht zu erstatten.1155 Begründet wird dies damit, dass das Aufsichtsratsmitglied bereits zu Beginn seiner Tätigkeit über die für die Wahrnehmung des Amtes erforderlichen Kenntnisse verfügen sollte.1156 Etwas anderes gilt dagegen für im Interesse der Gesellschaft liegende Spezialkenntnisse, die über die vom Aufsichtsratsmitglied mitzubringenden Fähigkeiten hinausgehen.1157 Kosten für externe Berater, die von einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern hinzugezogen werden, können unter Umständen ersetzt werden.1158 Sowohl in Deutschland als auch in Polen ist die Gewährung von sog. „Sitzungsgeldern“ anzutreffen.1159 Soweit die Pauschalen jedoch die tatsächlich entstandenen Aufwendungen übersteigen, müssten sie als (zusätzliche) Vergütung angesehen und daher von der Satzung oder der Hauptversammlung festgesetzt werden.1160 In Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung ist diese Möglichkeit allerdings aufgrund der dem Staat auferlegten Beschränkungen im Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten1161 eingeschränkt. b) Besondere Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter Sowohl der deutsche als auch der polnische Gesetzgeber haben es für erforderlich angesehen, für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gewisse Schutzvorschriften zu erlassen.

1155 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 14 m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 210. 1156 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 33; Opalski, Rada nadzorcza, S. 210. 1157 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 113 AktG Rn. 27; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 12; Opalski, Rada nadzorcza, S. 210; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 493; vgl. auch Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 33 und Spindler, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 113 AktG Rn. 10 m.w. N. in Bezug auf Fortbildungen aufgrund von Gesetzesänderungen. 1158 Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 113 AktG Rn. 27; HoffmannBecking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 14; Opalski, Rada nadzorcza, S. 210; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 493 f. 1159 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 AktG Rn. 44; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116. 1160 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 18 m.w. N.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 113 Rn. 44 m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 211; vgl. auch Krysik, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 392 Rn. 2 sowie J. Bieniak, in: Bieniak u. a., Kodeks spółek handlowych, Art. 392 Rn. 2, die darauf hinweisen, dass eine Vergütung sowohl als (monatliche) Pauschale als auch für jeden einzelnen Sitzungstag gezahlt werden kann. 1161 Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202.

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aa) Behinderungs- und Benachteiligungsverbot Teilweise enthalten die deutschen Mitbestimmungsgesetze ein ausdrückliches Behinderungs- und Benachteiligungsverbot. So sieht § 26 MitbestG vor, dass die Arbeitnehmervertreter „in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden“ dürfen. Ferner dürfen sie „wegen ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat eines Unternehmens, dessen Arbeitnehmer sie sind oder als dessen Arbeitnehmer sie nach § 4 oder § 5 gelten, nicht benachteiligt werden. Dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.“ Während sich das Behinderungsverbot auf die Tätigkeit im Aufsichtsrat bezieht, möchte das Benachteiligungsverbot die Arbeitnehmervertreter, die zugleich in einem Arbeitsverhältnis mit der Gesellschaft (oder einem Konzernunternehmen) stehen, vor persönlichen und beruflichen Nachteilen schützen.1162 Ähnlich sieht dies auch § 9 DrittelbG vor, wobei er ausdrücklich neben der Benachteiligung auch die Begünstigung verbietet. Dass § 26 MitbestG kein ausdrückliches Verbot von Begünstigungen enthält, ist jedoch unschädlich, da sachlich nicht gerechtfertigte Begünstigungen der Arbeitnehmervertreter im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern bereits aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, im Verhältnis zu anderen Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verboten sind.1163 Das MontanMitbestG und MontanMitbestErgG enthalten zwar kein Behinderungs- und Benachteiligungsverbot, gleichwohl ist anerkannt, dass auch die nach diesen Gesetzen in den Aufsichtsrat berufenen Arbeitnehmervertreter weder in ihrer Aufsichtsratstätigkeit behindert noch in ihrem beruflichen Dasein benachteiligt werden dürfen.1164 Das Behinderungsverbot bestehe bereits aufgrund der gesetzlich verankerten Aufgaben des Aufsichtsrats und damit auch seiner Mitglieder, das Benachteiligungsverbot folge aus dem Gebot ihrer Gleichberechtigung.1165 Das polnische KommerzG sieht kein ausdrückliches Behinderungs- und Benachteiligungsverbot der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor. Art. 15 KommerzG, der die einzige Schutzvorschrift im KommerzG darstellt, regelt allein den Fall der Beendigungs- und Änderungskündigung.1166 Ein Behinderungsund Benachteiligungsverbot dürfte sich jedoch aus den allgemeinen arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen ergeben. Aus dem auch im polnischen Gesellschaftsrecht geltenden Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten aller Aufsichtsratsmitglieder dürfte daher folgen, dass eine Behinderung der Arbeitneh-

1162 1163 1164 1165 1166

Vgl. Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 1. Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 3 m.w. N. So etwa Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 378 Rn. 31. Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 378 Rn. 31. Hierzu unten Kapitel 3, C.II.5.b)cc).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

mervertreter in ihrer Aufsichtsratsarbeit aufgrund ihrer Stellung als Arbeitnehmer der Gesellschaft oder aufgrund der Verbundenheit zu den Arbeitnehmern der Gesellschaft unzulässig ist. Gleichfalls dürfte aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes1167 eine Benachteiligung der unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter in ihrem arbeitsrechtlichen Verhältnis unzulässig, da nicht sachlich gerechtfertigt, sein. Ebenso dürfte jedoch auch eine Bevorzugung nicht möglich sein. bb) Freistellung und Entgeltfortzahlung Inwieweit den unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertretern für die Wahrnehmung ihrer Aufsichtsratstätigkeit ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht unter gleichzeitiger Entgeltfortzahlung zusteht, ist gesetzlich nicht geregelt und in der deutschen Literatur umstritten. Diskutiert werden die Freistellung und Entgeltfortzahlung als Aspekte des Behinderungsverbotes.1168 Nach wohl herrschender Meinung sollen Arbeitnehmervertreter die Aufsichtsratstätigkeit zwar grundsätzlich außerhalb ihrer Arbeitszeit erbringen; ist dies jedoch nicht machbar, hätten die Arbeitnehmervertreter einen Anspruch auf Freistellung von ihrer Arbeitspflicht.1169 Streitig ist jedoch insbesondere, ob bzw. inwieweit der Vergütungsanspruch während der Freistellung erhalten bleibt.1170 Da jedoch die meisten Arbeitnehmervertreter gleichzeitig einem Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat angehören und regelmäßig nach § 38 BetrVG unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes von ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit in Gänze freigestellt sind1171, ist die praktische Relevanz der streitigen Frage ohnehin eher gering1172. 1167 Vgl. Art. 112 ArbGB; hierzu etwa Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 112 Rn. 1 ff.; Sobczyk, in: ders., Kodeks pracy, Art. 112 Rn. 1 ff.; vgl. auch das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 113 ArbG und Art. 183a ff. ArbGB und die Kommentierung hierzu von Sobczyk, in: ders., Kodeks pracy, Art. 113 sowie von Korus, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 183a bis Art. 183e ArbGB. 1168 Vgl. Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 4 ff. 1169 Döring, in: Grobys/Panzer-Heemeier, SWK Arbeitsrecht, Unternehmensmitbestimmung, Rn. 5 m.w. N. 1170 Für eine Entgeltfortzahlung im Grundsatz etwa noch Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 26 MitbestG Rn. 7; Wißmann, in: MünchHdb. ArbR, 3. Aufl. 2009, § 282 Rn. 19; a. A. nunmehr Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 26 MitbestG Rn. 5, der eine Entgeltfortzahlung in jedem Fall ausschließt; differenzierend Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 7 f.; ders., in: ErfK ArbR, § 26 MitbestG Rn. 4; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG Rn. 8 sowie Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 376 Rn. 33, die eine Aufrechterhaltung der arbeitsvertraglichen Vergütung nur insoweit annehmen wollen, als die Aufsichtsratsvergütung keinen angemessenen Ausgleich für den Einkommensausfall schafft. 1171 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 51; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 10. 1172 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 10.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

419

Das polnische KommerzG regelt die Frage der Freistellung und Entgeltfortzahlung ebenfalls nicht. Dies wirft jedoch Fragen auf, da das SelbstVerwG vom 25. September 1981, als dessen „Quasi-Kontinuität“ das KommerzG angesehen werden kann1173, eine solche Regelung ausdrücklich vorsieht. Gemäß Art. 5 SelbstVerwG behalten die Mitglieder des Belegschaftsrates ihren Vergütungsanspruch auch in der Zeit, in der sie während der Arbeitszeit ihren Pflichten im Belegschaftsrat nachgehen. Anders als etwa die Regelung zum Kündigungsschutz (dazu sogleich), wurde die Entgeltfortzahlungspflicht nicht ins KommerzG übernommen. cc) Kündigungsschutz Die Arbeitnehmervertreter in deutschen Aufsichtsräten genießen – anders als etwa der Betriebsrat (vgl. § 15 KSchG, § 103 BetrVG) – keinen absoluten Kündigungsschutz.1174 Aus dem Benachteiligungsverbot des § 26 Satz 2 MitbestG resultiert jedoch ein relativer Kündigungsschutz dergestalt, als dem Arbeitnehmervertreter nicht allein wegen seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat gekündigt werden kann.1175 Insbesondere ist eine Kündigung nichtig, wenn sie auf eine Beendigung des Aufsichtsratsmandats abzielt.1176 Gleichwohl gilt auch hier, dass oftmals die Arbeitnehmervertreter aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bzw. Gesamt- oder Konzernbetriebsrat den aus den §§ 15 KSchG, 103 BetrVG folgenden absoluten Kündigungsschutz genießen dürften.1177 Möglich ist dann allein die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB mit Zustimmung des Betriebsrats (vgl. § 103 BetrVG). Das polnische KommerzG sieht dagegen in Art. 15 KommerzG einen besonderen Kündigungsschutz zugunsten derjenigen Arbeitnehmervertreter vor, die gleichzeitig Arbeitnehmer des jeweiligen Unternehmens sind. Danach darf einem Arbeitnehmer, der Mitglied im Aufsichtsrat ist, während der Dauer der Amtszeit sowie ein Jahr nach Beendigung der Mitgliedschaft das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt werden. Auch dürfen in dieser Zeit seine Arbeitsbedingungen und sein Gehalt nicht zu seinen Ungunsten geändert werden. Art. 15 KommerzG erfasst

1173

Vgl. hierzu oben Kapitel 3, A.II.2.b). Döring, in: Grobys/Panzer-Heemeier, SWK Arbeitsrecht, Unternehmensmitbestimmung, Rn. 8; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG Rn. 13; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 14 m.w. N.; Jacobs, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 26 MitbestG Rn. 8. 1175 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 15 m.w. N.; vgl. auch Döring, in: Grobys/Panzer-Heemeier, SWK Arbeitsrecht, Unternehmensmitbestimmung Rn. 9. 1176 Döring, in: Grobys/Panzer-Heemeier, SWK Arbeitsrecht, Unternehmensmitbestimmung, Rn. 9; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG Rn. 12; Jacobs, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 26 MitbestG Rn. 8. 1177 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn.14. 1174

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

somit sowohl die Beendigungs- als auch die Änderungskündigung.1178 Die Norm hat zwingenden Rechtscharakter und der besondere Schutz kann – anders als in der wohl als Vorbild dienenden Vorschrift des Art. 6 SelbstVerwG1179 – auch nicht mit Zustimmung des Aufsichtsrats aufgehoben werden.1180 Der besondere Kündigungsschutz des Art. 15 KommerzG gilt jedoch nicht für die fristlose Kündigung im Sinne der Artt. 52, 53 ArbGB1181 sowie für die betriebsbedingte Kündigung1182 auf Grundlage des Gesetzes über besondere Grundsätze für Entlassungen aufgrund nicht von den Arbeitnehmern verschuldeter Umstände1183, sodass auch einem Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen fristlos oder betriebsbedingt gekündigt werden kann. Nicht ausgeschlossen ist auch die einvernehmliche Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses.1184 Ein dem Art. 15 KommerzG fast wortlautgleich entsprechender Kündigungsschutz findet sich auch in Art. 11 KommerzG-PKP. Gemäß Art. 11 Satz 2 Hs. 2 KommerzG-PKP i.V. m. Art. 24113 § 2 ArbGB können die Arbeitsbedingungen jedoch zu Ungunsten des Arbeitnehmers geändert werden, wenn sie durch einen Tarifvertrag geregelt werden. 6. Funktion, Rolle und Bedeutung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Angesichts der gleichen Rechte und Pflichten aller Aufsichtsratsmitglieder, insbesondere der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse, der Weisungsunabhängigkeit und der Verschwiegenheitspflicht, mag sich die Frage stellen, welche Funktion und Rolle die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wahrnehmen

1178 Oberstes Gericht, Urteil vom 29. März 2001, Az.: I PKN 327/00, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 3), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84 f. 1179 Hierzu unten Kapitel 3, D.II.2.a)bb). 1180 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 15 Rn. 1; vgl. hierzu auch Oberstes Gericht, Urteil vom 29. März 2001, Az.: I PKN 327/00, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 3), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1181 Oberstes Gericht, Urteil vom 29. März 2001, Az.: I PKN 327/00, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 3), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 357; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 15 Rn. 3; Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 69. 1182 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 85. 1183 Gesetz über besondere Grundsätze für Entlassungen aufgrund nicht von den Arbeitnehmern verschuldeter Umstände vom 13. März 2003, Dz. U. 2003 Nr. 90 Pos. 844. 1184 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 15 Rn. 4.

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bzw. wahrnehmen sollen und welche Bedeutung sie tatsächlich haben.1185 Weder in den deutschen noch in den polnischen Mitbestimmungsgesetzen oder Gesetzesbegründungen findet sich eine Aussage in Bezug auf die bezweckte Funktion und Rolle der von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder. Auch wenn von Gesetzes wegen die Arbeitnehmervertreter sowohl im deutschen als auch polnischen Recht im Grundsatz die gleichen Rechte und Pflichten im Aufsichtsrat innehaben wie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder, so ist ihre Stellung im Aufsichtsrat aufgrund ihrer Verbindung zur Arbeitnehmerseite gleichwohl spezifisch. Welche Bedeutung und Auswirkungen die Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat jedoch tatsächlich hat, wird sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Literatur und Praxis kontrovers beurteilt. Nicht zuletzt dürfte dies auch an der jeweiligen persönlichen Überzeugung liegen. Aussagen über die Arbeit mitbestimmter Aufsichtsräte können stets nur auf Befragungen, Statistiken und anderweitigen empirischen Untersuchungen beruhen, die ihrer Natur nach nur vereinzelte Unternehmen und Beobachtungen wiedergeben können und immer die Frage nach der Repräsentativität der gewonnenen Erkenntnisse mit sich bringen. Gleiches gilt für die Frage, welche Rolle die Arbeitnehmervertreter in der Praxis tatsächlich einnehmen. Dennoch stellen die durchgeführten Studien wertvolle Erkenntnisse dar und gewähren unschätzbare Einblicke in die Unternehmenswirklichkeit, die sicherlich zumindest für einen Teil der von den gesetzlichen Mitbestimmungsregelungen erfassten Unternehmen zutreffend und repräsentativ ist. In Deutschland existieren im Hinblick auf die tatsächliche Praxis der Aufsichtsratstätigkeit nur wenige aktuelle Studien, was unter anderem daran liegen dürfte, dass Unternehmen derartigen Untersuchungen nicht unerhebliche Skepsis entgegenbringen und nur sehr zurückhaltend Einblick in die Unternehmenswirklichkeit und interne Vorgänge gewähren.1186 Zahlreiche Untersuchungen erfolgten seit Mitte der 1950er Jahre im Zusammenhang mit der in der Montanindustrie eingeführten und für die gesamte Wirtschaft kontrovers diskutierten paritätischen Mitbestimmung.1187 Eine umfassende Untersuchung der praktischen Auswirkungen der Mitbestimmung lieferte der von der Regierung in Auftrag gegeben Mitbestimmungsbericht der Biedenkopf-Kommission aus dem Jahr 1970.1188 Eine 1185 Zu den rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Ansätzen im Hinblick auf Sinn und Zweck der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen ausführlich oben Kapitel 3, A.II. 1186 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 47. An einer im Jahr 2006 durchgeführten Umfrage des IW und des ILF nahmen nur 216 von 2.498 angefragten Unternehmen teil, trotz Unterstützung der Studie durch die Arbeitgeberverbände BDA und BDI und Zusicherungen in Bezug auf die Wahrung der Vertraulichkeit, Gietzen, a. a. O. 1187 Vgl. hierzu die umfangreichen Nachweise bei Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 24; näher hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.d). 1188 Der Bericht wurde dem Bundestag im Februar 1970 vorgelegt, vgl. BiedenkopfBericht, BT-Drucks. VI/334, S. 1.

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diesem Bericht vergleichbare Untersuchung der deutschen Mitbestimmung wurde sodann erst wieder 1998 durch eine von der Bertelsmann-Stiftung und der HansBöckler-Stiftung berufene Kommission1189 durchgeführt.1190 Auch Untersuchungen der BDA/BDI im Jahre 20041191 und der Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Mitbestimmung aus dem Jahr 20061192, die ebenfalls unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Kurt Biedenkopf geführt wurde, liefern wertvolle Erkenntnisse. Darüber hinaus gibt es vereinzelt Äußerungen in der Öffentlichkeit, Pressemitteilungen und Erfahrungsberichte, auf die zurückgegriffen werden kann.1193 Die Methodik der wenigen existierenden Studien und die aus diesen gewonnenen Erkenntnisse werden nicht selten kritisch gesehen; gleichsam gibt es Offensichtlichkeiten, die sich aber nicht in den empirischen Untersuchungen niederschlagen.1194 Gleichwohl lassen sich aus den Studien einige Tendenzen erkennen.1195 In Polen sind in den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mehrere empirische Untersuchungen zur Arbeitnehmerpartizipation durchgeführt worden. Hervorzuheben seien hier die Befragungen des IPiSS im Jahr 20011196 und im Jahr 20031197, von Ogrodowczyk in den Jahren 1995–19961198 sowie von Rudolf, ebenfalls Mitte der 1990er Jahre1199. Mitunter wurde in den Studien auch die Frage, welche Rolle und Funktion die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einnehmen sollen, ausführlich behandelt. Da die Institution der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – gleichermaßen wie die Institution des Auf1189

Bertelsmann/Böckler-Bericht. Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 74. 1191 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht. 1192 Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung. 1193 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 52 m.w. N. 1194 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 47 f. m.w. N. 1195 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 52. 1196 Dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 56 ff. Die Untersuchung umfasste fünf kommerzialisierte Unternehmen. 1197 Dargestellt bei Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 75 ff. Die Untersuchung umfasste sieben Unternehmen, die im Wege der mittelbaren – d.h. zweistufigen – Privatisierung umgewandelt worden waren. 1198 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (160 ff.). Die Untersuchung umfasste 30 Unternehmen. Auf Basis eines Fragenkatalogs mit vielen offenen Fragen wurden Interviews geführt mit Aufsichtsratsvorsitzenden, Vorstandsvorsitzenden, den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat sowie mit Gewerkschaftsvorsitzenden derjenigen Gewerkschaften, mit denen die Arbeitnehmervertreter in dem untersuchten Unternehmen in irgendeiner Weise verbunden waren. Insgesamt wurden 113 Interviews geführt. 1199 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (182 ff.). Die Untersuchung umfasste 30 Unternehmen, davon zehn kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates, zehn teilweise privatisierte Unternehmen mit mehrheitlicher Beteiligung privater Investoren und zehn Arbeitnehmergesellschaften. 1190

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sichtsrats – in Polen vergleichsweise jung ist, fehlt es neben einer gesetzlichen auch an einer „kulturellen“ Definition.1200 Die empirischen Untersuchungen beruhten auf in verschiedenen Unternehmen durchgeführten Interviews, insbesondere mit Aufsichtsratsvorsitzenden, Arbeitnehmervertretern, Vorstandsmitgliedern und Gewerkschaftsmitgliedern. a) Informationsvermittlung In der deutschen Literatur wird hervorgehoben, dass die Mitbestimmung im Aufsichtsrat vor allem zu einer besseren, früheren und umfassenderen Information der Arbeitnehmer, die durch ihre Vertreter im Aufsichtsrat frühzeitig in Entscheidungsprozesse eingebunden würden, geführt habe.1201 Auch polnische Studien bestätigten diese Informationsfunktion. Als Ergebnis der in polnischen Unternehmen durchgeführten Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Informationsvermittlung durch die Arbeitnehmervertreter – sowohl in Richtung des Aufsichtsratsgremiums als auch in Richtung der Belegschaft – die mit Abstand wesentlichste Funktion der Arbeitnehmervertreter darstellte. In der vom IPiSS im Jahr 2003 durchgeführten Untersuchung wurde diese Funktion auch am häufigsten als Argument für die Aufrechterhaltung der Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vorgebracht.1202 Die in Polen durchgeführten empirischen Untersuchungen beschäftigen sich daher auch ausgiebig mit der Informationsvermittlungsfunktion, die sie im Allgemeinen in die Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat und die an die Belegschaft unterteilen. aa) Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat („nach oben“) Die Funktion der Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat („nach oben“) stellt für Ogrodowczyk1203 aufgrund seiner Befragungen die wesentlichste Funktion der Arbeitnehmervertreter dar. Ogrodowczyk stellte eine Übereinstimmung der Vorstellungen der Befragten dahingehend fest, dass die Rolle der Arbeitnehmervertreter in erster Linie darin bestand, dem Aufsichtsrat Informationen über das Unternehmen und das Betriebsklima zu verschaffen.1204 Dies läge daran, dass der Aufsichtsrat, der überwiegend aus Personen von außerhalb des Unternehmens bestand, zur Ausübung der Aufsichtsfunktion auf Informationen über die Gesellschaft, die er beaufsichtigen soll, angewiesen sei. Zwar sei es gesetz1200 1201 1202

Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (162). Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 9, 57. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 114. 1203

Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff.). Die folgenden Ausführungen geben die Erkenntnisse aus der Untersuchung von Ogrodowczyk, dargestellt bei Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff.), wieder. 1204

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

lich vorgesehen, dass der Aufsichtsrat vom Vorstand in Bezug auf Angelegenheiten der Gesellschaft zu informieren war. Allerdings stellte sich in der Untersuchung heraus, dass die Informationen, die der Aufsichtsrat von Arbeitnehmervertretern erhielt, einen anderen Schwerpunkt hatten als diejenigen, die der Aufsichtsrat vom Vorstand erhielt: Die Arbeitnehmervertreter berichteten üblicherweise über den Betriebsalltag, die Belegschaft und ihre Probleme. Dagegen betrafen sie kaum andere Angelegenheiten wie etwa strategische oder finanzielle Fragen. Gefragt nach den Angelegenheiten, in denen die Meinung der Arbeitnehmervertreter von den Aufsichtsratsvorsitzenden als wichtig eingeschätzt wurde, wurden in der durchgeführten Umfrage ausschließlich betriebsalltägliche Belange genannt. Ogrodowczyk vermutet daher, dass die von den Arbeitnehmervertretern gelieferten Informationen als Ergänzung zu denjenigen des Vorstands betrachtet wurden. Dies beruhe einerseits darauf, dass es sich bei den von den Arbeitnehmervertretern gelieferten Informationen um solche handele, die vom Vorstand nicht mitgeteilt werden, weil dies nicht zu seinen Aufgaben gehöre – so etwa die Einschätzung der Stimmungslage innerhalb der Belegschaft oder in Bezug auf konkrete Einzelheiten bei der Produktion oder Materialbeschaffung. Andererseits würden die von den Arbeitnehmervertretern gelieferten Informationen eine Verifikation der Einschätzungen des Vorstandes ermöglichen bzw. jedenfalls den Blickwinkel verändern, was auch für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder wertvoll sein könne. Dies hätten einige der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden in der Umfrage angegeben. Interessant ist, dass in den Aufsichtsräten von Arbeitnehmergesellschaften1205, in denen der Aufsichtsrat ausschließlich aus Arbeitnehmern der Gesellschaft bestand, die Vermittlung von Informationen über die betrieblichen Belange an den Aufsichtsrat in der Umfrage von Ogrodowczyk nicht als wesentliche Rolle der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat definiert wurde. Eine derartige Rollendefinition fand aber in denjenigen Arbeitnehmergesellschaften statt, in denen im Aufsichtsrat auch Nicht-Arbeitnehmer Mitglied waren. Nach dem von Ogrodowczyk definierten Rollenbild der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bringt die Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat auch für den Vorstand selbst Vorteile. Denn das Handeln des Vorstands werde von Personen beaufsichtigt, die nur selten im Unternehmen seien und von den alltäglichen Schwierigkeiten des Vorstands – zu denen oftmals auch die Erwartungshaltung der Belegschaft und Gewerkschaften gehörten – nur wenig mitbekämen. Wenn die Arbeitnehmervertreter dem Aufsichtsrat die aus den Betrieben herrührenden Schwierigkeiten für die Arbeit des Vorstands sowie die Erwartungen der Belegschaft und der Gewerkschaft darstellten, könnte der Vorstand in den Arbeitnehmervertretern sogar einen Verbündeten finden. Dies sei jedoch

1205

Hierzu siehe unten Kapitel 3, D.I.

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dann nicht der Fall, wenn die Arbeitnehmervertreter für den Vorstand „ungemütliche“ Fakten offenlegten. Doch sei auch dies in der Umfrage von Ogrodowczyk von einigen Vorstandsvorsitzenden als ein die Vorstandsarbeit antreibender Faktor angesehen worden. Die Funktion der Informationsvermittlung durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bringe nach Ogrodowczyk nicht zuletzt auch den Gewerkschaften Vorteile. Denn die Arbeitnehmervertreter würden nicht nur Anliegen der Belegschaften, sondern auch der Gewerkschaften in den Aufsichtsrat hineintragen und könnten so zu einer Verwirklichung der von den Gewerkschaften gehegten Erwartungen beitragen. Auch in den vom IPiSS im Jahr 20011206 und 20031207 durchgeführten Untersuchungen wurde die Informationsvermittlung „nach oben“ als entscheidende Funktion der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eingestuft. Dabei wurde der Nutzen darin gesehen, dass die Anteilseignervertreter über die Stimmung und die Meinung der Belegschaft zu bestimmten Vorhaben informiert würden, was diese auch erwarteten.1208 Die Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat wurde insbesondere in Umbruchphasen des Unternehmens, etwa während der Privatisierung oder im Vorfeld einer Restrukturierung, als wesentlich empfunden, um die Interessen der Belegschaft entsprechend einbringen und schützen zu können.1209 Oft fanden im Vorfeld von Aufsichtsratssitzungen Vorbesprechungen der Arbeitnehmervertreter mit den Gewerkschaften statt, teilweise sogar zwecks Ausarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes, der von den Arbeitnehmervertretern sodann im Aufsichtsrat präsentiert werden sollte.1210 Themen der Belegschaft, die sich nicht zur Debatte im Aufsichtsrat eigneten, trugen die Arbeitnehmervertreter teilweise direkt an den Vorstand heran.1211 Insgesamt zeigten die Untersuchungen, dass der Vorteil und Nutzen der Arbeitnehmervertreter vor allem in ihrem Wissen über die Betriebe und die Belegschaft sowie deren Ansichten und die Vermittlung dieser Informationen an den Aufsichtsrat verstanden wurde. Insofern wurde ihre Rolle auch in der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen – und darüber hinaus auch der Gewerkschaftsinteressen – gesehen.1212 Auch andere Studien belegten, dass die Arbeitnehmervertreter

1206

Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 54 ff. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 102 ff., 111 ff. 1208 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115. 1209 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 75. 1210 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 73 f. 1211 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 113. 1212 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (169). 1207

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

als wichtige Informationsquelle für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder betrachtet wurden.1213 bb) Informationsvermittlung an die Belegschaft („nach unten“) In der vom IPiSS im Jahr 2003 durchgeführten Untersuchung wurde die Informationsvermittlung „nach unten“ als die wichtigste Funktion der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat angesehen.1214 Angesichts der nur minderheitlichen Beteiligung der polnischen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und der daher nur eingeschränkten Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die im Aufsichtsrat getroffenen Entscheidungen konzentriere sich die Rolle der Arbeitnehmervertreter insbesondere auf die Informationsvermittlung über im Aufsichtsrat besprochenen Themen und getroffenen Entscheidungen an die Belegschaft. Ein derartiges Bedürfnis bestehe insbesondere in Zeiten des Umbruchs wie etwa der Privatisierung oder Restrukturierung. Die Arbeitnehmervertreter seien aufgrund ihrer Anwesenheit im Aufsichtsrat in der Lage, frühzeitig von den Absichten und Handlungsrichtungen der Unternehmensführung und Investoren Kenntnis zu erlangen und die Belegschaft darauf vorzubereiten. Die Belegschaft wüsste, dass jemand von Seiten der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat sei, der Einblick in die ökonomischen Angelegenheiten habe und sie beizeiten informieren würde, wenn es Schwierigkeiten gäbe, was die Belegschaft auch beruhigen würde. Die in der Studie vom IPiSS befragten Arbeitnehmervertreter bestätigten ein mehr oder weniger ausgeprägtes Interesse der Belegschaft an der Informationsvermittlung und betonten, dass die Verbindung zur Belegschaft stets aufrechterhalten würde. Der primäre Adressat der Informationen seien dabei selbstverständlich die Gewerkschaften gewesen. Darüber hinaus wurden Informationen auf Anfrage hin erteilt oder auf Initiative der Arbeitnehmervertreter etwa in Form eines Aushangs am Schwarzen Brett oder der Betriebszeitschrift. Versammlungen wurden zu diesem Zwecke jedoch in den untersuchten Unternehmen nicht einberufen. Auch die Studie aus dem Jahr 2001 zeigte, dass die Informationen oftmals zunächst an die Gewerkschaften mitgeteilt wurden, die diese sodann an die Belegschaft weiterleiteten. 1215 Auch eine Studie von Rudolf bestätigte eine in der weit überwiegenden Anzahl von Fällen stattfindende Informationsweitergabe an die Gewerkschaften.1216 In einigen Fällen erfolgte eine unmittelbare Information der Belegschaften, die sich in der Regel auf die wirtschaftliche Lage und Entwicklungsperspektiven des Unternehmens sowie Arbeit1213

So Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (185). Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 113 ff. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den dort geschilderten Erkenntnissen. 1215 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 74. 1216 Vgl. Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (189). 1214

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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nehmerangelegenheiten – etwa die Beschäftigungslage und Arbeitsbedingungen – bezog.1217 Im Zusammenhang mit der Informationsvermittlung „nach unten“ weist Wratny auf das Problem der nur eingeschränkten Möglichkeit zur Preisgabe von Informationen aufgrund der Vertraulichkeit bestimmter Angelegenheiten hin.1218 In der vom IPiSS im Jahr 2003 durchgeführten Befragung zeigte sich eine differenzierte Auslegung dieser Einschränkung.1219 Während in einem Extremfall die Arbeitnehmervertreter alle Informationen als offenbarungsfähig ansahen, führten die Arbeitnehmervertreter in den übrigen Unternehmen unter Berufung auf die Verschwiegenheitspflicht eine Selektion der mitgeteilten Informationen durch. Dies führte allerdings auch zu Spannungen mit der Belegschaft und den Gewerkschaftsvertretern, die darin eine Verletzung der versprochenen Bindung der Arbeitnehmervertreter zur Belegschaft sahen. b) Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess im Aufsichtsrat Mit der oben genannten Funktion der Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat geht einher, dass Arbeitnehmerinteressen und -belange und damit eine andere Perspektive – nämlich die der Arbeitnehmerseite – in die Aufsichtsratsdebatten eingebracht werden. Hierdurch können die Arbeitnehmervertreter Einfluss auf die inhaltlichen Auseinandersetzungen und die Meinungsbildungsprozesse im Aufsichtsrat nehmen und dafür sorgen, dass auch die Arbeitnehmerinteressen hierbei berücksichtigt werden. Die deutschen Aufsichtsräte werden als ein Forum für die Interessen unterschiedlicher Interessengruppen und als Instrument zur Förderung der wechselseitigen Beziehung der Gesellschaft zu verschiedenen Wirtschaftspartnern wahrgenommen.1220 Dies korrespondiert mit dem von der überwiegenden Literatur favorisierten und auch im Deutschen Corporate Governance Kodex angenommenen „stakeholder value“-basierten Ansatz der Definition des Unternehmensinteresses.1221 Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in besonderer Weise dazu angehalten sahen, auf die Berücksichtigung der sozialen Folgen betrieblicher und unternehmenspolitischer Entscheidungen hinzuwirken und als notwendig erachtete Maßnahmen, etwa im Falle von Stilllegungen und Umbesetzungen, mit sozialen Gesichtspunkten in Einklang zu bringen.1222 Damit bestehe im Aufsichtsrat der für das Arbeitsverhältnis charak1217

Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (189). Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 113 f. 1219 Ebenda. 1220 So aus polnischer Sicht Opalski, Rada nadzorcza, S. 33. 1221 Hierzu oben Kapitel 3, C.II.1.c) und Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 1222 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 46 f. 1218

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

teristische „Interessendualismus“ im Aufsichtsrat im Verhältnis der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter fort.1223 Festgestellt wurde auch, dass sich die Mitbestimmung im Aufsichtsrats sowohl auf den Prozess wie auch auf die Inhalte des Willensbildungsprozesses auswirkte, zum einen indem die Berücksichtigung der von der Arbeitnehmerseite vorgebrachten Gesichtspunkte notwendigerweise zu einer zeitlichen Verzögerung des Willensbildungsprozesses führe, zum anderen indem dadurch ein Kompromiss oder eine eingehendere inhaltliche Begründung der Entscheidung notwendig werde.1224 Doch auch in Polen, wo ein deutlich stärkerer „shareholder value“-basierter Ansatz für das Unternehmensinteresse bevorzugt wird1225, besteht weitestgehend Einigkeit, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durchaus die Funktion haben, Arbeitnehmerinteressen im Rahmen der Plenumsdiskussionen einzubringen und zu beleuchten.1226 Ihre Stärke sei ihr Wissen über den jeweiligen Betrieb und die Belegschaften sowie deren Einstellung, welches die Aktionärsvertreter nicht haben.1227 Arbeitnehmervertreter können und sollen durchaus während des Meinungsbildungsprozesses des Aufsichtsrats die Interessen der Arbeitnehmer akzentuieren, damit diese auch durch die anderen Aufsichtsratsmitglieder und damit auch im Rahmen der inhaltlichen Festlegung des Unternehmensinteresses Berücksichtigung finden können.1228 Durchaus kann mithin davon gesprochen werden, dass die Arbeitnehmervertreter auch die Interessen der Belegschaft vertreten sollen1229, auch wenn letztlich das übergeordnete Interesse der Gesellschaft im Sinne der Interessen der Aktionäre maßgeblich ist1230. Auf diese Weise hat die Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern letztlich Bedeutung für die Definition des Unternehmensinteresses.1231 Darüber hinaus wird den Arbeitnehmervertretern die besondere Pflicht auferlegt, Lösungen zu finden, mit denen die Interessen der Aktionäre mit den Interessen der Arbeitnehmer vereint werden kön1223

Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 79 f. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 78. 1225 Hierzu oben Kapitel 3, C.II.1.c) und Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 1226 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 159; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 181; Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4). 1227 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (169); Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4). 1228 Opalski, Rada nadzorcza, S. 159; vgl. auch Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 181. 1229 Vgl. Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224); Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (169). 1230 Opalski, Rada nadzorcza, S. 160; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 175 f. 1231 Opalski, Rada nadzorcza, S. 159; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 181; siehe hierzu oben bei Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 1224

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nen.1232 Betont wird jedoch, dass angesichts ihrer nur Minderheitsbeteiligung ein wirklicher Einfluss auf die Entscheidungen des Aufsichtsrats nicht bestehe, sondern die Arbeitnehmervertreter die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nur im Rahmen der Debatte inhaltlich zu überzeugen versuchen könnten.1233 Gleichwohl ist gerade der Aspekt der Einbringung und Vertretung von Arbeitnehmerinteressen in Aufsichtsratsdebatten sowohl in Deutschland als auch in Polen häufiger Kritikpunkt der Arbeitnehmerbeteiligung vor dem Hintergrund guter Corporate Governance.1234 c) Einfluss auf unternehmenspolitische Entscheidungen? Von besonderem Interesse ist in Deutschland die Frage, inwieweit die Arbeitnehmer über die Mitbestimmung im Aufsichtsrat tatsächlich Einfluss auf unternehmenspolitische Entscheidungen nehmen können. Mit dieser Frage haben sich einige Studien beschäftigt und dabei unter anderem die Durchsetzungskraft der Arbeitnehmervertreter und ihren Einfluss auf Planung- und Entscheidungsprozesse, etwa im Zusammenhang mit Personalmaßnahmen und Investitionen, zu untersuchen versucht.1235 Als eine Erkenntnis einiger dieser Untersuchungen wurde festgestellt, dass der Einfluss der Arbeitnehmervertreter entsprechend den differenzierten gesetzlichen Regelungen in der Montanindustrie am größten und in den lediglich der Drittelbeteiligung unterfallenden Unternehmen am geringsten sei, was mit dem Ansatz der Belegschaft erklärt wurde, das gesetzlich eingeräumte Einflusspotential möglichst weitgehend auszunutzen.1236 Die zweite Erkenntnis aus den vorgenommenen Untersuchungen ist, dass die Präsenz der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die unternehmenspolitischen Entscheidungen, mitunter Investitionsvorhaben, nicht wesentlich beeinflusste.1237 So etwa zeigte der Biedenkopf-Bericht, dass bei den Arbeitnehmervertretern vor allem die Berücksichtigung von sozialen Aspekten und Belangen im Mittelpunkt stand.1238 Initiativen der Arbeitnehmer1232 So die Antwort des Sekretärs des Ministerstwo Skarbu Pan ´ stwa auf eine Anfrage des Bürgerrechtsbeauftragten in Sachen KGHM Polska Miedz´ S. A. (Interpellation Nr. 25124), http://www.sejm.gov.pl/sejm7.nsf/InterpelacjaTresc.xsp?key=7E2D2718, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1233 So Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4); ders., Partycypacja pracownicza, S. 75 f.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115. 1234 Hierzu siehe unten Kapitel 6, B.II.2. 1235 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 56 m.w. N. 1236 Ebenda. 1237 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 57 m.w. N.; vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 43, 45. 1238 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 42 f., 45.

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vertreter bezogen sich vorrangig auf das „Sozialwesen des Unternehmens“ und „die ,soziale Korrektur‘ unternehmenspolitischer Initiativen“.1239 Die Berücksichtigung der von den Arbeitnehmervertretern vorgebrachten sozialen Belange und ihr Ausgleich mit den unternehmensseitigen Interessen technisch-wirtschaftlicher Art, die notwendig gewesen seien, um die Zustimmung des Aufsichtsrats zum geplanten Vorhaben zu erhalten, hätten jedoch teilweise die Erarbeitung und Realisierung von bedeutsamen Investitionsmaßnahmen erschwert.1240 Die Mitbestimmung habe auch in nicht wenigen Fällen den Entscheidungsprozess bei Betriebsstilllegungen verzögert.1241 Die Untersuchungen haben gleichwohl gezeigt, dass die Vorhaben der Unternehmensleitungen nie endgültig abgelehnt worden waren und dass die Mitbestimmung „zu keiner feststellbaren inhaltlichen Veränderung unternehmerischer Initiativen“ und „zu keiner wesentlichen inhaltlichen Veränderung der Investitionspolitik im Unternehmen“ geführt hatte.1242 Auch spätere Untersuchungen bestätigten, dass sich die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat auf die Entscheidungen im Unternehmen nicht wesentlich ausgewirkt hatte und die Rechte der Anteilseigner daher auch nur in geringfügiger Hinsicht eine Einschränkung erfuhren.1243 Die Mitbestimmung biete jedoch „weitreichende Möglichkeiten der Information und Konsultation, die in vielen Unternehmen extensiv genutzt und in den Dienst der Konsensbildung gestellt“ wurden.1244 So hat sich durch die frühe Einbindung der Arbeitnehmervertreter im Zusammenhang mit anstehenden Unternehmensentscheidungen auch vor allem eine bessere Information der Vertreter und damit auch der Belegschaften feststellen lassen.1245 Gleichzeitig wurde festgestellt, dass nach 1976 viele Unternehmen die Kataloge der zustimmungsbedürftigen Geschäfte „entleert“ hätten, was auch auf das MitbestG und die Sorge vor der Verletzung von Verschwiegenheitspflichten zurückgeführt wird.1246 In Polen wird der Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf unternehmenspolitische Entscheidungen im Allgemeinen als sehr gering eingestuft. Untersuchungen des IPiSS in den Jahren 2001 und 2003 zur Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten und Vorständen von kommerzialisierten Unternehmen zeigten, dass die Effektivität der Arbeitnehmervertretungen in den Gesellschaftsorganen und

1239

Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 43. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 45. 1241 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 47. 1242 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 43, 45, 47. 1243 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 57 m.w. N.; so auch Bertelsmann/ Böckler-Bericht, S. 95. 1244 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 95. 1245 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 9, 57. 1246 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 1240

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ihr tatsächlicher Nutzen für die Belegschaften nicht sonderlich groß war.1247 In Bezug auf reale Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter auf die im Aufsichtsrat getroffenen Entscheidungen und ausgeübte Kontrollfunktion überwog die Ansicht, dass die Arbeitnehmervertreter keinen bedeutsamen Einfluss ausüben konnten.1248 Der Grund hierfür wird in der gesetzlichen Ausgestaltung gesehen, die den Arbeitnehmern lediglich eine (ungefähre) Drittelbeteiligung und damit einhergehend Minderheitenstellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zugestehe.1249 Der Minderheitscharakter führe dazu, dass die Arbeitnehmervertreter kaum in der Lage seien, die Anteilseigner zu überstimmen.1250 Dies könne nur ausnahmsweise der Fall sein, etwa wenn in einer Aufsichtsratssitzung nicht alle Mitglieder anwesend wären oder die Arbeitnehmervertreter Verbündete in Vertretern des Staates oder anderen Anteilseignergruppen gefunden hätten.1251 Im Übrigen aber bestehe kein maßgeblicher Einfluss auf die Entscheidungen des Aufsichtsrats; vielmehr müssten die Arbeitnehmervertreter versuchen, die übrigen Aufsichtsratsmitglieder inhaltlich zu überzeugen.1252 So wurde die Rolle der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in einem Interview auch vielmehr als eine Belohnung für die Arbeitnehmer bezeichnet, die zur Akzeptanz des Investors und zum Betriebsfrieden beitragen konnte, die aber unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung an der Unternehmensführung eine „Attrappe“ und ein „Relikt aus der Vergangenheit“ darstelle.1253 Andererseits zeigten die Untersuchungen des IPiSS in den Jahren 2001 und 2003 auch, dass der Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf die Arbeit des Aufsichtsrats divergierte, je nachdem, wie sich die Machtverhältnisse im Unternehmen gestalteten.1254 Die Rolle der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hing 1247 Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4); vgl. ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 110 ff. 1248 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115. 1249 Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4); vgl. ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 110, 115. 1250 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 110. 1251 Ebenda. 1252 Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4); ders., Partycypacja pracownicza, S. 75 f.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115. 1253 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115 („z punktu widzenia współzarza˛dzania spółka˛ jest to [. . .] atrapa i relikt przeszłos´ci“, Übersetzung d. Verf.). 1254 Hierzu Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 67 ff.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 110 f. Die folgenden Ausführungen geben die dort geschilderten Erkenntnisse wieder.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

insbesondere davon ab, wie sich die Beziehungen zwischen den Arbeitnehmerund Anteilseignervertretern innerhalb des Aufsichtsrats formten und wie die Beziehungen der Arbeitnehmervertreter zum Vorstand und anderen Rechtssubjekten waren. Auch war die Stimme der Arbeitnehmervertreter umso gewichtiger, je höher die Qualifikationen der Arbeitnehmervertreter und je besser ihre Beziehungen zur Belegschaft waren. Darüber, welche Rolle die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat spielen, entschied schließlich auch die Position des Aufsichtsrats selbst.1255 Es zeigte sich, dass die Rolle des Aufsichtsrats nach der Privatisierung geringer war als zu Zeiten des nur kommerzialisierten Unternehmens. Oft wurden die Kompetenzen des Aufsichtsrats nach Einleitung der Privatisierung beschränkt. Auch die Aufsichtsratssitzungen wurden seltener und kürzer, Diskussionen nahmen ab und der Einfluss des Aufsichtsrats auf den Vorstand verringerte sich. Entscheidungen wurden zum Teil außerhalb der Aufsichtsratssitzungen auf Konzernebene getroffen und der Aufsichtsrat zum bloßen Abstimmungsgremium degradiert. Dementsprechend geringer war der Einfluss der Arbeitnehmervertreter, die bei informellen Vereinbarungen außen vor gelassen wurden. Interessant sind die Erkenntnisse, die Wratny aus der Studie des IPiSS im Jahr 2003 zieht. Bei der Befragung der Arbeitnehmervertreter nach dem Sinn der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat sei eine deutliche Skepsis herauszuhören gewesen.1256 Die Anerkennung sei selbst unter den Arbeitnehmervertretern nur gering gewesen.1257 So wurde geäußert, dass Arbeitnehmervertretung „überhaupt keinen Sinn“ habe und es „eine Attrappe ohne praktische Bedeutung“ sei.1258 Einer Ansicht nach war die einzige effektive Interessenvertretung im Unternehmen die Gewerkschaft, die Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat hingegen überflüssig.1259 Auch die Gewerkschaften äußerten sich mitunter skeptisch.1260 Die Grundeinstellung unterschied sich überraschender Weise von den im Jahre 2001 durchgeführten Untersuchungen des IPiSS, in denen die meisten der zwanzig befragten Aufsichtsratsmitglieder die Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat im Allgemeinen als nützlich für die Wahrnehmung

1255 Hierzu Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 67 ff.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 110 f. Die folgenden Ausführungen geben die dort geschilderten Erkenntnisse wieder. 1256 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 114. 1257 Ebenda. 1258 „[. . .] zupełnie nie ma sensu reprezentacja pracownicza w radzie nadzorczej [. . .] to atrapa, nie maja˛ca ˙zadnego praktycznego znaczenia“, Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116. Übersetzung d. Verf. 1259 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 114. 1260 Ebenda.

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der Arbeitnehmerinteressen – insbesondere in Zeiten des Umbruchs – angesehen hatten.1261 d) Besondere Bedeutung während der Privatisierungsprozesse In Polen kam der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat eine besondere Bedeutung im Zuge der Privatisierungsprozesse zu, als es darum ging, die Arbeitnehmerinteressen gegenüber einem potentiellen bzw. in das Unternehmen einsteigenden Investor zu vertreten.1262 Einzelne Studien belegten, dass sich die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen während der Transformationsphase günstig auf die Unternehmen ausgewirkt habe, da die Einbindung der Arbeitnehmer in die Probleme des Unternehmens die Anpassung an die neuen marktwirtschaftlichen Verhältnisse beschleunigt habe.1263 Auf der anderen Seite gibt es kritische Stimmen, die die Arbeitnehmervertretung während der Privatisierungsprozesse auch skeptisch beurteilen. So etwa kritisierte Peszko in Bezug auf die Nationalen Investment Fonds1264, dass die in den Aufsichtsrat von den Gewerkschaften entsandten Arbeitnehmervertreter geringe Qualifikationen besaßen, keinen Einfluss auf die Gestaltung der strategischen Ziele hatten, vielmehr den status quo zu bewahren suchten und daher die Restrukturierungsprozesse hemmten mit der Folge, dass die Gesellschaften in die Insolvenz liefen.1265 Im Hinblick auf die Rolle und Funktion der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zeigten Untersuchungen, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat während der Phase, in der der Staat Alleinaktionär des kommerzialisierten Unternehmens war, „eine entscheidende Rolle“ gespielt hatte, was mit einer nur passiven Rolle des Staates erklärt wurde.1266 Bemerkenswert ist ferner, dass die Arbeitnehmervertretung gerade in der Phase der Alleinaktionärsstellung des Staates allen voran ein Machtvehikel der Gewerkschaften darstellte.1267 Die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten taten sich mitunter schwer, zwischen der Belegschaft und dem Vorstand angesichts der auftretenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Privatisierung zu vermitteln.1268 Unter diesen Rah1261 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 114; vgl. zu den Befragungen im Jahr 2001 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 75. 1262 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 75. 1263 Vgl. die Erkenntnisse von Rudolf, Udział pracowników w adaptacji przedsie˛biorstwa, ZZL 1s/2004, S. 96 (96). 1264 Vgl. Gesetz über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung vom 30. April 1993, Dz. U. 1993 Nr. 44 Pos. 202; zu der besonderen Arbeitnehmerbeteiligung im Rahmen der NIF oben Kapitel 3, B.II.2. 1265 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (204). 1266 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115 („reprezentacja pracownicza odgrywała decyduja˛ca˛ role˛ w radzie nadzorczej“, Übersetzung d. Verf.). 1267 Näher hierzu unten Kapitel 5, A.I.2.b)aa). 1268 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 82.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

menbedingungen sei die Bedeutung der Gewerkschaften gestiegen, die oft der einzige stabile Faktor im Unternehmen waren und nicht selten faktisch über die personelle Besetzung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat entschieden, wodurch sie Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben konnten.1269 Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat fungierte in der Phase des zunächst nur kommerzialisierten Unternehmens mithin insbesondere als Einflusskanal für die Gewerkschaften. Die Untersuchungen des IPiSS zeigten, dass die Rolle der Arbeitnehmervertreter nach Einleitung der Privatisierung deutlich abnahm.1270 Grund hierfür seien die Einstellung der Anteilseignervertreter des neuen Investors, die dessen Strategie ohne Berücksichtigung der Ansichten der Arbeitnehmervertreter durchsetzten, die Verlagerung der Entscheidungsmacht auf die Konzernzentrale sowie die nicht länger tolerierte Hineintragung von Arbeitnehmerangelegenheiten in die Aufsichtsratssitzungen. Hingewiesen wurde auch darauf, dass nach Privatisierung des Unternehmens der Einfluss des Aufsichtsrats generell abgenommen habe zu Gunsten der Konzernzentrale.

III. Mitbestimmung im Vorstand einer Aktiengesellschaft Neben der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat sehen sowohl die deutschen als auch die polnischen Mitbestimmungsgesetze teilweise auch eine Arbeitnehmervertretung im Vorstand der Gesellschaft vor. Die Idee einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Vorstand kam in Deutschland schon sehr früh auf. Schon 1947 sprach sich hierfür etwa das Ahlener Programm der CDU aus („Bei Großbetrieben mit mehrköpfigem Vorstand sollte Betriebsangehörigen, die in langjähriger Betriebszugehörigkeit sich um den Betrieb verdient gemacht haben, Mitwirkung in der Leitung des Unternehmens durch Berufung in den Vorstand gewährt werden.“).1271 Heute ist in Deutschland in Unternehmen, die dem MontanMitbestG, MontanMitbestErgG oder dem MitbestG unterfallen, die Bestellung eines Arbeitsdirektors von den jeweiligen Gesetzen vorgesehen (vgl. § 33 MitbestG, § 13 MontanMitbestG, § 13 MontanMitbestErgG). Das DrittelbG sieht dies hingegen nicht vor. In Polen sieht Art. 16 KommerzG vor, dass in Aktiengesellschaften, die im Wege der Kommerzialisierung entstanden sind und die im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, die Arbeitnehmer das Recht haben, ein Vorstandsmitglied zu wählen. Dies gilt gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 KommerzG 1269

Ebenda. Hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 115 f. 1271 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Punkt III.; vgl. auch Antrag 3 Pkt. 3 der CDU-Fraktion des Landes Nordrhein-Westfalen. 1270

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ausdrücklich auch dann, wenn der Staat mehr als die Hälfte der von ihm gehaltenen Anteile veräußert hat. Wie im Rahmen des Art. 14 KommerzG ist problematisch, ob das Recht auch dann fortbesteht, wenn der Staat alle Anteile veräußert hat.1272 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts ist die Beteiligung des Staates mit zumindest einer Aktie bzw. einem Anteil notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Artt. 14, 16 KommerzG und die zwingende Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat bzw. Vorstand.1273 Mit der Regelung in Art. 16 KommerzG hat der polnische Gesetzgeber das Ziel verfolgt, eine unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung sicherzustellen.1274 Angelehnt hat man sich dabei wohl an das deutsche Modell und den im deutschen Recht vorhandenen Arbeitsdirektor, gleichzeitig hat der polnische Gesetzgeber versucht, den Pakt über das Staatsunternehmen aus dem Jahre 1993 umzusetzen.1275 Die im Gesetz gewählte Lösung der Vertretung von Arbeitnehmern in nicht nur einem Organ – wie grundsätzlich üblich im europäischen Vergleich – sondern in zwei Organen, scheint sich somit an dem deutschen Modell im MontanMitbestG und MitbestG orientiert zu haben.1276 1. Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors/Arbeitnehmervertreters Der Arbeitsdirektor nach dem MontanMitbestG kann gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 MontanMitbestG nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer bestellt werden. Das gleiche gilt gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 MontanMitbestG für die Abberufung. Der Arbeitsdirektor in den dem MontanMitbestG unterfallenden Unternehmen muss daher das Vertrauen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat genießen.1277 Das MontanMitbestErgG und das MitbestG enthalten eine solche Regelung hingegen nicht. Für die Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors gelten in diesen Fällen dieselben Grundsätze wie für alle anderen Vorstandsmitglieder.1278 Im Fall der dem MontanMit1272 Vgl. zu dieser Problematik oben Kapitel 3, B.II.1.c). Bejahend im Rahmen des Art. 16 KommerzG etwa Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 1; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 62. 1273 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4 ff., 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1274 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 315. 1275 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 62. Zu dem Pakt über das Staatsunternehmen von 1993 siehe oben Kapitel 2, A.II.4.c). 1276 So Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 260. 1277 Spindler, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 84 AktG Rn. 212. 1278 Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 260 Rn. 12.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

bestErgG unterfallenden Konzernobergesellschaft bedeutet dies das Erfordernis einer einfachen Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat, da entsprechend der Grundregel des AktG die einfache Stimmenmehrheit für die Bestellung der Vorstandsmitglieder genügt.1279 Allerdings bietet das auch von den Arbeitnehmervertretern mitgetragene weitere Mitglied i. S. d. § 5 Abs. 1 lit. c) MontanMitbestG (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 MontanMitbestErgG i.V. m. § 8 MontanMitbestG) regelmäßig die Gewähr dafür, dass die Anteilseignervertreter ihren Kandidaten nicht gegen den Widerstand der Arbeitnehmerseite und des weiteren Mitglieds bestellen können.1280 Anders verhält es sich theoretisch bei vom MitbestG erfassten Unternehmen. Bei der dem MitbestG unterfallenden Aktiengesellschaft werden abweichend vom AktG alle Vorstandsmitglieder grundsätzlich mit einer 2/3-Mehrheit vom Aufsichtsrat bestellt (vgl. § 31 Abs. 2 MitbestG). Wird das erforderliche Quorum allerdings nicht im ersten Wahldurchgang erreicht, so hat innerhalb eines Monats der Vermittlungsausschuss (vgl. § 27 Abs. 3 MitbestG) einen Vorschlag zu unterbreiten (wobei hierdurch andere Vorschläge nicht ausgeschlossen werden) und der Aufsichtsrat bestellt die Vorstandsmitglieder mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder (vgl. § 31 Abs. 3 MitbestG). Falls eine Bestellung auch dann nicht zustande kommt, hat bei einer erneuten Abstimmung der Aufsichtsratsvorsitzende ein doppeltes Stimmrecht (vgl. § 31 Abs. 4 MitbestG). Dabei wird relevant, dass der Aufsichtsratsvorsitzende regelmäßig aus dem Kreis der Anteilseignervertreter stammt (vgl. § 27 Abs. 2 MitbestG), womit es theoretisch denkbar ist, dass der Arbeitsdirektor der dem MitbestG unterfallenden Aktiengesellschaften im dritten Wahldurchgang gegen den Widerstand der Arbeitnehmerseite bestellt wird.1281 Dies mag zwar für die alltägliche Praxis unglücklich sein, rechtlich zwingend ist die Akzeptanz der Arbeitnehmerseite indes nicht.1282 So lässt sich feststellen, dass – anders als der Arbeitsdirektor in der Montanindustrie – der Arbeitsdirektor nach § 33 MitbestG nicht zwingend das Vertrauen der Arbeitnehmerseite genießen muss.1283 In der Regel wird dies wohl aber der Fall sein.1284 Für den Widerruf der Bestellung gelten die Regelungen über die Bestellung entsprechend (vgl. § 31 Abs. 5 MitbestG, § 13 Abs. 1 Satz 3 MontanMitbestG, § 13 MontanMitbestErgG).

1279 Näher zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 19. 1280 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 3, der aus diesem Grund die im Gesetzgebungsverfahren gezogenen Parallele zwischen § 33 MitbestG und § 13 MontanMitbestErgG kritisiert. 1281 Allg. Ansicht, vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 212 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 3 m.w. N. 1282 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 3 m.w. N. 1283 Ebenda. 1284 Vgl. Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 260 Rn. 12.

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Nach dem polnischen Art. 16 KommerzG wird in der kommerzialisierten Gesellschaft mit mehr als 500 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern ein Vorstandsmitglied – anders als im deutschen Recht – von den Arbeitnehmern „gewählt“ 1285. Die Grundsätze und das Verfahren für die Wahl und Abberufung regelt gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KommerzG die Satzung der Gesellschaft, wobei die Satzungsbestimmungen die Grundsätze einer allgemeinen, geheimen und unmittelbaren Wahl durch die Arbeitnehmer zu berücksichtigen haben (vgl. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 KommerzG). Im Gleichlauf mit Art. 14 Abs. 2 Satz 2 KommerzG bestimmt Art. 16 Abs. 2 Satz 2 KommerzG, dass das Ergebnis der Wahl für das für die Bestellung des Vorstands zuständige Organ bindend ist. In der polnischen Literatur wurde die Interpretation dieser Vorschrift hinterfragt und – ähnlich wie im Rahmen des Art. 14 KommerzG – diskutiert, ob die Arbeitnehmer das Vorstandsmitglied unmittelbar ins Amt bestellen oder lediglich einen Kandidaten wählen, der sodann erst von dem für die Bestellung des Vorstands zuständigen Organ ins Amt bestellt wird.1286 Den Vorzug schien die erste Ansicht zu genießen.1287 Art. 16 Abs. 2 Satz 2 KommerzG sei so zu verstehen, dass das für die Bestellung des Vorstands zuständige Organ lediglich die übrigen Vorstandsmitglieder wählen und ins Amt bestellen dürfe, jedoch keinerlei Einfluss auf die Wahl bzw. Bestellung des von den Arbeitnehmern gewählten Vorstandsmitglieds habe und auch nicht an dessen Stelle einen eigenen Kandidaten wählen dürfe.1288 Angesichts des dem Art. 16 Abs. 2 Satz 2 KommerzG fast wortlautgleich entsprechenden Art. 14 Abs. 2 Satz 2 KommerzG und dem hierzu im Jahre 2013 ergangenen Urteil des Obersten Gerichts1289, wonach die Arbeitnehmer nur Kandidaten für die Aufsichtsratsposten wählen, letztlich aber die Hauptversammlung diese Personen ins Amt bestellt, dürfte diese Ansicht allerdings nicht länger haltbar sein. Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass gemäß Art. 16 KommerzG – ähnlich wie im Fall der Artt. 12, 14 KommerzG1290 – eine Vorwahl durch die im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer stattfindet, an die sodann das für die Bestellung des Vorstands zuständige Organ – d.h. entweder der Aufsichtsrat, die Hauptversammlung oder auch ein einzelner Aktionär1291 – gebunden ist. Aus

1285 Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KommerzG: „Zasady i tryb wyboru i odwołania przez pracowników członka zarza˛du okres´la statut.“ Übersetzung d. Verf. 1286 Vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 319 f.; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 5. 1287 So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 5, die dies auch schon im Rahmen des fast wortlautgleichen Art. 14 KommerzG annahmen; ebenso Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 320. 1288 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 319 f. 1289 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1290 Näher hierzu Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 1291 Näher hierzu Kapitel 3, C.II.1.a)bb). Bis zum 31. Dezember 2018 war gemäß Art. 19a KommerzG a. F. i.V. m. Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F. in Gesellschaften, in

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

der bindenden Vorwahl nach Art. 16 KommerzG sowie der Bestimmung zur Abberufung durch die Arbeitnehmer (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KommerzG) folgt, dass wie im deutschen MontanMitbestG und anders als im MitbestG der Vertreter der Arbeitnehmer im Vorstand per Gesetz schon eine Person sein muss, die das Vertrauen der Belegschaft genießt.1292 Eine nicht erfolgte Wahl des Vorstandsmitglieds der Arbeitnehmer stellt gemäß Art. 16 Abs. 3 KommerzG kein Hindernis für die Eintragung der Gesellschaft in das Unternehmerregister dar und hindert den Vorstand nicht daran, wirksame Beschlüsse zu fassen. Die fehlenden Vorstandsmitglieder werden damit für die Bestimmung der Beschlussfähigkeit nicht berücksichtigt.1293 Mit Art. 16 Abs. 3 KommerzG wird klargestellt, dass Art. 16 KommerzG lediglich ein Recht der Arbeitnehmer darstellt, keine Pflicht.1294 Anders als die vergleichbare Regelung in Art. 12 Abs. 6 KommerzG gilt Art. 16 Abs. 3 KommerzG seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nach nicht nur für den ersten Vorstand, sondern auch für die nachfolgenden Vorstandsgremien. Gleichwohl ist nach Ansicht der polnischen Literatur die Regelung in Art. 16 Abs. 3 KommerzG insbesondere von Bedeutung für den ersten Vorstand der kommerzialisierten Gesellschaft, der gemäß Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG bereits vor Eintragung der kommerzialisierten Gesellschaft in das Unternehmerregister bestellt wird1295, weil die Arbeitnehmer ihr Wahlrecht erst nach Eintragung der kommerzialisierten Gesellschaft ausüben könnten.1296 Denn da das Wahlverfahren gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KommerzG in der Satzung zu regeln ist, könne dieses noch nicht vor Eintragung der Gesellschaft im Unternehmerregister gelten, weswegen das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds durch die Arbeitnehmer auch erst nach Eintragung wahrgenommen werden könne.1297 Daher soll auch die nicht erfolgte Wahl – wie von Art. 16 Abs. 3 KommerzG klargestellt – kein Hindernis für die Eintragung der kommerzialisierten Gesellschaft ins Unternehmerregister darstellen.1298 Abweichende Ansichten halten es dagegen für erforderlich, den Arbeit-

denen der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hielt, ausschließlich der Aufsichtsrat für die Bestellung des Vorstands zuständig. 1292 So auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 62. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48. 1293 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 86. 1294 Ebenda. 1295 Vgl. hierzu auch Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 310 f. 1296 Vgl. Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 4; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 86; näher hierzu Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 310 ff. 1297 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 4; ebenso wohl Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 86. 1298 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 4; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 86.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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nehmern bereits vor Eintragung der Gesellschaft die Möglichkeit der Wahl ihres Vorstandsmitglieds einzuräumen, was auch dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers entspräche, den Arbeitnehmern auch schon beim ersten Vorstand das Recht zur Wahl ihres eigenen Vertreters zu gewähren, und mit der Regelung des Art. 16 Abs. 3 KommerzG vereinbar sei.1299 Aus Art. 16 Abs. 3 KommerzG wird geschlossen, dass der Vorstand einer kommerzialisierten Gesellschaft, in der die Arbeitnehmer ein Recht auf Wahl eines Vorstandsmitglieds haben, mindestens aus zwei Personen bestehen müsse, da es ansonsten bei fehlender Wahl des Vorstandsmitglieds der Arbeitnehmer niemanden gäbe, der wirksame Beschlüsse fassen könne.1300 Selbst wenn das Unternehmen deutlich mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, bleibt es bei dem Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds. Vertreten wird, dass dies auch nicht durch Satzung geändert werden könne, da Art. 16 Abs. 1 Satz 3 KommerzG eine Öffnungsklausel nur für das Wahlverfahren vorsehe.1301 Dies ist jedoch inkonsequent, wenn man bei Art. 12 KommerzG und Art. 14 KommerzG von einer Mindestregelung ausgeht.1302 Auch in der Praxis kam es durchaus vor, dass zwei Arbeitnehmervertreter zu Vorstandsmitgliedern gewählt worden.1303 Das von den Arbeitnehmern gewählte Vorstandsmitglied kann Arbeitnehmer der Gesellschaft sein, es kann sich dabei jedoch gleichermaßen um eine nicht unternehmensangehörige Person handeln.1304 Die Satzung kann dabei Voraussetzungen für die Wählbarkeit aufstellen, etwa die Unternehmenszugehörigkeit oder besondere Qualifikationen.1305 Anders als dies bis zum 31. Dezember 2016 noch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung des Staates der Fall war (vgl. Art. 12 Abs. 2 KommerzG a. F.)1306, musste das von den Arbeitnehmern gewählte Vorstandsmitglied gemäß Art. 19a Abs. 2 Hs. 2 KommerzG a. F. seit jeher keine besondere Eignung nachweisen, was auch von Seiten der Literatur kritisiert wurde.1307 Die 1299 So Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 316 ff.; vgl. auch die Kritik an der unklaren Gesetzesformulierung und den Gesetzesänderungsvorschlag von Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 318. 1300 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 320. 1301 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 85 f. 1302 So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). Jedenfalls in Bezug auf Art. 14 KommerzG auch Bieniek, in: Bieniek/ Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84. 1303 Vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 78. 1304 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 6; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 86. 1305 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 86. 1306 Aufgehoben zum 1. Januar 2017 gemäß Art. 14 Pkt. 13 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260; vgl. hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 1307 Vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 318.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

heute geltende Regelung des Art. 22 StaatsVermVerwG bestimmt in Bezug auf die Qualifikationsanforderungen von Vorstandsmitgliedern lediglich, dass die zur Ausübung der Rechte aus den dem Staat gehörenden Aktien Berechtigten sowie die staatlichen Rechtspersonen, soweit sie Rechte aus Aktien wahrnehmen, sicherzustellen haben, dass durch Beschluss der Hauptversammlung oder in der Satzung nähere Voraussetzungen für die Vorstandsmitglieder unter Berücksichtigung der in Art. 22 StaatsVermVerwG genannten Vorgaben festgelegt werden. Sofern nicht ausdrücklich im Hauptversammlungsbeschluss oder in der Satzung ausgenommen, dürften die darin festgelegten Voraussetzungen auch für das von den Arbeitnehmern gewählte Vorstandsmitglied gelten. Art. 18 Abs. 1 StaatsVermVerwG bestimmt darüber hinaus, dass die zur Ausübung der Rechte aus den dem Staat gehörenden Aktien Berechtigten sowie die staatlichen Rechtspersonen, soweit sie Rechte aus Aktien wahrnehmen, auf einen Beschluss der Hauptversammlung oder eine Satzungsbestimmung hinwirken sollen, wonach Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat – sofern dieser für die Bestellung zuständig ist – erst nach Durchführung eines besonderen Qualifikationsverfahrens, welches der Auswahl des bestmöglich geeigneten Kandidaten dienen soll, bestellt werden. Durch Änderungsgesetz vom 21. Februar 2019 wurden jedoch die von den Arbeitnehmern zu wählenden Vorstandsmitglieder von diesem Qualifikationsverfahren ausdrücklich ausgenommen. Es erscheint indes inkonsequent, dass die von den Arbeitnehmern bestellten Vorstandsmitglieder zwar in Art. 18 StaatsVermVerwG ausgeklammert werden, nicht aber in Art. 22 StaatsVermVerwG. Empirische Untersuchungen des IPiSS1308 zeigten, dass das von den Arbeitnehmern gewählte Vorstandsmitglied meist eine höhere Berufsausbildung aus dem technischen oder wirtschaftlichen Bereich hatte, mittleren Alters war und über eine langjährige (meist 20- bis 35-jährige) Betriebszugehörigkeit verfügte. Die in den Vorstand des Unternehmens gewählten Arbeitnehmervertreter konnten generell in zwei Kategorien klassifiziert werden: Bei einem Teil von ihnen handelte es sich um dem oberen Management des Unternehmens angehörende Führungskräfte, die daneben nicht zwingend gleichzeitig Gewerkschaftsfunktionär oder auch nur Gewerkschaftsmitglied waren. Bei dem anderen Teil handelte es sich um Führungskräfte auf Ebene des unteren oder mittleren Managements, die gleichzeitig aber eine sehr hohe Position in der Gewerkschaft wahrgenommen hatten.1309 Das Wahlprozedere war oft mit den Gewerkschaften abgestimmt worden.1310 Kandidaten konnten dabei meist von den Gewerkschaften und Arbeitnehmergruppen, teilweise auch den Gesellschaftsorganen nominiert werden oder sich selbst nominieren, und bedurften überwiegend einer gewissen Anzahl von 1308 Dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 78 ff. Die folgenden Ausführungen geben die dort dargestellten Erkenntnisse wieder. 1309 Bei dieser zweiten Gruppe handelte es sich ausschließlich um Funktionäre der NSSZ „Solidarnos´c´ “, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 79. 1310 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44, 79.

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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Unterschriften, durch die ihr Rückhalt in der Belegschaft nachgewiesen wurde.1311 Über die erfolgreiche Wahl eines Kandidaten zum Vorstandsmitglied entschied meist die ihm zukommende Unterstützung seitens der Gewerkschaften.1312 Hinsichtlich der Abberufung bestimmt Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KommerzG, dass „die Grundsätze und das Verfahren [. . .] der Abberufung durch die Arbeitnehmer“ durch die Satzung der Gesellschaft geregelt werden.1313 Nach der Rechtsprechung ist allerdings nicht bereits aus Art. 16 KommerzG zu schließen, dass eine Abberufung des Arbeitnehmervertreters nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer möglich sei.1314 Denn weder ergäbe sich aus Art. 16 KommerzG – bei Fehlen einer ausdrücklichen Satzungsbestimmung –, dass die Abberufung nur auf dieselbe Art und Weise wie die Bestellung erfolgen dürfe, noch würde Art. 16 KommerzG die Kompetenzen anderer Organe, wie etwa des Aufsichtsrats, der zur Überwachung der Geschäftsführung berufen ist, modifizieren.1315 In der polnischen Literatur wurde empfohlen, in der Satzung in Anlehnung an die Regelung des Art. 12 Abs. 5 KommerzG eine erforderliche Mindestzahl der Arbeitnehmer zu bestimmen, die den Antrag auf Abberufung des Vorstands stellen können sollten.1316 Die Bestimmung des Art. 16 KommerzG fand keine Anwendung, wenn die Unternehmensführung einer natürlichen Person gemäß Art. 17 Abs. 1 KommerzG a. F. per Vertrag übertragen wurde. Die Regelung betraf den Fall des sog. Management-Vertrages, dessen Entsprechung im deutschen Recht der Betriebsführungsvertrag sein dürfte.1317 Art. 17 KommerzG a. F. sah hierbei ein spezielles Verfahren zur Auswahl des Managers vor.1318 Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 wurde Art. 17 KommerzG gestrichen.1319

1311 Näher zum Wahlverfahren und zu den Wahlkampagnen Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 80. 1312 Näher Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 80 mit Beispielen. 1313 Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KommerzG: „Zasady i tryb wyboru i odwołania przez pracowników członka zarza˛du okres´la statut.“ Übersetzung d. Verf. 1314 Amtsgericht („sa˛d rejonowy“ – Übersetzung nach Köbler, Rechtspolnisch) Stettin, Urteil vom 15. Februar 2019, Az.: IX P 774/16, abrufbar unter http://orzeczenia. szczecin-centrum.sr.gov.pl (dort S. 3 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1315 Ebenda. 1316 So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 16 Rn. 3. 1317 Ausführlich hierzu Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 325 ff., 331 ff.; zum Betriebsführungsvertrag nach deutschem Recht sowie den Auswirkungen auf die Mitbestimmung vgl. Rieble, Betriebsführungsvertrag als Gestaltungsinstrument, NZA 2010, S. 1145 (1145 ff.). 1318 Vgl. zu den Einzelheiten der Regelung und dem Auswahlverfahren Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 325 ff. 1319 Vgl. Art. 14 Pkt. 17 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

2. Funktion und Bedeutung des Arbeitsdirektors/Arbeitnehmervertreters Das MitbestG, MontanMitbestG und MontanMitbestErgG sehen zwar vor, dass ein Arbeitsdirektor zu bestellen ist (vgl. § 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 13 MontanMitbestErgG und § 33 MitbestG), allerdings wird der Aufgabenbereich des Arbeitsdirektors darin nicht umschrieben.1320 Nach einhelliger Meinung ist dem Arbeitsdirektor eine zwingende und unabdingbare Kernzuständigkeit in Personalund Sozialangelegenheiten der Arbeitnehmer im Unternehmen gesetzlich zugewiesen.1321 Dieser Aufgabenbereich steht ihm bereits mit der Bestellung kraft Gesetzes zu, sodass eine Kompetenzzuweisung diesbezüglich durch die Geschäftsordnung des Vorstandes nicht erforderlich und rein deklaratorischer Natur ist.1322 Der Kernbereich umschließt die substantiellen Personal- und Sozialangelegenheiten im Unternehmen, zu denen vor allem die Personalplanung und -entwicklung sowie weitere Fragen des Personalwesens, etwa Lohn- und Gehaltsfragen, ferner der Arbeits- und Gesundheitsschutz, die Aus- und Fortbildung der Arbeitnehmer und der Bereich der Sozial- und Fürsorge gehören.1323 Die Geschäftsordnung kann dem Arbeitsdirektor die gesetzlich eingeräumte Mindestzuständigkeit nicht entziehen1324, allerdings soll sie den Aufgabenbereich des Arbeitsdirektors gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 MitbestG näher bestimmen1325. Das 1320 Dies wurde zwar im Gesetzgebungsverfahren des MitbestG diskutiert, letztlich wurde hierauf aber verzichtet, vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 10. März 1976, BT-Drucks. 7/4845, S. 9 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 21. 1321 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 208 f. („Aufgaben und Funktion des Arbeitsdirektors lassen sich dem Gesetzeswortlaut mit der verfassungsrechtlich zu fordernden Klarheit entnehmen. [. . .], daß diesem Mitglied des Vertretungsorgans im Schwerpunkt zumindest auch Zuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen übertragen sein müssen“); BGH, Urteil vom 14. November 1983, Az.: II ZR 33/83, NJW 1984, S. 733 (736); hiervon ging ausdrücklich auch der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung aus, vgl. BT-Drucks. 7/4845, S. 9 f.; näher hierzu Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 21 ff., ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG Rn. 23 ff.; Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 33 MitbestG Rn. 24 ff.; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rn. 43 ff. 1322 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 21; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG, Rn. 24; jeweils m.w. N. 1323 Näher Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 23; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG, Rn. 25; jeweils m.w. N. 1324 Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rn. 44; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 21 m.w. N.; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG Rn. 24 m.w. N. 1325 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 210.

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Bundesverfassungsgericht erachtete diese Regelung als sachgerecht, da es so „den erfaßten Unternehmen von unterschiedlicher Größe und Bedeutung erlaubt [sei], den Aufgabenbereich des Arbeitsdirektors unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles näher zu bestimmen“.1326 Über den Personal- und Sozialbereich hinausgehende Zuständigkeiten sollen dem Arbeitsdirektor jedoch nach Ansicht der Literatur grundsätzlich nicht bzw. nur dann übertragen werden dürfen, wenn sie seine Aufgabe als Arbeitsdirektor nicht beeinträchtigen.1327 Nach § 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 13 MontanMitbestErgG und § 33 MitbestG wird der Arbeitsdirektor als „gleichberechtigtes Mitglied“ des Vorstands bestellt. Dadurch soll klargestellt sein, dass für den Arbeitsdirektor die gleichen Rechte und Pflichten gelten wie für andere Vorstandsmitglieder auch, so etwa die Pflicht zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Berichtspflicht gemäß § 90 AktG, die Sorgfalts- und Verschwiegenheitspflicht und insbesondere die Bindung an das Unternehmensinteresse.1328 Ferner hat der Arbeitsdirektor wie die übrigen Vorstandsmitglieder „seine Aufgaben im engsten Einvernehmen mit dem Gesamtorgan auszuüben“. Das Nähere soll durch die Geschäftsordnung bestimmt werden. Hiermit stellen die Mitbestimmungsgesetze klar, dass der Arbeitsdirektor kein „Gegenspieler“ des Unternehmens oder der übrigen Vorstandsmitglieder ist, sondern seine Arbeit vielmehr einen Teil der Aufgaben des Gesamtvorstands darstellt.1329 Von Kritikern wurde die Regelung auch als „starker Harmonisierungszwang“ angesehen, dem der Arbeitsdirektor ausgesetzt werden sollte.1330 Auch das polnische KommerzG verzichtet auf die Umschreibung der Aufgaben des von den Arbeitnehmern zu wählenden Vorstandsmitglieds. Dies führt in der Praxis zu Reibereien.1331 Anders als in Deutschland ist das in Polen von den Arbeitnehmern zu wählende Vorstandsmitglied nach allgemeiner Ansicht1332 nicht auf die Personal- und Sozialangelegenheiten des Unternehmens gesetzlich festgelegt. Obwohl es naheläge, ihn mit Arbeitnehmerangelegenheiten zu be-

1326 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 210. Dies war auch der Grund, warum von einer Konkretisierung des Aufgabenbereichs im Gesetzgebungsverfahren Abstand genommen wurde, vgl. BT-Drucks. 7/4845, S. 10. 1327 So Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 33 MitbestG Rn. 31; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 25 m.w. N.; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG, Rn. 28 f. 1328 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 13; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG, Rn. 12. 1329 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 33 MitbestG Rn. 32; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 13 MontanMitbestG, Rn. 33. 1330 So Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 30. 1331 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48. 1332 So etwa Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 317; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 62.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

trauen, ist auch die Zuweisung anderweitiger Aufgaben möglich.1333 Das von den Arbeitnehmern gewählte Vorstandsmitglied kann grundsätzlich alle Aufgaben wahrnehmen.1334 Lediglich das Amt des Vorstandsvorsitzenden im ersten Vorstand ist hiervon ausgenommen, da dieses gemäß Art. 6 Abs. 2 KommerzG grundsätzlich vom früheren Direktor des umgewandelten Staatsunternehmens wahrgenommen wird.1335 Das Aufgabenspektrum des Vorstandsmitglieds kann in der Satzung eindeutig und verbindlich festgelegt werden, andernfalls steht nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht den Arbeitnehmern bei der Wahl des Vorstandsmitglieds gleichzeitig auch das Recht zu, die Aufgaben zu bestimmen, die das Vorstandsmitglied wahrnehmen soll.1336 Ein anderes Verständnis dergestalt, dass im Falle einer fehlenden Satzungsbestimmung die Hauptversammlung, der Aufsichtsrat oder der Vorstand selbst die Aufgaben des Vorstandsmitglieds der Arbeitnehmer festlegen könne, würde das Recht der Arbeitnehmer aus Art. 16 KommerzG unterlaufen können, wenn dem Vorstandsmitglied überhaupt keine Kompetenzen zugewiesen werden würden.1337 Im Sinne des Staates als Aktionär der Gesellschaft läge daher eine eindeutige Kompetenzzuweisung in der Satzung.1338 Wie Untersuchungen des IPiSS1339 zeigten, wurde dem von den Arbeitnehmern gewählten Vorstandsmitglied jedoch oftmals in der Tat die Zuständigkeit für Personal- und Sozialangelegenheiten zugewiesen, dies war oft auch formal in der Satzung oder Geschäftsordnung vorgesehen. Teilweise wurden dem Arbeitnehmervertreter im Vorstand auch zusätzliche, über den Personal- und Sozialbereich hinausgehende Aufgaben zugeteilt. Zu dem zugewiesenen Aufgabenspektrum zählten insbesondere Personalangelegenheiten im Zusammenhang mit der Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern, darunter Massenentlassungen, die Beziehung und Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, Tarifverhandlungen und -abschlüsse, Streikverhandlungen sowie Maßnahmen des Personalabbaus bei Restrukturierungen oder während der Privatisierung. Darüber hinaus war er auch für soziale Angelegenheiten wie Urlaubsangebote, Sportturniere oder Feste verantwortlich. Allerdings gab es auch Fälle, in denen dem Arbeitnehmervertreter nur sehr ungern oder auch gar keine Arbeitnehmerangelegenheiten anvertraut wurden. Oftmals ließen sich ergänzende Regelungen im Hinblick auf die Mitbestimmung im Vorstand auch in den sog. Sozialvereinbarungen1340 im Zusammenhang 1333

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 62. 1334

Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 317. Vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 317. 1336 So Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 317 m.w. N. 1337 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 318. 1338 Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych, S. 317 f. 1339 Dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 82 f.; ders., in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 117 ff. Die folgenden Ausführungen geben die dort dargestellten Erkenntnisse wieder. 1335

C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft

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mit der Privatisierung finden.1341 So etwa sahen Satzungsbestimmungen vor, dass die Wahl und Abwahl des Arbeitnehmervertreters im Vorstand einer Abstimmung mit den Gewerkschaften bedurfte.1342 Teilweise wurde in den Sozialvereinbarungen auch geregelt, dass die Kompetenzen des Arbeitnehmervertreters im Vorstand auf Grundlage eines Antrags der Betriebsgewerkschaft bzw. der Betriebsgewerkschaften vom Vorstand festgelegt würden.1343 Oft wurden auch die Bestimmungen in der Satzung oder Geschäftsordnung in Bezug auf die Aufgaben des von den Arbeitnehmern gewählten Vorstandsmitglieds vorher mit den Gewerkschaften ausgehandelt.1344 Gleichzeitig belegten die in den Jahren 20011345 und 20031346 durchgeführten empirischen Untersuchungen des IPiSS, dass es sich bei dem Recht der Arbeitnehmer aus Art. 16 KommerzG um eine durchaus konfliktbehaftete Regelung handelte.1347 Befragungen der Vorstandsmitglieder zeigten, dass der Arbeitnehmervertreter im Vorstand sich in einer Sonderposition im Vergleich zu dem restlichen Vorstandsgremium verstand, was mit dem erforderlichen Vertrauen der Belegschaft und ihrer jederzeitigen Möglichkeit, das Vorstandsmitglied wieder abzuberufen, zu erklären war. Gleichwohl war die Zusammenarbeit mit den übrigen Vorstandsmitgliedern in der Regel gut bis sehr gut, aufgrund seiner durch die Wahl (und Abwahl) der Arbeitnehmer bedingten unabhängigen Position genoss der Arbeitnehmervertreter oft eine nicht unwesentliche Autorität. In ihrer Funktion versuchten die Arbeitnehmervertreter nicht nur, die laufenden Aufgaben aus dem Personal- und Sozialbereich zu erfüllen, sondern – im Rahmen des Möglichen – auch Einfluss auf die Unternehmensführung durch den Vorstand als Gremium auszuüben. So bestand nach Wratny die Rolle der Arbeitnehmervertreter im Vorstand vor allem darin, die Perspektive der Arbeitnehmerinteressen in die Meinungsbildung des Vorstands einzubringen. Zudem waren die Arbeitnehmervertreter ein wichtiges Bindeglied zur Belegschaft bzw. den Gewerkschaften, es fand eine intensive Kommunikation und Informationsvermittlung „nach oben“ wie auch „nach unten“ statt, wobei sich allerdings im Zusammenhang mit Letzterem auch oft Loyalitätskonflikte ergaben.1348 Nach Ansicht der befragten Ar-

1340

Hierzu oben Kapitel 3, A.I.2.c). Hierzu Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 1342 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 1343 Ebenda. 1344 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 83. 1345 Vgl. hierzu Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48, S. 78 ff. 1346 Vgl. hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 62, 117 ff. 1347 Die folgenden Ausführungen geben die bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48, S. 78 ff. und ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 62, 117 ff. dargestellten Erkenntnisse wieder. 1348 Näher hierzu Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 86 ff. mit Einzelbeispielen. 1341

446

Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

beitnehmervertreter war die Institution des Arbeitnehmervertreters im Vorstand ein bedeutsames Instrument in Umbruchphasen des Unternehmens, insbesondere im Rahmen der Privatisierung und Restrukturierung stelle sie deren reibungslose Durchführung und die Verhandlung eines für die Arbeitnehmer günstigen Sozialpaketes sicher. So sei die Arbeitnehmervertretung auch geeignet, Konflikte im Unternehmen zu mildern. Zum anderen verbessere sie den Informationsfluss im Unternehmen. Postuliert wurde allerdings die gesetzliche Festlegung des Aufgabenbereiches des Arbeitnehmervertreters auf Arbeitnehmerangelegenheiten, damit diese dem Arbeitnehmervertreter nicht entzogen werden könnten. Dagegen beurteilten die übrigen, die Anteilseignerseite repräsentierenden Vorstandsmitglieder die Institution des Arbeitnehmervertreters im Vorstand trotz guter Zusammenarbeit kritisch, da sie uneindeutig und undurchsichtig sei, und befürworteten statt dessen eine Vertretung der Arbeitnehmerinteressen ausschließlich durch die Gewerkschaften. Vor dem Hintergrund der durchgeführten Untersuchungen beurteilt Wratny die Arbeitnehmervertretung im Vorstand als deutlich effektivere Institution als die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat, weist jedoch gleichzeitig auf die Akzeptanzschwierigkeiten bei potentiellen Investoren hin.1349 Im Rahmen der Untersuchungen stellte sich auch heraus, dass in einer beträchtlichen Anzahl der untersuchten Gesellschaften, in denen nach Art. 16 KommerzG ein Vorstandsmitglied von den Arbeitnehmern zu wählen gewesen wäre, der Arbeitnehmervertreter nicht gewählt worden war.1350 Teilweise fehlte auf Seiten der Gewerkschaften das notwendige Interesse zur Entsendung eines Arbeitnehmervertreters in den Vorstand, teilweise scheiterte die Arbeitnehmervertretung am Widerstand der Unternehmensleitung, die vor dem Hintergrund des Art. 16 KommerzG sogar einen Personalabbau bzw. eine Ausgliederung durchführte, um sich dem Anwendungsbereich der Norm zu entziehen.1351

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen In Polen können – neben der in Spezialgesetzen für bestimmte Unternehmen geregelten Arbeitnehmerbeteiligung 1352 – weitere zwei Sonderfälle der unterneh1349

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 122. 1350 In der Untersuchung des IPiSS im Jahr 2003 war nur in zwei von fünf Unternehmen, die vom Geltungsbereich des Art. 16 KommerzG erfasst waren, ein Vorstandsmitglied von den Arbeitnehmern gewählt worden, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 117; anders noch in der Untersuchung im Jahr 2001, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 78. 1351 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 117. 1352 Zu den speziellen Privatisierungsgesetzen vgl. oben Kapitel 3, B.II.2.

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen

447

merischen Mitbestimmung hervorgehoben werden: die Arbeitnehmerbeteiligung in sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) sowie die Arbeitnehmerbeteiligung in Staatsunternehmen auf Grundlage des SelbstVerwG vom 25. September 1981.

I. Die Arbeitnehmerbeteiligung in sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) Neben der sog. „mittelbaren Privatisierung“ 1353 (auch als sog. „Kapitalprivatisierung“ 1354 bezeichnet) sah das KommerzG in Kapitel V (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) – wie auch schon das Vorgängergesetz von 1990 (vgl. Artt. 37 ff. PrivG 1990)1355 – die Möglichkeit einer sog. „unmittelbaren Privatisierung“ 1356 des Staatsunternehmens vor. Durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 wurden die entsprechenden Vorschriften gestrichen1357, sodass die Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung nicht länger besteht. Die unmittelbare Privatisierung bestand anders als die mittelbare Privatisierung nicht aus einer zunächst stattfindenden Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Kapitalgesellschaft und einer erst daran anschließenden Veräußerung von Anteilen des Unternehmens. Vielmehr beruhte die unmittelbare Privatisierung gemäß Art. 39 KommerzG a. F. auf der „Verfügung über das gesamte materielle und immaterielle Vermögen des Staatsunternehmens“ 1358, wofür das Gesetz drei Möglichkeiten bereithielt: den Verkauf des Unternehmens, die Einbringung des Unternehmens in eine Gesellschaft und die Verpachtung des Unternehmens (vgl. Art. 39 Abs. 1 Pkt. 1 bis 3 KommerzG a. F.). Der Beschluss über die unmittelbare Privatisierung beendete die Funktion der Organe des Staatsunternehmens1359, auf die Arbeits1353 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28 („prywatyzacja pos´rednia“, Übersetzung d. Verf.). 1354 „prywatyzacja kapitałowa“, vgl. Wrzeszcz-Kamin ´ ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 102 (103). Übersetzung d. Verf. 1355 Die unmittelbare Privatisierung wurde im PrivG 1990 noch als „Privatisierung des Staatsunternehmens im Liquidationsweg“ („prywatyzacja przedsie˛biorstwa pan´stwowego w dordze likwidacji“, Übersetzung d. Verf.) bezeichnet, da sie mit der Liquidation des Staatsunternehmens einherging. Entsprechend hatte sich auch in der polnischen Literatur der Begriff der „Liquidationsprivatisierung“ („prywatyzacja likwidacyjna“) eingebürgert, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 65. 1356 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28 („prywatyzacja bezpos´rednia“, Übersetzung d. Verf.). 1357 Vgl. Art. 14 Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 1358 Art. 39 Abs. 1 KommerzG a. F.: „Prywatyzacja bezpos´rednia polega na rozporza˛dzeniu wszystkimi składnikami materialnymi i niematerialnymi maja˛tku przedsie˛biorstwa pan´stwowego przez [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 1359 Zu den einzelnen Organen eines Staatsunternehmens i. S. d. StaatsUntG ausführlich unten Kapitel 3, D.II.2.a).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

verhältnisse war Art. 231 ArbGB entsprechend anzuwenden und das Staatsunternehmen nach Abschluss der unmittelbaren Privatisierung aus dem Unternehmensregister zu streichen (vgl. Artt. 43, 44 KommerzG a. F.). Alle Rechte und Pflichten des ehemaligen Staatsunternehmens gingen auf den Unternehmenserwerber über (vgl. Art. 40 Abs. 1 KommerzG a. F.). Nach der ursprünglichen Gesetzesfassung war die unmittelbare Privatisierung nur zulässig, wenn das Unternehmen nicht mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigte und bei einem Eigenkapital von nicht mehr als 2 Millionen Euro der Jahresumsatz des Unternehmens maximal 6 Millionen Euro betrug (vgl. Art. 39 Abs. 2 KommerzG urspr. Fassung).1360 Nach der zuletzt geltenden Fassung (vor dem 1. Januar 2017) knüpfte das Gesetz allein noch den Fall der Verpachtung des Unternehmens an Voraussetzungen, die sich an Umsatz und Eigenkapital bemaßen. Es handelte sich daher in der Regel um keine großen Staatsunternehmen, die im Wege der Verpachtung unmittelbar privatisiert wurden.1361 Das KommerzG sah im Rahmen der unmittelbaren Privatisierung keine institutionell abgesicherte Beteiligung von Arbeitnehmervertretern auf Organebene vor, jedoch enthielt es abhängig von der jeweiligen Variante der unmittelbaren Privatisierung anderweitige Regelungen, durch die eine Privilegierung der Arbeitnehmer und ein Schutz ihrer Interessen erfolgen sollte: (i) Die erstgenannte Variante der unmittelbaren Privatisierung beruhte auf dem Verkauf des Unternehmens als Ganzem – d.h. aller materiellen und immateriellen Vermögensbestandteile (vgl. Art. 39 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG a. F.) – an eine natürliche oder juristische Person aus dem In- oder Ausland, wodurch dem Staat unmittelbar Einnahmen zuflossen.1362 Diese Form der Privatisierung ähnelte wirtschaftlich betrachtet der mittelbaren Privatisierung.1363 Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen der übernehmenden Gesellschaft wurden gesetzlich – nachvollziehbarer Weise1364 – nicht getroffen. Die Arbeitnehmerinteressen konnten jedoch durch Sozialvereinbarungen geschützt werden.1365 Art. 48 KommerzG a. F.

1360 Näher zum Geltungsbereich und zum Hintergrund dieser Regelung oben Kapitel 3, B.II.1.b)aa). 1361 Misiołek, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 455 (456 f.). 1362 Vgl. Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29. 1363 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29. 1364 Damit wäre schließlich auch eine Vorgabe an die Unternehmensverfassung des Erwerbers – der noch nicht einmal zwingend eine juristische Person sein musste – verbunden gewesen. 1365 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29.

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen

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erklärte die mit Arbeitnehmervertretern geschlossenen Sozialvereinbarungen sogar als integralen Teil des Unternehmenskaufvertrages. (ii) Die zweitgenannten Möglichkeit der Einbringung des Unternehmens in eine Gesellschaft (vgl. Art. 39 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG a. F.) beruhte darauf, dass das Staatsunternehmen als Ganzes in eine neu gegründete oder bereits bestehende Gesellschaft eingebracht wurde, wofür der Staat so viele Anteile an dieser Gesellschaft erhielt, wie dies dem wirtschaftlichen Wert des eingebrachten Unternehmens im Vergleich zum Gesamtwert der Gesellschaft entsprach.1366 Das Staatsunternehmen als solches existierte fortan nicht mehr.1367 An der übernehmenden Gesellschaft konnten neben dem Staat sowohl externe Investoren als auch Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens beteiligt sein (vgl. Artt. 49, 50 KommerzG a. F.). Sofern auch externe Investoren an einer neu zu gründenden Gesellschaft beteiligt waren, mussten mindestens 25 % des Grundkapitals durch Einlagen der Aktionäre (mit Ausnahme des Staates) gedeckt werden (vgl. Art. 49 KommerzG a. F.).1368 Die übernehmende Gesellschaft konnte aber auch ausschließlich von Arbeitnehmern des Staatsunternehmens gegründet werden.1369 In diesem Fall mussten lediglich mindestens 10 % des Grundkapitals durch Einlagen gedeckt werden (vgl. Art. 50 KommerzG a. F.). Durch diese Regelung wurden die Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens privilegiert.1370 Darüber hinaus gewährte das KommerzG den Arbeitnehmern das Recht auf unentgeltlichen Erwerb von 15 % der vom Staat infolge der Einlage erhaltenen Anteile an der Gesellschaft (vgl. Art. 49 Abs. 4 KommerzG a. F.). Ferner sah das KommerzG für den Fall, dass neben dem Staat ausschließlich Arbeitnehmer des Staatsunternehmens Aktionäre der neuen Gesellschaft waren, eine verpflichtende Regelung in der Satzung vor, nach deren Maßgabe den Arbeitnehmern jedes Jahr so viele Anteile anzubieten waren, dass ihr Anteil an der Gesellschaft nach fünf Jahren 51 % betragen konnte (vgl. Art. 50 Abs. 2 KommerzG a. F.). Die genannten Regelungen begünstigten so allesamt die Entstehung von Arbeitnehmeraktionärstum, womit der Einfluss der Arbeitnehmer auf das Unternehmen mittels ihrer Eigentumsrechte einherging. (iii) Die dritte Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung beruhte auf der Verpachtung des Vermögens des Staatsunternehmens (vgl. Art. 39 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG a. F.), wobei das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit vorsah, in 1366

Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 146. Ebenda. 1368 Vgl. hierzu auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 172. 1369 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30. 1370 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 173. 1367

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

dem Pachtvertrag ein Recht auf Eigentumserwerb am Ende der Laufzeit vorzusehen (vgl. Art. 52 Abs. 2 KommerzG a. F.). Diese Form der unmittelbaren Privatisierung war jedoch nicht nur an Voraussetzungen geknüpft, die das ehemalige Staatsunternehmen selbst betrafen – so im Hinblick auf Umsatz und Eigenkapital (vgl. Art. 39 Abs. 3 KommerzG a. F.), auch die übernehmende Gesellschaft musste bestimmte Voraussetzungen erfüllen. So bestimmte das Gesetz unter anderem, dass die Verpachtung des Staatsvermögens nur an eine Gesellschaft erfolgen durfte, an der mindestens die Hälfte der Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens beteiligt waren (vgl. Art. 51 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG a. F.). Aufgrund der vorgeschriebenen Beteiligung der Arbeitnehmer an der übernehmenden Gesellschaft und der letztlich gegebenen Kaufoption wird diese Form der unmittelbaren Privatisierung auch als „Arbeitnehmerleasing“ 1371 oder „Arbeitnehmerprivatisierung“ 1372 bezeichnet. Gleichwohl sah das KommerzG keine Mindestquote für die Zahl der von den Arbeitnehmern zu haltenden Anteile an der Gesellschaft im Vergleich zur Gesamtzahl aller Anteile vor, während es gleichzeitig vorschrieb, dass mindestens 20 % der Anteile von natürlichen Personen gehalten werden mussten, die nicht vom Staatsunternehmen beschäftigt waren (vgl. Art. 51 Abs. 1 Pkt. 4 KommerzG a. F.). Dennoch wurden die Arbeitnehmerinteressen im Rahmen dieser Privatisierungsform durch eine gesetzlich geforderte Beteiligung der Hälfte aller Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens an der pachtenden Gesellschaft abgesichert, ohne welche es schon gar nicht zur Einleitung der unmittelbaren Privatisierung durch Verpachtung kommen durfte. Die vom KommerzG a. F. – im Falle der Einbringung des Unternehmens – begünstigte bzw. – im Falle der Verpachtung – erforderliche Beteiligung der Arbeitnehmer an der das Vermögen des Staatsunternehmens übernehmenden Gesellschaft hat zur Entstehung sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) geführt.1373 Als Arbeitnehmergesellschaften werden in der Literatur solche Gesellschaften verstanden, in denen die Arbeitnehmer den gesamten oder jedenfalls einen wesentlichen Teil der Anteile der Gesellschaft halten.1374 Im 1371 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30; Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97). Kritisch zu der Bezeichnung als Leasing Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 176, wegen der im KommerzG a. F. vorgesehenen Kaufoption unter Anrechnung der Leasingraten am Ende der Laufzeit, da dies für das im Zivilgesetzbuch definierte Leasing kein notwendiges Element war. 1372 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 47. 1373 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 47 (der an dieser Stelle den Begriff der Arbeitnehmergesellschaften allerdings – wohl zu eng – nur für die im Rahmen der dritten Variante der unmittelbaren Privatisierung entstehenden Gesellschaften verwendet). 1374 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51. Dieser Begriff ist jedoch gesetzlich weder definiert noch wird er im Kom-

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Rahmen dieser Arbeitnehmergesellschaften erfolgt eine Beteiligung der Arbeitnehmer auf Grundlage ihrer Aktionärsstellung, die ihnen den Einfluss in der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung sichert.1375 Über ihr Stimmrecht haben sie einen unmittelbaren Einfluss auf die grundlegenden Entscheidungen im Unternehmen.1376 In der polnischen Literatur wird diese Form der Arbeitnehmerbeteiligung auch als „kapitalbasierte Arbeitnehmerpartizipation“ bezeichnet.1377 Die Arbeitnehmerbeteiligung lag hier – anders als bei der repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene im Rahmen der mittelbaren Privatisierung – nicht unmittelbar in der Arbeitnehmereigenschaft begründet, jedoch war der Arbeitnehmerstatus Voraussetzung für den Erwerb von Unternehmensaktien oder -anteilen, die sodann die Grundlage der Arbeitnehmerbeteiligung bildeten.1378 Nach der gesetzgeberischen Konzeption erfolgte eine Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen im Rahmen der unmittelbaren Privatisierung in Form der Einbringung und Verpachtung somit anders als bei der mittelbaren Privatisierung nicht durch eine institutionell abgesicherte Arbeitnehmervertretung, sondern im Wege der begünstigten bzw. sogar gesetzlich geforderten Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer an der übernehmenden Gesellschaft. Eine hohe Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer an der Gesellschaft ermöglichte den Arbeitnehmern jedoch nicht nur die Einflussnahme über die Hauptversammlung und die damit einhergehenden Kompetenzen. Auch erleichterte dies den Arbeitnehmern als einer Aktionärsgruppe, die Vorzüge der in Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG vorgesehenen Möglichkeit einer Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch Gruppen wahrzunehmen und sich hierdurch auch den Einfluss auf die Gesellschaft über den Aufsichtsrat zu sichern.1379 merzG erwähnt, es handelt sich um ein dogmatisches Konstrukt; auch wird der Begriff nicht einheitlich verwendet – vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242 m.w. N. Teilweise werden unter dem Begriff nur die Gesellschaften verstanden, die gemäß Art. 39 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG a. F. im Wege der Verpachtung entstanden sind, vgl. etwa Misiołek, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 456. Dieses Verständnis dürfte indes zu eng sein. 1375 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 245. 1376 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 245 f. 1377 So etwa Woz ´niak, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 103 (107); Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 20; ders., Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111); ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1378 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51 f. Näher zum Arbeitnehmeraktionärstum unten Kapitel 5, C.I. 1379 Eine Gruppenwahl kann gemäß Art. 385 § 3 HGG von Aktionären gefordert werden, die zusammen mindestens 1/5 des Grundkapitals vertreten. Gemäß Art. 385 § 5 HGG können eine Wahlgruppe sodann diejenigen Aktionäre bilden, die so viele Aktien halten, wie sich aus der Division der Gesamtzahl der Aktien durch die Zahl der Aufsichtsratssitze ergibt. Wird eine Wahl durch Gruppen durchgeführt, so kann jede Wahlgruppe ihren eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat wählen (vgl. Art. 385 § 5

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Die Übertragung der Betriebsmittel des Unternehmens auf die Belegschaft durch die Gründung der sog. Arbeitnehmergesellschaften war ein „Phänomen der polnischen Privatisierung“ 1380, das zu einem raschen Rückgang der vom StaatsUntG und SelbstVerwG erfassten Unternehmen beitrug.1381 Es stellte sich heraus, dass dabei die unmittelbare Privatisierung im Wege der Verpachtung der beliebteste Privatisierungsweg war.1382 Nach den Angaben des Ministeriums für Staatsvermögen1383 wurde seit Beginn der Transformationsprozesse bis zum 31. Dezember 2015 für 2.308 Staatsunternehmen die unmittelbare Privatisierung eingeleitet, davon wurde in 1.402 Fällen der Privatisierungsweg der Verpachtung gewählt. Die Arbeitnehmer waren der Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung in Form der Verpachtung an sog. Arbeitnehmergesellschaften durchaus zugewandt, da sie davon überzeugt waren, dass sie sich hierdurch entscheidenden Einfluss auf das Unternehmen sichern und dadurch vor allem Arbeitsplätze erhalten könnten.1384 Dagegen standen die Gewerkschaften dieser Form der Privatisierung oft skeptisch gegenüber.1385 Die beruhte wohl einerseits auf der Sorge, dass die Unternehmensleitung letztlich die Kontrolle über das Unternehmen übernehmen würde – was auch in vielen Fällen geschah –, andererseits darauf, dass die Gewerkschaften ihre eigene Position in den sog. Arbeitnehmergesellschaften gefährdet sahen.1386 Meist war jedoch nicht die negative Einstellung der Gewerkschaften der Grund, warum auf diese Form der Privatisierung oftmals verzichtet wurde, sondern der Mangel an finanziellen Mitteln bei den Arbeitnehmern, die gerade bei größeren Unternehmen einen beträchtlichen finanziellen Aufwand für den Erwerb der Unternehmensanteile hätten erbringen müssen.1387

HGG). Näher hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.c)aa); zur Möglichkeit der Gruppenwahl durch die Arbeitnehmer-Aktionäre vgl. auch Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 68 f.; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (181 f.). 1380 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 27; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. 1381 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. 1382 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30; Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 27. 1383 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5, 8. 1384 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 81. 1385 Ebenda. 1386 Ebenda. 1387 Ebenda.

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Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 wurde Kapitel V des KommerzG (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) und damit für die Zukunft auch die Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung gestrichen.1388 Zum Hintergrund dieser Gesetzesänderung beschränkt sich die Regierungsentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes einerseits auf die Aussage, dass der Gesetzgeber generell von dem Begriff der Privatisierung Abstand nehmen wollte und daher auch die Vorschriften über die unmittelbare Privatisierung streichen musste, andererseits darauf, dass die Veräußerung von Staatsanteilen an Gesellschaften im StaatsVermVerwG geregelt wurde.1389 Die nähere Begründung ist vielmehr in dem mit dem neuen StaatsVermVerwG verfolgten Ziel des Gesetzgebers zu suchen, wonach durch das neue Konzept die Veräußerung von Anteilen des Staates an Unternehmen an die Marktstandards angepasst werden sollte.1390

II. Die Arbeitnehmerbeteiligung in polnischen Staatsunternehmen als Relikt aus dem Sozialismus Bis heute in Kraft ist auch die besondere Form der Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des StaatsUntG und der SelbstVerwG, die nach der zähen „Schlacht um die Selbstverwaltung“ 1391 zwischen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und der damaligen sozialistischen Regierung am 25. September 1981 verabschiedet wurden. Das in den genannten Gesetzen vorgesehene Modell der Arbeitnehmerpartizipation stellte letztlich einen Kompromiss dar zwischen den Forderungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ nach einer Vergemeinschaftung der Wirtschaft und dem Bestreben der Regierung, die Kontrolle über dieselbe zu behalten.1392 Entsprechend dem Regierungskonzept wurden die Regelungen über das Staatsunternehmen und diejenigen über die Selbstverwaltung in zwei verschiedenen Gesetzen verankert.1393 Das SelbstVerwG regelt die Wahl und Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane, ihre Kompetenzen, die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und dem Direktor sowie Schutz- und Schlichtungsvorschriften. Die im 1388 Vgl. Art. 14 Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 1389 Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1054 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 9. 1390 Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 2 f. 1391 Jakubowicz, Bitwa o samorza˛d; Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 f.; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66; ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.3.a). 1392 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. 1393 Näher zum historischen Hintergrund siehe oben Kapitel 2, A.II.3.

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SelbstVerwG enthaltenen Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung erfassen grundsätzlich alle Staatsunternehmen, die unter das StaatsUntG fallen. Die Mitbestimmungsvorgaben unterscheiden sich jedoch je nachdem, ob das Staatsunternehmen selbst- oder fremdverwaltet wird. 1. Das Staatsunternehmen als Rechtsform sui generis Das Staatsunternehmen im Sinne der Gesetze vom 25. September 1981 ist eine Rechtsform aus der Zeit des realen Sozialismus, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Einführung der sozialistischen Planwirtschaft ins Leben gerufen wurde.1394 Das Staatsunternehmen war ein Wirtschaftssubjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit, jedoch in das planwirtschaftliche System vollständig eingebettet. In seiner ursprünglichen Fassung definierte das StaatsUntG das Staatsunternehmen in Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung noch als die „organisatorische Basiseinheit der nationalen Volkswirtschaft“, welche der Befriedigung öffentlicher Bedürfnisse dienen und durch die Herstellung von Gütern, Erbringung von Dienstleistungen oder eine andere Tätigkeit positive wirtschaftliche Ergebnisse erzielen sollte.1395 Im Gefüge des planwirtschaftlichen Systems stand das Staatsunternehmen als organisatorische Einheit auf unterster Ebene und wurde – je nach gesetzlicher Ausgestaltung, die innerhalb des 40-jährigen Bestehens der Volksrepublik verschiedene Formen annahm – von übergeordneten Organisationseinheiten mal mehr, mal weniger stark kontrolliert und beeinflusst.1396 Im Vergleich zu den Vorgängergesetzen wurde dem Staatsunternehmen im Rahmen des StaatsUntG von 1981 eine sehr weitgehende Selbstständigkeit, Selbstverwaltung und Selbstfinanzierung zugebilligt. Nach Art. 2 StaatsUntG urspr. Fassung verwaltete das Staatsunternehmen den ihm zugeteilten Teil des Volkseigentums und führte die wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig – wenn auch entsprechend den Zielvorgaben des nationalen Wirtschaftsplans. Die auf die sozialistische Planwirtschaft ausgelegten Vorschriften des Gesetzes über das Staatsunternehmen wurden mit dem Wechsel von der sozialistischen zur marktwirtschaftlichen Ordnung gestrichen bzw. geändert (so etwa Artt. 1 bis 3 StaatsUntG urspr. Fassung). Art. 1 StaatsUntG beschränkt die Definition des Staatsunternehmens nunmehr – in Anlehnung an den früheren Art. 1 Abs. 2 1394 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. Die erste gesetzliche Grundlage hierfür war das Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, Dz. U. 1950 Nr. 49 Pos. 439. 1395 Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung: „Przedsie˛biorstwo pan ´stwowe jest podstawowa˛ jednostka˛ organizacyjna˛ gospodarki narodowej, słuz˙a˛ca˛ zaspokojaniu potrzeb społecznych, tworzona˛ w celu osia˛gania efektywnych ekonomicznie wyników przez produkcje˛ dóbr, s´wiadczenie usług czy inna˛ działalnos´c´.“ Übersetzung d. Verf. 1396 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20, 27; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62 f.; ausführlich zu den gesetzlichen Grundlagen in der Geschichte der Volksrepublik Polen oben Kapitel 2, A.II.2 und Kapitel 2, A.II.3.b).

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StaatsUntG urspr. Fassung – darauf, dass es sich dabei um einen selbstständigen, sich selbstverwaltenden und selbstfinanzierenden Unternehmer handelt, der eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Die Organe des Staatsunternehmens sollen in allen Angelegenheiten des Unternehmens selbstständig Entscheidungen treffen und die Tätigkeit des Unternehmens organisieren, die staatlichen Organe dürfen nur in gesetzlich genau bezeichneten Fällen Einfluss nehmen (vgl. Art. 2 Abs. 2 StaatsUntG). Nach Artt. 5 ff. StaatsUntG wird das Staatsunternehmen von einem staatlichen Organ gegründet (sog. „Gründerorgan“ 1397). Das Gründerorgan sind in der Regel entweder übergeordnete und zentrale Verwaltungseinheiten oder die Polnische Nationalbank bzw. andere staatliche Banken (vgl. Art. 7 StaatsUntG). Das Staatsunternehmen kann als allgemeines Staatsunternehmen oder solches der öffentlichen Daseinsvorsorge gegründet werden (vgl. Art. 5 StaatsUntG). Letztere werden in Art. 6 Abs. 1 StaatsUntG beispielhaft aufgelistet und sind insbesondere dazu bestimmt, Produkte und Dienstleistungen auf dem Gebiet der Sanitäranlagen, öffentlicher Nahverkehrseinrichtungen, Energiezulieferung, Bestattungsdienste und Kultur zu erbringen. Für diese besonderen Staatsunternehmen sieht das Gesetz einige Sondervorschriften vor (vgl. Art. 6 Abs. 2 bis 4 StaatsUntG), u. a. etwa, dass der Ministerrat durch Rechtsverordnung die Grundsätze der Tätigkeit der Staatsunternehmen bestimmt (vgl. Art. 6 Abs. 4 StaatsUntG). Die Vorschriften des Kapitels 2 betreffend die Gründung des Staatsunternehmens gelten heute allerdings als „leblose“ Normen, da im heutigen Wirtschaftssystem die Neugründung von Staatsunternehmen fernliegt.1398 Vielmehr ist ein kontinuierlicher Schwund von Staatsunternehmen zu verzeichnen. Während zu Beginn der Transformationsphase im Jahre 1990 8.453 Staatsunternehmen in Polen existierten, schrumpfte die Zahl aufgrund der intensiven Kommerzialisierungs- und Privatisierungsprozesse seit 1990 auf gerade einmal noch 41 Staatsunternehmen zum 31. Dezember 2015; davon waren lediglich 19 Staatsunternehmen tatsächlich aktiv, indem sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgingen.1399 Der Großteil der Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge war bereits Anfang der 1990er Jahre kommunalisiert worden.1400 1397

„organ załoz˙ycielski“, Übersetzung d. Verf. Vgl. Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 17. 1399 Vgl. Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, Sejm-Drucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5 sowie die Informationen des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) vom 9. März 2016 auf der damaligen Homepage des Ministeriums, https://bip.msp.gov.pl/bip/raporty-analizy/ przeksztalcenia-wlasnos/10245,stan-na-dzien-31-grudnia-2015-roku.html, zuletzt aufgerufen am 23. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar). 1400 Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 18. 1398

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Die Organisationsverfassung eines Staatsunternehmens unterscheidet sich – wie auch die Arbeitnehmerbeteiligung – danach, ob das Staatsunternehmen selbstverwaltet oder fremdverwaltet wird. Grundsätzlich wird die Organisationsstruktur eines Staatsunternehmens gemäß Art. 12 Abs. 1 StaatsUntG in dessen Satzung, welche von der Arbeitnehmerversammlung auf Antrag des Direktors beschlossen wird, geregelt. Allerdings kann das Gründerorgan gemäß Artt. 45a ff. StaatsUntG mit Zustimmung der Selbstverwaltungsorgane die Unternehmensleitung vertraglich auf eine natürliche oder juristische Person übertragen (sog. Fremdverwaltung), womit sich auch die Unternehmensverfassung grundlegend ändert. 2. Das Modell der Arbeitnehmerselbstverwaltung nach den Gesetzen von 1981 Die Organe eines Staatsunternehmens sind im Fall der Selbstverwaltung der Direktor („dyrektor“), der Belegschaftsrat („rada pracownicza“)1401 und die allgemeine Arbeitnehmerversammlung („ogólne zebranie pracowników“) bzw. Delegiertenversammlung („ogólne zebranie delegatów“) (vgl. Art. 30 StaatsUntG). Die Arbeitnehmerversammlung und der Belegschaftsrat stellen die Selbstverwaltungsorgane des Staatsunternehmens dar (vgl. Art. 2 SelbstVerwG). Sie geben sich eine eigene Satzung (vgl. etwa Artt. 7 Abs. 2, 8, 13, 33 SelbstVerwG). Während die Vorschriften betreffend die Bestellung und die Kompetenzen des Direktors in den Artt. 32 ff. StaatsUntG geregelt wurden, finden sich die Vorschriften über die Zusammensetzung, Bestellung und die Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane im SelbstVerwG (vgl. Art. 31 StaatsUntG, Artt. 7 ff. SelbstVerwG). Bestimmte Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane ergeben sich ferner unmittelbar aus dem StaatsUntG. Neben den Organen des Staatsunternehmens hat auch das Gründerorgan nach wie vor zahlreiche Kompetenzen (vgl. etwa Artt. 13, 34, 37a StaatsUntG). a) Organisationsverfassung des Staatsunternehmens aa) Der Direktor Der Direktor führt gemäß Art. 32 Abs. 1 StaatsUntG das Unternehmen und vertritt es nach außen. Er führt im Wesentlichen die alltäglichen Geschäfte des Staatsunternehmens.1402 Der Direktor wird grundsätzlich vom Belegschaftsrat 1401 Bei einer wortlautgetreuen Übersetzung müsste zwar eher von „Arbeitnehmerrat“ („rada pracownicza“) gesprochen werden, in Anlehnung an Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 199, wird hier jedoch mit dem Ziel einer klaren sprachlichen Abgrenzung zu den Arbeitnehmerräten nach dem InfKonsG von 2006 der Begriff „Belegschaftsrat“ für die „rada pracownicza“ i. S. d. SelbstVerwG verwendet; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 199, zu anderen Übersetzungsmöglichkeiten. 1402 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 71.

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen

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bestellt (vgl. Art. 33 Abs. 1 StaatsUntG). In seiner ursprünglichen Fassung hatte das Gesetz noch vorgesehen, dass die Bestellung und Abberufung des Direktors des Staatsunternehmens entweder durch das Gründerorgan oder durch den Belegschaftsrat erfolgt und beide diesbezüglich ein zweiwöchiges Widerspruchsrecht hatten (vgl. Art. 34 StaatsUntG urspr. Fassung) und die Entscheidung notfalls auch gerichtlich anfechten konnten (vgl. Art. 57 StaatsUntG urspr. Fassung). Dadurch hatte sich die damalige sozialistische Regierung ihren Einfluss auf die Bestellung und Abberufung des Direktors in Staatsunternehmen vorbehalten.1403 Handelt es sich um ein neu gegründetes Staatsunternehmen, ein Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge oder hat der Belegschaftsrat von seiner Bestellungskompetenz keinen Gebrauch gemacht, so wird der Direktor vom Gründerorgan bestellt (vgl. Artt. 33 Abs. 2, 34 Abs. 1 StaatsUntG). Bei der Bestellung des Direktors von Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge hat der Belegschaftsrat allerdings ein siebentägiges Widerspruchsrecht und eine gerichtliche Anfechtungsmöglichkeit (vgl. Artt. 34 Abs. 2, 63 StaatsUntG). Die Bestellung des Direktors erfolgt auf fünf Jahre oder auf unbestimmte Zeit (vgl. Art. 36 StaatsUntG). Das Recht zur Abberufung des Direktors steht dem Belegschaftsrat (mit Zustimmung des Gründerorgans) sowie dem Gründerorgan zu (vgl. Artt. 37 ff. StaatsUntG). Zwar regelt Art. 32 StaatsUntG, dass der Direktor das Unternehmen führt und nach außen hin repräsentiert sowie im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich handelt und für seine Entscheidungen verantwortlich ist. Diese Regelung unterliegt jedoch aufgrund der Vorschriften des SelbstVerwG wesentlichen Einschränkungen. In zahlreichen Angelegenheiten sind der Direktor und die Selbstverwaltungsorgane gemeinsam zuständig, in anderen liegt die Kompetenz allein bei den Selbstverwaltungsorganen. Tatsächlich ist der Direktor den Selbstverwaltungsorganen untergeordnet.1404 Dies zeigt sich zum einen in Art. 37 Abs. 2 SelbstVerwG, wonach der Direktor Beschlüsse des Belegschaftsrates in Bezug auf die Tätigkeit des Unternehmens ausführt – insofern ist der Direktor ein Ausführungsorgan des Belegschaftsrates. Zudem ist der Direktor gemäß Art. 38 SelbstVerwG der Belegschaft gegenüber verantwortlich und hat dieser mindestens einmal jährlich Bericht über die Tätigkeit des Unternehmens und seine Lage zu erstatten. Auch die Möglichkeit des Belegschaftsrates, den Direktor zu bestellen und abzuberufen, deutet auf die übergeordnete Stellung der Selbstverwaltungsorgane hin. bb) Der Belegschaftsrat Der Belegschaftsrat als eines der zwei Selbstverwaltungsorgane besteht auf Ebene des Unternehmens und – sofern das Staatsunternehmen aus mehreren Be1403 1404

Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. So schon Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 35.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

trieben besteht – daneben fakultativ auf Ebene der Betriebe (vgl. Artt. 2 Abs. 1 Pkt. 2 und 3, 33 SelbstVerwG). Der Belegschaftsrat auf Unternehmensebene besteht aus fünfzehn Mitgliedern, sofern die Satzung der Selbstverwaltung nichts anderes bestimmt, und wird in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl von den Arbeitnehmern des Staatsunternehmens für die Dauer von zwei Jahren gewählt (vgl. Art. 13 SelbstVerwG). Die Wahl in den Belegschaftsrat wird von einer Wahlkommission durchgeführt, für deren Zusammensetzung die Satzung der Selbstverwaltung Grundsätze festzulegen hat (vgl. Art. 16 SelbstVerwG). Das aktive Wahlrecht steht allen Arbeitnehmern des Staatsunternehmens zu, das passive denjenigen Arbeitnehmern, die mindestens zwei Jahre im Unternehmen beschäftigt waren, sofern das Unternehmen nicht neu gegründet wurde (vgl. Artt. 14, 15 SelbstVerwG). Vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sind der Direktor, seine Stellvertreter, der Hauptbuchhalter, Rechtsberater sowie Betriebsleiter und seine Stellvertreter sowie Arbeitnehmer, die für länger als ein halbes Jahr entsandt wurden (vgl. Art. 15 Abs. 2 SelbstVerwG). Die Mitgliedschaft in einer gewerkschaftlichen oder parteipolitischen Organisation ist weder für das aktive noch das passive Wahlrecht Voraussetzung, jedoch grundsätzlich auch kein Hindernis. Allerdings dürfen Arbeitnehmer, die eine führende Position in einer im Unternehmen tätigen gewerkschaftlichen oder parteipolitischen Organisation ausüben, nicht dem aus der Mitte des Belegschaftsrates gewählten Präsidium angehören (vgl. Art. 21 Abs. 2 SelbstVerwG). Mitglieder des Belegschaftsrates können maximal zwei Amtszeiten in Folge ausüben (vgl. Art. 15 Abs. 3 SelbstVerwG). Der Belegschaftsrat ist gegenüber der Belegschaft verantwortlich und kann von dieser auch vor Ablauf der Amtszeit zum Teil oder ganz abberufen werden (vgl. Art. 13 Abs. 4, 5 SelbstVerwG). In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die demokratisch gewählten Belegschaftsräte eine hohe Anerkennung seitens der Belegschaft erfuhren.1405 Sitzungen des Belegschaftsrates müssen mindestens einmal im Quartal stattfinden (vgl. Art. 29 Abs. 1 SelbstVerwG). Der Belegschaftsrat ist grundsätzlich beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder anwesend sind, und beschließt mit einfacher Mehrheit (vgl. Art. 30 SelbstVerwG). Mitglieder des Belegschaftsrates haben Sonderkündigungsschutz für die Dauer der Amtszeit sowie eines Jahres danach; auch dürfen ihre Arbeitsbedingungen nicht zu ihren Ungunsten geändert werden (vgl. Art. 6 SelbstVerwG). Gemäß Art. 5 SelbstVerwG behalten die Mitglieder des Belegschaftsrates ihren Vergütungsanspruch, wenn sie während der Arbeitszeit ihrer Tätigkeit im Belegschaftsrat nachgehen.

1405

S. 81.

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

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Für den Belegschaftsrat auf Betriebsebene gelten die Vorschriften über den Belegschaftsrat auf Unternehmensebene weitgehend entsprechend; in der Satzung der Selbstverwaltung können diesem einzelne, den Betrieb betreffende Kompetenzen übertragen werden (vgl. Art. 33 SelbstVerwG). cc) Die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung Die Arbeitnehmerversammlung als das zweite Selbstverwaltungsorgan wird von Art. 7 Abs. 1 SelbstVerwG ausdrücklich als eine Form der „unmittelbaren Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung“ bezeichnet.1406 Die allgemeine Arbeitnehmerversammlung besteht auf Ebene des Unternehmens, sofern es sich um ein Unternehmen mit nur einem Betrieb handelte, oder auf Ebene einzelner Betriebe, wenn das Unternehmen aus mehreren Betrieben besteht, sowie auf Ebene anderer Organisationseinheiten, sofern solche zu dem Staatsunternehmen gehören (vgl. Artt. 2 Abs. 1 Pkt. 1, 7 Abs. 1 SelbstVerwG). Bei Unternehmen oder Betrieben mit mehr als 300 Beschäftigten wird die Funktion der Arbeitnehmerversammlung jedoch von einer Delegiertenversammlung wahrgenommen. Die Delegierten werden von der Belegschaft für die Dauer von zwei Jahren in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt (vgl. Art. 8 Abs. 1 SelbstVerwG). Die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung erfolgt mindestens zweimal jährlich und fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit (vgl. Artt. 9 Abs. 1, 7 Abs. 3 SelbstVerwG). b) Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane Art. 1 Abs. 1 SelbstVerwG legt den Grundsatz fest, dass die Belegschaft an der Unternehmensführung „beteiligt“ ist.1407 Gemäß Art. 1 Abs. 2 SelbstVerwG gehört zur Selbstverwaltung der Belegschaft allgemein das Recht, in wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens zu beschließen, über die Tätigkeit des Unternehmens Aufsicht zu üben, ihre Meinung zu äußern, Initiative zu ergreifen und Anträge zu stellen. Bei der Realisierung ihrer Beteiligungsrechte ist die Belegschaft unabhängig von staatlichen Verwaltungsorganen, Gewerkschaften, sonstigen gesellschaftlichen Vereinigungen und politischen Parteien (vgl. Art. 1 Abs. 3 SelbstVerwG). In wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens besteht ferner die Möglichkeit eines Referendums (vgl. Art. 2 Abs. 2 SelbstVerwG). Das SelbstVerwG weist dem Belegschaftsrat weitgehende Entscheidungsbefugnisse in wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens zu. Der Belegschafts1406 Art. 7 Abs. 1 SelbstVerwG: „Ogólne zebranie pracowników [. . .] stanowi forme˛ bezpos´redniego uczestniczenia załogi w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwem.“ Übersetzung d. Verf. 1407 Art. 1 Abs. 1 SelbstVerwG: „Załoga uczestniczy w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwem pan´stwowym na zasadach okres´lonych w niniejszej ustawie.“ Übersetzung d. Verf.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

rat hat Beschlusskompetenzen u. a. im Hinblick auf die Aufstellung und Änderung des jährlichen Wirtschaftsplans, die Bestätigung des jährlichen Geschäftsberichts und der Bilanzen, die zu tätigenden Investitionen, Unternehmenszusammenschlüsse und -spaltungen, die Änderung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens sowie in Bezug auf den betrieblichen Wohnungs- und Sozialbau und die Errichtung und Verteilung von Fonds (vgl. Art. 24 Abs. 1 SelbstVerwG). Die Beschlüsse des Belegschaftsrates haben allgemeingültigen und verbindlichen Charakter.1408 Ferner ist bei zahlreichen Angelegenheiten die Zustimmung des Belegschaftsrates erforderlich – etwa bei der Überlassung oder Veräußerung von Betriebsmitteln sowie der Gründung von bzw. Beteiligung an Gesellschaften oder anderen Organisationsstrukturen (vgl. Art. 24 Abs. 1 Pkt. 4, 5, 10 SelbstVerwG). Von großer Bedeutung ist schließlich auch das Recht, den Direktor bestellen oder abberufen zu können, auch wenn dieses teilweise – auch heutzutage – durch die Rechte der staatlichen Gründerorgane beschränkt ist.1409 Darüber hinaus hat der Belegschaftsrat das Recht, sich zu allen Angelegenheiten des Unternehmens und der Unternehmensführung zu äußern, Anträge zu stellen, die Initiative zu ergreifen, Anmerkungen zu äußern und über Angelegenheiten und die Lage des Unternehmens vom Direktor Auskunft zu verlangen (vgl. Artt. 25, 27 SelbstVerwG). Nach Art. 25 Abs. 1a SelbstVerwG steht dem Belegschaftsrat das Recht zur Information und Konsultation entsprechend den Vorschriften des InfKonsG vom 7. April 20061410 zu. Der Belegschaftsrat ist ferner von den jeweils zuständigen Organen im Falle einer beabsichtigen Änderung des Gründungsaktes, Liquidation, Kommerzialisierung oder unmittelbaren Privatisierung sowie vor Abschluss von langfristigen Verträgen anzuhören (vgl. Art. 25 Abs. 2 SelbstVerwG). Sehr weitgehend sind auch die Kontrollrechte des Belegschaftsrates. Nach Art. 28 SelbstVerwG hat der Belegschaftsrat das Recht, die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens zu kontrollieren. Die Kontrolle beinhaltet die Prüfung der Erfüllung bzw. Ausführung von Planvorgaben, abgeschlossenen Vereinbarungen und Beschlüssen des Belegschaftsrates, der Bilanzen, Berichte des Direktors, der ordnungsgemäßen Betriebs- und Finanzwirtschaft des Unternehmens und der Arbeitsressourcen, der Umweltverträglichkeit und – in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften – der Einhaltung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsdisziplin. Der Direktor hat die für die Kontrolle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

1408 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 1409 So schon Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44) zur früheren Gesetzesfassung. 1410 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550; näher zu diesem auf der EU-Richtlinie 2002/14/EG beruhenden Gesetz unten Kapitel 5, B.I.2.

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Die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung beschließt über grundlegende Angelegenheiten des Unternehmens. Hierzu gehört etwa die Beschlussfassung über die Unternehmenssatzung auf Antrag des Direktors (vgl. Art. 17 Abs. 2 StaatsUntG, Art. 10 Pkt. 1 SelbstVerwG). Die Unternehmenssatzung soll Vorschriften über die Bildung von Betrieben und anderen Organisationseinheiten und ihre Rechtsverhältnisse untereinander sowie über die unternehmensinterne Kontrolle enthalten (vgl. Art. 26 StaatsUntG) und stellt damit das zentrale Regelwerk für die Organisationsverfassung des Staatsunternehmens dar. Zu den Kompetenzen der Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung gehört auch der Beschluss über die Satzung der Selbstverwaltung auf Vorschlag des Belegschaftsrates (vgl. Art. 10 Pkt. 5 SelbstVerwG). Darüber hinaus beschließt die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung über die mehrjährigen Wirtschaftspläne des Staatsunternehmens (vgl. Art. 10 Pkt. 4 SelbstVerwG) sowie über die Aufteilung des für die Belegschaft vorgesehenen Unternehmensgewinns (vgl. Art. 10 Pkt. 2 SelbstVerwG). Zu ihren Aufgaben gehört auch die jährliche Bewertung der Tätigkeit des Belegschaftsrates und des Direktors (vgl. Art. 10 Pkt. 3 SelbstVerwG). Der Belegschaftsrat hat gegenüber der Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung mindestens einmal jährlich über seine Tätigkeit zu berichten und ist ferner jederzeit auf Antrag eines Fünftels aller Arbeitnehmer zur kurzfristigen Auskunft verpflichtet (vgl. Art. 12 SelbstVerwG). Schließlich hat die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung das Recht, sich zu allen Angelegenheiten des Unternehmens zu äußern (vgl. Art. 11 SelbstVerwG). Die Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane und des Direktors unterliegen der gegenseitigen Kontrolle (vgl. Artt. 40, 41 SelbstVerwG). Der Belegschaftsrat kann Entscheidungen des Direktors aussetzen, wenn diese unvereinbar sind mit dem geltenden Recht oder verbindlichen Beschlüssen des Belegschaftsrates oder der Arbeitnehmerversammlung oder ohne die notwendige Beteiligung bzw. Beschlussfassung des Belegschaftsrates vorgenommen wurden. Gleichermaßen kann auch der Direktor gesetzeswidrige Beschlüsse der Selbstverwaltungsorgane aussetzen. Sofern die Organe nicht eigenständig aufgrund erneuter Erörterung der Sache zu einer Lösung gelangen, sieht das Gesetz ein Schlichtungsverfahren vor. Scheitert dieses, so ist die Sache im gerichtlichen Verfahren zu klären; ebenso im Falle eines Verstoßes der streitigen Entscheidung gegen das Allgemeininteresse (vgl. Artt. 44, 46 SelbstVerwG). In der polnischen Literatur wurde jedoch kritisiert, dass aufgrund dieses „Schachspiels“ zwischen dem Belegschaftsrat und dem Direktor sowie dem zusätzlich erforderlichen Zusammenspiel mit dem Gründerorgan das StaatsUntG und SelbstVerwG nicht zweckmäßig seien und eine effiziente Unternehmensführung nicht sicherstellen könnten.1411

1411 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73, der gleichzeitig aber darauf hinweist, dass die Funktionalität der Gesetze nie in stabilen äußeren Verhältnissen getestet werden konnte.

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

Von Gewerkschaften und parteipolitischen Organisationen sind die Selbstverwaltungsorgane grundsätzlich unabhängig, was schon in Art. 1 Abs. 3 SelbstVerwG zum Ausdruck kommt. In seiner ursprünglichen Fassung beinhaltete das Gesetz noch den Programmsatz, dass der Belegschaftsrat mit den im Unternehmen tätigen Gewerkschaften und parteipolitischen Organisationen zusammenarbeiten solle (vgl. Art. 34 SelbstVerwG urspr. Fassung). Letztlich hatten diese Organisationen im Grunde jedoch weder einen personellen noch einen sachlichen Einfluss auf die Selbstverwaltungsorgane. Die Vorschrift des Art. 34 SelbstVerwG urspr. Fassung wurde zwar gestrichen, einige Einschränkungen erfährt die in Art. 1 Abs. 3 SelbstVerwG normierte grundsätzliche Unabhängigkeit dennoch: Zum einen nimmt der Direktor an den Beratungen des Belegschaftsrates teil (vgl. Art. 37 Abs. 1 SelbstVerwG). Dies war in der ursprünglichen Gesetzesfassung umso bedeutender, als nach damaliger Gesetzesfassung der Direktor nur in Übereinstimmung mit dem staatlichen Gründerorgan bestellt werden konnte. Zum anderen unterliegen die Selbstverwaltungsorgane der „Obhut“ 1412 des polnischen Parlaments, das einmal jährlich die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane bewertet und daraus folgende Empfehlungen ausspricht (vgl. Art. 47 SelbstVerwG). Ferner sieht das Gesetz vor, dass in Angelegenheiten, die die Zuständigkeit der Gewerkschaften berühren, von diesen vorher eine Stellungnahme eingeholt werden soll (vgl. Art. 36 SelbstVerwG). Dies betrifft neben der im ArbGB normierten Rechte der Gewerkschaften in individualarbeitsrechtlichen Fragen auch diejenigen Angelegenheiten, die sich auf den Sozialfond des Unternehmens beziehen oder generell mit der Vertretung der Arbeitnehmer gegenüber der Unternehmensleitung oder dem Belegschaftsrat einhergehen.1413 Nach Art. 28 Abs. 2 SelbstVerwG muss der Belegschaftsrat bei der Kontrolle „der Arbeitsnormen und der Arbeits- und Entlohnungsdisziplin“ 1414 in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften handeln. Die gesetzlichen Kompetenzen der Gewerkschaften werden somit durch das Gesetz zwar nicht beschnitten, jedoch wurde in der polnischen Literatur kritisiert, dass das SelbstVerwG die Beziehung zwischen den Selbstverwaltungsorganen und den im Betrieb wirkenden Gewerkschaften nicht eindeutig regele.1415 Die Kompetenzaufteilung sei unpräzise und viele Angelegenheiten hätten sowohl von den Selbstverwaltungsorganen als auch von den Gewerkschaften wahrgenommen werden können.1416 Positiv bewertet wurde hingegen, dass durch die Regelungen in den Gesetzen vom 25. September 1981 eine Abkehr von 1412 Art. 47 Abs. 1 SelbstVerwG: „Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa podlega pieczy Sejmu Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej“. Übersetzung d. Verf. 1413 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 201 f. 1414 Art. 28 Abs. 2 SelbstVerwG: „Kontrola obejmuje w szczególnos ´ci [. . .] w porozumieniu ze zwia˛zkami zawodowymi – kontrole˛ przestrzegania norm pracy oraz dyscypliny pracy i płac“. Übersetzung d. Verf. 1415 So Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 1416 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 202 m.w. N.

