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German Pages XV, 429 [440] Year 2020
Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Jiska Gojowczyk
Umweltschutz in katholischen Orden Interpretieren, Bewerten und Verhandeln als Teilprozesse der Glokalisierung
Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Reihe herausgegeben von Uta Karstein, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland Jens Köhrsen, Theologische Fakultät, Universität Basel, Basel, Schweiz Kornelia Sammet, Institut für Kulturwissenschaft, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland Annette Schnabel, Soziologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Alexander Yendell, Institut für Praktische Theologie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12575
Jiska Gojowczyk
Umweltschutz in katholischen Orden Interpretieren, Bewerten und Verhandeln als Teilprozesse der Glokalisierung
Jiska Gojowczyk Hennef, Deutschland Inauguraldissertation unter dem gleichnamigen Titel, eingereicht 2017 an der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.
Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ISBN 978-3-658-31313-5 ISBN 978-3-658-31314-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Dank
Verschiedene Menschen haben mich bei dem Erstellen dieser Arbeit in verschiedenen Phasen des Projektes in anregenden Diskussionen und mit kritischen Hinweisen unterstützt. Ihnen möchte ich ganz herzlich danken. Dazu gehörten Ana Carolina Alfinito Viera, André Vereta Nahoum, Alina Marktanner, Annette Hübschle, Benjamin Moritz, Cecilia Medina, David Jahr, Doris Fuchs, Erik Neimanns, Farina Nagel, Hannah Hübner, Inga Rademacher, Jayeel Serrano Cornelio, José Ossandón, Kirsten Gojowczyk, Lea Elsässer, Mandy Fröhlich, Marie Winckler, Markus Lang, May Zuleika Salao, Martin Seeliger, Michael Reder, Peter Dahler-Larsen, Philip Mader, Philipp Götzfried, Roger Friedland, Stefanie Kessler, Tor Hernes, Solomon Zori sowie die Fakultät und alle Doktorand*innen der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (und die, die ungerechtfertigter Weise vergessen wurden). Der Max-Planck-Gesellschaft gebührt mein großer Dank für die finanzielle Unterstützung. Der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie möchte ich für die Möglichkeit zu dieser Publikation danken. Auch den Mitarbeitenden der Service Gruppen und der Verwaltung des Asian Center of the University of the Philippines und dem Department of Organization der Copenhagen Business School und sowieso (!) des Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung gebührt mein großer Dank für vielfache Assistenz. Schließlich danke ich Sigrid Quack und André Kaiser von Herzen für die Offenheit, dieses Projekt zu begleiten, und für die richtigen Worte zur richtigen Zeit! Vielen Dank!
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Dank
Ohne die großartige Bereitschaft meiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, mir Einblicke in ihr Leben und Wirken zu geben, wäre dieses Projekt nicht entstanden. Auch über diese Arbeit hinaus bin äußerst dankbar für jede dieser Gelegenheiten, in denen ich so viel lernen konnte, was mir sonst nicht zugänglich gewesen wäre. Diese Arbeit ist auch ein Versuch, ein Stück davon mit anderen zu teilen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Glokalisierung in religiösen Gemeinschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.2 Zur empirischen Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3 Eingrenzung der Ziele der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.4 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2 Forschungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1 Religion und sozialer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.1.1 Religiöse Gemeinschaften, Normen und Gesellschaft. . . . . . 17 2.1.2 Religiöse Gemeinschaften und kollektives Handeln. . . . . . . 21 2.1.3 Religiöses Engagement für Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung. . . . . . . . . . . 30 2.2.1 Glokalisierung in transnationalen Gemeinschaften. . . . . . . . 31 2.2.2 Glokalisierung aus der Perspektive der organisationalen Institutionenforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.2.3 Glokalisierung als Harmonisierungsarbeit vielfältiger Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.3 Ziele in katholischen Ordensgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3 Theoretischer Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.1 Eine wissensbasierte Perspektive auf Glokalisierung . . . . . . . . . . . . 64 3.2 Handlungstheoretische Konzepte einer pragmatistischen Wissenssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.2.1 Atheoretisches Wissen, kommunikatives Wissen, Reflektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.2.2 Wissen und Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
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3.2.3 Soziale Welten, verhandelte Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.2.4 Interpretieren, Bewerten und Verhandeln als Teilprozesse von Glokalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4 Empirische Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4.1 Forschungsdesign. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4.1.1 Der Orden der Minderen Brüder und die Gesellschaft Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.2 Philippinen und Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.2 Methodisches Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.2.1 Datenerhebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2.2 Datenauswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.3.1 Umweltschutz in der katholischen Kirche. . . . . . . . . . . . . . . 124 4.3.2 Umweltschutz in den Orden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5 Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.1.1 Die Aufgabe für Wissenschaft und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.1.2 Die soziale Aufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.1.3 Erste Konstrastierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.1.4 Die Aufgabe in der internen Ausbildung. . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.1.5 Der aktivistische Auftrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5.1.6 Spirituelle Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.1.7 Kontrastierung und Typisierung der Zielinterpretationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.2.1 Die jesuitische Hochschule als Konglomerat von Orientierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5.2.2 Der anthropozentrische Schöpfungsbegriff. . . . . . . . . . . . . . 191 5.2.3 Die Aktivierung des organisationalen Gedächtnisses und Gerechtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.2.4 Die (Un-)Sichtbarkeit der Spiritualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.2.5 Die mögliche Ablehnung des Ziels als relevantes Ordensziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen. . . . . . . 203 5.3.1 Ähnlichkeiten: Normativität, Aktualität, Standortbestimmung der Befragten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5.3.2 Unterschiede zwischen Ordensgemeinschaften, Regionen und Provinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
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6 Bewertungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.1 Zielimmanente Bewertungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.1.1 Den Typen der Zielinterpretation entsprechende Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6.1.2 Geteilte Bewertungsmaßstäbe und Verfahren . . . . . . . . . . . . 226 6.1.3 Einfluss auf Bewertungen anderer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.1.4 Selbstkritik und Eigentheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6.1.5 Ein Ziel, viele Bewertungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 246 6.2.1 Verhältnisbestimmungen von Gesprächspartner, Ziel und Ordensgemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 6.2.2 Bewertungen der Entwicklung des Ziels. . . . . . . . . . . . . . . . 257 6.2.3 Generationenvergleiche und Zeitdiagnosen. . . . . . . . . . . . . . 264 6.2.4 Kritik anderer Interpretationsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 6.2.5 Reflektionen der eigenen Rolle für die Entwicklung. . . . . . . 272 6.2.6 Versuche der formalen Bewertung der Zielverwirklichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 6.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Bewertungen. . . . . . . . . 275 6.3.1 Relationen zwischen Interpretationen und Bewertungen. . . . 277 6.3.2 Ähnlichkeiten: Gemeinwohl und Integration in geteilte Sinnstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 6.3.3 Unterschiede zwischen Ordensgemeinschaften, Regionen und Provinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 7 Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 7.1 Informelle Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 7.1.1 Verhandlungen innerhalb eines Orientierungsrahmens. . . . . 287 7.1.2 Verhandlungen eines gemeinsamen Orientierungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 7.1.3 Verhandlungen der Implikationen der Ziele. . . . . . . . . . . . . 295 7.2 Formalisierte Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 7.2.1 Verhandlungen im Provinzkapitel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 7.2.2 Verhandlungen in transnationalen Expertenrunden. . . . . . . . 302 7.2.3 Verhandlung in einer regionalen Umweltgruppe. . . . . . . . . . 323 7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 7.3.1 Das Positionspapier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 7.3.2 Bewertungen und Verhandlungen des Papiers nach seiner Veröffentlichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
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Inhaltsverzeichnis
7.4 Indirekte Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen. . . . . . . 365 7.5.1 Dissens und Harmonisierung in und durch Verhandlungen. . 366 7.5.2 Relationen zwischen Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 7.5.3 Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Ordensgemeinschaften, Regionen und Provinzen. . . . . . . . . 374 8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 8.1 Beitrag zum Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 8.2 Theoretischer Beitrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 8.3 Methodologischer Beitrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 8.4 Zur Generalisierbarkeit der Beiträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 8.5 Grenzen der Untersuchung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Bibliografie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
Abkürzungsverzeichnis
CBCP Catholic Bishops Conference of the Philippines DE Deutschland GC Generalkongregation (General Congregation) GC 35 35. Generalkongregation GFBS Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung JPIC Justice, Peace and Integrity of Creation OFM Orden der Minderen Brüder PHI Philippinen SJ Gesellschaft Jesu UN Vereinte Nationen
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3.1 Explizite Verhandlung über die Bedeutung eines abstrakten Ziels (Teilprozesse unterstrichen) . . . . . . . . . . . 96 Abbildung 4.1 Übersicht Gruppierung der befragten Ordensmitglieder. . . 113 Abbildung 5.1 Sinngenetische Typik der Zielinterpretation. . . . . . . . . . . . 187 Abbildung 5.2 Perspektiven auf die Ziele I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Abbildung 6.1 Schild auf dem Ateneo de Manila Campus der jesuitischen Universität und der jesuitischen Schulen in Quezon City: Mülltrennung als Ausdruck von Reinlichkeit und Verantwortung und als Beitrag für Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Abbildung 6.2 Perspektiven auf die Ziele II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Abbildung 7.1 Strategie, Erfahrungswissen indirekt zu beeinflussen. . . . . 373 Abbildung 8.1 Glokalisierung mit Perspektive der Wissenssoziologie nach Bohnsack. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Abbildung 8.2 Glokalisierung mit pragmatistischer Perspektive . . . . . . . . 388 Abbildung 8.3 Glokalisierung mit pragmatistisch-wissenssoziologischer Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Abbildung 8.4 Verhandlungssituation mit gleichem Orientierungsrahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Abbildung 8.5 Verhandlungssituation mit abweichendem Orientierungsrahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 5.1 Zusammenfassung der Kontrastierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Tabelle 5.2 Aspekte der Interpretationen nach Orden und Region. . . . . . . 211 Tabelle 6.1 Übersicht zu informellen und formalisierten Bewertungen, die mit den Typen der Zielinterpretationen einhergehen. . . . . 217 Tabelle 7.1 Darstellung der Analyse von „The Golden Mean in Mining: Talking Points“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
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Einleitung
Wie wird in transnationalen, religiösen Gemeinschaften bedrucktes Papier zu alltäglicher Praxis? Dass Menschen nicht unbedingt das Gleiche meinen, wenn sie das Gleiche sagen, ist eine Alltagsweisheit. Es ist nicht überraschend, dass dies zum Problem werden kann, wenn gemeinsam etwas getan werden soll. Menschen nehmen sich diesem Problem ständig an. In dieser Arbeit wende ich mich solchen Situationen in zwei katholischen Ordensgemeinschaften zu. Ich frage, wie sie ihre gemeinsamen Umweltschutzziele interpretieren und welche Bewertungen und Verhandlungen innerhalb der Gemeinschaften damit einhergehen. In diesem Zusammenhang werden scheinbare Alltagsprobleme und ihre Bewältigung zu höchst relevanten Ereignissen: Es kann von ihnen abhängen, ob ein Protest gegen einen einflussreichen Industriesektor zum Schutz von indigenen Bevölkerungsgruppen und alten Wäldern Fürsprache und Gehör findet, ob knapp drei Millionen in jesuitischen Schulen und Hochschulen unterrichtete Schüler*innen weltweit in Mülltrennung unterrichtet werden oder ob fast 17.000 hochmobile Jesuiten den CO2-Ausstoß ihrer Flüge durch Zahlungen an ein eigens aufgelegtes nachhaltiges Aufforstungsprogramm kompensieren. Solche und ähnliche Umweltschutz-Initiativen von religiösen Gemeinschaften lassen sich überkonfessionell und global ausmachen: Mönche in Kambodia weihen Bäume zu Priestern, damit sie nicht gefällt werden. In Indonesien verbietet eine fatwa1 die Tötung von vom Aussterben bedrohten Tieren. Der
1Eine
fatwa ist eine muslimische Rechtsklärung.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_1
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römisch-katholische Papst wirbt vor der UN-Generalversammlung für ein ehrgeiziges Klimaabkommen. Diese Ereignisse werden zuweilen als Ausdruck einer globalen Bewegung für „religiösen Umweltschutz“ betrachtet. Diese kann, wie die Beispiele zeigen, vielfältige Formen annehmen. Es zeichnet sie übergreifend aus, dass religiöse Akteure und Gemeinschaften sich Umweltproblemen annehmen und darauf aufbauend zum Schutz der Umwelt handeln (Darlington 2012; Tucker und Grim 2017, S. 11; Vidal 2014). Damit reiht sich die vorliegende Forschung ein in eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Rolle religiöser Akteure als Beteiligte an Zivilgesellschaften befassen, beispielsweise zu Themen wie Menschenrechten (vgl. z. B. Bush 2007, 2005; Trigeaud 2012), religiöser Revitalisierung (Atalay 2016) oder auch Klimapolitik (Callison 2014; Glaab 2017; Glaab und Fuchs 2015). So wendeten sich verschiedene Studien aus den Internationalen Beziehungen der Rolle und den Strategien von religiösen Akteuren zum Beispiel im Kontext der Vereinten Nationen zu (wie Boehle 2010a, 2010b). Politikwissenschaftler*innen und Soziolog*innen untersuchen unter anderem transnationale Gemeinschaftsbildungen und deren Einflüsse auf nationale Politiken (z. B. Byrnes 2011; Levitt 2004). Die verschiedenen Studien eint, die Bedeutung religiöser Akteure als Bestandteil von lokalen, nationalen und transnationalen Zivilgesellschaften aufzeigen zu können. Während jedoch das strategische Handeln religiöser Akteure außerhalb der eigenen Gemeinschaft zunehmend untersucht wird, widmen sich bisher kaum empirische Studien dem Phänomen mit Blick auf die internen Sinnzuschreibungsund Aushandlungsprozesse, besonders in transnationalen religiösen Gemeinschaften (doch siehe Ellingson 2016 zum Versuch US amerikanischer religiöser Akteure, Umweltschutz in ihren Gemeinschaften zu verankern; Levitt 2001 zur religiösen Gemeinschaftsbildung von Arbeitsmigrant*innen). Dabei ist es alles andere als eindeutig, wie religiöse Akteure abstrakte Ziele wie Umweltschutz mit handlungsleitender Bedeutung füllen. So zeigte eine Studie zu katholischen Klimawandelskeptiker*innen in den USA, dass diese manche Formen des Umweltschutzes wie Wasserschutz unterstützen, Klimawandel-mitigierende Maßnahmen hingegen ablehnen (Vincentnathan et al., S. 142). Ich untersuche in dieser Arbeit Gemeinschaften, die sich selbst auf globaler Ebene Umweltschutzziele auferlegt haben, wobei vorerst unklar ist, wie sie diese Ziele interpretieren: Einerseits sind die Mitglieder so vielfältig
1 Einleitung
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beispielsweise bezüglich ihrer Generationszugehörigkeiten, Professionen und Wohnorte, dass fast davon ausgegangen werden muss, dass sie nicht das Gleiche meinen, wenn sie das Gleiche sagen. Andererseits kann aufgrund ihres Commitments zu der Gemeinschaft und dessen alle Lebensbereiche umfassenden Konsequenzen angenommen werden, dass sie die Welt innerhalb ihrer Gemeinschaft so ähnlich sehen wie kaum andere: Ich untersuche Umweltschutz in zwei katholischen Ordensgemeinschaften.2 Dabei zeichnet diese Ordensgemeinschaften erstens aus, dass die Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem Gemeinschaftsleben als Bewältigungsform bei Dissens für einzelne Mitglieder mit sehr viel mehr sozialen und oft auch ökonomischen Kosten verbunden wäre, als dies in anderen Gemeinschaften zu erwarten ist. Zweitens werden viele relevante Entscheidungen über biografische Kernaspekte wie Wohnort oder Hauptbeschäftigung hierarchisch getroffen. Alle Mitglieder haben ein Gelübde zum Gehorsam abgelegt, wobei wenige zu Weisungen über viele befugt sind. Drittens teilen die Gemeinschaftsmitglieder die Vorstellung einer gemeinsamen religiösen Identität, die nicht zuletzt mit vielen als geteilt betrachteten Normen einhergeht. Diese normativen Aspekte sind es, die religiöse Gemeinschaften zuweilen zu Hoffnungsträgerinnen für Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen werden lassen, die sich mit moralischen Auseinandersetzungen in gegenwärtigen Gesellschaften auseinandersetzen. Als Hoffnungsträgerinnen erscheinen sie einerseits vor dem Hintergrund diverser sozialer wie ökologischer Mega-Fragen und anderseits der Wahrnehmung, dass wahlweise rationale, technokratische oder marktliberale hegemoniale Sichtweisen der Moderne diese Fragen nicht allein zu lösen vermögen, unter Umständen sogar zu deren Entstehung und Fortbestand erheblich beigetragen haben (vgl. z. B. Habermas 2016 [2001], Reder 2014, S. 87 ff.; Lamont 2012). Schon von Weber 1904 in seiner Abhandlung zur ‚protestantischen Ethik‘ (2016), später von White (1967) als Beförderer kapitalistischer und/oder umweltzerstörerischer Wirtschafts- und Lebensweisen identifiziert, werden religiöse Gemeinschaften dazu aufgerufen, nun moralische
2Im
Glossar werden verschiedene Begriffe aus dem spezifischen Wortschatz des Forschungsfeldes aufgeführt und definiert, auch wenn ich versucht habe, zu spezifische Bezeichnungen zugunsten der Zugänglichkeit dieser Arbeit zu vermeiden.
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1 Einleitung
Korrektive eben dieser Lebensweisen zu sein. „Religiöse Ethik“ kann, so Winkel und Sammet (2017, S. 3 f.), als „das ethische Postulat menschlicher Solidarität, in konkreten sozialen Kontexten zur Wirtschaft und zur politischen Ordnung, aber auch etwa zur Wissenschaft in Konkurrenz [geraten].“ Wie manifestiert sich eine solche Ethik in handlungsleitenden Sinnzuschreibungs- und Aushandlungsprozessen bzw. in Handlungen? Mit der Auswahl von katholischen Ordensgemeinschaften nimmt die Arbeit geteilte Sinnstrukturen einer umfassenderen Gemeinschaft in den Blick. Das Christentum insgesamt gilt mit 2,1 Milliarden geschätzten Gläubigen als verbreiteteste Religion der Welt, wobei die römisch-katholische Kirche die größte der religiösen Gemeinschaften darstellt (O’Brien und Palmer 2007, S. 22 f.). Im Jahr 2015 bekannten sich rund 18 % der Weltbevölkerung zum katholischen Glauben. 1.285 Millionen Menschen weltweit waren als Mitglieder der Kirche registriert. Ordensleute nehmen in der etablierten Hierarchie der katholischen Kirche bedeutende Rollen ein. Von den 415.000 geweihten Priestern, die die Gemeinschaften lokal betreuen und begleiten, waren 2015 rund 134.000 Ordensmänner, von den 5.200 Bischöfen rund 1.200 Ordensbischöfe. Einschließlich der rund 670.000 Schwestern und 54.000 Brüder wirkten darüber hinaus 2015 weltweit circa 860.000 Mitglieder von Ordensgemeinschaften neben den Ämtern der verfassten Kirche in diversen ‚Missionen‘ wie Schulbildung, sozialer Pflege oder Landwirtschaft (Agenzia Fides Service 2016; Office of Church Statistics 2017). Diese Zahlen sind nicht allein symbolische Größen, sondern materialisieren sich auch finanziell. So flossen allein von deutschen Ordensgemeinschaften im Jahr 2015 knapp 73 Millionen Euro direkt in Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa (KKD 2016, S. 61). Umso relevanter ist die Untersuchung der Ziele, die sie verfolgen, und besonders die Frage, wie sie diese handlungsleitend interpretieren.
1 Einleitung
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Erzählung eines Jesuiten zum Beschluss: Ökologie ist Teil der Mission der Gesellscha Jesu. Jesuit:
The first step was to assume this issue of ecology in the mission of the Society [of Jesus]. Prior to the General Congregaon, […] there was some debate. Good and bad debate. […] [The General Congregaon] is very autonomous. Once the meeng starts, the assembly has total power of the discussions. And in a sense, we are not very encouraged to promote discussions before.
[…]
There can be, of course, but […] nothing should interfere the debates of the assembly. So people can learn about the difficules, alternaves, different perspecves, but the people who parcipate at the General Congregaon, they have to feel themselves totally free from these discussions. So this is for us important. We have very few General Congregaons. So, some congregaons, they have [comparable assemblies] regularly, every three years, every six years. For us, this is not the case. Usually we only have [a General] Congregaon when the Father General died or when there is a big thing that would call for this. So, in 400 years 35 mes. That is not too much. So this is the design of the congregaon. People who aend the congregaons they have to feel themselves very free and they only shall respond to the discussions that take place in the very assembly and from there, they have to make [up] their mind […] and decide: yes, I vote for this and I don’t vote for that. […] So provinces will organize meengs but always taking care that the discussions, they always keep this level of just opinion, people’s suggesons, but never, you know, we cannot feel that thirty people come into the congregaon and have already a posion on an issue.
[…]
So, we will never accept a lobby. That is against the principle of a General Congregaon. It cannot be a lobby because of ideology, it cannot be because of origin, you know, because imagine, all Europeans, we come up with this idea and want to push for that. That is not acceptable. So the idea, when you meet there: We are all equal. We are coming with our background, but we are fighng for the best for our congregaon […] But it is true that […] before the last congregaon, many people […] all over the world [said …] this queson of ecology that should be taken into account in our apostolates. And some people, […] they were totally against.
JG:
Taking it into the mission?
Jesuit:
To the mission, ecology.
[…]
[T]hat was there before the congregaon. During the congregaon, there was a working group on ecology that took some of the reqests that came and could elaborate [on] a document and the debates. […] The assembly decided to take the issue on board. And to take the issue in a very strong place for us which we call decrees, the document of the General Congregaon calls decrees. And there are three. There is a decree that makes a kind of revision or discovery, describes the mission today for Jesuits, takes it in at the very heart of the descripon, says: “Well, for us, we understand today our ministry and ministry of reconciliaon with God, with the others and with creaon.” So at this moment, it is coming, it [assumingly: creaon] is put in the heart of our mission. We finished the Congregaon. We le Rome. But then the queson came how we can do this?
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1 Einleitung
1.1 Glokalisierung in religiösen Gemeinschaften Führende Ordensleute aus allen Weltregionen haben sich in Delegiertenversammlungen auf Umweltschutzziele geeinigt und sie in Dekreten und Mandaten festgehalten. Durch die Abstimmung im höchsten Gremium der Orden werden Umweltschutzziele Teil der global formulierten Mission. Am Beispiel der Gesellschaft Jesu illustriert der vorangestellte Auszug aus einem Gespräch einführend einen solchen Prozess. Mit Umweltschutzzielen werden, so meine Lesart, die Mitglieder aufgefordert, ihre Praktiken umweltfreundlicher zu gestalten und/oder damit Umweltschutz zu forcieren. Aber, wie das Zitat verdeutlicht, ist nicht unmittelbar abzulesen, was das für die Ordensleute weltweit bedeutet. Wie schreiben sie den entsprechenden Dekreten handlungsleitend Sinn zu? Wie gehen die Mitglieder mit einer potentiellen Bedeutungsvielfalt bezüglich eines geteilten Ziels um? Inwiefern kommt es in diesen Gemeinschaften zu konfliktiven Auseinandersetzungen? Wie werden Perspektiven gegebenenfalls harmonisiert oder koordiniert? Einigen sich Mitglieder auf einen gemeinsamen Blick und schließlich auf gemeinsame Aktivitäten und wenn ja, wie? Die Gemeinschaften der Orden basieren auf der Imagination einer gemeinsamen Orientierung (Berger und Luckmann 2004 [1966]; Anderson [1983] 2006), die in transnational zusammengesetzten Delegiertenversammlungen diskutiert, theoretisiert und verschriftlicht werden. In der Tradition der Soziologie wurde Gemeinschaft lange als Gruppe von Menschen betrachtet, die sich verstehen, weil sie in Interaktion gemeinsame Sinnsysteme entwickelt haben, wie sie mit den Begriffen der Kultur oder des geteilten Wissens impliziert sind. Allein schon die Imagination einer gemeinsamen Orientierung in einer Gruppe von Menschen, die sich nicht kennt, war insofern ein Rätsel. Wissen, so eine Antwort auf das Rätsel imaginierter Gemeinschaften, kann in Form von Sprache räumliche und zeitliche Grenzen überwinden (Berger und Luckmann 1966, S. 39 f.).3 Menschen konstituieren dann eine Gemeinschaft, wenn sie sich gegenseitig als solche wahrnehmen und ein gemeinsames ‚Projekt‘ oder eine gemeinsame Identität verfolgen, auch über große Distanzen hinweg (Djelic und Quack 2010, S. 12 f.). Wissen ist jedoch dynamisch und situativ wandelbar, Projekte und Identitäten nicht statisch. Wie diverse Untersuchungen zur
3Ähnliches
findet sich – hier verkürzt wiedergegeben – auch bei Mannheim zu der „Rolle der Sprache“ und „der begrifflichen Fixierung, die allein eine Dauervereinbarung und Erweiterung des Erfahrungsraumes zuläßt“ (Mannheim 1980, S. 216).
1.1 Glokalisierung in religiösen Gemeinschaften
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lokalen Nutzung global definierter Ziele zeigen, können globale, sprachlich festgehaltene Ideen viele unterschiedliche lokale Spielarten zusammenfassen (vgl. exemplarisch zu Glokalisierung Watson 2003 [1997] und Drori et al. 2014a). Schon den Forschungsfragen liegt die grundsätzliche Annahme zugrunde, dass die Bedeutungen der Ziele sowie ihre handlungspraktischen Konsequenzen nicht offensichtlich sind. Gerade in großen transnationalen Gemeinschaften ist zu erwarten, dass die Bedeutungen sich unterscheiden, die die Mitglieder den Zielen zuschreiben – auf Grundlage ihrer divergenten Erfahrungen in unterschiedlichen sozialen Welten und darauf basierender Wissensbestände. Auch religiöse Bedeutungsproduktion wird in Wechselwirkung mit einem spezifischen (glokalen) Kontext vollzogen (Roudometof 2018, S. 2). Der Begriff der Glokalisierung betont die Verschränktheit von lokalen und globalen Prozessen und Wissensbeständen. Wird eine Idee wie das Umweltschutzziel glokalisiert, heißt das, es werden (z. B. in großen Versammlungen von Vertretern aus unterschiedlichen Weltregionen) durch Abstraktion konkrete, lokale Ideen ‚typisiert‘ und darauf aufbauend Äquivalenz zwischen unterschiedlichen Einheiten und Problemen über Grenzen hinweg konstruiert. Die typisierte Idee – z. B. ‚Umweltschutzaktivitäten in den Wohngemeinschaften eines Ordens‘ – wird in Übersetzungen lokal rekontextualisiert und schließlich in Theorie zurückgeführt (Drori et al. 2014b, S. 10). Der Umgang mit globalen Zielen stellt dabei in religiösen Gemeinschaften keine Gelegenheits- sondern eine Alltagsaufgabe dar. Die Spannung zwischen (imaginierter) Gemeinsamkeit einschließlich einem großen Bestand schriftlicher Vorgaben bei gleichzeitiger Vielfalt von Alltagsrealitäten der Mitglieder fordert die Gemeinschaftsmitglieder ständig heraus, sich Ziele anhand des Erfahrungswissens aus unterschiedlichen sozialen Welten einerseits und des in der Gemeinschaft geteilten Wissens andererseits zu erschließen. Dieses Problem stellt sich umso klarer, wenn in hierarchischen Organisationen wie den hier behandelten neue Gemeinschaftsziele durch globale Steuerungs- und Koordinationsorgane hinzukommen. Die Mitglieder der Gemeinschaften müssen dann die neuen Ziele in ihre bisherigen Wissensbestände und Identitätskonstruktionen ‚einspeisen‘ (vgl. z. B. Berthoin Antal und Quack 2006, S. 17). Gleichzeitig sind in Ordensgemeinschaften sowohl Eintritt als dann auch Austritt mit großen Anstrengungen und sozialen, unter Umständen auch ökonomischen Kosten verbunden. Das erhöht den Druck, Disparitäten auszuhalten und/oder aufzulösen. Dass und wie sich Glokalisierungsprozesse von religiösen Lehren und Ritualen vollziehen, ist seit den Anfängen des Forschungsfeldes zu Globalisierung Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung (vgl. besonders
8
1 Einleitung
Robertson und Chirico 1985; Robertson 2003 [1994]). Viele religionssoziologische Untersuchungen von Glokalisierung teilen dabei den Verweis auf Konfliktpotentiale und gesellschaftliche Desintegration aufgrund der Vielfalt der Perspektiven (Beyer 2007). Dies liegt begründet in einem Perspektivwechsel hin zu einer ‚globaleren‘ Betrachtung, welche beispielsweise religiöse Gemeinschafts- und Identitätsbildung im Zuge von Migration stärker in den Blick nimmt (z. B. Warner und Wittner 1998; Levitt 2001) und welche die These der Säkularisierung als Phase in einer uniformen, weltweiten Modernisierung verwirft (z. B. Casanova 1994, 2007). Die Betonung von gesellschaftlichem Konfliktpotential aufgrund von Religion ist auch als Reaktion auf religionssoziologische Literaturstränge zu verstehen, die aufbauend auf den Arbeiten Emile Durkheims Religion die Funktion zuschrieben, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration zu generieren (vgl. Beyer 2007, S. 99). Gerade hinsichtlich der Forschungsfelder zu religiös-motiviertem Terrorismus und Fundamentalismus wird der Fokus auf Konflikt besonders deutlich (vgl. z. B. Juergensmeyer 2017). Stimmen der Forschung zu religiösem zivilgesellschaftlichem Engagement und insbesondere zu Umweltschutz, welche religiösen Gemeinschaften das Potential zuschreiben, etwas zur Lösung globaler Probleme beitragen zu können, lassen sich schließlich vor dem Hintergrund des großen wissenschaftlichen Interesses an gesellschaftlichen Konflikten durch religiöse Gemeinschaftsbildung und Praktiken wie eine Gegenbewegung lesen (vgl. z. B. Bergman 2009; Tucker und Grim 2017; aber auch Stamatov 2013). Wie ich im folgenden Kapitel zum Forschungsstand darlege, steht dieser positiven Sichtweise auf Glokalisierung und Verbreitung religiöser Umweltschutzziele jedoch auch eine kritischere gegenüber, die den Beitrag religiöser Gemeinschaften zur Lösung von Umweltproblemen anzweifelt (z. B. Taylor, 2005; Taylor, Van Wieren and Zaleha, 2016). Ohne eine der beiden bewertenden Seiten einzunehmen, zeigt die vorliegende Arbeit, dass Gemeinschaftsmitglieder sehr wohl basierend auf den Zielen handeln, dass die Ziele aber auf sehr unterschiedliche Weise rekontextualisiert werden und schließlich, dass Pluralität durch Glokalisierungsprozesse nicht zwangsläufig mit Desintegration innerhalb von religiösen Gemeinschaften einhergeht, auch wenn es interne Konflikte gibt. Die Literatur, welche die Glokalisierung ähnlicher Institutionen wie die der Umweltschutzziele in anderen Organisationen und Gemeinschaften untersucht (wie z. B. Boxenbaum und Gond 2014; Czarniawska und Joerges 1996; CzarniawskaJoerges und Sevón 2005; Drori et al. 2014a; Meyer 2014; Powell et al. 2005), wendete sich bisher insbesondere bestimmten Aspekten zu: Fragen sind beispielsweise, welche Wissensbestände in welchen Kontexten durch diese Prozesse weltweit in bestimmten Sektoren oder sektorenübergreifend verbreitet werden und
1.2 Zur empirischen Untersuchung
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wie Akteure strategisch in spezifischen Situationen versuchen, Formulierungen und Übersetzungen von globalen Ideen so zu gestalten, dass sie ihren eigenen Interessen dienlich sind. Dabei werden Muster dahingehend beobachtet, wie Akteure vorgehen und welche Kontextfaktoren mit dem Ergebnis von Übersetzungsprozessen in einem Zusammenhang stehen. Unklar bleibt, wie das, was in der Literatur üblicherweise als das bezeichnet wird, was für Akteur „selbstverständlich“ ist, konkret in die lokalen Entscheidungsprozesse einfließt und so, makrosoziologisch betrachtet, zum Eindruck der Ähnlichkeit in der Differenz führt. Indem ich mikrosoziologisch untersuche, auf welche impliziten und expliziten Wissensbestände Ordensmitglieder für die Interpretation von Umweltschutzzielen sowie für die damit verbundenen Bewertungen und Verhandlungen zurückgreifen, adressiere ich diese Lücke in der Forschung zu Glokalisierungsprozessen und normativen Ordnungen. Ich untersuche konkret, welche Wissensbestände und welche sozialen Welten die handlungsleitenden Interpretationen eines globalen, abstrakten Ziels von Ordensleuten rahmen, welche expliziten Wissensbestände sie für Bewertungen und Verhandlungen nutzen und wie die auf Erfahrungen beruhenden Wissensbestände mit explizitem Wissen und Reflektionen der Ordensmitglieder in Beziehung stehen. Ich zeige darauf aufbauend, wie Mitglieder intern unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen verhandeln. Die Problemstellung dieser Arbeit folgt den handlungstheoretischen Prämissen des Amerikanischen Pragmatismus sowie der deutschen Wissenssoziologie, die beide Bedeutungsproduktion als sozialen Prozess und damit als potentiell ergebnissoffen konzeptionalisieren. Ich begründe und elaboriere im Folgenden die Perspektive einer ‚pragmatistischen Wissenssoziologie‘. Diese Perspektive lenkt den Blick auf die spezifischen Wissensbestände der Akteure, welche Interpretationen von Zielen rahmen und/oder zu reflektierten Strategien befähigen. In transnationalen, großen Ordensgemeinschaften wie auch in anderen religiösen Gemeinschaften machen die Mitglieder vielfältige Erfahrungen in unterschiedlichsten sozialen Welten, gleichzeitig aber können sie auf ein umfassendes explizit geteiltes Wissen zurückgreifen. Sie bieten deshalb in besonderer Weise die Möglichkeit, das Wechselspiel verschiedener Wissensbestände zu untersuchen.
1.2 Zur empirischen Untersuchung Für die empirische Analyse, die dieser Studie zugrunde liegt, gehe ich den Forschungsfragen in zwei Ordensgemeinschaften in einer ethnographischen Mehrebenenanalyse mit zwei regionalen Schwerpunkten nach. Für die Ordensgemeinschaften der Gesellschaft Jesu (SJ, Mitglieder: Jesuiten) und des Ordens
10
1 Einleitung
der Minderen Brüder (OFM, Mitglieder: Franziskaner) erhob ich im Zeitraum von Frühjahr 2013 bis Frühjahr 2015 Daten in Form von teilnehmender Beobachtung, Fokusgruppen und Dokumentenanalyse. Semi-strukturierte Interviews führte ich mit 77 Personen, darunter Ordensmitgliedern sowie Nicht-Ordensmitgliedern, die für die Forschungsfrage relevantes Wissen bei tragen konnten (letztere im Folgenden: Laien). Zugrunde lag die Annahme, dass die Herstellung der Imagination des Gemeinsamen in transnationalen, religiösen Gemeinschaften im Zuge von Glokalisierung eine besondere Herausforderung ist. Spannungen wurden erwartet zwischen unterschiedlichen Perspektiven zu einem gemeinsamen Ziel, da diese Perspektiven von Erfahrungen von unterschiedlichen Orten auf der Welt geprägt sind. Entsprechend wählte ich mit den Philippinen und Deutschland zwei regionale Schwerpunkte, die sich hinsichtlich als bedeutend eingeschätzter Kontextfaktoren unterscheiden. Basierend auf dem Forschungsinteresse der Exploration war die Auswahl von Regionen und Ordensgemeinschaften eine Abwägung zwischen größtmöglicher Varianz und faktischer Machbarkeit. Der Auswertung der Daten liegt die handlungstheoretisch begründete Trennung der Teilprozesse der Glokalisierung des Interpretierens, des Bewertens und der Verhandlung zugrunde. Durch die Analyse eines Teils der Daten anhand rekonstruktiver Auswertungsverfahren können verschiedene soziale Welten ermittelt werden, welche handlungsleitende Interpretationen der Ziele von Ordensleuten rahmen (vgl. Bohnsack et al. 2013a). Relevante Unterscheidungen zwischen verschiedenen Interpretationen werden induktiv herausgearbeitet und eine sinngenetische Typik erstellt. Auf Grundlage dieser Analyse werden basierend auf den Prinzipien der Selektion und des Kontrasts verschiedene Perspektiven der expliziten Bewertung des Ziels und seiner Entwicklung herausgearbeitet sowie Situationen der Verhandlung untersucht. So können Vorgehensweise implizites und explizites Wissen beziehungsweise für selbstverständlich gehaltene und reflektierte Wissensbestände der Akteure differenziert werden. Die Studie ist dabei konsequent vergleichend, wobei sowohl zwischen Perspektiven einzelner Ordensleute als auch zwischen Situationen (und damit Prozessen), sozialen Welten, Regionen und Ordensgemeinschaften verglichen wird. Die Vergleichsdimension der Provinz stellt in gewisser Hinsicht einen Hybrid aus Region und Orden dar, da es sich um eine territorial bestimmte organisationale Einheit der Ordensgemeinschaften handelt. Neben dichten Beschreibungen ermöglicht das Forschungsdesign so, Annahmen zu Einflüssen auf Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen entlang der genannten Vergleichsdimensionen zu formulieren. Ähnliches über die verschiedenen Grenzen hinweg und Differentes tritt zu Tage.
1.3 Eingrenzung der Ziele der Untersuchung
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1.3 Eingrenzung der Ziele der Untersuchung Bevor ich den Aufbau der Arbeit knapp skizziere, möchte ich das Ziel der Untersuchung sowohl inhaltlich wie auch theoretisch eingrenzen. Angestrebt wird keine Evaluation, sondern genauere Kenntnisse über Praktiken, Verfahren und Bewertungsmaßstäbe der Ordensgemeinschaften in ihren jeweiligen Kontexten. Primäres Ziel dieser Arbeit ist nicht, die Qualität, die Sinnhaftigkeit oder die Effektivität und Effizienz des religiösen Umweltschutzes zu bewerten. Entsprechend wäre es ein schwerwiegendes Missverständnis, dieses Buch in jenem Sinne zu lesen. Zweitens wird die in dieser Arbeit vollzogene Theorieintegration, die gleichzeitig eine methodologische Vorgehensweise ermöglicht, vorrangig zum Zweck erarbeitet, die Beantwortung der Fragestellungen zu gewährleisten. Präziser ermöglicht besonders die Integration pragmatistischer und wissenssoziologischer Theorien eine Antwort auf die Frage, wie die Bedeutungen und Wechselspiele unterschiedlicher Wissensbestände im Prozess der Glokalisierung mikrosoziologisch adressiert werden können. Im dritten Kapitel gehe ich auf die verschiedenen kultursoziologischen Literaturstränge genauer ein, die die Grundlage der in dieser Arbeit dargestellten Überlegungen bilden. Neben den Handlungstheorien des Amerikanischen Pragmatismus sowie der deutschen Wissenssoziologie nehme ich Bezug auf die empirischen und theoretischen Befunde der Glokalisierungs- und Bewertungsliteratur und Arbeiten zu Corporate Social Responsibility. Dabei werde ich mich darauf konzentrieren, den Bezug der verschiedenen Forschungsrichtungen zu meiner Fragestellung aufzuzeigen. Weniger werde ich mich mit den Verbindungen zwischen diesen Ansätzen beschäftigen, sofern sie nicht für mein eigenes Anliegen relevant sind. Es sei jedoch erwähnt, dass es diese Verbindungen zum Teil und unterschiedlich stark ausgeprägt gibt, beziehungsweise Versuche, solche Verbindungen zu fördern. Ich nenne hier illustrativ vier Beispiele: Meyer (2008) diskutiert die gemeinsamen Wurzeln von Neo-Institutionalismus und weiteren Teilen der institutionellen Organisationsforschung mit der deutschen Wissenssoziologie. Sie verfolgt das Ziel, aktuelle Arbeiten in ein Gespräch zu bringen, was nicht zuletzt durch die Sprachbarriere zwischen Englisch und Deutsch erschwert ist. Strauss‘ pragmatisch-interaktionistischer Ansatz der verhandelten Ordnungen wird von Morrill (2008) gemeinsam mit neo-institutionalistischen Arbeiten in einer soziologischen Tradition verortet, die versucht, rationalistische Organisationstheorien durch einen Blick auf Kultur zu bereichern und zu korrigieren. Strübing (2007) argumentiert für eine bisher selten verfolgte pragmatistisch-interaktionistische
12
1 Einleitung
Wissenssoziologie. Schließlich versuchte seinerzeit der aus Deutschland nach Großbritannien emigrierte frühe Wissenssoziologe Karl Mannheim selbst, mit seinen Thesen an den amerikanischen Pragmatismus John Deweys anzuschließen (vgl. Shils 1995).
1.4 Aufbau der Arbeit Im folgenden Kapitel stelle ich die bestehende Forschungsliteratur vorbereitend auf die Fragestellung dar, wie globale Umweltschutzziele in katholischen Ordensgemeinschaften rekontextualisert werden. Ich führe in die Untersuchung religiöser Gemeinschaften ein und diskutiere den Forschungsstand zu religiösen Gemeinschaften und sozialem Wandel im Allgemeinen und zu religiösem Umweltschutz, besonders in Christentum und der katholischen Kirche. Damit spezifiziere ich auch entscheidende theoretische Besonderheiten des Forschungsgegenstands. Relevante Ansätze zur Untersuchung von Glokalisierungsprozessen und der Harmonisierungsarbeit hinsichtlich vielfältiger Perspektiven finden sich jedoch auch außerhalb der Religionssoziologie. Deswegen gehe ich in einem ausführlichen Abschnitt auch auf Aspekte der Organisations- und Institutionenforschung ein, die sich über religiöse Gemeinschaften hinaus mit der Verbreitung und lokalen Anwendung globaler Konzepte befassen. Beide Forschungszweige, die religionssoziologische und die kultursoziologisch-organisationale, eint die mikrosoziologische Forschungslücke, in Rekontextualisierungsprozessen die Vielfalt von Akteuren, ihre alltäglichen Handlungen und ihre diversen Wissensbestände systematisch zu untersuchen. Im hieran anschließenden Kapitel entwickle ich die handlungstheoretische Perspektive dieser Arbeit, mit der ich diese Lücke adressiere. Ich zeige den Bedarf für eine pragmatistisch-wissenssoziologische Herangehensweise auf, die implizite und explizite Wissensbestände analytisch trennen und so auch empirisch deren jeweilige Bedeutung in Glokalisierungsprozessen zugänglich machen kann. Ich schlage vor, für die Untersuchung der mikrosoziologischen Übersetzungsprozesse von globalen Ideen die Teilprozesse der Interpretation, der Bewertung und der Verhandlung analytisch zu trennen. Das Forschungsdesign und das methodische Vorgehen dieser Untersuchung erläutere und begründe ich im anschließenden Kapitel. Dabei vermittele ich auch die grundsätzlichen Informationen zum Forschungsfeld der beiden katholischen Ordensgemeinschaften und Umweltschutz in der katholischen Kirche und den ausgewählten Orden. Es ist der Beginn des Ausflugs in die spezifischen Wissensbestände der Ordensleute.
1.4 Aufbau der Arbeit
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In den folgenden drei Kapiteln wende ich mich der Darstellung der Ergebnisse der empirischen Analyse zu. Im Kapitel zu den handlungsleitenden Interpretationen der Umweltschutzziele gehe ich auf die verschiedenen sozialen Welten und damit verbundenen Orientierungen ein, die anhand des spezifischen Verfahrens der dokumentarischen Methode rekonstruiert und zu einer (sinngenetischen) Typik abstrahiert werden. Ich zeige aufbauend auf dem Vergleich zwischen den Regionen und den Ordensgemeinschaften, dass sowohl ordens-externe Einflüsse wie auch geteilte Sinnstrukturen der Orden das Erfahrungswissen beeinflussen, welches die Interpretationen rahmt. Im darauf folgenden, sechsten Kapitel untersuche ich erstens aufbauend auf dieser Typik die zielimmanenten Bewertungsmaßstäbe und –verfahren, zweitens wende ich mich expliziten Wissensbeständen der Ordensleute zu und diskutiere Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung. Ich lege dar, auf welche Wissensbestände sie dabei zurückgreifen und welche Zusammenhänge zwischen Interpretationen und Bewertungen sich im Material zeigen. Schließlich kontrastiere ich im letzten Kapitel der empirischen Analyse verschiedene Verhandlungssituationen zwischen Ordensleuten. Ich zeige Unterschiede auf zwischen Verhandlungen von Ordensleuten mit gemeinsamer Zielinterpretation und solchen, in denen sich die Ordensleute entweder bezüglich der sozialen Welt nicht einig sind, welche die Zielinterpretation rahmt oder rahmen soll, und/oder bezüglich der Priorisierung der Umweltschutzziele im Vergleich zu anderen Zielen. Ich zeige beispielsweise auch, dass in formalisierten Situationen der Verhandlung, die ein geteiltes Ergebnis hinsichtlich relevanter Aspekte der Umweltschutzziele forcieren, unterschiedliche Perspektiven basierend auf im Orden geteilten, expliziten Wissensbeständen harmonisiert werden können. Den drei Kapiteln zu den Teilprozessen der Glokalisierung (Kapitel 5, 6 und 7) sind jeweils Zusammenfassungen der wichtigsten Ergebnisse vorangestellt. Die Darstellungen der systematischen Vergleiche befinden sich jeweils am Ende der Kapitel. Im Fazit diskutiere ich, was diese Arbeit und die Perspektive einer pragmatistischen Wissenssoziologie zur Untersuchung religiösen Umweltschutzes, Glokalisierungsprozessen und zu soziologischen Analysen normativer Ordnungen beitragen können und welche Fragen offen bleiben mussten.
2
Forschungsstand
Religion wurde lange vor allem innerhalb regionaler und nationalstaatlicher Zusammenhänge untersucht. Heute wird sie zunehmend als globaler oder glokaler Untersuchungsgegenstand aufgefasst (vgl. Beyer 2007). Damit trägt die Forschung verschiedenen Aspekten Rechnung: Gemeinschaften erstrecken sich über Nationalgrenzen hinweg. Dabei treten Mitglieder erleichtert durch diverse Entwicklungen in Transport und Kommunikation in Austausch. Schließlich engagieren sie sich auch für Ziele über ihre lokalen Gemeinschaften hinaus. So spenden sie beispielsweise und kanalisieren Geld und Waren über Netzwerke an religiöse Gemeinschaften in Katastrophengebieten, entsenden Gemeindemitglieder für kurze Auslandsaufenthalte und setzen sich in Kampagnen für die Wahrung der Menschenrechte in anderen Ländern ein (vgl. z. B. Wuthnow 2009, z. B. S. 140 ff. und S. 185 ff.). Ich diskutiere im Folgenden entsprechend Religion im Kontext einer globalisierten Welt. Wer Umweltschutz in katholischen Orden hinsichtlich der Umsetzung globaler Ziele in lokalen Zusammenhängen sozialwissenschaftlich untersuchen möchte, findet sich mit diverser religions- wie auch kultursoziologischer Literatur konfrontiert, die entscheidende Facetten der Fragen bearbeitet, sich aber nur selten mit dem spezifischen Gegenstand beschäftigt. Religionssoziologische Literatur adressiert Fragen nach Religion im Kontext und der Verbindung von Religion und sozialem Wandel. Religiöser Umweltschutz hingegen ist eher ein Randthema, welches sich jedoch interdisziplinär in den letzten Jahren zu einem florierenden Forschungsfeld entwickelt hat. Möglicherweise durch die Verwurzelung der interdisziplinären Agenda zu Religion und Umwelt in Theologie und Ethik suchen soziologische, datenbasierte Analysen in diesem Bereich bisher
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_2
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2 Forschungsstand
nach wie vor nach ihrem ‚Platz‘ in den Debatten. Qualitative Studien, welche die Zusammenhänge globaler religiöser Verlautbarungen und lokaler Praxis in den Blick nehmen, sind selten. In kultursoziologischer Forschung hingegen finden sich umfangreiche Studien zu lokalen Anwendungen globaler Ideen und Modelle. Religiöse Akteure und Gemeinschaften hingegen finden nahezu keine Beachtung. Zur Fundierung der Fragestellung nach lokalen Übersetzungen von globalen Zielen lohnt es sich jedoch, diese zusätzlichen Forschungsstränge in den Blick zu nehmen. In den letzten Dekaden hat sich besonders die Organisations- und Institutionenforschung mit der Verbreitung und lokalen Anwendung globaler Konzepte befasst. Zur Frage der Harmonisierung vielfältiger Perspektiven kann außerdem der Forschungszweig der Soziologien der Bewertung die Fragestellung dieses Untersuchungsanliegens theoretisch bereichern und zum Problemverständnis beitragen.
2.1 Religion und sozialer Wandel In welcher Beziehung steht das Phänomen ‚Religion‘ zu Gesellschaft(en) und deren Entwicklung? Obwohl schon die Begründer der Soziologie sich mit dieser Frage befassten, bleibt sie in der religionssoziologischen Forschung zentral (vgl. z. B. Winkel und Sammet 2017; Reddig et al. 2018). Rechtfertigen religiöse Akteure die soziale und ökonomische Ordnung von Gesellschaften und stützen damit – etwa wie bei Marx (1956 [1843]) ‚tröstend-betäubend‘ oder manipulativ – auch bestehende sozioökomisch ungerechte Zustände? Oder ermöglichen religiöse Gemeinschaftsbildungen gerade eine alternative Perspektive und damit sozialen Wandel, so wie Weber argumentiert (2016 [1904/05 und 1920]). Im Folgenden gehe ich auf aktuellere Forschungsstränge ein, die sich diesen Fragen zuwenden. Neben genuin religionssoziologischer Literatur tragen besonders die soziologische Literatur zu sozialen Bewegungen, aber auch verwandte Disziplinen wie die der Internationalen Beziehungen, gestützt durch diverse Fallstudien zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses von Religion und sozialem Wandel in der globalisierten Welt bei. Als die Facette des Themas, die für mein Forschungsanliegen eine besondere Bedeutung hat, stelle ich den Forschungsstand zu religiösem Umweltschutz detaillierter da. In Kapitel 4 führe ich in die Spezifika von Umweltschutz in der katholischen Kirche ein.
2.1 Religion und sozialer Wandel
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2.1.1 Religiöse Gemeinschaften, Normen und Gesellschaft Die üblichen Religionsbegriffe setzen eine soziale Gemeinschaft voraus. Gleichzeitig herrscht bezüglich der genauen Bedeutung von Religion und bezüglich des vereinenden Elements des Religiösen große Uneinigkeit, die auch in dieser Arbeit nicht aufgelöst werden kann. Pickel stellt als wiederkehrende Komponenten in verschiedenen Definitionen von Religion folgende heraus: Religion basiere auf individuellem Gottesglaube, sei durch spezifische soziale Praktiken wie Rituale, Zeremonien und Gottesdienste geprägt, bilde eine ‚moralische Gemeinschaft‘, die sich durch die Einhaltung geteilter Verpflichtungen und Normen ausdrückt, und/oder sie sei organisiert als Kirche (Pickel 2011, S. 19). Die Definition von Durkheim, die oft in soziologischen Einführungsbüchern zitiert wird, besagt, Religion sei ein vereintes System aus Glaubensvorstellungen und Praktiken bezüglich heiliger Dinge (vgl. z. B. Schaefer 2011, S. 430). Religion schreibt Durkheim die Funktion zu, Gemeinschaften moralisch zu einen (Durkheim 1975 [1912]). An dieser Definition lässt sich jedoch exemplarisch das Problem festmachen, dass Religion per se als etwas Vereintes und sozial Integratives verstanden wird. Einige empirische Studien – diese eingeschlossen – zeigen die Vielfalt von Perspektiven innerhalb von religiösen Gemeinschaften und die damit verbundenen Auseinandersetzungen auf (vgl. z. B. Dreher 2016, S. 6 ff.; Fuist und Josephsohn 2013). Auf dieser Beobachtung aufbauend schlägt Dreher eine konstruktivistische Perspektive vor, nach der soziale Prozesse in konkreten, einzelnen religiösen Gemeinschaften (beziehungsweise dort: in aktivistischen Bewegungen) auch hinsichtlich ihrer internen Verhandlungsprozesse untersucht werden. Ich folge in dieser Arbeit diesem Ansatz mit folgender (Arbeits-) Definition religiöser Gemeinschaften: Religiöse Gemeinschaften sind solche, deren Mitglieder sich vorstellen, zusammenzugehören und die ein umfassendes religiöses Projekt teilen, was hier heißt, dass sie Wissen dazu teilen und aushandeln, was in dieser Gemeinschaft als religiös gilt oder: wie in der Gemeinschaft etwas Transzendentes1 oder Heiliges verstanden und erfahren wird und welche Normen sich davon ableiten.
1Luhmann
schreibt dem Religionssystem der Gegenwart der 1980er Jahre beispielsweise den binären Code von Transzendenz und Immanenz zu (Luhmann 1985).
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2 Forschungsstand
Besonders der Ansatz, Religion als gelebte Religion zu untersuchen, hat darauf aufmerksam gemacht, dass religiöse Praktiken nicht festgeschriebenen Doktrinen entsprechen müssen. Sie sind in Raum und Zeit eingebettet und bedürfen interpretativer Anstrengungen. Dies gilt für Praktiken in losen Zusammenschlüssen ebenso wie in Kontexten klar verfasster religiöser Organisationen (Ammerman 2014a, S. 190, 2014b, S. 300; Neitz 2012, S. 47, 51; Schützeichel 2018). Es wird gefragt, wie „sich religiöse Praxis im alltäglichen Leben [vollzieht], wie […] Religion und Religiosität in der lokalen Praxis des alltäglichen Lebens eingebettet [sind], wie […] Religion im Alltag genutzt [wird]“ (Schützeichel 2018; vgl. auch Hall 1997). Während dem Ansatz vorgeworfen wurde, strukturelle Aspekte zu vernachlässigen (vgl. Repstad 2019), bedeutet Religion und Handeln religiöser Akteure mit einer solchen Perspektive zu untersuchen auch anzuerkennen, dass religiöse Akteure sich zu Gesellschaft verhalten müssen. Sie sind Teil und nehmen auf unterschiedliche Arten Teil an gesellschaftlichem Geschehen. Wie sie dies gegenwärtig tun, ist über den Ansatz der gelebten Religion hinaus eine entscheidende rahmende Frage der Forschung zu religiösen Gemeinschaften in der globalisierten Welt. Darauf aufbauend lässt sich weiter fragen, inwiefern sich religiöse Gemeinschaften auch als besondere normative Gemeinschaften beschreiben lassen und gesellschaftlich eine Sonderrolle einnehmen. Mindestens zwei unterschiedliche Erwartungshaltungen können diesbezüglich identifiziert werden: Eine ist, dass religiöse Gemeinschaften in den Gesellschaften der Gegenwart besondere Normen und Werte vertreten (z. B. Hoffmann 1972, S. 372 f.); eine andere ist, dass in religiösen Gemeinschaften Normen eine besondere Bedeutung haben (z. B. Etzioni 1975, S. 41). So stellen Vertreter*innen des sich herausbildenden Feldes der Soziologien der Bewertung heraus, religiöse Gemeinschaften und Organisationen seien vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Forschungsergebnisse (beispielsweise zu Tendenzen wie Kommensurierung, Quantifizierung und Kommodifizierung in nicht religiösen Zusammenhängen) merkwürdig, aber gleichzeitig besonders interessant und wenig erforscht (Stark 2011, S. 329–333). Lamont (2012, S. 210 f.) sieht in Untersuchungen religiöser Gemeinschaften die Chance, zu verstehen, wie Kontexte mit verschiedenen Bewertungsmaßstäben (Heterarchien) in der Gegenwart entgegen der Dominanz von ‚Bewertungslogiken des Marktes‘ bestehen können: [The review cited is] a call for a better understanding of the conditions that sustain heterarchies under neoliberalism, a context in which definitions of worth that are not based on market performance tend to lose their relevance and in which market
2.1 Religion und sozialer Wandel
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fundamentalism is exercising strong homogenizing pressures on collective identities and on shared definitions of what defines a worthy life. […] It […] requires analyzing the role of institutions that sustain heterarchies by providing and diffusing alternative definitions of worth, such as those grounded in group identity, morality, religion […]. Such institutions include spiritual and religious organizations, ethnic organizations, and oppositional social movements.
Religiöse Organisationen werden hier eingereiht in eine Sammlung aus Gemeinschaften, die primär eint, dass von ihnen erwartet wird, dass sie vielfältiger oder anders bewerten als marktbasierte Wertzuschreibungen und -evaluationen.2 Den ausgeführten Forschungsdesideraten zur Untersuchung religiöser Gemeinschaften liegt die Vermutung zugrunde, bestimmten Sektoren, ‚Sphären‘ oder gesellschaftlichen Subsystemen ließen sich bestimmte normative Ordnungen zuordnen (vgl. Friedland und Alford 1991; Friedland 2013), auch wenn gleichzeitig beobachtet wird, dass diese Trennung empirisch nicht scharf ist. So gibt es Moral in Markt (Fourcade und Healy 2007), Glaube als Geschäft (Hafenbrädl und Waeger 2016) und Spiritualität als Thema in Unternehmensberatung (Zaidman, Goldstein-Gidoni und Nehemya 2009). Auch die vor allem durch amerikanische Entwicklungen um ‚Megakirchen‘ entstandene Soziologie der religiösen Märkte würde eine entsprechende Trennung von Marktlogik und Religion kaum
2Als
Konkretisierung des oben identifizierten hegemonialen Neoliberalismus, auf dem die zunehmende Dominanz marktbasierter Bewertung der Autorin nach basiert, lassen sich beispielsweise Kataloge zu Bewertungsmaßstäben in Unternehmen identifizieren, wie sie in den folgenden Analysen zur Perspektive zu Umweltfragen von Managern diagnostiziert werden: In this study, we identify fundamental aspects of issue interpretation that are central to managerial cognitions and actions […]. Identification of managers’ focus on the negativepositive, loss-gain, and uncontrollable-controllable dimensions of dealing with the environmental issue suggests mechanisms by which interpretations central to cognitions and actions relevant to this isue develop. Specifically, managers’ categorization of the environmental issue as a threat or an opportunity results in environmental responsiveness strategies consistent with those interpretations. (Sharma, Pablo und Vredenburg 1999, S. 100, Hervorhebung durch JG) Although various stakeholders frame environmental issues differently, perhaps ideologically, business strategies are driven primarily by perceptions of technical, competitive, and economic contexts […]. Put simply, businesses tend to view environmental issues through a different lens than many stakeholders. (Etzion 2007, S. 650, Hervorhebung durch JG)
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2 Forschungsstand
vornehmen (Stark und Bainbridge 1985; Stark und McCann 1993; Iannaccone 1998).3 In Ansätzen wie denen von Luhmann oder Bourdieu liegt die Besonderheit der religiösen Gemeinschaften in deren eigenen ‚transzendenten‘ Ansprüchen selbst begründet, welche von den Beteiligten fordern, durch Handeln scheinbare Versöhnung unterschiedlicher Wirklichkeiten herzustellen. Luhmann macht beispielsweise eine Spannung zwischen nicht-weltlichem Anspruch und ‚faktischer‘ Bürokratie aus (Luhmann 1972; vgl. auch Hermelink und Wegner 2008 für aktuellere Überlegungen zu diesem Problem in Evangelischen Kirchen in Deutschland). Bourdieu konstatiert in seinem Text zur Ökonomie symbolischer Güter, wenn er ‚das Lachen der Bischöfe‘ vor dem Hintergrund ökonomischer Ausbeutungsbeziehungen untersucht: [T]o treat others as brothers is to put the economic dimension of the relationship into parentheses. Religious institutions work permanently, both practically and symbolically, to euphemize social relations of exploitation (as in the family), by transfiguring them into relations of spiritual kinship or of religious exchange. (Bourdieu 1998, S. 116, vgl. auch, S. 112 ff.)
Etzioni geht in ähnlicher Weise davon aus, dass Sachzwänge nicht die Grundlage religiösen Organisierens sein können, weil diese entgegen anderer ‚internalisierter‘ Grundsätze nicht als angemessene Bewertungsmaßstäbe angesehen würden. Er entwickelt die Kategorie der normativen Organisationen als solche, in denen Zwänge normativ-moralisch hergestellt werden können (z. B. Etzioni 1975, S. 40 f.). Aus der akademischen Diskussion zur Besonderheit religiöser Gemeinschaften lässt sich bereits eine von außen formulierte Erwartungshaltung gegenüber diesen ablesen, wonach religiösen Gemeinschaften nicht nur eine Integration nach innen, sondern auch ein normativ nicht-hegemonialer, gesellschaftlicher ‚Beitrag‘ zugetraut, vielleicht sogar von ihnen gefordert wird. Ein Forschungsfeld, in dem normative Ordnungen und ko-existierende Bewertungsmaßstäbe in religiösen Gemeinschaften bereits von mehreren wissenschaftlichen Arbeiten behandelt wurden, ist das zur Geschichte des Rechnungswesens. Während Booth (1993, S. 43) religiöse Organisationen als extreme Fälle
3Ich
teile allerdings die Kritik von Edgell (2012, S. 249) und anderen, dass die Autoren dieses Paradigmas der religiösen Märkte die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft nicht ausreichend als soziales Phänomen konzeptionalisieren (und deshalb Religion als Teil von Identitätsbildung nicht ernst genug nehmen).
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konzeptionalisiert, in denen durch rationale, berechnende und ökonomische Bewertungsmaßstäbe Handlung nicht begründet werden könnten, stellen andere heraus, dass das Rechnungswesen zum integralen Bestandteil von Spiritualität gehören kann (Jacobs 2005). Quattrone (2004) untersucht das frühe Rechnungswesen in der Gesellschaft Jesu. Er stellt heraus, dass diesem in der Gemeinschaft gleichermaßen politische wie theologische Relevanz zugeschrieben werden kann. Diese Darstellung von Uneinigkeit zur Frage spezifischer normativer Ordnungen in religiösen Gemeinschaften stützt den im Folgenden gewählten empirischen Zugang zu der Frage geteilter Normen in den Gemeinschaften und ihrer Bedeutung für Glokalisierungsprozesse. Erst durch die Analyse der Gemeinschaften und ihrer Mitglieder lässt sich erkennen, welche (geteilten oder nicht geteilten) Wissensbestände bei der Rekontextualisierung von Zielen relevant sind.
2.1.2 Religiöse Gemeinschaften und kollektives Handeln Religion werden zusammenfassend verschiedene Qualitäten zugeschrieben, die Erfolg von kollektivem Handeln, sozialem Protest und Widerstand erleichtern. Religion kann kollektivem Handeln zu Erfolg verhelfen durch organisationale Ausstattung religiöser Gemeinschaften wie Räume, persönliche Netzwerke oder auch Führungspersonal. Sie kann Möglichkeiten zur Entwicklung eigenständiger Standpunkte für Gruppen bieten, z. B. durch regelmäßige Messen. Geteilte Symbole, Musik, Rituale und Identitäten stärken unter Umständen Solidarität und Commitment von Mitgliedern über einen längeren Zeitraum hinweg. Darüber hinaus genießen religiöse Akteure oft große gesellschaftliche Legitimität und einen besseren Schutz vor Repression durch Machtausübende. Diese Qualitäten können für unterschiedliche politische Projekte genutzt werden: den Status Quo stützend – oder genau gegenteilig – sozialen Wandel befördernd, wobei der Wandel gleichermaßen reaktionär oder progressiv ausgerichtet sein kann, sofern sich diese Richtungspole jeweils überhaupt anwenden lassen (Nepstad und Williams 2007, bes. S. 424 und S. 434). So wendet ein Teil der Literatur, die sich mit kollektivem Handeln und Religion befasst, den Blick auf gewalttätige Konflikte durch religiöse Grenzziehungen. Religiös begründeter Terrorismus und/oder Auseinandersetzungen durch Fundamentalismus stehen im Fokus (z. B. Juergensmeyer 2017). Zentrale Fragen sind, inwieweit sich religiöse Konflikte und Gewaltausbrüche von anderen unterscheiden und inwiefern religiöse Überzeugungen nebst anderen Interessen wie ökonomischen oder kulturellen tatsächlich treibend von Bedeutung sind (Brubacker 2015; Cavanaugh 2009; aber auch Huntington 2002). Konflikte, so
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2 Forschungsstand
ein verbreiteter Standpunkt, entstehen kaum allein auf Grundlage von Religion, sondern in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten in Wechselwirkung mit anderen Faktoren. Ein transnationales Phänomen, das soziologisch untersucht wurde, ist beispielsweise, dass sich europäische junge Erwachsene als Dschihadisten dem Islamischen Staat anschlossen. Verschiedene Faktoren werden zur Erklärung dieses Phänomens herangezogen. Politische Empörung über Missstände in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie über die moralisch fragwürdigen militärischen Einsätze des ‚Westens‘ in Afghanistan und Irak ist eine, soziale und ökonomische Deprivation der Nachkommen von Einwanderer*innen eine andere dieser Erklärungen. Auch den Möglichkeiten der Kommunikation und Vernetzung, die neue Medien bieten, wird große Bedeutung zugeschrieben (vgl. Witte 2016). Witte (2016) weist aber auch darauf hin, dass für einige Dschihadisten diese Erklärungen nicht plausibel sind. Er argumentiert, dass der Dschihadismus nicht zuletzt eine florierende Jugendkultur gegen kapitalistische Gesellschaftsordnungen darstellt (ebd.).4 Andere Studien untersuchen nicht-terroristische politische Einflussnahme durch religiöse Akteure. Während die Erforschung – im Schwerpunkt wert-konservativen – Einflusses auf nationale Politik besonders in den USA eine lange Tradition genießt (vgl. Liebman und Wuthnow 1983), nehmen sich die Internationalen Beziehungen mit wenigen Ausnahmen erst in den letzten zwei Dekaden der Bedeutung und den Strategien glaubensbasierter Organisationen an (vgl. z. B. Bush 2007, 2005; Glaab 2017; Boehle 2010a, 2010b; Engelkamp und Fuchs 2011; Haynes 2009; Troy 2010). Dabei ist auffällig, dass im Schwerpunkt organisierte, ‚progressive‘ religiöse Initiativen zu Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz untersucht werden. Religiöse Akteure werden als Teil zivilgesellschaftlichen Engagements beispielsweise im Rahmen der Vereinten Nationen, bei Klimakonferenzen oder bei Gipfeltreffen von Regierungschefs betrachtet und hinsichtlich ihrer Instrumente, Alleinstellungsmerkmale und ‚Erfolge‘ untersucht. Neben einigen spezifischen Strategien wie Beten (Trigeaud
4Ähnlich
argumentiert die frühe Arbeit der Ethnologin Brenner zum Thema globalisierter, islamischer Jugendkultur, ohne Terrorismus-Bezug. Sie beleuchtet bereits 1996, dass die Entscheidung, einen Hidschāb zu tragen, für junge Frauen auf Java entgegen üblicher Klischees nicht den damaligen lokalen religiösen Praktiken entspricht, welche die Elterngeneration ihren Kindern ‚aufdrängen‘, sondern vielmehr Ausdruck der Identifikation mit einer grenzüberschreitenden jungen Bewegung mit kritischer Haltung gegenüber ‚westlicher Modernität‘ ist (Brenner 1996).
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2012) stellen Autor*innen die Unterschiede (Baumgart-Ochse und Wolf 2018) und Ähnlichkeiten (Berry 2014) säkularer und religiöser Aktivitäten und Diskurse heraus (Glaab und Fuchs 2015, 2018). Zu der Frage, inwiefern religiöse Akteure anders agieren oder andere Ziele verfolgen als säkularere Organisationen und Gruppen, ergibt sich aus der Literatur der Internationalen Beziehungen bisher zusammenfassend ein unfertiges Puzzle, wobei zwischen den bestehenden „manchmal so – manchmal so“-Teilen oft die Verbindungsstücke fehlen. Ein wiederkehrendes, hoffnungsvolles Argument ist jedoch, dass entgegen der Konfliktperspektive transnationales, religiöses Engagement zu einer friedvolleren und nachhaltigeren Entwicklung beitragen kann (vgl. Rudolph 1997; Steiner 2018). Mit Blick auf unterschiedliche Konfessionen (z. B. Cherry und Ebaugh 2016) und lokale (Darlington 2012), nationale (z. B. Moreno 2008; Nepstad 2002) und transnationale Problemlagen werden religiöse Gemeinschaften als Teil grenzüberschreitender Zivilgesellschaft zunehmend wahrgenommen. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit hat sich darum eine eigenständige Forschungslandschaft entwickelt (vgl. z. B. Clarke und Ware 2015). Auch religiöse Advocacy-Netzwerke der Vergangenheit erhalten neue Aufmerksamkeit. So betont Stamatov die historische Bedeutung religiöser Organisationen für politischen Aktivismus in der Gegenwart mit seiner Analyse von Bewegungen wie der gegen Sklavenarbeit und -handel (Stamatov 2010, 2013). Nach der Abkehr von der These einer global einheitlichen Säkularisierung führte vor allem das Problem terroristischer Anschläge zu einem Wahrnehmungsschub für die gegenwärtige Bedeutung von Religion. Dass sich inzwischen große Teile der Forschung damit auseinandersetzen, inwiefern religiöse Gemeinschaften zu einer moralisch integren Weltgemeinschaft beitragen können – beispielsweise im Sinne des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung –, ist insofern bemerkenswert (vgl. Banchoff 2008). Wie sich jedoch große politische Nachhaltigkeitsund Friedensagenden und Beschlüsse sowie die Ziele überregionaler Initiativen und Organisationen in lokalen Glaubensgemeinschaften wiederfinden, bleibt bisher über verschiedene Themenbereiche hinweg ein eher wenig bearbeitetes Forschungsprogramm (vgl. Wuthnow 2009; Gojowczyk 2011). Das rasant wachsende Forschungsfeld zu religiösem Umweltschutz bietet eine Möglichkeit, jene dunkle Stelle in der Literatur zu verdeutlichen und gleichzeitig eine Grundlage für empirische Forschungsprojekte, diesen wichtigen Aspekt von Religion und kollektivem Handeln zu beleuchten.
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2 Forschungsstand
2.1.3 Religiöses Engagement für Umweltschutz Wenn Wissenschaftler*innen die Beziehung zwischen Religion, Umweltschutz und Umweltverschmutzung untersuchen, ist der argumentative Ausgangspunkt nach wie vor häufig die These des Historikers Lynn White (vgl. z. B. Taylor, Van Wieren und Zaleha 2016). Er argumentiert, die Umweltzerstörung in der Moderne sei begründet in einer jüdisch-christlichen Teleologie, welche Bedürfnisse der Menschen über die der Natur stelle (White 1967). Bis heute fragen Wissenschaftler*innen, ob Glaube und Konfession das Umweltbewusstsein oder den Grad von Umweltzerstörung beeinflussen. Dabei fallen die Ergebnisse jedoch sehr unterschiedlich aus und lassen sich aufgrund von Varianz in Bezug auf abhängige und unabhängige Variablen oft nur schwer vergleichen (vgl. z. B. Carlisle und Clark 2017; Chuvieco, Burgui und Gallego-Álvarez 2016; Danielsen 2013; Olson-Hazboun, Krannich und Robertson 2017; Taylor 2015; Tomalin 2016; eine umfassende Auswertung der Literatur findet sich bei Taylor, Van Wieren und Zaleha 2016). Zunehmend wird jedoch auch untersucht, welche konkreten Formen religiöser Umweltschutz annimmt und welche Herausforderungen und Auseinandersetzungen in diesen Zusammenhängen empirisch beobachtet werden können. Ein Schwerpunkt der empirischen Studien liegt dabei auf klassisch-aktivistischen Initiativen und Leuchtturmprojekten, ein anderer auf quantitativen Analysen, wie ich im Folgenden darstellen werde. Bis heute scheint das Forschungsfeld zu ‚Religion und Ökologie‘ in seinen großen Kontroversen von einem starken Impuls aus Religionswissenschaft und Ethik geprägt. Mitte der 1990er Jahre organisierten die Religionswissenschaftler*in Mary Evelyn Tucker und John Allen Grim am Center for the Study of World Religions der Harvard Universität zehn Veranstaltungen zum Thema World Religions and Ecology. Diese führten zur Veröffentlichung einer Buchreihe, in denen die vermeintlich verbreitetsten religiösen Traditionen daraufhin analysiert werden, ob ihre Texte und Ideen anschlussfähig an ökologische Belange und Diskurse sind (Tucker und Grim 1997–2004). Anschlussfähig an Whites Argumentation wurde angenommen, durch entsprechende Lesarten der Traditionen religiöse Gemeinschaften für Umweltschutz zu mobilisieren und so zur Lösung ökologischer Herausforderungen beitragen zu können. Diese Veranstaltungen und Veröffentlichungen werden oft als Startpunkt aktueller Debatten zu religiösem Umweltschutz rezipiert. Sie gipfelten nicht zuletzt in der Gründung eines Forum on Religion and Ecology an der Universität Yale. Deren Direktion – ebenfalls Tucker und Grim – und andere betonen, dass sich weltweit (zunehmend) viele religiöse Gemeinschaften für Umweltschutz engagieren,
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dass religiöser Umweltschutz auch durch entsprechende Verlautbarungen der jeweiligen Führungsfiguren verbreitet wird und dass davon Hoffnung für die Zukunft unseres Planeten abgeleitet werden kann (z. B. Bergmann und Gerten 2010; Hall et al. 2009; Tucker und Grim, 2017; Veldmanet al. 2014). Diese Hoffnung lässt sich nicht zuletzt begründen durch drei potentiellen ‚Funktionen‘ von Religion, die in Nachhaltigkeitstransformationen von Bedeutung sind: Sie haben Möglichkeiten für öffentliche Kampagnen, können Ziele auch im Rahmen ihres eigenen Wirtschaftens materialisieren und sie verbreiten bestimmte Werte und Weltsichten (Koehrsen 2015, 2018). Es findet sich somit die oben skizzierte, auch aus den Sozialwissenschaften heraus formulierte Erwartungshaltung wieder, dass es sich bei religiösen Gemeinschaften um normative Gemeinschaften handelt, die in besonderer Weise für kollektives Handeln, sozialen Protest und Widerstand ausgestattet sind. Von den Impulsen von Tucker und Grim ausgehend kreist jedoch inzwischen eine Forschungsliteratur beachtlichen Umfangs um die Fragen, ob es eine überkonfessionelle, transnationale Bewegung des religiösen Umweltschutzes wirklich gibt und was sie gegebenenfalls bewirken kann. Wer religiösen Umweltschutz als globale, überkonfessionelle oder interreligiöse Bewegung betrachtet, kann sich auf synchrone Entwicklungen in verschiedenen Glaubensgemeinschaften und Weltregionen berufen. Zwar wurden wenige genuin interreligiöse Initiativen in den Blick genommen (aber z. B. Warner et al. 2012), aber in den letzten Jahren diverse Umweltschutzinitiativen von religiösen Akteuren verschiedenster Konfessionen und in unterschiedlichen regionalen Kontexten identifiziert und untersucht (z. B. Amri 2014; Darlington 2012; Dessi 2018; Hancock 2018; Smith 2017). Religionsgemeinschaften nehmen sich ökologischen Themen an (Tucker und Grim 2001). Auch Führungspersonen religiöser Traditionen kommen zu verschiedenen Anlässen zusammen, um über Umweltschutz zu beraten. Unter anderem in Arenen der internationalen Politik interagieren Akteure verschiedener Konfessionen und religiöser Traditionen, wie beispielsweise bei Klimaverhandlungen (wenngleich hierbei häufig Überrepräsentation christlicher Initiativen festgestellt wird, siehe z. B. Glaab und Fuchs 2015; vgl. auch die Auslistung von Ereignissen bei Dessi 2016, S. 68). Diesen Entwicklungen folgend behandelt beispielsweise Beyer religiösen Umweltschutz als weltweite und überkonfessionelle Bewegung (Beyer 2000 [1994], S. 206–227; siehe auch Rajotte 1990, S. 6; Kerber 2015). Die Phänomene, die zum Beleg für die weltweite Existenz religiösen Umweltschutzes herangezogen werden können, sind sehr divers. Buddhistische Mönche weihen beispielsweise aus Sorge um lokale Wälder und aus Protest gegen das Wirtschaftsparadigma einer ‚nachhaltigen Entwicklung‘ Bäume zu Priestern,
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2 Forschungsstand
damit sie nicht gefällt werden, während in Deutschland christliche Kirchengemeinden einen europäischen Umweltmanagement-Standard einführen (Darlington 2012; Gojowczyk 2015; vgl. auch Kent 2013; Witt 2016). So wie es regionen- und konfessionsspezifische Besonderheiten gibt, so gibt es auch unterschiedliche Aktivitäten religiösen Umweltschutzes innerhalb einer Gemeinschaft gleichzeitig oder über die Zeit hinweg. Gojowczyk (2015) zeigt, dass eine Form des Engagements einer anderen später zur Legitimation verhelfen kann, ohne diese ablösen zu müssen. Vertreter*innen der Evangelischen Kirchen in Deutschland kritisierten viele Jahre lang Akteure aus Politik und Wirtschaft für unökologische Entscheidungen, bevor das eigene Wirtschaften fokussiert und als ‚Frage der Glaubwürdigkeit‘ die Einführung von Umweltmanagementsystemen in Kirchengemeinden vorangetrieben wurden (Gojowczyk 2015). Bei aller untersuchter Vielfalt wendet sich ein großer Teil der Forschung bisher allerdings primär umweltaktivistischen Initiativen und Pilotprojekten zu, meist mit qualitativem Forschungsdesign (vgl. z. B. auch Amri, 2014; Moyer und Scharper 2019). Baugh nennt dies eine Konzentration auf “mainstream constructions of explicit activism” (2019, S. 3). Tomalin (2016) weist in ihrer kritischen Studie von religiösem Umweltschutz, besonders in Indien, auf die ‚Grenzen‘ desselben als überregionale und interreligiöse Bewegung hin. Religionen werden, so Tomalin, in westlich-romantische Vorstellungen von Umweltschutz zunehmend ‚hineingezogen‘ (vgl. 2016, S. 1). Sie zeigt aber, dass kulturelle und sozioökonomische Zusammenhänge relevant dafür sind, was religiöses Leben mit Natur für Akteure bedeutet (z. B. Biodivinität oder Biodiversität?), welche Priorität Umweltschutz zugeschrieben wird und wie er geleistet werden kann. Nicht immer passen ‚romantische‘ Vorstellungen zu den Herausforderungen, die sich in den Kontexten gelebter Religion stellen. So ist religiöser Umweltschutz in Indien beispielsweise mit der Kritik konfrontiert, rechts-nationalistische Diskurse zu stärken. Formen der religiösen Umweltbewegung wie Konsumkritik, wie Tomalin sie in Großbritannien identifiziert, sind für viele arme Bevölkerungsgruppen undenkbar. Eine differenzierte und bisher ungeklärte Frage ist, ob das grenzüberschreitende Phänomen des religiösen Umweltschutzes in jener aktivistischen Ausprägung eher als eine globale Bewegung mit vielen lokalen Spielarten verstanden werden kann, die sich austauscht, aufeinander bezieht und als eine Bewegung begreift, oder ob das Phänomen als Summe unabhängiger Entwicklungen besser zu verstehen ist, deren Ähnlichkeit in gleichen globalen Einflüsse und Problemlagen begründet liegt, die lokale Gemeinschaften zu ähnlichen Aktivitäten und Positionen anregen (aber siehe z. B. Hancock 2018, S. 66). So zeigt beispielsweise Dessi bezüglich des ‚Ergrünens‘ des Buddhismus in Japan nicht nur, wie
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nach dem Atomunglück von Fukushima 2011 das Thema im Buddhismus Japans an Relevanz gewinnt (2013), sondern auch, dass die lokale ‚Resonanz‘ auf globale Ideen nicht zu einer globalen Bewegung mit einer gemeinsamen Identität führen muss: Aufbauend auf sich global verbreitender Sensibilisierung für Fragen des Umweltschutzes beobachtet er auch ‚kulturell-chauvinistische‘ Tendenzen, bei denen manche religiöse Traditionen – wie Shintō als ‚Religion des Waldes‘ – als im internationalen Vergleich anderen überlegen betrachtet werden, um ökologische Herausforderungen zu adressieren (Dessi 2012, 2013, 2016, 2017). Ein anderer Teil der Forschung untersucht in größer angelegten, quantitativen Studien beispielsweise den Einfluss von religiösen Verlautbarungen, besonders des päpstlichen Schreibens Laudato Si‘, auf öffentliche Meinung (vgl. Zusammenfassung in Jenkins et al. 2018) oder den allgemeinen Zusammenhang zwischen Religiosität und/oder Konfession und Umweltbewusstsein und umweltbewusstem Handeln (z. B. Carlisle und Clark 2017; Chuvieco et al. 2016; Danielsen 2013), mit in der Summe ungewissem Ergebnis und großer Uneinigkeit in der Forschungslandschaft (vgl. Taylor et al. 2016). Dabei bleibt zuweilen auch Komplexität unbeachtet, die selbst bei White (1967) bereits angelegt ist. Mit Whites ‚Vorwurf‘ an die religiöse Tradition des Christentums geht nämlich auch seine Hoffnung einher, dass ökologische Krisen durch Korrekturen der religiösen Doktrin adressiert werden können. Entsprechend stellt er die franziskanische Spiritualität als besonders positiv bezüglich der überlieferten Mensch-Natur-Beziehung in der christlichen Tradition heraus und empfiehlt, Franziskus zum Patron der Zuständigen für Umweltfragen zu ernennen: Since the roots of our trouble are so largely religious, the remedy must also be essentially religious, whether we call it that or not. We must rethink and refeel our nature and destiny. The […] sense of the primitive Franciscans for the spiritual autonomy of all parts of nature may point a direction. I propose Francis as a patron saint for ecologists. (White 1967, S. 54)
Dieser Vorschlag ist ein Hinweis darauf, dass sich religiöse Lehre in verschiedene Richtungen politisch interpretieren und gestalten lässt. White erkennt an, dass religiöse Lehren sogar widersprüchliche Inhalte und Mehrdeutigkeiten enthalten. Da nicht davon auszugehen ist, dass sich alle in ihrer Lesart der Lehre einig sind, ist schon allein deshalb der Zusammenhang zwischen Glaubenszugehörigkeit und Umweltbewusstsein schwer numerisch zu analysieren. Von Vielfalt und Komplexität ist basierend auf der Forschung auszugehen. In der Literatur gibt es schon früh Versuche, verschiedene Varianten von sich
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2 Forschungsstand
empirisch zeigendem religiösem Umweltschutz deskriptiv zu erfassen. Kearns (1996) differenzierte drei ethische Modelle, die christliche Organisationen in den USA am Ende der 1980er bis Beginn der 1990er Jahre annehmen. Das Modell christlichen Behütens („Christian stewardship“) nimmt das biblische Mandat der Schöpfungsgeschichte zum Ausgangspunkt. Der Mensch nimmt eine behütende Rolle ein, wofür auch die Metapher „Gärtner*in“ verwendet wird. Die Ursache des Problems, was adressiert werden soll, liegt dem Modell zufolge in Ungehorsam Gottes Willens gegenüber. Das Modell der Umweltgerechtigkeit geht hingegen vom Problem der Ungleichheit und ungerechter ökonomischen Strukturen aus. Die entsprechende ‚gute‘ Mensch-Natur-Beziehung ist durch eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen zur Verbesserung von Lebenssituationen von Menschen geprägt. Schließlich wählt das Modell der Schöpfungsspiritualität den Startpunkt der kosmologischen Physik, wobei Menschen ihren angemessenen Platz im Kosmos finden sollen. Als Problemursache wird die Trennung und Entfremdung von Mensch und Natur und Anthropozentrismus ausgemacht. Entsprechend liegt innerhalb dieses Modells die angemessene Antwort auf das Problem in einer Korrektur von Weltsichten und Spiritualität, während das Modell der Umweltgerechtigkeit korrekte Regulierung durch Regierungen und Basisaktivismus, das Modell des Behütens die korrekte biblisch geleitete Doktrin als Antwort ausmacht. Diese Systematik unterschiedlicher ‚Arten‘ christlichen Umweltschutzes wird später von weiteren Arbeiten aufgegriffen (vgl. Jenkins 2008). Auch Begrifflichkeiten, die in christlichen Gemeinschaften selbst genutzt werden, ähneln diesen Modellen. Es kann entsprechend Varianz hinsichtlich dessen geben, was religiöser Umweltschutz umfasst. Teilinhalte religiöser Lehre und Ambivalenzen können strategisch von internen politischen Strömungen genutzt werden (vgl. Proctor und Berry 2005). Während Kearns Gruppen und Organisationen untersucht, nutzen auch Individuen interpretative Spielräume der abstrakten Lehre und harmonisieren so ihre Glaubensvorstellungen mit anderen Überzeugungen. Eine Studie zu katholischen Klimawandelskeptiker*innen in den USA erhellt beispielsweise, dass diese manche Formen des Umweltschutzes wie Wasserschutz durchaus unterstützen, während sie Klimawandel-mitigierende Maßnahmen ablehnen (Vincentnathan et al. 2016, S. 142). Obwohl mit Kearns‘ Studie das Forschungsfeld zu Religion und Umweltschutz bereits früh Einblicke in mögliche Diversität von Umweltschutzperspektiven bekommen hat, wurde diese interne Vielfalt von Zielen, Strategien und Praktiken und die damit verbundenen Ambivalenzen, Widersprüche und Konflikte nur selten nähergehend untersucht, besonders hinsichtlich zugrundeliegender mikrosoziologischer Zusammenhänge und deren empirischer und
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theoretischer Konsequenzen. Eine der Ausnahmen stellt Ellingsons Studie (2016) dar. Er zeigt in der detaillierten Untersuchung einer Gruppe von religiösen Umweltaktivisten in den USA auf, wie diese anhand verschiedener Strategien versuchen, in ihren Gemeinschaften ‚grünere‘ Beziehungen zur Natur einzubringen. Die Innovation durch die Aktivisten, so schreibt er, sei begrenzt durch die spezifischen religiösen Settings und Traditionen. Die von ihm untersuchten Akteure antizipierten und begegneten unvereinbaren Erwartungen. Sie waren in ihren taktischen Möglichkeiten begrenzt nicht zuletzt durch ihr Commitment zu bestimmten theologischen Wissensbeständen und durch die Wahrnehmungen des Adressatenkreises, den sie erreichen wollten. Nicht jede aktivistische Anstrengung innerhalb von religiösen Gemeinschaften, so zeigt die Studie, führt zum nennenswerten Erstarken umweltpolitischer Positionen in denselben (Ellingson 2016, S. 7, 143 ff.). Gleichermaßen prominent wie polemisch wird Ellingsons Befund von Taylor als Beweis dafür interpretiert, dass von religiösen Gemeinschaften so schnell keine ‚Rettung der Umwelt‘ zu erwarten ist (Taylor 2017, S. 931). Als weitere Stützen dieser Gegenthese zu Hoffnungen auf religiösen Umweltschutz lassen sich Beispiele von religiösen Gemeinschaften heranziehen, die sich vorwiegend ablehnend gegenüber großen Themen der Umweltbewegungen wie dem menschlich verursachten Klimawandel positionieren, besonders Evangelikale in den USA (Ronan 2017). Taylor argumentiert weitergehend, religiöses Handeln für Umweltschutz bedürfe weder einer der großen religiösen Traditionen noch entsprechender Organisationen, sondern äußere sich in diversen Formen in den scheinbar säkularen Umweltbewegungen (Taylor 2010). Eine solch binäre akademische Debattenstruktur, die sich entlang der Frage nach etwaige Potentialen oder Nicht-Potentialen gesellschaftlicher Transformation durch traditionell-religiöse Gemeinschaften organisiert, erschwert jedoch den genaueren Blick auf konkrete Formen und Mechanismen, Konflikte und Ambiguitäten, wie sie Ellingson herausarbeitet. Ellingsons Arbeit kann auch als Plädoyer gelesen werden, religiösen Umweltschutz in seiner Komplexität innerhalb von religiösen Gemeinschaften ernster zu nehmen als bisher geschehen. Das Forschungsfeld steht vor der Herausforderung, die beschriebene Vielfalt einerseits abzubilden und andererseits theoretisch und praktisch zu bewältigen. Auch daran mag es liegen, dass es inzwischen viele empirische Studien aus der Ethnologie sowie den Religions- und Sozialwissenschaften gibt, welche konfessionelle und lokale Besonderheiten aktivistischer Initiativen aufzeigen, gleichzeitig der Zusammenhang zwischen global formulierten Zielen der Religionsgemeinschaften, den verschiedenen Kontexten und der jeweiligen Handlungspraxis religiöser Akteure nachwievor kaum untersucht wurde. Die
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zugrundeliegenden sozialen Prozesse beim Aufkommen und der Gestaltung von Umweltschutzinitiativen in Religionsgemeinschaften werden selten untersucht. Aufgrund mangelnder explorativ-qualitativer Untersuchungen, welche die Diversität von Formen religiösen Umweltschutzes und die Dynamiken innerhalb von Gemeinschaften über Leuchtturmprojekte hinaus erhellen, bleiben gleichzeitig die quantitativen Ansätze vor der nahezu unlösbaren Herausforderung, Wirkung zu ermitteln, bevor bekannt ist, an welchen Stellen aufgrund welcher möglicher Mechanismen nach welcher Art von Wirkung gesucht werden kann oder sollte. Eine kultursoziologische Analyse von Umweltschutzzielen innerhalb von religiösen Gemeinschaften beziehungsweise von deren lokaler ‚Anwendung‘ durch unterschiedliche Gemeinschaftsmitglieder kann diese Lücke adressieren, wie ich im Folgenden ausführen werde.
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung Übersetzungen von globalen Zielen in verschiedene Kontexte sind für die Beteiligten komplexe Aufgaben. Das zeigt die vielfältige Forschung zur lokalen Anwendung globaler Modelle sowie die damit verwandten Studien zu Institutionalisierungsprozessen. Die folgenden Absätze diskutieren Literatur, die Anknüpfungspunkte für eine wissenssoziologische Fundierung der Glokalisierung liefert, wie sie im nächsten Kapitel konkretisiert wird. Die organisationale Institutionenforschung bietet verschiedene Konzepte für die Übersetzungsarbeit an, die Akteure im Zuge von Glokalisierung leisten. Wie ich zeigen werde, können diese Konzepte jedoch mikrosoziologisch besonders mit Blick auf die Sinnzuschreibungsprozesse verschiedenster Beteiligter in der Spannung zwischen kulturellen Selbstverständlichkeiten und individueller Handlungsfähigkeit ausgebaut werden. Die Erkenntnisse der organisationalen Institutionenforschung sind nicht zuletzt deshalb relevant für diese Untersuchung, da Ordensgemeinschaften sich in entscheidendem Maße dadurch auszeichnen, sich über Jahrhunderte selbst auch als Organisation entworfen und entsprechende spezialisierte Sinnstrukturen aufgebaut zu haben wie beispielsweise klar definierte Eintritts- und Austrittsregeln und bürokratische Verwaltung. Darüber hinaus existieren diverse Untersuchungen zur Heterogenität innerorganisationaler oder lokaler Perspektiven und damit verbundener Harmonisierungsarbeit der Beteiligten. Sie wenden sich ähnlichen Problemfeldern zu wie diese Untersuchung. Innerhalb der Soziologie(n) der Bewertung heben einige Studien die Heterogenität von Wissen und Bewertungsmaßstäben in
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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Gesellschaften, Gemeinschaften und Organisationen hervor und zweifeln damit die Notwenigkeit eines gemeinsamen Blickes in Gemeinschaften an, während sich andere gerade mit der Einebnung von Unterschieden anhand standardisierter Mess- und Bewertungsverfahren befassen.5 In beiden skizzierten Literatursträngen – der organisationalen Institutionenforschung und der Soziologie der Bewertung – werden auch empirische Fälle aus den Bereichen transnationaler Unternehmen(sführung) und normativer Zielsetzungen wie des Umweltschutzes untersucht. Insbesondere die von der Betriebswirtschaft dominierte Literatur zur Komplexität transnational agierender Unternehmen und zu Fragen der Umsetzung einer Corporate Social Responsibility (CSR) in Unternehmen wird hier aufgegriffen. So wird auch deutlich, dass es eine große Schnittstelle der Perspektiven der Glokalisierung und Diffusion von grenzüberschreitenden Modellen einerseits mit der Problematisierung von Bewertungspraktiken wie CSR-Aktivitäten als sozialem Prozess andererseits gibt. Auch Unternehmen agieren nicht nur basierend auf ‚einer Perspektive‘, sondern müssen unterschiedliche Perspektiven wie verschiedenes lokales oder professionelles Wissen und verschiedene Bewertungsmaßstäbe harmonisieren.
2.2.1 Glokalisierung in transnationalen Gemeinschaften Spätestens im Laufe der 1980er Jahre entwickelten Sozialwissenschaftler*innen ein starkes Interesse an Nationalgrenzen überschreitenden sozialen Phänomenen und an den sozialen Konsequenzen der wahrgenommenen Entwicklung einer wirtschaftlichen, kulturellen und politischen ‚Verdichtung‘ der Welt.6 Aus unterschiedlichen Perspektiven bemüht die gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit zu erfassen, etablierten sich in der Forschung zu Globalisierung dichotome Kategorien wie das Globale und das Lokale. Stellvertretend kann eine prominente Debatte um die Fastfood-Kette McDonalds ein damit verwandtes Problemfeld verdeutlichen, welches bereits die frühe Forschung zu Globalisierungsprozessen
5Die
Ansätze der institutionellen Logiken, der Soziologie der Konventionen und der Heterarchie einschließend, zeigen Ereignisse wie die Gründung der Zeitschrift Valuation die Bemühungen, die verschiedenen Arbeiten zu einem integrierteren Forschungszweig zu entwickeln. 6Als Beispiel für eine Kritik an dieser Metapher siehe Engeström, Puonti und Seppänen (2003).
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beschäftigte: die lokale Differenz in der globalen Ähnlichkeit. Auf der einen Seite wurde die von den USA ausgehende weltweite Verbreitung des Konzeptes ‚Fastfood‘ und der damit verbundenen Institutionen (und vermeintlichen negativen Konsequenzen für das soziale Zusammenleben) beobachtet (Ritzer 1983). Auf der anderen Seite zeigte insbesondere die vergleichende Studie von Watson (2003 [1997]) auf, dass in verschiedenen Regionen der Welt Menschen ähnlich Erscheinendes wie die Fastfood-Kette unterschiedlich interpretierten und nutzten – beispielsweise als Café für Schüler*innen. Nicht nur wurden McDonaldsFilialen in unterschiedlichen Ländern in Ostasien verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, sondern auch das Unternehmen selbst nahm Anpassungen vor Ort vor. Über die Zeit hinweg ‚entwickelten‘ sich weitere Varianzen – darunter beispielsweise die Mimik der Verkäufer*innen, welche in Hong Kong, Taiwan oder Korea weniger ausgeprägt zu lächeln schienen als in den USA (Watson 2003 [1997], S. 146). Wenn auch alle Filialen das gleiche Logo tragen, gleichen sie sich folglich keinesfalls so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheint. So wie Watson positionieren sich auch weitere Arbeiten gegen einen Dualismus zwischen globalen, hegemonialen Kräften wie dem amerikanischen Unternehmen McDonalds einerseits und lokalen, machtlosen Rezipienten andererseits. Roland Robertson und andere wendeten sich dabei anfangs besonders gegen eine Modernisierungstheorie, wie sie in Rostows Stadien der wirtschaftlichen Entwicklung ausgedrückt wird. Rostow zufolge bewegten sich alle Gesellschaften entlang eines Pfades der Entwicklung, wobei jedes Stadium eine neue ‚Reifestufe‘ darstelle (Robertson und Chirico 1985, S. 236 f.; Ritzer 2003, S. 194; Rostow 1959). Die Forschung zeigte auch, dass lokale Gemeinschaften wie auch transnationale Bewegungen Widerstand gegen globale Trends und Zwänge hervorbringen und organisieren können (vgl. z. B. Keck und Sikkink 1999). Auch die analytische Unterscheidung der Kategorien des Globalen und des Lokalen führte zu Problemen. Robertson wies mit dem Begriff der Glokalisierung daraufhin, dass sowohl das Globale als auch das Lokale sich gegenseitig bedingen, herstellen und ineinander verstränkt sind. Weder lässt sich das Lokale vom Globalen noch das Globale vom Lokalen trennen. Angenommen wird eine Verschachtelung lokaler und globaler Ebenen mit dem Ergebnis der Vielfalt lokaler Spielarten eines globalen Phänomens (vgl. z. B. Drori et al. 2014b, S. 4 f.; Robertson 2003 [1994]; Robertson und White 2003 [1994]). Wie beispielsweise kann eine globale Vorstellung von McDonalds existieren ohne zumindest die Idee eines lokalisierten Restaurantbesuchs? Alle Entscheidungen der höchsten Unternehmensmanagement-Ebene werden ebenfalls an definierten Orten vor dem Hintergrund eines begrenzten Wissens getroffen und sind informiert durch die realen lokalisierten Erfahrungen der Beteiligten.
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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Gleichzeitig ist der lokalen Erfahrung in einer Filiale die Erwartung ortsunabhängiger (‚globaler‘) Leistungen der Kette eingeschrieben – zum Beispiel, dass dort Hamburger im Papier und Cola im großen Pappbecher gekauft werden können. Ein Blick auf die heutige Forschung zeigt, dass nach wie vor vielseitige Forschungsgegenstände als global oder lokal beschrieben werden. Das Agieren von und die Koordination zwischen verschiedenen großen, transnational agierenden Unternehmen wird ebenso als ‚global‘ bezeichnet wie Regulation durch internationale oder transnationale Organisationen oder wie bestimmte kulturelle Modelle, die sich an verschiedenen Orten der Welt wiederfinden. Mit dem Attribut ‚lokal‘ werden mitunter nach wie vor indigene Gemeinschaften, kulturelle Homogenität und subversive ‚Untergebene‘ assoziiert. In der Soziologie und besonders innerhalb der Institutionenforschung beschäftigt viele Forschungsarbeiten die ‚globale‘ Entstehung von Institutionen wie Standards und anderen regulativen Formen, deren Verbreitung sowie deren ‚lokale‘ Implementierung (vgl. z. B. Hoffman und Ventresca 2002, S. 4 f.). Dass die Verwendung der Begriffe ‚global‘ und ‚lokal‘ vor dem Hintergrund der angenommenen gegenseitigen Konstitution problematisiert, aber sprachlich kaum aufgelöst wird, zeigen diverse Anführungszeichen oder andere kommentierende Stilmittel, etwa bei Drori, Hollerer und Walgenbach (2014b, S. 5): [T]he so-called global is a collage of local practices, behaviors, and tastes, while the so-called local is increasingly constructed within the scripts drafted by global forces. (Hervorhebung durch JG)
Auch die Ethnologin Merry (2006, S. 40, vgl. auch S. 39) stellt fest, dass sich das Globale und das Lokale entgegen aller Kritik in der Forschung als hartnäckige Kategorien halten. Despite considerable critique of the use of the terms global and local and numerous studies that show that things we call “global” are often circulating locals, these terms have a recalcitrant tendency to shape discussions of transnational phenomenon.
Möglicherweise verweist dieser Umstand nicht zuletzt darauf, dass mit dem Begriff der Glokalisierung allein die vielseitigen Dynamiken komplexer Realitäten nicht gebändigt werden können, bei denen sich Akteure mit Wissen zu unterschiedlichen sozialen Welten an einem Ort begegnen und Ideen schaffen, verwenden und verändern. Die neue soziale Beschaffenheit der Ideen kann dabei
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2 Forschungsstand
ein Konglomerat verschiedenster fluider Wissensbestände aus all diesen sozialen Welten sein. Während diverse Studien die Überwindung von Nationalgrenzen problematisieren (Casper und Hanckj 1999; Gond und Boxenbaum 2013), zeigt die Forschung auch, dass soziale Welten und geteilte Wissensbestände nicht zwangsläufig durch bestimmte Territorien begrenzt sind. Forschungseinheiten der Sozialwissenschaften können nicht allein anhand von Nationalgrenzen markiert werden. Menschen sind potentiell mobil, sodass transnationale Erfahrungen „zu einem wesentlichen Teil ihres Lebens“ (Kreutzer und Roth 2007, S. 7) werden können. Die notwendige Entkopplung von territorial definierten, einzelnen Orten und sozialen und kulturellen Einheiten leisten beispielsweise konzeptionelle und empirische Arbeiten zu transnationalen Gemeinschaften (Djelic und Quack 2010). Das Konzept transnationaler Gemeinschaften benennt Akteure und betont, dass Gemeinschaften kognitiv konstituiert sind: Mitglieder haben eine gegenseitige Vorstellung, dazu zu gehören und mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaften eine Identität oder ein Vorhaben zu teilen. Gemeinschaften als soziale und kulturelle Konstruktionen sind dynamisch wandelbar und können ohne direkte Interaktion der Mitglieder und definierte Territorien bestehen (Djelic und Quack 2010; Anderson [1983] 2006). So zeigen Studien zu Professionen und Expertengemeinschaften, wie sich transnationales Wissen im Kontext von Globalisierung in grenzüberschreitenden Prozessen kulturell und sozio-politisch formiert und neue transnationale soziale Räume geschaffen werden (z. B. Faulconbridge und Muzio 2012; Dobusch und Quack 2010). Arbeiten wie die von Dobusch und Quack (2013) verweisen nicht zuletzt darauf, dass im Kontext komplexer internationaler Regulierung auch scheinbar schwächere Akteure erfolgreich sein können, zum Beispiel durch transnationale Koalitionsbildungen. Religiöse Gemeinschaften sind häufig auch transnationale Gemeinschaften. Die katholische Kirche umfasst eine der ältesten und größten dieser Gemeinschaften der Welt. Einst zusammengesetzt aus vielen verstreuten, lose verfassten Gemeinschaften, hat sich heute darum eine starke und tatsächlich weltumspannende Organisation herausgebildet (Ferrari 2006; Rudolph und Piscatori 1997; Anderson [1983] 2006). Die religionssoziologische Forschung ist deshalb immer wieder mit der Herausforderung konfrontiert, Zusammenhängen nachzugehen, die sich in vielfältigen Arenen verorten lassen und die Nationalgrenzen überschreiten (vgl. Hüwelmeier 2006; Levitt 2001; Wuthnow 2009). So untersuchen Lövheim (2007) und Hjarvard (2011) mögliche Gemeinschaftsbildung durch Onlinekommunikation. Brenner (1996) argumentiert, dass die Entscheidung junger Muslima auf Java, ein Kopftuch zu tragen, vor dem Hintergrund
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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einer sich global konstituierenden Bewegung des Islam verstanden werden muss. Giordan und ZrinŠČak (2018) zeigen die Varianz von Rezeptionen päpstlicher Verlautbarungen in verschiedenen Kontexten auf. Zu Themen wie Migration, Flucht und Menschenrechten werden die Aussagen in den Kirchen Kroatiens und Italiens völlig unterschiedlich interpretiert. Der Titel des Aufsatzes fasst das Urteil der Verfasser mit „ein Papst, zwei Kirchen“ zusammen. Die Beispiele zeigen, dass das Wechselspiel zwischen globalen Sinnzusammenhängen einerseits und – notwendigerweise – lokaler Praxis als ein Kernproblem religiöser Gemeinschaften und ihrer Erforschung bezeichnet werden kann. Wenn von Glokalisierung gesprochen wird, sind meist lokale Anpassungen gemeint, welche religiöse Modelle mit anderen lokalen Wissensbeständen und Praktiken harmonisieren: These processes [such as glocalization] register the ability of religion to mold into the fabric of different communities in ways that connect it intimately with communal and local relations. Religion sheds its universal uniformity in favor of blending with locality. […] The broader point here is that practices depicted as ‘traditional’ (such as the Muslim veil) are frequently innovations that transform past practices into contemporary cultural forms to express a felt incongruity with what is perceived to be a threat to identities and traditions. (Roudometof 2018, S. 3)
In dieser Perspektive ist Religion veränderlich und kontextabhängig. Weniger wichtig als ein global formuliertes Ziel ist die Rekontextualisierung, die lokale Ausgestaltung, welche dieses erfährt. Aus der Perspektive der gelebten Religion betrachtet bedeutet dies auch ein Infragestellen vorheriger Hierarchien in der Disziplin, welche besonders die großen, organisierten Glaubensgemeinschaften würdigte (Neitz 2012, S. 52), und üblicher Oppositionen wie heilig und profan, religiös und nicht-religiös (vgl. auch Schützeichel 2018, S. 97). Der Ansatz betont die Bedeutung mikrosoziologischer Prozesse: [Researchers] looked for the ways that particular people in particular places interpreted their worlds and found religious meaning, expressed in particular practices [… showing that] the same religious tradition can look different in different places. (Neitz 2011:51)
Betont wird die Spezifität und Differenz religiöser Praxis. Ob und wie Religion nichtsdestotrotz (auch) grenzüberschreitend integrativ wirkt und Ähnlichkeit hervorrufen kann und inwieweit Institutionen religiöser Traditionen im Prozess der Bedeutungsproduktion relevant sind, steht nicht im Fokus.
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2 Forschungsstand
Die organisationale Institutionenforschung befasst sich seit mehreren Jahrzehnten intensiv mit der lokalen Anwendung globaler Modelle und der Spannung zwischen Struktur und Handlungsfähigkeit. Der von Neitz beschriebene Prozess der Rekontextualisierung, bei dem Abstraktes und Konkretes in spezifischen Situationen harmonisiert und in Praxis übersetzt wird, wird mikrosoziologisch bisher hingegen wenig untersucht, wie ich im Folgenden zeigen werde.
2.2.2 Glokalisierung aus der Perspektive der organisationalen Institutionenforschung Im vorherigen Abschnitt widmete ich mich dem Grundproblem der ‚Glokalisierung‘ in transnationalen Gemeinschaften. Dieser Abschnitt wendet sich nun soziologischer Forschung zu Institutionen und der damit verwandten Organisations- und Managementforschung zu, welche die Entstehung, den Wandel und das Verschwinden von Institutionen weltweit untersucht.7 Die hier behandelten Arbeiten zu Institutionen sind genau deshalb für mein Anliegen interessant, da globale Ziele wie die von mir untersuchten Umweltschutzziele in verschriftlichter und abstrakter Form kommunizieren, „welches Handeln angemessen ist“ (vgl. Maurer 2008, S. 77). Dabei bewegen sich die in diesem Textabschnitt vorgestellten Forschungsanliegen der organisationalen Institutionenforschung in einem ähnlichen Spannungsfeld wie dem zuvor vorgestellten: Ihnen liegt in entscheidendem Maße die Beobachtung zugrunde, dass sich weltweit Institutionen (zunehmend) ähneln. Den skandinavischen Institutionalismus zeichnet gleichzeitig aus, die Vielfalt lokalisierter, eingebetteter Praktiken und den Wandel von Institutionen zu betonen. Diverse Metaphern versuchen auszudrücken, dass und wie Ideen Grenzen überwinden, auch wenn der Begriff der Glokalisierung nur von manchen Autor*innen genutzt wird (Czarniawska 2008).
7Allgemeiner
beschäftigen sich Institutionentheorien […] mit der Entstehung, der Funktionsweise und der Reproduktion von Regeln im Sinne sozial verbindlicher Erwartungen. [… D]ie Soziologie beschäftigt sich auf der einen Seite mit der handlungsleitenden Wirkung von Institutionen und der sozialen Konstitution von Individuen und auf der anderen Seite mit der Ausbildung und der handlungsleitenden Wirkung kollektiver Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster und deren Verfestigung […]. (Maurer 2008, S. 70) Sozialwissenschaftliche Institutionentheorien lassen sich unterschiedlich gruppieren und kategorisieren (vgl. z. B. Hall und Taylor 1996; Hay und Wincott 1998).
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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Ich stelle erst knapp einige Ansätze vor, die das Aufkommen oder Bestehen von Institutionen in Organisationen feststellen und teilweise mit – im klassischen Sinne – ‚strukturellen‘ Aspekten in deren Umgebung erklären. Der Schwerpunkt der Analysen liegt auf globalen Ähnlichkeiten. Im Anschluss fokussiere ich solche Ansätze, die mit Blick auf mikro- und mesosoziologische Prozesse fragen, wie in und zwischen organisierten Gemeinschaften Institutionen gebildet werden. Dabei steht die Beobachtung lokaler Varianz aufgrund von Handlungen (agency) im Vordergrund. Vereinbar mit dem zentralen Anliegen der zuvor vorgestellten Globalisierungsforschung, Theorien linearer gesellschaftlicher Entwicklung zu widersprechen, unterscheiden sich alle hier vorgestellten Ansätze von einer modernistischen Perspektive, der zufolge Wandel als die progressive, effiziente Reaktion jeweils für sich stehender Einheiten auf externe Faktoren zu verstehen ist (vgl. Djelic 2008, S. 538). Gegen die modernistische Perspektive auf Isomorphismus gewandt, dass institutionelle Ähnlichkeit über verschiedene Grenzen hinweg durch rationale, kontextunabhängige Entscheidungen entsteht, betonen ‚diffusionistische‘ Ansätze, dass unterschiedliche Mechanismen zu Ähnlichkeit führen können und Organisationen auch in nicht-funktionalistischen und nicht-rationalen Beziehungen zu ihrer Umgebung stehen. In einer der zentralsten Texte des Neoinstitutionalismus nennen die Autoren als treibende Mechanismen Zwang, Nachahmung und Normen (Powell und DiMaggio 1991). Andere identifizierte Mechanismen der Verbreitung sind Lernen und Wettbewerb (vgl. z. B. Simmons et al. 2006). Der neoinstitutionalistische Ansatz sticht für mein Forschungsanliegen theoretisch heraus, da Institutionalisierungsprozesse mit gesellschaftlichen normativen Sinnstrukturen in Verbindung gebracht werden. Entgegen der Annahme rationaler Entscheidungen zu effizienter Zielerreichung sind dem Neoinstitutionalismus zufolge (organisationale) Entscheidungen darauf ausgerichtet, die Legitimität der Organisation oder einer Praktik zu erhöhen oder zu wahren. Viele der auf dem Neoinstitutionalismus beruhenden Arbeiten wählen jedoch eine makrosoziologische Perspektive auf das Problem der globalen Ähnlichkeiten, da sie sich weniger mit einzelnen Organisationen, Gruppen oder Personen auseinandersetzten als mit übergreifenden Entwicklungen in und von ‚Umwelten‘, von organisationalen Feldern, von Professionen, Gesellschaften oder Regimen (Meyer et al. 1997; Meyer und Rowan 1977). In John W. Meyers Weltgesellschaft-Variante des Neoinstitutionalismus wird die Vorstellung rationaler Entscheidungen selbst zum Objekt von Diffusion. Er argumentiert, Formen der Organisation und der Regulierung, die als rational, effizient und effektiv betrachtet würden, gälten heute als legitim und verbreiteten sich daher
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2 Forschungsstand
schneller als solche, die diesen Anschein nicht erweckten wie beispielsweise solche zur Konfliktverminderung (Meyer 1996, S. 249–251). Arbeiten dieser Forschungsrichtung fokussieren die Verbreitung ‚globaler‘ Vorstellungen – beispielsweise von Umweltschutz als moralischer oder rational wissenschaftlicher Forderung –, die sich in der Regulierung auf internationaler und nationaler Ebene widerspiegelt (vgl. z. B. Frank 2002). Sahlin-Andersson und Engwall (2002) beobachten eine transnationale, rapide Verbreitung bestimmter Managementideen; Dahler-Larsen (2005, S. 617) beobachtet eine grenzüberschreitende ‚Evaluationswelle‘ in öffentlichen Verwaltungen und Hansen und Porter (2012, S. 421 f.) argumentieren, Zahlen seien besonders zentral für transnationale Regulierung, da sie präziser, mobiler und stabiler seien als Worte. Gleichzeitig gibt es andere dem Neoinstitutionalismus zugeordnete Ansätze, die in einem Kontrast zu der Art Diffusionsforschung stehen, die der Annahme von Meyers Weltgesellschaft folgt, da sie versuchen, die Varianz zwischen Organisationen oder Regionen mit externen Variablen zu erklären. Campbell (2007) erklärt beispielweise die Verbreitung von CSR-Zielen in Unternehmen anhand von Faktoren primär außerhalb dieser Organisationen. So argumentiert Campbell, dass institutionelle Kontextfaktoren wie die Gestaltung öffentlicher und privater Regulierung, die die Organisation umgebenden Normen zu angemessenem unternehmerischen Handeln und die Existenz von unabhängigen, prüfenden Akteuren wie Nichtregierungsorganisationen einen Einfluss auf unternehmerisches Engagement im Bereich der CSR haben. Bisweilen wird eine ähnlich makrosoziologische Perspektive auch von Arbeiten angenommen, die Glokalisierungsphänomene als Steuerungsproblem untersuchen. Jennings, Zandbergen und Martens (2002) beispielsweise fragen nach der Bedeutung von regionalen Regimen bei der Durchsetzung von Umweltpolitiken („enforcement regimes“) über mehrere Zeitpunkte hinweg. Diverse kontextuelle und organisationale Faktoren, so lassen sich die Ergebnisse zusammenfassen, beeinflussen dabei die Durchsetzung und Compliance. In der Forschung zu Glokalisierung in und durch Unternehmen werden nationalstaatliche Partikularitäten, beispielsweise in Bezug auf Regulierung, nach wie vor häufig als die relevantesten Kontextfaktoren aufgefasst. Damit einhergehend wird davon ausgegangen, dass für multinational agierende Unternehmen die ‚institutionelle Komplexität‘, mit der sie konfrontiert sind, besonders hoch und ihr Umgang damit deshalb für die Forschung besonders interessant ist. Neben verschiedenen nationalen Kontexten bewegen sich solche Unternehmen auch in transnationalen organisationalen Feldern (Marano und Kostova 2016, S. 29; Kostova und Zaheer 1999). Wie ich an einem Beispiel verdeutlichen werde, werden die sozialen Prozesse in Organisationen dabei nicht analysiert.
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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Marano und Kostova (2016) untersuchen, inwiefern bestimmte institutionelle Kräfte multinationale Unternehmen dahingehend beeinflussen, CSR-Aktivitäten in dem Unternehmen aufzunehmen. Sie zeigen, dass manche außerhalb der Unternehmen zu verortenden, institutionellen Kräfte bei unternehmerischen Entscheidungen für oder gegen CSR schwerer ins Gewicht zu fallen scheinen als andere. Von dieser Beobachtung leiten sie Annahmen über das Handeln unternehmerischer Akteure ab. Sie sehen die Komplexität verschiedener institutioneller Erwartungen an die Unternehmen als Grundlage für bewusste Entscheidungen, für Lernen und dafür, externe Kräfte zu evaluieren und zu priorisieren, um auf „kreative“ Weise Legitimität zu erreichen. Sie folgern weiter, komplexe Erwartungen an Unternehmen in transnationalen Zusammenhängen seien Chancen für Unternehmen, „progressiver“ zu werden (Marano und Kostova 2016, S. 48). Diese Annahmen wurden empirisch jedoch nicht überprüft. Meiner Meinung nach birgt ihre Analyse spannende Antworten auf die Frage, welche Kontextfaktoren bei institutioneller Komplexität eher Einfluss auf Entscheidungen von kollektiven Akteuren nehmen als andere – beispielsweise dass Zwänge oder Erwartungen aus Ländern, mit denen Unternehmen Beziehungen durch ausländische Direktinvestitionen pflegen, eher entsprochen wird als bei anderen Handelskontakten mit Nationalstaaten. Sie zeigen auch, dass von Relevanz ist, inwiefern Einstellungen zu CSR über nationale Kontexte hinweg im entsprechenden Feld konsistent sind. Es lässt sich darauf aufbauend für diese Untersuchung vermuten, dass auch wenn Ordensleute ihren Umweltschutzzielen Sinn zuschreiben und darauf aufbauend handeln, kontextuelle Faktoren in den Prozess einfließen und zu lokalen Varianzen führen. Die Autorinnen können allerdings nicht zeigen, wie die ermittelte Differenzierung von externen Zwängen in den Unternehmen entsteht und warum (vgl. jedoch Marano und Kostova 2016, S. 46 f. “we explain why”). Qualifikationen dessen, wie genau CSR und so die ‚kreativen‘ Wege zu Legitimität und Progressivität gestaltet werden, erlaubt das Forschungsdesign ihrer statistischen Analyse von über 700 Unternehmen nicht. Zwar können mit der gewählten abhängigen Variable die Bewertungen des für die Analyse gewählten Ratings für bestimmte Bereiche unterschieden werden, z. B. ob sich ein Unternehmen im Bereich der Menschenrechte oder der Umwelt sozialverantwortlich ausrichtet. Was darunter jeweils verstanden wird und wie diese Interpretationen entstehen, lässt sich jedoch im Rahmen der Analyse nicht untersuchen. Statistisch erklärt wird primär die An- oder Abwesenheit von CSR-Praktiken. Wie Marano und Kostova (2016, S. 49) selbst in ihrem Ausblick für weitere Forschung ausdrücken, erlaubt ihre Analyse keine Einblicke in die mikrosoziologischen Prozesse um die involvierten Entscheidungsträger:
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2 Forschungsstand Our work could be advanced by employing primary data-based methodologies using interviews and surveys […]. Such approaches would allow an in-depth examination of managers’ cognitive processes that ultimately shape MNEs’ interpretation of the social and economic forces in their transnational organizational fields.