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früheren Konzepten erfolgte, die in der Regel darauf beruhten, dass die Mitwirkung von Arbeitnehmern in der Unternehmensführung nur mittelbar über die betriebliche Gewerkschaftsorganisation und die politische Partei erfolgte.1417 Die durch die Gesetze von 1981 der Belegschaft und ihren Vertretern eingeräumten Kompetenzen sind insgesamt sehr weit.1418 Der Belegschaftsrat hat das Recht zur eigenständigen Entscheidung oder jedenfalls Beteiligung an der Entscheidung in zahlreichen Angelegenheiten in Bezug auf die Organisation und wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens, allen voran bei der Bestellung des Direktors.1419 Dieses heute noch in Staatsunternehmen anzutreffende Modell der Arbeitnehmerbeteiligung wird auch als ein „System der arbeitnehmerseitigen Kontrolle über das Unternehmen“ bezeichnet.1420 Gleichwohl schwand die tatsächliche Bedeutung der Belegschaftsräte nach dem Umbruch von 1989 infolge der voranschreitenden Privatisierungsprozesse und der Umwandlungen der Staatsunternehmen stark, auch ihre Rolle unterscheidet sich wesentlich von derjenigen, die sie zu Zeiten des Sozialismus innehatten.1421 Trotz der formalen Weitergeltung haben das StaatsUntG und das SelbstVerwG heute kaum noch eine praktische Bedeutung, sodass auch davon gesprochen wird, dass sie in der heutigen – als „posttransformatorisch“ bezeichneten – Zeit nur noch „historisches Material“ darstellen.1422 c) Vergleich mit der Arbeitnehmerbeteiligung in Kapitalgesellschaften Bei einem angestrebten Vergleich des Selbstverwaltungsmodells mit der Arbeitnehmerbeteiligung in Kapitalgesellschaften ist – sofern ein solcher Vergleich überhaupt angesichts der systembedingten Unterschiede gewagt werden kann – zu bedenken, dass das in den Gesetzen von 1981 vorgesehene Selbstverwaltungsmodell im Kontext der Planwirtschaft entstanden ist und sich als Gegenpol zur Staatsmacht verstand. Auch nach den nachträglichen Gesetzesänderungen, mit denen der Bezug zum sozialistischen System abgeschafft wurde, bleibt das Selbstverwaltungsmodell auf das sonderbare Konstrukt des Staatsunternehmens 1417 So Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43 f.). 1418 So auch schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 54. 1419 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 54. 1420 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 54 („system kontroli pracowniczej nad przedsie˛biorstwem“, Übersetzung d. Verf.). 1421 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 7. 1422 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 70 („materiał historyczny“, Übersetzung d. Verf.).

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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

beschränkt. Mit einer auf Aktionärseigentum beruhenden Verfassung von Kapitalgesellschaften wäre ein solches Modell unvereinbar.1423 Dies vorausgeschickt, kann im Hinblick auf die besondere Position der Belegschaftsräte auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981 der Belegschaftsrat als eine Institution der repräsentativen Arbeitnehmerpartizipation bezeichnet werden.1424 Wollte man die Belegschaftsräte mit Formen der Arbeitnehmerbeteiligung in Kapitalgesellschaften vergleichen, so dürften diese aufgrund der vom Belegschaftsrat wahrgenommenen Funktionen eher der unternehmerischen Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen als der betrieblichen Arbeitnehmervertretung zuzuordnen sein.1425 Denn der Belegschaftsrat nimmt – verglichen mit der Organisationsverfassung einer Aktiengesellschaft – im Rahmen der „flachen“ Unternehmensstruktur des Staatsunternehmens jene Aufgaben wahr, die in der Aktiengesellschaft dem Aufsichtsrat gebühren, und hat teilweise auch Funktionen inne, die in einer Aktiengesellschaft zu den Aufgaben des Vorstands gehören (mit Ausnahme des laufenden Geschäfts).1426 Ferner ist hervorzuheben, dass der Belegschaftsrat im StaatsUntG ausdrücklich – neben dem Direktor und der Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung – als ein Organ des Staatsunternehmens bezeichnet wird (vgl. Art. 30 StaatsUntG).1427 Daher unterscheidet sich die Bedeutung des Belegschaftsrates, obwohl ähnlich einem Betriebsrat ausschließlich aus Arbeitnehmervertretern zusammengesetzt, doch deutlich von derjenigen der deutschen Betriebsräte.1428 Gleichwohl deckt der Belegschaftsrat in gewisser Weise auch diese Funktionen ab. Dies zum einen wegen der fakultativ möglichen Errichtung von Belegschaftsräten auf betrieblicher Ebene, zum anderen weil dem Belegschaftsrat nach Art. 25 Abs. 1a SelbstVerwG das Recht zur Information und Konsultation entsprechend den Vorschriften des InfKonsG vom 7. April 20061429 zusteht. 1423

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 55. 1424 Ebenso schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 71. 1425 So auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 71; als ein Modell der Unternehmensmitbestimmung eingestuft wird die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des SelbstVerwG auch von http:// de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbeziehungen/Laender/Polen/Unternehmens mitbestimmung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; a. A. dagegen wohl Gładoch, die die Belegschaftsräte als Partizipationsform auf betrieblicher Ebene einordnet, vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 214 ff., S. 218 ff., S. 228. 1426 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 71. 1427 So auch schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 71. 1428 So schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 71. 1429 Näher zum InfKonsG und der nicht gewerkschaftlichen betrieblichen Mitbestimmung unten Kapitel 5, B.

D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen

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Die Arbeitnehmerversammlung bzw. Delegiertenversammlung mag dagegen aufgrund ihrer Kompetenzen, die die grundlegenden Angelegenheiten der Gesellschaft betreffen, mit der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung einer Kapitalgesellschaft verglichen werden. Als Spezifikum des polnischen Staatsunternehmens besteht allerdings auch sie ausschließlich aus Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmervertretern, was sich damit erklären lässt, dass Gegenspieler der Arbeitnehmer in diesem Konstrukt nicht Aktionäre waren, sondern der Staat, der über andere Einflussmöglichkeiten auf das Staatsunternehmen als im Rahmen einer Kapitalgesellschaft verfügte. 3. Arbeitnehmerbeteiligung bei Fremdverwaltung des Staatsunternehmens Neben der Organisationsstruktur des Selbstverwaltungsmodells ist auch die Fremdverwaltung des Staatsunternehmens möglich. Die diese Möglichkeit vorsehenden Vorschriften der Artt. 45a ff. StaatsUntG waren in der ursprünglichen Gesetzesfassung nicht enthalten und sind nachträglich im Jahre 1991 in das StaatsUntG eingeführt worden.1430 Die Übertragung der Unternehmensführung auf eine natürliche oder juristische Person erfolgt durch das Gründerorgan mit Zustimmung der Selbstverwaltungsorgane bzw. auf Antrag des Belegschaftsrates und mit Zustimmung der Arbeitnehmerversammlung (vgl. Art. 45a Abs. 1, 1a StaatsUntG). Während bei der Selbstverwaltung der Direktor, der Belegschaftsrat und die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung als Organe des Staatsunternehmens fungieren und das Unternehmen selbst verwalten, wird im Fall der Fremdverwaltung der Direktor abberufen und durch einen Verwalter ersetzt, der Belegschaftsrat und die Arbeitnehmerversammlung werden aufgelöst und an ihre Stelle ein Aufsichtsrat als Kontrollorgan des Staatsunternehmens errichtet (vgl. Art. 45b Abs. 1 StaatsUntG). Allerdings erhalten die Arbeitnehmer das Recht, ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats zu wählen (vgl. Art. 45b Abs. 3 Satz 1 StaatsUntG). Für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder gelten die Vorschriften über die Wahl der Belegschaftsräte entsprechend (vgl. Art. 45b Abs. 3 Satz 2 StaatsUntG). Die Organisationsform des Staatsunternehmens und die vorgesehene Beteiligung der Arbeitnehmer im Fall der Fremdverwaltung erinnern an vergleichbare Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in Kapitalgesellschaften. 1431

1430 Eingeführt wurde Kapital 8a durch Art. 1 Pkt. 10 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen und des Gesetzes über die Finanzwirtschaft von Staatsunternehmen vom 19. Juli 1991, Dz. U. 1991 Nr. 75 Pos. 329, in Kraft getreten zum 1. September 1991. 1431 Ausführlich zur Errichtung und den Kompetenzen des Aufsichtsrats in fremdverwalteten Staatsunternehmen vgl. Kulesza, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 109 (111 ff.).

466

Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

III. Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften Eine Sonderform der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen ist ferner im Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 19961432 (nachfolgend: „KommWirtG“) vorgesehen. Sie ist jedoch auf diejenigen Gesellschaften beschränkt, die durch eine Umwandlung kommunaler Unternehmen auf Grundlage des Art. 14 KommWirtG entstanden sind und an denen die territoriale Selbstverwaltungseinheit („jednostka samorza˛du terytorialnego“) zu 100 % beteiligt ist.1433 Dabei kann es sich um eine Aktiengesellschaft, GmbH oder andere Rechtsform der Gesellschaft handeln. Die in Art. 18 KommWirtG enthaltene Regelung zur Arbeitnehmerbeteiligung in den betroffenen Gesellschaften ist sehr knapp. Anders als im KommerzG ist die Errichtung eines Aufsichtsrats gemäß Art. 18 Abs. 1 KommWirtG nicht nur im Fall der Aktiengesellschaft, sondern auch bei der GmbH (und ggf. anderen Rechtsformen, sofern diese in Betracht kommen) verbindlich, da das Gesetz hier keine Art. 11 Abs. 2 KommerzG vergleichbare Ausnahme vorsieht. Gemäß Art. 18 Abs. 3 KommWirtG haben die Arbeitnehmer der ehemaligen kommunalen Unternehmen das Recht, eine bestimmte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern zu wählen, die sich ähnlich wie in Art. 14 KommerzG nach der Größe des Aufsichtsrats richtet. Bei einem Aufsichtsrat mit bis zu sechs Mitgliedern dürfen die Arbeitnehmer zwei Vertreter wählen, bei einem Aufsichtsrat mit sieben bis zehn Mitgliedern dürfen sie drei Vertreter wählen und ab einer Größe des Aufsichtsrats von elf Mitgliedern steht den Arbeitnehmern das Recht zu, vier Aufsichtsratsmitglieder zu wählen (vgl. Art. 18 Abs. 3 KommWirtG). Die Größe des Aufsichtsrats bestimmt dabei die Satzung (vgl. Art. 18 Abs. 2 KommWirtG). Die Wahl der Arbeitnehmervertreter erfolgt in allgemeiner, unmittelbarer und geheimer Wahl, das Ergebnis ist für die Hauptversammlung bindend (vgl. Art. 18 Abs. 5 KommWirtG).1434 Das Verfahren für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat kann in der Satzung oder in einer Geschäftsordnung der Gesellschaft festgelegt werden (vgl. Art. 18 Abs. 5a KommWirtG).1435 Anders als in Art. 12 Abs. 2 KommerzG in seiner bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung1436 bezog sich die in Art. 18 Abs. 4 KommWirtG a. F. enthal1432 Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 43. 1433 Ausführlich zum Geltungsbereich oben Kapitel 3, B.II.4. 1434 Zu der Diskussion um die Interpretation dieser auch im Art. 14 KommerzG vorhandenen Regelung, wonach das Ergebnis der Wahl für die Hauptversammlung bindend ist, vgl. oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 1435 Ausführlich zu den einzelnen Regelungen des Art. 18 KommWirtG vgl. Zie˛ty, Ustawa o gospodarce komunalnej, Art. 18 Rn. 3 ff. 1436 Art. 12 Abs. 2 KommerzG a. F. wurde aufgehoben zum 1. Januar 2017, vgl. Art. 14 Pkt. 13 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260.

E. Zusammenfassung

467

tene Vorgabe, eine Eignungsprüfung abzulegen, nur auf die übrigen, nicht von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder. Durch Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 ist Art. 18 Abs. 4 KommWirtG a. F. gestrichen worden1437, allerdings gelten in Bezug auf die von der territorialen Selbstverwaltungseinheit bzw. der kommunalen Rechtsperson („komunalna osoba prawna“) nominierten Aufsichtsratsmitglieder nunmehr die diesbezüglichen Regelungen im StaatsVermVerwG (vgl. Art. 10a Abs. 5 KommWirtG n. F.)1438. Den Arbeitnehmervertretern, die gleichzeitig Arbeitnehmer der Gesellschaft sind, darf gemäß Art. 18 Abs. 6 Satz 1 KommWirtG während der Amtszeit sowie innerhalb eines Jahres danach das Arbeitsverhältnis mit Ausnahme der in Art. 52 ArbGB genannten Fälle nicht gekündigt werden. Dem Arbeitgeber verbleibt damit die Möglichkeit der fristlosen Kündigung aufgrund arbeitnehmerseitigen Verschuldens. Gleichsam dürfen auch die Arbeitsbedingungen, insbesondere das Gehalt, gemäß Art. 18 Abs. 6 Satz 2 KommWirtG während der Amtszeit sowie innerhalb eines Jahres nach ihrer Beendigung nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmervertreters geändert werden. Neben der vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung in Art. 18 KommWirtG hatten auch die Arbeitnehmer einer Gesellschaft, die durch Kommerzialisierung eines kommunalen Unternehmens entstanden ist, ein Recht auf Wahl ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat und gegebenenfalls auch Vorstand der umgewandelten Gesellschaft. Dies ergab sich aus Art. 68 Abs. 1 KommerzG a. F., der die Regelungen des KommerzG für entsprechend anwendbar erklärte auf die Kommerzialisierung und Privatisierung kommunaler Unternehmen, sodass die Arbeitnehmer kommunaler Unternehmen nach Maßgabe der Artt. 11 ff. KommerzG i.V. m. Art. 68 Abs. 1 KommerzG a. F. ein Recht auf Beteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand der kommerzialisierten sowie teilweise privatisierten Gesellschaft hatten.1439 Die Vorschrift des Art. 68 KommerzG a. F. wurde jedoch mit Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016 gestrichen.1440

E. Zusammenfassung Während die Arbeitnehmerselbstverwaltung nach den Gesetzen von 1981 ein besonderes, aus der Historie rührendes Phänomen des polnischen Rechts dar1437 Vgl. Art. 15 Pkt. 4 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 1438 Eingefügt durch Art. 15 Pkt. 1 lit. b) i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 1439 Oberstes Gericht, Urteil vom 14. Juni 2018, Az.: V CSK 172/18, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo/ (dort S. 8 ff., 11), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Spyra, in: Włodyka, SPH Bd. 2, Prawo spółek handlowych (2. Aufl. 2012), Kapitel 13 Rn. 630. 1440 Vgl. Art. 14 Pkt. 32 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260.

468

Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

stellt, lässt sich sowohl mit der im KommerzG als auch der in einigen speziellen Privatisierungsgesetzen und dem KommWirtG gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Unternehmensorgane in Polen eine im Grundsatz mit der deutschen Unternehmensmitbestimmung vergleichbare Form der Arbeitnehmerbeteiligung finden. Parallelen zwischen dem deutschen und dem polnischen Mitbestimmungsrecht bestehen vor allem darin, dass eine zwingende Arbeitnehmerbeteiligung sowohl im Aufsichtsrat als auch im Vorstand von Kapitalgesellschaften vorzufinden ist. Wesentliche Unterschiede zum deutschen Recht lassen sich jedoch bereits bei der Zielsetzung der mit dem PrivG 1990 Anfang der 1990er Jahre erstmals eingeführten und mit dem KommerzG im Jahre 1996 ausgeweiteten Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene feststellen. Während mit der deutschen Unternehmensmitbestimmung sozialethische, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt wurden und Schlagwörter wie „Humanisierung der Arbeitsbedingungen“, „“Wirtschaftsdemokratie“ und „Gleichgewicht von Kapital und Arbeit“ der Mitbestimmung eine besondere Tragweite verliehen, beruhte die Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen in Polen nicht auf wertbasierten Aspekten. Die zwei wesentlichen Beweggründe für die Einführung der neuen Partizipationsform waren vielmehr die erhoffte Akzeptanz und Förderung der wirtschaftlichen Transformation durch die arbeitende Bevölkerung und die angestrebte Kontinuität des Selbstverwaltungsmodells der Gesetze von 1981. Gleichzeitig folgt hieraus nicht nur die Begrenzung des Anwendungsbereichs der polnischen Mitbestimmungsregeln auf ehemals staatliche, kommerzialisierte bzw. teilprivatisierte Gesellschaften. Auch kann der Anwendungsbereich kraft Natur der Sache in Zukunft nur noch schwinden, etwa wenn die kommerzialisierten Gesellschaften vollständig privatisiert werden, aufgelöst werden oder untergehen, da nur noch wenige ehemalige Staatsunternehmen in den Anwendungsbereich neu einbezogen werden können und entsprechende Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene in der Privatwirtschaft fehlen. Ein beachtlicher Unterschied zwischen dem deutschen und polnischen Recht besteht darin, dass das polnische Aktienrecht der freiwilligen Einführung oder Aufstockung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat nicht per se entgegensteht. Die Unternehmensmitbestimmung kann vielmehr wohl auch auf Grundlage von Tarifverträgen, jedenfalls aber auf Grundlage von sonstigen Kollektivvereinbarungen Einzug in Unternehmen – auch Aktiengesellschaften – erhalten. Gerade zu Beginn der Transformationsphase wurden die knappen gesetzlichen Regelungen durch Sozialvereinbarung ergänzt oder zugunsten der Arbeitnehmer geändert. Das deutsche Recht bietet dagegen ein starres Korsett, in welches sich die Unternehmen unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften fügen müssen. In Bezug auf die Aufgaben und Funktionen des mitbestimmten Aufsichtsrats bestehen zwar viele gesellschaftsrechtliche Parallelen, so im Allgemeinen in der

E. Zusammenfassung

469

Stellung des Aufsichtsrats als einem mit verschiedenen Kontrollrechten ausgestatten Aufsichtsorgan über die Geschäftsführung. Gleichwohl hat der polnische Aufsichtsrat im Vergleich zum deutschen Recht eine insgesamt wesentlich schwächere Stellung. Dies zeigt sich bereits bei den einzelnen gesetzlichen Zuständigkeiten. Viele der dem deutschen Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgaben stehen in Polen nach der gesetzlichen Konzeption als Grundsatz, alternativ oder sogar ausschließlich der Hauptversammlung zu. Anders als in Deutschland erlaubt das polnische Aktienrecht darüber hinaus generell mehr Regelungsmöglichkeiten durch die Satzung und gibt damit den Aktionären einen deutlich größeren Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft, was die Stellung des Aufsichtsrats stärken, im Vergleich zum gesetzlichen Grundmodell aber auch weiter schwächer kann. Insbesondere im Hinblick auf die innere Organisation des Aufsichtsrats stärkt das deutsche Aktienrecht die Stellung des Aufsichtsrats, der selbst über seine innere Ordnung entscheiden darf, während das polnische Recht auch diese Kompetenz grundsätzlich der Hauptversammlung zubilligt und eine abweichende Regelung hierfür durch Satzung, mithin eine Entscheidung der Aktionäre, fordert. Gemeinsam war beiden Rechtsordnungen bis vor Kurzem noch, dass die Kompetenz zur Bestellung des Vorstands in mitbestimmten Gesellschaften zwingend – in Polen jedenfalls solange der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 19a KommerzG a. F.)1441 – beim Aufsichtsrat lag, was im europäischen Vergleich eher eine Ausnahme darstellte1442. Seit dem 1. Januar 20191443 gibt es diese Besonderheit in Polen nicht mehr, vielmehr gelten die allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen (vgl. Artt. 368 § 4 Satz 1, 383 § 1 HGG), wonach der Aufsichtsrat lediglich grundsätzlich für die Bestellung des Vorstands zuständig ist. In den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats fällt auch der Abschluss des Vorstandsvertrages – anders als wohl in vielen anderen Ländern mit Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene1444 –, allerdings kann auch dies in Polen durch Satzung abweichend geregelt werden. Die gesetzlichen Regelungen zur Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats sind im polnischen Recht insgesamt äußerst knapp und nur sehr fragmentarisch. Diese Beobachtung ergibt sich nicht nur aus einem Vergleich zum deutschen Mitbestimmungsrecht, welches wahrlich sehr umfassend und detailliert geregelt ist, sondern wird auch von der polnischen Literatur geteilt1445. Zu1441 Danach konnte diese Kompetenz auch der Hauptversammlung oder einem einzelnen Aktionär durch Satzung übertragen werden, vgl. Art. 368 § 4 Satz 1 Hs. 2 HGG. 1442 Näher Rebhahn, in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41 (60). 1443 Vgl. Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 1444 Vgl. Rebhahn, in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41 (60). 1445 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 129 („w sposób wysoce fragmentaryczny“), bezogen auf die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer.

470

Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene

dem weisen die Regelungen des KommerzG einige Unklarheiten im Hinblick auf die Auslegung der einzelnen Normen auf. Der augenscheinlichste Unterschied zum deutschen Recht besteht darin, dass das polnische Recht keine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern vorsieht, sondern die vorgeschriebene Beteiligung vielmehr lediglich zwischen 30 % und 43 % schwankt (bei einem Aufsichtsrat mit nicht mehr als dreizehn Mitgliedern, wobei nach oben hin keine Begrenzung besteht), d.h. ungefähr ein Drittel der Aufsichtsratssitze ausmacht. Beim Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter besteht weitgehende Gestaltungsfreiheit durch die Satzung. Im Hinblick auf den wählbaren Personenkreis der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer lässt sich die – im europäischen Vergleich wohl nicht häufig anzutreffende1446 – Gemeinsamkeit feststellen, dass Arbeitnehmervertreter auch Personen sein können, die nicht Arbeitnehmer des Unternehmens sind. Ein deutlicher Unterschied bestand hingegen in Bezug auf eine etwaige Gewerkschaftstätigkeit: Die gleichzeitige Ausübung des Aufsichtsratsmandats und einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft betrachtete der polnische Gesetzgeber als potentiellen Interessenkonflikt, den es jedenfalls für die kommerzialisierte Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung des Staates zu unterbinden galt. Diese Beschränkung besteht heute allerdings nicht mehr. Eine Besonderheit nach polnischem Recht war ferner die früher vorgeschriebene Eignungsprüfung für Aufsichtsratsmitglieder sowohl der Anteilseigner- als auch der Arbeitnehmerseite, die jedoch seit dem 25. April 2018 – ebenso wie die sonstigen Qualifikationsanforderungen für Aufsichtsratsmitglieder – ausdrücklich nicht für die Arbeitnehmervertreter gilt. Sowohl in Deutschland als auch in Polen haben die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die gleichen Rechte und Pflichten. Insbesondere gleichen sich im Wesentlichen die allgemeinen Sorgfalts-, Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflichten. Sowohl die deutschen als auch die polnischen Arbeitnehmervertreter sind auf das Unternehmensinteresse verpflichtet, mag auch das Verständnis vom Unternehmensinteresse und der in diesem Zusammenhang vorrangig zu berücksichtigenden Interessen in Deutschland und Polen auseinanderfallen. Deutlich weniger klar geregelt ist im polnischen Recht jedoch die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder. Für die Arbeitnehmervertreter sehen sowohl das deutsche als auch das polnische Recht Schutzvorschriften vor, wobei diese in beiden Rechtsordnungen gesetzlich nur sehr knapp geregelt sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Rechtsordnungen besteht darin, dass nach dem deutschen Recht die nicht erfolgte Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat dessen Funktionsfähigkeit nicht per se beeinträchtigt, während eine Unterbesetzung nach polnischem Recht zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats führt. Die gerichtlichen Möglichkeiten zur Beanstandung eines Hauptversammlungsbeschlusses ähneln sich insoweit, als sowohl eine An1446

Vgl. Rebhahn, in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41 (57).

E. Zusammenfassung

471

fechtungs- als auch Nichtigkeitsklage in Betracht kommen. Problematisch erscheint in Polen jedoch die Aktivlegitimation der Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmervertreter, die nach dem Gesetzeswortlaut nicht klageberechtigt sind. Eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit zwischen dem deutschen und polnischen Mitbestimmungssystem lässt sich dahingehend feststellen, dass in beiden Ländern die Funktion und Rolle der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor allem in ihrer Informationsvermittlungsfunktion gesehen wird. Dies ist umso beachtlicher, als die deutsche Mitbestimmung mit der paritätischen Besetzung der Aufsichtsratssitze zahlenmäßig ein deutlich höheres Ausmaß annimmt als in Polen. Indes scheint anhand der hierzu durchgeführten Studien auch die paritätische Mitbestimmung keinen wesentlichen Einfluss der Arbeitnehmerseite auf die Unternehmensführung ausüben zu können. Wesentliche Unterschiede bestehen zwischen dem deutschen und dem polnischen Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand. Auch wenn der Arbeitnehmervertreter im Vorstand kommerzialisierten Gesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern wohl den deutschen Arbeitsdirektor als Vorbild hatte1447, so zeigen die Regelungen doch deutliche Unterschiede. Während der Arbeitsdirektor nach deutschem Recht wie die übrigen Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat bestellt wird, wird der Arbeitsdirektor in Polen zunächst unmittelbar von der Belegschaft nach Maßgabe einer diesbezüglichen Regelung in der Satzung nominiert bzw. – nach älterer, wohl aber nicht mehr haltbarer Auffassung – sogar unmittelbar ins Amt bestellt. Zudem sind die Kompetenzen des polnischen Arbeitsdirektors rechtlich nicht auf die Personalund Sozialangelegenheiten des Unternehmens im Sinne einer Mindestzuständigkeit festgelegt oder hierauf beschränkt, mag dies in der Praxis auch oft der Fall sein.

1447

Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 260.

Kapitel 4

Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene A. Die Bedeutung europäischer Entwicklungen für das deutsche und polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht Auf europäischer Ebene ist die Arbeitnehmerbeteiligung ein wesentlicher Aspekt der europäischen Sozialpolitik.1 Im Vordergrund stand dabei vor allem die Förderung der Entwicklung des sozialen Dialogs, des Weiteren priorisiert worden ist die Information und Konsultation von Arbeitnehmern.2 Zahlreiche europäische Richtlinien und Verordnungen sehen heutzutage Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung auf nationaler wie auch supranationaler Ebene vor. Zu nennen seien hier insbesondere die Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte3, die Richtlinie 2001/86/EG betreffend die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE4, die Richtlinie 2002/14/EG betreffend die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer5, die Richtlinie 2003/72/EG betreffend die Beteiligung von Arbeitnehmern in der Europäischen Genossenschaft6 und schließlich die Richtlinie 2005/56/EG betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften7. 1 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (28). 2 Matey, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (78 f.). 3 Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 254 vom 30. September 994, S. 64–72. 4 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 294 vom 10. November 2001, S. 22–32. 5 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 080 vom 23. März 2002, S. 29–34. 6 Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 207 vom 18. August 2003, S. 25–36. 7 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mit-

A. Bedeutung für das dt. und polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht

473

Von wesentlicher Bedeutung war ferner die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit, mit welcher der EuGH der lange Zeit geltenden sog. „Sitztheorie“ den Boden entzog.8 Nach der Sitztheorie sollte für die Organisationsverfassung einer Gesellschaft das Gesellschaftsrecht desjenigen Staates maßgeblich sein, in welchem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hatte.9 Während danach also Unternehmen mit Verwaltungssitz in Deutschland auch nach deutschem Recht organisiert sein mussten, können nach der Rechtsprechung des EuGH nunmehr Unternehmen, die nach dem Recht eines anderen Staates gegründet wurden, ihren Sitz und sämtliche Geschäftstätigkeiten nach Deutschland verlegen, ohne dabei ihre Rechts- und Parteifähigkeit zu verlieren.10 Da die Anwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze eine in den jeweiligen Gesetzen genannte deutsche Rechtsform voraussetzt, unterfallen nach ausländischem Recht verfasste Unternehmen nicht der deutschen Unternehmensmitbestimmung.11 Sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht sind die Entwicklungen in Europa für das deutsche und das polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht heute nicht mehr wegzudenken. In rechtlicher Hinsicht prägen europäische Vorgaben in Form von Richtlinien und Verordnungen sowie die Rechtsprechung des EuGH zunehmend das nationale Recht. In tatsächlicher Hinsicht wirkt sich die Globalisierung der Wirtschaft, die zunehmend internationale Arbeitsteilung und Vernetzung naturgemäß auch auf die nationalen Rahmenbedingungen und Strukturen aus. Wie die BDA/BDI-Kommission schon im Jahre 2004 festgestellt gliedstaaten, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 310 vom 25. November 2005, S. 1–9. 8 Vgl. etwa EuGH (Große Kammer), Urteil vom 25. Oktober 2017, Rs. C-106/16 („Polbud – Wykonawstwo sp. z o. o.“), ECLI:EU:C:2017:804 = NJW 2017, S. 3639; EuGH, Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 („Cadbury Schweppes“), Slg. 2006, I-7995 = NZG 2006, S. 835; EuGH, Urteil vom 30. September 2003, Rs. C-167/01 („Inspire Art“), Slg 2003, I-10155 = NJW 2003, S. 3331; EuGH, Urteil vom 5. November 2002, Rs. C-208/00 („Überseering“) Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, S. 3614; EuGH, Urteil vom 9. März 1999, Rs. C-212/97 („Centros“), Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, S. 2027; vgl. hierzu Franzen, Niederlassungsfreiheit, internationales Gesellschaftsrecht und Unternehmensmitbestimmung, RdA 2004, S. 257 (258); Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 261 Rn. 1. 9 Franzen, Niederlassungsfreiheit, internationales Gesellschaftsrecht und Unternehmensmitbestimmung, RdA 2004, S. 257 (258) m.w. N.; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 7 m.w. N.; vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGH, Urteil vom 21. März 1986, Az.: V ZR 10/85, NJW 1986, S. 2194 (2195). 10 Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 261 Rn. 1. 11 Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 1 MitbestG Rn. 7; Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 261 Rn. 1. Zu der Problematik des räumlichen Anwendungsbereiches der Mitbestimmungsgesetze vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6 ff. m.w. N., ausführlich auch Franzen, Niederlassungsfreiheit, internationales Gesellschaftsrecht und Unternehmensmitbestimmung, RdA 2004, S. 257 (257 ff.).

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

hatte, sieht sich Deutschland – und insbesondere die deutsche Mitbestimmung – zunehmend einem „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme“ bzw. einem „Wettbewerb der Unternehmensformen“ ausgesetzt.12 Für das polnische Rechtssystem haben die europäischen Entwicklungen auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesellschaftsrechts nicht erst seit dem EU-Beitritt im Jahre 2004, sondern bereits seit Beginn der Transformationsphase Anfang der 1990er Jahre eine große Bedeutung. Die Annäherung der polnischen Gesetzgebung an das Europäische Recht stellte eine wesentliche Bedingung für die wirtschaftliche Integration Polens in die Europäische Gemeinschaft dar.13 Schon Anfang der 1990er Jahre begann daher die Anpassung des polnischen Arbeitsrechts an die europäischen Standards – allen voran die Regelungen der Europäischen Gemeinschaft, des Europarates sowie die in der Europäischen Sozialcharta enthaltenen Grundsätze.14 Besonders groß ist auch der Einfluss des europäischen Rechts auf das polnische Gesellschaftsrecht und dessen Reformbedürftigkeit.15

B. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Gesellschaftsformen I. Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) Der schwierige Weg der Entstehung einer Gesetzgebung zur Europäischen Aktiengesellschaft („Societas Europaea“ – „SE“), der seinen Anfang im Jahre 1959 nahm und mit der Verabschiedung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über die SE16 (nachfolgend: „SE-VO“) und der Richtlinie 2001/86/EG zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE17 (nachfolgend: „SE-RL“) im Jahr 2001 zum Abschluss kam, brachte die Differenzen der Mitgliedstaaten beim Thema Mitbestimmung deutlich zum Ausdruck.18 Insbesondere die von deutscher Seite for12

BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. II, 10, 14 ff. Vgl. Art. 68 des im Dezember 1991 unterzeichneten Europa-Abkommens zwischen Polen und der Europäischen Gemeinschaft. Gemäß Art. 69 umfasste die Annäherung insbesondere den „Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz“. Ausführlich zur Anpassung des polnischen Arbeitsrechts Matey, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (63 ff.). 14 Matey, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (64); näher zur Integration Polens in die EU oben Kapitel 2, A.II.5. 15 Ausführlich hierzu Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 611 ff. 16 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 294 vom 10. November 2001, S. 1–21. 17 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt Nr. L 294 vom 10. November 2001, S. 22–32. 18 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der SE und den verschiedenen Vorschlägen Austmann, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 83 Rn. 7 ff.; Oetker, in: 13

B. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Gesellschaftsformen

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cierte Mitbestimmung in den Unternehmensorganen traf auf teilweise heftigen Widerstand anderer Staaten. Entsprechend stellen die SE-VO und SE-RL eine Kompromisslösung dar. Polen hatte auf die Ausgestaltung der SE-VO und SE-RL keinen Einfluss, da es zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Dokumente noch kein EU-Mitglied war.19 Zynische Stimmen in der polnischen Literatur bezweifeln jedoch angesichts der nur wenigen und schlechten Erfahrungen Polens mit der Arbeitnehmerpartizipation, dass Polen einen positiven Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung gehabt hätte.20 Bei der Gründung einer SE kann zwischen einem dualistischen System mit einem Leitungs- und einem Aufsichtsorgan und einem monistischen System mit einem Verwaltungsorgan gewählt werden (vgl. Art. 38 lit. b) SE-VO). Die SE-VO führte damit sowohl in Deutschland als auch in Polen abweichend von den nationalen aktienrechtlichen Vorschriften die Möglichkeit ein, eine monistische Struktur zu wählen. Die maßgeblichen Vorschriften für die Ausgestaltung der SE sind zunächst die unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen der SE-VO (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV) sowie die durch die SE-VO ausdrücklich zugelassenen Regelungen in der Satzung der SE (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) und b) SE-VO). In Bezug auf die hierdurch nicht und nur teilweise geregelten Bereiche unterliegt die SE gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-VO den nationalen Gesetzen betreffend die SE, subsidiär betreffend die Aktiengesellschaft sowie schließlich unter den gleichen Voraussetzungen, wie im Falle einer nach dem Recht des Sitzstaates gegründeten Aktiengesellschaft, den Bestimmungen ihrer Satzung. In Deutschland werden die nicht in der SE-VO geregelten Bereiche durch das Gesetz zur Ausführung der SE-Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft21 (nachfolgend: „SEAG“), das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft22 (nachfolgend: „SEBG“), sowie subsidiär die auf Aktiengesellschaften anwendbaren Vorschriften geregelt. In Polen sind das Gesetz über die Europäische Interessenvertretung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 200523 (nachfolgend: „SEG-PL“) sowie subsidiär die für polnische Aktiengesellschaften geltenden Vorschriften maßgeblich. Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 1 ff.; in der polnischen Literatur Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (189 ff.). 19 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (203). 20 So Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (203). 21 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz – SEAG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675. 22 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675 (3686). 23 Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 2005, Dz. U. 2005 Nr. 62 Pos. 551.

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

1. Regelungskonzept der SE-RL zur Arbeitnehmerbeteiligung Die SE-RL stellt eine „untrennbare Ergänzung“ der SE-VO dar (vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 SE-VO). Die SE kann erst registriert werden und damit Rechtspersönlichkeit erwerben, wenn die in der SE-RL enthaltenen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung erfüllt wurden (vgl. Artt. 12 Abs. 2, 16 SE-VO). a) Zielsetzung der SE-RL Die Zielsetzung der SE-RL wird in den Erwägungsgründen der Richtlinie näher erläutert. Erklärtes Ziel der Richtlinie ist die „Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen“ (vgl. Erwägungsgrund Nr. 18 SE-RL). Wie aus Erwägungsgrund Nr. 3 SE-RL folgt, geht es darum, „die Ziele der Gemeinschaft im sozialen Bereich zu fördern“. Deshalb müssten Bestimmungen festgelegt werden, die gewährleisten sollen, „dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen“. In Erwägungsgrund Nr. 18 SERL wird die Sicherung der bestehenden Arbeitnehmerrechte zur Beteiligung an Unternehmensentscheidungen auch als „fundamentaler Grundsatz“ der Richtlinie deklariert. Ferner wird darin das Vorher-Nachher-Prinzip festgelegt: Die vor der Gründung einer SE bestehenden Arbeitnehmerrechte sollen den Ausgangspunkt für die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE bilden. Auch in Erwägungsgrund Nr. 7 SE-RL heißt es, dass die in einer oder in mehreren der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften bestehenden Mitbestimmungsrechte auch nach Gründung der SE bestehen bleiben sollten. Dies allerdings nur, sofern nicht die Parteien Abweichendes beschließen – womit die SE-RL einer Vereinbarung über die Beteiligungsrechte grundsätzlich Vorrang vor dem bisher geltenden Beteiligungsniveau in den Gründungsgesellschaften einräumt. Die SE-RL möchte mithin die erworbenen Rechte der Arbeitnehmer – ihren „Besitzstand“ – sichern, sie gewährt aber auch keine über das Mitbestimmungsniveau in den an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften hinausgehenden Beteiligungsrechte.24 b) Vorrang der Vereinbarung Vor dem Hintergrund „der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung in Gesellschaften“ sah die SE-RL davon ab, ein einheitliches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung für die SE festzulegen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 SE-RL). Vielmehr sieht Art. 1 Abs. 2 SE-RL vor, dass die Be24 Austmann, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 86 Rn. 29 („Wahrung des Besitzstandes“).

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teiligung der Arbeitnehmer in der SE in einer Vereinbarung geregelt werden soll. Damit setzt die Richtlinie in erster Linie auf eine durch Verhandlungen zwischen der Gesellschaft und einem Arbeitnehmervertretungsgremium erreichte gemeinsame Lösung. Nur für den Fall des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung – oder falls die Parteien ihre Geltung vereinbaren – sieht die SE-RL eine gesetzliche Auffangregelung vor (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a) und b) SE-RL). Während die darin enthaltenen Vorgaben zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer für jede SE gelten, orientiert sich die Mitbestimmung in den Unternehmensorganen inhaltlich an dem bisher in den beteiligten oder betroffenen Gesellschaften herrschenden Mitbestimmungsniveau. Die Aufnahme von Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE ist bei jeder geplanten Gründung einer SE vorgeschrieben (vgl. Art. 3 Abs. 1 SE-RL). Die Gründung einer SE kann dabei in einer der von Art. 2 Abs. 1 bis 4 SE-VO sowie Art. 3 Abs. 2 SE-VO vorgesehenen Gründungsmöglichkeiten (Verschmelzung, Holding-SE, Gemeinsame Tochter-SE, Umwandlung und Tochter-SE der SE) erfolgen.25 Zum Zwecke der Verhandlungen wird gemäß Art. 3 Abs. 2 SE-RL ein besonderes Verhandlungsgremium als Vertretung der Arbeitnehmer eingesetzt. Art. 3 Abs. 2 SE-RL konkretisiert die näheren zwingenden Vorgaben für die Bildung dieses Vertretungsgremiums. In Art. 3 Abs. 3 bis 7 SE-RL finden sich weitere Vorgaben, etwa bezüglich der Beschlussfassung, der Hinzuziehung von Sachverständigen und der Kostenübernahme. Die Dauer der Verhandlungen soll im Grundsatz nicht mehr als sechs Monate ab Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums dauern, kann jedoch einvernehmlich auch auf bis zu insgesamt einem Jahr verlängert werden (vgl. Art. 5 SE-RL). Welche Mindestinhalte die zwischen der Unternehmens- und Arbeitnehmerseite verhandelte Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer enthalten muss, folgt aus Art. 4 der SE-RL. Darin sind neben allgemeinen Bestimmungen wie dem Geltungsbereich und der Laufzeit der Vereinbarung stets Festlegungen im Hinblick auf das Vertretungsorgan, welches im Rahmen der Vereinbarung zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der SE als Verhandlungspartner der Unternehmensseite fungieren soll (bzw. mangels eines Vertretungsorgans im Hinblick auf das Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer), zu treffen. Auch soll die Vereinbarung Festlegungen im Hinblick auf die Mitbestimmung in den Organen der SE – sofern eine solche vorgesehen wird – enthalten (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. g) SE-RL). Die Verhandlungsparteien sind nicht verpflichtet, eine Vereinbarung zur Mitbestimmung zu treffen, wenn in keiner der beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte bestanden. Andernfalls sind der Autonomie der Parteien jedoch gewisse Grenzen gesetzt. Bei einer durch Um25 Näher hierzu die Erläuterungen bei Austmann, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 84 Rn. 1.

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wandlung entstehenden SE dürfen die in der Vereinbarung getroffenen Regelungen das in der umzuwandelnden Gesellschaft bereits bestehende Ausmaß der Arbeitnehmerbeteiligung in allen ihren Komponenten – d.h. auch hinsichtlich der Mitbestimmung auf Organebene – nicht unterschreiten (vgl. Art. 4 Abs. 4 SERL). Im Fall der anderen Gründungsformen können die Verhandlungsparteien zwar auch dann, wenn Mitbestimmungsrechte in einer beteiligten Gesellschaft oder betroffenen Tochtergesellschaft bestanden, grundsätzlich davon absehen, eine Vereinbarung betreffend die Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan zu treffen, oder die bisherigen Mitbestimmungsrechte mindern. Jedoch gelten für einen entsprechenden Beschluss des besonderen Verhandlungsgremiums in diesem Fall strengere Mehrheitserfordernisse, sofern sich das bisher geltende, nunmehr durch Vereinbarung abzuschaffende bzw. abzumildernde Mitbestimmungsniveau auf die in Art. 3 Abs. 4 SE-RL genannte Zahl von Arbeitnehmern erstreckte. Wurde eine Vereinbarung zwischen den Verhandlungspartnern getroffen, dann ist diese für das Beteiligungsniveau der Arbeitnehmer in der SE entscheidend. Die Auffangregelung gilt in diesen Fällen nicht (vgl. Art. 4 Abs. 3 SE-RL). Das besondere Verhandlungsgremium kann jedoch auch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen, gar keine Verhandlungen aufzunehmen oder bereits aufgenommene Verhandlungen abzubrechen (vgl. Art. 3 Abs. 6 SE-RL). In diesem Fall gelten im Hinblick auf die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer die Vorschriften der Mitgliedstaaten, in denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind; die Auffangregelung im Anhang findet dann ebenfalls keine Anwendung (vgl. Art. 3 Abs. 6 SE-RL). Wenn die Gründung einer SE durch Umwandlung erfolgen soll und in der umzuwandelnden Gesellschaft Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen besteht, ist ein solcher Beschluss jedoch nicht möglich (vgl. Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 3 SE-RL). c) Subsidiäre Auffangregelung Die Mitgliedstaaten wurden in Art. 7 SE-RL dazu verpflichtet, eine gesetzliche Auffangregelung zur Beteiligung der Arbeitnehmer einzuführen, die mindestens den im Anhang der SE-RL (nachfolgend: „AnhangSE-RL“) enthaltenen Vorgaben entsprechen muss. Die im AnhangSE-RL enthaltene Auffangregelung besteht aus drei Teilen: (i) Regelungen zur Zusammensetzung des Vertretungsorgans, (ii) Regelungen über die Zuständigkeiten und Befugnisse des Vertretungsorgans sowie (iii) Regelungen über die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen. Die durch die Mitgliedstaaten festgelegte Auffangregelung findet grundsätzlich Anwendung, wenn die Verhandlungsparteien dies vereinbaren (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a) SE-RL) oder innerhalb des vorgesehenen Verhandlungszeitraums keine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE zustande gekommen ist, die Eintragung der SE fortgesetzt werden soll und das besondere Verhandlungsgremium nicht durch Beschluss beschlossen hat, Verhandlungen

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nicht aufzunehmen oder abzubrechen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. b) SE-RL). Der sich auf die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen beziehende Teil der Auffangregelung gilt jedoch nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen, die an die Gründungsform der SE und die bisher bestehende Mitbestimmung in den beteiligten Gesellschaften anknüpfen (vgl. Art. 7 Abs. 2 SE-RL). Die Teile 1 und 2 der im AnhangSE-RL enthaltenen Auffangregelung betreffen die Zusammensetzung sowie die Zuständigkeiten und Befugnisse des Vertretungsorgans, d.h. des zur Vertretung der Arbeitnehmer eingesetzten Organs, welches die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sowie gegebenenfalls auch Mitbestimmungsrechte in der SE wahrnehmen soll (vgl. Art. 2 lit. f) SE-RL). Teil 3 AnhangSE-RL enthält Vorgaben für die Auffangregelung zur Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen. Für den Fall der Gründung einer SE durch Umwandlung bestimmt die Auffangregelung, dass die in der umgewandelten Gesellschaft bisher bestehenden nationalen Mitbestimmungsregeln in der SE fortgelten (vgl. Teil 3 lit. a) AnhangSE-RL). In allen anderen Fällen der Gründung bemisst sich die Anzahl der Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans der SE, die von den Arbeitnehmern der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe und/ oder von ihrem Vertretungsorgan gewählt, bestellt, empfohlen oder abgelehnt werden können, nach dem zahlenmäßig höchsten Mitbestimmungsniveau, welches in den an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften bestand (vgl. Teil 3 lit. b) Abs. 1 AnhangSE-RL). Die Verteilung der Sitze im Verwaltungsoder im Aufsichtsorgan bzw. der diesbezüglichen Empfehlungs- und Ablehnungsrechte auf die Mitglieder, die Arbeitnehmer aus verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten, soll entsprechend den jeweiligen Anteilen der in den einzelnen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der SE erfolgen (vgl. Teil 3 lit. b) Abs. 3 AnhangSE-RL). Eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer muss in der SE nicht eingeführt werden, wenn in keiner der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsvorschriften Anwendung gefunden hatten (vgl. Teil 3 lit. b) Abs. 2 AnhangSE-RL). Teil 3 lit. b) Abs. 4 AnhangSE-RL legt fest, dass für die vom Vertretungsorgan oder den Arbeitnehmern gewählten, bestellten oder empfohlenen Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans der SE die gleichen Rechte und Pflichten gelten wie für die Anteilseignervertreter. 2. Umsetzung der europäischen Vorgaben in Deutschland und Polen An sich war eine Umsetzung der SE-VO ins nationale Recht aufgrund ihrer unmittelbaren Geltung in den Mitgliedstaaten (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV) nicht notwendig.26 Da die SE-VO jedoch eine Vielzahl an Regelungsaufträgen und Wahlmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten vorsieht, wurde die SE-VO sowohl in 26

Lutter, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Einl. SE-VO Rn. 20.

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Deutschland als auch in Polen (wie auch in anderen Mitgliedstaaten) durch besondere Gesetze implementiert.27 Zwingend erforderlich war dagegen die Umsetzung der SE-RL ins nationale Recht (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV), für welche die SE-RL den Mitgliedstaaten eine Frist bis zum 8. Oktober 2004 einräumte (vgl. Art. 14 Abs. 1 SE-RL). Zeitgleich mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist trat die SE-VO in Kraft (vgl. Art. 70 SE-VO). In Deutschland erfolgte die Umsetzung der europäischen Vorgaben zur SE mit dem Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft vom 22. Dezember 200428, welches mit Art. 1 das SEAG29 und mit Art. 2 das SEBG30 einführte.31 In Polen erfolgte die Umsetzung erst mit dem SEG-PL vom 4. März 200532, welches zum 19. Mai 2005 in Kraft trat (vgl. Art. 138 SEG-PL). Die Umsetzung der europäischen Vorgaben ins polnische Recht erfolgte mithin um mehr ein halbes Jahr verspätet. Das Gesetz besteht aus insgesamt 138 Artikeln. Titel III enthält Vorschriften bezüglich der Gründung, den Organen und der Sitzverlegung der SE (Artt. 15 bis 57 SEG-PL), in Titel IV finden sich die Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE (Artt. 58 bis 121 SEG-PL), die den umfangreichsten Teil des gesamten Gesetzes ausmachen. Während der deutsche Gesetzgeber Fragen der SE an sich und Fragen der Arbeitnehmerbeteiligung in zwei verschiedenen Gesetzen regelte, entschloss sich der polnische Gesetzgeber dazu, beide Regelungskomplexe in einem Gesetz zu regeln. Dies wird in der polnischen Literatur befürwortet, da es sich schließlich um zwei eng miteinander verbundene Angelegenheiten handele.33 In Titel II des polnischen SEG-PL finden sich zudem die Vorschriften über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (Artt. 7 bis 14 SEG-PL), mit denen gleichzeitig die europäische Verordnung Nr. 2137/85/EG vom 25. Juli 198534 umgesetzt wurde. Die Verbindung der Regelungen zur Europäischen Aktiengesellschaft mit denjenigen zur Europäi27

Lutter, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Einl. SE-VO Rn. 20 ff.,

25. 28 Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675. 29 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz – SEAG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675. 30 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675 (3686). 31 Zum Gesetzgebungsverfahren und den Kontroversen vgl. Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn.13 ff. 32 Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 2005, Dz. U. 2005 Nr. 62 Pos. 551. 33 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (349). 34 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 199 vom 31. Juli 1985, S. 1–9.

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schen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung wird in der polnischen Rechtswissenschaft als unglücklich angesehen.35 Überdies zeuge die im Gesetzestitel gewählte vorrangige Benennung der – wenig bedeutsamen – Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung, die selbst keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehe, davon, dass das Projekt der SE und die damit verbundene Arbeitnehmerbeteiligung an zweite Stelle gestellt wurden.36 Sowohl der deutsche als auch der polnische Gesetzgeber mussten detaillierte Regelungen zum bisher in beiden Ländern unbekannten Modell des monistischen Systems treffen. Entsprechende Regelungen finden sich nunmehr in §§ 20 bis 49 SEAG sowie in Artt. 27 bis 47 SEG-PL. Den Definitionenkatalog der SE-RL haben das deutsche SEBG (vgl. § 2 SEBG) und das polnische SEG-PL (vgl. Artt. 2, 58 SEG-PL) entsprechend übernommen, wobei die in der polnischen Übersetzung der SE-RL und im SEG-PL unterschiedlich gewählte Begriffswahl in Bezug auf die Begriffe „zaangaz˙owanie“, „partycypacja“ und „uczestnictwo“ stark verwundert.37 Bei der Umsetzung der Richtlinienvorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung versuchte der polnische Gesetzgeber, sich soweit wie möglich an den Lösungen im bereits bestehenden Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 200238 zu orientieren, mit dem die Richtlinie 94/45/EG ins polnische Recht umgesetzt worden war.39 a) Gegenstand, Zielsetzung und räumlicher Geltungsbereich Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SEBG regelt das SEBG die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE. Das Gesetz übernimmt damit lediglich den Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 SE-RL ins deutsche Recht, ohne dass darin ein weitergehender Inhalt ent35 So Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (196). 36 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (196). 37 Vgl. die Unstimmigkeit der polnischen Übersetzung von Art. 2 SE-RL (abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/PL/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0086& from=PL, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020) und der Begriffsbestimmungen in Art. 58 SEG-PL. Vorzugswürdig dürfte jedoch die im SEG-PL getroffene Begriffswahl sein, die an die auch sonst in der polnischen Literatur übliche Begriffsbestimmung der Arbeitnehmerbeteiligung bzw. -partizipation als Oberbegriff für sämtliche Formen der Beteiligung von Arbeitnehmern anknüpft. Vgl. hierzu allerdings auch Giedrewicz-Niewin´ska, Uczestnictwo pracowników w spółce europejskiej, Kapitel 2, legalis S. 14 ff. sowie Schlusskapitel, legalis S. 2 f., die die uneinheitlichen Begriffsbestimmungen in Bezug auf die Begriffe „zaangaz˙owanie“, „partycypacja“ und „uczestnictwo“ in der Richtlinie und dem polnischen Umsetzungsgesetz kritisiert, jedoch den Begriff „uczestnictwo“ (Teilhabe, Beteiligung) als Oberbegriff favorisiert. 38 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. 39 Vgl. Regierungsentwurfsbegründung zum SEG-PL vom 20. September 2004, Sejm-Drucks. Nr. 3314 (IV. Kadenz), S. 19.

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halten wäre.40 § 1 Abs. 1 Satz 2 SEBG definiert als Ziel des Gesetzes die Sicherung der erworbenen Rechte der Arbeitnehmer auf Beteiligung an Unternehmensentscheidungen in der SE. Ferner sieht § 1 Abs. 3 SEBG eine Auslegungsmaxime vor, wonach die Vorschriften des SEBG sowie die abzuschließende Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer so auszulegen sind, dass die auf europäischer Ebene verfolgten Ziele zur Sicherstellung der Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE gefördert werden. Das polnische SEG-PL verzichtet dagegen auf eine Definition der Zielsetzung und Auslegungshinweise. In Art. 1 Abs. 2 und 3 SEG-PL heißt es lediglich zum Gegenstand des Gesetzes, dass dieses die Gründung, Organisation und Tätigkeit der SE in den nicht von der SE-VO geregelten Bereichen sowie die Grundsätze der Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE regelt. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des jeweiligen nationalen, die SE-RL umsetzenden Gesetzes ist in räumlicher Hinsicht der Sitz der SE ausschlaggebend, sodass in erster Linie jeweils das Umsetzungsgesetz desjenigen Staates zur Anwendung gelangt, in welchem sich der Sitz der SE befindet.41 Entsprechend gilt das SEBG für eine SE mit Sitz in Deutschland (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 SEBG) und das SEG-PL für eine SE mit Sitz in Polen42. Darüber hinaus ist das jeweilige nationale Umsetzungsgesetz auch dann, wenn die SE ihren Sitz im Ausland hat, im Hinblick auf das Wahlverfahren der Vertreter von im Inland beschäftigten Arbeitnehmern einschlägig.43 b) Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums Entsprechend den Vorgaben der SE-RL (vgl. Art. 3 Abs. 1 SE-RL) ist sowohl in Deutschland als auch in Polen im Zusammenhang mit der Gründung einer SE ein besonderes Verhandlungsgremium einzuberufen. Diesem wird ausdrücklich die Aufgabe zugewiesen, mit den zuständigen Leitungen bzw. Organen der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften eine schriftliche Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE abzuschließen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 SEBG, Art. 59 Abs. 1 SEG-PL). aa) Einleitung des Einberufungsverfahrens und Information Art. 3 Abs. 1 SE-RL enthält die Vorgabe, dass die Leitungs- und Verwaltungsorgane der beteiligten Gesellschaften, die die Gründung der SE planen, baldmög40

Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 1 SEBG Rn. 5. Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 3 SEBG Rn. 10. 42 Oplustil, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 16 Rn. 170. 43 Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 3 SEBG Rn. 11; Oplustil, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 16 Rn. 170. 41

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lichst nach der Offenlegung des Verschmelzungsplans, des Gründungsplans für eine Holdings-SE, der Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochter-SE oder des Umwandlungsplans die erforderlichen Schritte für die Aufnahme von Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern der Gesellschaften in Bezug auf die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE einleiten. Zu diesen Schritten gehört auch die Unterrichtung über die Identität der beteiligten Gesellschaften und der betroffenen Tochtergesellschaften oder der betroffenen Betriebe sowie die Zahl ihrer Beschäftigten. Das deutsche Recht sieht vor, dass die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums aufgrund einer schriftlichen Aufforderung der Leitungen zu erfolgen hat (vgl. § 4 Abs. 1 SEBG). Für die Wahl bzw. Bestellung der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums setzt § 11 Abs. 1 SEBG eine zehnwöchige Frist fest, die mit Erteilung der in § 4 Abs. 2 und 3 SEBG vorgeschriebenen Information – welche wiederum unverzüglich nach Offenlegung des Plans zur Gründung der SE zu erfolgen hat (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 SEBG) – beginnt. Das polnische Gesetz enthält keine derart konkrete zeitliche Vorgabe im Hinblick auf die Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums. Es heißt hierzu in Art. 60 SEG-PL lediglich, dass das besondere Verhandlungsgremium unverzüglich nach Bekanntmachung des Verschmelzungsplans, des Gründungsplans für eine Holdings-SE, des Umwandlungsplans oder der Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochter-SE gebildet werden soll. Gemäß Art. 61 Abs. 1 SEG-PL sollen die an der Gründung beteiligten Gesellschaften den Tag bestimmen, an dem das Verfahren zur Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums eingeleitet werden soll. Zwecks Einleitung des Verfahrens sind die in Art. 61 Abs. 2 SEG-PL genannten Informationen zu übermitteln. Sowohl in Deutschland als auch in Polen sind die im Zusammenhang mit der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums zu übermittelnden Informationen an die Arbeitnehmervertreter bzw. – sofern solche nicht bestehen – an die Arbeitnehmer zuzuleiten. Im Hinblick auf den Umfang der zu übermittelnden Informationen ist die deutsche Regelung allerdings deutlich umfassender als die polnische. Nach § 4 Abs. 2 SEBG haben die Leitungen die Arbeitnehmervertretungen in den beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und betroffenen Betrieben – ansonsten die Arbeitnehmer – über das Gründungsvorhaben zu informieren. Die zu übermittelnden Informationen erstrecken sich dabei gemäß § 4 Abs. 3 SEBG insbesondere auf (i) Angaben zur Identität und Struktur der beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und betroffenen Betriebe sowie ihrer Verteilung auf die einzelnen Mitgliedstaaten, (ii) die Arbeitnehmervertretungen, die in diesen Gesellschaften und Betrieben bestehen, (iii) die Beschäftigtenzahl in den einzelnen Gesellschaften und Betrieben sowie die Gesamtzahl der in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer, und (iv) die Anzahl der Arbeitnehmer, die Mitbestimmungsrechte in den Gesellschaftsorganen haben. Das polnische Recht beschränkt die zu übermitteln-

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den Informationen dagegen auf die Angaben zur Identität der beteiligten Gesellschaften sowie der betroffenen Tochtergesellschaften und Betriebe, die sich gemäß Art. 58 Abs. 12 SEG-PL auf den Namen bzw. die Firma und – sofern vorhanden – die Identifikationsnummer und Registernummer der jeweiligen Gesellschaft beziehen, sowie die Zahl der in den jeweiligen Gesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer (vgl. Art. 61 Abs. 2 SEG-PL). Weitere Informationen müssen demnach nicht an die Arbeitnehmer übermittelt werden. Somit werden lediglich die Vorgaben von Art. 3 Abs. 1 SE-RL erfüllt. Empfohlen wird jedoch, zumindest grundlegende Informationen in Bezug auf die Gründung mitzuteilen. 44 Zur Form oder Art und Weise der Unterrichtung enthält das deutsche SEBG keine Vorgaben. Zu Beweiszwecken wird eine schriftliche Unterrichtung empfohlen, eine Unterrichtung im Rahmen einer Informationsveranstaltung jedoch ebenso für ausreichend erachtet.45 Der polnische Art. 61 Abs. 2 SEG-PL sieht dagegen vor, dass die beteiligte Gesellschaft die Unterrichtung in der bei ihr üblichen Art und Weise vornimmt. Damit kann die Unterrichtung schriftlich erfolgen oder auch nur durch Aushang durchgeführt werden, wenn diese Form der Bekanntmachung in der Gesellschaft üblich ist.46 Zur Sprache der Unterrichtung äußern sich beide Gesetze nicht, gemeinhin wird jedoch angenommen, dass die Sprache des jeweiligen Mitgliedstaates gewählt werden soll.47 bb) Sitzverteilung auf Mitgliedstaaten und Gesellschaften In Art. 3 Abs. 2 lit. a) SE-RL enthält die Richtlinie detaillierte Vorgaben zur Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums. Wie viele Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums von einem Mitgliedstaat gewählt bzw. bestellt werden, soll sich gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a) SE-RL grundsätzlich nach dem Verhältnis der in dem jeweiligen Land beschäftigten Arbeitnehmer zur Gesamtzahl aller Arbeitnehmer der beteiligten und betroffenen Gesellschaften bestimmen. Für jeden Anteil der beschäftigten Arbeitnehmer, der 10 % der Gesamtzahl oder einen Bruchteil hiervon beträgt, soll der Mitgliedstaat Anspruch auf einen Sitz haben. Für die Gründung durch Verschmelzung besteht eine Besonderheit insoweit, als die Arbeitnehmer der übertragenden und als eigene Rechtspersönlichkeit erlöschenden Gesellschaften zusätzlich mit mindestens einem Mitglied im besonderen Verhandlungsgremium vertreten sein sollen. Allerdings darf es hierdurch keine Doppelvertretung der betroffenen Arbeitnehmer geben. Auch 44 So Szuman ´ski/Zagórski, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, Kapitel 15 Rn. 2922. 45 So Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 4 SEBG Rn. 27. 46 Szuman ´ski/Zagórski, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, Kapitel 15 Rn. 2923. 47 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 4 SEBG Rn. 27 m.w. N.; Szuman´ski/Zagórski, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, Kapitel 15 Rn. 2922.

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dürfen auf diese Weise nicht mehr als 20 % zusätzliche Mitglieder gewählt werden, sodass bei Überschreiten dieser Zahl die zusätzlichen Sitze in absteigender Reihenfolge der Zahl der in den Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer zugeteilt werden. Die in Art. 3 Abs. 2 lit. a) SE-RL enthaltenen Vorgaben haben Deutschland und Polen durch im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelungen in § 5 SEBG und Art. 64 SEG-PL umgesetzt. Bei der Bestimmung der für die Anzahl der auf die einzelnen Mitgliedstaaten entfallenden Sitze maßgeblichen Arbeitnehmerzahl ist nach § 4 Abs. 4 SEBG der Zeitpunkt der Information der Arbeitnehmervertretungen bzw. Arbeitnehmer i. S. d. § 4 Abs. 2, 3 SEBG maßgeblich. Art. 62 Abs. 1 SEG-PL sieht vor, dass auf den Tag der Einleitung des Verfahrens zur Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums i. S. d. Art. 61 Abs. 1 SEG-PL abzustellen ist. Da das Verfahren jedoch mit der Information an die Arbeitnehmervertretungen bzw. Arbeitnehmer eingeleitet wird (vgl. Art. 61 Abs. 2 SEG-PL), unterscheiden sich die deutsche und polnische Regelung im Ergebnis nicht. Für den Fall einer nachträglichen Änderung der Arbeitnehmerzahl sehen § 5 Abs. 4 SEBG und Art. 62 Abs. 2 SEG-PL eine entsprechende Anpassung der Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums vor. Allerdings spricht das deutsche Gesetz nur von einer Änderung „während der Tätigkeitsdauer des besonderen Verhandlungsgremiums“, sodass sich die Frage stellt, ob Änderungen der Arbeitnehmerzahl im Zeitraum zwischen der Information nach § 4 Abs. 2, 3 SEBG und der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums – einem Zeitraum, der gemäß § 11 Abs. 1 SEBG bis zu zehn Wochen betragen kann – Auswirkungen auf die Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums haben.48 Die Frage stellt sich nach der polnischen Gesetzesfassung nicht, da Art. 62 Abs. 2 SEG-PL auf Änderungen in der Arbeitnehmerzahl seit dem Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens und damit der Information der Arbeitnehmervertretungen bzw. Arbeitnehmer abstellt. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) SE-RL sollten die Mitgliedstaaten auch sicherzustellen, dass möglichst jede beteiligte Gesellschaft, die Arbeitnehmer im jeweiligen Mitgliedstaat beschäftigt, durch mindestens ein Mitglied im besonderen Verhandlungsgremium vertreten wird, wobei dies nicht zu einer Erhöhung der Gesamtzahl der Mitglieder führen darf. Eine Umsetzung dieser Vorgabe findet sich in § 7 SEBG sowie in Art. 68 SEG-PL. Beide Vorschriften gehen davon aus, dass im Grundsatz jede an der Gründung der SE beteiligte inländische Gesellschaft durch ein Mitglied im besonderen Verhandlungsgremium vertreten sein sollte. Betroffene Tochtergesellschaften sind – wie auch in der Richtlinienvorgabe – nicht erfasst. Sofern nicht jede beteiligte inländische Gesellschaft einen Sitz er48 Dagegen etwa Feuerborn, in: KölnKommAktG, Bd. 8/2, § 5 SEBG Rn. 18; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 5 SEBG Rn. 16 m.w. N.; dafür etwa Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 5 SEBG Rn. 6 m.w. N.

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halten kann, weil die Zahl dieser Gesellschaften die Zahl der für das jeweilige Land entfallenden Plätze im besonderen Verhandlungsgremium übersteigt, so sieht das deutsche Recht vor, dass die Gesellschaften mit den meisten Arbeitnehmern in absteigender Reihenfolge einen Sitz erhalten sollen (vgl. § 7 Abs. 3 SEBG). Für den Fall, dass die Anzahl der auf Deutschland entfallenden Sitze die Zahl der beteiligten deutschen Gesellschaften übersteigt, sollen die Sitze nach dem d’Hondtschen Höchstzahlenverfahren verteilt werden (vgl. § 7 Abs. 4 SEBG).49 Die polnische Regelung unterscheidet insofern nicht, sondern legt lediglich allgemein fest, dass die Sitze im besonderen Verhandlungsgremium entsprechend der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer an die beteiligten polnischen Gesellschaften zu verteilen sind, wobei nach Möglichkeiten jede beteiligte Gesellschaft einen Sitz erhalten sollte (vgl. Art. 68 Abs. 1 SEG-PL). Im Rahmen der deutschen Regelung ist jedoch zu beachten, dass für die Zuteilung von Sitzen an die beteiligten Gesellschaften nach Maßgabe der § 7 Abs. 2 bis 4 SEBG die vorrangige Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter und leitende Angestellte nach § 6 Abs. 3 und 4 SEBG50 relevant ist. cc) Persönliche Voraussetzungen der Mitglieder Im Grundsatz gehen sowohl das deutsche als auch das polnische Recht davon aus, dass die im Inland zu wählenden Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften oder betroffenen Betriebe sein müssen (vgl. § 6 Abs. 2 SEBG, Art. 65 Abs. 5, 6 SEG-PL). Nach Erwägungsgrund Nr. 19 SE-RL und Art. 3 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 2 SE-RL durften die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass Vertreter von Gewerkschaften auch dann Mitglied eines besonderen Verhandlungsgremiums sein können, wenn sie nicht als Arbeitnehmer in einer beteiligten Gesellschaft, einer betroffenen Tochtergesellschaft oder einem betroffenen Betrieb beschäftigt sind. Sowohl Deutschland als auch Polen haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Im Detail unterschieden sich die Regelungen jedoch. § 6 Abs. 2 SEGB bestimmt, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Gewerkschaftsvertreter wählbar sind. Dabei soll jedoch in dem Fall, dass dem besonderen Verhandlungsgremium mehr als zwei Vertreter aus Deutschland angehören, gemäß § 6 Abs. 3 SEBG jedes dritte Mitglied ein Vertreter einer Gewerkschaft sein, die in einer an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaft vertreten ist (sog. „Sitzgarantie“ 51). Die Regelung hat Vorrang vor dem Verteilungsprinzip ge49 Näher hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 7 SEBG Rn. 6 ff. mit Rechenbeispielen. 50 Zum Vorrang von § 6 Abs. 3 und 4 SEBG Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 7 SEBG Rn. 5. 51 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 5 SEBG Rn. 13, § 6 SEBG Rn. 21.

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mäß § 7 Abs. 2 bis 4 SEBG, sodass von den auf Deutschland entfallenden Sitzen vorab stets entsprechend der Vorgaben in § 6 Abs. 3 und 4 SEBG Sitze an Gewerkschaftsvertreter oder leitende Angestellte zugeteilt werden und erst die übrigen Sitze entsprechend der Regelung des § 7 Abs. 2 bis 4 SEBG auf mehrere beteiligte Gesellschaften im Inland aufzuteilen sind.52 Der polnische Gesetzgeber hat die Richtlinienermächtigung in Art. 65 Abs. 5 SEG-PL umgesetzt. Danach können Vertreter einer repräsentativen Gewerkschaft i. S. d. RatSozDialogG53 – mithin einer landesweiten Gewerkschaft, eines landesweiten Gewerkschaftsverbandes oder Zusammenschlusses landesweiter Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände, die die Kriterien des Art. 23 Abs. 2 RatSozDialogG erfüllen54 – Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums sein, auch wenn sie nicht Arbeitnehmer einer beteiligten Gesellschaft, einer betroffenen Tochtergesellschaft oder eines betroffenen Betriebs sind. Nach Art. 65 Abs. 6 SEG-PL soll jedoch die Mehrheit der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums aus Arbeitnehmern bestehen. Im Gegensatz zum deutschen Recht sieht das polnische SEG-PL mithin keine garantierte Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern vor, sondern erlaubt lediglich die Anwesenheit von nicht als Arbeitnehmern beschäftigten Gewerkschaftsmitgliedern bis zu einer Obergrenze von 50 %. Der Wortlaut der Norm („soll“) spricht indes dagegen, diese Obergrenze als zwingend anzusehen.55 In der polnischen Literatur wird kritisiert, dass das polnische Gesetz nicht näher spezifiziere, ob Art. 65 Abs. 5 SEG-PL alle repräsentativen Gewerkschaftsorganisationen in der gesamten Republik Polen meint oder lediglich diejenigen, die auch in einer beteiligten Gesellschaft, einer betroffenen Tochtergesellschaft oder einem betroffenen Betrieb tatsächlich vertreten sind.56 Aus Art. 66 Abs. 1 SEGPL folge, dass hiermit alle im Zeitpunkt der Wahlen zum besonderen Verhandlungsgremium bestehenden landesweiten Gewerkschaftsorganisationen gemeint

52 Näher hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 7 SEBG Rn. 5 ff. mit Rechenbeispielen. 53 Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 54 Näher hierzu unten Kapitel 5, A.I.1.b). 55 Allerdings ist zu beachten, dass in der polnischen Rechtswissenschaft Soll-Vorschriften oftmals als obligatorische Regelung ausgelegt werden, vgl. etwa in Bezug auf Art. 213 § 2 HGG, wonach ein Aufsichtsrat oder eine Revisionskommission bestellt werden „sollen“, wenn das Stammkapital der Gesellschaft 500.000 PLN übersteigt und die Gesellschaft mehr als 25 Gesellschafter hat. Die Regelung wird nach einhelliger Ansicht als obligatorisch angesehen, vgl. etwa Szajkowski/Tarska/Szuman´ski, in: Sołtysin´ski/Szajkowski/Szuman´ski/Szwaja, Kodeks spółek handlowych, Bd. 2, Art. 213 Rn. 1; Weiss/Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 39 Rn. 1190, 1201; hierzu oben Kapitel 3, B.II.1.d). 56 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (349).

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sein müssen, die als repräsentativ im Sinne des RatSozDialogG gelten.57 Tatsächlich wäre andernfalls kaum nachvollziehbar, warum Art. 66 Abs. 1 SEG-PL eine Informationspflicht sowohl zugunsten der Betriebsgewerkschaft als auch der Gewerkschaften im Sinne des Art. 65 Abs. 5 SEG-PL konstituiert. Damit unterscheidet sich das polnische Recht von der deutschen Regelung in § 6 Abs. 3 SEBG, welche verlangt, dass die Mitglieder Vertreter von Gewerkschaften sind, die in einer der beteiligten Gesellschaften vertreten sind. Gleichwohl enthält die SE-RL hierzu keine Aussage, sodass die Regelung nicht evident richtlinienwidrig ist. In der polnischen Literatur wird die Aufnahme der Regelung in Art. 65 Abs. 5 SEG-PL, die aufgrund der SE-RL nicht verpflichtend gewesen war, allerdings negativ bewertet.58 Zum einen könne sie zu Verzögerungen in der Verhandlungsphase führen und einen Kompromiss möglicherweise sogar gänzlich unmöglich machen.59 Vor allem aber gehe die Regelung an der in Erwägungsgrund Nr. 21 der SE-RL zutage kommenden Zielsetzung der Richtlinie – der Sicherung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE – vorbei, wenn auch Vertreter von Gewerkschaften, die in den beteiligten oder betroffenen Gesellschaften überhaupt nicht vertreten sind, als Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums die jeweiligen Gesellschaften vertreten sollen.60 Bezweifelt wird, dass die nicht unternehmensangehörigen Gewerkschaftsvertreter das nötige Engagement und Interesse an den Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung in der künftigen Gesellschaft mitbringen würden.61 Postuliert wird daher, dass Personen, die nicht bei der Gesellschaft als Arbeitnehmer beschäftigt und in die Tätigkeit des Unternehmens unmittelbar eingebunden sind, zur Teilnahme an den wichtigen Gesprächen über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE nicht berechtigt sein sollten.62 Als zusätzliche Vorgabe sieht § 6 Abs. 2 Satz 2 SEBG vor, dass die Mitgliedschaft von Frauen und Männern im besonderen Verhandlungsgremium ihrem zahlenmäßigen Verhältnis entsprechen soll. Die Regelung ist jedoch eine bloße Soll-Vorschrift, deren Verletzung die Wirksamkeit der Wahl unberührt lässt.63 In 57 Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (349). 58 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (349 f.); Niedzielska, Partycypacja pracowników w spółce europejskiej z siedziba˛ w Polsce – etap negocjacyjny, MoPr 5/2005, S. 129 (legalis S. 5); Skibin´ska/Z˙uk/ Lankamer-Prasołek, Transgraniczne ła˛czenie sie˛ spółek, S. 180. 59 Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (349); Niedzielska, Partycypacja pracowników w spółce europejskiej z siedziba˛ w Polsce – etap negocjacyjny, MoPr 5/2005, S. 129 (legalis S. 5). 60 Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 S. 348 (349 f.). 61 So Skibin ´ska/Z˙uk/Lankamer-Prasołek, Transgraniczne ła˛czenie sie˛ spółek, S. 180. 62 So Niedzielska, Partycypacja pracowników w spółce europejskiej z siedziba˛ w Polsce – etap negocjacyjny, MoPr 5/2005, S. 129 (legalis S. 5). 63 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 6 SEBG Rn. 11.

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Polen findet sie keine Entsprechung. Gleiches gilt für die in § 6 Abs. 4 SEBG verankerte Sitzgarantie für leitende Angestellte.64 Weitere Voraussetzungen, wie etwa eine bestimmte Dauer der Unternehmens- oder Betriebszugehörigkeit, werden an die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums weder vom deutschen noch vom polnischen Recht gestellt. dd) Wahlverfahren Gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 1 SE-RL richtet sich das Wahlverfahren bzw. das Bestellungsverfahren für die aus den jeweiligen Mitgliedstaaten stammenden Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums nach den in diesen Mitgliedstaaten getroffenen Festlegungen. Der deutsche Gesetzgeber hat das Wahlverfahren in den §§ 8 ff. SEBG, der polnische Gesetzgeber in den Artt. 63, 65 bis 70 SEG-PL geregelt. (1) Zuständigkeit, Wahlgremium und Urwahl Die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums werden gemäß § 8 Abs. 1 SEBG durch ein Wahlgremium nach den Grundsätzen der geheimen und unmittelbaren Wahl gewählt. Das Wahlgremium darf aus höchstens 40 Mitgliedern bestehen (vgl. § 8 Abs. 6 SEBG). Es setzt sich gemäß § 8 Abs. 2 bis 5 SEBG grundsätzlich aus Mitgliedern des Konzernbetriebsrats oder – wenn ein solcher nicht besteht – den Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats oder – wenn ein solcher nicht besteht – den Mitgliedern des Betriebsrats der jeweiligen Unternehmensgruppen, Unternehmen bzw. Betriebe zusammen. Grundsätzlich kann jedes Mitglied des Wahlgremiums Wahlvorschläge machen, ohne dass es einer bestimmten Unterstützung der Kandidaten innerhalb des Wahlgremiums bedürfe.65 Vorgaben für Wahlvorschläge innerhalb des Wahlgremiums enthält das Gesetz jedoch für die zu wählenden Gewerkschaftsvertreter und leitenden Angestellten. Die Gewerkschaftsvertreter im Fall des § 6 Abs. 3 SEBG werden zwar ebenfalls vom Wahlgremium, allerdings auf Vorschlag einer Gewerkschaft gewählt, die in einem an der Gründung der SE beteiligten Unternehmen vertreten sein muss (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 SEBG). Gleichermaßen werden die Vertreter der leitenden Angestellten im Fall des § 6 Abs. 4 SEBG auf Vorschlag des Sprecherausschusses vom Wahlgremium gewählt (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 5 SEBG). Für beide Fälle gilt, dass wenn nur ein Wahlvorschlag gemacht wird, dieser mindestens doppelt so viele Bewerber benennen muss wie Vertreter der Gewerkschaften oder leitenden Angestellten zu wählen sind (vgl. § 8 Abs. 1 Sätze 3, 5 Hs. 2 SEBG). Hintergrund hierfür ist die gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 SEBG zwingende Wahl von Er-

64 65

Näher hierzu Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 6 SEBG Rn. 7. Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 8 SEBG Rn. 6.

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satzmitgliedern.66 Sofern ein Sprecherausschuss nicht besteht, können die wahlberechtigten leitenden Angestellten dem Wahlgremium Wahlvorschläge machen, die jeweils von mindestens einem Zwanzigstel oder 50 wahlberechtigten leitenden Angestellten unterzeichnet sein müssen (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 6 SEBG). Sofern keine Arbeitnehmervertretungen bestehen, erfolgt eine Urwahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums durch die Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 8 Abs. 7 SEBG. Die Urwahl wird von einem Wahlvorstand eingeleitet und durchgeführt, dessen Wahl auf einer Versammlung der Arbeitnehmer stattfindet, zu der die Konzern-, Unternehmens- bzw. Betriebsleitung einladen muss. Grundsätzlich folgt die Wahl den Grundsätzen der Verhältniswahl, im Falle nur eines eingereichten Wahlvorschlags findet eine Mehrheitswahl statt. Wahlvorschläge müssen von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, jedoch mindestens drei (in Betrieben mit weniger als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmer mindestens zwei) und höchstens fünfzig Wahlberechtigten, unterzeichnet sein. Anders als das deutsche Recht sieht das polnische SEG-PL keine der Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums vorgelagerte Bildung eines Wahlgremiums vor, sondern geht von einem einstufigen Verfahren aus. Dabei werden die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums gemäß Art. 65 Abs. 1 SEG-PL grundsätzlich von der repräsentativen Betriebsgewerkschaft im Sinne des Art. 253 Abs. 1 GewG (vor dem 1. Januar 2019: Art. 24125a ArbGB a. F.)67 ernannt.68 Bestehen bei einem Arbeitgeber mehrere repräsentative Betriebsgewerkschaften, so ernennen sie gemeinsam die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums (vgl. Art. 65 Abs. 2 SEG-PL). Das zuständige Organ der beteiligten Gesellschaft oder betroffenen Tochtergesellschaft setzt der bzw. den Betriebsgewerkschaft/en eine Frist, innerhalb derer sie die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums zu ernennen haben (vgl. Art. 65 Abs. 3 SEG-PL). Besteht überhaupt keine repräsentative Betriebsgewerkschaft oder kommt im Falle mehrerer repräsentativer Betriebsgewerkschaften eine Einigung nicht zustande, dann werden die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums unmittelbar von der Belegschaftsversammlung gewählt. In Fall der Nichteinigung wählt die Belegschaftsversammlung die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums aus den von den Betriebsgewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten; haben diese keine Kandidaten vorgeschlagen, wählt die Belegschaftsversammlung eigene Kandidaten (vgl. Art. 65 Abs. 4 SEG-PL).

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Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 8 SEBG Rn. 8. Vgl. Art. 11 i.V. m. Art. 23 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher zu dem Änderungsgesetz unten Kapitel 5, A.I.1. 68 Zur Betriebsgewerkschaft und dem Kriterium der Repräsentativität siehe unten Kapitel 5, A.I.1.b). 67

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Vorgaben zu Wahlvorschlägen oder zur notwendigen Unterstützung der Kandidaten enthält das polnische SEG-PL nicht. Allein im Hinblick auf die Vertreter der repräsentativen landesweiten Gewerkschaftsorganisation, die gemäß Art. 65 Abs. 5 SEG-PL Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums werden können, bestimmt das polnische Gesetz, dass die Kandidaten von dieser Gewerkschaftsorganisation vorgeschlagen werden. Allerdings werden auch diese Mitglieder sodann entsprechend dem jeweils einschlägigen Verfahren gemäß Art. 65 Abs. 1 bis 4 SEG-PL gewählt. Kritisiert wird in der polnischen Literatur, dass inkonsequenterweise zwar Art. 66 Abs. 1 SEG-PL eine Informationspflicht der repräsentativen landesweiten Gewerkschaftsorganisationen i. S. d. RatSozDialogG bezüglich der bevorstehenden Wahlen durch die Belegschaftsversammlung spätestens 14 Tage vor dem Wahltermin vorsieht, nicht aber hinsichtlich des Zeitpunkts und der Modalitäten für die Einreichung von Wahlvorschlägen für eine Kandidatur, sodass zum Zeitpunkt der Information 14 Tage vor den Wahlen durch die Belegschaftsversammlung die Kandidatenlisten bereits aufgestellt sein dürften.69 Gemäß Art. 65 Abs. 7 SEG-PL können die repräsentativen landesweiten Gewerkschaftsorganisationen ihre Vertreter zur Unterstützung bei der Durchführung des Wahlverfahrens delegieren. Das in Art. 65 SEG-PL vorgesehene Ernennungs- bzw. Wahlverfahren ist auch einschlägig, wenn in Polen mehrere Arbeitgeber an der Gründung der SE beteiligt – nicht lediglich als Tochtergesellschaft betroffen70 – sind und gemäß Art. 68 Abs. 1 SEG-PL mit einem Mitglied im besonderen Verhandlungsgremium vertreten sein sollen. Die Regelung des Art. 65 SEG-PL wird in der polnischen Literatur als verfassungswidrig angesehen.71 Hintergrund hierfür ist, dass das InfKonsG vom 7. April 200672 in seiner ursprünglichen Fassung eine ähnliche Wahlprozedur vorsah. Auch dort galt gemäß Art. 4 InfKonsG a. F., dass die Belegschaft erst dann ein Wahlrecht hatte, wenn im Betrieb keine repräsentative Betriebsgewerkschaft i. S. d. Art. 24125a ArbGB a. F. (seit 1. Januar 2019: Art. 253 Abs. 1 GewG)73 tätig war oder die Mitglieder des Arbeitnehmerrates nicht von der bzw. den Betriebsgewerkschaft/en ernannt wurden. Die Regelung wurde 2008 vom polnischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, da sie gegen die negative 69 Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (350). 70 Vgl. hierzu schon oben Kapitel 4, B.I.2.b)bb). 71 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (350); etwas vorsichtiger Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 108, der allerdings ebenfalls auf die Problematik der Verfassungsmäßigkeit hinweist. 72 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. Näher hierzu unten Kapitel 5, B.I.2. 73 Vgl. Art. 11 i.V. m. Art. 23 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher zu dem Änderungsgesetz unten Kapitel 5, A.I.1.

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Koalitionsfreiheit aus Art. 59 der Polnischen Verfassung und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 32 und Art. 31 Abs. 3 der Polnischen Verfassung verstoße.74 Von der polnischen Literatur wird hervorgehoben, dass die vom Verfassungsgericht beanstandeten Aspekte auch in Art. 65 SEG-PL wiederzufinden seien.75 In der Gesetzesentwurfsbegründung ist zu lesen, dass ursprünglich nur die Wahl durch die Belegschaftsversammlung vorgesehen werden sollte.76 Allerdings hatte sich der polnische Gesetzgeber schließlich aus zwei Gründen doch für die gewählte Lösung entschieden: zum einen, damit es eine gleichlaufende Lösung wie im Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 200277 gab, zum anderen aufgrund des im Rahmen des Anhörungsprozesses geäußerten Widerstandes der Gewerkschaften.78 Im Zuge der Implementierung der neuen Richtlinie über die Europäischen Betriebsräte Nr. 2009/38/EG79 hatte der polnische Gesetzgeber im Jahre 2011 zwar vor dem Hintergrund des genannten Urteils des Verfassungsgerichts eine Änderung der in Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes über die Europäischen Betriebsräte geregelten – dem Art. 65 SEG-PL entsprechenden – Wahlprozedur erwogen, ließ diese jedoch letztlich unverändert.80 Begründet wurde dies im Wesentlichen mit der unterschiedlichen Qualität der auf nationaler und europäischer Ebene zu übermittelnden Informationen sowie mit der bedeutsamen Rolle der Gewerkschaften bei der Errichtung der Europäischen Betriebsräte, die auch vom europäischen Normgeber in der Richtlinie Nr. 2009/38/EG betont worden sei.81 Hingewiesen hatte die Gesetzesbegründung darauf, dass eine Änderung der Wahlprozedur im Gesetz über die Europäischen Betriebsräte auch eine Änderung der gleichlautenden Regelungen im SEG-PL, im Gesetz über die Europäische Genossenschaft und im Gesetz über die grenzüberschrei-

74 Polnisches Verfassungsgericht, Urteil vom 1. Juli 2008, Az.: K 23/07, Dz. U. 2008 Nr. 120 Pos. 778. 75 Näher Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (350). 76 Regierungsentwurfsbegründung zum SEG-PL vom 20. September 2004, SejmDrucks. Nr. 3314 (IV. Kadenz), S. 21. 77 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. Näher hierzu unten Kapitel 5, B.I.5. 78 Regierungsentwurfsbegründung zum SEG-PL vom 20. September 2004, SejmDrucks. Nr. 3314 (IV. Kadenz), S. 21 f. 79 Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 122 vom 16. Mai 2009, S. 28–44. 80 Vgl. Gesetzesentwurfsbegründung zur Änderung des Gesetzes über die Europäischen Betriebsräte vom 3. August 2011, Sejm-Drucks. Nr. 4530 (VI. Kadenz), S. 21 ff. 81 Gesetzesentwurfsbegründung zur Änderung des Gesetzes über die Europäischen Betriebsräte vom 3. August 2011, Sejm-Drucks. Nr. 4530 (VI. Kadenz), S. 22.

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tende Verschmelzung zur Folge gehabt hätte.82 Die in der Gesetzesbegründung genannten Argumente für die Beibehaltung der Regelung zur Wahlprozedur werden in der polnischen Literatur als wenig stichhaltig empfunden.83 Anders als das deutsche Recht (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3 SEBG) sieht das polnische SEG-PL keine Wahl von Ersatzmitgliedern vor. Verliert ein Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums sein Mandat, muss gemäß Art. 69 Abs. 3 SEG-PL ein neues Mitglied nach den in Artt. 65 f. SEG-PL geregelten Grundsätzen ernannt bzw. gewählt werden. (2) Quorums- und Mehrheitserfordernisse Nach § 10 Abs. 1 SEBG ist das Wahlgremium beschlussfähig, wenn mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Wahlgremiums anwesend sind und dabei mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten. Als erforderliche Beschlussmehrheit nennt das Gesetz die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Dabei stehen jedem Mitglied des Wahlgremiums so viele Stimmen zu, wie Arbeitnehmer von diesem Mitglied vertreten werden. Für den Fall, dass die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums von der repräsentativen Betriebsgewerkschaft bzw. gemeinsam von mehreren bei einem Unternehmen tätigen repräsentativen Betriebsgewerkschaften gemäß Art. 65 Abs. 1 und 2 SEG-PL ernannt werden, sieht das polnische Gesetz keine weiteren Vorgaben zur Beschlussfähigkeit oder Beschlussfassung vor. Die Ernennung muss lediglich innerhalb der den Gewerkschaften von dem zuständigen Organ der beteiligten Gesellschaft oder betroffenen Tochtergesellschaft nach Art. 65 Abs. 3 SEG-PL gesetzten Frist erfolgen. Findet dagegen eine Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums durch die Belegschaftsversammlung statt, so enthalten hierfür Artt. 66, 67 SEG-PL nähere formelle Vorgaben. Das zuständige Organ der beteiligten Gesellschaft oder betroffenen Tochtergesellschaft oder die Betriebsleitung hat die Arbeitnehmer, Betriebsgewerkschaften und repräsentativen landesweiten Gewerkschaften i. S. d. Art. 65 Abs. 5 SEG-PL über den Wahltermin und die Art und Weise der Durchführung der Wahlen spätestens 14 Tage vor dem Wahltermin zu informieren. Die Information hat auf die bei dem jeweiligen Arbeitgeber übliche Art und Weise zu erfolgen. Die Wahlen sind unmittelbar und geheim. An der Wahl müssen mindestens 50 % der Arbeitnehmer teilnehmen; andernfalls findet einen Monat später eine erneute Wahl statt, für die keine Mindestwahlbeteiligung erforderlich ist. Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums werden 82 Gesetzesentwurfsbegründung zur Änderung des Gesetzes über die Europäischen Betriebsräte vom 3. August 2011, Sejm-Drucks. Nr. 4530 (VI. Kadenz), S. 22 f. 83 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (350).

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diejenigen Kandidaten, die in absteigender Reihenfolge die meisten Stimmen auf sich vereinen können. Haben Kandidaten die gleiche Stimmanzahl erhalten, ist die Zahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums jedoch nicht ausreichend, findet eine Stichwahl unter diesen Kandidaten durch die Belegschaftsversammlung statt. In der polnischen Literatur wird bemängelt, dass das SEG-PL keine Regelung für den Fall vorsieht, dass weniger Kandidaten nominiert werden als es tatsächlich Plätze im besonderen Verhandlungsgremium gibt.84 Entsprechend der derzeitigen Gesetzesfassung sei auch in diesem Fall eine Wahl durchzuführen, wenn auch das Ergebnis von vornherein feststehe.85 Als gesetzliche Neuregelung wird daher empfohlen, in einem solchen Fall alle nominierten Kandidaten ohne Durchführung einer Wahl Mitglieder des Verhandlungsgremiums werden zu lassen.86 In der Theorie denkbar ist es auch, dass von den polnischen Gesellschaften überhaupt keine Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium ernannt oder gewählt werden.87 Dies kann der Fall sein, wenn die Betriebsgewerkschaften von ihrem Ernennungsrecht keinen Gebrauch machen und bei der Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums durch die Belegschaftsversammlung im ersten Wahlgang die erforderlich Wahlbeteiligung von 50 % nicht erreicht wird und im zweiten Wahlgang nicht oder aus irgendeinem Grund ebenfalls nicht wirksam abgestimmt wird.88 c) Arbeitnehmerbeteiligung kraft Vereinbarung Gemäß Art. 3 Abs. 3 SE-RL wird die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE vom besonderen Verhandlungsgremium und dem jeweils zuständigen Organ der beteiligten Gesellschaften in einer schriftlichen Vereinbarung festgelegt. aa) Verhandlungsverfahren Das Verhandlungsverfahren beginnt sowohl in Deutschland als auch in Polen mit der Einladung zur ersten konstituierenden Sitzung des besonderen Verhandlungsgremiums und darf grundsätzlich bis zu sechs Monate, bei entsprechender Vereinbarung bis zu einem Jahr, dauern (vgl. § 20 SEBG, Art. 77 SEG-PL). Das deutsche SEBG sieht vor, dass zur ersten Sitzung des besonderen Verhandlungsgremiums „unverzüglich nach Benennung der Mitglieder“, spätestens jedoch – 84 Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (350). 85 Ebenda. 86 Ebenda. 87 Zutreffend hervorgehoben von Szuman ´ ski/Zagórski, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, Kapitel 15 Rn. 2926. 88 Szuman ´ski/Zagórski, in: Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, Kapitel 15 Rn. 2926.

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d.h. auch im Falle der nicht vollständigen Bestellung der Mitglieder – nach Ablauf der Zehn-Wochen-Frist des § 11 Abs. 1 Satz 1 SEBG geladen werden soll (vgl. § 12 Abs. 1 SEBG).89 Art. 71 SEG-PL legt dagegen fest, dass die erste Sitzung innerhalb von 14 Tagen nach Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums von den beteiligten Gesellschaften einberufen werden soll. Nach § 12 Abs. 1 SEBG hat das besondere Verhandlungsgremium aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und zwei Stellvertreter zu wählen und kann sich eine Geschäftsordnung geben. Art. 71 Abs. 1 SEG-PL sieht dagegen lediglich die Wahl des Vorsitzenden vor, dem Wortlaut nach ist aber der Erlass einer Geschäftsordnung obligatorisch. Für die Zusammenarbeit zwischen den Leitungen und dem besonderen Verhandlungsgremium legt § 13 Abs. 1 Satz 2 SEBG den schon aus dem BetrVG bekannten Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit fest, der im polnischen SEG-PL keine direkte Entsprechung findet. Allerdings sollen nach Art. 78 SEG-PL die Parteien die Verhandlungen „in gutem Glauben mit dem Ziel des Abschlusses einer Vereinbarung“ 90 führen. Entsprechend der Richtlinienvorgabe in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 SE-RL ist das besondere Verhandlungsgremium über das Vorhaben zur Gründung der SE und den Verlauf des Verfahrens bis zur Eintragung zu unterrichten (vgl. § 13 Abs. 2 SEBG, Art. 72 SEG-PL). Darüber hinaus sieht das deutsche Recht vor, dass dem besonderen Verhandlungsgremium rechtzeitig alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 SEBG), allerdings ist diese Informationspflicht zum einen durch die Erforderlichkeit und zum anderen durch die Aufgabe des besonderen Verhandlungsgremiums inhaltlich begrenzt91. Entsprechend Art. 3 Abs. 5 SE-RL sehen sowohl das deutsche als auch das polnische Recht vor, dass das besondere Verhandlungsgremium Sachverständige zur Unterstützung hinzuziehen kann, die auch den Verhandlungen in beratender Funktion beiwohnen können (vgl. § 14 SEBG, Art. 71 Abs. 3, 4 SEG-PL). Anders als das SEBG nennt das polnische Gesetz die Vertreter von Gewerkschaftsorganisationen auf Gemeinschaftsebene zwar nicht ausdrücklich als mögliche Sachverständige, in richtlinienkonformer Auslegung dürften aber auch diese als solche angesehen werden. Als Sonderregelung sieht Art. 79 SEG-PL die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Mediators vor, sofern bei den Verhandlungen Schwierigkeiten auftreten. Diesbezüglich sind Art. 11 und Art. 111 des Gesetzes 89 Näher hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 12 SEBG Rn. 4 ff. 90 Art. 78 SEG-PL: „Specjalny zespół negocjacyjny oraz spółki uczestnicza˛ce prowadza˛ negocjacje w dobrej wierze w sposób zmierzaja˛cy do zawarcia porozumienia.“ Übersetzung d. Verf. 91 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 13 SEBG Rn. 11 m.w. N.

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zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 199192 entsprechend anzuwenden. Zur Beschlussfassung des besonderen Verhandlungsgremiums enthält Art. 3 Abs. 4 SE-RL nähere Vorgaben. Danach werden Beschlüsse grundsätzlich mit einer absoluten Mehrheit gefasst, sofern diese Mehrheit auch die absolute Mehrheit der Arbeitnehmer vertritt (sog. „doppelte absolute Mehrheit“ 93), was von § 15 Abs. 2 Satz 1 SEBG und Art. 75 Abs. 1 SEG-PL wortlautgetreu übernommen wurde. Wie viele Arbeitnehmer von einem Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums vertreten werden, legt dabei jeder Mitgliedstaat selbst fest.94 Deutschland hat hierfür in § 15 Abs. 2 Satz 2 SEBG bestimmt, dass jedes auf das Inland entfallende Mitglied gleich viele Arbeitnehmer vertritt. Dagegen vertritt gemäß Art. 75 Abs. 3 SEG-PL jedes Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums die Anzahl von Arbeitnehmern, die in der beteiligten oder betroffenen Gesellschaft oder in dem jeweiligen Betrieb, in dem das Mitglied gewählt wurde, beschäftigt werden. Wurden in einer Gesellschaft oder in einem Betrieb mehrere Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums gewählt, so vertreten diese die dort beschäftigten Arbeitnehmer zu gleichen Teilen. Insofern unterscheidet sich die Bestimmung der von einem Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums vertretenen Arbeitnehmer im deutschen und polnischen Recht deutlich. Gemäß Art. 3 Abs. 4 SE-RL gelten strengere Mehrheitserfordernisse für die Beschlussfassung als die oben genannte doppelte absolute Mehrheit, wenn durch die Vereinbarung eine Minderung der Mitbestimmungsrechte erfolgen soll; dies allerdings nur dann, wenn sich im Fall der Verschmelzung die Mitbestimmung auf mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften und im Fall der Gründung einer Holding-SE oder Tochter-SE auf mindestens 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckte. In diesen Fällen bedarf die Vereinbarung einer Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit der Mitglieder, die mindestens zwei Drittel aller Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten vertreten müssen. Unter der Minderung der Mitbestimmungsrechte versteht die Richtlinie die Verringerung des Anteils der von Arbeitnehmerseite gewählten, bestellten, empfohlenen oder abgelehnten Mitglieder in den Organen der SE im Vergleich zu dem höchsten in den beteiligten Gesellschaften geltenden Anteil. Die Richtlinie geht mithin von einer quantitativen Vorher-Nachher-Betrachtung aus.95

92 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 93 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 15 SEBG Rn. 14. 94 Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 15 SEBG Rn. 3. 95 Grobys, Das geplante Umsetzungsgesetz zur Beteiligung von Arbeitnehmern in der Europäischen Aktiengesellschaft, NZA 2004, S. 779 (781).

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Das deutsche SEBG übernimmt im Wesentlichen die Vorgabe der Richtlinie, sieht jedoch zum einen eine Abweichung in § 15 Abs. 3 SEBG vor, indem es sich zur Bestimmung der maßgeblichen 25 %- bzw. 50 %-Schwelle bei der Reichweite der Mitbestimmung im Fall der Verschmelzung, Gründung der Holding-SE oder Tochter-SE nicht nur auf die beteiligten Gesellschaften, sondern auch die betroffenen Tochtergesellschaften bezieht, was teilweise als richtlinienwidrige Umsetzung angesehen wird.96 Darüber hinaus hat das deutsche Recht in § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG eine in dieser Form nicht in Art. 3 Abs. 4 SE-RL vorgesehene, zusätzliche Definition der Minderung der Mitbestimmungsrechte aufgenommen, indem es hierunter auch die Beseitigung oder Einschränkung des Rechts, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen, versteht. Auch diese Regelung wird teilweise kritisch im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Richtlinie gesehen, da das SEBG zusätzlich zur quantitativen auch eine qualitative Minderung einführt.97 Der polnische Gesetzgeber hat die Richtlinienvorgabe des Art. 3 Abs. 4 SERL in Art. 76 SEG-PL inhaltsgleich und ohne Abweichungen umgesetzt. Etwas unscharf wirkt allein die Definition der Minderung der Mitbestimmungsrechte in Art. 76 Abs. 3 SEG-PL, die sich auf die Aussage beschränkt, dass hierunter die „Verringerung des Anteils der Mitglieder im Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat der SE“ 98 im Vergleich zu dem höchsten in den beteiligten Gesellschaften geltenden Anteil zu verstehen ist, ohne näher zu spezifizieren, dass damit die von Arbeitnehmerseite gewählten, bestellten, empfohlenen oder abgelehnten Mitglieder gemeint sind. Im Fall einer Umwandlung kann sowohl in Deutschland als auch in Polen entsprechend der Richtlinienvorgabe überhaupt kein Beschluss über die Minderung der Mitbestimmungsrechte zulässigerweise gefasst werden (vgl. Art. 4 Abs. 4 SE-RL, § 15 Abs. 5 SEBG, Art. 83 SEG-PL). Das besondere Verhandlungsgremium kann entsprechend Art. 3 Abs. 6 SE-RL mit einer Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit der Mitglieder, die mindestens zwei Drittel aller Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten vertreten müssen, einen Beschluss über die Nichtaufnahme der Verhandlungen oder über die Be96 So etwa Grobys, Das geplante Umsetzungsgesetz zur Beteiligung von Arbeitnehmern in der Europäischen Aktiengesellschaft, NZA 2004, S. 779 (781); vgl. hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 15 SEBG Rn. 30 f. m.w. N. 97 So Grobys, Das geplante Umsetzungsgesetz zur Beteiligung von Arbeitnehmern in der Europäischen Aktiengesellschaft, NZA 2004, S. 779 (781); ebenso Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (333). 98 Art. 76 Abs. 3 SEG-PL: „Przez ograniczenie uprawnien ´ do uczestnictwa rozumie sie˛ obniz˙enie liczby członków w radzie nadzorczej albo radzie administruja˛cej SE, w porównaniu z najwyz˙sza˛ ich liczba˛ w tych organach spółek uczestnicza˛cych.“ Übersetzung d. Verf.

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endigung der Verhandlungen ohne Abschluss einer Vereinbarung fassen (vgl. § 16 SEBG, Art. 81 SEG-PL). In einem solchen Fall finden die allgemeinen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer Anwendung, die Auffangregelung des Mitgliedstaates findet keine Anwendung. Unzulässig ist ein solcher Beschluss im Fall der Umwandlung, wenn in der umzuwandelnden Gesellschaft Mitbestimmung besteht (vgl. Art. 3 Abs. 6 SE-Beteiligungsrichtlinie, § 16 Abs. 3 SEBG, Art. 81 Abs. 4 SEGPL). Das besondere Verhandlungsgremium wird frühestens zwei Jahre nach dem vorgenannten Beschluss auf schriftlichen Antrag von mindestens 10 % der Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe oder von deren Vertretern erneut einberufen, wenn nicht die Parteien eine frühere Wiederaufnahme der Verhandlungen beschließen (vgl. Art. 3 Abs. 6 SE-Beteiligungsrichtlinie, § 18 Abs. 1 SEBG, Art. 81 Abs. 5 SEG-PL). Die deutsche Regelung sieht allerdings – anders als die Richtlinie und das polnische Gesetz99 – nicht die erneute Wiedereinberufung des besonderen Verhandlungsgremiums in seiner ursprünglichen Zusammensetzung, sondern die neue Konstituierung eines besonderen Verhandlungsgremiums vor, bei dem an die Stelle der beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und betroffenen Betriebe die SE, ihre Tochtergesellschaften und Betriebe treten100. Dagegen sprechen die Richtlinie und Art. 81 Abs. 5 SEG-PL von der Wiedereinberufung bzw. dem erneuten Zusammentreffen des besonderen Verhandlungsgremiums, womit gerade keine Neubildung des Gremiums zu erfolgen hat. Im Hinblick auf den Zeit- und Kostenaufwand erscheint die letztgenannte Regelung pragmatischer. Neuverhandlungen sieht ferner die Regelung des § 18 Abs. 3 SEBG vor. Danach werden im Falle geplanter struktureller Änderungen der SE, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, auf Initiative der Leitung der SE oder des SE-Betriebsrats Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE aufgenommen. Die Richtlinie enthält keine derartige ausdrückliche Vorgabe. Die deutsche Regelung dient vielmehr der Umsetzung der in Erwägungsgrund Nr. 18 SE-RL zum Ausdruck kommenden Zielsetzung der Richtlinie, die erworbenen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu sichern, da diese auch im Falle späterer struktureller Veränderung gefährdet sein können.101 Dem § 18 Abs. 3 SEBG vergleichbar ist die polnische Regelung in Art. 120 SEGPL, wenngleich sie systematisch an anderer Stelle im Gesetz verortet und als Missbrauchsverbotstatbestand ausgestaltet ist.102 Letztlich führt aber auch die Regelung in Art. 120 SEG-PL dazu, dass im Falle geplanter struktureller Änderungen der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, die die Beteiligungs99 So auch das Verständnis von Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (352). 100 Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 18 SEBG Rn. 2 ff. 101 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 18 SEBG Rn. 16. 102 Dazu näher unten Kapitel 4, B.I.2.g).

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rechte der Arbeitnehmer zu mindern drohen, Neuverhandlungen über eine Vereinbarung betreffend die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE durchgeführt werden müssen, die allerdings nicht von dem besonderen Verhandlungsgremium, sondern dem Vertretungsorgan geführt werden. Bezüglich der Kosten des besonderen Verhandlungsgremiums gibt die Richtlinie lediglich vor, dass diese von den beteiligten Gesellschaften zu tragen sind und überlasst den Mitgliedstaaten die Regelung der Finanzierung, insbesondere erlaubt sie die Beschränkung der zu übernehmenden Kosten auf die Kosten eines Sachverständigen (vgl. Art. 3 Abs. 7 SE-RL). § 19 SEBG präzisiert dies dahingehend, dass die erforderlichen Kosten für die Bildung und Tätigkeit des besonderen Verhandlungsgremiums von den beteiligten Gesellschaften und – nach ihrer Gründung – der SE in gesamtschuldnerischer Haftung zu tragen sind. Zur Verfügung gestellt werden müssen vor allem die für die Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums erforderlichen Räume, sachlichen Mittel, Dolmetscher sowie Büropersonal; Reise- und Aufenthaltskosten der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums sind ebenfalls im erforderlichen Umfang zu tragen. Das polnische Recht geht dagegen davon aus, dass die beteiligten Gesellschaften die Kosten nach Maßgabe einer von ihnen diesbezüglich zu treffenden Vereinbarung tragen (vgl. Art. 73 SEG-PL). Fehlt eine solche Vereinbarung, differenziert Art. 74 Abs. 1 SEG-PL zwischen Reisekosten und sonstigen Kosten: Reisekosten eines Mitglieds des besonderen Verhandlungsgremiums werden von einer beteiligten Gesellschaft getragen, wenn das Mitglied Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaft oder ihrer betroffenen Tochtergesellschaft oder ihres betroffenen Betriebs ist, oder wenn das Mitglied zwar kein Arbeitnehmer ist, aber von einer dieser Organisationseinheiten zum Mitglied ernannt wurde. Die übrigen Kosten werden von allen beteiligten Gesellschaften proportional zur Zahl der von ihnen, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe beschäftigen Arbeitnehmer getragen. Entsprechend der Richtlinienermächtigung in Art. 3 Abs. 7 SE-RL ist die Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Hinzuziehung von Experten auf die Kosten für einen Experten beschränkt, dies allerdings nur, sofern nicht die beteiligten Gesellschaften und das besondere Verhandlungsgremium Abweichendes vereinbaren (vgl. Art. 74 Abs. 2 SEG-PL). bb) Inhalt der Vereinbarung Zu den Inhalten der zwischen der Unternehmens- und Arbeitnehmerseite verhandelten Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer macht Art. 4 der SE-RL detaillierte Vorgaben. Notwendig festzulegen sind u. a. der Geltungsbereich, das Inkrafttreten und die Laufzeit der Vereinbarung sowie die zu Neuverhandlungen führenden Fälle, ferner die Zusammensetzung, Befugnisse, Häufigkeit der Sitzungen und Mittel des Vertretungsorgans, welches im Rahmen der Vereinbarung zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der SE als Verhandlungspartner der Unternehmensseite fungieren soll, sowie das Verfahren

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zur Unterrichtung und Anhörung des Vertretungsorgans. Sofern anstelle eines Vertretungsorgans ein oder mehrere Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer beschlossen werden, sind die Durchführungsmodalitäten dieses bzw. dieser Verfahren festzulegen. Im Hinblick auf die Beteiligung der Arbeitnehmer in den Gesellschaftsorganen der SE hat die Vereinbarung, wenn sie eine solche Beteiligung vorsieht, eine Regelung zur Zahl der Mitglieder des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans, die von den Arbeitnehmern gewählt, bestellt, empfohlen oder abgelehnt werden können, das entsprechende Verfahren hierfür sowie die Rechte dieser Mitglieder zu enthalten (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. g) SE-RL). Bei einer durch Umwandlung entstehenden SE dürfen die in der Vereinbarung getroffenen Regelungen das in der umzuwandelnden Gesellschaft bereits bestehende Ausmaß der Arbeitnehmerbeteiligung in allen ihren Komponenten nicht unterschreiten (vgl. Art. 4 Abs. 4 SE-BeteiligungsRL). Die Richtlinienvorgaben werden im deutschen und polnischen Recht in § 21 SEBG und Art. 82 SEG-PL weitestgehend entsprechend und mit nur wenigen kleinen Unterschieden umgesetzt: (i) Das deutsche Recht benennt etwa in § 21 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ausdrücklich den SE-Betriebsrat als das Vertretungsorgan, welches im Rahmen der Vereinbarung zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der SE der Verhandlungspartner der Unternehmensseite sein soll. Das polnische Recht sieht davon ab, sich an dieser Stelle auf den Betriebsrat oder die Betriebsgewerkschaft festzulegen, sondern spricht wie auch die Richtlinie nur allgemein von dem Vertretungsorgan (vgl. Art. 82 Abs. 1 Pkt. 2 SEG-PL). Der polnische Gesetzgeber war davon ausgegangen, dass das so berufene Vertretungsorgan weitestgehend dem Europäischen Betriebsrat entsprechen würde.103 Dabei ist allerdings zu bedenken, dass zu dem damaligen Zeitpunkt im Jahre 2004 noch nicht das InfKonsG104 verabschiedet worden war, mit welchem in Polen die nicht-gewerkschaftliche betriebliche Mitbestimmung auf nationaler Ebene eingeführt worden ist.105 (ii) Wird kein Vertretungsorgan gebildet, sondern an dessen Stelle ein oder mehrere Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer beschlossen, so sehen die Richtlinie und inhaltsgleich § 21 Abs. 2 SEBG vor, dass in der Vereinbarung die Durchführungsmodalitäten des Verfahrens bzw. der Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung festzulegen sind. Art. 82 Abs. 1 Pkt. 6 SEG-PL bestimmt dagegen darüber hinaus, dass in diesem Zusammenhang auch ein Verfahren zur Auswahl der Arbeitnehmervertreter für die 103 Regierungsentwurfsbegründung zum SEG-PL vom 20. September 2004, SejmDrucks. Nr. 3314 (IV. Kadenz), S. 23. 104 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 105 Näher hierzu unten Kapitel 5, B.I.2.

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Zwecke der Unterrichtung und Anhörung in der Vereinbarung festzulegen ist. Die polnische Regelung geht daher anders als die Richtlinie und das SEBG ausdrücklich davon aus, dass die Unterrichtung und Anhörung stets an bzw. über Arbeitnehmervertreter zu erfolgen hat, womit diese nicht etwa unmittelbar im Rahmen einer Belegschaftsversammlung durchgeführt werden könnte. Der Wortlaut der deutschen Norm ließe eine derartige Lösung wohl zu, angesichts der geringen Praktikabilität wird in der Praxis wohl aber eher auf bestehende Arbeitnehmervertretungsgremien zurückgegriffen werden.106 (iii) Als Besonderheit ist die deutsche Regelung in § 21 Abs. 4 SEBG anzusehen, wonach in der Vereinbarung festgelegt werden soll, dass auch im Vorfeld struktureller Änderungen der SE die Aufnahme von Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE erfolgt. Es handelt sich hierbei jedoch dem Wortlaut nach um keinen zwingenden Bestandteil der Vereinbarung („soll“).107 Im polnischen SEG-PL findet sich keine vergleichbare Vorgabe oder Empfehlung für den Inhalt der Beteiligungsvereinbarung. Ein interessanter Aspekt ist die Frage, ob in dem Fall, dass die Verhandlungsparteien die Geltung der gesetzlichen Auffangregelung vereinbaren, der sich auf die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen beziehende Teil der Auffangregelung auch dann gilt, wenn in den beteiligten Gesellschaften keine oder eine sich auf weniger als 25 % bzw. 50 % aller Arbeitnehmer erstreckende Mitbestimmung bestanden hat und das besondere Verhandlungsgremium keinen Beschluss über die Anwendbarkeit gefasst hat. Gemäß § 21 Abs. 5 SEBG kann die Vereinbarung sowohl die Regelungen der §§ 22 bis 33 SEBG in Bezug auf die gesetzliche Auffangregelung zum SE-Betriebsrat als auch die Regelungen der §§ 34 bis 38 SEBG in Bezug auf die gesetzliche Auffangregelung zur Mitbestimmung „ganz oder in Teilen“ für anwendbar erklären. In der polnischen Literatur wird dagegen vor dem Hintergrund des Art. 7 SE-RL und der diesen nicht weiter konkretisierenden Regelungen in Artt. 84, 85 SEG-PL diskutiert, ob es den Verhandlungsparteien möglich ist, die Geltung der Auffangregelung in Bezug auf die Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan (d.h. Teil III AnhangSERL und Artt. 107 ff. SEG-PL) auch dann zu vereinbaren, wenn keiner der in Art. 7 Abs. 2 SE-RL bzw. Art. 85 SEG-PL genannten Fälle einschlägig ist, oder ob die Verhandlungsparteien dann lediglich die gesetzliche Auffangregelung betreffend das Vertretungsorgan für anwendbar erklären dürfen.108

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Vgl. hierzu Feuerborn, in: KölnKommAktG, Bd. 8/2, § 21 SEBG Rn. 40. Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 21 SEBG Rn. 43 m.w. N.; näher zum möglichen Inhalt einer solchen Vereinbarung Oetker, a. a. O., Rn. 44. 108 Vgl. Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (351) m.w. N.; vgl. hierzu auch Niedzielska, Partycypacja pracowników w spółce 107

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Aufgrund der Systematik und des unklaren Wortlauts des Art. 7 SE-RL und der insoweit inhaltsgleichen Artt. 84, 85 SEG-PL ist die Fragestellung durchaus berechtigt. Denn während Art. 7 Abs. 1 SE-RL und Art. 84 Abs. 1 SEG-PL bestimmen, dass die Auffangregelung zur Geltung kommt, wenn die Parteien dies vereinbaren, wird dieser Grundsatz in Art. 7 Abs. 2 SE-RL und Art. 85 SEG-PL in Bezug auf die Auffangregelung zur Mitbestimmung ausweislich des Wortlauts („Ferner findet die Auffangregelung [. . .] gemäß Teil 3 des Anhangs nur Anwendung, wenn . . .“, vgl. Art. 7 Abs. 2 SE-RL, bzw. „Die Auffangregelung findet ausschließlich Anwendung in den folgenden Fällen: [. . .]“ 109, vgl. Art. 85 SEG-PL) wieder beschränkt auf die in der genannten Vorschrift aufgelisteten Fälle und Voraussetzungen. In der polnischen Literatur wird angeführt, dass ein derartiges Verständnis auch dem Kontinuitätsprinzip in Erwägungsgrund Nr. 11 SE-RL entspreche, wonach durch die Standardanforderungen eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE gewährleistet werden soll, „sofern und soweit es eine derartige Mitbestimmung vor der Errichtung der SE in einer der beteiligten Gesellschaften gegeben hat“.110 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass zum einen Erwägungsgrund Nr. 11 SERL sich ausdrücklich nur auf den Fall bezieht, dass es zu keiner Vereinbarung gekommen ist. Zum anderen sprechen Art. 4 Abs. 3 SE-RL und der inhaltsgleiche Art. 82 Abs. 2 SEG-PL dafür, eine Vereinbarung der Auffangregelung zur Mitbestimmung stets, nicht nur in den gesetzlich aufgezählten Fällen zulassen. Denn Art. 4 Abs. 3 SE-RL und der diesen inhaltsgleich übernehmende Art. 82 Abs. 2 SEG-PL bestimmen, dass die gesetzlichen Auffangregelungen keine Anwendung auf die geschlossene Vereinbarung finden, sofern in der Vereinbarung nichts anderes bestimmt ist. Da hier keine Beschränkung auf die Vorschriften zum Vertretungsorgan normiert ist, ist im Umkehrschluss anzunehmen, dass es den Verhandlungsparteien generell möglich ist, sowohl die das Vertretungsorgan als auch die Mitbestimmung betreffenden Vorschriften für anwendbar zu erklären. Auch aus Teil 3 lit. b) Abs. 2 AnhangSE-RL und dem wortlautgleichen Art. 107 Abs. 3 SEG-PL lässt sich dies schlussfolgern, da die – klarstellenden – Vorschriften nur im Falle der freiwillig vereinbarten Mitbestimmung relevant werden können. Ferner ist zu berücksichtigen, dass den Verhandlungsparteien nichts im Wege stehen dürfte, eine den gesetzlichen Auffangregelungen gleichlautende Bestimmung zur Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat in der Vereinbarung aufzunehmen. Nicht nachvollziehbar wäre es daher, wenn es den Parteien verwehrt wäre, in der Vereinbarung auf die gesetzliche Auffangreeuropejskiej z siedziba˛ w Polsce – informowanie, konsultowanie oraz uczestnictwo w organach spółki, MoPr 6/2005, S. 157 (legalis S. 5). 109 Art. 85 SEG-PL: „Zasady standardowe uczestnictwa w SE stosuje sie wyła˛cznie w przypadkach: [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 110 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (351).

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gelung ganz oder teilweise Bezug nehmen zu können und sie stattdessen zu einer wortlautgleichen Übernahme der gesetzlichen Bestimmungen gezwungen wären. Daher dürfte davon auszugehen sein, dass die Vereinbarung sowohl die Auffangregelung betreffend das Vertretungsorgan als auch betreffend die Mitbestimmung stets für anwendbar erklären kann, auch wenn kein Fall des Art. 7 Abs. 2 SE-RL bzw. 85 SEG-PL vorliegt. Gleichwohl dürfte aus Art. 4 Abs. 3 SE-RL und dem inhaltsgleichen Art. 82 Abs. 2 SEG-PL das Erfordernis folgen, die gesetzlichen Auffangregelungen zur Mitbestimmung ausdrücklich für anwendbar erklären zu müssen. Im Falle einer bloß generalklauselartigen Verweisung auf die einschlägige gesetzliche Auffangregelung dürften indes die Vorschriften zur Mitbestimmung nur dann gelten, wenn die in Art. 7 Abs. 2 SE-RL bzw. Art. 85 SEG-PL genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Im Ergebnis dürfte daher bei gewünschter Anwendbarkeit der Auffangregelungen zur Mitbestimmung eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Artt. 107 ff. SEG-PL erforderlich, aber auch zulässig und ausreichend sein. Auch der Wortlaut des § 34 SEBG, der – anders etwa als § 23 Abs. 1 Satz 2 MgVG – die Voraussetzungen des § 34 SEBG nicht auf den Fall des § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG beschränkt, sondern nach seinem Wortlaut auch im Fall der Vereinbarung (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) gilt, könnte die obige Fragestellung aufwerfen. Angesichts der Regelung in § 21 Abs. 5 SEBG, wonach die Vereinbarung die gesetzliche Auffangregelung zur Mitbestimmung in §§ 34 bis 38 SEBG ganz oder teilweise für anwendbar erklären kann, ist jedoch davon auszugehen, dass die Quorums-Voraussetzungen des § 34 SEBG oder sonstige Voraussetzungen im Falle einer Vereinbarung nicht erfüllt sein müssen.111 Allerdings dürfte auch hier zu fordern sein, dass sich die Vereinbarung ausdrücklich auf die Mitbestimmung bzw. die §§ 34 bis 38 SEBG erstreckt.112 Bei einer nur generalklauselartigen Verweisung auf die jeweils einschlägige gesetzliche Auffangregelung ohne ausdrückliche Inbezugnahme der Regelungen zur Mitbestimmung dürfte auch gemäß § 34 SEBG die Auffangregelung zur Mitbestimmung nur gelten, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. d) Arbeitnehmerbeteiligung kraft Gesetzes Entsprechend der Richtlinienvorgabe in Art. 7 SE-RL haben Deutschland und Polen Auffangregelungen vorgesehen, die bei der SE subsidiär zur Anwendung kommen, falls die Arbeitnehmerbeteiligung nicht durch eine Vereinbarung geregelt wird. Im deutschen Recht finden sich entsprechende Vorschriften in §§ 22 111 So auch Feuerborn, in: KölnKommAktG, Bd. 8/2, § 34 SEBG Rn. 9; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 34 SEBG Rn. 9; Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 34 SEBG Rn. 3; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKommentar, § 34 SEBG Rn. 8. 112 So wohl auch Feuerborn, in: KölnKommAktG, Bd. 8/2, § 34 SEBG Rn. 9; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 34 SEBG Rn. 8.

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bis 33 SEBG für das Vertretungsorgan sowie in §§ 34 bis 38 SEBG für die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen. Polen regelte den Geltungsbereich der Auffangregelung in Artt. 84 bis 86 SEG-PL, die Regelungen über das Vertretungsorgan in Artt. 87 bis 106 SEG-PL und die Mitbestimmung in den Artt. 107 bis 111 SEG-PL. aa) Geltung der Auffangregelung In Umsetzung des Art. 7 SE-RL gilt die gesetzliche Auffangregelung in Deutschland und Polen nur unter bestimmten Voraussetzungen: Entweder, wenn die Verhandlungsparteien dies vereinbaren (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a) SE-BeteiligungsRL, § 22 Abs. 1 Nr. 1 SEBG, Art. 84 Abs. 1 SEG-PL), oder wenn der für die Verhandlungen maximal vorgesehene Zeitraum von sechs Monaten bzw. im Falle einer abweichenden Vereinbarung zwischen den Verhandlungspartnern von einem Jahr abgelaufen ist, ohne dass eine Vereinbarung getroffen wurde, das jeweils zuständige Organ der beteiligten Gesellschaften der Fortsetzung des Verfahrens zur Eintragung der SE zugestimmt hat113 und das besondere Verhandlungsgremium nicht durch Beschluss beschlossen hat, Verhandlungen nicht aufzunehmen oder abzubrechen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. b) SE-RL, § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG, Art. 84 Abs. 2 SEG-PL). Entsprechend der Richtlinienbestimmung in Art. 7 Abs. 2 SE-RL gelten die deutschen und polnischen Auffangregelungen im Hinblick auf die Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan nur unter folgenden weiteren Voraussetzungen: (1) Im Falle einer Umwandlung gelten sowohl die deutsche als auch die polnische Auffangregelung nur, wenn bereits in der umgewandelten Gesellschaft Bestimmungen des Mitgliedstaats über die Mitbestimmung galten (vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. a) SE-BeteiligungsRL, § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG, Art. 85 Abs. 1 SEG-PL). (2) Im Falle einer Verschmelzung gilt die polnische Auffangregelung entsprechend der Richtlinienvorgabe in Art. 7 Abs. 2 lit. b) SE-RL nur, wenn vor der Eintragung der SE in einer oder mehreren der beteiligten Gesellschaften eine oder mehrere Formen der Mitbestimmung bestanden und sich auf mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften erstreckten, oder sich zwar auf weniger als 25 % aller Arbeitnehmer erstreckten, jedoch das besondere Verhandlungsgremium einen entsprechenden Beschluss gefasst hat (vgl. Art. 85 Abs. 2 SEG-PL). Abweichend von der Richtlinie bezieht das deutsche SEBG für die Berechnung der Gesamtzahl der Arbeitnehmer auch die bei betroffenen Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer mit ein (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG), was als fragwürdig angesehen wird114. Von der den Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 3 113 Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des § 22 SEBG, wird aber denklogisch vorausgesetzt.

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SE-RL eingeräumten Ermächtigung, in den Fällen der Verschmelzung die Auffangregelung für nicht anwendbar zu erklären, haben weder Deutschland noch Polen Gebrauch gemacht. (3) Im Falle der Gründung einer SE durch Errichtung einer Holdinggesellschaft oder einer Tochtergesellschaft gilt die polnische Auffangregelung – wie auch in Art. 7 Abs. 2 lit. c) SE-RL – nur, wenn in einer oder mehreren der beteiligten Gesellschaften eine oder mehrere Formen der Mitbestimmung bestanden und sich auf mindestens 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften erstreckten, oder sich zwar auf weniger als 50 % aller Arbeitnehmer erstrecken, jedoch das besondere Verhandlungsgremium einen entsprechenden Beschluss gefasst hat (vgl. Art. 85 Abs. 3 SEG-PL). Auch in diesem Zusammenhang bezieht § 34 Abs. 1 Nr. 3 SEBG dagegen auch die bei betroffenen Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer für die Berechnung der Gesamtzahl der Arbeitnehmer mit ein und weicht damit von der Richtlinie ab. Falls in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften mehr als eine Form der Mitbestimmung bestanden hatte, entscheidet das besondere Verhandlungsgremium darüber, welche von ihnen in der SE zur Geltung gelangen soll (vgl. Art. 7 Abs. 2 letzter Unterabs. SE-RL, § 34 Abs. 2 Satz 1 SEBG, Art. 86 Abs. 1 SEG-PL). Die Richtlinie räumte den Mitgliedstaaten ein, Regelungen für die in ihrem Hoheitsgebiet eingetragene SE festzulegen für den Fall, dass ein derartiger Beschluss nicht gefasst wird (vgl. Art. 7 Abs. 2 letzter Unterabs. SE-RL). Der deutsche Gesetzgeber hat hierbei in § 34 Abs. 2 Sätze 2, 3 SEBG wie folgt differenziert: Sofern eine mitbestimmte deutsche Gesellschaft an der Gründung der SE beteiligt ist, ist die Mitbestimmung nach § 2 Abs. 12 Nr. 1 SEBG, d.h. durch Wahl oder Bestellung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat, maßgeblich. Ist keine mitbestimmte deutsche Gesellschaft beteiligt, findet diejenige Form der Mitbestimmung nach § 2 Abs. 12 SEBG Anwendung, die die meisten Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erfasste. Der polnische Gesetzgeber hat die Richtlinienermächtigung hingegen dergestalt ausgefüllt, dass im Falle einer fehlenden Entscheidung des besonderen Verhandlungsgremiums gemäß Art. 86 Abs. 3 SEG-PL das Vertretungsorgan über die Form der Mitbestimmung innerhalb von 30 Tagen nach der Eintragung der SE entscheidet. bb) Zusammensetzung und Befugnisse des Vertretungsorgans Das deutsche Recht bestimmt ausdrücklich den SE-Betriebsrat als Vertretungsorgan, während das polnische Recht wie die Richtlinie nur allgemein vom „Vertretungsorgan“ 115 spricht. 114 So etwa kritisch Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 34 SEBG Rn. 19. 115 „Organ przedstawicielski“, vgl. Artt. 87 ff. SEG-PL.

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

(1) Wahlverfahren und Mitgliedschaft Entsprechend der Vorgabe in Teil 1 lit. a) AnhangSE-RL setzt sich das Vertretungsorgan aus Arbeitnehmern der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe zusammen (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 SEBG, Art. 87 SEG-PL). Die Verteilung der Sitze auf die einzelnen Mitgliedstaaten entspricht dem gleichen Prinzip wie bei der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums, allerdings ohne Sonderregelung für den Fall der Gründung durch Verschmelzung (ein Sitz je angebrochene 10 % der Gesamtzahl aller Arbeitnehmer, die in einem Mitgliedstaat beschäftigt werden, vgl. Teil 1 lit. e) AnhangSE-RL, § 23 Abs. 1 Satz 3 i.V. m. § 5 Abs. 1 SEBG, Art. 88 SEG-PL i.V. m. Art. 64 Abs. 1 bis 3 SEG-PL). Die Wahl bzw. Bestellung der Mitglieder des Vertretungsorgans folgt entsprechend der Vorgabe in Teil 1 lit. b) Abs. 1 AnhangSE-RL den nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten. Das deutsche SEBG verweist hierfür im Wesentlichen auf die Vorschriften über die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums mit der Maßgabe, dass an die Stelle der beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und betroffenen Betriebe die SE, ihre Tochtergesellschaften und Betriebe treten (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 3 SEBG).116 Die aus Deutschland stammenden Mitglieder des SE-Betriebsrats werden mithin wie auch schon das besondere Verhandlungsgremium entweder durch ein Wahlgremium gewählt, welches sich aus Arbeitnehmervertretern zusammensetzt, oder bei deren Fehlen direkt von der Arbeitnehmern in Urwahl. Auch das polnische Recht verweist bezüglich der Wahl bzw. Bestellung der Mitglieder des Vertretungsorgans, welche die Arbeitnehmer in Polen repräsentieren, auf die Regelungen für die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums (vgl. Art. 90 SEGPL i.V. m. Art. 65 Abs. 1 bis 4, 7 SEG-PL sowie Artt. 66 bis 68 SEG-PL). Die Mitglieder des Vertretungsorgans werden demnach grundsätzlich von der bzw. den repräsentativen Betriebsgewerkschaften ernannt, nur ausnahmsweise werden sie unmittelbar von den Arbeitnehmern gewählt. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit dürfte sich entsprechend auch hier stellen.117 Die Dauer der Mitgliedschaft im Vertretungsorgan beträgt in beiden Ländern vier Jahre (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 5 SEBG, Art. 88 Abs. 2 SEG-PL). Während das SEBG diese Amtszeit ausdrücklich nur für die aus Deutschland kommenden Mitglieder festlegt, ist die Regelung des SEG-PL diesbezüglich aufgrund ihrer systematischen Stellung in Art. 88 SEG-PL – anstatt in Art. 90 SEG-PL – jedoch unklar. Denn Art. 88 Abs. 1 SEG-PL erklärt zunächst, dass die Mitglieder des Vertretungsorgans gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewählt oder bestellt werden. In Abs. 2 heißt es sodann, dass die 116 Näher zu dieser Abweichung von der SE-RL Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, Vorbemerkung vor §§ 23–33 SEBG Rn. 3. 117 So auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 108.

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Amtszeit der Mitglieder des Vertretungsorgans vier Jahre beträgt. Erst in Art. 90 SEG-PL wird bestimmt, dass die Mitglieder des Vertretungsorgans, welche die Arbeitnehmer in Polen repräsentieren, entsprechend Art. 65 Abs. 1 bis 4, 7 sowie Artt. 66 bis 68 SEG-PL ernannt bzw. gewählt werden. Unter Berücksichtigung des sachlichen Zusammenhangs zwischen der Bestellung bzw. Wahl an sich und der Amtszeit als der Dauer, für die die Bestellung bzw. Wahl gilt, kann sich die Regelung des Art. 88 Abs. 2 SEG-PL jedoch nur auf die aus Polen stammenden Mitglieder des Vertretungsorgans beziehen. Ansonsten würde das polnische Recht in die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates über die Bestellung bzw. Wahl der Mitglieder eingreifen, was mit der Richtlinienvorgabe in Teil 1 lit. b) Abs. 1 AnhangSE-RL unvereinbar sein dürfte. Auch vor Ablauf der Amtszeit kann das Mandat nach deutschem und polnischem Recht vorzeitig enden. § 23 Abs. 1 Satz 6 SEBG bestimmt diesbezüglich, dass die Mitglieder des SE-Betriebsrats nur spiegelbildlich zum Wahlverfahren – d.h. grundsätzlich nur durch das Wahlgremium und nur gegebenenfalls durch Urabstimmung der Arbeitnehmer – abberufen werden können. Das polnische SEG-PL enthält dagegen keine Regelung zur Abberufung – wie auch schon beim besonderen Verhandlungsgremium nicht –, sondern bestimmt, dass das Mandat erlischt, wenn das Mitglied nicht mehr Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaft oder ihres Betriebs ist oder sein Amt niederlegt (vgl. Art. 88 Abs. 3 i.V. m. Art. 69 Abs. 1 SEG-PL). Auch diesbezüglich mag sich aufgrund der systematischen Stellung der polnischen Vorschrift die Frage stellen, ob sie nur polnische Vertreter erfasst, was wie oben zu bejahen sein müsste. Für den Fall, dass innerhalb der SE oder ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe Änderungen eintreten, sollten die Mitgliedstaaten gemäß Teil 1 lit. b) Abs. 2 AnhangSE-RL entsprechende Vorschriften vorsehen, wonach eine den Änderungen entsprechende Anpassung der Mitgliederzahl und der Sitzverteilung im Vertretungsorgan erfolgt. Sowohl Deutschland als auch Polen haben die Vorgaben dahingehend umgesetzt, dass alle zwei Jahre die Zusammensetzung des Vertretungsorgans im Hinblick auf etwaige Änderungen in den Arbeitnehmerzahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verifizieren ist (vgl. § 25 SEBG, Art. 89 Abs. 1 SEG-PL). § 25 SEBG nennt die Änderung der Arbeitnehmerzahlen jedoch nur als nicht abschließendes Beispiel („insbesondere“) und sieht eine alle zwei Jahre erfolgende Überprüfung der Zusammensetzung generell in allen Fällen vor, in denen aufgrund einer Änderung der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe die Zusammensetzung des SE-Betriebsrats anzupassen sein könnte. Art. 89 Abs. 1 SEG-PL ist mithin vom Wortlaut her enger. Allerdings erscheint fraglich, wann in der Praxis dieser Unterschied relevant werden dürfte, da sich die Zusammensetzung des Vertretungsorgans nach der Arbeitnehmerzahl in den einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt und Änderungen in der Organisationsstruktur daher nur dann relevant werden dürften, wenn mit ihnen gleichzeitig eine Veränderung in der Arbeitnehmerzahl einhergeht. Abgesehen von Art. 89 Abs. 1 SEG-PL sieht

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das polnische Recht darüber hinaus vor, dass das Vertretungsorgan unabhängig von der Zwei-Jahres-Frist an die Arbeitnehmervertretungen bzw. bei deren Fehlen an die Arbeitnehmer im Falle wesentlicher Änderungen in der Arbeitnehmerzahl der SE, ihrer Tochtergesellschaften oder Betriebe, mit einem Antrag auf Neubestellung bzw. Neuwahl des Vertretungsorgans heranzutreten hat (vgl. Art. 89 Abs. 2 SEG-PL). Dadurch erfordert das polnische Gesetz eine schnellere Reaktion auf Veränderungen als das deutsche SEBG. In Umsetzung von Teil 1 lit. g) AnhangSE-RL beschließt das Vertretungsorgan vier Jahre nach seiner Einsetzung darüber, ob über eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer verhandelt werden soll (vgl. § 26 Abs. 1 SEBG, Art. 95 Abs. 1 SEG-PL). Im Falle der Aufnahme von Verhandlungen tritt das Vertretungsorgan an die Stelle des besonderen Verhandlungsgremiums (vgl. § 26 Abs. 2 SEBG, Art. 95 Abs. 2 SEG-PL). Da die Richtlinie vorgibt, dass sich das Vertretungsorgan aus Arbeitnehmern der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe zusammensetzt (vgl. Teil 1 lit. a) AnhangSE-RL), finden die deutschen und polnischen Vorschriften, die nicht unternehmensangehörige Gewerkschaftsvertreter als Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums zulassen (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SEBG, Art. 65 Abs. 5, 6 SEG-PL), auf das Vertretungsorgan keine Anwendung (vgl. die Ausklammerungen in § 23 Abs. 1 Satz 3 SEBG, Art. 90 Abs. 1 SEG-PL). Das deutsche Recht legt gleichwohl auch eine dem zahlenmäßigen Verhältnis entsprechende Vertretung von Frauen und Männern sowie die Wahl von Ersatzmitgliedern für den SE-Betriebsrat fest (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 3 SEBG i.V. m. § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SEBG). (2) Innere Ordnung Auch im Hinblick auf die innere Ordnung des Vertretungsorgans unterscheiden sich die deutschen und polnischen Regelungen in einigen Aspekten. Der SE-Betriebsrat wählt einen Vorsitzenden und Stellvertreter, bildet einen aus dem Vorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Ausschuss und „soll“ sich eine Geschäftsordnung geben (vgl. § 23 Abs. 2, 4 SEBG, § 24 SEBG). Befürwortet wird allerdings eine unionsrechtskonforme Auslegung der deutschen Regelung dahingehend, dass der Erlass einer Geschäftsordnung zwingend ist, da ansonsten die Regelung hinter der Vorgabe in Teil 1 lit. d) AnhangSE-RL zurückbliebe.118 Dagegen sieht das polnische Recht nur die Wahl des Vorsitzenden, nicht aber auch eines Stellvertreters vor, und schreibt den Erlass einer Geschäftsordnung obligatorisch vor (vgl. Art. 92 Abs. 1 Pkt. 2, 3 SEG-PL). Ein geschäftsführender Ausschuss, im polnischen Gesetz als Präsidium bezeich118

Rn. 1.

So etwa Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 24 SEBG

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net, ist – anders als in Deutschland und entsprechend der Richtlinienvorgabe in Teil 1 lit. c) AnhangSE-RL – nur vorgeschrieben, wenn es die Zahl der Mitglieder des Vertretungsorgans rechtfertigt. Allerdings legt auch das polnische Gesetz wie das SEBG eine feste Größe des Ausschusses von drei Mitgliedern fest, obwohl die Richtlinie hierfür lediglich die Höchstzahl von drei Mitgliedern vorgegeben hat. Im polnischen SEG-PL findet sich zudem die Empfehlung, dass die ins Präsidium berufenen Mitglieder aus verschiedenen Staaten stammen sollten (vgl. Art. 93 Abs. 2 SEG-PL). Der SE-Betriebsrat ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte aller Mitglieder anwesend ist, und fasst seine Beschlüsse grundsätzlich mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder (vgl. § 24 Abs. 3 SEBG). Dagegen ist für die Beschlussfassung nach der polnischen Regelung in Art. 94 SEG-PL die absolute Mehrheit erforderlich. Dies ist gemäß Art. 4 § 1 Pkt. 10 HGG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, zu denen auch die Enthaltungen zu zählen sind (vgl. Art. 4 § 1 Pkt. 9 HGG). Die Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern ist für die Beschlussfähigkeit hingegen nicht vorgeschrieben. Insoweit ist die deutsche Regelung strenger.119 Eine Besonderheit bei der Beschlussfassung besteht im Fall der Aufnahme von Neuverhandlungen über eine Vereinbarung zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE nach Maßgabe des § 26 SEBG und Art. 95 SEG-PL. Nach Teil 1 lit. g) AnhangSE-RL gelten die Art. 3 Abs. 4 bis 7 SE-RL sinngemäß. Damit gilt auch das besondere Mehrheitserfordernis i. S. d. Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 2 SE-RL für den Fall, dass die Verhandlungen nicht aufgenommen oder abgebrochen werden. Dies hat der polnische Gesetzgeber entsprechend in Art. 94 SEG-PL berücksichtigt und daher diesen Fall von dem als Grundsatz festgelegten Erfordernis der absoluten Mehrheit ausgenommen, sodass in diesen Fällen die qualifizierte Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit des Art. 81 Abs. 2 SEG-PL für Beschlüsse des Vertretungsorgans notwendig ist. Dagegen hat der deutsche Gesetzgeber die Geltung des § 16 SEBG ausdrücklich ausgeklammert (vgl. § 26 Abs. 2 SEBG), womit sich die Frage stellt, welche Beschlussmehrheit in diesen Fällen gelten soll. Denkbar wäre sowohl die in § 26 Abs. 1 SEBG normierte Mehrheit der Mitglieder als auch die qualifizierte Mehrheit i. S. d. § 24 Abs. 3 SEBG. Beides steht allerdings nicht in Einklang mit Teil 1 lit. g) AnhangSE-RL. (3) Zuständigkeiten des Vertretungsorgans Die Zuständigkeit des Vertretungsorgans ist in Teil 2 AnhangSE-RL und den diese Vorgaben umsetzenden §§ 27 ff. SEBG sowie Artt. 96 ff. SEG-PL gere119 Falls bei einem 15-köpfigen Vertretungsorgan nur 7 Mitglieder anwesend sind, ist das Gremium nach § 24 Abs. 3 SEBG nicht beschlussfähig. Nach der polnischen Regelung würde dagegen ein Beschluss gefasst werden, wenn 4 Mitglieder dafür stimmen und drei Mitglieder mit Nein stimmen oder sich der Stimme enthalten.

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gelt. Nach Teil 2 lit. a) AnhangSE-RL und dem insoweit inhaltsgleichen § 27 SEBG ist das Vertretungsorgan (bzw. der SE-Betriebsrat) zuständig für „Angelegenheiten, die die SE selbst oder eine ihrer Tochtergesellschaften oder einen ihrer Betriebe in einem anderen Mitgliedstaat betreffen oder über die Befugnisse der Entscheidungsorgane auf der Ebene des einzelnen Mitgliedstaats hinausgehen“. Nach dem Wortlaut sind somit Angelegenheiten, die ausschließlich eine inländische Tochtergesellschaft oder einen inländischen Betrieb betreffen, von der Zuständigkeit des SE-Betriebsrats ausgenommen; für diese Fälle dürfte vielmehr der jeweilige Betriebsrat nach dem BetrVG zuständig sein. Davon abweichend sieht das polnische Recht in der Generalklausel des Art. 96 SEG-PL vor, dass das Vertretungsorgan berechtigt ist „zur Erlangung von Informationen und zur Konsultation“ in Angelegenheiten, die die SE betreffen oder „irgendeine ihrer Tochtergesellschaft oder Betriebe, d a r u n t e r a u c h derjenigen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Sitz der SE“ (Hervorhebung der Verf.) oder die über die Befugnisse der Entscheidungsorgane in den einzelnen Mitgliedstaaten hinausgehen.120 Anders als die Richtlinienvorgabe und die deutsche Umsetzung konkretisiert Art. 96 SEG-PL die Kompetenz des Vertretungsorgans auf die Unterrichtung und Anhörung, vor allem aber bezieht es inländische Tochtergesellschaften und Betriebe in dessen Zuständigkeit mit ein. Im Hinblick auf die einzelnen Zuständigkeiten des Vertretungsorgans enthält Teil 2 lit. b) bis c) AnhangSE-RL detaillierte Vorgaben. Dem Vertretungsorgan wird darin zum einen ein jährliches Informations- und Anhörungsrecht in Bezug auf die Entwicklung der Geschäftslage und die Perspektiven der SE eingeräumt, welches im nicht abschließenden Katalog des Teil 2 lit. b) Abs. 3 AnhangSE-RL näher spezifiziert wird. Zum anderen wird dem Vertretungsorgan auch im Falle außergewöhnlicher Umstände, „die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben“, das Recht eingeräumt, hierüber unterrichtet zu werden, mit dem zuständigen Organ der SE oder geeigneten Vertretern zwecks Unterrichtung und Anhörung zusammenzutreffen und eine Stellungnahme zu den beabsichtigten Maßnahmen abzugeben (vgl. Teil 2 lit. c) Abs. 1 AnhangSE-RL). Sofern die Leitung der SE der abgegebenen Stellungnahme nicht folgen will, sieht die Auffangregelung ein weiteres Zusammentreffen vor, um zu einer Einigung zu gelangen (Teil 2 lit. c) Abs. 2 AnhangSE-RL). Die in Teil 2 lit. b) und c) AnhangSE-RL enthaltenen zwingenden Regelungen setzten Deutschland in §§ 27 bis 30 SEBG und Polen in Artt. 96 bis 103 SEG-PL im Wesentlichen inhaltsgleich um. Lediglich im – allerdings nicht abschließenden – Katalog der Informationen, auf die sich die Unterrichtung des Vertretungs120 Art. 96 SEG-PL: „Organ przedstawicielski jest uprawniony do uzyskiwania informacji i prowadzenia konsultacji dotycza˛cych SE lub którejkolwiek z jej spółek zalez˙nych albo zakładów, w tym maja˛cych siedzibe˛ w innym pan´stwie członkowskim niz˙ siedziba statutowa SE, jak równiez˙ w sprawach wykraczaja˛cych poza uprawnienia organów spółek podejmuja˛cych decyzje w danych pan´stwach członkowskich.“

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organs beziehen soll, benennt Art. 97 Abs. 2 Pkt. 1 SEG-PL neben der Struktur der SE auch die Struktur der Tochtergesellschaften und Betriebe und geht damit über die Richtlinienvorgabe und das SEBG (vgl. Teil 2 lit. b) Abs. 3 AnhangSERL, §§ 28 Abs. 2 Nr. 1 SEBG) hinaus, wobei auch diese nur eine exemplarische, nicht abschließende Auflistung („insbesondere“) enthalten. Darüber hinaus enthält das polnische Recht in Art. 100 SEG-PL weitere Vorgaben für das im Falle außergewöhnlicher, die Interessen der Arbeitnehmer berührender Umstände stattfindende Treffen zwischen dem Vertretungsorgan und den Organen der SE bzw. den Vertretern geeigneter Leitungsebenen, die von der Richtlinie nicht vorgegeben und auch im SEBG in dieser Form nicht enthalten ist. Zum einen soll nach Art. 100 Abs. 1 SEG-PL das Treffen unverzüglich organisiert werden. Zum anderen regeln Art. 100 Abs. 2 und 3 SEG-PL, dass das Vertretungsorgan bzw. das Präsidium ihre Stellungnahme während des Treffens oder innerhalb von 14 Tagen danach abgeben können, und das zuständige Organ der SE vor seiner Entscheidung die Stellungnahme zu erörtern und den Antragsteller über Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der Stellungnahme zu informieren hat. Bei Nichtberücksichtigung hat das Vertretungsorgan entsprechend der Vorgabe in Teil 2 lit. c) Abs. 2 AnhangSE-RL und wie auch gemäß § 29 Abs. 4 SEBG das Recht auf ein weiteres Treffen zwecks Herbeiführung einer Einigung (vgl. Art. 100 Abs. 4 SEG-PL). Nach Teil 2 lit. d) AnhangSE-RL konnten die Mitgliedstaaten Regeln in Bezug auf den Vorsitz in den Sitzungen zur Unterrichtung und Anhörung festlegen. Während Deutschland hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, regelt Art. 101 SEG-PL, dass den Sitzungen zur Unterrichtung und Anhörung abwechselnd der Vorsitzende des Vertretungsorgans oder eine von ihm benannte Person und eine von dem zuständigen Organ der SE benannte Person vorsitzen. In Umsetzung von Art. 9 SE-RL legt § 40 SEBG den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Leitung der SE und dem SE-Betriebsrat bzw. den Arbeitnehmervertretern im Rahmen eines anderweitigen Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung fest. Der aus § 2 Abs. 1 BetrVG bekannte Grundsatz wurde so in das SEBG übertragen.121 In Polen fehlt eine entsprechende Regelung. (4) Sachverständige, Kosten und Fortbildung Die Richtlinienvorgaben in Teil 2 lit. d) Abs. 2 und e) AnhangSE-RL haben Deutschland in §§ 24 Abs. 2, 30 SEBG und Polen in Artt. 102 Abs. 1, 104 SEGPL inhaltsgleich umgesetzt. In Bezug auf die Hinzuziehung von Sachverständigen erfordert § 32 Satz 1 SEBG – anders als die Richtlinie (vgl. Teil 2 lit. f) 121 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 21. Juni 2004, BT-Drucks. 15/3405, S. 56; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 40 SEBG Rn. 1.

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AnhangSE-RL) und das polnische SEG-PL (vgl. Art. 102 Abs. 2 SEG-PL) – ausdrücklich, dass dies für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben des SE-Betriebsrats oder des geschäftsführenden Ausschusses erforderlich sein muss. Ferner erklärt § 32 Satz 2 SEBG, dass Sachverständige auch Gewerkschaftsvertreter sein können. Die Kosten des Vertretungsorgans, insbesondere die Kosten der Sitzungen, Dolmetscherkosten sowie die Aufenthalts- und Reisekosten, hat gemäß der Vorgabe in Teil 2 lit. h) AnhangSE-RL die SE zu tragen, was § 33 SEBG und Art. 106 Abs. 1 SEG-PL entsprechend übernommen haben. Anders als das deutsche Recht sieht Art. 106 Abs. 1 SEG-PL jedoch zum einen – entsprechend Teil 2 lit. h) Abs. 2 AnhangSE-RL – die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung zwischen dem Vertretungsorgan und dem zuständigen Organ der SE vor. Zum anderen hat der polnische Gesetzgeber von der Ermächtigung in Teil 2 lit. h) Abs. 3 AnhangSE-RL Gebrauch gemacht und die Verpflichtung zur Übernahme von Kosten für Sachverständige auf die Kosten für einen Sachverständigen beschränkt (vgl. Art. 106 Abs. 2 SEG-PL). In Art. 106 Abs. 3 SEG-PL bestimmt das polnische Gesetz ferner, dass das zuständige Organ der SE in Abstimmung mit dem Vertretungsorgan ein jährliches Budget des Vertretungsorgans festlegt. Sofern ein solches nicht bis Ende des Kalenderjahres einvernehmlich vereinbart wird, wird das Budget einseitig vom zuständigen Organ der SE festgelegt. Dabei soll für die Tätigkeit des Vertretungsorgans jedoch mindestens die Summe zur Verfügung gestellt werden, die sich aus der Multiplikation der Zahl der Mitglieder des Vertretungsorgans mit dem Dreifachen des im letzten Quartal des vorangegangenen Jahres durchschnittlichen, vom Vorsitzenden des Polnischen Statistischen Hauptamtes122 im „Monitor Polski“ veröffentlichten Monatsverdienstes im Unternehmenssektor ergibt (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 2 SEG-PL). Nach Teil 2 lit. g) AnhangSE-RL „haben die Mitglieder des Vertretungsorgans Anspruch auf bezahlte Freistellung für Fortbildungsmaßnahmen“, „[s]ofern dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist“. Vom Wortlaut her weicht die Umsetzung in § 31 SEBG zwar deutlich von der Richtlinie ab, im Kern setzt sie diese Vorgabe jedoch um und gewährt den Mitgliedern des SE-Betriebsrats einen abgeleiteten Anspruch auf Freistellung unter Entgeltfortzahlung.123 Dieser Freistellungsanspruch ist weder in personeller noch in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt und setzt lediglich Erforderlichkeit voraus.124 Das polnische Recht sieht dagegen ein Recht der Mitglieder des Vertretungsorgans auf bezahlten Bildungsurlaub im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben im Umfang von maximal zwei Monaten innerhalb einer Amtsperiode vor (vgl. Art. 105 Satz 1 SEG122

„Główny Urza˛d Statystyczny“, Übersetzung d. Verf. Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 31 SEBG Rn. 1; ders., a. a. O., § 42 SEBG Rn. 18. 124 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 31 SEBG Rn. 1. 123

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PL). Damit weicht es streng genommen von der Richtlinie ab, die einen Anspruch der Mitglieder des Vertretungsorgans auf bezahlte Fortbildung für Bildungsmaßnahmen vorsieht, „sofern dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist“, was theoretisch auch im Umfang von mehr als zwei Monaten denkbar – wenngleich wohl nicht sehr wahrscheinlich – ist. Gleichwohl wird die polnische Regelung von der Rechtswissenschaft generell und insbesondere in Bezug auf die Länge des Bildungsurlaubs positiv bewertet.125 Denn das Vertretungsorgan werde nicht nur berufen, um Informationen vom zuständigen Organ der SE passiv entgegenzunehmen, sondern habe auch eine beratende Funktion und im Fall der Beteiligung in den Gesellschaftsorganen sogar eine Aufsichtsfunktion.126 Die Erfüllung der genannten Funktionen sei jedoch durch fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmervertreter in Bezug auf die Tätigkeit einer SE gefährdet, insbesondere weil in Polen eine Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen von Unternehmen der Privatwirtschaft nicht vorgeschrieben sei.127 cc) Regeln für die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen Die Vorgaben der SE-RL im Hinblick auf die Auffangregelung zur Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan der SE haben der deutsche Gesetzgeber in §§ 34 bis 38 SEBG und der polnische Gesetzgeber in Artt. 107 bis 111 SEG-PL umgesetzt. Entsprechend der Richtlinienvorgabe in Teil 3 lit. a) AnhangSE-RL legen sowohl die deutsche als auch die polnische Auffangregelung fest, dass in einer durch Umwandlung entstandenen SE diejenigen Mitbestimmungsregeln zur Anwendung kommen, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden haben (vgl. § 35 Abs. 1 SEBG, Art. 107 Abs. 2 SEG-PL). Im Fall der Gründung einer SE durch Verschmelzung sowie Gründung einer Holding-SE oder einer TochterSE gewähren § 35 Abs. 2 SEBG und Art. 107 Abs. 1 SEG-PL der Vorgabe in Teil 3 lit. b) Abs. 1 AnhangSE-RL entsprechend den Arbeitnehmern der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe und/oder ihrem Vertretungsorgan das Recht, eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans der SE wählen, bestellen, empfehlen oder ablehnen zu dürfen, wobei sich die Anzahl dieser Mitglieder nach dem höchsten Anteil richtet, der in den beteiligten Gesellschaften vor Eintragung der SE bestanden hatte. Gemäß Teil 3 lit. b) Abs. 2 AnhangSE-RL und dem wortlautgleichen Art. 107 Abs. 3 SEG-PL ist die SE „nicht verpflichtet, eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen“, wenn „in keiner der beteiligten Gesell125 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (352). 126 Ebenda. 127 Ebenda.

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schaften vor der Eintragung der SE Vorschriften über die Mitbestimmung“ bestanden haben.128 Der deutsche Gesetzgeber hat dagegen auf die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift im SEBG verzichtet. Die Regelung dürfte allenfalls im Fall der freiwilligen Inbezugnahme der gesetzlichen Auffangregelung zur Mitbestimmung durch Vereinbarung relevant sein und auch dann nur klarstellenden Charakter haben, was auch dafür sprechen würde, eine Vereinbarung der gesetzlichen Auffangregelung auch dann für zulässig zu erachten, wenn keiner der in Art. 7 Abs. 2 SE-RL bzw. Art. 85 SEG-PL genannten Fälle einschlägig ist.129 (1) Verteilung der Sitze auf die Mitgliedstaaten Gemäß Teil 3 lit. b) Abs. 3 Satz 1 AnhangSE-RL entscheidet das Vertretungsorgan über die Verteilung der arbeitnehmerseitigen Sitze im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgan auf die einzelnen Mitgliedstaaten „entsprechend den jeweiligen Anteilen der in den einzelnen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der SE“. Entsprechend hat sowohl nach dem SEBG als auch nach dem SEG-PL das Vertretungsorgan die Sitze anhand der im jeweiligen Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer zu verteilen, jedoch werden hierbei neben den Arbeitnehmern der SE zusätzlich – und damit abweichend vom Wortlaut der Richtlinie – auch die Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften und Betrieben der SE mitberücksichtigt (vgl. § 36 SEBG, Art. 108 Abs. 1 SEG-PL). Sofern Arbeitnehmer eines oder mehrerer Mitgliedstaaten bei dieser anteilsmäßigen Verteilung nicht im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan vertreten sein würden, soll gemäß der Richtlinie das Vertretungsorgan ein auf die Arbeitnehmer entfallendes Mitglied im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan aus einem dieser Mitgliedstaaten stammen, vorzugswürdig – soweit angemessen – dem Sitzstaat der SE. Eine entsprechende Umsetzung findet sich in § 36 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SEBG. Auch Art. 108 Abs. 2 Pkt. 1 SEG-PL erklärt, dass in dem beschriebenen Fall ein Sitz einem der bisher unberücksichtigten Mitgliedstaaten zugewiesen werden soll, in erster Reihenfolge dem Mitgliedstaat, in dem die SE ihren Sitz hat. Zusätzlich erklärt Art. 108 Abs. 2 Pkt. 2 SEG-PL, dass der Sitz in zweiter Reihenfolge an den Mitgliedstaat vergeben werden soll, in dem die SE, ihre Tochtergesellschaften und Betriebe die meisten Arbeitnehmer beschäftigen. Darüber hinaus sieht das polnische Gesetz in Art. 108 Abs. 3 SEG-PL jedoch auch eine Regelung für die vom Vertretungsorgan vorzunehmende Verteilung der Sitze auf die Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe130 128 Art. 107 Abs. 3 SEG-PL: „Jezeli przed rejestracja˛ SE w zadnej z uczestnicza˛cych ˙ ˙ spółek nie stosowano rozwia˛zan´ dotycza˛cych uczestnictwa, to w SE nie ma obowia˛zku przyje˛cia rozwia˛zan´ w tym zakresie.“ 129 Zu dieser Frage näher oben Kapitel 4, B.I.2.c)bb). 130 Genau genommen spricht Art. 108 Abs. 3 SEG-PL von den „jeweiligen Arbeitgebern in der SE, ihren Tochtergesellschaften und Betrieben“, was an der polnischen Definition des Arbeitgeberbegriffs liegt.

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vor, die entsprechend der Anzahl der dort jeweils beschäftigten Arbeitnehmer zu erfolgen hat. Die Regelung findet weder in der Richtlinie noch im deutschen SEBG eine Entsprechung. Es mag sich indes die Frage stellen, welches Ziel der polnische Gesetzgeber mit dieser Regelung verfolgt hatte. Aufgrund des Wortlauts und ihrer systematischen Stellung liegt die Annahme nahe, dass die Regelung in Art. 108 Abs. 3 SEG-PL nicht ausschließlich auf Polen beschränkt sein sollte. Denn zum einen beschränkt der Wortlaut die Regelung – anders als Art. 110 SEG-PL – nicht ausdrücklich auf die in Polen beschäftigten Arbeitnehmer. Zum anderen spricht auch die systematische Stellung der Regelung, die ansonsten in Art. 110 SEG-PL besser verortet gewesen wäre131, für ein solches Verständnis. Auch lässt sich dies der Regierungsentwurfsbegründung zum SEG-PL entnehmen.132 Eine Verteilung der Sitze durch das Vertretungsorgan auf die einzelnen im Ausland ansässigen Tochtergesellschaften und Betriebe dürfte jedoch dem in Teil 3 lit. b) Abs. 3 AnhangSE-RL normierten Recht der Mitgliedstaaten widersprechen, wonach jeder Mitgliedstaat das Recht hat, die Verteilung der ihm im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgan zugewiesenen Sitze selbst festzulegen. In dem Fall, dass die Arbeitnehmer der SE Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans empfehlen oder ablehnen können, gilt gemäß § 36 Abs. 1 Satz 5 SEBG das in § 36 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SEBG geregelte Verteilungsverfahren entsprechend. Das polnische SEG-PL enthält eine solche Entsprechensregelung nicht, jedoch spricht Art. 108 Abs. 1 SEG-PL allgemein von der Verteilung der Sitze im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan „auf die Arbeitnehmer einzelner Mitgliedstaaten“ 133, womit sowohl der Fall der Wahl bzw. Bestellung von Arbeitnehmervertretern als auch der Empfehlung oder Ablehnung einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans durch die Arbeitnehmer erfasst sein dürfte. Anders als § 36 SEBG stellt Art. 109 SEG-PL klar, dass das Vertretungsorgan über die Art und Weise der Empfehlung oder Ablehnung der Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans durch die Arbeitnehmer entscheidet, sofern solche Mitbestimmungsformen in der SE bestehen. (2) Ermittlung der inländischen Arbeitnehmervertreter Nach Teil 3 lit. b) Abs. 3 AnhangSE-RL steht jedem Mitgliedstaat das Recht zu, die Verteilung der auf ihn entfallenden Sitze im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan selbst festzulegen. Dabei haben Deutschland und Polen für die von ihnen bestimmten Mitglieder sehr unterschiedliche Festlegungen getroffen. 131 Art. 110 SEG-PL spricht ausdrücklich von den Mitgliedern des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans, die die in Polen beschäftigten Arbeitnehmer repräsentieren sollen. 132 Vgl. Regierungsentwurfsbegründung zum SEG-PL vom 20. September 2004, Sejm-Drucks. Nr. 3314 (IV. Kadenz), S. 25. 133 Art. 108 Abs. 1 SEG-PL: „Podziału miejsc w radzie nadzorczej albo radzie administruja˛cej SE pomie˛dzy pracowników z róz˙nych pan´stw członkowskich [. . .].“ Übersetzung d. Verf.

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Der deutsche Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, für die Ermittlung der aus Deutschland stammenden Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans die Vorschriften über die Wahl des besonderen Verhandlungsgremiums entsprechend anzuwenden (vgl. § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG). Die Mitglieder werden demnach grundsätzlich von einem Wahlgremium gewählt, welches sich entsprechend dem für die Wahl des besonderen Verhandlungsgremiums zuständigen Wahlgremium zusammensetzt (vgl. § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG i.V. m. § 8 Abs. 1 Sätze 2 bis 5, Abs. 2 bis 7 SEBG). Die Vorschriften über die Einberufung des Wahlgremiums und dessen Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung gelten sinngemäß (vgl. § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG i.V. m. §§ 9, 10 SEBG). Sofern Deutschland mehr als zwei Mitglieder ins Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgan wählen kann, muss jedes dritte aus Deutschland stammende Mitglied des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans – nicht des Wahlgremiums – ein Gewerkschaftsvertreter sein, bei mehr als sechs Mitgliedern muss jedes siebte Mitglied ein leitender Angestellter sein (vgl. § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG i.V. m. § 6 Abs. 2 bis 4 SEBG).134 Die Richtlinienkonformität dieser Regelung wird jedoch teilweise in Frage gestellt.135 Für die Wahl von Frauen und Männern durch das Wahlgremium gilt § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG i.V. m. § 6 Abs. 2 Satz 2 SEBG. Die von §§ 17 Abs. 2, 24 Abs. 3 SEAG vorgegebene Geschlechterquote bindet das Wahlgremium indes nicht, sondern richtet sich an die Hauptversammlung als zuständiges Wahlorgan und bezieht sich auf die Gesamterfüllung.136 Das SEBG legt ferner in § 36 Abs. 2 SEBG fest, dass im Fall fehlender nationaler Regelungen über die Besetzung der den einzelnen Mitgliedstaaten zukommenden Sitze die aus diesen Ländern stammenden Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE vom SE-Betriebsrat bestimmt werden. Die Arbeitnehmervertreter müssen von der Hauptversammlung der SE ins Amt bestellt werden, dabei ist die Hauptversammlung an die jeweiligen arbeitnehmerseitigen Vorschläge gebunden (vgl. § 36 Abs. 4 SEBG). In Polen werden die Mitglieder des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgans, die Arbeitnehmer aus Polen vertreten sollen, dagegen nicht entsprechend den Vorschriften über die Bestellung der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums ernannt bzw. gewählt. Vielmehr sieht Art. 110 SEG-PL eine eigenständige Regelung diesbezüglich vor. Danach werden diese Mitglieder in unmittelbaren und geheimen Wahlen von den Belegschaftsversammlungen der jeweiligen Betriebe gewählt, entsprechend den in dem jeweiligen Betrieb geltenden Regularien. Angelehnt hatte sich der polnische Gesetzgeber hier wohl an die Regelun-

134 So auch Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 36 SEBG Rn. 7; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 36 SEBG Rn. 12 m.w. N.; für ein solches Verständnis der Verweisung von § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG auf § 6 Abs. 3, 4 SEBG spricht auch die Regelung in § 37 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SEBG. 135 So etwa Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 36 SEBG Rn. 7. 136 Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 36 SEBG Rn. 7.

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gen zum Wahlverfahren im KommerzG.137 Darüber hinaus hat der polnische Gesetzgeber in Art. 108 Abs. 3 SEG-PL eine Regelung getroffen zur Verteilung der Sitze im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan auf die jeweiligen Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, die entsprechend der Anzahl der von diesen jeweils beschäftigten Arbeitnehmer zu erfolgen hat. Nähere Spezifikationen zum Wahlverfahren enthält das SEG-PL nicht. Die polnischen Regelungen werfen zum einen die Frage des aktiven Wahlrechts auf. Die Formulierung in Art. 108 Abs. 3 SEG-PL könnte darauf schließen lassen, dass die Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans nur von denjenigen Arbeitnehmern gewählt werden, aus deren Kreis sie anhand des Verteilungsschlüssels zu wählen sind. Dem widerspricht jedoch der Wortlaut des Art. 110 SEG-PL, der ganz allgemein und ohne Einschränkungen von den „Belegschaftsversammlungen der Betriebe“ 138 spricht. Zudem würde sonst einer Vielzahl von Arbeitnehmern das Wahlrecht verwehrt werden, wenn nicht aus allen Gesellschaften und Betrieben ein Vertreter in den Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat entsandt werden könnte. Daher ist davon auszugehen, dass die Regelung des Art. 108 Abs. 3 SEG-PL nur für das passive Wahlrecht relevant ist – genauer gesagt die Frage, aus welcher Gesellschaft bzw. welchem Betrieb das zu wählende Mitglied stammen muss. Für das aktive Wahlrecht dürfte hingegen allein Art. 110 SEG-PL maßgeblich sein, womit alle bei der in Polen ansässigen SE, ihren inländischen Tochtergesellschaften und Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer wahlberechtigt wären und aus sämtlichen nominierten Kandidaten wählen könnten. Zum anderen stellt sich – wie im Rahmen des KommerzG – die Frage, ob die Regelung in Art. 110 SEG-PL dahingehend zu verstehen ist, dass die von den Arbeitnehmern gewählten Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans gleichzeitig mit dieser Wahl unmittelbar ins Amt bestellt sind, oder ob die Arbeitnehmer lediglich eine „Vorwahl“ treffen und die Mitglieder erst noch von der Hauptversammlung bestellt werden müssen. Es dürfte davon auszugehen sein, dass die erste Interpretation zutrifft, denn anders als etwa in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 KommerzG heißt es in Art. 110 SEG-PL gerade nicht, dass die Hauptversammlung an die Wahl gebunden ist.139 Für die Abberufung der Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans enthält § 37 SEBG eine detaillierte Regelung, in der sowohl die Antragsberechtigung als auch das Abberufungsverfahren und die erforderliche Stimmenmehrheit 137 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 108. 138 Art. 110 SEG-PL: „zebrania ogólne załóg zakładów“. Übersetzung d. Verf. 139 Vgl. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 KommerzG: „Wynik wyborów jest wia˛za˛cy dla wal˙ nego zgromadzenia.“ Zu dieser Auslegungsfrage im Rahmen des Art. 14 KommerzG vgl. oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a).

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geregelt sind. Auch regelt § 37 Abs. 2 SEBG eine Anfechtungsmöglichkeit. Das polnische SEG-PL sieht keine Vorschriften diesbezüglich vor. Es gelten vielmehr die für die Aktiengesellschaft allgemein geltenden Vorschriften (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO).140 Danach kann die Abberufung grundsätzlich jederzeit und ohne wichtigen Grund erfolgen, sofern nicht die Satzung etwas Abweichendes vorsieht (vgl. Art. 386 § 2 HGG i.V. m. Art. 370 HGG). Die Zuständigkeit hierfür liegt beim wahlberechtigten Organ (vgl. Art. 385 §§ 1, 2 HGG) – entsprechend dem oben Gesagten dürften dies im Fall der Arbeitnehmervertreter die Belegschaftsversammlungen sein. In der Praxis dürften sich in diesem Zusammenhang jedoch mehrere Fragen stellen, etwa die Frage nach einem Antragserfordernis einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern, vergleichbar etwa der Regelung in Art. 12 Abs. 5 KommerzG. Diese Frage sollte in der Satzung geregelt werden, denn ein Rückgriff auf Art. 12 Abs. 5 KommerzG als einer Spezialnorm für kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates kommt nicht in Betracht. (3) Persönliche Voraussetzungen der Mitglieder Die SE-RL enthält keine Vorgaben im Hinblick auf die persönlichen Voraussetzungen der als Arbeitnehmervertreter in das Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan bestellten Mitglieder. Aufgrund der Verweisung des § 36 Abs. 3 Satz 2 SEBG auf § 6 Abs. 2 bis 4 SEBG gilt für die aus Deutschland stammenden Mitglieder im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan, dass diese sowohl Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe als auch externe Gewerkschaftsvertreter sein können, Frauen und Männer entsprechend dem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein sollen sowie jedes dritte Mitglied ein Gewerkschaftsvertreter und jedes siebte Mitglied ein leitender Angestellter sein muss. Das polnische SEG-PL spezifiziert nicht näher, wer Mitglied des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans sein kann. Zwar spricht Art. 108 SEG-PL von der Aufteilung der Sitze „auf die Arbeitnehmer“ 141, was eine erforderliche Arbeitnehmereigenschaft der Vertreter implizieren könnte. Der Wortlaut des Art. 110 SEG-PL, der von Personen spricht, die die Arbeitnehmer aus Polen „repräsentieren“ 142, lässt jedoch darauf schließen, dass die Repräsentanten sowohl selbst Arbeitnehmer als auch externe Personen sein können – so wie dies auch im Rahmen des KommerzG von der polnischen Literatur angenommen wird.143 Wie im Rahmen des KommerzG 140

Hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.e). Art. 108 Abs. 1 SEG-PL: „Podziału miejsc w radzie nadzorczej albo radzie administruja˛cej SE pomie˛dzy pracowników [. . .]“; Art. 108 Abs. 3 SEG-PL: „Podziału miejsc, o których mowa w ust. 1, mie˛dzy pracowników [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 142 Art. 110 SEG-PL: „Osoby reprezentuja˛ce w radzie nadzorczej albo radzie administruja˛cej SE pracowników zatrudnionych w Rzeczypospolitej Polskiej [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 143 Vgl. zur Interpretation von Art. 12 KommerzG Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75; ebenso Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, 141

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ist davon auszugehen, dass eine Zugehörigkeit zur Gewerkschaft ebenfalls keine Voraussetzung ist. Die aufgrund der Regelung in Art. 13 Abs. 4 KommerzG a. F. im Rahmen des KommerzG auch nach der Gesetzesänderung weiterhin bestehende Frage, ob die Organmitglieder gleichzeitig eine Funktion in der Betriebsgewerkschaft ausüben dürfen144, dürfte sich mangels entsprechender Regelung im SEG-PL nicht stellen, sodass in diesem Rahmen nicht von einer Unvereinbarkeit der Funktionen ausgehen ist. Auch ist mangels Einschränkung sowohl in Deutschland als auch in Polen davon auszugehen, dass ein Mitglied des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans der SE auch gleichzeitig Mitglied im Vertretungsorgan der SE sein kann. Im Übrigen ergeben sich Einschränkungen für das Aufsichtsrats- bzw. Verwaltungsratsmandat aus den allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften.145 Gemäß Teil 3 lit. b) Abs. 4 AnhangSE-RL sollen die arbeitnehmerseitigen Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans der SE die gleichen Rechte – einschließlich des Stimmrechts – und Pflichten haben wie die Anteilseignervertreter. Diese Richtlinienvorgabe haben Deutschland und Polen entsprechend in § 38 Abs. 1 SEBG und Art. 111 SEG-PL übernommen. Weder in der Richtlinie noch im polnischen Recht findet die deutsche Regelung des § 38 Abs. 2 SEBG, wonach in Anlehnung an die Figur des Arbeitsdirektors146 Vorgaben für das Leitungsorgan bzw. die geschäftsführenden Direktoren gemacht werden, eine Entsprechung. Gleiches gilt für die Regelung des § 38 Abs. 3 SEBG, die in dem Fall gilt, dass es sich bei einer der beteiligten Gesellschaften um eine montanmitbestimmte Gesellschaft handelt. e) Geheimhaltungspflicht und Tendenzschutz Art. 8 SE-RL enthält detaillierte Vorgaben für die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Aufnahme von Regelungen zur Gewährleistung der Geheimhaltung. In Umsetzung von Art. 8 Abs. 1 SE-RL sehen sowohl das deutsche als auch das polnische Recht vor, dass die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Vertretungsorgans, andere Arbeitnehmervertretungen im Rahmen des Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung sowie die sie unterstützenden Sachverständigen und Dolmetscher, auch nach Beendigung ihres Mandats, zur Geheimhaltung in Bezug auf diejenigen Angelegenheiten verpflichtet sind, die von dem zuständigen Organ der SE ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig beS. 160 (164); zur Arbeitnehmereigenschaft im Rahmen des KommerzG siehe oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(1). 144 Zu dieser Problematik ausführlich oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 145 Vgl. hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(3) und Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 146 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 21. Juni 2004, BT-Drucks. 15/3405, S. 55; näher hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 38 SEBG Rn. 10 ff.

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zeichnet wurden (vgl. § 41 Abs. 2, 4 SEBG, Art. 112 SEG-PL). Mit § 41 Abs. 1 SEBG und Art. 113 Abs. 1 SEG-PL wird Art. 8 Abs. 2 SE-RL umgesetzt. Die polnische Vorschrift hält sich hierbei – anders als die deutsche – eng am Wortlaut der europäischen Vorgabe, gewährt allerdings nur dem Organ der SE, nicht auch den Organen der beteiligten Gesellschaften, ein Informationsverweigerungsrecht. Die Offenbarung geheimhaltungsbedürftiger Informationen kann nach Art. 113 Abs. 1 SEG-PL verweigert werden, sofern das Bekanntwerden der Information bei Zugrundelegung objektiver Kriterien den Geschäftsbetrieb der SE oder ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe erheblich beeinträchtigen oder ihnen schaden würde. Das deutsche SEBG legt in § 41 Abs. 3 und 5 SEBG Ausnahmetatbestände für die Geheimhaltungspflicht fest. Eine solche Regelung findet sich im polnischen SEG-PL nicht. In Umsetzung der Vorgabe in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-RL sieht Art. 113 Abs. 2 SEG-PL vor, dass das besondere Verhandlungsgremium, das Vertretungsorgan sowie andere Arbeitnehmervertretungen im Rahmen des Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung eine Freistellung von der Geheimhaltungspflicht bei der Wirtschaftskammer des Amtsgerichts147 beantragen können, wenn sie der Ansicht sind, dass die Geheimhaltungsverpflichtung oder die Verweigerung der Offenlegung von Informationen den Regelungen in Art. 112 SEG-PL oder Art. 113 Abs. 1 SEG-PL widerspricht. Für das Verfahren gelten im Wesentlichen die Vorschriften des Abschnitts IVa des polnischen Zivilprozessgesetzbuchs148 über Angelegenheiten betreffend die Staatsunternehmen und die Selbstverwaltung der Belegschaft (Artt. 6911 ff. ZPGB) sowie die Regelungen in Artt. 114 und 115 SEG-PL. Art. 114 SEG-PL stellt dabei eine Regelung zur Wahrung der Vertraulichkeit der betreffenden Informationen i. S. d. Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 SERL dar und besagt, dass das Gericht das Einsichtsrecht in das vom zuständigen Organen im Gerichtsverfahren beigefügte Beweismaterial in notwendigem Maße beschränken kann, wenn die Offenlegung dieses Beweismaterials eine Gefährdung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen oder aufgrund anderweitiger Vorschriften geschützter Geheimnisse bedeuten würde. Eine Beschwerde gegen einen solchen Beschluss des Gerichts ist unzulässig (vgl. Art. 114 Abs. 2 SEGPL). Das deutsche SEBG hat von der Ermächtigung des Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL keinen Gebrauch gemacht. Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Bestehen und dem Umfang der Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten werden von den Arbeitsgerichten im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren entschieden (vgl. §§ 2a Abs. 1 Nr. 3d, 80 ff. ArbGG).149 147 „sa˛d rejonowy“ – Übersetzung nach Köbler, Rechtspolnisch; vgl. auch Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (363 f.), die dies als „Rayongericht“ übersetzen, gleichzeitig aber darauf hinweisen, dass dies dem deutschen Amtsgericht entspreche. 148 Zivilprozessgesetzbuch vom 17. November 1964, Dz. U. 1964 Nr. 43 Pos. 296. 149 Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 41 SEBG Rn. 9.

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In § 39 SEBG hat Deutschland von der in Art. 8 Abs. 3 SE-RL eingeräumten Möglichkeit eines Tendenzschutzes Gebrauch gemacht. Die Vorschrift entspricht dem in nationalen Mitbestimmungsgesetzen in § 1 Abs. 4 MitbestG und § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 DrittelbG vorzufindenden Tendenzschutz.150 Da das polnische Recht keinen Tendenzschutz in den nationalen Mitbestimmungsgesetzen vorsieht, fehlt auch eine entsprechende Umsetzung der Richtlinienermächtigung im SEG-PL. f) Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter Sowohl das deutsche als auch das polnische Recht sehen in Umsetzung der Richtlinienvorgaben aus Art. 10 SE-RL Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmervertreter vor (vgl. § 42 SEBG, Artt. 116 bis 119 SEG-PL). Gemäß Art. 10 Abs. 1 der SE-RL genießen die „Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, die Mitglieder des Vertretungsorgans, Arbeitnehmervertreter, die bei einem Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung mitwirken, und Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder im Verwaltungsorgan der SE, die Beschäftigte der SE, ihrer Tochtergesellschaften oder Betriebe oder einer der beteiligten Gesellschaften sind, [. . .] bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den gleichen Schutz und gleichartige Sicherheiten wie die Arbeitnehmervertreter nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten des Landes, in dem sie beschäftigt sind.“ Der Schutz bezieht sich insbesondere auf die Teilnahme an Sitzungen und die Lohnfortzahlung (vgl. Art. 10 Abs. 2 SE-RL). § 42 SEBG übernimmt die Richtlinienvorgabe nahezu wortlautidentisch und ergänzt die aufgezählten Regelbeispiele um den Kündigungsschutz. Damit verweist das SEBG auf die in Deutschland nach nationalem Recht geltenden Schutzvorschriften, die sich je nach betroffener Personengruppe unterscheiden.151 Dagegen verzichtet das polnische SEG-PL auf eine inhaltsgleiche Übernahme des Grundsatzes in Art. 10 SE-RL, sondern legt in Artt. 116 bis 119 SEG-PL die für eine SE mit Sitz in Polen geltenden Schutzvorschriften eigenständig fest. Gemäß Artt. 116, 119 SEG-PL darf das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums, des Vertretungsorgans oder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats oder ein Arbeitnehmervertreter im Rahmen eines sonstigen Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung ist, während des bestehenden Mandats und innerhalb eines Jahres nach dessen Beendigung nicht ohne Zustimmung der den Arbeitnehmer repräsentierenden Betriebsgewerkschaft 150 Näher hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 39 SEBG Rn. 1 ff. 151 Zur Frage, welche Vorschriften des deutschen Rechts in Bezug auf die in § 42 SEBG aufgezählten Personengruppen jeweils einschlägig sind vgl. die ausführliche Darstellung bei Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 42 SEBG Rn. 1 ff.

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gekündigt oder aufgelöst werden. Wird der Arbeitnehmer nicht von einer Betriebsgewerkschaft repräsentiert, muss der zuständige Arbeitsinspektor der Kündigung bzw. Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustimmen. Eine gleichlautende Schutzbestimmung sieht Art. 116 Abs. 2 SEG-PL für die einseitige Änderung der Arbeitsbedingungen einschließlich des Gehalts zuungunsten des Arbeitnehmers vor. Gemäß Artt. 118, 119 SEG-PL haben die vorgenannten Arbeitnehmervertreter ein Recht auf Freistellung und Entgeltfortzahlung entsprechend der für Vorstandsmitglieder einer Betriebsgewerkschaft geltenden Regelung in Art. 31 Abs. 3 GewG. Bemerkenswert ist, dass die Artt. 116 bis 118 SEG-PL zwar den Schutzvorschriften im KommerzG ähneln, von diesen jedoch auch nicht unerheblich abweichen. Zum einen ist jegliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfasst (also nicht nur die ordentliche Kündigung), zum anderen kann der Schutz durch die Zustimmung der Betriebsgewerkschaft bzw. des zuständigen Arbeitsinspektors aufgehoben werden, während der Schutz nach dem KommerzG absolut gilt.152 Auch ist im KommerzG die Frage der Freistellung und Entgeltfortzahlung nicht geregelt worden.153 In der polnischen Literatur werden die Regelungen in Artt. 116 bis 117 SEGPL im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmervertreter, die Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums sind, als zu weitgehend und nicht mit der Richtlinie vereinbar angesehen.154 Denn obwohl die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums nach der Konzeption der Richtlinie ihre Funktion an sich nur bis zum Zustandekommen einer Vereinbarung (bzw. ggf. noch einmal zwei Jahre später im Falle einer Wiederaufnahme der Verhandlungen auf Antrag von 10 % der Arbeitnehmer) innehaben, lege das polnische SEG-PL in Art. 69 Abs. 1 SEG-PL fest, dass das Mandat eines Mitglieds des besonderen Verhandlungsgremiums, das gleichzeitig Arbeitnehmer ist, dann erlischt, wenn sein Arbeitsverhältnis endet oder er sein Amt niederlegt. Dagegen erlösche das Mandat jedoch nicht allein schon durch das Zustandekommen einer Vereinbarung. Der polnische Gesetzgeber habe mit Artt. 116, 117 SEG-PL daher einen Schutz eingeführt, der weit über die Zeit hinausgeht, in der das Mitglied des besonderen Verhandlungsgremiums tatsächlich seine Funktion ausübt. Die Regelung widerspreche Erwägungsgrund Nr. 5 der SE-VO, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass die auf die SE anwendbaren Bestimmungen nicht zu einer Diskriminierung dadurch führen, dass die SE ungerechtfertigterweise anders behandelt wird als die Aktiengesellschaft. Es wird daher vorgeschlagen, den Schutz der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums ähnlich auszugestalten wie den Schutz der Mitglieder des Gründungsausschusses einer Betriebsgewerk152

Hierzu siehe oben Kapitel 3, C.II.5.b)cc). Vgl. oben Kapitel 3, C.II.5.b)bb). 154 So Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (352 f.). Die folgenden Ausführungen geben die dortigen Ansichten und Vorschläge wieder. 153

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schaft, so wie er im GewG ausgestaltet ist. Danach wird der Schutz für einen Zeitraum von sechs Monaten nach Errichtung des Gründungsausschusses gewährt (vgl. Art. 32 Abs. 7 GewG). Entsprechend wird folgende Neuregelung postuliert: Das Mandat der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums sollte mit dem Zustandekommen einer Vereinbarung oder mit dem Beschluss über die Nichtaufnahme oder den Abbruch von Verhandlungen enden und der Schutz während des Mandats sowie innerhalb eines Jahres danach gewährleistet sein. Sofern es zu keiner Vereinbarung kommen sollte, nach zwei Jahren jedoch die Verhandlungen wieder aufgenommen werden würden, sollte der Schutz wiederaufleben und bis zu einem Jahr nach Abschluss der Vereinbarung dauern. In dem Fall dagegen, dass die Anwendung der gesetzlichen Auffangregelung vereinbart wird, würden spätere Verhandlungen dagegen nicht mehr von den Mitgliedern des besonderen Verhandlungsgremiums, sondern vom Vertretungsorgan geführt werden, dessen Mitglieder auch einen Kündigungsschutz haben. Die Regelung des Art. 118 SEG-PL betreffend die Freistellung und Entgeltfortzahlung wird dagegen im Grundsatz positiv bewertet.155 Sowohl das deutsche als auch das polnische Recht sehen darüber hinaus auch einen Errichtungs- und Tätigkeits- sowie Diskriminierungsschutz vor. In § 44 Nr. 1 und 2 SEBG wird zum einen die Errichtung des besonderen Verhandlungsgremiums, des SE-Betriebsrats, eines anderweitigen Anhörungs- und Unterrichtungsverfahrens und die Wahl, Bestellung, Empfehlung oder Ablehnung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan sowie die Tätigkeit der jeweiligen Gremien und Arbeitnehmervertreter unter einen besonderen Schutz gestellt. Daneben enthält § 44 Nr. 3 SEBG ein Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot der Mitglieder und Ersatzmitglieder in den genannten Gremien und Funktionen. Eine dem § 44 SEBG zum Teil ähnliche Vorschrift enthält das polnische SEG-PL im Rahmen des Straf- und Bußgeldkatalogs in Art. 133 SEG-PL. Straf- bzw. bußgeldbewährt sind danach – die Vereitelung und Erschwerung der Errichtung des besonderen Verhandlungsgremiums oder des Vertretungsorgans, insbesondere die unterlassene Information der berechtigten Gewerkschaftsorganisationen über den Termin und die Art und Weise der Durchführung von Wahlen zum besonderen Verhandlungsgremium; – die Vereitelung und Erschwerung der Tätigkeit des besonderen Verhandlungsgremiums oder des Vertretungsorgans; sowie – die Diskriminierung eines Mitglieds des besonderen Verhandlungsgremiums oder des Vertretungsorgans oder eines Arbeitnehmervertreters im Zusammenhang mit der von ihm ausgeübten Funktion. 155 Vgl. Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (353).

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Im Gegensatz zum deutschen § 44 SEBG ist die Errichtung eines anderweitigen Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens sowie die Wahl, Bestellung, Empfehlung oder Ablehnung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan und die Tätigkeit dieser Arbeitnehmervertreter nicht durch Art. 133 SEG-PL geschützt. Allein das Diskriminierungsverbot dürfte sich auch auf diese Personengruppen beziehen, da das Gesetz allgemein Arbeitnehmervertreter in den Schutz mit einbezieht. Mit Diskriminierung dürfte im Gegensatz zum § 44 SEBG wohl nur die Benachteiligung, nicht aber auch die Begünstigung gemeint sein. Ferner gilt die polnische Vorschrift anders als § 44 SEBG, der ein allgemeines und für jedermann geltendes Verbot aufstellt, nur für Organmitglieder der SE, einer beteiligten Gesellschaft, einer Tochtergesellschaft sowie Mitglieder der Betriebsleitung, sofern sich die Gesellschaften bzw. Betriebe – unabhängig vom satzungsmäßigen Sitz der SE – auf dem Gebiet der Republik Polen befinden. Den genannten Personen droht im Fall eines Verstoßes eine Strafe bzw. ein Bußgeld, dessen Höhe allerdings gesetzlich nicht festgelegt ist. g) Missbrauchsverbot, Straf- und Bußgeldvorschriften Nach Art. 11 SE-RL sollten die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen, „um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“. § 43 Satz 1 SEBG enthält ein entsprechend allgemein gehaltenes Missbrauchsverbot, dessen Konkretisierung in der Praxis allerdings mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten behaftet ist.156 § 43 Satz 2 SEBG stellt eine widerlegbare157 Vermutung für einen Missbrauch auf, wenn strukturelle Änderungen innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE zu einer Vorenthaltung oder einem Entzug von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer führen und ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG nicht durchgeführt worden war. Eine andere und deutlich engere Regelung zur Verhinderung des Missbrauchs trifft Art. 120 SEG-PL. Nach Art. 120 Abs. 1 SEG-PL sind in dem Fall, dass nach Eintragung der SE wesentliche Änderungen in der SE, ihren Tochtergesellschaften oder Betrieben im Hinblick auf ihre Struktur, Arbeitnehmerzahl oder den Sitz der SE eintreten, die darauf hindeuten, dass Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer beseitigt oder begrenzt werden sollen, Verhandlungen bezüglich einer Vereinbarung über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer unter den geänderten Umständen durchzuführen. Einen Antrag auf Aufnahme der Verhandlungen kann das Vertretungsorgan stellen (vgl. Art. 120 Abs. 2 SEG-PL). Die Vorschriften der Artt. 71 ff. SEG-PL betreffend die Vereinbarung über eine

156 Vgl. hierzu die ausführlichen Erläuterungen bei Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Kommentar, § 43 SEBG Rn. 1 ff. 157 Feuerborn, in: KölnKommAktG, Bd. 8/2, § 43 SEBG Rn. 7 m.w. N.; Jacobs, in: MünchKommAktG, Bd. 7, § 43 SEBG Rn. 6; Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 43 SEBG Rn. 10 m.w. N.

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Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE finden gemäß Art. 120 Abs. 3 SEG-PL entsprechende Anwendung, wobei an Stelle des besonderen Verhandlungsgremiums das Vertretungsorgan und an Stelle der beteiligten Gesellschaften die SE, ihre Tochtergesellschaften und Betriebe treten. In den in Artt. 84 bis 86 SEG-PL genannten Fällen ist die gesetzliche Auffangregelung zur Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan (Artt. 107 ff. SEG-PL) anzuwenden, soweit die Änderungen drohen, Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern (vgl. Art. 121 SEG-PL). Die polnische Regelung in Art. 120 SEG-PL entspricht weitgehend dem deutschen § 18 Abs. 3 SEBG. Gleichzeitig ist der polnische Missbrauchsverbotstatbestand auf die in Art. 120 SEG-PL genannten Fälle beschränkt, während das deutsche Missbrauchsverbot nach § 43 SEBG zumindest dem Wortlaut nach deutlich weiter gefasst ist.158 Zudem unterscheiden sich die Missbrauchsregelungen in ihren Rechtsfolgen: Während ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot in Deutschland strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG), ordnet Art. 120 SEG-PL bei einem Verdacht auf Missbrauch lediglich die Durchführung von Verhandlungen an. Im Übrigen enthalten sowohl das deutsche als auch das polnische Gesetz Strafund Bußgeldvorschriften (vgl. §§ 45, 46 SEBG, Artt. 122 ff. SEG-PL). Nach deutschem Recht ist die nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erfolgte Information bei Einleitung des Verfahrens zur Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums (sowie bei etwaigen nachträglichen Änderungen) sowie eine nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erfolgte jährliche bzw. bei außerordentlichen Umständen erforderliche Unterrichtung des SE-Betriebsrats als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bis zu 20.000 EUR bewährt (vgl. § 46 SEBG). Strafbewehrt sind Verstöße gegen das Geheimhaltungsverbot, das Missbrauchsverbot sowie das Verbot, die Tätigkeit des besonderen Verhandlungsgremiums, des SE-Betriebsrats, der Arbeitnehmervertreter im Rahmen anderweitiger Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren oder der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan zu behindern, zu beeinflussen oder zu stören sowie Mitglieder dieser Gremien zu benachteiligen oder zu begünstigen, wobei die Strafe abhängig vom verwirkten Tatbestand eine Freiheitsstrafe bis zu ein bzw. zwei Jahren oder Geldstrafe sein kann (vgl. § 45 SEBG). Der Straf- und Ordnungswidrigkeitenkatalog der Artt. 122 bis 133 SEG-PL umfasst zwar mehrere Tatbestände, auf Verstöße im Zusammenhang mit den Vorschriften des SEG-PL zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE bezieht sich jedoch allein Art. 133 SEG-PL, der einen Errichtungs- und Tätigkeits- sowie Diskriminierungsschutz vorsieht.159 Die Vorschrift nennt jedoch keinen Straf- bzw. Bußgeldrahmen. Das Verfahren bestimmt sich nach den 158 Zur gebotenen restriktiven Auslegung des Missbrauchsverbotstatbestandes vgl. aber Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, § 43 SEBG Rn. 5 m.w. N. 159 Siehe auch schon oben Kapitel 4, B.I.2.f).

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

Vorschriften des Verfahrensgesetzbuchs für Ordnungswidrigkeiten vom 24. August 2001160, die Rolle des Anklägers übernimmt dabei der Arbeitsinspektor. 3. Praktische Bedeutung und Akzeptanz der SE in Deutschland und Polen Die praktische Bedeutung der SE in Deutschland wird vor allem im Zusammenhang mit der „Flucht“ aus – besser gesagt: vor – der Unternehmensmitbestimmung bzw. der „Mitbestimmungsvermeidung“ diskutiert.161 Hintergrund hierfür ist die Befürchtung, dass sich viele deutsche Unternehmen in eine SE umgewandelt haben oder umwandeln wollen, die im Hinblick auf die Zahl ihrer Beschäftigten vor den maßgeblichen Schwellen für die Unternehmensmitbestimmung standen bzw. stehen. Nach einer Auswertung der Hans-Böckler-Stiftung162 gab es zum 31. Dezember 2016 zwar 2.670 SE in Europa, davon sind allerdings nur 451 SE operativ mit mehr als fünf Arbeitnehmern tätig. 230 hiervon haben ihren Sitz in Deutschland, 150 eine dualistische und 80 eine monistische Struktur. Von den 150 dualistisch verfassten SE haben 19 einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat und 35 eine Drittelbeteiligung von Arbeitnehmervertretern; dagegen haben 96 dualistisch verfasste SE keine Unternehmensmitbestimmung. Von den 80 monistisch verfassten SE hat nur eine einzige eine Mitbestimmung im Verwaltungsrat, alle anderen sehen höchstens Informations- und Konsultationsrechte vor. Im Vergleich zu den Vorjahren stieg die Anzahl der SE in Deutschland. In Polen haben dagegen aktuell insgesamt nur sechs SE ihren Sitz.163 Davon wurden drei SE bei ihrer Gründung in Polen registriert164, in den anderen drei SE 160 Verfahrensgesetzbuch für Ordnungswidrigkeiten vom 24. August 2001, Dz. U. 2001 Nr. 106 Pos. 1148. 161 Vgl. Bayer, Erosion der deutschen Mitbestimmung, NJW 2016, S. 1930 (1932 ff.); Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (333 ff.); Rieble, Schnelle Mitbestimmungssicherung gegen die SE, BB 2014, S. 2997 (2997 f.); ders., Schutz vor paritätischer Mitbestimmung, BB 2006, S. 2018 (2018 ff.). 162 http://www.boeckler.de/pdf/pb_mitbestimmung_se_2016_12.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 163 Dies sind: HYDROPRESS SPÓŁKA EUROPEJSKA (vormals AERFINANCE SE), Investment Union SE (vormals Crowd Venture SE), Enastar Europejska Spółka Akcyjna Spółka Europejska, LETUMO SE, MCAA EUROPEJSKA SPÓŁKA AKCYJNA und PLATYNOWE INWESTYCJE SE, vgl. die European Company (SE) database, http:// ecdb.worker-participation.eu, sowie die öffentlich zugänglichen Auszüge aus dem landesweiten Gerichtsregister („Krajowy Rejestr Sa˛dowy“), abrufbar unter https:// ekrs.ms.gov.pl/web/wyszukiwarka-krs/strona-glowna/ /, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die European Company (SE) database, http://ecdb.worker-partici pation.eu, listet allerdings noch die INVESTMENT FRIENDS CAPITAL SE, und die AmRest Holdings SE auf. Der Sitz der INVESTMENT FRIENDS CAPITAL SE ist mittlerweile nach Estland verlegt worden, vgl. http://ifcapital.pl/kontakt.php, zuletzt

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wurde der Sitz nachträglich nach Polen verlegt.165 Damit ist die Zahl der SE in Polen im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen. So waren etwa zum 1. April 2013 nur zwei SE in Polen registriert gewesen, davon hatte keine mehr als fünf Arbeitnehmer gehabt.166 Auch Anfang 2010 waren im polnischen Handelsregister lediglich zwei Unternehmen in der Rechtsform der SE registriert.167 Darüber hinaus war eine weitere Gesellschaft als Niederlassung einer ausländischen SE im polnischen Handelsregister eingetragen.168 Zudem sind mehrere in Polen ansässige Tochtergesellschaften oder Betriebe einer SE mit Sitz im Ausland jedenfalls indirekt betroffen.169 Die praktische Bedeutung des polnischen Gesetzes zur SE ist angesichts der nur wenigen SE mit Sitz in Polen naturgemäß gering. Allenfalls die Vorschriften über die Ernennung bzw. Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Vertretungsorgans mögen eine größere Rolle spielen, da sie stets Anwendung finden bei in Polen ansässigen Tochtergesellschaften und Betrieben einer SE, selbst wenn die SE ihren Sitz in einem anderen Staat hat bzw. – im Fall der Gründung – haben soll.170 Auch das Interesse von Rechtsanwendern und Rechtswissenschaftlern an den neu eingeführten Regelungen zur SE hielt sich in Grenzen, obwohl angesichts der nur sehr geringen Erfahrungen Polens mit der Arbeitnehmerpartizipation in einem marktwirtschaftlichen System großes Inteaufgerufen am 27. August 2020, der Sitz der AmRest Holdings SE befindet sich nun in Spanien, vgl. https://www.amrest.eu/pl/inwestorzy/kontakt, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, weswegen beide aus dem polnischen landesweiten Gerichtsregister („Krajowy Rejestr Sa˛dowy“) gelöscht wurden. 164 Die Enastar Europejska Spółka Akcyjna Spółka Europejska, die MCAA SE sowie die PLATYNOWE INWESTYCJE SE, vgl. die European Company (SE) database, http://ecdb.worker-participation.eu, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 165 So bei HYDROPRESS SPÓŁKA EUROPEJSKA (vormals AERFINANCE SE), Investment Union SE (vormals Crowd Venture SE) und der LETUMO SE, vgl. die European Company (SE) database, http://ecdb.worker-participation.eu, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 166 Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (348) mit Verweis auf die Daten der European Company (SE) database zum 1. April 2013. 167 Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 552. Dies waren AmRest Holding SE mit Sitz in Breslau, eingetragen im Handelsregister am 22. Dezember 2008 sowie die MCAA Europejska Spółka Akcyjna mit Sitz in Brzeg Dolny, eingetragen ins Handelsregister am 30. Mai 2008. 168 Dabei handelte es sich um die polnische Niederlassung der Limagrain Central Europe Societe Europeenne mit Sitz in Poznan´, die am 29. November 2007 ins polnische Handelsregister eingetragen wurde, vgl. Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 552. 169 Zum Beispiel die damalige Tochtergesellschaft BP Polska S. A., die nach Entstehung der BP Europa SE zu einem ihrer Betriebe wurde, vgl. Oplustil/Wiak, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 2, Kapitel 10 Rn. 2707. 170 Ebenso Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 107.

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resse hätte vermutet werden können.171 Zwar wird erkannt, dass die Bedeutung der SE für Unternehmen, deren Tätigkeit über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausgeht, in Europa immer größer wird.172 Jedoch scheint die polnische Literatur im Hinblick auf die Akzeptanz der SE gespalten. Während einige Stimmen die Vorteile der SE in den Vordergrund stellen und auf die Notwendigkeit der Popularisierung der SE hindeuten173, bewerten andere die SE und insbesondere die damit einhergehenden Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung kritisch und sehen darin die wesentlichen Ursachen für die nur geringe Popularität der SE174. Befürwortet wurden die Regelungen zur SE beispielsweise von Peszko175, der die Zurückhaltung gegenüber der SE kritisierte und betonte, dass die Vorgaben der SE-RL zur Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung die Entwicklung der polnischen Volkswirtschaft im Zusammenhang mit der Tätigkeit internationaler Unternehmen fördern könnten. Zahlreiche Probleme eines international tätigen Unternehmens, wie etwa fehlende Kenntnisse der landesspezifischen Eigenheiten bei der Produktion, dem Handel oder Marketing, können durch die Kontakte zur Belegschaft gelöst werden.176 Als größten Vorteil der Regelungen zur Information, Konsultation und Mitbestimmung betrachtete Peszko jedoch die leichtere Durchsetzbarkeit beabsichtigter Änderungen, da eine gute Information und Kommunikation mit der Belegschaft die Gegenwehr bei angestrebten Veränderungen verringere.177 Die Auffangregelung in der SE-RL lobte er dafür, dass sich die Erarbeitung einer einheitlichen Regelung der Arbeitnehmerbeteiligung trotz der verschiedenen Traditionen der Mitgliedstaaten, dabei insbesondere der sehr extremen Regelungen in Großbritannien und Deutschland, als möglich erwies.178 Dagegen kritisieren Oplustil/Wiak179 die in der SE-RL vorgesehene Arbeitnehmerbeteiligung und führen diese als einen Nachteil der SE an, der den Gebrauch dieser Rechtsform erschwere. Dies läge zum einen daran, dass die Verhandlungen – mögen sie auch das bestmögliche Partizipationsmodell hervorbringen – die Gründung der SE erheblich verzögern und zusätzliche rechtliche Risiken hervorbringen könnten. Zum anderen sähe die gesetzliche Auffangrege171 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (204 f.). 172 Vgl. Mie˛tek, Zaangaz ˙ owanie pracowników w spółce europejskiej, MoPr 7/2014, S. 348 (348) m.w. N. 173 So etwa Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (205 ff.). 174 So beispielsweise Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 549 ff.; Oplustil/Wiak, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 2, Kapitel 10 Rn. 2708. 175 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (205). 176 Ebenda. 177 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (206). 178 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (189). 179 Oplustil/Wiak, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 2, Kapitel 10 Rn. 2708.

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lung in der SE-RL und ihr folgend auch im SEG-PL im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung den Erhalt der höchsten Form der Arbeitnehmerbeteiligung – nämlich der Mitbestimmung im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan – bereits dann vor, wenn diese zuvor nur 25 % aller Arbeitnehmer zugestanden hatte, was die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite deutlich verbessere. Äußerst kritisch in Bezug auf die Regelungen der SE-RL äußerte sich auch Opalski180. Das gewählte Modell bewirke eine unverhältnismäßige Favorisierung und Stärkung der Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. Dagegen sei ein wahrhaftiges Engagement der Arbeitnehmer bei der Ausarbeitung einer Vereinbarung kaum zu erwarten, wenn ihnen bereits das Gesetz die weitgehendsten Rechte einräume. Dies führe zu einer Verzögerungstaktik der Arbeitnehmer, die die Verhandlungen verlängere und erschwere. Die Regelungen der SE-RL führten überdies zu einer „Infektion“ der SE mit dem weitgehendsten Partizipationsniveau, da im Falle einer Verschmelzung die weitreichendsten Mitbestimmungsvorschriften auf sämtliche Arbeitnehmer der SE Anwendung fänden, obwohl sie sich vorher lediglich auf ein Viertel aller Arbeitnehmer erstreckten. Damit ginge eine faktische Diskriminierung derjenigen Gesellschaften einher, die aus einem Staat mit einem hohem Mitbestimmungsniveau stammen, da sie angesichts der von potentiellen Partnergesellschaften befürchteten Ausweitung des weitgehenden Partizipationsmodells – der „Infizierung“ – Nachteile bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen zu befürchten hätten. Die Praxis bestätige die kritische Beurteilung der Regelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung. In Polen würden sie als die Hauptursache für die Entscheidung gegen die Gründung einer SE angeführt. Neben der geringen Rechtssicherheit, die durch die komplizierte System der geltenden Rechtsnormen bedingt sei, würden vor allem die Vorschriften zur Beteiligung von Arbeitnehmern die Unternehmer abschrecken.181 Entwicklungschancen für die SE sieht Opalski182 daher vielmehr in jenen Ländern, in denen die SE Vorteile im Vergleich zur nationalen Rechtsform bietet. So etwa sei die SE aufgrund der ausgebauten nationalen Mitbestimmungsregeln in Konkurrenz zu der deutschen Aktiengesellschaft getreten. Auch ein hoch entwickeltes Gesellschaftsrecht mit reicher Literatur und Rechtsprechung begünstige die Popularität der SE, da dadurch verhältnismäßig viel Rechtssicherheit für die Aktionäre geschaffen werde. Diese beiden Faktoren erklärten etwa, warum in Deutschland das Interesse an einer SE im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten überdurchschnittlich hoch sei. In Bezug auf das polnische SEG-PL wird in der polnischen Rechtswissenschaft die Verbindung der Regelungen zur Europäischen Aktiengesellschaft mit 180 Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 549 ff. Die folgenden Ausführungen geben die dortigen Ansichten wieder. 181 Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 552. 182 Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 552 f.

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denjenigen zur Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung kritisiert.183 Ferner zeige die im Voranstellung der wenig bedeutsamen Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung im Gesetzestitel, dass der SE und der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE nur nachrangige Bedeutung beigemessen wurde.184 Hierin wird ebenfalls eine Ursache für das schwache Interesse an der Rechtsform der SE und der in diesem Rahmen gegebenen Arbeitnehmerbeteiligung in Polen gesehen.185 In diesem Zusammenhang interessant ist die Beobachtung der Entwicklungen in Deutschland durch die polnische Rechtswissenschaft. Die polnische Literatur sieht den Grund für die Verbreitung der SE in Deutschland darin, dass die deutschen Unternehmen durch den Rechtsformwechsel eine Möglichkeit erhalten haben, dem hohen Mitbestimmungsniveau im Heimatland und dem starken Einfluss der Gewerkschaften zu entfliehen.186 Grund für die Umwandlung in eine SE im Fall deutscher Konzerne wie etwa Allianz, BASF, MAN und Porsche sei nicht etwa die europäische Expansion oder die vereinfachte Möglichkeit einer innereuropäischen Sitzverlegung gewesen, sondern vielmehr die durch die Umwandlung eröffnete Möglichkeit, den Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Verhältnis zum deutschen Mitbestimmungssystem deutlich zu verringern. Auch habe die Größe der Aufsichtsräte verringert werden können, was die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrats im Vergleich zu den aufgeblähten, ineffektiven deutschen Aufsichtsräten erhöhe. Ferner seien durch die Umwandlung in eine SE Arbeitnehmervertreter aus anderen EU-Mitgliedstaaten Aufsichtsratsmitglieder geworden, wodurch sich der Einfluss der deutschen Arbeitnehmer und Gewerkschaften „verwässert“ habe. Schließlich sei auch das „Einfrieren des Mitbestimmungsniveaus“ vor dem Erreichen bestimmter Schwellen ein großer Vorteil der SE für deutsche Unternehmen, die vor dem Hintergrund des deutschen Mitbestimmungsniveaus darin einen bequemen Fluchtweg aus den deutschen Mitbestimmungsgesetzen, die die Durchsetzung der Interessen der Anteilseigner erschwerten, gefunden hätten.

II. Die Europäische Genossenschaft („spółdzielnia europejska“) Die europäische Regelung zur SE fungierte als Vorbild für weitere europäische Gesetzesvorhaben im Bereich des Gesellschaftsrechts und im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen.187 Im nächsten 183

So Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189

(196). 184

Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (196). Ebenda. 186 So Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 551. Die folgenden Ausführungen geben die dortigen Ansichten wieder. 187 Henssler, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, S. 54; vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Modernisierung des Gesell185

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Schritt wurde auf europäischer Ebene die Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE)188 (nachfolgend: „SCE-VO“) sowie die diese ergänzende Richtlinie 2003/ 72/EG vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer189 (nachfolgend: „SCERL“) erlassen. Bei der Europäischen Genossenschaft handelt es sich um eine Vereinigung von natürlichen oder juristischen Personen, deren Hauptzweck in der Mitgliederbedarfsdeckung und/oder der Förderung der wirtschaftlichen und/oder sozialen Tätigkeiten ihrer Mitglieder bestehen sollte (vgl. Erwägungsgrund Nr. 7, 10 SCE-VO). Die SCE kann monistisch oder dualistisch verfasst sein (vgl. Art. 36 lit. b) SCE-VO). 1. Regelungskonzept der SCE-RL zur Arbeitnehmerbeteiligung Bei der Ausarbeitung der SCE-VO und der SCE-RL hat sich der europäische Gesetzgeber an dem Modell der SE orientiert und dieses entsprechend übernommen. Mit der SCE-RL wurde die SE-RL daher auch nahezu wortlautidentisch übernommen, die wenigen geringen Abweichungen sind auf die besondere Rechtsform der SCE zurückzuführen.190 Entsprechend geht auch das Regelungskonzept der SCE-RL von einem Vorher-Nachher-Prinzip sowie dem Vorrang einer Vereinbarungslösung aus. 2. Umsetzung ins nationale Recht Die SCE-RL wurde in Deutschland mit dem Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft vom 4. August 2006191 (nachfolgend: „SCEBG“) umgesetzt. Aufgrund der nahezu identischen Regelungen in der SCE-RL und der SE-RL hat auch der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der SCE-RL die Regelungen im SEBG weitestgehend übernommen.192 Abgesehen von den erforderlichen Anpassungen einzelner Vorschriften an die Rechtsform der SCE enthält das SCEBG nur weschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan vom 21. Mai 2003, KOM/2003/0284 endg., S. 24. 188 Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Amtsblatt Nr. L 207 vom 18. August 2003, S. 1– 24. 189 Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt Nr. L 207 vom 18. August 2003, S. 25–36. 190 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 33. 191 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteiligungsgesetz – SCEBG) vom 4. August 2006, BGBl. I S. 1911 (1917). 192 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 34.

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nige inhaltliche Abweichungen.193 Sie beziehen sich vor allem auf die Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter im Rahmen der §§ 6 Abs. 3 SCEBG, 8 Abs. 1 Satz 2 SCEBG und das d’Hondtsche Höchstzahlenverfahren im Rahmen des § 7 Abs. 4 SCEBG, wo in beiden Fällen betroffene Tochtergesellschaften und Betriebe anders als im SEBG mit einbezogen werden.194 Gleiches gilt für strukturelle Änderungen im Rahmen des § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 SCEBG, für deren Fall die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer eine Aufnahme von Verhandlungen vorsehen soll.195 Daneben enthalten die §§ 40 und 41 SCEBG Sonderregeln, die auf dem Umstand beruhen, dass an der Gründung einer SCE auch natürliche Personen beteiligt sein können und die aus diesem Grund im Rahmen des SEBG nicht erforderlich waren.196 Wie auch schon bei der SE implementierte der polnische Gesetzgeber die SCE-VO und SCE-RL gemeinsam durch das Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 2006197 (nachfolgend: „SCEG-PL“). Die Regelung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SCE finden sich in Titel III, Artt. 34 bis 101 SCEG-PL. Wie auch der deutsche Gesetzgeber hat sich der polnische Gesetzgeber im Wesentlichen an seiner Umsetzungsgesetzgebung im Zusammenhang mit der Implementierung der SE orientiert, sodass die Regelungen des SCEG-PL an sich identisch sind mit denen des SEG-PL. Ausnahmen resultieren auch hier aus den Eigenarten, die die SCE von der SE unterscheiden – so etwa dem Umstand, dass auch natürliche Personen an der Gründung einer SCE beteiligt sein können, weswegen auch das polnische Gesetz Sonderbestimmungen in Artt. 88 bis 91 SCEG-PL im Vergleich zum SEG-PL getroffen hat.198 Im gleichen Maße wie beim SEG-PL stellt sich im Rahmen des SCEG-PL die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften betreffend die Ernennung der Mitglieder der besonderen Verhandlungsgremiums (Art. 41 SCEG-PL) und des Vertretungsorgans (Art. 66 SCEG-PL), die in erster Linie durch die Betriebsgewerkschaft/en ernannt und erst im Falle ihres Fehlens oder wenn diese von ihrem Ernennungsrecht keinen Gebrauch macht (bzw. machen) durch die Belegschaft gewählt werden.199

193 Näher hierzu Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 34. 194 Ebenda. 195 Ebenda. 196 Ebenda. 197 Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 2006, Dz. U. 2006 Nr. 149 Pos. 1077. 198 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 110 f. 199 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 111.

C. Grenzüberschreitende Verschmelzungen

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C. Grenzüberschreitende Verschmelzungen I. Die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen Auch der Verabschiedung der Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen200 (nachfolgend: „Verschmelzungs-RL“) waren heftige Diskussionen um die Mitbestimmung vorangegangen.201 Der schließlich erreichte Konsens gleicht im Wesentlichen den Regelungen in der SE-RL, allerdings nur in Bezug auf die Regelungen zur Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen.202 Keine Entsprechung finden dagegen die Vorschriften über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer und das Vertretungsorgan. Mit Ausnahme der Mitbestimmung sollen die Rechte der Arbeitnehmer weiterhin dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates unterliegen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 12 VerschmelzungsRL). Im Hinblick auf die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen geht die Verschmelzungs-RL von dem Grundsatz aus, dass auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft die Regelungen desjenigen Mitgliedstaates für die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene Anwendung finden, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. Art. 16 Abs. 1 Verschmelzungs-RL). Hiervon sieht Art. 16 Abs. 2 Verschmelzungs-RL zwei Ausnahmen vor: Erstens, wenn in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigte und mitbestimmt i. S. d. Art. 2 lit. k) SE-RL war; und zweitens, wenn die Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch das maßgebliche Recht des Sitzstaates nicht in gleichem Umfang vorgesehen werden würde, wie sie in den an der Verschmelzung jeweils beteiligten Gesellschaften bestand. In diesen Fällen sollen die Mitgliedstaaten entsprechend den Vorschriften der SE-RL ein Verhandlungsverfahren mit dem Ziel einer Vereinbarung über die Mitbestimmung vorsehen, bei dessen Scheitern eine gesetzliche Auffanglösung eingreift. Art. 16 Abs. 3 Verschmelzungs-RL verweist hierfür auf die einschlägigen Vorschriften der SE-RL, insbesondere betreffend die Einsetzung und Arbeitsweise des besonderen Verhandlungsgremiums, den Inhalt der Vereinbarung (ohne die Vorschriften zum Vertretungsorgan) sowie die Geltung und den Inhalt der Auffangregelung im Fall der Verschmelzung. Ab200 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 310 vom 25. November 2005, S. 1–9. 201 Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 36 m.w. N. 202 So schon Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 36.

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weichungen zur SE-RL bestehen dabei in einigen wesentlichen Punkten: Erstens wird die maßgebliche Mitarbeiterschwelle für die Anwendung der gesetzlichen Auffangregelung von 25 % auf 331 / 3 % angehoben (vgl. Art. 16 Abs. 3 lit. e) Verschmelzungs-RL). Weiter soll es den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften möglich sein, die einschlägige gesetzliche Auffangregelung ohne jegliche vorausgehende Verhandlung unmittelbar anzuwenden (vgl. Art. 16 Abs. 4 lit. a) Verschmelzungs-RL). Ferner soll das besondere Verhandlungsgremium mit einer doppelten Zwei-Drittel-Mehrheit, die Arbeitnehmer in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten muss, beschließen können, keine Verhandlungen zu eröffnen oder bereits eröffnete Verhandlungen zu beenden und das in dem Sitzstaat geltende Mitbestimmungsrecht für anwendbar zu erklären (vgl. Art. 16 Abs. 4 lit. b) Verschmelzungs-RL) – dies auch dann, wenn das Mitbestimmungsniveau infolgedessen hinter der bisherigen Mitbestimmung in den an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zurückbleibt203. Überdies wird den Mitgliedstaaten die Ermächtigung eingeräumt, bei Geltung der gesetzlichen Auffangregelung den Arbeitnehmeranteil im Verwaltungsorgan der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden, monistisch verfassten Gesellschaft auf ein Drittel zu begrenzen (vgl. Art. 16 Abs. 4 lit. c) Verschmelzungs-RL).

II. Umsetzung der Richtlinie in Deutschland und Polen In Deutschland erfolgte die Umsetzung der Verschmelzungs-RL durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung vom 21. Dezember 2006204 (nachfolgend: „MgVG“). Der deutsche Gesetzgeber hat sich dabei im Wesentlichen an der Umsetzung der SE-RL durch das SEBG orientiert und die Vorschriften des SEBG betreffend die Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums, das Verhandlungsverfahren, den Inhalt der Vereinbarung sowie Geltungsbereich und Inhalt der gesetzlichen Auffangregelung zur Mitbestimmung übernommen, soweit nicht die sich aus der Verschmelzungs-RL ergebenden Abweichungen im Vergleich zur SE-RL eine anderweitige Regelung erforderten.205 Entsprechend sieht § 23 Abs. 1 Satz 2 MgVG vor, dass die gesetzliche Auffangregelung zur Mitbestimmung nur im Fall des von der Richtlinie vorgesehenen Quorums von mindestens einem Drittel der Gesamtzahl der Arbeitnehmer gilt, wobei wie auch im Rahmen von § 34 Abs. 1 SEBG der deutsche Gesetzgeber die Arbeitnehmer der betroffenen Tochtergesellschaften mit einbezog. Ferner gewährt das MgVG den beteiligten Gesellschaften die Möglichkeit, die gesetzliche Auffangregelung ohne vorhergehende Verhand203

Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 39. Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) vom 21. Dezember 2006, BGBl. I S. 3332. 205 Vgl. hierzu auch die Ausführungen und vergleichende Übersicht bei Oetker, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, Vor § 1 SEBG Rn. 41 ff. 204

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lungen für anwendbar zu erklären (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 3 MgVG) und das besondere Verhandlungsgremium kann mit einer doppelten Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen, keine Verhandlungen aufzunehmen oder bereits begonnene Verhandlungen abzubrechen, womit die Mitbestimmungsregelungen des Sitzstaates Anwendung finden (vgl. § 18 MgVG). Von der Ermächtigung in Art. 16 Abs. 4 lit. c) Verschmelzungs-RL, den Arbeitnehmeranteil im Verwaltungsrat auf ein Drittel zu begrenzen, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Der polnische Gesetzgeber setzte die Verschmelzungs-RL durch zwei Gesetze um. Die Vorschriften der Richtlinie betreffend die gesellschaftsrechtlichen Aspekte wurden durch Änderung des polnischen HGG durch das Änderungsgesetz vom 25. April 2008206 mit Wirkung zum 20. Juni 2008 umgesetzt. Die Beteiligung der Arbeitnehmer wurde dagegen separat in dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaften vom 25. April 2008207 (nachfolgend: „MgV-PL“) geregelt. Auch der polnische Gesetzgeber orientierte sich im Wesentlichen an der Umsetzung der SE-RL durch das SEG-PL, soweit die Verschmelzungs-RL keine Abweichungen gebot.208 Entsprechend wurden die meisten Vorschriften des SEG-PL inhalts- bzw. sogar wortlautgleich ins MgV-PL übernommen. So sieht insbesondere auch das MgV-PL vor, dass die aus Polen stammenden Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums analog der in Art. 65 SEG-PL getroffenen Regelung in erster Linie von der Betriebsgewerkschaft ernannt werden (vgl. Art. 10 Abs. 1 MgV-PL), was auch hier verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.209 Die Abweichungen des MgV-PL vom SEG-PL resultieren wie im deutschen Recht in erster Linie aus dem Fehlen entsprechender Regelungen für das Vertretungsorgan sowie aus den sich aus der Verschmelzungs-RL ergebenden Besonderheiten im Vergleich zur SE-RL. So sieht Art. 4 Abs. 1 MgV-PL vor, dass die zuständigen Organe der beteiligten Gesellschaften beschließen können, die gesetzliche Auffangregelung unmittelbar und ohne vorangegangene Verhandlungen zur Anwendung zu bringen. In diesem Fall wird kein besonderes Verhandlungsgremium einberufen (vgl. Art. 4 Abs. 2 MgV-PL). Ferner sieht Art. 28 Abs. 2 MgV-PL für die Anwendbarkeit der gesetzlichen Auffangregelung in Umsetzung von Art. 16 Abs. 3 lit. e) Verschmelzungs-RL ein notwendiges Quorum von einem Drittel der bis dahin von Mitbestimmungsformen erfassten Arbeitnehmer

206 Änderungsgesetz zum Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 524. 207 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung enstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 525. 208 Vgl. Regierungsentwurfsbegründung zum MgV-PL vom 9. November 2007, Sejm-Drucks. Nr. 72 (VI. Kadenz), S. 2. 209 Zur Regelung in Art. 65 SEG-PL und den verfassungsrechtlichen Bedenken hiergegen siehe oben Kapitel 4, B.I.2.b)dd)(1).

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

vor. Im polnischen MgV-PL fehlt allerdings eine – dem § 18 MgVG entsprechende – Regelung zur Umsetzung der Vorgabe aus Art. 16 Abs. 4 lit. b) Verschmelzungs-RL, wonach die Mitgliedstaaten dem besonderen Verhandlungsgremium gestatten sollten, mit einer doppelten Zwei-Drittel Mehrheit, die Arbeitnehmer in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten vertreten muss, beschließen zu können, dass keine Verhandlungen eröffnet oder bereits eröffnete Verhandlungen beendet werden und das in dem Sitzstaat geltende Mitbestimmungsrecht angewandt wird.210 Eine Umsetzung von Art. 16 Abs. 4 lit. b) Verschmelzungs-RL hielt der polnische Gesetzgeber für nicht erforderlich, da es in Polen kein allgemeingültiges System der Mitbestimmung gibt.211 Von der Ermächtigung in Art. 16 Abs. 4 lit. c) Verschmelzungs-RL, den Arbeitnehmeranteil im Verwaltungsrat auf ein Drittel zu begrenzen, hat der polnische Gesetzgeber ebenfalls keinen Gebrauch gemacht. Dies beruht darauf, dass er davon ausging, eine infolge der grenzüberschreitenden Verschmelzung entstandene Gesellschaft mit Sitz in Polen würde stets dualistisch verfasst werden und eine Umsetzung von Art. 16 Abs. 4 lit. c) Verschmelzungs-RL aus diesem Grund entbehrlich sein.212 So spricht das polnische MgV-PL in den Vorschriften zur gesetzlichen Auffangregelung (Artt. 38 ff. MgV-PL) – anders als das deutsche MgVG (vgl. §§ 24 ff. MgVG) – auch nur von der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Einer näheren Betrachtung bedarf es in Bezug auf Art. 28 MgV-PL, da sich die Umsetzung der Verschmelzungs-RL durch diese Vorschrift von der deutschen Parallelvorschrift § 23 MgVG unterscheidet. Dies betrifft nicht nur den Umstand, dass § 23 MgVG auch die Arbeitnehmer betroffener Tochtergesellschaften mit in die Berechnung des Quorums von 331 / 3 % mit einbezieht, während Art. 28 MgV-PL – wie auch schon Art. 85 Abs. 2 SEG-PL (und die SE-RL, vgl. Art. 7 Abs. 2 SE-RL) – nur auf die beteiligten Gesellschaften abstellt. Interessant ist vor allem, dass die in § 23 Satz 2 MgVG genannten Quorums-Voraussetzungen nur in den Fällen des § 23 Satz 1 Nr. 2 und 3 MgVG gelten, d.h. wenn innerhalb des Verhandlungszeitraums keine Einigung über eine Vereinbarung zustande gekommen ist und das besondere Verhandlungsgremium keinen Beschluss i. S. d. § 18 MgVG gefasst hat sowie wenn die Leitungen der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften die Auffangregelung ohne vorausgehende Verhandlung unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Eintragung für anwendbar erklärt haben. Nicht 210 Die Vorschrift des Art. 81 SEG-PL betreffend den Beschluss des Verhandlungsgremiums über die Nichtaufnahme oder den Abbruch von bereits begonnen Verhandlungen findet im MgV-PL keine Entsprechung. Allerdings hätte es nahegelegen, an Stelle einer mit Art. 81 SEG-PL vergleichbaren Regelung eine Vorschrift zur Umsetzung des Art. 16 Abs. 4 lit. b) Verschmelzungs-RL aufzunehmen. So hat das der deutsche Gesetzgeber mit § 18 MgVG, die anstelle der Regelung des § 16 SEBG aufgenommen wurde, getan. 211 Regierungsentwurfsbegründung zum MgV-PL vom 9. November 2007, SejmDrucks. Nr. 72 (VI. Kadenz), S. 3. 212 Ebenda.

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erforderlich ist dagegen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 23 Satz 2 MgVG in dem Fall des § 23 Satz 1 Nr. 1 MgVG, d.h. wenn die Parteien die Anwendung der Auffangregelung vereinbaren. Insoweit ist § 23 MgVG – anders als die Parallelvorschrift in § 34 SEBG – hinsichtlich der Frage, ob bei einer Vereinbarung der Anwendbarkeit der gesetzlichen Auffangregelung die Quorums-Voraussetzungen erfüllt sein müssen, eindeutig.213 Art. 28 Abs. 2 MgV-PL sieht dagegen vor, dass die Quorums-Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 MgV-PL nicht gelten im Fall des Art. 27 Pkt. 1 MgV-PL, d.h. wenn die beteiligten Gesellschaften beschließen, ohne Verhandlungen die gesetzliche Auffangregelung für anwendbar zu erklären. Damit unterscheidet sich die polnische Regelung wesentlich von der deutschen Umsetzung. Gleichzeitig lässt sich im Umkehrschluss aus Art. 28 Abs. 2 MgV-PL entnehmen, dass in dem Fall, in dem die Verhandlungsparteien die Geltung der Auffangregelung einvernehmlich vereinbaren (Art. 27 Pkt. 2 MgV-PL), die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 MgV-PL erfüllt sein müssen, ansonsten die Auffangregelung nicht anwendbar ist. Auch dies unterscheidet sich von der eindeutigen deutschen Regelung in § 23 MgVG. Dass die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 MgV-PL auch im Falle der einvernehmlichen Vereinbarung der Auffangregelung erfüllt sein müssen, mag auf den ersten Blick inkonsequent erscheinen, da schließlich die Parteien ihre Geltung „vereinbaren“. Allerdings könnte hier wie im Rahmen des Art. 85 SEG-PL vertreten werden, dass den Parteien eine Vereinbarung der gesetzlichen Auffangregelung nur bei Vorliegen der Voraussetzungen aus Art. 28 Abs. 1 MgV-PL möglich ist.214 Zwar spricht Art. 28 MgV-PL anders als Art. 85 SEG-PL nicht davon, dass die gesetzliche Auffangregelung „ausschließlich“ in den genannten Fällen Anwendung findet, allerdings kann sich eine solche Interpretation auf den Umkehrschluss aus Art. 28 Abs. 2 MgV-PL stützen lassen. Darüber hinaus hat der polnische Gesetzgeber eine im Vergleich zu Deutschland interessante Lösung in den Artt. 31 bis 37 MgV-PL getroffen. Darin regelt das Gesetz die Zusammensetzung und Aufgaben eines sog. Vertretungsgremiums. Aus Art. 33 Abs. 2 MgV-PL lässt sich entnehmen, dass das Vertretungsgremium stets dann einzuberufen ist, wenn die gesetzliche Auffangregelung zur Anwendung gelangt. Denn gemäß Art. 33 Abs. 2 MgV-PL ist die Berufung des Vertretungsgremiums innerhalb eines Monats nach Eintreten der in Art. 27 MgVPL genannten Umstände – nicht nur im Fall des Art. 27 Pkt. 1 MgV-PL – einzuleiten. Bei dem Vertretungsgremium handelt es sich zwar nicht um das Vertretungsorgan im Sinne des SEG-PL, allerdings sind die in Artt. 31 ff. MgV-PL getroffenen Regelungen stark an die Vorschriften des SEG-PL in Bezug auf das Vertretungsorgan angelehnt. So sieht Art. 31 MgV-PL vor, dass sich das Vertretungsgremium aus den Arbeitnehmern der aus der Verschmelzung hervorgegan213 214

Hierzu siehe auch oben Kapitel 4, B.I.2.c)bb). Hierzu siehe oben Kapitel 4, B.I.2.c)bb).

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

genen Gesellschaft, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe zusammensetzt. Die Mitglieder werden nach dem Recht und den Gepflogenheiten des jeweiligen Mitgliedstaates bestellt bzw. gewählt (vgl. Art. 32 Abs. 1 MgV-PL). Die Mitglieder aus Polen werden wie die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums in erster Linie von der Betriebsgewerkschaft ernannt, erst nachrangig erfolgt eine unmittelbare Wahl durch die Arbeitnehmer (vgl. Art. 33 Abs. 1 MgV-PL). Das Vertretungsgremium wird – wie das Vertretungsorgan in der SE – vom zuständigen Organ der Gesellschaft zur konstituierenden Sitzung geladen, wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung (vgl. Art. 35 MgV-PL), es beschließt mit absoluter Mehrheit, die Kosten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit trägt die Gesellschaft (vgl. Artt. 36, 37 MgV-PL). Im Hinblick auf die Funktion und Kompetenzen des Vertretungsgremiums ist das Gesetz jedoch erstaunlich knapp. Das Vertretungsgremium entscheidet – wie das Vertretungsorgan bei der SE (vgl. Teil 3 lit. b) Abs. 3 AnhangSE-RL, Art. 108 Abs. 1 und 2 SEG-PL) – über die Verteilung der Sitze im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan auf die einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. Art. 39 Abs. 1 MgV-PL). Ähnlich wie das Vertretungsorgan verteilt das Vertretungsgremium auch die Sitze auf die einzelnen Gesellschaften (vgl. Art. 39 Abs. 3 MgV-PL, Art. 108 Abs. 3 SEG-PL) und beschließt über die Art und Weise der Empfehlung oder Ablehnung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat, wenn solche Formen der Mitbestimmung in der Gesellschaft gelten sollen (vgl. Art. 40 MgV-PL, Art. 109 SEG-PL). Bestand in den beteiligten Gesellschaften mehr als eine Form der Mitbestimmung, entscheidet das Vertretungsgremium – anstelle des sonst hierfür zuständigen besonderen Verhandlungsgremiums – auch über die Form der Mitbestimmung in der aus der Verschmelzung hervorgegangen Gesellschaft, wenn das besondere Verhandlungsgremium keine Entscheidung diesbezüglich getroffen hat (vgl. Art. 30 Abs. 4 MgV-PL) sowie im Fall des Art. 27 Pkt. 1 MgV-PL, d.h. wenn die beteiligten Gesellschaften einen Beschluss über die unmittelbare Anwendung der Auffangregelung gefasst haben (vgl. Art. 30 Abs. 4 MgV-PL). Letztgenannte Regelung ist notwendig, da in dem genannten Fall gerade kein besonderes Verhandlungsgremium berufen wird (vgl. Art. 4 Abs. 2 MgV-PL), welches hierüber entscheiden könnte. Das deutsche MgVG sieht keine dem polnischen Vertretungsgremium vergleichbare Institution vor. Das Wahlgremium i. S. d. § 25 Abs. 3 MgVG, welches die auf Deutschland entfallenden Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans ermittelt, ist damit nicht vergleichbar, da dieses die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan zur Aufgabe hat. Diese Aufgabe nimmt in Polen dagegen nicht das Vertretungsgremium wahr, vielmehr werden die auf Polen entfallenden Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans215 215 Nicht verständlich ist an dieser Stelle, dass Art. 41 MgV-PL nur von den Mitgliedern im Aufsichtsrat spricht. Denn die Vorschrift dürfte auch dann gelten, wenn die Zielgesellschaft ihren Sitz nicht in Polen hat und monistisch verfasst ist, da die Wahl

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wie auch schon nach Art. 110 SEG-PL unmittelbar von den Belegschaftsversammlungen in den Betrieben gewählt (vgl. Art. 41 MgV-PL). Die hauptsächliche Aufgabe, die in Polen das Vertretungsgremium wahrnimmt, nämlich die Verteilung der Aufsichts- bzw. Verwaltungsratssitze auf die einzelnen Mitgliedstaaten, nimmt in Deutschland das besondere Verhandlungsgremium wahr (vgl. § 25 Abs. 1 MgVG). So mag sich die Frage stellen, wer hierüber zu entscheiden hat, wenn die beteiligten Gesellschaften i. S. d. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MgVG beschließen, die gesetzliche Auffangregelung ohne vorhergehende Verhandlung gelten zu lassen. Das deutsche MgVG regelt anders als Art. 4 Abs. 2 MgV-PL nicht ausdrücklich, ob ein besonderes Verhandlungsgremium auch in diesem Fall zu berufen ist. Es stellt sich dann ebenfalls die Frage, wer die Entscheidung über die einzuführende Form der Mitbestimmung trifft, wenn in den beteiligten Gesellschaften mehr als eine Form der Mitbestimmung bestanden hatte. Denn das MgVG weist die Entscheidungskompetenz auch hier ausnahmslos dem besonderen Verhandlungsgremium zu (vgl. § 23 Abs. 2 MgVG) und sieht keine dem Art. 30 Abs. 4 MgV-PL entsprechende Sonderregelung vor. Die Regelung des § 23 Abs. 2 MgVG spricht indes dafür, dass das besondere Verhandlungsgremium stets, d.h. auch im Fall eines Beschlusses der beteiligten Gesellschaften über die Geltung der gesetzlichen Auffangregelung ohne vorhergehende Verhandlung, zu bilden ist. Im Hinblick auf das MgV-PL bemerkenswert sind ferner einige Abweichungen zu den sonst nahezu identischen Regelungen des SEG-PL zur Arbeitnehmerbeteiligung. So etwa legt das MgV-PL in Art. 10 MgV-PL – anders als Art. 65 Abs. 5 SEG-PL – nicht ausdrücklich fest, dass auch Vertreter einer repräsentativen landesweiten Gewerkschaftsorganisation i. S. d. RatSozDialogG216, die nicht zugleich Arbeitnehmer einer beteiligten Gesellschaft, betroffenen Tochtergesellschaft oder eines betroffenen Betriebs sind, als Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums ernannt bzw. gewählt werden können. Das Fehlen der dem Art. 65 Abs. 5 bis 7 SEG-PL vergleichbaren Regelungen in Art.10 MgV-PL lässt die Frage aufkommen, ob die Wahl von nicht als Arbeitnehmern beschäftigten Gewerkschaftsvertretern möglich ist.217 Aufgrund der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte des MgV-PL ist dies zu verneinen. Denn zum einen verweist Art. 16 Abs. 3 Verschmelzungs-RL in vollem Umfang auf Art. 3 Abs. 2 SE-RL, mithin auch auf die Regelung in Art. 3 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 2 SE-RL, bzw. Bestellung der Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans sich grundsätzlich nach dem jeweiligen Recht des Mitgliedstaates richtet, vgl. die insoweit eindeutige deutsche Regelung des § 25 Abs. 2 MgVG. 216 Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240; zur Interpretation des Art. 65 Abs. 5 E/SE-G und der wohl zu verneinenden Frage, ob die Gewerkschaft im Betrieb vertreten sein muss, siehe oben Kapitel 4, B.I.2.b)cc). 217 Hierauf weisen auch Skibin ´ska/Z˙uk/Lankamer-Prasołek, Transgraniczne ła˛czenie sie˛ spółek, S. 179 f., hin.

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

wonach die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass dem besonderen Verhandlungsgremium Gewerkschaftsvertreter auch dann angehören können, wenn sie nicht Arbeitnehmer einer beteiligten Gesellschaft oder einer betroffenen Tochtergesellschaft oder eines betroffenen Betriebs sind. Dies bedeutet allerdings gleichzeitig, dass die Mitgliedstaaten von der Ermächtigung in Art. 3 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 2 SE-RL ausdrücklich Gebrauch machen müssen. Schweigen die nationalen Umsetzungsgesetze hierzu, ist eine Wahl bzw. Bestellung von nicht als Arbeitnehmern beschäftigten Gewerkschaftsvertretern unzulässig. Auch die Entstehungsgeschichte des MgV-PL spricht für ein derartiges Verständnis. In der Regierungsentwurfsbegründung war noch eine dem Art. 65 Abs. 5 SEG-PL entsprechende Regelung vorgesehen gewesen218 und wurde erst durch einen Beschluss des polnischen Senats vom 11. April 2008219 aus dem Gesetzesentwurf gestrichen. In der Begründung des Senats heißt es hierzu, man habe die Möglichkeit der Mitgliedschaft von nicht als Arbeitnehmern beschäftigten Gewerkschaftsvertretern ausschließen wollen.220 Aus Sicht des Senats sollten vielmehr nur Arbeitnehmer Mitglied im besonderen Verhandlungsgremium sein dürfen. Ansonsten müsse ein anderer Arbeitgeber die Kosten für die Tätigkeit dieses Mitglieds des besonderen Verhandlungsgremiums tragen. Zudem dürften die Gewerkschaftsvertreter als Experten zu den Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums hinzugezogen werden. Deutschland hat dagegen auch im Rahmen des MgVG in § 8 Abs. 2 Satz 1 MgVG von der Richtlinienermächtigung Gebrauch gemacht. In Bezug auf die Vorschriften zum Geheimhaltungsverbot und Schutz der Arbeitnehmervertreter hat das MgV-PL die Regelungen des SEG-PL bis auf wenige inhaltliche Ausnahmen nahezu wortlautgleich übernommen. Anders als in Artt. 116, 117 SEG-PL haben die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, des Vertretungsgremiums sowie die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nach Artt. 49, 50 MgV-PL einen Kündigungsschutz sowie einen Schutz vor Änderungen ihrer Arbeitsbedingungen lediglich während der Dauer ihres Mandats, nicht jedoch auch innerhalb eines Jahres nach dessen Beendigung. Des Weiteren verbieten Art. 52 Abs. 1 Pkt. 1 und 2 MgV-PL nur das „Erschweren“ der Errichtung bzw. Tätigkeit des besonderen Verhandlungsgremiums und des Ver218 Vgl. Art. 10 Abs. 5 des Regierungsentwurfs zum MgV-PL vom 9. November 2007, Sejm-Drucks. Nr. 72 (VI. Kadenz), S. 6. Dies verkennen Skibin´ska/Z˙uk/Lankamer-Prasołek, Transgraniczne ła˛czenie sie˛ spółek, S. 179 f., die sich in ihrer Argumentation für die Möglichkeit der Mitgliedschaft von unternehmensfremden Gewerkschaftsvertretern im besonderen Verhandlungsgremium auf die Gesetzesentwurfsbegründung zum ursprünglichen Gesetzesentwurf (wohl die Regierungsentwurfsbegründung zum MgV-PL vom 9. November 2007, Sejm-Drucks. Nr. 72 (VI. Kadenz), S. 5) stützen. 219 Beschluss des Senats betreffend das MgV-PL vom 11. April 2008, Sejm-Drucks. Nr. 409 (VI. Kadenz), Pkt. 3. 220 Begründung des Beschlusses des Senats betreffend das MgV-PL vom 11. April 2008, Sejm-Drucks. Nr. 409 (VI. Kadenz), S. 1.

D. Zusammenfassung

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tretungsgremiums221, während Art. 133 Abs. 1 Pkt. 1 und 2 SEG-PL das „Vereiteln oder Erschweren“ unter Strafe stellen222. Diese Abweichung dürfte allerdings keine praktische Relevanz haben, da das Vereiteln als die schwerste Form des Erschwerens auch vom Verbotstatbestand des Art. 52 MgV-PL erfasst sein dürfte. In Bezug auf das Geheimhaltungsverbot können abweichend von Art. 113 Abs. 2 SEG-PL gemäß Art. 44 Abs. 3 MgV-PL neben den Mitgliedern des besonderen Verhandlungsgremiums und des Vertretungsgremiums auch die hinzugezogenen Experten und Dolmetscher vor Gericht einen Antrag auf Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht stellen. Den nach Art. 16 Abs. 3 Verschmelzungs-RL sicherzustellenden Schutz der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer bei nachfolgenden innerstaatlichen Verschmelzungen haben Deutschland in § 30 MgVG und Polen in Art. 43 MgVPL umgesetzt. § 30 MgVG bestimmt diesbezüglich, dass die maßgeblichen Regelungen über die Mitbestimmung in der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft für die Dauer von drei Jahren ab ihrer Eintragung in der aus der innerstaatlichen Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft fortgelten, wenn das innerstaatliche Recht nicht mindestens den gleichen Umfang der Mitbestimmungsrechte gewährt. Dagegen legt Art. 43 MgV-PL der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft die Pflicht zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen auf, indem er bestimmt, dass sie für die Dauer von drei Jahren ab ihrer Eintragung verpflichtet ist, für einen Schutz der Arbeitnehmerrechte im Fall nachfolgender innerstaatlicher Verschmelzungen zu sorgen. Die polnische Regelung entspricht dabei der Regelung in Art. 16 Abs. 3 Verschmelzungs-RL, in der ebenfalls die Gesellschaft Adressatin der Schutzpflicht ist.

D. Zusammenfassung Die deutschen und polnischen Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in den supranationalen Gesellschaftsformen der SE und SCE sowie in Gesellschaften, die aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangen sind, weisen aufgrund der zwingenden Vorgaben des europäischen Rechts viele Parallelen auf. Gleichwohl sind nicht wenige Unterschiede in der Umsetzung durch die nationalen Gesetzgeber festzustellen. In regelungstechnischer Hinsicht ist die Umsetzung der SE-VO und SE-RL in Polen – ebenso wie der SCE-VO und der SCE-RL – in jeweils einem Gesetz (dem SEG-PL bzw. dem SCEG-PL) hervorzuheben, während sich der deutsche 221 Art. 52 Abs. 1 Pkt. 1 MgV-PL: „Kto [. . .] utrudnia utworzenie [. . .]“; Art. 52 Abs. 1 Pkt. 2 MgV-PL: „Kto [. . .] utrudnia działanie [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 222 Art. 133 Abs. 1 Pkt. 1 SEG-PL: „Kto [. . .] uniemozliwia lub utrudnia utworzenie ˙ [. . .]“ und Art. 133 Abs. 1 Pkt. 2 SEG-PL: „Kto [. . .] uniemoz˙liwia lub utrudnia działanie [. . .]“. Übersetzung d. Verf.

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Kap. 4: Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene

Gesetzgeber hierbei zu zwei Gesetzen (dem SEAG und SEBG sowie dem SCEAG und SCEBG) entschloss. Kritisch und als wenig geglückt wird in der polnischen Literatur die Verbindung der Regelungen zur SE mit denen zur Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung in einem Gesetz gesehen. Die offensichtlichsten inhaltlichen Unterschiede bestehen in den Regelungen zur Ernennung bzw. Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums sowie – im Fall der SE und SCE – auch des Vertretungsorgans. In besonderem Maße spiegeln die Regelungen die jeweilige Rolle der Gewerkschaften in beiden Ländern wider. Dabei wirft das in Polen vorgesehene primäre Ernennungsrecht der Betriebsgewerkschaft bzw. Betriebsgewerkschaften und die lediglich nachrangige unmittelbare Wahl durch die Belegschaft nicht von der Hand zu weisende verfassungsrechtliche Bedenken auf. Deutliche Unterschiede zwischen der deutschen und polnischen Umsetzung der europäischen Vorgaben bestehen auch im Hinblick auf die Regelungen zur Wahl der jeweiligen auf Deutschland bzw. Polen entfallenden arbeitnehmerseitigen Mitglieder des Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgans. Während sich der deutsche Gesetzgeber an die Regelungen zum besonderen Verhandlungsgremium angelehnt hatte und die Mitglieder daher in ähnlicher Weise von einem Wahlgremium gewählt werden, entschloss sich der polnische Gesetzgeber diesbezüglich für eine unmittelbare Wahl durch die Belegschaft, nicht aber ein Ernennungsrecht der Betriebsgewerkschaften wie im Fall des besonderen Verhandlungsgremiums und Vertretungsorgans. Dabei orientierte sich der Gesetzgeber anscheinend an den bereits vorhandenen Lösungen im KommerzG. Anders als im deutschen Recht ist keine zwingende Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsorgan vorgesehen. Im Allgemeinen ist die praktische Bedeutung der SE und der Regelungen des SEG-PL in Polen – anders als in Deutschland, wo die SE eine große Rolle spielt – nur sehr begrenzt. Polnische Rechtswissenschaftler ebenso wie die Unternehmenspraxis stehen der in der SE vorgesehenen Arbeitnehmerbeteiligung kritisch gegenüber und empfinden diese als einen spürbaren Nachteil der Rechtsform der SE, der für die geringe Popularität der SE mitverantwortlich sei.

Kapitel 5

Unternehmensmitbestimmung im System der kollektiven Arbeitsbeziehungen Richtigerweise lässt sich die Bedeutung der Arbeitnehmerbeteiligung und der tatsächliche Einfluss der Arbeitnehmerschaft auf Entscheidungen im Unternehmen in den jeweiligen Ländern nicht allein aufgrund einer formalen Untersuchung einzelner Beteiligungsrechte, sondern nur anhand „einer Gesamtbetrachtung aller ineinandergreifenden Elemente der jeweiligen Arbeitsrechtsordnung“ beurteilen.1 Sowohl für Deutschland als auch für Polen gilt, dass die Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane lediglich eine von mehreren Formen der Arbeitnehmerpartizipation darstellt, zu denen sie in wechselseitiger Beziehung steht und von denen sie mitunter maßgeblich beeinflusst wird. Das System der Arbeitnehmerbeteiligung wird über die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen hinaus maßgeblich durch die gewerkschaftliche und die betriebliche Interessenvertretung geprägt. In Polen spielen daneben weitere Instrumente der Arbeitnehmerbeteiligung im weiteren Sinne, etwa die sog. „kapitalbasierte Arbeitnehmerpartizipation“, eine Rolle. Zwar unterscheiden sich Ziel und Rechtfertigung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene2 von den mit der gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertretung verfolgten Zwecken. Anders als das klassische kollektive Arbeitsrecht dient die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene gerade nicht dem Schutz von Arbeitnehmerinteressen und soll nicht schon bestehende Schutzmechanismen duplizieren, vielmehr soll die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene dazu beitragen, dass die Arbeitnehmer mit dem Unternehmensinhaber kooperativ zusammenarbeiten, wobei sie die Arbeitnehmerinteressen nur mittelbar und mit langfristiger Sichtweise im Rahmen ihrer Bemühungen um das Wohl des Unternehmens repräsentieren.3 Gleichwohl lassen sich Überschneidungen zwischen den verschiedenen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung nicht abstreiten. Die in Deutschland teilweise stark kritisierten Überlagerungen und Verflechtungen zwischen der Unternehmensmitbestimmung und der gewerkschaftlichen sowie betrieblichen Interessenvertretung geben immer wieder Anlass zu Diskussionen und Reformforderungen. 1

Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177). Ausführlich zu den Zielen und der Rechtfertigung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen siehe oben Kapitel 3, A.II. 3 Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (15). 2

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung I. Funktion, Rolle und Bedeutung der Gewerkschaften Die vorrangige Aufgabe der deutschen Gewerkschaften besteht in der kollektiven Vertretung der Arbeitnehmerinteressen, was insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen und die Wahrnehmung des Streikrechts erfolgt. Gleichwohl haben die Gewerkschaften schon immer auch eine nicht unerhebliche politische Rolle gespielt. In der Geschichte wandelte sich ihre Rolle abhängig von den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.4 Stand ursprünglich die Schutzfunktion der Gewerkschaften für die abhängig Beschäftigten, die sich durch ihre Bemühungen um die Steigerung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und die Gewährung von Hilfs- und Unterstützungsleistungen auszeichnete, im Vordergrund, so wurde nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend die Markt- bzw. Repräsentationsfunktion im Sinne einer Vertretung der Arbeiterschaft gegenüber den Arbeitgebern bei der kollektiven Verhandlung von Lohn- und Arbeitsbedingungen immer wichtiger.5 In den 1960er Jahren erfreuten sich die Gewerkschaften einer zunehmenden Bedeutung und nahmen „als wichtige Akteure deutscher Wirtschafts- und Sozialpolitik“ in maßgeblicher Hinsicht Einfluss auf gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entwicklungen.6 Auch heutzutage sind die Gewerkschaften maßgeblich auf politischer Ebene aktiv und nehmen so großen Einfluss auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die in den Gewerkschaftsprogrammen und sonstigem Rahmen verfassten gewerkschaftlichen Forderungen richten sich nicht nur an die Unternehmen als Arbeitgeber (wie etwa die klassische Forderung nach Tariferhöhungen), sondern enthalten in wesentlichem Umfang auch politische und gesellschaftliche Forderungen und Leitbilder.7 Auch in Polen nehmen die Gewerkschaften in erster Linie eine Schutzfunktion, Kontrollfunktion und Repräsentationsfunktion wahr8, daneben werden vereinzelt auch andere Funktionen genannt, wie etwa die Ernennung oder Auswahl von Mitgliedern bestimmter repräsentativer Gremien9. Gleichwohl kam auch in Polen 4

Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 38. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 37 f. 6 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 38. 7 Vgl. etwa das Grundsatzprogramm des DGB, beschlossen auf dem 5. Außerordentlichen Bundeskongress am 13. bis 16. November 1996 in Dresden. 8 Näher hierzu Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 28 GewG Rn. 2. Mitunter wird die Schutzfunktion als die wichtigste Funktion der Gewerkschaften genannt, vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 29. Nach Gilejko stellt die Partizipation ein Mittel zur Verwirklichung der Schutzfunktion dar. 9 Stelina, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 148 ff., 150. 5

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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den Gewerkschaften seit jeher eine bedeutsame politische Rolle zu. Während des realen Sozialismus stellten die legalen Gewerkschaften einen „Transmissionsriemen“ 10 zwischen der Arbeiterpartei und der Bevölkerung dar.11 Die im Untergrund agierenden Gewerkschaften, allen voran die NSZZ „Solidarnos´c´ “, trugen hingegen schließlich maßgeblich zum Umbruch im Jahre 1989 bei. Nach 1989 nahm die NSZZ „Solidarnos´c´ “ eine aktive Rolle auf politischer Ebene ein und unterstützte die Regierung und allen voran Balcerowicz, indem sie ihren „Schutzschirm“ über dessen liberale und großflächige Privatisierungspolitik ausbreitete.12 Aus Sicht mancher Autoren hat allerdings mitunter dieses politische Engagement der Gewerkschaften dazu beigetragen, dass der Organisationsgrad allmählich abfiel.13 Denn die Transformationsprozesse brachten auch wachsende, weit unterschätzte soziale Probleme wie Massenarbeitslosigkeit hervor, durch die übernommene Mitverantwortung für die wirtschaftlichen Reformen wurde es für die NSZZ „Solidarnos´c´ “ jedoch immer schwieriger, die Arbeitnehmerinteressen gegenüber den sich nach und nach organisierenden Arbeitgebern zu vertreten.14 Ein anderer Grund sei darin zu sehen, dass viele Spitzenfunktionäre in die Politik übergingen, um dort hohe Parteipositionen zu bekleiden.15 Vor dem Hintergrund der sich im Mitgliederrückgang geäußerten, negativen Konsequenzen der politischen Aktivität der Gewerkschaften ist heutzutage eine Rückbesinnung der polnischen Gewerkschaften auf ihre Schutz-, Kontroll- und Repräsentationsfunktion und ein Rückzug von der politischen Bühne zu beobachten.16 So sind die Gewerkschaften verstärkt darum bemüht, sich für die Rechte und Interessen der Arbeitnehmerschaft einzusetzen, die Beachtung von Arbeitnehmerschutzrechten zu überwachen und Verstöße zu rügen sowie tarifvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen.17 1. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Kompetenzen der Gewerkschaften Sowohl in Deutschland als auch in Polen wird die Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert (vgl. Art. 9 Abs. 3 GG, Artt. 12, 59 Polnische Verfas10 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 11 Näher hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 30 ff.; ders., Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 8 ff. sowie oben Kapitel 2, A.II. 12 Ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.a). 13 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 40. 14 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 43 f. 15 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 40. 16 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 45. 17 Ebenda.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

sung).18 Einfachgesetzlich finden sich die Zuständigkeiten und Befugnisse der Gewerkschaften in Deutschland in diversen Gesetzen, allen voran dem Tarifvertragsgesetz19 (nachfolgend: „TVG“), daneben aber etwa auch im Betriebsverfassungsgesetz20 (nachfolgend: „BetrVG“), im Arbeitsgerichtsgesetz21 (nachfolgend: „ArbGG“) und nicht zuletzt in den Mitbestimmungsgesetzen. Ein Gesetz, welches die Gründung und Organisation der Gewerkschaften regeln würde – sozusagen ein „Gewerkschaftsgesetz“ – gibt es dagegen nicht. In Polen wird die Rechtsstellung der Gewerkschaften hingegen maßgeblich durch das Gewerkschaftsgesetz vom 23. Mai 199122 (nachfolgend: „GewG“) geregelt. Das Gesetz regelt im Einzelnen die Gründung, die Rechte der Gewerkschaften und die Funktion der Betriebsgewerkschaft, es enthält ferner individuelle Rechte und Schutzvorschriften zugunsten von Gewerkschaftsmitgliedern. Daneben sind zahlreiche Kompetenzen der Gewerkschaften im Arbeitsgesetzbuch verstreut. Zudem spielen auch das Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten23 (nachfolgend: „KollStrG“), welches das Arbeitskampfrecht in Polen regelt, und Abschnitt XI im Arbeitsgesetzbuch über Tarifverträge für die Bedeutung der Gewerkschaften eine wesentliche Rolle.24 Die Stellung der Arbeitgeberverbände wird durch das Arbeitgeberverbandsgesetz vom 23. Mai 199125 geregelt. a) Gewerkschaftsbegriff und -merkmale Das deutsche Recht definiert die Gewerkschaft als solche nicht, sondern setzt den Begriff an zahlreichen Stellen voraus. In Kürze werden Gewerkschaften als „Zusammenschlüsse von [Arbeitnehmern] und Beamten zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder“ bezeichnet.26 Eine Vereinigung von Arbeitnehmern (bzw. Beamten) muss jedoch bestimmte

18 Zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerbeteiligung siehe ausführlich oben Kapitel 2, C.I. 19 Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969, BGBl. I S. 1323 m. sp. Änd. 20 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001, BGBl. I S. 2518 m. sp. Änd. 21 Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979, BGBl. I S. 853, 1036 m. sp. Änd. 22 Gewerkschaftsgesetz vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 234 m. sp. Änd. 23 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236 m. sp. Änd.; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 24 Ausführlich zu den kollektivarbeitsrechtlichen Grundlagen des polnischen Rechts siehe oben Kapitel 2, C.III.2. 25 Arbeitgeberverbandsgesetz vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 235 m. sp. Änd. 26 Koch, in: Schaub/Koch, ArbR von A–Z, Gewerkschaften.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Merkmale erfüllen, um als Gewerkschaft anerkannt zu werden.27 Hierzu zählen die Freiwilligkeit der Vereinigung, ihre demokratische und überbetriebliche Organisation in der Rechtsform des Vereins, ihre Gegnerunabhängigkeit und -freiheit, soziale Mächtigkeit, Unabhängigkeit vom Staat, Parteien und der Kirche sowie Tarifwilligkeit und die Zielsetzung, sich durch „spezifisch koalitionsgemäße Betätigung“ 28 für die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder einzusetzen und diese zu fördern.29 Ferner muss das geltende Tarifrecht von der Vereinigung als verbindlich anerkannt werden.30 Im polnischen Arbeitsrecht werden die Gewerkschaften in Art. 1 Abs. 1 GewG definiert als „freiwillige und selbstverwaltende Organisation der arbeitenden Menschen, die zur Vertretung und Verteidigung ihrer Rechte sowie ihrer beruflichen und sozialen Interessen berufen ist“.31 Nach der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Rechtslage stand das Recht zur Gründung von sowie zum Beitritt zu Gewerkschaften gemäß Art. 2 GewG a. F. neben Arbeitnehmern (unabhängig von der Rechtsgrundlage ihres Beschäftigungsverhältnisses) auch Mitgliedern landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, Personen, die auf Grundlage eines Agenturvertrages Arbeit verrichten, und Rentnern zu. Auch Arbeitslose konnten Gewerkschaftsmitglied sein (vgl. Art. 2 Abs. 4 GewG a. F.). Das Gewerkschaftsverständnis war insoweit auch schon vor dem 1. Januar 2019 deutlich weiter als nach deutschem Recht.32 Auf Grundlage des Änderungsgesetzes vom 5. Juli 201833 trat zum 1. Januar 2019 eine wesentliche Änderung in Bezug auf den Kreis der zur Gründung und zum Beitritt zu einer Gewerkschaft berechtigten Personen in Kraft, durch welche nach 27 Vgl. BAG, Beschluss vom 14. Dezember 2004, Az.: 1 ABR 51/03, NZA 2005, S. 697 (699 ff.) m.w. N.; Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb ArbR, § 71 Rn. 16; Richardi/Maschmann, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 2 BetrVG Rn. 41 ff. 28 BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970, Az.: 2 BvR 664/65, NJW 1970, S. 1635 (1635). 29 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970, Az.: 2 BvR 664/65, NJW 1970, S. 1635 (1635); BAG, Beschluss vom 14. Dezember 2004, Az.: 1 ABR 51/03, NZA 2005, S. 697 (699 ff.) m.w. N.; näher Besgen, in: BeckOK ArbR, § 2 BetrVG Rn. 19 m.w. N.; Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb ArbR, § 69 Rn. 9 ff. m.w. N.; Richardi/Maschmann, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 2 BetrVG Rn. 41 ff. m.w. N. 30 St. Rspr., vgl. etwa BAG, Beschluss vom 10. September 1985, Az.: 1 ABR 32/83, NJW 1986, S. 1708 (1708); BAG, Beschluss vom 25. November 1986, Az.: 1 ABR 22/ 85, NZA 1987, S. 492 (493); Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb ArbR, § 69 Rn. 12. 31 Art. 1 Abs. 1 GewG: „Zwia˛zek zawodowy jest dobrowolna˛ i samorza˛dna˛ organizacja˛ ludzi pracy, powołana˛ do reprezentowania i obrony ich praw, interesów zawodowych i socjalnych.“ Übersetzung d. Verf. 32 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 56. 33 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

dem erklärten Ziel des Gesetzgebers der „personelle Geltungsbereich des Koalitionsrechts“ ausgeweitet werden sollte.34 Gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 11 GewG n. F. sind nunmehr über die Arbeitnehmer (und die übrigen in Art. 2 Abs. 3 bis 6 genannten Personengruppen) hinaus auch „Personen, die aufgrund eines sonstigen Rechtsverhältnisses entgeltlich Arbeit verrichten“, berechtigt, eine Gewerkschaft zu gründen bzw. einer Gewerkschaft beizutreten.35 Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass diese Personen keine eigenen Arbeitnehmer oder sonstigen Personen beschäftigen und ihre Interessen von Gewerkschaften vertreten und verteidigt werden können. Das GewG fasst die Arbeitnehmer und diese „Personen, die aufgrund eines sonstigen Rechtsverhältnisses entgeltlich Arbeit verrichten“ in Art. 11 Pkt. 1 GewG n. F. unter dem Begriff der „erwerbstätigen Personen“ (oder auch: „Erwerbstätigen“) zusammen.36 Gleichzeitig wird für die Zwecke des GewG unter einem „Arbeitgeber“ über die in Art. 3 ArbGB verankerte Definition hinaus auch diejenige Organisation oder natürliche Personen verstanden, welche eine sonstige erwerbstätige Person bei sich tätig werden lässt (vgl. Art. 11 Pkt. 2 GewG n. F.).37 Durch diese Änderung sollte zudem dem von der OPZZ erstrittenen Urteil des Polnischen Verfassungsgerichts vom 2. Juni 201538 Rechnung getragen werden, in welchem dieses u. a. einen Verstoß des bisherigen Art. 2 Abs. 1 GewG a. F. gegen Art. 12 und Art. 59 Abs. 1 der Polnischen Verfassung aufgrund des Ausschlusses der vom bisherigen Geltungsbereich nicht erfassten erwerbstätigen Personen vom Koalitionsrecht angenommen hatte. 34 So ausdrücklich die Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 1: „Podstawowym celem projektowanych zmian [. . .] jest rozszerzenie zakresu podmiotowego prawa do tworzenia i wstepowania do zwiazków zawodowych.“ 35 Art. 2 Abs. 1 GewG n. F. „Prawo tworzenia i wste˛powania do zwia˛zków zawodowych przysługuje osobom wykonuja˛cym prace˛ zarobkowa˛.“ Art. 11 GewG n. F.: „Ilekroc´ w ustawie jest mowa o: 1) osobie wykonuja˛cej prace˛ zarobkowa˛ – nalez˙y przez to rozumiec´ pracownika lub osobe˛ s´wiadcza˛ca˛ prace˛ za wynagrodzeniem na innej podstawie niz˙ stosunek pracy, jez˙eli nie zatrudnia do tego rodzaju pracy innych osób, niezalez˙nie od podstawy zatrudnienia, oraz ma takie prawa i interesy zwia˛zane z wykonywaniem pracy, które moga˛ byc´ reprezentowane i bronione przez zwia˛zek zawodowy“. Übersetzung d. Verf. 36 Art. 11 Pkt. 1 GewG: „[. . .] osobie wykonuja˛cej prace˛ zarobkowa˛“, Übersetzung d. Verf. Im Folgenden werden die Begriffe der „erwerbstätigen Personen“ und „Erwerbstätigen“ gleichermaßen zur Bezeichnung der von Art. 11 GewG n. F. gemeinten Personen („osobie wykonuja˛cej prace˛ zarobkowa˛“) verwendet. 37 Art. 11 Pkt. 2 GewG n. F.: „pracodawcy – nalezy przez to rozumiec ´ pracodawce˛ w ˙ rozumieniu art. 3 ustawy z dnia 26 czerwca 1974 r. – Kodeks pracy (Dz. U. z 2018 r. poz. 917, z póz´n. zm.1)) oraz jednostke˛ organizacyjna˛, choc´by nie posiadała osobowos´ci prawnej, a takz˙e osobe˛ fizyczna˛, jez˙eli zatrudniaja˛ one inna˛ niz˙ pracownik osobe˛ wykonuja˛ca˛ prace˛ zarobkowa˛, niezalez˙nie od podstawy tego zatrudnienia“, Übersetzung d. Verf.). 38 Polnisches Verfassungsgericht, Urteil vom 2. Juni 2015, Az.: K 1/13, Dz. U. 2015 Pos. 791.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Als Folge dieser Gesetzesänderung wird damit nunmehr – entsprechend dem erklärten Ziel des Gesetzgebers39 – ausdrücklich auch Personen, die auf Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrages oder eines ähnlichen zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses tätig werden sowie Einzelunternehmern das Koalitionsrecht gewährt. Der Gesetzgeber wollte hierdurch allen Erwerbstätigen in umfassender Weise das Koalitionsrecht zugestehen.40 Zugleich waren durch die Gesetzesneuerung Änderungen an zahlreichen anderen Stellen im GewG erforderlich geworden. b) Gründung, Organisationsstruktur und Repräsentativität aa) Gründung und Binnenorganisation In Deutschland sind die Gewerkschaften oft als nicht rechtsfähige Vereine i. S. d. § 54 BGB organisiert, was auf die früher bestehenden – eine gewisse Aufsicht über die Vereinigung bezweckenden – Vorgaben für rechtsfähige Vereine (z. B. die Anmeldung der Mitglieder zum Vereinsregister)41 sowie ein gewachsenes „Traditionsbewußtsein“ 42 zurückzuführen ist. Auf den nicht rechtsfähigen Verein finden die Vorschriften über die Gesellschaft (§§ 705 bis 740 BGB) Anwendung (vgl. § 54 Satz 1 BGB), eine Eintragung in ein Register ist anders als beim eingetragenen Verein (vgl. §§ 21, 55 ff. BGB) nicht erforderlich. Gleichwohl sind auch die als nicht rechtsfähiger Verein organisierten Gewerkschaften nach heutiger Rechtsprechung partei- und rechtsfähig.43 Aus Art. 9 Abs. 3 GG wird die Freiheit der Gewerkschaften abgeleitet, ihre Binnenstruktur eigenständig durch Satzung zu regeln44, womit sowohl die Gründung als auch die Organisation weitgehend der Autonomie der Gewerkschaften überlassen ist. Die Binnenorganisation der Gewerkschaften muss jedoch demokratischen Grundsätzen folgen.45 Dies erfordert, dass die Gewerkschaftsleitung auf einer mitgliedschaftlichen Legitimation fußt, alle Mitglieder gleich behandelt werden und eine demokratische Willensbildung erfolgt.46 Anders als das deutsche Recht enthält das polnische GewG Vorgaben in Bezug auf die Gründung und Organisation von Gewerkschaften. Eine Gewerkschaft 39 Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 1. 40 Ebenda. 41 Koch, in: Schaub/Koch, ArbR von A–Z, Gewerkschaften. 42 Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 2 TVG Rn. 4. 43 Vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2007, Az.: II ZR 111/05, NJW 2008, S. 69 (74); Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 2 TVG Rn. 4, 10. 44 Greiner, Das Tarifeinheitsgesetz – ein „Brandbeschleuniger“ für Tarifauseinandersetzungen? RdA 2015, S. 36 (38) m.w. N. 45 Richardi/Maschmann, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 2 BetrVG Rn. 59 m.w. N.; vgl. hierzu auch Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 223 Rn. 31. 46 Ebenda.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

kann von mindestens zehn dazu berechtigten Personen gegründet werden (vgl. Art. 12 Abs. 1 GewG) und muss im landesweiten Gerichtsregister („Krajowy Rejestr Sa˛dowy“) eingetragen werden (vgl. Art. 14 Abs. 1 GewG). Erst mit der obligatorischen Eintragung erlangt die Gewerkschaft Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 15 Abs. 1 GewG), was einen wesentlichen Unterschied zu den in Deutschland als nicht rechtsfähiger Verein organisierten Gewerkschaften ausmacht, bei denen es gerade keiner Eintragung bedarf. Die Gewerkschaft muss grundsätzlich stets mindestens zehn Mitglieder haben, da sie sonst wieder von Amts wegen aus dem Register gelöscht werden kann (vgl. Art. 17 Abs. 1 Pkt. 3 GewG). Die Organisationsverfassung einer Gewerkschaft darf gemäß Art. 9 GewG frei durch die Satzung oder Beschlüsse der Gewerkschaft bestimmt werden, ebenso die Grundsätze für eine Mitgliedschaft und die Ausübung von Funktionärsämtern (vgl. Art. 10 GewG). Ferner regelt die Satzung unter anderem den räumlichen und gegenständlichen Wirkungsbereich der Gewerkschaft, ihre Ziele und Aufgaben, die Rechte und Pflichten der Mitglieder sowie verschiedene Fragen der Organisationsverfassung, Vertretung und Finanzierung (vgl. Art. 13 GewG). bb) Aufbau des Gewerkschaftssystems Ein wesentlicher Unterschied zwischen den deutschen und polnischen Gewerkschaften besteht im Hinblick auf den Aufbau des Gewerkschaftssystems und damit zusammenhängend ihrer Rolle in den Betrieben. Die deutschen Gewerkschaften sind nach dem sog. Industrieverbandsprinzip und überbetrieblich organisiert.47 Aufgrund des dualistischen Systems der Arbeitnehmervertretung durch Gewerkschaften und Betriebsräte fungieren die Gewerkschaften in erster Linie als Tarifvertragspartei, dagegen sind innerhalb der Betriebe die Betriebsräte für die Interessenvertretung der Arbeitnehmer zuständig.48 Aus Sicht polnischer Autoren liegt mutmaßlich darin der Grund, dass den Gewerkschaften in Deutschland keine partizipative Funktion beigemessen wird.49 Im Gegensatz hierzu stellt in Polen der Betrieb die „organisatorische Hauptebene“ in Bezug auf den Aufbau und die Tätigkeit der Gewerkschaften dar.50 Dies ist historisch bedingt. Mit dem Gewerkschaftsgesetz von 1982 versuchte die damals sozialistische Regierung nach der Delegalisierung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ eine neue branchenbezogene Gewerkschaftsstruktur aufzubauen, die auf Betriebsebene ansetzte und auf der branchenspezifischen betrieblichen Gewerk47 Koch, in: Schaub/Koch, ArbR von A–Z, Gewerkschaften; näher hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 470 ff. 48 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 471 ff. 49 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 50 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 473; vgl. Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 26 GewG Rn. 1.