Die diskutierte Literatur legt nahe, dass Kontextfaktoren in Glokalisierungsprozessen von Bedeutung sind. Sie lässt aber offen, wie sie genau Teil von konkreten Entscheidungsprozessen werden. Wandert der Blick zurück auf den frühen Neoinstitutionalismus, lässt sich der Ansatz Lynne Zuckers als mikrosoziologische Ausnahme in der Tradition beschreiben. Sie wendet sich in Anlehnung an ethnomethodologische Vorgehensweisen dem Problem der Institutionalisierung zu. Mit einem komplexen experimentellen Aufbau zeigt sie, wie der für das Experiment konstruierte Grad der Institutionalisierung die Wahrnehmung von Individuen beeinflusst. Die Teilnehmerinnen des Experiments konstruieren die Wirklichkeit (im Experiment die Schätzung der Distanz, die ein sich bewegender Lichtstrahl zurücklegt) moderiert durch (falsche) Einschätzungen Dritter. Je stärker das Experiment Institutionalisierung simuliert, desto konsistenter und widerstandsfähiger werden diese Konstruktionen in Reihen von Interaktionen reproduziert (Zucker 1977). Wie Bonazzi schreibt, besteht ein besonderer Beitrag Zuckers darin, „die Notwendigkeit [zu] unterstreich[en], Organisationsanalysen ausgehend vom Standpunkt der Akteure durchzuführen“ (2008, S. 372). Um wirklich Einsicht zu gewinnen, wie soziale Ordnung im alltäglichen Leben aufrechterhalten und tradiert wird, muss man die Perspektive der Individuen einnehmen und die Umstände, die diskursiven Akte und die Alltagssituationen untersuchen, in denen Regeln wahrgenommen und weitergegeben werden. (Ethnomethodologie bezeichnet in diesem Sinne eine Methode der Beobachtung der gewöhnlichen Menschen.) Diese Beobachtungsweise beruht auf der Annahme, dass es nicht möglich ist, eine Regel unabhängig von der Praxis zu kennen. (Bonazzi 2008, S. 273)
Verschiedene Forschende, darunter solche des skandinavischen Institutionalismus, haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten Fragen nach dem ‚Wie‘ der Diffusion in und zwischen Organisationen und Gemeinschaften angenommen und dabei mikro- und mesosoziologische Prozesse herausgearbeitet. Eine dem frühen Neoinstitutionalismus nahe stehende Antwort verweist auf die Möglichkeit von Organisationen, Erwartungen von außen
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durch Entkopplung von symbolischer Aussage und tatsächlicher Praxis nur scheinbar zu entsprechen (Bromley et al. 2013; Bromley und Powell 2012; Hironaka und Schofer 2002). Wie auch dem frühen Neoinstitutionalismus liegt dem skandinavischen Institutionalismus die Annahme zugrunde, dass organisationales Handeln nicht allein durch ein Streben nach Effizienz begründet ist. Stärker als die Klassiker des Neoinstitutionalismus fokussiert der skandinavische Institutionalismus nicht die soziale Konstitution von Ähnlichkeit und Kontinuität, sondern eine Grundannahme ist lokale Varianz und Wandel aufgrund von Handlungsfähigkeit. Czarniawska und Joerges (1996) knüpfen in ihrem Verständnis von Übersetzung an Überlegungen von Bruno Latour zur Akteur-Netzwerk-Theorie an. Darauf aufbauend kann Glokalisierung verstanden werden als eine Reihe von Übersetzungen an Knotenpunkten in einem Netz. Ideen oder Vorstellungen bewegen sich durch Akteure von einem Knoten zum anderen und werden bei jeder Reise neu und kontingent interpretiert (Czarniawska und Joerges 1996). Konzeptionell treten Akteure in den Vordergrund. [I]t is the people, whether we see them as users or creators, who energize an idea any time they translate it for their own or somebody else’s use. Ideas left in books left on shelves do not travel, and no amount of satiation will help to diffuse ideas from closed libraries. (Czarniawska und Joerges 1996, S 23)
Viele der empirischen Arbeiten, die Übersetzungen auf der Ebene einzelner Akteure untersuchen, betonen allerdings manche Situationen der Übersetzung eher als andere, wie ich weiter unten ausführen werde. Sahlins Ansatz um die Metapher des Editierens kann als Beispiel dafür dienen, dass sich die theoretische Auseinandersetzung mit Übersetzungsprozessen im skandinavischen Institutionalismus in ständiger Spannung zwischen institutioneller Rahmung und Handlungsfähigkeit bewegt, ohne die Beziehung der beiden Aspekte mikrosoziologisch wirklich greifbar zu machen. So zeigt die Diskussion von Sahlin (1996, damals Sahlin-Andersson), wie sie einerseits Akteuren Entscheidungsspielräume zuschreibt, und andererseits Grenzen dieser Spielräume voraussetzt. Wenn Akteure den jeweiligen übersetzten Formen Bedeutungen zuschreiben, sind sie in ihren Möglichkeiten durch institutionelle und kulturelle Einbettung innerhalb von organisationalen Feldern beschränkt. Editieren nennt Sahlin die Übersetzung von bestehenden Modellen in einen spezifischen, neuen Zusammenhang. Akteure editieren einen oder mehrere (vollausgebildete) „Prototypen“ basierend auf den Sinnbezügen in einem organisationalen Feld (Sahlin-Andersson 1996, S. 71, 85). Ausgangspunkt für den Prozess ist für
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2 Forschungsstand
Sahlin in pragmatistischer Façon, dass lokale Akteure Probleme wahrnehmen, die sie durch den Editierprozess zu adressieren versuchen. Davon leitet sie die Frage ab, wie diese Probleme konstruiert werden. Ihre Antwort darauf ist organisational und relational. Akteure vergleichen, so die Annahme nah an den frühen Arbeiten des Neoinstitutionalismus, ‚ihre‘ Organisation mit anderen Organisationen, die sie als ähnlich und erfolgreich wahrnehmen. Akteure konstruieren so beispielsweise Vorstellungen davon, wie oder was ihre Organisation gegenwärtig ist und in der Zukunft werden soll, wobei die Differenz ein zu lösendes Problem darstellt (Sahlin-Andersson 1996, S. 71; Sahlin und Wedlin 2008, S. 223). Momente der Kreativität und des Wandels verortet Sahlin gerade in der Zuschreibung von Bedeutung. Zwar werden die mit den Prototypen verknüpften Konzepte von Beteiligten zumeist so behandelt, als hätten sie kontextunabhängig die gleiche Bedeutung. Da die Terminologien aber mehrdeutig sind, können Akteure bei der Konstruktion von Bedeutung und Identität diese Mehrdeutigkeit kreativ nutzen (Sahlin-Andersson 1996, S. 88 f.). Editieren von Prototypen verändert deren Bedeutung und schließlich auch die Identität der Editoren. Die organisationale Identität selbst ist schließlich durch die Anwendung und das Editieren von Ideen zwar wandelbar, aber gleichzeitig insofern beständig, da Identitätskonstruktionen in gesellschaftlichen Normen verhaftet sind, die oft als selbstverständlich erachtet und nicht reflektiert werden (Sahlin-Andersson 1996, S. 72 f.). Darüber hinaus folgt die Überarbeitung von Prototypen bestimmten Überarbeitungsregeln, die oft implizit und nicht reflektiert sind. Die entsprechende „Infrastruktur“ (Konzepte, Referenzen und Rahmen), welche die mögliche Kreativität im Editierungsprozess begrenzt, unterscheidet sich in verschiedenen organisationalen Kontexten (Sahlin und Wedlin 2008, S. 225; Sahlin-Andersson 1996). So würden besonders solche Modelle aufgegriffen, die Aufmerksamkeit erregten, neu und besonders wirkten aber nicht zu sehr von Bestehendem abwichen. Sahlin stellt weiter fest, dass der Plot der Erzählungen einer rationalistischen Logik folge, die Modelle wie Rezepte vermittelt würden. Sie sollten als ernsthaft und wahr legitimiert werden (Sahlin-Andersson 1996).8 Einige der Teilprozesse, die Sahlin aufgreift, finden sich mit Bezug auf Glokalisierung in systematischerer Weise bei Drori, Hollerer und Walgenbach
8Weitere ‚Regeln‘, die Sahlin identifiziert, sind: Die anfängliche Interpretation der Übersetzung erfolge von und durch ‚Helden‘ der jeweiligen Geschichten, die gegebenenfalls dramatisierten und stilistisch bestimmte Ereignisse oder humorvolle Aspekte hervorhöben. Legitimierungen könnten auch durch Erzählung durch Außenstehende erfolgen, die generalisierten und Erklärungen (z. B. von Erfolg) bereitstellten.
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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(2014b). So argumentiert schon Sahlin jedes Mal, wenn eine Übersetzung erfolge, werde das Material dekontextualisiert und anschließend im neuen Zusammenhang rekontextualisiert. Fast fünfzehn Jahre später fassen Drori, Hollerer und Walgenbach (2014b, S. 10) ein vier-Phasen-Modell zusammen: Durch Abstraktion beziehungsweise Theoretisierung werden Ideen ‚typisiert‘; darauf aufbauend wird Äquivalenz über Grenzen hinweg konstruiert; die typisierte Idee wird in Übersetzungen lokal rekontextualisiert und schließlich durch ‚Abprallen‘ (rebound) in Theorie zurückgeführt. Der Konzeption Sahlins folgend bewegen sich Akteure bei der Bedeutungsproduktion in einem kulturell abgesteckten Raum aus Selbstverständlichkeiten und ‚Regeln‘. Den Eindruck von Legitimität (im Sinne von ernsthaft und wahr) und Rationalität zu erwecken, sind die ‚Meta-Motive‘ für Handlungen. Wie kulturelle und institutionelle Grenzen in den Übersetzungsprozess einfließen und gleichzeitig mit dem Prozess neu hergestellt werden, wird folglich primär mit der Grundannahme von ‚Selbstverständlichkeiten‘ beantwortet. Wenn jedoch gleichzeitig die kulturellen und institutionellen Zusammenhänge vielseitig, vielschichtig und vieldeutig sind, wie dies in transnationalen Zusammenhängen vermutet werden kann, erscheint es schwierig, ein Problem, wie es sich in meinem Forschungsvorhaben stellt, allein mit kultureller Selbstverständlichkeit aufzulösen. Die Frage, wie Akteure Sinn zuschreiben und wie Bedeutungen in Interaktionen implizit oder explizit ausgehandelt und/oder harmonisiert werden, ist noch nicht beantwortet, da die ‚Begrenzung‘ der Handlungsfähigkeit durch Selbstverständlichkeiten und ‚Regeln‘ als etwas betrachtet wird, was außerhalb von Akteuren, ihren Sichtweisen und ihren Entscheidungen verortet werden kann. Dieser Eindruck bleibt auch bestehen, wenn Ansätze einbezogen werden, die die Akteure noch stärker als Sahlin in das Zentrum der Analyse rücken. Bei der Lektüre verschiedener Arbeiten zu institutionellen Übersetzungsprozessen, die weniger kulturelle Selbstverständlichkeit als Handlungsfähigkeit der Akteure fokussieren, fällt auf, dass nicht alle beteiligten Akteure gleichermaßen als Übersetzer behandelt werden, sondern dass diese mit bestimmten Qualitäten ausgestattet sein müssen, um durch einen spezifischen Wissensstand und eine spezifische Position im Feld Wandel hervorzurufen und zwischen unterschiedlichen sozialen Welten zu vermitteln. So fokussieren viele Arbeiten in der aktuellen organisationalen Institutionenforschung solche Akteure, die aufgrund ihrer spezifischen Positionen im Feld oder der Organisation besondere, wahlweise mächtigere Rollen im Prozess der Übersetzung spielen (Battilana 2006; Greenwood und Suddaby 2006; Rao 1998). Radaelli und Sitton-Kent (2016, S. 311) konstatieren: „[R]esearch has focused mostly on
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executive managers or R&D departments“. Andere Arbeiten widmen sich aber auch professionellen Experten (Quack 2007) oder sozialen Bewegungen (Merry 2006; Dobusch und Quack 2013; Malets und Zajak 2014). Die Arbeiten haben jedoch gemein, die glokalisierten Spielarten als Ergebnis politischer und/oder strategischer bewusster Handlungen zu verstehen, wenn auch nicht unbedingt die intendierten Effekte erzielt werden. So lesen sich Arbeiten um das Konzept des institutionellen Entrepreneurs teilweise wie Anleitungen für ‚erfolgreiche‘ Anpassungen und Übersetzungen (Boxenbaum 2005; Gond und Boxenbaum 2013; Markman et al. 2016).9 Menschen treffen, so die Annahme, bezüglich der Strategien der Glokalisierung logisch hergeleitete Entscheidungen: Since, in principle, multiple objects, practices and discourses are available for such recombination, individuals engage in reasoning and make particular choices during their contextualization acts. (Gond und Boxenbaum 2013, S. 709 f.)
Der Fokus liegt auf Wandel und der Kompetenz von bestimmten Akteuren, die als Basis für die Kreativität dient. Entrepreneurs „überwinden“ Übersetzungsprobleme bei der Anpassung, wobei die Autor*innen bestimmte Strategien als Repertoire für Handlungen empirisch herausarbeiten und abstrahieren: Beim Filtern entfernen oder limitieren Akteure ein Element des Prototyps, weil sie antizipieren, dass dieses in dem neuen Kontext die Aufnahme erschweren würde. Des Weiteren können Akteure der übersetzten Praktik einen lokal angepassten, anderen Zweck zuschreiben („repurposing“). Schließlich bedienen sich Akteure der Strategie der Kopplung, wenn sie weitere, im lokalen Kontext wünschenswerte Aspekte einfügen (Gond und Boxenbaum 2013). Auch in der Ethnologie lässt sich mit Merrys Ansatz der „vernacularization“ (2006), also der ‚Verumgangssprachlichung‘, ein ähnliches Konzept finden. Intermediäre Akteure nehmen eine besondere Rolle im Übersetzungsprozess ein: „[They
9Der
teilweise anleitende Charakter des Entrepreneuransatzes und die Betonung von Gestaltungsmöglichkeiten lassen sich unter Umständen erstens als Ergebnis des Fokus auf Unternehmen verstehen, die maßgeblich mit der Vorstellung rationalen Organisierens für klar definierte Ziele – zumeist, aber nicht ausschließlich der Profitmaximierung – operieren (Brunsson 2006). Zweitens liegt auch der Disziplin der Managementforschung an sich die Annahme zugrunde, dass soziale (organisationale) Prozesse gesteuert (bzw. ‚gemanagt‘) werden können. Damit verbunden sind bestimmte Erwartungen, beispielsweise der wissenschaftlichen Zeitschriften, die entsprechende Absätze zu Implikationen für ‚die Praxis‘ erbitten.
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are] knowledge brokers between culturally distinct social worlds“. Stärker als der Entrepreneuransatz betont Merry die Bedeutung von Macht und Wissen der Akteure. Diese Arbeiten setzen die besondere Rolle bestimmter Akteure im Prozess der Glokalisierung voraus und zeigen sie empirisch. Andere Forschungsarbeiten versuchen darüber hinaus zu beantworten, unter welchen Bedingungen, mit welcher sozialen Position, Individuen zu institutionellen Entrepreneurs in organisationalen Feldern werden können (Battilana 2006). Zusammengefasst haben sich in der organisationalen Institutionenforschung Schwerpunkte herauskristallisiert, die eine mikrosoziologische Lücke lassen. Erstens befasst sich die Forschung eher mit solchen Akteuren, die in einer besonderen Position sind im Vergleich zu anderen Beteiligten. Intentional-strategische Übersetzungsvorgänge stehen im Vordergrund. Alltäg liche Situationen sind weniger untersucht worden als außergewöhnliche Ereignisse. Zweitens wird die Möglichkeit, Formen abweichenden Sinn zuzuschreiben, immer wieder betont, im Schwerpunkt interessiert sich die Forschung aber eher dafür, was mit der Institution (beobachtbar) ‚passiert‘ als damit, wie Akteure Bedeutung zuschreiben. Schließlich fehlt es auch an Ansätzen, die die Wissensbestände der Akteure so differenzieren, dass auch das Beständige oder Ähnliche (das „Selbstverständliche“) im Handeln von Akteuren erfasst werden kann. Weiter unten werde ich diese Aspekte genauer ausführen.
2.2.3 Glokalisierung als Harmonisierungsarbeit vielfältiger Perspektiven Bisher habe ich mit Fokus auf den Begriff der Glokalisierung das Problem diskutiert, wie eine Form, die an einem Ort entstanden ist, an verschiedenen anderen angewendet wird. Im folgenden Abschnitt werde ich darauf eingehen, dass auch an einem Ort eine gemeinsame Interpretation durch die Beteiligten nicht selbstverständlich ist. Es wird damit eine Komplikationskomponente genauer diskutiert, die im vorherigen Abschnitt oft impliziert, aber nicht genauer ausgeführt wurde. Verschiedene Interpretationen von theoretisierten Konzepten und Zielen existieren nicht nur wegen einer lokal/globalen oder lokal/lokalen Unterscheidungsachse von Wissensbeständen, sondern auch an einem Ort beispielsweise aufgrund professioneller Differenzierung (vgl. z. B. Bartunek und Spreitzer 2006 und Sarfaty 2012 für professionelle Differenzen in einer ‚globalen‘ Organisation) oder anders begründeten multiplen, koexistierenden Bewertungsmaßstäben (Margolis und Walsh 2003; Stark 2009).
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2 Forschungsstand
In diesem Abschnitt diskutiere ich verschiedene Forschungsarbeiten, die sich der Frage unterschiedlicher Perspektiven auf die Welt widmen. Dabei können Ansätze unterschieden werden, die große, sich gesellschaftlich manifestierende Ordnungen diagnostizieren und solche, die sich eher mit der Konstituierung von Wissen und der Aushandlung von Praktiken in spezifischen sozialen Zusammenhängen beschäftigen. In Bezug auf Überlegungen zu Vielfalt von Perspektiven in gegenwärtigen Gesellschaften lassen sich besonders der Ansatz um ‚institutionelle Logiken‘ und die Soziologie der Konventionen hervorheben. Theoretisch verwurzelt im Neoinstitutionalismus ist der Ansatz institutioneller Logiken bemüht, institutionentheoretisch Wandel zu erfassen. Logiken werden aktuell zumeist definiert als Beschreibungen von Praktiken, Glaubensvorstellungen und Normen, die in Sektoren oder Feldern konstruiert werden. Die Annahme, dass verschiedene dieser Logiken koexistieren können, ist deshalb zentral, da Akteure dem Ansatz zufolge genau dann aktiv Neues schaffen, wenn koexistierende Logiken widersprüchlich oder vieldeutig sind (Thornton und Ocasio 2008). Verschiedene Logiken können so beispielsweise zur Einführung neuer Regeln führen, aber auch zu Konflikten und Kontingenzen bei deren Umsetzung. Während jüngere Arbeiten eher mit einem offenen Ansatz empirisch versuchen, bestehende Logiken in spezifischen Feldern aufzuspüren, nennt der begründende Text fünf Kernsphären westlicher Gesellschaften (in den 1980er-Jahren), die jeweils einer eigenen Logik folgen. Das Christentum beispielsweise sei eine dieser Sphären. Ihm sei inhärent eine Logik absoluter moralischer Prinzipien basierend auf dem Glauben. Der Sphäre des Kapitalismus hingegen liege eine Logik um Akkumulation und die Kommodifizierung von Arbeit zugrunde, während in der staatlichen Logik rationalisiert und reguliert würde (Friedland und Alford 1991, S. 248 f.). Friedland und Alford (1991) nehmen folglich an, dass sich in Gesellschaften zu einem historisch definierten Zeitpunkt bestimmte Logiken identifizieren lassen, die das Zusammenleben in diesen Gesellschaften strukturieren. Andere Autoren, besonders jüngerer Arbeiten, untersuchen eher die feinkörniger ermittelten Logiken bestimmter Sektoren und deren handlungspraktische Implikationen in Organisationen. Im Hinblick auf mein Forschungsanliegen teilt besonders der jüngere Ansatz institutioneller Logiken einige konzeptionelle Schwierigkeiten mit zuvor vorgestellten Ansätzen der organisationalen Institutionenforschung wie den Fokus auf spezifische Antreiber von Wandel sowie auf transformativ intendierte Handlungen und nicht auf alltägliche Bedeutungskonstruktion und damit einhergehend die Grundannahme von Zeiten relativer Passivität in der Konstruktion von Institutionen. Gleichzeitig weist der Ansatz darauf hin, dass in bestimmten
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Situationen durchaus verschiedene und widersprüchliche ‚Logiken‘ von Akteuren gewusst und angewendet werden können. Während sich die Ansätze ontologisch stark unterscheiden, ist die Soziologie der Konventionen besonders dem Aufsatz von Friedland/Alford dahingehend ähnlich, dass auch die Begründer der Soziologie der Konventionen Boltanski/Thévenot (2006) einige unterschiedliche Varianten dessen bestimmen, wie Akteure soziale Handlungen rechtfertigen und bewerten. Die Ansätze unterscheiden sich ontologisch besonders dahingehend, dass der Ansatz institutioneller Logiken in der Variante von Friedland/Alford auf der Annahme beruht, ein kulturelles, symbolisches ‚Material‘ biete alternative Bedeutungen an (vgl. z. B. Friedland und Alford 1991, S. 254). Boltanski/Thevenot fragen spezifischer, wie Einigung in kulturell pluralistischeren Kontexten erreicht werden kann (Boltanski/Thévenot 2006, S. 40). Ihre Überlegungen beginnen mit Individuen, die eine Einigung über die ‚höheren gemeinsamen Prinzipien‘, beziehungsweise: Konventionen, konstruieren. Die Prinzipien schränken die Handlungsfähigkeit ein, weil Akteure ihre Handlungen rechtfertigen müssen. Jenen liegt darüber hinaus eine bestimmte ‚Grammatik‘ zugrunde, zu der es allerdings in der Literatur unterschiedliche Vorschläge gibt (Diaz-Bone 2017). Boltanski/Thévenot (2006) identifizieren sechs Prinzipien: das inspirierte, das häusliche, Ruhm, das zivile, das marktwirtschaftliche und das industrielle. Jedes dieser Prinzipien deckt sich nicht mit einem bestimmten Sektor, sondern formt eine kohärente Idealwelt, auf die potentiell in allen Bereichen sozialen Lebens zurückgegriffen werden kann.10 Wenn beispielsweise ein neues Ziel in einer Gemeinschaft eingeführt wird, könnten von den Mitgliedern unterschiedliche Idealwelten für Bedeutungskonstruktionen und für die Rechtfertigungen von Handlungen herangezogen werden. In der Gemeinschaft können so Ambivalenzen, Verhandlungen und Konflikte über die Bedeutung dieses Ziels entstehen. Umweltschutzziele in religiösen Gemeinschaften beispielsweise könnten gleichermaßen mit Handlungen verknüpft werden, die sich durch die häusliche Welt (geprägt durch Hierarchie, Tradition, Glaube und Autorität) oder durch eine industrielle Welt (einschließlich Formalisierung und standardisierten Bewertungen, Messungen und Optimierungen) rechtfertigen ließen. An die Arbeit von Boltanksi/Thevenot anknüpfend wurde inzwischen die Existenz weiterer Idealwelten vorgeschlagen, darunter die ökologische und die Projekt-basierte (cf.
10Neo-Institutionalist
Friedland nennt es hingegen Blasphemie, wenn Gnade als Prinzip der inspirierten Welt als potentiell in allen Kontexten mögliches Prinzip betrachtet wird (Friedland 2013; cf. Boltanski/Thévenot 2006:86).
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2 Forschungsstand
Boltanski/Thévenot 2006, S. 164–178, 203–211; Blok 2013). Im Rahmen der schwer eingrenzbaren ‚Soziologie der Konventionen‘ sind im Laufe der Jahre diverse empirische Studien entstanden, die sich verschiedenen Ausprägungen und Spielarten von ‚Konventionen‘ zuwenden. Während besonders Friedland bei der Untersuchung christlicher Gemeinschaften im Glauben motivierte Handlungen und Bewertungen erwarten würde (vgl. bes. Friedland 2013), die sich in bedeutender Weise von ‚säkularen‘ unterscheiden, gesteht die Soziologie der Konventionen eine grundsätzliche empirische Offenheit zu bezüglich der Frage, auf welche kohärente Idealwelt religiöse Akteure rechtfertigend Bezug nehmen. In beiden Ansätzen stehen jedoch gesellschaftliche Angebote zur Betrachtung der sozialen Wirklichkeiten beziehungsweise spezifischer Probleme darin im Vordergrund. Weniger geht es um Fragen nach konkreten Erfahrungen der Akteure und deren Zusammenhang mit Prozessen der Bedeutungsproduktion und alltäglicher Praxis. In der Literatur der Wissenschafts- und Technikforschung befassen sich verschiedene Arbeiten mit der Frage, mit welchen ‚Methoden‘ Akteure die Herausforderung von Vielperspektivität bewältigen (bzw. ‚managen‘) können oder konnten. Dabei nehmen die Autor*innen zumeist spezifische Aushandlungsprozesse in den Blick. Wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Glaubwürdigkeit sind maßgeblich durch die sozialen und politischen Kontexte geprägt, in denen sie entstehen (vgl. z. B. auch Jasanoff 2004b). Fujimura (1988, 1992) zeigt in ihrer Studie beispielsweise, wie Wissenschaftler*innen verschiedener Teilbereiche der Biologie sich auf eine gemeinsame Theorie einigen können. Sie kombinieren verschiedene Konzepte, standardisierte Werkzeuge, Theorien und Methoden zu einem integrierenden ‚Paket‘, welches sie aus unterschiedlichen Perspektiven verfolgen und verbreiten. Ein vielzitiertes, wegweisendes Werk für diesen Forschungszweig ist ein Aufsatz von Susan Leigh Star und James R. Griesemer (1989). Exemplarisch werde ich an diesem Aufsatz aufzeigen, welches Problem dem zugrundeliegenden Ansatz von sozialen Welten folgend bei der Untersuchung transnationaler und komplexer Gemeinschaften entsteht. Soziale Welten, in diesem Aufsatz identifiziert durch unterschiedliche Rollen, Interessen und Visionen, bilden sich um ein zu organisierendes Projekt. Bei Star/Griesemer ist das das Museum of Vertebrate Zoology der University of California. Mit Blick auf die frühen Jahre des Museums fokussiert die Studie in der empirischen Analyse besonders zwei leitende Figuren, welche die Arbeit an etwas Gemeinsamen erstens durch die Standardisierung von Methoden sowie zweitens durch die ‚brilliante‘ Generierung von Grenzobjekten erreichen (Star und Griesemer 1989, S. 409). Grenzobjekte sind gleichermaßen koordinierende wie harmonisierende
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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Erfindungen, denen unterschiedliche Interessengruppen verschiedene Bedeutung zuschreiben können. Star/Griesemer leiten die Bedeutung des Museums für die Akteure aus Datenmaterial empirisch her. Die Perspektive auf das Museum wird dann geknüpft an die Rolle, die sie im Prozess einnehmen, und die damit verbundenen Interessen. Dabei fällt die Grundannahme auf, dass die meisten Menschen laut den Autor*innen nur einer sozialen Welt angehören. Diese Annahme wird zwar eher am Rande der Diskussion zur Illustration der Bedeutung von Grenzobjekten angeführt, sie ist aber bedeutend für die Argumentation der ganzen Studie. Als Kontrast wählen Star/Griesemer das Konzept des von sozialen Zwängen ‚befreiten‘ „marginal man“ von Robert E. Park, also einem Menschen, welchem durch das Leben in zwei kulturellen Gruppen eine besondere Fähigkeit zur Distanzierung und deshalb große Bedeutung bei der Schaffung von Neuem zukommt (Park 1928).11 Wie ich basierend auf der deutschen Wissenssoziologie und dem amerikanischen Pragmatismus genauer diskutieren werde, lässt sich jedoch jede Person als „marginal“ beziehungsweise als Mitglied verschiedener sozialer Gruppen verstehen. Allen Beteiligten wäre dann hypothetisch auch die Fähigkeit der Distanzierung und des Reflektierens von manchen Aspekten einer sozialen Welt zuzugestehen. In Bezug auf die Verwirklichung des Projektes ‚Museum‘ illustriert heißt das: Eine Verwaltungsrepräsentantin der University of California, die in einem anderen Zusammenhang auch die Last zu genauer Dokumentation erlebt hat, könnte in der Lage sein, die Argumente und Sichtweisen der nicht der Verwaltung angehörenden Beteiligten mit den Ihrigen in einen Zusammenhang zu bringen. Sie könnte in ihrem Alltag deshalb bestimmte Kompromisse zwischen der Welt der Verwaltung und der Welt der Sammler umsetzen, ohne dass es in der Analyse der Autor*innen aufgefallen sein müsste. Die Trennung sozialer Wirklichkeitskonstruktionen entsprechend von Teildisziplinen eines Faches (Fujimura 1992) oder nach Funktionen in einem Projekt (Star und Griesemer 1989) erscheint in beiden Fällen in Bezug auf das jeweils behandelte Problem empirisch eingängig. Solche klaren Grenzen von Untergruppen basierend auf ‚Interessen‘ und Profession forschungstheoretisch vorauszusetzen, ist mit Blick auf Gemeinschaften wie katholische Orden, die ein alltagsbezogenes Ziel übersetzen, schwieriger. Dies wird schon allein dadurch deutlich, dass Ordensleute im Laufe der Zeit im Orden unterschiedliche Rollen zugeschrieben bekommen und in unterschiedlichen
11Hier
fällt die Ähnlichkeit zum Konzept des Entrepreneurs auf.
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2 Forschungsstand
Gemeinschaften leben. Zweitens sind auch die Bereiche des Lebens, die mit dem Ziel verknüpft werden könnten, breit gefächert. Welche Wissensbestände genau bei der Zuschreibung von Bedeutung zu dem Umweltschutzziel von Relevanz sind, in welchen Situationen Harmonisierung zwischen welchen Welten vonnöten ist und wie vor dem Hintergrund dieser Unterfragen mit dem Problem forschungspraktisch umgegangen werden kann, sind offene Fragen. Zugespitzt formuliert: Es ist eine offene Frage, zwischen welchen Welten ein Grenzobjekt oder ein ‚Paket‘ vermitteln müsste, in Bezug auf welche Lebensbereiche und Situationen Probleme überhaupt entstehen und wer gegebenenfalls in solchen Situationen in vermittelnden Positionen sein könnte. Gleichzeitig lässt sich aus dem Ansatz der Wissenschafts- und Technikforschung jedoch für meine Fragestellung Entscheidendes ableiten: Erstens zeigen die Arbeiten, dass die Konstitution gemeinsamer Wissensbestände auch lokal – unabhängig von der Komplexitätsdimension global/lokaler Übersetzungen – im Kontext unterschiedlicher sozialer Welten aktiver Harmonisierungsarbeit bedarf. Darüber hinaus weist der Ansatz darauf hin, dass durch gemeinsame Symbole und Praktiken unterschiedliche Welten anschlussfähig gemacht werden können, ohne dass Akteure ihre Welten umfassender transformieren. Diese Anschlussfähigkeit ermöglicht ein gemeinsames Handeln bei gleichzeitiger Differenz. Es bleibt zu überprüfen, ob die identifizierten ‚brillianten‘ Kniffe (vgl. Star und Griesemer 1989, S. 409) bezogen auf große Themen in transnationalen, vielfach komplexen Gemeinschaften ebenfalls angewendet werden, wenn alle Beteiligten Übersetzer eines gemeinsamen Ziels sind und vielfältige Erfahrungen potentiell für die Zielinterpretation relevant sind, sodass alle Beteiligten marginal im Park’schen Sinne sind. Studien basierend auf der Wissenschafts- und Technikforschung zeigen darüber hinaus, dass gemeinsame Werte und Normen auch dazu führen können, dass vielfältige Perspektiven harmonisiert werden können, ohne aufgelöst zu sein. Montana (2017) legt dar, wie die Normen der Transparenz und der Partizipation beziehungsweise der Wunsch nach Vielfalt der Perspektiven („achieving diversity“) die Arbeit einer Expertengemeinschaft in der internationalen Umweltgovernance beeinflussen. Seine Analyse der Verhandlungen des Weltrats für Biologische Vielfalt der Vereinten Nationen zeigt, dass in diesem Kontext durch eine Einigung auf entsprechende Formate (hier: Typologien) Äquivalenz auch unter Beibehaltung von klar definierten Unterschieden konstruiert werden konnte. Er schreibt: „[T]ypologies appear as powerful devices for accommodating difference without resorting to the top-down impositions of ‚global kinds of knowledge‘“ (Montana 2017, S. 23) und weiter:
2.2 Zur kultursoziologischen Analyse von Glokalisierung
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From the diverse conceptualisation of the values of nature, to the multi-faceted criteria for the identification of experts, typologies facilitate a harmonisation of approaches that reflects a commitment to unity in diversity. (Montana 2017, S. 25)
Nicht zuletzt durch die Entwicklung unterschiedlicher Expertentypen sei erreicht worden, Vielfalt zu normalisieren.12 Eine andere, eher auf die Meso- und Mikroebene abzielende Perspektive auf Vielperspektivität nimmt David Stark mit seiner Forschung zu Heterarchie ein. Er untersucht dezidiert organisationsinterne Vielperspektivität. Er sieht seine Arbeit in der theoretischen Tradition der Soziologie der Konventionen, weicht aber in entscheidenden Punkten von dieser Tradition ab. Starks Arbeiten werden in der Regel zur vielstimmigen und bisher kaum integrierten ‚Soziologie der Bewertung‘ hinzugezählt (Stark 2017). In Situationen, in denen sich unterschiedliche bewertende Prinzipien begegnen, sieht er wie der Ansatz der institutionellen Logiken besonderes Potential für Neues generierende Handlungen. So sind für ihn Konflikte, Brüche und Missverständnisse nicht per se schlecht, sondern sie können innovativ-produktiv sein. Während für Boltanski/Thevenot die Wertordnungen Akteuren erlauben, ihre Handlungen zu koordinieren – also Handlungen ermöglichen –, kann es Stark zufolge Handlungen und auch Kooperation trotz konfliktiver Bewertungsmaßstäbe geben (Stark 2017). In dieser Hinsicht ist sein Ansatz den zuvor diskutierten Arbeiten der Wissenschafts- und Technikforschung sehr ähnlich. Firmen können, so seine Beobachtung in ethnographischen Untersuchungen verschiedenster Unternehmen, dieses Potential für Innovationen ausnutzen, in dem sie organisationale Umgebungen (beziehungsweise eine „Form“) schaffen, in denen organisierte Uneinigkeit über Maßstäbe der Bewertung vorherrscht und dadurch Reflexivität der Mitarbeitenden über Fragen der Unterschiedlichkeit angeregt wird – wahlweise in ‚ergebnisoffenen, unvorhersehbaren Konversationen‘, die nicht zuletzt aufgrund flacher Hierarchien stattfinden können. Organisationale Grenzen sind dynamisch gestaltbar. Diesen Modus der innerorganisationalen Regulierung, in anderen Worten: bewusst entworfene Reibungen zum Zwecke innovativer Ergebnisse, nennt Stark Heterarchie. Kein bewertendes Prinzip steht dabei von vornherein über einem anderen. Besonders diese Form befördert, so Stark, dass Individuen zu Entrepreneurs werden können (Stark 2009, Kapitel 1, bes.: S. 3).
12Die
Nutzung der verschiedenen Typologien in diversen politischen Foren, so Montana, sei jedoch Thema für zukünftige Forschung.
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2 Forschungsstand
Im Unterschied zur Soziologie der Konventionen interessiert Stark die Herstellung neuen Wissens. Wenn Akteure mit verschiedenen Perspektiven interagieren, werden für selbstverständlich gehaltene Wissensbestände sichtbar und veränderbar. Unter Heterarchie können alle Beteiligten „marginal“ im Sinne Parks werden (vgl. oben; Stark 2009, S. 17 f.). Begründet sieht Stark die zunehmende Bedeutung heterarchen Organisierens in immer komplexer und unsicherer werdenden Kontexten für Firmen. Heterarchie ist eine Bewältigungsform: [I]n an increasing number of areas, many firms literally do not know what products they will be producing in the not so distant future. To cope with these uncertainties, […] heterarchical firms embark on a radical decentralization in which virtually every unit becomes engaged in innovation. (Stark 2009, S. 21)
Stärker als die zuvor vorgestellten Literaturstränge lenkt Stark die Aufmerksamkeit auf die Fähigkeiten von Akteuren, zu reflektieren und Dissens zu ertragen, aber auch auf die Abhängigkeit dieser Möglichkeiten von regulativen Zusammenhängen und gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen. Pointierter als andere Ansätze weist er dabei darauf hin, dass es erstens Widersprüchlichkeiten im Organisieren gibt, diese zweitens mit der Vielperspektivität auf die jeweiligen Probleme verknüpft sind (beziehungsweise mit ‚bewertenden Prinzipien‘) und diese Widersprüchlichkeiten drittens nicht zwangsläufig zum Nachteil von Organisationen sind. An Starks Arbeiten anknüpfend machen Antal, Hutter und Stark (2015) mit ihrem Sammelband darauf aufmerksam, dass Bewertungen nicht nur entlang großer Konfliktlinien vollzogen werden, sondern dass auch alltägliche Momente des Bewertens wissenschaftliche Aufmerksamkeit verdienen. Bewertungen entstehen in Situationen. Akteure interpretieren die Situationen, in denen sie sich befinden, und können versuchen, sie zu ihren Gunsten zu gestalten, z. B. so, dass Bewertungen in solchen Einheiten stattfinden, die die eigenen ‚Werte‘ messen (Stark 2017). Während Stark (2009) allerdings argumentiert, dass in heterarchen Kontexten Routinen und Wissen nicht für selbstverständlich gehalten werden, entsteht bei einer genauen Lektüre der Eindruck, dass es im Gegenteil genau ein unausgesprochenes, gegenseitiges Verstehen der Akteure ist, welches Heterarchie als produktive Form ermöglicht: Die Beteiligten haben einen gemeinsamen Sinn für Rhythmus und Zeitlichkeit und ein Verständnis dessen, dass sie eine Aufgabe erfüllen beziehungsweise ein produktives Ergebnis formen sollen – um was auch immer es sich dabei handelt. In diesem Sinne liegt der Vielfalt der
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Bewertungsmaßstäbe in diesen Gemeinschaften mehr normative Einigkeit zugrunde, als es erscheint. Für alle wird das Interesse an Innovation und an einer dynamischen, produktiven Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Umfeld zum Ziel des Fortbestehens eines Unternehmens vorausgesetzt (vgl. besonders Stark 2009, S. 27).13 Das Konzept der Heterarchie beinhaltet eine Form des Organisierens und das, wofür Akteure sich organisieren (Innovation und ein produktives Ergebnis).14 Folglich gibt es ein kollektives Commitment zu etwas, was ermöglicht, dass die Akteure streiten, dann aber die Ergebnisse des Streits in produktiver Weise akzeptieren (vgl. Fine 2012, S. 171). Mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Ontologien und inhaltlichen Annahmen weisen die Forschungszweige darauf hin, dass nicht nur zwischen verschiedenen Orten auf dem Globus, sondern auch an einem Ort, in einer klar begrenzten sozialen Interaktion oder in einer Gesellschaft verschiedene Perspektiven existieren, die Gemeinschaften zur Verhandlung und Harmonisierung herausfordern können. Die zugrundeliegenden Unterschiede der Perspektiven beziehen sich entweder auf Interessen aufgrund von bestimmten Zuschreibungen wie Aufgaben in einer Firma, oder sie drücken eher normative Grammatiken der Bewertung aus, sagen also etwas darüber, wie die Welt sein soll und was in sozialen Zusammenhängen als gut/schlecht, richtig/falsch, wünschenswert/ verbesserungswürdig (und Ähnliches) gilt. Die Diskussion der verschiedenen Forschungsarbeiten in diesem Absatz zeigte bisher, dass aus verschiedenen Forschungsperspektiven heraus Glokalisierung nicht nur als Herausforderung einer Harmonisierung von unterschiedlichen Perspektiven unterschiedlicher Orte der Welt verstanden werden kann. Auch innerhalb einer Gesellschaft, eines Unternehmens oder eines Sektors können normative Ordnungen gleichzeitig existieren. Normen müssen dabei jedoch nicht immer Differenzen begründen, sondern können auch Grundlage für gemeinsames Agieren trotz unterschiedlichen Perspektiven zu einem Thema sein. Hierauf aufbauend wende ich mich nun knapp Studien zu, die sich dezidiert mit Äquivalenz konstruierenden Verfahren befassen und nach deren Implikationen fragen.
13Auch
Folgestudien wie die mit Vedres (2010) und de Vaan/Vedres (2015) sind maßgeblich interessiert an Innovation. 14Ob diese Akteure darüber hinaus und präziser weitere normative Perspektiven einen beziehungsweise, welche gemeinsame normative Orientierung diese Gemeinschaften von anderen unterscheidet, so möchte ich argumentieren, ließe sich nur durch einen Kontrast mit anderen organisierten Gemeinschaften erkennen.
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2 Forschungsstand
Zum Kern einer sich formierenden ‚Soziologie der Bewertung‘ zählen auch Studien, die Verfahren fokussieren, welche unterschiedliche Perspektiven darauf, was wertvoll, richtig oder legitim ist, vereinheitlichen beziehungsweise die Äquivalenz in Kontexten von Vielstimmigkeit konstruieren. Während sich die Neue Wirtschaftssoziologie eher der Herausforderung der Zuschreibung von Wert („valuation“) widmet, ist auch die Praxis des Evaluierens als Prozess der Bewertung („evaluation“) Gegenstand diverser Studien (Aspers 2013, S. 20; Lamont 2012, S. 205). Die Literaturen zu diesen beiden Themenfeldern überlappen sich, letztere darüber hinaus auch stark mit der organisationalen Institutionenforschung, wie sie im vorherigen Unterkapitel diskutiert wurde. Verfahren der Standardisierung, Quantifizierung, Kommodifizierung und Kommensurierung – das heißt der Transformation verschiedener Qualitäten in einen gemeinsamen Maßstab (Espeland und Stevens 1998, S. 314) – wird dabei besondere Aufmerksamkeit zuteil (Brunsson et al. 2012; Carruthers und Espeland 1991; Espeland und Stevens 2008). Für die Neue Wirtschaftssoziologie stellt sich in Bezug auf das Forschungsanliegen der Bewertung vor allem das Problem des Preises von auf Märkten gehandelten Produkten. Wie wird einem Objekt ein Preis zugeordnet, besonders dann, wenn allgemeingültige Qualitätskriterien schwer zu bestimmen sind, weil der Wert beispielsweise von Geschmack oder anderen subjektiv aufgefassten Zuschreibungen abhängt (Aspers und Beckert 2011; Karpik 2010)? Studien zeigen unter Anderem, wie ‚die Natur‘ dadurch mit einem einheitlichen Maßstab bewertet wird, dass Gerichte bestimmte quantifizierende Bewertungsverfahren anwenden oder dadurch, dass mit der judikativen Schaffung von Märkten die Monetarisierung und Kommodifizierung von Emissionen forciert wird (Fourcade 2011a; Levin und Espeland 2002; Mert 2013). Aber auch Prozesse wie Rankings von Schulen oder die Entwicklung eines Hochwasserschutzkonzeptes werden untersucht (Espeland und Sauder 2007; Samiolo 2012). Den verschiedenen Verfahren in den verschiedenen Feldern ist gemein, sie durch Kategorien qualitativ verschiedenartige Einheiten zusammenfassen (Lamont 2012). Die Studien von Fourcade (2011a); (2011b) und Mert (2013) analysieren beispielsweise, wie Staat und Markt treibende Kräfte für die Konstruktion von Äquivalenz sein können. Darüber hinaus zeigen die verschiedenen Autor*innen, dass bewertende Verfahren und entsprechende Theorien dazu, wie bestimmte Aspekte in gesellschaftlichem Leben organisiert sein sollen, potentiell transformativ und performativ sind, also die Welt verändern und erschaffen, die sie beschreiben (Garcia-Parpet 2007; Stevens und Espeland 2005, S. 376; MacKenzie und Millo 2001). Wird ein bestimmtes Verfahren eingeführt, treten konstitutive Effekte ein, die Weltsichten, Praktiken, zeitliche Horizonte, soziale Beziehungen und Identitäten und
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die Bedeutung der Verfahren selbst umfassen können (Dahler-Larsen 2013). Unabhängig davon, ob diese Effekte beabsichtigt waren, können sie folgenreich sein – beispielsweise in Bezug auf die Organisation und Verteilung von Ressourcen und Arbeit, wie Espeland und Sauder (2007) demonstrieren (vgl. u. A. auch Bessy und Chauvin 2013). Nicht zuletzt da unterschiedliche Maßstäbe für Bewertungen in Gemeinschaften koexistieren können, sind Form und Ergebnis evaluativer Maßnahmen trotzdem nie vorhersehbar. Dass Unterschiede durch Ambivalenzen und Vieldeutigkeit trotz Konstruktionen von Äquivalenz fortbestehen können, lässt sich beispielsweise in den Arbeiten von Fourcade (2011b, S. 58) und Zelizer (1978) erkennen. So können Kommodifizierungsprozesse beispielsweise mit Sakralisierungsprozessen einhergehen. Die verbreitete Idee, dass diese beiden Prozesse im Widerspruch stehen, muss deshalb nicht falsch sein. Vielmehr ist damit die Annahme anzuzweifeln, dass soziale Situationen ‚mono-normativ‘ und kulturell eindeutig verstanden werden können. Die verschiedenen Studien zu Verfahren der Bewertung zeigen spezifische Möglichkeiten auf, anhand deren durch abstrakte Kategorien und ‚Ordnungssysteme‘ (wie zum Beispiel Rankings) Äquivalenz hergestellt werden kann. Sie verweisen auch auf die performativen und nicht-intendierten Effekte von Bewertungsverfahren. In Bezug auf mein Forschungsanliegen weist der Forschungsansatz allerdings ebenfalls empirische Lücken und theoretische Schwachstellen auf: Da sich die Arbeiten zumeist auf ein (oft formalisiertes) Verfahren im privatwirtschaftlichen oder öffentlichen Bereich konzentrieren, bleiben von Akteuren ausgehende Prozesse zu handlungsleitenden Bedeutungen der Verfahren und der bewerteten Gegenstände insbesondere in religiösen transnationalen Gemeinschaften völlig unklar. Mit Blick auf die dominierende Perspektive der Forschung scheint es eher unerheblich, wer die ‚Anwender*innen‘ entsprechender Verfahren sind. Die Analysen zielen im Schwerpunkt mehr auf allgemeine Mechanismen als auf Differenzierung verschiedener Situationen, Akteure und Übersetzungen.15 Wenig beachtet wird, dass Kategorien per se abstrakt und daher im Alltag immer nur durch konkretere Bedeutungszuschreibungen durch die Beteiligten ‚nutzbar‘ sind (vgl. Bowker und Star 1999).
15Aber
vgl. Samiolo (2012, S. 399): „In order to understand the role of accounting and economic calculation as one of the principal means through which objectivity, commensuration and standardisation are pursued, this variety of “selves” and “epistemic virtues” has to be addressed.”
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2 Forschungsstand
Studien zu Glokalisierung, zu Diffusions und Übersetzungsprozessen von Institutionen und zur Harmonisierungsarbeit vielfältiger Perspektiven teilen das Interesse an lokalen und/oder innovativen partikularen Problemlösungen vor dem Hintergrund von Wissensbeständen, die von den Beteiligten als selbstverständlich erachtet werden. Dieses „selbstverständliche“, empirisch mikrosoziologisch schwer Ermittelbare, wird aber kaum erforscht. Mit einer mikrosoziologischen und wissensbasierten Perspektive auf Glokalisierungsprozesse kann diese Lücke adressiert werden. Ich führe im folgenden Kapitel die Überlegungen aus, die meiner Analyse von Glokalisierung zugrunde liegen. Diese Studie kann bezüglich einen weiteren blinden Fleck füllen: Die Forschung zu Glokalisierung in transnationalen und organisierten Gemeinschaften beschäftigte sich überwiegend mit öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Organisationen. Gleichzeitig werden normativen, besonders religiösen Gemeinschaften in Bezug auf sozialen Wandel und kollektives Handeln in gegenwärtigen Gesellschaften diverse begünstigende Qualitäten zugeschrieben, wie oben ausgeführt. Inwiefern ist für die Glokalisierung von Umweltschutzzielen relevant, dass es sich bei den Gemeinschaften um religiöse Gemeinschaften mit spezifischen, geteilten Wissensbeständen handelt?
2.3 Ziele in katholischen Ordensgemeinschaften Der vorherige Abschnitt dieses Kapitels diskutierte Forschungsstränge, welche die Anwendung und die Verbreitung globaler Ideen und deren Komplexität vor dem Hintergrund vielfältiger lokaler Kontexte untersuchen. Innerhalb dieser Stränge widmen sich die Forschenden vielseitigen empirischen Phänomenen. Nicht immer handelt es sich dabei um ‚Ziele‘ einer Organisation. Ziele wie unternehmerische Sozialverantwortung werden ebenso untersucht wie Qualitätsstandards, Menschenrechte oder kulturelle Ausdrucksformen und Objekte wie T-Shirts. Das spezifische Phänomen, dessen Glokalisierung im Zentrum dieses Forschungsvorhabens steht, sind die Umweltschutzziele von Ordensgemeinschaften. In vielen verschiedenen religiösen Gemeinschaften, darunter auch großen katholischen Ordensgemeinschaften, formulierten leitende Gremien die Forderung, gemeinschaftliche Praktiken beziehungsweise Praktiken der Mitglieder umweltfreundlicher zu gestalten und/oder damit Umweltschutz zu forcieren. Damit sind Umweltschutzziele vergleichbar mit Codes, das heißt schriftlichen Dokumenten, die – so Vrielink, van Monfort und Bokhorst (2011, S. 486, 491) – als eine Art Selbstregulierung Standards dazu kommunizieren,
2.3 Ziele in katholischen Ordensgemeinschaften
57
welches Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft moralisch eingefordert wird. Die von den Vrielink, van Monfort und Bokhorst definierten Codes verkünden primär eine moralische Orientierung der Beteiligten in der Gegenwart (ibid., S. 493). Ziele führen hingegen explizit aus, was nach deren Veröffentlichung sein soll. Sie können als ein Ausdruck davon verstanden werden, was zu einem bestimmten Zeitpunkt von den in diesem Kontext entscheidenden Akteuren in die Zukunft gerichtet für die Gemeinschaft als wünschenswert erachtet wurde. Wie Fiktionen oder strategische Pläne bilden sie eine normative Imagination ab: Here we come to the crux of the matter: a strategic plan is made partly for the element of hope and belief, the element of myth, inherent in it […]. Many plans act as mirrors held in front of the organization, indicating, ‘This is what you should look like.’ (Broms und Gahmberg 1983, S. 490)
Auch wenn strategische Pläne zu unterschiedlichen Graden formalisiert und ausführlich sind, porträtieren sie die jeweilige Organisation als Akteur mit klaren Zielen und den Fähigkeiten, diese Ziele zu erreichen (Hwang und Suarez 2005, S. 73). Die organisationalen Strukturen der katholischen Kirche werden von Kim (1980) mit denen von internationalen Unternehmen verglichen. Während bis hin zum Papst alle Mitglieder der katholischen Gemeinschaft jemandem unmittelbar Rechenschaft pflichtig sind, ist die Gemeinschaft gleichzeitig in viele, dezentrale Einheiten aufgeteilt und Konflikte und Spannungen zwischen ‚Zentrum‘ und Peripherie kamen immer wieder vor, zum Beispiel zwischen Bischöfen des globalen Südens und europäischen führenden Ordensvertretern im Vatikan (Agnew 2010, S. 43; Hastings 2001, S. 1542; Wren 2005, S. 21). Die Sinnstrukturen der katholischen Kirche sind einerseits in die darin eingebetteten Ordensgemeinschaften eingelassen, andererseits wird ihnen, wie ich unten ausführe, eine besondere Rolle ‚zugestanden‘ und sie entwickeln und beziehen sich auf spezifische Wissensbestände. Katholische Ordensgemeinschaften weisen eine Reihe von Besonderheiten auf, die für Glokalisierungsprozesse zu geteilten Zielen relevant sind. Wie ich zeigen werde, sind sie bezüglich der Erfahrungen und Wissensbestände der Mitglieder sehr vielseitig, bezüglich des gemeinsamen Projektes äußerst verbindlich und umfassend und bezüglich der Rolle in Gesellschaften speziell. Auf Details zu den hier untersuchten Gemeinschaften der Gesellschaft Jesu und des Ordens der Minderen Brüdern gehe ich an anderer Stelle ein. Als katholische Ordensgemeinschaften definiere ich jene, die in der Sinnstruktur der katholischen Kirche selbst als solche verstanden werden, also entsprechend der Definition der „religiösen Institute“, unter denen die Kirche die Gemeinschaften fasst:
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2 Forschungsstand a society in which members, according to proper law, pronounce public vows, […] and lead a life of brothers or sisters in common (CCL 2013 [1983]).
Mit Gannon (1980, S. 172) lässt sich diese Definition spezifizieren: [Religious orders are] recognized by the church, either centralized or hierarchically governed but bound to uniformity of Rule and observance; its members […] who have committed themselves to the goals of the organization and who live ‘in community’ – the degree of which will vary between different orders - and who accept as binding […] more exacting moral and spiritual injunctions than those proposed for the church at large.
Die katholische Kirche wird in der Literatur häufig als unzweifelhaftes Beispiel für transnationale und imaginierte Gemeinschaften herangezogen (Anderson [1983] 2006; Berger 2010; Ferrari 2006; Mayntz 2010, S. 52; Valuer 1971). Dies lässt sich für die Summe der Ordensleute innerhalb der Kirche ebenfalls sagen. Insgesamt gab es weltweit im Jahr 2010 rund 722.000 Ordensfrauen und rund 190.000 Ordensmänner, sowie 1.233 Bischöfe, die Ordensmänner waren (Agenzia Fides Service 2012). Es zeigt sich bezüglich der Verbreitung über die letzten Jahre weltweit eine nach Weltregionen differenzierbare Entwicklung, wobei besonders die Frauenorden, und dabei besonders solche in Nordamerika, Europa und Ozeanen, beständig sinkende Mitgliederzahlen und Alterung aufweisen.16 Wie auch in der katholischen Kirche insgesamt wachsen global agierende Orden zumeist am stärksten in Afrika, während die Mitgliederzahlen in Asien und Südamerika konstant sind oder leicht nach oben oder unten variieren (Agenzia Fides Service 2012; 2016). Darüber hinaus kommt es jedoch auf das Charisma und die Verbreitung der spezifischen Gemeinschaft an, inwiefern sie als grenzüberschreitend beschrieben werden kann. Katholische Ordensgemeinschaften wie die in dieser Studie untersuchten weisen diverse Dimensionen der Varianz bezüglich der Erfahrungen auf, die die Mitglieder der Gemeinschaften machen. Ähnlich den geteilten Sinnstrukturen der katholischen Kirche organisieren sie ihre Verwaltung und wichtige Entscheidungen zumeist hierarchisch mit einer breiten Basis lokaler Entscheidungseinheiten auf der Ebene der Wohneinheiten (Kommunitäten), die von Guardians oder Prior*innen geleitet werden, zur Provinz, intermediären
16So
sind im Jahr 2016 in Deutschland 84 Prozent der Ordensfrauen über 65 Jahre alt. In den Männerorden sind dies ‚nur‘ 55 Prozent (DOK 2017). Wie die Tabelle zeigt, gibt es trotzdem nach wie vor deutlich mehr Schwestern als Brüder.
2.3 Ziele in katholischen Ordensgemeinschaften
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Einheiten als Zusammenfassung mehrerer Provinzen (z. B. Konferenzen genannt) und schließlich der Ordensleitung (oder: Kurie), meist mit Sitz in Rom. Die hierarchische Sinnstruktur verdichtet sich schließlich in der Figur des Papstes, der höchsten Position in der katholischen Glaubensgemeinschaft, welche gleichermaßen repräsentiert wie innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft politisch agiert. Kritik am Papst durch Gemeinschaftsmitglieder ist in den letzten Dekaden deutlich üblicher geworden (insbesondere im Vergleich zum 19. Jahrhundert), doch zumindest offene Opposition zu Positionen des Papstes ist für amtstragende Mitglieder der Gemeinschaften nach wie vor problematisch, weil sie direkt oder indirekt sanktioniert werden könnten (vgl. z. B. Hanson 2014, S. 62 ff.; Troy 2010; Valuer 1971, S. 499). Katholische Ordensgemeinschaften unterscheiden sich hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisse der Ebenen. Während in benediktinisch geprägten Gemeinschaften sehr viele Entscheidungen meist von Abt oder Äbtissin lokal getroffen werden können (die auch nicht den lokalen Bischöfen unterstellt sind), sind andere Orden enger an die hierarchische Sinnstruktur des Katholizismus gebunden. So geloben Mitglieder der Gesellschaft Jesu beispielsweise die Treue zum Papst in einem feierlichen Ritual. Bartunek und Ringuest (1989) untersuchten in einer Längsschnittstudie den Wandel in einer katholischen Frauengemeinschaft nach dem zweiten Vatikanischen Konzil, welches in der katholischen Kirche als richtungsweisend hinsichtlich einer Öffnung für weltliche Probleme, besonders solche der sozialen Ungleichheit, sowie der Ermächtigung der Basis gilt. Einige der Mitglieder der untersuchten Frauengemeinschaft setzten durch, andere als die üblichen Rollen als Lehrerinnen zu erfüllen. Die Mission des Ordens, Ausbildung zu fördern, wurde durch eine neue Perspektive ergänzt, nach der dieser Mission auch außerhalb von Schulen, beispielsweise in der sozialen Arbeit, nachgekommen werden konnte. Über einen Zeitraum von zehn Jahren (zwischen 1969 und 1979) stieg der Anteil derer, die nicht in Schulen arbeiteten, deutlich an. Während sie den Zusammenhang der Entwicklungen nicht erhoben, gehen die Verfasser davon aus, dass das zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kirche Prozesse der Beteiligung von rangniedrigeren Schwestern legitimiert und so den Wandel beeinflusst, wenn nicht sogar ermöglicht hatte. Die Studie weist folglich darauf hin, dass die Wissensbestände der Kirche und die des Ordens in einem Zusammenhang stehen, auch wenn die präzisen Prozesse und Wechselspiele dazu nicht erhoben wurden. Darüber hinaus zeigt die Studie auch, dass und wie die Ordensleute in ordenspolitischen Auseinandersetzungen über die Zeit hinweg ihre Interpretation der eigenen Mission veränderten. Die Verfasser der Studie erhoben neben Daten der Ordensverwaltung auch Umfragedaten von über 500 Schwestern. Sie konnten so zeigen, dass die
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2 Forschungsstand
Schwestern, die die neue Perspektive im Orden vertraten, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit in leitende Positionen berufen wurden und mit einer größeren Wahrscheinlichkeit austraten. Die, die mit der neuen Perspektive im Orden blieben, nahmen jedoch eher wahr, im Orden einflussreich zu sein. Auch deuten sie die Bedeutung des Zusammenlebens unterschiedlicher Generationen innerhalb einer Gemeinschaft für Verhandlungsprozesse an (Bartunek und Ringuest 1989) und, dass Verhandlungen nicht zuletzt durch Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen geführt werden können. Auch deshalb, weil Ordensleute ihre Leitungsfunktionen aus der internen Gemeinschaften heraus besetzen (vgl. auch Bartunek 1984) und im Rahmen ihrer charismatischen Schwerpunkte in der ‚Sendung‘ auch Berufe und Aufgaben außerhalb der katholischen Kirche annehmen, gibt es in großen und transnational agierenden Ordensgemeinschaften wie der Gesellschaft Jesu und dem Orden der Minderen Brüder diverse Spezialisierungen und Karrieren im Rahmen der etablierten Rollen. Damit einher gehen in transnational verbreiteten Gemeinschaften Unterschiede zwischen den Mitgliedern bezüglich ihrer (geographisch-vertikalen) Mobilität. Während einige Mitglieder auch von global agierenden Gemeinschaften in ihrem Leben kaum reisen, werden anderen höchst transnationale Karrieren zugewiesen (Hüwelmeier 2006). In jedem Fall heißt eine breite geographische Verteilung der Gemeinschaften nicht zuletzt, dass die Mitglieder der Gemeinschaften lokal unterschiedliche Erfahrungen sammeln. Nicht nur territorial und professionell, sondern auch zeitlich nehmen die Sinnstrukturen der Gemeinschaften ungewöhnliche Ausmaße an. Auf die Vergangenheit bezogen enthalten ihre geteilten expliziten Wissensbestände ein 2000 Jahre zurückliegendes ‚Heilsgeschehen‘ sowie in vielen Ordensgemeinschaften bedeutende Gründungsgeschichten, die Jahrhunderte zurückliegen (Tyrell 2002). In die Zukunft gerichtet streben sie Generationen überdauernde Existenz an. Aufgrund ihres Erfolgs, über Jahrhunderte zu überleben, weckten sie das Interesse von Managementforschung. In Anbetracht der wenigen Aufmerksamkeit, die die Sozialwissenschaften Ordensgemeinschaften trotz ihrer faszinierenden Charakteristika bisher gezollt haben, ist die Anzahl der Studien überraschend, welche sich damit auseinandersetzen, ob in den Ordensgemeinschaften Rezepte für organisationale Resilienz auszumachen seien, um diese in den öffentlichen oder den Privatsektor zu übertragen (Feldbauer-Durstmüller et al. 2012; Inauen et al. 2010; McGrath 2005; Payer-Langthaler und Hiebl 2013; Rost und Graetzer 2014; Rost et al. 2010).
2.3 Ziele in katholischen Ordensgemeinschaften
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Anders als andere untersuchte transnationale Gemeinschaften sind Ordensgemeinschaften solche mit großer Verbindlichkeit (vgl. Djelic und Quack 2010, S. 380). Nach Jahren der Ausbildung entscheiden sich Menschen sowohl für eine religiöse Gemeinschaft mit bestimmtem Charisma (das heißt dem ‚Charakter‘ der Gemeinschaften und damit auch bestimmten Aufgaben und Zielen) und für eine soziale Gemeinschaft. Diese Entscheidung bestimmt von diesem Zeitpunkt an nahezu alle Lebensbereiche. Die Mitglieder legen Gelübde auf Lebenszeit ab (zumeist Armut, Gehorsam, Keuschheit), die einschränken, was sie besitzen, was sie tun und wie sie leben und lieben können. Zwar kommt es vor, dass Mitglieder der katholischen Orden auch nach diesen Gelübden noch die Gemeinschaft verlassen, aber in den geteilten Sinnstrukturen ist es nicht vorgesehen und kann mit großen sozialen, teilweise auch ökonomischen Kosten einhergehen (vgl. Feldbauer-Durstmüller et al. 2012). Entsprechend wichtig ist für die Ordensmitglieder, was als geteilte Ziele in der Gemeinschaft definiert wird. Für Glokalisierungsprozesse lässt sich daraus ableiten, dass die Notwendigkeit, sich global formulierten Zielen anzunehmen und diese entsprechend der geteilten Sinnstrukturen zu verfolgen, vermutlich als relativ hoch angesehen wird. Gleichzeitig erscheinen die Schwierigkeiten, sich auf gemeinsame Interpretationen und Sichtweisen zu einigen, aufgrund der verschiedenen Dimensionen der Heterogenität von Erfahrungen der Mitglieder (Spezialisierungen, Mobilität, Generationen, lokale Vielfalt an Wissensbeständen) groß. Hierarchische Weisungen von der Leitung an die lokalen Gemeinschaften oder Gemeinschaftsmitglieder könnten Prozesse der lokalen Übersetzung forcieren oder – wie in der Studie von Bartunek und Ringuest (1989) – Wandel versuchen zu blockieren. Es könnte aber auch sein, dass Ordensmitglieder in den (verhandelten) Grenzen ihrer geteilten Sinnstrukturen mehr Freiheiten haben, als es auf den ersten Blick scheint. Die weiten Zeithorizonte ermöglichen, sowohl in Bezug auf organisationales Wissen zur Vergangenheit als auch in Bezug auf Visionen für die Zukunft unterschiedlichste zeitliche Rahmungen vorzunehmen. Darüber hinaus wird den Gemeinschaften von ‚außen‘ eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Die vielfältigen Charismas und Wissensbestände der katholischen Ordensgemeinschaften lassen sich nicht zuletzt auf die Strategie der katholischen Kirche zurückführen, über die Jahrhunderte hinweg abweichende religiöse Bewegungen in die übergreifende Sinnstruktur eingebettet zu haben. Sie erhalten innerhalb der Kirche einen autonomen Sonderstatus, der ihnen erlaubt, Entwicklungen in der Kirche innovativ oder konservativ entgegenzutreten (Finke und Wittberg 2000;
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2 Forschungsstand
Mintzberg und Westley 1992, S. 52–54). Darüber hinaus wird ihnen auch von Gesellschaften eine besondere Rolle zugeschrieben.17 Turcotte (2001, S. 174) argumentiert, ihnen würde ihre Andersartigkeit gesellschaftlich bestätigt, was ihnen erlaube, entgegen dominierenden Vorstellungen und Gruppen zu agieren. Sie seien in diesem Sinne auch utopische Gemeinschaften, die Kompromisse schließen zwischen dem, was sein könnte und außergewöhnlich ist, und dem, was üblich und gesellschaftlich akzeptiert ist. Wie sich Glokalisierung von global formulierten Zielen in diesen Ordensgemeinschaften vollzieht, ist vor dem Hintergrund der erläuterten Spezifika und Komplexitäten alles andere als evident.
17Das
Argument ließe sich auch anders formulieren: Ordensgemeinschaften können nur ihre spezifische Variante christlichen Lebens verwirklichen, weil und wo ihnen dies gesellschaftlich und politisch zugestanden wird.
3
Theoretischer Rahmen
Die Diskussion des Forschungsstandes zeigt, dass trotz umfassender Literatur zum Problem der Glokalisierung dessen Mikrofundierung in komplexen transnationalen Gemeinschaften Raum für weitere Forschungsvorhaben lässt. Mit diesem Kapitel zeige ich eine Möglichkeit auf, die mikrosoziologische Lücke, die sich in der Literatur zeigt, zu adressieren. Glokalisierungsforschung und damit verwandte Ansätze erkennen die Bedeutung geteilter Wissensbestände an, nehmen „das Selbstverständliche“ aber mikrosoziologisch kaum in den Blick. Die Forschung zeigt, dass lokale Anwendungen von globalen Zielen divers ausfallen können, es aber gleichzeitig Nationalgrenzen überschreitende Ähnlichkeiten gibt. Daraus lässt sich die Frage ableiten, wie in Glokalisierungsprozessen verschiedene Wissensbestände von Akteuren herangezogen und genutzt werden. Diese Frage bleibt aber nahezu unbeachtet. Auch die Religionssoziologie betont die Bedeutung ‚gelebter Religion‘ und die Notwendigkeit, religiöse Praxis im Kontext sowie aus der Perspektive der Akteure zu untersuchen. Studien zu religiösem Umweltschutz analysieren jedoch bisher selten die Glokalisierung von gemeinschaftlichen Umweltschutzzielen über Leuchtturmprojekte hinaus. Es mangelt an explorativ-qualitativen Untersuchungen, welche die Diversität von Formen religiösen Umweltschutzes innerhalb von Gemeinschaften ausgehend von der Perspektive der Akteure erhellen. Ich entwickle deshalb die handlungstheoretische Integration einer ‚pragmatistischen Wissenssoziologie‘, die ermöglichen soll, auch das Selbstverständliche in den Entscheidungen der Akteure im Zuge von Glokalisierung zu untersuchen, ohne ihnen jegliche Handlungsfähigkeit abzusprechen. Die Teilprozesse der Glokalisierung der Interpretation, der Bewertung und der Verhandlung werden entwickelt. Mit dieser dreigliedrigen Konzeption können © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_3
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3 Theoretischer Rahmen
vielseitige Facetten der Mikrofundierung von global-lokalen Aushandlungsprozessen dargestellt werden, die sich im Wechselspiel zwischen Erfahrungswissen, in der Gemeinschaft geteiltem Wissen und (kreativen) Reflektionen der Mitglieder ergeben. Welche unterschiedlichen Varianten, die Umweltschutzziele zu rekontextualisieren, lassen sich innerhalb der Ordensgemeinschaften tatsächlich identifizieren? Welche bewertenden Blickrichtungen gehen mit der Glokalisierung der globalen Ziele einher? Inwiefern weisen die Mitglieder transnationaler Gemeinschaften wie den katholischen Ordensgemeinschaften diesbezüglich eine gemeinsame Perspektive auf? Wie wird diese gegebenenfalls hergestellt oder wie werden verschiedene Ansätze koordiniert?
3.1 Eine wissensbasierte Perspektive auf Glokalisierung Eine zentrale Fragestellung der Glokalisierungsliteratur ist, wie Mitglieder transnationaler Gemeinschaften gemeinsame Ziele verstehen und umsetzen. Viele der eher mikrosoziologisch orientierten Arbeiten, besonders aus der organisationalen Institutionenforschung, teilen die Feststellung, dass es entscheidend für ein Verständnis von Glokalisierungsprozessen ist, sich mit den spezifischen Wissensbeständen der beteiligten Akteure auseinanderzusetzen. Sie sind jedoch erstaunlich ungenau in Bezug auf die kognitiven Prozesse der Akteure, die eine (glokalisierte) Form interpretieren. Besonders die Spannung zwischen Beständigem, Kultur und Normen, einerseits und Handlungsfähigkeit andererseits, die in diversen Arbeiten ausgemacht wird, wird mikrosoziologisch nur vage adressiert. Vielleicht als Konsequenz aus dem besonderen Interesse an sich (erkennbar) wandelnden Institutionen und deren Implikationen fokussieren viele Arbeiten im Schwerpunkt ‚besondere‘ Akteure in Glokalisierungsprozessen, weniger hingegen die Bedeutungskonstruktion durch verschiedenste Gruppen von Beteiligten. Auch andere Autor*innen bemerken Schwachstellen in den prominentesten Arbeiten der organisationalen Institutionenforschung: [One may question] the internal coherence of a theory that argues, on one hand, that institutional norms are so totalizing that actors cannot even conceive of opportunities for change, and on the other, that some actors are uniquely able to think beyond the cognitive constraints of institutions. The paradox of embedded agency, thus asks, if institutional norms and pressures are so cognitively overwhelming and totalizing, where do new ideas or conceptions of change come from? (Suddaby et al. 2016, S. 226, Hervorhebung (fett) durch JG)
3.1 Eine wissensbasierte Perspektive auf Glokalisierung
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Ich frage nach Prozessen handlungsleitender Bedeutungsproduktion im Zuge von Glokalisierung in religiösen Gemeinschaften. Meine Perspektive fußt auf vier Grundannahmen. A. Alle Beteiligten einer sozialen Situation nehmen an der Produktion geteilter Wissensbestände teil. Wenn Mitarbeitende von McDonalds in Hongkong heute ernster schauen beziehungsweise weniger aufgesetzt lächeln als bei der dortigen Einführung, ist dies vermutlich weniger das Ergebnis eines kreativen und/oder politischen Aktes einzelner Personen mit spezifischen Rollen, als ein Prozess mit vielen verschiedenen Beteiligten, die über die Zeit hinweg eine lokal immer ‚stimmigere‘ Version des Fastfood-Restaurants lebten und schätzten. Wenn Filialen darüber hinaus weniger als Ort für schnelles Essen und kurzes Verweilen, denn als Aufenthaltsort für Schüler*innen genutzt werden, haben jene Schüler*innen eine eigene Interpretation fern des globalen Modells gefunden. Das Beispiel verdeutlicht, dass in Glokalisierungsprozessen potentiell alle Akteure relevant sind, weil sie spezifisches, geteiltes Wissen mitbringen, welches ihre je eigene Interpretation der übergreifenden Form informiert. Sie haben bestimmte Lesarten, Interessen, Hoffnungen oder Wünsche, die sie an die Form herantragen (für den Begriff der Lesarten vgl. Hall 1973). Damit verändern sie potentiell die Institution, hier: McDonalds. Während die organisationale Institutionenforschung die Bedeutung von Wissensbeständen betont, reduziert sie gleichzeitig oft die Anzahl der relevanten Akteure für institutionellen Wandel auf wenige. Ich argumentiere, dass die soziologische Analyse von Mikroprozessen von Glokalisierung Kenntnis davon nehmen sollte, dass Bedeutungsproduktion ein sozialer Aushandlungsprozess aller beteiligten Akteure ist. Verschiedenste Akteure nutzen bei der Rekontextualisierung eines Modells, eines Ziels oder eines Restaurants ihre Wissensbestände und sind damit Beteiligte bei der glokalen und vielstimmigen Bedeutungsproduktion. B. Die Produktion von Bedeutung ist eine Handlung. Während Bedeutung in vielen Arbeiten als wandelbar betrachtet wird, wird deren Hervorbringen kaum fokussiert (für eine Ausnahme siehe Bartunek und Spreitzer 2006). So kritisiert Zilber in seinen Arbeiten, dass sich die organisationale Institutionenforschung mehr mit Handlungen als mit Bedeutungen beschäftigt, beziehungsweise lange von beobachtbaren Handlungen auf Bedeutungen geschlossen hat.
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3 Theoretischer Rahmen Theorists of institutions in the field of organizational studies have stressed the importance of meaning, symbols, and cognition in institutionalization (e.g., Scott, 1995) [… A]lthough the “meaning-full,” taken-for-granted character of institutions is obviously an important part of the explanatory power of the theory, it seems to have gone underanalyzed (Jepperson, 1991). The assumption that a change in meanings will always manifest itself in actions (Bartunek, 1984; Ranson, Hinings, & Greenwood, 1980), and the tendency to study institutions on the macro level (DiMaggio & Powell, 1991; Zucker, 1991) and as a property rather than as a process (Tolbert & Zucker, 1996, S. 175) may partially account for this neglect. Whatever the explanation, empirical studies of institutionalization usually measure institutional change through change in actions alone. Changes in meanings and the demography of actors are less well documented. (Zilber 2002, S. 235)
Wenn Zilber in seiner Analyse der Forschung analytisch Bedeutung und Handlung trennt, ist dies insofern irreführend, da er in seinen Studien herausarbeitet, dass auch mit der Zuschreibung von Bedeutung Handlungsfähigkeit von Akteuren verbunden ist. Bedeutung ist nicht einfach ‚da‘, sondern wird in komplizierten, sozialen Prozessen ‚gemacht‘: On the one hand, meanings link (passive) actors to actions. Meanings are what attracts actors to action. In such cases, meaning govern actors and action. On the other hand, actors might become active in choosing and infusing actions with meanings through interpretive acts, which are part of political processes. In such cases, actors govern meanings. Hence, I will show that [… actors’] interpretations can be considered as expressions of agency, and that the politics of institutionalization involves not only actions, but meanings as well. (Zilber 2002, S. 235)
Die Arbeiten von Zilber (2002, 2006) betonen besonders, dass die Interpretation von Praktiken auch ein Ausdruck mikropolitischer Auseinandersetzung sein kann. Unterschiedliche Gruppen können der gleichen Praktik mit Rückgriff auf abweichende Institutionen verschiedene Bedeutungen zuschreiben, und so ihr Interesse, was ein Gegenstand, in Zilber (2002): ein Krisenzentrum für vergewaltigte Frauen, sein soll, voranbringen. Zilber zeigt, dass eine feministisch-idealistische und eine therapeutische Lesart des Zentrums unter den Mitwirkenden konkurrierten. Die Verschiebung von einer zur anderen Lesart hatte auch weitere bedeutende Implikationen. Politische Advocacy-Tätigkeiten wurden zunehmend abgelöst durch therapeutische Beratungen. Es änderten sich Machtverhältnisse im Zentrum, das Serviceangebot und das Ausmaß politischen Engagements der Mitarbeitenden. Zilber stellt weiter fest:
3.1 Eine wissensbasierte Perspektive auf Glokalisierung
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[I]nstitutions [do not] tend toward equilibrium between actions and meanings. Rather, taking into account their processual and dynamic nature, disequilibrium might be much more common than has been assumed, given scholars’ partial knowledge of the interplay between actors, actions, and meanings in institutional processes. (Zilber 2002, S. 251)
Die Möglichkeit der deliberativen Gestaltung und Handlungsfähigkeit sieht Zilber in seinen Untersuchungen gerade in der Zuschreibung von Bedeutung und den Aushandlungen der entsprechenden Unterschiede. Während der Ansatz Zilbers sich Bedeutungsproduktion mit der Frage widmet, was Akteure wollen, gehe ich allerdings davon aus, dass damit verschränkt – vielleicht sogar vordergründig – relevant ist, wie Akteure die Gemeinschaftsziele auch mit Rückgriff auf nicht reflektiertes Wissen interpretieren, eingeschlossen dessen, wie sie diese in Praktiken umsetzen. Für mein Forschungsvorhaben stehen damit die vielfältigen Bedeutungen eines Ziels und entsprechende Handlungen im Vordergrund und nicht die Analyse einer spezifischen politischen Auseinandersetzung, einer ‚Leuchtturm-Initiative‘ oder einer spezifischen Form wie – im Bereich des religiösen Umweltschutzes – dem sichtbaren, ‚klassischen‘ Aktivismus. Anders als in weiten Teilen empirischer Studien, in denen Ideen nur als in ihrer Bedeutung unklar konzeptualisiert werden, solange sie neu sind (vgl. z. B. Campbell 2007, S. 950 f.), ist Bedeutungsproduktion (auch bei Zilber) als ein ständiger dynamischer Prozess zu verstehen. Damit birgt die Perspektive auch eine Möglichkeit, die in der Religionssoziologie erkennbare Dichotomie von Lehre und Praxis zu überwinden. So schreibt Schützeichel (2018, S. 85): Einem gewissen Purismus geschuldet, scheinen Religion und Religiosität eher als Inhalte des Denkens, Wissens oder Zweifelns begriffen zu werden, weniger als etwas, das man herstellt (poiesis) oder um seiner selbst willen verwirklicht (praxis).
Füllen Akteure religiöse Lehre in spezifischen Situationen mit Bedeutung, so geschieht dies als produktive Praxis, welche auf unterschiedlichstem Wissen beruhen kann. Religion ‚hat‘ mit dieser Perspektive keine Bedeutung ohne handelnde Akteure. C. Die Produktion von Bedeutung ist Alltagsarbeit. Im dominierenden Ansatz der organisationalen Institutionenforschung, besonders in Arbeiten der Managementforschung, wird mit Bezug auf mikrosoziologische Prozesse gefragt: Was müssen Menschen ‚mitbringen‘, um institutionelle Grenzen und Zwänge kognitiv und praktisch zu überwinden? Handlungsfähigkeit und die
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3 Theoretischer Rahmen
Schaffung von Neuem erscheint als etwas Besonderes. Der damit verbundene Begriff des institutionellen Wandels berücksichtigt nicht, dass auch Kontinuität das Resultat von Arbeit ist (vgl. z. B. Hernes 2014). Im Neo-Institutionalismus und in vielen darauf aufbauenden Studien wird Isomorphie als Grundzustand betrachtet; Abweichungen bedürfen der Erklärung. Die Perspektiven, mit denen beteiligte Akteure die Welt betrachten können, sind jedoch meistens vielfältig. Glokalisierung beinhaltet diverse informelle Aushandlungsprozesse. Die Generierung geteilten Wissens und gemeinsamer Normvorstellungen der Akteure in transnationalen Gemeinschaften ist nicht evident, auch nicht, wenn sie bereits der gleichen Glaubensgemeinschaft angehören. Sich zu organisieren und eine gemeinsame Identität zu pflegen, bedeutet, dass die Mitglieder grundsätzlich fähig sein müssen, viele verschiedene Grenzen immer wieder –alltäglich – zu überwinden. Ähnliches lässt sich beispielsweise für nicht-religiöse transnationale soziale Bewegungen oder Professionen konstatieren. Für die alltägliche Bedeutungsproduktion in religiösen Gemeinschaften ist besonders, dass für die Rekontextualisierung religiöser Ziele die geteilte religiöse Lehre zwar ein sich bewegender Bezugspunkt ist, ihr trotz Dynamik aber eine allgemeine Gültigkeit und Beständigkeit unterstellt werden muss. D. Die Produktion von Bedeutung basiert auf spezifischem Wissen. Einen mikrosoziologischen Ausgangspunkt, den ich für die weiteren Überlegungen aufnehmen möchte, ist der, dass das Wissen der Akteure wichtig dafür ist, was sie mit einem abstrakten Modell oder mit einem ‚Prototyp‘ wie einem Best-Practice-Beispiel tun (können). Wissen umfasst dabei gleichermaßen durch Akteure kommunizierbares Wissen wie auch solches, was in sozialen Situationen erzeugt und erworben wird, aber nicht explizit als Wissen benannt werden kann. Wie im folgenden Abschnitt dargelegt wird, sind sie deshalb jedoch nicht weniger handlungsleitend. Ein solcher wissensbasierter Ansatz lenkt den Blick auf die spezifischen Erfahrungen von Akteuren. Wird Glokalisierung ausschließlich untersucht als strategische und/ oder politische, bewusste Handlung, lassen sich die für selbstverständlich gehaltenen, geteilten Wissensbestände, die makrosoziologisch festgestellt und in nahezu allen Studien angenommen werden, mikrosoziologisch kaum aufnehmen. Wie zeigen sich beispielsweise die von Sahlin beschriebenen Grenzen des Editierens in den Sichtweisen und den Entscheidungen von Akteuren? Wie fließen implizite Wissensbestände der Akteure in die Prozesse der Zuschreibung und Aushandlung von Bedeutung ein? Während besonders die Entrepreneur-Ansätze davon ausgehen, dass Wissen instrumental und intentional eingesetzt wird, muss auch gefragt werden, inwiefern sozial geteiltes und/oder in
3.2 Handlungstheoretische Konzepte einer pragmatistischen ...
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Situationen nicht-problematisiertes Wissen beeinflusst, wie Akteure ein Modell rekontextualisieren. Dabei wäre problematisch, soziale Position und Möglichkeiten kreativer Glokalisierung vorab kausal zu verschränken. Ansätze wie der von Battilana (2006) bergen das Problem, aus zugeschriebenen Rollen (im Feld oder der Organisation) kognitive ‚Ressourcen‘ abzuleiten (vgl. auch Suddaby et al. 2016, S. 226). Wenn auch der Kontext in vielerlei Hinsicht die Möglichkeiten der Akteure begrenzt, ihr Wissen einzusetzen, lassen sich den Rollen – die sich maßgeblich dadurch auszeichnen, von ‚außen‘ zugeschrieben zu sein – nicht unbedingt relevante Wissensbestände zuordnen (und vice versa). Vielmehr scheint es gewinnbringend, das Zusammenspiel zwischen zugeschriebenen Aufgaben beziehungsweise Rollen und den (kollektiven) Erfahrungen, die Menschen in Übersetzungsprozesse einbringen, genauer zu betrachten. Welches Wissen in einem Übersetzungsprozess in einer Situation entscheidend ist und ob dieses an formalisierte Rollen gekoppelt ist, ist eine empirisch zu beantwortende Frage, für deren Beantwortung es eines entsprechend offenen Ansatzes bedarf. Da die bestehende Literatur zu Glokalisierung nicht ausreichend präzise mikrosoziologische Konzepte und Vorgehensweisen für empirische Untersuchungen anbietet, schließt sich den hier dargelegten Prämissen im nächsten Abschnitt eine ausführlichere Diskussion der Handlungstheorien der deutschen Wissenssoziologie und an des Amerikanischen Pragmatismus an. Aus diesen entwickle ich die Konzepte für die empirische Analyse.
3.2 Handlungstheoretische Konzepte einer pragmatistischen Wissenssoziologie Wie ich zuvor herausgearbeitet habe, ist es für die Untersuchung von alltäglichen Glokalisierungsprozessen erforderlich, sich mit allen beteiligten Akteuren auseinanderzusetzen. Ich verwende für diese Aufgabe die Handlungstheorien des amerikanischen Pragmatismus (besonders deren interaktionistische Variante nach Strauss) und der deutschen Wissenssoziologie. Im folgenden Abschnitt stelle ich die Grundgedanken der beiden Theorien vor. Ich diskutiere ihre Gemeinsamkeiten, wechselseitige Anschlussmöglichkeiten und konzeptionelle Widersprüche. Ich argumentiere, dass die theoretischen Grundannahmen beider Perspektiven ausreichend ähnlich sind, um sich gegenseitig zu einer fruchtbaren Forschungsperspektive zu ergänzen, anhand derer Glokalisierungsprozesse mikrosoziologisch untersucht werden können.
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3 Theoretischer Rahmen
Die Wissenssoziologie bietet ein theoretisches Gerüst dafür, wie die Erfahrungen und damit verknüpfte Wissensbestände der Mitglieder der transnationalen, religiösen Gemeinschaften rekonstruiert und mit Handlungen in einen Zusammenhang gebracht werden können. Wie bei anderen Wissenstheorien ist der Ausgangspunkt die Annahme, dass „das Bewußtsein des Menschen durch sein gesellschaftliches Sein bestimmt wird“ (Berger und Luckmann 2004 [1966], S. 5 f., mit Bezug zu Karl Marx). Ich verwende besonders eine Variante der Wissenssoziologie, welche die Ideen Karl Mannheims aufarbeitet und anhand rekonstruktiver Verfahren für empirische Forschung übersetzt. Die damit verbundene dokumentarische Methode hat in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen, besonders aber in der deutschsprachigen Bildungsforschung, zunehmend Prominenz erlangt (Bohnsack et al. 2013b). Der Pragmatismus hingegen verhilft zu einem differenzierteren Akteursund Handlungsbegriff, bei dem individuelles Handeln nicht nur ‚kollektiv orientiert‘, sondern auch problemlösungsorientiert ist. Akteure können Zusammenhänge und Handeln reflektieren und kreativ gestaltend eingreifen. Sie können sich auch Dinge vorstellen, die (noch) nicht sind (Dewey 2011, S. 216; Emirbayer und Mische 1998). Hier nehme ich maßgeblich Bezug auf die symbolisch-interaktionistische Spielart von Anselm Strauss. Strauss richtet pragmatistische Überlegungen stärker als die frühen pragmatistischen Denker (die überwiegend Philosophen waren) an soziologischer, empirischer Forschung aus. Zentrale Konzepte, die hier aufgegriffen werden, sind die der sozialen Welt und der verhandelten Ordnung (vgl. Strauss 1993, S. 1–16). Die Forschungsperspektiven ergänzen sich insofern, als der pragmatistische Ansatz mehr das Hervorbringen expliziten Wissens als die Verstetigung von implizitem Wissen in den Blick nimmt, während die Wissenssoziologie genau die geteilten, nichtexplizierten und handlungspraktisch relevanten Wissensbestände herausschälen möchte, sich aber weniger mit der Möglichkeit von Menschen befasst, zu abstrahieren, zu reflektieren und willentlich zu verändern. Daran anschließend ist der Ansatz dieser Arbeit akteurszentriert. Ich frage: Was tun die Mitglieder von transnationalen Gemeinschaften mit den für alle geltenden Zielen? Die folgende Diskussion zeigt gleichzeitig, dass die Untersuchung mehr an Gruppen und kollektiver Erfahrung interessiert ist als an einzelnen Individuen, die Entrepreneur- oder Game-Changer-Funktionen einnehmen und die für spezifische, eigene Präferenzen eintreten. Entsprechend birgt die Analyse geteilter Wissensbestände von Einzelnen neben der mikro-soziologischen auch eine meso-soziologische Dimension.
3.2 Handlungstheoretische Konzepte einer pragmatistischen ...
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3.2.1 Atheoretisches Wissen, kommunikatives Wissen, Reflektion Basierend auf den Überlegungen Karl Mannheims hat sich in den letzten drei Jahrzehnten mit zunehmender Popularität ein Strang der deutschen Wissenssoziologie herausgebildet, der die Konstruktion von Wirklichkeit entlang der Unterscheidung von impliziten und expliziten Wissensbeständen untersucht. Es wird angenommen, dass das Wissen von Akteuren auf geteilten Erfahrungen basiert. Unterschieden werden zwei fundamental unterschiedliche Modi der Erfahrung bzw. der Sozialität: die auf unmittelbarem Verstehen basierende ‚konjunktive‘ Erfahrung und die in wechselseitiger Interpretation sich vollziehende ‚kommunikative‘ Beziehung. (Bohnsack 2014, S. 60 f.)
Wissen, was auf konjunktiven Erfahrungen basiert, ist zumeist implizit und „atheoretisch“, was heißt, dass es Akteuren handlungsleitend zur Verfügung steht, ohne ausformuliert werden zu müssen. Dem gegenüber gestellt wird theoretisiertes, kommunikatives Wissen beispielsweise in Form von ‚Erklärungen‘. Theoretisierte Wissensbestände, so die Annahme, drücken sich nicht unbedingt in Handlungspraxis aus (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 286–289; Nohl 2012, S. 3). Wie ich im Folgenden darlegen werde, ist diese Unterscheidung zwischen atheoretischem und kommunikativem Wissen hilfreich, um das Zusammenspiel kontextueller Begrenzung durch für selbstverständlich gehaltene Sinnstrukturen einerseits und individueller Handlungsfähigkeit andererseits mikrosoziologisch fassbar zu machen. Anhand von Sevóns Überlegungen zu Imitationen im Sammelband Translating Organizational Change (1996) möchte ich den differenzierenden Mehrwert dieser wissenssoziologischen Perspektive knapp illustrieren. Der Autorin zufolge basieren Nachahmungen von Organisationen untereinander auf Erzählungen zu bestimmten Rezepten. Sie schreibt: Story-telling contributes to institution maintenance and the maintenance of exclusivity (March and Sevón, 1988). It states what the natural norms, rules, properties and contexts are. Narratives about organizational life teach us about how to interpret situations and the identity of others and oneself. Indirectly, they suggest answers to questions like What kind of situation is this?, What am I like?, What would I like to be?, and What is appropriate for me in this situation? The narratives may also suggest answers like We are like X, We should want to be like Xa, and We should act like Xa. The answers may be supplied by a recipe. An industrial recipe
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3 Theoretischer Rahmen is grounded on taken-for granted aspects that govern what are proper narrative themes, and it embodies shared believes about rational action for firms within an industry (Spender, 1989). The channels for distributing recipes in narrative form are many. Newspapers print stories daily. Business consultants are influential agents as they construct and spread stories about organizational life (Huff, 1982; Czarniawska-Joerges, 1990; March, 1991). They use narratives to help define visionary statements for the identification of their clients. They also offer methods for organizational change, such as benchmarking, reengineering and adoption of best practice, that fully appreciate the usefulness of learning from others, and they write about them (for example, see Hammer, 1990). Business leaders write biographies. Some leaders who are judged successful write books to make their exclusivity publicly known (for example, Lee lacocca, see lacocca and Novae, 1984), and explain the problems they have experienced. Management training courses diffuse information about the experiences of various firms, and the social interaction during such courses is often an important occasion for gossiping. Also, communication networks among professionals from different organizations, and movement of personnel from one firm to another, as when there is a change of manager, promote the flow of narratives. (Sevón 1996, S. 65)
Dieser Abschnitt verdeutlicht, wie Sevón für selbstverständlich gehaltenes Wissen (erster Absatz) mit ‚Geschichten‘ zu organisationalem Leben erklärt (zweiter Absatz). So entstünden Rezepte durch Biografien erfolgreicher Geschäftsleute, durch Zeitungsartikel oder durch Beratungsfirmen, die mit Methoden wie Benchmarking oder Best-Practice-Beispielen vermitteln, dass und was Organisationen von anderen lernen können. Während Managementkursen tauschten sich die Teilnehmenden untereinander aus (bzw. ‚tratschten‘). Basierend auf der vorangegangenen Diskussion fallen verschiedene Probleme mit dieser Skizze auf. Nicht besprochen wird von Sevón, dass in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen durchaus abweichende, unter Umständen widersprüchliche Rezepte vermittelt werden könnten. Auch die Möglichkeit unterschiedlicher Lesarten dieser verschiedentlich übermittelten Geschichten wird nicht berücksichtigt (vgl. Hall 1973). Schließlich wird mit Blick auf die unterschiedlichen Situationen der Wissensvermittlung und -konstruktion auch nicht unterschieden zwischen dem Wissen, was Akteure in sozialen Zusammenhängen gemeinsam konstituieren wie zum Beispiel durch Tratschen oder durch nicht-sprachliche Interaktion, und solchem, was sie als abstrakte Information erreicht wie zum Beispiel durch Zeitungsartikel oder Biografien. Genau zwischen diesen Wissensbeständen und zwischen abstrakter Materialisierung und Akteursperspektive kann die Wissenssoziologie Mannheim folgend hingegen unterscheiden: Solches (zumeist atheoretische) Wissen, was
3.2 Handlungstheoretische Konzepte einer pragmatistischen ...
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in sozialen Zusammenhängen erworben und hergestellt wird – beispielsweise in der Auseinandersetzung mit anderen Geschäftsleuten – hat demzufolge höheres Gewicht für Handlungsentscheidungen als explizierte ‚Geschichten‘ und theoretisches, sprachlich übermitteltes Wissen. Zwar ‚weiß‘ der Akteur sowohl atheoretisch als auch kommunikativ etwas über ein oder mehrere ‚Rezepte‘ – allerdings vielleicht völlig unterschiedliche oder widersprüchliche Dinge. So war die deutsche Wissenssoziologie um Ralf Bohnsack in den letzten drei Jahrzehnten bemüht, die atheoretischen Wissensbestände bestimmter Akteursgruppen zu rekonstruieren und so Wissen und Prozesse der Wissensgenese sozialwissenschaftlich greifbar zu machen, welches Akteure besitzen, aber als solches zumeist nicht kommunikativ vermitteln (können). In der rekonstruktiven Analyse geht es mehr um die Sinnzuschreibungsprozesse von Akteuren als um die Inhalte explizierter Rezepte. Zu rekonstruieren heißt, dass von der „empirische[n] Basis des Akteurswissens“ ausgehend wissenschaftliche Abstraktionen erarbeitet werden (Bohnsack et al. 2013b, S. 9; vgl. auch Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 11 ff.).1 Dabei ändert sich „die Analyseeinstellung vom ‚Was‘ zum ‚Wie‘“, wie ich im Kapitel zur angewendeten Methode präziser erläutern werde (Bohnsack 2006, S. 272).2 Die Wurzel beziehungsweise die ‚Orientierung‘ für Handlungen wird im impliziten Wissen gesehen. An dieser Stelle erscheint der Kontrast zum Beitrag pragmatistischer Handlungstheorie besonders stark. Im Gegensatz zum Interesse der Wissenssoziologie nach Bohnsack heben Pragmatisten besonders die Fähigkeit von Menschen hervor, zu reflektieren. Emirbayer und Maynard (2011) fassen zusammen:
1In
diesem wichtigen Aspekt sind sich die dokumentarische Methode und die Grounded Theory, die von Barney Glaser und Anselm Strauss entwickelt wurde, durchaus ähnlich. 2Es lässt sich auf einfache Weise ein Bezug zur Beobachtung der Entkopplung von kommunizierter Form und Praxis herstellen (vgl. z. B. Bromley und Powell 2012). So müssen Situationen, in denen explizite Aussagen dazu, was getan wird oder getan werden soll, sich von den tatsächlichen organisationale Praktiken unterscheiden, nicht unbedingt entgegen dem Wissen der Akteure vollzogen worden sein. Sie folgen schlicht einem anderen Wissensbestand. Mit Blick auf die Grundannahme des Neoinstitutionalismus könnten Akteure beispielsweise atheoretisch Wissen, dass eine Vorgehensweise der Entkopplung zu mehr Erfolg der Organisation durch Legitimität führt, als eine tatsächlich Umstellungen im Sinne der kommunizierten Absicht zu vollziehen, beziehungsweise dass einem bestimmten Widerspruch im Feld üblicher und anerkannter Weise in der entsprechenden Branche (der sozialen Welt) mit der Entkopplungspraxis begegnet wird.
74
3 Theoretischer Rahmen For pragmatism is about nothing if not the creative solving of problems in experience through the application of reflective intelligence. Blockages to habitual courses of thought and action, and creative or reconstructive ways of addressing such blockages, typically in the medium of language, are among the core themes of the […] tradition. (Emirbayer und Maynard 2011, S. 224; vgl. auch z. B. Mead 1932)
Anselm Strauss widmet sich besonders mit der Monografie Spiegel und Masken: Die Suche nach Identität den ‚komplizierten Spiegeln‘, die dadurch entstehen, dass Akteure in Handlungsentscheidungen Reflektionen zu Vergangenem und Antizipationen von Zukünftigem einfließen lassen – zum Beispiel, was sie denken, was die Gegenüber denken werden (Strauss 2008, S. 11, 35 ff.). Strauss teilt die Annahme mit den frühen pragmatistischen Denkern, dass besonders solche Situationen Neues provozieren, die widersprüchlich, verwirrend oder nicht umfassend definiert sind. Diese Situationen sind für ihn keinesfalls selten, sondern er schreibt von der ‚kontinuierlichen Notwendigkeit‘ zu reflektieren und Erwartungen anzupassen (Strauss 2008, S. 28). Darüber hinaus ist es die Bewertung, die Beziehungen zwischen Einheiten definiert. Hierin lässt sich ein anderer Akzent erkennen als in wissenssoziologischen Ansätzen, die interessiert sind an kollektivem Wissen und an Regelhaftigkeit, die als solche aber nicht von jedem/jeder Einzelnen umfassend gewusst werden [muss] – nicht als vollständiger Handlungsvollzug und schon gar nicht als explizite Regel. Vielmehr „verteilt“ sie sich auf mehrere Individuen und gelingt durch ihr Zusammenspiel. Das Wissen, das notwendig ist, um „dazuzugehören“, ist in die Handlungspraxis eingelassen, besteht mithin im „Mitmachen-Können“ und muss nicht reflexiv verfügbar sein. (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 286)
Darüber hinaus ließe sich argumentieren, dass mit der dokumentarischen Methode mehr noch „nach der Art und Weise der sprachlichen Äußerungen und der sozialen Praktiken“ gefragt wird, während interaktionistisch-pragmatistische Ansätze empirisch im Schwerpunkt „den semantischen Gehalt einer Aussage oder Handlung [und] den Intentionen und Bewertungen der Akteure“ (Asbrand 2014, S. 181) sowie deren Implikationen nachspüren. Aus zwei Perspektiven lässt sich dieser Unterschied der Ansätze jedoch relativieren, wenn auch nicht negieren.3 Erstens hilft eine Differenzierung
3Eine
sehr simple Variante, pragmatistische Überlegungen und Wissenssoziologie zu integrieren, wäre zu argumentieren, dass Akteure theoretisches Wissen leichter reflektieren oder handlungsbezogen ignorieren können als das implizite, sozial konstituierte Wissen. Da
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75
zwischen Handlungstheorie und Untersuchungsmethode, auch wenn beide in Bezug auf die dokumentarische Methode, die mit der hier verwendete Variante der Wissenssoziologie entwickelt wurde und auf die ich im folgenden Kapitel zur empirischen Untersuchung genauer eingehe, zumeist eng verzahnt diskutiert werden. Mit Blick auf die Vorgehensweise der dokumentarischen Methode erscheint die Trennung zwischen den verschiedenen Wissensbeständen (atheoretisch-kollektiv versus kommunikativ-theoretisiert) sehr rigide. Karl Mannheim hingegen verstand die Trennung handlungstheoretisch nicht als starr: Das Theoretisieren beginnt also keineswegs mit der Wissenschaft, die vorwissenschaftlich alltägliche Erfahrung ist auch theoretisch durchsetzt. Das fließende gelebte Leben ist ein Auf- und Absteigen vom Theoretischen zum Atheoretischen, ein stets Vermischen und Überschichten der unterschiedlichsten Kategorien prinzipiell verschiedenen Ursprungs. So hat also auch im originären „Erleben“, im atheoretischen Bereich das Theoretische seine Funktion, Berechtigung, Sinn und Möglichkeit. […] Jenes zunächst unbestimmte Etwas – die Weltanschauung – liegt aber in einem noch gesteigerten Sinne im Atheoretischen. (Mannheim 1970 [1964], S. 100)
Zwar gibt es Mannheim zufolge Wissensbestände, die leichter theoretisierbar sind als andere, grundsätzlich gesteht er Menschen aber die Fähigkeit zu, konjunktiv geteiltes Wissen in abstrahiertes und kommuniziertes Wissen zu überführen; theoretisches Wissen hat eine „Funktion“. Die Grenzen zwischen den analytischen Kategorien des Konjunktiven und des Expliziten werden nicht zuletzt durch die Praxis des Sprechens – und damit des Explizierens – unschärfer.4 Zweitens wird im Pragmatismus Reflektion als Reflektion basierend auf Erfahrung verstanden und beinhaltet so auch eine kollektive Dimension. Strauss thematisiert Reflektionen, Klassifikation und Bewertung eingeschlossen, am Beispiel der Erfahrung mit Tofu:
aber im Pragmatismus (kreatives) Handeln genau in diesen Reflektionen begründet liegt, die Wissenssoziologie aber die Orientierungen für Handlungen eher begründet sieht in sozialer Interaktion mit dem Ergebnis impliziter Wissensbestände, ist die Widersprüchlichkeit so einfach nicht aufzulösen. 4Vergleiche dazu beispielsweise die Überlegungen zu ‚konjunktivem Erkennen‘, in denen ich einen entsprechenden Hinweis Mannheims erkenne: „Ein jedes konjunktives Erkennen trägt eine gewisse Tendenz des Denkwollens und Erfahrenwollens in sich, deren […] Niederschlag in der von ihm verwendeten Begriffsebene aufzufinden ist“ (Mannheim 1980, S. 270).
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3 Theoretischer Rahmen The range of our experience with tofu is both what we know of it and how we value it. The wider grows the range, the better we know the object […] and likewise the more extensive become our judgments of its capacities and qualities. It would appear that classification, knowledge and value are inseparable. (Strauss 2008, S. 25)
Das Beispiel ist insofern metaphorisch, da auch Strauss primär an sozialer Interaktion und nicht an der Bewertung von Lebensmitteln interessiert ist. So weist er darauf hin, dass Gruppen durch Kommunikation (oder: Interaktion) auch gemeinsame Bewertungen beziehungsweise gemeinsame Wissensbestände entwickeln, beispielsweise zu ‚den zukünftigen und den vergangenen Bedeutungen ihrer Beziehungen‘ (Strauss 2008, S. 36, vgl. auch 150 ff.). Eine von Meads bekannten Beiträgen zu pragmatistischem Denken ist, dass Individuen über sich selbst (als ‚Objekt‘) reflektieren können und dabei nicht zuletzt die Perspektive ‚generalisierter Anderer‘ berücksichtigen. Kollektive Erfahrung ist dabei entscheidend. So schreibt er beispielsweise: [H]e becomes an object to himself only by taking the attitudes of other individuals toward himself within a social environment or context of experience and behavior in which both he and they are involved. (Mead 1972 [1934], S. 203)
Auch Emirbayer und Maynard weisen in ihrer Rezeption der frühen amerikanischen Pragmatisten wie Peirce, James und Dewey darauf hin, dass die Pragmatisten ‚Empirismus‘ große Bedeutung einräumten. Praktiken oder: Erfahrungen wurden als der Antrieb aller Vorhaben betrachtet und Reflektion als in Erfahrung verwurzelt. Anschlussfähig an das Konzept des impliziten Wissens und des Verstehens nach Mannheim gingen Dewey und andere davon aus, dass die Bedeutungen von Praktiken unbemerkt – meinem Verständnis nach also zwar kognitiv ‚vorhanden‘, aber nicht reflektiert – bleiben, solange sie nicht auf Widerstände stoßen (Emirbayer und Maynard 2011, S. 226; Mannheim 1980, S. 272 ff.). Handlungstheoretisch kann so meiner Meinung nach basierend auf den Grundprämissen eine Brücke geschlagen werden zwischen Wissenssoziologie und Amerikanischem Pragmatismus.5 In den folgenden zwei Unterkapiteln möchte
5Sehr
viel weiter ausgeholt lässt sich ein gemeinsamer Bezug zur Ethnomethodologie als Beleg für meine These heranziehen. Emirbayer und Maynard (2011) identifizieren drei Probleme der Denkrichtung des Pragmatismus für empirische Forschung, für die sie die Verknüpfung des Pragmatismus mit der Ethnomethodologie Garfinkels vorschlagen. Hier
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ich diese Brücke argumentativ stabilisieren. Einerseits ist es genau der Unterschied des Forschungsinteresses, der die Kombination der Perspektiven für meine Fragestellung reizvoll macht. Während im Pragmatismus der Fokus oft auf Umbrüchen und ‚Überraschungen‘ liegt, wendet sich die Wissenssoziologie besonders dem Alltag und sich Wiederholendem zu. Andererseits argumentiere ich, dass die zugrundeliegenden Annahmen dazu, in welcher Beziehung die Konzepte Wissen und Handlungen miteinander stehen, nicht so unterschiedlich sind, wie es zuerst scheint. Das analytische Schema dazu, wie Realitäten sozial hervorgebracht werden (vgl. Strübing 2007, S. 128), ist ein überraschend Ähnliches.
3.2.2 Wissen und Handlungen Sowohl in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus und des symbolischen Interaktionismus als auch in der der deutschen Wissenssoziologie, welche die Ideen Karl Mannheims aufgreift, beruhen Handlungen von Akteuren auf Wissen. Beide Ansätze differenzieren dabei zwischen kreativer Handlung und unreflektierten, habitualisierten Routinen („Zweifel und Gewissheit“ (Strübing 2007, S. 132)) in der Sprache des Pragmatismus beziehungsweise zwischen expliziten und impliziten Wissensbeständen in der deutschen Wissenssoziologie (vgl. Bohnsack 2006). In Bezug auf die empirischen Untersuchungen liegt hier gleichzeitig ein bedeutender Unterschied der beiden Forschungsstränge. Deutsche Wissenssoziologen interessieren sich gerade für implizite Wissensbestände, da diese in besonderer Weise als alltäglich handlungsleitend verstanden werden. Pragmatisten betonen eher das handlungsleitende Potential von reflektierten Denkprozessen. Verschiedene Denkrichtungen und Autoren haben sich in der Vergangenheit bereits mit Wissen in Gemeinschaften und Organisationen befasst. Der Begriff hat aber in den zugrundeliegenden Forschungsparadigmen zuweilen unterschiedliche handlungstheoretische Bedeutung und beschreibt abweichende Phänomene.
findet sich eine interessante Parallele zur Wissenssoziologie: In Bohnsacks Aufsatz Mannheims Wissenssoziologie als Methode stellt er das gemeinsame Interesse Mannheims und Garfinkels an einer analytischen Verschiebung der Frage des Was auf das Wie dar, welches die dokumentarische Methode aufnimmt und adressiert (Bohnsack 2006; vgl. auch Bohnsack 2014, S. 20, 25, 58 ff.).
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3 Theoretischer Rahmen
Wissen wird zum Beispiel als ausbeutbare Ressource (also als Kapital) oder auch als Objekt und Ergebnis von politischen Auseinandersetzungen untersucht. So untersuchen Studien mit Interesse an Wissensmanagement Wissen als nutzbare Ressource für Organisationsziele. Wissen ermöglicht bestimmtes ‚Handeln‘ von und in Organisationen zur Erreichung spezifischer Organisationsziele. Boiral (2002) untersucht beispielsweise, auf welche Weise Wissen von Mitarbeitenden in Bezug auf das Umweltmanagement von Firmen relevant ist und wie dessen Anwendung gefördert und gesteuert werden kann. Als ‚stillschweigendes‘ (englisch: „tacit“) Wissen bezeichnet er solches, welches in der Regel nicht expliziert wird und auf persönlicher Erfahrung beruht. Die von Boiral als Ressource identifizierten Wissensbestände entstehen als Wissen einer bestimmten Gruppe in dem Betrieb aus deren Alltagspraxis heraus. Durch die Explikation soll dieses Wissen im Betrieb systematischer nutzbar gemacht werden, um Umweltleistungen zu verbessern. Boirals Studie ist damit Teil einer Reihe von Veröffentlichungungen, deren theoretisches „Kernstück […] die Annahme [bildet], dass kreative Formen der Wissensproduktion in Organisationen auf einer systematischen ‚Konversion‘ von implizitem in explizites Wissen (und vice versa) beruhen“ (Liebig 2007, S. 149). Sowohl wissenssoziologisch als auch pragmatistisch lassen sich dazu Einwände formulieren. Die wissenssoziologische Vorgehensweise ist insbesondere darauf ausgerichtet, implizites und der Theorie nach handlungsleitendes Wissen, was in kollektiven Alltagserfahrungen begründet liegt, zu rekonstruieren. Der Alltag sowie die Kommunikation zwischen Akteuren ist der Gegenstand von Untersuchungen. Allerdings liegt der Fokus auf grundlegenden Orientierungen, die nicht vorbehaltlos und gesteuert auf andere Gruppen übertragen werden können. Der Fokus liegt nicht auf einzelnen, herauslösbaren Aktivitäten, die sich technisch von einer in die andere Gruppe transportieren lassen. Wissen kann nicht ohne die entsprechende Erfahrung handlungsleitend auf Akteursgruppen übertragen werden, sondern jede Gruppe wird die entsprechenden Explikationen vor dem Hintergrund der ihnen eigenen Orientierungen rezipieren. Unter Umständen kann in Interaktionen eine Verständigung auf Basis der gemeinsamen Erfahrungen erfolgen. Aus pragmatistischer Perspektive erscheint der Unterschied zwischen Arten des Wissens weniger problematisch. Mit dem Moment der Explikation erwarten Pragmatisten jedoch nicht-steuerbare Veränderungen in Wissensbeständen und Abläufen. Pragmatisten wenden sich häufig den sich empirisch zeigenden Momenten des Zweifels, der Umbrüche, der Unterbrechung und des Wandels von Routinen zu, um den Prozesscharakter geteilten Wissens und stabilisierender
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sozialer (Sinn-)Strukturen zu untersuchen (vgl. auch Strübing 2007, S. 132, 134 f.).6 In diesen Momenten, so die Annahme, lässt sich die Fähigkeit von Menschen, Wissen zu reflektieren und kreativ zu handeln, besonders gut untersuchen, da das zuvor für selbstverständlich Gehaltene hinterfragt wird (vgl. z. B. Stark 2009 zu Deweys Ausdruck der verblüffenden und beunruhigenden Situationen). Somit ist es nachvollziehbar, den pragmatistischen Zugang zur sozialen Konstruktion von Wirklichkeiten weniger als einen des Wissens als einen des Denkens zu verstehen (Maasen 1999, S. 21). Anders als Studien, die primär Wandel und Innovationen erklären wollen, nutzt eine pragmatistische Perspektive den Krisenmoment allerdings auch, um das nur dann beobachtbare Praxiswissen zu Routinen zu untersuchen (Strübing 2007, S. 135). Pragmatistische und wissenssoziologische Ansätze teilen die Grundannahme, dass es kein neutrales Wissen über eine außerhalb dieses Wissens befindliche Realität geben kann und dass Akteure darüber verhandeln (vgl. Strauss 1993, S. 27). Akteure verfolgen in diesen Aushandlungen jedoch nicht zwangsläufig bestimmte benennbare Interessen (ausdruckbar in Präferenzen und Strategien). Während durchaus ein Zusammenhang zwischen Interessen und impliziten Wissensbeständen angenommen werden kann, steht weder dieser Zusammenhang noch die Formung und Verfolgung (politischer) Interessen im Vordergrund.7
6Liebig
(2007) argumentiert in ihrer Untersuchung von Geschlecht und Unternehmensführung ähnlich. Sie stellt – allerdings basierend auf Ergebnissen einer Analyse mit der dokumentarischen Methode – fest, dass die Explikation impliziten Wissens in Unternehmen zu (innovativen) Veränderungen führen kann. 7Die Entstehung von Wissen als Ergebnis politischer Auseinandersetzung wird beispielsweise im Sammelband von Jasanoff und Long Martello (2004) behandelt mit den Schnittstellen zwischen Wissen, Wissenschaft und Macht in Bezug auf Probleme der Umweltregulierung in global-lokalen Spannungsfeldern. Jasanoff zeigt in ihrem Aufsatz, dass unterschiedliche Akteure abweichende Wissensbestände und Interpretationen von Umweltproblemen diskursiv herstellen. Sie stellt einer globalen Umweltschutzperspektive, wie sie besonders in den USA konstruiert wird, exemplarisch eine indische ‚Südperspektive‘ entgegen. Die erstgenannte Variante geht einher mit der Rahmung einer grenzenlosen und ‚ortslosen‘ Welt ohne gesellschaftlich differenzierte Wirklichkeiten – symbolisch vermittelt durch den aus dem Weltall fotografierten Planeten –, die zweite weist auf ganz konkrete Weltregionen und konkrete Umweltprobleme wie zum Beispiel ausgetrocknete Landstriche und adressiert die ökonomische Ungleichheit von Bevölkerungsgruppen. Jasanoff betont mit ihrer Analyse, dass in der Konstitution von Wissen (und Wissenschaft) Machtverhältnisse wirken und sich ausdrücken. Auch die Lesarten von Symbolen wie der Weltkugel sind nicht nur kulturell, sondern auch politisch aufgeladen, wobei in ihrer Diskussion die diskursive Abgrenzung entlang nationaler Identitäten (US amerikanisch und indisch) verläuft (Jasanoff 2004a). In ähnlicher Weise zeigt Montana
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3 Theoretischer Rahmen
Unterschiedlichste ‚Brüche‘ mit Routinen und unterschiedliche Lesarten von Situationen (also: Bedeutung) basierend auf unterschiedlichen Erfahrungen in sozialen Welten oder Erfahrungsräumen oder situativen Intersektionen verschiedener Welten sind ausreichend Grundlage für Handlungen (Strauss 1993, S. 39). In der pragmatistischen Tradition beginnen Verhandlungen im weit gefassten Sinne mit ‚Problemen‘. Menschen haben auch Ziele, die aber ihrerseits in Erfahrung beziehungsweise Wissen verhaftet sind. Wissen verstehe ich hier in Anlehnung an die diskutierten Handlungstheorien als Sinnstrukturen, die Beteiligte in sozialen Welten teilen, gemeinsam konstruieren, konstituieren und rekonstituieren. Wissen stellen Menschen gemeinsam situativ gebunden in Praktiken her beziehungsweise reproduzieren und verhandeln es permanent. Wissensproduktion ist nie abgeschlossen. Die Praktiken sind eingebettet in spezifische Kontexte. Sie bedürfen einer Art Beteiligung an den entsprechenden Gemeinschaften. Wissen ist folglich weniger individuell als kollektiv; Handlung nie kontextlos. Die Beziehung zwischen Wissen und Handlung ist ein schnell getaktetes Wechselspiel: Wissensgenerierung ist handlungsbasiert und Handlung basiert auf Wissen. Auch nicht sichtbare Reflektionen sind Handlungen (vgl. Strauss 1993, S. 22). Wissen ist Startpunkt, Gegenstand und Ergebnis von jedem sozialen Prozess. [A]ctions also carry meaning […]. Actions may generate further meaning, both with regard to further action and the interactions in which they are embedded. (Strauss 1993, S. 24) Meanings (symbol) are aspects of interaction, and are related to others within systems of meanings (symbols). Interactions generate new meanings and symbols as well as alter and maintain old ones. (Strauss 1993, S. 26)
(2017) in seiner oben diskutierten Untersuchung des Weltrats für Biologische Vielfalt (IPBES), wie die Kategorien der Akteure, die legitim an den internationalen Verhandlungen in diesem Rat teilnehmen können, in bewussten Auseinandersetzungen verhandelt wurden. Es wurde sich auf eine ganze bestimmte Variante der Norm ‚der Einheit in Vielfalt‘ geeinigt. Die Kategorisierung ist auch für die weitere Wissensgenerierung folgenreich (Montana 2017, S. 25). Für eine Diskussion verschiedener Ansätze in der primär politikwissenschaftlichen Literatur zum Zusammenhang zwischen Ideen und Interessen siehe die Arbeiten von Campbell (2001; 2002). Eine Untersuchung, die empirisch zeigt, dass konkrete ökonomische Interessen von Unternehmen in entscheidendem Maße durch Ideen und kognitive ‚Begrenzungen‘ konstituiert werden, ist Woll (2008).
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81
Als organisationales Wissen wird hier solches Wissen beschrieben, welches in organisierten Gemeinschaften konstruiert und rekonstruiert wird und welches mit dem geteilten ‚Projekt‘ dieser organisierten Gemeinschaft in einem Zusammenhang steht (für einen Überblick zu verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks des organisationalen Wissens vgl. z. B. Chua 2002). Organisationales Wissen kann in Situationen zu unterschiedlichem Grade expliziert und formalisiert werden. Wenn beispielsweise die Ergebnisse der Verhandlungen in Generalversammlungen in religiösen Gemeinschaften in Dekreten verschriftlicht werden, wird generiertes Wissen abstrahiert und materialisiert. In neuen sozialen Situationen kann auf diese Abstraktionen zugegriffen werden, wobei der stattfindende Sinnzuschreibungs- und Verhandlungsprozess in den jeweiligen Situationen jedoch auf dem Wissen der Beteiligten dieser räumlich und zeitlich spezifischen Situationen beruht und entsprechend anderes Wissen in Bezug auf die Verschriftlichung konstituiert wird. Während mit der Perspektive der deutschen Wissenssoziologie die geteilten Orientierungen interessieren, die Handlungspraxis zugrunde liegen, richtet sich der Fokus einer pragmatistischen Perspektive auf die „interaktiv-kommunikative[..] (Re-)Produktion sozialer Wirklichkeit“ (Liebig 2007, S. 152). Der Wissensbegriff dieser Untersuchung liegt somit nah an anderen Arbeiten, die Wissen als sozial, kulturell und praxisbasiert verstehen (vgl. Brown und Duguid 2001; Gherardi und Nicolini 2003, S. 205 ff.).8 In diesem Forschungsstrang zu Wissen und sozialer Praxis wird oft der prominente Begriff der ‚Praxisgemeinschaften‘ (englisch: „communities of practice“) herangezogen. What are communities of practice? In brief, they’re groups of people informally bound together by shared expertise and passion for a joint enterprise […]. Inevitably […] people in communities of practice share their experiences and knowledge in free-flowing, creative ways that foster new approaches to problems. (Wenger und Snyder 2000, S. 139 f.)
Die zitierte Perspektive auf Wissensgenerierung weist, wie große Teile der organisationalen Managementforschung, einen funktional-innovationsorientierten Bias auf (vgl. Boiral 2002 oben). Trotzdem verdeutlicht es, dass die zu Beginn des Kapitels diskutierten Ansätze der organisationalen Institutionenforschung handlungstheoretisch anschlussfähig sind an die Grundannahmen der
8Anders
als Gherardi und Nicolini (2003) fokussiert diese Arbeit allerdings nicht die Mediation durch technologische Artefakte.
82
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v orliegenden Arbeit. Das vorherige Zitat beinhaltet bereits einige Begriffe, die auch für das handlungstheoretische Fundament dieser Arbeit relevant sind: Gruppen, die Wissen teilen (beziehungsweise miteinander ‚kommunizieren‘) und die in Handlungen, basierend auf Erfahrungen, miteinander neues Wissen erschaffen. Akteure erlangen Wissen durch Erfahrungen, die sie mit anderen teilen. Je nach Forschungstradition vollzieht sich dieses Teilen in sozialen Welten (Strauss 1993, S. 212; 2008, S. 164), Erfahrungsräumen (Bohnsack 2006, S. 278) oder auch sozialen Gruppen (Flick 1996, S. 95; Fine 2012).
3.2.3 Soziale Welten, verhandelte Ordnung Zuvor nutzte ich bereits den Begriff der sozialen Welten als kulturelle Bereiche, die auf geteilten Perspektiven der Mitglieder basieren. Eine soziale Welt wird gestaltet durch die Kommunikation der Mitglieder, wobei die Mitgliedschaft gleichzeitig das Anerkennen der sozialen Welt und ein bestimmtes ‚Engagement‘ erfordern (vgl. auch Shibutani 1955). Membership within all these social worlds involves various generalized commitments, beyond the more specific and easily discernible commitments, to agencies, institutions, organizations, cliques, and specialties associated with the social world. (Strauss 2008, S. 169)
Für Strauss sind es diese sozialen Welten, die gemeinsamen ‚Sinn‘ zwischen Beteiligten einer sozialen Situation ermöglichen. Menschen können an unterschiedlichen sozialen Welten teilnehmen, zum Beispiel innerhalb einer Firma mit spezifischem organisationalem Wissen, in Baseball und in einer katholischen Gemeinde, wobei soziale Welten Diskurse und Symbole ebenso umfassen wie Aktivitäten oder Technologien (Strauss 2008, S. 163 f.; 1978b, S. 121). Die Grenzen der Welten sind bedingt durch Grenzen der Kommunikation. Diese sind wandelbar und durchlässig (Shibutani 1955, S. 566).9
9In
Continual Permutations of Actions verweist Strauss auf eine genauere Definition sozialer Welten von Clarke (1991) in Bezug auf die Beschaffenheit der jeweiligen Gruppen, die jedoch offen lässt, auf welchen Prozessen soziale Welten beruhen und die mir daher für diese Analyse als weniger geeignet und vielleicht sogar als zu konkret erscheint (Strauss 1993, S. 212; A. Clarke 1991). Soziale Welten bestehen demnach aus Gruppen mit geteilten commitments zu bestimmten Aktivitäten, die für das Erreichen von Zielen diverse Ressourcen teilen und die für ihre Unterfangen gemeinsame Ideologien entwickeln.