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schaftsorganisation als der organisatorischen Basiseinheit jeder Gewerkschaft fußte, wobei in jedem Betrieb nur eine Gewerkschaft vertreten sein sollte.51 Infolge der Vereinbarungen des Runden Tisches behielt die Betriebsgewerkschaft sodann ihre Monopolstellung als Arbeitnehmervertretung innerhalb der Betriebe.52 Entsprechend geben auch das GewG und Abschnitt XI des ArbGB diese Organisationsstruktur und vorherrschende Rolle der Gewerkschaften in den Betrieben wieder (vgl. Artt. 26 ff. GewG, Artt. 24122 ff. ArbGB). Der starke Zusammenhang mit dem Betrieb ließ sich bis vor Kurzem auch aus Art. 17 Abs. 1 Pkt. 2 GewG in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung interpretieren, wonach eine Gewerkschaft vom Gericht von Amts wegen oder auf Antrag der Gewerkschaft aufgelöst wurde, wenn der Betrieb, in dem sie bisher tätig war, liquidiert oder insolvent wurde und dies eine Fortsetzung der Gewerkschaftstätigkeit unmöglich machte (Art. 17 Abs. 1 Pkt. 2 GewG a. F.). Mit Änderungsgesetz vom 5. Juli 2018 wurde der Begriff des „Betriebs“ in Art. 17 Abs. 1 Pkt. 2 GewG durch den Begriff des „Arbeitgebers“ ersetzt, da nach Sinn und Zweck der Vorschrift der Wegfall des Arbeitgebers und nicht des Betriebs für den Fortbestand einer Gewerkschaft maßgeblich sein soll53. Auch an einigen anderen Stellen im GewG löste der Begriff des „Arbeitgebers“ den Begriff des „Betriebs“ ab, eine grundlegende Änderung des Aufbaus des Gewerkschaftssystems war damit aber weder bezweckt noch die Folge. Vielmehr hielten die Gesetzesentwurfsverfasser die sprachliche Änderung als Konsequenz der Erweiterung des personellen Geltungsbereichs des Koalitionsrechts für geboten.54 Das GewG weist der Betriebsgewerkschaft zwar besondere Kompetenzen zu (vgl. Artt. 26 ff. GewG), definiert den Begriff jedoch nicht. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich bei der Betriebsgewerkschaft entweder um die unterste organisatorische Einheit einer z. B. landesweiten, branchenspezifischen oder territorialen Gewerkschaft, oder auch um eine eigenständige Gewerkschaft, wenn diese lediglich Arbeitnehmer (nunmehr wohl: Erwerbstätige) eines Betriebs vereinigt.55 Eine Betriebsgewerkschaft wird entweder durch Satzung oder durch einen Beschluss der Gewerkschaft gegründet.56 Eine Mindestzahl von Mitgliedern in der Betriebsgewerkschaft sieht das Gesetz – anders als für eine Gewerkschaft

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Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 473. Ebenda. 53 So die Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 21 f. 54 Vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 21, 39, 52. 55 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 26 GewG Rn. 1; Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (31); Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 26 Rn. 1. 56 Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 26 Rn. 1. 52

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(vgl. Art. 12 Abs. 1 GewG) – zwar nicht vor.57 Demnach könnte angenommen werden, dass nur in dem Fall, dass die Betriebsgewerkschaft eine eigenständige, die Arbeitnehmer lediglich eines Betriebs vereinigende Gewerkschaft darstellt, die erforderliche Anzahl von zehn Mitgliedern in dem jeweiligen Betrieb vorhanden sein müsse – nicht jedoch, wenn die Betriebsgewerkschaft lediglich eine organisatorische Einheit einer auf branchen- oder territorialer Ebene organisierten Gewerkschaft darstellt. Allerdings schreibt das GewG in dem im Jahre 2002 neu eingefügten58 Art. 251 GewG vor, dass einer Organisationseinheit nur dann die Kompetenzen einer Betriebsgewerkschaft zustehen, wenn sie mindestens zehn Arbeitnehmer eines von der Tätigkeit dieser Organisationseinheit erfassten Arbeitgebers oder – seit dem 1. Januar 201959 – zehn Personen, die aufgrund eines sonstigen Rechtsverhältnisses seit mindestens sechs Monaten entgeltlich Arbeit für diesen Arbeitgeber verrichten (vgl. Art. 251 Abs. 1 Pkt. 2 GewG n. F. i.V. m. Art. 11 Pkt. 1 GewG n. F.), vereinigt. Bemerkenswert ist hierbei, dass das Gesetz sich hier auf den Arbeitgeber und nicht – wie etwa an anderen Stellen des Gesetzes in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung (bspw. Art. 31 GewG a. F.) und wie es der Begriff „Betriebsgewerkschaft“ vermuten lassen könnte – auf den Betrieb bezieht, obgleich auch im polnischen juristischen Sprachgebrauch die Begriffe des Arbeitgebers und Betriebs nicht identisch sind.60 Hat ein 57 So zutreffend Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 26 Rn. 2. 58 Vgl. Art. 3 Pkt. 1 Änderungsgesetz des ArbGB und anderer Gesetze vom 26. Juli 2002, Dz. U. 2002 Nr. 135 Pos. 1146. 59 Vgl. Artt. 1, 23 des Gesetzes über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608. 60 Vgl. Korus, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1; Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 6; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1. Art. 3 ArbGB definiert den Arbeitgeber als „eine Organisationseinheit, auch wenn sie keine Rechtspersönlichkeit besitzt, oder eine natürliche Person, sofern sie Arbeitnehmer beschäftigen“ („Pracodawca˛ jest jednostka organizacyjna, choc´by nie posiadała osobowos´ci prawnej, a takz˙e osoba fizyczna, jez˙eli zatrudniaja˛ one pracowników“, Übersetzung d. Verf.). Nach der in Art. 3 ArbGB angenommenen Konzeption ist Arbeitgeber jede Organisationseinheit oder natürliche Person, die im eigenen Namen Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern begründen, modifizieren und beenden kann sowie eigenständig die Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis erfüllen und die Organisation der Arbeitsprozesse vornehmen kann, hierzu Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1 f. m.w. N. (Allerdings war im ArbGB urspr. Fassung der Begriff des „Betriebs“ anstelle des „Arbeitgebers“ verwendet worden, weswegen auch ältere Urteile bzw. Beschlüsse des Obersten Gerichts die ausgeführte Definition in Bezug auf den „Betrieb“ entwickelten, vgl. etwa Oberstes Gericht, Beschluss vom 16. November 1977, Az.: I PZP 47/77, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020). Durch diese Konzeption ist es möglich, dass einzelne Organisationseinheiten einer juristischen Person als Arbeitgeber gelten, was auch in Art. 24128 ArbGB zum Ausdruck kommt. Gleichwohl wird in der polnischen Literatur angenommen, dass im Falle juristischer Personen die Satzung den jeweiligen Organisationseinheiten die Fähigkeit zur eigenständigen Einstellung von Arbeitnehmern zuweisen müsse, vgl. Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1. Der polnische Betriebsbegriff meint dagegen die Tätigkeitsstätte, in der materielle und immaterielle, personelle und organisatorische Betriebs-

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Arbeitgeber nur einen Betrieb, so ist dies unschädlich. Problematisch erscheint jedoch der Fall, dass ein Arbeitgeber Arbeitnehmer oder sonstige erwerbstätige Personen in mehreren Betrieben beschäftigt. In der polnischen Literatur wird davon ausgegangen, dass in jedem Betrieb des Arbeitgebers eine Betriebsgewerkschaft im Sinne einer eigenen betrieblichen Organisationseinheit derselben Gewerkschaft tätig sein darf.61 Andersrum scheint es aufgrund des Wortlauts des Art. 251 GewG jedoch ebenso möglich, dass eine organisatorische Basiseinheit einer z. B. landesweiten Gewerkschaft auch dann eine Betriebsgewerkschaft i. S. d. Art. 26 GewG darstellt, wenn sie betriebsübergreifend zehn Arbeitnehmer eines Arbeitgebers vereinigt.62 Gleichermaßen dürfte als Betriebsgewerkschaft auch eine eigenständige lokale – d.h. nicht an einen größeren Verbund angeschlossene – Gewerkschaft anzusehen sein, die nicht nur Arbeitnehmer eines einzelnen Betriebs, sondern betriebsübergreifend mindestens zehn bei demselben Arbeitgeber beschäftigte Arbeitnehmer vereinigt.63 Vereinfacht lässt sich mithin sagen, dass eine betriebliche Gewerkschaftsorganisation – sei es als unterste Organisationseinheit einer z. B. landesweiten Gewerkschaft oder als eigenständige lokale Gewerkschaft – stets zehn bei demselben Arbeitgeber (nicht: Betrieb) beschäftigte Arbeitnehmer auf sich vereinigen muss, um als Betriebsgewerkschaft i. S. d. Art. 26 GewG zu gelten.64 Diese Problematik, die vor allem auch aufgrund der unterschiedlich verwendeten Begriffe des Arbeitgebers und Betriebs im GewG a. F. aufkam, dürfte nunmehr aufgrund des Änderungsgesetzes vom 5. Juli 2018 deutlich abgemildert worden sein, da nunmehr das GewG einheitlich den Begriff des „Arbeitgebers“ und nicht mehr des „Betriebs“ verwendet. Gleichzeitig scheint damit die vorgenannte Auslegung bestätigt. Gleichwohl ist es aus deutscher Sicht, die von der Bedeutung der Abgrenzung eines Betriebs für die Errichtung und das Tätigwerden des Betriebsrats geprägt ist, gewöhnungsbedürftig, dass die polnische „Betriebsgewerkschaft“ konzeptionell an den Arbeitgeber und gerade nicht den Betrieb anknüpft. Dieses Charakteristikum des polnischen

mittel zur Verwirklichung der Zwecke des Arbeitgebers zusammengefasst sind und ähnelt insoweit der deutschen Definition, vgl. hierzu Korus, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1. 61 So Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 26 Rn. 1. 62 Dagegen scheint Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 26 Rn. 1 für diesen Fall die Bildung einer „zwischenbetrieblichen“ Gewerkschaft i. S. d. Art. 34 GewG vorzusehen, was allerdings der gemeinen Definition der zwischenbetrieblichen Gewerkschaft (dazu sogleich) widerspricht. 63 Soweit ersichtlich, hat diese Frage in der polnischen Literatur und Rechtsprechung jedoch keine nähere Beachtung gefunden. Anzutreffen ist vielmehr die oben genannte Definition, dass eine Betriebsgewerkschaft entweder die unterste Organisationseinheit einer Gewerkschaft darstellt oder eine eigenständige Gewerkschaft, die Arbeitnehmer „eines Betriebs“ vereinigt. 64 Ebenso Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? S. 3, die richtigerweise davon ausgeht, dass „[z]ur Gründung einer Gewerkschaft [. . .] mindestens zehn abhängig Beschäftigte in einem Unternehmen benötigt“ werden.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Gewerkschaftssystems bildet mithin trotz der sonstigen Ähnlichkeiten der Betriebsgewerkschaft zum deutschen Betriebsrat65 einen doch recht wesentlichen Unterschied zum deutschen System und Rechtsverständnis. Neben der Betriebsgewerkschaft sieht das GewG auch sogenannte „zwischenbetriebliche“ 66 Gewerkschaften vor (vgl. Artt. 34 ff. GewG), denen die Kompetenzen der Betriebsgewerkschaft zustehen. Nach dem allgemeinen Verständnis in der polnischen Literatur handelt es sich dabei um solche Gewerkschaften, die von ihrem Geltungsbereich her mehrere Arbeitgeber, bei denen keine Betriebsgewerkschaften bestehen, erfassen.67 Anders als der Wortlaut implizieren könnte, handelt es sich nach dieser gemeinhin anerkannten Definition bei der zwischenbetrieblichen Gewerkschaft gerade nicht um eine Gewerkschaft, die in verschiedenen Betrieben desselben Arbeitgebers beschäftigte Arbeitnehmer vereinigt, sondern vielmehr um eine „arbeitgeberübergreifende“ Organisation.68 Mithilfe des Konstrukts der zwischenbetrieblichen Gewerkschaft sind auch eigenständige Gewerkschaften sowie mit den Kompetenzen einer Betriebsgewerkschaft ausgestattete Organisationseinheiten auf unterster Ebene in kleineren Unternehmen möglich, bei denen die sonst erforderliche Anzahl von zehn Gewerkschaftsmitgliedern aufgrund der geringen Beschäftigtenzahl nicht erreicht werden würde.69 Ferner sind verschiedene Zusammenschlüsse von Gewerkschaften möglich. So haben die Gewerkschaften gemäß Art. 11 Abs. 1 GewG das Recht, landesweite Gewerkschaftsverbände (sog. „Föderationen“) zu gründen, auch ist die Bildung von sog. „Konföderationen“, d.h. Zusammenschlüssen von landesweiten Gewerkschaften und landesweiten Gewerkschaftsverbänden, möglich (vgl. Art. 11 Abs. 2 GewG). Zudem können Gewerkschaften, darunter auch Föderationen und Konföderationen, auch internationalen Arbeitnehmerorganisationen beitreten oder solche gründen (vgl. Art. 11 Abs. 3 GewG). Die möglichen Formen des Zusammenschlusses von Gewerkschaften sind nach allgemeiner Ansicht – auch wenn sich dies nicht aus dem Wortlaut ergibt – in Art. 11 GewG nicht abschließend aufgezählt.70 So können Föderationen auch auf Branchenebene und auf territorialer

65

Hierzu unten Kapitel 5, A.I.1.c)dd). Art. 34 Abs. 1 GewG: „Przepisy art. 251–331 stosuje sie˛ do mie˛dzyzakładowej organizacji zwia˛zkowej“, Übersetzung d. Verf. 67 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 34 GewG Rn. 1; Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 34 Rn. 1. 68 Anders wohl aber Skulimowska, in: Muszalski/Walczak, Zwia˛zki zawodowe, Art. 26 Rn. 1, die trotz Anerkennung der oben genannten Definition (vgl. dies., a. a. O., Art. 34 Rn. 1) davon ausgeht, dass im Falle eines Arbeitgebers mit mehreren Betrieben eine zwischenbetriebliche Gewerkschaft errichtet werden könnte. 69 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 34 GewG Rn. 2. 70 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 11 GewG Rn. 1. 66

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

555

Ebene erfolgen, was nicht selten der Fall ist.71 Gleichwohl stellt die Arbeitnehmervertretung in den Betrieben die vorrangige Aufgabe der Gewerkschaften dar und tatsächlich beschränkt sich die Rolle der Gewerkschaften auch oft auf die betriebliche Ebene.72 Im polnischen System des kollektiven Arbeitsrechts werden die Gewerkschaften auch heutzutage – wie schon früher73 – als die grundlegende Institution zur Vertretung von Arbeitnehmerinteressen angesehen.74 cc) Repräsentativität Mit dem auf Betriebsebene ansetzenden Gewerkschaftssystem und der Zulassung des Gewerkschaftspluralismus nach 1989 ging eine starke Zersplitterung und das Bestehen zahlreicher kleiner Gewerkschaften einher.75 Nach den Angaben des Statistischen Hauptamtes bestanden in Polen Ende 2014 19.500 eingetragene organisatorische Gewerkschaftseinheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit – davon 12.900 aktiv tätige –,76 andere Schätzungen für das Jahr 2014 sprechen von fast 25.000 Einzelgewerkschaften77. Nach den vorläufigen Zahlen des Polnischen Statistischen Hauptamtes („Główny Urza˛d Statystyczny“) vom 27. August 201978 gab es im Jahr 2018 12.500 aktiv tätige registrierte Gewerkschaften in Polen. Oft rivalisieren die Gewerkschaften miteinander und sind bestrebt, nur die Interessen ihrer eigenen Berufsgruppen zu fördern, was es den Arbeitgebern schwierig macht, mit ihnen zu verhandeln.79 Für bestimmte Kompetenzen der 71 Vgl. die Notiz des Statistischen Hauptamtes in Polen vom 13. Juli 2015, abrufbar unter http://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/gospodarka-spoleczna-wolontariat/gospo darka-spoleczna-trzeci-sektor/zwiazki-zawodowe-w-polsce-w-2014-r-,10,1.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 72 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 473. 73 Vgl. zur historischen Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation und der stets vorherrschenden Rolle der Gewerkschaften oben Kapitel 2, A.II. 74 So Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 46. 75 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 52; vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 474. 76 Vgl. die Notiz des Statistischen Hauptamtes in Polen vom 13. Juli 2015, abrufbar unter http://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/gospodarka-spoleczna-wolontariat/gospo darka-spoleczna-trzeci-sektor/zwiazki-zawodowe-w-polsce-w-2014-r-,10,1.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 77 Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? S. 2. 78 Bericht des Polnischen Statistischen Hauptamtes („Główny Urza˛d Statystyczny“) vom 27. August 2019 „Partnerzy dialogu społecznego – organizacje pracodawców i zwia˛zki zawodowe w 2018 r. (wyniki wste˛pne)“, abrufbar unter https://stat.gov.pl/files/ gfx/portalinformacyjny/pl/defaultaktualnosci/5490/16/1/1/partnerzy_dialogu_spolecz nego_organizacje_pracodawcow_i_zwiazki_zawodowe_w_2018.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 79 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 90.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Gewerkschaften hat der polnische Gesetzgeber daher das – im deutschen Recht nicht vorzufindende – Kriterium der Repräsentativität eingeführt.80 Im Allgemeinen bedeutet Repräsentativität die Fähigkeit einer Gewerkschaft, die Interessen einer bestimmten Personengruppe zu vertreten und zu verteidigen, obwohl auch andere Gewerkschaften die Interessenwahrnehmung für sich beanspruchen.81 Allerdings findet sich das Kriterium der Repräsentativität mit unterschiedlicher Bedeutung an mehreren Stellen im polnischen Recht. Eine Definition der „repräsentativen Gewerkschaft“ enthält Art. 23 Abs. 2 RatSozDialogG. Repräsentativ sind demnach landesweite Gewerkschaften, landesweite Gewerkschaftsverbände (sog. Föderationen) und Zusammenschlüsse von landesweiten Gewerkschaften und landesweiten Gewerkschaftsverbänden (sog. Konföderationen), die mehr als 300.000 Mitglieder zählen und in mehr als der Hälfte der von der Polnischen Gewerbeklassifizierung spezifizierten Branchen82 tätig sind. Zu den allgemein repräsentativen Gewerkschaften i. S. d. Art. 23 Abs. 2 RatSozDialogG gehören die NSZZ „Solidarnos´c´ “, die OPZZ und die FZZ.83 Die weitaus meisten Betriebsgewerkschaften (ca. 75 %) sind einer dieser großen Gewerkschaftsorganisationen angeschlossen.84 Neben diesen drei allgemein repräsentativen Gewerkschaften i. S. d. Art. 23 Abs. 2 RatSozDialogG gibt es viele nicht an einen Dachverband oder eine sonstige Gewerkschaftsstruktur angeschlossene lokale Betriebsgewerkschaften, die lediglich in einem Betrieb vertreten sind, sowie ein paar kleinere Gewerkschaftsverbände und landesweite Gewerkschaften, die keinem Dachverband angehören.85 Für diese ist die Definition der Repräsentativität außerhalb des RatSozDialogG von Bedeutung: Unabhängig von der allgemeinen Repräsentativitätsdefinition in Art. 23 Abs. 2 RatSozDialogG enthielt bislang auch das ArbGB in der Gesetzesfassung bis zum 31. Dezember 2018 eine eigenständige, weitere Definition der Repräsentativität, die für die Verhandlungsfähigkeit in Bezug auf betriebliche sowie überbetrieb80 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 474; vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 52. 81 Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 32. 82 Art. 23 Abs. 2 Pkt. 2 RatSozDialogG: „[. . .] działaja˛ w podmiotach gospodarki narodowej, których podstawowy rodzaj działalnos´ci jest okres´lony w wie˛cej niz˙ w połowie sekcji Polskiej Klasyfikacji Działalnos´ci (PKD), o której mowa w przepisach o statystyce publicznej“. Übersetzung d. Verf. 83 http://www.dialog.gov.pl/czym-jest-dialog-spoleczny /strony-i-instytucje-dialoguspolecznego/zwiazki-zawodowe/ zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 84 Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? S. 2 mit einer anschaulichen Übersicht zur Zusammensetzung der Gewerkschaftsbünde. 85 http://de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbeziehungen/Laender/Polen/ Gewerkschaften#note3, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

557

liche Tarifverträge relevant war (vgl. Artt. 24117, 24125a ArbGB a. F.).86 Gemäß Art. 24125a § 1 ArbGB a. F. war eine Betriebsgewerkschaft repräsentativ, wenn sie (i) eine Organisationseinheit oder eine Mitgliedsorganisation einer auf Grundlage von Art. 24117 § 1 Pkt. 1 ArbGB a. F. als repräsentativ anerkannten überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation darstellte und zudem mindestens 7 % der beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer vereinigte, oder alternativ (ii) mindestens 10 % der beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer auf sich vereinigte. Falls keine der beim Arbeitgeber tätigen Betriebsgewerkschaften die vorgenannten Voraussetzungen erfüllte, galt diejenige Betriebsgewerkschaft als repräsentativ, die die meisten beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer auf sich vereinigte (vgl. Art. 24125a § 2 ArbGB a. F.). Eine überbetriebliche Gewerkschaftsorganisation war dagegen gemäß Art. 24117 § 1 Pkt. 1 ArbGB a. F. repräsentativ, wenn sie alternativ (i) eine repräsentative Gewerkschaftsorganisation im Sinne des RatSozDialogG darstellte, (ii) mindestens 10 % aller vom satzungsmäßigen Tätigkeitsbereich der Gewerkschaftsorganisation umfassten Arbeitnehmer, jedoch nicht weniger als 10.000 Arbeitnehmer, auf sich vereinigte, oder (iii) die meisten Arbeitnehmer, die vom Geltungsbereich des überbetrieblichen Tarifvertrages erfasst werden sollen, auf sich vereinigte. Gemäß Art. 24117 § 2 ArbGB a. F. war in den zwei letztgenannten Fällen eine gerichtliche Feststellung der Repräsentativität durch das Bezirksgericht („Sa˛d Okre˛gowy“) in Warschau erforderlich87, die innerhalb von 30 Tagen ab Antragsstellung zu erfolgen hatte. Dagegen galten diejenigen landesweiten Gewerkschaften und Föderationen, die zu einer als repräsentativ anerkannten Konföderation gehören, kraft Gesetzes als repräsentativ (vgl. Art. 24117 § 3 ArbGB a. F.). Durch Änderungsgesetz vom 5. Juli 201888 traten mit Wirkung zum 1. Januar 2019 bedeutsame Änderungen im Hinblick auf die Repräsentativität in Kraft: Zum einen wurden die Definitionen der repräsentativen Betriebsgewerkschaft sowie der repräsentativen überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation im GewG – dort im neu eingefügten Abschnitt 3a in Art. 252 GewG n. F. und Art. 253 GewG n. F. – verankert und die bisherigen Artt. 24117, 24125a ArbGB a. F. aufgehoben. Zum anderen wurden auch die Kriterien verschärft: Eine Betriebsgewerkschaft muss nach Art. 253 Abs. 1 GewG n. F. nunmehr eins der folgenden zwei Kriterien erfüllen, um als repräsentativ zu gelten: (i) Entweder stellt sie eine Organisationseinheit oder eine Mitgliedsorganisation einer auf Grundlage des RatSozDialogG als repräsentativ anerkannten überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation dar und vereinigt zugleich mindestens 8 % der „beim Arbeitgeber beschäftigten

86

Hierzu siehe unten Kapitel 5, A.I.1.c)bb). Vgl. Gładoch, in: Sobczyk, Kodeks pracy (4. Aufl. 2018), Art. 24117 Rn. 4; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 24117 Rn. 3. 88 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608. 87

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

erwerbstätigen Personen“ 89, oder sie vereinigt alternativ (ii) mindestens 15 % der „beim Arbeitgeber beschäftigten erwerbstätigen Personen“ auf sich. Falls keine der beim Arbeitgeber tätigen Betriebsgewerkschaften die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, gilt – ähnlich wie bislang – diejenige Betriebsgewerkschaft als repräsentativ, die die meisten „beim Arbeitgeber beschäftigten erwerbstätigen Personen“ auf sich vereinigt (vgl. Art. 253 Abs. 2 GewG n. F.). In ähnlicher Weise wurden auch die Repräsentativitätskriterien für die überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation verschärft: Eine überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation gilt gemäß Art. 253 GewG n. F. dann als repräsentativ, wenn sie alternativ (i) eine repräsentative Gewerkschaftsorganisation im Sinne des RatSozDialogG darstellt, (ii) mindestens 15 % aller vom satzungsmäßigen Tätigkeitsbereich der Gewerkschaftsorganisation umfassten erwerbstätigen Personen, jedoch nicht weniger als 10.000 erwerbstätige Personen, auf sich vereinigte, oder (iii) die meisten erwerbstätigen Personen, die vom Geltungsbereich des überbetrieblichen Tarifvertrages erfasst werden sollen, auf sich vereinigt. Durch die Gesetzesänderung wurden mithin die Schwellenwerte für die Anerkennung einer Betriebsgewerkschaft und einer überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation als repräsentativ von 7 % auf 8 % bzw. von 10 % auf 15 % angehoben. Hintergrund hierfür war, dass aufgrund der Erweiterung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts im Allgemeinen ein Mitgliederzuwachs bei den Gewerkschaften zu erwarten ist, weswegen die maßgeblichen Schwellen anzupassen waren.90 Zudem kommt die Gesetzesänderung den Forderungen der drei größten landesweiten Gewerkschaftsorganisationen entgegen.91 Die Repräsentativität der Betriebsgewerkschaft bzw. der überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation wird auf Antrag der jeweiligen Gewerkschaftsorganisation gerichtlich festgestellt (vgl. Art. 252 Abs. 2 GewG n. F., Art. 253 Abs. 8 GewG n. F.). c) Kompetenzen der Gewerkschaften Entsprechend dem unterschiedlichen Verständnis von den Gewerkschaften in Deutschland und Polen unterscheiden sich auch die Kompetenzen der Gewerkschaften. In Deutschland besteht die vorrangige Aufgabe der Gewerkschaften in der Vertretung ihrer Mitglieder im Rahmen von Tarifvertragsverhandlungen und -ab-

89 „co najmniej 8 % osób wykonuja˛cych prace˛ zarobkowa˛ zatrudnionych u pracodawcy“, Übersetzung d. Verf. Zu dieser begrifflichen Neuerung im GewG siehe auch oben Kapitel 5, A.I.1. 90 Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 32. 91 Ebenda.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

559

schlüssen, der Wahrnehmung des Streikrechts sowie der Betätigung auf politischer Ebene, etwa in Form von Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen. In den Betrieben haben die Gewerkschaften eine eher untergeordnete Rolle. Nur vereinzelt weist das BetrVG den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Befugnisse zu. Nach der Generalklausel des § 2 BetrVG sollen Arbeitgeber und Betriebsrat mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zusammenarbeiten, entsprechend ist diesen auch zwecks Wahrnehmung der ihnen nach dem BetrVG zustehenden Aufgaben und Befugnisse Zugang zum Betrieb einzuräumen. Üblich sind sog. „gewerkschaftliche Vertrauensleute“, die in den jeweiligen Betrieben die Funktion eines Ansprechpartners für bereits bestehende Gewerkschaftsmitglieder wahrnehmen, ferner neue Mitglieder rekrutieren und gewerkschaftliche Standpunkte vertreten sollen.92 Ihre Rechtsstellung ist oft durch einen Tarifvertrag geregelt.93 Im Hinblick auf die Kompetenzen der polnischen Gewerkschaften ist generell zwischen den Kompetenzen der Betriebsgewerkschaften, den Befugnissen der repräsentativen Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsorganisationen sowie den allen Gewerkschaften zustehenden Kompetenzen zu unterscheiden. Regelungen zu den Kompetenzen finden sich zum einen im GewG, zum anderen insbesondere im ArbGB sowie in anderen Gesetzen. Das GewG enthält dabei in Kapitel 1 zunächst allgemeine, für alle Gewerkschaften geltende Bestimmungen zu ihren Aufgaben und Funktionen. Bereits in der allgemeinen Definition der Gewerkschaft in Art. 1 GewG niedergelegt ist ihre Funktion, zur Vertretung und zur Verteidigung der Rechte sowie der beruflichen und sozialen Interessen der arbeitenden Menschen berufen zu sein (vgl. Art. 1 Abs. 1 GewG).94 Gemäß Art. 4 GewG repräsentieren die Gewerkschaften die Erwerbstätigen sowie die sonstigen in Art. 2 Abs. 2 bis 6 GewG genannten Personengruppen und schützen ihre Würde, ihre Rechte sowie ihre individuellen und kollektiven, materiellen und moralischen Interessen. Nach Art. 8 GewG überwachen die Gewerkschaften die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zum Schutz der Interessen der Erwerbstätigen, Rentner, Arbeitslosen sowie ihrer Familien. In Bezug auf kollektive Angelegenheiten repräsentieren die Gewerkschaften alle Erwerbstätigen und in Art. 2 Abs. 2 bis 6 GewG genannten sonstigen Personen, unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, in Bezug auf individuelle Rechte und Interessen repräsentieren sie ihre Mitglieder (vgl. Art. 7 Abs. 1 und 2 GewG). Die in Kapitel 3 des GewG sodann genannten Kompetenzen stehen teilweise nur den repräsentativen Gewerkschaften i. S. d. RatSozDialogG, teilweise allen Gewerkschaften zu. Kapitel 4 des GewG beschäftigt sich dagegen in Artt. 26 bis 311 GewG ausschließlich

92

Franzen, in: ErfK ArbR, § 1 TVG Rn. 66. Ebenda. 94 So schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70. 93

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

mit der Betriebsgewerkschaft, während Artt. 34 bis 342 GewG Sonderregeln für die zwischenbetriebliche Gewerkschaft vorsieht. Generell lassen sich politische Kompetenzen, Kompetenzen in Zusammenhang mit der Verhandlung und dem Abschluss von Tarifverträgen sowie betriebliche Kompetenzen unterscheiden. Darüber hinaus haben Gewerkschaften auch weitere Rechte. Die Funktionen der polnischen Gewerkschaften werden dabei gemeinhin als Schutzfunktion, Kontrollfunktion und Repräsentationsfunktion bezeichnet.95 aa) Einfluss auf die Arbeits- und Sozialpolitik Die Möglichkeit, auf die Arbeits- und Sozialpolitik und -gesetzgebung in gewissem Rahmen Einfluss auszuüben, haben sowohl die deutschen als auch die polnischen Gewerkschaften, im Falle Letzterer ist diese Möglichkeit allerdings nur für die repräsentativen landesweiten Gewerkschaftsorganisationen i. S. d. RatSozDialogG gesetzlich abgesichert. Gemäß Art. 19 GewG haben diese das Recht, zu Gesetzesvorhaben, die sich auf von der Zuständigkeit der Gewerkschaften erfasste Angelegenheiten beziehen, Stellung zu nehmen. Die zuständigen staatlichen Stellen müssen hierfür den Vorständen der Gewerkschaftsorganisationen die Gesetzesvorhaben vorlegen und eine mindestens dreißig (ausnahmsweise einundzwanzig) Tage lange Frist zur Stellungnahme gewähren. Ausdrücklich wird den Gewerkschaften in Art. 19 Abs. 4 GewG das Recht zugestanden, sich öffentlich über Medien zu den Gesetzesvorhaben zu äußern. Ein Recht zur Stellungnahme haben die repräsentativen Gewerkschaftsorganisationen i. S. d. RatSozDialogG auch in Bezug auf europäische Gesetzesvorhaben und Konsultationspapiere (vgl. Art. 191 GewG). Daneben haben sie auch das Recht, den Erlass oder die Änderung von Gesetzen oder anderen Rechtsakten, die in die gewerkschaftliche Zuständigkeit fallende Angelegenheiten betreffen, zu beantragen (vgl. Art. 20 Abs. 1 GewG). Neben den Rechten aus dem GewG nehmen die repräsentativen Gewerkschaften i. S. d. RatSozDialogG auch im Rahmen des sozialen Dialogs auf zentraler Landesebene eine sehr beachtliche politische Rolle ein.96 Durch ihre Vertretung im Rat des sozialen Dialogs können die NSZZ „Solidarnos´c´ “, die OPZZ und die FZZ an der Ausrichtung der Sozial- und Wirtschaftspolitik mitwirken, was auch wesentlich die Bedeutung der drei großen Gewerkschaftsorganisationen stärkt.97

95 So allg. Ansicht, vgl. Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 28 GewG Rn. 2. 96 Näher hierzu unten Kapitel 5, C.II. 97 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 49 in Bezug auf die früher bestehende Triparitätische Kommission.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

561

bb) Tarifvertragsverhandlungen und -abschlüsse Zu den ursprünglichsten und traditionellsten Kompetenzen der Gewerkschaften zählt das Verhandeln und der Abschluss von Tarifverträgen. Die Tarifautonomie ist sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht verfassungsrechtlich garantiert.98 Das deutsche Tarifvertragsrecht ist im Tarifvertragsgesetz vom 9. April 194999 (nachfolgend: „TVG“) geregelt. Nach der Grundnorm des § 1 Abs. 1 TVG regelt ein Tarifvertrag zum einen die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien, zum anderen enthält er „Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können“, womit das Gesetz den im Tarifvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen normative Geltung verleiht. Als Tarifvertragsparteien benennt § 2 Abs. 1 bis 3 TVG Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern und in bestimmten Fällen deren Spitzenorganisationen. Möglich sind daher sog. Flächen- bzw. Verbandstarifverträge, die zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden für eine bestimmte Branche abgeschlossen werden, als auch sog. Firmen- bzw. Haustarifverträge, die von der Gewerkschaft mit nur einem einzigen Arbeitgeber vereinbart werden. Allerdings ist ein Tarifvertrag nur wirksam, wenn die Tarifvertragsparteien tariffähig sind.100 Hierunter zu verstehen ist die Fähigkeit, „durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler unter anderem die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, daß sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten“.101 Ein Tarifvertrag findet auf das jeweilige Arbeitsverhältnis Anwendung, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer beiderseits tarifgebunden, d.h. Mitglieder der jeweiligen Tarifvertragsparteien, sind und unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen (vgl. §§ 3, 4 TVG), wenn der Tarifvertrag durch einzelvertragliche Inbezugnahmeklausel individualrechtlich für anwendbar erklärt wird oder wenn der Tarifvertrag kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung (vgl. § 5 TVG) oder Rechtsverordnung (vgl. §§ 7, 7a AEntG) Anwendung findet. Die Regelungen eines Tarifvertrages in Bezug auf betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit gelten für alle Betriebe des tarifgebundenen Arbeitgebers (vgl. § 3 98

Näher hierzu oben Kapitel 2, C.I. und Kapitel 2, C.III. Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949, neugefasst durch Bekanntmachung vom 25. August 1969, BGBl. I S. 1323 m. sp. Änd. 100 Hierzu etwa BAG, Urteil vom 15. November 2006, Az.: 10 AZR 665/05, NZA 2007, S. 448 (451); Franzen, in: ErfK ArbR, § 2 TVG Rn. 5. 101 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1966, Az.: 1 BvL 24/65, NJW 1966, S. 2305 (2305); zur Tariffähigkeit vgl. auch Franzen, in: ErfK ArbR, § 2 TVG Rn. 4 ff.; Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb ArbR, § 69 Rn. 6 ff.; Waas, in: BeckOK ArbR, § 2 TVG Rn. 29 ff.; zur Problematik der Tariffähigkeit der CGZP vgl. BAG, Beschluss vom 14. Dezember 2010, Az.: 1 ABR 19/10, NZA 2011, S. 289. 99

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Abs. 2 TVG). Tarifverträge sind schriftlich abzuschließen und in ein Tarifregister einzutragen (vgl. §§ 1 Abs. 2, 6 TVG). Während der Laufzeit eines Tarifvertrages besteht Friedenspflicht.102 Auch in Polen stellt die Verhandlung und der Abschluss von Tarifverträgen die grundlegende Form der Tätigkeit von Gewerkschaften dar.103 Das polnische Recht unterscheidet dabei zwischen Tarifverträgen auf Betriebsebene (vgl. Artt. 24123 ff. ArbGB) und überbetrieblichen Tarifverträgen (vgl. Artt. 24114 ff. ArbGB). Auch auf Branchenebene können mithin Tarifverträge abgeschlossen werden, allerdings spielen diese in der Praxis eher eine marginale Rolle; die meisten Tarifverträge werden auf Betriebsebene – d.h. zwischen dem Arbeitgeber und der Betriebsgewerkschaft (vgl. Art. 24123 ArbGB) – abgeschlossen.104 Die einfachgesetzlichen Grundlagen für den Abschluss von Tarifverträgen finden sich in Art. 21 GewG sowie in Abschnitt XI des ArbGB (Artt. 238 ff. ArbGB). Das ArbGB hat zwar durch das Änderungsgesetz vom 5. Juli 2018 keine sprachliche Anpassung ähnlich derjenigen im GewG (wonach nunmehr allgemein von „erwerbstätigen Personen“ anstatt von „Arbeitnehmern“ gesprochen wird) erfahren. Gleichwohl erklärt Art. 21 Abs. 3 GewG n. F. die Regelungen in Abschnitt XI des ArbGB für sinngemäß anwendbar auf sonstige erwerbstätige Personen, ihre „Arbeitgeber“ und die diese vereinigenden Organisationen. Gemäß Art. 21 Abs. 1 GewG haben die Gewerkschaften auf Grundlage besonderer Gesetze das Recht, Tarifverträge sowie andere durch arbeitsrechtliche Vorschriften vorgesehene Vereinbarungen zu verhandeln und abzuschließen. Aus dem Wortlaut und systematischen Kontext ergibt sich, dass sich die Vorschrift auf alle Gewerkschaften, also auch nicht repräsentative i. S. d. RatSozDialogG und zwischenbetriebliche, bezieht. Die Regelungen des ArbGB spezifizieren die Tariffähigkeit der Gewerkschaften für den Abschluss betrieblicher und überbetrieblicher Tarifverträge sodann näher. Auf betrieblicher Ebene ist die Betriebsgewerkschaft zuständig (vgl. Art. 24123 ArbGB), auf überbetrieblicher Ebene grundsätzlich die überbetriebliche Gewerkschaftsorganisation, die eine landesweite Gewerkschaft, eine Föderation oder eine landesweite Konföderation sein kann (vgl. Art. 24114 § 1 Abs. 1 ArbGB i.V. m. Art. 238 § 1 Abs. 1 ArbGB). Gleichwohl sieht das ArbGB in Art. 24125 ArbGB und Art. 24116 ArbGB gewisse Einschränkungen der Verhandlungs- und Tariffähigkeit vor: Sofern die erwerbstätigen Personen, für die der Tarifvertrag abgeschlossen werden soll, von mehr als einer Betriebsgewerkschaft bzw. überbetrieblichen Gewerkschaftsorga102 Hierzu etwa BAG, Urteil vom 8. Februar 1957, Az.: 1 AZR 169/55, NJW 1957, S. 647; näher Franzen, in: ErfK ArbR, § 1 TVG Rn. 81 ff. m.w. N. 103 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47. 104 Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? S. 3.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

563

nisation vertreten werden, sollen die Verhandlungen von ihrer gemeinsamen Vertretung geführt werden. Sofern nicht alle Betriebsgewerkschaften bzw. überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisationen den Verhandlungen beitreten, sollen die Verhandlungen von denjenigen geführt werden, die beigetreten sind. Dabei soll den Verhandlungen im Falle eines Tarifvertrages auf Betriebsebene jedenfalls eine repräsentative Betriebsgewerkschaft i. S. d. Art. 253 Abs. 1 oder 2 GewG (vor dem 1. Januar 2019: Art. 24125a ArbGB a. F.) bzw. im Falle eines Tarifvertrages auf überbetrieblicher Ebene jedenfalls eine repräsentative überbetriebliche Gewerkschaftsorganisation i. S. d. Art. 252 Abs. 1 GewG (vor dem 1. Januar 2019: Art. 24117 ArbGB a. F.) beiwohnen. Art. 252 GewG und Art. 253 GewG legen jeweils die Kriterien für die Repräsentativität der Betriebsgewerkschaft bzw. der überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation fest, die sich maßgeblich nach der Anzahl der jeweils gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer bzw. sonstigen erwerbstätigen Personen bestimmen.105 Ein Tarifvertrag regelt gemäß Art. 240 Abs. 1 ArbGB die Arbeitsbedingungen und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien. Ferner können auch andere Angelegenheiten Inhalt eines Tarifvertrages sein, sofern sie nicht durch Rechtsnormen des Arbeitsrechts zwingend geregelt werden (vgl. Art. 240 Abs. 2 ArbGB). Grundsätzlich wird den Sozialpartnern hierdurch ein großer Verhandlungsspielraum eingeräumt.106 Üblicherweise werden durch Tarifvertrag vor allem Fragen der Vergütung sowie anderer Leistungen bzw. Zuwendungen an die Arbeitnehmer geregelt (vgl. Art. 771 ArbGB).107 Wie in Deutschland sind Tarifverträge schriftlich abzuschließen (vgl. Art. 2415 ArbGB) und in ein Tarifregister einzutragen (vgl. Art. 24111 ArbGB). Gemäß Art. 239 § 1 ArbGB gelten die Tarifverträge – sowohl die auf betrieblicher als auch auf überbetrieblicher Ebene geschlossenen (vgl. Art. 238 § 2 Pkt. 1 ArbGB – für alle bei einem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer und – wegen Art. 21 Abs. 3 GewG – sonstigen erwerbstätigen Personen, die von den Regelungen des Tarifvertrages erfasst sind, sofern nicht die Tarifvertragsparteien etwas Anderes bestimmen. Aus Art. 239 § 1 ArbGB folgt, dass die normativen Inhalte eines Tarifvertrages gleichermaßen für diejenigen Arbeitnehmer und sonstigen erwerbstätigen Personen (vgl. Art. 21 Abs. 3 GewG), die Mitglied der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft sind, als auch für nicht Gewerkschaftsmitglieder gelten.108 Implizit ergibt sich dies auch aus Art. 7 GewG, wonach die Gewerkschaften in Hinblick auf die kollektiven Rechte und Interessen alle Ar-

105

Hierzu bereits oben Kapitel 5, A.I.1.b)cc). Näher hierzu Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 1. 107 Wratny, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Vor Art. 238 ArbGB Rn. 5. 108 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 3; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 2. 106

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

beitnehmer und sonstigen erwerbstätigen Personen vertreten.109 Damit unterscheidet sich der Anwendungsbereich von polnischen Tarifverträgen deutlich vom deutschen Tarifvertragsrecht, wo – abgesehen von den Fällen der Allgemeinverbindlichkeit, der individualrechtlichen Inbezugnahme und den Regelungen in Bezug auf betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen – ein Tarifvertrag grundsätzlich nur für beiderseits tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt. Eine Differenzierungsklausel, welche Nicht-Gewerkschaftsmitglieder vom Geltungsbereich eines Tarifvertrages ausnehmen würde, wäre unzulässig.110 Dies würde einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit i. S. d. Art. 113 ArbGB bedeuten, an welches auch die Sozialpartner gebunden sind.111 Der Einschub in Art. 239 § 1 ArbGB „sofern nicht die Tarifvertragsparteien etwas Anderes bestimmen“ bedeutet lediglich, dass die Tarifvertragsparteien ganze Personengruppen, die nach der Art der ausgeübten Tätigkeit oder Funktion abgegrenzt werden können (z. B. Seeleute, Fischer, etc.), aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages oder einzelner seiner Bestimmungen ausnehmen können.112 Auch können sie Tarifverträge nur für bestimmte Beschäftigtengruppen abschließen, was insbesondere dann sinnvoll ist, wenn bei einem Arbeitgeber mehrere Gewerkschaften vertreten sind.113 Von einem Tarifvertrag konnten bereits nach der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Gesetzesfassung des ArbGB ausdrücklich auch andere Personengruppen als Arbeitnehmer erfasst werden, etwa Rentner oder Personen, die aufgrund eines anderen Rechtsverhältnisses als eines Arbeitsvertrages Arbeit verrichten (vgl. Art. 239 § 2 ArbGB a. F.) – zu Letzterem gehörten beispielsweise Werkverträge114. Da mit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2019 auf Grundlage des Änderungsgesetzes vom 5. Juli 2018 der gesamte Abschnitt XI des ArbGB (Artt. 238 ff. ArbGB) nunmehr gleichermaßen für Personen, die auf Grundlage eines sonstigen Rechtsverhältnisses entgeltlich Arbeit verrichten115, gilt (vgl. Art. 21 Abs. 3 GewG), erübrigt sich seither eine dahingehende Regelung in Art. 239 § 2 ArbGB, sodass diese Norm den Geltungsbereich eines Tarifvertrages nunmehr lediglich noch in Bezug auf die Rentner ausdrücklich erweitern muss.116 In dem unterschiedlichen personellen Anwendungsbereich des Tarifver-

109

Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 3. Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 4. 111 S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 4. 112 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 5. 113 S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 2. 114 Vgl. Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy (10. Aufl. 2015), Art. 239 Rn. 7. 115 Art. 21 Abs. 3 GewG: „Przepisy działu jedenastego ustawy z dnia 26 czerwca 1974 r. – Kodeks pracy stosuje sie˛ odpowiednio do innych niz˙ pracownicy osób wykonuja˛cych prace˛ zarobkowa˛ oraz ich pracodawców, a takz˙e do organizacji zrzeszaja˛cych te podmioty.“ Übersetzung d. Verf. 116 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 7. 110

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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trages liegt ein deutlicher Unterschied zum deutschen Recht, der auf dem unterschiedlichen Gewerkschaftsverständnis in beiden Ländern beruht.117 Möglich ist die Erweiterung des Geltungsbereiches eines überbetrieblichen Tarifvertrages auf andere Arbeitgeber, deren wirtschaftliche Tätigkeit gleich oder ähnlich ist und die von keinem anderen überbetrieblichen Tarifvertrag erfasst sind, was durch Rechtsverordnung auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien erfolgen kann (vgl. Art. 24118 ArbGB). Allerdings gilt ein derart für anwendbar erklärter Tarifvertrag nur solange, wie bei dem erfassten Arbeitgeber nicht ein anderer überbetrieblicher Tarifvertrag Anwendung findet (vgl. Art. 24118 § 4 ArbGB). Von den Tarifverträgen zu unterscheiden sind sonstige Kollektivvereinbarungen i. S. d. Art. 9 ArbGB.118 Auf Seiten der Arbeitnehmer sind zwar auch bei Kollektivvereinbarungen vorrangig die Gewerkschaften Verhandlungspartei, doch weist das Gesetz in zahlreichen Einzelnormen die Befugnis zum Abschluss bestimmter Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber auch anderen Arbeitnehmervertretungen zu, sofern in dem betroffenen Betrieb keine Betriebsgewerkschaft existiert (vgl. etwa Artt. 91 § 2, 222 § 2, 231a § 1, 676 § 4 ArbGB).119 cc) Streikrecht Eng mit dem Tarifvertragsrecht zusammenhängend haben die Gewerkschaften sowohl in Deutschland als auch in Polen auch eine Monopolstellung in Bezug auf die Wahrnehmung des Streikrechts. Während der Arbeitskampf im deutschen Recht nicht geregelt ist, finden sich diesbezügliche Vorschriften in Polen im Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten120 vom 23. Mai 1991.121 dd) Zuständigkeiten auf Betriebsebene Aufgrund des dualen Systems der Interessenvertretung wird die Arbeitnehmervertretung in deutschen Betrieben von den Betriebsräten wahrgenommen.122 Zwar sind Betriebsräte oftmals Gewerkschaftsmitglieder, sodass zumindest Per117

Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 56. Näher zu den Kollektivvereinbarungen oben Kapitel 2, C.III.2.b). 119 Hierzu oben Kapitel 2, C.III.2.b) sowie unten Kapitel 5, B.I.3. 120 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236 m. sp. Änd.; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 121 Auf eine nähere Darstellung wird an dieser Stelle verzichtet. Eine ausführliche und vergleichende Darstellung des deutschen und polnischen Arbeitskampfrechts findet sich bei Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 57 ff. 122 So schon Krause, Gewerkschaften und Betriebsräte zwischen Kooperation und Konfrontation, RdA 2009, S. 129 (129 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 472 f. 118

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

sonenidentität besteht, die der Gewerkschaft als Organisation nach dem BetrVG im betrieblichen Bereich zustehenden Rechte beschränken sich allerdings im Wesentlichen auf organisatorische, überwachende und unterstützende Befugnisse.123 Die den Gewerkschaften durch das BetrVG zubilligten Befugnisse bestehen zum einen in vielfacher Hinsicht im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl (vgl. §§ 3 Abs. 3, 14 Abs. 3, 16, 17 Abs. 3, 18, 19 Abs. 2 BetrVG). Ferner sind die Gewerkschaften befugt, Gesetzesverstöße von Betriebsratsmitgliedern, des Betriebsrats oder des Arbeitsgebers zu beanstanden (vgl. §§ 23 Abs. 1 und 3, 48, 56, 119 Abs. 2 BetrVG), auf Antrag eines Viertels des Betriebsrats an Sitzungen des Betriebsrats beratend teilzunehmen (vgl. § 31 BetrVG) und die Einberufung einer Betriebsversammlung zu beantragen sowie an Betriebsversammlungen teilzunehmen (vgl. §§ 43 Abs. 4, 46 BetrVG). Als allgemeinen Grundsatz bestimmt § 2 Abs. 1 BetrVG neben der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitgeber und Betriebsrat, dass der Arbeitgeber und Betriebsrat auch die geltenden Tarifverträge beachten und mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zusammenwirken sollen. Die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften haben nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 BetrVG ein Zutrittsrecht zum Betrieb, um die ihnen im BetrVG zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse wahrnehmen zu können. Diesem Zutrittsrecht können nur unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften und der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegengehalten werden. Viel wichtiger als die den Gewerkschaften durch das BetrVG eingeräumten Befugnisse sind jedoch die „faktischen Verbindungslinien“ zwischen den Gewerkschaften und Betriebsräten, die sich insbesondere darin zeigen, dass die allermeisten Betriebsratsmitglieder und allen voran Betriebsratsvorsitzenden einer Gewerkschaft angehören.124 So sind die auf betrieblicher Ebene agierenden Betriebsräte für die Gewerkschaften auch „ein zentraler strategischer Akteur in der Ausgestaltung der industriellen Beziehungen“.125 Dagegen ist der Betrieb in Polen die wichtigste Ebene der gewerkschaftlichen Betätigung.126 Gleichsam werden die Arbeitnehmerinteressen in Polen haupt123 Rechtsdogmatisch wird im Hinblick die den Gewerkschaften nach dem BetrVG zustehenden Rechte in Initiativrechte zur Bildung eines Betriebsrats und anderer betriebsverfassungsrechtlicher Organe, in Teilnahme- und Beratungsrechte sowie in Kontrollrechte unterschieden, vgl. Richardi/Maschmann, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 2 BetrVG Rn. 89 m.w. N., näher dazu Rn. 90 ff. 124 Krause, Gewerkschaften und Betriebsräte zwischen Kooperation und Konfrontation, RdA 2009, S. 129 (130) m.w. N.; vgl. hierzu auch Greifenstein/Kißler/Lange, Trendreport Betriebsratswahlen 2014, März 2017, S. 51 ff., abrufbar unter https:// www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=7770, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 125 Greifenstein/Kißler/Lange, Trendreport Betriebsratswahlen 2014, März 2017, S. 51, abrufbar unter https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=7770, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 126 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 473.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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sächlich von den Gewerkschaften vertreten und wahrgenommen.127 Das polnische Recht sieht zum einen in Artt. 26 ff. GewG besondere Regelungen und Kompetenzen für die Betriebsgewerkschaft128 vor. Zudem finden sich zahlreiche Zuständigkeiten in Einzelregelungen im ArbGB sowie in Spezialgesetzen.129 Art. 28 GewG gewährt der Betriebsgewerkschaft ein Informationsrecht in Bezug auf sämtliche Informationen, die zur Ausübung der Gewerkschaftstätigkeit unerlässlich sind. Als Regelbeispiel zählte schon das GewG a. F. die Arbeitsbedingungen und Entlohnungsgrundsätze auf. Durch Änderungsgesetz vom 5. Juli 2018 wurde Art. 28 Abs. 1 GewG ergänzt um Informationen betreffend die in Zusammenhang mit der Beschäftigung stehende gegenwärtige und geplante Geschäftstätigkeit und wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers (vgl. Art. 28 Abs. 1 Pkt. 2 GewG), die Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und diesbezüglich beabsichtigte Änderungen sowie die zur Erhaltung des Beschäftigungsniveaus dienenden Maßnahmen (vgl. Art. 28 Abs. 1 Pkt. 3 GewG) sowie auf Maßnahmen, die geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation oder der Beschäftigungsgrundlagen herbeizuführen (vgl. Art. 28 Abs. 1 Pkt. 4 GewG). Der Katalog entspricht – bis auf den zusätzlich geforderten Zusammenhang mit der Beschäftigungslage in Art. 28 Abs. 1 Pkt. 2 GewG – wortlautidentisch Art. 13 Abs. 1 InfKonsG.130 Interessant ist, dass der Gesetzesentwurfsbegründung zu dieser Parallele nichts sagt, die Gesetzesurheber es aber für erforderlich hielten, im Rahmen der Erläuterungen ausdrücklich auf die Geheimhaltungspflichten des Arbeitnehmers wie auch Gewerkschaftsfunktionärs gemäß Art. 100 § 2 Pkt. 4 ArbGB und gemäß Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs131 hinzuweisen. Nach Art. 33 GewG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Betriebsgewerkschaft die für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Räumlichkeiten und technischen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Die Aufgaben der Betriebsgewerkschaft werden im Allgemeinen in Art. 26 GewG beschrieben. Gemäß Art. 26 Pkt. 1 und 2 GewG obliegt den Gewerkschaften die Vertretung sowohl von individuellen Angelegenheiten der Arbeitnehmer sowie – aufgrund des Änderungsgesetzes vom 5. Juli 2018132 – sämtlicher sonstigen erwerbstätigen Personen als auch von kollektiven Rechten und Interessen der Erwerbstätigen. Dabei repräsentieren die Gewerkschaften in individuellen Angelegenheiten grundsätzlich nur ihre Mitglieder, sofern sie nicht ausnahmsweise die 127 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18; Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 46. 128 Zum Begriff siehe oben Kapitel 5, A.I.1.b)bb). 129 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47. 130 Hierzu unten Kapitel 5, B.I.2.c). 131 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Dz. U. 1993 Nr. 47 Pos. 211. 132 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher hierzu oben Kapitel 5, A.I.1.a).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Vertretung nicht organisierter erwerbstätiger Personen übernehmen (vgl. Artt. 7 Abs. 2, 30 Abs. 2 GewG). In kollektiven Angelegenheiten repräsentieren die Gewerkschaften dagegen alle beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer sowie aufgrund eines sonstigen Rechtsverhältnisses entgeltlich tätig werdende Personen (sowie Rentner und sonstige, in Art. 2 Abs. 3 bis 6 GewG genannte Personen) unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit (vgl. Art. 7 Abs. 1 GewG).133 Ferner sind die Betriebsgewerkschaften zuständig für die Überwachung der Einhaltung von arbeitsrechtlichen Vorschriften im Betrieb, insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen zur Arbeitssicherheit und Hygiene (vgl. Art. 26 Pkt. 3 GewG). Auch arbeiten die Betriebsgewerkschaften mit der Arbeitsinspektion zusammen und kümmern sich um die Lebensbedingungen von Rentnern (vgl. Art. 26 Pkt. 4, 5 GewG). Im Falle eines beabsichtigten Betriebsübergangs sind die Betriebsgewerkschaften gemäß Art. 261 GewG zu informieren und entsprechende Verhandlungen aufzunehmen, sofern die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten geändert werden sollen. Gemäß Art. 27 GewG sind die Richtlinien über die Verwaltung des Betriebsfonds und die Gewährung von Prämien und Auszeichnungen vom Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit der Betriebsgewerkschaft aufzustellen, ebenso ist die Gewährung von Leistungen aus dem Betriebsfond an einzelne Personen mit den Gewerkschaften abzustimmen. Im Falle eines begründeten Verdachts einer Gefährdung des Leben oder der Gesundheit der Arbeitnehmer oder der sonstigen in Art. 2 Abs. 1 und 41 bis 6 GewG genannten Personen im Betrieb kann die Betriebsgewerkschaft vom Arbeitgeber die Durchführung entsprechender Untersuchungen beantragen und gleichzeitig den Arbeitsinspektor hierüber informieren (vgl. Art. 29 GewG). Weitere Befugnisse auf betrieblicher Ebene ergeben sich aus den Vorschriften des ArbGB. In Bezug auf individuelle Arbeitnehmerangelegenheiten sieht das polnische Arbeitsrecht eine Beteiligung der Betriebsgewerkschaft im Fall der arbeitgeberseitigen Kündigung eines Arbeitnehmers vor. So ist die Betriebsgewerkschaft gemäß Artt. 38, 52 § 3 ArbGB im Fall einer beabsichtigten ordentlichen und außerordentlichen Kündigung über die Kündigungsabsicht und die Gründe zu informieren. Sie kann im Fall der ordentlichen Kündigung innerhalb von fünf Tagen, im Falle der außerordentlichen Kündigung innerhalb von drei Tagen der Kündigung widersprechen. Der Arbeitgeber hat den Widerspruch bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, ist aber nicht an der Kündigung gehindert (vgl. Artt. 38 § 5, 52 § 3 ArbGB). Dagegen können Schwangere oder sich in Elternzeit befindende Arbeitnehmer nur mit Zustimmung der Betriebsgewerkschaft gekündigt werden (vgl. Art. 177 § 1 ArbGB). Auch bei bestimmten Disziplinarmaßnahmen kann die zuständige Betriebsgewerkschaft zu beteiligen sein bzw. zum Schutz des Arbeitnehmers tätig werden (vgl. Artt. 112 § 1, 113 § 1 ArbGB). Darüber hinaus fordert das ArbGB für zahlreiche kollektive Angelegenheiten den 133

Vgl. auch Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 3.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und der Betriebsgewerkschaft, so etwa über die Telearbeit (vgl. Art. 676 ArbGB), das Entlohnungssystem, sofern nicht von einem Tarifvertrag geregelt (vgl. Art. 772 § 4 ArbGB) sowie die Arbeitsordnung, in der u. a. Fragen der Arbeitsorganisation, des Betriebszugangs und der täglichen Arbeitszeit geregelt werden, sofern diese nicht bereits Gegenstand eines geltenden Tarifvertrages sind (vgl. Art. 1041 ArbGB). Ferner sind Angelegenheiten in Bezug auf Arbeitszeitsysteme und Bemessungszeiträume mittels Tarifvertrag oder Vereinbarung mit der Betriebsgewerkschaft zu regeln sowie die von der Nachtarbeit erfassten besonders gefährlichen oder anstrengenden Tätigkeiten mit der Betriebsgewerkschaft festzulegen (vgl. Artt. 139 § 3, 150, 1517 § 5 ArbGB). Art. 244 ArbGB sieht ferner vor, dass für Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmern eine innerbetriebliche Schlichtungsstelle einzurichten ist, deren Mitglieder vom Arbeitgeber und der Betriebsgewerkschaft bestellt werden. Weitere Befugnisse der Betriebsgewerkschaften enthalten zudem Spezialgesetze (vgl. etwa Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes über die Arbeitszeit von Kraftfahrzeugführern134). In den individuellen Arbeitnehmerangelegenheiten, die eine Beteiligung der Betriebsgewerkschaft erfordern, muss der Arbeitgeber gemäß Art. 232 ArbGB mit der für den betroffenen Arbeitnehmer zuständigen Betriebsgewerkschaft nach Maßgabe des GewG zusammenarbeiten, wenn der Arbeitnehmer ein Mitglied der Gewerkschaft ist oder die Betriebsgewerkschaft sich zur Vertretung seiner Rechte bereit erklärt hat. Denn gemäß Art. 30 Abs. 2 GewG können auch Arbeitnehmer (sowie seit dem 1. Januar 2019 auch sonstige erwerbstätige Personen), die nicht Mitglieder in einer Gewerkschaft sind, bei einer von ihnen gewählten Betriebsgewerkschaft die Verteidigung ihrer Rechte beantragen. Art. 30 Abs. 3 GewG sieht – allerdings nur bezogen auf die Arbeitnehmer – insofern vor, dass sich der Arbeitgeber in individualarbeitsrechtlichen Angelegenheiten, die einer Mitwirkung der Betriebsgewerkschaft bedürfen, an die Betriebsgewerkschaft (bzw. Betriebsgewerkschaften) wenden und vor Vornahme der jeweiligen Maßnahme erfragen muss, ob Arbeitnehmer unter ihrem Schutz stehen. Für eine diesbezügliche Auskunft stehen der Betriebsgewerkschaft fünf Tage zur Verfügung, nach deren Verstreichen der Arbeitgeber von seiner Pflicht zur Beteiligung der Betriebsgewerkschaft befreit ist. Dass die Anfrage „vor Vornahme der Maßnahme“ 135 erfolgen muss, ist erst durch das Änderungsgesetz vom 5. Juli 2018136 eingefügt worden, was der Präzisierung der Vorschrift dienen sollte137. Dies ist mutmaßlich deshalb 134 Gesetz über die Arbeitszeit von Kraftfahrzeugführern vom 16. April 2004, Dz. U. 2004 Nr. 92 Pos. 879. 135 Art. 30 Abs. 21 GewG: „przed podje˛ciem działania“, Übersetzung d. Verf. 136 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608. 137 Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 39.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

erfolgt, weil sich die Auslegung der Vorgängervorschrift Art. 30 Abs. 21 GewG a. F., die diesen Einschub nicht enthielt, durch die polnische Judikatur in den letzten Jahren gewandelt hatte: Wurde anfangs gefordert, dass der Arbeitgeber sich vor jeder beabsichtigten Maßnahme, die eine Beteiligung der Gewerkschaft erfordert (z. B. die Kündigung) an die Betriebsgewerkschaft/en wenden muss, so war zuletzt allgemeine Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, dass der Arbeitgeber lediglich die einmalige Pflicht hatte, eine Liste der von der jeweiligen Betriebsgewerkschaft repräsentierten Arbeitnehmer zu fordern, ihre Aktualisierung dagegen auf Initiative der Betriebsgewerkschaft oder des betroffenen Arbeitnehmers, der den Arbeitgeber zwecks Einbindung der Betriebsgewerkschaft über seine Gewerkschaftszugehörigkeit informieren kann, erfolgen sollte.138 Durch die nunmehr erfolgte „Präzisierung“ dürfte diese Ansicht nicht mehr haltbar sein und stattdessen den Arbeitgeber die Pflicht treffen, vor jeder einzelnen Maßnahme eine Anfrage an die Betriebsgewerkschaft bezüglich der unter ihrem Schutz stehenden Arbeitnehmer zu stellen. Sowohl das ArbGB als auch das GewG sehen besondere Regelungen vor für den Fall, dass in einem Betrieb mehrere Betriebsgewerkschaften existieren. Grundsätzlich repräsentiert in Betrieben, in denen mehr als eine Betriebsgewerkschaft tätig ist, jede ihre eigenen Mitglieder (vgl. Art. 30 Abs. 1 GewG). Gemäß Art. 30 Abs. 4 GewG können die Betriebsgewerkschaften im Falle kollektiver Angelegenheiten eine gemeinsame Vertretung bilden. In Angelegenheiten, die eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und der Betriebsgewerkschaft erfordern, sollen sie eine gemeinsame Stellungnahme abgeben (vgl. Art. 30 Abs. 5 GewG). Im Hinblick auf die wichtigsten Vereinbarungen – die Regularien in Bezug auf Entlohnung, Auszeichnungen und Prämien, den Betriebsfond, Urlaubspläne, die Arbeitsordnung und Arbeitszeitregelungen – sieht Art. 30 Abs. 6 GewG allerdings vor, dass im Fall einer nicht erfolgten Darstellung eines gemeinsamen Standpunkts der Betriebsgewerkschaften der Arbeitgeber allein über die Angelegenheit entscheidet; in diesem Fall hat er die Stellungnahmen der einzelnen Betriebsgewerkschaften zwar zu berücksichtigten, jedoch sind diese unverbindlich, sofern sie inhaltlich keinen gemeinsamen Standpunkt bilden139. Dabei gilt aufgrund des Änderungsgesetzes vom 5. Juli 2018140, dass sofern eine Einigung mit allen beim Arbeitgeber tätigen Betriebsgewerkschaften nicht möglich ist, die Vereinbarung jedenfalls mit den repräsentativen Betriebsgewerkschaften, die jeweils mindestens 5 % aller beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeit-

138 Ausführlich hierzu Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 30 GewG Rn. 2 mit entsprechenden Nachweisen aus der Rechtsprechung und Literatur. 139 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 30 GewG Rn. 5. 140 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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nehmer auf sich vereinigen, zu erfolgen hat.141 Mit dem neuen Art. 30 Abs. 7 GewG wurde zudem klargestellt, dass wenn beim Arbeitgeber nur eine repräsentative Betriebsgewerkschaft tätig ist, die mindestens 5 % aller Arbeitnehmer vereinigt, und ein gemeinsamer Standpunkt aller Betriebsgewerkschaften nicht erfolgt, der Arbeitgeber die entsprechenden Vereinbarungen mit der repräsentativen Betriebsgewerkschaft zu treffen hat.142 Art. 30 Abs. 6 und 7 GewG legen nunmehr mit der 5 %-Hürde, bei welcher der Gesetzgeber aufgrund der nur die Arbeitnehmer betreffenden Inhalte der Vereinbarungen nach Art. 30 Abs. 6 GewG bewusst auch nur die Arbeitnehmer (und nicht auch sonstige erwerbstätige Personen) berücksichtigen wollte143, in gewissem Sinne ein eigenes – zusätzliches – Repräsentativitätskriterium fest.144 An einigen Stellen enthält auch das ArbGB Regelungen für den Fall, dass bei einem Arbeitgeber mehrere Betriebsgewerkschaften tätig sind. So etwa sehen Artt. 676, 139 § 5, 150 § 3 Abs. 1 ArbGB vor, dass bei Bestehen mehrerer Betriebsgewerkschaften vorrangig eine Einigung mit allen erfolgen solle; falls dies jedoch nicht möglich ist, die Vereinbarung mit der bzw. den repräsentativen Gewerkschaften i. S. d. Art. 253 Abs. 1 oder 2 GewG, von denen jede mindestens 5 % aller beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer auf sich vereinigt, abzuschließen ist. Besondere Regeln gelten ferner für die Verhandlung und den Abschluss von Tarifverträgen auf Betriebsebene (vgl. Art. 24125 ArbGB).145 Aufgrund der den Betriebsgewerkschaften eingeräumten Befugnisse und Funktionen ist die Rolle der polnischen Betriebsgewerkschaften grundsätzlich vergleichbar mit der Rolle der deutschen Betriebsräte, auch wenn im Detail naturgemäß Unterschiede bestehen. Etliche Kompetenzen der Betriebsgewerkschaft, wie etwa diejenigen im Zusammenhang mit der Arbeitsordnung, Regelungen zur Arbeitszeit im Betrieb, dem Entlohnungssystem, Urlaubsplänen, der Vertretung von Arbeitnehmern in individuellen Angelegenheiten, insbesondere bei Kündigungen, sowie im Allgemeinen der Überwachung der Einhaltung von Rechtsvorschriften, erinnern stark an die Aufgaben und Befugnisse der deutschen Betriebsräte. Eine Ähnlichkeit ist auch beim Schutz der Gewerkschaftsmitglieder vor Kündigungen 141 So ausdrücklich die Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 39 f. 142 Vgl. hierzu die Erläuterung in der Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 40. 143 Gesetzesentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 39; Grzebyk, in: Czarnecki/Grzebyk/Reda-Ciszewska/Surdykowska, Ustawa o zwia˛zkach zawodowych, Art. 30 GewG Rn. 7. 144 Grzebyk, in: Czarnecki/Grzebyk/Reda-Ciszewska/Surdykowska, Ustawa o zwia˛zkach zawodowych, Art. 30 GewG Rn. 7. 145 Hierzu oben Kapitel 5, A.I.1.c)bb).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

und der ungünstigen Änderung ihrer Arbeitsbedingungen vorzufinden146, ebenso bei der Verpflichtung des Arbeitgebers, den Betriebsgewerkschaften die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen oder den Mitgliedern eine bezahlte Freistellung zur Ausübung ihrer Tätigkeit und zur Wahrnehmung von Fortbildungen zu gewähren. Im Vergleich zu den Betriebsgewerkschaften ist die Rolle der polnischen Arbeitnehmerräte, die auf Grundlage des – zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2002/ 14/EG147 erlassenen – InfKonsG vom 7. April 2006148 errichtet werden können149, deutlich geringer.150 Vielmehr sichern die gesetzlichen Kompetenzen im Bereich des Tarifvertragsrechts und auf betrieblicher Ebene den Gewerkschaften quasi eine Monopolstellung im Hinblick auf die Arbeitnehmervertretung, auch wenn die Einführung der Arbeitnehmerräte in gewisser Weise als eine Einschränkung dieser Monopolstellung gesehen wird.151 ee) Sonstige Befugnisse und Einflussmöglichkeiten Über die vorgenannten gesetzlichen Kompetenzen hinaus engagieren sich die Gewerkschaften in einer Vielzahl weiterer Themenfelder, die über das Arbeitsrecht und die Arbeitsbeziehungen einschließlich der Mitbestimmung hinausragen und im Allgemeinen den wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen sowie sozialen und bildungspolitischen Bereich betreffen.152 Hierzu zählt in Polen auch die gesellschaftliche Mobilisierung und finanzielle Unterstützung von Institutionen sowie die materielle Unterstützung Bedürftiger.153 In individualrechtlichen 146

Hierzu unten Kapitel 5, A.I.1.d). Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 80 vom 23. März 2002, S. 29–34. 148 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 149 Zur Frage, ob die Errichtung eines Arbeitnehmerrates im Anwendungsbereich des InfKonsG obligatorisch ist, unten Kapitel 5, B.I.2.a). 150 Vgl. etwa Gładoch, Dialog społeczny, S. 108 („Die Dominanz der Betriebsgewerkschaften über die Arbeitnehmerräte steht außer Zweifel“, Übersetzung d. Verf.). Zu den Arbeitnehmerräten unten Kapitel 5, B.I.2. 151 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 108; kritisch zur Monopolstellung der Gewerkschaften Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (206 ff., 208). 152 Vgl. etwa die Themenübersicht des DGB, abrufbar unter www.dgb.de, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 153 Siehe etwa die statistischen Erhebungen des Polnischen Statistischen Hauptamtes vom 13. Juli 2015 in Bezug auf das Tätigkeitsfeld der polnischen Gewerkschaften, S. 7 f., abrufbar unter http://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/gospodarka-spolecznawolontariat/gospodarka-spoleczna-trzeci-sektor/zwiazki-zawodowe-w-polsce-w-2014-r-, 10,1.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 147

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Angelegenheiten steht den Gewerkschaften das Recht zu, ihre Mitglieder außergerichtlich und gerichtlich zu vertreten (vgl. § 7 Rechtsdienstleistungsgesetz, § 11 Abs. 2 Nr. 4 ArbGG, § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGG, Art. 7 Abs. 2 GewG, Art. 465 § 1 ZPGB). Von wesentlicher Bedeutung ist in Deutschland ferner das in verschiedenen Gesetzen verankerte Entsendungs- bzw. Vorschlagsrecht der Gewerkschaften in Bezug auf Mitglieder verschiedener Gremien. Neben den sich aus den Mitbestimmungsgesetzen ergebenden Befugnissen finden sich derartige Entsendungsund Vorschlagsrechte beispielsweise im Heimarbeitsgesetz (vgl. § 5 Heimarbeitsgesetz) oder im Sozialgerichtsgesetz (vgl. § 14 SGG). Auch in Polen stellt die Ernennung oder Auswahl von Mitgliedern bestimmter Gremien eine weitere Funktion der Gewerkschaften dar.154 Gesetzlich normiert sind Entsendungs- und Vorschlagsrechte jedoch nur an wenigen Stellen – so etwa im Rahmen des SEGPL im Hinblick auf die Bestellung der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Vertretungsorgans, die der Betriebsgewerkschaft obliegt155, früher auch im InfKonsG im Hinblick auf die Ernennung der Arbeitnehmerräte156. Die Anwesenheit von Gewerkschaftsmitgliedern in bestimmten Gremien – so etwa in den mitbestimmten Aufsichtsräten kommerzialisierter Unternehmen – beruht oftmals nur auf tatsächlicher Grundlage. Weitere Befugnisse der Gewerkschaften beruhten in Polen oft auf den im Rahmen der Transformationsprozesse abgeschlossenen Sozialvereinbarungen. Darin ließen sich die Gewerkschaften zahlreiche Rechte einräumen, die ihnen einen Einfluss auf die Geschehnisse im Unternehmen zusicherten.157 Die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften auf unternehmerische Entscheidungen hängen sowohl in Deutschland als auch in Polen von zahlreichen Faktoren ab, die nur schwer messbar sind und oft maßgeblich auf dem tatsächlichen Kräfteverhältnis im Unternehmen beruhen. So etwa haben Gewerkschaften zwar über das Tarifvertragsrecht einen mittelbaren Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen, indem sie bestimmte wirtschaftliche Parameter (z. B. die Lohnhöhe) vorgeben – bzw. verlangen – können.158 Von dem rechtlich durch das Tarifvertrags- und Streikrecht gewährleisteten Einfluss ist jedoch der tatsächliche Einfluss der Gewerkschaften zu unterscheiden, der in Deutschland

154 Stelina, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 148 (150). 155 Hierzu oben Kapitel 4, B.I.2.b)dd)(1) und Kapitel 4, B.I.2.d)bb). 156 Diese gesetzliche Regelung wurde allerdings vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und infolgedessen gestrichen. Näher hierzu unten Kapitel 5, B.I.2.b). 157 Näher hierzu oben Kapitel 3, A.I.2.c) sowie unten Kapitel 5, A.II.2.b). 158 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 6.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

insbesondere kraft der engen Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und den Betriebsräten, sowie durch ihre Vertretung im Aufsichtsrat besteht. In Polen war in den Staatsunternehmen sowie den daraus entstandenen kommerzialisierten bzw. privatisierten Unternehmen in dieser Hinsicht auch die Rolle des Staates sehr bedeutsam. So etwa hatten die Gewerkschaften aufgrund der zurückhaltenden neutralen Position des Staates und seines wenig ausgeprägten Interesses an den Besonderheiten und der Entwicklung des kommerzialisierten Unternehmens besonders großen Einfluss auf das Unternehmen, solange der Staat Alleinaktionär war.159 d) Rechte und Schutz von Gewerkschaftsmitgliedern Sowohl in Deutschland als auch in Polen gilt der Grundsatz, dass niemand wegen seiner Gewerkschaftszugehörigkeit diskriminiert werden darf (vgl. etwa § 75 Abs. 1 BetrVG, Artt. 113, 183a ArbGB). Über den allgemeinen Diskriminierungsschutz hinaus sieht das deutsche Arbeitsrecht jedoch keine speziellen Rechte und Schutzvorschriften für Gewerkschaftsmitglieder in Bezug auf das Arbeitsverhältnis vor. Das polnische Arbeitsrecht hingegen statuiert nicht nur das Diskriminierungsverbot ausdrücklich für das Arbeitsverhältnis (vgl. Artt. 113, 183a ArbGB), auch enthält das polnische GewG spezielle Rechte und Schutzbestimmungen zugunsten von Gewerkschaftsmitgliedern. Art. 3 GewG beinhaltet ein allgemeines Verbot der Ungleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern. In der Fassung bis zum 31. Dezember 2018 durfte gem. Art. 3 GewG a. F. niemand aufgrund seiner Gewerkschaftszugehörigkeit oder der Ausübung eines Funktionärsamtes benachteiligt werden. Insbesondere durfte dies keine Bedingung für den Abschluss und das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses oder eine Beförderung des Arbeitnehmers sein. Durch Änderungsgesetz vom 5. Juli 2018160 wurde Art. 3 GewG aufgrund der Erweiterung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts161 dergestalt geändert, dass die Vorschrift nunmehr auch die sonstigen Personen, die in Art. 2 GewG aufgezählt sind, insbesondere auch diejenigen, die auf Grundlage eines sonstigen Rechtsverhältnisses entgeltlich Arbeit verrichten (vgl. Art. 11 Pkt. 1) GewG) – und gerade nicht schon aufgrund ihrer Arbeitnehmereigenschaft vor Diskriminierungen geschützt sind – erfasst.162 Zudem wurden weitere Fälle einer vermuteten Ungleichbehandlung exemplarisch aufgenommen. Art. 3 GewG n. F. verbietet da159

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 82. 160 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608. 161 Hierzu oben Kapitel 5, A.I.1.b). 162 So das erklärte Ziel des Gesetzgebers, vgl. Gesetzentwurfsbegründung zum Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, S. 2, 14 f.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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her nunmehr insbesondere eine Ungleichbehandlung aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit oder der Ausübung eines Funktionärsamtes, als Folge derer (i) das Rechtsverhältnis nicht begründet oder beendet wird, (ii) die Vergütung oder sonstige Beschäftigungsbedingungen ungünstig ausgestaltet oder nicht gewährt werden sowie Beförderungen oder Zusatzleistungen unterlassen bzw. vorenthalten werden oder (iii) die Teilnahme an Fortbildungen verwehrt wird, es sei denn, der Arbeitgeber kann sachlich gerechtfertigte Gründe für die Ungleichbehandlung darlegen und beweisen (vgl. Art. 3 Abs. 1 Pkt. 1 bis 3 GewG n. F.). Gegen das Verbot der Ungleichbehandlung verstoßende vertragliche Vereinbarungen sind unwirksam (vgl. Art. 3 Abs. 4 GewG), den Diskriminierten steht eine Entschädigung nach Art. 183d ArbGB zu (vgl. Art. 3 Abs. 2 GewG). Zuständig im Fall von Rechtsstreitigkeiten sind auch für die sonstigen Personen i. S. d. Art. 2 GewG die Arbeitsgerichte (vgl. Art. 3 Abs. 2 GewG). Arbeitnehmer, die ein durch Wahl begründetes Gewerkschaftsamt außerhalb des Betriebs bekleiden, haben auf Antrag der Gewerkschaft gemäß Art. 25 Abs. 1 GewG ein Recht auf unbezahlten Sonderurlaub. Unabhängig davon steht einem Arbeitnehmer, der eine Gewerkschaftsfunktion außerhalb des Betriebs wahrnimmt, ein Recht auf Freistellung unter Entgeltfortzahlung für die zur Ausübung seiner Gewerkschaftstätigkeit erforderliche Zeit zu, sofern diese Tätigkeit nicht auch außerhalb der Arbeitszeit erledigt werden kann (vgl. Art. 25 Abs. 5 GewG). Der Freistellungsanspruch gilt entsprechend für sonstige erwerbstätige Personen, die eine Gewerkschaftsfunktion außerhalb des Betriebs wahrnehmen; der Vergütungsanspruch bleibt jedoch nur erhalten, sofern keine vorrangigen Sonderregelungen einschlägig sind (vgl. Art. 25 Abs. 6 GewG n. F.). Mitglieder einer Betriebsgewerkschaft können einen Freistellungsanspruch dagegen nach Art. 31 GewG haben. Art. 31 Abs. 1 GewG gewährt einer bestimmten Anzahl der Mitglieder im Vorstand einer Betriebsgewerkschaft einen vollständigen Freistellungsanspruch für die Dauer ihrer Amtszeit. Wie vielen Mitgliedern dieses Recht zusteht, ist gestaffelt nach der Zahl der beim Arbeitgeber – als Arbeitnehmer oder als sonstige erwerbstätige Person – beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. Die Freistellung kann unter Fortzahlung der Bezüge oder auch ohne Fortzahlung gewährt werden, abhängig vom Antrag des Vorstands der Betriebsgewerkschaft; näheres wird durch Rechtsverordnung geregelt (vgl. Art. 31 Abs. 2 GewG). Unabhängig hiervon hat nach Art. 31 Abs. 3 GewG auch jeder in der Betriebsgewerkschaft tätige Arbeitnehmer – entsprechend derselben Regelung für die überbetriebliche Gewerkschaftstätigkeit in Art. 25 Abs. 5 GewG – das Recht, von seiner Arbeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes für die notwendigerweise innerhalb seiner Arbeitszeit anfallende Gewerkschaftstätigkeit freigestellt zu werden. Gemäß Art. 31 Abs. 4 GewG haben einen Freistellungsanspruch auch die sonstigen erwerbstätigen Personen, die eine Gewerkschaftstätigkeit ausüben, wobei wie auch bei Art. 25 Abs. 6 GewG der Vergütungsanspruch nur bestehen bleibt, sofern keine Sonderregeln Abweichendes bestimmen.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Darüber hinaus gewährt Art. 32 GewG einer bestimmten Anzahl von namentlich benannten Mitgliedern des Vorstands der Betriebsgewerkschaft oder anderen Mitgliedern der Betriebsgewerkschaft, die zur Vertretung der Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeber befugt sind, Sonderkündigungsschutz und Schutz vor nachteiligen Änderungen ihrer Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis bzw. sonstige Rechtsverhältnis nicht kündigen oder auf andere Weise auflösen oder die Arbeitsbedingungen einseitig zu Ungunsten des Arbeitnehmers bzw. der sonstigen erwerbstätigen Person ändern, ohne dass der Vorstand der Betriebsgewerkschaft dem zustimmt oder dies aufgrund gesonderter Rechtsvorschriften zulässig ist. Die Dauer des Kündigungs- und Änderungsschutzes wird durch Beschluss des Vorstands der Betriebsgewerkschaft festgelegt und beträgt nach Ablauf dieses Zeitraums zusätzlich noch die Hälfte der beschlossenen Dauer, jedoch nicht länger als ein Jahr. Allerdings gilt dieser Schutz nicht für alle Mitglieder der Betriebsgewerkschaft. Vielmehr enthält Art. 32 Abs. 3 bis 7 GewG eine differenzierende Regelung hierzu: Im Falle einer repräsentativen Betriebsgewerkschaft i. S. d. Art. 253 Abs. 1 oder 2 GewG sieht das Gesetz auch hier eine Staffelung vor, die sich im Wesentlichen an der Mitgliederzahl in der Betriebsgewerkschaft bemisst. Bei nicht repräsentativen Gewerkschaften besteht der Schutz dagegen nur für ein einziges namentlich benanntes Gewerkschaftsmitglied (vgl. Art. 32 Abs. 6 GewG). Im Fall der Gründung einer Betriebsgewerkschaft steht der Sonderkündigungsschutz nur maximal drei Mitgliedern des Gründungskomitees zu (vgl. Art. 32 Abs. 7 GewG). Art. 32 Abs. 9 GewG sieht ferner einen Sonderkündigungsschutz für Mitglieder einer überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation vor, die Sonderurlaub oder Freistellung genießen. Im Hinblick auf die zwischenbetriebliche Gewerkschaftsorganisation, für welche die Vorschriften über die Betriebsgewerkschaft weitgehend entsprechend gelten, sieht das Gesetz eine besondere Berechnungsformel im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz der Gewerkschaftsvertreter vor (vgl. Art. 342 GewG). 2. Bedeutung der Gewerkschaften a) Deutschland Die geschichtliche Bedeutung der Gewerkschaften für die Arbeitnehmerrechte steht außer Zweifel. Insbesondere zur Mitbestimmungsgesetzgebung haben die Gewerkschaften maßgeblich beigetragen.163 Die Gewerkschaften nehmen auch heute nach wie vor eine sehr aktive Rolle ein. Gleichwohl sehen sich auch die deutschen Gewerkschaften heutzutage immer stärker einem Legitimationsproblem ausgesetzt, seit Jahren kämpfen die Gewerkschaften gegen den Mitgliederschwund. Im Jahr 2019 zählte der größte deutsche Dachverband DGB, zu dem acht Mitgliedsgewerkschaften gehören, insgesamt knapp unter sechs Millionen 163

Ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Mitglieder, wobei die Zahl im Vergleich zum Vorjahr erneut gesunken ist.164 Insgesamt liegt der Organisationsgrad aller Arbeitnehmer in Deutschland nach den jüngsten Erhebungen aus dem Jahr 2016 bei nur 18,5 %, womit dieser in den letzten 20 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen ist.165 Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland damit nach wie eine Position im Mittelfeld ein.166 b) Polen Die Bedeutung der polnischen Gewerkschaften nahm in den letzten Jahren erheblich ab. Hatten sie in der Umbruchphase um das Jahr 1989 herum und während der Transformationsprozesse in den 1990er Jahres noch eine sehr bedeutsame Rolle eingenommen, so ist diese in den letzten Jahren immer schwächer geworden. Auch in Polen kämpfen die Gewerkschaften heutzutage gegen sinkende Mitgliedszahlen. aa) Rolle der Gewerkschaften während der Transformationsprozesse Empirische Untersuchungen des IPiSS aus dem Jahr 2003 zeigten, dass der Einfluss der Gewerkschaften am größten war in Staatsunternehmen sowie in denjenigen kommerzialisierten Unternehmen, in denen der Staat der alleinige Aktionär war und eine schwache Rolle bei der Unternehmensführung einnahm.167 Insbesondere in den ehemaligen Staatsunternehmen, die kommerzialisiert worden waren, sich aber längere Zeit noch zu 100 % in staatlicher Hand befanden, war die Machtposition der Gewerkschaften sehr stark.168 Dies beruhte im Wesentlichen darauf, dass die anderen Entscheidungsträger im kommerzialisierten Unternehmen oft eine nur sehr schwache Position innehatten169: Der Vorstand wech164

Angaben des DGB, abrufbar unter http://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/mit gliederzahlen/2010/?tab=tab_0_0#tabnav, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 165 So die Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im IW-Kurzbericht Nr. 80 vom 20. Dezember 2018 m.w. N., abrufbar unter https://www.iwkoeln.de/ studien/iw-kurzberichte/beitrag/helena-schneider-ja-bitte-aber-ohne-mich-411019.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. hierzu auch den Bericht „Gewerkschaften haben ein Trittbrettfahrer-Problem“ des IWD vom 2. Januar 2019, abrufbar unter https://www.iwd.de/artikel/viel-gefuehl-wenig-einsatz-414701/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 166 Vgl. die Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Gewerkschaftsspiegel Nr. 3/2017, bezugnehmend auf eine Studie der European Social Survey, Stand 2014, abrufbar unter https://www.iwkoeln.de/studien/iw-kurzberichte/beitrag/saskiadieke-hagen-lesch-die-demografische-zeitbombe-tickt-357872, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 167 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101. 168 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101; näher hierzu ders., a. a. O., S. 82 f. 169 Die nachfolgenden Ausführungen geben die Beobachtungen von Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 82 f., wieder.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

selte oft, verfolgte keine geradlinige Entwicklungsstrategie für das Unternehmen und war in rechtlicher Hinsicht nur sehr schwach abgesichert, da er jederzeit abberufen werden konnte. Schwierigkeiten zeigten sich aber auch in der Arbeit der Aufsichtsräte. Die für die Staatsunternehmen bezeichnenden unklaren Machtverhältnisse – damals im Spannungsfeld zwischen dem Direktor, Belegschaftsrat und den Betriebsgewerkschaften (sog. „Bermuda-Dreieck“)170 – setzten sich im kommerzialisierten Unternehmen fort, allerdings gelang es den an die Stelle des ehemaligen Belegschaftsrates tretenden Aufsichtsräten mit Vertretern des Staates und der Belegschaft nicht, bei den im Zuge der Privatisierungsprozesse neu entstehenden Konflikten zwischen dem Vorstand und der Belegschaft wirkungsvoll zu vermitteln. Dabei nahmen die Repräsentanten des Staates im Aufsichtsrat überwiegend eine sehr passive Stellung ein, interessierten sich nicht sonderlich für die Entwicklung und die Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens und versuchten erst gar nicht, eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit der Unternehmensführung einzunehmen. Unter diesen Rahmenbedingungen wuchs die Bedeutung der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften waren oft der einzige stabile Faktor im Unternehmen, ihr Handeln war langfristig angelegt und sie waren an den Geschicken der Betriebe wahrhaftig interessiert. In mehreren Unternehmen entschieden die Gewerkschaften über die personelle Besetzung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und konnten dadurch letztlich – angesichts der schwachen Position der anderen Akteure innerhalb des Unternehmens – die Unternehmensführung übernehmen. So wurde gerade das Instrument der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat ein effektives Vehikel für die Gewerkschaften, um Einfluss im kommerzialisierten Unternehmen ausüben zu können. Die Untersuchungen des IPiSS zeigten jedoch auch, dass es den Gewerkschaften trotz ihres großen Einflusses in den kommerzialisierten Unternehmen mit Alleinaktionärsstellung des Staates bewusst war, dass die Alleinaktionärsstellung des Staates nur eine Zwischenlösung darstellte und die Privatisierung erfolgen musste.171 Hierbei nahmen sie trotz fehlender formal-rechtlicher Zuständigkeit oft auch eine aktive Rolle bei der Suche und Auswahl von privaten Investoren ein.172 Der Höhepunkt des gewerkschaftlichen Einflusses bestand in der Zeit, die der Einleitung der Privatisierung unmittelbar vorausging und in welcher die Gewerkschaften mit potentiellen Investoren die sog. Sozialvereinbarungen verhandelten.173 Zwar haben weder das GewG noch die Privatisierungsgesetze von 170 Vgl. hierzu Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (28); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. Hierzu auch oben Kapitel 2, A.II.4.b). 171 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 82 f. 172 Ebenda. 173 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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1990 und 1996 den Gewerkschaften ausdrücklich besondere Rechte im Zusammenhang mit der Kommerzialisierung und Privatisierung staatlicher Unternehmen zugestanden.174 Nach der Konzeption der Privatisierungsgesetze waren vielmehr von der gesamten Belegschaft gewählte Arbeitnehmervertreter – etwa der Belegschaftsrat bzw. später dann die Arbeitnehmervertretung in den Organen der Gesellschaft – zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen im Zuge der Transformationsprozesse berufen.175 Gleichwohl waren die Gewerkschaften aufgrund der allgemeinen Funktionsbeschreibung im GewG zur Vertretung und Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen (vgl. Artt. 1 Abs. 1, 26 Pkt. 2 GewG) zur Verhandlungsführung und zum Abschluss von Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber und potentiellen Investoren legitimiert.176 In diesem Zusammenhang erlangten die von Artt. 33 Abs. 2, 48 Abs. 2 Satz 2 KommerzG a. F.177 vorgesehenen Verpflichtungen des künftigen Investors im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmerinteressen bzw. Arbeitsplätze eine enorme Bedeutung. Auf diese Normen gestützt kam es in der Praxis zu umfangreichen Sozialvereinbarungen, die zwischen dem künftigen Investor und den Gewerkschaften abgeschlossen wurden und verschiedene Garantien und Zusagen in Bezug auf Arbeitnehmerrechte enthielten.178 Die abgeschlossenen Sozialvereinbarungen förderten das Ansehen der Gewerkschaften unter der Belegschaft und stärkten damit ihre Position in den zum staatlichen Sektor gehörenden Unternehmen.179 Gleichzeitig ließen sich die Gewerkschaften auch viele eigene Rechte einräumen.180 Ab dem Moment jedoch, in dem die Privatisierung eingeleitet worden war, insbesondere wenn mehr als 50 % der Anteile am Unternehmen veräußert wurden, schwand auch in der Regel die Rolle der Gewerkschaften.181 Der private Investor übernahm die Kontrolle über das Unternehmen, wirkte auf die Rentabili174 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 69. 175 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 69. 176 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70. 177 Die Art. 33 und Art. 48 KommerzG sind zum 1. Januar 2017 gestrichen worden, vgl. Art. 14 Pkt. 21 lit. b) i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260; näher hierzu oben Kapitel 3, B.II.1.b). 178 Näher Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 50 ff.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70 f. sowie oben Kapitel 3, A.I.2.c). 179 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 23. 180 Ausführlich hierzu Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 68 ff.; vgl. auch die Ausführungen unten Kapitel 5, A.II.2.b). 181 Hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 83 f., 101.

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tät seiner Investitionen hin und drängte die Rolle der Gewerkschaften letztlich von der Unternehmensführung zurück auf ihre „Kernaufgaben“ – die Wahrnehmung von Arbeitnehmerangelegenheiten.182 Dabei hing die Position der Gewerkschaften wesentlich davon ab, ob sie mit dem neuen Investor eine Sozialvereinbarung abgeschlossen hatten oder nicht.183 Einfluss behielten die Gewerkschaften in der Regel in Bezug auf soziale Angelegenheiten (Kinderbetreuungsplätze, Gesundheit, Wohnungen, etc.) und über Tarifverträge auf das Vergütungssystem, ferner teilweise, je nachdem ob eine Sozialvereinbarung unterzeichnet war, auch auf den Stellenabbau.184 Geringen bzw. meistens überhaupt keinen Einfluss hatten die Gewerkschaften dagegen auf die Unternehmensorganisation und die wirtschaftliche Tätigkeit als solche, mitunter etwaige Investitionen, Marketingmaßnahmen, Innovationen, etc.185 Nur dort, wo sie Einfluss nehmen konnten auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Vorstand sowie in den Europäischen Betriebsräten, konnte von einer Beteiligung der Gewerkschaften an der Unternehmensführung gesprochen werden.186 Neben ihrem Einfluss im Zusammenhang mit der Privatisierung haben die Gewerkschaften im Allgemeinen auch im Zusammenhang mit der Restrukturierung der größten, strategischen Wirtschaftszweige der polnischen Volkswirtschaft eine gewichtige Rolle eingenommen.187 Außergewöhnlich war die Stellung der NSZZ „Solidarnos´c´ “, die zu Beginn der Transformationsphase eine entscheidende politische Rolle einnahm. Durch ihre enge Zusammenarbeit mit der Regierung von Mazowiecki unterstützte und verteidigte sie einerseits die mit der wirtschaftlichen Transformation einhergehenden oft unliebsamen Entscheidungen (als sog. „Schutzschirm“), andererseits trug sie aktiv zu einer Transformation der Staatsunternehmen im Sinne der neoliberalen Konzepte bei.188 Dies führte zu Spannungen innerhalb der Gewerkschaft, die sich hierdurch nach Ansicht vieler von ihrer eigentlichen gewerkschaftlichen Funktion – dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen – wesentlich entfernt hat-

182 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 83 f., 101. 183 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101. 184 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 98 f. 185 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 99. 186 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 100. 187 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Gilejko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 371 (371 ff.). 188 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (28); näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.

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te.189 Erst mit dem Regierungswechsel zugunsten einer „postkommunistischen“ Regierungskoalition im Herbst 1993 zog sich die NSZZ „Solidarnos´c´ “ aus der politischen Verantwortung zurück und konzentrierte sich wieder verstärkt auf ihre gewerkschaftlichen Aufgaben.190 Als die NSZZ „Solidarnos´c´ “ im Jahr 1997 über ihre politische Organisation „Akcja Wyborcza Solidarnos´c´ “ (AWS) erneut in die Regierung einkehrte und im Jahre 1998 zum zweiten Mal einen Schutzschirm über die zwar notwendigen, doch erneut mit zum Teil unliebsamen Konsequenzen wie Massenarbeitslosigkeit einhergehenden liberalen und prokapitalistischen Reformen ausbreitete, trat die Gewerkschaft erneut in einen „Zwiespalt“ in Bezug auf ihre Rolle als Verteidigerin der Arbeitnehmerinteressen.191 bb) Gegenwärtige Bedeutung der Gewerkschaften Nach den vorläufigen Angaben des Polnischen Statistischen Hauptamtes („Główny Urza˛d Statystyczny“) vom 27. August 2019192 gab es in Polen im Jahr 2018 12.500 aktiv tätige registrierte Gewerkschaften. Den weitaus größten Teil bildeten Betriebsgewerkschaften (9.800, dies entspricht 78,1 %), dann zwischenbetriebliche Gewerkschaften (2.400, dies entspricht 19,5 %). Landesweit tätig waren Föderationen, Konföderationen sowie ihre territorialen und branchenspezifischen Strukturen, als auch Einheitsgewerkschaften, insgesamt gab es hiervon ca. 300 aktive Gewerkschaftsorganisationen (2,3 %). Die aktiven Gewerkschaften zählten insgesamt ca. 1,5 Millionen Mitglieder. Das macht einen Anteil von 4,9 % aller Erwachsenen in Polen und 16,3 % aller Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 9 Beschäftigten. Der höchste Organisationsgrad der Arbeitnehmer war im Bildungswesen, der öffentlichen Verwaltung, der nationalen Sicherheit, in der verarbeitenden Industrie sowie im Sozial- und Gesundheitswesen zu verzeichnen. Die vorläufigen Erhebungen aus dem Jahr 2018 zeigen einen Rückgang der aktiv tätigen Gewerkschaften um 2,9 % im Vergleich zu den Angaben des Polni-

189 Vgl. Gilejko, in: ders., Społeczne ruchy czasu przełomu, S. 12 (13); ders., in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293 f.; ausführlich zur Entwicklung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (26 ff.). 190 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (27, 30). 191 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (489 f.). 192 Bericht des Polnischen Statistischen Hauptamtes („Główny Urza˛d Statystyczny“) vom 27. August 2019 „Partnerzy dialogu społecznego – organizacje pracodawców i zwia˛zki zawodowe w 2018 r. (wyniki wste˛pne)“, abrufbar unter https://stat.gov.pl/files/ gfx/portalinformacyjny/pl/defaultaktualnosci/5490/16/1/1/partnerzy_dialogu_spolecz nego_organizacje_pracodawcow_i_zwiazki_zawodowe_w_2018.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

schen Statistischen Hauptamtes vom 13. Juli 2015193, wonach es Ende des Jahres 2014 19.500 registrierte Gewerkschaften gab und davon 12.900 (66 % aller registrierten) eine aktive Tätigkeit ausübten. Auch hatte die aktiven Gewerkschaften 2014 noch insgesamt ca. 1,6 Millionen Mitglieder, d.h. 1,1 % mehr als im Jahr 2018, gezählt. Aus dem Bericht des Polnischen Statistischen Hauptamtes vom 13. Juli 2015 lassen sich ferner weitere aufschlussreiche Angaben über den Wirkungsbereich der Gewerkschaften entnehmen, die im jüngsten Bericht vom 27. August 2019 nicht aufgenommen wurden: So etwa bestand 2014 in 27 % aller Betriebe, in denen überhaupt eine Gewerkschaftsorganisation vorhanden war, mehr als eine Betriebsgewerkschaft, in 1 % aller Betriebe gab es mehr als fünf Betriebsgewerkschaften.194 Am häufigsten agierten Betriebsgewerkschaften in Betrieben mit 50 bis 249 Arbeitnehmern (55 % aller gewerkschaftlich organisierter Betriebe), sodann in Großbetrieben mit 250 oder mehr Arbeitnehmern (31 %) und am seltensten in kleineren Betrieben mit weniger als 50 Arbeitnehmern (14 %). Am stärksten vertreten waren die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor (62 %). Die 1,6 Millionen Mitglieder, die die aktiven Gewerkschaften im Jahr 2014 insgesamt zählten, machten einen Anteil von 5 % aller Erwachsenen in Polen, 11 % aller Erwerbstätigen195, 17 % aller Arbeitnehmer und 19 % aller Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 9 Beschäftigten aus. Rentner, die in Polen auch Mitglied einer Gewerkschaft sein können, stellten 2014 ca. 8 % aller Gewerkschaftsmitglieder dar. In Polen ist seit der Transformationsphase in den 90er Jahren ist ein spürbarer Bedeutungsverlust der Gewerkschaften festzustellen.196 Laut Untersuchungen von CBOS197 waren im Jahre 1991 19 % aller Erwachsenen in Polen Mitglied einer Gewerkschaft, im Jahre 1997 nur noch 12 %, 2001 lediglich noch 7 % und 193 Vgl. http://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/gospodarka-spoleczna-wolontariat/gos podarka-spoleczna-trzeci-sektor/zwiazki-zawodowe-w-polsce-w-2014-r-,10,1.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 194 Nach Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 42 f. bestehen in einigen Betrieben aber auch mehr als zehn und in manchen sogar mehrere Dutzend verschiedene Gewerkschaftsorganisationen, womit von den Gewerkschaften nur einzelne Interessengruppen vertreten werden oder teilweise allein private Interessen der Gewerkschaftsfunktionäre an ihrem Amt dahinter stehen. 195 Die Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sprachen dagegen bezugnehmend auf eine Studie der European Social Survey von einem Organisationsgrad von 8 % aller Erwerbstätigen, vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Gewerkschaftsspiegel Nr. 3/2017, Stand 2014, abrufbar unter https://www.iwkoeln.de/studien/ iw-kurzberichte/beitrag/saskia-dieke-hagen-lesch-die-demografische-zeitbombe-tickt357872, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 196 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101; näher ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 40 ff. 197 Zitiert nach Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (485) sowie ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 41.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Ende 2007 7,6 %. Während der Anteil an gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern im Jahr 1999 20 % betrug, waren es 2001 noch 18 % und 2007 noch 17,6 %. Insgesamt zählten die Gewerkschaften Ende 2007 noch ca. 2 Millionen Mitglieder. Davon waren etwa 540.000 Mitglieder der NSZZ „Solidarnos´c´ “. Dagegen hatte die NSZZ „Solidarnos´c´ “, die die größten Mitgliederzahlen und den größten Einfluss in den Jahren 1989–1990 verzeichnete, im Frühjahr 1990 1,5 bis 2 Millionen Mitglieder, in den Staatsunternehmen erfasste sie ca. 25 % bis 50 % aller Arbeitnehmer.198 Es ist jedoch nicht nur ein Rückgang der Mitgliederzahlen und des Einflusses der NSZZ „Solidarnos´c´ “ seit 1991 zu beobachten, auch ihre Funktion wandelte sich nach und nach von einer „transformatorischen“ hin zu einer „rein gewerkschaftlichen“.199 Heute zählt die NSZZ „Solidarnos´c´ “ nach eigenen Angaben ca. 722.000 Mitglieder aus verschiedenen Branchen.200 Interessant ist auch der zu beobachtende unterschiedliche Organisationsgrad je nach Branche und Herkunft der Unternehmen.201 Von Wratny202 wird hervorgehoben, dass sich der weitaus höchste Organisationsgrad im staatlichen Sektor zeige, d.h. in Staatsunternehmen sowie in kommerzialisierten Unternehmen, in denen der Staat weiterhin Alleinaktionär ist oder an denen er jedenfalls eine wesentliche Beteiligung hält, sowie in kommunalen Unternehmen. Auch sei eine tiefe Verwurzelung der Gewerkschaften in traditionellen Industriezweigen wie dem Bergbau und dem Schiffsbau festzustellen. Dagegen sei die gewerkschaftliche Dichte in vollständig privatisierten ehemaligen Staatsunternehmen schon deutlich geringer. Am geringsten, fast schon zu vernachlässigen, sei sie in Unternehmen, die in der Privatwirtschaft von vornherein mit ausschließlich privatem Kapital gegründet wurde. In der polnischen Wissenschaft werden verschiedene Gründe für den Rückgang des Organisationsgrades angebracht. Auf Grundlage der obigen Beobachtungen sieht Wratny203 die voranschreitenden Privatisierungsprozesse als einen 198

Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (27). Ebenda. 200 Vgl. http://www.solidarnosc.org.pl/en/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Auf den Internetseiten der OPZZ und FZZ fehlen Angaben zu den Mitgliederzahlen der ihnen angehörenden Gewerkschaften, vgl. für das Jahr 2014 die Angaben bei Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? S. 2, wonach die OPZZ ca. 550.000 und die FZZ ca. 420.000 Mitglieder vereinten. Vgl. auch die Angaben auf http://de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbeziehungen/Laender/ Polen/Gewerkschaften, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 201 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 41. 202 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 41. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den dort dargestellten Beobachtungen. 203 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 41. 199

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Grund für die zunehmende „Marginalisierung“ der Gewerkschaften.204 Ferner habe das politische Engagement der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und ihre Unterstützung für eine liberale und prokapitalistische Politik zu einem Zwiespalt des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses geführt, der in der Schwächung der Gewerkschaft resultierte.205 Generell sei das bei den polnischen Gewerkschaften vorzufindende politische Engagement der Gewerkschaftsbewegung nicht förderlich, da hierdurch die Gewerkschaften die politische Mitverantwortung für die Regierungsmaßnahmen erhielten, führende Gewerkschaftsfunktionäre in politische Ämter abwanderten, Menschen mit einer anderen politischen Orientierung den Gewerkschaften fernblieben und zudem das politische Engagement auf Kosten der eigentlichen Gewerkschaftsfunktionen ging.206 Auch andere Autoren interpretieren den Rückgang des Organisationsgrades in Gewerkschaften als eine negative Auswirkung der Transformationsprozesse.207 Zum anderen wird aber auch der gewerkschaftliche Pluralismus und die starke Zersplitterung als Grund für die sinkende Bedeutung einzelner Gewerkschaften gesehen.208 Die in Betrieben oftmals bestehende Konkurrenzsituation der vertretenen Gewerkschaften habe ferner dazu geführt, dass jede Gewerkschaft nur die Interessen ihrer eigenen Mitglieder, nicht aber der Gesamtheit aller Arbeitnehmer vertreten wollte.209 Schwieriger gestalte sich eine Einigung mit dem Arbeitgeber, was im Ergebnis auch die Effektivität der Gewerkschaften beeinträchtige.210 Eine Rolle habe darüber hinaus auch eine die Gewerkschaften zunehmend beschränkende Politik

204 Ausführlich zu den Auswirkungen der Privatisierung vgl. auch Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS MateyTyrowicz (2011), S. 484 (485 ff.). 205 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (489 f.); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 40; näher hierzu Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (30); generell zu den Phasen der Entwicklung von NSZZ „Solidarnos´c´ “ nach 1989 ausführlich Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (28 ff.). 206 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (490). 207 So Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (9). 208 So Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (491 f.); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 42 f.; vgl. zu den Spannungen innerhalb der Solidarnos´´c-Bewegung Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (30), die darauf hinweisen, dass es 1992 zur Bildung von „Solidarnos´c´ 80“ kam, die an das Selbstverständnis der Solidarnos´´c-Bewegung von 1980 anknüpfen wollte und sich von der ihrer Ansicht nach opportunistisch handelnden NSZZ „Solidarnos´c´ “ abspaltete. 209 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 44 m.w. N. 210 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (492 f.).

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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gespielt.211 Als Hintergrund hierfür sieht Wratny212 die dominante Stellung der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt und deren Einfluss auf gesetzgeberische Initiativen, die für Gewerkschaften und Arbeitnehmer ungünstige rechtliche Änderungen herbeiführten, sowie das Streben der Arbeitgeber nach einer Marginalisierung der Gewerkschaften in ihren Unternehmen.213 Ferner sei der in Polen vorzufindende sinkende Organisationsgrad wie auch in anderen Ländern darauf zurückzuführen, dass die traditionell gewerkschaftlich besetzten Branchen schwanden, flexiblere Arbeitsformen das klassische Arbeitsverhältnis ablösten und die Qualifikationen der Arbeitnehmer stiegen, was sie und die Arbeitgeber eher zu Partnern als Konfliktparteien werden lasse.214 Gleichzeitig führe vor allem die Flexibilisierung der Arbeit (insb. befristete Arbeitsverträge, Teilzeit, Arbeitnehmerüberlassung) zu einer schwächeren Verbundenheit der Arbeitnehmer mit der Belegschaft und auch daher zu einem geringeren Interesse – bzw. im Fall der Leiharbeitnehmer zu fehlenden rechtlichen Möglichkeiten – in Bezug auf den Beitritt zu einer betrieblichen Gewerkschaftsorganisation.215 Schließlich würden Arbeitsverhältnisse vielfach durch Werkverträge und Outsourcing ersetzt.216 Bedeutsam sei darüber hinaus, dass die Arbeitgeber als Sozialpartner der Gewerkschaften nur schwach in Arbeitgeberverbänden organisiert seien und diese zudem vorrangig geschäftliche und lobbyistische Zwecke verfolgten, dagegen jedoch kein wahrhaftiges Interesse an Tarifverhandlungen und -abschlüssen und damit der Schaffung autonomer Rechtsquellen hätten.217 Die Bedeutung von überbetrieblichen Tarifverträgen in der Privatwirtschaft ist dementsprechend auch verschwindend gering. Von 1995 bis heute wurden lediglich insgesamt 174 überbetriebliche Tarifverträge registriert, von denen bereits 99 wieder aufgelöst wurden und 14 weitere wegen nunmehr fehlender Vertretungsbefugnis einer der Tarifvertragsparteien keinerlei praktische Bedeutung haben.218 Es verbleiben da211 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101. 212 Ebenda. 213 Näher hierzu Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (493 f.). 214 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 43. 215 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (491); ders., Zwia˛zki zawodowe i inne formy przedstawicielstwa pracowniczego, MoPr 12/2013, S. 632 (632 f.); vgl. zur Problematik flexibler Beschäftigungsformen und der Arbeitnehmerpartizipation auch ders., Fenomen partycypacji pracowniczej, Kapitel V Rn. 12. 216 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (491). 217 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (494). 218 So die Angaben des Ministeriums für Familie, Arbeit und Soziales unter http:// www.dialog.gov.pl/dialog-krajowy/uklady-zbiorowe-pracy/stan-rejestru-prowadzonego-

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

mit nur 61 überbetriebliche Tarifverträge, von denen etwa 200.000 Arbeitnehmer erfasst werden.219 Bezogen auf ca. 16,0 Millionen erwerbstätige Personen im Jahr 2018220 macht dies lediglich 1,25 % aus, bezogen auf ca. 10,6 Millionen Beschäftigte221 entspricht dies 1,88 %, bezogen auf ca. 9,6 Millionen Beschäftigte in Betrieben mit mehr als neun Arbeitnehmern222 2,08 %.223 Zwar spielen Tarifverträge auf Betriebsebene eine weitaus größte Rolle, doch auch unter Einbeziehung der betrieblichen Tarifverträge wird die Deckungsrate von Tarifverträgen auf nur ein Viertel aller Arbeitnehmer geschätzt.224 Wie sich den jährlichen Berichten der Arbeitsinspektion entnehmen lässt, werden auch immer weniger Tarifverträge auf Betriebsebene neu abgeschlossen und registriert.225

przez-ministra-rodziny-pracy-i-polityki-spolecznej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch die Angaben auf der Homepage von NSZZ „Solidarnos´c´ “, wonach von 169 überbetrieblichen Tarifverträgen nur acht mit privaten Arbeitgeberorganisationen abgeschlossen wurden und ansonsten ausschließlich im staatlichen bzw. kommunalen Bereich gelten, abrufbar unter http://www.solidarnosc.org.pl/dialog-dwustronny/dialogbranzowy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 sowie die Ausführungen bei http:// de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbeziehungen/Laender/Polen/Tarifverhand lungen, wonach es zum 31. Dezember 2012 nur 170 überbetriebliche Tarifverträge gab, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 219 Angaben des Ministeriums für Familie, Arbeit und Soziales unter http://www. dialog.gov.pl/dialog-krajowy/uklady-zbiorowe-pracy/stan-rejestru-prowadzonego-przezministra-rodziny-pracy-i-polityki-spolecznej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 220 Angaben des Polnischen Statistischen Hauptamtes im Bericht „Pracuja˛cy i wynagrodzenia w gospodarce narodowej w 2018 r. – dane wste˛pne“, S. 1 f., abrufbar unter https://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/rynek-pracy/pracujacy-zatrudnieni-wynagrodze nia-koszty-pracy/pracujacy-i-wynagrodzenia-w-gospodarce-narodowej-w-2018-r-danewstepne,18,1.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; zum Verständnis des Begriffs „pracuja˛cy w gospodarce narodowej“ als Erwerbstätige und des Begriffs „zatrudnieni“ als Beschäftigte vgl. https://stat.gov.pl/metainformacje/slownik-pojec/pojeciastosowane-w-statystyce-publicznej/3399,pojecie.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 221 Ebenda. 222 Angaben des Polnischen Statistischen Hauptamtes zum 30. September 2019 im Bericht „Zatrudnienie i wynagrodzenia w gospodarce narodowej w I półroczu 2019 r.“, S. 10, abrufbar unter https://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/rynek-pracy/pracujacy-za trudnieni-wynagrodzenia-koszty-pracy/zatrudnienie-i-wynagrodzenia-w-gospodarce-na rodowej-w-pierwszym-polroczu-2019-roku,1,35.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 223 Vgl. dagegen Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? 2014, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 5, die darauf hinweist, dass lediglich 3 % aller Beschäftigten über überbetriebliche Tarifverträge abgesichert sind. 224 Trappmann, Die Gewerkschaften in Polen: Neue Bündnisse, mehr Schlagkraft? 2014, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 5 f.; ebenso ein Bericht von EIRO, 2013, S. 2, abrufbar unter http://www.eurofound.europa.eu/eiro/country/poland.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Andere Schätzungen belaufen sich auf 14 % bis 18 %, vgl. http:// de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbeziehungen/Laender/Polen/Tarifverhand lungen zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 225 Vgl. zu der sinkenden Tendenz seit 2010 den Bericht über die Tätigkeit der Arbeitsinspektion im Jahr 2014, S. 27, abrufbar unter https://www.pip.gov.pl/pl/o-urzed

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Umso notwendiger sind vor diesem Hintergrund die Bemühungen der Gewerkschaften, das Instrument der Tarifverträge zu fördern. So etwa betonte der Vorsitzende der NSZZ „Solidarnos´c´ “, Piotr Duda, die Bedeutung der Tarifverträge auf betrieblicher, überbetrieblicher, branchenweiter und sogar internationaler Ebene als der „Grundlage der Arbeitnehmerpartizipation“.226 Mutmaßlich wurde von den Gewerkschaften auch nicht zuletzt aufgrund dieser Tendenzen jüngst eine Erweiterung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts durch Änderung des GewG angestrebt und durchgesetzt.227 Doch nicht nur von Gewerkschaftsseiten, auch in der polnischen Rechtswissenschaft werden die sinkenden Mitgliederzahlen und damit einhergehend auch die schwindende Bedeutung der Gewerkschaften als Gefährdung für die Arbeitnehmerrechte angesehen.228 Dies nicht nur aufgrund des nahezu vollständigen Monopols der Gewerkschaften in Bezug auf die Verhandlung und den Abschluss von Tarifverträgen und Kollektivvereinbarungen, weswegen die Abwesenheit von Gewerkschaften auch das Fehlen autonomer arbeitsrechtlicher Regelungen durch die Sozialpartner bedeute.229 Auch seien die Gewerkschaften die „treibende Kraft“ für andere Arbeitnehmervertretungen wie etwa die Arbeitnehmerräte oder die Vertreter im Aufsichtsrat kommerzialisierter Gesellschaften, sodass ohne die Gewerkschaften diese Institutionen entweder überhaupt nicht oder nur rein formal aufgrund einer bestehenden gesetzlichen Verpflichtung wahrgenommen würden.230

zie/sprawozdania-z-dzialalnosci, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Diese Tendenz setzte sich nach 2014 im Wesentlichen fort: Während im Jahr 2014 noch 88 betriebliche Tarifverträge neu registriert wurden, waren es 2015 nur 69, 2016 zwar wieder 79, 2017 sodann nur 50 und 2018 54, vgl. die jeweiligen Berichte über die Tätigkeit der Arbeitsinspektion, abrufbar unter https://www.pip.gov.pl/pl/o-urzedzie/sprawozdania-z-dzialal nosci/archiwum/2018, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 226 Vgl. die Aussage vom Vorsitzenden der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Piotr Duda, auf dem Gewerkschaftskongress am 17. Oktober 2017 („niezbe˛dne sa˛ układy zbiorowe pracy: zakładowe, ponadzakładowe, branz˙owe, ponadnarodowe. To one sa˛ podstawa˛ partycypacji pracowniczej.“), abrufbar unter http://www.solidarnosc.org.pl/aktualnosci/ wiadomosci/kraj/item/15648-przyzwoitosc-w-kodeksie-partycypacja-w-ukladach-zbioro wych-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 227 Vgl. das von der OPZZ erstrittene Urteil des Polnischen Verfassungsgerichts vom 2. Juni 2015, Az.: K 1/13, Dz. U. 2015 Pos. 791, sowie die Änderungen des GewG aufgrund des Gesetzes über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher hierzu oben Kapitel 5, A.I.1. 228 So Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (484); in dieser Richtung auch Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (9), der dem Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades generelle Bedeutung für die Entwicklung von verschiedenen Partizipationsformen beimisst. 229 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (484). 230 Ebenda.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

II. Gewerkschaften und die Unternehmensmitbestimmung 1. Abgrenzungen und Überschneidungen a) Überschneidungen in sachlicher Hinsicht Vom Prinzip her bestehen in sachlicher Hinsicht zwischen den gesetzlichen Kompetenzen der Gewerkschaften und den Kompetenzen der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen sowohl in Deutschland als auch in Polen grundsätzlich keine Überschneidungen.231 Während die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Vorstand über ihre Funktion als Organmitglied auf die Unternehmenspolitik – insbesondere in wirtschaftlichen und strategischen Fragen – Einfluss nehmen können232, befassen sich die Gewerkschaften im Wesentlichen mit tarifpolitischen Themen, dabei vor allem den geltenden Arbeitsbedingungen und – in Polen wesentlich ausgeprägter als in Deutschland – auch betrieblichen Fragen, vertreten die Interessen ihrer Mitglieder in individuellen Angelegenheiten und wirken auf politischer Ebene auf die Sozial- und Wirtschaftspolitik und -gesetzgebung ein233. In Deutschland ist den beteiligten Akteuren die eindeutige Zuständigkeitsabgrenzung auch insoweit bewusst, als dass nach den Untersuchungen der Biedenkopf-Kommission tarifpolitische Themen zwar ab und zu im Aufsichtsrat behandelt wurden, jedoch nie verbindliche Vorgaben für die Unternehmensleitung ausgesprochen werden sollten.234 Dagegen zeigten empirische Untersuchungen in Polen, dass die Wahlversprechen der arbeitnehmerseitigen Kandidaten für den Aufsichtsrat oftmals auch den Schutz von Arbeitnehmerinteressen betrafen, obwohl an sich auch der polnische Aufsichtsrat nicht für derartige Themen zuständig ist.235 In Deutschland ist ferner unstrittig, dass umgekehrt auch die Unternehmensmitbestimmung selbst einer Regelung durch Tarifvertrag unzugänglich ist236, was in Polen auf Grundlage der geltenden Gesetze nicht zweifelsfrei ist237. Gleichwohl kann nicht verkannt werden, dass sich sowohl in Deutschland als auch in Polen die Gewerkschaften wie auch die sonstigen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Vorstand bei Ausübung ihrer Funktionen inhaltlich – zumin231 Vgl. zum deutschen Recht Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 6. 232 Zu den Funktionen und Aufgaben des Aufsichtsrats oben Kapitel 3, C.II.1., zu den Aufgaben des Arbeitsdirektors bzw. der gewählten Arbeitnehmervertreter im Vorstand oben Kapitel 3, C.III.2. 233 Ausführlich hierzu oben Kapitel 5, A.I.1.c). 234 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 47. 235 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 107. 236 Hierzu oben Kapitel 3, A.I.1.b). 237 Hierzu oben Kapitel 3, A.I.2.b).

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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dest auch – an den Arbeitnehmerinteressen ausrichten238, sodass unter diesem Gesichtspunkt durchaus eine sachliche Überschneidung im weitesten Sinne besteht. Die Biedenkopf-Kommission kam ferner zu einer interessanten Erkenntnis in Bezug auf die Folgen der Mitbestimmung für Tarifverhandlungen und die Tarifpolitik: Danach haben Befragungen ergeben, dass infolge der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat die Gewerkschaften als Tarifvertragspartner wesentlich besser in Bezug auf die wirtschaftliche Lage und die Leistungsfähigkeit der Unternehmen informiert gewesen seien.239 Auch wenn betont wurde, dass hierdurch die Gewerkschaften in wirtschaftlich schwierigen Phasen eher die tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens zu berücksichtigen geneigt seien, so führte andererseits das Wissen um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch zu höheren gewerkschaftsseitigen Forderungen.240 Empirische Untersuchungen in Polen zeigten sogar, dass der Aufsichtsrat sich nicht selten auch explizit mit Fragen der Entlohnung der Arbeitnehmer beschäftigte und die Arbeitnehmervertreter diesbezüglich ein hohes Engagement zeigten.241 Die Überschneidungen in sachlicher Hinsicht sind jedoch noch viel komplexer, in vielfacher Hinsicht nutzen die Gewerkschaften ihren Einfluss in den Betriebs- und Aufsichtsräten von Unternehmen für eigene Zwecke.242 In Bezug auf die Verfassungsgemäßheit des MitbestG wurde mitunter die Frage diskutiert, ob durch die Mitbestimmung die Gegnerunabhängigkeit der Tarifvertragsparteien beeinträchtigt und daher die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie gefährdet sei, da zum einen der mitbestimmte Aufsichtsrat aufgrund seiner Personalkompetenzen über die personelle Besetzung der Unternehmensleitungen entscheiden und zum anderen auch mittelbar – etwa durch seinen Einfluss auf Beitritts- und Austrittsentscheidungen von Mitgliedsunternehmen – auf die Zusammensetzung der Arbeitgeberorganisationen bzw. ihrer Gremien einwirken könne.243 Das Bundesverfassungsgericht hat eine daraus folgende Verfassungswidrigkeit des MitbestG jedoch verneint.244

238

Vgl. hierzu oben Kapitel 3, C.II.1.c) sowie Kapitel 3, C.II.5.a)cc). Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 47. 240 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 47 f. 241 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (187). 242 Ausführlich zu der „Machtverstärkung“ der Gewerkschaften Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, in: Bitburger Gespräche Jahrbuch 2006/I, S. 41 (42 ff.). 243 Vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 53 m.w. N.; näher zu den einzelnen Aspekten BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 188 ff., 199 ff. 244 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 188 ff., 199 ff. 239

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

b) Personelle Verflechtungen Das Amt des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat wird sowohl in Deutschland als auch in Polen oft von Gewerkschaftsmitgliedern wahrgenommen. Dabei sind in Deutschland nicht nur die gesetzlich vorgeschriebenen Gewerkschaftsvertreter, sondern auch die unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer in weit überwiegender Zahl Gewerkschaftsmitglied.245 Laut einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung und der Böckler-Stiftung aus dem Jahr 1998 waren Anfang der 1990er Jahre in der Metall-, Chemie-, Papier- und Keramikbranche sogar ca. 95 % der Arbeitnehmervertreter Mitglieder in einer Gewerkschaft.246 Neben diese personellen Verflechtungen tritt üblicherweise eine Personenidentität zwischen den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat und Betriebsräten hinzu.247 Dass nicht organisierte Arbeitnehmervertreter eher die seltene Ausnahme darstellen, trifft auch auf Polen zu, wie empirische Untersuchungen belegten.248 Die Arbeitnehmervertreter gehören dabei oft der OPZZ oder der NSZZ „Solidarnos´c´ “ an, teilweise vertreten waren aber auch andere Gewerkschaftsorganisationen sowie nur in einem einzigen Betrieb tätige Betriebsgewerkschaften.249 Der Einfluss der Gewerkschaften zeigt sich bereits bei der Kandidatur und dem Wahlverfahren für das Aufsichtsratsmandat.250 Dass aufgrund personeller Überschneidungen Konfliktsituationen entstehen können, hat schon das Bundesverfassungsgericht in seinem Mitbestimmungsurteil festgestellt. Diese könnten etwa daraus folgen, dass ein Vorstandsmitglied in Tarifverhandlungen Arbeitsnehmervertretern gegenübersitzt, die im Rahmen ihrer Funktion im Aufsichtsrat über seine erneute Bestellung zu entscheiden haben.251 Umgekehrt könnten sich auch die gleichzeitig im Aufsichtsrat amtierenden Arbeitnehmervertreter angesichts ihrer beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bei tariflichen Auseinandersetzungen in ihrer Entscheidungsfreiheit be245

Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 51. Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 48. Ca. 90 % der arbeitnehmerseitigen Aufsichtsratsmitglieder gehörten entweder der IG Metall oder der IG Chemie, Papier, Keramik an, von den übrigen 10 % war ungefähr die Hälfte Mitglied in der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft. 247 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 5. 248 Vgl. die Untersuchungen des IPiSS im Jahr 2001, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 61 f. sowie im Jahr 2003, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104; hierzu auch schon oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 249 Vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 61 f.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. 250 Hierzu unten Kapitel 5, A.II.2.b). 251 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 204. 246

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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schränkt fühlen.252 Ein Konflikt könnte auch im Verhältnis der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zur Arbeitnehmerschaft entstehen, etwa wenn sie aufgrund ihres Aufsichtsratsmandats Informationen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens erhalten, die ihnen die Durchsetzung arbeitnehmerseitiger Forderungen verbietet.253 In der deutschen Literatur werden insbesondere die potentiellen Konflikte im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen kontrovers diskutiert.254 Auf der anderen Seite waren die Verfasser des deutschen MitbestG davon ausgegangen, dass die Teilnahme von Vertretern der Gewerkschaften als einer überbetrieblichen Organisation der Arbeitnehmer „zu einer gleichberechtigten und vor allem auch gleichgewichtigen Beteiligung der Anteilseigner und der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Unternehmen“ gehöre.255 Dem scheint die Annahme zugrundezuliegen, dass die Gewerkschaftsmitglieder über eine besondere Sachkunde verfügen, die sich positiv auf die Aufsichtsratsarbeit auswirken könne.256 So vertrat auch das Bundesverfassungsgericht die Ansicht, dass die Anwesenheit von externen Gewerkschaftsvertretern dazu beitrage, „auch auf der Arbeitnehmerseite besonders qualifizierte Vertreter zu entsenden“, ferner könne dies einen „Betriebsegoismus“ verhindern oder jedenfalls abschwächen.257 Im Falle eines starken Gegensatzes zwischen kurzfristigen und langfristigen Arbeitnehmerinteressen würde die Anwesenheit der Gewerkschaftler dem Unternehmenswohl zugute kommen.258 Der polnische Gesetzgeber hat den Arbeitskampf als besonderes Konfliktpotential bei der personellen Identität eines von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieds und eines Funktionärs der Betriebsgewerkschaft identifiziert. Um derartige Konfliktsituationen zu vermeiden, wurde in Art. 13 Abs. 4 KommerzG a. F. die Regelung aufgenommen, dass ein Aufsichtsratsmitglied 252

Ebenda. Ebenda. 254 Vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 33 Rn. 82 m.w. N.; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 116 AktG Rn. 182 ff. m.w. N. Zu dieser Problematik auch schon oben im Rahmen der Ausführungen zur Loyalitätspflicht in Kapitel 3, C.II.5.a)dd)(3). Zur Problematik der gleichzeitigen Aufsichtsratstätigkeit und gewerkschaftlichen Betätigung vgl. auch Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 26 MitbestG Rn. 19 ff. 255 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17. 256 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 12. 257 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 167. 258 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 167, bezugnehmend auf die Erkenntnisse der Biedenkopf-Kommission, Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 107. 253

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

nicht gleichzeitig eine Funktion in der Betriebsgewerkschaft ausüben darf. Die zum 1. Januar 2017 gestrichene Regelung259 wurde zwar zunächst wortlautgetreu in Art. 19 Abs. 4 StaatsVermVerwG urspr. Fassung übernommen, durch Änderungsgesetz vom 1. März 2018260 jedoch aus dem StaatsVermVerwG gestrichen. Unabhängig hiervon galt für die Arbeitnehmervertreter jedoch schon immer, dass sie bloßes Mitglied in einer Betriebsgewerkschaft sowie auch Funktionär in einer überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation sein konnten, ferner galt die Beschränkung des Art. 13 KommerzG a. F. nicht für bereits teilweise privatisierte Unternehmen.261 Gewiss lassen sich gute Argumente sowohl für als auch gegen die Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat finden. Nicht umsonst war diese Frage ein heftiger Streitpunkt während der Mitbestimmungsdiskussion in den 1970er Jahren.262 Dass eine derartige personelle Verflechtung allerdings ein hohes Konfliktpotential auch für die Gewerkschaftsmitglieder selbst mit sich bringt, dürfte nur schwerlich abzustreiten sein.263 So äußerte auch ein in einem polnischen Unternehmen befragtes Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmerseite, dass jene Arbeitnehmervertreter eine „gespaltene Persönlichkeit“ hätten, wenn sie ihre Arbeit als Gewerkschaftsmitglied und Aufsichtsratsmitglied trennen wollten.264 2. Konkurrenz oder Einfluss? a) Die Gewerkschaften – friend or foe der Unternehmensmitbestimmung? In Deutschland gilt die Mitbestimmung als „Symbol des gewerkschaftlichen Kampfes“.265 Entsprechend groß war die Rolle der Gewerkschaften im Zuge der Einführung der Mitbestimmungsgesetzgebung.266 Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich die Gewerkschaften in einer sehr starken und vorteilhaften Position. 259 Vgl. Art. 14 Pkt. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 260 Vgl. Art. 1 Pkt. 2 lit. b) Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG vom 1. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 702. 261 Ausführlich hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 262 Insbesondere die FDP lehnte die Anwesenheit von externen Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat entschieden ab, vgl. die Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik der FDP, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg vom 25./27. Oktober 1971, Archiv des Liberalismus, Druckschriftenbestand Sign. D1-123, S. 67. Hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.d). 263 Vgl. zu den Interessenkonflikten von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat Hanau/Wackerbarth, Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit – Interessenkonflikte von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat. 264 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 112 („[. . .] ci członkowie rady maja˛ rozdwojenie jaz´ni, w jaki sposób maja˛ oni rozdzielic´ swoje działania jako zwia˛zkowcy i członkowie rady nadzorczej“). 265 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 65 m.w. N. 266 Ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Begünstigt durch die Alliiertenmaßnahmen und die Diskreditierung der Unternehmer konnten sie von Anfang an bei dem Neuaufbau Deutschlands aktiv mitwirken und ihre Forderungen einbringen. Die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen war dabei ein ureigenes Konzept, welches in Gewerkschaftskreisen erstellt wurde, mithin eine ureigene Grundforderung der Gewerkschaften, die im Zuge der Nachkriegsjahre auf nahrhaften Boden traf und deswegen durchgesetzt werden konnte.267 Im Zuge des Wiederaufbaus Deutschlands gelang es den Gewerkschaften, den Mitbestimmungsforderungen entsprechendes Gewicht zu verleihen und den Rückhalt der arbeitenden Bevölkerung zu gewinnen, was sich in den Streiks im Zusammenhang mit der gesetzlichen Absicherung der gelebten Montan-Mitbestimmung deutlich zeigte. Über Jahrzehnte bemühten sich die Gewerkschaften sodann um die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung nach dem Modell der Montanmitbestimmung. Man darf wohl zu Recht behaupten, dass erst der Einfluss der Gewerkschaften die Einführung gesetzlicher Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene bewirkte. Nicht nur im Zusammenhang mit der gesetzlichen Verankerung der Montanmitbestimmung, auch bei der Verabschiedung des MitbestG, waren die Gewerkschaften die treibende Kraft, die die Öffentlichkeit sensibilisierte und dadurch Druck aufbaute.268 Zudem hatten die Gewerkschaften auch in den Sozialdemokraten und auch im linken Flügel der CDU/CSU stets Verbündete, sodass ihre Forderungen auch politisch – wenngleich letztlich nur in durchaus abgeschwächter Form – durchsetzbar waren. Auch heutzutage ist das Thema Mitbestimmung nach wie vor eine der grundlegenden Forderungen der deutschen Gewerkschaften. Vehement betont der DGB die Bedeutung der Mitbestimmung für die deutsche Wirtschaft.269 Gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung werden kontinuierlich Initiativen zum Schutz und Ausbau der Mitbestimmung, insbesondere auf Unternehmensebene, ergriffen.270 Das Verhältnis der polnischen Gewerkschaften zu anderen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung bedarf indes einer etwas differenzierteren Betrachtung: Auf der einen Seite nicht zu verkennen ist die historische Bedeutung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ für die Einführung wahrhaftiger Arbeitnehmerpartizipationsformen im SelbstVerwG von 1981, welche in den Privatisierungsgesetzen in der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene ihre Kontinuität gefunden haben. Auf der anderen Seite wandelte sich im Zuge der Zeit die Einstellung der Gewerkschaften zu anderen Partizipationsformen, da die Gewerkschaften um ihre Monopolstellung in Bezug auf die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen bedacht waren. 267

Vgl. auch Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 50. Ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.I.2. 269 Vgl. das Portal des DGB zur Mitbestimmung auf https://www.dgb.de/schwer punkt/offensive-mitbestimmung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 270 Vgl. etwa https://www.boeckler.de/de/mitbestimmung.htm sowie https://www. mitbestimmung.de/, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 268

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Im Zuge der Reformbestrebungen in den Jahren 1980/1981 war die Forderung nach authentischer Arbeitnehmerselbstverwaltung eine der grundlegenden Forderungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gewesen.271 Die Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung nach Maßgabe des SelbstVerwG von 1981 ist daher auch dem entschlossenen Kampf der NSZZ „Solidarnos´c´ “ zu verdanken. Bis 1989 hatte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ die Selbstverwaltungsbewegung vehement unterstützt und das Selbstverwaltungskonzept zu einem wichtigen Programmpunkt erhoben, wenn auch diese Unterstützung im Kontext des zu bekämpfenden Systems zu sehen ist. Die Selbstverwaltung stand nicht nur für Widerstand gegen das kommunistische System, mehr Selbstbestimmtheit und wesentliche Reformen, auch waren die Selbstverwaltungsorgane, insbesondere die Belegschaftsräte, in den 1980er Jahren nach Verhängung des Kriegszustandes und dem Verbot der NSZZ „Solidarnos´c´ “ die einzige legale Möglichkeit für die Gewerkschaftsfunktionäre, Einfluss innerhalb der Unternehmen üben zu können. In den Vereinbarungen des Runden Tisches, zu denen die NSZZ „Solidarnos´c´ “ wesentlich beigetragen hatte, wurde die „Weiterentwicklung der Selbstverwaltung und der Arbeitnehmerpartizipation“ als einer der Grundpfeiler der neuen Wirtschaftsordnung niedergelegt.272 Für die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen nach 1989 war das „Erbe der 1980er Jahre“, insbesondere der von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ angeführten gesellschaftlichen Bewegungen in den Jahren 1980/81, zweifelsohne von maßgeblicher Bedeutung.273 Insoweit hat auch die Arbeitnehmerbeteiligung im PrivG 1990 und KommerzG, die letztlich auch eine Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung im marktwirtschaftlichen Umfeld darstellen sollte, ihre Wurzeln in den Jahren 1980/1981. Gleichwohl ist zu beachten, dass sich nach dem Umbruch 1989/1990 die Einstellung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ zur Arbeitnehmerselbstverwaltung geändert hatte. Infolge ihrer Unterstützung für die auf eine großflächige Privatisierung aufgelegte Regierungspolitik und ihrer aktiven Rolle bei der Transformation von Staatsunternehmen274 verwarf die Gewerkschaft die noch in den – mit der früheren sozialistischen Regierung geführten – Gesprächen am Runden Tisch angestrebte Weiterentwicklung der Selbstverwaltungsidee in Staatsunternehmen.275 Hatte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ Anfang der 1980er Jahre in ihrem Programm

271

Ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.3. NSZZ „Solidarnos´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24 („Przekształcenia prowadza˛ce do nowego ładu ekonomicznego obejmuja˛ przede wszystkim: rozwój samorza˛dnos´ci i partycypacji [. . .]“; Übersetzung d. Verf.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 75. 273 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (26). 274 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (28). 275 Vgl. Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293. 272

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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noch das Konzept der Selbstverwaltung mit sehr weitgehenden Rechten des Belegschaftsrates proklamiert, so hat sich die nach dem Umbruch von 1989/1990 mitregierende politische Gruppierung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ von diesem Konzept entschieden distanziert.276 Die Einführung des Modells der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene im PrivG 1990 wird in der polnischen Literatur auch vielmehr auf die Selbstverwaltungsbewegung als auf die NSZZ „Solidarnos´c´ “ zurückgeführt, deren Führungsspitze zu diesem Zeitpunkt bereits die liberalen Konzepte der Regierung unterstützte.277 Gleichwohl stellte das im Jahr 1993 im Pakt über das Staatsunternehmen vereinbarte Recht der Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat sowie einen Vertreter in den Vorstand wählen zu dürfen, ein Zugeständnis seitens der Regierung an die während der Verhandlungen vertretenen Gewerkschaften im Gegenzug für ihre Unterstützung der Privatisierungsprozesse dar.278 Dabei hatte sich die NSZZ „Solidarnos´c´ “ nicht nur für eine arbeitnehmergünstigere Beteiligungsquote der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ausgesprochen als die Regierung und die Arbeitgeber, auch gingen ihre Forderungen weiter als die zwischen der Regierung, den Arbeitgebern und der OPZZ und den anderen Gewerkschaften letztlich unterzeichneten Vereinbarungen.279 Im Allgemeinen zeigten die Gewerkschaften in den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch kein sonderliches Interesse an dem Thema Arbeitnehmerpartizipation.280 Gemeinhin wird den polnischen Gewerkschaften eine äußerst negative Haltung gegenüber anderen Formen der Arbeitnehmerpartizipation attestiert, die auf egoistische Motive zurückzuführen sei.281 Von polnischen Autoren wird hervorgehoben, dass die Gewerkschaften um ihre Monopolstellung als Arbeitnehmervertreter fürchteten und alle anderen Formen von Arbeitnehmer276

Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6) f. 277 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 278 Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (14). 279 Zwischen der Regierung, den Arbeitgebern und der OPZZ sowie anderen Gewerkschaften gelang schließlich eine Einigung auf einen Arbeitnehmervertreter bei fünf bis zehn Mitgliedern im Aufsichtsrat, zwei Arbeitnehmervertretern bei elf bis fünfzehn Mitgliedern und drei Vertretern bei mehr als sechszehn Mitgliedern. Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ forderte dagegen einen Vertreter bei einem Aufsichtsrat mit fünf bis sieben Mitgliedern, zwei Vertreter bei acht bis zwölf Mitgliedern sowie drei Vertreter in Aufsichtsräten mit mehr als dreizehn Mitgliedern, ferner das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds bei Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern anstelle von 2.500; vgl. zu diesen gegensätzlichen Positionen den Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5. Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 280 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 281 So etwa Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5 f.).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

partizipation als Konkurrenz ansähen, die ihre eigene Macht bedrohte.282 Wesentlich hierzu beigetragen hätte auch die den Gewerkschaften durch das GewG und die Privatisierungsgesetze eingeräumte Befugnis, mit Investoren sog. Sozialvereinbarungen283 abzuschließen, wodurch sich ihre Position in den Betrieben verstärkte.284 Ferner basiere das traditionelle Handlungsmuster der Gewerkschaften auf Konflikten und Verhandlungen, was durch die Arbeitnehmerpartizipation durcheinandergebracht würde.285 Daher war auch die NSZZ „Solidarnos´c´ “ ablehnend gegenüber den in der polnischen Rechtswissenschaft hervorgebrachten Vorschlägen zur Einführung eines dualen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung nach deutschem Vorbild gewesen.286 So widersetzten sich die Gewerkschaften auch der Einführung einer betrieblichen Mitbestimmung, wie sie im Entwurf des Arbeitsgesetzbuchs 1996 vorgesehen war.287 Dagegen wollte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ beispielsweise in ihrem Konzept zur Überarbeitung der Polnischen Verfassung das Recht auf Arbeitnehmerpartizipation in der Polnischen Verfassung dahingehend verankern, als dass die „Partizipation von Arbeitnehmerorganisationen an der Unternehmensführung“ 288 als ein Element der sozialen Marktwirtschaft festgeschrieben werden sollte.289 Der Entwurf präzisierte zwar nicht, was unter dem Begriff der „Arbeitnehmerorganisationen“ zu verstehen sei, enthielt gleichzeitig aber ausgiebige Regelungen zur Koalitionsfreiheit, zu Tarifverträgen und zum Streikrecht.290 Beobachtungen zeigen auch, dass dort, wo dies möglich war, die Gewerkschaften ihren eigenen Einfluss in den Unternehmen auszuweiten versuchten, etwa indem sie Haustarifverträge oder Sozialvereinbarungen im Zu282 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 103; Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6); Kulpin´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (20); Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 49. 283 Hierzu ausführlich oben Kapitel 3, A.I.2.c) sowie unten Kapitel 5, A.II.2.b). 284 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 523. 285 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (20). 286 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (20). Die ablehnende Haltung der Gewerkschaften gegenüber einer gewerkschaftsunabhängigen Arbeitnehmervertretung auf Betriebs- oder Unternehmensebene bestätigen auch die vom IPiSS durchgeführten Befragungen im Jahr 2001, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 89. Den Gewerkschaftlern zufolge würde eine solche lediglich die Gewerkschaften sowie die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat duplizieren. Dagegen seien die Arbeitnehmerinteressen hinreichend durch die Gewerkschaften gewahrt, insbesondere bei dem bestehenden Pluralismus könne jeder eine Gewerkschaft finden, die ihm zusagt. 287 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 373; näher zu dem nicht veröffentlichten Gesetzesentwurf Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 68. 288 „partycypacja organizacji pracowników w zarza˛dzaniu zakładem pracy“; Übersetzung d. Verf. 289 Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 67. 290 Ebenda.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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sammenhang mit der Privatisierung abschlossen.291 Dort, wo sich die Einberufung einer Arbeitnehmervertretung nicht vermeiden ließ, nutzten die Gewerkschaften diese Institution als eigenes Machtinstrument, nicht aber als Instrument zur Vertretung aller Arbeitnehmer.292 Nach Einschätzung von Rudolf 293 ist die ablehnende Haltung der Gewerkschaften kennzeichnend für viele postkommunistische Staaten. Die Einstellung der Gewerkschaften scheint mithin in der sozialistischen Historie zu wurzeln – immerhin hatten auch die Gewerkschaften unter dem sozialistischen System mit Unterdrückung und Autorität des Parteiapparates zu kämpfen und wurden schließlich selbst zu einem organisatorischen Teil des totalitären Systems degradiert.294 Ihre Unabhängigkeit und die Befugnis zur authentischen Vertretung von Arbeitnehmerinteressen mussten sie sich erst durch einen lange Zeit im Untergrund geführten Kampf hart erarbeiten. Es wundert daher nicht, dass die Gewerkschaften – möge dies auch nicht billigenswert erscheinen – vorrangig ihre eigene Position und Einflussmöglichkeiten nach Wiederbelebung der Koalitionsfreiheiten und Zulassung des gewerkschaftlichen Pluralismus in den Fokus stellten und nach dem Umbruch von 1989 ihre neu eröffneten Möglichkeiten zur Einflussnahme in den Unternehmen und der Wirtschaft kaum mit anderen Arbeitnehmervertretungen teilen wollten. Nach Ansicht von Rudolf 295 ist es jedoch bedauerlich, dass die Gewerkschaften sich nicht an den westlichen Vorbildern orientierten, wo die Position der Gewerkschaften auf einer Zusammenarbeit mit den Betriebsräten und den Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten beruhe. Im Hinblick auf die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen zeigten empirischen Untersuchungen des IPiSS aus dem Jahr 2003296, dass die Gewerkschaften die Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat und Vorstand generell als ihren „verlängerten Arm“ betrachteten und dort, wo dies möglich war, diese Institution der Arbeitnehmerpartizipation zu kontrollieren versuchten.297 Lediglich in einem privatisierten Unternehmen waren trotz Anwendbarkeit der gesetzlichen Mitbestimmungsvorgaben keine Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat entsandt worden, weil die im Unternehmen vertretene Gewerkschaft NSZZ „Solidarnos´c´ “ die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat angesichts der von ihr wahrgenommenen Rolle im Europäischen Be291

Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 49. Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (176). 293 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (175 f.). 294 Vgl. hierzu oben Kapitel 2, A.II.2. 295 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (175 f.). 296 Dargestellt bei Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy. Untersucht wurden sieben Unternehmen, die im Wege der mittelbaren – d.h. zweistufigen – Privatisierung umgewandelt worden waren. 297 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 95 f. 292

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

triebsrat für überflüssig angesehen hatte.298 Im Allgemeinen versuchten die Gewerkschaften jedoch, auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen einzuwirken und als eigenes Einfluss- bzw. Machtinstrument zu behandeln, etwa indem sie ihre eigenen Vertreter entsandten.299 Wie sich die Einstellung der Gewerkschaften zu anderen Partizipationsformen heutzutage darstellt, kann nur beschränkt eingeschätzt werden. In ihrem Grundsatzprogramm von 2007300 bekräftigt die NSZZ „Solidarnos´c´ “ vor allem die Bedeutung des sozialen Dialogs, an dem sie heutzutage als Partei des Rates des Sozialen Dialogs301 mitwirkt. Konkrete Forderungen nach einer Ausweitung der unternehmerischen oder betrieblichen Mitbestimmung werden zwar nicht gestellt. Gleichwohl spricht sich die NSZZ „Solidarnos´c´ “ in ihrem Programm von 2007 für eine Verbesserung der Mechanismen zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer sowie des Rechts auf Mitentscheidung auf europäischer, landesweiter und betrieblicher Ebene aus.302 Dass damit eine Stärkung der gewerkschaftsunabhängigen Arbeitnehmervertretungen einhergehen soll, ist zwar nicht zwingend herauszulesen. Dennoch werden die Gewerkschaften als die „treibende Kraft“ in Bezug auf die Errichtung von Arbeitnehmerräten oder die Bestellung von Arbeitnehmervertretern in die Aufsichtsräte angesehen, ohne die derartige Arbeitnehmervertretungen überhaupt nicht oder nur aus formalen Gründen zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben berufen werden würden.303 Fest steht auch, dass im Zuge der 2010/2011 angedachten Gesetzesreform zur Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene in kommerzialisierten Unter298 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 102 f. Wörtlich soll der Vorsitzende der zur NSZZ „Solidarnos´c´ “ gehörenden Betriebsgewerkschaft hierzu geäußert haben: „Ich sehe keine Notwendigkeit dafür, dass die Arbeitnehmer Vertreter in den Leitungsorganen der Gesellschaft haben [. . .] viel wesentlicher ist unser Beitrag in der Arbeit des Europäischen Betriebsrats als die Errichtung irgendwelcher unklarer Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat oder Vorstand“ (Übersetzung d. Verf.), vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103. 299 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84; ferner Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (176); zur Rolle, die die Gewerkschaften bei den Wahlregularien und den Wahlkampagnen spielten siehe unten Kapitel 5, A.II.2.b). 300 Vgl. etwa das Grundsatzprogramm der NSZZ „Solidarnos´c ´ “ vom 29. August 2007, abrufbar unter http://www.solidarnosc.org.pl/dokumenty/statutowo-wyborcze/de klaracja-programowa, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 301 Näher hierzu unten Kapitel 5, C.II. 302 Vgl. das Grundsatzprogramm der NSZZ „Solidarnos ´c´ “ vom 29. August 2007, Punkt 14: „Be˛dziemy doskonalic´ europejski model społeczny, w tym efektywne mechanizmy informacji i konsultacji pracowniczej wraz z prawem do współdecydowania na poziomie europejskim, krajowym i zakładowym“, abrufbar unter http://www.solidar nosc.org.pl/dokumenty/statutowo-wyborcze/deklaracja-programowa, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 303 So Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (484).