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Der Begriff der sozialen Welten wurde von Wissenschaftler*innen mit unterschiedlichen Forschungsinteressen genutzt. Nach wie vor lässt er jedoch für empirische Erhebungen viele Fragen offen, von denen einige von der Wissenssoziologie adressiert werden können. Ein Beispiel aus der Wissenschaftsund Technikforschung, welches durch die pragmatistisch-interaktionistische Perspektive von Strauss inspiriert wurde, ist der zuvor bereits diskutierte Aufsatz von Star und Griesemer (1989).10 Der Argumentation der Autor*innen folgend entwickeln zwei Entrepreneurs ein (standardisiertes) gemeinsames Verfahren und nutzen geschickt die Schnittmengen aller Stakeholder, die Menschen mit unterschiedlichen Visionen und Interessen aus unterschiedlichen „sozialen Welten“ sind. Außerdem etabliert sich ein Verfahren der Übersetzung zwischen unterschiedlichen ‚Interessen‘ durch die Entwicklung von Grenzobjekten und durch den Austausch mit Geld (zum Beispiel mit Jägern/Fallenstellern): [M]any participants share a common goal: preserve California’s nature. Those that do not share this goal participate in the economy via a neutral medium - direct monetary exchange (note: this includes the university administration!) (Star und Griesemer 1989, S. 408)
Der Erfolg, dass für das Museum Vertreter*innen vieler Welten zusammenwirkten und dass es ‚funktionierte‘, zwischen verschiedenen Welten zu vermitteln, wird maßgeblich auf die besonderen Managementfähigkeiten der Entrepreneurs, besonders des Museumsdirektors, zurückgeführt (Star und Griesemer 1989, S. 406). Die Analyse setzt jedoch nicht an, die impliziten Wissensbestände aller Beteiligten zu erforschen, so wie es die rekonstruktiven Verfahren der Wissenssoziologie anstreben. Um die Visionen der Entrepreneurs und die Handlungen und Konfliktlinien zwischen verschiedenen Gruppen herauszuarbeiten, nutzten die Autor*innen vor allem Archivmaterial wie zum Beispiel Briefwechsel. Die Briefe und weitere Dokumente wiesen vermutlich primär auf explizites Wissen hin (beispielsweise in Form von Argumentationen, vgl. Nohl 2012), während implizite Wissensbestände weniger analytisches
10„One
way of describing this process is to say that the actors trying to solve […] problems come from different social worlds and establish a mutual modus operandi. [..] A university administrator in charge of grants and contracts, for example, answers to a different set of audiences and pursues a different set of tasks, than does an amateur field naturalist collecting specimens for a natural history museum“ (Star und Griesemer 1989, S. 388).
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3 Theoretischer Rahmen
Gewicht erhalten haben dürften. Darauf deutet hin, dass bei allen Akteuren außer den zwei Entrepreneurs die soziale Welt von formalen Gruppen und Rollen abgeleitet wird. Mit der Perspektive der Wissenssoziologie lassen sich weitergehend einige qualifizierende Fragen formulieren, die in der Analyse von Star und Griesemer offen bleiben. Die Wissenssoziologie lenkt den Blick weg von den Interessen, die ausgedrückt oder unterstellt werden, und den ex post zugeschriebenen ‚Fähigkeiten‘ und Techniken. Aufmerksamkeit erlangen Erfahrungen, anhand derer die Beteiligten einen bestimmten Aspekt in spezifischen Kontexten verstehen, und die damit einhergehenden Orientierungen für Interpretationen der Welt (zur genaueren Diskussion des Begriffs der Orientierungen siehe den Abschnitt zur dokumentarischen Methode im Kapitel „Empirische Untersuchung“). Von einer Rolle können diese nicht zwangsläufig abgeleitet werden.11 Hinsichtlich der Untersuchung von Star und Griesemer bleibt beispielsweise offen, ob und wie ausgeschlossen werden kann, dass mit der Interaktion zwischen den Akteuren zu dem gemeinsamen Projekt des Museums eine gemeinsame Orientierung beziehungsweise eine geteilte soziale Welt entstand. Wie lassen sich pragmatistische Überlegungen nun mit wissenssoziologischen Ansätzen in Beziehung setzen? Mannheim folgend konstituieren Menschen durch Interaktionen nicht soziale Welten, sondern Erfahrungsräume. „Mit der grundlagentheoretischen Kategorie des konjunktiven Erfahrungsraumes wird das menschliche Miteinandersein, das sich in der gelebten Praxis fraglos und selbstverständlich vollzieht, gefasst“ (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 285). Ein konjunktiver Erfahrungsraum ist nicht an eine konkrete Gruppe gebunden, sondern er verbindet Menschen, die „an Handlungspraxen und damit an Wissensund Bedeutungsstrukturen teilhaben“. Wie in sozialen Welten kann sich insofern Verständigung auch zwischen Personen ereignen, die sich nicht kennen
11Hier
einige Beispiele mit Bezug zur diskutierten Studie: War es wirklich eine dominierende Orientierung der beteiligten Sammler, die Einmaligkeit von Kalifornien und des US amerikanischen Westens zu beschreiben, zu bewahren und öffentlich zu machen? Ebenso wäre es denkbar, dass unter den Sammlern, die das Anliegen des Museums unterstützten, gleichermaßen auch wissenschaftliche oder pädagogische Orientierungen zu finden waren oder dass beim Verwaltungspersonal das Ziel des Umweltschutzes eine gewisse Unterstützung erfuhr, insofern, dass neben monetären Bewertungsmaßstäben auch andere angewendet wurden, diese sich aber nicht als explizite Interessen oder Ziele ausdrückten.
3.2 Handlungstheoretische Konzepte einer pragmatistischen ...
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(Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 288).12 So gibt es auch „geschlechtsspezifische Orientierungen“: Der je fallspezifische Erfahrungsraum konstituiert sich immer schon in der Überlagerung bzw. wechselseitigen Durchdringung unterschiedlicher Erfahrungsräume bzw. Dimensionen – beispielsweise bildungs-, geschlechts- und generationstypischer, aber auch lebenszyklischer Art. (Bohnsack et al. 2013b, S. 16, für vorheriges Zitat, S. 17)
Nichtsdestotrotz ist Wissen von einzelnen Personen und sind konkrete Interaktionen „standortgebunden“. Damit ist gemeint, dass Wissen durch Erfahrungen begrenzt wird und damit Situationen immer nur einen Aspekt von allen ‚denkbaren Wissensbeständen‘ enthalten (Bohnsack 2014, S. 191). So, wie aus pragmatisch-interaktionistischer Perspektive davon ausgegangen wird, dass Menschen an verschiedenen sozialen Welten teilnehmen, geht die Wissenssoziologie davon aus, dass Menschen im Sinne „kollektiver Erlebnisschichtung“ in verschiedenen Erfahrungsräumen Teil verschiedener Prozesse sind, aus denen geteilte, handlungsleitende Orientierungen hervorgehen. Zur Verdeutlichung des Konzeptes des Erfahrungsraumes kann die folgende Diskussion der kommunikativen und konjunktiven Bedeutung von Familie dienen, welche auch die spezifische wissenssoziologische Perspektive auf Institutionen wiedergibt: So ist uns allen […] die ‚Familie‘ einerseits als Institution und als verallgemeinerbarer Begriff in einer objektivierten Bedeutung gewärtig, die auf institutionalisierten Erwartungen und z.B. rechtlichen Definitionen beruht. Wir sprechen hier von der „kommunikativen“ Bedeutung des Begriffes Familie. Eine darüber hinausgehende und zum Teil völlig andere Bedeutung erhält der Begriff ‚Familie‘ hingegen für diejenigen, die die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten einer konkreten familialen Alltagspraxis miteinander teilen. […] Diese kollektive Erlebnisschichtung ist zugleich das Produkt einer gemeinsamen Praxis wie auch deren Voraussetzung. Wir sprechen hier dann von einer „konjunktiven“ Bedeutung des Begriffes Familie und von der Familie als einem „konjunktiven Erfahrungsraum“ (Bohnsack 2013, S. 247).
12Wissenssoziologen
dieser Richtung stellen oft einen Bezug zu Bourdieus Konzepten des Habitus und des Milieus her, den ich hier nicht weiter verfolge (vgl. z. B. Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013b, S. 15 f.).
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3 Theoretischer Rahmen
Die Ähnlichkeit der beiden Konzepte der sozialen Welten einerseits und des Erfahrungsraumes andererseits ist in Anbetracht der Unterschiede der üblicherweise damit verbundenen Methoden der Erhebung dieser Konzepte verblüffend. Wissen wird verstanden als sozial konstruiert und damit als „weder positivistisch noch idealistisch“ (Maasen 1999, S. 7). Basierend auf Situationen der Interaktion und der Kommunikation, ‚ordnen‘ Wissensbestände in Form von Sinnstrukturen und damit verknüpften Erwartungen neue Interaktionen. Da in der Literatur zu Glokalisierung das Konzept der sozialen Welten geläufiger ist als das des Erfahrungsraumes, verwende ich in dieser Arbeit vorrangig den Begriff der sozialen Welt und schließe damit das Konzept des Erfahrungsraumes ein.13 In der Wissenssoziologie nach Bohnsack werden Normen aus impliziten, in Praxis sich bildenden Orientierungen per se ausgeschlossen. Bohnsack argumentiert, dass die „existenzielle Realität der handlungsleitenden, impliziten Wissensbestände“ – und damit ein Forschungsfokus auf „die Bedingungen der Herstellung existenzieller Sicherheit, der kollektiven Einbindung und des unmittelbaren Verstehens“ – „tiefer verankert [seien] als die Wirklichkeit der Institutionen, Rollen und Normen, wie sie von Berger/Luckmann beschrieben wird“. Diese Argumentation erscheint allerdings nicht plausibel. Im Erfahrungsraum der Familie beispielsweise könnten sich sehr spezifische Orientierungen ergeben, die sich darauf richten, „welches Handeln in welchen Situationen angemessen ist und was somit auch von anderen zu erwarten ist“ (Maurer 2008, S. 77) und folglich normative Ordnungen konstituieren. Die Wissenssoziologie birgt gegenüber der Perspektive des Pragmatismus, wie er durch Strauss ausgearbeitet wurde, jedoch den Vorteil für empirische Forschung, die verschiedenartigen Wissensbestände sowie methodische Zugangsweisen genau zu differenzieren und auszubuchstabieren. In Bezug auf die Auseinandersetzungen von Akteuren in und zwischen sozialen Welten prägte Strauss den Begriff der verhandelten Ordnungen. Während bei Strauss Verhandlungen immer dann stattfinden, wenn Akteure „etwas hinkriegen“ (vgl. auch Abschnitt zu den Teilprozessen unten), sind darauf aufbauende Definitionen teilweise präziser. In den Definitionen von Sandner und Meyer (1994) und der Reformulierung von Wirth (2000) beispielsweise ist Ver-
13Dies
ist eine Entscheidung zu weniger forschungstheoretischer Differenzierung zum Zwecke der Zugänglichkeit der Untersuchung. Ich bin mir darüber bewusst, dass Forschenden, die sich ausschließlich an der Herangehensweise der Wissenssoziologie nach Bohnsack und der dokumentarischen Methode orientieren, dieses Vorgehen befremdlich, wenn nicht sogar verboten, erscheinen mag.
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handlung definiert als Prozess, in dem zwei oder mehr Akteure versuchen, ihre soziale Beziehung für einen bestimmten Kontext zu definieren. In Bezug auf die Untersuchung von Situationen, in denen verschiedene Perspektiven sich begegnen, argumentiert Strauss, alle ‚Hauptperspektiven‘ in der Verhandlung müssten in eine Analyse einbezogen werden, wobei nicht immer sofort ersichtlich ist, welche Perspektiven relevant für den Prozess sind (Strauss 1993, S. 39 f.). Ordnungen beziehungsweise geteilte Wissensbestände sind, so Strauss, immer verhandelt und dynamisch. Es gibt keine (Bedeutungs-)Strukturen, die nicht sozial errichtet wurden, und die nicht ebenso auch verändert werden können (Strauss 1978b, S. 124; 1978a; vgl. auch Fine 1984). Mit dem Begriff der verhandelten Ordnungen wird präzisiert, dass Akteure auch bei Strauss keinesfalls völlig ungebunden Entscheidungen treffen. Zuvor etablierte Bedeutungen werden durch Akteure innerhalb sozialer Welten als Erwartungen kommuniziert, zum Beispiel in organisierten Gemeinschaften. Fine expliziert bezüglicher organisationaler Zusammenhänge: The negotiated order perspective reminds us that organizational structure is not fixed but rather is continuously being constructed. People learn what they are expected to do in organizations through their communication with others and then find these expectations modified through additional interactions. Organizational life is not directed by an organizational chart but by the meanings of the social relations of the persons who inhabit roles in that formal hierarchy. (Fine 1984, S. 256)
Teil der strukturierenden Erwartungen sind auch solche, die Ideen zu Zukunft und Vergangenheit vermitteln. In kultursoziologischen Arbeiten hat die zeitlich-relationale Kontextdimension in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit erhalten (Mische 2009; Emirbayer und Mische 1998; Schultz und Hernes 2013; Mische 2014). Akteure in Interaktionen in einer ‚laufenden Gegenwart‘ verändern Wissen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ständig (‚ongoing present‘, bei: Mead 1932; vgl. auch Mannheim 1980, S. 274, er schreibt vom ewigen Jetzt der Reflexion).14 Beiden Ansätzen, der Wissenssoziologie wie dem Pragmatismus, ist eine mikrosoziologische Perspektive auf soziale Prozesse unter der Annahme gemein, dass kollektive Phänomene mithilfe der Analyse von Individuen und
14Mannheim schreibt auch: „Verstehen und Interpretieren von geistigen Realitäten vergangener Epochen bedeuten also ein Hineinstellen dieser Realitäten in unseren Erfahrungsraum“ (Mannheim 1980, S. 276).
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3 Theoretischer Rahmen
deren Interaktionen untersucht werden können. Für die vorliegende Arbeit ist bedeutend, dass Einzelne nicht als Träger einzigartigen Wissens, sondern als Mitglieder von Gruppen untersucht werden und als ‚Repräsentant*innen‘ für eine Gruppe mit sozial geteiltem Wissen basierend auf gemeinsamer Erfahrung und Kommunikation. Kategorien wie der der sozialen Welt oder des konjunktiven Erfahrungsraums liegt die Annahme zugrunde, dass Erfahrungen und deren Interpretationen sozialen Mustern folgen, was bedeutet, dass es für wahrscheinlich befunden wird, dass diese sich in ähnlicher Weise und ähnlich bedeutsam bei anderen als den untersuchten Personen zeigen, die zum Beispiel der gleichen Generation, Berufsgruppe oder sozialen Klasse angehören (Strauss 2008, S. 102; Bohnsack 2006, S. 249). Insofern hat auch die Analyse der Wissensbestände von Einzelnen meso-soziologischen Gehalt (vgl. Fine 2012). Gruppen können an einen bestimmten Ort oder an eine nationale Identität gebunden oder auch transnational zusammengesetzt sein. Die relevante soziale Welt beziehungsweise der relevante Erfahrungsraum sind aus Forscher*innenperspektive nicht a priori festgelegt. Das Nebeneinander Bestehen und das Zusammenwirken verschiedener sozialer Welten zu analysieren, ist ein Hauptanliegen dieser Untersuchung der Glokalisierung von Umweltschutzzielen in religiösen Gemeinschaften. Im folgenden Abschnitt stelle ich eine konzeptionelle Dreiteilung des Prozesses der Rekontextualisierung im Zuge von Glokalisierung vor. Diese Dreiteilung soll eine analytische Perspektive erleichtern, die sowohl ermöglicht, relevante soziale Welten zu erkennen, auch wenn ihnen implizites Wissen zugrundeliegt, als auch die sozialen Prozesse, die dadurch entstehen, dass Akteure auf unterschiedliche soziale Welten rekurrieren können und dass sie reflektieren können. Letzterer Aspekt erhält in der Wissenssoziologie und ihrem Methodenrepertoire eher wenig Aufmerksamkeit.
3.2.4 Interpretieren, Bewerten und Verhandeln als Teilprozesse von Glokalisierung Die Wissenssoziologie und der amerikanische Pragmatismus gehen beide von einer aktiven Konstruktion des Gemeinsamen basierend auf Erfahrungen aus. Während die Wissenssoziologie den Blick besonders auf den kognitiven Prozess der Interpretation der sozialen Welt auf Grundlage geteilter Erfahrungen lenkt einschließlich der damit einhergehende Handlungsorientierungen, widmen sich viele empirische Studien, die auf dem Amerikanischen Pragmatismus aufbauen,
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eher den Verhandlungen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Perspektiven und dabei den reflektierten und kreativen Aspekten und den intendierten und nicht-intendierten Konsequenzen. In diesem Abschnitt zeige ich, wie das Problem der Glokalisierung betrachtet werden kann, wenn davon ausgegangen wird, dass beide handlungstheoretischen Zugänge wichtige Teilprozesse beleuchten. Ausgangspunkt ist, dass Menschen mit geteilten Sinnbezügen einer Gemeinschaft im Zuge der Rekontextualisierung abstrakter gemeinsamer Ziele diesen Zielen basierend auf ihren divergierenden Erfahrungen Bedeutung zuschreiben. Gefragt wird nach dem impliziten Wissen der Akteure und damit nach den unterschiedlichen Erfahrungen verschiedener Mitglieder, die alltägliche Handlungsentscheidungen leiten. Dass diese Erfahrungen auch innerhalb von religiösen Gemeinschaften unterschiedliche sein können, bildet den Kern der Herausforderung. Welche sozialen Welten werden herangezogen, um ein Ziel handlungsleitend zu interpretieren? Werden Ziele unterschiedlich interpretiert, wie wird die Vorstellung einer Gemeinschaft erhalten? Inwiefern spielen diese Unterschiede in der gemeinsamen sozialen Welt dieser Gemeinschaft eine Rolle? Wie bewältigen und koordinieren die Gemeinschaftsmitglieder die Differenzen? Mit diesen Fragen zeigt sich die Relevanz auch von explizitem Wissen, besonders Denkprozessen der Reflektion und Bewertung, und strategischem Handeln. Im Folgenden präzisiere ich konzeptionell die drei analytisch getrennten Teilprozesse der Interpretation, der Bewertung und der Verhandlung, die meinen Zugang zur Empirie strukturieren, und zeige den Bezug zum Problem der Glokalisierung auf. Das Konzept der Interpretation ist konzeptionell maßgeblich auf die deutsche Wissenssoziologie gestützt. Die anderen beiden Teilprozesse beruhen hingegen überwiegend auf dem Hauptinteresse des amerikanischen Pragmatismus, Reflektion, Kreativität und strategisches Handeln in den Blick zu nehmen.
Interpretieren Wenn Mitglieder einer Gemeinschaft gemeinsamen Zielen handlungsleitend Bedeutung zuschreiben, nenne ich dies im Folgenden ‚interpretieren‘. Sie definieren den ‚Anwendungsbereich‘ eines Ziels in Bezug auf den eigenen Alltag. Mannheim nutzt die Unterscheidung von Interpretieren und Verstehen, um darauf hinzuweisen, dass Menschen ihre Umgebung, ein Bild oder eine spezifische Interaktion unterschiedlich ‚erfassen‘ können. Während „verstehen bedeutet“, „in einen gemeinschaftlich gebundenen Erfahrungsraum, in dessen Sinngebilde und deren existentielle Unterlagen“ einzudringen, zeichnet Interpretationen aus, dass eine „theoretisch-reflexive Explikation des Verstandenen“ vollzogen wird
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3 Theoretischer Rahmen
(Mannheim 1980, S. 272). Der Ausgangspunkt des in diesem Projekt untersuchten Prozesses, das verschriftlichte Ziel, ist bereits eine abstrahierte Form, so wie Sprache immer eine begriffliche Explikation ist (vgl. Bohnsack 2014, S. 131). Es erscheint deshalb plausibel, die handlungsleitende Übersetzung des Ziels als Interpretation zu bezeichnen. Damit ist jedoch in Anlehnung an die Weiterentwicklungen der Wissenssoziologie nach Bohnsack nicht gemeint, dass die Zuschreibung handlungsleitender Bedeutung durch explizite Reflexionen begründet ist. Vielmehr ergibt sie sich aus den Orientierungen sozialer Welten. Interpretationen basieren auf implizitem Erfahrungswissen, welches auf Grundlage von Daten wie Erzählungen oder Beobachtungen rekonstruiert werden kann (vgl. 4.2). Die hier betrachteten Interpretationen sind nicht primär individuell im Sinne von einzigartig, sondern im Fokus steht die Interpretation basierend auf spezifischen, aber kollektiven Wissensbeständen. Reflektionen zu Interpretationen werden als Bewertungen konzeptualisiert (siehe unten). Jedes abstrahierte Modell oder Ziel muss, um handlungspraktisch übersetzt zu werden, von Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort (in diesem Sinne auch ‚lokal‘) interpretiert werden. Mit Bezug auf welche soziale Welt Akteure etwas interpretieren, kann nicht ohne die Analyse der spezifischen Situation hergeleitet werden. Eine Interpretation wird deshalb trotzdem nicht unbedingt durch lokal begrenztes und von allen Beteiligten geteiltes Wissen getragen. Da Menschen potentiell mobil sind und über die Zeit hinweg Wissen zu unterschiedlichen sozialen Welten erlangt und mit-hergestellt haben (Erlebnisschichtung), können völlig unterschiedliche Wissensbestände in eine Situation einfließen. So gehen transnationale Karrieren zumeist mit Erfahrungen in vielfältigen kulturellen und politischen Zusammenhängen einher. Gleichzeitig ist auch denkbar, dass Menschen ohne transnationale Karrieren sich in mehr unterschiedlichen sozialen Welten bewegen als solche mit transnationalen Karrieren, beispielsweise wenn letztere Mitglieder von Gemeinschaften sind, die zwar global verstreut, aber ‚abgeschottet‘ leben wie in manchen kontemplativ-eremitischen Gemeinschaften oder in sehr einnehmenden beruf lichen Gemeinschaften.15
15Diese
These ist eine illustrative Zuspitzung, keine potentielle Forschungsfrage. Die tatsächliche Anzahl der sozialen Welten, in denen sich Menschen bewegen, ist faktisch nicht zu ermitteln vor dem Hintergrund des hier vertretenen, offenen Zugangs zu sozialen Welten einschließlich der Notwendigkeit, dass sich ihre Existenz in Situationen empirisch zeigen muss.
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Bewerten Während die Analyse des Teilprozesses der Interpretation primär auf Annahmen der deutschen Wissenssoziologie beruht, verweist der Teilprozess der Bewertung mehr auf die Fähigkeit von Individuen, Urteile zu entwickeln, wie dies der Pragmatismus betont. Explizite Bewertungen bedeuten eine Distanzierung von Erfahrung und erlauben so, Kritik an der eigenen oder anderen Herangehensweisen zu üben. Sie sind deshalb Fundament bewusster, kreativer Entscheidungen beispielsweise in Verhandlungen mit Menschen mit anderen Handlungsorientierungen. Bewertungen sind Praktiken vollzogen anhand spezifischer Bewertungsmaßstäbe. Sie können standardisiert und organisiert, aber auch informell und ad-hoc erfolgen. Wie in dem folgenden Zitat von Strauss ausgedrückt wird, sind diese Urteile nicht ‚objektiv‘ in einen Gegenstand eingeschrieben, sondern Mitglieder nehmen Bewertungen und Wertzuschreibungen vor dem Hintergrund ihrer sozial geprägten Perspektive auf ‚die Welt‘ und ihre eigene Gemeinschaft als Teil dieser Welt vor. Sinfulness is not fixed in the event, a quality of it within the eye of God. An act is sinful to particular definers when perceived as committed under certain circumstances by persons of specified identities. Since values are not in objects but are evaluations of objects, it follows that persons must do their own evaluating. (Strauss 2008, S. 26)
Was kann jedoch mit ‚Personen mit bestimmten Identitäten‘ gemeint sein? Auf welche Wissensbestände greifen Personen für Bewertungen zurück? Möglich sind Bewertungen basierend auf implizitem Wissen. Maßstäbe und Praktiken stehen dann in einem Bezug zu dem größeren Orientierungsrahmen einer sozialen Welt. Ranglisten (oder „Tabellen“) im Sport werden beispielsweise kaum ob ihrer Sinnhaftigkeit und Effekte hinterfragt, vermutlich deshalb, weil die Orientierung an messbarem Erfolg in Wettbewerben elementarer Bestandteil der meisten prominenten Sportarten und dem Wissen innerhalb dieser sozialen Welt implizit eingeschrieben ist. Der forschungspraktischen Weiterentwicklung in der Wissenssoziologie folgend (vgl. besonders Nohl 2012) sind kommunizierte Bewertungen jedoch zunächst explizites Wissen, welches als solches auch im Widerspruch zu handlungsleitenden, impliziten Orientierungen stehen kann. In den Strängen der Wissenssoziologie, die sich primär um die Ermittlung impliziter Wissensbestände bemühen, werden bewertende Aussagen im Forschungsalltag zuweilen als nahezu ‚nutzloser‘ Ballast im Datenmaterial angesehen. Handlungstheoretisch können
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3 Theoretischer Rahmen
Bewertungen in ihren verschiedenen Formen jedoch auch als Ausweg aus einer zu sozial-deterministischen Perspektive angesehen werden zugunsten von mehr individueller Handlungsfähigkeit und Kontingenz. Individuen oder Gruppen können sich durch Bewertungen von ihren Erfahrungen möglicherweise distanzieren. Reflektionen und theoretisiertes Wissen ermöglichen in diesem Sinne (vorerst theoretisiertes) ‚Neu-Wissen‘. Wie im Pragmatismus betont können Individuen Kritik an der eigenen wie an anderen Vorgehensweisen üben und – so die Annahme – bewusste, kreative Entscheidungen treffen. Dabei wird in der pragmatistischen Denktradition Handlungsfähigkeit besonders dann erkennbar, wenn in Situationen Brüche mit zuvor Selbstverständlichem zutage treten (Strauss 2008, S. 32, vgl. auch, S. 28). Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Studie lassen sich folglich Bewertungen unterscheiden, die innerhalb der Handlungsorientierungen der Zielinterpretationen zu verorten sind (Rekurs auf implizites Wissen), von solchen, die außerhalb der Orientierungen der Zielinterpretation zu verorten sind, das heißt in denen zum Beispiel im weitesten Sinne ein Urteil über das Ziel und dessen Verwirklichung entwickelt wird (als zunächst explizites Wissen). Während sich weite Teile der sozialwissenschaftlichen Bewertungsliteratur mit Formen und Folgen standardisierter und quantifizierender Bewertungsverfahren auseinandergesetzt haben, versucht der hier dargelegte Zugang, das Problem der Bewertung auf Alltagssituationen herunterzubrechen. Bewertungen werden in sozialen Situationen bzw. ‚Momenten‘ (Antal et al. 2015) basierend auf den begrenzten Wissensbeständen der Akteure vollzogen. Einer Form der Bewertung oder einer Form des Wissens kann dabei nicht a priori eine bestimmte Bedeutung beigemessen werden. Nicht nur kann ein Ziel auf die ein oder andere Weise interpretiert werden, sondern auch entsprechende oder widersprechende Bewertungsmaßstäbe können in bestimmter Weise in spezifischen Situationen angewendet werden (oder nicht). Erst so wird entsprechend generiertes explizites, situatives Neu-Wissen erkennbar und die Analyse von Bewertungen handlungstheoretisch und in Bezug auf die empirische Analyse relevant. Der hier dargelegte Ansatz steht damit jenen entgegen, die von vornherein von spezifischen sich ausbreitenden, hegemonialen Bewertungsmaßstäben und –praktiken ausgehen. Die ‚Soziologie der Bewertung‘ weist insofern einen rationalistischen Bias auf, da sie überwiegend Übersetzungen in privatwirtschaftlichen, öffentlichen und politischen Zusammenhängen untersucht. Den Anschein von Rationalität oder von Neuheit anzustreben, wie in vielen der zitierten Studien herausgearbeitet, erscheint in den jeweils untersuchten Organisationen und Gemeinschaften deshalb vielleicht als intuitiver verglichen
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mit bereits lange bestehenden, religiösen Gemeinschaften, die sich neue Ziele wie die des Umweltschutzes setzen. Für das von mir untersuchte Forschungsfeld ist die Annahme einiger isomorpher Zwänge wie vom Neoinstitutionalismus angenommen in besonderem Maße nicht selbsterklärend. In Bezug auf die vermutbaren Bewertungsmaßstäbe sind transnationale religiöse Gemeinschaften in der Gegenwart ein extremer Fall, wie auch von anderen festgestellt wurde (z. B. Lamont 2012). Vorannahmen über ‚Meta-Motive‘ von Organisationen oder Personen wie allgemeines Streben nach Legitimität (auf individueller Ebene eine ähnliche Unterstellung wie die von rationalen, auf Effizienz ausgerichteten Entscheidungen) erscheinen eher als problematisch. Mit dem Interesse an Alltäglichem geht einher, dass auch bei Ordensleuten die Anwendung spezifisch religiöser Bewertungsmaßstäbe in spezifischen Zusammenhängen ebenfalls nicht vorausgesetzt werden kann. Mit dem entwickelten Zugang zu Bewertungen ist mein Forschungsvorhaben von der dokumentarischen Evaluationsforschung abzugrenzen, die sich ausgehend von der Wissenssoziologie um Bohnsack gebildet hat. Diese richtet sich daran aus, […] in Praxisprojekten […] Wirkungen von Konzepten, Interventionen oder spezifischen Prozessen nachzuvollziehen und sowohl auf der Grundlage von im Projekt vorab formulierten Zielen, aber auch unabhängig davon – aus einer rekonstruktiven Forschungsperspektive – einzuschätzen. (Bohnsack et al. 2013b, S. 25)
Mein Ansatz geht dabei entgegen Forschung, die an der Wirkung bestimmter Projekte interessiert ist, von einem spezifischen Problem von Gemeinschaften aus, die auf der Imagination einer gemeinsamen normativen Vorstellung beziehungsweise eines gemeinsamen Blickes auf die Welt beruhen.16 In der Sprache der dokumentarischen Methode ließe sich das als Annahme gemeinsamer Werthaltungen beschreiben. Vor diesem Hintergrund stelle ich die Frage, welche evaluativen Praktiken in verschiedenen Kontexten vollzogen werden und wie Ähnlichkeit vor dem Hintergrund von Differenz konstruiert wird. Anders
16Gleichzeitig
teilt diese Untersuchung mit jener Forschungsrichtung die Perspektive, dass es sinnvoll ist, implizite und explizite (und darunter bewertende) Wissensbestände basierend auf empirischen Befunden auch theoretisch in eine Beziehung zu bringen, um Praxis zu verstehen (Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013b, S. 25). Die dokumentarische Evaluationsforschung spricht diesbezüglich von impliziten, („tieferliegenden“) Werthaltungen und Werthorizonten und expliziten Bewertungen (Bohnsack 2010).
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3 Theoretischer Rahmen
zusammengefasst: Welche möglichen evaluativen Praktiken ergeben sich aus der Absicht, oder eher der Notwendigkeit, eines gemeinsamen (imaginierten) Urteils über die Welt, welche sich einer Gemeinschaft in vielseitigem Wissen und verschiedensten Erfahrungen darstellt? Dabei traue ich – nun etwas überspitzt formuliert – den Akteuren selbst zu, eine Rekonstruktion ihrer eigenen Konstruktionen der Welt zu leisten und transformativ über ihr eigenes Handeln nachzudenken. Daraus ergibt sich – vorerst hypothetisch – Potential, in der Reflektion unterschiedlicher Perspektiven in ihrer Gemeinschaft das Gemeinsame zu suchen und so performativ herzustellen oder auch zu hinterfragen.17 Da Bewertungen Beziehungen definieren, können insbesondere standardisierte Bewertungsverfahren auch strategisch in soziale Welten eingeführt werden. Veränderungen von Bewertungen verändern Beziehungen – in Sinnbezügen, aber damit auch handlungspraktisch (Strauss 2008, S. 28). Die zunehmende Verbreitung und Bedeutung von Rankings im Hochschulwesen mit entsprechend standardisierten Kriterienkatalogen beispielsweise führte – ganz anders als Rankings im Sport – zu intensiven Auseinandersetzungen über diese Verfahren, sowohl als Untersuchungsobjekt der Sozialwissenschaften wie auch unter Akteuren im Hochschulwesen. Espeland und Sauder (2007) untersuchen entsprechende Auseinandersetzungen und Veränderungen in der sozialen Welt der Hochschulen. Bewertende Reflektion ermöglicht, kognitiv distanziert von impliziten Orientierungen einer sozialen Welt strategisch zu handeln. Gleichzeitig können Veränderungen von Bewertungspraktiken und – maßstäben, die Teil des impliziten Wissens einer sozialen Welt sind, zu transformativen Strategien bezüglich dieser sozialen Welten werden. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn Vorgesetzte ein neues Anreizsystem für ihre Mitarbeitenden kreieren (wie ‚Mitarbeitende des Monats‘), um die Unternehmenskultur zu mehr Leistungsorientierung zu verändern. Werden solche Bewertungen neu in eine soziale Welt eingeführt, können sie von Teilnehmenden der sozialen Welten ihrerseits bewertet werden, da sie mit zuvor für selbstverständlich Gehaltenem brechen. Interagieren Akteure im Rahmen einer Bewertung miteinander, dann treten sie in eine Verhandlung.
17Noch
weiter zugespitzt heißt das: Die Akteure können zu einem gewissen Grad selbst tun, was die rekonstruktive Evaluationsforschung als Leistung für sich beansprucht.
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Verhandeln Für Anselm Strauss sind Verhandlungen grundlegende Prozesse sozialen Lebens, die eng verbunden sind mit dem, was ich zuvor als das vermeintlich ‚Beständige‘ bezeichnet habe, wobei Strauss die Begriffe Ordnung und Struktur verwendet. Sozialtheorien sollten deshalb, so Strauss 1978, Verhandlungen als Kernelement aufnehmen. Dabei bleibt seine Definition von Verhandlungen vage: In this book, negotiation has generally stood for one of the possible means of „getting things accomplished“ when parties need to deal with each other to get those things done. Negotiation is not merely one specific human activity or process, of importance primarily because it appears in particular relationships (diplomacy, labor relations, business transactions, and so on), but is of such importance in human affairs that its study brings us to the heart of studying social orders. As argued [….] a given social order, even the most repressive, would be inconceivable without some forms of negotiation. (Strauss 1978a, S. 234 f.)
Während bei Strauss kaum Definitionen von Verhandlungen gefunden werden können, die konkreter sind als die hier zitierte, ist er vergleichsweise präzise mit den Faktoren, anhand deren sich Verhandlungskontexte differenzieren lassen, darunter die Anzahl der Verhandelnden und ihre Erfahrung mit Verhandlungen, das Mächteverhältnis zwischen diesen oder die Frequenz, mit der Verhandlungen stattfinden. Verhandlungen erscheinen anhand dieser Faktoren als etwas, was klar begrenzbar und identifizierbar ist. Das Konzept wird abgegrenzt zu ‚anderen‘ sozialen Prozessen wie Zwang oder Überzeugung (Strauss 1982, 1978a, S. 238 ff.). Er verweist allerdings auch auf die nicht so offensichtlichen Verhandlungssituationen. A most important consideration about implicit negotiations is that life in groups, organizations, institutions, and societies cannot conceivably go on without tacit agreements and the more or less implicit negotiations that often lead up to them. Perhaps this assertion is most easily checked by thinking of intimate relationships, as in families, where there seem to be many tacit understandings, both negotiated and nonnegotiated (just “simple” agreements), reached with a minimum of discussion, rational calculation, and open bargaining. (Strauss 1978a)18
18Innerhalb
des Kapitels zu diesem Auszug werden Verhandlungen nichtsdestotrotz erneut relativ eng gefasst im zuvor beschriebenen Sinne.
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3 Theoretischer Rahmen
Wenn ich im folgenden empirischen Teil Verhandlungen in Bezug auf die handlungspraktische Bedeutung der Umweltschutzziele in den Ordensgemeinschaften betrachte, orientiere ich mich eher an der zweiten der hier ausgeführten Varianten von Verhandlungen. Ich konzeptualisiere sie weiter gefasst als Strauss und dabei ähnlich der Ethnomethodologie (und so auch eher anschlussfähig an die Wissenssoziologie). Verhandlungen bezeichnen hier eine Dimension von jeder Interaktion. Verhandlung ist eine ‚Be-Handlung‘ durch den Austausch von Akteuren über etwas. Die unterschiedlichen Positionen beziehungsweise Perspektiven, die beteiligte Akteure einbringen, können implizit sein und/oder expliziert. Sie können geprägt sein durch spontane Äußerungen, Gestik oder Mimik genauso wie durch reflektierte Strategien. Dabei nehme ich an, dass Personen, die sich in Situationen begegnen, immer zumindest minimal unterschiedliche ‚Startpositionen‘ haben, welche sich in Kommunikation treffen. Für Verhandlungen müssen Personen nicht explizit beabsichtigen, ihre Perspektive durchzusetzen. Die Abbildung zeigt schematisch die Perspektive auf Glokalisierung auf, bei der zwei Akteure explizit die Bedeutung eines abstrakten Ziels verhandeln und dabei benennbare Interessen und Strategien verfolgen. Sowohl implizite wie explizite Wissensbestände fließen in eine solche Situation ein (Abbildung 3.1).
Abbildung 3.1 Explizite Verhandlung über die Bedeutung eines abstrakten Ziels (Teilprozesse unterstrichen)
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Verhandlungssituationen können auf viele Fragen hin untersucht und verglichen werden. Dazu gehören die von Strauss benannten Faktoren wie die Anzahl und das Mächteverhältnis der Beteiligten, aber auch der Formalisierungsgrad einer Situation. Fragen ließe sich weiterhin: Worüber besteht Uneinigkeit? Wie wird diese artikuliert und wie werden die Differenzen verhandelt? Lassen sich reflektierte Strategien erkennen? Zu welchem situativen Ergebnis führt die Situation? Besteht der Dissens fort oder wurden Perspektiven harmonisiert? Als übergreifender Gegenstand von Verhandlungen interessiert mich in dieser Arbeit besonders die Bedeutung der Umweltschutzziele sowie deren handlungsleitende Implikationen, also die Verhandlung unterschiedlicher Interpretationen, sowie die Verhandlung unterschiedlicher Bewertungen der Ziele und ihrer Entwicklung. Die hier vorgeschlagenen Teilprozesse zur Analyse von Glokalisierung sind als solche nicht neu in der Literatur. In dieser Variante als miteinander verschränkte, aber analytisch getrennte Mikroprozesse der Glokalisierung wurden sie meines Wissens nach bisher jedoch nicht kombiniert (vgl. z. B. Drori et al. 2014c, S. 95, zu Interpretationen als Teil von Glokalisierungsprozessen).
4
Empirische Untersuchung
Um Glokalisierung in religiösen Gemeinschaften zu untersuchen, wendete ich mich in einer empirischen Analyse zwei katholischen Ordensgemeinschaften zu. Mit den regionalen Schwerpunkten Philippinen und Deutschland untersuchte ich die Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen, die mit der Übersetzung der Umweltschutzziele der Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen (lokale Kommunität, Provinz, Konferenz, Weltorden) einhergehen. Ich wählte ein qualitatives Verfahren beruhend auf dem Forschungsinteresse, soziale Prozesse in den Gemeinschaften auf der Mikroebene zu analysieren. Spezifischer konzentriert sich diese Untersuchung auf Sinnzuschreibungs- und Aushandlungsprozesse sowie Einflüsse darauf. An das Forschungsinteresse anschließend hatte das qualitative Vorgehen zum Ziel, die Perspektive der Akteure, hier besonders der Gemeinschaftsmitglieder, hinsichtlich der Umweltschutzziele bestmöglich verstehen zu können. Verschiedene relevante Wissensbestände, die zur Glokalisierung der Ziele herangezogen werden und die aus ihr hervorgehen, sollten ermittelt werden. Dichte Beschreibungen sollten ermöglicht und darauf aufbauend vergleichend begründete Annahmen zu Zusammenhängen zwischen Wissensbeständen und deren Bedeutung in den drei Teilprozessen der Glokalisierung formuliert werden. In den folgenden Absätzen gebe ich Einblick in das gewählte Forschungsdesign und die angewendeten Methoden zu Datenerhebung und –auswertung. Ich begründe die Wahl der zwei Ordensgemeinschaften und der zwei Regionen und, Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_4 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_4
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4 Empirische Untersuchung
warum ich mich für ein ethnographisches Vorgehen einschließlich teilnehmender Beobachtung, Dokumentenanalyse, semi-strukturierten Leitfadeninterviews und Gruppendiskussionen entschieden habe. Im Anschluss erläutere ich die Methoden der Datenauswertung (besonders die dokumentarische Methode und das Vorgehen der kontrastierenden Interpretation). In diesem Kapitel vermittle ich auch grundlegende Informationen zu den Fällen und dem Forschungsfeld des religiösen Umweltschutzes in der katholischen Kirche. Der Untersuchungszeitraum für die Datenerhebung war von Frühjahr 2013 bis Frühjahr 2015, wobei die intensivste Erhebungsphase den Zeitraum von März bis Oktober 2014 umfasste. Die Monate Juli bis einschließlich September 2014 verbrachte ich für die Datenerhebung auf den Philippinen. Drei kontextuelle Ereignisse waren für meine Erhebung in diesem Zeitrahmen von besonderer Bedeutung: Zu dieser Zeit auch in Deutschland noch gut in Erinnerung war die Zerstörung durch den Megataifun Yolanda (international: Haiyan), der im Herbst 2013 auf Inseln des philippinischen Archipels Visayas stieß und dort viele Todesopfer forderte. Des Weiteren trat in der katholischen Kirche Papst Benedikt XVI vom Heiligen Stuhl zurück und Jorge Mario Bergoglio wurde im Frühjahr 2013 gewählt. Als Papst Franziskus veröffentlichte dieser im Juni 2015 das erste päpstliche Lehrschreiben, was sich ausführlich mit Fragen des Umweltschutzes auseinandersetzt, die Enzyklika Laudato Si`. Bereits zu Beginn des Jahres 2014 hatten Gesprächspartner Gerüchte gehört, dass eine Verlautbarung des Papstes zu dem Thema kommen würde.
4.1 Forschungsdesign Wie aus der Diskussion des Forschungsstandes hervorgeht, konnte die empirische Analyse auf geringes soziologisches Vorwissen zum Forschungsfeld zurückgreifen. Das Forschungsdesign entspricht dem darin begründeten explorativen Charakter des Projektes und dem damit verbundenen Forschungszweck, relevante mikrosoziologische Prozesse zu erkunden, zu entdecken, zu beschreiben, Muster zu identifizieren und darauf aufbauend Annahmen für weitere Forschung zu generieren (vgl. Yin 1994, S. 22; Marshall und Rossman 1999, S. 33). Im Fazit diskutiere ich, inwieweit angenommen werden kann, dass die Ergebnisse sich für weitere Gemeinschaften generalisieren lassen. Ich organisierte die Datenerhebung graduell aufgegliedert in zwei sich überlappende Phasen (vgl. Harper 1992, S. 141), wobei die erste der Sammlung von Informationen zu religiösem Umweltschutz in der Gegenwart diente (Themen, Akteure, wahrgenommene Probleme, Kontroversen und Hoffnungen sowie erste
4.1 Forschungsdesign
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regional spezifische Eindrücke). Erste Kenntnisse zum Forschungsfeld konnten gewonnen und die Präzision von Forschungsfrage und Forschungsdesign ermöglicht werden. Ich identifizierte Ordensgemeinschaften und Regionen, die als im Umweltschutz aktiv wahrgenommen wurden, und eignete mir einführend Wissen zu den Ordensgemeinschaften und möglichen Einflussfaktoren auf die Glokalisierung von Umweltschutzzielen an. Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten Phase wählte ich die Orden und die Regionen für die Untersuchung aus. Die zweite Phase wendete sich den Prozessen innerhalb der ausgewählten Gemeinschaften zu. Die Fallauswahl sollte informationsreiche Beobachtungen zu den Wechselspielen von Wissensbeständen in Glokalisierungsprozessen ermöglichen. Vonnöten war folglich Varianz sowohl bezüglich der lokalisierten als auch der in der Gemeinschaft geteilten Wissensbestände innerhalb der Auswahl, um konstrastierende Vergleiche zwischen den Untersuchungseinheiten (wie unten ausgeführt Ordensmitglieder, Gruppen und Verhandlungsprozesse) für die Formulierung von darauf aufbauenden Annahmen zu ermöglichen (vgl. Patton 2005, S. 1635; Levy 2008, S. 6). Als Abwägung zwischen möglichen Vergleichsdimensionen einerseits und andererseits der Möglichkeit, mit dem nötigen Tiefenwissen die einzelnen Fälle umfassend genug untersuchen zu können (vgl. Marshall und Rossman 1999, S. 33), entschied ich mich für die Auswahl von zwei Ordensgemeinschaften, die beide in eine konfessionelle Sinnstruktur, nämlich die der römisch-katholischen Kirche, eingebettet sind, und für zwei Schwerpunktregionen. Das Forschungsdesign ist so offen für Falldifferenzierungen entlang der Ordensgrenzen sowie der geographischen Grenzen. Wie ich bei der Ergebnisdarstellung zeigen werde, sind beide Grenzziehungen für einige Aspekte der Fragestellung relevant und für andere nicht. Die Kriterien für die Auswahl der Ordensgemeinschaften waren: • transnationale, möglichst globale Identität der Orden, • deutliche Hinweise auf Engagement der Gemeinschaften im Bereich des Umweltschutzes einschließlich identifizierbarer global gültiger Ziele sowie • Varianz hinsichtlich des den Orden zugeschriebenen Charismas. Basierend auf diesen Kriterien kristallisierten sich im Rahmen der ersten Erhebungsphase der Orden der Gesellschaft Jesu (Societas Iesu, SJ) und der Orden der Minderen Brüder (Ordo Fratrum Minorum, OFM) als besonders geeignet heraus. Neben diesen Gemeinschaften und anderen wurden von Experten insbesondere wiederholt Männer- und Frauenorden der Benediktiner (Ordo Sancti Benedicti, OSB) hervorgehoben. Da diese zwar oft im Zuge von Missionsarbeit
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4 Empirische Untersuchung
transnationale Beziehungen pflegen, ihr Charisma und ihre etablierten Formen des Organisierens aber maßgeblich durch das zusätzliche Gelübde des Stabilitas Loci geprägt sind – also durch das öffentliche Versprechen, sich an einen bestimmten Ort beziehungsweise ein bestimmtes Kloster zu binden –, erwartete ich, eingeschränkter als in den anderen beiden Gemeinschaften Komplexität der Glokalisierung aufgrund von Transnationalität aufzufinden.1 Im Anschluss an die Ordensauswahl traf ich die Entscheidung für die Regionen Deutschland und Philippinen. Hierbei waren folgende Kriterien relevant: • deutliche Hinweise auf Engagement der ausgewählten Gemeinschaften im Bereich des Umweltschutzes, • Varianz bezüglich der Weltregionen, • Varianz der Kontextfaktoren, die Interpretation der Umweltziele beeinflussen könnten sowie • sprachliche Zugänglichkeit für die Forscherin. Mit der Auswahl der Provinzen auf den Philippinen und in Deutschland ergaben sich als Weltregionen für die Mehrebenenanalyse die Konferenzen Mitteleuropa (OFM)/Europa (SJ) und Ostasien (OFM)/Ostasien und Ozeanien (SJ). Von Experten wurden auch Regionen entlang des Amazonas sowie Indonesien (für OFM) oder Kanada (für SJ) für Engagement im Umweltbereich hervorgehoben. Aufgrund meiner Sprachkenntnisse sowie dem Anspruch des Vergleichs zwischen den Ordensgemeinschaften zog ich die Philippinen in der Auswahl vor. Insgesamt weist die Erhebung mit diesem Design einen zweifachen Bias auf. Erstens wählte ich solche Gemeinschaften und Regionen aus, von denen Engagement zu Umweltschutz im vordefinierten populären Verständnis des Begriffes erwartet wurde. Negative Fälle werden folglich ausgeklammert,
1Explorative Leitfadeninterviews bekräftigten die Vermutung, dass mit lebenslänglicher Ortsgebundenheit andere Zugangsweisen zu Umweltschutzzielen einhergehen als in weniger ortsgebundenen Gemeinschaften. So vermittelte mir ein Benediktiner seine Überlegungen zu Umweltschutz im Kloster durch ein „Trigger-Erlebnis“: „Die Abtei besteht seit dem achten Jahrhundert, zunächst als Frauenkloster, seit dem neunten Jahrhundert sind die Männer da. Wenn die im zehnten Jahrhundert hier die Umwelt zerstört hätten, dann würde es uns nicht geben. [… E]in Beamter des Wasserwirtschaftsamtes wollte uns dazu bewegen, […] das alte Wasserrecht der Abtei – […] 1251 das erste Mal urkundlich erwähnt – wollte, dass wir dieses Wasserrecht aufgeben, weil es unwirtschaftlich ist. Und mir war dann klar, aufgrund dieser Geschichte kann ich jetzt nicht aufgrund kurzfristiger, wirtschaftlicher Berechnungen […] einfach ein Wasserrecht aufgeben, was so alt ist.“
4.1 Forschungsdesign
103
da nicht die Existenz von Umweltschutzaktivitäten erklärt, sondern die dem Phänomen der Glokalisierung zugrundeliegenden Prozesse verstanden und verglichen werden sollten. Zweitens wählte ich, obwohl religiöser Umweltschutz in Glaubensgemeinschaften verschiedener religiöser Traditionen verfolgt wird, ausschließlich katholische Gemeinschaften aus. Im Fazit reflektiere ich die Folgen dieser Auswahl, die wie dargelegt nichtsdestotrotz aus Gründen der Umsetzbarkeit und des vom Forschungsinteresse abgeleiteten Erkenntnisinteresses nötig und sinnvoll war. Im Folgenden stelle ich knapp die wichtigsten Informationen zu den Orden und den Regionen dar, bevor ich vorstelle, wie ich die Daten erhoben und ausgewertet habe und einführende Einblicke in religiösen Umweltschutz in den Gemeinschaften gebe.
4.1.1 Der Orden der Minderen Brüder und die Gesellschaft Jesu Zuvor nannte ich als ein Kriterium für die Auswahl, dass die ihnen zugeschriebenen ‚Charismas‘ sich unterscheiden. Dies lässt sich für die Gemeinschaften der Franziskaner und der Jesuiten konstatieren. Das Charisma der Orden der Minderen Brüder baut auf der Lebensgeschichte und Überlieferung der Lehre von Franziskus von Assisi (1182–1226) auf, der den Orden zu Beginn des 13. Jahrhunderts gründete. Anders als die meisten bestehenden Orden zu dieser Zeit lebten (und leben) Franziskaner zumeist nicht in großen Abteien auf dem Land, sondern in den Städten. Anders als die zur gleichen Zeit entstehenden Dominikaner, die sich verstärkt intellektuellen Studien und dem Predigen zuwendeten, verweist das Charisma basierend auf der Lebensweise von Franziskus auf ein ‚geschwisterliches‘ Leben zum Beispiel mit armen und kranken Bevölkerungsgruppen. Beide dieser Orden werden deshalb als Bettelorden bezeichnet, weil sie in ihren Ursprüngen strenge Regeln zu Besitz aufwiesen und somit Betteln zum Alltag der Brüder gehörte. Schon zu Beginn der Gemeinschaftsfindung im 13. Jahrhundert führte die Frage der Armut jedoch zu Streit. Heute wird sie wiederkehrend reflektiert, Betteln und völlige Besitzlosigkeit in den Gemeinschaften sind jedoch nicht mehr üblich (Sullivan [1931] 1937). Neben dem Orden der Minderen Brüder werden noch weitere Frauen- wie Männergemeinschaften der ‚franziskanischen Familie‘ zugerechnet, die sich auf das Charisma von Franziskus von Assisi und Clara von Assisi beziehen. Auf eine gegenwärtige Lesart der historischen Figur Franziskus als Patron der Umwelt gehe ich in der unten folgenden Einführung zu religiösem Umweltschutz in der katholischen Kirche genauer ein.
104
4 Empirische Untersuchung
Die Franziskaner sind heute mit rund 13.500 Mitgliedern der drittgrößte Orden der katholischen Kirche und weltweit verbreitet.2 Davon sind circa 2.600 Mitglieder ‚Brüder‘ (das heißt keine geweihten Priester oder in der Ausbildung dazu). Die Gemeinschaft organisiert sich in 98 Provinzen und Autonome Kustodien, die mehr oder weniger nationalstaatlichen Territorien folgen, oft aber mehrere Länder zusammenfassen (OFM 2016). Diese sind zusammengefasst in 13 Konferenzen. Der Orden wird global durch die Kurie geleitet, die aus dem Generalminister als Leiter der Kurie und seinem Vertreter sowie jeweils einem vom Generalminister bestimmten Definitor pro Konferenz besteht. Der Generalminister wird für sechs Jahre vom höchsten Gremium des Ordens, dem Generalkapitel, gewählt. Die Kurie sitzt in Rom. Ihr sind weitere thematische Sekretariate und Büros angegliedert, darunter ein Büro für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, in dem zwei Ordensmitglieder arbeiten. Auf Provinzebene finden regelmäßig Provinzkapitel mit allen Ordensmitgliedern der Provinzen statt. Auf den Philippinen gibt es die Provinz von San Pedro Bautista im Norden (Region Luzon) und die Kustodie von St. Anthony von Padua im Süden des Inselstaates, die 2007 gegründet wurde (Inselregionen Visayas und Mindanao). Insgesamt leben in den beiden Provinzen schätzungsweise 200 Ordensleute (davon 134 der Provinz San Pedro Bautista, Information durch den Ökonom). In Deutschland wurden 2010 vier Provinzen (Colonia, Saxonia, Turingia und Bavaria) zur Deutschen Franziskanerprovinz, der Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth, zusammengelegt. Es leben circa 300 Franziskaner in der Provinz. Die Gesellschaft Jesu wurde 1540 von Ignatius von Loyola im Zuge der Gegenreformation gegründet. Sie ist heute der größte katholische Orden. Die Mitglieder der Gesellschaft Jesu (zu Beginn des Jahres 2015 16.740, davon 1268 Brüder) leben heute in 124 Ländern in 77 Provinzen.3 Die Deutsche Provinz hatte 2014 375 Mitglieder. Nachdem im Jahr 2004 diese Provinz als Zusammenlegung zwischen der süddeutschen (beziehungsweise „Oberdeutschen“) und Norddeutschen Provinzen entstanden war, wurde im Jahr 2016 die Planung bekanntgegeben, in der Zukunft die Provinzen von Deutschland, Österreich,
2Die
Verteilung ist am 31. Dezember 2015 wie folgt: Afrika und Naher Osten: 1220; Asien/ Ozeanien: 1467; Lateinamerika: 3279; Nordamerika: 1241; Osteuropa: 2437; Westeuropa: 3862 (OFM 2016). 3Die Ordensmitglieder verteilen sich weltweit zum 1.1.2016 wie folgt: Afrika 1.596, Asien und Australien 5.614, Europa 4.420, Lateinamerika 2.219; Nordamerika 2.527 (SJ 2016).
4.1 Forschungsdesign
105
der Schweiz, Litauen und Ungarn zu einer Provinz zu vereinen (SJ 2016). Auf den Philippinen hatte die Provinz zum Zeitpunkt meiner Datenerhebung 273 Mitglieder (Angabe durch den Socius). In der Gesellschaft Jesu wählt die Generalkongregation den Generaloberen auf Lebenszeit. Dieser benennt seinen Beraterstab aus Vertretern unterschiedlicher Weltregionen. Zur Zeit der Datenerhebung fand ein Umbruch in den Organisationsprozessen dahingehend statt, dass mehr administrative Verantwortung von den neun Assistenzen, die Provinzen regional zusammenfassen, zu fünf Konferenzen verlagert wurde. Dem Charisma der Jesuiten ist darüber hinaus eine globale wie regionale Mobilität in besonderer Weise eingeschrieben (vgl. Banchoff und Casanova 2016). Der Tradition nach ist der Orden ‚intellektueller‘ als andere Ordensgemeinschaften. So ist die Ausbildung der Jesuiten im Vergleich zu anderen Ordensgemeinschaften sehr lang, da diese in der Regel neben dem zweijährigen Noviziat Studien von Theologie und Philosophie sowie ein Aufbaustudium umfasst. Die Ausbildung endet mit dem Tertiat, welches unter anderem die 30-tägigen geistlichen Übungen von Ignatius von Loyola umfasst und durch das im Orden besondere ‚Papstgelübde‘ abgeschlossen wird (Kiechle 2013, S. 63–67). Mit diesem Gelübde sagen Jesuiten dem Papst einen besonderen Gehorsam ‚im Dienst der Universalkirche‘ zu. Die geistlichen Übungen, oder: ‚Exerzitien‘, werden oft als zentralste Komponente der Ignatianischen Spiritualität bezeichnet. Ich zitiere zwei Auszüge aus der Anleitung zu diesen Exerzitien, die nicht zuletzt als Übungen des (religiösen) Reflektierens verstanden werden können: Unter geistlichen Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen (meditar), zu betrachten (contemplar), mündlich und im Geiste zu beten und andere geistige Tätigkeiten, wie später erklärt wird. Denn wie Lustwandeln, Ausschreiten und Laufen körperliche Übungen sind, so nennt man geistliche Übungen jede Weise, die Seele vorzubereiten und in Bereitstellung zu setzen (disponer), dazu hin, alle ungeordneten Hinneigungen von sich zu tun, und nachdem sie abgelegt sind, den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Einrichtung (disposición) des eigenen Lebens zum Helle der Seele.
Und an anderer Stelle: Ich setzte voraus, daß es dreierlei Gedanken in mir gibt: solche, die mein eigen sind und allein meiner Freiheit und meinem Willen entspringen, während die beiden andern von außen kommen: der eine vom guten, der andere vom bösen Geist. (von Loyola 1524)
106
4 Empirische Untersuchung
Obwohl auch andere Orden – darunter die Franziskaner – Schulen und Hochschulen betreiben, lässt sich konstatieren, dass die Gesellschaft Jesu darauf einen besonderen Schwerpunkt legt. So führt die Gemeinschaft weltweit circa 240 Hochschulen und Universitäten sowie 700 Schulen. Das assozierte Netzwerk fe y alegría („Glaube und Freude“) betreibt 2.900 Dorfschulen in Lateinamerika. In den Einrichtungen bilden insgesamt rund 3.700 Jesuiten, somit mehr als ein Fünftel der gesamten Gemeinschaft, und 130.000 Laien 2,9 Millionen Schüler*innen und Studierenden aus, davon 1,5 Millionen in den Grundschulen (Kiechle 2013, S. 55).
4.1.2 Philippinen und Deutschland Wie zuvor dargelegt, wählte ich die Schwerpunktregionen für diese Analyse auch danach aus, ob sie bezüglich der Kontextfaktoren, die die Glokalisierung der Umweltschutzziele beeinflussen könnten, Unterschiede aufweisen. Auf der Grundlage der Exploration identifizierte ich Unterschiede zwischen den Philippinen und Deutschland, die potentiell für die Glokalisierung relevant sind. Es zeigte sich, dass Ordensgemeinschaften in Deutschland und auch in anderen Provinzen Mitteleuropas durch zunehmende Alterung der Gemeinschaften und rückläufige Eintrittszahlen vor besonderen Herausforderungen stehen, sich so zu organisieren, dass die etablierten Aufgaben und neue Herausforderungen bewältigt werden können. Das könnte die Glokalisierung der Ziele im Alltag in den Hintergrund drängen. Alternativ könnte es auch Versuche geben, das Engagement zur Verwirklichung der Ziele zur Werbung neuer Mitglieder nutzbar zu machen. Im Unterschied zu den Philippinen sind Auswirkungen von Umweltzerstörung und anderen ökologischen Problemen im mitteleuropäischen Kontext aufgrund der geographischen Lage aber auch der Infrastruktur eher unspezifisch und langfristig. Auf den Philippinen hingegen waren die Jahre vor der Datenerhebung geprägt durch diverse Naturkatastrophen, die Zerstörung und Todesopfer mit sich zogen. Je nach Wohnort können Warnungen und Berichte zu Unwetter, Hochwasser und Landrutsche zum Alltag gehören. Allgemein werden für Asien und Afrika eher steigende, teilweise auch stagnierende Mitgliedertendenzen für verschiedene Entwicklungen innerhalb der katholischen Kirche angezeigt, weswegen von ähnlichen demographisch begründeten Problemen wie
4.1 Forschungsdesign
107
in Deutschland für die Gemeinschaften auf den Philippinen nicht ausgegangen wurde.4 Für die Philippinen ließ sich darüber hinaus eine große gesellschaftspolitische Bedeutung von religiösen Akteuren vor der Datenerhebung ausmachen. Als ehemalige Kolonie Spaniens (16.–19. Jahrhundert) und den USA (1901–1935) sind die Philippinen mit Osttimor eins der zwei Länder in Asien, in denen sich die Bevölkerung überwiegend dem Christentum zuschreibt, darunter rund 80 Prozent der katholischen Kirche. Im Unterschied zu dem Leben in Mitteleuropa ist das auf den Philippinen geprägt durch große Gläubigkeit der Bevölkerung. Wie Christ beschreibt: Heiligenbildchen und Rosenkranz an der Winschutzscheibe von Bussen, die Aufschrift „Jesus lebt“ an einem Jeepney [Bus] oder Hausaltäre mit einem Bildnis des Jesuskindes ([…] oder der Jungfrau Maria – Religion ist im Alltag von Filipin@s allerorten präsent. (Christ 2012, S. 415)
Auf der Insel Mindanao und auf einigen kleineren Inseln des 7.000-Inselns-Staates gibt es hingegen Regionen, in denen Menschen über wiegend dem Islam folgen. Insgesamt sind rund fünf Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens. Etwa entlang der konfessionellen Grenzen verläuft im Süden und Westen des Landes ein über Jahrzehnte andauernder Konflikt über politische Selbstbestimmung und wirtschaftliche Fragen, der zum Teil bewaffnet ausgetragen wird. Im Norden hingegen kam es in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen der Regierung mit kommunistischen Gruppen. Diverse katholisch geprägte organisierte Akteure sind Teil einer über Jahrzehnte regen Zivilgesellschaft, die nicht zuletzt durch eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen getragen wird, welche zum Teil, aber nicht immer finanziell aus dem Ausland durch Förderungen von staatlichen wie religiösen Akteuren unterstützt werden. Ähnlich wie in einigen südamerikanischen Ländern orientierten sich bedeutende Teile der verfassten Kirche, darunter: die Katholische Bischofskonferenz, Ordensgemeinschaften sowie einzelne Ordensleute, Bischöfe und Priester, an befreiungstheologischen Ideen. In
4Tatsächlich
zeigte sich während der Datenerhebung auf den Philippinen, dass auch die jesuitische Gemeinschaft auf den Philippinen sich um die Altersstruktur ihrer Gemeinschaft und die Erfüllung ihrer Mission sorgte. Diese Besorgnis floss allerdings in die Zielinterpretation so gut wie nie ein.
108
4 Empirische Untersuchung
Zeiten politischen Umbruchs der 1980er Jahre mobilisierte die Kirche durch die Gründung von Basisgemeinden die Beteiligung an politischen Fragen vieler „Filipin@as“. Die Bischofskonferenz spielte beim Sturz der Diktatur von Ferdinand Marcos 1986 eine entscheidende Rolle und beteiligt sich bis heute beispielsweise durch Hirtenbriefe an öffentlichen Debatten zu konkreten politischen Themen wie Agrarreformen, Korruption, Glücksspiel und Sucht oder Menschenrechtsverletzungen (siehe Christ 2012; Clarke 1998 für die letzten drei Absätze; 2013; Zabel 2012). So übte die Bischofskonferenz auch mehrfach Kritik an dem Wirtschaftssektor des Rohstoffabbaus auf den Philippinen (Moreno 2008, vgl. auch 7.3 dieser Arbeit). Auch in Deutschland beteiligen sich Kirchen an sozialen Bewegungen und politischen Auseinandersetzungen (vgl. z. B. Kryst 2012), ihre Rolle sticht allerdings nicht in gleicherweise hervor – unter Umständen nicht zuletzt deshalb, weil die politischen Konflikte, zugrundeliegende Probleme und Umbruchprozesse in Deutschland, dem wohlhabenderen und vergleichsweise ‚ökonomisch gleichverteilteren‘ Land in der Auswahl, nicht in gleicher Weise schwer wiegen wie auf den Philippinen.5 Dieser historische, politische und sozioökonomische Unterschied könnte die Glokalisierungsprozesse ebenfalls beeinflussen.
4.2 Methodisches Vorgehen Um für mein Anliegen einer deskriptiv dichten wie auch vergleichenden Untersuchung bestmögliche Daten zu generieren, wählte ich einen ethnographischen Zugang zum Forschungsfeld in dem Sinne, als ich versuchte, alle möglichen Informationsquellen auszuschöpfen: [E]thnography usually involves the researcher participating […] in people‘s daily lives for an extended period of time, watching what happens, listening to what is said, and/or asking questions through formal and informal interviews collecting documents and artifacts – in fact, collecting whatever data are available to throw light on the issues that are the focus of the research. (Hammersley und Atkinson 2007, S. 3)
5Eine
Ausnahme dieser Beobachtung ist die Wiedervereinigung, bei der die Kirchen besonders in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik eine bedeutende Rolle einnahmen.
4.2 Methodisches Vorgehen
109
So umfasste das analysierte Datenmaterial im Schwerpunkt leitfadengestützte Einzel- und Paarinterviews, darüber hinaus teilnehmende Beobachtungen und deren Protokolle, Fokusgruppendiskussionen und Ordensdokumente aber auch Gelegenheits- und Emailkonversationen und Fotos von Schildern, Gebäuden und Denkmälern. Da es sich bei dieser Untersuchung um eine breit aufgestellte Forschung zu Gruppen in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Weltregionen und auf verschiedenen Ebenen der transnational hierarchisch organisierten Gemeinschaften handelt, ist mit einem ethnographischen Zugang hingegen nicht eine Teilnahme am täglichen Leben eines spezifischen Personenkreises für eine lange Zeit gemeint,6 wie sie im oben stehenden Zitat skizziert ist. Diese Untersuchung folgte entsprechend den Qualitäten und Herausforderungen von Ethnographien mit mehreren Standorten der Datenerhebung (Marcus 1995). Ich stelle nun erst die Methoden der Datenerhebung genauer vor und zeige im Anschluss auf, wie ich diese Daten analysierte.
4.2.1 Datenerhebung Die Erhebung folgte einer flexiblen Strategie, bei der verschiedene Möglichkeiten der Beobachtung und Befragung wahrgenommen wurden. Eine besondere Herausforderung der Untersuchung bestand darin, Alltagspraktiken zu erfassen und analysierbar zu machen, da sich der Bezug zwischen Handlungen der Gemeinschaftsmitglieder und den Umweltschutzzielen der Gemeinschaften sowie deren Verhandlung in den Ordensgemeinschaften nicht unbedingt zu vorhersehbaren Zeitpunkten an vorhersehbaren Orten beobachten lässt. Ich begegnete dem Problem erstens durch die Sammlung unterschiedlicher Arten von Daten, um Triangulation zu ermöglichen, zweitens der Forcierung von Methoden, die Erzählungen und/oder Beobachtungen von Interaktion zwischen Ordensmitgliedern generieren, sowie drittens spezifischen Interview- und Auswertungsmethoden. Im Anhang befindet sich eine Übersicht zu den durchgeführten Beobachtungen, Interviewpartner*innen und Fokusgruppen. Eine weitere Herausforderung des Forschungsprojektes war es, einerseits interessiert zu sein an ökologischen Zielen und an deren Verhandlungen, andererseits aber nicht voraussetzen zu können, dass die jeweiligen global formulierten
6Ein
solcher Zugang wäre mir als N icht-Mitglied und als Frau vermutlich auch nicht gewährt worden.
110
4 Empirische Untersuchung
Ziele, welche im Forschungsvorhaben als ökologische verstanden werden und welche ich im folgenden Unterkapitel genauer darstelle, von den Akteuren weltweit auch entsprechend interpretiert und verhandelt werden. Anders ausgedrückt liegt die Herausforderung darin, dass die tatsächliche Bedeutung der von mir identifizierten Ordensziele in ihren Facetten und Varianten erst ergründet werden muss, bevor sie als Umweltschutzziele bestätigt werden können.7 Für die meisten Interviews nach der ersten, explorativen Phase wählte ich deshalb einen offenen Ansatz, bei dem die Gesprächspartner zu Beginn des Gesprächs die Ziele definierten.
Dokumente Im Rahmen der Erhebung sammelte und sichtete ich diverse Dokumente der letzten Generalkapitel beziehungsweise – kongregationen sowie der globalen und regionalen Expertengruppen zum Thema. Zu Beginn der Erhebung nutzte ich sie teilweise in Gesprächen, um gezielt danach zu fragen.
Interviews und Gruppendiskussionen Insgesamt führte ich 73 semi-strukturierte Interviews mit 77 Personen durch, davon neun Paargespräche. Mit fünf Ordensleuten führte ich zwei Gespräche zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Im Durchschnitt waren die Gespräche 77 Minuten lang mit einer Varianz von 22 Minuten zu drei Stunden Gesprächszeit. Einige der Gespräche führte ich via Skype. Durch entsprechende Erklärungen gaben die Gesprächspartner*innen ihr Einverständnis zur Nutzung der Daten ab und qualifizierten den gewünschten Grad der Anonymisierung. Darüber hinaus führte ich sechs Gruppendiskussionen mit insgesamt 36 Personen. Die Gruppenteilnehmer stimmten durch die Teilnahme der Nutzung der Daten in anonymisierter Form zu. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte entweder basierend auf der Rolle als Experte zu religiösem Umweltschutz allgemein, zu spezifischen Projekten oder aufgrund einer zugeschriebenen Rolle innerhalb der Gemeinschaft. Darüber hinaus kontaktierte ich potentielle Gesprächspartner aufgrund von Kontakten oder ohne diese Kontakte (bei letzteren erhielt ich die meisten Absagen und
7Deshalb
beginne ich die Darstellung der Ergebnisse der Analyse des empirischen Materials im folgenden Kapitel mit den Interpretationen des Ziels, die ich im Feld im Gespräch mit Jesuiten und Franziskanern aufspüren konnte. In der Tat lässt sich am Material zeigen, dass von einer Interpretation des Ziels als Umweltschutzziel nicht a priori ausgegangen werden kann.
4.2 Methodisches Vorgehen
111
icht-Reagieren auf Anfragen) oder aufgrund von Empfehlungen anderer N Gesprächspartner, dass jene Ordensleute etwas zum Thema sagen könnten. Besonders auf den Philippinen stellte sich die Rolle von Gatekeepern als sehr relevant heraus. Die Fokusgruppendiskussionen entstanden entsprechend der Konventionen der Gemeinschaften in Absprache mit den Leitern der Ausbildung, die die Teilnehmenden baten, daran teilzunehmen. Sie waren folglich weniger ‚freiwillig‘ für die Gesprächspartner*innen als die Einzel- oder Paargespräche. Die Gespräche dienten unterschiedlichen Zwecken und folgten deswegen auch abweichenden Leitfäden. Hinsichtlich der Auswahl der Gesprächspartner ist von einem positiven Bias durch mehr Gespräche mit zum Thema Aktiven oder am Thema Interessierten auszugehen. Da das Forschungsprojekt keine quantitativen Aussagen über die Verteilung von Ausprägungen machen möchte, ist dieser Bias weniger problematisch. Nahe liegt jedoch, dass ich desinteressierte Haltungen dem Ziel gegenüber in meinem Material weniger wiederfinde als offen-interessierte, und das dies dem Design der Forschung und der Spezifität des Feldes mehr geschuldet ist als der Verteilung dieser Haltungen in der Grundgesamtheit der Gemeinschaften. Die Interviews führte ich mit unterschiedlichen Gruppen von Gesprächspartnern mit abweichendem Zweck und Leitfaden. Beispiele der Leitfäden sowie der Leitfaden für die Fokusgruppendiskussionen befinden sich ebenfalls im Anhang. Ich führte Experteninterviews und Emailkommunikation mit 14 Vertreter*innen von zwölf international agierenden Nichtregierungsorganisationen und Hilfswerken sowie Vertreter*innen der philippinischen Umweltbewegung und der verfassten Kirche, die im Bereich des religiösen Umweltschutzes aktiv sind. Ich befragte sie, angepasst an die jeweiligen Aufgabenfelder und den Zeitpunkt des Gesprächs innerhalb des Forschungsprozesses, zu relevanten Themen, Akteuren, wahrgenommenen Problemen, Kontroversen und Hoffnungen sowie regional spezifischen Eindrücken. Die Vertreter*innen von Umweltinitiativen auf den Philippinen befragte ich auch, um einen Eindruck von den Themen und Problemen vor Ort und der Rolle der Ordensgemeinschaften in den philippinischen Umweltbewegungen zu bekommen. Diese Gespräche dienten neben der Schärfung des Forschungsprojektes der Konsolidierung meiner Grundkenntnisse im Bereich des religiösen Umweltschutzes weltweit und in beiden Weltregionen. Ich führte sie soweit möglich zu Beginn der Erhebungsphase (vgl. Arthur und Nazroo 2012, S. 116). Als solche flossen die Gespräche
112
4 Empirische Untersuchung
in die Analyse ein, wurden aber nicht weitergehend ausgewertet, sofern die Gesprächspartner nicht den untersuchten Gemeinschaften angehörten.8 Darüber hinaus führte ich Gespräche mit zwölf Ordensleuten, die anderen als den untersuchten Ordensgemeinschaften angehörten, darunter mehrere Männer wie Frauen der franziskanischen Ordensfamilie. Mit vier Mitgliedern des Dritten Ordens der franziskanischen Familie auf den Philippinen führte ich eine Fokusgruppendiskussion.9 Des Weiteren befragte ich 18 Personen, die mit den Ordensgemeinschaften durch deren Einrichtungen assoziiert waren (darunter vor allem Mitarbeitende, aber auch ein ehemaliger Schüler einer jesuitischen Hochschule, der sich für den Aufbau eines Umweltschutzprogramms an der Hochschule engagiert hatte). Diese Gespräche verhalfen mir zu einem besseren Verständnis spezifischer Projekte mit Bezug zu den Ordensgemeinschaften und deren Entstehung sowie der Beziehung zwischen Ordensleuten und Laien in diesen Projekten. Auch diese Gespräche flossen nur begrenzt in die finale Analyse ein, bildeten aber einen entscheidenden Pfeiler für mein Grundverständnis des Feldes bezüglich relevanter Akteure, Prozesse und Themen. Besonders auf den Philippinen verschafften mir einige dieser Gesprächspartner auch Zugang zu Ordensleuten, mit denen mir sonst Gespräche vermutlich verwehrt geblieben wären. Der Datenkorpus, auf dem die im Folgenden dargestellte Analyse im Schwerpunkt basiert, besteht aus den leitfadenunterstützten Interviews mit 18 Franziskanern und 20 Jesuiten. Darüber hinaus führte ich fünf Fokusgruppendiskussionen mit insgesamt 21 Jesuiten in Ausbildung und mit elf Franziskanern in Ausbildung aus beiden Provinzen. Die Auswahl war insgesamt heterogen hinsichtlich des Alters der Befragten, der Hauptbeschäftigung und der Rollen und Positionen innerhalb der geteilten Sinnstrukturen des Ordens. So sprach ich mit einem Provinzial und mehreren Vertretern in ordensleitenden Funktionen, mit einem ehemaligen Provinzial, mit einem Erzbischof und mehreren Hochschulleitern, aber auch einem Ordensmitglied, der gerade ein Austrittsgesuch gestellt hatte, weil er sich vollständig zu einem Leben mit den Armen berufen fühlte (meines Wissens nach wurde diesem Gesuch von der Ordensleitung entsprochen). Ich sprach mit geweihten Priestern ebenso wie mit Brüdern (das heißt Ordensmännern, die keine Priester sind). Die folgende Grafik stellt verschiedene
8Das
trifft auf drei Ordensleute zu. Drittordensmitglieder leben wie ‚Laien‘, beispielsweise in Familien, identifizieren sich aber als Mitglied einer franziskanisch inspirierten Gemeinschaft und leben nach einer angepassten Variante der Ordensregeln.
9Diese
113
4.2 Methodisches Vorgehen
Gruppen da, mit denen ich Gespräche oder Diskussionen nach unterschiedlichen Formaten führte. Die untere Ebene der Grafik entspricht der Ebene der Provinzen. Je nach Gruppierung verfolgten die Gespräche unterschiedliche Ziele und basieren entsprechend auf unterschiedlichen Leitfäden. Im Anhang befindet sich eine Übersicht dazu, wie sich die Gesprächspartner*innen und Diskussionsteilnehmer*innen auf die Provinzen und weitere Unterscheidungsdimensionen verteilten (Abbildung 4.1). Globale Experten
Experten Ostasien/ Asien Pazifik
Experten Mieleuropa /Europa
Ordensmitglieder
Ordensmitglieder in Ausbildung
Experten Provinzen DE
Ordensmitglieder
Ordensmitglieder in Ausbildung
Experten Provinzen PHI
Abbildung 4.1 Übersicht Gruppierung der befragten Ordensmitglieder
Beide Orden weisen das Thema Umweltschutz bestimmten Spezialisten innerhalb der Gemeinschaften zu, die ich in dieser Arbeit als Experten befragte (in der Grafik in kursiv). Diese Animatoren für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (GFBS, OFM) oder Koordinatoren des sozialen Apostolats (SJ) existieren auf globaler Ebene, auf Ebene der Konferenzen und auf Ebene der Provinzen, bei den Franziskanern teilweise auch auf Ebene der Kommunitäten. Mit den Rollen sind jedoch keinerlei Weisungsbefugnisse verbunden, wie ich weiter unten genauer erläutere. Ziel der Gespräche mit diesen Experten war nicht zuletzt relevante interne Prozesse zu verstehen, die sich nicht in Dokumenten nachlesen ließen. Für beide Orden und beide Regionen sprach ich mit Experten aller abgebildeten Ebenen. Dabei ist der Begriff der Experten, wie er auch oben verwendet wurde, als Ausgangsperspektive von doppelter Bedeutung: Er beschreibt zum einen die Rollen als Spezialisten, die den Gesprächspartnern innerhalb des Ordens zum Zeitpunkt des Gesprächs zugeschrieben wurden in Bezug auf das Ziel, die Schöpfung zu bewahren oder sich mit ihr zu versöhnen. Die Spezialisten sind ausgestattet mit einem bestimmten ‚Titel‘ (z. B. Konferenzkoordinator für Soziale Gerechtigkeit und Ökologie) und mit spezifischen Aufgaben innerhalb der Ordensgemeinschaft. Als Multiplikatoren animieren und koordinieren
114
4 Empirische Untersuchung
sie Aktivitäten; sie gestalten globale Initiativen und organisieren einen großen Teil der grenzüberschreitenden Kommunikation zum Thema. Anders als andere Ordensleute sind sie in diesen Rollen legitimiert und ihnen werden dafür von der Ordensleitung zeitliche wie finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt. Ihre Rolle kann aus organisationaler Perspektive gleichermaßen als Ausdruck als auch als Lösungsversuch der Herausforderung der Steuerung in den komplexen Ordensgemeinschaften betrachtet werden. Des Weiteren verweist der Expertenbegriff auf die angenommene Wissensasymmetrie zwischen Befragten und Interviewerin in der Gesprächssituation selbst, die nicht zuletzt in meiner Gesprächsanfrage wie auch -führung konstruiert wurde. Die Gespräche führte ich mit individuell angepassten Leitfäden. Die meisten dieser Gespräche fanden in der explorativen Phase des Projektes statt (vgl. Arthur und Nazroo 2012, S. 116). Für die in der Abbildung in schwarzer, kräftigerer Schriftfarbe dargestellten Ordensleute auf den Philippinen und in Deutschland sowie in angrenzenden Provinzen folgte ich der Interviewtechnik des episodischen Interviews von Flick (Flick 1996). Der entsprechende Leitfaden ist gegliedert durch anfängliche Definitionsstimuli und im Anschluss erzählgenerierende Fragen zum Alltag der Befragten. Um verschiedene Interpretationen des Ziels aufzuspüren, nutzte ich den Kernausdruck zum Ziel im jeweiligen jüngsten Ordensdokument der Gemeinschaften. Wie im folgenden Abschnitt dargelegt handelt es sich bei den Franziskanern um den Ausdruck „integrity of creation“ bzw. „Bewahrung der Schöpfung“, bei den Jesuiten um den Ausdruck „reconciliation with creation“ bzw. „Versöhnung mit der Schöpfung“.10 Diese Gespräche sind im Vergleich zu den Expertengesprächen besonders geeignet für die Analyse anhand der
10Eine
Einschränkung bei diesem Vorgehen ist, dass Ordensmitglieder ein ökologisches Ziel unter anderen Begriffen verhandeln könnten. Auch wenn das als Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, erachte ich es als unwahrscheinlich, ähnlich relevante Schlüsselbegriffe in den Gemeinschaften übersehen zu haben. Sowohl meine Beobachtungen wie auch die Experteninterviews und die Dokumentenanalyse lassen vermuten, dass es keine starken Paralleldiskurse gibt, die mit anderen Begriffen, nicht aber den ausgewählten verknüpft sind. So wurde der Zusammenhang von Ökologie und den gewählten Ausdrücken schon in frühen, explorativen Interviews auch andersherum hergestellt. Für eins der Sekretariate der Kurie des Jesuitenordens beispielsweise, dem Sekretariat für soziale Gerechtigkeit und Ökologie, ist Ökologie als Arbeitsschwerpunkt im Titel begrifflich manifestiert. Ich fragte in der Exploration folglich nach „Ökologie“. Trotzdem ist für den Leiter des Sekretariats Versöhnung mit der Schöpfung der bedeutendere Ausdruck („more meaningful“), auf den er kurz nach Beginn des Gesprächs von sich aus zu sprechen kommt.
4.2 Methodisches Vorgehen
115
dokumentarischen Methode, die ich im Unterkapitel zur Datenauswertung erläutere. Sie sind geprägt durch einen vergleichsweise offenen Gesprächsverlauf, welcher den Gesprächspartnern erlaubt auszudrücken, inwiefern und wenn ja, auf welche Weise das Thema des Gesprächs für sie relevant ist und „unter welchem Aspekt [es] für sie Bedeutung gewinnt“ (Bohnsack 2014, S. 22). Bloor und andere argumentieren, geteilte Normen in Gemeinschaften könnten in besonderer Weise in Fokusgruppendiskussionen sichtbar gemacht werden. [Focus groups provide] concentrated and detailed information on an area of group life which is only occasionally, briefly and allusively available to the ethnographer over months and years of fieldwork. (Bloor et al. 2001, S. 6)
Entsprechend versuchte ich, im Rahmen der Untersuchung solche Gruppen zusammenzustellen. Allerdings ergab die diesbezügliche Sondierung des Feldes, dass sich die Ausbildung der Ordensleute als einzige realistische Möglichkeit bot, mehrere Ordensleute zu dem Thema über eine gewinnbringende Zeitspanne hinweg als eine solche Gruppe zu organisieren. Da die Fokusgruppendiskussionen in Absprache mit den Leitern der Ausbildung entstanden, waren sie weniger ‚freiwillig‘ als die Einzel- und Paargespräche. Bei einer Diskussion mit den Ordensleuten in Ausbildung nahm der Koordinator der Provinz, bei einer der Ausbilder teil, was aufgrund der Hierarchie innerhalb der Gruppe ungünstig, in Bezug auf die spezifischen Situationen aber ohne Verletzung des Respektes den betreffenden Personen gegenüber unvermeidbar schien. Eine Fokusgruppendiskussion entstand im Rahmen des regelmäßig stattfindenden ‚Kommunitätsabends‘. Insgesamt bargen die Fokusgruppen nichtsdestotrotz – wie auch die Gespräche, die ich mit zwei Ordensleuten gemeinsam führte – die seltene Chance, themenbezogene Interaktionen zwischen Ordensleuten zu erfassen (vgl. Kitzinger 1994). Im folgenden Absatz zur Datenauswertung lege ich dar, in welcher Form ich die Diskussionen in die Analyse einbezog. Nahezu alle Gespräche und Gruppendiskussionen wurden aufgenommen. Von den meisten Gesprächen mit Franziskanern oder Jesuiten wurden vollständige Transkriptionen angefertigt, darüber hinaus auch von einigen Gesprächen mit Laien oder Ordensleuten anderer Gemeinschaften.11 Die Gruppendiskussionen
11Insgesamt
wurden 44 Interviews vollständig transkribiert und vier in Teilen. Von den anderen wurden Zusammenfassungen erstellt oder sie wurden im Rahmen der Analyse mindestens zwei Mal angehört. Vier Gespräche mit Jesuiten oder Franziskanern wurden nicht transkribiert, weil die Qualität durch den lauten Ort der Aufnahme, den Einsatz
116
4 Empirische Untersuchung
wurden teilweise ebenfalls transkribiert. Die nicht transkribierten Gespräche wurden mehrfach während der Analyse angehört. Oft waren die Gesprächssituationen auch begleitet durch informellen Austausch wie gemeinsame Essen, die ich themenbezogen ebenfalls dokumentierte, sofern die Gesprächspartner*innen nicht ausdrücklich das Gegenteil wünschten.
Beobachtungen Als Möglichkeiten für gezielte teilnehmende Beobachtungen mit Themenbezug ergaben sich unterschiedliche Situationen, vor allem aber Treffen, in denen interessierte und/oder spezialisierte Ordensleute zu diesem und verwandten Themen zusammenkamen. Diese Treffen waren solche zwischen Vertretern unterschiedlicher Ordens- oder auch Religionsgemeinschaften, wie beispielsweise die auch für Laien offenen interfranziskanischen Grundlagenseminare in Mitteleuropa zu Fragen des Themenfelds GFBS oder Netzwerktreffen der Ordensleute auf den Philippinen zum selben Thema, aber mit mehr Bezug zu politischen Advocacy-Tätigkeiten. Daraus ergab sich für die Exploration des Feldes die Chance eines breiteren Einblicks, für die Analyse von Verhandlungssituationen jedoch auch eine Begrenzung der Methode dahingehend, dass ich selten Verhandlungen zwischen formalen Mitgliedern der Gemeinschaften beobachtete, da diese nur einen Teil der Teilnehmenden ausmachten. Teilnehmende Beobachtungen ermöglichten nichtsdestotrotz Einblicke in die Debatten innerhalb der Ordensgemeinschaften in den beiden Regionen sowie eigene Eindrücke zu spezifischen ‚Materialisierungen‘ der Ziele und Aktivitäten der Ordensleute. Zusätzlich unternahm ich einige Exkursionen, um bestimmte Klöster oder Projekte kennenzulernen. Im Zuge der teilnehmenden Beobachtungen ergaben sich nicht zuletzt diverse informelle Gesprächs möglichkeiten, die ich mit Feldnotizen dokumentierte. Eine Liste der Beobachtungen und Exkursionen befindet sich im Anhang.
von lauten Ventilatoren oder die schlechte Aussprache der Gesprächspartner nicht nur sehr mühselig, sondern im Ergebnis auch weniger gewinnbringend als eine aufmerksame Rezeption der audio-Dateien war. Ein Teil der Transkripte wurde von einer Hilfskraft erstellt.
4.2 Methodisches Vorgehen
117
4.2.2 Datenauswertung Basierend auf dem Forschungsinteresse und der handlungstheoretischen Diskussion folgte die Datenauswertung einem induktiven, rekonstruktiv-interpretativen Vorgehen. Dabei trennte ich die Analyseschritte jedoch entlang der theoretisch identifizierten Teilprozesse der Glokalisierung: Implizite Wissensbestände untersuchte ich mit der dokumentarischen Methode anhand ausgewählter Gesprächspassagen, ergänzt durch weitere Hinweise aus dem Gesamtmaterial (Teilprozess Interpretieren). Darauf aufbauend analysierte ich durch systematisches Vergleichen von explizierten Aussagen (Bewertungen) und Erzählungen zu und Beobachtungen von Interaktionen (Verhandlungen) die weiteren Teilprozesse. Die folgenden Absätze beantworten genauer: Wie wurden die Daten analysiert? Welches Datenmaterial wurde für welche Analysen ausgewählt? Wie wird es verglichen (Systematik)? Was kann durch den Vergleich ausgesagt werden?
Die dokumentarische Methode Das Auswertungsverfahren der dokumentarischen Methode basiert auf der theoretischen Annahme der deutschen Wissenssoziologie, die ich in der handlungstheoretischen Diskussion dargelegt habe, dass Handlungen auf implizitem Wissen beruhen, welches Menschen durch Erfahrungen in sozialen Situationen erlangen. Darauf aufbauend nimmt die Methode an, dass vice versa durch die Rekonstruktion atheoretischer, impliziter Wissensbestände ein Zugriff auf Handlungspraxis erlangt werden kann (Nohl 2012, S. 43). Die dokumentarische Methode zielt darauf ab, diese impliziten Wissensbestände aus verschiedenartigem empirischem Material herauszuarbeiten. Ursprünglich für die Analyse von Diskursverläufen von Gruppendiskussionen angewendet, sind heute mit der Methode auch Analysen von Interviews, Bildern oder Videomaterial in der deutschsprachigen qualitative-empirischen Sozialforschung üblich und erprobt (vgl. Bohnsack et al. 2013a). In diesem Forschungsprojekt ist die Methode besonders deshalb hilfreich, weil sie eine Möglichkeit bietet, anhand von Interviewdaten Rückschlüsse auf implizierte Perspektiven der Ordensleute und damit auf Verwirklichungsformen der Umweltschutzziele im Alltag ziehen zu können. Bevor ich das Verfahren der Auswertung von Interviews anhand der dokumentarischen Methode spezifischer vorstelle, gehe ich knapp darauf ein, wie rekonstruktive Verfahren wie die dokumentarische Methode sich empirischen Phänomenen zuwenden. Die deutsche Wissenssoziologie versteht sich als positive
118
4 Empirische Untersuchung
Wissenschaft, was meint, dass sie „radikal auf eine[r] erfahrungswissenschaftliche[n] Grundlage“ operiert (Tänzler et al. 2006). Dabei unterscheidet sie sich von positivistischen, hypothesenüberprüfenden Verfahren, da sie wie beispielsweise die Grounded Theory von Glaser/Strauss anstrebt, Theorien aus den empirischen Phänomenen heraus zu entwickeln. Durch spezifische methodische Verfahren werden Wissensbestände herausgearbeitet, die schon vor der Analyse ‚in der sozialen Welt‘ existieren, nur in theoretisierter ‚Art‘ vor der Analyse nicht sichtbar sind und von daher „re-konstruiert“ werden (vgl. z. B. Bohnsack 2014, bes. S. 32; Luckmann 2006, S. 21; Tänzler et al. 2006). Dabei sind die Verfahren nicht „theorielos“, sondern informiert durch „metatheoretische“ Überlegungen, wie sie auch in dieser Arbeit als handlungstheoretische Konzepte eingeführt wurden. Für die empirische Auswertung vermieden werden hingegen „inhaltlich-gegenstandsbezogene“ Vorannahmen (Bohnsack 2014, S. 35). Für das vorliegende explorative Forschungsvorhaben war diese Vorgehensweise deshalb gut geeignet.12 Ziel der Analyse ist die sinngenetische oder soziogenetische Typenbildung. Eine sinngenetische Typik bildet abstrahierte Orientierungsrahmen ab, während die soziogenetische Typik diese Orientierungen mit Kontexten der Entstehung dieser Orientierungen erklärend in Bezug setzt, in denen diese in spezifischen sozialen Prozessen entstehen (beispielsweise in bestimmten Milieus). Orientierungsrahmen strukturieren Praxis und sind in sie eingelassen (Bohnsack 2013, S. 248). Während sich in der Literatur über solche dialektischen, für empirische Analysen tautologischen Bestimmungen hinaus kaum klare Definitionen dessen finden, was eine Orientierung und ihr Rahmen ist, verhilft zum Verständnis dieses Begriffs, wie er identifiziert wird: Die Grenzen eines Typs und der damit einhergehenden Orientierungen können im empirischen Material durch die Suche nach Markierungen von Gegenhorizonten ermittelt werden. Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) definieren diese Begriffe mit der Frage: „Worin liegt das positive oder negative Ideal eines Sinnzusammenhangs, wohin strebt er und wovon wendet er sich ab?“ (Przyborski und Wohlrab-Sahr
12Einige
Verfechter rekonstruktiver Verfahren stellen deren Vorteile gegenüber hypothesengeleiteten Verfahren vehement heraus (vgl. z. B. Bohnsack 2014, S. 22). Während ich die Vorteile rekonstruktiver Verfahren für viele Fragestellungen (darunter besonders mikrosoziologisch explorative) überzeugend finde, erscheint es mir nicht plausibel, warum die gewonnenen Erkenntnisse als gegenstandsbezogene Theorien nicht auch systematisch überprüft werden sollen, wie dies in hypothesenüberprüfenden qualitativen wie quantitativen Forschungsdesigns und Methoden geschieht.
4.2 Methodisches Vorgehen
119
2014, S. 296, vgl. auch S. 33). Darüber hinaus können Orientierungen durch die Suche nach Hinweisen auf konkrete Umsetzungen dieser Sinnstrukturen im Alltag geschärft werden. Die dokumentarische Methode nennt diese Hinweise Enaktierungspotential. Werden Umsetzungsmöglichkeiten nicht oder nur eingeschränkt gesehen beziehungsweise insofern als negativ vermittelt, als sie mit großen Schwierigkeiten verbunden wären, zeigen sich Orientierungsdilemmata (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 296). Verbunden werden die Typen einer Typologie anhand einer allen gemeinen Basistypik, dessen konkreter Inhalt sich auch aus dem Forschungsinteresse des Projektes ergibt (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 302 f.). Sinngenetische Typen, die basierend auf den markierten Orientierungen ermittelt werden, sind dabei nicht eindeutig bestimmten Personen zugeordnet, sondern bei Personen lassen sich gegebenenfalls auch überlagerte Orientierungen unterschiedlicher Typen ermitteln – kongruent zu der theoretischen Annahme der Erlebnisschichtung, also der Annahme, dass Akteure an verschiedenen Erfahrungsräumen teilhaben. Typen müssen sich nicht gegenseitig ausschließen und können auch bestimmte Ausprägungen ‚gemein‘ haben (vgl. z. B. Bohnsack 2013, S. 247; Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 33, 289). Wie wird bei der Analyse von Interviews mit der dokumentarischen Methode vorgegangen? Es werden nicht vor Beginn der Analyse alle relevanten Textabschnitte und die Abfolge deren Analyse festgelegt, sondern die Analyse baut sich beginnend mit einem Gespräch entsprechend des Vorgehens maximaler wie minimaler Kontrastierung auf. Grundsätzlich werden eher solche Interviews ausgewählt, die aufgrund der Interviewführung, ihrer erzählerischen Dichte und/ oder ihrer Relevanz in Bezug auf das Forschungsvorhaben als besonders geeignet erscheinen.13 Neben den Eingangspassagen, die in der Regel immer analysiert werden, weil sie erste Reaktionen auf das Thema enthalten und damit die erste Interpretation des Stimulus (vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 292 f.), erfolgt die Auswahl bestimmter Textpassagen aus den Gesprächen nach den gleichen oben genannten Kriterien. Bei der Analyse von Interviews, so wie Nohl (2012) sie vorschlägt und ich sie daran angelehnt durchführe, werden insbesondere erzählerische und beschreibende (weniger hingegen argumentierende oder bewertende) Textpassagen vergleichend
13Wurden
die Gespräche zuvor nicht transkribiert, werden zusammenfassende thematische Verläufe erstellt und darauf aufbauend die Entscheidungen getroffen, welche Passagen genauer analysiert und damit transkribiert werden müssen. Da im Rahmen dieses Projektes die meisten relevanten Gespräche transkribiert vorlagen, war dieser Schritt nicht nötig.
120
4 Empirische Untersuchung
in den Blick genommen. Darüber hinaus wird in Auswahlüberlegungen einbezogen, inwiefern Textpassagen sich mit anderen Textpassagen vergleichen lassen, beispielsweise weil sie ein ähnliches Thema unterschiedlich oder unterschiedliche Themen ähnlich behandeln (vgl. auch Nohl 2012, S. 40 ff.). Die jeweiligen Gesprächspassagen werden erst einer formulierenden Interpretation unterzogen, bei der der semantische Inhalt untersucht wird, und dann einer reflektierenden Interpretation, bei der beantwortet wird: „Wie wird ein Thema beziehungsweise das in ihm artikulierte Problem bearbeitet, in welchem (Orientierungs-)Rahmen wird das Thema behandelt?“ (Nohl 2012, S. 41). Dabei wird bei der Analyse von Interviews unter anderem die Textsorte (Erzählung, Beschreibung, Argumentation oder Bewertung) bestimmt. Entscheidend im reflektierenden Interpretationsschritt ist die Identifikation wiederkehrender Muster beziehungsweise „homologer Sinnstrukturen“ sowie die metaphorische und erzählerische Dichte der Passagen. Ist diese besonders konzentriert, wird dies als Fokussierungsmetapher bezeichnet und verdient besondere Aufmerksamkeit, da von einem „hohen Detaillierungsgrad“ erwartet wird, Relevanz des Themas für die Untersuchten und verdichtete Hinweise auf deren Orientierungen zu dokumentieren (Bohnsack 2013, S. 250). Die Ergebnisse der Analysen anhand der dokumentarischen Methode präsentiere ich im folgenden Kapitel. Ich konzentrierte mich dabei auf die Gemeinschaften der beiden Schwerpunktregionen. In Bezug auf mein Forschungsprojekt erhebt die zugrundeliegende Auswahl der Gespräche nicht den Anspruch, alle möglichen Interpretationen innerhalb der Gemeinschaften abzubilden. Aufgrund des vielfältigen gesammelten Materials konnte ich jedoch die Typik weitergehend qualifizieren und durch weitere Hinweise aus dem Material (in der Sprache der dokumentarischen Methode: Orientierungsgehalte) ergänzen. Soweit die Qualität und Interviewführung der Gespräche es erlaubte, bildet die entwickelte Typik in diesem Rahmen die sich im Datenmaterial zeigenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten nicht zuletzt basierend auf dem Auswahlkriterium des größtmöglichen Kontrastes ab. Wie es für breit aufgestellte Arbeiten anhand der dokumentarischen Methode teilweise vorkommt (vgl. z. B. Geimer 2010), schließt die Analyse dieser Arbeit nicht mit einer vollständig entwickelten soziogenetischen Typik ab, da diese große Anforderungen an Forschungsgegenstand und Material stellt, die im Rahmen vieler Studien nicht erfüllt werden können. Nichtsdestotrotz kann ich empirisch und argumentativ Zusammenhänge zwischen Erfahrungsräumen und Orientierungen zeigen. Da davon ausgegangen wird, dass „individuelle Phänomene […] stets in einer grundlegend sozialen Praxis entstanden“ sind (Nohl 2012, S. 4),
4.2 Methodisches Vorgehen
121
können basierend auf diesem Vorgehen über die Einzelfälle hinausreichende Annahmen zur Vielfalt der Zielinterpretationen formuliert werden. Als relevant herausgearbeitete Unterscheidungsdimensionen können auch zum Vergleich mit weiteren Varianten der Interpretation dienen. Einem möglichen Bias in den Interpretationen durch die Perspektive der Interviewerin wird im Prozess der rekonstruktiven Analyse durch die kontrastierenden Vergleiche zwischen Aussagen von Befragten und zwischen Befragten und Interviewerin kontrollierend entgegengewirkt (vgl. Bohnsack 2014, S. 22). Darüber hinaus stellte ich in regelmäßigen Treffen und Skype-Gesprächen in einer Interpretationsgruppe Teile meiner Interpretationen und einen Entwurf der Typenbildung zur Diskussion.
Kontrastierende Interpretation Die dokumentarische Methode beruht in entscheidendem Maße auf den Prinzipien der begründeten Selektion und des Vergleichs (vgl. z. B. Nohl 2013a). Für die Analysen zu den Teilprozessen der Bewertung und der Verhandlung setzte ich diese Prinzipien fort, ohne jedoch die dokumentarische Methode anzuwenden erstens, weil diese für einige der Daten nicht geeignet ist (besonders hinsichtlich Bewertungen) und zweitens, weil der Aufwand den Umfang des analysierbaren Materials und damit den Erkenntnisgewinn enorm geschmälert hätte. Dass eine vergleichende Perspektive Entdeckungen über bestehende Annahmen hinaus ermöglicht, ist über empirische Forschungstraditionen hinweg anerkannt.14 Diese Qualität nutzte ich für die folgenden Analyseschritte aus. Für die Analyse von Bewertungen entwickelte ich aufbauend auf der sinngenetischen Typik zu den Zielinterpretationen ein Schema zu Bewertungen, die der jeweiligen sozialen Welt der Zielinterpretation eingeschrieben sind. Dieses ergänzte ich durch Hinweise aus dem Gesamtmaterial zu den sozialen Welten, die durch die Rekonstruktion der Zielinterpretationen als relevant ermittelt werden konnten. Zur Analyse von expliziten Bewertungen und Verhandlungssituationen sichtete ich das
14Siehe
z. B. Lijphart (1975, S. 159): „The term discovery can then be reserved for the antecedent process of formulating the hypotheses. It must be pointed out, however, that a comparative perspective-not to be confused with the comparative method-can be a helpful element in discovery.“
122
4 Empirische Untersuchung
gesamte Material nach Passagen, in denen diese erfasst wurden. Darauf aufbauend strukturierte ich die Daten nach den Unterscheidungsdimensionen was bewertet wird beziehungsweise was verhandelt wird und in welchen Arenen. Als weitere relevante Unterscheidung differenzierte ich formalisierte und informelle Prozesse. Diese Unterscheidung ergab sich aus der Datenanalyse,15 war aber insofern theoretisch informiert, als sich die Situationen dahingehend unterscheiden, welche ‚Funktion‘ geteilten Wissensbeständen in den Interaktionen zukommt. Formalisierte Situationen zeichnen sich durch Verfahrensregeln im Sinne eines implizit oder explizit geteilten ‚Protokolls‘ einschließlich der Definition von Anfang und Ende der Bewertung oder Verhandlung aus. Geteilte Wissensbestände ‚strukturieren‘ in jenen Situationen insofern die Interaktion von Vornherein. Basierend auf diesem Grundgerüst entwickelte ich aus dem Material heraus konstrastierend verschiedene Perspektiven der expliziten Bewertung und untersuchte deren Bezug zu handlungsleitenden Interpretationen. Für die Analyse von Verhandlungssituationen wählte ich aus dem Gesamtmaterial besonders informationsreiche, unterschiedliche Situationen für die Analyse aus. Durch dichte Beschreibungen und detaillierte Feininterpretationen konnte ich die sich zeigende Vielfalt von Themen, Verhandlungsgegenständen, Strategien und Prozessen herausarbeiten. Darauf aufbauend systematisierte ich die Ergebnisse hinsichtlich der Frage, in welchen Situationen unterschiedliche Ausgangsperspektiven harmonisiert wurden und in welchen nicht. Bezüge zu spezifischen bewertenden Perspektiven mit Blick auf die Umweltschutzziele und zu Interpretationstypen konnten teilweise, aber nicht für alle Akteure in den analysierten Verhandlungssituationen hergestellt werden. Zu allen Teilprozessen wurden die Ergebnisse hinsichtlich der Vergleichsdimensionen zwischen den Ordensgemeinschaften, den Provinzen und den Regionen untersucht. Durch die Kombination kleingliedriger Rekonstruktionen impliziter Wissensbestände mit der kontrastierenden Interpretation dicht beschriebener Bewertungs- und Verhandlungssituationen konnte ich mich so vielseitigen, im umfassenden Datenmaterial erfassten mikrosoziologischen Wechselspielen verschiedener Wissensbestände zuwenden und diese in vergleichender Perspektive diskutieren. Die verschiedenen Datenarten flossen nicht gleichwertig in die Analyse ein. So wertete ich die Dokumente besonders zu Beginn des Projektes zur Aneignung von Grundwissen zum Feld aus, sofern sie nicht Teil spezifischer Verhandlungssituationen waren, die ich detaillierter untersuchte. Auch die Fokusgruppendiskussionen bezog ich nur eingeschränkt in die Analyse ein. Zwar wären 15Ich
fragte mich beispielsweise: „Wie kann ich die spontane Praktik des Auslachens von reflektierten und aufwendigen Bewertungsverfahren unterscheiden?“
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld
123
ausführliche kontrastierende Analysen anhand der dokumentarischen Methode wünschenswert gewesen; der Arbeitsaufwand hätte aber in keinem Verhältnis zu dem Beitrag zu dem hier verfolgten Forschungsinteresse gestanden. Verschiedene Hindernisse hätten eine Schwerpunktsetzung auf die Analyse der Diskussionen zusätzlich erschwert: Die Diskussionen sind nur eingeschränkt vergleichbar mit den Glokalisierungsprozessen durch andere Ordensleute aufgrund der besonderen Phase der Ausbildung, in der sich die Teilnehmenden befanden. So wäre nicht zuletzt möglich, dass Ordensleute, die die Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben, in der Gemeinschaft geteilte Wissensbestände noch eher hinterfragen oder diese noch nicht erlangt haben. Zwischen den Orden sind Vergleiche besonders durch unterschiedlich lange Ausbildungszeiten erschwert. Eine weitere Herausforderung ist der interpretative Umgang mit den hierarchischen Teilnehmendenkonstellationen. Eine zusätzliche Besonderheit sind die verschiedenen Provinzzugehörigkeiten der Teilnehmenden bei beiden Fokusgruppen in Deutschland, da Ordensleute in Ausbildung in beiden Gemeinschaften einen Teil ihrer Ausbildung gemeinsam mit Mitgliedern unterschiedlicher Provinzen absolvieren. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass das Material sehr spannend und mit ähnlichen Fragestellungen auch fruchtbar auswertbar ist, aufgrund des Aufwands und der Spezifität aber nicht im Fokus dieser Analyse steht. Trotzdem nutzte ich die Diskussionen als relevante ergänzende Quellen nicht zuletzt um zu zeigen, welche alternativen Perspektiven (auch) denkbar sind. Im Kapitel zu Verhandlungen gehe ich auf einige Situationen spezifischer ein, da sie Aspekte berühren, die auch im Gesamtmaterial aufgeworfen werden.
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld Die folgenden Absätze führen in grundlegende Entwicklungen, Entscheidungen und Akteure religiösen Umweltschutzes in der katholischen Kirche und den Ordensgemeinschaften ein. Neben Primär- und Sekundärliteratur greife ich für diese Einführung bereits auf Experteninterviews zurück. Gespräche mit Ordensmitgliedern, die ausdrücklich ‚als Zuständige‘ für den Bereich der Umweltschutzziele über die Grenze der eigenen Provinz hinaus eingesetzt wurden, ermöglichten mir Zugänge zu deren idiosynkratischen Wissensbeständen in Bezug auf das Thema (vgl. Ritchie 2012, S. 33). Diese Experten haben sich unter anderem mit Mitgliedern anderer Provinzen und mit Entscheidungsträgern des Ordens über Bedeutungen und Konsequenzen des Ziels ausgetauscht.
124
4 Empirische Untersuchung
4.3.1 Umweltschutz in der katholischen Kirche Um in das Thema des Umweltschutzes in der katholischen Kirche einzuführen, ist es sinnvoll, zu unterscheiden zwischen von der Mitgliederbasis herrührenden Initiativen des religiösen Umweltschutzes einerseits und von Verlautbarungen des Heiligen Stuhls und Entwicklungen im Vatikan als Zentrum der hierarchisch organisierten Glaubensgemeinschaft andererseits. Beide Aspekte sind miteinander empirisch verknüpft, weisen aber unterschiedliche Facetten und Zeitlichkeiten auf. Die weltweit seit den 1970er Jahren aufkommenden Umweltbewegungen umfassten auch Mitglieder der katholischen Kirche. Diese nahmen sich dem Thema Umweltschutz mit der zunehmenden Sensibilisierung für das Thema in ökologischen und ökumenischen Bewegungen spätestens seit den 1980er Jahren und verstärkt im Zuge der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (Rio de Janeiro, 1992) an. Dabei war ein bedeutsames überkonfessionelles Großereignis die Versammlung des Weltrats der Kirchen in Vancouver 1983. Diese rief zu Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (GFBS) auf und stieß diverse Aktivitäten von religiösen, lokal organisierten Gruppen an. So finden sich in christlichen Gemeinschaften verschiedener Konfessionen bis heute Arbeitskreise von Laien und Expertenrunden von Geistlichen für GFBS-Themen. Die katholische Kirche war zwar selbst nicht Mitglied des Rates, aber viele Mitglieder der Kirche engagierten sich für GFBS. Auch die verfasste Kirche nahm schließlich die Ziele in ihre Sinnstrukturen auf. Bei der Diskussion des Forschungsstandes zu religiösem Engagement für Umweltschutz verwies ich bereits auf die Vielfalt der Formen und Themen, die religiösen Umweltschutz selbst innerhalb einer Konfession auszeichnet. So lassen sich mit dem Ziel der Bewahrung mit der Schöpfung innerhalb der katholischen Kirche Aktivitäten finden wie politische Verlautbarungen von Bischofskonferenzen, aber auch Umweltschutzinitiativen wie Managementsystemen auf der Ebene von Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Einrichtungen (vgl. z. B. Moreno 2008; Blanc 2017). Aktive konnten anfangs jedoch kaum auf themenspezifische Impulse durch ihre oberste Kirchenleitung zurückgreifen. Franziskus von Assisi, Gründungsfigur des Ordens der Minderen Brüder, der unter anderem für seinen Sonnengesang zu ‚Bruder Sonne‘ und ‚Schwester Mond‘ bekannt ist, wurde 1979 von Papst Johannes Paul II zum Patron für die, die sich für Ökologie einsetzen, ernannt. Für religiösen Umweltschutz als Thema der katholischen Führung folgt der nächste als solcher wahrgenommene Meilenstein jedoch erst 1990 mit der ersten Verlautbarung des Heiligen Stuhls, Menschen seien verantwortlich für die Schöpfung, im Rahmen der Feierlichkeiten des Weltfriedenstages (Schaefer 2011). 2001 schließlich expliziert Papst Johannes Paul II sehr deutlich in einer
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld
125
der wöchentlichen Generalaudienzen im Januar ein Umweltschutzanliegen für seine Zuhörer*innen mit den Worten: Gott hat den Menschen als Verwalter der Schöpfung und als deren Diener eingesetzt. Doch die Herrschaft über die Lebewesen ist nicht absolut. Der Mensch ist berufen, das Werk Gottes weiterzuführen, damit das Leben in Frieden und Gerechtigkeit gedeihen kann. Besonders in unserer Zeit sieht der Zustand unserer Umwelt bedrohlich aus. Die Erde ist verwüstet, das Wasser vergiftet, die Luft verschmutzt. Umkehr tut not. Der Mensch braucht eine “humane Ökologie”. Geschaffen zu sein, das bedeutet Würde und Achtung.
Papst Benedikt XVI knüpfte an den Begriff der Humanökologie besonders im Lehrschreiben Caritas in Veritate (2009) an. Darüber hinaus nahm er Themen des Umweltschutzes regelmäßig in seine Predigten auf und setzte im Vatikan Maßnahmen wie die großflächige Installation von Sonnenkollektoren um (Stone 2013). Schließlich ‚besiegelte‘ Papst Franziskus mit seiner Namenswahl, mit seinem Engagement bei der UN 2015, auf ein Klimaabkommen hinzuwirkend (O’Kane 2015; Vidal 2014), und dem Text Laudato Si‘ die Entwicklungen im Vatikan, dem Thema des Umweltschutzes explizit und öffentlich sichtbar Bedeutung zuzuschreiben. Als Zentrum relevanter Entscheidungsfindungsprozesse in der römisch-katholischen Kirche haben diese Entwicklungen auch insofern Bedeutung, als sie neue geteilte Sinnstrukturen innerhalb der transnationalen Gemeinschaft anbieten. Diese lassen sich in die umfassenderen Sinnstrukturen der katholischen Soziallehre einbetten. Darunter wird „die katholisch-theolog[ische] Reflektion der gesellschaftl[ichen] Normen und Strukturen“ verstanden, die „Orientierungs- und Handlungsnormen für die Gestaltung von Welt und Gesellschaft“ bestimmen soll (Brockhaus 2001). Dabei bilden die Sozialenzykliken der Päpste die wohl wichtigsten Säulen. So wurde der genannte Begriff der Humanökologie erstmals in der Enzyklika Centesimus annus des Papstes Johannes Paul II. verwendet (1991), wird aber zumeist mit Caritas in Veritate (2009) von Benedikt XVI. assoziiert.16 16Papst
Benedikt XVI. wurde gelegentlich auch als ‚Grüner Papst‘ bezeichnet. Meiner Lesart nach positioniert er sich in den entsprechenden Abschnitten der hier zitierten Enzyklika allerdings primär zu Familienfragen – besonders gegen Abtreibung und künstliche Befruchtung, wobei die Bewertungsmaßstäbe der ‚Liebe‘ und der ‚Wahrheit‘ eingefordert werden. „Die Wahrheit und die Liebe, die sie erschließt, lassen sich nicht produzieren, man kann sie nur empfangen“ (2009, Art. 52). Dass die Kernaussagen dieser Enzyklika zumindest mit Perspektiven wie einer politischen Interpretation der Ziele, die Schöpfung zu bewahren beziehungsweise sich mit ihr zu versöhnen, problematisch sind, schlägt beispielsweise die Lektüre von Emunds (2013) vor. Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der jesuitischen Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen.
126
4 Empirische Untersuchung
Bei der katholischen Soziallehre handelt es sich um ein breites und derzeit 126 Jahre umspannendes Gesamtwerk. Die erste Sozialenzyklika Rerum novarum wurde 1891 von Papst Leo XIII. herausgegeben und beschäftigte sich intensiv mit ‚der Arbeiterfrage‘ Europas. Seit dem sind neun weitere Enzykliken erschienen, die sich ‚gesellschaftlichen Normen und Strukturen‘ (s. o.) widmen. Mit Laudato Si von Papst Franziskus befasst sich zum ersten Mal eine Enzyklika im Schwerpunkt mit ökologischen Fragestellungen sowie deren Zusammenhang mit sozialen und ökonomischen Problemen (Franziskus 2015). Zur katholischen Soziallehre werden darüber hinaus auch weitere zentrale Dokumente und Lehrschriften wie beispielsweise die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils, Gaudium et Spes, gezählt. Vor dem Hintergrund des Umfangs und der Altersspanne der Schriften erstaunt es nicht, dass sie mit und ohne Historisierung der Inhalte in vielen Bereichen widersprüchliche Positionen beinhalten und über Jahrzehnte hinweg bezüglich diverser Fragestellungen – wie beispielsweise der Perspektive auf Wirtschaftsfragen oder die Globalisierung (z. B. Althammer 2013; Utz 1991; Frambach und Eissrich 2016) – von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen uneindeutig ausgelegt wurden (vgl. auch Sharkey 2012). 2004 hat jedoch der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden ein Kompendium herausgegeben, worin vier Kernprinzipien der katholischen Soziallehre benannt sind, auf deren Grundlage soziale Herausforderungen behandelt werden sollen: The permanent principles of the Church’s social doctrine[..] constitute the very heart of Catholic social teaching. These are the principles of: the dignity of the human person, […] which is the foundation of all the other principles […], the common good; subsidiarity; and solidarity. (PCJP 2004, S. 91, Art. 160, Hervorhebung im Original)
Auch jene Prinzipien der Menschenwürde, des Gemeinwohls, der Subsidiarität und der Solidarität können selbstverständlich unterschiedlich ausgelegt und situativ angewendet werden. Die Diskussion dieser Nuancen erscheint mir jedoch besonders ein sozialethischer und theologischer Diskurs zu sein, der hier vernachlässigt wird. Im Kompendium verweist der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden auch auf ein bestimmtes Verfahren der Bewertung, was sich an verschiedenen Stellen im Gesamtmaterial dieses Forschungsunterfangens wiederfindet (PCJP 2004, S. 3, Art. 7). Das Schema ‚Sehen (bzw. Reflektieren) – Urteilen – Handeln‘ ist in seiner Historie als auch im konkreten Vorgehen ein genuin religiöses, ökumenisch angewendetes Verfahren.
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld
127
Schon bei der Entwicklung des Verfahrens zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollte es dazu befähigen, sich einer Verantwortung für die Gesellschaft bewusst zu werden, schlechte Lebensbedingungen von Gruppen in der Gesellschaft vor dem Hintergrund der Religion zu untersuchen und darauf aufbauend soziale Reformen anzustoßen (Zotti 1990; Gigacz 2007). Teil der katholischen Soziallehre wurde Sehen, Urteilen, Handeln 1961 mit der Enzyklika Mater et Magistra. Große Popularität erlangte das Verfahren schließlich in den Basisgemeinden, besonders in Lateinamerika, und damit im Rahmen einer befreiungstheologischen Agenda um die Themen der sozialen Gerechtigkeit, der demokratischen politischen Ordnung und Politiken ökonomischer Umverteilung seit den späten 1960er Jahren. Es steht insofern in einer starken Tradition als Instrument dafür, bestehende soziale wie ökonomische Missstände aus Perspektive der Armen zu betrachten und zu versuchen, diese im Sinne einer „Option für die Armen“ zu verändern (Adriance 1985; Stewart-Gambino 2001). Einher geht mit dem Verfahren die Annahme, dass Menschen in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen oder an unterschiedlichen Orten vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen und entsprechend auch unterschiedlich ‚urteilen‘ und handeln (Dawson 2000, S. 52). Heute findet das Verfahren weltweit in ökumenischen wie katholischen Gruppen Anwendung, besonders, aber nicht ausschließlich, bei Themen mit Gerechtigkeitsbezug.