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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nehmen die NSZZ „Solidarnos´c´ “ eindeutig Stellung bezogen und sich dafür ausgesprochen hat, die Arbeitnehmerbeteiligung zu erhalten.304 Die Gewerkschaft stützte sich darauf, dass die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten kommerzialisierter Unternehmen eine Form des sozialen Dialogs darstelle.305 Ihre Abschaffung ließe nicht nur den in Art. 182 ArbGB verankerten, fundamentalen Grundsatz des Arbeitsrechts, wonach die Arbeitnehmer an der Unternehmensführung nach Maßgabe der geltenden Gesetze beteiligt sind, ins Leere laufen, sondern verletze auch Art. 20 der Polnischen Verfassung, dessen Kernelement eine weit verstandene Arbeitnehmerpartizipation sei.306 Gleichwohl ist ein ausdrückliches Bekenntnis zum Erhalt oder zur Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen im Grundsatzprogramm der NSZZ „Solidarnos´c´ “ von 2007 nicht zu finden, weswegen diese Partizipationsform augenscheinlich nicht im Fokus der gewerkschaftlichen Forderungen steht. Auch das Grundsatzprogramm der FZZ307 erwähnt die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nicht. Anders als die NSZZ „Solidarnos´c´ “ und die FZZ benennt die OPZZ in ihrem Programm für die Jahre 2018 bis 2022 die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten und Vorständen – wenn auch nur mit einem knappen Satz – ausdrücklich als eine wesentliche Partizipationsform, die es nach westlichem Vorbild auf die Privatwirtschaft auszuweiten gilt.308 Schon fast im Widerspruch dazu wird jedoch das KommerzG, welches als einziges rein nationales Gesetz diese Partizipationsform in Polen vorsieht, auf der Website der OPZZ weder bei den „wichtigen Rechtsgrundlagen“ noch bei denjenigen Gesetzen, die „ein Gewerkschaftler kennen sollte“ oder „müsse“, aufgelistet.309 Damit drängt sich der Eindruck auf, dass die im Grundsatzprogramm aufgestellte Forderung eher nur halbherzig gemeint ist und ihr nicht ernsthaft Nachdruck verliehen wird. Dieser Eindruck wird im Allgemeinen von den sonstigen auf den Internet304 Vgl. die Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos´c ´ “ vom 24. Januar 2011 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1 ff., im Internet abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Zum Gesetzesprojekt 2010/2011 und der Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos´c´ “ ausführlich unten Kapitel 7, B.II.2.b). 305 Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos ´c´ “ vom 24. Januar 2011 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1. 306 Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos ´c´ “ vom 24. Januar 2011 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1 f. 307 Grundsatzprogramm der FZZ, abrufbar unter http://fzz.org.pl/prawo/deklaracjaprogramowa/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 308 Vgl. Grundsatzprogramm der OPZZ vom 24./25. Mai 2018, abrufbar unter http:// www.opzz.org.pl/assets/opzz/media/files/d2bde577-f1ee-4487-ae30-94714ab2fd99/pro gram-opzz-na-lata-2018-2022.pdf, S. 7, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 309 Vgl. https://www.opzz.org.pl/o-nas/obowiazujace-akty-prawne, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

seiten der Gewerkschaften vorzufindenden Veröffentlichungen, Dokumenten, Aussagen usw., in denen die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nicht ausdrücklich erwähnt oder sonderlich hervorgehoben wird, bestätigt.310 Lediglich vereinzelte Stellungnahmen und Vorbringen seitens der Gewerkschaften zeigen, dass sie jedenfalls den Erhalt der bestehenden Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften zu sichern bestrebt sind.311 Insgesamt scheinen die Gewerkschaften der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene heutzutage nicht abgeneigt und daher eher Freund als Feind dieser Partizipationsform zu sein, die ihnen zusätzliche Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmensführung eröffnet. Allerdings liegt die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen bei Weitem nicht im Fokus gewerkschaftlicher Postulate, erst recht wird ihre Ausweitung auf die Privatwirtschaft nicht ernsthaft und mit Nachdruck gefordert. Vielmehr hat nicht zuletzt die erst jüngst erzielte Erweiterung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts312 gezeigt, dass die Gewerkschaften deutlich mehr Interesse an einer Stärkung ihrer Machtposition und Einflussmöglichkeiten über andere, gewerkschaftsnähere Wege haben als an der Förderung oder Ausweitung der Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten und Vorständen von Unternehmen. b) Einfluss der Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Unternehmensmitbestimmung Durch die Mitbestimmungsgesetze sind den Gewerkschaften sowohl in Deutschland als auch in Polen Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmensführung eröffnet worden. Die Einflussmöglichkeiten ergeben sich dabei in erster Linie im Rahmen der allgemeinen Kompetenzen des Aufsichtsrats, als deren Mitglieder Gewerkschaftsvertreter gewählt werden dürfen. In Deutschland wird dies bestärkt, indem 310 Vgl. http://www.solidarnosc.org.pl/, http://fzz.org.pl/ und http://www.opzz.org. pl/, jeweils zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 311 So etwa die Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos´c ´ “ vom 24. Januar 2011 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1 ff., im Internet abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 sowie die Stellungnahmen der OPZZ im Zusammenhang mit einer Gesetzesänderung des StaatsVermVerwG, vgl. http://www.opzz.org.pl/opinie-ianalizy/opinie-i-analizy-opzz/opinie-opzz/rzad-ogranicza-partycypacje-pracownicza sowie http://www.opzz.org.pl/aktualnosci/kraj/pracownicy-powinni-miec-wybor, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 312 Vgl. hierzu das Urteil des Polnischen Verfassungsgerichts vom 2. Juni 2015, Az.: K 1/13, Dz. U. 2015 Pos. 791, sowie Art. 1 des Gesetzes über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, zu Letzterem näher oben Kapitel 5, A.I.1.a).

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

601

zum Teil gesetzlich garantiert ist, dass Gewerkschaftsmitglieder in den Aufsichtsrat zu wählen sind (vgl. § 7 Abs. 2 MitbestG, § 6 Abs. 1 MontanMitbestErgG). Zwar ist dies in Polen gesetzlich nicht vorgeschrieben, aber auch grundsätzlich nicht verboten.313 Im Aufsichtsrat haben die Gewerkschaftsmitglieder die gleichen Rechte und Pflichten wie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder auch – insbesondere sind auch sie in erster Linie dem Wohl der Gesellschaft und dem Unternehmensinteresse verpflichtet und unterliegen uneingeschränkt der Verschwiegenheitspflicht. Dass die Arbeitnehmerinteressen naturgemäß in den von den Gewerkschaftsmitgliedern vertretenen Standpunkten Berücksichtigung finden, ist selbstverständlich und so auch gewollt. Nach Auffassung der Verfasser des deutschen MitbestG sollte die Teilnahme von Vertretern der „überbetrieblich organisierten Arbeitnehmerschaft“, als welche die Gewerkschaften fungieren, eine „gleichberechtigte“ und vor allem auch „gleichgewichtige“ Beteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten fördern.314 In der polnischen Literatur wird darauf hingewiesen, dass durch die Einbringung von Arbeitnehmerinteressen in die Diskussionen innerhalb des Aufsichtsrats die Perspektive der anderen Aufsichtsratsmitglieder auch auf diese Gesichtspunkte gelenkt werden kann.315 Über die sich aus dem KommerzG ergebende Wahlmöglichkeit von Gewerkschaftsmitgliedern in den Aufsichtsrat und die sich aus dem Aktiengesetz ergebenden Kompetenzen des Aufsichtsrats bzw. einzelner Mitglieder hinaus genossen die Gewerkschaften in Polen noch weitergehendere Einflussmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Mitbestimmung auf Grundlage der sog. Sozialvereinbarungen, die im Zuge der Transformationsprozesse zwischen dem potentiellen Investor und den Gewerkschaften für ein bestimmtes Unternehmen abgeschlossen wurden.316 Die Sozialvereinbarungen enthielten – neben anderen Aspekten wie Arbeitsplatzgarantien, Lohnfragen und Sozialleistungen – oftmals auch Regelungen in Bezug auf weitergehendere Rechte der Gewerkschaften sowie Vereinbarungen bzw. Konkretisierungen der gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene.317 Die in den Privatisierungsgesetzen vorgesehenen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung wurden – ähnlich wie die Regelungen zur Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer – im Rahmen der Sozialvereinbarungen 313 Hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). Eine Einschränkung ergab sich lediglich in bestimmten Fällen aufgrund von Art. 13 KommerzG a. F. für Funktionäre in der Betriebsgewerkschaft. 314 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17. 315 So etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 181 m.w. N.; näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 159. Hierzu oben Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 316 Hierzu oben Kapitel 3, A.I.2.c). 317 Ausführlich zum typischen Inhalt von Sozialvereinbarungen siehe Wratny/Bednarski, in: dies., Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 30 ff., 50 ff.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

an das jeweilige Unternehmen angepasst, die gesetzlichen Regelungen konkretisiert oder zugunsten der Arbeitnehmer abgeändert.318 Dass derartige Vereinbarungen zulässig waren, ergab sich einerseits aus der allgemeinen Funktion der Gewerkschaften zur Vertretung und Verteidigung der Rechte sowie der beruflichen und sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung (vgl. Art. 1 Abs. 1 GewG) sowie zur Vertretung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer (vgl. Art. 26 Pkt. 2 GewG)319, zum anderen sah das KommerzG diese Vereinbarungen ausdrücklich vor (vgl. Artt. 33 Abs. 2, 48 Abs. 2 Satz 2 KommerzG a. F.320), und auch die Rechtsprechung321 erkannte sie als zulässig an.322 Als Verhandlungspartner der potentiellen Investoren im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der Privatisierung abzuschließenden Sozialvereinbarungen war die Rolle der Gewerkschaften sehr groß.323 Diese Rolle nutzten die Gewerkschaften und ließen sich oftmals weitgehende Rechte auch im Zusammenhang mit der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen einräumen. So etwa ließen sie sich zusichern, dass sie die Grundätze für die Wahl und Abwahl der Aufsichtsratsmitglieder erarbeiten durften und die diesbezüglichen Satzungsbestimmungen der Gesellschaft mit den im Unternehmen tätigen Gewerkschaften abgestimmt werden mussten.324 Ähnlich ließen sich die Gewerkschaften Rechte im Zusammenhang mit der Wahl und Abwahl des Arbeitnehmervertreters im Vorstand von kommerzialisierten Unternehmen mit durchschnittlich mehr als 500 Mitarbeitern zusichern, sodass beispielsweise auch diesbezüglich eine Abstimmung mit den Gewerkschaften erforderlich war.325 Teilweise enthielten die Sozialvereinbarungen auch die Regelung, dass die Kompetenzen des Arbeitnehmervertreters im Vorstand auf Grundlage eines Antrages der Betriebsgewerkschaft vom Vorstand festgelegt wurden.326 Auch ließen sich die Gewerkschaften 318

Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,

S. 58. 319 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70. 320 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 71. Die Art. 33 und Art. 48 KommerzG sind zum 1. Januar 2017 gestrichen worden, vgl. Art. 14 Pkt. 21 lit. b) i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260; näher hierzu oben Kapitel 3, B.II.1.b). 321 Vgl. Oberstes Gericht, Beschluss vom 24. November 1993, Az.: I PZP 46/93, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 322 Zur Rechtsnatur und den Rechtsgrundlagen der sog. Sozialvereinbarungen näher oben Kapitel 3, A.I.2.c). 323 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 101; hierzu auch Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 29 ff. 324 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 325 Ebenda. 326 Ebenda.

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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einen Sitz im Aufsichtsrat zusichern oder eine Verpflichtung des Arbeitgebers einräumen, dass bestimmte Informationen an die Gewerkschaften weiterzuleiten waren, wodurch sie sich Zugang zu Informationen über das Unternehmen sicherten.327 Auf diese Weise erweiterten die Gewerkschaften im Wege von Sozialvereinbarungen ihre eigenen Rechte.328 Darüber hinaus sicherten sich die Gewerkschaften auch bei anderen Formen der Arbeitnehmerpartizipation mehr Rechte zu – so etwa über die Entsendung von Gewerkschaftsmitgliedern als Arbeitnehmervertreter in den Europäischen Betriebsrat.329 Ein wesentlicher Einfluss der Gewerkschaften im Rahmen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene lässt sich insbesondere im Zusammenhang mit dem Wahlverfahren zum Aufsichtsrat feststellen, wie die empirischen Untersuchungen des IPiSS im Jahr 2001 sowie im Jahr 2003 zeigten.330 In den untersuchten mittelbar privatisierten Unternehmen nahmen die Gewerkschaften erheblichen oder sogar entscheidenden Einfluss auf die Entstehung und die Bestimmungen des Wahlregulariums, welches das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat regelte und entweder ein eigenständiges Dokument oder einen Annex zur Geschäftsordnung des Aufsichtsrats bildete. Die Wahlregularien wurden entweder von den Gewerkschaften ausgearbeitet oder jedenfalls mit den Gewerkschaften abgestimmt. Auch im Hinblick auf die Kandidatur einzelner Amtsanwärter war eine bedeutsame Rolle der Gewerkschaften festgestellt worden. Im Allgemeinen konnten sich Kandidaten individuell zur Wahl anmelden oder direkt von den Gewerkschaften vorgeschlagen werden. Dabei sicherten sich individuelle Kandidaten in der Regel bereits vor ihrer Kandidatur den entsprechenden Rückhalt der Gewerkschaften und Arbeitnehmergruppen, da sie eine bestimmte Anzahl der ihre Kandidatur unterstützenden Arbeitnehmer über eine Unterschriftenliste nachweisen mussten. Dagegen waren direkt von der Gewerkschaft vorgeschlagene Kandidaten oft von dieser Unterschriftensammlung befreit. Generell wurde der Rückhalt der Gewerkschaften als förderlich, wenn nicht sogar entscheidend für die Wahl zum Aufsichtsratsmitglied betrachtet. So wurde bei Befragungen hinsichtlich der Kriterien, die für den Wahlerfolg der Kandidaten entscheidend seien, in erster Linie die offizielle bzw. inoffizielle Unterstützung durch die Gewerkschaften und erst nachrangig die persönlichen Merkmale des

327 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 36. 328 Näher hierzu Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 68 ff., S. 77. 329 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77. 330 Dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 62 ff. sowie ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 105 ff. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den dort dargestellten Ergebnissen der Untersuchungen. Vgl. hierzu auch schon oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(c).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Kandidaten wie etwa Erfahrung, Autorität, rhetorische Fähigkeiten, Betriebszugehörigkeit sowie Position genannt. Auch im Hinblick auf die Arbeitnehmervertretung im Vorstand kommerzialisierter Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern übten die Gewerkschaften einen großen Einfluss auf das Wahlverfahren aus.331 Befragungen zeigten auch, dass die Gewerkschaften die Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat und Vorstand generell als ihren „verlängerten Arm“ betrachteten und dort, wo dies möglich war, diese Institution der Arbeitnehmerpartizipation zu kontrollieren versuchten.332 Dies äußerte sich in Extremfällen etwa darin, dass sie den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat Weisungen erteilten und sie anhand ihrer Aufsichtsratstätigkeit bewerteten.333 Die Intensität der Verbindung zwischen den Arbeitnehmervertretern und den Gewerkschaften stellte sich in den untersuchten Unternehmen gleichwohl unterschiedlich dar – teilweise war sie rein informeller Natur, sporadisch und unregelmäßig, teilweise handelten die Arbeitnehmervertreter in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften und berücksichtigten ihre Meinung.334 Zum Teil fanden im Vorfeld von Aufsichtsratssitzungen aber auch formalisierte Vorbesprechungen der Arbeitnehmervertreter mit den Gewerkschaften statt, teilweise sogar zwecks Ausarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes, der von den Arbeitnehmervertretern sodann im Aufsichtsrat präsentiert werden sollte.335 Eng gestaltete sich in der Regel auch die Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitnehmervertreter im Vorstand und den Gewerkschaften.336 Teilweise verpflichteten sich die Arbeitnehmervertreter sogar schon während ihrer Kandidatur gegenüber den Gewerkschaften, für regelmäßige Treffen zur Verfügung zu stehen, teilweise wurde auch die Informationsvermittlung ausdrücklich zugesagt.337 Während die Arbeitnehmervertreter in den Befragungen oft betonten, dass sie ihre Entscheidungen autonom fällen würden – was die Gewerkschaft kritisierten –, vertraten sie aus Sicht der Vorstände weitestgehend die Positionen der Gewerkschaften.338 So lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Gewerkschaften in tatsächlicher Hinsicht regelmäßig auf die Wahl der 331

Vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 79 ff. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 96; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 83. 333 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 83; vgl. auch ders., Partycypacja pracownicza, S. 66. 334 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 112. 335 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 73 f.; vgl. auch ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 112. 336 Vgl. hierzu Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 86 f. 337 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 86 f. 338 Vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 66; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 112. 332

A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung

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Arbeitnehmervertreter und nicht selten auch im Zusammenhang mit ihrer eigentlichen Mandatstätigkeit Einfluss ausübten.339 Inwieweit das Instrument der Arbeitnehmervertretung auf Organebene jedoch tatsächlich ein wirkungsvolles Mittel der Gewerkschaften zur Einflussnahme auf den Arbeitgeber darstellte, wurde von befragten Gewerkschaftsvertretern unterschiedlich bewertet.340 In der im Jahre 2003 durchgeführten Studie des IPiSS wurde in fünf von sieben Unternehmen der Einfluss der Arbeitnehmervertretungen als gering – etwa lediglich in Form einer bloßen Informationsvermittlung – oder als nicht bestehend angesehen. In einem Fall hielten die Gewerkschaften diese Institution der Arbeitnehmervertretung sogar für vollkommen überflüssig, weswegen dem Aufsichtsrat auch keine Arbeitnehmervertreter angehörten. In zwei Unternehmen vertraten die Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsrat und Vorstand dagegen stets die Ansicht der Gewerkschaften und wurden von diesen als ein sehr effektives Mittel betrachtet, um Einfluss auf den Arbeitgeber auszuüben. Die wichtigsten Mittel zur Einflussnahme auf den Arbeitgeber waren aus Sicht der Gewerkschaften aber die sog. Sozialvereinbarungen sowie Tarifverträge, da mit diesen Instrumenten die für die Arbeitnehmer wesentlichen Angelegenheiten in Bezug auf ihren Arbeitsplatz und die Vergütung geregelt wurden.341 Entsprechend lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit auch auf diesen Instrumenten.342 Wie Wratny schlussfolgert, scheinen die Gewerkschaften jedoch zumindest in einigen Fällen tatsächlich die Chancen ergriffen zu haben, die das KommerzG den Belegschaften mit der Vertretung in den Gesellschaftsorganen eingeräumt hatte.343 Ansonsten fungierten die Gewerkschaften in nahezu allen Unternehmen jedenfalls als Vermittler zwischen den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat und der Belegschaft, indem sie Informationen an die Arbeitnehmervertreter bzw. an die Belegschaft weitergaben, wobei sie dabei auch den Meinungsbildungsprozess beeinflussten.344 Zwar wurde beobachtet, dass sich die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter von den Gewerkschaften vergrößert, je länger die Privatisierung zurück339 So schon zusammenfassend Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4). 340 Vgl. hierzu die Ergebnisse der Befragungen des IPiSS aus dem Jahr 2003, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 96. Die folgenden Ausführungen beruhen hierauf. 341 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 93. 342 Ebenda. 343 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 96. 344 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 83 f.; vgl. hierzu auch Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (189). Zur Informationsvermittlungsfunktion der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ausführlich oben Kapitel 3, C.II.6.a).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

liegt.345 Gleichwohl sollen die Gewerkschaften nach wie vor in Bezug auf die Bestellung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat eine „treibende Kraft“ darstellen – in Unternehmen ohne Gewerkschaftseinfluss würden derartige Arbeitnehmervertretungen überhaupt nicht oder nur aus formalen Gründen zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben berufen.346 So hinge das Bestehen oder Nichtbestehen und die Bedeutung von außergewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen letztlich von der Existenz und dem Handeln der Gewerkschaften ab.347 Die Untersuchungen des IPiSS bestätigen, dass in Anbetracht des polnischen Rechts die Gewerkschaften auch heutzutage die grundlegende Form der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen sind.348 Andere Arbeitnehmervertretungen hätten dagegen lediglich Hilfscharakter oder seien – wie die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – jedenfalls faktisch von den Gewerkschaften abhängig.349 Umso gravierender seien daher auch die Folgen eines stetig abnehmenden Organisationsgrades in polnischen Unternehmen.350

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung auf Betriebsebene Als betriebliche Interessenvertretung werden in Deutschland im Grunde nur die nach Maßgabe des BetrVG errichteten Betriebsräte angesehen.351 Insoweit besteht in institutioneller Hinsicht – mögen auch die tatsächlichen, allen voran personellen Verbindungen unverkennbar sein352 – eine grundsätzlich klare Abgrenzung zu den Gewerkschaften, die auf überbetrieblicher Ebene agieren.

345 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84. 346 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (484) („Zwia˛zki zawodowe sa˛ siła˛ nape˛dowa˛ przedstawicielstw pracowniczych pochodza˛cych w wyboru załogi jak np. rad pracowniczych czy przedstawicieli pracowników w radach nadzorczych spółek [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). 347 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 45. 348 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 46. 349 Ebenda. 350 Wratny, Współczesna kondycja zwia˛zków zawodowych w Polsce na tle porównawczym, in: FS Matey-Tyrowicz (2011), S. 484 (484). 351 Außen vor gelassen werden für die weitere Betrachtung die Regelungen des BPersVG, das für die in den Verwaltungen des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie in den Gerichten des Bundes Beschäftigten gilt. 352 Krause, Gewerkschaften und Betriebsräte zwischen Kooperation und Konfrontation, RdA 2009, S. 129 (130).

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

607

Dagegen findet sich in den polnischen Betrieben heutzutage eine zweispurige Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene – durch die Betriebsgewerkschaften und die Arbeitnehmerräte, die auf Grundlage des InfKonsG vom 7. April 2006353 errichtet werden können.354 Denn aufgrund der den polnischen Betriebsgewerkschaften zugewiesenen Vielzahl von Kompetenzen im Betrieb sind diese als eine – und sogar die wichtigste355 – Form der betrieblichen Interessenvertretung anzusehen. Neben den Arbeitnehmerräten sind von der gewerkschaftlichen Tätigkeit die sonstigen in Polen auftretenden, nicht-gewerkschaftlichen Partizipationsformen auf betrieblicher Ebene abzugrenzen, die jedoch eher eine untergeordnete Rolle spielen.

I. Gesetzliche Rahmenbedingungen 1. Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland Die Interessenvertretung durch die Betriebsräte hat ihre gesetzliche Grundlage im BetrVG356. Das BetrVG sieht die Errichtung von Betriebsräten auf Betriebsebene, eines Gesamtbetriebsrates auf Unternehmensebene und eines Konzernbetriebsrates auf Konzernebene vor und gewährt diesen Beteiligungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Dabei variiert die Intensität der Beteiligungsrechte der Betriebsräte von bloßen Informationsrechten über Anhörungsrechte bis hin zur echten Mitbestimmung. Das BetrVG sieht ferner detaillierte Regelungen unter anderem im Hinblick auf die Zusammensetzung und Wahl der Betriebsräte, die Geschäftsführung, Betriebsversammlung sowie einzelne Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertreter vor. Die einzelnen Befugnisse der Betriebsräte werden vom BetrVG in Gestalt von Kompetenzregelungen bzw. -katalogen aufgelistet. Im Grundsatz bezieht sich die betriebliche Mitbestimmung auf soziale Angelegenheiten (vgl. §§ 87 ff. BetrVG), die Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung (vgl. §§ 90 ff. BetrVG), personelle Angelegenheiten (vgl. §§ 92 ff. BetrVG) sowie wirtschaftliche Angelegenheiten (vgl. §§ 106 ff. BetrVG). Als auf europäischer Ebene die Richtlinie 2002/14/EG357 erging, hielt der deutsche Gesetzgeber eine Umsetzung ins deutsche Recht für nicht erforderlich, 353 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 354 Gładoch, Dialog społeczny, S. 63. 355 So etwa Gładoch, Dialog społeczny, S. 63; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 46. 356 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001, BGBl. I S. 2518. 357 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 80 vom 23. März 2002, S. 29–34.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

da bereits die geltenden Rechtsvorschriften den Anforderungen der Richtlinie entsprächen.358 2. Die Arbeitnehmerräte in Polen In Umsetzung der Richtlinie 2002/14/EG wurde in Polen durch das InfKonsG vom 7. April 2006359 eine neue Partizipationsform in das polnische Recht eingefügt. Der Erlass des Gesetzes erfolgte ein Jahr nach Ablauf des von der Richtlinie vorgegeben Zeitraums für die Umsetzung der Richtlinie. Dies lag daran, dass der von der Regierung vorbereitete Gesetzesentwurf während der in der Triparitätischen Kommission durchgeführten Konsultationen auf Ablehnung seitens der Sozialpartner stieß, die in der Europäischen Richtlinie mehr Gefahren als Chancen sahen.360 Im Zuge dieser Konsultationen kamen grundlegende Meinungsverschiedenheiten der Sozialpartner in Bezug auf wesentliche Aspekte der neuen Gesetzgebung zutage.361 Für die Gewerkschaften war die Sicherstellung ihrer Monopolstellung in Bezug auf die Wahrnehmung der Informations- und Konsultationsrechte in gewerkschaftlich organisierten Betrieben von essentieller Bedeutung, weswegen sie sich den Vorschlägen, wonach auch in gewerkschaftlich organisierten Betrieben die Kandidaten für den Arbeitnehmerrat neben den Gewerkschaften auch von anderen Arbeitnehmergruppen vorschlagen werden dürfen sollten, entschieden widersetzten.362 Dagegen schlugen sie vor, Arbeitnehmerräte generell nur in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben zu errichten und die Informations- und Konsultationsrechte ansonsten den Betriebsgewerkschaften zu gewähren.363 Die Arbeitgeber hingegen wollten zwar einerseits die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte nicht den Gewerkschaften überlassen, hatten auf der 358

Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung der Anwendung der Richtlinie 2002/14/EG in der EU, 17. März 2008, KOM(2008) 146 endgültig, SEC(2008) 334, Ziffer 2.1. Abs. 1; Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (149). 359 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 360 Wratny/Markowska-Wolert/Wa˛sowska, Rady pracowników na nowym etapie, S. 15; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 121; vgl. auch Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (207); ausführlich zu den Debatten und Äußerungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Piwowarczyk, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 79 (89 ff.). 361 Wratny/Markowska-Wolert/Wa˛sowska, Rady pracowników na nowym etapie, S. 15. 362 Ebenda. 363 Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (359); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 122.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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anderen Seite dagegen Sorge, dass die Errichtung neuer Arbeitnehmervertretungen mit höheren Kosten verbunden wäre.364 Ferner waren sie besorgt um die Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Unternehmen.365 So versuchten sie mit allen Mitteln, die Bedeutung der neuen Partizipationsform gering zu halten und den Fokus mehr auf Vereinbarungen als auf starre gesetzliche Lösungen zu legen.366 Nachdem die Sozialpartner der Aufforderung, einen gemeinsamen Gesetzesentwurf vorzulegen, nicht fristegerecht nachgekommen sind, leitete die Regierung den umstrittenen Gesetzesentwurf an das Parlament weiter.367 Im Zeitraum von November 2004 bis Januar 2005 wurden sodann vier verschiedene Gesetzesentwürfe zur Umsetzung der Richtlinie vorgestellt.368 Aufgrund der abgelaufenen Legislaturperiode verzögerten sich die Arbeiten an dem Gesetz weiter, sodass schließlich die Umsetzungsfrist zum 25. März 2005 verstrichen war und die Europäische Kommission ein Verfahren gegen Polen gemäß Art. 226 EGV a. F. einleitete, was die Arbeiten an dem Gesetzentwurf beschleunigte.369 So kam es schließlich zu einer Einigung zwischen den Sozialpartnern und der Verabschiedung eines Gesetzes, das wesentlich dem gewerkschaftlichen Modell angenähert war.370 a) Geltungsbereich Anknüpfungspunkt für den Anwendungsbereich des InfKonsG ist – anders als im deutschen BetrVG – nicht der Betrieb, sondern das Unternehmen.371 Denn zum einen erklärt Art. 1 Abs. 2 InfKonsG das Gesetz für anwendbar auf „Ar-

364

Wratny/Markowska-Wolert/Wa˛sowska, Rady pracowników na nowym etapie,

S. 15. 365 366 367

Ebenda. Ebenda. Wratny/Markowska-Wolert/Wa˛sowska, Rady pracowników na nowym etapie,

S. 16. 368 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 121 m.w. N. Es handelte sich dabei um je einen Gesetzesentwurf der Arbeitgeberorganisationen, der Gewerkschaften, der Regierung sowie des linken Flügels im Parlament, Wratny, a. a. O. 369 Wratny/Markowska-Wolert/Wa˛sowska, Rady pracowników na nowym etapie, S. 16. 370 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 122. 371 So schon Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (360); ebenso auf das Unternehmen abstellend etwa Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7). Gleichwohl werden die Arbeitnehmerräte in der polnischen Literatur gemeinhin als Arbeitnehmerpartizipation auf betrieblicher Ebene qualifiziert, vgl. etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 174, 205 ff. Zu den Schwierigkeiten bei Übernahme der unionsrechtlichen Begriffe des „Unternehmens“ und des „Betriebs“ vgl. Wratny, Prawo pracowników do informacji i konsultacji w sprawach gospodarczych przedsie˛biorstwa, PiZS 6/2006, S. 27 (28).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

beitgeber, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben“ 372. Im polnischen juristischen Sprachgebrauch sind Arbeitgeber und Betrieb aber nicht gleichzusetzen.373 Arbeitgeber ist nach der Legaldefinition des Art. 3 ArbGB „eine Organisationseinheit, selbst wenn sie keine Rechtspersönlichkeit besitzt, oder natürliche Person, sofern sie Arbeitnehmer beschäftigen“.374 Bei juristischen Personen werden in der Regel diese Arbeitgeber sein, sofern sich nicht aus der Satzung ergibt, dass eine eigenständige Organisationseinheit die Arbeitgeberstellung innehaben soll.375 Der polnische Betriebsbegriff meint dagegen die Tätigkeitsstätte, in der materielle und immaterielle, personelle und organisatorische Betriebsmittel zur Verwirklichung der Zwecke des Arbeitgebers zusammengefasst sind.376 Ferner folgt aus den sich ausschließlich auf Unternehmen beziehenden Ausnahmetatbeständen des Art. 1 Abs. 3 InfKonsG, dass der polnische Gesetzgeber beim Anwendungsbereich an das Unternehmen i. S. d. Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/ 14/EG anknüpfen wollte.377 Auf Staatsunternehmen mit Selbstverwaltungsorganen, gemischte Unternehmen und staatliche Filminstitutionen findet das Gesetz generell keine Anwendung (vgl. Art. 1 Abs. 3 InfKonsG).

372 Art. 1 Abs. 2 InfKonsG: „Przepisy ustawy stosuje sie˛ do pracodawców wykonuja˛cych działalnos´c´ gospodarcza˛ [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 373 Vgl. Korus, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1; Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 6; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1; Wratny, Prawo pracowników do informacji i konsultacji w sprawach gospodarczych przedsie˛biorstwa, PiZS 6/ 2006, S. 27 (28). 374 Art. 3 ArbGB: „Pracodawca˛ jest jednostka organizacyjna, choc ´by nie posiadała osobowos´ci prawnej, a takz˙e osoba fizyczna, jez˙eli zatrudniaja˛ one pracowników“, Übersetzung d. Verf. Nach der in Art. 3 ArbGB angenommenen Konzeption ist Arbeitgeber jede Organisationseinheit oder natürliche Person, die im eigenen Namen Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern begründen, modifizieren und beenden kann sowie die eigenständig die Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis erfüllen und die Organisation der Arbeitsprozesse vornehmen kann, hierzu Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1 f. m.w. N. (Allerdings war im ArbGB urspr. Fassung der Begriff des „Betriebs“ anstelle des „Arbeitgebers“ verwendet worden, weswegen auch ältere Urteile bzw. Beschlüsse des Obersten Gerichts die ausgeführte Definition in Bezug auf den „Betrieb“ entwickelten, vgl. etwa Oberstes Gericht, Beschluss vom 16. November 1977, Az.: I PZP 47/77, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020). Durch diese Konzeption ist es möglich, dass einzelne Organisationseinheiten einer juristischen Person als Arbeitgeber gelten, was auch in Art. 24128 ArbGB zum Ausdruck kommt. Bedeutung hat dies insbesondere bei Organisationseinheiten des Staates, vgl. Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 4. 375 In der polnischen Literatur wird hierfür angenommen, dass im Falle juristischer Personen die Satzung den jeweiligen Organisationseinheiten die Fähigkeit zur eigenständigen Einstellung von Arbeitnehmern zuweisen müsse, vgl. Ra˛czka, in: Gersdorf/ Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1; ebenso Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 2. 376 Korus, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 3 Rn. 1. Insofern ähnelt der polnische Betriebsbegriff in gewisser Weise dem deutschen. 377 Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (360).

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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Das InfKonsG ist gemäß Art. 1 Abs. 2 InfKonsG anwendbar, wenn die bei einem Arbeitgeber beschäftigte Anzahl von Arbeitnehmern mindestens 50 beträgt. Der polnische Gesetzgeber machte von der im Art. 10 der Richtlinie 2002/14/EG eingeräumten Möglichkeit einer Übergangsregelung Gebrauch, sodass der Anwendungsbereich des InfKonsG bis zum 23. März 2008 auf Arbeitgeber mit mindestens 100 Arbeitnehmern beschränkt war (vgl. Art. 26 InfKonsG). Ab dem 24. März 2008 gilt das Gesetz für Arbeitgeber mit mindestens 50 Arbeitnehmern, womit das Gesetz die Mindestvorgabe in Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2002/ 14/EG einhält, aber auch keine günstigere Regelung vorsieht. Die Schwellenwerte liegen damit deutlich höher als im deutschen Recht, wo gemäß § 1 Abs. 1 BetrVG ein Betriebsrat bereits in Betrieben mit regelmäßig fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern errichtet werden kann. In der polnischen Literatur aufgekommen ist die Frage, ob die Errichtung eines Arbeitnehmerrates im Anwendungsbereich des Gesetzes als obligatorisch anzusehen ist378, womit sich die polnische Regelung wesentlich von der deutschen unterscheiden würde379. Zum Teil wird dies bejaht.380 Dies gelte selbst dann, wenn bei dem vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfassten Arbeitgeber Gewerkschaften tätig sind, womit das Gesetz über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehe.381 Andere Stimmen aus der Literatur sehen die Errichtung von Arbeitnehmerräten dagegen nur als Recht, nicht aber als Pflicht der Arbeitnehmer an.382 Vorzugswürdig erscheint letztere Ansicht, da gemäß Art. 8 Abs. 1 InfKonsG die Wahlen zum Arbeitnehmerrat auf Antrag von mindestens 10 % aller Arbeitnehmer vom Arbeitgeber organisiert werden (vgl. Art. 8 Abs. 1 InfKonsG).383 Die Nichtdurchführung von Wahlen wird zwar gemäß Art. 19 Abs. 1 Pkt. 3 InfKonsG sanktioniert, allerdings dürfte dies aufgrund der Regelung des Art. 8 Abs. 1 InfKonsG nur bei einem von der Belegschaft gestellten Antrag gelten.384 Für einen 378 Vgl. hierzu Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 3.1.2; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127. 379 Einhellige Meinung, dass die Errichtung eines Betriebsrats lediglich fakultativ ist, obwohl der Wortlaut des § 1 BetrVG („werden . . . gewählt“) eine Pflicht impliziert, vgl. Besgen, in: BeckOK ArbR, § 1 BetrVG Rn. 2; Richardi/Maschmann, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 1 BetrVG Rn. 2. 380 So Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 1); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127. 381 Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 1). 382 So Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 3.1.2. und 3.1.4; Pabisiak/Wojewódka, Powołanie rad pracowników – uprawnienie czy obowia˛zek? MoPr 7/2006, S. 346 (legalis S. 1). 383 Hierauf stützend Pabisiak/Wojewódka, Powołanie rad pracowników – uprawnienie czy obowia˛zek? MoPr 7/2006, S. 346 (legalis S. 1). 384 So auch Pabisiak/Wojewódka, Powołanie rad pracowników – uprawnienie czy obowia˛zek? MoPr 7/2006, S. 346 (legalis S. 1).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

rein fakultativen Charakter spricht ferner, dass es sich bei den Arbeitnehmerräten um eine Form des sozialen Dialogs handelt, der schließlich auf Freiwilligkeit beruhen sollte.385 Die Arbeitnehmerräte bestehen neben anderen Partizipationsformen – etwa den Gewerkschaften, den Arbeitnehmervertretern in den Gesellschaftsorganen, grenzüberschreitenden Arbeitnehmervertretungen oder betrieblichen Ad-hoc-Repräsentationen.386 b) Zusammensetzung und Wahlverfahren Die Größe des Arbeitnehmerrates hängt gemäß Art. 3 InfKonsG von der Anzahl der beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer ab und beträgt im Fall eines Arbeitgebers mit 50 bis 250 Arbeitnehmern drei Mitglieder, im Fall eines Arbeitgebers mit 251 bis 500 Arbeitnehmern fünf Mitglieder und ab einer Beschäftigtenzahl von 501 Arbeitnehmern sieben Mitglieder. Arbeitnehmerrat und Arbeitgeber können hiervon abweichend eine andere Größe des Arbeitnehmerrates festlegen, die allerdings nicht weniger als drei Mitglieder betragen darf (vgl. Art. 5 Abs. 1 InfKonsG). Wie die Anzahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer zu bestimmen ist, regelt Art. 7 InfKonsG. Verglichen mit der Anzahl der Betriebsratsmitglieder gemäß § 9 BetrVG ist die vom InfKonsG vorgesehene Anzahl der Mitglieder im Arbeitnehmerrat deutlich geringer, insbesondere als zu bedenken ist, dass sich die Schwellen auf das Unternehmen und nicht einzelne Betriebe beziehen.387 Ferner ist die Anzahl von sieben Mitgliedern das gesetzliche Maximum, während die Anzahl der Betriebsratsmitglieder in Deutschland ohne Begrenzung mit der Betriebsgröße mitwächst.388 Auch stellt die durch Art. 5 Abs. 1 InfKonsG eingeräumte Möglichkeit einer abweichenden Festlegung der Mitgliederzahl einen wesentlichen Unterschied zum deutschen Recht da, wo von der zwingenden Regelung des § 9 BetrVG weder nach unten noch nach oben hin durch Vereinbarung (etwa in Form eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung) abgewichen werden kann389. Als Zugeständnis an die Gewerkschaften enthielt das InfKonsG die Regelung, dass die Mitglieder des Arbeitnehmerrates grundsätzlich von der bzw. den Be-

385

Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 3.1.2. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 174 f. 387 So setzt sich ein Arbeitnehmerrat beispielsweise bei Arbeitgebern mit unter 250 Arbeitnehmern aus nur drei Mitgliedern zusammen, während der Betriebsrat bereits neun Mitglieder zählt, wenn in einem Betrieb mehr als 201 Arbeitnehmer beschäftigt sind. 388 Vgl. § 9 BetrVG a. E. („In Betrieben mit mehr als 9.000 Arbeitnehmern erhöht sich die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats für je angefangene weitere 3.000 Arbeitnehmer um 2 Mitglieder.“). 389 Besgen, in: BeckOK ArbR, § 9 BetrVG Rn. 1 m.w. N. 386

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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triebsgewerkschaft/en ernannt werden (vgl. Art. 4 InfKonsG urspr. Fassung).390 Nach Art. 4 Abs. 1 Pkt. 1 InfKonsG urspr. Fassung i.V. m. Art. 2 Pkt. 1 InfKonsG urspr. Fassung wurden die Mitglieder des Arbeitnehmerrates vom Vorstand der i. S. d. Art. 24125a § 1 ArbGB a. F. (seit 1. Januar 2019: Art. 253 Abs. 1 GewG)391 repräsentativen Betriebsgewerkschaft bzw. zwischenbetrieblichen Gewerkschaft ernannt, wenn nur eine solche Gewerkschaftsorganisation beim Arbeitgeber tätig war. Bestanden mehrere repräsentative Gewerkschaftsorganisationen, so wurden die Mitglieder des Arbeitnehmerrates von diesen Gewerkschaften gemeinsam ernannt (vgl. Art. 4 Abs. 1 Pkt. 2 InfKonsG urspr. Fassung). Kam eine Einigung nicht zustande, so wählte die Belegschaft aus von den jeweiligen Gewerkschaftsorganisationen vorgeschlagenen Kandidaten (vgl. Art. 4 Abs. 3 InfKonsG urspr. Fassung). Nur wenn keine repräsentative Betriebsgewerkschaft bzw. zwischenbetriebliche Gewerkschaft beim Arbeitgeber bestand, wurden die Mitglieder des Arbeitnehmerrates aus von der Belegschaft vorgeschlagenen Kandidaten und direkt von der Belegschaft gewählt (vgl. Art. 4 Abs. 4 InfKonsG urspr. Fassung). Der so gewählte Arbeitnehmerrat war jedoch gemäß Art. 4 Abs. 5, 6 InfKonsG urspr. Fassung aufzulösen, wenn eine repräsentative Betriebsgewerkschaft oder zwischenbetriebliche Gewerkschaft ihre Tätigkeit in dem bzw. den Betrieben des Arbeitgebers aufnahm und diesen hierüber informierte und die verbleibende Amtszeit des Arbeitnehmerrates länger als 12 Monate betrug. Der Arbeitnehmerrat war dann entsprechend den soeben dargelegten Grundsätzen neu zu wählen. Die Regelung bekräftigte das Monopol der Gewerkschaften im Hinblick auf die Vertretung von Arbeitnehmerrechten.392 Sie ist zurückzuführen auf die Angst der polnischen Gewerkschaften, dass eine von ihnen unabhängige Arbeitnehmervertretung nach dem Vorbild etwa der deutschen Betriebsräte entstehen könnte, und wurde von den Gewerkschaften zur Bedingung für ihre Zustimmung zum Gesetzesentwurf erhoben.393 In der polnischen Literatur wurde die Regelung teils heftig kritisiert.394 Nicht nur sei damit das Ziel der Richtlinie, eine Vertretung aller Arbeitnehmer sicherzustellen, verfehlt worden.395 Kritisiert wurde auch, dass sie Gewerkschaften, die der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der OPZZ oder FZZ angehörten, 390 Vgl. Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (359 f.); Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/ 2006, S. 236 (legalis S. 2); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 123 f. 391 Vgl. Art. 1 Pkt. 14 i.V. m. Art. 23 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher zu dem Änderungsgesetz unten Kapitel 5, A.I.1. 392 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 123. 393 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 123 f. 394 So etwa Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7); Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (207). 395 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

favorisiere und aufgrund des fehlenden Verweises auf Art. 24125a § 2 ArbGB a. F. (seit 1. Januar 2019 entspricht dem Art. 253 Abs. 2 GewG)396 (vgl. Art. 2 Pkt. 1 InfKonsG urspr. Fassung) kleine Gewerkschaften außen vor ließe, selbst wenn sie die meisten Arbeitnehmer eines Arbeitgebers auf sich vereinigten.397 Die Regelung breche daher „fundamentale Grundsätze der arbeitnehmerischen Demokratie“, indem sie dazu führe, dass „die Demokratie innerhalb der Unternehmen“ der Kontrolle der größten Gewerkschaftsorganisationen unterstellt sei, da diesen das Monopol zur Vertretung aller Arbeitnehmer eines Unternehmens zugebilligt worden sei.398 Auf Antrag der Konföderation der Polnischen Arbeitgeber wurden die Regelungen des Art. 4 Abs. 1, 3 und 5 InfKonsG urspr. Fassung vom Polnischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.399 Nach Ansicht des Verfassungsgerichts waren die nicht einer repräsentativen Gewerkschaftsorganisation angehörigen Arbeitnehmer schlechter gestellt als die Mitglieder dieser Gewerkschaftsorganisation, womit die beanstandeten Vorschriften gegen die negative Koalitionsfreiheit verstießen (Art. 59 Abs. 1 der Polnischen Verfassung) und mit dem Diskriminierungsverbot in Art. 32 der Polnischen Verfassung nicht vereinbar waren.400 Art. 4 InfKonsG urspr. Fassung wurde daraufhin mit Änderungsgesetz vom 22. Mai 2009401 dergestalt geändert, dass nunmehr stets unmittelbar die Belegschaft die Arbeitnehmervertreter aus von der Belegschaft vorgeschlagenen Kandidaten wählt (vgl. Art. 4 Abs. 4 InfKonsG).402 Beschäftigt der Arbeitgeber 100 Arbeitnehmer oder weniger, so können Kandidaten von einer Gruppe von mindestens zehn Arbeitnehmern zur Wahl vorgeschlagen werden; beschäftigt er mehr als 100 Arbeitnehmer, bedarf es des Rückhalts von mindestens zwanzig Arbeitnehmern. Die Regelung ist weniger ausdifferenziert als die deutsche Vor-

396 Vgl. Art. 1 Pkt. 14 i.V. m. Art. 23 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher zu dem Änderungsgesetz unten Kapitel 5, A.I.1. 397 So Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 2 f.). Zur Definition der Repräsentativität siehe oben Kapitel 5, A.I.1.b). 398 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (207 f.) („[. . .] łamie niestety podstawowe zasady demokracji pracowniczej [. . .] wewna˛trz przedsie˛biorstw demokracja jest s´cisle kontrolowana przez najwie˛ksze organizacje zwia˛zkowe, którym przypisano prawo wyła˛cznos´ci na reprezentowanie wszystkich pracowników przedsie˛biorstwa.“, Übersetzung d. Verf.). 399 Vgl. Polnisches Verfassungsgericht, Urteil vom 1. Juli 2008, Az.: K 23/07, Dz. U. 2008 Nr. 120 Pos. 778. 400 Vgl. näher hierzu Polnisches Verfassungsgericht, Urteil vom 1. Juli 2008, Az.: K 23/07, Dz. U. 2008 Nr. 120 Pos. 778, Ziffer 5.1. und 5.2. 401 Änderungsgesetz zum InfKonsG vom 22. Mai 2009, Dz. U. 2009 Nr. 97 Pos. 805. 402 Vgl. dazu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 125, der statt der vollständigen Eliminierung des gewerkschaftlichen Elements auch eine gemischte Variante mit bestimmten Präferenzen für Gewerkschaften für zulässig gehalten hätte.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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schrift des § 14 Abs. 4 BetrVG, wonach Wahlvorschläge der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich der Unterstützung von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer bedürfen, in kleinen Betrieben mit bis zu zwanzig Wahlberechtigten jedoch auch nur zwei Unterschriften genügen und in großen Betrieben das Erfordernis auf fünfzig Unterschriften gedeckelt ist. Die Mitglieder des polnischen Arbeitnehmerrates werden – wie die deutschen Betriebsräte (vgl. § 21 BetrVG) – für eine Amtszeit von vier Jahren bestellt (vgl. Art. 11 Abs. 1 InfKonsG). Die Wahlen zum Arbeitnehmerrat werden vom Arbeitgeber auf Antrag von mindestens 10 % aller Arbeitnehmer organisiert (vgl. Art. 8 Abs. 1 InfKonsG). In der Praxis kann diese Regelung dazu führen, dass keine Arbeitnehmerräte errichtet werden.403 c) Kompetenzen des Arbeitnehmerrates Im Hinblick auf die Kompetenzen des Arbeitnehmerrates bestehen im Vergleich zum deutschen Betriebsrat wesentliche Unterschiede. Die gesetzlich dem polnischen Arbeitnehmerrat zugewiesenen Befugnisse erschöpfen sich in dem Recht auf Information und Konsultation sowie dem darauf folgenden Abschluss von Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber. Zustimmungsverweigerungsrechte oder gar echte Mitbestimmungsrechte wie im deutschen Recht sieht das polnische Gesetz dagegen nicht vor. Auch ist es deutlich knapper gehalten, nähere Regelungen zur Information und Konsultation finden sich allein in den Art. 13 InfKonsG und Art. 14 InfKonsG. Art. 13 InfKonsG beinhaltet einen Katalog von Informationen, die der Arbeitgeber an den Arbeitnehmerrat zu übermitteln verpflichtet ist. Die Informationspflicht bezieht sich auf die gegenwärtige und geplante Tätigkeit und wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 InfKonsG), die Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und diesbezüglich beabsichtigte Änderungen sowie die zur Erhaltung des Beschäftigungsniveaus dienenden Maßnahmen (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 2 InfKonsG) sowie auf Maßnahmen, die geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation oder der Beschäftigungsgrundlagen herbeizuführen (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 3 InfKonsG). Die von der Unterrichtungspflicht erfassten Angelegenheiten beziehen sich somit nicht auf die laufenden Vorgänge im Betrieb, sondern im Grunde vielmehr auf langfristig vom Arbeitgeber geplante Maßnahmen.404 Der Katalog ist sehr allgemein gehalten und stellt eher nur eine Wiederholung der in der Richtlinie 2002/14/EG enthaltenen Vorgaben als deren Konkretisierung dar.405 Der Umfang der Informa403 Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 1). 404 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 123. 405 Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 5.2.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

tionspflicht wird durch Art. 16 Abs. 2 InfKonsG beschränkt, da danach der Arbeitgeber in begründeten Fällen solche Informationen zurückhalten kann, deren Offenbarung nach objektiven Kriterien die Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder eines Betriebs beeinträchtigen oder gefährden könnte.406 Ausgelöst wird die Pflicht zur Information des Arbeitnehmerrates gemäß Art. 13 Abs. 2 InfKonsG im Fall geplanter Änderungen oder Maßnahmen sowie bei einem schriftlichen Antrag des Arbeitnehmerrates. Zwar sieht das Gesetz keinen zeitlichen Rahmen vor, allerdings sollen gemäß Art. 13 Abs. 3 InfKonsG Termin, Form und Umfang der Unterrichtung dergestalt erfolgen, dass der Arbeitnehmerrat sich mit der Angelegenheit vertraut machen, die übermittelten Informationen analysieren und sich auf eine Anhörung entsprechend vorbereiten kann. Der Informationspflicht wird nicht genüge getan, wenn die Informationen unrichtig oder unverständlich sind oder wesentliche Informationen, insbesondere die für den Arbeitgeber nachteilig sind, unterbleiben.407 Der Arbeitnehmerrat kann eine – durch Mehrheitsbeschluss beschlossene – Stellungnahme zu den Informationen abgeben, darüber hinaus können auch einzelne Ratsmitglieder ihre abweichende Stellungnahme abgeben (vgl. Art. 13 Abs. 4, 5 InfKonsG). Art. 14 InfKonsG regelt die Anhörung des Arbeitnehmerrates. Eine Anhörung muss nur im Hinblick auf die in Art. 13 Abs. 1 Pkt. 2 und 3 InfKonsG genannten Informationen erfolgen. Es handelt sich dabei jedoch um ein Recht des Arbeitnehmerrates, sodass der Arbeitnehmerrat auf die Durchführung der Anhörung gänzlich verzichten oder sich nur auf die Übermittlung seines Standpunktes beschränken kann.408 Gemäß Art. 14 Abs. 2 Pkt. 1 InfKonsG sollen Termin, Form und Umfang der Anhörung dergestalt gewählt sein, dass dem Arbeitgeber noch Maßnahmen in Bezug auf die Gegenstände der Anhörung möglich sind. Die Anhörung soll auf der geeigneten Leitungsebene und auf Grundlage der vom Arbeitgeber übermittelten Informationen und vom Arbeitnehmerrat bzw. einzelnen Mitgliedern abgegebenen Stellungnahmen erfolgen (vgl. Art. 14 Abs. 2 Pkt. 2, 3 InfKonsG). Dem Arbeitnehmerrat soll die Möglichkeit eines Treffens mit dem Arbeitgeber eingeräumt werden, während dessen er die Ansicht des Arbeitgebers mitsamt seiner Begründung in Bezug auf die abgegebene Stellungnahme erfragen kann (vgl. Art. 14 Abs. 2 Pkt. 4 InfKonsG). Schließlich soll gemäß Art. 14 Abs. 2 Pkt. 5 InfKonsG die Anhörung mit dem Ziel einer Einigung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmerrat erfolgen. Das Gesetz weist dem Arbeitnehmerrat damit ausdrücklich die Kompetenz zu, Vereinbarungen mit dem

406 Näher hierzu Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/ 2006, S. 236 (legalis S. 3). 407 Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 5.1. 408 Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 4).

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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Arbeitgeber abzuschließen.409 Nach Art. 14 Abs. 3 InfKonsG ist die Anhörung „in gutem Glauben“ und „mit Rücksicht auf die gegenseitigen Interessen“ durchzuführen.410 In der polnischen Literatur kritisiert wurde die unklare Kompetenzabgrenzung zwischen dem Arbeitnehmerrat und den Gewerkschaften sowie anderen betrieblichen Arbeitnehmervertretungen.411 Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich vor allem daraus, dass den Gewerkschaften nach Artt. 26, 28 GewG ebenfalls ein Recht auf Information und Anhörung zusteht, sofern es um Angelegenheiten in ihrem Zuständigkeitsbereich geht.412 Da hierzu allgemein die Vertretung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer zählt, erfasst dies auch die in Art. 13 Abs. 1 InfKonsG genannten Informationen in Bezug auf die Beschäftigungssituation, Arbeitsorganisation und Beschäftigungsgrundlagen.413 Relevant werden kann der Kompetenzkonflikt insbesondere im Falle eines Betriebsübergangs i. S. d. Art. 231 ArbGB sowie generell bei Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmerrat und dem Arbeitgeber im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Pkt. 5 InfKonsG, da durch eine solche Vereinbarung die Position der Gewerkschaften gefährdet werden könnte.414 Kompetenzkonflikte ergeben sich aber auch zwischen dem Arbeitnehmerrat und anderen Arbeitnehmervertretungen, so insbesondere solchen auf Grundlage von Art. 2 Abs. 7 des Gesetzes über besondere Grundsätze für Entlassungen aufgrund nicht von den Arbeitnehmern verschuldeter Umstände415.416 In der polnischen Literatur wird kritisiert, dass durch das Nebeneinander von Arbeitnehmerräten und anderen Arbeitnehmerrepräsentationen, so insbesondere den Betriebsgewerkschaften und betrieblichen Ad-hocRepräsentationen, der Arbeitgeber oftmals dieselbe Angelegenheit mit mehreren Arbeitnehmervertretungen konsultieren müsse.417 Dies berge nicht nur die Gefahr gegenseitiger Konkurrenz und Machtkämpfe zwischen den Arbeitnehmer409 Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 6 f.). 410 Art. 14 Abs. 3 InfKonsG: „Rada pracowników oraz pracodawca prowadza˛ konsultacje w dobrej wierze oraz z poszanowaniem interesów stron.“ Übersetzung d. Verf. 411 Vgl. Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 1, 5); Gładoch, Dialog społeczny, S. 110 ff. 412 Näher hierzu Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/ 2006, S. 236 (legalis S. 5). 413 Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 5). 414 Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 5 f.). 415 Gesetz über besondere Grundsätze für Entlassungen aufgrund nicht von den Arbeitnehmern verschuldeter Umstände vom 13. März 2003, Dz. U. 2003 Nr. 90 Pos. 844. 416 Näher hierzu Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/ 2006, S. 236 (legalis S. 6 f.); vgl. hierzu auch Gładoch, Dialog społeczny, S. 111. 417 So Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 175; dies., Dialog społeczny, S. 110.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

vertretungen, sondern auch verschiedener Nachteile für die Belegschaft, da ein fehlender gemeinsamer Standpunkt der Arbeitnehmervertretungen nachteilige Entscheidungen durch den Arbeitgeber begünstige.418 Verglichen mit den deutschen Betriebsräten sind die Kompetenzen des Arbeitnehmerrates deutlich enger. Insbesondere fallen die alltäglichen betrieblichen Angelegenheiten im personellen und sozialen Bereich, für die der deutsche Betriebsrat vor allem zuständig ist (vgl. §§ 87 ff., 99 ff. BetrVG), überhaupt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Arbeitnehmerrates. Diese Angelegenheiten sind vielmehr vom Aufgabenspektrum der Betriebsgewerkschaften erfasst.419 Eine entfernte Ähnlichkeit kann allenfalls teilweise zum Wirtschaftsausschuss, der im Grunde wie der Arbeitnehmerrat über strategische und langfristige Entwicklungen des Unternehmens berät (vgl. §§ 106 ff. BetrVG), sowie zu den Kompetenzen des Betriebsrats in Bezug auf die Personalplanung (vgl. §§ 92 ff. BetrVG) gesehen werden. Allerdings hat der Arbeitnehmerrat bei Weitem nicht die Befugnisse der deutschen Betriebsräte. Im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit der oben genannten Kompetenzen ist der Arbeitnehmerrat jedoch beschränkt. Ihm steht zum einen die Möglichkeit zu, die Erteilung von Informationen beim Arbeitgeber schriftlich zu beantragen (vgl. Art. 13 Abs. 2 InfKonsG), zum anderen kann er die Unterrichtung und Anhörung gerichtlich geltend machen (vgl. Art. 16 Abs. 3 InfKonsG). Weitere Möglichkeiten stehen dem Arbeitnehmerrat jedoch nicht zu.420 d) Kosten, Verschwiegenheit und sonstige Rechte bzw. Pflichten Das InfKonsG legt dem Arbeitgeber darüber hinaus weitere Pflichten auf, die sich im Wesentlichen auf die Durchführung der Wahlen zum Arbeitnehmerrat (vgl. Artt. 8, 10 InfKonsG) und die Kostentragungspflicht (vgl. Art. 6 InfKonsG) beziehen. Art. 16 InfKonsG verpflichtet demgegenüber den Arbeitnehmerrat zur Verschwiegenheit in Bezug auf diejenigen Informationen, die der Arbeitgeber ausdrücklich als vertraulich bezeichnet hat. Ausnahmsweise kann der Arbeitgeber die Übermittlung von Informationen unterlassen, wenn deren Offenbarung nach objektiven Kriterien die Tätigkeit des Unternehmens ernsthaft beeinträchtigen oder ihm beachtlichen Schaden zufügen könnte (vgl. Art. 16 Abs. 2 InfKonsG). Die Regelung ähnelt stark den Artt. 112 bis 115 SEG-PL.421 Auch die dem Arbeitnehmerrat diesbezüglich zustehenden Rechtsbehelfe sind gleich ausgestaltet. Darüber hinaus enthält das InfKonsG Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmervertreter (vgl. Art. 17 Abs. 1, 2 InfKonsG), zur Freistellung (vgl. 418

Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 175. Zu den Kompetenzen der Betriebsgewerkschaften vgl. oben Kapitel 5, A.I. 1.c)dd). 420 Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 5, Einl. 421 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 4, B.I.2.e). 419

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Art. 17 Abs. 3 InfKonsG), Meldepflichten des Arbeitgebers bezüglich der Errichtung eines Arbeitnehmerrates (vgl. Art. 18 InfKonsG) sowie Straf- und Bußgeldvorschriften (vgl. Art. 19 InfKonsG).422 e) Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmerrat und Arbeitgeber Von den gesetzlichen Vorgaben abweichen können der Arbeitgeber und der Arbeitnehmerrat grundsätzlich nicht. Lediglich im Hinblick auf die in Art. 5 InfKonsG genannten Gegenstände besteht ein Verhandlungsspielraum der Parteien.423 Dies betrifft die Grundsätze und Modalitäten der Übermittlung von Informationen und der Durchführung der Anhörung, die Festlegung eines Verfahrens zur Streitschlichtung, die Kostentragungspflicht für die Wahl und Tätigkeit des Arbeitnehmerrates sowie Sachverständiger, die Zahl der Mitglieder des Arbeitnehmerrates (wobei dieser nicht weniger als drei Mitglieder haben darf) sowie die Grundsätze über die Freistellung der Mitglieder des Arbeitnehmerrates von der Arbeit (vgl. Art. 5 Abs. 1 Pkt. 1 bis 3 InfKonsG).424 Nicht möglich ist jedoch der Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen, die die gesetzlichen Vorschriften gänzlich verdrängen würde.425 Allein in dem Sonderfall des Art. 24 Abs. 1 InfKonsG, wenn vor Inkrafttreten des InfKonsG bereits eine Vereinbarung die Information und Konsultation der Arbeitnehmer regelte, genießt diese Vorrang vor den gesetzlichen Vorschriften (mit Ausnahme der Artt. 15 bis 17 InfKonsG in Bezug auf die Hinzuziehung von Sachverständigen, Geheimhaltung und Kündigungsschutz), sofern sie das gleiche Schutzniveau wie das InfKonsG gewährleistet.426 3. Betriebliche Ad-hoc-Repräsentationen Eine Besonderheit des polnischen Rechts sind sog. „Ad-hoc-Repräsentationen“ 427 auf betrieblicher Ebene.428 Es handelt sich dabei um Arbeitnehmervertretungen, die nur für eine bestimmte Angelegenheit ins Leben gerufen werden 422 Näher hierzu Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (363 f.). 423 Vgl. hierzu auch Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (364). 424 Ein Muster für eine solche Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmerrat und dem Arbeitgeber findet sich bei Orłowski, Rady pracowników, Kapitel 5.4. 425 Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (364). 426 Vgl. hierzu auch Balawejder/Gauggel, Einführung von Arbeitnehmerräten in Polen, WiRO 2006, S. 359 (364). 427 „Przedstawiciele pracowników powoływani ad hoc“, so etwa Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 129. 428 Näher hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 129 ff.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

und deren Mandat nach deren Erledigung wieder erlischt.429 Sie bestehen zum einen ausschließlich in nicht gewerkschaftlich organisierten Unternehmen, da in gewerkschaftlich organisierten Unternehmen die Betriebsgewerkschaft die Arbeitnehmer repräsentiert, und zum anderen nur aufgrund einzelner im ArbGB sowie in Spezialgesetzen verstreuter Normen.430 Vorgesehen sind Ad-hoc-Repräsentationen beispielsweise im Falle sog. Krisenvereinbarungen im Sinne der Art. 91 Abs. 2 ArbGB (Vereinbarung über die zeitlich beschränkte Nichtanwendbarkeit betrieblicher Normen des Arbeitsrechts) und Art. 231a Abs. 2 ArbGB (Vereinbarung über die Geltung weniger günstiger Arbeitsbedingungen) sowie etwa bei Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Videoüberwachung des Betriebs („Monitoring“, vgl. Art. 222 § 2 ArbGB), Telearbeit (vgl. Art. 676 § 4 ArbGB), Nachtarbeit (vgl. Art. 1517 § 4 ArbGB) sowie bei Massenentlassungen (vgl. Art. 2 Abs. 7 und Art. 3 Abs. 5 des Gesetzes über besondere Grundsätze für Entlassungen aufgrund nicht von den Arbeitnehmern verschuldeter Umstände431).432 Die Ad-hoc-Repräsentationen werden nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften „in der beim jeweiligen Arbeitgeber üblichen Weise“ 433 berufen bzw. gewählt (vgl. etwa Art. 91 Abs. 2 ArbGB). Im Allgemeinen zielen die gesetzlichen Regelungen auf den Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmervertretungen in Bezug auf eine konkrete Angelegenheit, unterschiedlich sind jedoch die gesetzlichen Folgen für den Fall, dass eine derartige Einigung nicht zustande kommt.434 Teilweise ist der Arbeitgeber an der Vornahme der beabsichtigten Maßnahme gehindert, teilweise ist er trotz fehlender Einigung dazu berechtigt, teilweise unterscheiden die gesetzlichen Vorschriften im Hinblick auf die Rechtsfolgen aber auch danach, ob die Vereinbarung von einer Betriebsgewerkschaft oder einer Ad-hoc-Repräsentation abzuschließen wäre.435 429 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 129. 430 Vgl. Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 6); Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 180; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 129. 431 Gesetz über besondere Grundsätze für Entlassungen aufgrund nicht von den Arbeitnehmern verschuldeter Umstände vom 13. März 2003, Dz. U. 2003 Nr. 90 Pos. 844. 432 Zu den zahlreichen einzelnen Rechtsgrundlagen vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 129 f. sowie Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 6). Die von Art. 23711a ArbGB im Zusammenhang mit Arbeitsschutz und Hygiene sowie von Art. 145 § 2 ArbGB im Zusammenhang mit Arbeitszeitverkürzungen vorgesehenen Adhoc-Arbeitnehmervertretungen sind insofern spezifisch, als die Arbeitnehmervertreter nicht im Falle fehlender Betriebsgewerkschaften tätig werden, sondern neben diese treten, wobei die Vertreter von den Betriebsgewerkschaften bestimmt werden. 433 „[. . .] w trybie przyje˛tym u tego pracodawcy“, Übersetzung d. Verf. 434 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 133.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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Viele Fragen in Bezug auf die Ad-hoc-Repräsentationen sind noch ungeklärt.436 Als problematisch erweisen sich insbesondere fehlende gesetzliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmervertreter, zur Freistellung und zur Geheimhaltung.437 In der polnischen Literatur wird auch die Frage diskutiert, ob in Unternehmen, in denen ein Arbeitnehmerrat besteht, dieser die den Ad-hoc-Repräsentationen durch Gesetz zugewiesenen Kompetenzen wahrnehmen könnte.438 Postuliert wird die Vereinigung der Kompetenzen der Ad-hoc-Repräsentationen und derjenigen der Arbeitnehmerräte in einer einheitlichen Institution, die neben den Kompetenzen der Arbeitnehmerräte in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben auch einige der ansonsten den Gewerkschaften zugewiesenen Funktionen wahrnehmen könnte.439 4. Arbeitnehmervertretung bei Arbeitssicherheit und -hygiene In Polen bestehen ferner Besonderheiten im Zusammenhang mit der Sicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz. Zum einen gibt es in Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern den sog. „Arbeitssicherheits- und Arbeitshygienedienst“ 440, vgl. Art. 23711 ArbGB.441 Zum anderen hat der Arbeitgeber Angelegenheiten betreffend die Arbeitssicherheit und die Hygiene gemäß Art. 23711a ArbGB stets mit den Arbeitnehmern oder ihren Vertretern zu konsultieren. In Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern wird für diese Zwecke eine ständige Arbeitnehmervertretung, die sog. „Arbeitssicherheitskommission“ 442, errichtet, die sich paritätisch aus Vertretern des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer zusammensetzt (vgl. Art. 23712 Abs. 1 ArbGB). Dabei ist der Vorsitzende eine aus dem Kreis des Arbeitgebers stammende Person, der Stellvertreter hingegen entweder der Arbeits435 Näher hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 133. 436 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 131. 437 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 134. 438 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 132 f., der eine derart allgemeine Kompetenzzuweisung an den Arbeitnehmerrat nach geltendem Recht kritisch sieht. Als möglich erachtet Wratny, a. a. O., jedoch die Wahrnehmung dieser Aufgaben stets durch dieselben Mitglieder des Arbeitnehmerrates, denen allerdings immer einzelfallbezogen das Mandat hierfür erteilt werden müsste. Vgl. hierzu auch Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/2006, S. 236 (legalis S. 6). 439 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 134. 440 „Słuzba bezpieczen ´stwa i higieny pracy“, Übersetzung nach Major/Bzdok, Kodeks ˙ pracy – Arbeitsgesetzbuch. 441 Näher hierzu Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 181 f. 442 „komisja bhp“, Übersetzung nach Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

inspektor oder ein Arbeitnehmervertreter (vgl. Art. 23712 Abs. 2 ArbGB). Die Arbeitnehmervertreter werden sowohl im Fall des Art. 23711a ArbGB als auch des Art. 23712 ArbGB von den Betriebsgewerkschaften benannt (vgl. Art. 23713a ArbGB). Nur wenn solche nicht bestehen, werden die Vertreter direkt von der Belegschaft gewählt. Eine Besonderheit ist ferner die auf Grundlage des Gesetzes von 24. Juni 1983 über die Arbeitsinspektion443 bestehende Arbeitsinspektion. Die Arbeitsinspektoren werden zwar von der Belegschaft gewählt (vgl. Art. 6 des Gesetzes über die Arbeitsinspektion), jedoch steht die Arbeitsinspektion unter der Leitung der Betriebsgewerkschaften (vgl. Art. 2 des Gesetzes über die Arbeitsinspektion). In der Praxis führt dies dazu, dass die Arbeitsinspektion nur in gewerkschaftlich organisierten Unternehmen besteht.444 5. Europäische Betriebsräte Zur Umsetzung der europäischen Richtlinie 94/95/EG445 wurden sowohl in Deutschland als auch in Polen entsprechende Umsetzungsgesetze erlassen – in Deutschland das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 28. Oktober 1996446 (nachfolgend: „EBRG“) und in Polen das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002447 (nachfolgend: „EBRG-PL“), welches mit dem Beitritt Polens zur EU zum 1. Mai 2004 wirksam wurde. Europäische Betriebsräte sind nur in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen und Unternehmensgruppen vorgesehen (vgl. § 1 Abs. 1 EBRG, Art. 1 Abs. 1 EBRG-PL). Zweck ihrer Errichtung ist die Sicherstellung der grenzübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer. Gleichwohl handelt es sich bei der Unterrichtung und Anhörung der Europäischen Betriebsräte um eine Form der Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene. Die polnischen Regelungen übernehmen zum größten Teil die Vorgaben der europäischen Richtlinie, die insoweit kaum einen Spielraum offen ließen.448 Interessant ist insbesondere 443

Gesetz über die Arbeitsinspektion vom 24. Juni 1983, Dz. U. 1983 Nr. 35 Pos. 163. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 135. 445 Neugefasst als Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 122 vom 16. Mai 2009, S. 28–44. 446 Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische Betriebsräte-Gesetz – EBRG) vom 28. Oktober 1996, in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 2011, BGBl. I S. 2650 m. sp. Änd. 447 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. 448 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 96. 444

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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die vom polnischen Gesetzgeber gewählte Lösung im Hinblick auf die Ernennung bzw. Wahl der aus Polen stammenden Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums sowie des Europäischen Betriebsrats. Die diesbezüglichen Regelungen in Artt. 8, 9 EBRG-PL sowie Art. 23 EBRG-PL ähneln stark denen des SEG-PL, denen sie bei der Implementierung der SE-RL als Vorbild dienten.449 Auch hier werden die Arbeitnehmervertreter vorrangig von der bzw. den repräsentativen Betriebsgewerkschaften i. S. d. Art. 253 Abs. 1 GewG (vor dem 1. Januar 2019: Art. 24125a ArbGB a. F.)450 ernannt und nur ausnahmsweise unmittelbar von den Arbeitnehmern der betroffenen Betriebe gewählt. Entsprechend stellt sich auch hier die Frage der Verfassungsgemäßheit der Regelung.451 In Polen wurde bis 2010 in den gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen oder Unternehmensgruppen mit Sitz in Polen452 kein einziger Europäischer Betriebsrat errichtet, sodass die Mehrheit der Regelungen des EBRG-PL jedenfalls bis dahin keine praktische Anwendung fand.453 Auch wenn aktuelle offizielle Statistiken hierzu fehlen, lässt sich mutmaßen, dass eine größere praktische Relevanz allenfalls die Vorschriften des EBRG-PL in Bezug auf die Ernennung bzw. Wahl der aus Polen stammenden Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums sowie des Europäischen Betriebsrats haben dürften.454

II. Bedeutung der nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung Die Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland ist ausgesprochen groß. Dies liegt nicht nur an der jahrzehntelangen Tradition, sondern auch an den sehr weitgehenden Befugnissen der Betriebsräte. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung wurden im Jahr 2014 43 % aller Beschäftigten der Privatwirtschaft im Westen und 33 % im Osten von einem Betriebsrat vertreten.455 449

Hierzu oben Kapitel 4, B.I.2. Vgl. Art. 7 i.V. m. Art. 23 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608; näher zu dem Änderungsgesetz unten Kapitel 5, A.I.1. 451 Vgl. etwa Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 97. 452 Dies betraf mindestens sechs Unternehmen, eins davon war Orlen, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 96. 453 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 96. 454 So auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 97. 455 Angaben der Hans-Böckler-Stiftung unter https://www.boeckler.de/5306.htm# cont_5313, zuletzt aufgerufen am 7. November 2019 (aktuell nicht mehr abrufbar); vgl. https://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeitsmarkt-betriebsraete-stehen-zur-wahl-aberlaengst-nicht-ueberall-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-180213-99-48757, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 450

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Die Bedeutung der nicht-gewerkschaftlichen betrieblichen Arbeitnehmervertretung in Polen in Gestalt von Arbeitnehmerräten456 dürfte im Vergleich dazu als marginal eingestuft werden. Zum 1. März 2007 waren Arbeitnehmerräte lediglich in 1.900 von ca. 17.000 vom Anwendungsbereich des InfKonsG erfassten Unternehmen errichtet worden, was nur 8,9 % entsprach.457 Erstaunlich hoch war dagegen die Zahl der auf Grundlage des Art. 21 InfKonsG urspr. Fassung (heutiger Art. 24 InfKonsG) noch vor Inkrafttreten des InfKonsG abgeschlossenen Vereinbarungen über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer – namentlich 4.040 Fälle458 –, aufgrund derer die Vorschriften über Arbeitnehmerräte keine Anwendung fanden. Diese hohe Zahl lässt die Vermutung entstehen, dass im Grunde eine Umgehung des neuen Gesetzes beabsichtigt war.459 Im Jahr 2010 betrug die Zahl der Arbeitnehmerräte 2.981, was allerdings weniger auf ein erhöhtes Engagement der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern vielmehr auf das Auslaufen der bis zum 23. März 2008 geltenden Übergangsregelung zum Anwendungsbereich des Gesetzes (erst ab 100 Arbeitnehmern) und die damit einhergehende Erfassung von deutlich mehr Unternehmen zurückzuführen war.460 Prozentual betrachtet war die Anzahl der Arbeitnehmerräte hingegen gesunken.461 In ihrer Höchstphase waren bei einer Anwendbarkeit des InfKonsG auf 31.000 Unternehmen insgesamt 3.091 Arbeitnehmerräte errichtet gewesen.462 Mitte des Jahres 2016 gab es hingegen nur noch 524 Arbeitnehmerräte.463 456 Die folgenden Ausführungen beschränken sich aufgrund ihrer rechtsvergleichenden Bedeutung auf die Arbeitnehmerräte. Zur Bedeutung der Vertretung in Europäischen Betriebsräten vgl. ausführlich Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 279 (286 ff.); vgl. auch Klimek, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 389 (397 ff.) am Beispiel der Statoil Poland sp. z o. o. 457 So die Statistik des Arbeits- und Sozialministeriums („Ministerstwo Pracy i Polityki Społecznej“, kurz: „MPiPS“) zum 1. März 2007, zitiert nach Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 126 f. 458 Statistik des MPiPS zum 1. März 2007, zitiert nach Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127. 459 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127. 460 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127. 461 Ebenda. 462 Ciompa, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 11 (16), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl/publikacje/10-lat-rad-pra cownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 463 So die Angaben der Organisation INSPRO, dargestellt von Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (39), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl /publikacje/10-lat-rad-pracownikow-w-polsce-codalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch die Angabe auf http://radypra cownikow.info/troche-statystyki/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, wonach es im Jahre 2014 17.022 Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten gab, jedoch lediglich ca. 520 Arbeitnehmerräte existierten.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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Beobachtet wurde ferner, dass die überwiegende Zahl der Arbeitnehmerräte in Unternehmen errichtet wurde, in denen eine repräsentative betriebliche Gewerkschaftsorganisation tätig war.464 Mutmaßlich hängt es damit auch zusammen, dass der prozentuale Anteil der Arbeitnehmerräte in den vom Geltungsbereich des InfKonsG nach dem 23. März 2008 erfassten Unternehmen sank, da in den fortan dem InfKonsG unterfallenden Unternehmen mit mindestens 50 Arbeitnehmern eine höhere Anzahl nicht gewerkschaftlich organisierter Unternehmen vorzufinden war.465 Vor diesem Hintergrund wurde in der polnischen Literatur auch kritisiert, dass es mit dem InfKonsG nicht gelungen war, eine gewerkschaftsunabhängige Arbeitnehmervertretung in nicht gewerkschaftlich organisierten Unternehmen zu schaffen – was das eigentliche Ziel des Gesetzes hätte sein sollen.466 Für die nur sehr sporadische Errichtung von Arbeitnehmerräten werden verschiedene Gründe genannt.467 Einerseits läge dies daran, dass die Information und Konsultation gemeinhin lediglich als Recht der Arbeitnehmer und die Errichtung von Arbeitnehmerräten mithin als nicht obligatorisch verstanden wird.468 Dazu beitragen würde auch die gesetzliche Ausgestaltung, die die Organisation der Wahlen zum Arbeitnehmerrat den Arbeitgebern auferlegt, sowie die allgemeine Abneigung der Arbeitgeber gegen diese – wie auch jede andere institutionelle – Partizipationsform, die sich gerne auf die Errichtung der Arbeitnehmerräte als Recht der Arbeitnehmer – nicht Pflicht – beziehen.469 Generell seien die Arbeitnehmerräte auf heftigen Widerstand in den betroffenen Unternehmen gestoßen, was sich auch darin gezeigt habe, dass Tausende Unternehmen von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, an Stelle der Errichtung eines Arbeitnehmerrates eine Vereinbarung zwischen der Unterneh-

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Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128. Im März 2007 waren von den ca. 11.000 nicht gewerkschaftlich organisierten Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des InfKonsG fielen, in nur 354 Unternehmen Arbeitnehmerräte errichtet wurden, was lediglich 3,2 % entsprach, vgl. Wratny, a. a. O. 465 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127 f. 466 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128. 467 Vgl. hierzu die Erläuterungen bei Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (38 ff.), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawoby watelskich.pl/publikacje/10-lat-rad-pracownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 sowie ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127 ff. 468 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 127; vgl. zu dieser Streitfrage auch schon oben Kapitel 5, B.I.2.a). 469 Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (39), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl/publikacje/10-lat-radpracownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

mensleitung und einer gewählten Arbeitnehmervertretung zu unterzeichnen.470 Die anfängliche Errichtungswelle wird auf einen Überraschungseffekt bei den Arbeitgebern zurückgeführt, mit der Zeit aber sei der Widerstand der Arbeitgeber gewachsen, weswegen die errichteten Arbeitnehmerräte ihre Tätigkeit eingestellt hätten.471 Auf Seiten der Arbeitnehmer wiederum fehle einerseits das erforderliche Wissen in Bezug auf die Errichtung von Arbeitnehmerräten, allen voran hinsichtlich der gesetzlichen Grundlagen, andererseits die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit dieser Institution.472 Zudem hätten viele Arbeitnehmer Angst vor arbeitgeberseitigen Schikanen, wenn sie zu der Gruppe der 10 % gehörten, die den Antrag auf Errichtung eines Arbeitnehmerrates stellten.473 Zudem stelle die 10 %-Schwelle eine schwierige organisatorische Hürde dar.474 Wahrhaftig an der Errichtung von Arbeitnehmerräten interessiert seien mithin allein starke Betriebsgewerkschaften, die darin eine Vergrößerung ihres Einflusses in den Betrieben und eine Möglichkeit zur Erweiterung des unter Kündigungsschutz fallenden Kreises von Gewerkschaftsmitgliedern sähen.475 Insbesondere auf Grundlage der ursprünglichen Gesetzesfassung – wonach die Gewerkschaften ein Monopol in Bezug auf die Bestellung der Arbeitnehmerratsmitglieder hatten – waren die entstehenden Arbeitnehmerräte letztlich ein Instrument der Gewerkschaften, sodass das InfKonsG allein den Gewerkschaften, nicht aber der Allgemeinheit aller Arbeitnehmer diente.476 Zwar führt die Neuregelung dazu, dass die Arbeitnehmerräte nunmehr die gesamte Belegschaft vertreten, gleichzeitig fehlt nunmehr aber auch die gewerkschaftliche Expertise, finanzielle Unterstützung und Antriebskraft für die Errichtung der Arbeitnehmerräte, wodurch die Effektivität und Bedeutung der Arbeitnehmerräte gefährdet sei.477 Gleichwohl wird angenommen, dass in stark gewerkschaftlich organisierten Unternehmen die Gewerkschaften weiterhin – wenn auch nicht offiziell – einen maßgeblichen Einfluss auf die

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Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7). Ciompa, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 11 (16), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl/publikacje/10-lat-radpracownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 472 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128. 473 Ebenda. 474 Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (39), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl/publikacje/10-lat-radpracownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128. 475 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128. 476 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 124. 477 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 126. 471

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

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Wahl der Arbeitnehmerräte ausüben.478 Dass dem so ist, zeigt sich etwa darin, dass die Mitglieder im Arbeitnehmerrat oft auch Mitglieder der Betriebsgewerkschaften sind.479 Neben den Umständen, die eine Errichtung der Arbeitnehmerräte erschweren, erweist sich in der Praxis zudem das Nebeneinander von verschiedenen Formen der Arbeitnehmervertretung im Betrieb – der Betriebsgewerkschaften, Arbeitnehmerräten, betrieblichen Ad-hoc-Repräsentationen, etc. – als besonders problematisch. Oft muss der Arbeitgeber dieselben Angelegenheiten mit mehreren Arbeitnehmervertretungen konsultieren, was die Sinnhaftigkeit dieser Konsultationen – die ggf. sogar jeweils einen anderen Ausgang finden – in Zweifel stellt.480 Insbesondere vor dem Hintergrund, dass aufgrund des gewerkschaftlichen Pluralismus und damit einhergehend auch der starken Zersplitterung und Rivalität der polnischen Gewerkschaften die Arbeitgeber ohnehin schon Schwierigkeiten haben, mit den vielen Gewerkschaften zu verhandeln, hätte es der Arbeitnehmerrat als ein Gremium der gesamten Belegschaft den polnischen Arbeitgebern leichter machen können.481 Von einer Entlastung der Arbeitgeber dürfte aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung jedoch kaum die Rede sein.482 In der polnischen Rechtswissenschaft wurde seit den 1990er Jahren bemängelt, dass keine gewerkschaftsunabhängige Arbeitnehmerpartizipationsform auf betrieblicher Ebene eingeführt worden war.483 Nach Inkrafttreten des InfKonsG wurde vermutet, dass die Arbeitnehmerräte in Unternehmen, in denen keine Betriebsgewerkschaften tätig waren, deren Rolle einnehmen könnten.484 So ist es allerdings nicht gekommen, da die Arbeitnehmerräte mit viel zu schwach ausgeprägten Kompetenzen ausgestattet wurden, als dass sie ein ernst zu nehmender Partner des Arbeitgebers werden konnten.485 Auch aufgrund des Umstands, dass die Angelegenheiten, auf die sich die Informations- und Konsultationsrechte des Arbeitnehmerrates beziehen, nicht die laufenden Vorgänge im Betrieb, sondern 478 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 126. 479 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 110. 480 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 181. 481 In dieser Richtung zielte die Aussage eines Vorstandsmitglieds zur Sinnhaftigkeit eines Arbeitnehmerrates, wiedergegeben bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 90. 482 So wohl auch Florek, Prawo pracowników do informacji i konsultacji, MoPr 5/ 2006, S. 236 (legalis S. 7). 483 So etwa Gładoch, in: Goz ´ dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225 f.); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48; für die Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf betrieblicher Ebene auch schon Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72 f.); vgl. auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (226, 234). 484 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15. 485 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

vielmehr langfristig vom Arbeitgeber geplante Maßnahmen betreffen, stellen die Arbeitnehmerräte in nicht gewerkschaftlich organisierten Unternehmen keinen ebenbürtigen Ersatz für die Gewerkschaften dar.486 Kritisiert wurde daher auch in der polnischen Literatur, dass es angesichts der polnischen Spezifika das eigentliche Ziel des Gesetzgebers hätte sein sollen, eine Arbeitnehmervertretung in der weit überwiegenden Anzahl der nicht gewerkschaftlich organisierten Unternehmen zu errichten, in denen überhaupt keine Form der Arbeitnehmerpartizipation vorhanden ist – dies mit dem InfKonsG aber keinesfalls gelungen sei.487 Vielmehr seien die Vorgaben der Richtlinie 2002/14/EG „mechanisch“ ins polnische Recht übertragen worden, ohne wahrhaftiges Interesse an einer „tatsächlichen Implementierung der Idee der Arbeitnehmerpartizipation“ in die polnischen Betriebe.488 Daher wird auch von verschiedenen Seiten eine Überarbeitung des InfKonsG postuliert.489 Als wesentlich wird dabei eine Regelung des Verhältnisses zwischen den Arbeitnehmerräten und den Betriebsgewerkschaften angesehen.490 Schon in früheren Vorschlägen zur Einführung einer betrieblichen Arbeitnehmerpartizipation wurde allerdings betont, dass Arbeitnehmerräte im polnischen System eine andere Rolle und Funktion als etwa die deutschen Betriebsräte einnehmen müssten, was dem unterschiedlichen Modell der gewerkschaftlichen Kompetenzen in beiden Ländern geschuldet sei.491 Darüber hinaus wird eine Vereinigung der Kompetenzen der Arbeitnehmerräte und der Ad-hocRepräsentationen befürwortet.492

486 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 123. 487 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 128. 488 So kritisch Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (38) („bez troski o rzeczywiste wcielenie w ˙zycie idei partycypacji pracowniczej“, „Postanowienia dyrektywy przeniesiono do tekstu ustawy w sposób mechaniczny“, Übersetzung d. Verf.). 489 Vgl. etwa den Entwurf, der von INSPRO gemeinsam mit Arbeitnehmerräten erarbeitet wurde und auf dem landesweiten Forum der Arbeitnehmerräte in Polen am 14. Juni 2016 in Warschau vorgestellt wurde, abrufbar unter https://radypracownikow. info/bank-wiedzy/122467/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; für eine Überarbeitung ebenso Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (40), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl/publikacje/10lat-rad-pracownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. hierzu auch Gładoch, Dialog społeczny, S. 113 f. 490 So etwa Gładoch, Dialog społeczny, S. 114; Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (40). Ausführlich zu verschiedenen Lösungsmöglichkeiten Wratny, a. a. O., S. 40–43. 491 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 165 f.; vgl. ders., a. a. O., S. 164 ff. mit ausführlichen Vorschlägen, wie Betriebsräte in Polen ausgestaltet sein könnten. 492 So etwa Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 134.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

629

III. Verhältnis zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene und nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen 1. Deutschland Die Unternehmensmitbestimmung und die betriebliche Mitbestimmung sind letztlich Ausprägungen eines „einheitlichen Systems Mitbestimmung“ und können daher auch nicht strikt getrennt voneinander betrachtet werden.493 Gemeinsam ist den beiden Mitbestimmungsinstrumenten nicht nur der damit bezweckte Schutz von Arbeitnehmerinteressen bei Entscheidungen im Unternehmen, sondern auch die institutionelle Interessenvertretung aller Arbeitnehmer der jeweils betroffenen Organisationseinheit ohne Rücksicht auf eine Gewerkschaftszugehörigkeit.494 Zwischen den Mitbestimmungsformen bestehen einerseits beachtliche Unterschiede, andererseits aber auch verschiedene Überschneidungen, die in der deutschen Literatur nicht selten Gegenstand von Kritik sind. Die Unternehmensmitbestimmung und die betriebliche Mitbestimmung unterscheiden sich zum einen durch die organisatorische Ebene, auf der sie ihre Wirkung entfalten, zum anderen durch die thematisch prinzipiell voneinander zu unterscheidenden Fragen, mit denen sie sich befassen.495 Die Unternehmensmitbestimmung wirkt auf Ebene der Unternehmensorgane, auf der für das Unternehmen wesentliche Leitungsentscheidungen getroffen werden. Sie gewährt damit den Arbeitnehmervertretern ein Mitspracherecht an den für die Entwicklung des Unternehmens in Gänze wesentlichen Planungs- und Entscheidungsprozessen, die sich vor allem auf strategische und wirtschaftliche Angelegenheiten und die Unternehmenspolitik beziehen.496 Dagegen wirkt die betriebliche Mitbestimmung in der organisatorischen Einheit des Betriebs, wo sie sich vor allem auf Fragen der betrieblichen Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen sowie personelle Einzelmaßnahmen bezieht.497 Während also Bezugspunkt der Unternehmensmitbestimmung das Unternehmen als Wirtschaftssubjekt ist, ist die betriebliche Mitbestimmung zwecks Sicherstellung der sozialen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb sowie am jeweiligen Arbeitsplatz auf die Arbeitgeber-

493

Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (23). Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 9; ausführlich zum Ziel und zur Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung oben Kapitel 3, A.II.1. 495 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 9 f. 496 Zu den Kompetenzen der mitbestimmten Unternehmensorgane siehe oben Kapitel 3, C.II.1. (Aufsichtsrat) sowie Kapitel 3, C.III. (Vorstand). 497 Hierzu oben Kapitel 5, B.I.1. 494

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

stellung des Unternehmens gerichtet.498 Im Allgemeinen werden daher auch keine Überschneidungen zwischen der Arbeitnehmervertretung auf Organebene und den sozialen und personellen Angelegenheiten, die von der betrieblichen Mitbestimmung erfasst sind, angenommen.499 Gleichwohl gibt es zwischen der Unternehmensmitbestimmung und der betrieblichen Mitbestimmung auch beachtliche Überschneidungen sowohl in sachlicher wie auch personeller Hinsicht. So etwa sind Fragen der betrieblichen Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, die den Unterrichtungs- und Beratungsrechten des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG oder des Betriebsrates nach § 111 BetrVG im Falle von Betriebsänderungen unterliegen, oft auch von der Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG umfasst und unterfallen damit gleichzeitig der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats.500 Eine Überschneidung kann insbesondere dann eintreten, wenn die zu Mitspracherechten des Betriebsrates im Rahmen eines Interessenausgleiches nach § 112 BetrVG führenden Vorgänge auch schon der Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterliegen.501 Im Ergebnis müsse der Vorstand dieselbe Angelegenheit oft mit mehreren Arbeitnehmervertretungsgremien besprechen, was nicht nur zeitaufwendig, sondern auf kostspielig sei, jedoch nicht notwendigerweise auch eine bessere Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zur Folge habe.502 In personeller Hinsicht ergeben sich Überschneidungen dagegen daraus, dass in der Praxis die unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter nahezu immer auch zugleich Betriebsratsmitglieder sind.503 Die von der Bertelsmann-Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung im Jahre 1998 eingesetzte Kommission Mitbestim498 Vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 5; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 10. 499 Vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 55; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 10. 500 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 54; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 10; vgl. auch Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (34 f.). 501 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 54; so auch schon BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 98 („Allerdings kann ein Zusammentreffen von Unternehmensmitbestimmung und betrieblicher Mitbestimmung zumindest im Fall der Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) mit der Folge des Interessenausgleichs oder der Aufstellung eines Sozialplans (§ 112 BetrVG) nicht ausgeschlossen werden.“). 502 Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (35). 503 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 10.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

631

mung kam zu der Beobachtung, dass sich die Mitbestimmung im Laufe der Jahre zunehmend „verbetrieblicht“ habe und die Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene „eng miteinander verwoben“ seien.504 Die Mitbestimmung auf Unternehmensebene sei in der Praxis zum „verlängerten Arm“ der betrieblichen Mitbestimmung geworden, wobei die in der Regel auch im Aufsichtsrat vertretenen leitenden Betriebsratsmitglieder „ihre unternehmensrechtliche Position im wesentlichen zur Erweiterung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Informationsund Handlungsmöglichkeiten nutzten“.505 So wird von anderer Seite auch auf die aus der Personenidentität resultierende Gefahr hingewiesen, dass Gegenstände der betrieblichen Mitbestimmung im Falle der Nichteinigung Eingang in die Beratungen des Aufsichtsrats finden könnten, was letztlich einen Einigungsdruck auf die Unternehmensseite in den betrieblichen Angelegenheiten ausübe und die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite nicht unwesentlich verstärke.506 Durch die personelle Kumulation der Rechte aus der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung entstünden so Einflussmöglichkeiten, die weit über die isoliert betrachteten Rechte nach dem BetrVG und den Mitbestimmungsgesetzen hinausgingen.507 Kritisiert wird daher in der deutschen Rechtswissenschaft, dass zwischen der Mitbestimmung im Betriebsrat und Aufsichtsrat in tatsächlicher Hinsicht kaum eine Trennung bestünde und es vielmehr zu einer rechtfertigungsbedürftigen „Verdoppelung der Mitbestimmung“ käme.508 Sowohl die häufig anzutreffende Personenidentität der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Betriebsrat als auch die sachlichen Überschneidungen in Bezug auf wirtschaftliche Angelegenheiten und die Unternehmenspolitik lassen Kritiker die Frage aufwerfen, ob überhaupt zwei solche „Subsysteme“ der Mitbestimmung benötigt werden.509 Postuliert wird in der Literatur daher auch, die gleichzeitige Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Betriebsrat und im Aufsichtsrat auszuschließen.510 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Möglichkeit von Überschneidungen zwischen der Mitbestimmung auf Organ- und Betriebsebene gesehen, indes eine Kumulation der Mitbestimmungsrechte, die zu einer paritätischen oder gar über504 505

Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 7. Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 7; ebenso BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht,

S. 5. 506 Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (37). 507 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 5. 508 So Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (23 f.). 509 Ebenda. 510 So etwa Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89); Löwisch, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Koordination oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 19 (27 ff.); Weiss, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene. Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 9 (16).

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

paritätischen Arbeitnehmerbeteiligung führen würde, letztlich verneint.511 Die Frage wird allerdings angesichts der in den letzten Jahrzehnten erfolgten Entwicklungen von Kritikern neu gestellt.512 Laut statistischen Erhebungen waren Mitte der neunziger Jahre etwa ein Viertel aller Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft sowohl durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat als auch im Betriebsrat vertreten (sog. „Zone doppelter Mitbestimmung“).513 Im Hinblick auf die Bedeutung der beiden Mitbestimmungsformen beobachtete die von der Bertelsmann-Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung eingesetzte Kommission eine im Laufe der Jahre gewachsene Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung und damit auch eine „Umkehrung der relativen Bedeutung der beiden Mitbestimmungsformen gegenüber der Gründungsphase der Bundesrepublik“.514 2. Polen Auch im polnischen Recht werden die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen und die Arbeitnehmerräte sowie sonstige betriebliche Arbeitnehmervertretungen anhand der unterschiedlichen Wirkungsebenen abgegrenzt. Sprachlich hat sich der Begriff der „Arbeitnehmerpartizipation auf erster Ebene“ für die Arbeitnehmerbeteiligung über Arbeitnehmerräte und andere betriebliche Interessenvertretungen und „Arbeitnehmerpartizipation auf zweiter Ebene“ für die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene etabliert.515 Wie auch in Deutschland wirken die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten und Vorständen auf Ebene der Leitungsorgane, während die Arbeitnehmerräte eine separates Gremium der Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen darstellen. Von der polnischen Rechtswissenschaft wurde bemängelt, dass die Privatisierungsgesetze in den 1990er Jahren keine Partizipationsform auf erster Stufe, also auf der betrieblichen Ebene, eingeführt hatten.516 Betont wurde, dass die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat keinen Ersatz für eine betriebliche Interessenvertretung biete, da der Aufsichtsrat aus seiner Natur heraus ein Instrument der Eigentümerkontrolle sei und die stets eine Minderheit bildenden Arbeitnehmervertreter von den Anteilseignervertretern jederzeit überstimmt werden könnten.517 511

Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 97 ff. 512 So Löwisch, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Koordination oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 19 (19). 513 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 10. 514 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 7. 515 Vgl. etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 205; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46 f. 516 So etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48. 517 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48 f.

B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung

633

Gleichwohl lassen sich durchaus zum Teil beachtliche Überschneidungen zwischen den Partizipationsformen im Aufsichtsrat und Arbeitnehmerrat in sachlicher und funktioneller Hinsicht feststellen. Zwar haben die polnischen Arbeitnehmerräte nur sehr begrenzte Kompetenzen, die sich auf Informations- und Anhörungsrechte sowie die Möglichkeit von Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber – nicht jedoch deren Erforderlichkeit, wie etwa aufgrund von Zustimmungsvorbehalten nach dem deutschen BetrVG – beschränken. Allerdings betreffen die Angelegenheiten, auf die sich diese Beteiligungsrechte beziehen, gerade nicht die alltäglichen betrieblichen Fragen aus dem sozialen, personellen oder organisatorischen Bereich, da diese bereits von den Betriebsgewerkschaften bzw. in bestimmten Fällen durch anderweitige Ad-hoc-Repräsentationen wahrgenommen werden. Vielmehr erfassen die Informations- und Anhörungsrechte des Arbeitnehmerrates das Unternehmen als Wirtschaftssubjekt und betreffen die gegenwärtige und geplante Tätigkeit und wirtschaftliche Situation des Unternehmens sowie den Stand, geplante Veränderungen und mögliche Entwicklungen im Hinblick auf die Beschäftigungssituation (vgl. Art. 13 Abs. 1 InfKonsG). Diese Angelegenheiten dürften in der Regel auch Gegenstand der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats darstellen. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass es im polnischen Aktienrecht – anders als im deutschen – keine gesetzlich vorgesehenen regelmäßigen Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat gibt, sondern das Aktienrecht in Art. 382 § 4 HGG nur ein jederzeitiges und umfassendes Auskunftsrecht des Aufsichtsrats statuiert, welches jedoch dessen Initiative erfordert.518 Auch wenn aus dem Grundsatz der Zusammenarbeit und Loyalität der Gesellschaftsorgane eine ungeschriebene Pflicht des Vorstands abgeleitet wird, den Aufsichtsrat unverzüglich über außergewöhnliche Ereignisse mit wesentlicher Bedeutung für die Gesellschaft zu informieren519, so stellen die dem Arbeitgeber auferlegten Unterrichtungs- und Anhörungspflichten gegenüber dem Arbeitnehmerrat eine im Vergleich hierzu deutliche präzisere und ggf. auch eine inhaltlich darüber hinausgehende Vorgabe dar. Hinsichtlich der Intensität der Beteiligung dürfte indes zwischen den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat kommerzialisierter Unternehmen, die nur als Minderheit an den Beratungen des Aufsichtsrats teilhaben, und der Arbeitnehmerbeteiligung über den Arbeitnehmerrat kaum ein praktischer Unterschied bestehen, da sich in beiden Fällen die Rolle der Arbeitnehmervertreter regelmäßig in der Information und Anhörung erschöpfen dürfte. Auch im Hinblick auf die von den jeweiligen Arbeitnehmervertretern wahrgenommene Funktion lassen sich teilweise Überschneidungen zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und im Arbeitnehmerrat feststellen. Untersuchungen und Befragungen zeigten, dass als die wesentlichste Funktion der 518 519

Hierzu siehe oben Kapitel 3, C.II.1.a)aa)(2)(a). Opalski, Rada nadzorcza, S. 349.

634

Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Vorstand die Informationsvermittlung „nach unten“ wie auch „nach oben“ angesehen wird.520 Jedenfalls die Informationsvermittlung „nach unten“ könnte nun auch von den Arbeitnehmerräten wahrgenommen werden, wenngleich in der polnischen Literatur bemängelt wird, dass es keine gesetzliche Pflicht der Arbeitnehmerräte zur Weiterleitung der erlangten Informationen an die Belegschaft gibt521. Nicht unwesentlich erscheint indes, dass – wie empirische Untersuchungen ergeben haben – in der Wahrnehmung der Belegschaften ein Informationsdefizit in Bezug auf wichtige Angelegenheiten des Unternehmens bestand und dass das System der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen anscheinend nicht geeignet war, diesen Mangel zu beheben, obwohl die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Vorstand im Rahmen des rechtlichen Möglichen versuchten, Information an die Arbeitnehmer und Gewerkschaften zu übermitteln.522 Insoweit mögen die vom Arbeitnehmerrat wahrgenommenen Informationsrechte geeignet sein, diese in der Praxis bestehenden Informationslücken zu schließen. Auf der anderen Seite wird darauf hingewiesen, dass im Fall der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat die Arbeitnehmer die Informationen – anders als im Fall der Arbeitnehmerräte – direkt „an der Quelle“ erhalten und nicht erst auf eine Übermittlung durch den Arbeitgeber angewiesen sind.523 In personeller Hinsicht sind Überschneidungen insbesondere deshalb denkbar, als in beiden Fällen die Gewerkschaften in der Praxis oft eine erhebliche Rolle bei der personellen Besetzung der Arbeitnehmervertreter spielen. Dabei war zwar nach der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung des KommerzG das in Art. 13 KommerzG a. F. normierte Verbot der gleichzeitigen Ausübung eines Aufsichtsratsmandats und einer Funktion in der Betriebsgewerkschaft zu beachten, allerdings schloss dieses die bloße Gewerkschaftszugehörigkeit oder eine Funktion in einer überbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation nicht aus.524 Für die Arbeitnehmerräte gab es eine derartige Verbotsnorm noch nie, sodass auch Funktionäre der Betriebsgewerkschaft ohne Weiteres Mitglieder des Arbeitneh-

520 Vgl. die Untersuchungen von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff.) und des IPiSS, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 54 ff. sowie ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 102 ff., 111 ff. 521 So die Kritik von Wratny, in: INSPRO, 10 lat rad pracowników w Polsce. Co dalej? S. 37 (40), im Internet abrufbar unter https://instytutsprawobywatelskich.pl/pu blikacje/10-lat-rad-pracownikow-w-polsce-co-dalej/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 522 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 49. 523 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 85. 524 Es ist allerdings davon auszugehen, dass diese Beschränkung aufgrund der Neufassung des KommerzG zum 1. Januar 2017 nicht mehr besteht, vgl. hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2).

C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung

635

merrates sein konnten und auch heute sein können. Auch gibt es keine Beschränkungen in Bezug auf die gleichzeitige Ausübung eines Amts im Arbeitnehmerrat und im Aufsichtsrat.

C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung I. Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital („partycypacja kapitałowa“) Zwar setzen deutsche Unternehmen heutzutage verstärkt auf eine „Eigentümerkultur“, indem sie die Aktienbeteiligung ihrer Mitarbeiter aktiv fördern und sich so mehr Motivation und Engagement ihrer Mitarbeiter erhoffen.525 In der deutschen Rechtswissenschaft werden Aktienbeteiligungen der Arbeitnehmer allerdings nicht als eine Form der Mitbestimmung verstanden und mithin auch grundsätzlich nicht im Zusammenhang mit Ausführungen zur Arbeitnehmermitbestimmung erwähnt. Lediglich vereinzelt wurde die Frage aufgeworfen, ob es aufgrund der Kumulation einer nicht unbeachtlichen Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer – was bereits bei einem Umfang von 10 % am Unternehmenskapital der Fall sei – und der Unternehmensmitbestimmung nicht zu einem Übergewicht der Arbeitnehmer komme, welches verfassungsrechtlich bedenklich sei.526 Während der harten politischen Auseinandersetzungen um die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf Großunternehmen in der 1960er und 1970er Jahren kam zwar seitens der FDP der Vorschlag einer Mitbestimmung über die Eigentumsbeteiligung der Arbeitnehmer auf, dieser fand damals aber kein Gehör.527 Dagegen wird in der polnischen Rechtswissenschaft auch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Gesellschaft in Gestalt des Arbeitnehmeraktionärstums („akcjonariat pracowniczy“) als eine Form der Arbeitnehmerpartizipation angesehen (sog. „kapitalbasierte Arbeitnehmerbeteiligung“ – „partycypacja kapitałowa“).528 Es handelt sich dabei um eine Form der unmittelbaren, nicht reprä525 So etwa die Eigentümerkultur bei der Siemens AG, vgl. https://press.siemens. com/global/de/pressemitteilung/siemens-festigt-eigentuemerkultur, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 526 So Hirdina, Neuordnung der Unternehmensmitbestimmung, NZA 2010, S. 683 (683 ff.) angesichts der geplanten Mitarbeiterbeteiligung bei Opel im Umfang von 10 % am Unternehmenskapital. 527 Vgl. zu den Vorschlägen der FDP Stollreither, Mitbestimmung, S. 104, 160. 528 Vgl. etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17, 242 ff.; Woz´niak, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 103 (107); Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 20 f.; ders., Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111 ff.); ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46, 51 f.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

sentativen Arbeitnehmerpartizipation.529 Die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung erfolgt dabei auf Grundlage ihrer Aktionärsstellung, die ihnen den Einfluss in der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung sichert.530 Über ihr Stimmrecht haben sie einen unmittelbaren Einfluss auf die grundlegenden Entscheidungen im Unternehmen.531 Grundlage des Rechts der Arbeitnehmer an einer Beteiligung an der Unternehmensleitung ist in diesem Fall – anders als etwa bei der repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen – nicht der „laboristische“ Aspekt, sondern das Eigentum der Arbeitnehmer in Form von Aktien oder Anteilen an dem betroffenen Unternehmen.532 Die Betrachtung der Eigentumsbeteiligung der Arbeitnehmer als einer Form zur Realisierung des Partizipationsgedankens und der Partizipationsbestrebungen beruht auf liberalen und christlichen Ideologien.533 Wie auch die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen hat die kapitalbasierte Arbeitnehmerbeteiligung ihren Ursprung in den Anfang der 1990er Jahre eingeleiteten Transformationsprozessen und den Privatisierungsgesetzen.534 Da die Eigentumsfrage zum alles beherrschenden Streitpunkt geworden war, wurde als Zugeständnis an die Arbeitnehmer für ihre Zustimmung und Akzeptanz zur Privatisierung ein privilegierter Erwerb von Aktien bzw. Anteilen an dem zu privatisierenden Unternehmen in den Privatisierungsgesetzen vorgesehen.535 Dieser privilegierte Aktienerwerb spielte sogar eine wichtigere Rolle als die Einführung der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen.536 Bereits das PrivG 1990 räumte so den Arbeitnehmern Vergünstigungen beim Erwerb von Aktien bzw. Anteilen ein. Diese Privilegien wurden durch das KommerzG im Jahr 1996 noch weiter ausgebaut, was auch auf den im Jahre 1993 abgeschlossenen Pakt über das Staatsunternehmen zurückgeht.537 Das KommerzG enthielt daher an verschiedenen Stellen Regelungen, die die Entstehung von Arbeitnehmeraktionärstum und damit die Form der unmittelbaren, kapitalbasierten Arbeitnehmerpartizipation begünstigten. Zum einen räumte das KommerzG den berechtigten Arbeitnehmern – wie in Art. 2 Pkt. 5 KommerzG definiert – im Rahmen der mittelbaren Privatisierung 529 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242 ff.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51 f. 530 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 245 f. 531 Ebenda. 532 Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111). 533 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (17). 534 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 21 („Nebeneffekt der Privatisierungsprozesse“, Übersetzung d. Verf.). 535 Ausführlich zum historischen Hintergrund oben Kapitel 2, A.II.4. 536 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 81. 537 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c).

C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung

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das Recht auf unentgeltlichen Erwerb von 15 % der Anteile an der kommerzialisierten Gesellschaft ein (vgl. Art. 36 Abs. 1 KommerzG). Zum anderen begünstigten die Regelungen zur unmittelbaren Privatisierung in Form der Einbringung des Unternehmens und der Verpachtung die Entstehung von sog. Arbeitnehmergesellschaften, in denen neben dem Staat die Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens die Gesamtzahl oder jedenfalls einen überwiegenden Teil der nicht dem Staat gehörenden Gesellschaftsanteile hielten.538 Anders als bei der repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene im Rahmen der mittelbaren Privatisierung erfolgte die Arbeitnehmerbeteiligung im Rahmen des durch das KommerzG begünstigten Arbeitnehmeraktionärstums nicht unmittelbar aufgrund der Arbeitnehmerstellung im Sinne des laboristischen Ansatzes, allerdings war der Arbeitnehmerstatus Voraussetzung für den Erwerb von Unternehmensaktien oder -anteilen, die sodann die Grundlage der Arbeitnehmerbeteiligung bildeten.539 Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 wurde Kapitel V des KommerzG (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) und damit auch die Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung gestrichen.540 Die Rechte der Arbeitnehmer zum unentgeltlichen Erwerb von Aktien des kommerzialisierten Unternehmens bestehen jedoch weiterhin (vgl. Artt. 36 ff. KommerzG). Die Erfahrungen in der Praxis zeigten jedoch, dass die Arbeitnehmer ihre auf Grundlage des KommerzG vergünstigt erhaltenen Anteile recht schnell weiterverkauften.541 Es gelang daher nicht, über die Kapitalbeteiligung der Belegschaft eine stärkere Verbundenheit der Arbeitnehmer zum Unternehmen zu fördern, ihr Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens zu steigern und eine im Zuge des Einstiegs privater Investoren erfolgende Entfremdung zu verhindern.542 Auch ein gesteigertes Engagement im Unternehmen oder Interesse an der Unternehmenspolitik konnte nicht festgestellt werden.543 Die im Zusammenhang mit der Privatisierung an Arbeitnehmer ausgegebenen Aktien und Anteile wurden von den Arbeitnehmern vielmehr als Gegenleistung für die erteilte Zustimmung zur Privatisierung als eine Form der Arbeitnehmerpartizipation ver-

538

Näher zu den sog. Arbeitnehmergesellschaften siehe oben Kapitel 3, D.I. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51 f. 540 Vgl. Art. 14 Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 541 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 35; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 245; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182). 542 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 35; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 245; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 46. 543 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 35. 539

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

standen.544 Es wird jedoch auch bezweifelt, dass das Arbeitnehmeraktionärstum den Arbeitnehmern über eine Kapitalbeteiligung tatsächlich Einfluss auf die Unternehmensführung gewähren sollte.545 Vielmehr habe die Rolle des Aktionärseigentums darin bestanden, die Durchführung der Privatisierungsprozesse zu erleichtern.546 Dies scheint auch tatsächlich das erklärte Ziel des polnischen Gesetzgebers gewesen zu sein. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte der begünstigte Aktienerwerb die Arbeitnehmer an den wirtschaftlichen Effekten der Privatisierung teilhaben lassen und so ihre Akzeptanz für die Durchführung der Privatisierungsprozesse fördern.547 Gleichwohl wird das Aktionärseigentum in der polnischen Literatur als eine Möglichkeit zur Steigerung der Mitarbeitermotivation gesehen.548 Unabhängig von dem durch das KommerzG begünstigten Arbeitnehmeraktionärstum, welches sich nur auf die ehemaligen Staatsunternehmen bezieht, können Arbeitnehmer auch in jeder Kapitalgesellschaft der Privatwirtschaft Aktien des Unternehmens erwerben und sich so Mitspracherechte in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung sichern. Auch kann ein Aktionärseigentum durch die jeweiligen Arbeitgeber begünstigt werden, indem Arbeitnehmern zu günstigen Konditionen Aktien bzw. Anteile angeboten werden. Untersuchungen ergaben jedoch, dass die Kapitalbeteiligung von den Arbeitnehmern nur dann als Partizipationsform angesehen wird, wenn damit auch ein Einfluss auf die Unternehmensführung, sei es in Form einer Information und Konsultation, einhergeht.549 Ansonsten beschränkt sich die Kapitalbeteiligung auf die ausgezahlte Dividende, die aus Sicht der Arbeitnehmer lediglich einen zusätzlichen Vergütungsbestandteil darstellt.550 Überschneidungen zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand und der kapitalbasierten Arbeitnehmerbeteiligung, die sich durch Mitspracherechte in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung äußert, sind vor dem Hintergrund einer notwendig klaren Kompetenzverteilung zwischen den Unternehmensorganen – im Fall der Aktiengesellschaft also dem Aufsichtsrat, Vorstand und der Hauptversammlung – grundsätzlich wenig naheliegend. Aufgrund der von den Arbeitnehmern wahrgenommenen Funktion des Arbeitnehmeraktio544 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (17); Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 46; ders., in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 84. 545 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 46. 546 Ebenda. 547 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2. 548 So etwa Haus, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (59); Kozłowski, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 111 (111). 549 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (17) m.w. N. 550 Ebenda.

C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung

639

närstums als Vergütungsbestandteil und weniger als Einflussmöglichkeit auf die Unternehmensführung unterscheiden sich diese Partizipationsformen auch funktionell erheblich voneinander. Gleichwohl kann sich das Arbeitnehmeraktionärstum auch dahingehend auswirken, dass die Arbeitnehmer-Aktionäre ihre eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat wählen.551 Begünstigt wird diese Möglichkeit durch die in Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG vorgesehene Gruppenwahl.552 Doch auch hiervon machten die Arbeitnehmer in den sog. Arbeitnehmergesellschaften nahezu keinen Gebrauch, was vor allem an dem schnellen Weiterverkauf der Aktien lag.553

II. Rat des sozialen Dialogs Als ein wesentliches Element des sozialen Dialogs554 wird in Polen die Tätigkeit des Rates des sozialen Dialogs auf Grundlage des Gesetzes über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015555 (nachfolgend: „RatSozDialogG“) verstanden. Der Rat des sozialen Dialogs ersetzte im Jahre 2015 die seit 1994 bestehende Triparitätische Kommission, die zuletzt durch das Gesetz über die Triparitätische Kommission vom 6. Juli 2001556 geregelt war. Im Vergleich zur Triparitätischen Kommission kommen dem Rat, der die wesentlichen Funktionen der Triparitätischen Kommission übernommen hat, allerdings zum Teil auch andere Aufgaben und Zielsetzungen zu.557 Der Rat setzt sich wie die ehemaligen Triparitätische Kommission aus Vertretern der Arbeitnehmer558, Arbeitgeber und der Regierung zusammen (vgl. Art. 22 RatSozDialogG). Wie auch schon im Rahmen der Triparitätischen Kommission wird die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nur von repräsentativen Gewerkschafts- und Arbeitgeberorganisationen vertreten (vgl. Artt. 23 Abs. 1,

551 Vgl. Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (181 f.); vgl. hierzu auch die Erkenntnisse aus der Untersuchung des IPiSS im Jahr 2003, dargestellt bei Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 149 ff. in Bezug auf ein Unternehmen, in dem genau dies der Fall war. 552 Zu der Gruppenwahl siehe oben Kapitel 3, C.II.2.c)aa). 553 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (182). 554 Zum Begriff des sozialen Dialogs oben Kapitel 2, C.I.2. und Kapitel 2, C.III.2.a). 555 Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 556 Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 2001, Dz. U. 2001 Nr. 100 Pos. 1080. 557 Vgl. http://www.dialog.gov.pl/dialog-krajowy/rada-dialogu-spolecznego/rada-dia logu-spolecznego/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 558 Das RatSozDialogG benutzt in Artt. 22 f. weiterhin die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitnehmerseite“, obwohl es für die Repräsentativität hinsichtlich der Mitgliederzahl entsprechend dem erweiterten Geltungsbereich des Koalitionsrechts auf die „erwerbstätigen Personen“ i. S. d. Art. 11 GewG abstellt.

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

24 Abs. 1 RatSozDialogG). Als „repräsentative Gewerkschaftsorganisation“ im Sinne des RatSozDialogG gelten nur solche landesweiten Gewerkschaften, landesweiten Gewerkschaftsverbände (sog. „Föderationen“) und Zusammenschlüsse von landesweiten Gewerkschaften und landesweiten Gewerkschaftsverbänden (sog. „Konföderationen“), die mehr als 300.000 Mitglieder zählen und in einer bestimmten Anzahl von Branchen tätig sind (vgl. Art. 23 Abs. 2 RatSozDialogG). Zu diesen repräsentativen Gewerkschaften gehören die NSZZ „Solidarnos´c´ “, die „OPZZ“ und die „FZZ“.559 Die Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden regelt Art. 24 Abs. 2 RatSozDialogG. Zurzeit zählen hierzu die Arbeitgeberorganisation „Arbeitgeber der Republik Polen“ („Pracodawcy Rzeczypospolitej Polskiej“), die Konföderation „Lewiatian“ („konfederacja ,Lewiatan‘“), der „Verband des Polnischen Handwerks“ („Zwia˛zek Rzemiosła Polskiego“), der Arbeitgeberverband „Business Centre Club“ („Zwia˛zek Pracodawców Business Centre Club“) sowie der „Verband der Unternehmer und Arbeitgeber“ („Zwia˛zek Przedsie˛biorców i Pracodawców“).560 Der Rat des sozialen Dialogs hat unter anderem das Ziel, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Polens zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit Polens zu steigern und soll ferner den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern (vgl. Art. 1 Abs. 2 RatSozDialogG). Der Rat und seine Mitglieder können allgemeine Stellungnahmen und Äußerungen abgeben, Gesetzesvorhaben kommentieren und Gesetzgebungsverfahren einleiten (vgl. Art. 2 RatSozDialogG), ferner können die Mitglieder des Rates Vereinbarungen treffen und gemeinsame Stellungnahmen abgeben (vgl. Art. 3 Abs. 1 RatSozDialogG). Insgesamt kann der Rat des sozialen Dialogs durch die ihm eingeräumten Kompetenzen auf die Sozial- und Wirtschaftspolitik Polens Einfluss nehmen.561 Darüber hinaus können die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter gemäß Art. 15 RatSozDialogG überbetriebliche Tarifverträge abschließen, die die in den jeweiligen repräsentativen Arbeitgeberverbänden organisierten Arbeitgeber und deren Arbeitnehmer erfassen. Sowohl im Hinblick auf die politische Dimension der Tätigkeit des Rates des sozialen Dialogs als auch den Abschluss von überbetrieblichen Tarifverträgen sind Überschneidungen mit der Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen kaum denkbar, weil die jeweiligen Tätigkeiten gänzlich andere Wirkungsebenen betreffen. Auch personelle Verflechtungen erscheinen wenig naheliegend.

559 Vgl. http://www.dialog.gov.pl/czym-jest-dialog-spoleczny/strony-i-instytucje-dia logu-spolecznego/zwiazki-zawodowe/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 560 Vgl. http://www.dialog.gov.pl/dialog-krajowy/rada-dialogu-spolecznego/rada-dia logu-spolecznego/, zuletzt aufgerufen 27. August 2020. 561 Näher zu den einzelnen Kompetenzen siehe etwa die Erläuterungen auf http:// www.dialog.gov.pl/dialog-krajowy/rada-dialogu-spolecznego/rada-dialogu-spolecznego/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

D. Zusammenfassung

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D. Zusammenfassung Zwischen dem deutschen und polnischen System des kollektiven Arbeitsrechts bestehen deutliche Unterschiede. In Deutschland lässt sich eine sehr breit ausgestaltete Interessenvertretung der Arbeitnehmer vorfinden, die sich auf verschiedenen Ebenen vollzieht. So kann eine starke gewerkschaftliche, davon jedenfalls institutionell unabhängige betriebliche und ferner eine in den Gesellschaftsorganen bestehende Arbeitnehmervertretung unterschieden werden, wobei jede davon eine deutliche Ausprägung im Hinblick auf Kompetenzen und Verbreitung hat. Insgesamt besteht in Deutschland so ein sehr hohes Maß an arbeitnehmerseitiger Interessenvertretung. Doch auch wenn im Grundsatz die einzelnen Interessenvertretungen voneinander zu unterscheidende Funktionen wahrnehmen, so bestehen doch zum Teil sehr beachtliche Überschneidungen in sachlicher und personeller Hinsicht, aufgrund derer von mehreren Seiten die Frage der Rechtfertigung aufgeworfen wird. In Polen findet sich ein derart ausgebautes System der Interessenvertretung nicht. Vielmehr lassen sich in Polen die Gewerkschaften als die vorrangige Form der arbeitnehmerseitigen Interessenvertretung identifizieren. Andere Formen der Arbeitnehmerpartizipation sind entweder überhaupt nicht vorhanden – so etwa besteht in der gesamten Privatwirtschaft keine Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen – oder haben – wie die Arbeitnehmerräte und Ad-hoc-Repräsentationen – nur sehr begrenzte Kompetenzen. Insbesondere sind die in Polen seit 2006 infolge der Umsetzung europäischer Vorgaben zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer vorgesehenen Arbeitnehmerräte infolge ihrer nur sehr beschränkten Funktionen keinesfalls mit den deutschen Betriebsräten vergleichbar. Deren Äquivalent stellen vielmehr die Betriebsgewerkschaften dar, denen zahlreiche Kompetenzen auf betrieblicher Ebene zugewiesen sind, die in Deutschland von den Betriebsräten wahrgenommen werden. So unterscheidet sich auch maßgeblich die Funktion und Rolle der polnischen und der deutschen Gewerkschaften. Charakteristisch ist, dass die polnischen Gewerkschaften ihre nahezu vollständige Monopolstellung in Bezug auf die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zu hüten und andere Formen der Arbeitnehmerpartizipation zu instrumentalisieren versuchen. Daher sind andere Partizipationsformen auch entweder rechtlich oder jedenfalls faktisch von den Gewerkschaften abhängig. In vielfacher Hinsicht haben sich die Gewerkschaften Sonderrechte in Bezug auf andere Formen der Arbeitnehmerbeteiligung einräumen lassen, so insbesondere im Hinblick auf die personelle Besetzung sonstiger Arbeitnehmervertretungen. Die bestehende und angestrebte Monopolstellung der polnischen Gewerkschaften hat auch im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen deutliche Spuren hinterlassen. So wurde die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen oft zum „verlängerten Arm“ der polnischen Gewerkschaften, die sie zum Ausbau ihres Einflusses und ihrer Stellung in den Betrieben nutzten. Auf der anderen Seite wird der Einfluss der Gewerkschaften durch den

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Kap. 5: Unternehmensmitbestimmung kollektiver Arbeitsbeziehungen

geringen Organisationsgrad in Polen relativiert. In nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben können andere Arbeitnehmervertretungen – sofern sie denn überhaupt bestehen – kaum die Rolle der Gewerkschaften einnehmen. Das Verhältnis der Unternehmensmitbestimmung zur gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertretung ist sowohl in Deutschland als auch in Polen nicht unproblematisch. Auch wenn in Deutschland die drei Arbeitnehmervertretungsformen im Grundsatz institutionell voneinander getrennt sind und verschiedene Funktionen wahrnehmen sollen, so sind die doch nicht unbeachtlichen sachlichen und vor allem personellen Verflechtungen Gegenstand häufiger Kritik und Anlass für Reformbestrebungen. In Polen erscheint die Rollentrennung zwischen den Arbeitnehmervertretern in den Gesellschaftsorganen und den Gewerkschaften sowie den Arbeitnehmerräten noch weniger eindeutig. Zum einen liegt dies am beherrschenden Einfluss der Gewerkschaften, als deren Instrument die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat oft behandelt wurde und als deren „verlängerter Arm“ sie fungierte. Zum anderen stellt sich aber auch die Abgrenzung der Arbeitnehmervertretung auf Organebene zu den Arbeitnehmerräten unklar dar, erfüllen beide Partizipationsformen schließlich – so jedenfalls aus Sicht der Arbeitnehmer – vorrangig eine Informationsvermittlungsfunktion. So wird in Polen auch in Frage gestellt, ob die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen angesichts der Möglichkeit zur Errichtung von Arbeitnehmerräten heutzutage noch ihre Berechtigung hat.562

562

Näher hierzu unten Kapitel 7, B.II.