4.3.2 Umweltschutz in den Orden Bevor ich in den folgenden drei Kapiteln die Ergebnisse der empirischen Analyse darlege, stelle ich hier knapp die Umweltschutzziele der Orden sowie relevante Expertenrollen innerhalb der Orden vor. Ich beginne die Darstellung mit den Umweltschutzzielen der Gemeinschaften, welche für diese Arbeit so zentral sind. Wie bereits dargestellt wurden diese in den höchsten Beschluss fassenden Organen der Gemeinschaften festgelegt. Diese Versammlungen von (jeweils wenigen) Vertretern aller Provinzen heißen in der Gesellschaft Jesu Generalkongregationen, im Orden der Minderen Brüder Generalkapitel. In der Gesellschaft Jesu finden Generalkongregationen nur zur Wahl neuer Generaloberer oder, sehr selten, für bedeutende Richtungsentscheidungen statt. Im Orden der Minderen Brüder finden Generalkapitel alle sechs Jahre und damit im Durchschnitt deutlich häufiger als bei den Jesuiten statt. Jedes Mal wird der Generalminister gewählt, kann aber wiedergewählt werden. Die 35. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu trat von Anfang Januar bis März 2008 aufgrund des Rücktritts des damaligen Generaloberen Peter-Hans
128
4 Empirische Untersuchung
Kolvenbach zusammen. Sein Nachfolger Adolfo Nicolás wurde gewählt. Der Generalkongregation gingen eine Reihe von Treffen eines erweiterten Beraterstabs des Generaloberen voraus, die noch 2003 dem Generaloberen davon abriet, eine solche Kongregation einzuberufen. Am 2. Februar 2006 [… jedoch] schrieb P. General Peter-Hans Kolvenbach an die ganze Gesellschaft, es sei „immer deutlicher geworden, dass die Gesellschaft in eine Situation gekommen sei …, die eine Generalkongregation erfordert.“ (SJ 2008, S. 12, Historische Einleitung)
Er informierte, er werde kein spezifisches Thema zur Diskussion geben, bat die Gemeinschaft aber, vorbereitend allgemeine Aspekte zu Organisation, Gestaltung und Identität der Gesellschaft Jesu zu reflektieren. Durch verschiedene Prozesse war die Gemeinschaft vorab in die Vorbereitung der Themen der Versammlung einbezogen (SJ 2008, Historische Einleitung).17 Während der Generalkongregation stimmte diese als einem von sechs Dekreten dem Dekret zur Sendung der Gemeinschaft zu. In diesem wird als Antwort auf gegenwärtige Herausforderungen die Mission definiert als bestehend aus Versöhnung mit Gott, Versöhnung miteinander und Versöhnung mit der Schöpfung, wobei ausgedrückt wird, dass diese sich gegenseitig bedingen (SJ 2008, Dkr. 3, 3/8 ff.). Unter der Überschrift Versöhnung mit der Schöpfung („reconciliation with creation“) wird formuliert: This invitation calls us to move beyond doubts and indifference to take responsibility for our home, the earth. […] Care of the environment affects the quality of our relationships with God, with other human beings, and with creation itself. It touches the core of our faith in and love for God […] It might be said that St. Ignatius teaches us this care of the environment in the Principle and Foundation […] when speaking of the goodness of creation, as well as […] when describing the active presence of God within creation. […] In our preaching, teaching, and retreat direction, we should invite all people to appreciate more deeply our covenant […] with creation as central to right relationships with God and one another, and to act accordingly in terms of political
17Der
Generalobere berief zur Vorbereitung unter Anderem fünf Kommissionen ein (zu den Themen Sozialapostolat, Rechtsfragen, Zusammenarbeit mit den Laien, Gehorsam, Gemeinschaftsleben) und bat um Überlegungen zu den Anforderungen an den künftigen Generaloberen. Die Berichte aus den Provinzen wurden von einer 14-köpfigen Kommission aus Vertretern aller Weltregionen gesichtet und daraus eine Vorbereitungsmappe für die Elektoren der Kongregation erstellt. Den Provinzen schickte der Generalobere darüber
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld
129
responsibility, employment, family life, and personal lifestyle. (vgl. SJ 2008, Dkr. 3, 6/8 ff.)18
Darüber hinaus werden im selben Abschnitt konkret Universitäten und Forschungszentren sowie die Themen Armut, Flucht und Advocacy genannt. Auch wenn vorherige Generalobere und Dokumente sich mit ökologischen Problemen befasst hatten, war die entsprechende Integration in die jesuitische Sendung eine Neuheit. Für die Gesellschaft Jesu identifizierte ich den Kernbegriff der Versöhnung mit der Schöpfung (beziehungsweise englisch: „reconciliation with creation“) als zentralen Ausdruck, den ich in den Interviews für das ausgeführte Ordensziel verwendete. Das Generalkapitel der Franziskaner kam im Frühjahr 2009 zusammen. Das Abschlussdokument enthält einen Reflektionsteil, in dem im Zuge der Aufforderung, die Zeichen der Zeit und unterschiedlicher Orte aufmerksam zu lesen, das Thema Umweltgerechtigkeit genannt und die „Werte“ Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung im täglichen Leben und Gebet eingefordert werden (OFM 2009, S. 20, Abs. 30). Im anschließenden Teil der „Mandate“ sind konkretere Aufträge formuliert: In the next six-year period (2009–2015) all the Entities of the Order, with the help of the JPIC Office, should commit themselves to: • Promote in Initial and Ongoing Formation the values of our Franciscan spirituality highlighted in JPIC. • Examine the impact of our style of life on creation, especially regarding climate change, and promote environmental justice in order to highlight the relationship between social and ecological themes […] • Consider and promote the ethical use of economic and natural resources in the life of the friars, in their ministry and in society. (OFM 2009, S. 37, Mandate 43)
Darüber hinaus wird gefordert, einen Kurs zu GFBS an der franziskanisch geführten Päpstlichen Universität Antonianum in Rom fortzuführen und an
hinaus zuvor Material, um die Themen der Kongregation auch in den Gemeinschaften vorab zu reflektieren (SJ 2008, Historische Einleitung). 18Um Übersetzungsprobleme zu reduzieren, nutze ich hier bewusst die englischsprachige Version als eine der ‚offiziellen‘ Versionen. Sie kann auf der Webseite der Gesellschaft Jesu (www.sjweb.info/35/) heruntergeladen, jedoch nicht mit weiteren Literaturangaben versehen werden.
130
4 Empirische Untersuchung
anderen Orten ähnliche Kursangebote einzurichten. Zuvor hatte das Büro für GFBS in Konsultation mit den Spezialisten für GFBS aller Provinzen einen Vorschlag aus verschiedenen zu behandelnden Themen aus dem Bereich um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung erarbeitet. Dieser basierte maßgeblich auf der Formulierung des vorherigen Generalkapitels von 2003. Damals waren diese Ziele in einem Entscheidungsfindungsprozess zusammen mit den provinzialen Spezialisten durch das Büro für GFBS formuliert worden. Die Vorbereitungen der Generalkapitel 2003 und 2009 erfolgte durch kontinentale Treffen unter ordensinternen Experten, wie der Leiter des Büros für GFBS mir erzählte: [I]n 2002 we were preparing for a general chapter. General chapter is when all the different entities come together to talk about the next six years. […] we ran a series of four continental meeting [of provincial animators, comment JG]. And we went to, we did Asia, Asia and, and, and the Pacific, Oceania, Europe, the Americas and Africa. And in each place we asked them what they thought were the most important issues. […] This is the document that came out of our last General Chapter in 2009. […] the first part is kind of inspirational, and then the second part (thumbing through the document) is mandates, proposals about what to do. […] I told you that we, that we did in 2002 the process of the continental meetings. […] We repeated the process in 2008 before this chapter. And people basically said, “we haven’t had time to really get into.”
2009 wurde der Vorschlag, die Ziele erneut aufzunehmen, angenommen.19 Zusätzlich fügte das Generalkapitel den ersten Unterpunkt, das heißt die Einbeziehung von GFBS in die Aus- und Weiterbildung der Ordensmitglieder, hinzu. Anders als bei der Gesellschaft Jesu ist das Ziel der Bewahrung der Schöpfung folglich im Orden der Minderen Brüder 2009 nicht auf neue Weise herausgestellt
19Ein
Beteiligter am Prozess stellte heraus, dass die Mitglieder des Kapitels 2003 Probleme hatten, die Vorschläge zu verstehen, worauf sie 2009 dadurch reagierten, dass sie für bestimmte Begriffe Erklärungen bereitstellten. Er beobachtet zunehmendes Bewusstsein für das Thema: „[P]ersonally, I think they were good proposals. […] it’s pretty hard to disagree with them. The first time around it was obvious from the translations that they didn’t what they […] didn’t understand […] many of the concepts. They had no idea what environmental justice was because they were talking about the justice of the environment. They talked about acting in, what was it, (short pause) active but non-violent ways or something, because active non-violence is very specific. […] the second time […], we provided translations. […] And people, environmental justice, and people are more aware of these things now.“
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld
131
worden.20 Basierend auf diesen Ordensdokumenten arbeitete ich für den Orden der Minderen Brüder den Begriff der Bewahrung der Schöpfung (beziehungsweise englisch: „integrity of creation“, im Zitat oben enthalten in JPIC) als zentralen Ausdruck heraus, den ich in den Interviews verwendete. Wie unter dem Aspekt der Datenerhebung in diesem Kapitel bereits erwähnt, weisen beide Orden eine dezidierte Sinnstruktur spezifischer Experten auf, die sich dem Ziel maßgeblich annehmen (sollen). Bei den Franziskanern ist dies das Büro für GFBS mit zwei Ordensleuten, die von dem „animation committee“ zusammengesetzt aus vier Personen aus unterschiedlichen Weltregionen begleitet und beraten werden. Dieses trifft sich circa zwei Mal im Jahr. Darüber hinaus hat jede der 13 Konferenzen einen Zuständigen für GFBS, der sich regelmäßig mit den Koordinatoren (oder: „Animatoren“) für GFBS der Provinzen der jeweiligen Konferenzen trifft. Alle Provinzkoordinatoren treffen sich außerdem möglichst alle zwei Jahre als Internationaler Rat für GFBS. Die kontinentalen Treffen, die zuvor genannt wurden, stechen aus diesen Abläufen heraus und zeigen, dass die geteilten Sinnstrukturen dazu, wie GFBS-Experten im Orden sich organisieren, dynamisch sind bzw. flexibel genutzt werden können.21 In der Gesellschaft Jesu wird das Thema der Versöhnung am prominentesten dem Sekretariat für soziale Gerechtigkeit und Ökologie zugeschrieben, das Teil der Kurie in Rom und mit einem jesuitischen Leiter und einer Laien-Kraft besetzt ist. Im Kapitel zu Verhandlungen diskutiere ich diesen Aspekt genauer. Auch die Jesuiten weisen hinsichtlich des ‚sozialen Apostolats‘ eine Sinnstruktur auf, nach der in jeder Provinz und jeder Konferenz ein Experte für diesen Aufgabenbereich bestimmt wird. Es gibt ebenfalls Treffen auf Konferenzebene. Zusätzlich erfuhr ich von Treffen der Koordinatoren für das soziale Apostolat auf Ebene der Assistenzen (das heißt Verwaltungseinheiten, die etwas kleiner sind als Konferenzen, aber mehrere Provinzen umfassen). Zur Zeit der Datenerhebung beschrieben manche Ordensmitglieder die Assistenzentreffen als überholt, andere
20Auch
im Orden der Gesellschaft Jesu gab es selektive ‚Vorarbeit‘ zu dem Ziel. So hatte der damalige Generalobere Kolvenbach Ende der 1990er Jahre eine Publikation initiiert, in der sich verschiedene Jesuiten mit dem Thema auseinandersetzten und er selbst eine ausführliche Einleitung schrieb (Czerny 1999). Diese fand jedoch meinen Gesprächspartnern zufolge wenig Anklang. 21Ein deutscher Franziskaner mit Erfahrung als Experte sagte mir dazu kritisierend, er finde diese Organisation „schön katholisch hierarchisch“, genösse aber, mit Brüdern aus unterschiedlichen Weltregionen Gottesdienste zu feiern.
132
4 Empirische Untersuchung
nicht. Die Konferenz Ostasien-Pazifik weist dabei als meines Wissens einzige Konferenz parallel zu den Experten zum sozialen Apostolat Ökologie als separates Thema einem spezifischen Experten zu. Die Experten beider Orden teilen ein Verständnis ihrer Rolle innerhalb des Ordens, die primär anregend, vernetzend und beratend sei, keinesfalls aber mit der Autorität einhergehe, Weisungen zu geben, wie hier durch einen europäischen Konferenzkoordinator vermittelt wird: So what I can do is I can see a situation. I can identify a problem. Then I can address the provincial of that region. I can say: “Please be attentive because your people are struggling here.” Or: “There is a social issue that maybe you could address.” Or: “Maybe you would need to put more force, get more resources, more people for this apostolate. This is very important.” But I will always have to keep the advice way, yes, low. I cannot interfere in the life of the provinces.
Anregungen geben sie beispielsweise durch Informationen über Handlungsmöglichkeiten (wie vegetarische Ernährung an einem Wochentag), durch Veröffentlichungen wie Emailverteiler oder bei Besuchen von Kommunitäten. Spezialisierte Vertreter*innen beider Ordensgemeinschaften reisten beispielsweise in kleinen Delegationen zu dem internationalen umweltpolitischen Großereignis der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung (Rio+20) und sahen dabei den größten Mehrwert in der Berichterstattung zu ihrer jeweiligen Leserschaft und der damit einhergehenden Sensibilisierung für das Thema. Für den Leiter des Sekretariats für soziale Gerechtigkeit und Ökologie der Jesuiten sind die wichtigsten Partner zur Verbreitung von Informationen innerhalb des Ordens die Konferenzkoordinatoren.22 Er gibt auch kurze schriftliche Mitteilungen mit Anregungen heraus. In der Publikationsreihe Promotio Iustitiae, die das Sekretariat auflegt, wird das Thema der Ökologie in einigen Ausgaben aufgegriffen. Healing a Broken World, eine Publikation dieser Reihe, stiftet – so der Leiter – als Positionspapier für die im Bereich Ökologie Aktiven besondere Identität.23 Es diene als Argumentationsstütze innerhalb und außerhalb des Ordens (eine detaillierte Diskussion folgt unter 7.2.2).
22„The 23„I
strategy has to go through them.“ think that this has given some identity card to the ecology involvement of the Jesuits.“
4.3 Umweltschutz im Forschungsfeld
133
Auch das Büro für GFBS der Franziskaner gab in den letzten Jahren verschiedene Hilfestellungen für franziskanische Gemeinschaften und weitere thematische Broschüren heraus, darunter beispielsweise ein ausführliches Handbuch für die ‚Animation‘ zu GFBS in den Provinzen und Kommunitäten und den regelmäßig erscheinenden GFBS Newsletter contact. Zwei dieser franziskanischen Veröffentlichungen werden im Kapitel zu Verhandlungen vorgestellt (Abschnitt 7.2.2). Der Leiter des franziskanischen Büros in Rom engagiert sich auch im Netzwerk der „römischen Sechs“ als Zusammenschluss der GFBS-Koordinatoren der verschiedenen franziskanischen Orden mit Kurie in Rom. Zum 35. Jubiläum der Ernennung von Franziskus zum Patron der Umwelt legte das Büro zusammen mit Koordinatoren anderer Orden der franziskanischen Familie beispielsweise eine Webseite unter der Adresse „francis35.org“ auf, unter der verschiedene Materialien in verschiedenen Sprachen abgerufen werden können. Vernetzung und Koordination von Experten zum Thema finden auch in der Arbeitsgruppe unterschiedlicher Ordensgemeinschaften (Commission for Justice, Peace and Integrity of Creation (JPIC) of the Union of Superiors General Women (UISG) and Men (USG)) in Rom statt. In der Gesellschaft Jesu gibt es außerdem Versuche, globale Advocacy-Netzwerke zu den Themen der Ökologie und der Governance natürlicher und mineralischer Rohstoffe zu etablieren. Eins der sichtbaren Resultate des Netzwerkes für Ökologie ist die Einführung der Webseite und dem Newsletter ecojesuit. Das Vorhaben wird maßgeblich durch die Konferenzkoordinatoren Europas und Ostasien-Pazifiks getragen. Ecojesuit soll Engagierten weltweit zum Austausch verhelfen, für das ökologische Anliegen werben und es als Agenda unter Jesuiten und in ihrem Umfeld etablieren. Besonders im Gespräch mit dem europäischen Koordinator kristallisiert sich das Anliegen der Vernetzung als zentral heraus. Auch der Koordinator für Asienpazifik betont, dass die Aufgabe eine der Vernetzung und der Kommunikation sei, wobei dabei alle „people of good will“ Partner sein könnten. Er versuche, ‚Menschen zusammen zu bringen‘ („bring people together“). Die auf den Netzwerken basierenden Advocacy-Tätigkeiten der Jesuiten werden von den Experten bisher als marginal eingeschätzt. In der Gesellschaft Jesu sind über das soziale Apostolat hinaus noch andere wie das Apostolat für höhere Bildung mit dem Thema selektiv befasst. So formulierten dessen Experten einen Text über wissenschaftliche Grundlagen vieler ökologischer Probleme und damit verbundenen ethischen Fragen zur Einbeziehung im Unterricht in weiterführenden Schulen und Hochschulen. In den von mir geführten Gesprächen wurde der entsprechende Text jedoch nicht erwähnt (vgl. JCAP ohne Jahr, S. v).
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4 Empirische Untersuchung
Mit dem folgenden Kapitel beginnt die Darstellung der Ergebnisse der empirischen Analyse. Die Darstellung folgt den theoretisch herausgearbeiteten Teilprozessen der Glokalisierung. Ich wende mich den Interpretationen der Ziele zu, die ich im Feld im Gespräch mit Jesuiten und Franziskanern aufspüren konnte. Dabei gehe ich besonders auf implizites Wissen ein, was ich auf Grundlage einzelner Interviews mit Ordensmitgliedern rekonstruiert habe. Es folgt eine stärkere Beachtung expliziter Wissensbestände im Kapitel zu Bewertungen. Das letzte Kapitel zur Darstellung der empirischen Analyse ist der Untersuchung von zielbezogenen Verhandlungssituationen gewidmet.
5
Interpretationen
Das folgende Kapitel ist der Frage gewidmet, wie Ordensmitglieder der Gesellschaft Jesu (SJ) und des Ordens der Minderen Brüder (OFM) das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung (SJ) bzw. der Bewahrung der Schöpfung (OFM) interpretieren. Ich zeige, dass Ordensleute eines Ordens, einer Provinz oder auch einer Kommunität dabei teilweise auf sehr unterschiedliche Wissensbestände zurückgreifen. Die entsprechenden Interpretationen unterscheiden sich voneinander. Gleichzeitig weisen Ordensleuten aus unterschiedlichen Orden und/ oder Provinzen unter Umständen große Ähnlichkeiten darin auf, wie sie das Ziel interpretieren, die Schöpfung zu bewahren beziehungsweise sich mit ihr zu versöhnen. Für die Interpretation des Ziels greifen sie auf ähnliche Erfahrungsräume zu, die – dem Vokabular der dokumentarischen Methode folgend – durch entsprechende Orientierungsrahmen abgesteckt werden. Es zeigt sich bei vielen Rekonstruktionen eine enge Verbindung zwischen Kernbeschäftigung und Interpretation des Ordensziels. Die Kernbeschäftigung, die Ausübung einer erlernten Profession oder einer umfassende Tätigkeit für den Orden wie im Bereich der Ausbildung neuer Mitglieder, und soziale Welten der handlungsleitenden Zielinterpretation stehen oft in einem klaren Zusammenhang. Trotz dieses Trends in der Auswertung zeigt sich gleichzeitig, dass Ordensleute mit der gleichen Kernbeschäftigung das Ziel auch unterschiedlich interpretieren können. Auch Orientierungsdilemmata treten auf. Dabei erfüllen
Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_5 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_5
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5 Interpretationen
Ordensmitglieder in ihrem Alltag hauptsächlich Aufgaben, die ihnen als hinderlich in Bezug auf die Zielverwirklichung erscheinen. Besonders in solchen Orientierungsdilemmata wird erkennbar, dass Ordensleute für die Zielinterpretation auf vielfältige Erfahrungen verschiedener sozialer Welten zurückgreifen können einschließlich solcher, die sie in der Vergangenheit in anderen Kernbeschäftigungen oder an anderen Orten gesammelt haben. Im ersten Teil des Kapitels stelle ich verschiedene Orientierungsrahmen sowie deren konstituierende ‚Pfeiler‘ der negativen und positiven Gegenhorizonte für die Interpretationen der Ziele vor. Die Interpretationen, die ich durch Kontrastierung rekonstruiert habe, können die Diversität veranschaulichen und erlauben, relevante Dimensionen zur Differenzierung der Interpretationen zu identifizieren. Im Anschluss an die detaillierte Darstellung unterschiedlicher Interpretationen fasse ich diese in einer Typik zusammen, bevor ich diese in das weitere Material des Projektes einbette. Die Einbettung ist geleitet von der Frage, inwieweit vermutet werden kann, dass insbesondere die Interpretationen, die nur bei einzelnen Gesprächspartnern rekonstruiert werden konnten, auch bei anderen Ordensleuten entscheidend für die Zielinterpretation sind und welche möglichen Interpretationen nicht Teil der Typik sind. Darauf aufbauend diskutiere ich ordens- und provinzübergreifende Ähnlichkeiten und Differenzen bei der Zielinterpretation.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
137
Wichge Ergebnisse: Interpretaonen Die Analyse anhand der dokumentarischen Methode ergab: fünf handlungsleitende Interpretaonsvarianten, welchen zufolge die Umweltschutzziele durch Wissenscha und Lehre, soziale Aufgaben, interne Ausbildung, Akvismus oder Spiritualität erfüllt werden; entsprechend variierende Rollen und Strategien; sowie die relevanten Unterscheidungsdimensionen des Schöpfungsbegriffs (ökologisch, anthropozentrisch oder ‚erweitert ökologisch‘) und der Handlungsorienerung (innerhalb oder außerhalb der Gemeinscha). Die Interpretaonen basieren auf erfahrungsbasiertem Wissen aus spezifischen sozialen Welten. O besteht ein Zusammenhang zwischen der Interpretaon und der sozialen Welt der derzeigen zugewiesenen Kernaufgabe der Ordensleute. Gleichzeig führt die Teilhabe an einer sozialen Welt nicht zwangsläufig zu einer entsprechenden Interpretaon: Manche Ordensleute interpreeren die Ziele anhand von Erfahrungen in sozialen Welten früherer Kernaufgaben oder anhand von sich synchron überlagernden Erfahrungen anderer sozialer Welten. Einige Aspekte der handlungsleitenden Interpretaonen sind spezifisch für einen der beiden Orden oder eine der Regionen. Unterschiede zwischen den Orden stehen in Bezug zu Tägkeitsbereichen, die sich in der Vergangenheit in der Gemeinscha als Ausdruck des jeweiligen ‚Charismas‘ manifesert haben (Wissenscha jesuisch, GFBS-Gruppen franziskanisch). Unterschiede zwischen Regionen basieren auf ordensexternen Ereignissen wie Erfahrungen von Naturkatastrophen und lokaler Umweltzerstörung (Philippinen) oder kontextabhängigen Entwicklungen innerhalb der Ordensgemeinscha wie demographischem Wandel (Deutschland). Sowohl externe, regionale Einflüsse, wie auch ordensspezifische geteilte Sinnstrukturen beeinflussen das Erfahrungswissen, auf das Ordensleute bei der Interpretaon zurückgreifen. Alle Gesprächspartner der Schwerpunktregionen verstehen das Ziel als eine gegenwärge Herausforderung, die mit einer generalisierten Handlungsaufforderung einhergeht.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung Dieses Unterkapitel stellt verschiedene Schöpfungsbegriffe und Erfahrungsräume vor, die für die Ordensmitglieder in Bezug auf das Thema der Arbeit relevant sind. Welches Wissen ist für die Ordensmitglieder handlungsleitend (atheoretisch) von Bedeutung? Durch welche positiven oder negativen Bilder entwerfen und rahmen sie die Erfahrungen, die sie zur bedeutungsvollen Interpretation heranziehen? Welche Rollen und Strategien ergeben sich für die Ordensleute aus den verschiedenen Interpretationen der Ziele? Auf Grundlage der kontrastierenden Darstellung entwickle ich eine Typologie anhand verschiedener Dimensionen der Differenz der unterschiedlichen
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5 Interpretationen
Interpretationen. Ich zeige, dass sich die Zielinterpretationen verschiedener Ordensleute auf unterschiedliche soziale Welten beziehen und mit unterschiedlichen Handlungsorientierungen einhergehen. So kann dem Ziel je nach Interpretation durch Wissenschaft und Lehre; durch soziale Aufgaben; durch interne, pädagogische Aufgaben; durch Aktivismus und durch Spiritualität entsprochen werden. Während manche Interpretationen primär auf Veränderungen in der eigenen Ordensgemeinschaft abzielen, richten andere sich auf externe Akteure und Problemfelder. Der zugrundeliegende Begriff von Schöpfung wird zumeist ökologisch-naturbezogen, teilweise aber auch anthropozentrisch interpretiert. Im Schwerpunkt basiert dieses Unterkapitel auf der Analyse von Interviews anhand der dokumentarischen Methode. Sofern es inhaltlich sinnvoll erscheint, werden die Rekonstruktionen unter 5.2 durch Analysen von weiteren Interviews und Beobachtungen ergänzt.
5.1.1 Die Aufgabe für Wissenschaft und Lehre Thomas1 wurde in den 1930er Jahren in den USA geboren. 18 Jahre später trat er dem Jesuitenorden bei. Seit 1964 lebt und arbeitet er auf den Philippinen. Er ist studierter Theologe, Priester und promovierter Astro-Geophysiker. Zum Zeitpunkt des Interviews ist er Leiter des sich im Aufbau befindenden Studiengangs Umweltwissenschaften an einer jesuitischen Hochschule auf den Philippinen sowie Rektor der dort ansässigen jesuitischen Kommunität. Den Hinweis, ihn zu treffen, hatte ich von einer nicht-jesuitischen Gesprächspartnerin des Manila Observatory bekommen. Ich traf Thomas im Manila Observatory, für das er viele Jahre gearbeitet hatte, u. a. als Leiter. Nach unserem Treffen war er mit einer ehemaligen Studentin verabredet, die er seit ihrer Studienzeit spirituell begleitete und die ihn um Rat
1Aus
Gründen der Vertraulichkeit wurden alle Gesprächspartner*innen durch erfundene Namen anonymisiert. Informationen zur Person, die für informierte Leser*innen zur eindeutigen Identifikation der Gesprächspartner*innen führen können, wurden jedoch nur dann systematisch ausgespart, wenn betroffene Personen angegeben hatten, anonym bleiben zu wollen. Inhalte, die im Gespräch als vertraulich markiert wurden, oder die ich im Nachhinein als sensibel einstufte, wurden zusätzlich anonymisiert (beispielsweise durch Bezeichnungen der Personen, die die Verknüpfungen zu anderen zitierten Passagen mit den gleichen Gesprächspartner*innen verhindern), abstrahiert oder nicht in die Darstellung aufgenommen.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
139
gebeten hatte. Thomas wirkte offen und erfreut, sich mit mir über das Thema der Versöhnung mit der Schöpfung auszutauschen. Die Interpretation des Gesprächs anhand der dokumentarischen Methode ergab, dass Versöhnung mit der Schöpfung als ausformuliertes Ziel der Gesellschaft Jesu für Thomas theoretisch wie auch handlungspraktisch von Bedeutung ist. Ein erster organisationsgeschichtlicher und theologischer Zugang zu Versöhnung mit der Schöpfung (bzw. der Natur) wird im Laufe des Gesprächs schnell abgelöst durch einen Zugang auf Grundlage seiner (umwelt)wissenschaftlichen Alltagspraxis. In erster Variante geht Versöhnung mit der Schöpfung einher mit Versöhnung mit Gott, sich selbst und den Mitmenschen und ist zentraler Aspekt des Charismas des Ordens. Diesen Zugang zu Versöhnung mit der Schöpfung (oder auch: zu Natur) vermittelt Thomas als kommunikatives Wissen. Er verbindet den Ausdruck mit den Dokumenten der Generalkongregation, mit der Ignatianischen Tradition und mit katholischer Theologie. Der unmittelbare Einstieg in das Gespräch illustriert diesen Zugang: JG:
What does reconciliation with creation mean for you?
Thomas:
Okay, so, that is in the context of the Jesuit documents, as you know. And they talked about the three forms of reconciliation. With God and with society and with nature. And it, to ME, it was a new emphasis because the Society of Jesus, I don’t know if you read the Constitutions, I suppose you have, was founded […]
Auch seine darauf folgende Ausführung verortet das Ziel für die Interviewerin in der Geschichte des Ordens. So sei es neu, dass die 35. Generalkongregation Versöhnung mit der Schöpfung als Teil der Mission der Gesellschaft Jesu verschriftlicht. Dieses Neue konstruiert Thomas aber als aus der Organisationsgeschichte heraus nachvollziehbar und mit der Ignatianischen Tradition stimmig. Er expliziert das Ziel als ein jesuitisches. Die Versöhnung beschreibt er, dem Text der 35. Generalkongregation sehr nahe, als unabdingbar verknüpft mit einer Versöhnung mit Gott und mit Mitmenschen bzw. der Gesellschaft. Den Beginn seiner Auseinandersetzung mit dem Ausdruck der Versöhnung mit der Schöpfung vermittelt er mir als Impuls von der Generalkongregation über ihren philippinischen Vertreter zu den einzelnen jesuitischen Gemeinden, beschreibt ihn aber nicht als ‚aufstülpend‘. Er ist absolut einverstanden („in perfect agreement“) mit dem Ziel. Die Theoretisierung zeigt nicht zuletzt, dass Thomas den Ausdruck ‚Versöhnung mit der Schöpfung‘ als aktuelle Erwartung an Jesuiten versteht und mit
140
5 Interpretationen
der entsprechenden dreigliedrigen Weisung der Generalkongregation sehr vertraut ist. Er nimmt jedoch eine passive Rolle ein; der Zugang zum Ausdruck ‚Versöhnung mit der Schöpfung‘ ist distanziert von der eigenen Person. Im Anschluss, als er sich dem Thema auf Grundlage seiner (umwelt)wissenschaftlichen Alltagspraxis widmet, spricht er hingegen engagiert und detailreich in sehr aktiven Rollen. Während Schöpfung beim ersten Zugang auch mit „Natur“ beschrieben wird, spricht Thomas in Passagen, die atheoretisches und damit handlungsleitendes Wissen dokumentieren, primär von „Umwelt“ (environment). Versöhnung mit der Schöpfung ist eine Aufgabe an die (Natur-)Wissenschaft. Sein umweltwissenschaftlicher Zugang dokumentiert sich in Beschreibungen und oft sehr szenischen Erzählungen. Die Orientierung entfaltet sich im Erfahrungsraum der jesuitischen Hochschule sowie der damit einhergehenden Interpretationsgemeinschaft der Mitarbeitenden und Studierenden, wobei Thomas Rollen des Beraters, Forschers und Lehrenden einnimmt, in denen er auch mit politischen und wirtschaftlichen Akteuren in Kontakt ist. Die jesuitische Gemeinschaft hingegen dokumentiert sich nicht als relevanter Erfahrungsraum in Bezug auf Versöhnung mit der Schöpfung. Die Handlungsorientierung ist extern, d. h. gerichtet auf Gruppen und Probleme außerhalb der Ordensgemeinschaft und schließt Individuen und kollektive Akteure (z. B. Regierungen) gleichermaßen ein. Das folgende Zitat illustriert die Rolle als Lehrender: JG:
The week before […], in which way has your everyday life been related to reconciliation with creation?
Thomas:
Well, I am teaching the course there to, these are (short pause) probably seventeen year olds. […] I am teaching them ordinary physics, okay? And going through that, I try pointing out examples, for instance I am dealing with conservation of energy. So, you can do that. So, every ones in a while when an example seems operable I bring it up. Like the coal fire plant or burning, you know. They bring in examples like that because they know I am interested in environment and I am trying to bring out whatever they, whatever lecturing out of the tie, with a practical example they can appreciate. So, I will see for instance, okay, conservation of energy. Where do you think these lights come from? How does that get there? So they think, you know. They are scratching their head and say: “Well, from the power plant.” So, we talk about that, you know. It would be good if we got the energy from a renewable source.
Durch Wissenschaft erlangte Erkenntnisse sind für Thomas kein Selbstzweck. Wissenschaftliche Forschung ermöglicht, Umweltprobleme wie Luftverschmutzung und Klimawandel zu identifizieren und einen adäquaten Umgang mit ihnen zu forcieren. Vice versa ist Handeln und Entscheiden
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
141
von Individuen adäquat, besonders in Politik und Wirtschaft, welches auf technisch-wissenschaftlichem Wissen beruht und Probleme antizipiert. Mit dem wissenschaftlichen Fokus geht folglich eine in die Zukunft gerichtete Veränderungsorientierung einher. Diese reicht über den Erfahrungsraum der Hochschule hinaus, wie beispielsweise in der folgenden Erzählung: Thomas:
And now, […] they are building a large, it is going to be 400, I think, megawatts by the time it is finished, coal powered power plant for the city and again, it is about ten kilometers away from this [ENTREPRISE]. Now, [THE ENTREPRENEUR] came to us and said: “You know, we have this problem if that pollution from the coal plant gets into our intake. We are going to have, our product might be compromised.” So I said, alright, we will look at it. We have the facilities here, we have the chemistries here, the environmental people. We will look at it.
Beide Zugänge – die theoretisierte, theologisch-organisationale wie auch die naturwissenschaftliche – sind für Thomas im Forschungsrat der jesuitischen Hochschule, dem Thomas angehört, von Relevanz. Das theoretisierte Wissen erscheint so auch als Teil der Handlungspraxis, da Thomas als Jesuit die jesuitische Mission alltagspraktisch übersetzt, wenn er den anderen (nicht-jesuitischen) Mitgliedern auf die Frage antwortet: Passt das Projekt, was im Forschungsrat mit Bitte um Unterstützung eingebracht wird, zur Mission der Gesellschaft Jesu? Er stellt fest, dass Umwelt im Forschungsrat als Teil der jesuitischen Mission erkannt wird und deshalb umweltwissenschaftliche Forschungsvorhaben oft (finanziell) unterstützt werden. Dies lässt sich mit der Fortsetzung der vorangestellten Erzählung illustrieren. Thomas:
So, we made a proposal. And the [ENTREPRISE] found it too expensive. […] So I said: “Too expensive, alright, we are going to do it anyway because I am interested in the environment and I think I get the backing of the school because it is in the mission of the Society.” And that is what happened. So, right now, in fact when I get back Monday afternoon, we have the approval of the Council, the University Research Council […].
Es lässt sich basierend auf den wiederkehrenden Erzählungen im Gespräch rekonstruieren, dass das Ziel der ‚Versöhnung mit der Schöpfung‘ der 35. Generalkongregation für Thomas‘ wissenschaftliche Handlungspraxis auch deshalb von Bedeutung zu sein scheint, weil er an einer jesuitischen Hochschule arbeitet, an der das Ziel es ermöglicht, die Förderung von umweltwissenschaftlicher Forschung und Lehre als Teil der jesuitischen Mission zu vermitteln, zu
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5 Interpretationen
rahmen und innerhalb des Forschungsrates zu legitimieren, wie er in Erzählungen wie dieser mehrfach vermittelt: The other example would be trying to set up the environmental science program. When we first started looking into that years ago, to get SUPPORT from the administration, I would have to bring out in the proposal: Okay, does this fit into the mission the Jesuits should have particularly with the GC 35? And this is environmental science. So I see: Yeah, it fits in. All the Jesuit superiors would agree and the lay people usually follow. Yeah, that fits in. So, we will fund it. And they were. They were very generous.
Ausführlich stellt Thomas im Gespräch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des von ihm initiierten Studiengangs Umweltwissenschaften dar. Die Ausführungen zu Geschichte und Zukunft des Umweltwissenschaftsprogramms verdichten sich metaphorisch besonders in der Reflektion auf Grundlage des Films „Field of Dreams“. Thomas:
Do you know that movie “field of dreams”?
JG:
No?
Thomas:
Okay. That is a Hollywood movie where the basic premise is this farmer out in the middle of the United States which is probably growing corn everywhere, has a dream that if he removes some of the corn and makes a baseball field, that, I guess the dream just, I don’t know if it is specified what it means but the dream is that if you build it, they will come and, well, the dream is all about building a baseball field in the middle of a corn field and he is. So, he talks to people and they say: “Are you crazy?” He talks to his wife and she says: “You are insane. What are you doing there?” He says: “No, no, it is, I have to do this.” So, he builds the baseball field and what happens is, these famous baseball players of American history or American baseball or, show up. Presumably their spirits, but they show up and they play baseball at this thing. And then people hear about it and everything, so. So, that the basic line that people remember from the movie is: If you build it, they will come. That is the idea. He follows his intuition, okay? That is kind of what is happening in my environmental science course, okay? So, I started. Father [HEAD OF UNIVERSITY] supported it. He and the URC supports me because they gave me these special projects that I have. The faculty has come down. […]
Hier zeigt sich deutlich Thomas Selbsttheoretisierung als Initiator von für das Ziel relevanten Initiativen, welche sich auch an anderen Stellen des Interviews ausmachen lässt. Die Gründung des Umweltwissenschaftsprogramms und seine eigene Identität sind dabei eng verschränkt. Gleichzeitig geht es hier jedoch nicht um einen Erfolg aus eigener Kraft. Das Thema des Films „if you build it,
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
143
they will come“ lässt sich eher als eine Hoffnung stiftende Formel für Visionäre verstehen, nach der sich Träume durch unwahrscheinliche, nicht zu steuernde ‚Fügungen‘ verwirklichen können. Aus dieser Perspektive lässt sich die vielseitige Unterstützung durch den Forschungsrat auf Grundlage des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung auch als eine solche Fügung verstehen, die Thomas‘ individuelles ‚Interesse‘ (vgl. z. B. Zitate oben) zu erfolgreichen Initiativen werden lässt. Diese konkrete Formel für Visionäre lässt sich jedoch in keiner weiteren Passage wiederfinden.
5.1.2 Die soziale Aufgabe Eine Organisation, die dem sozialen Apostolat der Philippinischen Jesuitischen Provinz zugeordnet wird, ist der Philippine Jesuit Prison Service. Er hat seinen Hauptsitz in Muntinlupa City, einige Kilometer außerhalb von Metro Manila, wo sich das größte Gefängnis für Männer der Philippinen befindet. In Muntinlupa traf ich Ron, den geschäftsführende Direktor des Philippine Jesuit Prison Service, in seinem Büro. Den Kontakt hatte ein Jesuit aus Quezon City hergestellt, der ebenfalls im sozialen Apostolat engagiert ist. Zu Beginn unseres Gesprächs ist ein weiterer Jesuit anwesend, der an der Konversation teilnimmt, sich überwiegend aber einer anderen Beschäftigung widmet.2 Im Unterschied zu Thomas fällt es Ron meinem Eindruck nach manchmal schwerer, die richtigen Worte zu finden für das, was er sagen möchte.3 Ron wurde 1965 geboren; 1990 trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Vor seinem Eintritt hatte er bereits einen College-Abschluss in Rechnungswesen erworben und mehrere Jahre in Unternehmen gearbeitet. Ron ist außerdem Theologe und Priester. Er ist Philippiner. Im Rahmen seiner Ausbildung lebte er auch in den Vereinigten Staaten und in Belgien. Während viele Direktoren des Philippine Jesuit Prison Service die Funktion als Gefangenenseelsorger nur zwei Jahre
2Auf
die Passagen, in denen beide Jesuiten am Gespräch teilnehmen, gehe ich im Kapitel zu Verhandlungen im Abschnitt 7.1.2 genauer ein. 3Deshalb nahm ich weniger Interpretationen von gebrochener Ausdrucksweise sowie Pausen vor, da vielleicht nur die richtigen Vokabeln fehlten. Bedeutungen von einzelnen Worten versuchte ich stärker als mit der Methode üblich, im Zusammenhang zu betrachten. Ähnlichen Orientierungsgehalten, die sich wiederholten, maß ich hingegen entsprechend große Bedeutung zu.
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5 Interpretationen
ausfüllen, sagt Ron dankbar (oder glücklich) zu sein, zum Zeitpunkt unseres Gesprächs schon in seinem vierten Jahr in dieser Rolle zu wirken („thankfully“). Rons erster Einstieg zu dem Ausdruck der Versöhnung mit der Schöpfung ist ein Verweis auf die Ziele der Ordensprovinz, rezitiert als Dreiklang der Versöhnung mit sich selbst, mit anderen und uns, schließlich auch mit der Schöpfung. Versöhnung mit der Schöpfung wird sprachlich zu Umweltschöpfung und ist den anderen beiden Aspekten nachgeordnet („environmental creation as a third (pause) thing“). Damit, dass der dritte Fokus als Umweltschöpfung qualifiziert wird, entsteht der Eindruck, Schöpfung könne sich auch auf etwas beziehen, was nicht Umwelt ist. Im Anschluss beginnt Ron mit einer zweiten Theoretisierung, die an den Begriff der Schöpfung anschließt. Darin beschreibt er eine gute Beziehung von Menschen zur Schöpfung als behütend und fürsorglich, eine schlechte als ausschließlich utilitaristisch (am Nutzen orientiert). Seinen Schöpfungsbegriff definiert er nun in einem Dreischritt: Schöpfung ist „environment“, dann erweiternd „everything that is around us“ und schließlich „Everything that is created by God.“ Durch diese Definition von Schöpfung vermittelt Ron ein abstraktes, theologisiertes Verständnis, vor dessen Hintergrund der ungewöhnliche Ausdruck der ‚Umweltschöpfung‘ („environmental creation“, siehe oben) erklärbar wird als der Aspekt von Schöpfung, der Umwelt ist.4 Das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung wird so bereits zu Beginn des Gesprächs theoretisch so weit geöffnet, dass es sich auf ‚alles, was Gott geschaffen hat‘ bezieht und damit das zweite der drei zuerst rezitierten Ordensziele (Versöhnung mit anderen) einschließen kann. In der Tat ergab die Rekonstruktion, dass Rons handlungsleitendes Wissen menschliche Beziehungen fokussiert. Im Verlauf des Interviews vermittelt Ron der Interviewerin die Kernaufgaben des Philippine Jesuit Prison Service als relevanten Beitrag in Bezug auf das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung. Es zeigt sich ein anthropozentrischer Fokus in dem Sinne, dass der Mensch im Vordergrund der Betrachtung steht. Ron wird ausschweifender in seinen Antworten, sobald es um die karitativen Initiativen des Philippine Jesuit Prison Service geht. Es dokumentiert sich im Detail besonders ein klassisches Motiv der Gefangenenseelsorge, nicht die Schuld und die Tat,
4Ich
beschreibe den Ausdruck hier als ungewöhnlich, da er mir weder während meiner Gespräche mit Jesuiten und Franziskanern noch mit Mitgliedern anderer katholischer Ordensgemeinschaften oder Experten des religiösen Umweltschutzes auf globaler Ebene vermittelt wurde. Auch in Dokumenten und der Literatur lassen sich keine Hinweise für frequentierte Nutzung in der jesuitischen Gemeinschaft oder darüber hinaus finden.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
145
sondern das Recht des Menschen als Teil der sozialen Gemeinschaft zu forcieren. Hierbei ist sein Wissen nicht am Einzelfall orientiert, sondern es wird der Interviewerin theoretisierend, aber immer wiederkehrend vermittelt. Die Wortwahl der Interviewerin („Versöhnung“, „Schöpfung“, „Umwelt“, etc.) weitet Ron flexibel entsprechend der eigenen, sozialen Kernaufgabe aus. Auch Umwelt als Begriff dokumentiert sich wiederkehrend als etwas zu Menschen in Beziehung Stehendes (z. B. „our/my/your environment“). Das folgende Zitat veranschaulicht, wie Ron die Frage der Interviewerin durch einen Fokus auf den Aspekt der Versöhnung und eine flexible Deutung des Begriffs der Schöpfung auf den Erfahrungsraum der Gefangenenseelsorge bezieht. Der Philippine Jesuit Prison Service wendet sich in spezifischen Förderungsprogrammen auch den Familien der Inhaftierten außerhalb der Gefängnisse zu. Der anthropozentrische Schöpfungsbegriff dokumentiert sich hier mit Blick auf die Kinder von Inhaftierten: JG:
Have there been other instances over the last week that have been related to reconciliation with creation?
Ron:
Aside from talking about the environment as I mentioned earlier, also, reconciliation, just FORMING the inmates themselves. Or their children, because we have a scholarship program. We have formation sessions every week, every week end. So trying to, for example, in the children of the schol-, of the inmates. We talk about their own responsibilities towards themselves. To care for themselves. Therefore their future. So, those are the things that are TACKLED in the formation last week end. Because you cannot just let go the focus of the parents, without, and here are their children who are their concerns, who MATTER to them. So, we also took them in, you know, with the formation program. We talk about care for the children, we cannot NOT take care of their fathers. It is a cycle. So, we help, last, YESTERDAY afternoon we had a formation session FOR the fathers of the scholars. So that they, just do not let go of the responsibility with their children because we are, PJPS is sending them to school. They also have their responsibility to care for their children and care for themselves. So that their children at least even, although they are in prison, they do some, they can see that their fathers or mothers in personal are doing something about their own (laughing) reconciliation with who they are, what they are. They are families so, and really, (laughing) all creation.
Der Philippine Jesuit Prison Service erscheint als der relevante Erfahrungsraum, vor dessen Hintergrund sich Ron mit dem Thema in der Interviewsituation befasst. Er spricht in der Rolle des Advokaten für die Gefangenenseelsorge und als Direktor des Philippine Jesuit Prison Service. Die benannten Problembereiche wie die Beziehung zwischen inhaftierten Vätern und ihren Kindern, die
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5 Interpretationen
schulische und emotionale Entwicklung der Kinder, die Bildung oder die Gesundheit der Inhaftierten stehen dazu in direktem Bezug. Konkrete Schilderungen beziehen sich auf lokale, nie überregionale Problemlagen mit Bezug auf das Leben im Gefängnis und zu dem Leben der Familien der Inhaftierten. Interpretationsgemeinschaft sind die Engagierten des Philippine Jesuit Prison Service sowie weitere Personen, die zu verwandten Themen arbeiten und damit den Philippine Jesuit Prison Service unterstützen können. Seine Handlungsorientierung dokumentiert sich als überwiegend extern, das heißt gerichtet auf Herausforderungen außerhalb der jesuitischen Gemeinschaft. Als Direktor des Philippine Jesuit Prison Service gibt er aber auch Weisungen an seine Mitarbeiter (und damit auch an den zweiten Jesuiten, der für den Philippine Jesuit Prison Service arbeitet). Ron greift für die Beantwortung der Fragen kaum auf Erfahrungen in jesuitischen Kommunitäten zurück, in denen er bereits gelebt hatte. Das Thema des Interviews wird trotz der anthropozentrischen Perspektive auch ökologisch verstanden. Mit Ökologie assoziierte Themen wie Mülltrennung greift Ron zumeist knapp auf, es dokumentiert sich aber in diesen Zusammenhängen keine Fokussierung auf ökologische Problemlagen. Die Verhandlungen des Begriffs selbst bleiben diesbezüglich überwiegend explizit. Im Vergleich zu anthropozentrischen Problemlagen werden ökologische nur sehr knapp vermittelt. Die Aufgabe, sich dem Ziel in seiner ökologischen Dimension anzunehmen, wird im Kern an Experten im Orden bzw. spezifische Institutionen des Ordens delegiert. Ökologische Probleme werden ausführlicher thematisiert, wenn sie im Zusammenhang mit karitativen Problemlagen stehen. Im folgenden Zitat zum Thema Müll beispielsweise vermittelt Ron die Massen, die davon im sehr dicht belegten Gefängnis produziert werden. Dabei kann von Hüten der Umwelt, so Ron, nicht gesprochen werden, da es keine Mülltrennung gibt. Von diesem Problem ausgehend wendet er sich dem Problembereich der Gesundheit der Inhaftierten zu. (Nicht segregierter) Müll wird dabei zu einem gesundheitlichen Problem für die Inhaftierten. Diese Wende dokumentiert sich auch in Bezug auf den Ort, da Ron erst vom Gefängnis und dann vom Krankenhaus im Gefängnis spricht. Die Zusammenhänge zwischen der Masse an Müll, seiner Trennung, des Behütens der Schöpfung und der Gesundheit der Gefangenen bleiben dabei überwiegend unausgesprochen und damit unklar. JG:
[S]o maybe if we think concretely of the last week only, what do you think have been instances in your life here that have been related to the theme of reconciliation with creation?
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung Ron:
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I mean on our I think previous meeting last week, we are lucky it was last week (laughing), we were talking about that, about really, because inside the. In Maxima for example, there are more than 15,000 inmates, (short pause) prisoners. So, in a small area, you know. So, they are quite congested. And, like today, when I came out, there were trucks to collect the garbage and it is really, (short pause, laughing) I think seven trucks, at least, that collect the garbage inside. So, and it is, it is really not talking about stewardship of creation, because there is no segregation, there is no. Not even the hospital, we were talking about that last week in our meeting. How can we have the hospital in terms of hygiene, (shortly laughing) taking care of the patients, looking for themselves, you know, the inmates in general. Where is the disposal? […] how to help in terms of how to help people inside care for the environment. Because people, many people get sick because of the environment inside. The congestion, the garbage, the hygienic, hygiene which is not that good inside.
An anderer Stelle im Gespräch expliziert Ron darüber hinaus, Mülltrennung minimiere die negativen Folgen der Mülllagerung für die Menschen, die nahe an Mülldeponien leben. In einer kurzen Sequenz spät im Interview gibt Ron die anthropozentrische Interpretation des Ziels auf und stellt die normative Erwartungshaltung dar, dass sich das Ziel als gegenwärtiger Imperativ auch in Handlungen niederschlagen sollte. JG:
So, thinking about your life beyond the prison service, in, in, in how far let’s take the topic of reconciliation with creation that came up in the Society of Jesus, as you described it,
Ron:
Yeah.
JG:
influenced your everyday life?
(short pause) JG:
I mean, it must not. I –
Ron:
Yeah. Must.
JG:
Oh, must NOT, I said. Oh, you think it must, okay.
Ron:
It should, it should. It is part of my life because it is something I am advocating, so I should also (laughing) practice what I preach. I mean, or live what I teach. So, that I also, in terms of garbage, for example, I (laughing) segregate the plastic, you know. I am more mindful about that than before. There was no practice in that regard but because of what is happening towards the environment, what is happening with our country, around the world, Yolanda, all the typhoons, you get yourself involved and try what you can. Just, just throw, even I, when I see children and I see they throw garbage. I say: “Don’t do that.”
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5 Interpretationen
Ron expliziert die ökologische Handlungsimplikation des Ziels als Erwartungshaltung an sich selbst, die er auch an andere weitergibt, hier an Kinder. Normativität in Bezug auf sein eigenes Handeln konstruiert er besonders auf Grundlage des ‚Predigens‘, also der Empfehlung an andere, die er selbst auch befolgen sollte. Die Dringlichkeit dessen konstruiert er vor dem Hintergrund aktueller Umweltkatastrophen. Die Sequenz stellt allerdings in Bezug auf die Interpretation des Ziels im Interview eine Ausnahme dar. Der anthropozentrische Schöpfungsbegriff wird wiederholt für die Interviewerin expliziert, oft begleitet durch Dokumentationen von Unsicherheit wie beispielsweise Lachen. Das könnte als Hinweis darauf interpretiert werden, dass Ron sich dabei des dominanten ökologischen Schöpfungsbegriffs in Bezug auf das Ziel bewusst ist beziehungsweise zumindest vermutet, die Interviewerin von seiner unüblichen Interpretation erst überzeugen zu müssen. Die letztgenannte Passage zur Mülltrennung und Naturkatastrophen stellt dabei insofern eine Ausnahme dar, die belegt, dass Ron auch die dominante ökologische Lesart kennt und ihre Gültigkeit auf expliziter Ebene annimmt. Die Analyse von Homologien und erzählerischer Dichte verweisen allerdings deutlich auf einen anthropozentrischen Fokus. Die Analyse der Sequentialität der Inhalte und der jeweils gewählten Textgattung legen nahe, dass Ron bemüht ist, die Interviewerin von der anthropozentrischen Interpretation des Ziels argumentativ zu überzeugen, was ebenfalls darauf hindeutet, dass er sich alternativer Interpretationen des Ziels bewusst ist. Darüber hinaus lässt das Gespräch zwei unterschiedliche Interpretationen zu. Rons Zugang zu dem Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung erscheint wiederkehrend als ad-hoc für das Interview konstruiert, da Themen ausgehend von den Fragestellungen oft nicht in nachvollziehbare Zusammenhänge eingeordnet werden und der Bezug zum Ziel „Versöhnung mit der Schöpfung“ überwiegend theoretisierend, kommunikativ hergestellt wird. Versöhnung (mit sich selbst und mit der Gesellschaft, im erweiterten Sinne auch mit der Schöpfung) ist in dieser Lesart kein neues Ziel, sondern vielmehr eine Perspektive, mit der man die Anstrengungen des Philippine Jesuit Prison Service betrachten kann. Für seinen Orientierungsrahmen, der den Alltag anleitet, hätte es dann kaum Bedeutung. Gerade in der Bemühung, den Bezug zwischen Ziel und Alltagspraxis herzustellen, dokumentierte sich die große Distanz zwischen dem von der Interviewerin eingebrachten Ziel und Rons handlungsleitendem Wissen. Die Bemühung ließe sich mit der normativen Erwartung erklären, die durch die Gesprächssituation in Kombination mit der bekannten Aufforderung durch die Provinzleitung entstand. Die Interpretation kann so als ad-hoc in der Gesprächssituation konstruierte Rechtfertigung verstanden werden, inwiefern Ron in seinem Alltag das durch die Ordensleitung aufgestellte Ziel erfüllt.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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Alternativ zu dieser Lesart ließen sich argumentativer Stil und dessen Aufbau dadurch erklären, dass Ron die dominante ökologische Interpretation des Schöpfungsbegriffs und die damit einhergehenden assoziierten Problemlagen in Bezug auf das Ordensziel kennt und ‚gegen sie anspricht‘. Wiederholungen ließen sich dadurch erklären, die Interviewerin von der eigenen Perspektive überzeugen zu wollen. Auch sprachliche Schwierigkeiten könnten bedingt haben, dass Zusammenhänge teilweise schwer nachzuvollziehen sind. Die Grundannahmen und Analysemöglichkeiten der dokumentarischen Methode erlauben diesbezüglich keine Klärung, da der intendierte Ausdruckssinn Rons nicht zugänglich gemacht werden kann. Die zweite Lesart ließe jedoch die Möglichkeit zu, dass das Ziel in der Tat für Ron handlungsleitend in seinem Alltag relevant ist. Dabei wäre sein Zugang insofern überraschend, da das zweite Ordensziel der 35. Generalkongregation – ganz entsprechend Rons Ausführungen zu Beginn des Gesprächs – sich der vermutlich dominanten Interpretation nach mit der Versöhnung unter Mitmenschen befasst und damit dem, was Ron im Gespräch maßgeblich als Aufgabe des Philippine Jesuit Prison Service ausführt. Aus seiner Perspektive ließe sich also sein Engagement durchaus leichter in die Ziele der Gesellschaft Jesu einordnen, auch wenn der Beitrag zu dem Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung in seinem Alltag dann ‚schwächer‘ ausfallen würde.
5.1.3 Erste Konstrastierung Obwohl sowohl Thomas als auch Ron Mitglieder der Philippinischen Provinz der Gesellschaft Jesu sind, haben ihre Interpretationen des Ordensziels, hier betitelt mit ‚Wissenschaft und Lehre‘ und ‚Soziale Aufgabe‘, wenig gemein. Der Vergleich ergibt unterschiedliche Interpretationen des Ziels basierend auf verschiedenen Schöpfungsbegriffen, unterschiedliche relevante Erfahrungsräume, unterschiedliche Handlungsorientierungen, sowie eventuell eine divergente Bedeutung des Ziels für den Alltag. Während sich Rons Interpretation primär an der fürsorglichen und pflegenden Beziehung zwischen Menschen orientiert, also radikal anthropozentrisch ist, bedeutet das Ziel handlungsleitend für Thomas, sich umweltwissenschaftlichen Problemen anzunehmen. Ron versteht das Problemfeld nahezu konsequent aus der karitativen Rolle des Philippine Jesuit Prison Service als relevantem Erfahrungsraum heraus. Probleme haben sozialen Charakter – als Frage der (Selbst-)Verantwortung und der persönlichen Reifung, wobei es seine Aufgabe ist, Menschen dabei zu unterstützen. Für Thomas ist Versöhnung mit der Schöpfung eine Frage des Wissens. Entsprechend nimmt er verschiedene Rollen
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5 Interpretationen
eines gesellschaftlich involvierten Wissenschaftlers ein: er berät, forscht und lehrt. Der relevante Erfahrungsraum ist die jesuitische Hochschule, von der aus er komplexe globale wie regionale Problemlagen bearbeitet. Beide vermitteln das eigene Kerngeschäft als integriert in das Ziel der Jesuiten. Ron ist argumentativ bemüht, die ‚Objekte‘ seiner Arbeit, nämlich die Inhaftierten, als Teil der Schöpfung herauszustellen. Darin dokumentiert sich ein Inklusions-Motiv sozialer Arbeit, den aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen Wert und Würde zuzusprechen. Im Vergleich mit Thomas‘ erzählerischen, dichten Beschreibungen von aktiver Nutzung des Ziels wirken Rons Ausführungen, als würde er die Zusammenhänge zwischen Alltag und Ziel für das Interview erstmalig ausführen. Im Gespräch mit Thomas stellt sich die Ausformulierung des Ziels als Stütze seines ohnehin bestehenden umweltwissenschaftlichen Interesses dar und als Chance, dieses weiterentwickeln zu können, was sich auf vielfältige Weise dokumentiert. Es lässt sich basierend auf der Rekonstruktion vermuten, dass im Vergleich das Ziel alltagspraktisch für Ron weniger relevant ist als für Thomas. Bei konsequent ökologischer Interpretation des Schöpfungsbegriffs stellt dieses Ergebnis keine Überraschung dar. Vor dem Hintergrund des anthropozentrischen Schöpfungsbegriffs im Rahmen der Orientierung ‚Soziale Aufgabe‘ hingegen ist es weniger evident. Vergleichend ergeben sich jedoch auch einige Ähnlichkeiten. Sowohl Ron als auch Thomas erkennen theoretisch das Ziel als gesamtgesellschaftliche Herausforderung der Gegenwart an, zu der sie sich in einer bestimmten Weise verhalten. Sie teilen die Verknüpfung des Themas mit einem normativen Moment des Handeln-Sollens. Das normative Moment stellt eine Konstante über die verschiedenen Gespräche dieses Forschungsvorhabens hinweg dar. Die Gesprächspartner drücken aus, bei Versöhnung mit der Schöpfung beziehungsweise der Bewahrung mit der Schöpfung handle es sich um ein Thema, was einer Herausforderung der Gegenwart entspricht, auf Grundlage derer gehandelt werden sollte. Sie nehmen darüber hinaus eine Art Standortbestimmung vor, in der sie explizit das Thema des Gesprächs (Versöhnung mit beziehungsweise Bewahrung der Schöpfung) zu sich selbst und dem Orden in Beziehung setzen. Hierbei gehen Thomas und Ron ähnlich vor. Sie assoziieren Versöhnung mit der Schöpfung mit einer Ziel-Entscheidung des Ordens, die von der Provinzleitung an die Mitglieder der Provinz kommuniziert wurde. Indem sie auf die Entscheidung der 35. Generalkongregation verweisen, greifen sie auf organisationales Wissen zurück und explizieren das Ziel als für Jesuiten global gültiges. Auch Ron nimmt wie Thomas keine kritische Haltung gegenüber dem Ziel ein, sondern nimmt es auf der Ebene des wörtlichen Sinngehalts als
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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gegebenes Ordensziel an. Der Ausdruck „Versöhnung mit der Schöpfung“ ist für sie in ihrer Rolle als Mitglied der Gesellschaft Jesu von Belang. Auf die eigene Erfahrung bezogen erschließen sie sich das Ziel nicht im Kontext des Alltags in der jesuitischen Gemeinschaft, sondern der handlungsleitende Erfahrungsraum ist das jeweilige Arbeitsumfeld. Das heißt, die alltägliche Interpretationsgemeinschaft in Bezug auf die Bedeutung des Ziels sind vor allem die Mitarbeitenden in diesem Umfeld sowie weitere Nicht-Ordensmitglieder wie beispielsweise Studierende oder Unternehmensvertreter beziehungsweise Gefangene und ihre Familien. Anders als der Franziskaner Cristoforo, dem sich der nächste Abschnitt widmet, sehen sowohl Ron und als auch Thomas expliziert wie atheoretisch Handlungsbedarf primär außerhalb der jesuitischen Ordensgemeinschaft und im Rahmen entsprechender, intern zu vollziehender Aufgaben. Zwar nennt Ron im Unterschied zu Thomas den Anspruch an das eigene Handeln als im Alltag relevante Interpretationsvariante („practice what I preach“, siehe oben), die Bedeutung dieser kurzen Sequenz rückt jedoch besonders im Vergleich mit anderen Ordensleuten in den Hintergrund. Im Abschnitt zur Interpretation ‚Aktivismus‘ stelle ich Ordensleute vor, die im Kontrast zu Thomas und Ron das Ziel mit Blick auf den Erfahrungsraum der Kommunität interpretieren und das Ziel stärker mit der eigenen Praxis wie auch der ihrer Kommunität in Beziehung setzen.