Kapitel 6

Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance Bis Ende der 1990er Jahre schien sowohl unter den Sozialpartnern als auch in der Politik einhellig die Meinung vorzuherrschen, dass sich das deutsche Mitbestimmungsmodell „bewährt“ habe.1 Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die deutsche Unternehmensmitbestimmung, die in den 1970er Jahren im Zentrum der Debatte gestanden hatten2, sind mit dem Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 19793 weitestgehend geklärt worden.4 Seit Ende der 1990er Jahre wird die deutsche Mitbestimmung jedoch zunehmend vor dem Hintergrund der Corporate Governance im Sinne einer guten Unternehmensführung diskutiert.5

1 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 66; vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 61 m.w. N.; näher etwa Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 55 ff. 2 Vgl. hierzu etwa Badura/Rittner/Rüthers, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz; ferner Badura, Paritätische Mitbestimmung und Verfassung. 3 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/ 78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699. 4 Wenn auch das Urteil bei Weitem nicht auf breite Zustimmung gestoßen ist, vgl. etwa Rieble, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen NJW 2006, S. 2214 (2214) („Wolkig bis nebulös ist seinerzeit auch das Mitbestimmungsurteil des BVerfG ausgefallen – so hat es nur einen vorläufigen Rechtsfrieden schaffen, im Kern aber nie überzeugen können.“); vgl. auch Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (11). 5 Vgl. Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (339 ff.); vgl. auch die Tagungen zu diesem Thema, etwa die Tagung des „Berliner Netzwerk Corporate Governance“ am 5. Dezember 2003, dokumentiert im „Schwerpunktheft zu Corporate Governance und Modernisierung der Mitbestimmung“, AG 4/2004, S. 165 (165 ff.) sowie der 1. ZAAR-Kongress zur „Zukunft der Unternehmensmitbestimmung“ am 23. Juni 2004, dokumentiert in Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung; kritisch zur Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund guter Unternehmensführung etwa Rieble, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen NJW 2006, S. 2214 (2215); v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, S. 166 (166 ff.); eine ausführliche Auseinandersetzung mit der (Un-)Vereinbarkeit der Unternehmensmitbestimmung mit Corporate Governance findet sich in den Monografien von Brocker, Unternehmensmitbestimmung, sowie Gietzen, Unternehmensmitbestimmung.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems I. Begriff, Zweck und Charakteristika Der Begriff und das Konzept von Corporate Governance stammt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten von Amerika; es handelt sich um ein interdisziplinares Themenfeld, welches Gegenstand der Rechtswissenschaften, Ökonomie und Managementlehre ist.6 In Kurzform kann unter Corporate Governance der „rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens“ verstanden werden.7 Nach den international anerkannten G20/OECD-Grundsätzen der Corporate Governance ist es Zweck der Corporate Governance, „zur Schaffung eines Umfelds von Vertrauen, Transparenz und Rechenschaftspflicht beizutragen, wie es nötig ist, um langfristige Investitionen, Finanzstabilität sowie Geschäftsintegrität zu fördern und so ein stärkeres Wachstum und eine inklusivere Gesellschaft möglich zu machen.“ 8 Als Gegenstand der Corporate Governance wird dabei „das Geflecht der Beziehungen zwischen der Geschäftsführung eines Unternehmens, seinem Aufsichtsorgan (Board), seinen Aktionären und den anderen Unternehmensbeteiligten (Stakeholdern)“ definiert.9 Die Corporate Governance liefere ferner „den strukturellen Rahmen für die Festlegung der Unternehmensziele, die Identifizierung der Mittel und Wege zu ihrer Umsetzung und die Modalitäten der Erfolgskontrolle.“ 10 Die G20/OECD-Grundsätze gehen mithin von einem weiten Verständnis der Corporate Governance aus, welches sich nicht nur auf die Beziehung zwischen den Aktionären und der Unternehmensführung beschränkt, sondern auch andere Interessengruppen einbezieht, die mit dem Unternehmen verbunden sind und deren Beziehung zum Unternehmen gleichsam Auswirkungen auf die Leitung, Kontrolle sowie Gewinn- und Risikoverteilung im Unternehmen hat.11 Das weite Verständnis von Corporate Governance wird

6

Opalski, Rada nadzorcza, S. 5. Präambel Abs. 1 Satz 1 DCGK 2020; ebenso schon v. Werder, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Teil. Vorbemerkung Rn. 1; ähnlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 4; ders., Europejskie prawo spółek, S. 294. Die Definition wird abgeleitet von der britischen Cadbury Commission, in: Cadbury Committee Report (1992), Punkt 2.5 („Corporate governance is the system by which companies are directed and controlled“), vgl. Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 20; Wierzbicka, Corporate governance jako instrument ochrony praw akcjonariuszy mniejszos´ciowych, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013, Teil 6, S. 159 (160). 8 G20/OECD-Grundsätze der Corporate Governance, 2016, Geleitwort S. 7, im Internet abrufbar unter http://www.oecd-ilibrary.org/governance/g20-oecd-grundsatze-dercorporate-governance_9789264250130-de, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 9 G20/OECD-Grundsätze der Corporate Governance, 2016, Einführung S. 9. 10 Ebenda. 11 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 5. 7

A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems

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von der überwiegenden internationalen – und mittlerweile auch polnischen – Literatur geteilt.12 In Deutschland wird seit etwa 20 Jahren unter dem modernen Begriff der Corporate Governance die Auseinandersetzung um die richtige Ausgestaltung der Unternehmensverfassung geführt, wenngleich die Diskussionen selbst eine deutlich längere Geschichte haben.13 Die Globalisierung der Wirtschaft, zunehmender Wettbewerb am Kapitalmarkt sowie vielzählige Beispiele für Fehlsteuerung und Fehlentwicklung von Unternehmen haben der Auseinandersetzung jedoch neuen Antrieb verliehen.14 Der Begriff Corporate Governance wird üblicherweise nicht wörtlich übersetzt, sondern dient als Oberbegriff und Schlagwort für die angestrebte optimale Gestaltung der Leitung und Überwachung von Unternehmen im Interesse der Anteilseigner und anderer Interessengruppen mit dem Ziel nachhaltiger wirtschaftlicher Effektivität.15 Im Allgemeinen werden hierunter die für Unternehmensorgane geltenden „Führungsgrundsätze“ 16 sowie eine „gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung“ 17 verstanden. Als Zweck der Corporate Governance gilt im aktienrechtlichen Zusammenhang die „nachhaltige und rechtmäßige Wertschöpfung im Interesse der Aktionäre, die ihrerseits vor allem als Teilnehmer des Kapitalmarkts gesehen werden, aber auch der Gläubiger, der [Arbeitnehmer] und der Öffentlichkeit“.18 Unter dem Aspekt der Corporate Governance werden daher zum einen die jeweiligen Funktionen und Funktionsweisen, Rollen, Aufgaben und Befugnisse sowie das Zusammenspiel der Unternehmensorgane untereinander, allen voran von Vorstand und Aufsichtsrat (sog. „interne Governanceperspektive“), zum anderen das Verhältnis der Unternehmensführung zu den wesentlichen Interessengruppen des Unternehmens (den „Stakeholdern“), darin vor allem den Anteilseignern (den „Shareholdern“) (sog. „externe Governanceperspektive“), beleuchtet.19 12

Ebenda. v. Werder, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Teil. Vorbemerkung Rn. 1; vgl. zur Geschichte auch Teichmann, in: Cejmer/Napierała/Sójka, Europejskie prawo spółek, Bd. 3, Corporate Governance, S. 21 (21 ff.). 14 v. Werder, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Teil. Vorbemerkung Rn. 1; näher Carl, in: Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, G. Corporate Governance Rn. 1494, 1500; vgl. auch ausführlich Loritz, Qualität der Aufsichtsratsarbeit, ZfA 2009, S. 477 (477 ff.). 15 Vgl. Wicke, GmbHG, § 52 GmbHG Rn. 27; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz (21. Aufl. 2017), Vorbem. vor § 35 Rn. 11 m.w. N. Zu dem unterschiedlichen Verständnis von Corporate Governance vgl. auch Carl, in: Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, G. Corporate Governance Rn. 1495 ff. 16 Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 76 AktG Rn. 37. 17 Vgl. Präambel Abs. 3 DCGK 2020; vgl. auch BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 20. 18 Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 76 AktG Rn. 37. 19 v. Werder, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Teil. Vorbemerkung Rn. 1. 13

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

In Polen begann die Auseinandersetzung mit Corporate Governance in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre.20 Als polnische Entsprechung des Begriffs wurde zunächst der Begriff „nadzór włas´cicielski“ („Eigentümeraufsicht“ 21) befürwortet, womit allein das Verhältnis zwischen den Anteilseignern und den Leitungsorganen erfasst wurde.22 Mit der Zeit wurde der polnische Begriff um die Berücksichtigung weiterer Interessengruppen ausgeweitet, sodass sich in den heute üblicherweise verwendeten Begriffen „ład korporacyjny“ 23 oder auch „nadzór korporacyjny“ 24 auch eine weiter verstandene Funktion der Corporate Governance niederschlägt.25 Corporate Governance wird nunmehr verstanden als ein „System, d.h. eine Gesamtheit wechselseitiger und komplementärer rechtlicher und wirtschaftlicher Institutionen, deren Zweck es ist, eine ordnungsgemäße und wirtschaftlich effektive Unternehmensführung von Aktiengesellschaften (insb. Publikums-AG) sicherzustellen und Gegensätze (Konflikte) zwischen verschiedenen mit dem Unternehmen verbundenen Interessengruppen zu lösen oder jedenfalls zu mindern“.26 Insgesamt sollen die Institutionen das Vertrauen der verschiedenen Akteure in das Unternehmen stärken, die Ausnutzung der finanziellen und personellen Mittel des Unternehmens optimieren, die Kapitalbeschaffung erleichtern und die Führungsorgane dazu anregen, den Unternehmenswert im Sinne der Aktionäre und anderer Interessengruppen zu mehren.27 Auch in 20 Wierzbicka, Corporate governance jako instrument ochrony praw akcjonariuszy mniejszos´ciowych, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013, Teil 6, S. 159 (160 f.). 21 Übersetzung d. Verf. 22 Wierzbicka, Corporate governance jako instrument ochrony praw akcjonariuszy mniejszos´ciowych, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013, Teil 6, S. 159 (160 f.) m.w. N. 23 Dieser Begriff wird sowohl in § 70 Abs. 6 Pkt. 5 der Rechtsverordnung des Finanzministeriums vom 29. März 2018 über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen, Dz. U. 2018 Pos. 757, als auch in den „Guten Praktiken GPW 2016“ verwendet. 24 Hierfür Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 9; ebenso Postula, Nadzór korporacyjny, S. 33 ff. 25 Näher zu den verschiedenen Begriffen und ihrer Entwicklung Wierzbicka, Corporate governance jako instrument ochrony praw akcjonariuszy mniejszos´ciowych, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013, Teil 6, S. 159 (160 ff.) m.w. N. sowie Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 7 f. m.w. N.; vgl. hierzu auch Adamska, Corporate governance, Ekonomia i Prawo 4/2013, S. 525 (527 f.) m.w. N. 26 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 5 f. („system, czyli zbiór współzalez˙nych i komplementarnych instytucji prawnych i ekonomicznych, maja˛cych na celu zapewnienie prawidłowego i ekonomicznie efektywnego funkcjonowania spółek akcyjnych (w szczególnos´ci spółek publicznych) oraz rozwia˛zywanie lub przynajmniej łagodzenie sprzecznos´ci (konfliktów) interesów osób zaangaz˙owanych w spółce“, Übersetzung d. Verf.); diesem folgend Postula, Nadzór korporacyjny, S. 132; vgl. auch die sehr ähnliche Definition von Zalega, Systemy corporate governance a efektywnos´c´ zarza˛dzania spółka˛ kapitałowa˛, 2003, S. 9, zitiert nach Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 5; eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Definition von Corporate Governance findet sich bei Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 3 ff. sowie bei Postula, Nadzór korporacyjny, S. 36 ff. 27 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 6.

A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems

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Polen wird zwischen der internen – die Binnenordnung eines Unternehmens betreffenden – und der externen – das Verhältnis der Unternehmensführung zu wesentlichen Interessengruppen (den „Stakeholdern“), insbesondere den Anteilseignern, betreffenden – Corporate-Governance-Perspektive unterschieden.28 Ausgangspunkt für die jeweiligen Corporate-Governance-Instrumente ist – sowohl in der internationalen, deutschen wie auch polnischen Corporate-Governance-Doktrin – der sog. „principal-agent-Konflikt“, verstanden als das auf einer Informationsasymmetrie fußende Risiko eines opportunistischen und den Interessen des Auftraggebers zuwiderlaufenden Handels des Beauftragten.29 Bezogen auf die Aktiengesellschaft stellt der Interessenkonflikt zwischen den Anteilseignern und dem Management die wesentlichste Ausprägung des „principal-agentKonflikts“ dar.30 Auf die „principal-agent“-Theorie lassen sich aber auch andere in der Aktiengesellschaft zu beobachtende Interessenkonflikte stützen, so etwa die Konflikte zwischen dem Mehrheitsaktionär und Minderheitsaktionären, zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären auf der einen und anderen Interessengruppen wie etwa den Gläubigern, Arbeitnehmern etc. auf der anderen Seite, sowie schließlich auch die Konflikte zwischen dem Aufsichtsrat und Vorstand.31 In polnischen Aktiengesellschaften, die sich überwiegend durch die Anwesenheit eines strategischen Aktionärs auszeichnen, ist insbesondere der Konflikt zwischen dem Mehrheitsaktionär und den Minderheitsaktionären von Relevanz.32 Doch auch die verschiedenen Interessengruppen (Arbeitnehmer, Gläubiger, Lieferanten) „investieren“ in das Unternehmen (etwa durch ihre Arbeitskraft und Weiterbildung, die Entwicklung spezifischer Technologien, etc.) mit der Erwartung, dass das Management sich auch ihnen gegenüber loyal zeigen und bei der Unternehmensführung ihre Interessen hinreichend berücksichtigen werde.33 Ob überhaupt und inwieweit die Interessen verschiedener Interessengruppen, so insbesondere der Arbeitnehmer und Gläubiger der Gesellschaft, über die Corporate-GovernanceMechanismen und rechtliche Vorgaben geschützt werden sollen, wird unter den

28 Liebscher/Oplustil, Regelungen und Praxis der internen Corporate Governance in polnischen Aktiengesellschaften, WiRO 2008, S. 97 (97). 29 Vgl. hierzu ausführlich im polnischen Recht Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 12 ff.; Teichmann, in: Cejmer/Napierała/Sójka, Europejskie prawo spółek, Bd. 3, Corporate Governance, S. 21 (24 ff.); in der deutschen Literatur etwa Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 38 ff. 30 Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 38 m.w. N.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 15, näher S. 16 ff. 31 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 15; ausführlich zu den einzelnen Konflikten Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 16 ff. sowie Opalski, Rada nadzorcza, S. 16 ff. 32 Opalski, Rada nadzorcza, S. 18. 33 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 35.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

Begriffen „shareholder value“ vs. „stakeholder value“ diskutiert und in den jeweiligen Corporate-Governance-Systemen unterschiedlich bewertet.34 Die Corporate-Governance-Mechanismen, die die potentiellen Konflikte vermeiden bzw. abmildern sollen, werden gemeinhin in rechtlich-institutionelle und marktbestimmte Mechanismen unterteilt.35 Rechtlich-institutionelle Mechanismen sind etwa die Aktionärsrechte in der Hauptversammlung und der Aufsichtsrat36, die Abschlussprüfung und die Organhaftung37. Daneben fungiert der Markt selbst als Kontrollinstanz, indem die Marktteilnehmer, die den wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft mitbeeinflussen, ihre Tätigkeit laufend beobachten und beurteilen.38 Auf der Funktion des Marktes als Kontrollinstanz fußt auch der in Corporate-Governance-Kodices vorzufindende „comply or explain“-Ansatz, der letztlich auf eine entsprechende Reaktion des Kapitalmarktes setzt.39 Die Effektivität der in den Corporate-Governance-Kodices verankerten Verhaltensregeln hängt daher auch von der Rolle des Kapitalmarktes ab.40 Die Bedeutung der jeweiligen rechtlich-institutionellen und marktbestimmten Mechanismen unterscheidet sich je nachdem, ob in dem jeweiligen Land ein System der marktbestimmten bzw. externen Kontrolle mit einer starken Steuerungsqualität und Kontrollmacht des Marktes (sog. „market-oriented system“ 41, „outsider control system“ 42 oder auch „outsider“-System“ 43 bzw. „shareholderoriented model“ 44) oder ein System der unternehmensinternen Kontrolle mit maßgeblicher Stellung der rechtlich-institutionellen Mechanismen (sog. „insider control model“ 45, „bank-based system“ 46 bzw. „insider“-System47), besteht.48 34

Näher Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 39 ff. Ausführlich hierzu Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 41 ff.; Teichmann, Corporate Governance in Europa, ZGR 5/2001, S. 645 (646 ff., 659 ff.); vgl. auch Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 11. 36 Näher hierzu Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 46 ff.; eine ausführliche Analyse zum Aufsichtsrat und den Aktionärsrechten als Corporate-Governance-Instrumente findet sich in der polnischen Literatur bei Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 375 ff., 513 ff.; dazu, dass der Aufsichtsrat das weitaus wichtigere Kontrollinstrument ist, weil die Aktionäre nur beschränkte Kontrollmöglichkeiten haben vgl. auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 50 ff. 37 Hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 47 ff. 38 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 11. 39 Ebenda. 40 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 945. 41 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 186, 944. 42 Ebenda. 43 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 77, 94 ff. 44 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 94 f. m.w. N. 45 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 186, 944. 46 Ebenda. 47 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 77, 96 ff. 35

A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems

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Welches Modell in einem Land vorherrscht, hängt dabei maßgeblich von den rechtlichen, wirtschaftlichen, historischen und kulturellen sowie politischen Gegebenheiten ab.49 Kennzeichnend für das System der marktbestimmten Kontrolle ist die überwiegende Anzahl von Aktiengesellschaften mit Streubesitz, eine hohe Fluktuation auf dem Kapitalmarkt und dessen große Bedeutung für die Finanzierung von Gesellschaften, wogegen sich das System der internen Kontrolle vor allem durch eine überwiegende Anzahl von Aktiengesellschaften mit einem Mehrheitsaktionär sowie deren Fremdfinanzierung durch Banken charakterisiert.50 Während das marktorientierte System im angelsächsischen Raum, vor allem in den USA und Großbritannien, überwiegt, ist in den meisten kontinentaleuropäischen Ländern – so auch in Deutschland und Polen – das System der internen Kontrolle vorzufinden, wobei die jeweiligen Systeme in einem Land stets einer Entwicklung unterliegen und sich dem anderen Stereotyp durchaus annähern können.51 Deutschland wird dabei als Prototyp eines Systems der internen Kontrolle betrachtet, da es nahezu alle hierfür typischen Eigenschaften aufweist.52 Im Zuge zunehmender internationaler Verflechtung der Kapitalmärkte gewinnt aber auch die kapitalmarktrechtliche Dimension eine immer größere Bedeutung, was sich entsprechend in den gesetzgeberischen Reformen der letzten Jahre in Bezug auf das Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht niederschlug.53 Das polnische Corporate-Governance-Modell ähnelt in großem Maße dem deutschen, was darauf zurückzuführen ist, dass sich die Verfasser des polnischen HGG maßgeblich am deutschen Recht orientierten, insbesondere im Hinblick auf die dualistische Verfassung der Aktiengesellschaft.54 Es lässt sich recht eindeutig als eine Form des Systems der internen Kontrolle identifizieren, dessen wesent48 Vgl. Postula, Nadzór korporacyjny, S. 18 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 185 f., 944. Im polnischen Sprachgebrauch werden hierfür auch die Begriffe des „offenen“ und „geschlossenen“ Corporate-Governance-Systems verwendet, vgl. Adamska, Corporate governance, Ekonomia i Prawo 4/2013, S. 525 (525); Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 295 ff.; ders., Rada nadzorcza, S. 10 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 183 ff., 186; vgl. in der deutschen Literatur Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 77, 92 ff.; Teichmann, Corporate Governance in Europa, ZGR 5/2001, S. 645 (647). 49 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 6 f., 944. Zu den einzelnen Kriterien, die für die Klassifizierung entscheidend sind, vgl. ders., a. a. O., S. 184 f. 50 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 6 f., 185 f.; näher auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 94 ff. 51 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 944. 52 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 77, 94; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 232; eine ausführliche Darstellung hierzu aus Sicht der polnischen Literatur findet sich bei Oplustil, a. a. O., S. 232 ff. 53 Vgl. Carl, in: Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, G. Corporate Governance Rn. 1502; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 944. 54 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 19.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

liche Merkmale eine weit überwiegende Anzahl von Aktiengesellschaften mit konzentriertem Aktienbesitz und eine insgesamt noch recht schwache Rolle des Kapitalmarktes bei der Finanzierung von Gesellschaften sind, was wiederum mit der Historie – insbesondere den gewählten Privatisierungswegen – zu erklären ist.55 Vor dem Hintergrund der vergleichsweise nur schwach ausgeprägten marktbestimmten Kontrollmechanismen haben im polnischen Corporate-GovernanceSystem die rechtlichen Corporate-Governance-Institutionen eine fundamentale Bedeutung, allen voran der Aufsichtsrat als deren zentrales Element.56 Im Vergleich hierzu haben die in polnischen Corporate-Governance-Regelwerken verankerten Grundsätze eine untergeordnete Rolle und geringere Effektivität, wenngleich ihre Bedeutung mit einer wachsenden Anzahl und Aktivität von institutionellen Anlegern und einer zunehmenden Fluktuation auf den Kapitalmärkten immer mehr steigen dürfte.57 Zu beachten ist ferner, dass sich in Polen das Problem der Corporate Governance in den aus einer Kommerzialisierung hervorgegangenen Gesellschaften – insbesondere mit Allein- oder Mehrheitsaktionärsstellung des Staates – anders darstellt als in Gesellschaften der Privatwirtschaft, was an den zahlreichen Besonderheiten liegt, die diese Gesellschaften auszeichnen.58 Zum einen unterliegen sie zahlreichen speziellen Rechtsvorschriften, zum anderen üben Minister oder andere staatliche Verwaltungsträger oft einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Unternehmen aus und das Ziel des Unternehmens wird nicht selten durch öffentliche Interessen bestimmt.59 Als rechtlich-institutioneller Corporate-Governance-Mechanismus fungiert neben dem Aufsichtsrat die Aufsicht des zuständigen staatlichen Organs.60 Hervorzuheben ist hier auch insbesondere das Spezifikum der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen, die aufgrund der Privatisierungsgesetze nur für kommerzialisierte Gesellschaften vorgesehen ist und in Gesellschaften der Privatwirtschaft keine Entsprechung findet. Insoweit 55

Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 945. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 946; vgl. auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 50 ff., der den Aufsichtsrat als wichtigstes Kontrollinstrument in der Aktiengesellschaft betrachtet, da die Aktionäre nur beschränkte Kontrollmöglichkeiten haben. 57 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 945. 58 Ausführlich hierzu die diesem Thema gewidmete Monografie von Postula, Nadzór korporacyjny; zu den Besonderheiten in kommerzialisierten Gesellschaften mit staatlicher Alleinaktionärsstellung vgl. auch Stankiewicz, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 50 (50 ff.). 59 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 18. 60 Postula, Nadzór korporacyjny, S. 23. Bis zur Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 war dies vor allem das Ministerium für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“), dieses wurde mittlerweile aufgelöst. Die Befugnisse sollen nunmehr in die Zuständigkeit des Ministerpräsidenten fallen, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 8 ff. 56

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treffen etwa Erwägungen im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Aufsichtsrats durch die Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern61 nur auf die aus einer Kommerzialisierung hervorgegangenen Gesellschaften zu. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerrechte aufgrund der in den genannten Gesellschaften traditionell vorzufindenden starken Position von Gewerkschaften nicht nur die Relationen zwischen der Gesellschaft und den Arbeitnehmern, sondern letztlich auch zu und zwischen anderen Interessengruppen beeinflussen.62 Aufgrund zahlreicher Dysfunktionalitäten sieht sich die Corporate Governance in Gesellschaften mit Allein- bzw. Mehrheitsaktionärsstellung kritischen Stimmen aus der polnischen Literatur ausgesetzt.63 Womöglich war auch daher das erklärte Ziel des Gesetzgebers im Rahmen des zum 1. Januar 2017 eingeführten neuen StaatsVermVerwG64 die Verbesserung der Corporate Governance in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung, unter anderem im Hinblick auf die Besetzung der Unternehmensorgane.65

II. Corporate-Governance-Regelwerke als Steuerungs- und Kontrollinstrument Ein wesentliches, mittlerweile in zahlreichen Ländern vorzufindendes Corporate-Governance-Instrument stellen die sog. „Corporate-Governance-Kodices“ dar, die sich durch die Gemeinsamkeit auszeichnen, dass sie von nicht-staatlichen Institutionen verfasst werden und einen lediglich „quasi-rechtlichen“, auf dem „comply-or-explain“-Grundsatz beruhenden Charakter haben.66 Für deutsche börsennotierte Gesellschaften werden die Grundsätze guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung im Deutschen Corporate Governance Kodex (nachfolgend: „DCGK“) zusammengefasst. Die Entstehung des DCGK geht auf eine von der Bundesregierung im Mai 2000 eingesetzte „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ zurück.67 Seitdem wurde der DCGK von der Regierungskommission nahezu jährlich überprüft und ggf. angepasst (vgl. Präambel Abs. 15 DCGK in der Fassung vom 7. Februar 2017)68. 61

Siehe unten Kapitel 6, B.II. Postula, Nadzór korporacyjny, S. 202. 63 Vgl. Postula, Nadzór korporacyjny, S. 17 f. m.w. N.; Stankiewicz, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 50 (50 ff.). 64 Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2259. 65 Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 2 f. 66 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 327. 67 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 4. 68 Vgl. die im Internet unter https://www.dcgk.de/de/kodex/archiv.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, im Archiv abrufbaren früheren Fassungen des DCGK. 62

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

Seit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 20. März 2020 gilt die Fassung des DCGK vom 16. Dezember 2019 („DCGK 2020“), mit welcher eine grundlegende Überarbeitung der zuvor letzten Fassung vom 7. Februar 2017 und Anpassung an das ARUG II erfolgt war.69 Die neue Fassung des DCGK 2020 unterscheidet sich daher im Hinblick auf Struktur und Inhalt wesentlich von der Vorgängerfassung. Im Einzelnen enthält der DCGK 2020 Aussagen in Bezug auf die Leitung und Überwachung der börsennotierten Gesellschaft, Besetzung des Vorstands, Zusammensetzung des Aufsichtsrats, Arbeitsweise des Aufsichtsrats, Interessenkonflikte, Transparenz und externe Berichterstattung sowie die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat. Dabei unterscheidet der DCGK 2020 zwischen drei verschiedenen Elementen: (i) den Grundsätzen, mit denen die Wiedergabe wesentlicher rechtlicher Vorgaben zur verantwortungsvollen Unternehmensführung erfolgt und die der Information der Anleger und weiterer Stakeholder dienen, (ii) den Empfehlungen, die durch das Wort „soll“ gekennzeichnet sind sowie (iii) den Anregungen, die sich durch die Verwendung des Begriffs „sollte“ auszeichnen (vgl. Präambel Abs. 4 DCGK 2020). Die Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen sollen die „national und international [anerkannten] Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung“ wiedergeben (vgl. Präambel Abs. 3 Satz 2 DCGK 2020). Auch wenn Adressat des DCGK 2020 vorrangig börsennotierte Gesellschaften sind, können aus Sicht der Regierungskommission die im Kodex niedergelegten Empfehlungen und Anregungen auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften zur Orientierung dienen (vgl. Präambel Abs. 7 Satz 2 DCGK 2020). Der DCGK ist als ein von einer staatlich eingesetzten Kommission verfasstes Regelwerk zwar selbst rechtlich nicht verbindlich, allerdings entfalten die darin enthaltenen Empfehlungen über die gemäß § 161 Abs. 1 AktG für börsennotierten Aktiengesellschaften verpflichtende Entsprechenserklärung eine „erhebliche faktische Bindungswirkung“.70 In der jährlich abzugebenden Entsprechenserklärung haben Vorstand und Aufsichtsrat zu erklären, dass den Empfehlungen des DCGK „entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht“ („comply or explain“, vgl. § 161 Abs. 1 AktG). Die Begründungspflicht bei Abweichungen von den Empfehlun69 Im Internet abrufbar unter http://www.dcgk.de/de/kodex.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die grundlegend neue Fassung des DCGK wurde erstmalig am 9. Mai 2019 von der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex beschlossen und später überarbeitet, der neue DCGK sollte aber von vornherein erst mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II), welches der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre (ABl. L 132 vom 20. Mai 2017, S. 1) dienen soll, Geltung beanspruchen. 70 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 12 mit näheren Erläuterungen zur Rechtsnatur des DCGK.

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gen wurde erst im Jahre 2009 im Zuge des BilMoG in § 161 AktG eingeführt.71 Die Entsprechenserklärung muss auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft zugänglich gemacht (vgl. § 161 Abs. 2 AktG) sowie im Lagebericht im Rahmen der Erklärung zur Unternehmensführung veröffentlicht werden (vgl. § 289f Abs. 2 Nr. 1 HGB). Die Verpflichtung aus § 161 AktG gilt für die börsennotierte Aktiengesellschaft i. S. d. § 3 Abs. 2 AktG. Unstrittig ist § 161 AktG über Art. 9 SE-VO auch auf die dualistisch verfasste börsennotierte SE anwendbar.72 Zwar wird die Anwendbarkeit im Fall der monistisch verfassten SE teilweise mit dem Argument abgelehnt, dass der DCGK von einem dualistischen System ausginge.73 In der Praxis wird jedoch – wohl sicherheitshalber – auch im Fall einer monistisch verfassten SE eine Entsprechenserklärung abgegeben, wobei versucht wird, den Besonderheiten des monistischen Systems Rechnung zu tragen.74 Unabhängig von der jährlichen Berichtspflicht sind die jeweiligen Gesellschaften auch unterjährig zu einer Korrektur bzw. Aktualisierung der abgegebenen Entsprechenserklärung verpflichtet, sofern sich die in der letzten Entsprechungserklärung geäußerte Absicht zur Befolgung bestimmter Empfehlungen des DCGK ändert.75 Bei Verstoß gegen § 161 AktG handelt es sich um Pflichtverletzungen des Vorstands und Aufsichtsrats mit entsprechenden Konsequenzen der Innenbzw. Außenhaftung, was aber nur bei Vorliegen eines nachweisbaren Schadens in Betracht kommt.76 Von größerer praktischer Relevanz ist dagegen die Gefahr der Anfechtbarkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse in Bezug auf die Entlastung der Organmitglieder77 sowie in Bezug auf eine entgegen den Empfehlungen des DCGK erfolgte Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern.78 71 Vgl. Art. 5 Nr. 9 des Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) vom 25. Mai 2009, BGBl. I S. 1102. 72 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 2 m.w. N. 73 So etwa Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 2. 74 Vgl. etwa die Entsprechenserklärungen der ALBA SE, elumeo SE, GFT SE sowie der Puma SE (bis einschließlich 2017), im Internet abrufbar auf den jeweiligen Internetseiten der Unternehmen, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 75 BGH, Urteil vom 16. Februar 2009, Az.: II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), NJW 2009, S. 2207 (2209); Goette, in: MünchKommAktG, Bd. 3, § 161 AktG Rn. 43; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 22; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 161 AktG Rn. 20 m.w. N.; kritisch zu der Aktualisierungspflicht Bachmann, Reform der Corporate Governance in Deutschland – Zum Juristentagsgutachten 2012, AG 2012, S. 565 (568 f.) m.w. N.; vgl. auch BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 76 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 25 f. m.w. N. 77 Vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2009, Az.: II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), NJW 2009, S. 2207 (2209). 78 Näher hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 34 Rn. 27 f.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

In Polen findet sich ein dem DCGK entsprechendes Regelwerk vor allem – aber nicht ausschließlich – in den „Guten Praktiken der an der GPW notierten Gesellschaften 2016“ („Dobre Praktyki Spółek Notowanych na GPW 2016“)79 (nachfolgend: „Gute Praktiken GPW 2016“). Daneben gibt es besondere Regelwerke für bestimmte Marktsegmente bzw. Institutionen. Die Kodifizierung von Corporate-Governance-Grundsätzen in Polen nahm ihren Anfang im Jahre 2001, als die „Kommission der Guten Praktiken des Forum Corporate Governance“ ins Leben gerufen wurde und sich mit der Ausarbeitung guter Unternehmenspraktiken für börsennotierte Gesellschaften befassen sollte.80 Die Kommission setzte sich aus namhaften Persönlichkeiten der kapitalmarktbezogenen Wissenschaft und Praxis zusammen.81 Darauffolgend entstand mit den „Guten Praktiken“ („dobre praktyki“) im Jahr 2002 die erste Kodifizierung von Corporate-Governance-Grundsätzen in Polen (nachfolgend: „Gute Praktiken 2002“). Das Regelwerk wurde von der Warschauer Börse übernommen und galt ab dem 1. September 2003 für alle an der Warschauer Wertpapierbörse („Giełda Papierów Wartos´ciowych“ – kurz: „GPW“) notierten Gesellschaften.82 Entsprechend dem Grundsatz „comply or explain“ sollten die Gesellschaften die Anwendung der darin enthaltenen Hinweise erklären oder ihre Nichtanwendung begründen.83 Im Jahre 2005 wurde das Regelwerk mit den „Guten Praktiken in Publikumsgesellschaften 2005“ („Dobre praktyki w spółkach publicznych 2005“) erstmalig überarbeitet (nachfolgend: „Gute Praktiken 2005“). Die heute maßgebenden Corporate-Governance-Grundsätze sind in den Guten Praktiken GPW 2016 zusammengefasst.84 Im Jahr 2007 hatte die Warschauer Börse die Erstellung der „Guten Praktiken“ übernommen und damit die vorher bestehende Kommission abgelöst.85 Nach eigener Aussage ist das heutige Regelwerk das Ergebnis der Arbeiten des Konsultationskomitees der Warschauer Börse, Abteilung Corporate Governance, dessen Mitglieder verschiedene Interessengruppen des Kapitalmarkts 79 Im Internet abrufbar unter https://www.gpw.pl/dobre-praktyki, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 80 Näher hierzu Mackiewicz, Corporate governance w polskich spółkach publicznych, Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Szczecin´skiego 11/2015, S. 161 (167 f.). 81 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 328, 333; zur Zusammensetzung der Kommission auch Mackiewicz, Corporate governance w polskich spółkach publicznych, Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Szczecin´skiego 11/2015, S. 161 (167 f.). 82 Mackiewicz, Corporate governance w polskich spółkach publicznych, Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Szczecin´skiego 11/2015, S. 161 (168). Der neben dem Hauptmarktplatz („Glówny Rynek GPW“) heute bestehende Alternative Markt „NewConnect“ entstand erst im Jahre 2007. Zur Entwicklung des polnischen Kapitalmarkts vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 284 ff. 83 Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 318. 84 Vgl. Beschluss des Aufsichtsrats der Warschauer Wertpapierbörse Nr. 26/1413/ 2015 vom 13. Oktober 2015, abrufbar unter https://www.gpw.pl/uchwaly-rady-gpw, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 85 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 330 ff., 333.

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repräsentierten, sowie anschließender öffentlicher Konsultationen mit Experten sowie Vertretern von Emittenten, Investoren und Institutionen bzw. Organisationen mit Interesse an der Thematik Corporate Governance (vgl. Präambel Abs. 2 Gute Praktiken GPW 2016). Die Warschauer Börse hat sich zum Ziel gesetzt, die „Guten Praktiken“ in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und zu aktualisieren (vgl. Präambel Abs. 7 Gute Praktiken GPW 2016). Die Guten Praktiken GPW 2016 gelten entsprechend ihrer Bezeichnung nur für Gesellschaften, deren Aktien zum Handel an dem regulierten Markt der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) zugelassen sind (vgl. Präambel Abs. 1 Gute Praktiken GPW 2016). Sie gliedern sich in die folgenden sechs Teile: I. Informations- und Kommunikationspolitik mit Investoren, II. Vorstand und Aufsichtsrat, III. Interne Systeme und Funktionen, IV. Die Hauptversammlung und die Beziehungen zu Aktionären, V. Interessenkonflikte und Transaktionen mit verbundenen Subjekten, VI. Vergütungen. Jeder Abschnitt enthält eine vorangestellte allgemeine Zielsetzung, Empfehlungen („rekomendacje“), die an dem Buchstaben „R“ erkennbar sind, und besondere Grundsätze („zasady szczegółowe“), die durch den Buchstaben „Z“ gekennzeichnet werden. Rechtlich gesehen sind die Guten Praktiken GPW 2016 unverbindlich, die Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze ist freiwillig (vgl. § 29 Abs. 2 des Regulariums der Warschauer Wertpapierbörse86). Allerdings haben die Emittenten sich zu ihrer Anwendung zu erklären, was ihre Reputation am Markt und die Beziehungen zu Investoren beeinflussen kann (vgl. Präambel Abs. 6 Gute Praktiken GPW 2016).87 Dabei werden an die innerhalb der Guten Praktiken GPW 2016 differenzierten Empfehlungen („rekomendacje“) und besonderen Grundsätzen („zasady szczegółowe“) teils unterschiedliche Erklärungspflichten geknüpft. Sowohl im Hinblick auf die Empfehlungen als auch die besonderen Grundsätze besteht die Pflicht, in dem als eigenständigen Teil des jährlichen Geschäftsbericht verfassten Bericht über die Grundsätze der Unternehmensführung eine Erklärung über die Befolgung der in den Guten Praktiken GPW 2016 enthaltenen Regeln abzugeben. Die Pflicht ergibt sich aus § 70 Abs. 6 Pkt. 5 lit. a) und b) der Rechtsverordnung des Finanzministeriums vom 29. März 2018 über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen88, 86 In der Fassung vom 17. März 2020, im Internet abrufbar unter https://www.gpw. pl/uchwaly-rady-gpw, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 87 Vgl. Handbuch zu den Guten Praktiken GPW 2016, S. 5, im Internet abrufbar unter https://www.gpw.pl/dobre-praktyki, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 88 Rechtsverordnung des Finanzministeriums über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen vom 29. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 757. Bis zum 29. April 2018 ergab sich die Pflicht aus § 91 Abs. 5 Pkt. 4 lit. a) und b) Rechtsverordnung des Finanzministeriums über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen vom 19. Februar 2009, Dz. U. 2009 Nr. 33 Pos. 259 m. sp. Änd., die zum 30. April 2018 ersetzt wurde.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

die auf Grundlage von Art. 60 Abs. 2 des Gesetzes vom 29. Juli 2005 über das öffentliche Angebot und die Bedingungen für die Zulassung von Finanzinstrumenten in den regulierten Markt sowie über Publikumsgesellschaften89 erlassen wurde.90 In den ersten Jahren war die jährliche Berichtspflicht hingegen überhaupt nicht gesetzlich verankert und ausschließlich in dem Regularium der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) in dessen § 29 a. F. geregelt.91 Auf die jährliche Berichtspflicht wird zudem in der Präambel der Guten Praktiken GPW 2016 hingewiesen (vgl. Präambel Abs. 4 Gute Praktiken GPW 2016). Gemäß § 70 Abs. 6 Pkt. 5 lit. b) der genannten Rechtsverordnung hat der Emittent – entsprechend dem Grundsatz „comply or explain“ – bei Abweichung von den einschlägigen Corporate-Governance-Grundsätzen die Gründe für die Abweichung zu erläutern. Nach dem Wortlaut der zitierten Norm erfasst diese Pflicht alle in dem jeweils einschlägigen Corporate-Governance-Regelwerk enthaltenen Grundsätze. Missverständlich ist insoweit jedoch die Erläuterung in der Präambel der Guten Praktiken GPW 2016, wonach das „comply or explain“-Prinzip nur in Bezug auf die besonderen Grundsätze („zasady szczegółowe“) genannt wird (vgl. Präambel Abs. 5 Gute Praktiken GPW 2016). Unklar ist daher, ob nach Ansicht der Verfasser der Guten Praktiken GPW 2016 im jährlichen Geschäftsbericht auch die Abweichung von den Empfehlungen („rekomendacje“) zu begründen oder lediglich darzulegen ist. Für Letzteres würde sprechen, dass sich auch in den Vorgängerversionen der Guten Praktiken GPW 2016 das „comply or explain“-Prinzip – in Abweichung zu den ersten Kodifizierungen der CorporateGovernance-Standards in den Jahren 2002 und 2005 – ausdrücklich nur auf einen Teil der Grundsätze beziehen sollte.92 Dies dürfte mit § 70 Abs. 6 Pkt. 5 lit. b) der Rechtsverordnung des Finanzministeriums vom 29. März 2018 indes nicht vereinbar sein, was auch schon früher in der polnischen Literatur in Bezug auf 89 Gesetz über das öffentliche Angebot und die Bedingungen für die Zulassung von Finanzinstrumenten in den regulierten Markt sowie über Publikumsgesellschaften vom 29. Juli 2005, Dz. U. 2005 Nr. 184 Pos. 1539 m. sp. Änd. 90 Vgl. Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 320 f. Die Regelung dient der Implementierung der Vorgaben aus Art. 46a der Vierten Richtlinie, 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 222 vom 14. August 1978, S. 11–31, vgl. Opalski, a. a. O.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 356 f. Die Erklärungspflicht ergab sich früher ferner aus Art. 49 Abs. 2 Pkt. 8 des Gesetzes über die Rechnungslegung vom 29. September 1994, Dz. U. 1994 Nr. 121 Pos. 591 a. F., vgl. Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 320 und Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 357, allerdings ist diese Vorschrift mittlerweile aufgehoben. 91 Liebscher/Oplustil, Regelungen und Praxis der internen Corporate Governance in polnischen Aktiengesellschaften, WiRO 2008, S. 97 (98); Stroin´ski, in: Cejmer/Napierała/Sójka, Europejskie prawo spółek, Bd. 3, Corporate Governance, S. 113 f.; ausführlich hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 353 ff. 92 Näher und kritisch hierzu Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 318 ff., der die Unstimmigkeit der „Guten Praktiken GPW“ aus dem Jahr 2007 bemängelt.

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die wortlautgleiche Vorgängervorschrift § 91 Abs. 5 Pkt. 4 lit. b) der Rechtsverordnung des Finanzministeriums vom 19. Februar 200993 hervorgehoben wurde94. Unabhängig von der obigen Frage besteht bezüglich der Erklärungspflicht ein weiterer Unterschied zwischen den Empfehlungen („rekomendacje“) und den besonderen Grundsätzen („zasady szczegółowe“) aufgrund von § 29 Abs. 3 des Regulariums der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“). Nach dieser Vorschrift sind Emittenten in Bezug auf die in den Guten Praktiken GPW 2016 enthaltenen besonderen Grundsätze („zasady szczegółowe“) verpflichtet, im Falle der dauerhaften oder einmaligen Nichtanwendung eines besonderen Grundsatzes dies unverzüglich nach Feststellung der künftigen oder der nicht erfolgten Anwendung in einem Bericht zu veröffentlichen und dabei die Gründe und Umstände für die Nichtanwendung zu erläutern sowie zu erklären, wie eventuell daraus resultierende Folgen beseitigt und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Nichtanwendung in Zukunft zu verhindern. Dieser Bericht sollte auf der Internetseite der Gesellschaft sowie in der für andere regelmäßige Berichte üblichen Form veröffentlicht werden. Die Pflicht zur unverzüglichen Erklärung gilt neben der allgemeinen jährlichen Berichtspflicht nach § 70 Abs. 6 Pkt. 5 lit. b) der Rechtsverordnung des Finanzministeriums vom 29. März 2018. Bei einem Verstoß gegen die jährliche Berichtspflicht drohen neben Bußgeldern und dem Ausschluss aus dem Börsenhandel auch Schadensersatzansprüche und strafrechtliche Konsequenzen (vgl. Art. 56 Abs. 1 Pkt. 2 i.V. m. Art. 60 Abs. 2 i.V. m. Artt. 96 Abs. 1e, 98 Abs. 7, 100 Abs. 1 des Gesetzes vom 29. Juli 2005 über das öffentliche Angebot und die Bedingungen für die Zulassung von Finanzinstrumenten in den regulierten Markt sowie über Publikumsgesellschaften95), bei einem Verstoß gegen die unverzügliche Berichtspflicht jedenfalls Sanktionen der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) (vgl. §§ 180 ff. des Regulariums der Warschauer Wertpapierbörse).96 Gleichwohl kann die unterlassene unverzügliche Berichtspflicht nach § 29 Abs. 3 des Regulariums der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) abhängig vom Inhalt der Information gleichzeitig einen Verstoß gegen eine andere gesetzliche Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung (Ad-hoc-Pflicht) darstellen, der dann entsprechende Konsequenzen nach sich 93 Rechtsverordnung des Finanzministeriums über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen vom 19. Februar 2009, Dz. U. 2009 Nr. 33 Pos. 259 m. sp. Änd., ersetzt durch die Rechtsverordnung des Finanzministeriums über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen vom 29. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 757, zum 30. April 2018. 94 Opalski, Europejskie prawo spółek, S. 321 f. 95 Gesetz über das öffentliche Angebot und die Bedingungen für die Zulassung von Finanzinstrumenten in den regulierten Markt sowie über Publikumsgesellschaften vom 29. Juli 2005, Dz. U. 2005 Nr. 184 Pos. 1539 m. sp. Änd. 96 Vgl. zu den Sanktionen auch Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 369 ff.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

zieht.97 Auf der anderen Seite kann die Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) gemäß § 29 Abs. 5 des Regulariums Anreize zur Befolgung der Guten Praktiken GPW 2016 setzen, etwa durch Absenkung der Börsengebühren. Neben den Guten Praktiken GPW 2016 bestehen weitere Corporate-Governance-Regelwerke, die ebenfalls nur für bestimmte Unternehmen bzw. Institute gelten. Zu erwähnen seien hier etwa die „Guten Praktiken der in NewConnect notierten Gesellschaften“ („Dobre Praktyki Spółek Notowanych na NewConnect“)98, die „Guten Praktiken der authorisierten NewConnect Berater“ („Dobre Praktyki Autoryzowanych Doradców NewConnect“)99 oder die von der Polnischen Finanzaufsichtsbehörde („Komisja Nadzoru Finansowego“ – kurz „KNF“) herausgegebenen „Corporate-Governance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“ („Zasady Ładu Korporacyjnego dla Instytucji Nadzorowanych“)100. Unter die letztgenannte Gruppe fallen unter anderem Subjekte aus dem Banken-, Kapitalmarkt-, Renten- und Versicherungssektor.101 Zwar stehen auch Gesellschaften, deren Aktien an der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) zugelassen sind, unter der Aufsicht der Polnischen Finanzaufsichtsbehörde („KNF“).102 Auf diese Gesellschaften finden allerdings ausschließlich die Guten Praktiken GPW 2016 Anwendung, da gemäß der Präambel der „Corporate-Governance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“ der Polnischen Finanzaufsichtsbehörde („KNF“) diese keine Anwendung findet auf Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel an einem regulierten Markt zugelassen sind (vgl. Präambel, S. 5). Entscheidend ist dies vor allem aufgrund der sich teilweise unterscheidenden Regelungen der beiden Corporate-Governance-Regelwerke, so unter anderem im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder.103 In Polen gibt es somit nicht nur ein Corporate-Governance-Regelwerk, zudem werden die verschiedenen Regelwerke – anders als der DCGK – nicht von einer staatlich eingesetzten Regierungskommission, sondern von der Börse oder der Aufsichtsbehörde erstellt. Umso bedeutsamer erscheint vor diesem Hintergrund die Regelung in § 70 Abs. 6 Pkt. 5 lit. a) der Rechtsverordnung des Fi97

Näher hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 370 f. Im Internet abrufbar unter https://newconnect.pl/dobre-praktyki, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Näher hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 371 ff. 99 Im Internet abrufbar unter https://newconnect.pl/dobre-praktyki, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 100 Im Internet abrufbar unter https://www.knf.gov.pl/dla_rynku/regulacje_i_prak tyka/zasady_ladu_korporacyjnego, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 101 Vgl. https://www.knf.gov.pl/podmioty/wyszukiwarka_podmiotow, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 102 Vgl. https://www.knf.gov.pl/podmioty/Podmioty_rynku_kapitalowego/emitenci_ akcji und die Übereinstimmung der Liste mit der Übersicht auf https://www.gpw.pl/ spolki, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 103 Hierzu unten Kapitel 6, B.I.2.c). 98

B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System

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nanzministeriums vom 29. März 2018 über die von Wertpapieremittenten laufend und periodisch zu übermittelnden Informationen, wonach die Emittenten in ihren Erklärungen zur Corporate Governance zunächst die von ihnen verpflichtend zu beachtenden bzw. freiwillig beachteten Corporate-Governance-Regelwerke benennen müssen.

B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System Aus Sicht der OECD kann die Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen sowie über Betriebsräte unmittelbare oder jedenfalls mittelbare Vorteile (etwa in Form einer erhöhten Investitionsbereitschaft der Arbeitnehmer im Hinblick auf unternehmensspezifische Fähigkeiten) für die Corporate Governance mit sich bringen.104 Auch von anderen Seiten wird die Arbeitnehmerbeteiligung als Element zur Förderung guter Unternehmensführung angesehen.105 Von ihren Befürwortern wird die Unternehmensmitbestimmung neuerdings verstärkt auch unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit106 – insbesondere einer nachhaltigen Personalpolitik107 – und Corporate Social Responsibility108 angepriesen; es werden Forschungsprojekte zur Bestimmung des Einflusses der Unternehmensmitbestimmung auf eine nachhaltige und zukunftssichernde Unternehmenspolitik durchgeführt109. So soll durch empirische Studien der positive Einfluss der Unterneh104 Vgl. G20/OECD-Grundsätze der Corporate Governance, 2016, S. 42, im Internet abrufbar unter http://www.oecd-ilibrary.org/governance/g20-oecd-grundsatze-der-cor porate-governance_9789264250130-de, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 105 So etwa Jürgens/Lippert, Kommunikation und Wissen im Aufsichtsrat, die die Mitbestimmung im Aufsichtsrat als „notwendiges Element eines modernen Corporate Governance-Systems“ sehen (Jürgens/Lippert, a. a. O., S. V.). 106 Vgl. die vielfältigen Informationen, Reports und Übersichten der Hans-BöcklerStiftung auf https://www.mitbestimmung.de/html/mbix-120.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 107 Vgl. hierzu die Informationen im Mitbestimmungsportal der Hans-Böckler-Stiftung zum Thema „Mitbestimmung und nachhaltige Personalpolitik“ auf https://www. mitbestimmung.de/html/mitbestimmung-und-nachhaltige-5322.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 108 Vgl. den Artikel „Mitbestimmung fördert CSR“ im Böckler-Impuls 02/2019, abrufbar unter https://www.boeckler.de/data/Boeckler_Impuls_2019_02_2.pdf, sowie unter https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-mitbestimmung-foerdert-csr-4418.htm, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. zu diesem Aspekt auch Schrader, Nachhaltigkeit in Unternehmen – Verrechtlichung von Corporate Social Responsibility (CSR), ZUR 2013, S. 451 (457), dessen Vorschlag zufolge zwecks Verbesserung der Corporate Social Responsibility Aspekte der Nachhaltigkeit in Bezug auf Arbeitnehmerfragen im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung Berücksichtigung finden und stärker in den Fokus der Arbeitnehmervertreter gerückt werden könnten. 109 So das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zur Entwicklung eines sog. „Mitbe-

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

mensmitbestimmung auf eine nachhaltige Unternehmensführung belegt und die nachhaltige Personalpolitik sowie die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen noch stärker in den Zusammenhang mit guter Corporate Governance gebracht werden.110 In beachtlichen Teilen der deutschen Rechtswissenschaft wird dagegen die Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit mit Corporate-Governance-Grundsätzen kritisiert.111 Wesentliche Diskussionspunkte sind hierbei insbesondere die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder und die Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit. Die im Jahr 2000 von Bundeskanzler Schröder eingesetzte Regierungskommission Corporate Governance, die sich mit den „möglichen Defiziten des deutschen Systems der Unternehmensführung und kontrolle“ beschäftigten und Modernisierungsvorschläge unterbreiten sollte, schloss die Unternehmensmitbestimmung jedoch in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt ausdrücklich der Untersuchung aus.112 In der polnischen Literatur lag die Bedeutung der Arbeitnehmermitwirkung für die Corporate Governance von Gesellschaften jedenfalls bis 2006 nicht im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung.113 Analysiert wurde die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen lediglich unter dem Gesichtspunkt eines den stimmungsindex“, welcher über ein Punktesystem Auskunft über den Einfluss der Mitbestimmung auf eine nachhaltige Unternehmenspolitik (insbesondere in den Bereichen der Managervergütung, Personalpolitik, Internationalisierung sowie Innovation und Zukunftssicherung) geben und empirisch belegen möchte, vgl. hierzu die Informationen auf https://www.mitbestimmung.de/html/mitbestimmung-und-nachhaltige-5322.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie den dort abrufbaren Mitbestimmungs-Report Nr. 22 von Scholz/Vitols, Der Mitbestimmungsindex MB-ix – Wirkungen der Mitbestimmung für die Corporate Governance nachhaltiger Unternehmen, Mai 2016, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 110 Hierzu Scholz, Der MB-ix und ,gute Arbeit‘ – Was wir messen können – Wirkungen der Mitbestimmung auf Personalstruktur und Arbeitsbedingungen, Mitbestimmungs-Report Nr. 32 vom Mai 2017, S. 2, abrufbar unter https://www.mitbe stimmung.de/html/mitbestimmung-und-nachhaltige-5322.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch Scholz/Vitols, Der Mitbestimmungsindex MB-ix – Wirkungen der Mitbestimmung für die Corporate Governance nachhaltiger Unternehmen, Mitbestimmungs-Report Nr. 22 vom Mai 2016, abrufbar unter https://www.mitbe stimmung.de/html/mitbestimmung-und-nachhaltige-5322.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 111 Vgl. etwa Brocker, Unternehmensmitbestimmung; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71; v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, S. 166 (166 ff.). 112 Vgl. Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts, vom 14. August 2001, BT-Drucks. 14/7515, S. 3, 5, 26 (Rn. 3), 33 (Rn. 18); hierzu auch Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (339); Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 69. 113 Opalski, Rada nadzorcza, S. 104.

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Arbeitnehmern zustehenden Rechts, nicht hingegen auch ihrer Auswirkungen auf die Corporate Governance einer Aktiengesellschaft.114 In der jüngeren Literatur wird dagegen zunehmend auch die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat problematisiert.115 Es mehren sich die Forderungen, im Interesse der Verbesserung der Corporate Governance die zwingenden Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen abzuschaffen bzw. jedenfalls lediglich fakultativ auszugestalten.116

I. Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter in den Corporate-Governance-Regelwerken 1. Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen bei der Definition des Unternehmensinteresses Bereits aus dem allgemeinen Verständnis von Corporate Governance117 wird deutlich, dass die Arbeitnehmer und ihre Interessen eine Rolle im Rahmen der Corporate Governance spielen. Inwieweit die Arbeitnehmerinteressen jedoch bei konkreten Maßnahmen und Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat zu berücksichtigen sind, hängt eng mit dem Begriff des Unternehmensinteresses zusammen, mit welchem die allgemeine Zielrichtung für das Handeln von Vorständen und Aufsichtsräten vorgegeben wird. Wie das Unternehmensinteresse zu definieren ist, wird seit unzähligen Jahren intensiv und kontrovers diskutiert.118 Der deutsche DCGK sah in seiner Vorgängerfassung vom 7. Februar 2017 in Ziffer 4.1.1. DCGK 2017 vor, dass der Vorstand „das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung“ leitet. In der heute gültigen Fassung vom 16. Dezember 2019 wird dieses Verständnis bereits einleitend in der Präambel aufgegriffen, indem es dort heißt, dass Vorstand und Aufsichtsrat dazu verpflichtet sind, „im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter Berücksichtigung der Belange der Ak114

Ebenda. So etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 419 ff.; ebenfalls Postula, Nadzór korporacyjny, S. 190 ff., 194, 202; sehr kritisch auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 104 ff. in Anlehnung an die Erfahrungen anderer Staaten. 116 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 112 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 423; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 355; ebenso Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 117 Hierzu oben Kapitel 6, A.I. 118 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 942 f.; Spindler, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 76 AktG Rn. 67 ff., 70 m.w. N. 115

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tionäre, der Belegschaft und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse)“ (vgl. Präambel Abs. 1 Satz 3 DCGK 2020). Damit tendiert der DCGK früher wie heute zu einer „stakeholder value“-orientierten Definition des Unternehmensinteresses.119 Die Arbeitnehmer als Stakeholder und die Arbeitnehmerinteressen sind im Rahmen der Unternehmensführung angemessen zu berücksichtigten. Dabei geht der Kodex von einem „interessenpluralistischen Ansatz“ aus und betrachtet die in früherer Ziffer 4.1.1. DCGK 2017 und heutiger Präambel Abs. 1 Satz 3 DCGK 2020 aufgezählten Interessen als gleichrangig, d.h. ohne dass einer bestimmten Interessengruppe der Vorrang gebührt.120 Auch die polnischen Guten Praktiken GPW 2016 betonen, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Unternehmensinteresse handeln (vgl. Ziffer II. Zielbestimmung Gute Praktiken GPW 2016). Anders als noch in den Guten Praktiken 2005 wird auf eine Definition des Unternehmensinteresses jedoch nunmehr schon seit Jahren verzichtet. Die Guten Praktiken 2005 sahen in Ziffer I. der Allgemeinen Bestimmungen noch vor, dass „das grundlegende Ziel der Unternehmensleitung die Realisierung des Unternehmensinteresses“ sei, „verstanden als die Vermehrung des der Gesellschaft von den Aktionären anvertrauten Vermögens, unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen anderer in die Tätigkeit der Gesellschaft involvierter Subjekte, insbesondere ihrer Gläubiger und Arbeitnehmer“.121 Auch wenn diese Definition ausdrücklich die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen, so auch Arbeitnehmerinteressen, vorsieht, so geht sie – anders als die deutsche Definition, die die Interessen der Aktionäre, Arbeitnehmer und sonstiger Stakeholder gleichrangig nebeneinander auflistet – von einer übergeordneten Stellung der Aktionärsinteressen aus.122 Darin spiegelte sich der stärker „shareholder value“-orientierte Ansatz der polnischen Aktienrechts wider, der sich vor allem in den sehr weitgehenden Entscheidungsbefugnissen des Satzungsgebers bzw. der Hauptversammlung123 sowie der Regelung des Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG, die dem Schutz der Minderheitsaktionäre dient124, zeigt. Dass neben den 119

Hierzu auch schon oben Kapitel 3, C.II.5.a)cc). Spindler, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 76 AktG Rn. 71. 121 Ziffer I. der Allgemeinen Bestimmungen in den Guten Praktiken 2005: „Podstawowym celem działania władz spółki jest realizacja interesu spółki, rozumianego jako powie˛kszanie wartos´ci powierzonego jej przez akcjonariuszy maja˛tku, z uwzgle˛dnieniem praw i interesów innych niz˙ akcjonariusze podmiotów, zaangaz˙owanych w funkcjonowanie spółki, w szczególnos´ci wierzycieli spółki oraz jej pracowników.“ Übersetzung d. Verf. 122 So auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 157. 123 Hierzu oben Kapitel 3, C.II.1.a). 124 Doman ´ ski/Jagielska, Rada nadzorcza spółki akcyjnej, S. 48 m.w. N.; Opalski/ Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 120

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Aktionärsinteressen allerdings auch andere Stakeholder-Interessen zu berücksichtigen waren, stellte auch Ziffer 33 Satz 2 der Guten Praktiken 2005 klar. Danach sollte der Vorstand bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses „die auf lange Sicht berechtigten Interessen der Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer der Gesellschaft sowie anderer Personen, die mit der Gesellschaft im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenarbeiten, ebenso wie die Interessen der lokalen Gemeinschaft“ berücksichtigen.125 Von der polnischen Literatur wurde diese Definition des Unternehmensinteresses als zu weit kritisiert.126 Die in den Guten Praktiken 2002 und 2005 vorzufindende Definition des Unternehmensinteresses konnte nicht nur bei der Auslegung der in den Regelwerken selbst enthaltenen weiteren Regelungen, sondern darüber hinaus auch der den Begriff des Unternehmensinteresses verwendenden gesetzlichen Normen (etwa Art. 422 HGG) herangezogen werden.127 Seitdem allerdings im Jahre 2007 die Erstellung der „Guten Praktiken“ von der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) übernommen wurde, wird in diesen – so auch in den aktuellen Guten Praktiken GPW 2016 – nicht nur auf eine Definition des Unternehmensinteresses verzichtet, auch fehlt eine der Ziffer 33 Satz 2 der Guten Praktiken 2005 vergleichbare Regelung. Die „Guten Praktiken“ können daher nunmehr keine Auslegungshilfe mehr für die Bestimmung des Unternehmensinteresses bieten. Vielmehr ist auch im Rahmen der Guten Praktiken GPW 2016 der durch die aktienrechtliche Literatur und Rechtsprechung definierte Begriff des Unternehmensinteresses maßgeblich, der – zwar nicht unumstritten128, jedenfalls aber nach dem traditionellen Verständnis129, so auch der Rechtsprechung130 und beachtlichen Stimmen in der polnischen Literatur131 – einem (moderaten) „shareholder value“-basierten Ansatz folgt.132 Entscheidend hierbei sind vor allem die Interessen der Aktionäre, die auf eine langfristige Steigerung und den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit und 125 Ziffer 33 Satz 2 der Guten Praktiken 2005: „Przy ustalaniu interesu spółki nalezy ˙ brac´ pod uwage˛ uzasadnione w długookresowej perspektywie interesy akcjonariuszy, wierzycieli, pracowników spółki oraz innych podmiotów i osób współpracuja˛cych ze spółka˛ w zakresie jej działalnos´ci gospodarczej, a takz˙e interesy społecznos´ci lokalnych.“ Übersetzung d. Verf. 126 Stroin ´ski, in: Cejmer/Napierała/Sójka, Europejskie prawo spółek, Bd. 3, Corporate Governance, S. 96 ff. 127 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 328 f. 128 Zu der in der polnischen Literatur umstrittenen Frage, wie das Unternehmensinteresse zu definieren ist, vgl. auch Weber, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan´stwa a Skarb Pan´stwa, S. 184 (185, 188 f.) m.w. N. 129 Kappes/Matysiak, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan ´ stwa a Skarb Pan´stwa, S. 61 (64). 130 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 131 Opalski, Rada nadzorcza, S. 20, 152 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 172 ff., 175. 132 Hierzu ausführlich oben Kapitel 3, C.II.5.a)cc).

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Rentabilität der Gesellschaft gerichtet sind.133 Zwar sind – jedenfalls nach Auffassung von Teilen der polnischen Literatur – auch die Interessen anderer Gruppen – so auch der Arbeitnehmer – bei der jeweiligen Bestimmung des Unternehmensinteresses zu berücksichtigen, jedoch nur insoweit, als sie mit den Interessen der Aktionäre vereinbar sind.134 Insofern unterscheidet sich dieses Verständnis des Unternehmensinteresses von dem im deutschen DCGK und der überwiegenden deutschen Literatur und Rechtsprechung favorisierten interessenpluralistischen, auf Gleichrangigkeit ausgerichteten „stakeholder value“-orientierten Verständnis.135 2. Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder a) Empfehlung der Europäischen Kommission 2005 Eine wichtige Grundlage für die geltenden Regelungen sowohl des DCGK als auch der polnischen Guten Praktiken GPW 2016 zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bildet eine Empfehlung der EU-Kommission 2005/162/EG vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats (nachfolgend: „EU-Empfehlung 2005/ 162/EG“ 136 ).137 Gemäß Ziffer 4. der EU-Empfehlung 2005/162/EG sollte dem Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat „eine ausreichende Zahl unabhängiger nicht geschäftsführender Mitglieder angehören, um sicherzustellen, dass mit Interessenkonflikten, in welche Mitglieder der Unternehmensleitung involviert sind, ordnungsgemäß verfahren wird“. Die Anwesenheit unabhängiger Verwaltungsratsbzw. Aufsichtsratsmitglieder soll nach Ansicht der Kommission den Schutz der 133

Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 943 f. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 943. A.A. Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 961, der die Interessen von Gläubigern und Arbeitnehmern als grundsätzlich gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre ansehen und je nach konkretem Einzelfall bestimmten Interessengruppen den Vorrang einräumen möchte. Gleichzeitig betont der Autor, dass das Unternehmensinteresse in Bezug auf die Gesellschaft als einem eigenständigen Wirtschaftssubjekt selbst und nicht etwa einzelne ihrer Interessengruppen verstanden werden sollte. Das Oberste Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, erwähnte Stakeholder-Interessen hingegen im Rahmen seiner Definition des Unternehmensinteresses überhaupt nicht. 135 Vgl. hierzu Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 f. m.w. N. sowie oben Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 136 Empfehlung der Kommission 2005/162/EG vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 52 vom 25. Februar 2005, S. 51–63. 137 Vgl. Hasselbach/Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, S. 643 (643); Opalski, Rada nadzorcza, S. XX. 134

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Interessen der Aktionäre und anderer Stakeholder sicherstellen, da hierfür eine „effektive und hinreichend unabhängige Aufsicht über die Geschäftsführung“ erforderlich sei (vgl. Erwägungsgrund Nr. 7 EU-Empfehlung 2005/162/EG). Als Unabhängigkeit soll dabei „die Abwesenheit jeglicher signifikanter Interessenskonflikte“ verstanden werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 7 EU-Empfehlung 2005/ 162/EG). Ziffer 13.1 der EU-Empfehlung 2005/162/EG präzisiert den Begriff der Unabhängigkeit dahingehend, dass ein Mitglied der Unternehmensleitung als unabhängig gilt, „wenn es in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung steht, die einen Interessenkonflikt begründet, der sein Urteilsvermögen beeinflussen könnte“. In Anhang II der EU-Empfehlung 2005/162/EG benennt die Empfehlung einige Situationen, in denen normalerweise ein materieller Interessenkonflikt anzunehmen und eine Unabhängigkeit zu verneinen wäre (vgl. Ziffer 13.2 der EU-Empfehlung 2005/162/EG). Die Mitgliedstaaten sollten unter Berücksichtigung dieser Leitlinien eigene Kriterien für die Unabhängigkeit aufstellen, allerdings sollte grundsätzlich der Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat selbst festlegen, was unter Unabhängigkeit zu verstehen ist und auch im Einzelfall ein Verwaltungsrats- bzw. Aufsichtsratsmitglied trotz Erfüllung der Unabhängigkeitskriterien als nicht unabhängig bzw. trotz Nichterfüllung als unabhängig ansehen dürfen (vgl. Ziffer 13.2 der EU-Empfehlung 2005/162/EG). In Bezug auf die Frage der Unabhängigkeit von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat ist der in Ziffer 1 lit. b) des Anhangs II der EU-Empfehlung 2005/ 162/EG genannte Aspekt der Arbeitnehmereigenschaft relevant. Die Empfehlung betrachtet die Eigenschaft als Arbeitnehmer der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft grundsätzlich als einen Aspekt, der ein Risiko für die Unabhängigkeit eines Verwaltungsrats- bzw. Aufsichtsratsmitglieds darstellen kann. Gleiches gilt, wenn das Mitglied innerhalb der vergangenen drei Jahre als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist. Eine Ausnahme hiervon liegt nur dann vor, wenn das betroffene Mitglied „nicht zu den Führungskräften der Gesellschaft“ gehört und „im Rahmen eines gesetzlich anerkannten Systems der Arbeitnehmervertretung, das einen angemessenen Schutz vor missbräuchlicher Entlassung und sonstiger ungerechter Behandlung bietet, in den Verwaltungs-/Aufsichtsrat gewählt worden“ ist. b) Unabhängigkeit im DCGK Die Frage der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat war auf Grundlage der noch bis vor Kurzem geltenden Fassung des DCGK vom 7. Februar 2017 uneindeutig und problematisch. Die seit dem 20. März 2020 geltende Fassung des DCGK 2020 hat diese Problematik jedenfalls aus dem Kodex nunmehr ausgeklammert. Die noch bis vor Kurzem geltende Fassung des DCGK vom 7. Februar 2017 sah in Ziffer 5.4.2 Satz 1 DCGK 2017 vor, dass dem Aufsichtsrat „eine nach

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seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören“ sollte. Der Aufsichtsrat sollte dabei ausdrücklich die Eigentümerstruktur berücksichtigen. Gemäß der Empfehlung in Ziffer 5.3.2 Abs. 3 Satz 2 DCGK 2017 sollte der Vorsitzende des Prüfungsausschusses unabhängig sein. Ferner empfahl der DCGK 2017, dass bei der Benennung der konkreten Ziele für seine Zusammensetzung der Aufsichtsrat die Anzahl der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder berücksichtigen sollte (vgl. Ziffer 5.4.1 Abs. 2 DCGK 2017). Was unter Unabhängigkeit zu verstehen war, regelte der DCGK 2017 jedoch nicht abschließend, sondern benannte in Ziffer 5.4.2 Satz 2 DCGK 2017 lediglich Regelbeispiele, die die Unabhängigkeit ausschlossen.138 Ein Aufsichtsratsmitglied war danach „insbesondere dann nicht als unabhängig anzusehen, wenn es in einer persönlichen oder einer geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft, deren Organen, einem kontrollierenden Aktionär oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann.“ Ziffer 5.4.2 Sätze 3 und 4 DCGK 2017 legten ferner fest, dass dem Aufsichtsrat höchstens zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören und Aufsichtsratsmitglieder keine Beratungs- oder Organfunktion bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben sollten. Gemäß Ziffer 5.4.1 Abs. 6 DCGK 2017 sollte der Aufsichtsrat die persönlichen und die geschäftlichen Beziehungen eines jeden Kandidaten für das Aufsichtsratsmandat zu dem Unternehmen, den Organen der Gesellschaft und einem wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Aktionär bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung offenlegen. Der Begriff der Unabhängigkeit in Ziffer 5.4.2 Satz 2 DCGK 2017 beruhte im Wesentlichen auf dem Begriff des Interessenkonfliktes.139 Ziffer 5.5.1 Abs. 1 DCGK 2017 definierte den Begriff des Interessenkonfliktes zwar nicht, gebot jedoch das Handeln im Unternehmensinteresse und verbot die Verfolgung persönlicher Interessen sowie die Ausnutzung von Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für eigene Zwecke. Hieran anknüpfend konnte unter einem Interessenkonflikt im Rahmen des DCGK 2017 die „Verfolgung von persönlichen Interessen eines Aufsichtsratsmitglieds oder von Sonderinteressen Dritter durch das Aufsichtsratsmitglied [. . .], die in einem Konflikt mit dem Unternehmensinteresse stehen (bzw. stehen können) und die das Handeln des Aufsichtsratsmitglieds – in dieser Funktion – zu beeinflussen vermögen“ verstanden werden.140 Für die Einstufung eines Aufsichtsratsmitglieds als nicht unabhängig genügte bereits der potentielle Interessenkonflikt, wie sich aus der in Ziffer 5.4.2 Satz 2 DCGK 2017

138 Hasselbach/Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, S. 643 (645). 139 Ebenda. 140 So die Definition von Hasselbach/Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, S. 643 (645).

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gewählten Formulierung („die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“) ergab.141 Die neuen Regelungen des DCGK 2020 zur Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder sind in Ziffern C.1. sowie C.6 bis C.12 DCGK 2020 grundsätzlich neu strukturiert und inhaltlich deutlich ausführlicher als im bisherigen DCGK 2017 gefasst worden, wenngleich sie in mehreren Aspekten an die bisherigen Regelungen aus dem DCGK 2017 angelehnt sind. So etwa soll es im Grunde weiterhin keine fixen Vorgaben, sondern nur eine „angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder“ im Aufsichtsrat geben (vgl. Ziffer C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK 2020), die Eigentümerstruktur soll hierbei berücksichtigt werden (vgl. Ziffer C.6 Abs. 1 Hs. 2 DCGK 2020), der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll weiterhin unabhängig sein (vgl. Ziffer C.10 DCGK 2020), und dem Aufsichtsrat sollen nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören (vgl. Ziffer C.11 DCGK 2020). Wie bisher sollen Aufsichtsratsmitglieder auch „keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben“ (vgl. Ziffer C.12 DCGK 2020). An mehreren Stellen haben diese altbekannten Empfehlungen aber nunmehr Ergänzungen im neuen DCGK 2020 erfahren (vgl. etwa den Katalog in Ziffer C.7 Abs. 2 sowie die erweiterten Regelungen in Ziffern C.10 und C.12 DCGK 2020). Insbesondere macht der DCGK 2020 nun auch zahlenmäßige Empfehlungen dahingehend, dass über die Hälfte der Anteilseignervertreter unabhängig von der Gesellschaft und vom Vorstand sein soll (vgl. Ziffer C.7 Abs. 1 DCGK 2020) und im Falle eines Aufsichtsrats mit mehr als sechs Mitgliedern mindestens zwei, im Falle eines sechs oder weniger Mitglieder zählenden Aufsichtsrats dagegen mindestens ein Anteilseignervertreter unabhängig vom kontrollierenden Aktionär sein soll/en (vgl. Ziffer C.9 Abs. 1 DCGK 2020). Anders als der DCGK 2017 definiert der DCGK 2020 nunmehr auch ausdrücklich und abschließend – und nicht lediglich in Gestalt eines die Unabhängigkeit ausschließenden Regelbeispiels –, was unter Unabhängigkeit im Sinne der Kodex-Empfehlungen zu verstehen ist. Namentlich ist ein Aufsichtsratsmitglied „als unabhängig anzusehen, wenn es unabhängig von der Gesellschaft und deren Vorstand und unabhängig von einem kontrollierenden Aktionär ist“ (vgl. Ziffer C.6 Abs. 2 DCGK 2020). Gemäß Ziffer C.7 Abs. 1 Satz 2 DCGK 2020 ist ein Aufsichtsratsmitglied „unabhängig von der Gesellschaft und deren Vorstand, wenn es in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“. Dasselbe Verständnis liegt in Ziffer C.9 Abs. 2 DCGK 2020 auch der Unabhängigkeit vom kontrollierenden Aktionär zugrunde: Auch hier kommt es darauf an, dass das Aufsichtsratsmitglied – und zusätzlich auch ein naher Familienangehöriger – nicht „in einer persönlichen 141 Näher hierzu Hasselbach/Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, S. 643 (645 f.).

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oder geschäftlichen Beziehung zum kontrollierenden Aktionär steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“. Daneben setzt die Unabhängigkeit vom kontrollierenden Aktionär auch voraus, dass weder das Aufsichtsratsmitglied selbst noch ein naher Familienangehöriger des Aufsichtsratsmitglieds kontrollierender Aktionär ist oder dem geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs angehört (vgl. C. 9 Abs. 2 DCGK 2020). Damit ist auch im neuen DCGK 2020 der potentielle Interessenkonflikt letztlich wie in der Vorgängerfassung vom 7. Februar 2017 das zentrale Element bei der Bestimmung der Unabhängigkeit. Diesbezüglich gibt der neue DCGK 2020 in Grundsatz 19 und den Ziffern E.1 bis E.3. DCGK 2020 Leitlinien: Wie schon im DCGK 2017 wird der Begriff des Interessenkonflikts nicht definiert, Grundsatz 19 DCGK 2020 weist aber wie die Vorgängerfassung auf die Verpflichtung zum Handeln im Unternehmensinteresse hin und verbietet im Rahmen der Entscheidungsfindung die Verfolgung persönlicher Interessen sowie die Ausnutzung von Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für eigene Zwecke. Eine bedeutsame Änderung brachte der neue DCGK 2020 jedoch in Bezug auf die Frage der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite. Der DCGK 2017 traf keine Aussage dazu, ob die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat als abhängig oder unabhängig anzusehen waren. In der deutschen Literatur war dies umstritten.142 Problematisch war dies zum einen aufgrund der geschäftlichen Beziehung der unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter zum Unternehmen, von welchem sie ihre arbeitsvertragliche Vergütung erhalten143, zum anderen aufgrund der „Befugnis und Aufgabe der Arbeitnehmerseite [. . .], die spezifischen Belange der Arbeitnehmerschaft in die Beratungen des Aufsichtsrats einzubringen“, weswegen in ihrer Person stets ein Interessenkonflikt begründet läge144. Während ein Teil der Literatur die Arbeitnehmervertreter somit grundsätzlich als nicht unabhängig ansah145, sprach ein anderer Teil der Lite142 Vgl. Kremer, in: Kremer u. a., Deutscher Corporate Governance Kodex, 5. Aufsichtsrat Rn. 1384 m.w. N.; Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2012, NZG 2012, S. 1081 (1087) m.w. N.; vgl. auch die zahlreichen Nachweise bei Staake, Arbeitnehmervertreter als unabhängige Aufsichtsratsmitglieder? NZG 2016, S. 853 (855 f.) sowie bei Stephanblome, Der Unabhängigkeitsbegriff des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2013, S. 445 (450). 143 Vgl. Lieder, Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied – Zu den Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2005, S. 569 (571); Ringleb/Kremer/ Lutter/v. Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2012, NZG 2012, S. 1081 (1087 f.); Stephanblome, Der Unabhängigkeitsbegriff des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2013, S. 445 (450). 144 So Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 100 AktG Rn. 84, 86; in diese Richtung auch Löwisch, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Koordination oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 19 (21). 145 So etwa Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 100 AktG Rn. 84 („Im mitbestimmten Aufsichtsrat [. . .] ist die fehlende Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter und der Vertreter der Gewerkschaften sogar Programm“); ebenso Grigoleit/Tomasic, in:

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ratur den Arbeitnehmervertretern ihre Unabhängigkeit unter Verweis auf die Regelung in Ziffer 1 lit. b) des Anhangs II EU-Empfehlung 2005/162/EG, aus der sich die Möglichkeit der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ergibt, nicht grundsätzlich ab146. Aufgrund des mitbestimmungsrechtlichen Diskriminierungsverbots bestehe ein angemessener Schutz der Arbeitnehmervertreter, wodurch eine unabhängige und ordnungsgemäße Wahrnehmung der Überwachungsfunktion gegenüber der Geschäftsleitung ausreichend gesichert sei.147 Vertreten wurde auch, die Arbeitnehmervertreter für die Zwecke der Bestimmung der Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen von Ziffer 5.4.2 Satz 1 DCGK 2017 außen vor zu lassen und die Unabhängigkeit nur bei den Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner zu prüfen.148 Die Regierungskommission selbst ging scheinbar ebenfalls davon aus, dass die Arbeitnehmervertreter von den Regelungen zur Unabhängigkeit nicht erfasst waren.149 Anders stellte sich die Situation allerdings im Hinblick auf die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG in den Aufsichtsrat zu wählenden leitenden Angestellten dar.150 Aufgrund der Mitverantwortung der leitenden Angestellten für Unternehmensentscheidungen, nicht selten sogar die ihrerseits erfolgende aktive Vorbereitung derselben, wurde eine mögliche Ausrichtung dieser Arbeitnehmervertreter an den Interessen der Geschäftsleitung und damit ein potentieller InteressenkonGrigoleit, Aktiengesetz (1. Aufl. 2013), § 100 AktG Rn. 13 und Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz (13. Aufl. 2018), § 100 AktG Rn. 5. 146 So etwa Lieder, Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied – Zu den Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2005, S. 569 (571); Ringleb/Kremer/ Lutter/v. Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2012, NZG 2012, S. 1081 (1088). 147 So Lieder, Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied – Zu den Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2005, S. 569 (571); Stephanblome, Der Unabhängigkeitsbegriff des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2013, S. 445 (450). 148 So Hasselbach/Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, S. 643 (649); im Ergebnis ebenso Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 100 AktG Rn. 86, der bei Annahme einer grundsätzlich fehlenden Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter die Anzahl der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder lediglich ins Verhältnis zu den Anteilseignern setzen möchte; so wohl auch Koch, in: Hüffer/ Koch, Aktiengesetz (13. Aufl. 2018), § 100 AktG Rn. 7. 149 Vgl. Pressemitteilung der Regierungskommission DCGK zur Reform des DCGK vom 16. Mai 2012, S. 2 („Mit Blick auf eine weitere Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit börsennotierter deutscher Unternehmen hat die Regierungskommission in diesem Jahr einen besonderen Fokus auf den Themenkomplex „Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern auf der Anteilseignerseite“ gelegt. [. . .] Hiervon unberührt bleiben die Arbeitnehmervertreter in einem Aufsichtsrat.“); vgl. hierzu auch Hasselbach/Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, S. 643 (649). 150 Lieder, Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied – Zu den Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2005, S. 569 (571); Stephanblome, Der Unabhängigkeitsbegriff des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2013, S. 445 (450).

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flikt angenommen bzw. jedenfalls nicht ausgeschlossen.151 Ohnehin dürften die leitenden Angestellten auch als „Führungskräfte“ im Sinne der Ziffer 1 lit. b) des Anhangs II der EU-Empfehlung 2005/162/EG zu verstehen sein und daher schon aus diesem Grund nicht unter die dortige Ausnahme für Arbeitnehmervertreter fallen. Mit der neuen Fassung des DCGK vom 16. Dezember 2019 scheint die Frage der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter indes jedenfalls für die Zwecke der Interpretation der Kodex-Empfehlungen erledigt. Denn die sich auf die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder beziehenden Empfehlungen in Ziffern C.1 sowie C.6 bis C.12 DCGK 2020 betreffen ausweislich des Wortlauts nur die Anteilseignervertreter (vgl. Ziffer C.1 Satz 5 DCGK 2020 („nach Einschätzung der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat angemessene Anzahl unabhängiger Anteilseignervertreter“) sowie bspw. Ziffer C.6 Abs. 1 Hs. 1 („Dem Aufsichtsrat soll auf Anteilseignerseite eine nach deren Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören“)). In der Begründung zur neuen Fassung des DCGK 2020 ist diesbezüglich zu lesen, „dass sich das Erfordernis unabhängiger Mitglieder auf die Anteilseignerseite beschränkt, weil die Arbeitnehmervertreter nicht vom Aufsichtsrat vorzuschlagen sind.“ 152 Ferner heißt es dort, dass dies auch schon in der alten Kodex-Fassung aufgrund des im Jahre 2017 eingeführten Einschubs in Ziffer 5.4.1 Abs. 4 Satz 3 DCGK 2017 betreffend die Berichterstattung über die Anzahl und die Namen der unabhängigen Mitglieder der Anteilseigner so zu verstehen gewesen sei.153 Wenngleich Letzteres angezweifelt werden mag (siehe oben), so scheint in jedem Fall die im neuen DCGK 2020 getroffene Klarstellung, dass es nunmehr im Rahmen der Feststellung der Anzahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern ausschließlich auf die Anteilseignervertreter ankommt, vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit und einheitlichen Anwendung des DCGK 2020 in der Praxis begrüßenswert. Die grundsätzliche Frage, ob die Arbeitnehmervertreter generell als abhängig oder unabhängig anzusehen sind, ist damit zwar nicht geklärt, für die Zwecke der Anwendung der Kodex-Empfehlungen in der Praxis nunmehr aber auch nicht mehr relevant.154 c) Unabhängigkeit in polnischen Corporate-Governance-Regelwerken Die Guten Praktiken GPW 2016 gehen an verschiedenen Stellen auf das Kriterium der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern ein. Zunächst betont die Zielbestimmung von Ziffer II. der Guten Praktiken GPW 2016, welche den Ab151 Stephanblome, Der Unabhängigkeitsbegriff des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2013, S. 445 (450). In diese Richtung auch Lieder, Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied – Zu den Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2005, S. 569 (571). 152 Begründung zum DCGK 2020, S. 8. 153 Ebenda. 154 Ebenso Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 100 AktG Rn. 38.

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schnitt über den Vorstand und Aufsichtsrat einleitet, dass der Aufsichtsrat sich bei seinem Handeln von seinen eigenen unabhängigen Ansichten und Überzeugungen leiten lassen soll. In den besonderen Grundsätzen („zasady szczegółowe“) finden sich sodann nähere Hinweise zur Unabhängigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder. Ziffer II.Z.3. Gute Praktiken GPW 2016 gibt vor, dass mindestens zwei Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein sollen. Gemäß Ziffer II.Z.8. Gute Praktiken GPW 2016 soll der Vorsitzende des Prüfungsausschusses unabhängig sein. Die früheren „Guten Praktiken“ aus den Jahren 2002 und 2005 hatten noch eine eigenständige Definition der Unabhängigkeit enthalten. Danach sollten unabhängige Aufsichtsratsmitglieder „frei sein von Verbindungen zur Gesellschaft, ihren Aktionären und Arbeitnehmern, welche die Fähigkeit des Mitglieds, unparteiische Entscheidungen treffen zu können, wesentlich beeinflussen könnten“ (vgl. Ziffer 20 lit. a) Satz 2 Gute Praktiken 2005).155 Detaillierte Vorgaben zum Kriterium der Unabhängigkeit sollte die Satzung bestimmen (vgl. Ziffer 20 lit. b) Gute Praktiken 2005).156 Die heute geltenden Guten Praktiken GPW 2016 verweisen dagegen hinsichtlich des Kriteriums der Unabhängigkeit in Ziffer II.Z.4. zunächst auf den Anhang II der EU-Empfehlung 2005/162/EG. Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016 spezifiziert jedoch zum einen, dass die Verbindung eines Aufsichtsratsmitglieds zu einem Aktionär, der mindestens 5 % der Stimmanteile in der Gesellschaft hält, die Unabhängigkeit ausschließt. Zum anderen spezifiziert Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016, dass unabhängig von der Bestimmung in Ziffer 1 lit. b) des Anhangs II der EU-Empfehlung 2005/162/EG Arbeitnehmer der Gesellschaft, einer abhängigen Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens sowie Personen, die zu diesen in einem vergleichbaren Vertragsverhältnis stehen, nicht als unabhängig anzusehen sind. Das als offizielle Auslegungshilfe herausgegebene Handbuch zu den Guten Praktiken GPW 2016 stellt diesbezüglich klar, dass durch die Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016 von einigen Bestimmungen der Ziffer 1 lit. b) des Anhangs II der EU-Empfehlung 2005/162/EG abgewichen wird.157 Ausdrücklich klargestellt wird dabei, dass die genannte Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016 vor dem Hintergrund der polnischen Gegebenheiten diejenigen Arbeitnehmer betreffe, die von den Arbeitnehmern der Gesellschaft in den Aufsichtsrat gewählt werden – die so gewählten Arbeitnehmer seien als nicht unabhängig anzusehen.158 Abweichend von Ziffer 1 155 Vgl. Ziffer 20 lit. a) Satz 2 Gute Praktiken 2005: „Niezalezni członkowie rady ˙ nadzorczej powinni byc´ wolni od powia˛zan´ ze spółka˛ i akcjonariuszami lub pracownikami, które mogłyby istotnie wpłyna˛c´ na zdolnos´c´ niezalez˙nego członka do podejmowania bezstronnych decyzji“, Übersetzung d. Verf.; vgl. hierzu das Handbuch zu den Guten Praktiken GPW 2016, S. 42. 156 Vgl. hierzu auch das Handbuch zu den Guten Praktiken GPW 2016, S. 43. 157 Handbuch zu den Guten Praktiken GPW 2016, S. 43. 158 Ebenda.

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lit. b) des Anhangs II der EU-Empfehlung 2005/162/EG gelten somit als Arbeitnehmer beschäftigte Aufsichtsratsmitglieder stets als unabhängig, selbst wenn diese im Rahmen eines gesetzlich anerkannten Systems der Arbeitnehmervertretung gewählt worden sind und dieses System einen angemessenen Schutz vor missbräuchlicher Entlassung und sonstiger ungerechter Behandlung bietet.159 Hingewiesen wird in dem Handbuch jedoch darauf, dass die fehlende Unabhängigkeit auf die Beziehung zur Gesellschaft zurückzuführen sei, nicht aber auf das Wahlverfahren.160 Gewählte Arbeitnehmervertreter, die selbst nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sind, sind danach im Unterschied zu den gewählten Arbeitnehmern nicht per se unabhängig. Unter Zugrundelegung von Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016 und der genannten Auslegungshilfe ist mithin für die Frage der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter, die auf Grundlage des KommerzG oder anderer Spezialgesetze von den Arbeitnehmern der Gesellschaft in den Aufsichtsrat gewählt werden, entscheidend, ob die Arbeitnehmervertreter bei der Gesellschaft, einer abhängigen Tochtergesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen als Arbeitnehmer (oder auf Grundlage eines vergleichbaren Vertragsverhältnisses) beschäftigt sind oder nicht.161 Nur im ersten Fall ist ihnen die Unabhängigkeit nach den Guten Praktiken GPW 2016 abzusprechen. Ursprünglich hatte auch das polnische Handelsgesetzbuch162 generell festgelegt, dass Arbeitnehmer der Gesellschaft nicht Mitglieder des Aufsichtsrats sein durften. Als mit dem Privatisierungsgesetz von 1990 die Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vorgesehen wurde, musste auch das Handelsgesetzbuch diesbezüglich geändert werden.163 Der Gesetzgeber änderte den Wortlaut des Art. 378 Handelsgesetzbuch a. F. jedoch generell, statt lediglich die Arbeitnehmervertreter, die aufgrund der Privatisierungsgesetze gewählt wurden, von dem generellen Verbot auszunehmen.164 Fortan sollten nur solche Arbeitnehmer nicht Mitglied des Aufsichtsrats sein dürften, die eine Position als Leitender Buchhalter, Rechtsberater, Betriebsleiter innehatten oder anderweitig dem Vorstand direkt unterstanden (vgl. Art. 378 Handelsgesetzbuch a. F.). Auch nach heute geltender Fassung von Art. 387 HGG werden vom Aufsichtsratsmandat neben Vorstandsmitgliedern, Prokuristen, Liquidatoren, Abteilungs- oder Betriebsleitern und von der Gesellschaft angestellten Hauptbuchhaltern, Rechtsberatern 159 So auch Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 441 f. in Bezug auf die „Guten Praktiken“ aus dem Jahr 2007, die allerdings in diesem Punkt den heute aktuellen Guten Praktiken GPW 2016 entsprechen. 160 Handbuch zu den Guten Praktiken GPW 2016, S. 43. 161 Dazu, dass auf Grundlage des KommerzG auch nicht als Arbeitnehmer beschäftigte Personen als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden können, siehe oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(1). 162 Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 163 Opalski, Rada nadzorcza, S. 216. 164 Ebenda.

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oder Anwälten solche Personen ausgeschlossen, die unmittelbar dem Vorstand oder Liquidator unterstellt sind.165 Gemeint ist damit das obere Führungsmanagement, welches organisatorisch und disziplinarisch unmittelbar dem Vorstand unterstellt ist und auf welches ein Teil der Vorstandskompetenzen in Bezug auf die Unternehmensführung delegiert wird.166 Im Übrigen stellt die Arbeitnehmereigenschaft jedoch kein Hindernis für die Wahl zum Aufsichtsratsmitglied dar. In der polnischen Literatur wird auf das Problem hingewiesen, dass diejenigen Arbeitnehmervertreter, die nicht aufgrund der Privatisierungsgesetze, sondern wie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung gewählt werden (möge dies auch ein seltener Fall sein), auch nicht – wie dies etwa in Art. 15 KommerzG garantiert ist – einen besonderen Schutz vor der Kündigung oder nachteiliger Änderung ihres Arbeitsverhältnisses genießen, was die Unabhängigkeit der von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählten Arbeitnehmer nicht unerheblich einschränken könne.167 Plädiert wird daher dafür, das Verbot in Art. 387 § 1 KSH auf alle Arbeitnehmer – nicht nur diejenigen, die dem Vorstand unmittelbar unterstehen – zu erstrecken, und von dem Verbot lediglich diejenigen Arbeitnehmer auszunehmen, die aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften, die zudem einen hinreichenden Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten, in den Aufsichtsrat gewählt werden – so etwa auf Grundlage des KommerzG.168 Auch wird postuliert, dass diejenigen Personen, die eine in Art. 387 § 1 HGG genannte Position in einer abhängigen Gesellschaft wahrnehmen, von der Aufsichtsratstätigkeit in der Obergesellschaft ausgeschlossen sein sollen.169 Beachtenswert ist ferner die Regelung in Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016, wonach die Verbindung eines Aufsichtsratsmitglieds zu einem Aktionär, der mindestens 5 % der Stimmanteile in der Gesellschaft hält, die Unabhängigkeit ausschließt. Hieraus lässt sich entnehmen, dass der polnische Begriff der Unabhängigkeit maßgeblich auch durch die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder von einflussreichen Aktionären der Gesellschaft definiert ist.170 Dies ist umso bedeutsamer, als in polnischen Gesellschaften die Existenz eines strategischen Aktionärs, der seine Macht leicht zum Nachteil der Minderheitsaktionäre ausüben könnte, weit verbreitet ist.171 Hinzu kommt, dass die Vorstände meist 165

Vgl. hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(3). Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 428. 167 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 218 f. 168 Hierfür Opalski, Rada nadzorcza, S. 516; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 909. 169 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 909 f. Nach derzeitiger Gesetzeslage dürfen lediglich Vorstände oder Liquidatoren der Tochtergesellschaft nicht gleichzeitig Aufsichtsratsmitglieder der Obergesellschaft sein, vgl. Art. 387 § 3 HGG. 170 So auch schon Opalski, Rada nadzorcza, S. XXI, bezogen auf das damals geltende Corporate-Governance-Regelwerk. 171 Opalski, Rada nadzorcza, S. 18. 166

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vom strategischen Aktionär nominiert werden und von diesem abhängig sind, weswegen eine institutionelle Absicherung der Neutralität der Vorstände durch unabhängige Aufsichtsratsmitglieder umso wichtiger erscheint.172 Die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder stellt in Polen daher vor allem auch ein wichtiges Instrument zum Schutz der Minderheitsaktionäre dar.173 Auf der anderen Seite war gerade die Anwesenheit des strategischen Aktionärs in den meisten polnischen Gesellschaften maßgeblich dafür, dass die ursprünglich von den ersten „Guten Praktiken“ aus dem Jahr 2002 geforderte Unabhängigkeit von mindestens der Hälfte aller Aufsichtsratsmitglieder (vgl. Ziffer 20 Gute Praktiken 2002) abgeschwächt werden musste.174 Diese äußerst kontroverse Vorgabe war aus dem angelsächsischen Corporate-Governance-Modell übernommen worden, welches jedoch maßgeblich von Gesellschaften mit großem Streubesitz geprägt war und sich für die polnische Praxis als ungeeignet erwies.175 Denn da die Unabhängigkeit mitunter als Unabhängigkeit von Aktionären verstanden wurde, wurde der strategische Aktionär aufgrund dieser Regelung stark in seinen Einflussmöglichkeiten auf die Besetzung des Aufsichtsrats, über welchen er Kontrolle über die Gesellschaft ausüben wollte, beschränkt.176 Die Guten Praktiken GPW 2016 sehen im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder an zahlreichen Stellen Berichts- bzw. Offenlegungspflichten vor. Gemäß Ziffer I.Z.1.2. Gute Praktiken GPW 2016 sind auf der Internetseite der Gesellschaft die Zusammensetzung des Vorstands und des Aufsichtsrats, die Lebensläufe der einzelnen Organmitglieder sowie Informationen im Hinblick auf die Erfüllung der Unabhängigkeitskriterien durch die einzelnen Mitglieder zu veröffentlichen. Ziffer II.Z.5. Gute Praktiken GPW 2016 schreibt vor, dass jedes Aufsichtsratsmitglied den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern sowie dem Vorstand eine Erklärung über die Erfüllung der Unabhängigkeitskriterien i. S. d. Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016 zu übermitteln hat. Gemäß Ziffer II.Z.6. Gute Praktiken GPW 2016 beurteilt der Aufsichtsrat, ob Verbindungen oder Umstände vorliegen, die die Unabhängigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder beeinflussen könnten. Die Beurteilung wird in dem in Ziffer II.Z.10. Gute Praktiken GPW 2016 vorgesehenen jährlichen Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung über die Tätigkeit des Aufsichtsrats aufgenommen und der Hauptversammlung vorgestellt (vgl. Ziffer II.Z.10.2. Gute Praktiken GPW 2016).

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So Opalski, Rada nadzorcza, S. 18 m.w. N. Opalski, Rada nadzorcza, S. XXI. 174 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 329 f. 175 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 329 f. m.w. N.; näher ders., in: Cejmer/Napierała/Sójka, Europejskie prawo spółek, Bd. 3, Corporate Governance, S. 374 f., 407 ff. 176 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 329 f. 173

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Neben den oben genannten Vorgaben zur Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder in Abschnitt II. enthalten die Guten Praktiken GPW 2016 in Abschnitt V. Empfehlungen („rekomendacje“) und besondere Grundsätze („zasady szczegółowe“) zu Interessenkonflikten. So bestimmt die Empfehlung in Ziffer V.R.1. Gute Praktiken GPW 2016 allgemein, dass Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats berufliche und nicht-berufliche Aktivitäten vermeiden sollen, die zum Entstehen eines Interessenkonfliktes führen oder ihre Reputation als Organmitglied negativ beeinflussen könnten, und dass sie bestehende Interessenkonflikte unverzüglich offenlegen sollen. In Ziffer V.Z.2. Gute Praktiken GPW 2016 wird als besonderer Grundsatz festgelegt, dass ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats den Vorstand bzw. Aufsichtsrat über einen entstandenen oder möglicherweise entstehenden Interessenkonflikt zu informieren hat und in Bezug auf die Angelegenheiten, die einen Interessenkonflikt für ihn begründen können, nicht an der Abstimmung des Gremiums teilnimmt. Gemäß Ziffer V.Z.3. Gute Praktiken GPW 2016 dürfen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder keine Vorteile annehmen, die Einfluss auf ihre Unparteilichkeit und Objektivität im Zusammenhang mit zu treffenden Entscheidungen nehmen oder sich negativ auf die Beurteilung der Unabhängigkeit ihrer Ansichten und Überzeugungen auswirken könnten. Ziffer V.Z.6. Gute Praktiken GPW 2016 legt den Gesellschaften die Pflicht auf, in internen Regelungen die Kriterien und Umstände zu benennen, bei denen es zu einem Interessenkonflikt kommen kann, sowie das Verfahren für den Fall der Entstehung bzw. möglichen Entstehung von Interessenkonflikten festzulegen. In diese Regelungen sind Maßnahmen zur Vorbeugung, Identifikation und Lösung von Interessenkonflikten sowie Grundsätze für den Ausschluss von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern von der Entscheidung über die vom Interessenkonflikt betroffenen Angelegenheiten aufzunehmen (vgl. Ziffer V.Z.6. Satz 2 Gute Praktiken GPW 2016). Anders als im deutschen DCGK (sowohl in der Vorgängerfassung vom 7. Februar 2017 als auch in der aktuellen Fassung von 16. Dezember 2019) ist die Verknüpfung zwischen der Unabhängigkeit und dem Interessenkonflikt in den Guten Praktiken GPW 2016 nicht schon in der Definition der Unabhängigkeit – auf die die Guten Praktiken GPW 2016 schlechthin verzichten – angelegt. Ziffer II.Z.4. Gute Praktiken GPW 2016 verweist nur in Bezug auf die Kriterien der Unabhängigkeit auf den Anhang II der EU-Empfehlung 2005/162/EG, nicht aber auch auf die in Artikel 13.1. enthaltene Definition der Unabhängigkeit, deren Kern wie auch schon im DCGK 2017 und weiterhin ebenso im DCGK 2020 der Interessenkonflikt ist. Insofern ist das Zusammenspiel zwischen bestehenden und potentiellen Interessenkonflikten und der Beurteilung der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern nicht ganz eindeutig geregelt. Allerdings benennen die in Anhang II der EU-Empfehlung 2005/162/EG genannten Kriterien, auf die Ziffer Z.II.4. Gute Praktiken GPW 2016 verweist, gerade diejenigen Beziehungen oder Umstände, die materielle Interessenkonflikte potentiell herbeiführen können (vgl.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

Art. 13.2. der EU-Empfehlung 2005/162/EG), sodass implizit auch eine Verknüpfung der Unabhängigkeit und Interessenkonflikte in den Guten Praktiken GPW 2016 angelegt ist. So dürfte davon auszugehen sein, dass bei Einstufung eines Mitglieds als unabhängig aufgrund von Z.II.4. Gute Praktiken GPW 2016 regelmäßig auch ein Interessenkonflikt anzunehmen sein dürfte und umgekehrt das Bestehen bzw. mögliche Entstehen von Interessenkonflikten regelmäßig zu einer negativen Beurteilung der Unabhängigkeit eines Mitglieds durch den Aufsichtsrat gemäß Ziffer II.Z.6. Gute Praktiken GPW 2016 führen dürfte. Anders als die Guten Praktiken GPW 2016 sehen weder die „Guten Praktiken der in NewConnect notierten Gesellschaften“ („Dobre Praktyki Spółek Notowanych na NewConnect“)177 noch die „Guten Praktiken der authorisierten NewConnect Berater“ („Dobre Praktyki Autoryzowanych Doradców NewConnect“)178 Regelungen im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder oder im Hinblick auf Interessenkonflikte vor. Dagegen enthalten die „CorporateGovernance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“ („Zasady Ładu Korporacyjnego dla Instytucji Nadzorowanych“)179 in § 22 Abs. 1 Satz 2 eine eigenständige Definition der Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsorgans. Danach zeichnet sich die Unabhängigkeit „vor allem durch das Fehlen unmittelbarer oder mittelbarer Verbindungen mit der unter Aufsicht stehenden Institution, den Mitgliedern des Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgans, bedeutsamen Anteilseignern sowie mit diesen verbundenen Subjekten“ aus.180 Dem Aufsichtsorgan wird ferner anders als in den Guten Praktiken GPW 2016 keine feste Anzahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern vorgeschrieben, vielmehr sollte es eine „angemessene“ Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder geben, die zudem möglichst aus dem Kreis der Minderheitsgesellschafter stammen sollten (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 der „Corporate-Governance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“).181 177 Im Internet abrufbar unter https://newconnect.pl/dobre-praktyki, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Näher hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 371 ff. 178 Im Internet abrufbar unter https://newconnect.pl/dobre-praktyki, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 179 Im Internet abrufbar unter https://www.knf.gov.pl/dla_rynku/regulacje_i_prak tyka/zasady_ladu_korporacyjnego, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Dazu, dass die „Corporate-Governance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“ keine Anwendung finden auf Gesellschaften, deren Aktien an der Warschauer Wertpapierbörse („GPW“) zugelassen sind, siehe oben Kapitel 6, A.II. 180 § 22 Abs. 1 Satz 2 der „Corporate-Governance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“: „Niezalez˙nos´c´ przejawia sie˛ przede wszystkim brakiem bezpos´rednich i pos´rednich powia˛zan´ z instytucja˛ nadzorowana˛, członkami organów zarza˛dzaja˛cych i nadzoruja˛cych, znacza˛cymi udziałowcami i podmiotami z nimi powia˛zanymi.“ Übersetzung d. Verf. 181 § 22 Abs. 1 Satz 1 der „Corporate-Governance-Grundsätze für unter Aufsicht stehende Institutionen“: „W składzie organu nadzoruja˛cego instytucji nadzorowanej

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Für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung können sich darüber hinaus – unabhängig von den Corporate-Governance-Regelwerken – besondere Vorgaben zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern aus Spezialgesetzen ergeben.182

II. Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit Die Kritik gegen die deutsche Unternehmensmitbestimmung fußt zunehmend auf der Überzeugung, dass die Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat dessen effektive Arbeit beeinträchtige. Die mit der vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat einhergehende Einschränkung seiner Überwachungsfunktion gegenüber der Geschäftsführung sei ein „unverkennbarer Kritikpunkt“ der Mitbestimmung.183 Gestützt wird die Kritik auf mehrere Aspekte, die teilweise im MitbestG selbst angelegt sind, teilweise aus der Unternehmenspraxis rühren – so vor allem die durch die Mitbestimmungsgesetze ausgeweitete Größe der Aufsichtsräte, die in den Aufsichtsräten vorzufindende Interessenpluralität sowie die aus Angst vor einer Verletzung der Vertraulichkeit resultierende Zurückhaltung der Vorstände im Hinblick auf die Offenbarung von Informationen an den Aufsichtsrat.184 Naturgemäß kann die Arbeit der deutschen mitbestimmten Aufsichtsräte nur sehr eingeschränkt beurteilt werden.185 Nicht zuletzt liegt dies auch an der Zurückhaltung seitens der Unternehmen, wenn es die Äußerungen in Bezug auf die Mitbestimmung geht.186 Von Vorständen nicht selten gehegte Vorbehalte gegen die Mitbestimmung spiegeln sich in öffentlichen Meinungsäußerungen kaum wieder, was unter anderem auf die Personalkompetenz des mitbestimmten Aufsichtsrats zurückgeführt wird.187 Gleichwohl werden in der Literatur einige

powinien byc´ zapewniony odpowiedni udział członków niezalez˙nych, a tam gdzie jest to moz˙liwe powoływanych spos´ród kandydatów wskazanych przez udziałowców mniejszos´ciowych.“ Übersetzung d. Verf. 182 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Postula, Nadzór korporacyjny, S. 163 ff. 183 So Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 184 Vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 185 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 9. 186 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 47; Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (39) („Es gilt als politically incorrect in Deutschland, die Mitbestimmung zu kritisieren.“). 187 Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (39); Junker, Sechsundsiebzig verweht, NJW 2004, S. 728 (728); Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 69; vgl. auch Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZABeilage 2017, S. 85 (86).

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

Beobachtungen hervorgehoben, die aus Sicht vieler Autoren die Aufsichtsratsarbeit erschweren.188 Auch in der polnischen Literatur wird die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat im Hinblick auf die Arbeit der Aufsichtsräte teilweise kritisch beurteilt.189 In Polen wurde die Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene zwar nur selten explizit unter dem Aspekt der Corporate Governance beleuchtet.190 Allerdings bieten die verschiedenen empirischen Untersuchungen, die sich mit der Vertretung von Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten und Vorständen als einer Partizipationsform beschäftigt haben, auch wertvolle Erkenntnisse für die Arbeit der Aufsichtsräte. Mit dem Ziel einer besseren Corporate Governance postulieren polnische Rechtswissenschaftler in jüngerer Zeit daher auch die Abschaffung oder jedenfalls rein fakultative Ausgestaltung der gesetzlich zwingenden Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen.191 Die Kritik in Bezug auf eine nur eingeschränkte Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats erscheint umso bedeutsamer, als sowohl in Deutschland als auch in Polen die Aktionäre nur beschränkte Kontrollmöglichkeiten haben192 und daher vor dem Hintergrund des starken Fokus auf rechtlich-institutionelle CorporateGovernance-Mechanismen („insider control system“)193 der Aufsichtsrat eine zentrale Rolle im jeweiligen Corporate-Governance-System spielt. 1. Verzögerte Entscheidungsprozesse und mangelnde Handlungsfähigkeit Dass die Mitbestimmung und die damit einhergehende Berücksichtigung zusätzlicher oder auch abweichender Aspekte und Standpunkte notwendigerweise zu einer zeitlichen Verzögerung der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse führe, stellte bereits die Biedenkopf-Kommission im Jahre 1970 fest.194 Entsprechend beklagen Kritiker der deutschen Unternehmensmitbestimmung auch, dass die Mitbestimmung die Entscheidungsprozesse im Aufsichtsrat habe „mühsam und langwierig“ werden lassen, weswegen der Aufsichtsrat seine Über188 Vgl. zu den zahlreichen Aspekten auch Sandrock, Gehört die Unternehmensmitbestimmung zum deutschen ordre public? AG 2004, S. 57 (60 f.). 189 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 111. 190 Hierzu etwa die Ausführungen von Opalski, Rada nadzorcza, S. 104 ff. 191 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 112 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 423; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 355; ebenso Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 192 Näher hierzu für Deutschland Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 46 ff.; für Polen Opalski, Rada nadzorcza, S. 50 ff. 193 Näher hierzu oben Kapitel 6, A.I. 194 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 78.

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wachungsfunktion nicht mehr effektiv wahrnehmen könne.195 Kritisiert wird dabei vor allem die gesetzlich vorgeschriebene Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats mit oftmals zwanzig Mitgliedern, die eine effiziente Kontrolle erschwere.196 Die Aufsichtsräte seien zu groß, die Verfahren zeitaufwendig und bürokratisch und die Entscheidungsprozesse daher verzögert.197 Zwar sind polnische Aufsichtsräte weder aufgrund gesetzlicher Vorschriften noch in der Praxis so groß wie die deutschen198, doch sehen polnische Autoren gerade mit (rechtsvergleichendem) Blick auf mitbestimmte deutsche Aufsichtsräte in der Größe eine Gefahr für die Handlungsfähigkeit von Aufsichtsräten.199 Deutsche Aufsichtsräte werden als überlaufene, wenig operative und zudem innerlich zerstrittene Gremien wahrgenommen, die oft nicht imstande seien, ihre grundlegenden Funktionen wahrzunehmen.200 Die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat wird angesichts der immer größer werdenden Konkurrenz und daraus folgenden Notwendigkeit zügiger Entscheidungsprozesse als eine Beschwernis angesehen, die den Bedürfnissen von Gesellschaften in der heutigen Zeit nicht entspräche.201 2. Aufsichtsrat als Forum der Interessenvertretung Kritisiert wird von der deutschen Literatur auch die von den Mitbestimmungsgesetzen bezweckte Interessenpluralität im Aufsichtsrat.202 Zum einen führe dies dazu, dass sich der Aufsichtsrat übermäßig mit personal- und sozialpolitischen Angelegenheiten, etwa der Personalentwicklungs- und Beschäftigungspolitik des Unternehmens, befassen müsse.203 Zum anderen sei dies mit ein Grund für das oft zu beobachtende Phänomen getrennter Vorbesprechungen und fehlender Auseinandersetzungen im Aufsichtsratsplenum.204 195

Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 73. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 197 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 8 f.; vgl. auch Wißmann, in: Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 62 m.w. N. 198 Vgl. hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.a)bb). In einer Studie von Majer, in der über 60 kommerzialisierte Gesellschaften untersucht wurden, lag die Größe der Aufsichtsräte in den meisten untersuchten Gesellschaften bei 6 bis 7 Mitgliedern, hierzu Majer, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 67 (68 f.); vgl. auch Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 HGG Rn. 3, der darauf hinweist, dass polnische Aufsichtsräte eher zu klein als zu groß sind. 199 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 112; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421. 200 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421. 201 Opalski, Rada nadzorcza, S. 111. 202 So Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 203 Ebenda. 204 Ebenda. 196

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Bereits der Biedenkopf-Bericht hatte sowohl Vorbesprechungen unter den Arbeitnehmervertretern als auch Vorbesprechungen zwischen den Arbeitnehmervertretern und dem Vorstand festgestellt.205 Von den damals Befragten wurden diese Vorbesprechungen positiv bewertet, da sie eine Klärung offener Fragen im Vorfeld der Aufsichtsratssitzungen, dadurch eine bessere Vorbereitung derselben und zudem eine bessere Information der Arbeitnehmervertreter ermöglichten, die ansonsten „nicht genügend sachkundig seien, um ad hoc die ganze Tragweite einer Aufsichtsratsvorlage zu übersehen“.206 Auf der anderen Seite zeigte sich, dass die im Vorfeld erlangte Zustimmung der Arbeitnehmervertreter zu den Vorhaben des Vorstands im paritätisch besetzten Aufsichtsrat regelmäßig die Zustimmung des gesamten Aufsichtsrats implizierte, noch bevor der Aufsichtsrat als Gesamtgremium über die Angelegenheit debattiert hatte.207 Nach Ansicht der BiedenkopfKommission war dies mitunter der Grund dafür, dass kontroverse Auseinandersetzungen im Aufsichtsrat letztlich unterblieben, womit auch die Position des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat gestärkt worden sei.208 Im Aufsichtsratsplenum traten die Arbeitnehmervertreter als „geschlossene Gruppe“ auf, sodass die Anteilseignervertreter weder von gruppeninternen Meinungsverschiedenheiten noch einzelnen kritischen Gesichtspunkten Kenntnis erlangten.209 Nicht ausgeschlossen wurde ferner, dass die Vorbesprechungen mit den Arbeitnehmervertretern als „eine Art Filter unternehmerischer Initiativen“ fungierten und daher von der Arbeitnehmerseite abgelehnte Vorhaben erst gar nicht vom Vorstand angestoßen wurden.210 Die Biedenkopf-Kommission hatte die Vorbesprechungen und Fraktionsbildung im Aufsichtsrat noch gespalten beurteilt211, dagegen wird die fehlende Diskussion im Aufsichtsrat heute sehr kritisch gesehen212. Zudem wird auf die Gefahr sog. „Koppelungsgeschäfte“ hingewiesen.213 Dabei wird die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu bestimmten unternehmenspolitischen Entscheidungen daran gebunden, dass im Gegenzug ein Entgegenkommen des Vorstands bei anderen, mit dem konkreten Vorhaben nicht unmittelbar verbundenen Angelegenheiten – etwa bei einer Frage der betrieb-

205

Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 36. Ebenda. 207 Ebenda. 208 Ebenda. 209 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 36 f. 210 Ebenda. 211 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 38. 212 Vgl. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 53; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 213 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 5; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 54; vgl. hierzu auch die Beispiele bei Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmensund Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (36). 206

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lichen Mitbestimmung214 – erfolgt.215 Derartigen Koppelungsgeschäften sind vor allem die Gewerkschaften nicht abgeneigt.216 Darüber hinaus steht im Zusammenhang mit der Interessenpluralität im Aufsichtsrat gleichsam auch die Gefahr der Interessenkollision.217 Diese ist vor allem im Hinblick auf Spannungsverhältnis zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerinteressen sowie aufgrund personeller Verflechtungen der Arbeitnehmervertreter bei gleichzeitiger Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats und einer Funktion im Betriebsrat oder einer Gewerkschaft denkbar.218 So wird vertreten, dass „moderne Corporate Governance“ daher auch eine Trennung der betrieblichen Mitbestimmung und der Unternehmensmitbestimmung in personeller Hinsicht verlange.219 Auch in Polen ist die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gängige Praxis.220 Beobachtet wurde, dass Arbeitnehmervertreter oft Erwartungen und Ansichten der Belegschaft und/oder der Gewerkschaften an den Aufsichtsrat vermittelten.221 Teilweise wurden Angelegenheiten der Belegschaft oder der Gewerkschaften durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sogar „forciert“.222 Nicht selten nahmen die Aufsichtsratsräte auch die Rolle eines Mediators zwischen dem Vorstand und den Arbeitnehmern bzw. Gewerkschaften ein, teilweise fanden sogar Treffen zwischen dem Aufsichtsrat und der Arbeitnehmerseite statt, in denen die Situation und Perspektiven der Gesellschaft besprochen und Konflikte zwischen dem Management und der Belegschaft zu lösen versucht wurden.223 Im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen den primären Handlungsmaßstab der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat darstellte, zeichnete sich in manchen empirischen Untersuchungen ein uneinheitliches Bild ab. So wurde in einer Umfrage von Ogrodowczyk die Inte-

214

BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 5. BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 5; Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 40; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 54. 216 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 54. Vgl. hierzu das Positionspapier der Hans-Böckler-Stiftung „Verhandeln im Paket“, Mitbestimmung 3/2005, S. 64 ff. 217 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 218 Vgl. auch Löwisch, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Koordination oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 19 (21). 219 So Löwisch, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Koordination oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 19 (21). 220 Vgl. Haus, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 18 (25); Ogrodowczyk, in: Kozek/ Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (169); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 108 ff. 221 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (169). 222 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (166). 223 Haus, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 18 (25). 215

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ressenvertretung in einigen Unternehmen als die vorrangige Funktion der Arbeitnehmervertreter definiert, in anderen Unternehmen stand dagegen die Vermittlung von Informationen über das Unternehmen und das Betriebsklima im Vordergrund.224 Auch Untersuchungen des IPiSS aus dem Jahre 2001 zeigten im Hinblick auf die Ziele der Arbeitnehmervertreter unterschiedliche Auffassungen – manche Arbeitnehmervertreter verfolgten kurzfristige Arbeitnehmerinteressen, andere versuchten sich hiervon zu distanzieren und langfristige Unternehmensziele in den Fokus zu stellen, wiederum andere suchten nach einem Kompromiss zwischen den Arbeitnehmerinteressen und den langfristigen Unternehmenszielen.225 Die Studie des IPiSS im Jahr 2003226 ergab wiederum, dass in der Mehrheit der untersuchten Unternehmen die Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch die Wahrnehmung von kurzfristigen Arbeitnehmerinteressen motiviert war.227 Dies galt nur für diejenigen Unternehmen nicht, in denen die gewählten Arbeitnehmervertreter Führungskräfte aus dem oberen Management waren, die sich mit der Position und den Ansichten der Anteilseignervertreter vollständig identifizierten und daher auch bei ihrer Aufsichtsratsfunktion an den langfristigen Zielen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Unternehmens orientierten. Entsprechend fanden die in diesen Unternehmen befragten Gewerkschaften daher auch, dass die Belegschaften keinen wirklichen Repräsentanten im Aufsichtsrat hatten. Gleichwohl ließ sich beobachten, dass sich die Einstellung der Arbeitnehmervertreter mit der Zeit wandelte. Stand anfangs die Realisierung von kurzfristigen Arbeitnehmerbelangen im Fokus, so wurden mit der Zeit die langfristigen Unternehmensziele immer wichtiger.228 Zu einer sehr ähnlichen Erkenntnis führten die Untersuchungen von Rudolf in den Jahren 1995–1996.229 Nach eigener Aussage von Arbeitnehmervertretern hätten sie erkannt, dass die langfristigen Unternehmensziele nur auf den ersten Blick im Gegensatz zu den kurzfristigen Arbeitnehmerbelangen stünden, da die Erhaltung der Arbeitsplätze eng mit der wirtschaftlichen Verfassung des Unternehmens und seiner Entwick-

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Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (166). Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 64 ff. 226 Dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 108 ff. Die folgenden Ausführungen geben die dortigen Beobachtungen wieder. 227 In der Regel bezogen sich die kurzfristigen Arbeitnehmerinteressen auf die Einhaltung eines vereinbarten Sozialpakets mit dem Investor (sofern ein solches abgeschlossen wurde) bzw. die Unterzeichnung eines solchen, Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 108. 228 Diese Beobachtung wurde auch von den während der Untersuchung befragten Vorständen bestätigt, die selbst betonten, dass bei den Arbeitnehmervertretern eine – mehr oder weniger schnelle bzw. intensive – Entwicklung zugunsten der langfristigen Unternehmensinteressen zu beobachten war, Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109. 229 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (183 f.). 225

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lung zusammenhinge.230 Die Arbeitnehmerinteressen wurden so letztlich mit einem gut funktionierenden und zukunftssicheren Unternehmen in Zusammenhang gebracht.231 Insgesamt wird aus den Beobachtungen geschlossen, dass sich die Mehrzahl der Arbeitnehmervertreter bemühte, einen Kompromiss zwischen der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen und der langfristigen Entwicklung des Unternehmens zu finden.232 Wratny schlussfolgert, dass das Ziel der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor allem darin bestanden habe, eine andere Sichtweise als die der Anteilseignervertreter aufzuzeigen – dies hauptsächlich bei Entscheidungen, die sich auf die Beschäftigungslage ausgewirkt hätten.233 Andere polnische Autoren beurteilen die Interessenvertretung im Aufsichtsrat dagegen äußerst kritisch. So wird den Arbeitnehmervertretern vorgeworfen, die Arbeitnehmerinteressen sowohl über die Interessen der Aktionäre als auch über die Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu stellen und den Aufsichtsrat zu einem „Instrument des Klassenkampfes und parteilicher Auseinandersetzungen“ zu missbrauchen.234 Hingewiesen wird auf die Gefahr, dass „opportunistisches“ Handeln der Arbeitnehmervertreter den Aufsichtsrat schwäche und in seiner Stabilität beeinträchtige.235 Erfahrungen hätten gezeigt, dass die Arbeitnehmervertreter in erster Linie auf die Wahrnehmung der Interessen ihrer Wähler bedacht seien und dabei nicht nur „taktische Bündnisse“ mit den Vorständen eingehen, sondern auch offensichtlich entgegen den Interessen der Aktionäre handeln könnten.236 Als problematisch wird insbesondere die enge Verknüpfung der Arbeitnehmervertreter mit den Gewerkschaften eingestuft.237 Es sei erwiesen, dass die Unternehmens- und Arbeitnehmerseite kaum gemeinsame Interessen verfolgten, vielmehr würde die offene „Manifestation“ der von den Interessen der Aktionäre abweichenden Interessen der Arbeitnehmer die Zusammenarbeit zwischen den 230 So die Aussage eines Arbeitnehmervertreters in einem vom IPiSS durchgeführten Interview, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109. 231 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109. 232 Vgl. Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (183 f.).; Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109. 233 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109. 234 So Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www. andrzejnartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Nartowski wurde als Experte zu den Arbeiten an den Guten Praktiken GPW 2016 herangezogen und ist Autor des Handbuchs zu den Guten Praktiken GPW 2016. 235 Opalski, Rada nadzorcza, S. 112. 236 Opalski, Rada nadzorcza, S. 248. 237 So etwa Nartowski, Niebezpieczne zwia˛zki, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 3. Juni 2011, im Internet abrufbar unter http://www.andrzej nartowski.pl/niebezpieczne-zwiazki/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

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Sozialpartnern erschweren und gegenseitiges Vertrauen zerstören.238 In einigen polnischen Unternehmen – sowohl börsennotierten als auch solchen, die einen Börsengang planten – sei sogar zu beobachten, dass die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften nicht nur gegensätzliche Interessen vertraten, sondern gar eine feindliche Einstellung gegenüber der Gesellschaft und ihren Aktionären offen zutage trugen.239 Eine solche Einstellung sei mit dem Amt des Aufsichtsrats unvereinbar.240 Zwar wird von einigen Autoren diplomatisch betont, dass die Interessenvertretung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat durchaus positive Effekte haben könne, etwa im Hinblick auf Konflikte im Unternehmen, die Streikbereitschaft und die Akzeptanz von beabsichtigten Restrukturierungsmaßnahmen und der Realisierung von Unternehmensstrategien, sowie dass sie zu einer Förderung des sozialen Dialogs beitragen könne.241 Gleichwohl überwiegt in der polnischen Literatur mittlerweile242 wohl die Ansicht, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat seine Effektivität beeinträchtige und daher letztlich nicht im Unternehmensinteresse liege.243 Die Arbeitnehmervertretung führe zu einer „Pluralisierung des Aufsichtsrats“ und seiner „Destabilisierung“, was die effektive Tätigkeit des Aufsichtsrats insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung seiner Kernaufgaben – die Überwachung der Geschäftsführung und Mitwirkung an der strategischen Unternehmensleitung – erheblich beinträchtige.244 Negative Auswirkungen habe insbesondere die Spaltung des Aufsichtsrats in Fraktionen, die mehr mit den von ihnen vertretenen Interessengruppen als mit den Interessen des Unternehmens als Ganzem verbunden seien, zudem sei eine „Marginalisierung des Aufsichtsrats“ durch den Vorstand, der Informationen an den Aufsichtsrat nur weigerlich preisgäbe, sowie den Mehrheitsaktionär, der an einer satzungsmäßigen Erweiterung der Kompetenzen des Aufsichtsrats wenig Interesse habe, zu befürchten.245 Auch das Problem der mit der Interessenvertretung einhergehenden Interessenkonflikte der Arbeitnehmervertreter wird in der polnischen Literatur beleuchtet.

238 Nartowski, Niebezpieczne zwia˛zki, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 3. Juni 2011, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnar towski.pl/niebezpieczne-zwiazki/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 239 Nartowski, a. a. O. 240 Nartowski, a. a. O. 241 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 420. 242 In der Literatur aus den 1990er hingegen wurde die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsformen als Partizipationsform grundsätzlich von der Literatur befürwortet, vgl. etwa Haus, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 18 (25); näher hierzu unten Kapitel 7, B.II.1. 243 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 420 f. 244 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421. 245 Ebenda.

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So etwa weist Wratny246 unter Auswertung der Untersuchungen des IPiSS darauf hin, dass die Arbeitnehmervertreter oftmals „zwischen den Stühlen“ gesessen hätten – auf der einen Seite mussten sie die geltenden Grundsätze für die Aufsichtsratstätigkeit einhalten und ihre Loyalitätspflicht gegenüber dem Unternehmen erfüllen, auf der anderen Seite wollten sie den Erwartungen der Gewerkschaften und der Belegschaften, von denen sie gewählt und wieder abberufen werden konnten, gerecht werden.247 Auch konnte eine gewisse Frustration unter den Arbeitnehmervertretern verspürt werden, die daraus resultiert hätte, dass die Intentionen der Arbeitnehmervertreter und die ihnen eingeräumten Handlungsmöglichkeiten im Aufsichtsrat auseinanderfielen. Die interviewten Gewerkschaften betrachteten die Arbeitnehmervertreter dagegen regelmäßig als „ihren verlängerten Arm“ und ein Instrument, welches ihnen Einflussmöglichkeiten im Unternehmen eröffnete. Die Diskrepanz zwischen der Erwartungshaltung der Gewerkschaften und den fehlenden Möglichkeiten, teilweise auch der fehlenden Bereitschaft der Arbeitnehmervertreter, diese Rolle zu erfüllen, führte zu Spannungen zwischen den Arbeitnehmervertretern und den Gewerkschaften, die die Arbeitnehmervertreter des „Opportunismus, der Unterordnung unter den Arbeitgeber sowie der Abspaltung von der Belegschaft“ beschuldigten.248 Nartowski249 hingegen weist darauf hin, dass gerade im Fall von Gewerkschaftsvertretern, die als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden, die vorhandenen Interessenkonflikte nicht selten zu einer Verbreitung von vertraulichen Informationen in Arbeitnehmer- und Gewerkschaftskreisen führten. Oft geschehe dies sogar absichtlich, um auf die Unternehmensleitung Druck ausüben zu können, etwa in Bezug auf Vergütungsfragen. So komme es vor, dass Gewerkschaftsvertreter die im Aufsichtsrat erlangten sensiblen Informationen am Ende gegen den Arbeitgeber verwenden würden. Anschaulich wurde dies im Fall der KGHM Polska Miedz´ S. A., in welchem die Hauptversammlung – zum Großteil bestehend aus dem Fiskus – die Bestellung der gewählten Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat unter Berufung auf die Verletzung von Verschwiegen246 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 108 f. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den dort dargestellten Erkenntnissen. 247 Ein Arbeitnehmervertreter äußerte im Interview hierzu: „Unsere Rolle im Aufsichtsrat ist sehr schwierig, da die Arbeitnehmer erwarten, dass wir uns mit jenen Angelegenheiten der Arbeitnehmer beschäftigen werden, aber wir haben hierfür keinerlei rechtliche Berechtigung [. . .] Die Erwartungen der Arbeitnehmer und unsere Möglichkeiten im Aufsichtsrat fallen auseinander“, Übersetzung d. Verf., vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109. 248 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 109 („obwiniały ich o oportunizm, uleganie pracodawcy i odrywanie sie˛ od załogi“). 249 Nartowski, Zwia˛zkowiec w konflikcie interesów, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 16. Oktober 2015, im Internet abrufbar unter http://www. andrzejnartowski.pl/tag/konflikt-interesow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die folgenden Ausführungen geben die dortigen Ansichten wieder.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

heitspflichten, die Priorisierung von Arbeitnehmerinteressen über das Unternehmensinteresse, die Aktionärsinteressen und die Marktgegebenheiten, sowie die Angriffshaltung der Gewerkschaftsvertreter während arbeitnehmerseitiger Demonstrationen verweigerte.250 Während Nartowski251 die Beteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat nicht generell ablehnt und darin einen möglichen Nutzen für die Gesellschaft als denkbar erachtet, so gibt es seiner Ansicht nach jedoch keine Argumente, die für die Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat sprächen. Er begrüßte daher auch eine von der PKP Cargo S. A. aufgenommene Klausel in der Satzung, wonach es Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats untersagt wurde, gleichzeitig eine Funktion in der Betriebsgewerkschaft, einer überbetrieblichen Gewerkschaft sowie einer landesweiten Gewerkschaftsorganisation, Föderation oder Konföderation wahrzunehmen. Das Verbot gleichzeitiger Amtsausübung im Aufsichtsrat und den genannten Gewerkschaftsorganisationen beseitige bestehende und verhindere die Entstehung neuer Interessenkonflikte. Nartowski weist jedoch darauf hin, dass die Arbeitnehmerbeteiligung in der PKP Cargo S. A. auf dem KommerzG-PKP252 fuße, die die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen – anders als das KommerzG – der Satzung der Gesellschaft überließ (vgl. Art. 4 Abs. 4 KommerzG-PKP) und deutet an, dass auf Grundlage des KommerzG eine derartige generelle Ausgrenzung von Gewerkschaftsvertretern durch Satzungsbestimmung nicht zulässig wäre.253 250 Hierzu Nartowski, Szlaban dla zwia˛zkowych baronów, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 29. November 2012, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/szlaban-dla-zwiazkowych-baronow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Der Streit zwischen den Gewerkschaftsvertretern und dem Staat als Mehrheitsaktionär mündete in den Urteilen des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 sowie vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Zu der Frage der Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses zur Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer im Fall des Art. 14 KommerzG ausführlich oben Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 251 Nartowski, Zwia˛zkowiec w konflikcie interesów, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 16. Oktober 2015, im Internet abrufbar unter http://www. andrzejnartowski.pl/tag/konflikt-interesow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die folgenden Ausführungen geben die in diesem Beitrag gemachten Äußerungen wieder. 252 Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948; hierzu oben in Kapitel 3, A.I.2.a), Kapitel 3, B.II.2. und Kapitel 3, C.II.2. b)bb)(2). 253 Es dürfte in der Tat davon auszugehen sein, dass die Aufstellung weiterer positiver oder negativer Voraussetzungen für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer (so auch der völlige Ausschluss bestimmter Personengruppen) durch die Satzung – d.h. eine Entscheidung der Aktionäre – das Recht der Arbeitnehmer, ihre Vertreter nach eigenem Belieben auswählen zu können, in unzulässiger Weise beschneiden würde. Zu dieser Frage ausführlicher oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(6).

B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System

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3. Mangelnde Professionalität und Fachkompetenz Vor dem Hintergrund der Forderungen nach einer erhöhten Professionalität der Aufsichtsräte wird in der deutschen Literatur teilweise die Eignung von Arbeitnehmervertretern für das Amt des Aufsichtsrats grundsätzlich in Zweifel gezogen.254 Einige empirische Untersuchungen in Polen zeigten dagegen, dass die Arbeitnehmervertreter in polnischen Aufsichtsräten oftmals über hohe Qualifikationen verfügten – meistens hatten sie eine technische Berufsausbildung oder sogar eine technische Hochschulausbildung – und im Unternehmen eine führende Position einnahmen.255 Auch wurden dieselben Arbeitnehmervertreter in der Regel nach Ablauf der Amtsperiode wiedergewählt, was Wratny auf eine gewisse Professionalität dieser Gruppe schließen lässt.256 Ob diese positiven Erkenntnisse auf die gemäß Art. 12 Abs. 2 KommerzG a. F. verpflichtende Eignungsprüfung oder aber auf andere Umstände zurückzuführen sind, kann nur schwer eingeschätzt werden. Wratny257 erklärt die hohen Qualifikationen der Arbeitnehmervertreter mit der Notwendigkeit, dass die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten von Unternehmen, die den Spielregeln der Privatwirtschaft unterworfenen waren, sowohl in intellektueller als auch fachlicher Hinsicht den Anteilseignervertretern gleichkommen oder diese sogar übertreffen können mussten – was die Belegschaften auch verstanden hätten. Andere Autoren hingegen sprechen den Arbeitnehmervertretern, bei denen es sich meist um ranghohe Gewerkschaftsfunktionäre handelt, die erforderliche Professionalität und das notwendige tiefgründige Wissen in Bezug auf Marktmechanismen, Finanzberichterstattung und Compliance ab.258 Die meisten Arbeitnehmervertreter besaßen zwar eine höhere, allerdings überwiegend technische Ausbildung, während für die Tätigkeit im Aufsichtsrat eine wirtschaftliche oder juristische Ausbildung erforderlich sei.259 So fehlten den Arbeitnehmervertretern

254 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 63; so etwa die Kritik bei Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 192 ff., 283; Loritz, Qualität der Aufsichtsratsarbeit, ZfA 2009, S. 477 (511); v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, S. 166 (170). 255 So die Ergebnisse der Unterschungen von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (162, 164) sowie von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (183) und Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 103 f. Hierzu auch schon oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 256 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 104. 257 Ebenda. 258 So Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www. andrzejnartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 259 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (183).

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

oft die nötigen wirtschaftlichen Kenntnisse.260 Auch in einer Untersuchung von Ogrodowczyk261 zeigte sich, dass die Arbeitnehmervertreter nach Ansicht der Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden in sachlicher und inhaltlicher Hinsicht schlechter auf die Aufsichtsratssitzungen vorbereitet waren als die übrigen Aufsichtsratsmitglieder. Einen Wissensvorsprung hätten die Arbeitnehmervertreter aber in Bezug auf den Betrieb, in dem sie mehrere Jahre gearbeitet hätten und den sie „in- und auswendig“ kannten. Der polnische Gesetzgeber wollte die Professionalität der Aufsichtsräte anscheinend dadurch sicherstellen, dass er in Art. 12 Abs. 2 KommerzG a. F. das Erfordernis einer Eignungsprüfung für Aufsichtsratsmitglieder in das KommerzG aufgenommen hatte.262 Die Vorgabe galt gleichermaßen für Anteilseigner- wie auch Arbeitnehmervertreter. Mit Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 wurde Art. 12 Abs. 2 KommerzG a. F. jedoch aus dem KommerzG gestrichen263 und stattdessen Vorgaben zur Eignung und Eignungsprüfung von Aufsichtsratsmitgliedern im StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016 aufgenommen (vgl. Art. 19 ff. StaatsVermVerwG). Mit Änderungsgesetz vom 1. März 2018 ergänzte der polnische Gesetzgeber Art. 19 Abs. 2 StaatsVermVerwG dahingehend, dass die von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder nicht die in Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 StaatsVermVerwG genannten Qualifikationsanforderungen erfüllen und eine positive Bewertung des „Rates für Angelegenheiten der Gesellschaften mit Beteiligung des Staates oder staatlicher Rechtspersonen“ 264 i. S. d. Art. 24 Pkt. 1 StaatsVermVerwG vorweisen müssen.265 Die Qualifikationsanforderungen gelten nunmehr ausdrücklich nur noch für die von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner, die vom Staat oder der staatlichen Rechtsperson vorgeschlagen werden266, jedoch nicht mehr für die von 260 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116. 261 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (169). 262 Näher hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 263 Vgl. Art. 14 Pkt. 13 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 264 „Rada do spraw spółek z udziałem Skarbu Pan ´stwa i pan´stwowych osób prawnych“. Übersetzung d. Verf. 265 Zu Frage der Anwendbarkeit des Art. 19 StaatsVermVerwG auf die Arbeitnehmervertreter oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). 266 Aus dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 6 StaatsVermVerwG ließe sich gleichwohl auch herleiten, dass auch alle sonstigen Aufsichtsratsmitglieder, die von privaten Investoren vorgeschlagen oder ggf. nach Maßgabe des Gruppenwahlverfahrens nach Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG gewählt werden, die in Art. 19 Abs. 1 StaatsVermVerwG genannten Voraussetzungen erfüllen müssen. Dies erscheint allerdings angesichts der Zielsetzung des StaatsVermVerwG, Grundsätze für die Ausübung der Rechte des Staates festzulegen, zweifelhaft und war so wohl auch nicht vom Gesetzgeber gewollt, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 16 ff.; vgl. auch Gesetzesentwurfsbegründung des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks.

B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System

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den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder.267 Inwieweit dies mit dem erklärten Ziel des Gesetzgebers, in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung eine Verbesserung der Corporate Governance unter anderem im Hinblick auf die Besetzung der Unternehmensorgane herbeizuführen268, einhergeht, mag an dieser Stelle kritisch hinterfragt werden. 4. Eingeschränkte Information und Marginalisierung des Aufsichtsrats durch den Vorstand Die durch die Mitbestimmung beeinträchtigte Kontrollfunktion gegenüber der Geschäftsführung wird überdies auf die in der Unternehmenspraxis oftmals anzutreffende eingeschränkte Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand und schmalspurige Verfassung des Katalogs der zustimmungspflichtigen Geschäfte zurückgeführt.269 Zu beobachten sei, dass die Vorstände aus Angst vor einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht durch die Arbeitnehmervertreter Informationen an den Aufsichtsrat nur unzureichend oder zeitlich verzögert preisgäben.270 Arbeitnehmerseitig wird diesbezüglich beklagt, dass die Vorstände in der Verschwiegenheitspflicht „ein willkommenes Mittel“ sähen, „um die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu isolieren und ihnen Informationen vorzuenthalten.“ 271 Darüber hinaus wurde in der Praxis seit 1976 beobachtet, dass die in den Satzungen mitbestimmter Unternehmen festgelegten Kataloge zustimmungspflichtiger Geschäfte zunehmend eingeschränkt worden sind.272 Die Befürchtungen vor einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Arbeitnehmervertreter sind auch unter polnischen Autoren weit verbreitet. Kritiker weisen darauf hin, dass Arbeitnehmervertreter viel zu oft die Vertraulichkeit brechen und Informationen aus den Aufsichtsratssitzungen – so auch Beschlussvorlagen und vertrauliche Finanzdaten – sowie interne Diskussionen etwa Nr. 2235 vom 21. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 3, die ausdrücklich nur von den Kandidaten des Staates oder der staatlichen Rechtsperson und den Arbeitnehmervertretern spricht. 267 Näher hierzu oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(4). 268 So die Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, SejmDrucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 2 f. 269 So Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71. 270 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 55; in diese Richtung auch Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71; zu den Erkenntnissen einer empirischen Untersuchung in Bezug auf die Informationsversorgung des Aufsichtsrats Ruhwedel/Epstein, Eine empirische Analyse der Strukturen und Prozesse in den Aufsichtsräten deutscher Aktiengesellschaften, BB 2003, S. 161 (163 f.). 271 So noch vor Kurzem auf https://www.boeckler.de/5543_33350.htm, Streitpunkt Betriebsgeheimnis, zuletzt aufgerufen am 8. November 2019 (aktuell nicht mehr abrufbar). 272 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 71.

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Kap. 6: Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance

in Bezug auf Dividendenzahlungen, die Vorstandsbesetzung und -vergütung, nach außen tragen würden.273 So etwa hatte im Fall der KGHM Polska Miedz´ S. A. die Hauptversammlung die Bestellung von gewählten Gewerkschaftsvertretern ins Aufsichtsratsamt unter anderem aufgrund der gerügten Verletzung von Verschwiegenheitspflichten verweigert.274 Auf der anderen Seite wird darauf hingewiesen, dass Vorstände Aufsichtsratsmitgliedern oftmals Informationen über das Unternehmen unter Berufung auf die Gefahr einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht – teilweise zu Recht – vorenthielten, was unter anderem zu einer „Marginalisierung des Aufsichtsrats“ beitrage.275

C. Zusammenfassung Das Thema Corporate Governance hat sowohl in Deutschland als auch in Polen in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Beiden Ländern ist gemein, dass sie Ausprägungen des Systems der internen Kontrolle (sog. „insider control system“ bzw. „insider“-System) mit einem starken Fokus auf die rechtlich-institutionellen Corporate-Governance-Mechanismen darstellen. In diesem Zusammenhang ist die Rolle des Aufsichtsrats als dem wohl wichtigsten rechtlich-institutionellen Corporate-Governance-Mechanismus von maßgeblicher Bedeutung. Die Sicherstellung einer effektiven Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats ist in Deutschland wie auch in Polen eines der Kernelemente des Corporate-Governance-Systems. Vor diesem Hintergrund hat die Diskussion um die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat eine enorme Tragweite. Unterschiede zwischen der deutschen und polnischen Sichtweise auf die Thematik der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen manifestieren sich an mehreren Stellen. Zum einen tendiert die Rechtsprechung und die wohl überwiegende Ansicht in der polnischen Rechtswissenschaft im Rahmen der Definition des Unternehmensinteresses deutlich zu einem weitaus stärker „shareholder value“-basierten Ansatz als dies in Deutschland der Fall ist, wo nach wie vor ein interessenpluralistischer „stakeholder value“-basierter Ansatz vorherrscht. Auch der Unabhängigkeitsbegriff in 273 So Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www.andrzej nartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 274 Vgl. hierzu Nartowski, Szlaban dla zwia˛zkowych baronów, Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 29. November 2012, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/szlaban-dla-zwiazkowych-baronow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Der Streit zwischen den Gewerkschaftsvertretern und dem Staat als Mehrheitsaktionär mündete in den Urteilen des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 275 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421.

C. Zusammenfassung

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den polnischen Guten Praktiken GPW 2016 ist hinsichtlich der Arbeitnehmervertreter insoweit eindeutig, als die Unabhängigkeit von in den Aufsichtsrat gewählten Arbeitnehmern darin ausdrücklich verneint wird. Dagegen war die Frage der Unabhängigkeit von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat aufgrund der bis vor Kurzem noch geltenden Fassung des DCGK vom 7. Februar 2017 noch zweifelhaft und umstritten gewesen. Der neue DCGK 2020 blendet diese Problematik indes aus und bezieht die Anforderungen an die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern ausschließlich nur auf die Anteilseignervertreter. Sowohl in Deutschland als auch in Polen fehlt es nicht an Kritik, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dessen effektive Überwachungstätigkeit beeinträchtige. Auch wenn entsprechende Beobachtungen naturgemäß auch durch den jeweils vertretenen Standpunkt des Beobachters eingefärbt sind und sich eine tatsächliche Beeinträchtigung der Aufsichtsratsarbeit nur schwer empirisch nachweisen lässt, lassen sich genügend Ansatzpunkte in der Praxis finden, die auf Dysfunktionalitäten und Erschwernisse der Aufsichtsratsarbeit hindeuten. Das Ziel der Corporate-Governance-Mechanismen sollte indes sein, den Rahmen für eine auf die Mehrzahl der betroffenen Unternehmen passende, den Anforderungen der heutigen Zeit entsprechende Unternehmensführung und -kontrolle zu schaffen und möglichen Friktionen im Zusammenhang mit der Unternehmensführung und -überwachung von vornherein den Boden zu entziehen.

Kapitel 7

Zukunft der Unternehmensmitbestimmung? Als das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1979 über das MitbestG zu urteilen hatte, wies es unter anderem auf die Ungewissheit hin, welche Auswirkungen das MitbestG in der Zukunft haben würde.1 Entscheidende Bedeutung hätten dabei die in den einzelnen Unternehmen bestehenden „Bedingungen für eine Kooperation“, die das MitbestG jedoch „nur institutionell ermöglichen und anregen, nicht aber herstellen“ könne.2 Das Bundesverfassungsgericht hob hervor, dass sich die Folgen der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung anders gestalten würden, wenn „auf beiden Seiten die Bereitschaft zu loyaler Zusammenarbeit“ bestehe, „als wenn die Atmosphäre im Unternehmen von gegenseitigem Mißtrauen oder gar Feindschaft beherrscht ist“.3 Auch außerhalb des Unternehmens liegende Umstände, namentlich die „Bereitschaft [. . .], die Mitbestimmung in ihrer derzeitigen Gestalt im Interesse der Unternehmen und der ganzen Volkswirtschaft zu bejahen“ wie auch im Allgemeinen gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, erachtete das Bundesverfassungsgericht als maßgebliche Faktoren für die mit dem MitbestG einhergehenden Folgen.4 Wie sich die Mitbestimmungsgesetze in der Praxis auswirkten, war sowohl in Deutschland als auch in Polen Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen.5 Die Schwierigkeit einer Beurteilung liegt auf der Hand, betrifft die Mitbestimmung schließlich „einen Ausschnitt komplexer, schwer übersehbarer Zusammenhänge“ 6.7 Naturgemäß leiden die Untersuchungen daneben aber auch an 1 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/ 78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 108. 2 Ebenda. 3 Ebenda. 4 Ebenda. 5 Vgl. zu Deutschland Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 64 m.w. N.; zu Polen die Untersuchungen des IPiSS in den Jahren 2001 und 2003, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 56 ff. sowie Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 75 ff. ferner die Untersuchungen von Ogrodowczyk in den Jahren 1995–1996, Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (160 ff.) und von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182 ff.). 6 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/ 78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 112. 7 Vgl. auch Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 64 m.w. N.

A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland

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subjektiven Vorurteilen.8 Dennoch bringen die vorgenommenen Studien zahlreiche Erkenntnisse für die Mitbestimmung hervor, sowohl hinsichtlich der praktischen Auswirkungen der Mitbestimmung auf die Arbeit der Aufsichtsräte als auch in Bezug auf die Unternehmen insgesamt. Die deutsche Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen hat eine lange Geschichte. Mit der erstmaligen gesetzlichen Verankerung im BRG 1920 reicht sie zurück bis in die Weimarer Zeit. Das prominenteste und kontroverseste aller Mitbestimmungsgesetze, das MitbestG, feierte im Jahr 2016 bereits sein 40-jähriges Jubiläum. Seit jeher war die Mitbestimmung auf Organebene umstritten. Zwar schien nach dem Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts Ruhe in die Diskussion eingekehrt zu sein.9 Sowohl die Politik als auch die Gewerkschafts- und Unternehmensvertreter schienen sogar übereinstimmend zu vertreten, dass sich die deutsche Mitbestimmung „bewährt“ habe.10 Doch wird das Thema seit Ende der 1990er nun erneut, diesmal unter anderen Aspekten, in Frage gestellt. Im Vergleich zu Deutschland ist die Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene in Polen ein relativ neues Instrument. Doch auch das KommerzG schaut mittlerweile schon auf mehr als 20 Jahre seines Bestehens zurück. Die in der Zwischenzeit eingetretenen tatsächlichen und gesetzgeberischen Entwicklungen, so vor allem die unter europäischem Einfluss hervorgegangene Vielzahl an neuen Gesetzen und Partizipationsformen, lassen jedoch auch in Polen Zweifel an dem Instrument der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene aufkommen. Experten schätzen die Zukunft der Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten und Vorständen polnischer Unternehmen daher als ungewiss ein.11

A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland Nach Erlass des MitbestG und dem Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1979 war die rechtspolitische Diskussion um die deutsche Mitbestimmung im Wesentlichen beendet, wenn auch der DGB noch einige Vor-

8 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 64. 9 Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (330) („Dornröschenschlaf“); Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (338). 10 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 66; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 61 m.w. N.; näher etwa Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 55 ff. 11 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

stöße zum Ausbau der Mitbestimmung wagte.12 Die Frage nach einer Reform der Unternehmensmitbestimmung war sodann lange Zeit ein Tabu, wozu scheinbar in Anbetracht der offensichtlich divergierenden Interessen der Arbeitnehmer- und Unternehmensseite auch die Angst vor kaum abschätzbaren rechtspolitischen Diskussionen beigetragen hatte.13 Erst Ende der 1990er Jahre kam vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf europäischer Ebene und einer zunehmenden Globalisierung eine erneute Diskussion um die deutsche Mitbestimmung auf.14 Eine offene Debatte um die Reform der deutschen Mitbestimmung wurde Anfang des neuen Jahrtausends mit dem Berliner Netzwerk Corporate Governance eingeleitet. 15 Auf der anderen Seite wird die Mitbestimmung auf politischer Ebene auch heute noch von breiten Kreisen als „Kulturgut“, auf das man Stolz sein könne16, gefeiert. Sie gehöre „zu den Kernelementen unserer Kooperations- und Konsenskultur“, die „prägend ist für unsere Soziale Marktwirtschaft“.17 Sie habe sich „bewährt“ und „einen nicht unerheblichen Betrag dazu geleistet, dass Deutschland wirtschaftliche Krisen meistern konnte“.18 Insgesamt erfährt die Mitbestimmung so eine hohe Anerkennung in weiten politischen Kreisen. Doch sowohl in der Politik19 als auch unter den Sozialpartnern20 ist man sich der wandelnden 12 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 60; näher Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (338). 13 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 69. 14 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 60. 15 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 70. 16 So der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede beim Festakt „40 Jahre Mitbestimmungsgesetz ’76“ am 30. Juni 2016 in Berlin, abrufbar unter http:// www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundespraesidenten/Joachim-Gauck/Reden-und-Inter views, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 (dort S. 4). 17 Ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede beim Festakt „40 Jahre Mitbestimmungsgesetz ’76“ am 30. Juni 2016 in Berlin, abrufbar unter http:// www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundespraesidenten/Joachim-Gauck/Reden-und-Inter views, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 (dort S. 1 f.). 18 So die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 6. Mai 2016, BT-Drucks. 18/8354, S. 4; vgl. auch die kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 15. April 2016, BT-Drucks. 18/8182, S. 1. 19 Vgl. die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck beim Festakt „40 Jahre Mitbestimmungsgesetz ’76“ am 30. Juni 2016 in Berlin, abrufbar unter http:// www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundespraesidenten/Joachim-Gauck/Reden-und-Inter views, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 (dort S. 4 ff.) („Wie schaut es aus, wenn wir in die Zukunft blicken? Dort, wo sich über Jahrzehnte Strukturen verfestigen, sollten alle Beteiligten sorgfältig beobachten, ob dadurch Schwachstellen entstehen oder ob Anpassungen notwendig werden, weil sich die Zeiten ändern.“). 20 Vgl. etwa das Positionspapier des DGB, Offensive Mitbestimmung: Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung, 2015, S. 10 („[. . .] Anlass, verstärkt darüber nachzudenken, an welchen Stellen ihre gesetzlichen Grundlagen an die heutigen

A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland

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Anforderungen an die Mitbestimmung bewusst, wenngleich dies auf Seiten der Mitbestimmungsbefürworter in erster Linie die Sicherung und Ausweitung der Mitbestimmung bedeutet21. In der Regierungsentwurfsbegründung zum MitbestG hatte die Bundesregierung im Jahre 1974 noch zuversichtlich festgehalten, dass die „jahrelangen Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer [. . .] dazu beigetragen [haben], daß heute die Grundlagen der Mitbestimmungsforderungen und ihre gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Zusammenhänge gründlich durchdacht und die Argumente des Für und Wider bekannt sind.“ 22 Dass dies weder für damals noch für heute zutrifft, zeigt die Vielzahl an kritischen Äußerungen und Reformbestrebungen zur deutschen Mitbestimmung.

I. Kritik am deutschen Mitbestimmungssystem In der öffentlichen Diskussion wiederaufgelebt ist das Thema Unternehmensmitbestimmung mit dem Ende der 1990er Jahre veröffentlichten Bericht der Bertelsmann-Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung, der dem deutschen Mitbestimmungssystem viele positive Wirkungen zusprach.23 Die Mitbestimmung habe die „soziale Integration“ der Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt gefördert, Konflikte zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite abgemildert, dadurch Voraussetzungen für eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ geschaffen und damit einhergehend zur „Entstehung kooperativer Unternehmenskulturen“ beigetragen.24 In der Mitbestimmung sah die Kommission sogar einen möglichen Standortvorteil für Deutschland.25 Die erste scharfe Kritik stammt sodann vom

Herausforderungen angepasst werden müssen.“), abrufbar unter http://www.dgb.de/-/ Ot6, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso schon die Stellungnahme der Vertreter der Arbeitnehmer der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 67 („Die veränderten Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa stellen die Mitbestimmung vor neue Herausforderungen. Wir begreifen dies als Chance und setzen uns für eine Weiterentwicklung des deutschen Mitbestimmungsmodells ein.“); vgl. für die Unternehmensseite BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. I („In den vergangenen 30 Jahren ist die Geschichte aber weiter gegangen. [. . .] Aus diesen Entwicklungen ergibt sich der Modernisierungsbedarf der Mitbestimmung.“). 21 Vgl. etwa SPD-Antrag zur Ausweitung der Mitbestimmung, BT-Drucks. 17/2122; SPD Wahlkampfprogramm 2017, S. 23 f., abrufbar unter https://www.spd.de/file admin/Dokumente/Bundesparteitag_2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Gerechtigkeit-Unser_ Regierungsprogramm.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 22 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16. 23 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 8 ff.; vgl. hierzu auch Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (338 f.). 24 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 8. 25 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 122.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

Berliner Netzwerk Corporate Governance, welches die Unternehmensmitbestimmung als unvereinbar mit Corporate-Governance-Grundsätzen erachtete und aus diesem Grund für eine Verlagerung der Mitbestimmung aus dem Aufsichtsrat in einen Konsultationsrat plädierte.26 Erhebliche Mängel und Nachteile des deutschen Mitbestimmungssystems wurden auch von einer von der BDA und BDI eingesetzten Kommission im Jahre 2004 festgestellt.27 Schließlich beschäftigte sich auch die Bundesregierung mit dem Thema Mitbestimmung und setzte eine Regierungskommission ein, deren Vorsitz wie auch schon in den 1970er Jahren Prof. Dr. Kurt Biedenkopf übernahm.28 Die Kommission konnte sich allerdings nicht auf gemeinsame Vorschläge einigen. Der Unternehmensmitbestimmung gewidmet waren ferner zahlreiche Tagungen, so etwa die im Jahre 2004 vom Zentrum für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen organisierte Tagung „Unternehmensmitbestimmung modernisieren“ 29 und die Bitburger Gespräche im Jahr 200630. Auch der 66. Deutsche Juristentag beschäftigte sich mit dem Thema „Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen“, konnte aber mangels Einigung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite keine Reformvorschläge unterbreiten.31 Auch danach war die Mitbestimmung das Thema zahlreicher Diskussionen und Beiträge.32 Sowohl die Ergebnisse der Studien als auch die daraus folgenden rechtspolitischen Reformvorschläge sind heftig umstritten. Umstritten sind auch die Auswirkungen der Mitbestimmung in wirtschaftlicher Hinsicht.33 Natürlicherweise leiden die Versuche, die Auswirkungen der Unternehmensmitbestimmung empirisch zu belegen, sowohl an den verschiedenen, hoch komplexen Zusammen-

26 Vgl. die 12 Thesen auf der Tagung „Corporate Governance und Modernisierung der Mitbestimmung“, die vom Berliner Netzwerk Corporate Governance in Berlin am 5. Dezember 2003 organisiert wurde, abgedruckt bei Kirchner/Säcker/Schwalbach/ Schwark/v. Werder/Windbichler, AG 2004, S. 200 (200 f.). 27 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 5, 7 ff. 28 Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 4 f. 29 1. ZAAR-Kongress in München am 23. Juni 2004 zum Thema „Zukunft der Unternehmensmitbestimmung“, die einzelnen Beiträge sind abgedruckt bei Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung. 30 Die einzelnen Beiträge sind abgedruckt im Sammelband Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2006/I. 31 Vgl. 66. Deutscher Juristentag in Stuttgart, 19.–22. September 2006, Beschlüsse, S. 6. 32 So etwa der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ im Jahre 2009; zur rechtspolitischen Diskussion bis 2005 vgl. den zusammenfassenden Beitrag von Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (337 ff.). 33 Näher Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 11; Greifenstein, Perspektiven der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland – Ungerechtfertigter Stillstand auf der politischen Baustelle? S. 25 ff.

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hängen als auch an subjektiven Überzeugungen.34 Zudem lassen sich kaum eindeutige Ergebnisse aus den empirischen Untersuchungen herleiten, was mitunter darauf zurückzuführen ist, dass die Erfahrungen mit der Unternehmensmitbestimmung in einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich sind und sich positive und negative Beurteilungen gegenüberstehen.35 Die Kritik sollte aufgrund ihrer Verbreitung und Intensität gleichwohl ernst genommen werden. In inhaltlicher Hinsicht ist die Kritik an der deutschen Unternehmensmitbestimmung vielfältig und tiefgründig. Sie kann hier nur skizzenhaft in Bezug auf die wesentlichsten Aspekte wiedergegeben werden. Einer der wesentlichen Kritikpunkte ist die Unvereinbarkeit der Unternehmensmitbestimmung mit guter Corporate Governance, da sie eine effektive Aufsichtsratstätigkeit beeinträchtige.36 Hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang die Verlangsamung der Entscheidungsprozesse, mangelnde Eignung der Arbeitnehmervertreter und das Verschweigen wesentlicher Informationen gegenüber dem Aufsichtsrat aus Furcht vor einem Bruch der Verschwiegenheitspflicht. Hinzu kommen getrennte Vorbesprechungen, die Fraktionsbildung im Aufsichtsrat und eine fehlende Auseinandersetzung im Plenum.37 Daneben fußt die Kritik vor allem auf der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft, die beflügelt von der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit zu einem „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ 38 und einem Standortnachteil für Deutschland führe.39 Die deutsche Mitbestimmung sei im internationalen Rechtsvergleich einzigartig, habe aber von keinem anderen Land übernommen werden wollen („ein Solitär, aber kein Edelstein“).40 Im Ausland stoße 34 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 64 m.w. N. 35 Kronberger Kreis, Unternehmensmitbestimmung ohne Zwang, S. 49; vgl. zu den Schlussfolgerungen aus empirischen Untersuchungen auch Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 14 ff. 36 So etwa BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 9; Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 283; v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, S. 166 (166 ff.). 37 Ausführlich hierzu oben Kapitel 6, B.II. 38 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 66; ebenso BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. II, 10, 14 ff., wo von einem „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme“ bzw. einem „Wettbewerb der Unternehmensformen“ gesprochen wird. 39 Vgl. BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 7 f., 14 ff.; näher zu den europarechtlichen Entwicklungen und ihrem Einfluss auf die deutsche Mitbestimmung auch Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 65 ff.; ausführlich Schwark, Globalisierung, Europarecht und Unternehmensmitbestimmung im Konflikt, AG 2004, S. 173 (173 ff.). 40 Junker, Sechsundsiebzig verweht, NJW 2004, S. 728 (730); zustimmend Rieble, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, NJW 2006, S. 2214 (2214). Vgl. auch die rechtsvergleichenden Beiträge von Junker,

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die deutsche Mitbestimmung vielmehr auf Ablehnung und verschrecke Investoren.41 Nicht zuletzt zeige die in der internationalen Diskussion vorzufindende Betonung des „shareholder value“-Ansatzes bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses, dass es dem Mitbestimmungsgedanken an „Überzeugungskraft“ fehle.42 Eine Reformbedürftigkeit der deutschen Mitbestimmung wird zudem daraus abgeleitet, dass mit der SE als möglicher Alternative zur deutschen Aktiengesellschaft ein (weiterer) legaler Fluchtweg vor dem deutschen Mitbestimmungssystem entstanden war.43 Die flexiblere Verhandlungslösung der SE lege zudem die Frage nahe, „warum denn das übrige deutsche Mitbestimmungsrecht so rigide sein muss“.44 Die mögliche Mitbestimmungsvermeidung durch die SE sowie die möglichen anderweitigen Vermeidungsstrategien machten das deutsche Mitbestimmungsrecht insgesamt zu einem „Netz mit vielen Schlupflöchern“.45 Kritisiert wird auch die „unverkennbar anachronistische Züge“ innehabende rein nationale Ausrichtung des MitbestG46 sowie „dass internationale Sachverhalte durch die deutschen Mitbestimmungsgesetze nur unzureichend und widersprüchlich erfasst werden“ 47. Die deutsche Mitbestimmung leide an einem Legitimationsdefizit, weil sie im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer für das aktive und passive Wahlrecht unberücksichtigt lasse.48 An Bedeutung gewonnen hat diese Debatte insbesondere jüngst aufgrund der Vorlagefrage an den EuGH, ob die Außerachtlassung von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern für die Wahlberechtigung als auch die Wählbarkeit gegen Unionsrecht ver-

Mitbestimmung im europäischen Vergleich, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 71 (71 ff.) sowie Rebhahn, in: Rieble, Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 41 (41 ff.). 41 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 75. 42 Raiser, in: Raiser/Veil, MitbestG (5. Aufl. 2009), Einl. Rn. 75. 43 So Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (332 ff.); vgl. auch Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 69. 44 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 69. Zur Wahl der Rechtsform der SE als Vermeidungsstrategie ausführlich Rieble, Schutz vor paritätischer Mitbestimmung, BB 2006, S. 2018 (2019 ff.). 45 Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (337). Zu den verschiedenen Vermeidungsstrategien vgl. auch Bayer, Die Erosion der deutschen Mitbestimmung, NJW 2016, S. 1930 (1931 f.). 46 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 73 m.w. N., näher hierzu Rn. 73 ff.; vgl. hierzu auch Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (12 f.). 47 Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (330). 48 Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 33 f.; so auch schon der Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 126.

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stoße.49 Der EuGH hielt die deutsche Mitbestimmung gleichwohl für europarechtskonform. Ein weiterer Ansatzpunkt der Kritik sind Überschneidungen der Unternehmensmitbestimmung mit anderen Formen der Interessenvertretung in sachlicher wie auch personeller Hinsicht. Dabei spielt vor allem die Verflechtung und Kumulation der Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG und den Mitbestimmungsgesetzen eine große Rolle.50 Im Fokus der Betrachtung stehen zudem die personellen Verflechtungen zwischen dem Aufsichtsratsmitglied, Betriebsrat und Gewerkschaften.51 Kritisiert wird dabei auch allgemein die zwingend vorgeschriebene Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat, die zu einer „Fremdbestimmung“ der Arbeitnehmer führe.52 Dies wird mitunter vor dem Hintergrund des geringen Organisationsgrades von unter 20 % in Frage gestellt.53 Vereinzelt wird auch die Kumulation von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer durch die Mitbestimmungsgesetze und eine zusätzliche, in nicht unwesentlichem Umfang bestehende Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer in Frage gestellt54, wenngleich dieser Aspekt bislang nur am Rande der Mitbestimmungsdiskussion beleuchtet wurde.55 Nicht zuletzt werden die Ziele und die Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung grundsätzlich in Frage gestellt.56 Unabhängig von den oben skizzierten Kritikpunkten sind denn auch die Beweggründe der Unternehmensmitbestimmung für die heutige Generation nicht mehr ohne Weiteres nachvollzieh49 Vgl. EuGH (Große Kammer), Urteil vom 18. Juli 2017, Az.: C-566/15 (Erzberger/TUI AG), ECLI:EU:C:2017:562 = NJW 2017, S. 2603; vgl. hierzu auch KG Berlin, Vorlagebeschluss vom 16. Oktober 2015, Az.: 14 W 89/15, NZG 2015, S. 1311. 50 Vgl. etwa Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (34 ff.); Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (23 f.). 51 Vgl. etwa BDA/BDI, Mitbestimmungsbericht, 2004, S. 5 („verlängerter Arm der betrieblichen Mitbestimmung“); Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 50 ff.; Löwisch, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Koordination oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 19 (27 ff.); Weiss, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene. Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 9 (16). Näher hierzu oben Kapitel 5, A.II.1.b) sowie Kapitel 5, B.III.1. 52 So Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89); BDI/ BDA-Mitbestimmungsbericht, S. 43 f.; ebenso für die Abschaffung der zwingenden Vorschriften zur Wahl von Gewerkschaftsvertretern Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 286; Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (330 f.); ders., in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 7 MitbestG Rn. 13; Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (28). 53 So Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. 54 So Hirdina, Neuordnung der Unternehmensmitbestimmung, NZA 2010, S. 683 (683 ff.). 55 Hierzu auch schon oben Kapitel 5, C.I. 56 So Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (15 ff.). Zu den Zielen und der Rechtfertigung der deutschen Unternehmensmitbestimmung siehe oben Kapitel 3, A.II.1.

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bar.57 Schließlich wird auch geschlussfolgert, dass es der Mitbestimmung nicht gelungen sei, die „erhoffte offene und vertrauensvolle Kooperation zwischen den Anteilseignern und den Arbeitnehmern herbeizuführen“, vielmehr sei der „Antagonismus und die soziale Distanz zwischen beiden Gruppen“ geblieben.58

II. Reformvorschläge Angesichts des seit jeher schon kontroversen Charakters der Mitbestimmung auf Unternehmensebene fehlt es nicht an zahlreichen und vielfältigen Vorschlägen zur Reform des deutschen Mitbestimmungssystems. Im Grunde lassen sich die Reformvorschläge in vier Gruppen unterteilen: (1) Diejenigen, die die Mitbestimmung gänzlich aus dem Aufsichtsrat ausklammern möchten, (2) diejenigen, die für eine Verhandlungslösung nach dem Vorbild der SE plädieren, sowie (3) diejenigen, die die gesetzliche Mitbestimmung in ihrer Ausprägung beschränken wollen. Schließlich gibt es (4) auch Reformforderungen von der arbeitnehmerfreundlichen Seite, die sogar eine Ausweitung der zwingenden Mitbestimmung fordern. 1. Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat Die radikalsten Reformforderungen zielen auf eine Abschaffung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Der erste Vorschlag in diese Richtung stammt vom Berliner Netzwerk Corporate Governance.59 Nach dessen Ansicht behindert die Mitbestimmung die effektive Wahrnehmung der Überwachungsfunktion durch den Aufsichtsrat und ist daher in diesem Organ fehlplatziert.60 Statt einer Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat sollte daher als Alternative ein Konsultationsrat geschaffen werden, der sich aus den Arbeitnehmern des Konzerns – d.h. auch unter Einbeziehung der ausländischen Belegschaften – zusammensetzen, vom Vorstand über alle im Aufsichtsrat zu behandelnden Themen umfassend zu unterrichten sein und das Recht zur Beratung und Stellungnahme gegenüber dem Aufsichtsrat in Bezug auf die in den Aufsichtsratssitzungen zu beratenden Angelegenheiten haben sollte.61 Der Aufsichtsrat sollte zu einer Befassung mit der vom Konsultationsrat abgegebenen Stellungnahme ver57

Junker, Sechsundsiebzig verweht, NJW 2004, S. 728 (728). So Raiser, in: Raiser/Veil, MitbestG (5. Aufl. 2009), Einl. Rn. 75. 59 Vgl. die 12 Thesen auf der Tagung „Corporate Governance und Modernisierung der Mitbestimmung“, die vom Berliner Netzwerk Corporate Governance in Berlin am 5. Dezember 2003 organisiert wurde, abgedruckt bei Kirchner/Säcker/Schwalbach/ Schwark/v. Werder/Windbichler, AG 2004, S. 200 (200 f.); vgl. ferner die Einzelbeiträge der Mitglieder, die in AG 2004, S. 165 ff. veröffentlicht sind. 60 Ausführlich zu diesem Aspekt der Beitrag von v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, S. 166 (166 ff.). 61 Kirchner, Grundstruktur eines neuen institutionellen Designs für die Arbeitnehmermitbestimmung auf der Unternehmensebene, AG 2004, S. 197 (199); vgl. auch 58

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pflichtet sein und eine hiervon abweichende Entscheidung umfassend begründen müssen.62 Ein jährlich zwingender Mitbestimmungs-Corporate-Governance-Bericht sollte die Arbeit des Konsultationsrates zusammenfassen und bestehende Mängel aufzeigen, wodurch über die Außenwirkung auch Anreize für eine gute Mitbestimmungspolitik im Unternehmen entstehen sollten.63 Eine Abschaffung der zwingenden gesetzlichen Vorgaben zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat forderte auch der aus wirtschaftsliberalen Vertretern der Rechtsund Wirtschaftswissenschaften bestehende Kronberger Kreis.64 Vielmehr sollte es gänzlich der Entscheidungsfreiheit der Unternehmen, genauer gesagt den Anteilseignern, überlassen werden, „ob“ und „in welcher Form“ sie Mitbestimmung auf Unternehmensebene wollen – von einem Verzicht über die Drittelparität bis hin zur vollen Parität sollte alles möglich sein.65 Eine Zwangsbeglückung der Unternehmen durch den Gesetzgeber hielt der Kronberger Kreis weder für wünschenswert noch für erforderlich; vielmehr würden die Unternehmen, die mit der Unternehmensmitbestimmung gute Erfahrungen gesammelt haben, diese beibehalten, andere hingegen ein anderes Modell wählen.66 Auch andere Stimmen aus der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft und der Praxis befürworten eine gänzliche – oder jedenfalls äußerst weitgehende – Abschaffung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. So etwa geht Habersack davon aus, dass „die Erreichung uneingeschränkter Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats“ nur dann sichergestellt werden könne, wenn die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat aufgehoben und die Arbeitnehmerbeteiligung statt dessen auf die betriebliche Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten oder einen Konsultationsrat verlagert wird.67 Auch Loritz sprach der institutionellen Verankerung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat – gleich welcher Größenordnung – ihre Berechtigung ab und hielt stattdessen die Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen durch ein separates, vom Betriebsrat unabhängiges Repräsentationsgremium für sinnvoll.68 Der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Adams, der in der paritätischen Mitbestimmung eine „Unternehmenswertvernichtung“ sah, plädierte für die ersatzlose Außerkraftsetzung des MitbestG und der Montanmitbestimmung; die Drittelparität nach dem DrittelbG sollte indes v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, S. 166 (171 f.). 62 Kirchner, Grundstruktur eines neuen institutionellen Designs für die Arbeitnehmermitbestimmung auf der Unternehmensebene, AG 2004, S. 197 (199). 63 Kirchner, Grundstruktur eines neuen institutionellen Designs für die Arbeitnehmermitbestimmung auf der Unternehmensebene, AG 2004, S. 197 (199 f.). 64 Kronberger Kreis, Unternehmensmitbestimmung ohne Zwang, S. 50. 65 Ebenda. 66 Kronberger Kreis, Unternehmensmitbestimmung ohne Zwang, S. 52. 67 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 72. 68 Loritz, Qualität der Aufsichtsratsarbeit, ZfA 2009, S. 477 (538, 540).

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erst für Unternehmen mit mehr als 5.000 Arbeitnehmern gelten.69 Als ehemaliges Vorstandsmitglied eines führenden mitbestimmten Automobilunternehmens betonte Gentz, die betriebliche Mitbestimmung sei – anders als noch in den 1970er Jahren – „heute so stark, dass es einer Aufsichtsratsmitbestimmung zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen nicht mehr bedarf“.70 2. Vereinbarungslösung Auf breite Akzeptanz stößt der Vorschlag zur Flexibilisierung der Unternehmensmitbestimmung durch die Einführung einer Vereinbarungslösung mit gesetzlichem Auffangmodell.71 Gleichwohl unterscheiden sich die vorgebrachten Lösungen hierzu in ihrer konkreten Ausprägung, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung der gesetzlichen Auffanglösung.72 Viele Lösungsvorschläge plädieren dabei für die Drittelbeteiligung als das nach der gesetzlichen Auffanglösung eingreifende Mitbestimmungsniveau.73 Neben der zahlenmäßigen Besetzung des mitbestimmten Aufsichtsorgans spielt oft auch die Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern eine wichtige Rolle. Konkrete gesetzgeberische Empfehlungen zur Ausgestaltung einer Vereinbarungslösung unterbreitete bereits die BDA/BDI-Kommission im Jahre 2004. Sie plädierte für die Öffnung der Mitbestimmungsgesetze für eine Vereinbarungslösung und schlug vor, den Verhandlungspartnern neben der Frage der zahlenmäßigen Vertretung der Arbeitnehmer im mitbestimmten Gremium auch einen Gestaltungsspielraum etwa im Hinblick auf die Größe des mitbestimmten Organs, die Verortung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat oder in einem anderen Gremium und die Einbeziehung von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern einzuräu-

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Adams, Das Ende der Mitbestimmung, ZIP 2006, S. 1561 (1563, 1567). Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (39). 71 So etwa BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. II, 27 ff.; Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 286; Rieble, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, NJW 2006, S. 2214 (2216); Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 76; auch der Kronberger Kreis befürwortet als „zweitbeste[n] Weg“ die Vereinbarungslösung, Kronberger Kreis, Unternehmensmitbestimmung ohne Zwang, S. 53 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (340). 72 So schon Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (340). 73 So etwa BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 39 f.; ebenso Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89); Henssler, Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung, RdA 2005, S. 330 (337); ders., in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 7 MitbestG Rn. 13; Rieble, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, NJW 2006, S. 2214 (2216). 70

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men.74 Möglich sollte auch eine unterschiedliche Ausgestaltung der den einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsorgans zugewiesenen Rechte und Pflichten sein.75 Für unzulässig hielt die Kommission allerdings eine „Null-Lösung“ und aus verfassungsrechtlichen Gründen auch eine über Parität hinausgehende Mitbestimmung, ferner eine Regelung, wonach der Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvorsitzende nicht von der Anteilseignerseite bestimmt werden würde und kein Doppelstimmrecht in Patt-Situationen hätte.76 Als Orientierungshilfe sollte das Gesetz drei Regelbeispiele anbieten: die Mitbestimmung in Anlehnung an das MitbestG, die Drittelbeteiligung sowie die Errichtung eines Konsultationsrats.77 Anders als bei der SE sollte nicht das stärkste Mitbestimmungsregime als Auffanglösung gelten, vielmehr sollte im Fall des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung bei einer dualistisch verfassten Gesellschaft die Drittelbeteiligung in dem aus nicht mehr als sechs Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat und bei einer monistisch verfassten Gesellschaft der Konsultationsrat nach dem Modell des Berliner Netzwerks Corporate Governance vorgesehen werden.78 Gewerkschaftsvertreter sollten wie alle anderen Arbeitnehmervertreter gewählt werden können, aber nicht müssen.79 Für den im Jahr 2006 stattfindenden 66. Deutscher Juristentag empfahl Raiser in seinem Gutachten zwar ebenfalls die Öffnung der Mitbestimmungsrechts für unternehmensspezifische Verhandlungslösungen, allerdings mit einer gesetzlichen Auffanglösung, die wie bisher für Unternehmen mit 500 bis 2.000 Arbeitnehmern eine Drittelbeteiligung und für Unternehmen mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern eine paritätische Mitbestimmung mit Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden vorsehen sollte.80 Allerdings sollte sowohl die im DrittelbG vorgesehene Sonderregelung für die weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigenden Altgesellschaften als auch die Montanmitbestimmung entfallen.81 Auch die gesetzlich vorgeschriebene Besetzung einer bestimmten Anzahl von Aufsichtsratssitzen mit Gewerkschaftsvertretern sollte aufgehoben und durch konkurrierende Wahlvorschläge ersetzt werden.82 Rebhahn sprach sich dagegen aufgrund einer rechtsvergleichenden Betrachtung für die Drittelbeteiligung als gesetzlicher 74

BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. III., 28 f. BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 29. 76 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 33 f. 77 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 36 f. 78 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 39 f. 79 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 43 f. 80 Raiser, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europäischer Entwicklungen, Gutachten B zum 66. Deutschen Juristentag Stuttgart 2006, S. B 74 ff., B 113 f. 81 Raiser, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europäischer Entwicklungen, Gutachten B zum 66. Deutschen Juristentag Stuttgart 2006, S. B 74, B 76, B 79 ff., B 114. 82 Raiser, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europäischer Entwicklungen, Gutachten B zum 66. Deutschen Juristentag Stuttgart 2006, S. B 100 ff., B 115. 75

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Auffangregelung aus.83 Die auch in weiteren Beiträgen im Rahmen des 66. Deutschen Juristentages zu Tage kommenden Differenzen zwischen den Arbeitgeberund Arbeitnehmervertretern wurden derart unüberbrückbar, dass letztlich keine gemeinsamen Reformvorschläge unterbreitet werden konnten.84 Für eine Vereinbarungslösung sprachen sich auch die wissenschaftlichen Mitglieder der von der Bundesregierung im Jahr 2005 einberufenen „Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung“ 85 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Kurt Biedenkopf aus. Die Kommission, die Vorschläge für eine „moderne und europataugliche“ Reform der deutschen Unternehmensmitbestimmung erarbeiten sollte und sich aus je drei Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie aus drei wissenschaftlichen Mitgliedern zusammensetzte, konnte sich zwar letztlich nicht auf konkrete Gesetzesvorschläge einigen.86 Die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission empfahlen in ihrem Abschlussgutachten allerdings, das zwingende Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Anwendbarkeit des Mitbestimmungsregimes innerhalb von Konzernstrukturen, die Größe des Aufsichtsrats und die Einbeziehung von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern für eine Vereinbarung zu öffnen, wobei es bei Nichtzustandekommen einer Vereinbarung bei dem nach bisherigem Recht anwendbaren Mitbestimmungsstatut bleiben sollte.87 Zudem sprachen die wissenschaftlichen Mitglieder Empfehlungen in Bezug auf den Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte, die Vereinfachung des Wahlverfahrens und einzelne aus ihrer Sicht systembrüchige und unzureichende Regelungen des geltenden Mitbestimmungsrechts aus.88 Die Vorschläge wurden auf politischer Ebene jedoch nicht weiter verfolgt.89 Einen konkreten Gesetzesvorschlag zur Vereinbarungslösung legte der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ im Jahre 2009 mit dem „Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten 83 Rebhahn, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen – Unternehmensmitbestimmung aus europäischer Sicht, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages Stuttgart 2006, Bd. II/1, S. M 9 (M 31). 84 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 80. 85 Die Kommission wurde von Bundeskanzler Schröder im Jahre 2005 eingesetzt und von der großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel im Jahre 2006 bestätigt, vgl. Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 4 f. 86 Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 4 ff. 87 Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 20 ff., 35 ff. 88 Ausführlich Biedenkopf/Streeck/Wißmann, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, S. 25 ff., 40 ff. 89 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 82.

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Aufsichtsrats“ vor.90 Die darin gemachten Regelungsvorschläge für eine Änderung des MitbestG und AktG zielten neben der Öffnung des MitbestG für eine Vereinbarungslösung auch darauf ab, den mitbestimmten Aufsichtsrat zu verkleinern.91 So sollten in allen Unternehmen mit mehr als 10.000 Arbeitnehmern von Gesetzes wegen die Aufsichtsräte nurmehr vierzehn – statt wie bislang – sechszehn (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG) bzw. zwanzig (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 3 MitbestG) Aufsichtsratsmitglieder zählen, wobei allerdings diese Zahl durch Satzungsbestimmung wieder erhöht werden dürfte.92 Bei Nichtzustandekommen einer Vereinbarung sollte das geltende Mitbestimmungsrecht für die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat maßgeblich sein.93 Darüber hinaus gibt es in der deutschen Rechtswissenschaft eine Fülle an Vorschlägen zur Ausgestaltung der Vereinbarungslösung, die zwar im Detail unterschiedlich94, allesamt aber von Notwendigkeit zur Flexibilisierung der deutschen Mitbestimmung geleitet sind. 3. Mäßigung des gesetzlichen Modells Abgesehen von den systemverändernden Vorschlägen zur Auslagerung bzw. gänzlichen Abschaffung der Mitbestimmung aus dem Aufsichtsrat oder der Einführung einer Vereinbarungslösung gibt es auch zahlreiche Ansätze, um das geltende Mitbestimmungsrecht in bestimmten Aspekten zu mäßigen. Neben der einschneidenden Forderung nach einer Rückführung der paritätischen Mitbestimmung nach dem MitbestG auf die Drittelbeteiligung 95 betreffen derartige Forderungen insbesondere die Abschaffung der zwingend vorgeschriebenen Zuteilung von Aufsichtsratssitzen an Gewerkschaftsvertreter96. Gewerkschaftsvertreter sollten keine Sitzgarantie haben, sondern von der Belegschaft lediglich wie die übrigen Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden dürfen.97 Auch das Verbot der gleichzeitigen Wahrnehmung des Aufsichtsrats- und Betriebsratsmandats wird postuliert.98 Zum Teil wird auch der Ausschluss der Mitbestim90

Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“, ZIP 2009, S. 885 (886 ff.). Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“, ZIP 2009, S. 885 (886). 92 Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“, ZIP 2009, S. 885 (886 f.). 93 Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“, ZIP 2009, S. 885 (885 f.). 94 Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (340); vgl. etwa die Vorschläge von Rieble, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, NJW 2006, S. 2214 (2216). 95 So etwa Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (39). 96 So etwa Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89); Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 341 f.; Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (28). 97 Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89). 98 Jüngst etwa Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89). 91

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

mung der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer von bestimmten Angelegenheiten wie etwa Vorstandsfragen gefordert.99 Befürwortet wird ferner die Verkleinerung der Aufsichtsräte.100 Einer bereits 1996 im Entwurf des Gesetzes über Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich101 vorgesehenen Verkleinerung der Aufsichtsratsgröße hatten sich jedoch damals schon erfolgreich die Gewerkschaften widersetzt.102 4. Ausweitung der Mitbestimmung Auf der anderen Seite gibt es auch Vorschläge für eine Stärkung und Ausweitung der gesetzlichen Mitbestimmung.103 Die Gewerkschaften fordern schon seit langem, das Mitbestimmungsrecht auszuweiten und vermeintliche Lücken zu schließen.104 Kernforderungen des DGB sind dabei unter anderem die Ausweitung der Anwendungsbereiche des MitbestG und des DrittelbG auf Unternehmen mit über 1.000 bzw. 250 Beschäftigten, die Einbeziehung von in Deutschland operativ tätigen Unternehmen mit ausländischer Rechtsform, die Aufstellung eines gesetzlichen Mindestkatalogs in Bezug auf Geschäfte, die gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, sowie die Verhinderung der Möglichkeit, einen mitbestimmungsfreien Zustand durch Umwandlung in die SE „einzufrieren“.105 Hintergrund hierfür ist die Sorge, dass die 99 So Gentz, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (39); Rebhahn, Unternehmensmitbestimmung vor dem Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen – Unternehmensmitbestimmung aus europäischer Sicht, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages Stuttgart 2006, Bd. II/1, S. M9 (M32 f., M37 f.); Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (27 f.). 100 So Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89); Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 73 (deutlicher noch in der Vorauflage von 2009, Einl. Rn. 73); auch der 61. Deutsche Juristentag im Jahr 1996 hatte schon vorgeschlagen, dass abweichend von § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 MitbestG eine satzungsmäßige Beschränkung auf 12 bzw. 16 Mitglieder möglich sein sollte, vgl. 61. Deutscher Juristentag: Die Beschlüsse, NJW 1996, S. 2994 (2999). 101 Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zu einem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich („KonTraG“) vom 26. November 1996, abgedruckt in ZIP 1996, S. 2129 (2129 ff.); Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich („KonTraG“) vom 6. November 1997, abgedruckt in ZIP 1997, S. 2059 (2059 ff.); näher zum rechtspolitischen Hintergrund Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (339). 102 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 68. 103 Vgl. hierzu auch Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, 85 (85 ff.). 104 Vgl. zu den Forderungen des DGB in Bezug auf die Mitbestimmung etwa das Positionspapier des DGB, Offensive Mitbestimmung: Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung, 2015, S. 10 ff., abrufbar unter http://www.dgb.de/-/Ot6, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 105 So etwa die Forderungen des DGB, Offensive Mitbestimmung: Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung, 2015, S. 10 ff., abrufbar unter http://www.dgb. de/-/Ot6, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland

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Mitbestimmung durch verschiedene Vermeidungsstrategien drohe, „über die kommenden Jahrzehnte langsam, aber sicher auszubluten“ 106. Auch auf politischer Ebene gibt es immer wieder Vorstöße, die auf eine Ausweitung, Stärkung und Sicherung der Mitbestimmung abzielen. So etwa forderte der Bundesrat in seiner Entschließung vom 10. Februar 2017 die Bundesregierung auf, „Lücken im deutschen Mitbestimmungsrecht zu schließen und gleichzeitig auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass entsprechende Schlupflöcher geschlossen und keine neuen Umgehungstatbestände geschaffen werden.“ 107 In diese Richtung ging auch ein Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen „Unternehmensmitbestimmung stärken – Grauzonen schließen“ vom 9. November 2016.108 Die SPD warb jüngst in ihrem Wahlkampfprogramm vom Juli 2017 damit, den Anwendungsbereich des MitbestG auf Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten auszuweiten, das deutsche Mitbestimmungsrecht auch auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform mit Sitz in Deutschland sowie deutsche Zweigniederlassungen zu erstrecken und „Schlupflöcher“ zu schließen.109 In eine ähnliche Richtung gingen auch bereits im Jahr 2010 ein Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Unternehmensmitbestimmung lückenlos garantieren“ 110 sowie der von der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag „Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Entscheidungen stärken“ 111. Beide Anträge forderten dabei die Erstreckung des deutschen Mitbestimmungsrecht auf Gesellschaften mit ausländischer Rechtsform mit Verwaltungssitz in Deutschland sowie deutsche Personengesellschaften mit ausländischem Komplementär; die SPD-Fraktion darüber hinaus auch die Erfassung von deutschen Zweigniederlassungen, die Einführung eines gesetzlichen Mindestkatalogs für zustimmungsbedürftige Geschäfte i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, der „zentrale unternehmerische Entscheidungen – insbesondere Betriebsschließungen, Standortverlagerungen und Unternehmensverkäufe“ – umfassen sollte,

106 Hoffmann, Mehr Demokratie in Unternehmen wagen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1. 107 Entschließung des Bundesrates „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“ vom 10. Februar 2017, BR-Drucks. 740/16, S. 3. 108 Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, „Unternehmensmitbestimmung stärken – Grauzonen schließen“ vom 9. November 2016, BT-Drucks. 18/ 10253. 109 SPD Regierungsprogramm 2017 bis 2021 „Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm für Deutschland“, S. 23 f., im Internet abrufbar unter https:// www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Bundesparteitag_2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Ge rechtigkeit-Unser_Regierungsprogramm.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 110 Antrag der Fraktion Die Linke „Unternehmensmitbestimmung lückenlos garantieren“ vom 21. April 2010, BT-Drucks. 17/1413. 111 Antrag der SPD-Fraktion „Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Entscheidungen stärken“ vom 16. Juni 2010, BTDrucks. 17/2122.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

die Absenkung der Schwellenwerte für die Anwendbarkeit des MitbestG und des DrittelbG auf 1.000 bzw. 250 Beschäftigte sowie die Abschaffung des dem Aufsichtsratsvorsitzenden mit § 29 Abs. 2 MitbestG eingeräumten doppelten Stimmrechts in Pattsituationen112. Die Anträge wurden im Ausschuss für Arbeit und Soziales kontrovers diskutiert, konnten sich allerdings vor dem Hintergrund der politischen Mehrheiten nicht durchsetzen.113 In jüngster Zeit wird die geforderte Stärkung und Ausweitung der deutschen Mitbestimmung auch aus der voranschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt hergeleitet.114 Warum dies allerdings auch für die Unternehmensmitbestimmung Geltung beanspruchen soll, wird abgesehen von der allgemeinen „Rechtfertigungslyrik“ nicht näher begründet.115 Darüber hinaus werden Forderungen zur Sicherung und Ausweitung der Mitbestimmung auch in Bezug auf die europäische Ebene erhoben.116 Zu einem entsprechenden Einsatz für die Mitbestimmung auf europäischer Ebene hat sich jüngst auch die Bundesregierung ausdrücklich bekannt.117

112 Antrag der SPD-Fraktion „Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Entscheidungen stärken“ vom 16. Juni 2010, BTDrucks. 17/2122, S. 2. 113 Vgl. die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag, 9. Mai 2011, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/33961973_kw 19_pa_arbeit_soziales-205048, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ferner Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 10. November 2011 zur Ablehnung der Anträge, BT-Drucks. 17/7696; vgl. auch Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 82. 114 Vgl. SPD Regierungsprogramm 2017 bis 2021 „Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm für Deutschland“, S. 23 f. („Nur mit Mitbestimmung auf Augenhöhe kann der Wandel in der Arbeitswelt erfolgreich gestaltet werden. Wir wollen sie gesetzlich stärken. Wir werden den Schwellenwert für die Geltung der paritätischen Mitbestimmung auf 1.000 Beschäftigte senken.“), im Internet abrufbar unter https:// www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Bundesparteitag_2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Ge rechtigkeit-Unser_Regierungsprogramm.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch die Entschließung des Bundesrates „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“, BR-Drucks. 740/16, S. 1 f.; ebenso das vom SPD-geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Weißbuch Arbeiten 4.0, Stand: März 2017, 161 f., abrufbar unter www.bmas.de, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 115 So kritisch Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (85). 116 So etwa die Entschließung des Bundesrates „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“, BR-Drucks. 740/16, S. 3; Sick, Mitbestimmung in Europa – Anforderungen an die Politik des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission für 2014 und Folgejahre, Report Mitbestimmungsförderung, August 2014, Hans-Böckler-Stiftung. 117 Vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“ vom 25. September 2018, BR-Drucks. 493/18, S. 1 f.

A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland

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III. Ausblick Die deutsche Unternehmensmitbestimmung wird seit jeher kontrovers diskutiert. Für die einen ist sie ein gravierender Einschnitt in die unternehmerische Freiheit und ein „Störfaktor“ 118 guter und effektiver Unternehmensführung und -kontrolle119, für die anderen eine „Erfolgsgeschichte“ 120. Das deutsche System der Mitbestimmung, bestehend aus betrieblicher und unternehmerischer Ebene, wird gepriesen als „ein Gestaltungsmerkmal der sozialen Marktwirtschaft“, „gelebte Demokratie im Betrieb und Unternehmen“ und „Kernelement[] unserer Kooperations- und Konsenskultur“ 121. Zuletzt wurden der deutschen Mitbestimmung auch vielfach positive Wirkungen während der Finanz- und Wirtschaftskrise zugeschrieben – sie habe „zu einer effizienten und zugleich sozialpartnerschaftlichen Krisenbewältigung beigetragen“.122 Doch auch deutlich weniger enthusiastische Kritiker gestehen ihr zu, trotz aller Mängel und Nachteile immerhin zum „sozialen Frieden“ beizutragen.123 Eine Bewertung der Richtigkeit einzelner Ansichten soll an dieser Stelle nicht erfolgen. Als „Kulturgut“ 124 und in Anbetracht der zahlreichen Befürwortungen wird die Mitbestimmung auf Organebene jedoch mit Sicherheit nicht mehr in Gänze aufgehoben werden.125 Es stellt sich daher allein die Frage, welche Anpassungen sie in Zukunft erfahren wird, sofern sich der deutsche Gesetzgeber überhaupt noch einmal an dieses heikle Thema heranwagt. Ob dies jedoch überhaupt einmal der Fall sein wird, wird davon abhängig gemacht, ob sich die Sozialpartner auf ein Modell werden einigen können, welches dem Gesetzgeber als Vorlage dienen und von diesem übernommen werden könnte.126 Als wahrscheinlich erachtet wird dabei, dass das zwingende Gesetzesrecht für Vereinbarungslösungen

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Bayer, Die Erosion der deutschen Mitbestimmung, NJW 2016, S. 1930 (1936). Ausführlich hierzu siehe oben Kapitel 6, B.II. 120 So DGB, Offensive Mitbestimmung: Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung, 2015, S. 10, abrufbar unter http://www.dgb.de/-/Ot6, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 121 So die Entschließung des Bundesrates „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“, BR-Drucks. 740/16, S. 1. 122 Sick, Mitbestimmung in Europa – Anforderungen an die Politik des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission für 2014 und Folgejahre, Report August 2014, Hans-Böckler-Stiftung, S. 2. 123 BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 6. 124 Ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede beim Festakt „40 Jahre Mitbestimmungsgesetz ’76“ am 30. Juni 2016 in Berlin, abrufbar unter http:// www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundespraesidenten/Joachim-Gauck/Reden-und-Inter views, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 (dort S. 4). 125 So auch schon Gentz, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene – Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 33 (39). 126 So Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 87. 119

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

geöffnet wird.127 Ob sich allerdings Mitbestimmungsvereinbarungen, durch die vom geltenden Recht auch nach unten abgewichen werden dürfte, tatsächlich politisch durchsetzen lassen, mag bezweifelt werden, mögen sie noch so wünschenswert und im internationalen Kontext gesehen vorteilhaft sein. Vielmehr dürften vor dem Hintergrund der vehementen Forderungen aus den mitbestimmungsfreundlichen politischen Kreisen und des gleichzeitig fehlenden politischen Rückhalts für die Forderungen der Kritiker im Allgemeinen nicht allzu viele Hoffnungen auf eine Mäßigung des bisherigen gesetzlichen Modells bestehen.128 In jedem Fall dürfte sich der Reformprozess, sollte einer in Gang gesetzt werden, angesichts der erheblichen Diskrepanzen zwischen dem Arbeitnehmer- und Arbeitgeberlager äußerst schwierig gestalten. Ein beidseitiges Nachgeben erscheint daher unerlässlich.129 Wie es der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck zum 40-jährigen Jubiläum des MitbestG trefflich formuliert hat: „Mitbestimmung war und ist beständiges Ringen um Balance, Kontrolle und Teilhabe.“ 130

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen I. Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen Einen derart etablierten und prominenten Stellenwert in der politischen, gesellschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Diskussion wie in Deutschland hat die Arbeitnehmerpartizipation in Polen nicht. Zwar hatte die Idee der Arbeitnehmerselbstverwaltung zu Zeiten des realen Sozialismus einen bedeutsamen, vor allem 127 So Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 87; vgl. auch Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 82, der darauf hinweist, dass Vereinbarungslösungen im Zentrum der Reformdebatte stehen. 128 So auch Bauer, Unternehmensmitbestimmung 4.0, NZA-Beilage 2017, S. 85 (89) („Die politische Großwetterlage lässt eine Erfüllung dieser Wünsche jedoch leider nicht erwarten.“). Allein die FDP befürwortete im Jahre 2004 die Vorschläge der BDI/BDAKommission zur Rückführung der paritätischen Mitbestimmung auf Drittelparität und Abschaffung der zwingenden gewerkschaftlichen Vertretung, hierzu Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (343 f.). Auch im Wahlkampfprogramm 2009 sprach sich die FDP noch für eine Abschaffung des Gewerkschaftsprivilegs und die Rückführung auf die Drittelparität aus, seitdem tauchte die Mitbestimmung in den Wahlprogrammen der FDP jedoch nicht mehr auf. Auch in den Wahlkampfprogrammen der CDU/CSU findet sich keine Aussage zur Mitbestimmung. 129 Ebenso Bayer, Die Erosion der deutschen Mitbestimmung, NJW 2016, S. 1930 (1934 ff.) mit konkreten Vorschlägen zu möglichen Kompromissen; Raiser, in: Raiser/ Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 87; so auch schon Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (344) („nur bei gleichzeitiger Kompensation erreichbar“). 130 Ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede beim Festakt „40 Jahre Mitbestimmungsgesetz ’76“ am 30. Juni 2016 in Berlin, abrufbar unter http:// www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundespraesidenten/Joachim-Gauck/Reden-und-Inter views, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 (dort S. 5).

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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ideologischen Stellenwert, da man sich über die Arbeitnehmerselbstverwaltung auch mehr Autonomie und Freiheit gegenüber dem alles kontrollierenden Staat erhoffte. Doch büßten die Belegschaftsräte, die wesentlich zum Umbruch von 1989 beigetragen hatten, im Laufe der eingeleiteten Transformationsprozesse immer stärker an gesellschaftlichem Rückhalt ein.131 Im Allgemeinen zeigt sich seit dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch Anfang der 1990er Jahre im Hinblick auf das Verhältnis der Gesellschaft, Politik und Wissenschaft zur Arbeitnehmerpartizipation ein durchaus gespaltenes Bild. Jedenfalls im ersten Jahrzehnt nach dem Umbruch der 1989/1990er Jahre und zu Beginn des 21. Jahrhunderts war das Thema der Arbeitnehmerpartizipation in der Praxis nicht sonderlich beliebt und stieß vielmehr auf Ablehnung sowohl auf Seiten der Arbeitgeber als auch in Regierungs- und Gewerkschaftskreisen.132 Für diese in der Praxis anzutreffende Zurückhaltung werden verschiedene politisch und ideologisch bedingte Ursachen genannt: Die negative Haltung der Arbeitgeber wird auf ihre äußerst schwierige Situation während des sozialistischen Systems und ihre negativen Erfahrungen mit Belegschaftsräten zurückgeführt.133 Nicht nur hatte das zentral gesteuerte Wirtschaftssystem eine weitestgehende Entmündigung der Arbeitgeber bei der Unternehmensführung zur Folge, auch wurde die personelle Besetzung von Führungspositionen letztlich in Parteikomitees entschieden, was eine jederzeit mögliche Abberufung und Manipulation der Unternehmensleitungen implizierte.134 Zudem fehlte jegliche Interessenvertretung der Arbeitgeber.135 Dagegen wurden ihnen die Arbeitnehmer entsprechend der kommunistischen Ideologie als die im Unternehmen wichtigste Gruppe gegenübergestellt.136 Durch die Einführung der Arbeitnehmerselbstverwaltung verstärkten sich die Konflikte zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, denen mit den Belegschaftsräten weitreichende Berechtigungen – vor allem auch Personalkompetenzen in Bezug auf die Direktorenposten – zuteil kamen, die jedoch nicht mit einer entsprechenden Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen korrespondierten.137 Mit der Arbeitnehmerpartizipation assoziierten die Arbeitgeber daher nicht zuletzt auch eine 131

Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.b). Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 133 Näher Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5); Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (162). 134 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (162). 135 Ebenda. 136 Ebenda. 137 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (162); vgl. auch Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 132

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

weitreichende Anspruchshaltung der Belegschaften, durch die sie sich vor dem Hintergrund einer arbeitnehmerfreundlichen Gesetzeslage und Gerichtspraxis bedroht fühlten.138 So ist es nach Rudolf auch verständlich, dass die Arbeitgeber nach der langen Zeit der Entmündigung dazu neigten, ihre infolge der politischen und wirtschaftlichen Transformation Polens neu erworbenen Rechte zu hüten und die mit der Arbeitnehmerselbstverwaltung assoziierte Arbeitnehmerpartizipation abzulehnen.139 Hinzu kam, dass im Zuge des Transformationsprozesses die aus der sozialistischen Vergangenheit rührenden Antipathien durch neues Konfliktpotential ergänzt wurden.140 Eine wesentliche Rolle mag hierbei gespielt haben, dass die Belegschaftsräte Anfang der 1990er Jahre oft von ihren rechtlichen Kompetenzen bei der Wahl der Privatisierungsweges und im Hinblick auf die Abberufung und Neubestellung der Unternehmensleitung Gebrauch machten.141 Damit entstand nicht nur eine neue Rivalität zwischen der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmervertretern im Hinblick auf die Unternehmensführung, auch sahen sich die Führungskader durch die Belegschaftsräte in ihrer persönlichen Zukunft gefährdet.142 Als mit Abkehr von der kommunistischen Ideologie gleichzeitig auch die führende Rolle der Arbeiterklasse aufgehoben wurde und eine neue Machtverteilung in den Unternehmen einsetzte, widersetzten sich die Arbeitgeber – nicht zuletzt mithilfe der neuen Arbeitgeberorganisationen – jeglichen Vorstößen zur Arbeitnehmerpartizipation, die in ihren Augen eine Beschränkung ihrer neuen Position im Unternehmen impliziert hätte.143 Nicht unerheblich für die Zurückhaltung der Arbeitgeber gegenüber jeglichen Formen der Arbeitnehmerpartizipation dürften auch die sich in der Transformationsphase etablierten Vorurteile gewesen sein, wonach die Belegschaftsräte wichtige Reformen in den Unternehmen und deren Privatisierung verhindern

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Opalski, Rada nadzorcza, S. 102 f. So Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 140 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (162). 141 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (19). Die genannten Rechte des Belegschaftsrates ergaben sich aus Art. 5 Abs. 1 PrivG 1990 und Art. 37 Abs. 2, 3 PrivG 1990 urspr. Fassung, die dem Belegschaftsrat ein Antrags- bzw. Mitspracherecht in Bezug auf die Kapital- bzw. Liquidationsprivatisierung einräumten sowie aus Art. 34 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung bzw. Artt. 33, 37 StaatsUntG aktueller Fassung, wonach dem Belegschaftsrat Kompetenzen in Bezug auf die Bestellung und Abberufung der Direktoren zustanden. Nach Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Gesellschaft konnten die Arbeitnehmer über ihre Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat (vgl. Art. 17 PrivG 1990) Einfluss auf die personelle Besetzung der Geschäftsführung nehmen. 142 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (19). 143 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (163). 139

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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wollten.144 In Arbeitgeberkreisen wurden die Belegschaftsräte mitunter als „fassadenhafte und konservative Institution“ angesehen, die den Unternehmen „keinerlei Vorteile brachte, sondern im Gegensatz die Einführung neuer, fortschrittlicher organisatorischer Lösungen verhinderte“.145 Die in Regierungskreisen fehlende Unterstützung für die Arbeitnehmerpartizipation beruhte ebenfalls auf der Assoziation jeglicher Partizipationsformen mit den früheren Belegschaftsräten und damit gleichzeitig auch dem früheren sozialistischen System, von dem man sich entschieden distanzieren wollte.146 So habe unabhängig von der konkreten politischen Führung zu keiner Zeit ein für die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation günstiges „Klima“ in Polen bestanden.147 Die negative Haltung der Gewerkschaften gegenüber anderen Formen der Arbeitnehmerpartizipation wird dagegen auf die Angst vor Konkurrenz zurückgeführt.148 Ihre Zurückhaltung oder gar Ablehnung beruhte auf egoistischen Motiven149 und dem Bestreben, ihre Monopolstellung in Bezug auf die Arbeitnehmervertretung zu bewahren150. Das Konzept der Belegschaftsräte hatte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ – Anfang der 1980er Jahre noch eine starke Verfechterin der Selbstverwaltungsidee – bereits alsbald nach dem politischen Führungswechsel fallen gelassen.151 Auch verhinderten letztlich die Gewerkschaften die im Jahr 1996 in einem Entwurf des Arbeitsgesetzbuchs beabsichtigte Einführung einer betrieblichen Mitbestimmung.152 Die Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene versuchten sie als eigenes Machtvehikel auszunutzen.153 In wissenschaftlichen Kreisen stagnierte das in den ersten Jahren der Transformationsphase vorhandene Interesse an der Arbeitnehmerpartizipation im Laufe der 1990er Jahre zunehmend, es fanden immer weniger Diskussionen und Ver-

144 Vgl. Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (18). 145 So Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (204), der seinen in der Praxis als Manager gewonnenen Eindruck bestätigt. 146 So Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 147 Rudolf, Udział pracowników w adaptacji przedsie˛biorstwa, ZZL 1s/2004, S. 95 (96). 148 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (20); Opalski, Rada nadzorcza, S. 103; Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6). 149 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6). 150 Opalski, Rada nadzorcza, S. 103. 151 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6). 152 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 373. 153 Näher hierzu oben Kapitel 5, A.II.2.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

öffentlichungen statt.154 Vereinzelt bemühten sich Teile der Wissenschaft, das Interesse und die Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation zu verbessern.155 Mit Umsetzung der EU-Richtlinie 2002/14/EG156 wurde das Interesse an der Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen wieder stärker, doch verlagerte sich die allgemeine Diskussion von der in den Privatisierungsgesetzen geregelten Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen mehr in Richtung betrieblicher Mitbestimmung durch Arbeitnehmerräte. Im Allgemeinen lässt sich unter polnischen Rechtswissenschaftlern, Soziologen, Ökonomen und Experten für Management und industrielle Beziehungen eine grundsätzlich positive Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation feststellen, wenn auch lediglich das Recht der Arbeitnehmer auf Information – entsprechend der Europäischen Sozialcharta – gemeinhin akzeptiert wird.157 Teile der Rechtswissenschaft verweisen darauf, dass die Arbeitnehmerpartizipation ein „Element des zivilisatorischen Fortschritts“ darstelle158, für andere Autoren ist sie in Anlehnung an die europäische Tradition ein „fundamentales Menschenrecht im sozioökonomischen Bereich“ 159. Auch wird die Arbeitnehmerbeteiligung – wie in Deutschland – als Ausdruck der „Wirtschaftsdemokratie“ und der „Subjektstellung des Arbeitnehmers“ gesehen.160 Soziologen verstehen die Arbeitnehmer-

154

Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7). Aus diesem Grund etwa die Sammelausgabe von Beiträgen zur Arbeitnehmerpartizipation, herausgegeben von Rudolf im Jahre 2001 mit dem Titel „Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju?“, vgl. hierzu Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7). 156 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 80 vom 23. März 2002, S. 29–34. 157 So die Beobachtung von Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (21); dies bestätigen beispielsweise die zahlreichen Einzelbeiträge im Sammelwerk Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? sowie Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, die im Allgemeinen eine Arbeitnehmerpartizipation, mit der im weiten Sinne verschiedene Formen der Einbindung der Belegschaften in die Geschehnisse und Entscheidungen des Unternehmens gemeint werden, befürworten. 158 So die Aussage von Prof. Zdzisław Niedbała während einer vom 25. bis 27. September 2000 ausgerichteten Konferenz der Universität Nikolaus Kopernikus zu den Änderungen im kollektiven Arbeitsrecht in Polen, zitiert nach Nadskakulski/Gladoch, Przemiany zbiorowego prawa pracy w Polsce, PiZS 12/2000, S. 22 (25) („partycypacja pracownicza jest elementem poste˛pu cywilizacyjnego“, Übersetzung d. Verf.). 159 So Wratny, in: Matey-Tyrowicz/Zielin ´ski, Prawo pracy RP w obliczu przemian, S. 506 („jedno z podstawowych praw w człowieka w dziedzinie społeczno-gospodarczej“). 160 So Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233) („Partycypacja pracownicza w zarza˛dzaniu zakładem pracy, be˛da˛ca wyrazem demokracji przemysłowej, przyczynia sie˛ do postulatu podmiotowos´ci gospodarczej pracownika“); in Bezug auf die Subjektstellung des Arbeitnehmers 155

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

715

partizipation als Teil der industriellen Beziehungen und leiten das Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung aus den Bürgerrechten und Arbeitnehmerrechten her; Ökonomen und Management-Experten betrachten die Arbeitnehmerpartizipation dagegen als eine Frage des Führungsstils.161 Zur Begründung der Arbeitnehmerpartizipation werden verschiedene Ansätze und Argumente herangezogen. So wird einerseits auf den ethischen bzw. laboristischen Aspekt hingewiesen, der auf den Lehren von Papst Johannes Paul II. fußt und die Sorge um das Wohlergehen und die Würde der Arbeitnehmer in den Vordergrund stellt.162 Der Umstand, dass der Arbeitnehmer dem Unternehmen seine „Zeit und Kraft“ schenke und oft über Jahre hinweg mit dem Unternehmen verbunden sei, verleihe ihm – im Unterschied zum Eigentum – ein laboristisch begründetes Recht, an der Unternehmensführung teilzuhaben.163 Daneben werden auch politische, soziologische und wirtschaftliche Begründungsansätze für die Arbeitnehmerbeteiligung vorgebracht.164 Vor dem Hintergrund der Entwicklungen im technischen Bereich und der im Vergleich zu früher besseren Ausbildung und höheren Qualifikationen der Arbeitnehmer besteht weitgehend Einsicht, dass sich auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen an die Arbeit geändert haben.165 Als wesentlich betrachtet man daher heutzutage die Förderung des menschlichen Potentials in einer Weise, die sowohl den Interessen des Unternehmens als auch denen des einzelnen Arbeitnehmers zu Gute kommt.166 Vor dem Hintergrund, dass Arbeitnehmer heutzutage nicht mehr nur Ausführungsorgan fremder Entscheidungen sein wollten, sondern Eigeninitiative zu entfalten suchten, verleihe die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung den Arbeitnehmern nicht nur das nötige Ehrgefühl, sondern gäbe ihnen auch Freude und Befriedigung psychischer und sozialer Bedürfnisse.167 So wird Arbeitneh-

auch etwa Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (47). 161 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (21). 162 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 9. 163 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 9 („Pracownicy pos´wie˛caja˛ firmie swój czas i siły, wia˛z˙a˛ z nia˛ swój los nieraz prze wiele lat“, Übersetzung d. Verf.); ebenso Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (46). 164 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 9 f.; näher hierzu Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 45 ff. 165 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (27); vgl. auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (230 ff.). 166 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (27). 167 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (231).

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

merpartizipation nicht nur als Beitrag zur Humanisierung der Arbeitnehmer im Arbeitsprozess168 und Mittel zur Selbstverwirklichung169, sondern auch als Instrument begriffen, um die Motivation der Arbeitnehmer zu steigern170. Hingewiesen wird darauf, dass Arbeitnehmerpartizipation zur Steigerung der Innovationsfähigkeit, Effizienz und somit auch der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beitrage.171 Arbeitnehmer bildeten eine „Quelle für Innovationen“, welche für die Entwicklung eines Unternehmens unerlässlich sei172, und die Ausnutzung des „menschlichen Kapitals“ entscheide mitunter über die Marktstellung der Unternehmen173. Die Befriedigung des eigenen Strebens nach Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung führe daher insgesamt zu einer gesteigerten Produktivität der Unternehmen.174 Zudem fördere Arbeitnehmerpartizipation, dass sich die Arbeitnehmer mit ihrem Unternehmen identifizieren.175 Daneben werden als weitere Vorteile der Arbeitnehmerpartizipation die Teilung der Macht im Unternehmen, größere Vielfalt und Flexibilität, besserer Informationsfluss und die Konfliktlösung durch Verhandlungen genannt.176 Zudem fördere Arbeitnehmerpartizipation gegenseitiges Vertrauen und Toleranz und bewahre die „Harmonie zwischen dem Kapital, der Arbeit und dem Unternehmergeist der Manager“.177 Arbeitnehmerpartizipation sei schließlich insbesondere auch förderlich für die Durchsetzung von Veränderungen im Unternehmen.178

168 Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (47). 169 Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (50). 170 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (230 f.). 171 Vgl. Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29). m.w. N.; Haus, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (53 ff.); Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (46). 172 Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358) („z´ródło innowacyjnos´ci [. . .] lez˙y w pracownikach“). 173 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (232) m.w. N. 174 Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (50). 175 Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (51). 176 Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (47 f.). 177 Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (47, 51) („Wdraz˙aja˛c róz˙norodne formy partycypacji pracowniczej zachowujemy tak bardzo potrzebna˛ harmonie˛ mie˛dzy kapitałem, praca˛ i przedsie˛biorczos´cia˛ menedz˙erów“). 178 Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (206).

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

717

Doch auch wenn sich das allgemeine Bewusstsein für die Vorteile der Arbeitnehmerpartizipation weitet, so überwiegt in der Unternehmenspraxis nach wie vor ein eher autoritärer Führungsstil, der mit einer streitigen Konfliktlösung einhergeht.179 In dieser Hinsicht brachte auch der Beitritt Polens zur EU keine wesentliche Änderung.180 In der polnischen Literatur wurde gemutmaßt, dass die Notwendigkeit, die europäischen Regelungen ins nationale Recht zu implementieren und die von der europäischen Gemeinschaft anerkannten Standards zur Arbeitnehmerpartizipation zu beachten, einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen gehabt hätten müssen.181 Die Unternehmenspraxis in Polen zeige jedoch nach wie vor, dass an dem traditionellen Modell der Machtverteilung festgehalten wird.182

II. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – eine nur vorübergehende Lösung? Die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften nach Maßgabe des KommerzG wird nach zutreffender Ansicht und Rechtsprechung nur solange gesetzlich gewährleistet, wie der Staat noch mit wenigstens einer Aktie oder einem Anteil an der im Wege der Kommerzialisierung entstandenen Gesellschaft beteiligt ist.183 In der Praxis werden daher nach Veräußerung aller Staatsanteile die Satzungsbestimmungen oft entsprechend geändert und die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen abgeschafft.184 Gleichzeitig rücken kaum Unternehmen in den Geltungsbereich des KommerzG nach. Zum 31. Dezember 2015 bestanden lediglich noch 19 aktive Staatsunternehmen, deren Umwandlung im Wege der Kommerzialisierung ein Eingreifen der Mitbestimmungsregeln der Artt. 11 ff. KommerzG auslösen könnte.185 Die Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene in kommerzialisierten Unternehmen haben damit einen nur vorübergehenden und vergänglichen Charakter. 179 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (19); Opalski, Rada nadzorcza, S. 103; vgl. auch Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5) sowie Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (163). 180 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (28). 181 So Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (28). 182 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (28). 183 Ausführlich zu dieser Problematik und der insoweit unklaren Gesetzeskonzeption oben Kapitel 3, B.II.1.c). 184 Piwowarczyk, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 79 (85). 185 Näher hierzu oben Kapitel 3, B.III.2.

718

Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

Wie viele kommerzialisierte und sich jedenfalls noch teilweise in staatlicher Hand befindende Unternehmen von der zwingenden Mitbestimmung nach dem KommerzG heutzutage noch betroffen sind, lässt sich mangels diesbezüglicher statistischer Erhebungen leider nicht abschätzen.186 Vor dem Hintergrund der vergänglichen Konzeption der Arbeitnehmerbeteiligung nach dem KommerzG erscheint es umso interessanter, welche Tendenzen sich in Rechtswissenschaft, Praxis und Politik im Hinblick auf die Zukunft der Unternehmensmitbestimmung in Polen abzeichnen. 1. Tendenzen in Rechtswissenschaft und Praxis In den 1990er Jahren wurde die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen als Partizipationsform grundsätzlich von weiten Teilen der polnischen Literatur befürwortet.187 Kritisiert wurde daher, dass das zur damaligen Zeit noch geltende Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1934188 keine Regelungen zur Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vorsah.189 Verwiesen wurde diesbezüglich auf die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildete Praxis in Westeuropa, wonach Arbeitnehmer einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder – der zwischen 1/3 und sogar 50 % schwankte – wählen durften.190 Die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat wurde als ein die Rechtsordnungen der westlichen, gut entwickelten Staaten kennzeichnendes Merkmal gesehen, dessen Nachahmung wünschenswert sei.191 Positiv gesehen wurde daher die mit dem PrivG 1990 eingeführte und vom Mitbestimmungsniveau her dem europäischen Standard entsprechende Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat der in Gesellschaften umgewandelten ehemaligen Staatsunternehmen.192 Auch die im Pakt über das Staatsunternehmen von 1993 niedergelegten Vereinbarungen zur Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung erfuhren starken Zuspruch.193 Schließlich waren die Regelungen des 186 Zur Reichweite der Unternehmensmitbestimmung in Polen vgl. oben Kapitel 3, B.III.2. 187 So etwa Haus, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 18 (25); ders., in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (58); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff.; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (190); Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (20). 188 Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 189 So Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (179). 190 So Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (177, 179). 191 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162; in diese Richtung auch Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179). 192 So Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (180). 193 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f.; Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19).

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

719

KommerzG, insbesondere die Gewährleistung der Arbeitnehmerrechte – anders als noch nach dem PrivG 1990 (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990) – auch nach Veräußerung von mehr als der Hälfte aller Anteile durch den Staat, als „der erste Schritt auf dem Weg zur Übernahme der Standards der Europäischen Gemeinschaft“ gepriesen worden.194 Darüber hinaus wurde die Behandlung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat auch damit gerechtfertigt, dass die kommerzialisierten Gesellschaften aus Staatsunternehmen entstanden waren, in denen der Belegschaftsrat eine wesentliche Rolle bei der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gespielt hatte.195 Seit Umsetzung der europäischen Vorgaben zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer durch das InfKonsG von 2006 ist in der polnischen Literatur indes eine deutliche Zurückhaltung gegenüber der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen zu verspüren – dies sogar von grundsätzlichen Befürwortern der Arbeitnehmerpartizipation.196 Dies dürfte zum großen Teil daran liegen, dass – wie oben dargestellt197 – als primäre Funktion der Arbeitnehmervertreter in den Gesellschaftsorganen die Informationsvermittlung an die Belegschaften („nach unten“) wie auch an den Aufsichtsrat („nach oben“) wahrgenommen wurde, und diese Funktion nach Ansicht polnischer Autoren gleichermaßen auch durch das hierfür eigens eingerichtete Gremium des Arbeitnehmerrates wahrgenommen werden kann.198 So stützen viele polnische Autoren ihre Kritik und Zurückhaltung gegenüber der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen auf die nunmehr bestehende Möglichkeit zur Errichtung von Arbeitnehmerräten.199

194 So Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (181) („pierwszy krok na drodze adaptacji standardów Wspólnoty Europejskiej“, Übersetzung d. Verf.). Zur problematischen Frage des Geltungsbereiches des KommerzG nach Veräußerung sämtlicher Staatsanteile oben Kapitel 3, B.II.1.c). 195 So Haus, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 18 (25). 196 Vgl. etwa Wratny, der sich noch in den 1990er Jahren in Anlehnung an das deutsche Mitbestimmungsmodell für eine allgemeine Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen aller Unternehmen, nicht nur der zum ehemals staatlichen Sektor gehörenden, ausgesprochen hatte, vgl. Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (20), und der sich heutzutage kritisch zu derartigen Vorschlägen äußert, vgl. Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84 f. 197 Oben Kapitel 3, C.II.6. 198 So etwa ausdrücklich Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5). 199 So etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422 f.; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 194; Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5).

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

a) Generelle Zurückhaltung gegenüber der Unternehmensmitbestimmung Die Regelungen in den polnischen Privatisierungsgesetzen über die Besetzung von Aufsichtsratssitzen mit Arbeitnehmervertretern wecken nach wie vor Kontroversen und werden in der Praxis nicht selten als Beschränkung der Arbeit der Aufsichtsräte wahrgenommen.200 Generell lässt sich sowohl in der Praxis als auch in der Rechtswissenschaft eine überwiegende Zurückhaltung gegenüber der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen beobachten.201 In empirischen Untersuchungen und Befragungen in der Praxis ließen sich zahlreiche Aussagen finden, die auf eine eher ablehnende Haltung gegenüber der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene schließen lassen. Dies betraf insbesondere Vorstandsmitglieder, die in Umfragen die gesetzlich eingeführte Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat kritisierten.202 Sie sahen darin ein unnötige Verdoppelung gewerkschaftlicher Aktivitäten und eine Rückkehr zum früheren Modell der Belegschaftsräte im Staatsunternehmen, welches im heutigen Wirtschaftssystem keine Daseinsberechtigung mehr hätte.203 In zahlreichen Fällen stuften die befragten Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaftler die Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat als ineffektiv oder sogar überflüssig ein.204 Die Eigentümer fühlten sich durch die Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat gestört, insbesondere wenn es sich dabei um private Investoren und nicht den Staat handelte.205 Wie häufig bei empirischen Untersuchungen lassen sich naturgemäß auch Gegenbeispiele finden. So zeigten einige Untersuchungen, dass in polnischen Aufsichtsräten auch Arbeitnehmer zu finden waren, die keine Arbeitnehmervertreter im eigentlichen Sinne darstellten, d.h. nicht aufgrund spezifischer Vorschriften von der Arbeitnehmerseite, sondern von Aktionären auf der Hauptversammlung gewählt wurden.206 Betont wurde in 200 Kunert, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 421 (422); zur Beschränkung der effektiven Aufsichtsratstätigkeit ausführlich oben Kapitel 6, B.II. 201 Vgl. etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 109 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422 f.; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 194; ders., Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238); Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84 f. 202 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 77; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116. 203 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 77; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116. 204 Näher Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 96, 114 ff.; ausführlich hierzu oben Kapitel 3, C.II.6.c). 205 Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5). 206 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (181); ders., in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (172), der darauf hinweist, dass dies sogar

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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diesem Zusammenhang, dass eine solche Wahl der Beziehung zwischen der Unternehmensleitung und der Belegschaft zugute kommen müsste.207 Von Seiten der Rechtswissenschaft beruht die Kritik auf mehreren Aspekten. Kritisiert wird zum einen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat aus Sicht potentieller Investoren die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft behindere und damit die Attraktivität der Gesellschaft als Investitionsobjekt mindere.208 Vor dem Hintergrund der Globalisierung und eines internationalen Wettbewerbs um Kapital und Arbeitsplätze stelle die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat daher ein Hindernis dar.209 Argumentiert wird ferner, dass der Aufsichtsrat nicht der geeignete Ort sei, um die Zusammenarbeit zwischen dem Kapital, der Arbeit und dem Vorstand zu fördern und das gegenseitige Vertrauen aufzubauen.210 Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat beeinträchtige nicht nur die Arbeit der Aufsichtsräte, sie beseitige auch nicht die zwischen den Arbeitnehmern und Aktionären bestehenden Konflikte, sondern sei unter Umständen sogar selbst Auslöser von Konflikten.211 Hervorgehoben wird, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat den Arbeitnehmerinteressen den Vorrang gegenüber den Interessen der Aktionäre einräumen und die Gesetzmäßigkeiten des Marktes ignorieren würden und dass der Aufsichtsrat zu einem „Instrument des Klassenkampfes und parteilicher Auseinandersetzungen“ degradiert werde.212 Stattdessen sollte sich der Aufsichtsrat vielmehr auf seine originären Aufgaben konzentrieren.213 Bemängelt wird auch, dass die Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat widerstreitenden Interessen ausgesetzt sei: Während die Gewerkschaften sie als Instrument ihres Einflusses auf das Unternehmen ansähen, zielten die Investoren auf eine „Marginalisierung“ der Arbeitnehmervertreter.214 Dieses Phänomen sei bemerkenswerter Weise auch im Falle deutscher Investoren zu beobachten gewesen, trotz der „langjährigen Tradition“ der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland.215 „relativ häufig“ der Fall war; vgl. aber Opalski, Rada nadzorcza, S. 218, der hervorhebt, dass dies in der Praxis insgesamt nicht besonders häufig vorkommt. 207 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (172). 208 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 111. 209 Ebenda. 210 So Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www.an drzejnartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 211 Opalski, Rada nadzorcza, S. 515. 212 Nartowski, Nadzór bez pracowników? Beitrag in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom 9. September 2010, im Internet abrufbar unter http://www.an drzejnartowski.pl/nadzor-bez-pracownikow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 213 Ebenda. 214 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 116 f. 215 Ebenda.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

Der Umstand, dass sich die Arbeitnehmervertreter mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Interessen der Arbeitnehmer und nicht am Unternehmensinteresse orientierten, könne die Marktposition des Unternehmens im Vergleich zu anderen Konkurrenten schwächen.216 Auch wird kritisiert, dass die Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung im KommerzG dem Wesen einer Aktiengesellschaft widersprächen, die durch einen Vorrang der Interessen der Aktionäre über denjenigen der Arbeitnehmer gekennzeichnet sei.217 Nach dem modernen Corporate-Governance-Konzept bilde das Eigentum die Grundlage der Machtausübung.218 Die Teilhabe der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung habe im Vergleich zum eigentumsbasierten Ansatz der Arbeitnehmerpartizipation eine schwächere Legitimation: Der Arbeitnehmer sei zwar „ein Partner bei der Realisierung gemeinsamer Ziele, allerdings ein Partner mit genau definiertem Tätigkeitsfeld“.219 Über die Angelegenheiten der Gesellschaft und die personelle Besetzung ihrer Organe sollten vielmehr die Aktionäre als Kapitalgeber der Gesellschaft entscheiden.220 Die Gewährung von Sonderrechten an Arbeitnehmer, die nicht immer auch Aktionäre der Gesellschaft sind, wird ferner als Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Aktionäre gesehen.221 Auch könnten die Arbeitnehmer aufgrund der Mitbestimmungsvorschriften unverhältnismäßig viel Einfluss erhalten, insbesondere in Gesellschaften mit einem recht hohen Streubesitz, wo sogar bedeutsame Aktionäre keine eigenen Vertreter im Aufsichtsrat und Vorstand hätten.222 Schließlich gewähre das KommerzG den Arbeitnehmern in kommerzialisierten Gesellschaften ein im Vergleich zu den allgemeinen Regelungen des HGG zusätzliches Instrument zur Einflussnahme auf die Unternehmensführung und zur Wahrnehmung ihrer Rechte.223 Die vorgeschriebene Arbeitnehmerbe216

Postula, Nadzór korporacyjny, S. 194. So etwa Nartowski, Do rady bez automatu, Beitrag vom 20. Juni 2013, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/do-rady-bez-automatu/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 218 So Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (16). 219 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (17) („Pracownik jest partnerem w realizacji wspólnych celów, ale partnerem o s´cis´le okres´lonym polu działania“, Übersetzung d. Verf.). 220 Nartowski, Do rady bez automatu, Beitrag vom 20. Juni 2013, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/do-rady-bez-automatu/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 221 Vgl. Beschlussvorschlag und Begründung des Vorstands der Lubelski We˛giel „Bogdanka“ S. A. für die ordentliche Hauptversammlung am 10. Mai 2011 betreffend die Satzungsänderung und Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft, im Internet abrufbar unter http://ri.lw.com.pl/walne-zgro madzenie-2011-05-10, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 222 So Postula, Nadzór korporacyjny, S. 194. 223 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238). 217

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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teiligung sei als gesetzliches Modell unflexibel und könne die Spezifika einzelner Unternehmen nicht berücksichtigen.224 Schließlich wird betont, dass die Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane in Polen einen „Fremdkörper“ darstelle.225 Allein der historische Hintergrund226 wird als nicht ausreichend angesehen, um die gegenwärtig immer noch bestehende Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften zu rechtfertigen.227 Postuliert wird, dass der Einfluss der Arbeitnehmer auf die Unternehmensführung über hierfür eigens eingerichtete Arbeitnehmervertretungsgremien in den Unternehmen bzw. Betrieben erfolgen sollte, nicht jedoch im Rahmen der Unternehmensverfassung.228 An den polnischen Gesetzgeber wurde appelliert, sich auf den sozialen Dialog und das Verfahren zur Konsultation der Arbeitnehmer zu konzentrieren, was in Verbindung mit den übrigen Mechanismen des kollektiven Arbeitsrechts – so dem Arbeitskampfrecht und Tarifvertragssystem – die Arbeitnehmerrechte ausreichend schütze und effektiver sei als die Minderheitsbeteiligung im Aufsichtsrat.229 Jedenfalls aber sollten die aus der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat resultierenden negativen Folgen miniminiert werden, insbesondere eine umfassende Verschwiegenheitspflicht ausdrücklich gesetzlich normiert werden, der Einfluss der Gewerkschaften auf die Besetzung der Aufsichtsratsmandate beschränkt und eine gerichtliche Möglichkeit für die Aktionäre zur Abberufung der Arbeitnehmervertreter aus wichtigem Grund eingeführt werden.230 Auch müsse den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat bewusst gemacht werden, dass sie die gleichen Pflichten treffen wie alle anderen Aufsichtsratsmitglieder.231 Weitergehend wird die Einführung eines „Opt-out“-Modells postuliert, sodass durch entsprechende Satzungsbestimmung von den derzeit zwingenden gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden könnte.232 Die Unternehmen, die von dieser „Opt-out“-Möglichkeit Gebrauch machen würden, könnten mutmaßlich sogar mit positiven Effekten auf dem Kapitalmarkt rechnen.233 Langfristig betrachtet sollte das „Opt-out“-Modell „den ersten Schritt auf dem Weg zu [einer] vollständigen Abschaffung“ der Arbeitnehmerbeteiligung in den 224

Opalski, Rada nadzorcza, S. 113. Opalski, Rada nadzorcza, S. 112; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 913. 226 Vgl. hierzu Kapitel 2, A.II.4. sowie Kapitel 3, A.II.2.a) und Kapitel 3, A.II.2.b). 227 So Postula, Nadzór korporacyjny, S. 194; vgl. auch Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 913. 228 So Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422 f., 913. 229 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 112 f. 230 Opalski, Rada nadzorcza, S. 113. 231 Ebenda. 232 Hierfür Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 423, 911 ff. 233 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 912. 225

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

Gesellschaftsorganen darstellen.234 Eine Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung auf den privatwirtschaftlichen Sektor wird heutzutage selbst von Autoren abgelehnt, die dies in den 1990er Jahren noch für erstrebenswert gehalten hatten.235 Der Erhalt oder gar eine Ausweitung der bestehenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen steht zurzeit auch nicht im politischen Fokus, auch wenn soziale Themen eine immer größere Rolle in Polen spielen.236 Im Allgemeinen scheinen heutzutage einzig die Gewerkschaften die Institution der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen, in der sie ein eigenes Machtinstrument sehen237, verteidigen zu wollen.238 Gleichwohl messen auch die Gewerkschaften der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen offensichtlich keinen allzu großen Stellenwert bei. Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ und die FZZ erwähnen den Erhalt oder den Ausbau der Unternehmensmitbestimmung in ihren Gewerkschaftsprogrammen mit keinem Wort239, auch sonst wird die Unternehmensmitbestimmung auf ihren Internetauftritten nicht ausdrücklich benannt, hervorgehoben oder bekräftigt240. Die OPZZ benennt die Arbeitnehmer234 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 913 („[. . .] oparcie tej instytucji na modelu opt-out powinno stanowic´ pierwszy krok na drodze do jej całkowitego usunie˛cia z polskiego systemu prawa“, Übersetzung d. Verf.). 235 So etwa Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5) sowie ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84 f., der sich noch in den 1990er Jahren in Anlehnung an das deutsche Mitbestimmungsmodell für eine allgemeine Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen aller Unternehmen, nicht nur der im ehemals staatlichen Sektor, ausgesprochen hatte, vgl. Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (20). 236 Vgl. das Parteiprogramm der aus den Parlamentswahlen im Oktober 2019 siegreich hervorgegangenen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ („Prawo i Sprawiedliwos´c´ “ – kurz „PIS“), abrufbar unter http://pis.org.pl/materialy-do-pobrania, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 237 Hierzu siehe oben Kapitel 5, A.II.2. 238 Vgl. etwa die Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos´c ´ “ zum Gesetzesentwurf 2010/2011, hierzu unten Kapitel 7, B.II.2.b); ebenso die Gewerkschaft der Arbeitnehmer in der Kupferindustrie „ZZPPMM“ im Beitrag „Pracownik w radzie nadzorczej“ in der Gewerkschaftszeitung „Zwia˛zkowiec“ vom 24. April 2014, S. 4, abrufbar unter https://www.zzppm.pl/zwiazkowiec-archiwum/#2, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 239 Vgl. Grundsatzprogramm der NSZZ „Solidarnos ´c´ “ vom 29. August 2007, abrufbar unter http://www.solidarnosc.org.pl/dokumenty/statutowo-wyborcze/deklaracja-pro gramowa, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 sowie das Grundsatzprogramm der FZZ, abrufbar unter http://fzz.org.pl/prawo/deklaracja-programowa/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 240 Vgl. die auf den Internetseiten der NSZZ „Solidarnos ´c´ “ (http://www.solidar nosc.org.pl/) und der FZZ (http://fzz.org.pl/) vorzufindenen Dokumente, Aussagen, Verweise etc.

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vertretung in den Aufsichtsräten und Vorständen in ihrem Programm für die Jahre 2018 bis 2022 zwar als eine wesentliche Partizipationsform, die es nach westlichem Vorbild auf die Privatwirtschaft auszuweiten gilt.241 Vor dem Hintergrund jedoch, dass aber das KommerzG, welches als einziges rein nationales Gesetz diese Partizipationsform in Polen vorsieht, noch nicht einmal auf der Website der OPZZ bei den „wichtigen Rechtsgrundlagen“ oder denjenigen Gesetzen, die „ein Gewerkschaftler kennen sollte“ oder „müsse“ aufgelistet wird242, erscheint die sich auf einen kurzen Satz im Grundsatzprogramm beschränkende Forderung allerdings nur sehr halbherzig gemeint zu sein. Vielmehr liegt der Eindruck nahe, dass die Gewerkschaften auf anderen – deutlich gewerkschaftsnäheren und unmittelbareren – Wegen eine Stärkung ihrer Positionen zu erreichen versuchen, wie sich etwa jüngst an der Ausweitung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts243 sehr gut erkennen lässt. b) Arbeitnehmerräte als vorzugswürdiges Mittel der Arbeitnehmerpartizipation Schon in den 1990er Jahren wurde in der polnischen Literatur kritisiert, dass die Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung durch ein eigenständiges Arbeitnehmervertretungsgremium auf Ebene des Betriebs unterblieben war.244 Hingewiesen wurde darauf, dass die Entwicklung eines Dialogs und einer Zusammenarbeit auf Ebene des Betriebs bzw. Unternehmens, wo die alltäglichen, aber gleichwohl wichtigen Angelegenheiten zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern entschieden würden, notwendige Voraussetzung für eine gut funktionierende Mitwirkung der Arbeitnehmer auf Ebene des Aufsichtsrats sei.245 Die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat könne nur als Ergänzung, nicht aber als Ersatz für Partizipationsformen auf Ebene der Betriebe bzw. Unternehmen dienen.246 Nach241 Vgl. Grundsatzprogramm der OPZZ vom 24./25. Mai 2018, abrufbar unter http:// www.opzz.org.pl/assets/opzz/media/files/d2bde577-f1ee-4487-ae30-94714ab2fd99/pro gram-opzz-na-lata-2018-2022.pdf, S. 7, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 242 Vgl. https://www.opzz.org.pl/o-nas/obowiazujace-akty-prawne, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 243 Vgl. hierzu das Urteil des Polnischen Verfassungsgerichts vom 2. Juni 2015, Az.: K 1/13, Dz. U. 2015 Pos. 791, sowie Art. 1 des Gesetzes über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608, zu Letzterem näher oben Kapitel 5, A.I.1.a). 244 So etwa Gładoch, in: Goz ´ dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225 f.); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 48; für die Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf betrieblicher Ebene auch schon Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72 f.); vgl. auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (226, 234). 245 Opalski, Rada nadzorcza, S. 112; in diese Richtung auch schon Gładoch, in: Goz´dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225). 246 Ebenda.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

dem in Umsetzung europäischer Vorgaben mit dem InfKonsG vom 7. April 2006247 eine betriebliche Arbeitnehmervertretung in Form von Arbeitnehmerräten eingeführt wurde, tendiert die polnische Literatur dazu, die Partizipation auf betrieblicher Ebene als vorzugswürdiges Mittel der Arbeitnehmerpartizipation anzusehen und angesichts dessen die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen als überflüssig zu erachten. Eine Rechtfertigung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene wird heute vor allem vor dem Hintergrund der mit der Einführung dieser Partizipationsform Anfang der 1990er Jahre verfolgten Zielsetzung abgelehnt. In der polnischen Literatur248 wird betont, dass die Vorschriften des KommerzG zur Beteiligung der Arbeitnehmer nicht auf ideologischen Erwägungen beruhen, sondern im Wesentlichen ein Zugeständnis an die Arbeitnehmer für die Abschaffung der Selbstverwaltungsorgane in den ehemaligen Staatsunternehmen darstellten.249 Die eingeführte Arbeitnehmerbeteiligung sollte den Verlust der Einflussmöglichkeiten der Belegschaften ehemaliger Staatsunternehmen auf die Unternehmensführung, den sie über die Selbstverwaltungsorgane hatten, rekompensieren.250 Diese rechtspolitische Begründung sei jedoch mittlerweile aufgrund der Implementierung europarechtlicher Vorgaben zur Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern überholt, da hierdurch – weit besser geeignete – Partizipationsformen in Gestalt der Arbeitnehmerräte und der Europäischen Betriebsräte entstanden seien.251 Unter den heutigen Rahmenbedingungen könnten die Arbeitnehmer sowohl über Gewerkschaften als auch über die Arbeitnehmerräte nach Maßgabe des InfKonsG Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen.252 Insbesondere die Arbeitnehmerräte könnten heutzutage die Partizipationsfunktion übernehmen, weswegen sich die Rechte der Arbeitnehmer zur Wahl ihrer Vertreter in den Vorstand und Aufsichtsrat kommerzialisierter Gesellschaften nur noch schwerlich begründen und rechtfertigen ließen.253 247 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 248 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 102. 249 Hervorgehoben von Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; ausführlich zum Ziel und Rechtfertigung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG siehe oben Kapitel 3, A.II.2. 250 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238); ders., Nadzór korporacyjny, S. 193; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 251 So etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422 f. 252 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238). 253 So etwa Postula, Nadzór korporacyjny, S. 194; Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/ 2009, S. 1 (5).

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Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang scheint zu sein, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat stets nur eine Minderheitenstellung einnehmen254 und die Rolle und Funktion der Arbeitnehmervertreter daher maßgeblich in der Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat („nach oben“) bzw. – unter Wahrung der gebotenen Verschwiegenheit in bestimmten Angelegenheiten – an die Belegschaft („nach unten“) gesehen wird.255 In diesem Zusammenhang wird betont, dass zwar die Stärke der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in ihrem Wissen in Bezug auf unternehmensinterne Angelegenheiten und die Stimmungslage innerhalb der Belegschaft liege, welches die Anteilseignervertreter nicht hätten, und dass ihnen dieses Wissen sowie ihre Verbundenheit mit der Belegschaft die Wahrnehmung dieser Informationsvermittlungsfunktion erlaube.256 Doch wenngleich diese Funktion auch sehr wesentlich sei, so erkläre sie dennoch nicht hinreichend die Sinnhaftigkeit der Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten kommerzialisierter Unternehmen, insbesondere wenn im Unternehmen zugleich auch Arbeitnehmerräte bestünden, denen nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 InfKonsG ein Informationsanspruch in Bezug auf die Geschäftstätigkeit und wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers sowie die in diesem Bereich beabsichtigten Änderungen zusteht.257 Zwar heben einige Autoren hervor, dass die Arbeitnehmerpartizipation eine besondere Ausdrucksweise des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern sei und daher indirekt auch ihre Verankerung in der polnischen Verfassung habe.258 Gleichwohl ergebe sich aus Art. 20 der Polnischen Verfassung, dass die Arbeitnehmerpartizipation die Grundsätze der Marktwirtschaft und des Privateigentums nicht beeinträchtigen dürfe, weswegen sie sich im Privatsektor im Grundsatz auf die Information und Konsultation beschränken müsse.259 Andere Autoren plädieren dafür, den Belegschaften verschiedene Partizipationsformen anzubieten, die sich anhand der Bedürfnisse der jeweiligen Unternehmen unterscheiden könnten: So etwa bräuchte man in größeren Unternehmen eine Partizipation auf mehreren Ebenen, in kleineren – wo das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer direkter ist – seien hingegen andere

254 Zur zahlenmäßigen Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat oben Kapitel 3, C.II.2.b)bb). 255 So etwa Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4 f.); ausführlich zu der Informationsvermittlungsfunktion der Arbeitnehmervertreter oben Kapitel 3, C.II.6.a). 256 Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (4 f.); vgl. hierzu auch die Erkenntnisse von Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff.). 257 So Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5). 258 So Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182. 259 Ebenda.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

Formen der Partizipation angemessener.260 Auch die Branche und die Tradition einzelner Unternehmen würde hierbei eine Rolle spielen.261 Im Hinblick auf das InfKonsG werden vielfach Vorschläge zur Überarbeitung des Gesetzes unterbreitet.262 Als klärungsbedürftig wird das Verhältnis der Arbeitnehmerräte zu den Betriebsgewerkschaften und den Ad-hoc-Repräsentationen erachtet.263 Postuliert wird einerseits die Vereinigung der Kompetenzen der Adhoc-Repräsentationen und der Arbeitnehmerräte in einer einzigen Institution, andererseits wird vorgeschlagen, in nicht gewerkschaftlich organisierten Unternehmen die Rechte des Arbeitnehmerrates auszuweiten und ihm zumindest teilweise auch gewerkschaftliche Kompetenzen zuzugestehen.264 Aufgrund des unterschiedlichen Modells der gewerkschaftlichen Kompetenzen ist jedoch davon auszugehen, dass sich auch nach einer etwaigen Überarbeitung des InfKonsG die Arbeitnehmerräte in ihrer Rolle und Funktion weiterhin deutlich von den deutschen Betriebsräten unterscheiden werden.265 Generell bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit die Arbeitnehmerräte zukünftig auf mehr Akzeptanz in der Unternehmenspraxis stoßen werden.266 c) Andere Formen der Interessenvertretung Neben der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen und Arbeitnehmerräten bestehen schon heute weitere Möglichkeiten, über welche eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer erfolgen kann. Teilweise werden diese Möglichkeiten als Argument dafür herangezogen, um die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene abzuschaffen. So etwa wird darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmer heutzutage auch über die Gewerkschaften Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben könnten, 260 Wratny/Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 285. 261 Ebenda. 262 Vgl. etwa den Gesetzesvorschlag von INSPRO, der in Zusammenarbeit mit Arbeitnehmerräten erstellt wurde und der am 14. Juni 2016 auf dem landesweiten Forum der Arbeitnehmerräte in Warschau vorgestellt wurde, abrufbar unter https://radypra cownikow.info/bank-wiedzy/122467/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; für eine Gesetzesreform auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 134, 285 f. 263 Hierzu oben Kapitel 5, B.I.2.c). 264 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 134, 285 f. sowie ebenso jüngst ders., Fenomen partycypacji pracowniczej, Kapitel III § 3.III. 265 Vgl. insoweit schon den Hinweis von Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164 ff. mit ausführlichen Vorschlägen, wie Betriebsräte in Polen ausgestaltet sein könnten. 266 Zur Bedeutung der Arbeitnehmerräte in der Praxis ausführlich oben Kapitel 5, B.II.

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weswegen eine zusätzliche Einflussnahme über die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen als ungerechtfertigt erachtet wird.267 Auch in empirischen Befragungen wurde die Ansicht vertreten, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat unnötigerweise die Tätigkeit der Gewerkschaften dupliziere und die von den Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsratssitzungen angeführten Themen besser zwischen dem Vorstand und den Gewerkschaften besprochen werden sollten, was früher oder später ohnehin geschehe.268 Die Gewerkschaften selbst hingegen gehen ihrem Selbstverständnis entsprechend davon aus, dass Tarifverträge die Grundlage einer wahrhaftigen Arbeitnehmerpartizipation seien, weswegen dieses Instrument in der Praxis ausgebaut werden sollte.269 Inwieweit die gewerkschaftliche Interessenvertretung die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene jedoch kompensieren kann, mag indes bezweifelt werden. Fraglich erscheint dies nicht nur aufgrund des geringen Organisationsgrades270 – denn schließlich können die Arbeitnehmer diesen Umstand selbst beeinflussen. Gewichtiger dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass die Tätigkeit von Gewerkschaften mit ihrem Recht zum Arbeitskampf traditionellerweise eher konfliktorientiert ausgerichtet ist, sodass sich im Falle einer Interessenvertretung über Gewerkschaften eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite schwieriger gestalten dürfte. Teilweise wurde auch der soziale Dialog im Rahmen der Triparitätischen Kommission (seit 2015 abgelöst vom Rat des sozialen Dialogs) dafür herangezogen, um die Überflüssigkeit der Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene zu begründen.271 Angesichts der deutlich unterschiedlichen Wirkungsebenen und Einflussmöglichkeiten der beiden Institutionen272 ist dies nur schwer nachvollziehbar, scheint allerdings in der historischen Rolle der Selbstverwaltung – deren Kontinuität die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen darstellt273 – als dem Gegenspieler zur damaligen sozialistischen Staatsmacht zu wurzeln274. 267

So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230

(238). 268

Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 77. Vgl. die Aussage des Vorsitzenden der NSZZ „Solidarnos´c´ “ Piotr Duda auf einer Konferenz zum Thema Tarifverträge („Układy zbiorowe pracy – droga˛ do społecznej gospodarki“) am 17. Oktober 2017 in Warschau, abrufbar unter http://www.solidar nosc.org.pl/aktualnosci/wiadomosci/kraj/item/15648-przyzwoitosc-w-kodeksie-partycy pacja-w-ukladach-zbiorowych-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 270 Hierzu oben Kapitel 5, A.I.2.b)bb). 271 So etwa die Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, SejmDrucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 14, abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6 ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Näher zu dem Gesetzesprojekt unten Kapitel 7, B.II.2.b). 272 Hierzu oben Kapitel 5, C.II. 273 Ausführlich hierzu oben Kapitel 3, A.II.2.b). 269

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Eine weitere Möglichkeit der Arbeitnehmer zur Einflussnahme auf die Unternehmensführung besteht aufgrund der kapitalbasierten Beteiligung der Arbeitnehmer in Form von Aktien oder Anteilen (sog. „kapitalbasierte Arbeitnehmerbeteiligung“ – „partycypacja kapitałowa“), die ihnen im Rahmen der Hauptbzw. Gesellschafterversammlung verschiedene Befugnisse und Mitspracherechte einräumt.275 Da das HGG die Wahrnehmung des Aufsichtsratsamtes durch als Arbeitnehmer beschäftigte Personen nicht grundsätzlich ausschließt276, könnten die Arbeitnehmer insbesondere im Hinblick auf das Gruppenwahlrecht gemäß Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG sogar einen Vertreter aus den eigenen Reihen in den Aufsichtsrat entsenden, womit die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat eine eigentumsbasierte Rechtfertigung hätte. Realistisch ist eine solche Wahl sowie generell die Möglichkeit zur Einflussnahme über die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung indes nur dann, wenn die Arbeitnehmer sich als einheitliche Gruppe verstehen und ihr Gesamtanteil einen nicht unwesentlichen Anteil ausmacht. Allerdings zeigen frühere Erfahrungen, dass die Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit den Privatisierungsprozessen vergünstigt bzw. sogar unentgeltlich Anteile des Unternehmens erwerben konnten, diese Anteile sehr schnell weiterveräußerten und sich so selbst ihres dadurch möglichen Einflusses auf die Unternehmensführung entmachteten.277 Möglicherweise wird deshalb auch die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer in der polnischen Literatur nicht als Ersatz für die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand angesehen und diskutiert. Gleichwohl wird aber jedenfalls in der jüngeren Literatur die Förderung der kapitalbasierten Arbeitnehmerbeteiligung als Ergänzung zu sonstigen Partizipationsformen – allen voran der betrieblichen gewerkschaftsunabhängigen Interessenvertretung – befürwortet.278 Mit Ausnahme der Fälle des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 StaatsVermVerwG besteht nach den Vorschriften des HGG auch unabhängig von der Kapitalbeteiligung der

274 Hierauf lässt die Aussage in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 14 (abrufbar unter http:// orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020) schließen, in der es heißt, dass es heutzutage mit u. a. der Triparitätischen Kommission effektive Mechanismen zur Kontrolle der Staatsmacht gäbe. 275 Näher hierzu oben Kapitel 5, C.I. 276 Kritisch hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 216 ff.; zum Ausschluss bestimmter Personengruppen vom Aufsichtsratsamt, u. a. den zum oberen Management gehörenden Arbeitnehmern vgl. oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(3). 277 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 35; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 245; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182); näher hierzu oben Kapitel 5, C.I. 278 So jüngst Wratny, Fenomen partycypacji pracowniczej, Kapitel IV § 6 sowie Kapitel V Rn. 9, 11.

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Arbeitnehmer generell die Möglichkeit, dass Aktionäre einen Arbeitnehmer als Aufsichtsratsmitglied wählen, was in der Praxis zwar nicht regelmäßig, aber immerhin gelegentlich vorkommt279. Gleichwohl dürfte eine derartige Arbeitnehmerbeteiligung nur dann zu erwarten sein, wenn bei den Aktionären die Überzeugung vorherrscht, dass ein Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat für die Gesellschaft und die Interessen der Aktionäre Vorteile bringt. Auf der Grundlage von Beobachtungen in der Praxis wird die freiwillige Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat auch auf die Notwendigkeit zurückgeführt, für gute Beziehungen zwischen den Anteilseignern und der Belegschaft zu sorgen.280 Für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung gilt gemäß der Einschränkung des Art. 19 Abs. 1 Pkt. 2 StaatsVermVerwG indes, dass das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt keine Personen als Aufsichtsratsmitglied vorschlagen soll, die in einem Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft stehen.281 Die Möglichkeit, dass das Aufsichtsratsmandat von Arbeitnehmern aufgrund einer Wahl durch die Aktionäre im Rahmen der Hauptversammlung wahrgenommen wird, wird in der polnischen Literatur jedoch vor allem im Hinblick auf den fehlenden besonderen Schutz der so gewählten Arbeitnehmer vor Kündigungen und anderweitigen nachteiligen Änderungen ihres Arbeitsverhältnisses – wie dies etwa in Art. 15 KommerzG gewährleistet ist – und einer daraus folgenden möglichen Einschränkung der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats kritisiert.282 Postuliert wird daher, Arbeitnehmer – wie dies im früheren Handelsgesetzbuch von 1934 vor 1990 der Fall war283 – generell vom Aufsichtsratsmandat auszuschließen und eine Ausnahmeregelung nur für die aufgrund von Spezialgesetzen gewählten Arbeitnehmervertreter vorzusehen.284

279 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 218, demzufolge die Wahl von Arbeitnehmern durch die Aktionäre eher selten vorkomme, wogegen nach den Untersuchungen von Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (181) sowie ders., in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (172), dies sogar „relativ häufig“ der Fall war. 280 So Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (181). 281 Die in ihrem Geltungsbereich stärker beschränkte, da nur für kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates geltende Vorgängerregelung des Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG a. F., derzufolge die Anteilseignervertreter nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem kommerzialisierten Unternehmen stehen durften, ist mit Wirkung zum 1. Januar 2017 aufgehoben und durch Art. 19 StaatsVermVerwG ersetzt worden. 282 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 216 ff., 218; vgl. zu diesem Aspekt auch oben Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(1). 283 Vgl. Art. 378 des Handelsgesetzbuchs („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934 urspr. Fassung, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502; hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 216. 284 Hierfür Opalski, Rada nadzorcza, S. 516.

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2. Gesetzesinitiativen Auf politischer Ebene lassen sich in den letzten 20 Jahren in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen unterschiedliche Ansätze vorfinden. Je nach politischer Ausrichtung der Regierung und der Mehrheiten im Parlament schwankten die Vorschläge von einer allgemeinen Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung für Unternehmen der Privatwirtschaft bis hin zu ihrer vollständigen Abschaffung. a) Gesetzesprojekt 2006/2007 über ein Kollektivarbeitsgesetzbuch und die weitgehende Einführung von Unternehmensmitbestimmung in allen Aktiengesellschaften Im Jahr 2002 wurde von dem damaligen Ministerpräsident Leszek Miller (SLD) und auf Initiative des damaligen Ministers für Arbeit und Sozialpolitik Jerzy Hausner (SLD) die sog. „Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts“ ins Leben gerufen.285 Die Kommission wurde für eine Amtszeit von vier Jahren berufen und sollte Vorschläge zur Rekodifizierung des individuellen Arbeitsrechts und zur Kodifizierung des kollektiven Arbeitsrechts formulieren sowie entsprechende Gesetzesentwürfe hierzu unterbreiten (vgl. §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 1 der Verordnung des Ministerrates über die Errichtung der „Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts“ vom 20. August 2002286). Sie setzte sich aus namhaften Vertretern der Rechtswissenschaft und Richtern des Obersten Gerichts zusammen, die vom Ministerpräsidenten auf Vorschlag des Arbeitsministers ernannt wurden (vgl. § 3 der Verordnung des Ministerrates über die Errichtung der „Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts“ vom 20. August 2002).287 Am 5. Dezember 2006 übermittelte die Kommission dem damaligen Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyn´ski einen Gesetzesentwurf für ein neues Arbeitsgesetzbuch sowie einen Gesetzesentwurf für ein kollektives Arbeitsgesetzbuch (nachfolgend: „KollArbGB-2007“).288 285 Vgl. die Verordnung des Ministerrates über die Errichtung der „Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts“ vom 20. August 2002, Dz. U. 2002 Nr. 139 Pos. 1167 sowie hierzu auch die Informationen des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums unter https://archiwum.mpips.gov.pl/prawo-pracy/projekty-kodeksow-pracy/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 286 Verordnung des Ministerrates über die Errichtung der „Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts“ vom 20. August 2002. Dz. U. 2002 Nr. 139 Pos. 1167. 287 Mitglieder der Kommission waren u. a. Prof. Michał Seweryn ´ ski, Prof. Ludwik Florek, Prof. Grzegorz Goz´dziewicz, Prof. Walerian Sanetra und Prof. Jerzy Wratny; vgl. zur Zusammensetzung der Kommission https://archiwum.mpips.gov.pl/prawo-pra cy/projekty-kodeksow-pracy/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 288 Angaben des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums unter https://archi wum.mpips.gov.pl/prawo-pracy/projekty-kodeksow-pracy/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Der dort abrufbare Entwurf datiert vom April 2007, er wurde jedoch erst 2008 veröffentlicht, vgl. Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (1).

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Das KollArbGB-2007 sah eine Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene für Gesellschaften der Privatwirtschaft vor. Gemäß Art. 77 Pkt. 1 KollArbGB-2007 sollten die Arbeitnehmer in allen Gesellschaften mit 100 bis 500 einen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestimmen dürfen („prawo desygnowania“ 289), in Gesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern sollte sich dieses Recht auf zwei Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erstrecken (vgl. Art. 77 Pkt. 2 KollArbGB-2007). Die im KollArbGB-2007 vorgesehenen Regelungen waren äußerst knapp und bestanden aus nur vier kurzen Artikeln (Artt. 77 bis 80 KollArbGB-2007). Vorgesehen war darin, dass die Arbeitnehmervertreter für die Amtszeit des Aufsichtsrats gewählt werden und die Vorschriften des KollArbGB-2007 in Bezug auf die Wahl der Mitglieder des Betriebsrates – einer nach Maßgabe der Artt. 65 ff. KollArbGB-2007 vorgesehenen, neuartigen Institution in polnischen Betrieben290 –, die eine unmittelbare Wahl durch die Belegschaft vorsahen, entsprechend gelten sollten (vgl. Art. 78 KollArbGB-2007 i.V. m. Artt. 68, 71 KollArbGB-2007). Auch für die Beendigung des Aufsichtsratsmandats wurde auf die Vorschriften über den Betriebsrat verwiesen (Art. 78 § 2 KollArbGB-2007 i.V. m. Art. 74 KollArbGB-2007). Art. 79 KollArbGB-2007 konstituierte eine Pflicht der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die Arbeitnehmer über die im Aufsichtsrat behandelten Angelegenheiten und die von diesem gefassten Beschlüsse in der beim jeweiligen Arbeitgeber üblichen Art und Weise zu informieren. Eine Einschränkung erfuhr diese Informationspflicht jedoch insoweit, als die Informationen vertrauliche Angelegenheiten betrafen, die der Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungswürdig deklariert hat und die von den Arbeitnehmervertretern daher geheimzuhalten waren (vgl. Art. 79 Satz 2 KollArbGB-2007 i.V. m. Art. 64 § 1 KollArbGB-2007). Darüber hinaus stand dem Arbeitgeber gemäß Art. 79 Satz 2 KollArbGB-2007 i.V. m. Art. 64 § 2 KollArbGB2007 auch das Recht zu, Informationen gegenüber den Arbeitnehmervertretern zurückzuhalten, wenn ihre Offenbarung unter Zugrundelegung objektiver Kriterien die Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers beeinträchtigen oder ihm einen nicht unerheblichen Schaden zufügen könnte. In beiden Fällen sah das KollArbGB2007 Rechtsschutzmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter vor (vgl. Art. 79 Satz 2 KollArbGB-2007 i.V. m. Art. 64 §§ 3 bis 5 KollArbGB-2007). In Art. 80 § 1 KollArbGB-2007 wurde ein Freistellungsanspruch der Arbeitnehmervertreter

289 Art. 77 Pkt. 1 KollArbGB-2007: „Pracownicy spółki maja˛ prawo desygnowania do jej rady nadzorczej: 1. jednego przedstawiciela, jez˙eli spółka zatrudnia od 100 do 500 pracowników; [. . .]“. 290 Das KollArbGB-2007 sah die Errichtung eines Betriebsrats in Betrieben mit mehr als 50 Arbeitnehmern, in denen keine Betriebsgewerkschaften tätig waren, sowie die Wahl eines Delegierten in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben mit 20 bis 50 Arbeitnehmern vor (vgl. Art. 65 KollArbGB-2007). Die Betriebsräte (bzw. Delegierten) sollten das Recht zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer wahrnehmen (vgl. Art. 65 § 1 Satz 1 KollArbGB-2007) und damit anscheinend die derzeit bestehenden Arbeitnehmerräte nach Maßgabe des InfKonsG ersetzen.

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unter Fortzahlung der Vergütung für die Zeit der Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen vorgesehen. Art. 80 §§ 2 und 3 KollArbGB-2007 enthielten Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmervertreter vor einer Kündigung und Änderung der Arbeitsbedingungen zu Ungunsten der Arbeitnehmer während ihrer Amtszeit als Aufsichtsratsmitglied sowie für einen Zeitraum nach Beendigung des Aufsichtsratsmandats, der der Hälfte der Amtszeit entsprechen sollte. Eine Kündigung oder Änderung der Arbeitsbedingungen sollte in dieser Zeit nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats erfolgen dürfen. Ausnahmen hiervon sollten lediglich für eine fristlose Kündigung aufgrund einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers (vgl. Art. 80 § 2 letzter Hs. KollArbGB-2007) sowie wenn eine Änderung der Arbeitsbedingungen durch Spezialvorschrift ausdrücklich zugelassen war (vgl. Art. 80 § 3 letzter Hs. KollArbGB-2007) gelten. Die Gesetzesentwurfsbegründung zu den Artt. 77 bis 80 KollArbGB-2007291 ist noch knapper als die Vorschriften selbst. Sie beschränkt sich auf die Aussage, dass sich die Artt. 77 bis 80 KollArbGB-2007 in gewissem Maße an den bestehenden Regelungen orientieren, die Arbeitnehmern in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung ein Recht auf Entsendung ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat einräumen. Neben der Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat auf Gesellschaften der Privatwirtschaft integrierte der Gesetzesentwurf in Titel VI. auch die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE und der Europäischen Genossenschaft sowie zu Europäischen Betriebsräten in das KollArbGB-2007. Wesentliche inhaltliche Änderungen erfolgten hierbei nicht. Insbesondere wurden die als verfassungswidrig kritisierten Vorschriften zum Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter292 nicht geändert (vgl. Artt. 187 § 1, 223 § 1, 276 § 1 KollArbGB-2007). Im Hinblick auf die Arbeitnehmerräte sah der Gesetzesentwurf vor, dass die nunmehr als Betriebsräte bezeichnete außergewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung nur im Falle einer fehlenden betrieblichen Gewerkschaftsorganisation errichtet werden konnte (vgl. Art. 65 § 1 KollArbGB2007). In der Literatur stieß die Gesetzesinitiative auf Zurückhaltung. Selbst grundsätzliche Befürworter der Arbeitnehmerpartizipation wie etwa Prof. Jerzy Wratny – der selbst Mitglied der „Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts“ war – äußerten sich skeptisch zu der mit dem Gesetzesprojekt bezweckten Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen auf nicht aus einer Umwandlung eines Staatsunternehmens hervorgegangene Kapitalgesellschaften

291 Gesetzesbegründung zum KollArbGB-2007, S. 29, abrufbar unter https://ar chiwum.mpips.gov.pl/prawo-pracy/projekty-kodeksow-pracy/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 292 Hierzu oben Kapitel 4, B.I.2.b)dd)(1), Kapitel 4, B.II.2., Kapitel 5, B.I.5.

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der Privatwirtschaft.293 Generell fand das Gesetzesprojekt nur sehr wenig Beachtung in der polnischen Rechtswissenschaft.294 Zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens ist es jedoch nicht gekommen. Zwar wurde betont, dass die von der Kommission erarbeiteten Gesetzesentwürfe in weiten Teilen auf Zustimmung der Sozialpartner gestoßen seien, allerdings habe es an dem „politischen Willen“ gefehlt, diesbezügliche Arbeiten aufzugreifen und ein neues Arbeitsrecht zu kodifizieren“.295 Dies mag mutmaßlich auch mit dem politischen Wechsel im November 2007 hin zu einer mehr liberalen Regierung zusammengehangen haben. b) Reformvorhaben 2010/2011 zur Abschaffung der gesetzlichen Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in kommerzialisierten Unternehmen Die neue Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk legte dem polnischen Parlament im November 2010 den Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates296 vor. Allgemeines Ziel des Gesetzesentwurfs war die „Einführung einheitlicher und effektiver Mechanismen in Bezug auf die Ausübung der korporativen Rechte des Staates in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung und ihre Privatisierung“.297 Unter anderem sah der Regierungsentwurf im Zuge dessen auch die Abschaffung der

293 Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan ´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (5); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 84 f. 294 Wratny, Zwia˛zki zawodowe i inne formy przedstawicielstwa pracowniczego, MoPr 12/2013, S. 632 (634). 295 So die Aussagen auf der Konferenz der Senatskommission für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Petitionen („Komisja Praw Człowieka, Praworza˛dnos´ci i Petycji“) zur „Rekodifizierung des Arbeitsrechts“ („Rekodyfikacja prawa pracy“) am 24. April 2012, an der u. a. Prof. Michał Seweryn´ski und Prof. Monika Gładoch teilgenommen hatten („Zwracano równiez˙ uwage˛, ˙ze choc´ załoz˙enia i projekty kodeksu pracy oraz zbiorowego kodeksu pracy z 2007 r. w duz˙ej mierze spotkały sie˛ z akceptacja˛ partnerów społecznych, to nie było politycznej woli podje˛cia prac nad nimi i uchwalenia nowego prawa pracy.“ Übersetzung d. Verf.), abrufbar unter http://sewerynski.pl/2012/ 04/24/konferencja-rekodyfikacja-prawa-pracy/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 296 Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 297 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1 („na pierwszy plan wysuwa sie˛ koniecznos´c´ wprowadzenia jednolitych i efektywnych mechanizmów wykonywania przez Skarb Pan´stwa uprawnien´ korporacyjnych w spółkach i prywatyzacji spółek z udziałem Skarbu Pan´stwa“, Übersetzung d. Verf.).

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Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften vor.298 Anders als die Gesetzesentwurfsbegründung zum Projekt des kollektiven Arbeitsgesetzbuchs aus dem Jahr 2007 setzt sich die Regierungsentwurfsbegründung sehr ausführlich mit der Problematik der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand kommerzialisierter Gesellschaften und den Gründen für ihre Abschaffung auseinander.299 Im Zusammenhang mit dem Recht der Arbeitnehmer zur Wahl ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat führt die Regierungsentwurfsbegründung300 aus, dass die Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zu Beginn des Transformationsprozesses eingeführt wurde, als es noch keine entwickelten und allgemein verbindlichen Mechanismen zum Schutz der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer gab. Die Einführung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat sollte damals eine Kontinuität der von der „demokratischen Opposition“ gegen das damalige System erkämpften Arbeitnehmerselbstverwaltung darstellen, die nicht nur einen unabhängigen Dialog der Gesellschaft mit der damaligen politischen Macht gewährleistete, sondern auch eine willkürliche Gestaltung der sozialökonomischen Bedingungen durch diese beschränken konnte. Vor dem Hintergrund der mittlerweile entwickelten und effektiven demokratischen Strukturen des Landes, insbesondere der bestehenden Mechanismen zur Kontrolle staatlichen Handelns u. a. im Rahmen der Triparitätischen Kommission, sowie der institutionellen Sicherstellung eines effektiven sozialen Dialogs zwischen den Arbeitnehmern und sämtlichen Arbeitgebern fehle es heutzutage jedoch „an einer rationalen Begründung“ für die Aufrechterhaltung der „spezifischen Idee von einer Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung in der Struktur der Gesellschaftsorgane kommerzialisierter Kapitalgesellschaften“ 301. Die Institution der Arbeitnehmervertre298 Vgl. Art. 151 Abs. 2 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), mit dem das KommerzG aufgehoben wird, sowie die neuen Regelungen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats in Artt. 27 ff. des Regierungsentwurfs. Interessant ist, dass die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung erst nachträglich, sogar erst nach der ersten öffentlichen Konsultation des Projekts, im Gesetzesentwurf vorgesehen wurde, vgl. die Regierungsentwurfsbegründung, S. 83 ff. Auch in Spezialgesetzen sollte die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene abgeschafft werden, vgl. etwa Art. 131 Pkt. 3 des Regierungsentwurfs in Bezug auf die Poczta Polska S. A. 299 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 10 ff. 300 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 12 ff. Die folgenden Ausführungen geben die dort genannten Argumente wieder. 301 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580

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tung im Aufsichtsrat sei zum einen aufgrund der rechtlich gewährleisteten Möglichkeiten eines sozialen Dialogs überflüssig geworden, zum anderen führe diese Institution immer deutlicher zu Interessenkonflikten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit dem Unternehmensinteresse, welches als Interesse der Aktionäre zu verstehen sei. Die Rechte der Arbeitnehmer seien heutzutage effektiv durch das geltende, die Arbeitsbeziehungen umfassend regelnde Arbeitsrecht, die Tätigkeit der Gewerkschaften und die soziale Sicherung geschützt. Es bestehe eine Vielzahl ausgebauter rechtlicher Institutionen, die ein Forum für den Dialog in Bezug auf die von Natur aus entgegengesetzten Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer darstellten – so etwa die Regelungen im KollStrG vom 23. Mai 1991, die Arbeitnehmerräte auf Grundlage des InfKonsG vom 7. April 2006 oder Europäische Betriebsräte auf Grundlage des EBRG-PL vom 5. April 2002 – und die in dem Wissen konstruiert worden waren, dass die Arbeitnehmer die schwächere Partei in den Arbeitsbeziehungen seien und daher eines Schutzes bedurften. Dagegen verkompliziere der Interessenkonflikt, dem sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ausgesetzt sähen – nämlich die Wahrung des Unternehmensinteresses auf der einen und der von ihren Wählern, den Arbeitnehmern, erwartete Schutz ihrer Interessen auf der anderen Seite –, die korporativen Beziehungen. Der Aufsichtsrat stelle im Hinblick auf die in Art. 3 HGG zum Ausdruck kommende Zielsetzung, Natur und Konstruktion der Handelsgesellschaft, die zur Erreichung des von den – das finanzielle Risiko tragenden – Gesellschaftern definierten Ziels tätig wird, nicht das richtige Forum für den Schutz der Arbeitnehmerinteressen dar. Genauso wenig sei der Aufsichtsrat das richtige Forum für den Schutz anderer Interessengruppen, etwa der Landwirte oder Fischer. Die Anwesenheit dieser zwei ausgewählten Interessengruppen im Aufsichtsrat beeinträchtige das von der kommerzialisierten Gesellschaft verfolgte Ziel, die Interessen aller Aktionäre und Interessengruppen zu schützen. Darüber hinaus begründe die Abweichung der Regelungen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats in kommerzialisierten Gesellschaften von den für sonstige Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung geltenden gesetzlichen Vorschriften ernsthafte Zweifel im Hinblick auf die in der polnischen Verfassung und im europäischen Recht garantierte Gleichbehandlung und unternehmerische Freiheit. Die Beibehaltung der Arbeitnehmerbeteiligung würde auch der erstrebten Vereinheitlichung der Regelungen für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung entgegenstehen. Auch das Recht der Arbeitnehmer, ein Vorstandsmitglied zu wählen, sollte durch die Gesetzesänderung aufgehoben werden. Zur Begründung verweist der

(VI. Kadenz), S. 14 („Podtrzymywanie specyficznej idei kontynuacji samorza˛du pracowniczego w strukturze organów korporacyjnych spółek powstałych z przekształcenia przedsie˛biorstw pan´stwowych nie znajduje racjonalnego uzasadnienia“, Übersetzung d. Verf.).

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Regierungsentwurf 302 ebenfalls darauf, dass im gegenwärtigen Sozial- und Wirtschaftssystem zahlreiche gut entwickelte Instrumente zum Schutz der Arbeitnehmerrechte bestehen und es an einer „axiologischen“ Begründung dafür fehle, den Arbeitnehmern kommerzialisierter Unternehmen im Gegensatz zu den Arbeitnehmern sonstiger Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung besondere Privilegien einzuräumen.303 Auch hier äußert die Regierungsentwurfsbegründung Zweifel an der gebotenen Gleichbehandlung aller Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung und der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der unternehmerischen Freiheit. Sowohl in Bezug auf die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat wie auch im Vorstand heißt es in der Regierungsentwurfsbegründung304 ferner, dass die zu Beginn der Transformationsprozesse eingeführten Arbeitnehmerrechte kein Vertrauen in den unendlichen Bestand dieser Regelungen begründeten. Dies gelte für alle Materien, in Bezug auf welche der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum habe. Insbesondere aber bei solchen Instrumenten, die im Rahmen von grundlegenden Veränderungsprozessen eingeführt wurden und einen nur vorübergehenden Charakter hatten, müsse mit dem Bestreben nach einer Eliminierung dieser Institutionen aus dem Rechtssystem gerechnet werden. So habe auch die Kommerzialisierung und Privatisierung ihrer Natur nach einen nur vorübergehenden Charakter, zielte sie schließlich auf Überführung der Gesellschaften in die private Hand zwecks effektiverer Ausnutzung und Verwaltung der Betriebsmittel. Die Regelungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer seien eingeführt worden, um die Privatisierungsprozesse zu beschleunigen und zu erleichtern. Die Profiteure dieser Regelungen hätten aber damit rechnen müssen, dass die einst eingeräumten Privilegien im Zuge der Anpassung an die allgemeinen und für alle Unternehmen gleichermaßen geltenden Grundsätze im Bereich des sozialen Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern grundlegenden Änderungen unterzogen werden würden. Die im KommerzG vorgesehene Arbeitnehmerbeteiligung sei nur bis zur Entstehung etablierter Partizipationsformen berechtigt gewesen, nunmehr führe sie jedoch zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der Arbeitnehmer im Vergleich zu den Arbeitnehmern sonstiger – nicht kommer-

302 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 11. Die folgenden Ausführungen geben die dort genannten Argumente wieder. 303 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 11 („brak jest aksjologicznych powodów“, Übersetzung d. Verf.). 304 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 84 ff. Die folgenden Ausführungen geben die dort genannten Argumente wieder.

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zialisierter – Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung wie auch anderer Arbeitgeber. Hervorzuheben sei auch, dass die Polnische Verfassung keine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vorschreibe, vielmehr sei dies der Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen. Der Regierungsentwurf stieß auf heftigen Widerstand seitens der Gewerkschaften. Bereits im Rahmen der öffentlichen Konsultation des Gesetzesprojekts hatten diese Einwände gegen die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung vorgebracht.305 In einer Stellungnahme vom 24. Januar 2011306 zum endgültigen Regierungsentwurf setzte sich die NSZZ „Solidarnos´c´ “ noch einmal mit Nachdruck für die Beibehaltung der bestehenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften ein. In der Abschaffung dieser Regelungen sah die Gewerkschaft eine Verletzung von Art. 20 der Polnischen Verfassung sowie von Art. 182 ArbGB. Die Arbeitnehmerbeteiligung stelle eine Form des sozialen Dialogs dar und sei verfassungsrechtlich über Art. 20 der polnischen Verfassung geschützt, der die Republik Polen als soziale Marktwirtschaft deklariert, die auf unternehmerischer Freiheit, Privateigentum, Solidarität und der Zusammenarbeit der Sozialpartner beruhe. Ferner würde die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung dazu führen, dass die Regelung des Art. 182 ArbGB, die zu den fundamentalen Grundsätzen des Arbeitsrechts gehöre und in dem Gesetz über die Arbeitnehmerselbstverwaltung von 25. September 1981 sowie im KommerzG ihre Ausprägung erfahre, weitestgehend ins Leere laufen würde. Die Gewerkschaft setzte sich ferner mit der Regierungsentwurfsbegründung und dem Argument, dass die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen angesichts der im heutigen System bestehenden, ausgeprägten Schutzmechanismen in Form der Triparitätischen Kommission, der Arbeitnehmerräte und der Europäischen Betriebsräte überflüssig sei, auseinander. Dem hielt sie entgegen, dass sich der soziale Dialog im Rahmen der Triparitätischen Kommission keinesfalls mit der Rolle des Aufsichtsrats kommerzialisierter Gesellschaften vergleichen ließe. Die praktische Relevanz des InfKonsG von 2006 sei dagegen bei einer Errichtung von Arbeitnehmerräten in nur 9 % von allen vom Anwendungsbereich erfassten Unternehmen (Stand März 2010) so gering und die Verfahren zur Information und Konsultation angesichts der allgemein gehaltenen Gesetzesbestimmungen so wenig effektiv, dass diesbezüglich 305 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 83 f. Bemerkenswert ist, dass die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen erst nachträglich – nach der ersten öffentlichen Konsultation – in das Gesetzesprojekt aufgenommen wurde. 306 Stellungnahme der NSZZ „Solidarnos ´c´ “ vom 24. Januar 2011 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1 ff., im Internet abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die folgenden Ausführungen geben die dort dargestellten Argumente wieder.

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kaum von einem gut entwickelten Instrument zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen gesprochen werden könne. Die Heranziehung der Europäischen Betriebsräte hielt die Gewerkschaft schon aufgrund des unterschiedlichen Wirkungsbereiches für inadäquat. Die im Gesetzesentwurf hervorgebrachten Argumente hielt die NSZZ „Solidarnos´c´ “ damit insgesamt für unzureichend und widersprach der Annahme, dass heutzutage ein gut ausgebautes System der Arbeitnehmerpartizipation vorzufinden sei. Gleichzeitig betonte sie, dass eine weit verstandene Arbeitnehmerpartizipation ein Kernelement des Art. 20 der Polnischen Verfassung darstelle. In Bezug auf das Argument der Gleichbehandlung führte die Gewerkschaft aus, dass die Arbeitnehmer kommerzialisierter Gesellschaften ein Recht auf vergünstigten Erwerb von Unternehmensaktien bzw. -anteile erhielten und daher gerade auch aus diesem Grund ein Recht auf Entsendung ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat – sozusagen als Element der Eigentümeraufsicht – haben sollten. Zu guter Letzt verwies die NSZZ „Solidarnos´c´ “ auf die in vielen europäischen Staaten vorzufindende Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen und hob das deutsche Mitbestimmungssystem hervor, welches den Arbeitnehmern aufgrund ihrer Mitwirkung an der Realisierung der Aufgaben und Interessen des Betriebs ein Mitbestimmungsrecht an der Unternehmensführung einräume. Der Regierungsentwurf wurde dem polnischen Sejm am 12. November 2010 vorgelegt und sodann am 17. Dezember 2010 an den zuständigen Ausschuss weitergeleitet.307 Der Ausschuss setzte sich mit dem Entwurf auseinander und gab am 3. März 2011 eine Stellungnahme ab, in der die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen allerdings nicht beanstandet wurde.308 Der Regierungsentwurf wurde fortan jedoch nicht weiter im Sejm behandelt. c) Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 Zum 1. Januar 2017 trat unter der neuen politischen Führung der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ („Prawo i Sprawiedliwos´c´ “ – kurz „PIS“) das neue Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016309 in Kraft, welches das bis dahin geltende Gesetz über die Ausübung bestimmter Befugnisse des Staates vom 8. August 1996310 ablöste311. Die Geset307 Vgl. zu dem nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren http://orka.sejm. gov.pl/proc6.nsf/opisy/3580.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie zu den Sitzungen des Ausschusses http://www.sejm.gov.pl/SQL2.nsf/poskomprocla?Open Agent&6&3580&SUP, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 308 Stellungnahme des Fiskalausschusses („Komisja Skarbu Pan ´stwa“) vom 3. März 2011, Sejm-Drucks. Nr. 3939 (VI. Kadenz), abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/ Druki6ka.nsf/wgdruku/3929, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 309 Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2259. 310 Gesetz über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Befugnisse des Staates vom 8. August 1996, Dz. U. 1996 Nr. 106 Pos. 493 m. sp. Änd.

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zesänderung soll unter anderem der Verbesserung der Corporate Governance – bzw. im engeren Sinne: der Eigentümeraufsicht – in Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung dienen.312 Im Zuge der Gesetzesnovelle wurden mit dem dazugehörigen Einführungsgesetz vom 16. Dezember 2016 auch einige Vorschriften des KommerzG geändert bzw. gestrichen (so etwa Art. 12 Abs. 2 und 7 KommerzG a. F., Art. 13 KommerzG a. F., Art. 15a KommerzG a. F.), die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen aber beibehalten.313 d) Vorschläge der Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts vom 14. März 2018 Mit Verordnung vom 9. August 2016 wurde am 15. September 2016 eine neue Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts ins Leben gerufen.314 Wie auch die im Jahr 2002 eingesetzte Kommission sollte sie Vorschläge zur Rekodifizierung des individuellen Arbeitsrechts und zur Kodifizierung des kollektiven Arbeitsrechts unterbreiten (vgl. § 8 der Verordnung über die Errichtung der Kommission). Die Kommission unter dem Vorsitz von Prof. Marcin Zieleniecki setzte sich aus 14 Mitgliedern zusammen, bestehend aus namhaften Vertretern der Rechtswissenschaft und Praxis im Bereich des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.315 Sieben Mitglieder wurden vom zuständigen Minister ernannt, die anderen Mitglieder hingegen waren Vertreter der repräsentativen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen i. S. d. Artt. 23 Abs. 2, 24 Abs. 2 RatSoz311 Vgl. Art. 133 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. Zum Gesetzgebungsverfahren vgl. http://www.sejm.gov.pl/ Sejm8.nsf/PrzebiegProc.xsp?id=A0E44B8768CEEB25C125807600271D89, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 312 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 1 ff. 313 Vgl. Art. 14 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. Zu den einzelnen Änderungen und ihren Auswirkungen vgl. die Ausführungen im Rahmen von Kapitel 3, B.II.1.b)bb) und Kapitel 3, C.II.2. 314 Verordnung des Ministerrates über die Errichtung der Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts vom 9. August 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1366; vgl. hierzu auch die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Powstanie nowy kodeks pracy“ vom 1. September 2016, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/ powstanie-nowy-kodeks-pracy, sowie die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Nowa Komisja Kodyfikacyjna Prawa Pracy“ vom 15. September 2016, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/nowa-komisja-kodyfikacyjnaprawa-pracy, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 315 Vgl. hierzu §§ 4, 5 der Verordnung des Ministerrates über die Errichtung der Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts vom 9. August 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1366 sowie die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Nowa Komisja Kodyfikacyjna Prawa Pracy“ vom 15. September 2016, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/nowa-komisja-kodyfikacyjna-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, mit näheren Details zur personellen Zusammensetzung der Kommission.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

DialogG (vgl. § 5 der Verordnung über die Errichtung der Kommission). Dementsprechend wurde je ein Mitglied von der Arbeitgeberorganisation „Arbeitgeber der Republik Polen“ („Pracodawcy Rzeczypospolitej Polskiej“), der Konföderation „Lewiatian“ („konfederacja ,Lewiatan‘“), dem „Verband des Polnischen Handwerks“ („Zwia˛zek Rzemiosła Polskiego“) und dem Arbeitgeberverband „Business Centre Club“ („Zwia˛zek Pracodawców Business Centre Club“) sowie je ein Mitglied von den Gewerkschaftsorganisationen „FZZ“, „OPZZ“ und der NSZZ „Solidarnos´c´ “ bestimmt.316 Die Kommission wurde in zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt – eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Prof. Arkadiusz Sobczyk sollte sich mit der Rekodifizierung des individuellen Arbeitsrechts befassen, die andere unter der Führung von Prof. Jakub Stelina ein neues kollektives Arbeitsgesetzbuch ausarbeiten. Dabei sollte die Kommission auf die Gesetzesentwürfe der im Jahr 2002 einberufenen Kommission zurückgreifen.317 Die Kommission war für eine Amtszeit von 18 Monaten berufen worden (vgl. § 7 der Verordnung über die Errichtung der Kommission)318 und beendete ihre Tätigkeit am 14. März 2018. Sie beschloss zwei Gesetzesprojekte – ein neues Arbeitsgesetzbuch, welches das Individualarbeitsrecht neu regeln soll, sowie ein Kollektives Arbeitsgesetzbuch (nachfolgend: „KollArbGB-2018“), mit dem das kollektive Arbeitsrecht kodifiziert werden sollte.319 Das KollArbGB-2018 sieht neben der gewerkschaftlichen Interessenvertretung über Gewerkschaftsorganisationen und – als neue Institution – den für kleinere Unternehmen konzipierten gewerkschaftlichen Delegierten („delegat zwia˛zkowy“) (vgl. Artt. 42 f. KollArbGB-2018) auch umfassende Regelungen zu der sog. „gewählten Arbeitnehmervertretung“ („przedstawicielstwo wybierane“) in Form von Betriebsräten („rady zakładowe“) bzw. betrieblichen Delegierten („delegat załogi“) vor (vgl. Artt. 72 ff. KollArbGB-2018). Sofern allerdings in einem Unternehmen Arbeitnehmerräte i. S. d. InfKonsG bestehen, sollen diese die Infor316 Vgl. die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Nowa Komisja Kodyfikacyjna Prawa Pracy“ vom 15. September 2016, abrufbar unter https:// www.gov.pl/web/rodzina/nowa-komisja-kodyfikacyjna-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 317 Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Powstanie nowy kodeks pracy“ vom 1. September 2016 („Nowa Komisja be˛dzie wykorzystywała projekty wypracowane przez poprzedników.“), abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/ powstanie-nowy-kodeks-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 318 Vgl. die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Nowa Komisja Kodyfikacyjna Prawa Pracy“ vom 15. September 2016, abrufbar unter https:// www.gov.pl/web/rodzina/nowa-komisja-kodyfikacyjna-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 319 Vgl. Beschluss der Kommission vom 14. März 2018, abrufbar unter https:// www.gov.pl/web/rodzina/komisja-kodyfikacyjna-zakonczyla-prace, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Die Gesetzesprojekte mitsamt der Begründungen sind abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/bip-teksty-projektu-kodeksu-pracy-i-projektu-ko deksu-zbiorowego-prawa-pracy-opracowane-przez-komisje-kodyfikacyjna-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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mations- und Konsultationsrechte der Betriebsräte wahrnehmen (vgl. Art. 73 § 2 KollArbGB-2018), ansonsten sollen die Betriebsräte die bisherigen Arbeitnehmerräte ersetzen320. Die Errichtung eines Betriebsrats soll bei allen Arbeitgebern mit mehr als 50 Arbeitnehmern obligatorisch sein, wie sich im Umkehrschluss aus Art. 73 § 3 KollArbGB-2018, der eine fakultative Errichtung eines Betriebsrats bei Arbeitgebern mit weniger als 50 Arbeitnehmern erlaubt, ergibt.321 Bei Arbeitgebern, die weniger als 50, aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen und bei denen kein Betriebsrat errichtet wurde, soll obligatorisch ein Delegierter gewählt werden müssen; bei weniger als zehn Beschäftigten kann dieser gewählt werden (vgl. Art. 73 §§ 4, 5 KollArbGB-2018). Betriebsräte bzw. die betrieblichen Delegierten sind unabhängig von dem Bestehen einer betrieblichen Gewerkschaftsvertretung zu errichten bzw. zu wählen.322 Dies lässt sich im Umkehrschluss aus Art. 73 § 2 KollArbGB-2018, der nur für den Fall der bereits bestehenden Arbeitnehmerräte die Bildung eines Betriebsrats ausschließt, sowie aus Art. 94 § 1 Pkt. 3 KollArbGB-2018, der den Betriebsräten die Kompetenz zur Konsultation betrieblicher Regularien nur in dem Fall einräumt, dass bei dem Arbeitgeber keine betriebliche Gewerkschaftsvertretung tätig ist, schlussfolgern. Auch die Gesetzesentwurfsbegründung spricht von einem „dualen System der Arbeitnehmervertretung“, welches aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 2002/14/ EG geboten sei.323 In Bezug auf die Kompetenzen werden dem Betriebsrat – bzw. dem betrieblichen Delegierten (vgl. Art. 74 KollArbGB-2018) – in Artt. 94 § 1 Pkt. 1, 95 ff. KollArbGB-2018 zunächst die bislang den Arbeitnehmerräten nach Maßgabe des InfKonsG zustehenden Befugnisse (vgl. Artt. 95 ff. KollArbGB-2018, Artt. 13 ff. InfKonsG) zugewiesen. Ferner wird ihnen in gesetzlich genau bezeichneten Fällen auch das zurzeit – in Abwesenheit einer betrieblichen Gewerkschaftsorganisation – von den Ad-hoc-Repräsentationen wahrgenommene Recht zum Abschluss von Kollektivvereinbarungen (vgl. Art. 94 § 1 Pkt. 2 KollArbGB-2018) zugestanden. Darüber hinaus sollen Betriebsräte auch betriebliche Vereinbarungen konsultieren dürfen (vgl. Art. 94 § 1 Pkt. 3 KollArbGB-2018) und damit zum Teil auch gewerkschaftliche Befugnisse auf betrieblicher Ebene wahrnehmen, wobei allerdings die Verhandlungen und der Abschluss von Tarifverträgen den Gewerkschaften vorbehalten bleibt (vgl. Artt. 152, 161 KollArbGB-2018). Neben den Gewerkschaften und Betriebsräten sieht der Gesetzesentwurf nach wie vor auch Ad-hoc-Repräsentationen vor (vgl. Artt. 109 ff. KollArbGB-2018), 320

So ausdrücklich die Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 3. Vgl. auch die Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 13, die ausdrücklich von der Verpflichtung zur Errichtung von Betriebsräten bei allen Arbeitgebern mit mehr als 50 Arbeitnehmern spricht. 322 Vgl. hierzu auch die Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 13. 323 Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 13 („Ustanowienie dualnego modelu pracowniczej reprezentacji“, Übersetzung d. Verf.). 321

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

möchte aber die in der Praxis bislang sehr unterschiedlichen Verfahren im Hinblick auf ihre Entstehung vereinheitlichen324. Andere Formen der Arbeitnehmervertretung werden in Art. 118 KollArbGB2018 sowie in den Artt. 248 ff. KollArbGB-2018 erwähnt bzw. näher geregelt. Art. 118 KollArbGB-2018 stellt dabei lediglich klar, dass die Kompetenzen der Selbstverwaltungen durch Spezialgesetze geregelt werden. Die Artt. 248 ff. KollArbGB-2018 enthalten detaillierte Bestimmungen zu den Arbeitnehmervertretungen auf europäischer Ebene, d.h. den Arbeitnehmervertretungen in der SE, SCE und in Gesellschaften, die aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangen sind, sowie zu Europäischen Betriebsräten. Die bislang in verschiedenen Gesetzen geregelten Beteiligungsformen auf europäischer Ebene wurden in das KollArbGB-2018 integriert und in den allgemeinen Vorschriften der Artt. 248 ff. KollArbGB-2018 sowie Artt. 444 ff. KollArbGB-2018 zum Teil konsolidiert. In inhaltlicher Hinsicht wurden die zurzeit bestehenden Gesetze im Wesentlichen übernommen, eine bedeutsame Änderung erfolgte lediglich im Rahmen der Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmervertreter.325 Die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen wird dagegen an keiner Stelle des Gesetzesentwurfs und auch nicht in der Gesetzesentwurfsbegründung ausdrücklich erwähnt. Angesichts der Regelung in Art. 118 KollArbGB-2018, die unter dem Abschnitt V betreffend die „andere[n] Formen der Arbeitnehmervertretung“ 326 lediglich die Arbeitnehmerselbstverwaltungen und andere Formen der Selbstverwaltungen (berufsständische, wirtschaftliche) erwähnt und hierbei auf spezielle Vorschriften verweist, könnte sich die Frage stellen, ob die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene kommerzialisierter Gesellschaften nach Ansicht der Verfasser des KollArbGB2018 bestehen bleiben soll bzw. wird. Auf der anderen Seite bestimmt Art. 13 KollArbGB-2018 sehr allgemein – in nahezu wortlautgetreuer Übernahme der derzeitigen Vorschrift des Art. 182 ArbGB, dass „die Arbeitnehmer [. . .] an der Führung des Betriebes in dem durch die Vorschriften des Gesetzbuchs sowie durch besondere Vorschriften bestimmten Umfang und den in diesen Vorschriften bestimmten Formen“ teilhaben.327 Angesichts der starken Anlehnung an Art. 182 324

Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 14. Vgl. hierzu die Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 27. 326 Überschrift von Titel II, Abschnitt V des KollArbGB-2018: „Inne formy przedstawicielstwa pracowniczego“, Übersetzung d. Verf. 327 Art. 13 KollArbGB-2018: „Pracownicy uczestnicza˛ w zarza˛dzaniu zakładem pracy w zakresie i w formach okres´lonych w przepisach Kodeksu i przepisach odre˛bnych.“ Übersetzung d. Verf.; vgl. die Vorschrift des Art. 182 ArbGB, wonach „die Arbeitnehmer [. . .] an der Führung des Betriebes in dem durch besondere Vorschriften bestimmten Umfang und nach den in diesen Vorschriften bestimmten Grundsätzen“ teilnehmen (Art. 182 ArbGB: „Pracownicy uczestnicza˛ w zarza˛dzaniu zakładem pracy w zakresie i na zasadach okres´lonych w odre˛bnych przepisach“. Übersetzung nach Major/ Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch). 325

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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ArbGB, der nach allgemeiner Meinung sowohl durch die Selbstverwaltungsorgane nach Maßgabe des SelbstVerwG als auch durch die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nach Maßgabe des KommerzG ausgefüllt wird328, ist davon auszugehen, dass die im KommerzG vorgesehene Partizipationsform als Sonderregelung erhalten bleiben soll und eine Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen nicht infolge der Verabschiedung des KollArbGB-2018 erfolgen würde. Hierfür spricht auch Art. 4 § 2 Pkt. 5 KollArbGB-2018, der auch „andere Arbeitnehmervertretungen, die aufgrund besonderer Vorschriften berufen werden“ 329 zu den Arbeitnehmervertretungen i. S. d. KollArbGB-2018 zählt. Die Gesetzesentwurfsbegründung nennt hier nur beispielhaft die Selbstverwaltungen330, die Aufzählung ist aber nicht abschließend. Es verwundert dennoch, vor allem angesichts der Vorschläge des KollArbGB-2007 zur allgemeinen Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen auf die gesamte Privatwirtschaft, welche die Kommission schließlich aufgreifen sollte331, dass diese Partizipationsform mit keinem Wort erwähnt wird. Die von der Kommission erarbeiteten Entwürfe waren äußert umstritten und wurden auch innerhalb der Kommission kritisiert332, insbesondere wurden die Gesetzesentwürfe sowohl von Gewerkschafts- als auch Arbeitgebervertretern in der Kommission abgelehnt333. Es kann nur gemutmaßt werden, dass eine obliga328

Hierzu oben Kapitel 2, C.III.2.c). Art. 4 § 2 Pkt. 5 KollArbGB-2018: „Przedstawicielstwem pracowniczym sa˛: [. . .] 5) inne przedstawicielstwa powoływane do reprezentowania pracowników na podstawie przepisów szczególnych.“ Übersetzung d. Verf. 330 Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 4. 331 Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Powstanie nowy kodeks pracy“ vom 1. September 2016 („Nowa Komisja be˛dzie wykorzystywała projekty wypracowane przez poprzedników.“), abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/ powstanie-nowy-kodeks-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 332 Vgl. die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Konferencja prasowa Elz˙biety Rafalskiej i Stanisława Szweda dotycza˛ca prac Komisji Kodyfikacyjnej Prawa Pracy“ vom 13. April 2018, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/ rodzina/konferencja-prasowa-elzbiety-rafalskiej-i-stanislawa-szweda-dotyczaca-prac-ko misji-kodyfikacyjnej-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch das Interview mit Prof. Monika Gładoch, der stellvertretenden Vorsitzenden der Kommission und Vertreterin der Arbeitgeberorganisation „Arbeitgeber der Republik Polen“ („Pracodawcy Rzeczypospolitej Polskiej“), vom 9. März 2018, abrufbar unter https:// www.money.pl/gospodarka /wiadomosci/artykul/kodeks-pracy-prof-monika-gladochprawo-pracy,72,0,2400328.html sowie die entschiedene Stellungnahme des Vorsitzenden der NSZZ „Solidarnos´c´ “, Piotr Duda, vom 5. April 2018 („Jez˙eli rza˛d chciałby forsowac´ ten projekt, to nasz kierunek jest jeden, ulica“) abrufbar unter http://www.polsat news.pl/wiadomosc/2018-04-05/solidarnosc-propozycje-zmian-w-kodeksie-pracy-nie-dozaakceptowania/, jeweils zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 333 Vgl. den Artikel „Komisja Kodyfikacyjna Prawa Pracy przyje˛ła projekt nowego prawa pracy“ vom 14. März 2018 auf https://businessinsider.com.pl/twoje-pieniadze/ praca/nowe-prawo-pracy-jest-projekt-komisji-kodyfikacyjnej/173r02e, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 329

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

torische Errichtung einer außergewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung selbst in denjenigen Betrieben, in denen eine betriebliche Gewerkschaftsvertretung tätig ist, kaum Zuspruch auf Seiten der Gewerkschaften gefunden haben dürfte. Für die der Arbeitnehmerpartizipation generell nicht sonderlich zugewandten Arbeitgeber dürfte nichts anderes gelten. Das Familien-, Arbeits- und Sozialministerium distanzierte sich von den Vorschlägen der Kommission und betonte, dass es sich bei den Entwürfen um Vorschläge von Experten handele, die in der Folgezeit von der Regierung erst eruiert und im Rahmen von Konsultationen – auch mit den Sozialpartnern – behandelt werden müssten.334 Während einer Pressekonferenz im April 2018 hieß es, dass noch unvorhersehbar sei, ob die Gesetzesentwürfe in ihrer Gesamtheit oder aber nur in bestimmten Teilaspekten übernommen werden würden.335 Zwar wurde prognostiziert, dass mit konkreten Gesetzesvorschlägen Ende des Jahres 2018 gerechnet werden könne336, bis heute ist jedoch seitens der Regierung keine grundsätzliche Reform des polnischen individuellen und kollektiven Arbeitsrechts mit konkreten Gesetzesinitiativen zur Umsetzung der Vorschläge der Kommission angestoßen worden337. Auch scheint die Regierung angesichts der aufgekommenen Kontroversen über die Gesetzesentwürfe der Kommission nunmehr die Erstellung eines gänzlich neuen Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuchs durch die Regierung in Betracht zu ziehen.338 334 Vgl. die Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Konferencja prasowa Elz˙biety Rafalskiej i Stanisława Szweda dotycza˛ca prac Komisji Kodyfikacyjnej Prawa Pracy“ vom 13. April 2018, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/ rodzina/konferencja-prasowa-elzbiety-rafalskiej-i-stanislawa-szweda-dotyczaca-prac-ko misji-kodyfikacyjnej-prawa-pracy, sowie die Pressemitteilung des Familien-, Arbeitsund Sozialministeriums „Propozycje ekspertów to jeszcze nie Kodeks pracy“ vom 14. Februar 2018, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/propozycje-ekspertow-to-jeszcze-nie-kodeks-pracy, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 335 Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Konferencja prasowa Elz˙biety Rafalskiej i Stanisława Szweda dotycza˛ca prac Komisji Kodyfikacyjnej Prawa Pracy“ vom 13. April 2018, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/kon ferencja-prasowa-elzbiety-rafalskiej-i-stanislawa-szweda-dotyczaca-prac-komisji-kodyfi kacyjnej-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 336 Ebenda. 337 Vgl. die Aussage des Staatssekretärs im Familien-, Arbeits- und Sozialministerium Stanisław Szwed vom 4. September 2019 („W tej kadencji nie udało nam sie˛ skon´czyc´ prac, jednak projekty sa˛ przygotowane do dyskusji“), abrufbar unter https:// www.gov.pl/web/rodzina/sekretarz-stanu-stanislaw-szwed-dla-portalu-super-express-409 2019-r, sowie den Artikel „Zmarnowano potencjał projektu nowego kodeksu pracy“ vom 12. Februar 2019 auf https://praca.gazetaprawna.pl/artykuly/1397184,zmar nowany-potencjal-projektu-nowego-kodeksu-pracy.html, beides zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 338 Vgl. die Aussage des Staatssekretärs im Familien-, Arbeits- und Sozialministerium Stanisław Szwed vom 4. September 2019 („Zalez˙ało nam na tym, by Komisja w takim składzie da˛z˙yła do pogodzenia interesów pracodawców i zwia˛zków zawodowych. Zalez˙ało mi na tym, by nowy kodeks był zrównowaz˙ony. Mys´le˛, ˙ze w nowej kadencji sejmu rza˛d be˛dzie musiał podja˛c´ decyzje˛ o samodzielnym przygotowaniu projektu nowego kodeksu pracy“), abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/sekretarz-stanu-

B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen

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Eine Notwendigkeit der Überarbeitung des derzeitigen individuellen und kollektiven Arbeitsrechts bekräftigte das Familien-, Arbeits- und Sozialministerium aber trotz der entfachten Auseinandersetzungen über die Kommissionsentwürfe.339 Das ArbGB, das vor mehr als 40 Jahren entstanden und unzählige Male novelliert worden ist, müsse an die Gegebenheiten des Arbeitsmarkts und die sich heute stellenden Fragen angepasst werden.340 In der Gesetzesentwurfsbegründung der Kommission ist hinsichtlich der Reformbedürftigkeit zu lesen, dass es der Kodifizierung des kollektiven Arbeitsrechts nicht zuletzt auch in Anbetracht der seit mehreren Jahren bestehen Krise der kollektiven Arbeitsbeziehungen in Polen bedürfe.341 Die Begründung des KollArbGB-2018 spricht von einem „Einbruch der Idee des sozialen Dialogs“ und dem grundlegenden Problem des nur geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades in den Unternehmen.342 Der Krise soll nach Auffassung der Kommission durch eine größere Flexibilität der arbeitnehmerseitigen Interessenvertretungen begegnet werden, was insbesondere durch die Institution des gewerkschaftlichen Delegierten in kleineren Unternehmen und die Förderung der Betriebsräte und der Institution des betrieblichen Delegierten geschehen soll.343 Sicherlich liegt darin auch der Grund für den obligatorischen Charakter der Betriebsräte bzw. betrieblichen Delegierten in Unternehmen ab einer bestimmten Größe. Im Allgemeinen zielen sowohl das neue Individualarbeitsgesetzbuch als auch das KollArbGB-2018 auf eine Förderung des sozialen Dialogs und eine Ausweitung der Autonomie der Sozialpartner bei der Verhandlung und dem Abschluss von Tarifverträgen und sonstigen Kollektivvereinbarungen, womit auch

stanislaw-szwed-dla-portalu-super-express-4092019-r, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 339 Pressemitteilung des Familien-, Arbeits- und Sozialministeriums „Konferencja prasowa Elz˙biety Rafalskiej i Stanisława Szweda dotycza˛ca prac Komisji Kodyfikacyjnej Prawa Pracy“ vom 13. April 2018, abrufbar unter https://www.gov.pl/web/rodzina/kon ferencja-prasowa-elzbiety-rafalskiej-i-stanislawa-szweda-dotyczaca-prac-komisji-kodyfi kacyjnej-prawa-pracy, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Bekräftigt wurde dies jüngst nochmal vom Staatssekretär im Familien-, Arbeits- und Sozialministerium Stanisław Szwed in der Mitteilung vom 4. September 2019, abrufbar unter https://www. gov.pl/web/rodzina/sekretarz-stanu-stanislaw-szwed-dla-portalu-super-express-4092019-r, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 340 So der Staatssekretär im Familien-, Arbeits- und Sozialministerium Stanisław Szwed in der Mitteilung vom 4. September 2019, abrufbar unter https://www.gov. pl /web/rodzina/sekretarz-stanu-stanislaw-szwed-dla-portalu-super-express-4092019-r („Obowia˛zuja˛cy kodeks jest z 1974 roku, był nowelizowany ponad stukrotnie. Czas, sytuacja na rynku pracy, a takz˙e inne zagadnienia, [. . .] wymuszaja˛ zmiany w obecnych przepisach“), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 341 Vgl. die Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 2. 342 Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 2 („załamanie sie˛ idei dialogu społecznego“, Übersetzung d. Verf.). 343 Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 2 f.

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Kap. 7: Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?

die Öffnung zwingenden Rechts für Vereinbarungen zuungunsten der Arbeitnehmer einhergehe.344 Dass die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen mit keinem Wort erwähnt wird – weder im Gesetz noch in der Gesetzesentwurfsbegründung –, zeugt entweder davon, dass die Kommission sich an dieses Thema nicht heranwagen wollte und es aus diesem Grund vollständig ausgeklammert hat, oder aber davon, dass es mittlerweile eine nur derart marginale Bedeutung in der polnischen Unternehmenspraxis einnimmt, dass es aus Sicht der Kommission keiner näheren Auseinandersetzung mit dieser Thematik bedurfte. In jedem Fall aber folgt aus der Außerachtlassung der bestehenden Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen bei der mit dem KollArbGB-2018 beabsichtigten, umfassenden Kodifizierung des gesamten kollektiven Arbeitsrechts, dass diese Form der Arbeitnehmerpartizipation von der Kommission nicht als wesentliches Element des neuen Systems des kollektiven Arbeitsrechts in Polen angesehen wurde. Sollten die Vorschläge der Kommission geltendes Recht werden, so wird die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen in Polen eine außerhalb des allgemeinen Systems der kollektiven Arbeitsbeziehungen stehende, exotische und vom Aussterben bedrohte Spezies darstellen. Die in der polnischen Geschichte wurzelnde Partizipationsform droht dann Gefahr, irgendwann selbst Geschichte zu werden.

344

Begründung der Kommission zum KollArbGB-2018, S. 3.

Kapitel 8

Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse A. Bedeutung des historischen und ideologischen Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung Wenn es heißt, das in den jeweiligen Mitgliedstaaten der EU vorzufindende Modell der Arbeitnehmerbeteiligung an unternehmerischen Entscheidungen sei jeweils ein „Sonderweg, dessen Richtung von der jeweiligen kulturellen und sozial-politischen Tradition bestimmt ist“ 1, so bietet die rechtsvergleichende Gegenüberstellung der deutschen und polnischen Unternehmensmitbestimmung geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie stark der unterschiedliche historische und ideologische Hintergrund die Entstehung der Arbeitnehmerbeteiligung beeinflusst hat und wie sehr er auch heute noch dem jeweiligen System der Arbeitnehmerbeteiligung sein Gepräge gibt. I. Wesensverschiedene politische, wirtschaftliche und ideologische Rahmenbedingungen führten dazu, dass sich in Deutschland und Polen im 19./20. Jahrhundert nicht nur in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Formen der Arbeitnehmerbeteiligung entwickelten, auch das Verständnis von der Arbeitnehmerbeteiligung, ihre kulturelle und ideologische Verankerung und die mit ihr verbundenen Assoziationen im Bewusstsein der Bevölkerung wurden maßgeblich vom historischen und systembedingten Kontext ihrer Entstehung beeinflusst. Dies gilt für die verschiedenen Partizipationsformen im Allgemeinen wie auch – als einer besonderen Form der Arbeitnehmerbeteiligung – die Unternehmensmitbestimmung im Speziellen, die sich in ihrer Bedeutung, Zielsetzung und Tragweite nur unter Berücksichtigung ihres historischen und ideologischen Hintergrundes erschließt. 1. Die Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland reicht in ihren Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, als sie als eine Lösung zur Bewältigung der „sozialen Frage“ und gesellschaftlicher Probleme diskutiert, in gesetzgeberischen Entwürfen unter dem Leitgedanken einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ konzipiert und später auf freiwilliger Basis durch Kooperationen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zunehmend in der Unternehmenspraxis gelebt wurde, bevor die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensführung schließlich noch vor dem Ersten Weltkrieg erste gesetzliche Grundlagen erhielt. Im Zuge der Entstehung der Weimarer Republik wurde der Arbeitnehmerbeteiligung, die als Gegen1

Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177).

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

wehr zu radikalen bolschewistischen Vorstößen einen breiten politischen Zuspruch erhielt, sogar Verfassungsrang verliehen. Mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 wurde eine rechtliche Grundlage sowohl für die betriebliche Mitbestimmung als auch erstmalig für die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen geschaffen. Anknüpfend an die Ideen und gesetzlichen Lösungen der Weimarer Republik, allen voran das ideologische Konzept der „Wirtschaftsdemokratie“, begünstigt durch die Entflechtungsmaßnahmen der Alliierten und eine im Zuge des staatlichen Wiederaufbaus notwendige Kooperation zwischen der Unternehmer- und Arbeitnehmerseite, sowie nicht zuletzt forciert durch die Gewerkschaften, fand nach dem Zweiten Weltkrieg die Idee der paritätischen Unternehmensmitbestimmung zunächst Einzug in die Unternehmenspraxis und schließlich auch in die deutsche Rechtsordnung, als mit der Montanmitbestimmung ein in den ersten Nachkriegsjahren entstandenes und gelebtes Modell der Arbeitnehmerbeteiligung gesetzlich fixiert wurde. Die Unternehmensmitbestimmung stellte ein tragendes und von breiten politischen Kreisen befürwortetes Element der staatlichen Neuordnung dar, welches unter bedeutungsstarken Stichwörtern wie „Gleichgewicht von Kapital und Arbeit“, „Kontrolle wirtschaftlicher Macht“ und „Humanisierung der Arbeitsbedingungen“ eine sozialethische, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Zielsetzung erhielt und unter dem Konzept der „Wirtschaftsdemokratie“ von den Gewerkschaften zur zentralen Forderung für die gesamte Privatwirtschaft erhoben wurde. Insgesamt prägend für die deutsche Historie der Arbeitnehmerbeteiligung im Allgemeinen und die Entstehung der deutschen Unternehmensmitbestimmung im Besonderen erscheint dabei die schon früh hervorgetretene beschwichtigende Funktion der Arbeitnehmerbeteiligung, die man als Lösung für gesellschaftliche Konflikte verstand, der ebenfalls schon früh gelebte und gesetzlich verankerte Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“, ferner eine tiefgründige und breite Auseinandersetzung mit den Zielen, Modellen und Auswirkungen der Unternehmensmitbestimmung und schließlich der unermüdliche Kampf der Gewerkschaften um die paritätische Mitbestimmung nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie zunächst mit der gesetzlichen Absicherung der Montanmitbestimmung und schlussendlich auch mit der Ausweitung auf die gesamte Privatwirtschaft durch das MitbestG von 1976 gewannen. 2. In Polen führten die politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Rahmenbedingungen im 19. und insbesondere im 20. Jahrhundert zur Entstehung eines von dem deutschen grundlegend verschiedenen Systems der kollektiven Arbeitsbeziehungen, welches sich nicht nur durch eine Vielzahl an wesensverschiedenen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung an unternehmerischen Entscheidungen, sondern zugleich durch zahlreiche Brüche und systembedingte Friktionen auszeichnete. Bedingt durch die fehlende staatliche Souveränität und die Auftei-

A. Bedeutung des Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung

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lung unter drei Besatzungsmächte im 19. Jahrhundert, eine starke regionale Zersplitterung und die notwendige Vereinheitlichung von drei Rechtssystemen im Zuge des staatlichen Neuaufbaus nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Polen kein einheitliches, geschweige denn gefestigtes System der Arbeitnehmervertretung außerhalb gewerkschaftlicher Organisationen herausbilden. Auch wenn mit der Errichtung von Arbeiterdelegiertenräten nach dem Ersten Weltkrieg erste Formen authentischer Arbeitnehmervertretungen entstanden waren, konnten diese aufgrund ihrer Nähe zur bolschewistischen Rätebewegung keinen längerfristigen Bestand im polnischen Rechtssystem erlangen. Die polnische Geschichte der Arbeitnehmerbeteiligung in dem nach Ende des Zweiten Weltkrieges eingeführten sozialistischen System zeichnet sich dagegen durch eine Vielzahl von systemimmanenten Friktionen aus, die in der Einbettung sowohl der betrieblichen als auch der gewerkschaftlichen Interessenvertretungen im totalitären System wurzelten. Obwohl die Arbeitnehmerbeteiligung in der sozialistischen Doktrin als Ausdruck der Volksherrschaft angelegt war, war die Entstehung einer wahrhaftigen und beständigen Arbeitnehmerbeteiligung paradoxerweise gerade aufgrund der sozialistischen Staatsverfassung von vornherein unmöglich. So wurde den wenigen authentischen Arbeitnehmerpartizipationsformen, wie etwa den spontan entstandenen Arbeitnehmerzusammenschlüssen nach Ende des Zweiten Weltkrieges oder im Zuge der Oktoberrevolution von 1956, schon bald wieder der Boden entzogen, indem die Arbeitnehmervertretungen in das autoritäre politische Konstrukt eingebunden und dem staatlichen Parteiapparat unterstellt wurden. In wirtschaftlicher Hinsicht waren die Einflussmöglichkeiten der Belegschaften auf die Unternehmensführung in einem Wirtschaftssystem, in dem der Staat zentral das gesamte Staatseigentum verwaltete und steuerte, durch die Unselbstständigkeit der Staatsunternehmen erheblich beschränkt. So begegneten der Entstehung einer unabhängigen und authentischen Arbeitnehmerbeteiligung oder gar einer tatsächlichen Arbeitnehmerselbstverwaltung mit wahrhaftigen Einflussmöglichkeiten von vornherein systembedingte Widerstände. Selbst das im Jahre 1980 entstandene Konzept der Arbeitnehmerselbstverwaltung konnte keinen längerfristigen Bestand erlangen. Für die Arbeitnehmerbeteiligung im sozialistischen System ist kennzeichnend, dass die immer wieder angestrebten authentischen Arbeitnehmerbeteiligungsformen stets auch eine Gegenwehr zum freiheitsbeschränkenden sozialistischen System darstellten und die Selbstverwaltungsbestrebungen daher auch immer ein Kampf gegen den Staat als Unternehmensinhaber und das sozialistische System insgesamt waren. Schließlich wurde das Selbstverwaltungskonzept auch als eine tragende Säule zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise des Landes gesehen, und die Selbstverwaltungsbewegung zusammen mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “ als einer starken unabhängigen Gewerkschaftsbewegung trugen schließlich maßgeblich zum politischen und wirtschaftlichen Umbruch im Jahre 1989 bei.

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

Eine dem deutschen Recht vergleichbare Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen von Kapitalgesellschaften entstand erst nach dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch der Jahre 1989/1990. Die neuartige Form der Arbeitnehmerpartizipation sollte gleichsam eine Kontinuität der mit dem alten System untrennbar verbundenen Selbstverwaltungsorgane innerhalb der neuen Wirtschaftsordnung darstellen und die Belegschaften für den Verlust der hart erkämpften Partizipationsform in Gestalt der Belegschaftsräte entschädigen. Der Fokus im Zusammenhang mit der Entstehung neuer kollektiver Arbeitsbeziehungen lag dagegen auf der Entwicklung eines sozialen Dialogs und der gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Die Gewerkschaften waren mehr um die Stärkung ihrer eigenen Position als um die Entstehung gewerkschaftsunabhängiger Arbeitnehmervertretungen bemüht; wo solche entstanden waren, suchten die Gewerkschaften sie für ihren eigenen Einfluss zu nutzen. II. Trotz der wesensverschiedenen Rahmenbedingungen, ideologischen Wurzeln und Entwicklungsstränge zeigt sowohl die Geschichte der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland als auch in Polen, welch erstaunlich große gesellschafts- und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerbeteiligung zuteil wurde. In beiden Ländern war die Arbeitnehmerbeteiligung mehr als nur die Mitentscheidung der Belegschaften an alltäglichen Angelegenheiten der Betriebsführung. Die Arbeitnehmerbeteiligung, speziell auf Ebene der Gesellschaftsorgane, wurde in der Diskussion und rechtspolitischen Auseinandersetzung vielmehr zu einem tragenden Konzept zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen, zur Neuordnung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse und zum Aufbau eines neuen demokratischen Staatssystems erhoben. 1. In Deutschland zeigt sich die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerbeteiligung sowohl nach dem Ersten als auch in besonderem Maße nach dem Zweiten Weltkrieg, als nach dem jeweils verlorenen Weltkrieg Konzepte zur staatlichen Neuordnung entwickelt wurden und die Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen als Alternative zu den bekannten, uneingeschränkten Systemen des Sozialismus und Kapitalismus herausgebildet wurde. Während die Arbeitnehmerbeteiligung nach dem Ersten Weltkrieg als Gegenwehr zur radikalen sowjetischen Rätebewegung fungierte, wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg als ein Modell zur Mäßigung des am Krieg mitschuldig gesprochenen Kapitalismus von breiten politischen Kreisen akzeptiert und befürwortet. So hatte die Unternehmensmitbestimmung neben ihrer sozialethischen Begründungsansätze – der „Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen“, der Errichtung einer „Wirtschaftsdemokratie“ und Herstellung des „Gleichgewichts von Kapital und Arbeit“ – gerade in den ersten Nachkriegsjahren einen sehr starken sozial- und gesellschaftspolitischen Hintergrund. Indem sie die „Kontrolle wirtschaftlicher Macht“ sicherstellen und die kapitalistischen Machtstrukturen, denen eine Mitschuld an den Kriegsgeschehnissen eingeräumt wurde, bändigen sollte, erlangte die Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane nach dem Zusammenbruch im

A. Bedeutung des Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung

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Jahre 1945 auch die Zielsetzung, eine Wiederholung der bitteren Erfahrungen der NS-Zeit für alle Zeiten auszuschließen. Durch die sozialethische sowie sozialund gesellschaftspolitische Tragweite kam der Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion eine Dimension zu, die weit über die Geschicke einzelner Unternehmen in das gesamtwirtschaftliche Geschehen hinausragte. Die Unternehmensmitbestimmung wurde als ein wesentliches Element der neuen Staats- und Wirtschaftsordnung in Deutschland propagiert, sowohl von Gewerkschaftsseite als auch von breiten politischen Kreisen befürwortet und in der Folgezeit zu einem Element der sozialen Marktwirtschaft erhoben. 2. In dem sich fundamental vom deutschen unterscheidenden politischen System des sozialistisch geführten Polen hatte die Arbeitnehmerpartizipation zwar einen gänzlich anderen politischen und ideologischen Hintergrund, die gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerbeteiligung war indes nicht geringer. Der sozialistischen Ideologie diente die Arbeitnehmerpartizipation als Propagandamittel, mit dem die Herrschaft des Volkes und die führende Rolle der Arbeiterklasse manifestiert werden sollten. Zugleich aber diente die Arbeitnehmerbeteiligung dem autoritären Parteiapparat auch zur Übertragung der parteipolitischen Ziele in die Betriebe, weswegen Gewerkschaften ebenso wie die wenigen authentischen gewerkschaftsunabhängigen Arbeitnehmervertretungen – die Betriebsräte nach 1945 und Arbeiterräte nach 1956 – sehr bald schon als „Transmissionsriemen“ der Arbeiterpartei und sozialistischen Doktrin fungierten. Für die Bevölkerung stellten die authentischen Arbeitnehmerpartizipationsformen, die im Nachgang zu gesellschaftlichen Krisen und Umbrüchen (1945, 1956, 1980) entstanden waren, einige der sehr wenigen Möglichkeiten im sozialistischen System dar, sich Einflussmöglichkeiten und Freiheiten gegenüber dem totalitären Regime zu erkämpfen. So war das Streben nach Arbeitnehmerselbstverwaltung zugleich ein Streben nach Autonomie und Unabhängigkeit. Die Forderungen nach Arbeitnehmerbeteiligung entfalteten schließlich über die einzelnen Staatsunternehmen hinaus gesamtwirtschaftliche und gesamtpolitische Wirkungen, indem die Gewerkschafts- und Selbstverwaltungsbewegung Anfang der 1980er Jahre schlussendlich maßgeblich zu dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch im Jahre 1989 beitrug. III. Auch heute noch ist der historische und ideologische Kontext bestimmend sowohl für die Grundstrukturen der kollektiven Arbeitsbeziehungen im Allgemeinen als auch der Unternehmensmitbestimmung im Besonderen. Wesentliche Unterschiede im deutschen und polnischen Rechtssystem lassen sich nur aufgrund der historischen Entwicklung erklären. 1. Die deutschen kollektiven Arbeitsbeziehungen werden maßgeblich gekennzeichnet von dem bereits früh entwickelten Gedanken der Kooperation und „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der sich erstmalig schon im Minoritäts-Gegenentwurf von 1849 sowie bei

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

den freiwilligen Fabrikausschüssen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte. Seine erstmalige gesetzliche Verankerung im Betriebsrätegesetz von 1920 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen, was dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit eine lange Tradition im deutschen System der kollektiven Arbeitsbeziehungen verleiht. Schließlich beruht auch die paritätische Mitbestimmung nicht zuletzt auf einer zunächst freiwilligen Zusammenarbeit zwischen Unternehmer- und Arbeitnehmerseite. In der polnischen Geschichte lässt sich der Beginn eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern dagegen erst nach dem Umbruch von 1989/ 1990 erkennen, im realen Sozialismus war authentische Arbeitnehmerpartizipation dagegen stets ein Kampf gegen das totalitäre System. Die im Sozialismus von der Arbeiterschaft geforderte Selbstverwaltung war nicht auf ein partnerschaftliches Zusammenwirken mit der Unternehmensleitung, sondern vielmehr auf eine überragende Stellung der Arbeitnehmer ausgelegt, die ihnen Unabhängigkeit vom Staat gewährleisten sollte. Es verwundert daher nicht, dass sich die fehlende Verwurzelung einer Kooperation auch heutzutage noch in den Arbeitsbeziehungen widerspiegelt, mögen auch die europäischen Einflüsse zumindest die Entstehung rechtlicher Rahmenbedingungen für den sozialen Dialog mit sich gebracht haben. 2. Vor diesem Hintergrund steht auch die Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane in Deutschland und in Polen unter anderen Vorzeichen. Anders als in Deutschland beruht die polnische Unternehmensmitbestimmung in ihrer heutigen Form nicht auf einer zunächst freiwilligen Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wie dies in Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren der Fall war, sondern stellt vielmehr eine Kontinuität von aus dem früheren sozialistischen System rührenden Partizipationsformen dar, die – ironischerweise gerade entgegen der damals geltenden „Theorie der Konfliktlosigkeit“ – in sich selbst das Konfliktelement verkörperten. So ist auch nicht überraschend, dass die kollektiven Arbeitsbeziehungen auch heute noch nicht durch Kooperation, sondern von einem Konfliktcharakter gekennzeichnet werden. Wenngleich paradoxerweise gerade das sozialistische System die Entstehung dauerhafter authentischer Arbeitnehmervertretungen in den polnischen Betrieben verhinderte, war die ideologische Einfärbung der Arbeitnehmerpartizipation und ihre Verbundenheit mit dem sozialistischen System derart ausgeprägt, dass sie auch nach dem Umbruch von 1989 auf sämtliche Formen der Arbeitnehmerbeteiligung ihren Schatten warf. Die bewusst angestrebte Kontinuität der Selbstverwaltung in Gestalt der Unternehmensmitbestimmung erhielt gleichzeitig auch ein historisches Erbgut, das bis heute negativ auf das Verständnis der Arbeitnehmerpartizipation im Unternehmen und allen voran der Unternehmensmitbestimmung abfärbt. Angesichts der zweckgerichtet erfolgten Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen als Fortsetzung für eine Institution des unliebsamen, zusammengebrochenen Systems ist dies wenig erstaunlich.

A. Bedeutung des Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung

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3. Beruhend auf dem unterschiedlichen historischen und ideologischen Hintergrund der Arbeitnehmerbeteiligung unterscheiden sich auch die Ziele, die mit der Einführung der Unternehmensmitbestimmung verfolgt wurden und die auch heute noch als ihre Rechtfertigung dienen. Zwar mag auch in Deutschland bezweifelt werden, ob die sozial- und gesellschaftspolitischen Ziele der Unternehmensmitbestimmung – etwa die Kontrolle wirtschaftlicher Macht oder die soziale Unternehmenspolitik – angesichts der heutzutage gefestigten demokratischen Staatsordnung und der ausgeprägten Mechanismen zum Schutz von Arbeitnehmerinteressen, vor allem mithilfe der Betriebsräte, auch heute noch in vollem Umfang Geltung beanspruchen können. Gleichwohl liegt dem deutschen Mitbestimmungssystem auch ein maßgeblicher sozialethischer Ansatz zugrunde, der sich neben den Forderungen nach „Wirtschaftsdemokratie“ und eines „Gleichgewichts von Kapital und Arbeit“ allen voran darin verkörpert, dass zwecks Wahrung der Menschenwürde einer Entfremdung der Arbeitnehmer in Großunternehmen entgegengewirkt werden soll. Anders als in Deutschland treten sozialethische Gesichtspunkte bei der Unternehmensmitbestimmung in Polen deutlich in den Hintergrund, ihre Einführung in Polen diente primär der Durchsetzbarkeit der Privatisierungsprozesse, in diesem Zusammenhang war sie ein Zugeständnis an die Arbeitnehmer und insoweit ein Ersatz für die im Zuge der Privatisierung wegfallenden Selbstverwaltungsorgane in Staatsunternehmen. In Anbetracht dieser vorrangigen Kompensationsfunktion und der seit dem EU-Beitritt neu entstandenen Partizipationsformen verwundert es daher auch nicht, dass Kritiker der Unternehmensmitbestimmung ihr heutzutage die Rechtfertigung absprechen. 4. In der historischen Entwicklung und der mit der Unternehmensmitbestimmung verfolgten Zielsetzung wurzelt schließlich auch der in Deutschland und Polen unterschiedlich ausgeprägte Geltungsbereich des Mitbestimmungsrechts auf Ebene der Gesellschaftsorgane. Sowohl in Deutschland als auch in Polen beziehen sich die Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung nur auf bestimmte Rechtsformen, allen voran Kapitalgesellschaften. Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze divergieren aufgrund der historisch begründeten unterschiedlichen Zielsetzungen der Unternehmensmitbestimmung dagegen erheblich. Die mit der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland beabsichtigten Ziele der „Humanisierung der Arbeit“, der Entstehung einer „Wirtschaftsdemokratie“, der Herstellung eines „Gleichgewichts von Kapital und Arbeit“ und der Sicherstellung der „Kontrolle wirtschaftlicher Macht“ erklären, warum die Mitbestimmungsgesetze nur für Unternehmen einer bestimmten Größenordnung gelten. Ebenso folgt aus der historischen Entwicklung auch die Beschränkung der polnischen Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung auf den ehemals staatlichen Sektor und ihre Geltung ausschließlich für kommerzialisierte und teilprivatisierte Unternehmen. Gleichzeitig ist dadurch der polnischen Unternehmensmitbestimmung ein im Zuge der voranschreitenden Privatisierungen erfolgendes, langsames „Herauswachsen“ der Unternehmen aus dem Gel-

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

tungsbereich der Gesetze immanent, womit das rechtliche Instrument der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen – anders als in Deutschland – einen vergänglichen Charakter hat.

B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung in der Aktiengesellschaft Sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht ist eine Unternehmensmitbestimmung nur für bestimmte Kapitalgesellschaften vorgesehen, der Anwendungsbereich der jeweiligen Mitbestimmungsgesetze hängt dabei von zusätzlichen Voraussetzungen ab – während in Deutschland insbesondere die Arbeitnehmerzahl maßgeblich ist, in Polen die Herkunft des Unternehmens aus dem staatlichen Sektor und das Kommerzialisierungs- bzw. Privatisierungsstadium ausschlaggebend. Vor dem Hintergrund, dass die Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft aufgrund der diesem Organ gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen am stärksten sind, wurde die vergleichende Untersuchung der rechtlichen Detailregelungen zur Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen in praxisrelevanter Weise im Rahmen der Aktiengesellschaft und der Einbettung der Unternehmensmitbestimmung in die gesellschaftsrechtliche Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft unternommen. Dabei konnten einige grundlegende Gemeinsamkeiten der gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen, allen voran aber auch beachtliche Unterschiede festgestellt werden, die sich auf die Funktion und Kompetenzen des Aufsichtsrats und dadurch auch auf die Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter auswirken. Daneben unterscheiden sich die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften selbst in erheblichem Ausmaß, so insbesondere in Bezug auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, das Wahlverfahren und das passive Wahlrecht, obwohl sich die in Polen eingeführten Regelungen zur Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat und Vorstand an dem deutschen Vorbild orientiert haben. I. Gemeinsam ist dem deutschen und polnischen Aktienrecht im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Grundstrukturen zuvörderst die dualistische Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft, bei welcher dem Vorstand die Leitung und Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat die Überwachung der Geschäftsführung obliegt. Das polnische Aktienrecht wurde im Rahmen seiner Neukonzeption nach dem Umbruch von 1989 in beachtlichem Maße am deutschen Vorbild orientiert, womit sich zahlreiche aktienrechtliche Parallelen erklären. So lassen sich viele – im Grundsatz bestehende – Gemeinsamkeiten in Bezug auf die dem Aufsichtsrat obliegenden Aufgaben, seine innere Ordnung, das Wahlverfahren und auch die Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder feststellen. Hervorzuheben ist auch, dass sowohl die deutschen als auch die polnischen Mitbestimmungsvorschriften eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat und teilweise

B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung

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auch im Vorstand vorsehen, was in Polen ebenfalls aus der Anlehnung an das deutsche Mitbestimmungsmodell und den deutschen Arbeitsdirektor herrührt. II. Doch auch wenn im Hinblick auf die Grundstrukturen ähnlich, unterscheiden sich die aktien- und mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften in Deutschland und Polen im Detail teilweise erheblich, was letztlich auch die Unternehmensmitbestimmung nicht nur in ihrer konkreten Ausprägung, sondern insgesamt in ihrer Bedeutung und Tragweite beeinflusst. 1. Dabei sind zunächst im Hinblick auf den zwingenden Charakter der mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften und die diesbezüglich geltende aktienrechtliche Satzungsstrenge wesentliche Unterschiede zwischen dem deutschen und polnischen Recht festzustellen. Anders als in Deutschland steht das polnische Aktienrecht der freiwilligen satzungsmäßigen Einführung oder Aufstockung des Mitbestimmungsniveaus nicht grundsätzlich entgegen; die mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben gelten lediglich als zwingendes Minimum. Die gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmervertretung können in Polen daher jedenfalls auf Grundlage von sog. Kollektivvereinbarungen, wohl aber auch in einem Tarifvertrag, modifiziert werden. Von dieser Möglichkeit wurde im Laufe der Transformationsprozesse sehr häufig Gebrauch gemacht, indem mittels der sog. Sozialvereinbarungen die Arbeitnehmervertretung in nicht vom Geltungsbereich erfassten Unternehmen eingeführt oder die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung individuell an das jeweilige Unternehmen angepasst wurden, beispielsweise im Hinblick auf das Wahlverfahren. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die Öffnung der deutschen Unternehmensmitbestimmung für Verhandlungslösungen verdient die Erkenntnis, dass das polnische Recht heute schon die flexible Ausgestaltung der Unternehmensmitbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer ermöglicht und von dieser Möglichkeit in der Praxis vielfach Gebrauch gemacht wurde, besonderer Hervorhebung. 2. Im Hinblick auf die Aufgaben und Funktionen des mitbestimmten Aufsichtsrats ist von besonderer Relevanz, dass die Kompetenzen des polnischen Aufsichtsrats im Vergleich zum deutschen Aufsichtsrat gesetzlich deutlich schwächer ausgeprägt sind und den Aktionären insgesamt viel größere Einflussmöglichkeiten auf die Zuständigkeiten und die Funktionsweise des Aufsichtsrats zugebilligt sind. Viele Kompetenzen, die nach deutschem Recht ausschließlich und zwingend dem Aufsichtsrat zugewiesen sind, werden in Polen durch Satzung – mithin Aktionärsentscheidung – geregelt oder können abweichend vom gesetzlichen Leitbild anstelle des Aufsichtsrats der Hauptversammlung oder anderen Berechtigten übertragen werden. Letzteres betrifft unter anderem auch die Vorstandsbestellungskompetenz des Aufsichtsrats und seine Kompetenz zur Festlegung der Geschäftsordnung für den Vorstand; die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten kann im polnischen Recht dagegen ausschließlich durch Satzung erfolgen. Insgesamt hat der Satzungsgeber im polnischen Aktienrecht einen deutlich

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

größeren Entscheidungsspielraum und kann so die Position des Aufsichtsrats im organschaftlichen Gesamtgefüge der Aktiengesellschaft stärken, aber auch erheblich schwächen. 3. Ein Wesensunterschied lässt sich im Zusammenhang mit der Schutzfunktion des Aufsichtsrats zugunsten verschiedener Interessengruppen ausmachen. Während der Aufsichtsrat in Deutschland, basierend auf dem traditionellerweise vorherrschenden „stakeholder value“-Ansatz, im Rahmen der Bestimmung des Unternehmensinteresses, auf dessen Wahrung er – sowohl in Deutschland als auch in Polen – verpflichtet ist, neben den Aktionärsinteressen auch die Interessen anderer Gruppen, so auch der Arbeitnehmer, Gläubiger und der Öffentlichkeit, gleichrangig zu berücksichtigen hat, wird in Polen im Allgemeinen ein deutlich stärkerer – wenngleich kein radikaler – „shareholder value“-Ansatz befürwortet, womit das Unternehmensinteresse maßgeblich mit dem Aktionärsinteresse gleichgesetzt wird. Hieran wird deutlich, dass dem Schutz und der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat in Deutschland schon per Definition größere Bedeutung beigemessen wird als in Polen, was die viel tiefgreifendere Verwurzelung der Arbeitnehmerinteressen widerspiegelt. Im Gegensatz hierzu soll der polnische Aufsichtsrat in seiner Funktion traditionellerweise vor allem den Schutz von Minderheitsaktionären – nicht von Arbeitnehmerinteressen – sicherstellen. 4. Im Hinblick auf die Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats ist zu beobachten, dass der deutsche Aufsichtsrat aufgrund der mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben deutlich mehr Mitglieder zählt als dies in Polen gesetzlich vorgeschrieben und in der Praxis regelmäßig der Fall ist. Polnischen Rechtswissenschaftlern dient der deutsche Aufsichtsrat nicht zuletzt aufgrund der bemängelten Schwerfälligkeit und Trägheit oft als Negativbeispiel. 5. Deutliche Unterschiede bestehen auch im Hinblick auf die Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats in Deutschland und Polen. a) Dies betrifft zuvörderst die Anzahl der von Gesetzes wegen vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die in Deutschland von einem Drittel (DrittelbG) bis zur Parität (MitbestG, MontanMitbestG, MontanMitbestErgG) reicht. In Polen hängt die Anzahl der von den Arbeitnehmern zu besetzenden Aufsichtsratssitze vom Kommerzialisierungs- bzw. Privatisierungsstadium ab, sie beträgt jedoch stets nur ungefähr ein Drittel (ca. 30 bis 43 %) aller Aufsichtsratssitze, sofern der Aufsichtsrat nicht mehr als dreizehn Mitglieder zählt, kann jedoch im Fall eines noch größeren Aufsichtsrats geringer ausfallen. Zwar wurde in den Gesetzesprojekten zum PrivG 1990 auch eine paritätische Mitbestimmung erwogen, diese konnte sich im Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht durchsetzen. Gerade aufgrund des gravierenden Unterschieds in der proportionalen Stärke der deutschen Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat ist jedoch erstaunlich, dass in beiden Ländern die hauptsächliche Funktion der Unternehmensmitbestim-

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mung vor allem in der Informationsvermittlungsfunktion gesehen wird und auch in Deutschland keine wegweisenden Entscheidungsmöglichkeiten der Belegschaften auf die Unternehmensführung empirisch nachgewiesen werden konnten. Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass die Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats in der deutschen Aktiengesellschaft zwingend – nach oben und nach unten hin – gesetzlich vorgegeben ist, während in Polen abweichende Regelungen zugunsten der Belegschaften jedenfalls in sog. Kollektivvereinbarungen – wie etwa den in der Transformationsphase häufig abgeschlossenen Sozialvereinbarungen – sowie wohl auch in Tarifverträgen getroffen werden können. b) Anders als im deutschen Recht sieht das polnische KommerzG weder Vorgaben in Bezug auf unternehmensangehörige Arbeitnehmervertreter noch eine zwingende Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat vor. Trotz der Anlehnung an das deutsche Modell der Unternehmensmitbestimmung hat der polnische Gesetzgeber die im deutschen Recht zwingend vorgeschriebene Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern nicht übernommen. Gleichwohl können Gewerkschaftsvertreter grundsätzlich von den Arbeitnehmern in den Aufsichtsrat gewählt werden, was – wie empirische Untersuchungen zeigten – auch ohne gesetzliche Vorgabe oft der Fall war und den tatsächlichen Einfluss der Gewerkschaften in den Unternehmen widerspiegelte. c) Bemerkenswert ist die noch bis vor Kurzem für kommerzialisierte Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates vorzufindende Beschränkung der gleichzeitigen Ausübung des Aufsichtsratsmandats und der Funktion in der Betriebsgewerkschaft (vgl. Art. 13 Abs. 1 Pkt. 4 i.V. m. Abs. 4 KommerzG a. F.), die in ihrer Rolle mehr dem deutschen Betriebsrat als den deutschen Gewerkschaften ähnelt, gleichwohl aber auch das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen auf betrieblicher Ebene und zum Streik hat. Auch wenn diese Beschränkung seit dem 1. März 2018 aufgehoben wurde, so ist doch bezeichnend, dass der polnische Gesetzgeber in der personellen Verflechtung insbesondere aufgrund der möglichen Streiksituation einen potentiellen Interessenkonflikt sah, den es von vornherein zu unterbinden galt. Diese Erkenntnis ist besonders interessant vor dem Hintergrund, dass die Verwicklung von Arbeitnehmervertretern in Streikkonstellationen in Deutschland heftig umstritten ist, es gleichwohl aber auch nicht an kritischen Stimmen fehlt, die für Einschränkungen bei der Mitwirkung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer am Arbeitskampf sowie für den generellen Ausschluss des gleichzeitigen Aufsichtsrats- und Betriebsratsmandats plädieren. d) Schließlich verdient auch die früher in Art. 12 Abs. 2, 7 KommerzG a. F. vorgeschriebene Eignungsprüfung, die für alle Aufsichtsratsmitglieder einschließlich der Arbeitnehmervertreter galt, besonderer Hervorhebung. Eine vergleichbare Eignungsprüfung oder der erforderliche Nachweis von Qualifikationen war für die Arbeitnehmervertreter in Deutschland noch nie vorgesehen. Dem hat sich das

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polnische Recht vor Kurzem angeglichen, denn der anstelle der Art. 12 Abs. 2, 7 KommerzG a. F. zum 1. Januar 2017 getretene Art. 19 StaatsVermVerwG gilt hinsichtlich der darin bestimmten Eignungsprüfung bzw. Qualifikationsanforderungen seit dem 1. März 2018 ausdrücklich nicht mehr für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Vor dem Hintergrund der auch in Polen geführten Diskussion um die Fachkompetenz der Aufsichtsratsmitglieder ist nur schwer nachvollziehbar, warum diese gesetzliche Vorgabe nunmehr lediglich noch für die vom Staat nominierten Aufsichtsratsmitglieder gilt und die Arbeitnehmervertreter hiervon ausgenommen werden. 6. Auch in Bezug auf die Wahl der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter bestehen beachtliche Unterschiede zwischen dem deutschen und polnischen Recht. a) Zwar werden die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner grundsätzlich wie im deutschen Recht von der Hauptversammlung gewählt, allerdings kann die Satzung auch – über die Einräumung von individuellen Entsendungsrechten hinaus, was auch in Deutschland zulässig ist (vgl. § 101 Abs. 2 AktG) – generell ein anderes Wahlverfahren vorsehen (vgl. Art. 385 § 2 HGG) und dabei das Recht zur Bestimmung von Aufsichtsratsmitgliedern einzelnen Aktionären, Interessengruppen etc. zugestehen. b) Als eine Besonderheit des polnischen Aktienrechts lässt sich das Gruppenwahlrecht (vgl. Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG) hervorheben, welches Aktionärsminderheiten die vereinfachte Möglichkeit bietet, ihre Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen. Hierdurch kann eine kapitalbasierte Beteiligung von Arbeitnehmern, die insbesondere im Fall sog. Arbeitnehmergesellschaften gefördert wurde, über die Stimmrechte in der Hauptversammlung hinaus auch – einfacher als in Deutschland – auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ausstrahlen. c) Im Hinblick auf das im KommerzG geregelte Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter sind die polnischen Vorschriften deutlich knapper als die sehr umfangreichen deutschen Regelungen. Allerdings sieht das KommerzG unterschiedliche Vorgaben je nach Kommerzialisierungs- bzw. Privatisierungsstadium vor, die wiederum viel Interpretationsspielraum zulassen und daher an Verständlichkeit und Klarheit einbüßen. Jedenfalls für den Fall des bereits teilprivatisierten Unternehmens ist höchstrichterlich entschieden, dass die Belegschaften – anders als im deutschen MitbestG, MontanMitbestErgG und DrittelbG – die Arbeitnehmervertreter lediglich nominieren, diese aber erst durch einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss ins Amt bestellt werden. Gesetzlich nicht bzw. nicht klar geregelt sind sowohl die Rechtsfolgen als auch die Rechtsschutzmöglichkeiten, wenn die Hauptversammlung die Bestellung des Arbeitnehmervertreters verweigert. Auch wenn durch die Rechtsprechung für den Fall des teilprivatisierten Unternehmens einige Fragen in dieser Hinsicht geklärt wurden, so erscheint nach wie vor insbesondere die Aktivlegitimation der Arbeitnehmer oder

B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung

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Arbeitnehmervertretungen, so auch der Gewerkschaften, in diesem Kontext fragund diskussionswürdig. d) Schließlich bestehen wesentliche Unterschiede zwischen dem deutschen und polnischen Recht auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen im Falle einer fehlenden oder fehlerhaften Wahl von Arbeitnehmervertretern. Nach polnischem Recht mündet diese de lege lata in einer Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrats, denn ein nicht gesetzes- oder satzungskonform zusammengesetzter Aufsichtsrat („skład kadłubowy“) ist nach polnischem Aktienrecht nicht beschlussfähig. Im Gegensatz hierzu sieht das deutsche Recht mit der Regelung des § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG ausdrücklich vor, dass eine nicht dem gesetzlichen Verhältnis von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern entsprechende Zusammensetzung des Aufsichtsrats dessen Beschlussfähigkeit nicht beeinträchtigt. Dadurch sichert die Norm die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats auch im Falle arbeitnehmerseitiger Versäumnis oder Interessenlosigkeit in Bezug auf die Wahl ihrer eigenen Arbeitnehmervertreter. 7. Im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder besteht in Deutschland wie auch in Polen der Grundsatz, dass für die Arbeitnehmervertreter dieselben Regeln gelten wie für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder. In beiden Ländern ist anerkannt, dass die Aufsichtsratsmitglieder, auch die Arbeitnehmervertreter, zur Wahrung der allgemeinen Sorgfaltspflicht, der Loyalitätspflicht und der Verschwiegenheitspflicht verpflichtet sind. a) Im Gegensatz zum deutschen Recht fehlen jedoch im polnischen Recht explizite gesetzliche Vorgaben bezüglich der Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht, was letztlich dazu führt, dass die aus einer diesbezüglichen Pflichtverletzung resultierenden Konsequenzen in Bezug auf Haftung und Schadensersatz der Aufsichtsratsmitglieder unklar sind. In der polnischen Rechtsprechung und Literatur wird zudem auch die Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht uneinheitlich behandelt. b) Im Zusammenhang mit der Loyalitätspflicht der Aufsichtsratsmitglieder manifestiert sich die im deutschen und polnischen Recht unterschiedliche Definition des Unternehmensinteresses. Während in Deutschland nach wie vor ein „stakeholder value“-basierter Ansatz favorisiert wird, herrscht in Polen ein grundsätzlich deutlich stärkerer „shareholder value“-orientierter Ansatz vor. Das Unternehmensinteresse wird somit maßgeblich durch die Aktionärsinteressen bestimmt. Die Interessen anderer Stakeholder, so auch der Belegschaften, werden – anders als in Deutschland – nicht gleichrangig, sondern nach der Rechtsprechung überhaupt nicht und nach einem beachtlichen Teil der Literatur nur insoweit berücksichtigt, als sie den Aktionärsinteressen nicht entgegenstehen. Zwar ist in der polnischen Literatur anerkannt, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Arbeitnehmerinteressen in die Diskussion einbringen dürfen und so auf die Bestimmung des Unternehmensinteresses mittelbar Einfluss nehmen können. Der

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

unterschiedliche stakeholder- und shareholder-value-orientierte Ansatz zeigt gleichwohl, dass den Arbeitnehmerinteressen im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Organgefüges in Deutschland und Polen ein unterschiedlich großer Stellenwert beigemessen wird. c) Im Vergleich zum deutschen Recht weisen die polnischen Regelungen im Hinblick auf die Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat deutlich mehr Lücken auf, die sich zwar mit allgemeinen Grundsätzen schließen lassen, deren ausdrückliche Regelung jedoch im Interesse der Rechtssicherheit und schlussendlich auch der Arbeitnehmervertreter selbst läge. 8. Hinsichtlich der Funktion, Rolle und Bedeutung, welche die Unternehmensmitbestimmung in deutschen und polnischen Unternehmen wahrnimmt, ist bemerkenswert, dass trotz der unterschiedlich starken Besetzung der Aufsichtsräte mit Arbeitnehmervertretern in Deutschland (bis hin zur Parität) und Polen (ca. ein Drittel) in beiden Ländern die Informationsvermittlung als die vorrangige Funktion der Arbeitnehmervertretungen im Aufsichtsrat aufgefasst wird. Daneben wird den Arbeitnehmervertretern in beiden Ländern auch die Funktion zugesprochen, Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsratsplenum zu adressieren und so auf den Meinungsbildungsprozess des Aufsichtsrats Einfluss zu üben. Einen tatsächlichen Einfluss auf unternehmenspolitische Entscheidungen konnten jedoch sowohl die Untersuchungen in Deutschland als auch in Polen nicht belegen. In Polen kam der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat kommerzialisierter Unternehmen zudem eine besondere Funktion im Rahmen der Transformationsprozesse zu, als es darum ging, die Akzeptanz der Belegschaften für weitreichende Veränderungen im Unternehmen zu gewinnen und die Arbeitnehmerinteressen gegenüber potentiellen Investoren zu vertreten. Gleichzeitig belegten Untersuchungen, dass gerade in dieser Phase die Arbeitnehmervertretung oft ein Machtvehikel der Gewerkschaften darstellte, die über diesen Kanal Einfluss auf die Geschicke der Unternehmen üben konnten. Dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat in erster Linie eine Informationsvermittlungsfunktion wahrnimmt, ist für Polen insbesondere deshalb relevant, weil die Informationsvermittlungsfunktion heutzutage vornehmlich den Arbeitnehmerräten zugesprochen wird und die bestehende Institution der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen, die zu einer Zeit entstanden ist, als die Errichtung von Arbeitnehmerräten gesetzlich noch nicht vorgesehen war, aus diesem Grund heute von weiten Teilen für überflüssig erachtet wird. 9. In Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand einer Aktiengesellschaft sehen sowohl das deutsche als auch das polnische Recht unter bestimmten Voraussetzungen die Institution des Arbeitsdirektors vor. Während der deutsche Arbeitsdirektor wie die übrigen Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat bestellt wird, wird der polnische Arbeitnehmervertreter unmittelbar von der gesamten Belegschaft nach Maßgabe der diesbezüglichen Satzungsbestimmung „gewählt“,

C. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Rechtsformen

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womit jedenfalls seine verbindliche Nominierung durch die Belegschaft zu verstehen ist, nach älteren – wohl aber kaum mehr haltbaren – Literaturansichten sogar seine unmittelbare Bestellung ins Amt. Zudem müssen sich die Kompetenzen des polnischen Arbeitsdirektors nach allgemeiner Ansicht abweichend zum deutschen Recht nicht auf Personal- und Sozialangelegenheiten konzentrieren, wenngleich dies in der Praxis oft so gehandhabt wird. III. Anders als in Deutschland wurde in Polen im Zuge der Transformationsprozesse die kapitalbasierte Beteiligung von Arbeitnehmern stark gefördert, indem die Arbeitnehmer unentgeltlich oder vergünstigt Aktien ihrer Unternehmen erhalten konnten. Die Erfahrung in Polen zeigte jedoch, dass die Arbeitnehmer der ehemaligen Staatsunternehmen die unentgeltlich bzw. vergünstigt erhaltenen Aktien des Unternehmens schnell weiterveräußerten und sich so der durch die Kapitalbeteiligung möglichen Einflussnahme selbst entmündigten.

C. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Rechtsformen Anders als die nationalen Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung folgt die Unternehmensmitbestimmung in der SE und in der SCE sowie im Fall grenzüberschreitender Verschmelzungen sowohl in Deutschland als auch in Polen den europäischen Vorgaben und ist daher in weiten Teilen vergleichbar. Gleichwohl lassen sich in der jeweiligen Rechtstradition wurzelnde Unterschiede bei der Umsetzung der europäischen Vorgaben ins nationale Recht feststellen. I. In regelungstechnischer Hinsicht ist erwähnenswert, dass der deutsche Gesetzgeber sich für die Umsetzung der europäischen Vorgaben hinsichtlich der SE in zwei Gesetzen – dem SEAG und dem SEBG – entschloss, während in Polen das SEG-PL einheitlich sowohl die Vorschriften zur Gründung und Verfassung der SE als auch der Arbeitnehmerbeteiligung enthält und zudem die Regelungen zur Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung denjenigen zur SE voranstellt, was in der polnischen Literatur nicht zuletzt deswegen bemängelt wird, weil es die aus Sicht des Gesetzgebers nachrangige Bedeutung der SE widerspiegele. II. In inhaltlicher Hinsicht lässt sich ein entscheidender Unterschied zunächst im Hinblick auf das Wahlverfahren der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Vertretungsorgans hervorheben. Während diese in Deutschland grundsätzlich von einem aus Betriebsräten bestehenden Wahlgremium gewählt werden, kommt diese Aufgabe in Polen der bzw. den repräsentativen Betriebsgewerkschaft/en zu. Hierin spiegelt sich die besondere Rolle der polnischen Betriebsgewerkschaften wider, denen die Funktion der betrieblichen Arbeitnehmerinteressenvertretung vergleichbar den deutschen Betriebsräten zukommt. Gleichzeitig aber sieht sich diese gesetzgeberische Lösung dem Vorwurf der Ver-

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

fassungswidrigkeit ausgesetzt, da sie als Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit und den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen werden kann. Auf der anderen Seite sieht das polnische Recht – anders als das deutsche – keine zwingenden Vorgaben für die Anwesenheit von Gewerkschaftsmitgliedern im besonderen Verhandlungsgremium vor, sondern erlaubt diese lediglich. III. Ein weiterer bedeutsamer Unterschied besteht darin, dass die Besetzung der auf Deutschland bzw. Polen entfallenden Aufsichtsratssitze mit Arbeitnehmervertretern in Deutschland ähnlich der Wahl der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums oder des Vertretungsorgans erfolgt, während das polnische SEG-PL hier – angeblich in Anlehnung an die Regelungen des KommerzG – die unmittelbare Wahl durch die Arbeitnehmer vorsieht. IV. Noch gewichtiger als die rechtlichen Unterschiede ist jedoch die unterschiedliche tatsächliche Verbreitung, Bedeutung und Akzeptanz der SE in Deutschland und Polen. Während laut den letzten Auswertungen der Hans-Böckler-Stiftung zum 31. Dezember 2016 230 Europäische Aktiengesellschaften ihren Sitz in Deutschland hatten, gibt es derzeit lediglich sechs in Polen ansässige SE. Als Hindernis für die Gründung oder Umwandlung in eine SE gilt dabei in Polen mitunter die für diese Rechtsform vorgeschriebene Arbeitnehmerbeteiligung.

D. Unternehmensmitbestimmung im Kontext des kollektivarbeitsrechtlichen Systems Als eine besondere Form der Arbeitnehmerbeteiligung steht die Unternehmensmitbestimmung in einem engen wechselseitigen Verhältnis zur gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertretung, sodass sich die Tragweite der Unternehmensmitbestimmung und der über diesen Kanal mögliche Einfluss der Belegschaften bzw. Arbeitnehmervertretungen nicht zuletzt erst aus einer Gesamtschau der ineinandergreifenden verschiedenen Partizipationsformen erschließt. Neben dem historischen Einfluss, den die Gewerkschaften in beiden Ländern auf die Entstehung der Unternehmensmitbestimmung hatten, sind sowohl in Deutschland als auch in Polen in der alltäglichen Praxis deutliche personelle Verflechtungen und gegenseitige Einflüsse zwischen den verschiedenen gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertretungen und der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat festzustellen. I. Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass in beiden Ländern die Bedeutung der Gewerkschaften bereits für die Entstehung der Unternehmensmitbestimmung wegweisend gewesen ist. Die paritätische Mitbestimmung auf Ebene der Gesellschaftsorgane war in Deutschland ein von den Gewerkschaften lange Zeit gefordertes Konzept, welches durch ihren Willen und ihre Durchsetzungskraft zunächst in die Unternehmenspraxis der Nachkriegsjahre und sodann auch ins geltende Recht Einzug hielt. Die Entwicklung der deutschen Unternehmensmit-

D. Unternehmensmitbestimmung im kollektivarbeitsrechtlichen System

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bestimmung kann daher maßgeblich auf den Einfluss und die Forderungen der deutschen Gewerkschaften zurückgeführt werden. Auch heutzutage stellt die Unternehmensmitbestimmung eine Kernforderung der Gewerkschaften dar. Doch auch die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften in Polen hat als Kontinuität der Selbstverwaltungsbewegung ihren Ursprung in den gewerkschaftlichen Forderungen der 1980er Jahre. II. Den Gewerkschaften bietet die Unternehmensmitbestimmung ein zusätzliches Instrument zur Einflussnahme auf die Unternehmensführung. Sowohl in Deutschland als auch in Polen lassen sich allen voran personelle Verflechtungen zwischen den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat und den Gewerkschaften feststellen. Für das deutsche Recht kennzeichnend sind dabei insbesondere die in den Mitbestimmungsgesetzen niedergelegten – stark umstrittenen – Sitzgarantien für Gewerkschaftsvertreter, ferner der hohe Organisationsgrad der im Aufsichtsrat amtierenden Arbeitnehmervertreter. In Polen sind neben personellen auch beachtliche sachliche Überschneidungen feststellbar. Empirische Studien belegten eindeutig, dass die Gewerkschaften, obwohl – oder gerade weil – sie äußerst stark um ihre Monopolstellung im Hinblick auf die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen bedacht waren, die Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat als ihren „verlängerten Arm“ betrachteten und über diesen Weg Einfluss in den Unternehmen auszuüben versuchten, was ihnen im Zuge der Privatisierungsprozesse und der abgeschlossenen Sozialvereinbarungen auch regelmäßig gelang. Dabei dürfte auch von großer Bedeutung gewesen sein, dass in Polen im Zeitpunkt der Durchführung dieser empirischen Studien zum einen noch keine Arbeitnehmerräte gesetzlich vorgesehen waren, zum anderen es der Spezifik des polnischen Systems der kollektiven Arbeitsbeziehungen geschuldet ist, dass die Gewerkschaften, genauer gesagt die Betriebsgewerkschaften, auch auf der betrieblichen Ebene die vorherrschende Rolle einnehmen und damit in den Unternehmen für betriebliche und personelle Angelegenheiten zuständig sind, womit sie in dieser Hinsicht – weitaus mehr als die Arbeitnehmerräte auf Grundlage des InfKonsG – den deutschen Betriebsräten ähneln. Insofern verwundert es auch nicht, dass gewerkschaftliche Themen in den Aufsichtsrat getragen wurden. III. Sachliche und personelle Verflechtungen bestehen auch zwischen der Unternehmensmitbestimmung und der nicht-gewerkschaftlichen betrieblichen Arbeitnehmervertretung. Die Kompetenzen der polnischen Arbeitnehmerräte auf Grundlage des InfKonsG sind zwar deutlich geringer als diejenigen der deutschen Betriebsräte, was darin begründet liegt, dass nach polnischer Tradition die Betriebsgewerkschaften einen Großteil dieser Zuständigkeiten wahrnehmen und die Kompetenzen der Arbeitnehmerräte – in Umsetzung der europäischen Richtlinie 2002/14/EG zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer – nur auf bestimmte, eher wirtschaftliche als betriebliche oder soziale Angelegenheiten beschränkt sind. Gleichwohl wird die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen in Polen heutzutage maßgeblich

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

aufgrund der nunmehr vorhandenen Institution der Arbeitnehmerräte für überflüssig gehalten. IV. Die verschiedenen Überschneidungen und gegenseitigen Einflussmöglichkeiten zwischen den gewerkschaftlichen und betrieblichen Interessenvertretungen einerseits und der Unternehmensmitbestimmung andererseits verleihen der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen mehr Gewicht und Durchsetzungsstärke, stellen aber gleichwohl auch die Quelle möglicher Interessenkonflikte dar. Vor diesem Hintergrund mangelt es sowohl in Deutschland als auch in Polen aufgrund der vielfältigen Verflechtungen nicht an Kritik.

E. Unternehmensmitbestimmung im Lichte der Corporate-Governance-Debatte I. Im Hinblick auf das Verhältnis der Unternehmensmitbestimmung zu den Corporate-Governance-Standards lässt sich zunächst feststellen, dass ein wesentlicher Unterschied in Bezug auf die Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmer im deutschen und polnischen Corporate-Governance-System besteht. Zum einen werden in Polen Arbeitnehmerinteressen bei der Bestimmung des Unternehmensinteresses nach traditioneller Auffassung in Literatur und Rechtsprechung – sofern überhaupt – nur nachrangig hinter den Aktionärsinteressen berücksichtigt. Zum anderen sind die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat im Lichte des polnischen Corporate-Governance-Regelwerks der Guten Praktiken GPW 2016 – anders als in Deutschland, wo auf Grundlage des noch bis vor Kurzem geltenden DCGK in der Fassung vom 7. Februar 2017 diese Frage heftig umstritten war – stets als nicht unabhängig anzusehen, wenn sie bei der Gesellschaft als Arbeitnehmer beschäftigt sind. II. Vor dem Hintergrund der Bestrebungen zur Verbesserung der Corporate Governance mangelt es nicht an Kritik an der Unternehmensmitbestimmung. Die Kritikpunkte sind in Deutschland und in Polen im Wesentlichen ähnlich. Ein bedeutsamer Aspekt sind die durch die Unternehmensmitbestimmung bedingten verzögerten Prozesse im Aufsichtsrat, die seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigen. Äußerst kritisch wird auch die Interessenwahrnehmung im Rahmen der Aufsichtsratstätigkeit gesehen, die nicht nur getrennte Vorbesprechungen und Koppelungsgeschäfte, sondern auch Interessenkonflikte zur Folge habe. Ferner wird den Arbeitnehmervertretern fehlende Professionalität und Sachkunde vorgeworfen. Schließlich wird auch auf eine Beschränkung des Informationsflusses zwischen Vorstand und Aufsichtsrat und eine Marginalisierung des Aufsichtsrats hingewiesen, die auf die Sorgen vor der Offenbarung vertraulicher Unternehmensinformationen gegenüber den Arbeitnehmervertretern zurückzuführen sei. Sämtliche dieser Aspekte führen nach Auffassung der Kritiker zu einer spürbaren Beeinträchtigung der effektiven Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats.

F. Aktuelle Tendenzen und Reformvorschläge

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III. Sowohl in Deutschland als auch in Polen, die beide als ein System der internen Kontrolle (sog. „insider control model“) zu klassifizieren sind, stellt der Aufsichtsrat den zentralen rechtlich-institutionellen Corporate-Governance-Mechanismus dar. Umso wichtiger ist vor diesem Hintergrund eine reibungslose Funktionsfähigkeit des Aufsichtsorgans. Auch wenn empirische Studien zu den praktischen Erfahrungen mit der Unternehmensmitbestimmung und ihren Auswirkungen auf die Aufsichtsratstätigkeit naturgemäß mit Schwierigkeiten behaftet sind, so hat gleichwohl die in beiden Ländern bestehende Kritik, dass die Unternehmensmitbestimmung die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats behindere, im Hinblick auf die große Bedeutung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit guter Corporate Governance besonderes Gewicht.

F. Aktuelle Tendenzen und Reformvorschläge I. Nachdem es um die deutsche Unternehmensmitbestimmung infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1979 jahrzehntelang ruhig gewesen war, ist vor dem Hintergrund der Ansprüche an eine gute Corporate Governance die Kritik seit Beginn des 21. Jahrhunderts wieder lauter geworden. An Lösungsvorschlägen mangelt es nicht. In rechtswissenschaftlichen Kreisen ist vor allem die Öffnung des starren gesetzlichen Mitbestimmungssystems für Verhandlungslösungen nach dem Vorbild der SE mit einer gesetzlichen Auffanglösung auf breiten Konsens gestoßen. Daneben wird auch die Verlagerung der Unternehmensmitbestimmung auf den Wirtschaftsausschuss oder einen Konsultationsrat diskutiert. Kontroverse Einzelfragen und rechtspolitisch kaum durchsetzbare Vorschläge zur Abschwächung der gesetzlich garantierten Mitbestimmung haben allerdings dazu geführt, dass die Vorschläge bisher rein theoretischer Natur geblieben sind. Auf der anderen Seite ist in breiten politischen Kreisen eine Akzeptanz der Unternehmensmitbestimmung als Element der sozialen Marktwirtschaft herauszuhören. Mitbestimmungsbefürworter fordern gar eine Ausweitung des Geltungsbereiches und die Schließung von „Schlupflöchern“. II. In Polen gab es auf politischer Ebene in den letzten Jahren sowohl gesetzgeberische Vorschläge zur Abschaffung als auch zur Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung, beide sind im Ergebnis aber nicht umgesetzt worden. Die polnische Rechtswissenschaft scheint eindeutig die Arbeitnehmerpartizipation über Arbeitnehmerräte zu favorisieren und der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat, welche wie die Arbeitnehmerräte vorrangig eine Informationsvermittlungsfunktion wahrnimmt, auch aus diesem Grund heute die Rechtfertigung abzusprechen. Beachtlich ist auch, dass die von September 2016 bis März 2018 beratende Kommission zur Kodifizierung des polnischen Arbeitsrechts in ihrem Entwurf eines kollektiven Arbeitsgesetzbuchs die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen gänzlich unerwähnt ließ. Das von ihr vorgeschlagene Modell der zukünftigen kollektiven Arbeitsbeziehungen beruhte vielmehr auf

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Kap. 8: Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse

einer dualen Interessenvertretung durch Gewerkschaften (bzw. gewerkschaftliche Delegierte) und Betriebsräte (bzw. betriebliche Delegierte) – dies zeigt, dass die Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane nach dem Modell der Kommission eindeutig kein tragendes Element des neues kollektivarbeitsrechtlichen Systems in Polen werden sollte. Auch wenn eine gesetzliche Umsetzung der Vorschläge der Kommission bisher ausgeblieben ist, bestätigen die Vorschläge jedoch die allgemein zu spürende Tendenz in Polen, wonach die Unternehmensmitbestimmung eher ins rechtspolitische Abseits rückt. Jüngste gesetzgeberische Änderungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts zielten vielmehr auf eine Ausweitung des Koalitionsrechts und damit einhergehend die Stärkung der Gewerkschaften.

Kapitel 9

Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung? Der weltberühmte polnische Schriftsteller Henryk Sienkiewicz verfasste mit seinem historischen Roman „Quo vadis“ einen internationalen Bestseller, der in zahlreichen Ländern übersetzt, adaptiert und verfilmt wurde. Dass aber ein historisches Setting selbst noch keine Erfolgsgeschichte schreibt, mussten sowohl die deutsche als auch die polnische Unternehmensmitbestimmung erfahren, die trotz ihrer tief in die Geschichte beider Länder greifenden historischen Komponente nicht ansatzweise so viel Ruhm und Ehre auf nationaler und internationaler Bühne geerntet und erst recht keinen Nobelpreis erhalten haben. Der historische Hintergrund der Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten und Vorständen von Unternehmen könnte – geformt durch ideologische Strömungen und Doktrinen, gesellschaftliche Bewegungen und politische wie auch wirtschaftliche Entwicklungen – in Deutschland und Polen kaum unterschiedlicher sein. Und doch lässt sich als Gemeinsamkeit die gesamtwirtschaftliche und politische Bedeutung der Unternehmensmitbestimmung hervorheben, die in beiden Ländern eine weit über die kollektiven Arbeitsbeziehungen hinausgehende Dimension einnahm. Als ein wesentliches Element staatlicher Neuordnung, ein Symbol des Kampfes gegen ein politisches und wirtschaftliches System und ein tragendes Element zur Förderung der breiten Akzeptanz in Zeiten einschneidender politischer und wirtschaftlicher Veränderungen kam der Unternehmensmitbestimmung in der Geschichte beider Länder eine sehr weitreichende gesellschaftspolitische Funktion zu. Doch ist das nostalgische Festhalten an einer historisch bedingten, auf Zeiten des Umbruchs und der staatlichen Neuordnung zurückzuführenden Institution auch für die Zukunft stets und uneingeschränkt der richtige Weg? Rechtfertigt der historische Hintergrund der Unternehmensmitbestimmung über sämtliche Kritik hinaus ihren ewigen Bestandsschutz? Und gibt es auf politischer Ebene überhaupt ein ernsthaftes Interesse, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen? Kaum ein arbeits- und gesellschaftsrechtliches Thema ist auf nationaler wie auch europäischer Ebene politisch so hoch kontrovers diskutiert worden wie die Unternehmensmitbestimmung. Das deutsche Modell konnte sich nicht durchsetzen und hält nach wie vor die einsame Spitzenstellung im europäischen wie auch internationalen Vergleich. Positive und negative Effekte der Unternehmensmitbestimmung lassen sich empirisch kaum belegen, Aussagen von Unternehmensleitungen, Arbeitnehmervertretern und sonstigen Akteuren leiden an subjektiven

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Kap. 9: Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?

Einfärbungen, persönlichen Interessen und gesellschaftspolitischen Überzeugungen. Gepriesen als Erfolgsmodell und „Kulturgut“ sind vor dem Hintergrund einer zurzeit ohnehin sehr sozialen Gesinnung der politischen Mehrheiten und durchsetzungsstarken Gewerkschaften Reformen zur Abschwächung der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland kaum zu erwarten, sollte das Thema überhaupt noch einmal politisch aufgegriffen werden. Doch auch auf Seiten der Unternehmensleitungen fehlt der Mut, Kritik und Missstände offen anzusprechen. Vielmehr scheint man sich in den Chefetagen mit der Unternehmensmitbestimmung notgedrungen arrangiert zu haben, wäre schließlich jede negative Äußerung zur Mitbestimmung ein Affront gegenüber dem sozialen Gegenspieler, auf dessen vielfach gelobte „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ die Unternehmensleitung auf ihren verschiedenen Wirkungsebenen unausweichlich angewiesen ist. So bleibt die Kritik aus wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Kreisen rein theoretischer Natur, während die Unternehmensleitungen lieber dezent – oder auch: feige – mithilfe alternativer Rechtsformen vor der Mitbestimmung zu flüchten versuchen. Dass die Lippenbekenntnisse zur Unternehmensmitbestimmung aber nicht glaubhaft genug ins Ausland vermittelt werden, zeigt die offen geäußerte Beobachtung seitens ausländischer, so auch polnischer Autoren, die in der starken Beliebtheit der Europäischen Aktiengesellschaft in Deutschland unmissverständlich das Bestreben zur Vermeidung der Unternehmensmitbestimmung begründet sehen. Mögen auch gesetzgeberische Initiativen ausbleiben oder am gewerkschaftlichen Widerstand scheitern und sich die Unternehmensleitungen und Arbeitgeberorganisationen mit offener Kritik an der Unternehmensmitbestimmung stark zurückhalten, so lässt sich doch eine deutliche Diskrepanz zwischen den vielen Bekundungen zur Unternehmensmitbestimmung und dem tatsächlichen Wunschdenken – und Handeln – erkennen. Doch da das hochsensible Thema Unternehmensmitbestimmung bis auf Weiteres ruhen, seinen Bestandsschutz genießen und – außerhalb wirtschafts- und rechtswissenschaftlicher Kreise – nicht weiter hinterfragt werden wird, ist es nicht verwunderlich, dass für viele Geschäftsleitungen deutscher Unternehmen die Vermeidung der Unternehmensmitbestimmung durch Umwandlungen oder Umstrukturierungen anscheinend der einzige Weg zu sein scheint, der historisch gewachsenen Tradition des deutschen Mitbestimmungsmodells auszuweichen und den Ansprüchen nach einer höheren Effektivität der Aufsichtsratstätigkeit und besseren Corporate Governance sowie der internationalen Konkurrenz auf dem Wirtschafts- und Kapitalmarkt zu begegnen. In Polen hat die Unternehmensmitbestimmung heutzutage nicht ansatzweise mehr einen vergleichbaren Stellenwert in politischen, gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen Kreisen. Entsprechend offener wurden auch gesetzgeberische Vorstöße zur Abschaffung der noch bestehenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter, ehemaliger Staatsunternehmen unternommen. Doch auch in Polen sind die Gesetzesvorhaben zur Abschaffung der

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bestehenden Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten und Vorständen kommerzialisierter Unternehmen nicht in die Tat umgesetzt worden. Von der derzeitigen politischen Führung werden mutmaßlich auch eher weitergehendere soziale als liberale Reformen vollzogen. Eine Annäherung an das deutsche Mitbestimmungsmodell ist gleichwohl nicht zu erwarten. Wie die jüngsten gesetzgeberischen Änderungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts gezeigt haben, liegt der Fokus vielmehr – entsprechend der polnischen Tradition – auf der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, die in ihrem personellen Geltungsbereich jüngst erst erweitert wurde. Die Unternehmensmitbestimmung in den kommerzialisierten Unternehmen rückt dagegen immer mehr ins Abseits. Sie diente als Kompensation für die Abschaffung der Selbstverwaltungsorgane in den transformierten Staatsunternehmen, sollte ein Zugeständnis an die Arbeitnehmer für den Verlust ihrer Mitspracherechte darstellen und gemeinhin die Akzeptanz für weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen fördern. Mittlerweise scheint sie ihren Zweck aber auch erfüllt zu haben. Ein wahrhaftiges Interesse an dem Erhalt oder gar der Ausweitung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane ist von keiner Seite zu erkennen – das Thema steht nicht auf der politischen Agenda und auch nicht im Fokus gewerkschaftlicher Forderungen. Von der Kommission zur Kodifizierung des kollektiven Arbeitsrechts wurde die Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten und Vorständen kommerzialisierter Unternehmen nicht einmal thematisiert. In rechtswissenschaftlichen Kreisen gilt sie als Exot und Fremdkörper und wird – mitunter unter Verweis auf das deutsche Modell als Negativbeispiel – kritisch verurteilt. Nicht einmal die Gewerkschaften scheinen an der Unternehmensmitbestimmung ein ernsthaftes Interesse zu haben, mögen auch die Arbeitnehmervertretungen in den Gesellschaftsorganen zusätzliche Einflussmöglichkeiten für die Gewerkschaften eröffnen und sie sich daher auch grundsätzlich für ihren Erhalt aussprechen. Bestrebungen zur Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung sind aber entweder überhaupt nicht oder nur halbherzig vorhanden, vielmehr konzentrieren sich die Gewerkschaften auf die Stärkung ihrer eigenen Position, die sich viel effektiver und gezielter durch Ausweitung des Koalitionsrechts und der ureigenen gewerkschaftlichen Befugnisse bewirken lässt. So verblasst die Unternehmensmitbestimmung zunehmend im Bewusstsein der Menschen und in der Unternehmenspraxis; durch den allmählichen Schwund der noch vom Geltungsbereich erfassten Unternehmen ist sie von einem tatsächlichen Aussterben bedroht, welchem nicht ernsthaft entgegenzuwirken versucht wird. Fehlende gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung sind angesichts des historischen und ideologischen Nachlasses und brodelnden Konfliktpotentials nur allzu verständlich. Die Wirklichkeit wird sich dann aber ihren Weg selbst erschließen, und es zeichnet sich ab, dass die Unternehmensmitbestimmung sowohl in Deutschland als auch in Polen auf lange Sicht an Bedeutung zu verlieren droht. Es mag nun gefragt werden, ob diese Entwick-

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Kap. 9: Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?

lung aufzuhalten ist, ob die Unternehmensmitbestimmung in ihrem Bestand gesichert oder gar in ihrem Geltungsbereich ausgeweitet werden sollte und ob etwaige „Schlupflöcher“ um jeden Preis geschlossen werden müssen, um eine Zwangsbeglückung der Arbeitnehmerschaft durch starre gesetzliche Vorgaben hinsichtlich ihrer Vertretung zu bewirken? Oder sollte nicht eher in Anbetracht der vielfältigen Kritik an der Unternehmensmitbestimmung, der verschiedenen alternativen Partizipationsformen, die gleichsam schon heute dieselben Themen wie die Unternehmensmitbestimmung abdecken können, und im Sinne der Förderung einer guten Corporate Governance und des sozialen Dialogs zwischen den Sozialpartnern auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene der Blick für neue und alternative Lösungen offen sein? Lösungsvorschläge für Alternativen zum bestehenden Mitbestimmungsmodell gibt es genügend – sei es nur die Öffnung des starren gesetzlichen Systems für Verhandlungslösungen oder aber die Verlagerung der Unternehmensmitbestimmung auf den Wirtschaftsausschuss in Deutschland oder die Arbeitnehmerräte in Polen oder auch auf einen gänzlich neu im Organgefüge eines Unternehmens zu errichtenden Konsultationsrat. Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den sie betreffenden Angelegenheiten ist gut und wichtig – sie beugt Missständen und Missbräuchen vor, fördert die Mitarbeiterbindung an das Unternehmen und kann die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen positiv steigern. Aber die Mitbestimmung sollte kein bürokratisches Laster darstellen, das gesetzgeberisch von oben aufgezwungen und unverrückbar in einem starren Gerüst eine Zwangsbeglückung der Belegschaften herbeiführen soll. Der Gesetzgeber sollte sich darauf beschränken, faire Rahmenbedingungen zu erschaffen, auf deren Basis ein sozialer Dialog und eine Kooperation zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zum Wohl des Unternehmens gelebt werden können, die aber den jeweiligen Besonderheiten der Unternehmen, der Eigeninitiative der Belegschaften und ihrer Interessenvertretungen sowie einem wahrhaftigen Interesse an Mitbestimmung gebührend Rechnung tragen. Diese Leitgedanken könnten durch verschiedene Lösungen verwirklicht werden, die hier lediglich skizzenhaft angeregt werden sollen: I. Für beide Länder begrüßenswert wäre eine flexible Ausgestaltung der Unternehmensmitbestimmung mit Raum für Verhandlungen. Wie sich im Zuge der Transformationsprozesse in Polen zeigte, kam der Anpassung der gesetzlichen Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung im Rahmen von sog. Sozialvereinbarungen eine erhebliche Bedeutung in der Praxis zu, indem die gesetzlichen Vorgaben individuell auf das jeweilige Unternehmen angepasst und nicht selten auch zugunsten der Belegschaften und Gewerkschaften erweitert wurden. Doch auch ein tieferer Blick in die deutsche Geschichte zeigt, dass privatrechtliche Mitbestimmungsvereinbarungen der deutschen Tradition nicht völlig fremd sind. Im Gegenteil, waren es letztlich die freiwilligen Mitbestimmungsabreden in der

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Montanindustrie, die den Weg der deutschen paritätischen Mitbestimmung überhaupt erst geebnet haben. Später waren es dann auch Abmachungen wie etwa das sog. „Lüdenscheider Abkommen“, mit denen sachgerechte einzelfallbezogene Lösungen erzielt werden konnten, obwohl rechtlich keine Notwendigkeit einer Mitbestimmungsvereinbarung bestanden hatte. Eine flexible Verhandlungslösung wurde nicht zuletzt auch auf europäischer Ebene favorisiert. Eine Flexibilisierung der Unternehmensmitbestimmung sollte jedoch sowohl eine Erweiterung als auch eine Verkürzung der gesetzlichen Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung ermöglichen. So könnte auch den – wie sich ebenfalls anhand empirischer Studien in Polen zeigte – unterschiedlichen Erfahrungen mit der Unternehmensmitbestimmung in den jeweiligen Unternehmen Rechnung getragen und in denjenigen Fällen, in denen sich die Unternehmensmitbestimmung als nicht förderlich für das Unternehmensinteresse erwies, auf andere Partizipationsformen zurückgegriffen werden. Als Vorteil und Chance zugleich könnten derart mögliche flexible Lösungen denjenigen Fällen in der Praxis, wo die Zusammenarbeit im Aufsichtsrat gut funktioniert, einen rechtlichen Boden verschaffen, während in anderen Unternehmen, in denen eher von einer Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit und geringem Nutzen für die Arbeitnehmer durch diese Partizipationsform auszugehen ist, Alternativen zur derzeitigen Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat möglich wären. Im Gegensatz zu starren gesetzlichen Vorgaben dürften derartige freiwillige Vereinbarungen auf breitere Akzeptanz auf Seiten der Unternehmensinhaber führen und zu einer echten Sozialpartnerschaft beitragen, im Zuge derer die Vorteile der Anwesenheit von Arbeitnehmervertretern, wie ihr Wissen und ihre Beziehungen zur Belegschaft, mehr geschätzt werden dürften. II. Durchaus sinnvoll erscheint es, eine gesetzliche Auffanglösung für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen vorzusehen. Indes dürfte sich hier ein zurückhaltender und minimalistischer Ansatz empfehlen, da ansonsten die Bereitschaft der Arbeitnehmerseite zu einer Einigung nur auf Kosten anderer Verhandlungsgegenstände erreichbar sein dürfte und damit den unliebsamen Koppelungsgeschäften nur noch mehr Nährboden verschafft würde. Wie der rechtsvergleichende Blick nach Polen zeigt, sind auch bestimmte Probleme, die mit der Unternehmensmitbestimmung einhergehen, so allen voran die Interessenkonflikte und die Wahrung der Vertraulichkeit, auch im Fall einer nur annähernden Drittelbeteiligung gegeben, was die Drittelparität als Auffanglösung in Zweifel zieht. Ein vom Aufsichtsrat abgekoppeltes Gremium – wie etwa ein Konsultationsrat – erscheint daher als Auffanglösung sinnvoller. III. Im Rahmen der Flexibilisierung sollte auch die Möglichkeit vorgesehen werden, die Unternehmensmitbestimmung in ein anderes bereits bestehendes Gremium – etwa den Wirtschaftsausschuss in Deutschland oder den Arbeitnehmerrat in Polen – zu integrieren. Dies erscheint insbesondere deshalb sinnvoll, weil sich diese Gremien und die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat im

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Kap. 9: Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?

sachlichen und funktionellen Wirkungsbereich – und teilweise sogar in personeller Hinsicht – ohnehin überschneiden. Durch Vereinbarung sollten diesen Gremien durchaus auch breitere Kompetenzen zugesprochen werden können, damit diese auch aus Arbeitnehmersicht ein ausreichendes Äquivalent zu den durch die Unternehmensmitbestimmung gewährleisteten Arbeitnehmerrechten darstellen würden. Alternativ sollte auch ein weiteres separates Gremium wie etwa der in der deutschen Rechtswissenschaft vorgeschlagene Konsultationsrat errichtet werden dürfen. Dies dürfte zu einer begrüßenswerten Verschlankung der Entscheidungsprozesse im Aufsichtsrat beitragen, ohne die Arbeitnehmer in ihren Rechten im Zusammenhang mit arbeitnehmerrelevanten Vorgängen zu beschneiden. Zudem würde eine Verlagerung der Arbeitnehmerbeteiligung aus dem Aufsichtsrat heraus auf andere Gremien die Problematik von Interessenkonflikten und der Wahrung der Vertraulichkeit, insbesondere vor dem Hintergrund der den Arbeitnehmervertretern zugeschriebenen Informationsvermittlungsfunktion, entschärfen. Durch Vereinbarung sollten auch die Kompetenzen des die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ersetzenden Gremiums festgelegt werden können, wogegen sich die gesetzliche Auffanglösung vor allem auf Informations- und Mitspracherechte bei arbeitnehmerrelevanten Angelegenheiten der Unternehmensführung – so etwa insbesondere Restrukturierungen, Personalabbaumaßnahmen, Standortverlagerungen, etc. – beschränken sollte und damit die Arbeitnehmervertreter vor sie unnötigerweise überfrachtenden Informationen – anders als im Aufsichtsrat – bewahren würde. IV. Die Anwesenheit von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat bzw. dem alternativen Gremium sollte möglich, jedoch nicht gesetzlich vorgeschrieben sein. Zum einen sollte die Belegschaft autonom über ihre Vertretung und die diesbezügliche Eignung der Gewerkschaftsvertreter entscheiden dürfen, zum anderen dürften bei einer derartigen Lösung auch keine – angesichts des sowohl in Deutschland als auch in Polen bestehenden geringen Organisationsgrades nicht zu vernachlässigenden – Legitimationsprobleme einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe bestehen. Zudem würde dies auch für die Gewerkschaften einen Ansporn darstellen, sich für die Interessen der Belegschaften gebührend einzusetzen und nicht auf eine Sitzgarantie zu verlassen. V. Begrüßenswert wären Qualifikationsanforderungen, die von den Arbeitnehmervertretern nachzuweisen wären, beispielsweise – wie im neuen Art. 19 Abs. 1 Pkt. 1 lit. a) bis k) StaatsVermVerwG vorgesehen – durch entsprechende berufliche Abschlüsse oder eine spezielle Eignungsprüfung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sowohl in Deutschland als auch in Polen den Arbeitnehmervertretern von kritischen Stimmen nicht selten eine mangelnde Eignung bzw. Fachkompetenz entgegengehalten wird. Eine Eignungsprüfung – oder alternativ: der Nachweis bestimmter Qualifikationen durch entsprechende Abschlüsse – könnte nicht nur diesen Vorwürfen den Boden entziehen, auch dürften nachweislich vorhandene Qualifikationen der Arbeitnehmervertreter in Anbetracht der

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spezifischen Anforderungen der Aufsichtsratstätigkeit grundsätzlich zu einer besseren Fachkompetenz innerhalb des Aufsichtsratsgremiums und damit auch einer effektiveren Aufsichtsratstätigkeit führen. Gleichwohl dürften detaillierte gesetzliche Vorgaben diesbezüglich kaum zielführend sein, da sie nur selten den besonderen Gepflogenheiten der jeweiligen Unternehmen entsprechen dürften. Vielmehr empfiehlt sich eine Verankerung diesbezüglicher Vorgaben in den CorporateGovernance-Regelwerken, etwa mit der Empfehlung an Unternehmen, bestimmte Qualifikationsanforderungen selbst – beispielsweise unter Mitwirkung der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen – aufzustellen oder eine spezielle Eignungsprüfung eigenständig zu konzipieren und durchzuführen. So wären nicht nur unternehmensbezogene Anforderungen hinreichend berücksichtigt, gleichzeitig dürften auch die Arbeitnehmer bereits bei der Festlegung der Qualifikationsanforderungen mitbestimmen, und schließlich würde letztlich der Kapitalmarkt bewerten dürfen, ob er die von Unternehmens- und Arbeitnehmerseite gemeinsam gefundenen Lösungen für gut befindet. VI. Für den Fall der nicht erfolgten Wahl von Arbeitnehmervertretern in das ausgewählte Gremium sollten dem Unternehmen keine negativen Rechtsfolgen erwachsen. Empirische Untersuchungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in Polen zeigten, dass Arbeitnehmer von ihrem Recht zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder Vorständen zum Teil keinen Gebrauch machten. Auch dieser Umstand verdeutlicht, dass die Unternehmensmitbestimmung nur dann effektiv gelebt wird, wenn sie auch die Befürwortung auf Seiten der Arbeitnehmer erfährt. Die Unternehmensmitbestimmung sollte – gleich in welcher konkreten Form – als Recht, nicht aber als Pflicht ausgestaltet sein und damit dem Willen der Arbeitnehmer im jeweiligen Unternehmen Rechnung tragen. Abzulehnen sind daher auch die im polnischen Recht rigorosen Rechtsfolgen im Falle einer fehlenden oder fehlerhaften Wahl von Arbeitnehmervertretern, die nach derzeitiger Rechtslage in einer Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrats münden. Vielmehr sollte hier die im deutschen Recht vorzufindende Regelung des § 108 Abs. 2 Satz 4 AktG, welche die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats im Falle arbeitnehmerseitiger Versäumnis oder Interessenlosigkeit in Bezug auf die Wahl ihrer eigenen Arbeitnehmervertreter sichert, den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen darstellen. VII. Ergänzend zu einer auf Verhandlungen beruhenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen bzw. alternativen sonstigen Vertretungsgremien wäre auch die Förderung einer eigentumsbasierten Beteiligung der Arbeitnehmer in Gestalt von Anteilen bzw. Aktien am jeweiligen Unternehmen begrüßenswert. Hier stellt das in Polen vorzufindende Konzept des vergünstigten Aktienerwerbs, verbunden mit Regelungen für eine erleichterte Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch Gruppenwahlregelungen, einen sehr interessanten Denkansatz dar. Eine geförderte Eigentümerstellung der Mitarbeiter dürfte einerseits ver-

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schiedene Vorteile individueller Natur wie Motivation und Engagement mit sich bringen. Verbunden mit einem Gruppenwahlrecht ähnlich den polnischen Vorschriften (vgl. Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG) würde die im Rahmen des Aktienerwerbs geförderte Aktionärsstellung den Arbeitnehmern nicht nur in der Hauptversammlung Stimmrechte gewähren, vielmehr hätten sie aufgrund der möglichen Gruppenwahl die vereinfachte Möglichkeit, eigene Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen. Anders als der mit der institutionellen Teilhabe im Aufsichtsrat verfolgte laboristische Ansatz hätte die so gewählte Arbeitnehmervertretung eine eigentumsbasierte Grundlage und dürfte grundsätzlich auf mehr Akzeptanz von Seiten der anderen Aktionäre stoßen. Die derzeit sowohl nach deutschem als auch polnischem Recht bestehende Möglichkeit, Arbeitnehmer als Anteilseignervertreter in den Aufsichtsrat wählen zu können, ist daher auch begrüßenswert und sollte entgegen den Vorschlägen einiger polnischer Autoren nicht beschränkt werden. Vielmehr sollten rechtliche Mechanismen geschaffen werden, um diese Art der Arbeitnehmerpartizipation zu fördern. Wichtig wäre auch die Einführung entsprechender Schutzvorschriften für diese Aufsichtsratsmitglieder, wenngleich sie – rein rechtlich gesehen – Anteilseignervertreter wären. Besonderes Augenmerk wäre auf die Sicherstellung eines ausreichenden Schutzes der so entsandten „Arbeitnehmervertreter“ vor Kündigungen und sonstigen Nachteilen im Arbeitsverhältnis zu legen, um eine hinreichende Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter zu gewährleisten. Kritiker werden diesem Vorschlag zwar gerade unter Verweis auf die Erfahrung in Polen entgegenhalten, dass die Arbeitnehmer ehemaliger Staatsunternehmen schnell geneigt waren, ihre unentgeltlich bzw. vergünstigt erworbenen Aktien des Unternehmens weiterzuveräußern und sich so der durch die aktienrechtlichen Vorschriften begünstigt möglichen Einflussnahme selbst entmündigten. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Gründe hierfür nicht zuletzt auch in der besonders schwierigen wirtschaftlichen Situation der allermeisten Arbeitnehmer in den ersten Jahren der Transformationsphase liegen mochten. Letztlich ist dies jedoch nicht entscheidend. Denn wenn die Belegschaften die Möglichkeiten einer eigentumsbasierten Teilhabe von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat nicht nutzen möchten, ist dies nichts anderes als der Ausdruck ihres freien Willens. Unter der Maxime, dass Mitbestimmung keine Zwangsbeglückung sein und die Initiative hierfür bei den Arbeitnehmern liegen sollte, sind derartige Konzepte als Chance der Arbeitnehmer zur Erweiterung ihrer Mitspracherechte zu betrachten, die bei mangelndem Interesse ohne weiteren Nachteil für das Unternehmen vergeben werden können. VIII. Letztendlich sollte bei allen Reformansätzen – in Deutschland wie auch in Polen – bedacht werden, dass der soziale Dialog zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zwar von den rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst werden kann, gleichwohl aber naturgemäß vor allem von den jeweiligen Beziehungen zwischen den Sozialpartnern im Unternehmen abhängt. Zu einer Verbes-

Kap. 9: Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?

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serung dieser auf einem Dialog, gegenseitiger Rücksichtnahme und auf das Wohl des Unternehmens und seiner Arbeitnehmer zielenden Sozialpartnerschaft können aus Sicht der Verfasserin vor allem derartige rechtliche Mechanismen beitragen, die den Sozialpartnern nicht durch ein starres Regime aufgebürdet werden, sondern die in sich selbst das Element des Dialogs verkörpern. Aus diesem Grund ist eine grundsätzliche Flexibilisierung der Unternehmensmitbestimmung sowie eine stärkere Akzentuierung der von der Belegschaft ausgehenden Initiativen zu befürworten. Sowohl die Entstehungsgeschichte der deutschen Mitbestimmung als auch die Geschichte der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen und ihr maßgeblicher Beitrag zum politischen und wirtschaftlichen Umbruch im Jahr 1989 sind gute Beispiele für die Durchsetzungsstärke der Arbeitnehmerschaft und ihre Einflussmöglichkeiten, wenn sie von einem breiten Willen getragen werden. Sowohl der deutsche als auch der polnische Gesetzgeber sollte der Arbeitnehmerschaft daher mehr Eigenverantwortung und Eigeninitiative zutrauen und Raum für einen ehrlichen Dialog, faire Verhandlungen und maßgeschneiderte Lösungen schaffen, anstatt mit zwangsbeglückenden Gesetzen letzten Endes die Funktionsfähigkeit eines so wichtigen Organs wie des Aufsichtsrats zu gefährden. Wie es aber letztlich in dem historischen Epos der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen weitergeht, bleibt abzuwarten.

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Stichwortverzeichnis Ad-hoc-Repräsentationen, betriebliche 196, 612, 617, 619–621, 627 f., 641, 728, 743 Ahlener Programm 54, 56, 59, 228, 242, 434 Aktiengesellschaft, Organisationsstruktur, Überblick 276–278 Anhörung der Arbeitnehmer siehe Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer Arbeitgeberverbände – Geschichte 53, 99, 138, 148, 162 f., 204 – Mitbestimmung 62, 70, 72, 77, 79, 155, 176, 589, 712, 770 – Rat des Sozialen Dialogs 152, 189, 193, 639 f. – Rechtsgrundlagen 179–181, 191, 193, 546 – Tarifverträge 191, 561, 585 f. Arbeitnehmeraktionärstum siehe Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital („partycypacja kapitałowa“) 127, 131 f., 134, 153, 199, 217, 449–452, 635–639, 699, 730, 760, 763, 775 f. Arbeitnehmergesellschaften („spółki pracownicze“) 127 f., 132, 134 f., 204, 216, 250, 316, 424, 447–453, 637, 639, 760 Arbeitnehmerpartizipation – Begriff 34–36, 197–199, 632 – Grundlagen 186 f., 195–200 Arbeitnehmerrat, Arbeitnehmerräte 180, 198, 608–619, 725–728 – Bedeutung 572, 587, 607, 624–627, 641 – Entstehungsgeschichte 608 f. – Kompetenzen 615–618, 621, 765

– Reformvorschläge 628, 725 f., 728, 733 f., 742 f., 767, 773 f. – Überschneidungen 632–635, 642 – Zusammensetzung, Wahlverfahren 612–615 Arbeitnehmerselbstverwaltung – Bedeutung 112 f., 118–122, 123 f., 136 f., 263, 273, 710–713, 751, 753 – geschichtlicher Hintergrund 110–115, 204 f., 594 f. – ideologischer Hintergrund 172–173 – in den Jahren 1956–1958 100–106 – Kontinuität 133, 233 f., 235, 238 f., 257 f., 274, 736 f., 752 – SelbstVerwG von 1981 115–118, 262 f., 456–466 – Spezialgesetze 263 f. Arbeitsdirektor – Bestellung 374, 435–441, 471, 762 f. – Funktion und Aufgaben 442–446, 471, 763 – geschichtlicher Hintergrund 61, 69 f., 73–75, 434 f., 756 f. Arbeitskampf siehe Streik Arbeitssicherheit und -hygiene 95, 103, 139, 151, 153, 195, 217, 568, 621 f. Aufsichtsrat – Amtsperiode 356 f. – Amtsperiode, erste 309, 371 f., 386, 389 f. – Aufgaben und Funktionen 278–302 – Ausschüsse 363–368 – Beeinträchtigung siehe Corporate Governance – Beratungsfunktion 283 f., 298, 302 – Beschlussfähigkeit 364, 368–372, 380, 381–388, 470, 761

798

Stichwortverzeichnis

– Beschlussfassung 362, 364, 366, 368, 372–374, 379, 384, 386, 405 – Corporate Governance siehe dort – Forum der Interessenvertretung 679– 686 – Frauenquote 352 f. – Geschäftsordnung 325, 363 f., 367 f., 373, 403 – Gewerkschaftsvertreter 306 f., 330, 333–342, 345, 347, 361, 404 f., 470, 590–592, 600, 685 f., 690, 699, 702 f., 705, 759, 765, 774 – Größe 302–306, 310–312, 333, 365 – Gruppenwahlrecht siehe dort – innere Ordnung 360–374 – Kollegialprinzip 366, 393 f. – Marginalisierung 684, 689 f., 721, 766 – Personalkompetenz 288–294, 299, 469, 589, 677 – Schutzfunktion 300–302, 758 – Überwachungsfunktion 280–288, 299, 402, 677, 684, 690 f., 700, 756, 766 – Unternehmensinteresse siehe dort – Unternehmerische Mitbeteiligung 297–300 – Wahlrecht, aktives 327–330, 470, 698 f. – Wahlrecht, passives 332 f., 333–356, 698 f., 756 – Wahlverfahren 80, 218, 314–327, 376, 381, 470, 704, 756 f., 760 f. – Zahl der Arbeitnehmervertreter 141, 146, 209–211, 306–314, 372 Aufsichtsratsmitglieder – Abberufung 357–360, 374, 402, 723 – Behinderungs- und Benachteiligungsverbot 417 f., 419 – Entgeltfortzahlung 418 f. – fehlende, fehlerhafte Wahl 371, 374– 391, 470 f., 761, 775 – Freistellung 197, 418 f., 521–523, 733 f.

– Haftung 407–410, 470, 761 – Kündigungsschutz 131, 326, 419 f., 521, 523, 540 – Loyalitätspflicht 403–410, 685, 761 – Nichtigkeit der Wahl 353, 375–381, 387, 390 f., 470 f. – persönliche Amtsausübung 392 – Schutzvorschriften 416–420, 521–524, 540 f. – Sorgfaltspflicht 401–410, 761 – Stimmrecht 79, 307, 361 f., 373, 392, 436, 519, 703, 708 – Vergütung 410–416, 418 f., 652, 655, 668, 733 f. – Verschwiegenheitspflicht siehe dort – weisungsfreie Amtsausübung 392 Aufsichtsratsvorsitzender 360–363 – Aufgaben 362 f., 368, 393 – doppeltes Stimmrecht 79, 307, 361 f., 373, 436, 703, 708 – Vergütung 411 f. – Wahl 360–362 Auskunftsrecht 281–284, 299, 366, 393, 633 Balcerowicz-Plan 126–128, 171 f., 545 Belegschaftsrat – Abschaffung 130–134, 142, 237, 465, 720 – Bedeutung 112 f., 118–122, 124 f., 136 f., 180, 464, 594, 711–713 – Begriff 116 – Kompetenzen 459–463, 464 – Kontinuität siehe Arbeitnehmerselbstverwaltung – Selbstverwaltungsorgan 457–459, 463 f. – Vergütungsanspruch 419, 458 – Wahlrecht 458 Berichtspflichten 281–283, 299, 633 Bermuda-Dreieck 125, 136, 578

Stichwortverzeichnis Besonderes Verhandlungsgremium siehe auch Societas Europaea (SE) – Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung 496–498 – Konstituierung 482–494 – Kosten 499 – Mitglieder, Zusammensetzung 486–489 – Sitzgarantie 486 – Wahlverfahren 489–494, 542 Betriebsräte – Bedeutung 623 – Europäische Betriebsräte siehe dort – nach BetrVG 607 f. – personelle Verflechtungen 590, 642, 681, 699, 764, 766 – Polnisches Dekret von 1945 93–100 Betriebsverfassungsgesetz siehe auch Betriebsräte nach BetrVG – Entstehungsgeschichte 64, 73, 79, 81 – Reform 2001 82 Biedenkopf-Bericht 72, 74 f., 223 f., 242, 308, 421 f., 429, 588 f., 678, 680 Corporate Governance – Beeinträchtigung des Aufsichtsrats 660, 677–690, 691, 766, 773 – Berücksichtigung von Arbeitnehmer interessen 661–664 – DCGK siehe dort – Insider control model, insider-System 648–650, 678, 690, 767 – Outsider control system, outsider-System 648 – Regelwerke 651–659 – Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern siehe dort – Unternehmensinteresse siehe dort DCGK, Deutscher Corporate Governance Kodex siehe auch Corporate Governance – Entstehungsgeschichte 651 f. – Grundstrukturen 652 f.

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Direktor des Staatsunternehmens 456 f., 461 Drittelparität – Entstehungsgeschichte DrittelbG 81 – nach BetrVG 1952 64–66 Eignungsprüfung 289, 349–351, 466 f., 470, 687 f., 759 f., 774 f. Europäische Aktiengesellschaft (SE) siehe Societas Europaea (SE) Europäische Betriebsräte 481, 492, 622 f., 737 Europäische Garantien 182 f. Europäische Genossenschaft (SCE) siehe Societas Cooperativa Europaea (SCE) Europäische Grundrechtecharta (GRCh) 182 f. Fabrikausschüsse 41–43, 83, 93, 206, 753 f. Föderationen siehe Gewerkschaften Fraktionsbildung 680, 684, 697 Friedenspflicht 195, 562 Gesellschaft mit beschränkter Haftung 244, 246, 259 f., 264, 268, 273, 277, 366 f., 466 Gewerkschaften – Begriff 546 f., 551–555 – Betriebsgewerkschaft 551–554, 556, 562 f. – Binnenorganisation 549 f. – Einfluss 544, 577–581, 587, 592–606 – Föderationen 554, 562 – Funktion 149 f., 544 f. – Gewerkschaftssystem 550–555 – Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat siehe Aufsichtsrat – Gründung 549 f. – Kompetenzen 150, 191, 194, 558–574 – Konföderationen 554, 562 – Koppelungsgeschäfte 680 f., 766, 773 – personelle Verflechtungen 334–342, 543, 590–592, 759, 764–766

800

Stichwortverzeichnis

Jugoslawien 100, 161 f., 173

– personeller Geltungsbereich, Erweiterung 547–549, 551, 558, 574, 587, 600, 639, 725, 768, 771 – rechtliche Rahmenbedingungen 176 f., 181, 183, 184 f., 186, 190, 197, 205 f., 545 f. – Verletzung 491 f., 589, 614, 763 f. Kollektives Arbeitsgesetzbuch 187, 732– 735, 741–748, 767 Kollektivvereinbarungen – Grundlagen 150, 187, 191–194, 219 f., 565, 587, – Mitbestimmung 214, 468, 757, 759 – Reformvorhaben 743, 747 Kommerzialisierung – Begriff 146, 246 f. – Mitbestimmung, Geltungsbereich 245 f., 253, 258 f., 266, 274 – Spezialgesetze 260 f. – Statistik 270–272, 274 Kommerzialisierungsgesetz – Anwendungsbereich 245–260, 266 f., 274 – Entstehungsgeschichte 137–147, 244 f. – Neufassung zum 1. Januar 2017 145, 250 f., 246, 740 f. Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts 732, 741–748, 767, 771 Kommunale Gesellschaften 264–266, 273, 466 f. Konfliktlosigkeit siehe Theorie der Konfliktlosigkeit Konföderationen siehe Gewerkschaften Kontrolle wirtschaftlicher Macht 224, 227 f., 750, 752, 755

Kapitalbeteiligung („partycypacja kapitałowa“) siehe Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital Koalitionsrecht, Koalitionsfreiheit – Geschichte 42 f., 86, 87 f., 99, 148 f., 170

Lex Mannesmann 66, 79 Lex Rheinstahl 66 f. Liberalismus – Ideologien und Theorien, liberale 40, 43, 68, 126, 128, 133–136, 164, 171 f., 199, 233, 580 f., 636, 701

– personeller Geltungsbereich 547–549 – Repräsentativität 192, 555–558, 563, 571 – sachliche Überschneidungen 543, 588 f., 764–766 – Schutzvorschriften 574–576 – Statistik 555, 576 f., 581–587 – Tariffähigkeit 561–563 – zwischenbetriebliche Gewerkschaft 554 Gleichgewicht von Kapital und Arbeit 60, 164 f., 221, 224, 226 f., 238, 468, 750, 752, 755 Grenzüberschreitende Verschmelzungen 533–541 Gruppenwahlrecht 131, 216 f., 315–317, 394, 412, 451, 639, 730, 760, 776 Gute Praktiken GPW 2016 – Entstehungsgeschichte 654 f. – Grundstrukturen 655–658 – sonstige Regelwerke 658 f. Humanisierung der Arbeitsbedingungen 39, 157, 159, 224 f., 236, 468, 716, 750, 752, 755 Ideologischer Hintergrund 157–175, 200–203, 225, 230 f., 267, 636, 710– 712, 726, 749–756 Informationsvermittlungsfunktion 423– 427, 445, 471, 604 f., 633 f., 642, 719, 727, 758 f., 762, 767, 774 Integrationswirkung 157, 223 f., 226, 229 f., 234 f., 238, 258, 695

Stichwortverzeichnis – Wirtschaftspolitik, liberale/neoliberale 38, 41, 126, 128, 137, 545, 580 f., 584, 595, 735 – Zentralverwaltungswirtschaft, Liberalisierungsansätze 101, 104, 108, 112, 122 Marxismus 157, 159–163, 164, 169 Menschenwürde siehe Humanisierung der Arbeitsbedingungen Minderheitsaktionäre, Minderheitenschutz 297, 301 f., 315 f., 394, 398, 662, 674, 676, 758, 760 Minoritäts-Gegenentwurf 41, 49, 158, 753 f. Mitbestimmungsgesetze – Geltungsbereich 239–268, 272–275, 434 f., 468, 706–708, 755 f., 767, 771 f. – Mitbestimmungsvereinbarungen siehe dort – Rechtfertigung 71, 178, 221–239, 257, 543, 641, 699 f., 726, 730, 755, 767 – Rechtsgrundlagen 207–221 – Reichweite, praktische Bedeutung 268–272, 274, 718 – Satzungsstrenge 277, 297, 757 – zwingender Charakter 208–211, 212– 214, 216, 220, 246, 251–259, 308, 320–322, 328, 369, 371 f., 374, 387 f., 390, 419 f., 442, 469, 661, 678, 699, 701, 704 f., 709 f., 723, 747 f., 757, 759, 774 Mitbestimmungs-Index 659 f. Mitbestimmungsvereinbarungen 208– 211, 213–220, 468, 710, 757, 772 Montanindustrie – Mitbestimmung, Entwicklung 54–64 – Mitbestimmungssicherung 66–68, 69 Nationalsozialismus, NS-Regime 52 f., 56, 59, 174, 222, 228, 753 NSZZ „Solidarnos´c´“ – Balcerowicz-Plan 126, 128, 137, 545

801

– Bedeutung, Einfluss 111 f., 148 f., 342, 352, 545, 556, 560, 580 f., 583– 586, 590, 593 f., 613 f., 741 f., 751 – Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation 593–600, 713, 724, 729, 739 f. – Entstehung 110–112 – Pakt über das Staatsunternehmen 138– 141, 255–257 – Repräsentativität 556, 640 siehe auch Gewerkschaften – Selbstverwaltungsbewegung 112–115, 117 f., 120–125, 128 f., 141, 173, 453, 594 f., 713 siehe auch Arbeitnehmerselbstverwaltung – Transformationsphase siehe dort Oktoberrevolution 100 f., 104, 204, 751 Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym 137–146, 188, 232, 255–257, 435, 595, 636, 718 Partycypacja kapitałowa siehe Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital Potsdamer Abkommen 54 principal-agent-Konflikt 647 Privatisierung – mittelbare 219, 245, 247 f., 250, 271, 447, 451, 636 f. – unmittelbare 245, 248–250, 447–453 Privatisierungsprozesse siehe auch Transformationsphase, Wirtschaftsreform – Akzeptanz, Förderung 146, 205, 217, 230, 239, 257, 433 f., 595, 638, 738, 755 – Balcerowicz-Plan siehe dort – Fortschritt 137–139, 231, 270 f., 452, 455 – gesetzliche Regelung 130 f., 144–147, 245, 257 – Selbstverwaltungsbewegung 127, 136, 463 – Gewerkschaften 583 f., 595, 601–606, 765

802

Stichwortverzeichnis

Rat des Sozialen Dialogs 189, 560, 639 f., 729 Registereintragung 388–391, 549 f. Repräsentativität siehe Gewerkschaften Schocktherapie 126 f. Selbstverwaltung siehe Arbeitnehmerselbstverwaltung Shareholder value 395, 397–401, 428, 647 f., 662–664, 690, 698, 758, 761 f. Societas Cooperativa Europaea (SCE) 81, 530–532, 541 f., 744, 763 Societas Europaea (SE) – besonderes Verhandlungsgremium siehe dort – dualistische Verfassung 475, 526 – Geheimhaltungspflicht 519 f. – gesetzliche Auffangregelung, Geltung 476–479, 503–505 – gesetzliche Auffangregelung, Inhalt 479, 505–519, 542, 764 – Gewerkschaften, Gewerkschaftsvertreter 486–489, 508, 512, 516, 518, 542, 763 f. – Gründung 476 f., 480, 482 f., 484, 495 – Missbrauchsverbot 524 f. – praktische Bedeutung 526–530, 542, 764 – Richtlinie, Regelungskonzept 476–479 – Schutz der Arbeitnehmervertreter 521–524 – Sitzgarantie 486, 489 – Sitzverteilung 484–486, 507, 514 f. – Vereinbarung, Inhalt 477 f., 499–503 – Verfassungswidrigkeit 491 f., 542, 763 f. – Vertretungsorgan 499 f., 505–513, 514 f., 519, 542, 763 f. – Vorrang der Vereinbarung 476–478 – Wahlverfahren, Wahlrecht 489–494, 500, 506–508, 515–518, 542, 763 f. Solidarnos´c´ siehe NSZZ „Solidarnos´c´“ Sonderformen der Mitbestimmung – Arbeitnehmergesellschaften siehe dort

– Arbeitnehmerselbstverwaltung siehe dort Soziale Frage 38 f., 157, 159, 167, 200, 749 Soziale Marktwirtschaft – DCGK 396, 661 – Grundgesetz, wirtschaftliche Grundordnung 171, 176, 205 – Mitbestimmung 70, 77, 229 f., 433, 694, 709, 753, 767 – Polnische Verfassung 154, 175, 178, 186, 203, 205, 596, 727, 739 – Selbstverwaltungsorgane, Staatsunternehmen 230, 245, 258, 263, 433, 454, 594 Soziale Unternehmenspolitik 229, 755 Sozialer Dialog – Arbeitnehmerräte 612 – Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat 220, 599, 684, 723, 736–739, 772 – Begriff 152, 180 f., 186 f. – Entwicklung 87 f., 100, 147, 151 f., 154, 156, 170, 204, 206, 472, 747, 752 – Gewerkschaften 560, 598, 752 – Rat des Sozialen Dialogs siehe dort – rechtliche Grundlagen 178–181, 182, 186–190, 754 Sozialethische Aspekte 158, 163, 224– 227, 235 f., 238, 257 f., 468, 750, 752 f., 755 Sozialismus – Arbeitnehmerpartizipation 40, 59, 82, 91, 134, 161 f., 174, 203, 205, 453– 456, 463, 710 f., 752, 754 – Gewerkschaften 98 f., 149, 545 – Ideologie 91–93, 159–163 – katholische Soziallehre 164 f. – Volkrepublik Polen 126, 190, 262 Soziallehre, katholische und evangelische 157, 163–170, 199, 224, 636 Sozialvereinbarungen zur Privatisierung 152–154, 217–220, 232, 302, 324, 444 f., 448 f., 573, 578 f., 596 f., 601– 605, 757, 759, 765, 772

Stichwortverzeichnis Spezialgesetze zur Privatisierung 196, 212, 260 f., 273, 312–314, 325, 372, 386, 731 Spółka z o. o., spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛ siehe Gesellschaft mit beschränkter Haftung Spółki pracownicze siehe Arbeitnehmergesellschaften Staatsunternehmen 91 f., 262 f., 454– 456 Stakeholder value 395, 427 f., 647 f., 662, 664, 690, 758, 761 f. Streik – Geschichte 53, 63, 86, 92, 111 – Interessenkonflikt 335 f., 404 f., 591 f. – Streikrecht 565, 759 Tarifautonomie 176, 184 f., 186, 190, 205 f., 561, 589 Tarifvertragsrecht, Tarifverträge siehe auch Gewerkschaften – Geschichte 43, 52, 85 f., 88 f., 99, 585 f. – Rechtsgrundlagen 150, 152, 185, 187, 190–192, 546, 640 – Regelungsinhalt 208 f., 213 f., 468, 569, 580, 605, 612, 759 – Zuständigkeit 180 f., 185, 189, 194, 544, 556–558, 560–565, 571, 587, 729, 743, 747 Theorie der Konfliktlosigkeit 92, 147, 190, 754 Transformationsphase siehe auch Privatisierungsprozesse, Wirtschaftsreform – Arbeitnehmerbeteiligung 233, 235, 433, 468, 636, 711–714, 736–738, 757, 759, 762 f., 772 – Arbeitnehmerselbstverwaltung 125, 127 f., 154, 204, 233, 594 f., 711–713 – Balcerowicz-Plan siehe dort – gesetzliche Grundlagen 130 f., 138, 144–147, 474 – Gewerkschaften 128 f., 545, 573, 577– 581, 582, 584, 594 f., 601

803

– Wirtschaftsreform 125–127, 129, 137 f., 147, 203, 232, 263, 270 f., 452, 455, 545 Triparitätische Kommission 139, 152, 181, 186–189, 193, 204, 608, 639, 729, 736, 739 Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats siehe Aufsichtsrat Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern – Beeinträchtigung 332, 660, 731, 776 – DCGK 665–670, 691, 766 – Empfehlung der Kommission 664 f. – Gute Praktiken GPW 2016 658, 670– 677, 690 f., 766 Unternehmensinteresse – Begriff 300, 395–401, 470, 661–664, 737, 758, 761 – Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen 301, 391 f., 395–401, 428, 661–664, 686, 722, 737, 758, 761 – Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse 391 f., 395, 403, 420, 443, 470, 601, 661 f., 666, 668 – Verstoß 323, 377, 390, 668, 684, 686, 737 Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer – InfKonsG 204, 608 f., 615–618, 633, 726 – Richtlinie 2002/14/EG 182 f., 204, 472, 607 f., 714 – SE 477 f., 498–501, 510 f., 528 Vereinbarungen des Runden Tisches 122–125, 128 f., 148, 551, 594 Vergütung – Aufsichtsratsmitglieder siehe dort – Vorstand siehe dort Verhandlungslösung, Vereinbarungslösung 211, 698, 700, 702–705, 709 f., 773 siehe auch Societas Europaea (SE) – Vorrang der Vereinbarung

804

Stichwortverzeichnis

Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen siehe Humanisierung der Arbeitsbedingungen Verschwiegenheitspflicht 405–407, 427, 470, 601, 723, 761 – Gewerkschaftsmitglieder 601, 690 – Verletzung 408–410, 430, 689 f., 697 Vertretungsorgan siehe Societas Europaea (SE) Vormärz 38 f. – Sozialtheorien 157–159 Vorstand – Arbeitsdirektor siehe dort – Bestellungskompetenz 288–294, 299, 589, 677 – Geschäftsordnung 279, 294 f., 442– 445, 757 – Vergütung 290–292, 410 – Vorstandsvertrag 290–292, 410, 469

Wahlgrundsätze 319 Wahlverfahren, Wahlrecht – Aufsichtsrat siehe dort – Gruppenwahlrecht siehe dort – SE siehe dort Weimarer Reichsverfassung 47 f., 176 Weimarer Republik 38, 46–52, 56, 200 f., 225, 749 f. Wirtschaftsdemokratie 54, 58, 62, 173– 175, 201, 224, 225 f., 468, 714, 750, 752, 755 Wirtschaftsreform siehe auch Privatisierungsprozesse, Transformationsphase – Balcerowicz-Plan siehe dort – Sozialismus 100, 113, 122 f. Zentralverwaltungswirtschaft 92, 97, 105, 122, 134, 161 Zustimmungsvorbehalte 285–288, 298 f., 633, 757