5.1.4 Die Aufgabe in der internen Ausbildung Cristoforo ist Franziskaner der Provinz von San Pedro Bautista. Er wurde 1976 geboren. Seine ersten Gelübde legte er 2001 ab. Bereits 1995 begann seine Ausbildung im Priesterseminar, in dem Franziskaner in Ausbildung unterrichtet werden. Unser Gespräch fand auf eben diesem kleinen Campus statt. Ich erfuhr, dass Cristoforo geweihter Priester ist und Philosophie studiert hatte. Er erlangte in Rom ein Promotions-Äquivalent in Bibelstudien. Cristoforo ist zum Zeitpunkt des Gesprächs Provinzsekretär im Bereich Bildung und Ausbildung („Provincial Secretary for Formation & Studies“) und gehört als Provinzdefinitor der Ordensleitung an. Als Franziskaner fragte ich Cristoforo, anders als die beiden zuvor vorgestellten Jesuiten, nach dem Begriff der Bewahrung mit der Schöpfung (engl.: integrity of creation). Es dokumentiert sich im Gespräch ein ökologisches Schöpfungsverständnis. Cristoforo expliziert dabei, Schöpfung beziehe sich auf ‚nicht-Menschliches‘. Bewahrung mit der Schöpfung zeichne sich aus durch eine besorgte, kümmernde
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5 Interpretationen
Haltung in Bezug auf Umweltschutz, die durch die folgenden Gegenhorizonte markiert wird. Negativer Gegenhorizont sind Teilnahmslosigkeit, Indifferenz und Oberflächlichkeit, wie er sie in kurzfristiger Bewusstwerdung, gedankenloser Nachahmung nur scheinbar ökologisch wünschenswerter Praktiken sowie in rein formaler Pflichterfüllung sieht. Auf die Eingangsfrage, was Bewahrung mit der Schöpfung für ihn bedeute, antwortete er beispielsweise: For me, it is, it is so simple. (.) We care for the rest of the created reality, you know? It is not just about the human-human relation, but (.) human relation together with the (.) REST °you know° of created realities. It is, it is, it is simple. The thing is, we CARE. Yeah, because in a society that is characterized by indifference, you know. In a society when we are REALLY aware only when SUPER-typhoons hit us with calamities and the likes, you know, and then, we became aware of our responsibility and two or three days after, we get back to all our bad habits.
Der negative Gegenhorizont weist große Ähnlichkeit mit der der Interpretation „Soziale Aufgabe“ auf, basierend auf einem anderen – ökologischen – Schöpfungsbegriff unterscheiden sich die positiven Gegenhorizonte jedoch stark. Positiver Gegenhorizont im Gespräch mit Cristoforo ist erstens ein Bewusstsein, was Praktiken ermöglicht, die wissensbasiert sind, zweitens das Problem langfristig im Blick zu haben, drittens ein Netzwerk verschiedener Partner zu involvieren und viertens so zu versuchen, ein ‚ökologisches Gleichgewicht‘ wiederherzustellen. Wie bei Thomas entspricht ‚wissensbasierte Praktik‘ in den von Cristoforo herangezogenen Beispielen ‚naturwissenschaftlich fundierter Praktik‘. Dabei bezieht er sich anders als Thomas jedoch nicht auf Generierung von neuem Wissen im Bereich der Forschung, sondern primär auf die Anwendung bestehenden Wissens. Bewahrung der Schöpfung als Aufgabe an Franziskaner ist Cristoforo folgend oberflächlich nicht zu bewältigen, sondern die Handelnden müssen sich über ökologische Grundprinzipien informieren, um keine Fehler zu machen. Diese Interpretation von Bewahrung der Schöpfung fokussiert Cristoforo besonders in einer Erzählung zu Baumpflanzungen. Als Teil der Ausbildung als Franziskaner wurden seinerzeit Bäume gepflanzt. Er war verantwortlich dafür, Mahagoni-Setzlinge zu sammeln und für die Pflanzung vorzubereiten. Das war oberflächlich, da Mahagoni dem Ökosystem vor Ort schadete. Man tat es Cristoforo zufolge, weil es damals eine verbreitete Praxis war. Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist Cristoforo informierter. Gemeinsam mit Mitbrüdern richtet er ein Baum-Schutzgebiet („sanctuary of trees“) ein, bei der sie heimische Bäume pflanzen wollen, wobei gelte: Der richtige Baum an der richtigen Stelle.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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Es lässt sich im Kontrast zu Thomas und Ron eine Handlungsorientierung rekonstruieren, die das Ziel primär auf die eigene Ordensgemeinschaft bezieht und in diesem Sinne von mir als ‚intern‘ bezeichnet wird. Innerhalb dieser Orientierung wendet er sich besonders dem Bereich der Ausbildung neuer Ordensmitglieder zu, wie ich es unten darstelle. Der Orientierungsrahmen der ‚eigenen Ordensgemeinschaft‘ bezieht sich auf die Franziskaner der Provinz von San Pedro Bautista, der Cristoforo angehört. Gelegentlich stellt er externe Bezüge zu der philippinischen Gesellschaft und ihrem Schicksal her (vgl. z. B. Zitat oben). Dies geschieht jedoch zumeist in Bezug auf die zugrundeliegenden Problemlagen, darunter Naturkatastrophen ebenso wie übersteigerte Forderungshaltungen der Eltern von Novizen dem Ausbildungsprogramm. Externe Bezüge dienen in der Erzählstruktur eher als Begründungen für das Ordensziel und seine Interpretation desselben denn als ‚Gültigkeitsbereich‘ des Ziels. Es dokumentiert sich in Bezug auf die Bedeutung des Ziels in der Gemeinschaft eine Spannung zwischen kommunikativem und atheoretischem Wissen. Einerseits führt er explizit aus, das Ziel sei als integraler Bestandteil der Tradition des Engagements im Bereich „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ (GFBS, engl.: justice, peace and integrity of creation (JPIC)) tief in der Gemeinschaft verwurzelt. Andererseits erzählt er, früher sei Engagement im Bereich der Bewahrung der Schöpfung defizitär, da nicht durchdacht, gewesen. In Erzählungen verknüpft er das Ziel entgegen der Explikation der GFBS-Tradition nicht mit den Themen der Gerechtigkeit und des Friedens. Die konkret ausgeführten Handlungsfelder sind Bäume, Müll und Energie sowie Gremienarbeit innerhalb der Ordensstrukturen. Während sich die Gegenwart in Bezug auf die interne Handlungsorientierung primär als eine Zeit der Planungen und des Netzwerkens rekonstruieren lässt, sollen positive Veränderungen in der Zukunft eintreten. Diese Zukunftsorientierung dokumentiert sich durch häufige Verwendung intentionaler Ausdrücke. So beschreibt er die Einrichtung eines Baum-Schutzgebiets („sanctuary of trees“) als potentielles Vorzeigeprojekt („showcase“). Die Fokussierung weist damit in eine Zukunft, in der die eingerichtete Fläche heimischer Bäume der Bildung zukünftiger Ordensbewerber und Studierender außerhalb der Ordenszusammenhänge („outside“) dienen wird. Der Verweis auf Studierende außerhalb der Ordenszusammenhänge stellt im Gespräch mit Cristoforo einen der sehr seltenen Verweise auf eine Ordensgrenzen überschreitende Interpretation des Ziels dar.
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5 Interpretationen
When we start a deal, this place that we are developing, we have an earth of thousand tons of plastic and garbage. They turned it into a dumpsite, °you know°? From a Franciscan ground. I mean. So, what we first did was to clean the area and then to contact people who could help us you know with our aspiration to at least, to preserve a certain piece of land within the seminary compound that we could eventually [turn] into a kind of showcase also to educate the future candidates as well as the other students outside. (.)
Es lässt sich rekonstruieren, dass das Ziel innerhalb des Ordens Cristoforo zufolge eine Entwicklung erfahren hat, wobei der Prozess nicht abgeschlossen ist. Über sich selbst vermittelt Cristoforo der Interviewerin in einer knappen Eigentheorie, er sei engagierter Experte, der sich innerhalb des Ordens nicht zuletzt aufgrund der frühzeitigen Ernennung5 zum GFBS-Koordinator zu einem solchen Experten entwickeln konnte. Mit seiner Expertise versuche er nun, das Thema im Orden besser zu gestalten, als es in der Vergangenheit war. JG:
So, do you remember when you heard the term integrity of creation for the first time?
Cristoforo:
(..) Many years ago. Actually, when I at formation HERE at, at OLAS [PRIESTERSEMINAR], (..) because simply because the=, [...] the justice, peace and integrity of creation is deeply embedded in our mission (.) as a provincial fraternity. So, when I start in, when I start in the formation, many times I heard, I heard about it but during those times, I my understanding is very shallow, you know. It lacks depth. And as I, as I grew in the formation, it was the time I became more and more aware of my, first of my OWN responsibility, and then there was a period when I was, even when I was prior to my priestly ordination, I was assigned to the work of JPIC. So, all the more, you know. (.) You know, my initial conversion was reinforced by, by the kind of task that was interest to me then. (.)
Seine Veränderungsorientierung richtet sich nahezu ausschließlich auf den Bereich der Ausbildung neuer Ordensmitglieder. Damit einher gehen wiederkehrende Dokumentationen, das Ziel bedürfe einer Veränderung von Bewusstsein, Sensibilisierung und Wissen. Verhaltensänderungen werden so eher indirekt adressiert. Dies lässt sich am Anschluss des oben stehenden Zitats illustrieren: °You know, I mean°. A=nd I think, it is ongoing (.) and other formation houses aside from here, because this is the BIGGEST (.) formation community. Others are also
5Früh
bedeutet diesbezüglich für ihn vor seiner Priesterweihe.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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doing their own measures becoming more aware o=f how to [Hervorhebung durch JG], to conserve energy, (.) and how to, yeah, plant trees in their activities, etcetera. Things like those.
An einer Stelle argumentiert Cristoforo auch, der Orden sollte seinen Anwärtern auf Mitgliedschaft Bewahrung mit der Schöpfung als Wert vermitteln. Diese Entscheidung wurde durch das ausbildungsleitende Gremium gefällt, dem er angehört. Wie Thomas und Ron stellt auch Cristoforo die Verbindung des Ziels mit seinem Alltag besonders in dem Bereich her, der als alltägliche ‚Hauptaufgabe‘ bezeichnet werden kann. Die verschiedenen Bemühungen, die Verwirklichung des Ziels im Rahmen des Ausbildungsprogramms zu integrieren und weiterzuentwickeln, beschreibt er als wiederkehrende, aber nicht als tägliche Ereignisse (beispielsweise im Kontrast zu den handlungspraktischen Ausführungen von Thomas oder von Michael, der unter der Orientierung Aktivismus vorgestellt wird). Dabei lässt sich an verschiedenen Stellen im Gespräch eine ambivalente Rahmung entlang der hierarchischen Organisation der Gemeinschaft einerseits und seinen persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Ausbildung andererseits rekonstruieren. Franziskaner Sein geht kollektiv einher mit organisationalen Zwängen und Rechenschaftspflichten, die mit dem Umweltschutzziel in Verbindung stehen. Die Novizen beispielsweise müssen im Rahmen der Ausbildung zeigen, dass sie „Interesse“ am Thema haben.6 Auch die Ausbilder müssen sich an das innerhalb der Provinz standardisierte Ausbildungsprogramm halten. Cristoforo kann gleichzeitig im Bereich der Ausbildung als Ordensmitglied in Leitungsverantwortung gestalterische Entscheidungen mit einer Gruppe anderer Mitbrüder treffen. Er verweist jedoch wiederkehrend auf das implizite Subjekt der Ordensleitung als organisationalen ‚Überbau‘, der diese Position zuschreibt: Seine Kompetenzen bekam er zugewiesen.
6Im
Gespräch drücken sich folglich zwei divergierende Vorstellungen des Ziels innerhalb der Ausbildung aus: In der Gegenwart müssen die Ordensanwärter Interesse für das Ziel zeigen. Cristoforo möchte hingegen, wie oben ausgeführt, Bewahrung der Schöpfung als Wert vermitteln, in meinem Verständnis also als etwas über Interesse Hinausgehendes. Diese Spannung zwischen gegenwärtiger Erwartung an die Novizen und der abweichenden Intention in Bezug auf das Ausbildungsziel dokumentiert sich allerdings nur indirekt und nicht wiederkehrend.
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5 Interpretationen
JG:
So, what did you DO to change the integrity of creation part in the formation?
Cristoforo:
When, when I, almost two years ago, since this new task was given to ME together with the rest of the masters and directors and the rest of the formation community, we decided at least in one of our assemblies or meetings in the secretariat (.) that we should, we should push through with our aspiration to=, to highlight even more the love for creation, the integrity of creation which is at the very core of our Franciscan values.
In den verschiedenen Ausführungen ist der Ort des Geschehens über verschiedene Zeitpunkte hinweg jeweils das konkrete Priesterseminar, an dem auch das Gespräch stattfindet. Dieser Erfahrungsraum dient zusammengefasst sowohl als räumliche wie auch organisationale Verortung der Interpretation. Es dokumentieren sich sowohl Verweise auf konkrete Aktivitäten am Ort des Priesterseminars (zum Beispiel Baumpflanzungen während seiner Ausbildung und „sanctuary of trees“) als auch Verweise auf organisationale Sinnstrukturen um das Priesterseminar wie das Regelwerk der Ausbildung und dessen ausführende Organe. Auch bei einem weiteren franziskanischen Gesprächspartner, Bill, dokumentiert sich handlungspraktisch, dass er in seiner Rolle als Ausbilder ordensintern das Ziel der Bewahrung der Schöpfung vermittelt. Bill gestaltet den konjunktiven Erfahrungsraum der Postulanten in Kontemplation (Postulat). Diese betreiben unter Aufsicht von Bill u. a. ökologische Landwirtschaft einschließlich der Instandhaltung einer eigenen Farm und Obstanbau. Auch im Gespräch mit Bill fokussiert sich im Anpflanzen von Mahogani eine negative Praxis, wobei Bill anders als Cristoforo nicht die ökologische Wissensbasis expliziert. Negative Konsequenzen von Mahagoni werden hier ‚beobachtet‘, das Vorgehen basiert eher auf Versuch und Irrtum als auf dezidiertem Fachwissen: [W]e are also planning to plant, you know. And also the previous group. What they planted already died, you know. So=, (short pause), so=, so=, so we need to plant again. Then, there is another friar ALSO who is asking from us for seeds for these fruits, you know. So, we are trying to keep the fruits. Then also, we found out mahogany. Mahogany, recently we just (short pause) have, have this, and we observe it, that it is not really good, you know, (short pause) to have mahogany. So, so we, we, we are planning to change it. […] And we decided to plant jackfruit. Jackfruit. So, one time, we are going to have a big fruit.
Anders als bei Cristoforo dokumentiert sich im Gespräch mit Bill jedoch ein Orientierungsdilemma. Bill versteht die entsprechenden Erfahrungen als Aus-
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
157
bilder in Bezug auf das Ziel, die Schöpfung zu bewahren, als Pflicht, die er aus Gehorsam erfüllt. Das Leben in der Kontemplation mit den jungen Gemeinschaftsmitgliedern wurde ihm von der Ordensleitung auferlegt, wobei er selbst explizit vorziehen würde, Bewahrung der Schöpfung als mobiles Mitglied zivilgesellschaftlich aktiver Gruppen politisch zu verfolgen. Er nimmt die Rolle als Ausbilder auch sprachlich kaum an. Das folgende Zitat zur Aufforstung der Bäume auf dem bewohnten Grundstück nach dem Taifun ‚Glenda‘ illustriert diese Distanz zur ausgefüllten Rolle: JG:
So, who said it is important to replant? I mean, it’s, I am sorry I ask so detailed, just so I can understand some situations.
Bill:
L Usually the formator. Yeah. Usually the formator and that is me. (laughing)
JG:
Aha. So, how was it in this instance? (short pause) […] So, Glenda came, all the trees fell, and then, what happened?
Bill:
So we have to clean. First is, we have to clean. (short pause) We have to clean the branches there. So first is, FIRST is, we have to, it is good we have a chainsaw. So=, those things, then we have to cut it and put it there. The first thing is the road, we have to clean the road, you know?
Alle bisher vorgestellten Ordensmitglieder verbinden mit den alltäglichen Hauptaufgaben und mit bestimmten Funktionen innerhalb der Ordensgemeinschaften, dass diese ihnen zugewiesen worden sind. Bei den in diesem Abschnitt vorgestellten Franziskanern Cristoforo und Bill wird diese Verbindung und ihr möglicher Zusammenhang mit der Zielinterpretation besonders deutlich, da beide ihre Möglichkeiten, das Ziel zu verfolgen, mit den Aufgaben, die ihnen zugewiesen wurden, in Beziehung setzen. Dabei konstruieren sie diese Beziehung jedoch sehr unterschiedlich: Während Cristoforo seine Rolle in der franziskanischen Ausbildung als Möglichkeit beschreibt, seine als GFBS-Koordinator erreichten Kompetenzen zu verbreiten, nimmt Bill diese Möglichkeit als Ausbilder zwar ebenfalls war, es dokumentiert sich aber im Gespräch mit Bill ein Orientierungsdilemma. Dieses fußt darauf, dass Bills Orientierung für die Zielinterpretation maßgeblich aktivistisch ist und sich überwiegend auf Problemlagen außerhalb der franziskanischen Gemeinschaft richtet, auch wenn sich atheoretisch dokumentiert, dass er in seiner Rolle als Ausbilder interne GFBS-Arbeit leisten kann und leistet. Bills Interpretation des Ziels diskutiere ich folglich auch im folgenden Abschnitt zu Versöhnung mit der Schöpfung und Bewahrung der Schöpfung als aktivistischer Auftrag. Während die bisher dargestellten Orientierungen auf der Rekonstruktion von Gesprächspassagen mit jeweils einzelnen Ordensleuten
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5 Interpretationen
basieren, kann die nächste Orientierung auch unter den strengen Maßgaben der dokumentarischen Methode als geteilt betrachtet werden, da sich ein gemeinsamer Orientierungsrahmen bei mehreren Gesprächspartnern eindeutig herausarbeiten lässt.
5.1.5 Der aktivistische Auftrag Im folgenden Abschnitt skizziere ich eine Gruppe von Ordensleuten, die das Ziel die Schöpfung zu bewahren oder sich mit ihr zu versöhnen als Kritik einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung und des damit einhergehenden Lebensstils versteht. Das Ziel interpretieren sie als ein politisches. Ordensgemeinschaften sehen sie aufgrund ihrer prophetischen Aufgabe als besonders in der Pflicht, sich für die Veränderung des Status quo außerhalb und/oder innerhalb des Ordens einzusetzen. Es dokumentieren sich unterschiedlichste Erfahrungsräume, in denen das Ziel eingebracht und verhandelt wird, deren Bandbreite von Netzwerken mit Gleichgesinnten über Alltagssituationen in der Kommunität zu Arenen direkter Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Akteuren reicht. Zugrunde liegt ein ökologischer Schöpfungsbegriff, der teilweise durch die anthropozentrischen Perspektiven der Themen Frieden und Gerechtigkeit ergänzt wird. Ein geteilter Orientierungsrahmen kann besonders über die wiederholt ausgeführten Gegenhorizonte identifiziert werden. Den positiven Gegenhorizont bilden soziale Bewegungen und organisierte Akteure der Zivilgesellschaft, die sich für ökologische wie soziale Belange engagieren, während ein negativer Gegenhorizont von macht- und kapitalkonzentrierenden Akteuren (überwiegend große, transnational agierende Unternehmen sowie teilweise Regierungen) einerseits und sich träge und indifferent verhaltenden Mitbrüdern andererseits herangezogen wird. Das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung oder ihrer Bewahrung erschließen sich Ordensleute dieser Gruppe oft vor dem Hintergrund eines negativen Ist-Zustands, wie sich besonders deutlich an dem Einstieg in das Gespräch mit dem Jesuiten Michael illustrieren lässt: JG:
Vielleicht zu Anfang, können Sie mir beschreiben, was Sie unter Versöhnung mit der Schöpfung verstehen?
Michael:
Dass wir aufhören, sie zu zerstören.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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Der Gruppe derer, die ihr Ordensziel als aktivistischen Auftrag verstehen, konnte ich mitteleuropäische wie philippinische Gesprächspartner zuordnen, darunter Jesuiten wie Franziskaner. Ich fand verschiedene Spielarten, von denen ich ausgewählte nun genauer darstellen werde.
Erfahrungsraum Kommunität Michael wurde 1966 geboren. Nach seiner Ausbildung als Feinmechaniker und einem Ingenieursstudium begann er 1989 das Noviziat der Schweizer Jesuiten. Er studierte Theologie und Philosophie und ist geweihter Priester. Martin ist Franziskaner der deutschen Provinz. Er wurde 1967 geboren und ist 1990 „zu den Franziskanern gestoßen“. Er ist Theologe und geweihter Priester. Ich sprach mit beiden jeweils in einem Einzelgespräch. Wie bei anderen Ordensleuten dieser Gruppe ist sowohl Michaels als auch Martins Schöpfungsbegriff ökologisch. Schöpfung beinhaltet beispielsweise Artenvielfalt, im Falle Martins auch bewirtschaftetes Land (Garten). Doch nicht alle Pflanzen sind gleichermaßen Teil der Schöpfung. Monokulturen und genverändertes Saatgut sind Teil des negativen Gegenhorizonts der Zerstörung durch diverse menschliche Praktiken, die global üblich sind. Bei Michael handelt es sich bei diesen Praktiken überwiegend um Beispiele ‚technisierten‘ Wirtschaftens. Dagegen explizieren beide Gesprächspartner positiv eine „andere“, geschwisterliche Beziehung zur Schöpfung. Für den Franziskaner wie für den Jesuiten ist Franziskus von Assisi die entscheidende Figur, die diese Beziehung vorgelebt hat. Im Gespräch mit Michael dokumentiert sich Franziskus als ihn inspirierendes Vorbild und als Identifikationsfigur, die seinen Lebensweg seit der Jugend stark beeinflusst hat. Martin hebt seine große Bedeutung für die Theologie hervor. Für Michael wie auch für Martin ist Versöhnung mit der Schöpfung bzw. Bewahrung der Schöpfung handlungsleitend eine Frage des Lebensstils und damit eine Frage individueller Entscheidungen.7 Die verschiedenen Stehgreif-Beispiele, die sie in den Gesprächen ausführen, beziehen sich überwiegend auf Konsum- und Nutzungsentscheidungen in Mitteleuropa z. B. in Bezug auf Ernährung, Mobilität und Heizverhalten. Jeweils sind Verzicht, Sparsamkeit oder ‚nachhaltige‘ Konsumalternativen der positive Gegenhorizont zum Mainstream-Verhalten. In
7Der
Begriff ist hier also nicht als analytischer Begriff einer bestimmten soziologischen Theorie zu verstehen sondern eher im Sinne des in der Umweltbewegung üblichen frames eines nachhaltigen oder nicht nachhaltigen ‚Lebensstils‘.
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5 Interpretationen
ihrem Alltag setzen sich Michael und Martin für veränderte Lebensstile innerhalb und außerhalb des Ordens ein, wobei besonders Michael dieses Engagement im Gespräch wiederholt und sehr szenisch ausführt, wie ich im folgenden Zitat illustriere. Michael:
Weil, in der Ökologie liegt es wirklich ganz viel an der praktischen Gewohnheit. Bis hin zu dem Konsumenten und Konsumentinnen. Wenn ich gewisse Produkte nicht brauche, °im wahrsten Sinne° boykottiere, dann kommt der Produzent nicht darauf, sie weiterhin zu produzieren. (kurze Pause) Nestlé hätte jetzt mit diesen Espressokapseln keinen Erfolg, wenn die Leute realisieren würden, dass es Unsinn ist. (kurze Pause) Also, ich mache das zum Thema, wenn ich irgendwo eingeladen bin und die Frage „Möchten Sie einen Kaffee?“ gefragt bekomme, dann sage ich: „Mh, haben Sie nespresso?“ Und wenn dann die Leute sagen enttäuscht: „Nein.“ Dann sage ich: „Gut, dann hätte ich gerne einen.“
Ihren Ordensgemeinschaften diagnostizieren Michael und Martin jeweils, die Möglichkeiten nicht ausreichend wahrzunehmen, das Ziel durch einen entsprechenden Lebensstil zu verfolgen. Das lässt sich exemplarisch anhand der Fokussierung zum Thema „Auto“ zeigen. Auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Gesprächspartner werden an diesem exemplarischen Vergleich deutlich. Im Gespräch mit Martin erscheint das Thema Auto als detaillierte Fokussierung. Er problematisiert die Haltung von einigen seiner Ordensbrüder, ein Auto als Privatbesitz zu verstehen. Er hat Widerstand von Mitbrüdern gegenüber alternativer Autonutzungskonzepte „erlebt“, geht jedoch nicht auf konkrete Konfliktsituationen ein. Seine derzeitige Kommunität reflektiert er hingegen als „relativ bescheiden“. Eins der zwei Autos, die sie führen, wird für berufliche Zwecke von einem seiner Mitbrüder gebraucht. Broterwerb ist ein legitimer Grund, der die Nutzung eines Autos rechtfertigt. Martin kritisiert folglich die Vorstellung von Privatbesitz seiner Mitbrüder, lehnt aber für den Beruf Automobilität nicht grundsätzlich ab. Positiv ist moderate Nutzung ohne Besitzansprüche. Den positiven Gegenentwurf zu Privatbesitz, nämlich gemeinschaftliche Nutzung, entwirft er nicht aus einer Ordenspraxis heraus, sondern er verweist auf die Entwicklung von Carsharing-Modellen, also auf säkulare Gruppen, Bewegungen und „Entwicklungen“ mit ökologischen Zielen. Dass der Orden nicht Vorbild ist wie andere Gruppen in der Gesellschaft, problematisiert er vor dem Hintergrund des normativen Anspruchs, Ordensleute sollten gesellschaftlich
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prophetische Vorreiter sein. Hier führt er also einen fiktiven weiteren positiven Gegenhorizont ein (Ordensleute wirken prophetisch), den er dem negativen Horizont seiner ‚realen‘ Erfahrung entgegenstellt. Im Gespräch mit Michael dokumentiert sich, dass in seiner Zielinterpretation weniger Haltungen als Taten von Relevanz sind. In Bezug auf das Beispiel Auto ist der positive Gegenhorizont, grundsätzlich nicht Auto zu fahren. So ist eine starke Fokussierungsmetapher für seine Gesellschaftskritik über sein Leben hinweg, keinen Führerschein zu besitzen und möglichst nicht im Auto mitzufahren. Er stellt theoretisierend wie erzählerisch starke biographische Bezüge her. So vermittelt er der Interviewerin, bewusst einem Orden beigetreten zu sein, der ihm erlaubte, Autofahren weiterhin zu vermeiden. Trotzdem dokumentiert sich wie auch bei Martin die Ordensgemeinschaft für Michael als ein Ort der Auseinandersetzung, beispielsweise im Noviziat: Michael:
Oder man hatte irgendwelche gemeinsamen Reisen vor und ich sagte: „Ich steige nicht in ein Auto.“ (kurze Pause) Manchmal habe ich es organisiert, dass ich früher weg durfte und dann mit dem Fahrrad hin gerast bin oder (pause) oder einmal haben wir es erreicht, dass wir mit dem Zug in die Noviziatsferien gingen (lacht). Oder, einmal habe ich es nicht erreicht und MUSSTE dann mit dem Auto mit. (kurze Pause) Aber dann war ich etwas mürrisch (beide lachen).
Das Beispiel der Autonutzung nutzt Michael aber auch, um der Interviewerin eine persönliche Reifung in Bezug auf Lebensstilfragen zu vermitteln, bzw. „dass sich nämlich die ganze Geschichte mit dem Autofahren bei mir auch etwas weiterentwickelt hat und ich eher bereit bin, in einem Auto zu sitzen“, da, so Michael, in der Gegenwart im Verhältnis die Probleme des Flugverkehrs, des Konsums tierischer Eiweiße und der Datenspeicherung als größere ökologische Herausforderungen noch mehr problematisiert werden müssen als Automobilität. Beide, Martin wie Michael, teilen die Interpretation, Lebensstil- und besonders Konsumfragen bärgen dem Ziel des Ordens entsprechendes Transformationspotential. Beide teilen auch die Erfahrungen, als Befürworter ‚nachhaltiger Lebensstilentscheidungen‘ auf Widerstände in der Ordensgemeinschaft gestoßen zu sein. Während Michael jedoch einen engen Zusammenhang zwischen ökologischen Problemen, gesamtgesellschaftlichen Fehlentwicklungen und seiner Biografie herstellt, ist für Martin die ökologische Herausforderung eine von verschiedenen in seinem Alltag und neben einer Frage der Haltung auch eine der Möglichkeiten.
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5 Interpretationen
Für Michael ist die Verwirklichung des Ordensziels primär eine Frage des Willens, entsprechend des Ziels zu handeln. Gleichzeitig kontextualisiert er diese Handlungen immer wieder theoretisierend in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. In dem Gespräch mit Martin dokumentiert sich insgesamt, dass für ihn Bewahrung der Schöpfung handlungspraktisch nicht nur eine politische, sondern auch eine lebensweltliche Herausforderung ist, die strategische, pragmatische Überlegungen und Kompromisse (z. B. Autofahren für den Beruf) erfordert. Als großes Problem dokumentiert sich die Alterung der deutschen Franziskanergemeinschaft mit der Konsequenz, weniger personelle wie materielle Ressourcen für ökologisches Engagement mobilisieren und nutzen zu können. In der Rolle des Leiters einer franziskanischen Einrichtung führt er mit den Angestellten informell bewusstseinsbildende Gespräche, konstruiert die Veränderungen in der Einrichtung aber auch als einen Prozess, der durch finanzielle Grenzen und seine eigenen verschiedenen Aufgabengebiete und damit zusammenhängend knappe Zeitressourcen begrenzt ist. Martins Zugang zum Ziel erscheint folglich alltags-pragmatischer als Michaels und er moderiert zwischen unterschiedlichen Herausforderungen und Problemlagen, wie in dieser bewertenden Passage aus dem Gespräch mit Martin deutlich wird: Also, bei uns ins natürlich die Situation in Deutschland oder in ganz Mitteleuropa ja so wie auch bei vielen anderen Ordensgemeinschaften, dass wir immer kleiner werden, also zahlenmäßig total schrumpfen, dass wir völlig überaltert sind. Also, bei uns ist ja ungefähr die Hälfte der Brüder über siebzig. Bei den Schwesterngemeinschaften ist mindestens drei Viertel der Schwestern über siebzig oder so, ja. Also, das heißt, das menschliche Potential (lacht), sage ich jetzt mal, nimmt halt immer mehr ab und von daher ist es halt aktuell so, dass wir immer mehr Niederlassungen ja auch schließen. [… knappe Thematisierung spezifischer Schließungen] Ja, das heißt, da ist auch immer so die Frage: An welchen Orten investieren wir noch? Also, jetzt mal ganz, rein technisch gesehen, ja. Also, wo setzen wir auch meinetwegen unter Umweltgesichtspunkten noch etwas um, wenn eh klar ist, es steht wahrscheinlich an, dass wir da nicht mehr allzu lange sein werden an diesem Ort. Von daher, ja, ist es immer auch so ein Abwägen, sage ich mal, auf dieser Ebene. Die andere Ebene ist eben mehr so wirklich dieses ganz Alltagspraktische, was wir zwischendurch auch hatten. Meinetwegen diese Frage von Ernährung: Was kaufen wir für Nahrungsmittel? Die ist natürlich immer aktuell, ja, weil (lacht) wo die Brüder sind, wollen sie auch etwas essen. Von daher glaube ich, dass wir auf dieser Ebene der wirklich alltagspraktischen Themen auch ein Stückchen ansetzen (kurze Pause) sollten und versuchen, da Bewusstseinsbildung zu machen. Ja, das denke ich, wird so unser Auftrag sein, weil wir jetzt halt nicht mehr die, die riesen Projekte haben.
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In dieser Sequenz erscheint ein Fokus auf Fragen des Lebensstils auch als mögliche Strategie vor dem Hintergrund der Herausforderung des demographischen Wandels und rückläufigen Eintrittszahlen, da Ordensleute immer „etwas essen [wollen]“. Michael hingegen problematisiert demographischen Wandel nicht. Hierbei wird auch deutlich, dass Martin im Gegensatz zu Michael auf die Vergangenheit verweist als eine Zeit, in der Ordensleute politisch aktiver waren. Diese Perspektive geht mit der Verknüpfung zu GFBS-Gruppen einher, wie ich unten darstelle. Der entsprechende positive Blick auf die Vergangenheit findet sich bei Michael nicht. Nicht zuletzt teilen beide, Martin und Michael, aber die positiven Gegenhorizonte erstens von franziskanischer Geschwisterlichkeit im Umgang mit Tieren und Pflanzen, zweitens von nachhaltigem Lebensstil und drittens von politischen Protestformen und Veränderungen durch soziale Bewegungen (siehe z. B. Zitat zu Boykott von Nespresso oben). Im Falle Martins kommen letztere jedoch kaum in Bezug auf ökologische Fragestellungen direkt vor, sondern die Nähe zu sozialen Bewegungen und ihren Formen dokumentiert sich am deutlichsten über den ‚Umweg‘ der Geschichte der interfranziskanischen Gruppen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung (im Folgenden auch: GFBS-Gruppen). Für Martin wie für Michael ist das Ziel, die Schöpfung zu bewahren bzw. sich mit ihr zu versöhnen, insofern handlungsleitend, als dass sie versuchen, innerhalb und außerhalb der Ordensgemeinschaft einen Lebensstil zu etablieren, der den Zielen am ehesten entspricht. Anders als bei der Zielinterpretation als spirituelle Aufgabe, welche ich im Anschluss vorstelle, dokumentiert sich kein Fokus auf die alltäglichen religiösen Praktiken und Rituale, sondern auf Aspekte des Lebens, die glaubensunabhängig sind. In diesem Sinne unterscheidet sich Martins und Michaels Orientierung kaum von der anderer engagierter Mitglieder einer Umweltbewegung, die die gesellschaftliche Verbreitung eines nachhaltigen Lebensstils anstreben.8 Es dokumentiert sich der Versuch, diese glaubensunabhängigen Änderungen des Lebensstils in ihren jeweiligen Erfahrungsräumen anzuregen und besonders im Hinblick auf die eigene Ordensgemeinschaft weiter zu etablieren.
8Dies
bezieht sich nur auf die rekonstruierte Orientierung, nicht unbedingt auf beobachtete und recherchierte Aktivitäten (z. B. während der Beobachtung der ökumenischen Versammlung in Mainz); erst nach Ende des Erhebungszeitraums beteiligten sich Ordensleute in Deutschland auch beim Klimapilgern.
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Ihre Religiosität explizieren sie als Weltanschauung, die primär nicht ihre konkreten Aktivitäten, sondern ihre Perspektive auf die ökologische Herausforderung prägt. Martin:
[F]ür mich ist natürlich explizit auch immer noch mal die religiös-theologische Dimension auch eine bedeutende. Also, ich sage mal jetzt gerade auf der Franziskanischen Schiene, die ja, ich sage mal: nicht gläubige Menschen vielleicht dann eben als Motivation in dem Sinne nicht haben.
Michael:
[I]ch habe mir eben schon vor meinem Ordenseintritt überlegt: Soll ich jetzt Jesuit werden oder Aktivist bei Greenpeace? Also, von mir aus in meiner Biographie ist eben sozusagen die ökologische (kurze Pause), das ökologische Anliegen sehr stark, spielt eine Rolle. Ja. Gleichzeitig eben, sage ich mal, verbunden mit einer christlichen Hoffnung, was mich dann auch ausschlaggebend dazu bewogen hat, Jesuit und nicht GreenpeaceAktivist zu werden.
Diesbezüglich lässt sich eine starke Ähnlichkeit mit dem theoretisierten Zugang von Thomas erkennen. Im Kontrast stelle ich mit Pablo und Camilo in der folgenden Passage zwei Priester vor, die ausdrücklich berichteten, die franziskanische Spiritualität vermitteln und verbreiten zu wollen. Wie Martin sprechen sie davon, die Angestellten einer franziskanischen Organisation (einer franziskanischen Schule) und ihre Mitbrüder für die Bewahrung der Schöpfung zu sensibilisieren und deuten Widerstand oder Unverständnis aus der eigenen interfranziskanischen Gemeinschaft in Bezug auf ihre Bemühungen an. Es lässt sich jedoch rekonstruieren, dass für Camilo und Pablo die Kommunität nicht der bedeutendste Erfahrungsraum für die Interpretation des Ziels der Bewahrung der Schöpfung ist, sondern die Erfahrung lokaler Umweltzerstörung.
Erfahrungsraum lokaler Umweltzerstörung Camilo und Pablo traf ich auf der Insel Mindanao, welche die zweitgrößte Insel und die südlichste der drei Großregionen der Philippinen ist. Camilo wurde in den 1970er Jahren geboren. 1994 wurde er Franziskaner. Er ist Mitglied der Custody of St. Anthony of Padua-Philippines und in dieser Provinz der Koordinator für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Er ist geweihter Priester mit zusätzlicher Ausbildung in Pädagogik und Beratung. Den Kontakt zu Camilo stellte der weltweite Koordinator für GFBS her. Pablo wurde in den 1950er Jahren geboren. Er ist Priester und seit Ende der 1990er Jahre Mitglied des Dritten Ordens der Franziskaner (TOR, Tertius Ordo Franciscanus
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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regulatus). Damit gehört Pablo zu einer kleinen Gemeinschaft des Dritten Ordens in den Philippinen (der Philippinischen Mission der italienischen Provinz Assisi), welche Teil der franziskanischen Ordensfamilie ist, aber nicht zur hier im Schwerpunkt untersuchten Gemeinschaft der Minderen Brüder gehört. Ich führte das Gespräch mit beiden gemeinsam. Camilo und Pablo beziehen sich auf einen ökologisch geprägten Schöpfungsbegriff, wobei sie Zerstörung der Schöpfung zumeist zusammen mit den einhergehenden Konsequenzen für Menschen beschreiben. Bewahrung der Schöpfung integrieren sie sprachlich in die Trias GFBS. Es dokumentiert sich die Interpretation des Ziels, Schöpfung müsse vor anthropogenen ‚Großeingriffen‘ geschützt werden. Dabei lässt sich im Vergleich rekonstruieren, dass der Zugang zu „this JPIC [GFBS] and the love of creation, the protection of the environment“ (Camilo) gleichzeitig von großer Emotionalität zeugt.9 Es dokumentiert sich eine geteilte (inter)franziskanische Identität der beiden Gesprächspartner und eine gemeinsame Identifikation mit einer franziskanischen GFBS Spiritualität. Dies manifestiert sich bereits in der Gesprächssituation selbst, zu der Camilo wie selbstverständlich den TOR-Priester Pablo eingeladen hatte. Im Bereich der Ausbildung im Rahmen eines interfranziskanischen Schulprojekts dokumentiert sich im Gespräch auch ein gemeinsames Handlungsprojekt, d. h. es ist davon auszugehen, dass sich diese gemeinsame Identität auch handlungspraktisch auswirkt (im Vokabular der dokumentarischen Methode: Enaktierungspotential). Meine weiterreichenden gesammelten Eindrücke während des Besuchs der interfranziskanischen Gemeinschaften vor Ort unterstützen diese Interpretation, nach der sich Camilo und Pablo nicht nur als Mitglieder einer interfranziskanischen Gemeinschaft aus Brüdern und Schwestern verstehen, sondern diese auch eine entscheidende Interpretationsgemeinschaft für den Bereich GFBS darstellt, in der nicht zuletzt lokale wie überregionale Aktivitäten verhandelt und koordiniert werden und so auch von einem gemeinsamen
9Vgl.
exemplarisch Pablo: “As I have said, it pains me (lacht), it pains me so as I realize: This is the kind of, say, the demand of the time […] and it is at the same time, the rest of the people, the rest of the young people, that does not care about this” und Martin: “Seit 2010 […] gibt es eben nur eine [JPIC] Gruppe. Die ist halt mittlerweile auch ziemlich zusammengeschrumpft, sage ich mal, weil wir natürlich jetzt nicht mehr so viel jüngere Brüder haben oder man auch sagen muss, so ein bisschen, ja, zwischendurch ist das Interesse vielleicht auch erlahmt.”
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Erfahrungsraum ausgegangen werden kann, der die Interpretation von GFBS beeinflusst.10 Der zentralste Erfahrungsraum, der sich wiederkehrend und mit szenischer Dichte in Erzählungen rekonstruieren lässt, ist jedoch jener der Zerstörung lokaler Wälder durch Rohstoffan- und abbau. Sowohl in den Erzählungen als auch in argumentativen und bewertenden Theoretisierungen dokumentiert sich das Narrativ der Ausbeutung der philippinischen Bevölkerung durch ökonomische Aktivitäten großer transnational agierender Unternehmen. Gemeinsam konstruieren Camilo und Pablo Bewahrung der Schöpfung wiederkehrend, atheoretisch wie auch expliziert, anhand des Rahmens der Ungerechtigkeit, wonach – kondensiert dargestellt – wenige Mächtige finanziell von der beobachteten Umweltzerstörung stark profitieren, während die lokale Bevölkerung viel verliert, mitunter bis zur existentiellen Bedrohung ihrer Lebensgrundlage. Dabei nehmen Camilo und Pablo ihre Propositionen gegenseitig nahezu immer an; das heißt, im Gespräch dokumentiert sich eine gemeinsame Perspektive auf das Thema. Das Sprechen mit einer gemeinsamen Perspektive wie auch das Narrativ der Ungerechtigkeit werden in diesem Gesprächsauszug besonders deutlich: Camilo:
In some areas, the mining industry in the Philippines, there are some areas that is allegedly in daytime, the guards are military. In the evening, they are NPAs [New Peoples Army], so the rebel groups.
JG:
So they take turns in profiting?
Pablo:
They take turns, yeah.
Camilo:
Yes.
Pablo:
(ridiculing voice): They take profiting. You see, the same.
Camilo:
Because they receive revolutionary tax, the rebels, and the military receives also something. (laughing) Of course.
Pablo:
There is no –
10Nichtsdestotrotz
zeigte eine Fokusgruppendiskussion mit Mitgliedern des Dritten Ordens vor Ort, dass das Ziel der Bewahrung der Schöpfung für diese Teilnehmenden schwer zugänglich schien und sie teilweise explizit kein Interesse daran hatten. Camilo und Pablos Interpretation als aktivistischer Auftrag lässt sich folglich nicht auf die gesamte interfranziskanische Gemeinschaft vor Ort verallgemeinern.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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Camilo:
I visited that area. I visited that area because I was curious: “Is this true?” And that is. Of course, the people are affected, you know. The operation is on-going. They do the operations, the mining, but the people. For example because there are two rivers very near, about 200 meters. The other one is contaminated with minerals from the mining and the other one is strand, you know. And you can see the difference. The one contaminated by mining is brown, brown river. And this one is clear, the other one. I was, if there are people beside the river, they cannot use the water. They cannot fish. They cannot do the –
Pablo:
L washing of the
Camilo:
Washing of the clothes. They cannot let their animals drink the river, the water from the river. So, their communities are affected. They are, of course, that affects the environment.
Pablo:
Yes.
Camilo:
Who benefits? The military and the rebels and some, some Filipinos. Very, very few. But who are affected? Plenty. Barangay, the community, the whole community who are beside, who are living in the river, river banks. (again very emotional story-telling)
Es dokumentieren sich im Gespräch teilweise unterschiedliche Rollen der beiden Gesprächspartner. Camilo wird von Pablo die Rolle als gut ausgebildeter Spezialist zugeschrieben. Pablo bezeichnet sein eigenes Bewusstsein wie auch das seiner Gemeinschaft als (noch) defizitär. Für beide lässt sich die Rolle als engagierte Priester rekonstruieren, die für das Wohl der Gemeinde ‚zuständig‘ sind und die im Kontext der ungerechten Ausbeutung Hüter, Aktivisten und Aufklärer sein müssen. Camilo wird nicht zuletzt zum Ermittler bestehender Ungerechtigkeit aufgrund von illegitimer Abholzung von Wald in ‚seinem Gebiet‘ zum Zweck monokulturellen Anbaus von Kautschuk. Im Folgenden zitiere ich einen Auszug aus der Erzählung: Camilo:
So what we did is, we walked. It took us four hours to go there to that area. It is very far. And we investigated. We interviewed the people: “What happened? What is really the motivation of cutting trees?”
In diesem Beispiel mobilisiert Camilo auch eine über die franziskanische Gemeinschaft hinausreichende lokale Bildungselite, die sich seiner Untersuchung anschließt. Nach der Feststellung des Missstandes ist er als Untersuchungsführer auf den Bischof angewiesen, der seinen Einfluss geltend macht, um innerhalb der Diözese auf ein Ende der ausgemachten illegalen Abholzung hinzuwirken. Neben dem Engagement als Ermittler schreiben die Priester sich auch eine bildende Rolle zu, Menschen vor Ort über politökonomische Zusammenhänge aufzuklären.
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5 Interpretationen
Unmittelbare Zuständigkeit ist somit territorial begrenzt. Innerhalb ihres Territoriums reicht der Kreis der zu Beschützenden gleichzeitig über die zugewiesene Glaubensgemeinschaft hinaus und umfasst Indigene ebenso wie alle anderen, die in dem Territorium leben und potentiell von Umweltzerstörung betroffen sind. In dem oben zitierten Interviewausschnitt zur Verschmutzung des Flusses durch Rohstoffabbau verweist der Begriff des „barangay“ als lokale, soziopolitische Nachbarschafts-und Verwaltungseinheit sprachlich besonders deutlich auf eine Gemeinschaft, die über jene des im Interview häufiger verwendeten Begriffs der „parish“ (Kirchengemeinde) hinausreicht. Damit nehmen sich die Priester – eingebettet in die Hierarchie der katholischen Kirche, unterstützt durch den jeweiligen Bischof – quasi-staatlichen Aufgaben an. Die verfasste Kirche vor Ort erscheint als Impulsgeberin wie auch als einflussreiche Unterstützerin und stellt in dieser Interpretation einen positiven Gegenhorizont dar gegenüber den mächtigen Akteuren, die die illegale Abholzung betreiben. Exemplarisch lässt sich im zuvor zitierten Interviewausschnitt zur Verschmutzung des Flusses auch einen dezidiert philippinischen Rahmen erkennen. Das Narrativ der ungerechten Ausbeutung wird zwar auf weltweite Missstände bezogen, fokussiert aber auch theoretisch besonders den philippinischen Kontext. Explizit entwerfen Camilo und Pablo ein zweites Narrativ, in welchem die „consumeristic world“ (Camilo) als negativer Gegenhorizont einem positiven Gegenhorizont geprägt durch Genügsamkeit und franziskanische Spiritualität gegenübersteht. In Bezug auf negative Konsummuster, d. h. Konsum für unstillbare Scheinbedürfnisse, fokussieren sie die Bereiche Essen und Essensproduktion, Müll und Müllproduktion sowie Einkaufen in Einkaufszentren. Die theoretisch-abstrakteren, nicht erzählungsbasierten Ausführungen zu Konsum lenken die Kritik auf Individuen. Diese sind jedoch nicht die Treiber, sondern werden eher verführt durch den ‚Mechanismus‘ des Konsumismus, wohingegen Unternehmen, die mit ihrer Macht Marktgesetze ausnutzen, sich aktiv ungerecht verhalten und der franziskanischen Spiritualität entgegenstehen. Camilo:
they [companies] produce food, but in order to control the price, they just throw the food, the existent food to the ocean. So, when they, if they sell or they bring the whole products to the market, then the price will inflatiate. So in order to create and create a good price, they will control. They control the products. So, that is, I think, the abuse, the abuse to the environment.
Insgesamt dokumentiert sich im Gespräch ein machtkritischer politischer Blick auf Produktion, Märkte und Konsum, der teilweise erfahrungsbasiert, teilweise theoretisch ausgeführt wird. Die Interpretation des Ziels Bewahrung der
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Schöpfung birgt eine starke Spannung zwischen dem emotionalen, positiven Schöpfungsverständnis einerseits und der Erfahrung einer zerstörerischen Realität andererseits. Eine zweite Spannung ergibt sich aus der global beschriebenen Problemlage und den lokal-verorteten Handlungsmöglichkeiten. Vor dem Hintergrund des theoretisierten wie erfahrenen Mächteungleichgewichts drücken Camilo und Pablo wiederholt Zweifel am Erfolg ihrer Bemühungen aus. Camilo:
[I]t is a big campaign for us Franciscans who realize that it is not a small campaign. How can we stop the production of those industries? That is, that is. Because too much, too much pressure, too much minerals that we get from the earth from the land. Too much mining. We have to stop. Who can stop that one? So, that is our campaign, for us Franciscans.
Pablo:
And who can stop the multinationals to come to our country? (laughing, but overall very serious voices) As long as they expect money, they will come. The Philippine government will expect money from them. They will come. Who can stop them?
Es dokumentieren sich wiederkehrend auch Hoffnungsmomente, die jedoch sprachlich unvollendet bleiben, wie sich im folgenden, unvollständigen Satz besonders deutlich illustrieren lässt: „I hope in times, with the help of Camilo (laughing)“ (Pablo). Zu erkennen ist hier das Muster, die Schwere der Situation durch Lachen zu brechen. Gleichzeitig setzt das Lachen an der Stelle ein, an der sequentiell die konkrete Benennung von Weg und Gestalt der Transformation logisch anschließen würde. Das wahrgenommene wie atheoretisch dokumentierte Enaktierungspotential verbleibt über das Gespräch hinweg knapper ausgeführt als der negative Gegenhorizont des zentralen Narrativs der ungerechten Ausbeutung. Einzig der positive Gegenhorizont der franziskanischen Spiritualität von GFBS könnte vor dem globalen, negativen Horizont bestehen. Dies wird am deutlichsten anhand des positiven Gegenhorizonts, der dem negativen des Konsumismus entgegen gestellt wird: Pablo:
11Der
hat the Franciscans stand for, sapat na11 […] So, where we have to w go is part of the integrity of creation. If people would learn to live with what is enough, what is the need, the real need. […] you are teaching
Ausdruck „sapat na“ ist ein Ausdruck in Tagalog, der zweiten Amtssprache neben Englisch auf den Philippinen, und wird innerhalb dieses Zitats bereits übersetzt. Er
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the people to be greedy. And then, it is spirituality that has to come in. Where is the justice? Where is the charity that is given from God? Die handlungsleitende Interpretation des Ziels, junge Menschen innerhalb und außerhalb der franziskanischen Gemeinschaft zu bilden (u. a. Schüler und Angestellte in franziskanischen Schulen „have to know what the GFBS spirituality is“), ist vor diesem Hintergrund völlig anders zu interpretieren als die Konstruktion des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre von Thomas. Thomas vertraut auf ihn unterstützende Fügungen („if you build it, they will come“), um das Ziel bestmöglich erfüllen zu können bzw. seinem umweltwissenschaftlichen Interesse nachzugehen. Für Camilo und Pablo ist die Vermittlung einer franziskanischen GFBS-Spiritualität (nicht: naturwissenschaftlichen Wissens oder eines bestimmten Lebensstils) die einzige Strategie, die zukunftsgerichtet gegen den negativen Gegenhorizont des polit-ökonomischen Mächteverhältnisses bestehen könnte. Ähnlich wie Camilo und Pablo interpretiert der philippinische Jesuit Alon das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung als Auftrag, lokale Umweltzerstörung zu verhindern. Besonders ausführlich geht er auf den Bereich des Rohstoffabbaus als lokale Bedrohung für Umwelt und Bevölkerung ein. Auch er erhofft sich Erfolg durch Strategien des Nachforschens und Aufklärens, um gegen transnational agierende Wirtschaftsakteure vorzugehen, die vor Ort agieren. Den entscheidenden politischen Bezugspunkt bilden philippinische Akteure und Gesetze. Ähnlich wie Camilo und Pablo theoretisiert er, bei Interessenkonflikten zwischen wirtschaftlichem Profit und Umweltschutz setze sich politisch meistens der Profit durch. Theoretisierung und lokale Erfahrung gehen dabei eng miteinander einher, wie beispielsweise in dieser Überleitung von abstrakter zu konkreter Sprache deutlich wird:
bedeutet „was genug ist“ oder „genug“. In der interfranziskanischen Gemeinschaft, die ich vor Ort getroffen habe, fiel der Begriff mehrfach. Bei De Schrijver (1998, S. 219) wird „Sapat“ auch als umfassenderes Programm einer franziskanischen Schwesterngemeinschaft (Franziskaner-Missionsschwestern Mariens, FMM) für Ökologie und ein einfaches Leben beschrieben. Während meiner Forschung konnte auch ich mich mit den Programmen des FMM vertraut machen. Sie wurden mir gegenüber allerdings nicht auf den Begriff „sapat“ kondensiert.
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And if the integrity of the environment is to be challenged by an economic gain, normally the economic gain will prevail. (short pause) For instance, an ONGOING struggle that we have in this university is the struggle against the, the (short pause) [COMPANY] mines in [REGION]. (pause)
Alon wurde 1947 geboren und trat 1965 den Jesuiten bei. Er ist Priester, Theologe und promoviert in Philosophie. Einen Teil seiner Studienzeit verbrachte er in Österreich. Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist er Leiter einer jesuitischen Hochschule auf Mindanao. Er ist Mitglied verschiedener überregionaler Gremien wie der Catholic Educational Association of the Philippines (CEAP) und des International Committee on Jesuit Higher Education. Im Vergleich zu Camilo und Pablo ist Alons Handungspotential proaktiver und strategischer. Er kann einflussreiche, überregionale Netzwerke nutzen. Anders als bei Camilos Untersuchungen zu bereits vollzogener illegaler Abholzung handelt es sich beispielsweise bei dem oben angesprochenen Widerstand um eine geplante Mine, deren Errichtung Alon versucht zu verhindern und deren potentielle Auswirkungen auf lokale Bevölkerung und Umwelt er im Gespräch ausführlich schildert. Während Camilo und Pablo überwiegend auf die Zusammenarbeit mit der verfassten Kirche und der interfranziskanischen Gemeinschaft verweisen, zeichnet Alon einen größeren Kreis der Partner*innen nach. Zusammenarbeit sei möglich mit Wissenschaftler*innen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Gegnern des Rohstoffabbaus (“the community of scholars, NGOs, the, the people who are anti-mining in the country”) beziehungsweise Menschen, die ‘das Umweltargument’ akzeptieren („people who ACCEPT the environmental argument“). Diese größer gefasste Koalition entspricht auch dem größeren Handlungspotential, was sich im Gespräch darstellt. Als Leiter der Hochschule platziert Alon das Thema der Versöhnung mit der Schöpfung so zum Beispiel in den verschiedenen Koordinationsorganen im Bereich der jesuitischen und katholischen Bildungseinrichtungen im südostasiatischen Raum, in denen er Mitglied ist, und bringt sich als Leiter der Hochschule in den öffentlichen Diskurs ein. An der Hochschule, die er leitet, werden wissenschaftliche Studien zu möglichen Folgen der oben genannten Mine erarbeitet, welche nicht zuletzt als argumentative Stütze in den Lobbyaktivitäten gegen die Mine dienen. Wie die Auswertung des Gesprächs mit Alon zeigt, geht der Erfahrungsraum der jesuitischen Hochschule nicht zwangsläufig mit einer Interpretation von Versöhnung mit der Schöpfung als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre einher. Zwar nutzt Alon seine einflussreiche Position als Leiter der Hochschule und teilt mit Thomas einen problem- und handlungsorientierten Zugang zu Wissenschaft (vgl. Anschnitt zu Wissenschaft und Lehre), das Ziel interpretiert er aber hand-
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5 Interpretationen
lungsleitend als politische Aufgabe, die sich besonders vor dem Hintergrund der drohenden lokalen Umweltzerstörung ergibt. Dabei vermittelt er das Ziel als untrennbar mit der jesuitischen Spiritualität und dem Glaube an Gott verbunden. Darin ähnelt er Camilo und Pablo und ihrem Verweis auf eine GFBS-Spiritualität. Besonders auf meine Frage am Ende des Gesprächs hin, ob wir über wichtige Aspekte des Themas nicht gesprochen haben, antwortet er entsprechend. Folgendes Zitat ist ein Auszug aus der Antwort: [P]erhaps an area that we have not spoken about that is, is, is trying to articulate for people, trying help people articulate (short pause) some spiritualties that would be more sensitive °to the environment°. Or, it becomes part of the way of conversing with God and nature that they, that they, that they appreciate the environment °more°. (short pause) As God’s gift and therefore as something to be protected and cherished.
Er beschreibt für mich im Anschluss sehr explizit einen Zusammenhang zwischen den Ignatianischen Exerzitien und der Wertschätzung der Umwelt – darunter Beispiele wie Stein, Blume und Baum. Nach dieser Beschreibung stellt er den Zusammenhang zu seinen Lobbytätigkeiten und den konkreten ökonomischen Projekten und ihren sozialen wie ökologischen Konsequenzen her: So, it is not just on the level of advocacy but it is what, what, what the, what is at the heart of this, I would say, is appreciation for this world that WE believe was made by God for all and that therefore knows no private groups who simply destroy for their private interest. Have, if you go to South Cotabato and you go to the area of the T`bolis, there is a beautiful place called Lake Sebu. And then, there is rumor now that under that beautiful lake is GOLD. So, of course, the, the, the economic people are saying: “Empty the lake. Drain it.” (pause) You know? Yeah. (short pause) But you, you know in this hard world, their economic argument is powerful. They would ACTUALLY consider it. But we would go to the barricades if something like that were to happen. (short pause)
In dieser Passage zeigt sich auch deutlich die starke Verbindung von kulturellem, sozialem und ökologischem Zugang: You see, if it is faith, justice (short pause), sensitivity to cultures, interreligious dialogue, the ENVIRONMENT is INEXTRACABLE from those areas. You cannot have faith °without appreciating° the environment. JUSTICE, for heaven’s sake, SOCIAL JUSTICE, SOCIAL JUSTICE INCLUDES the environment. (short
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
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pause) You CANNOT, you know. You talk about CULTURES? Cultures from the environment, how can you extricate the T’bolis from their Lake Sebu? Or the Philippines from their heart archipelago?
Ähnlich wie Camilo und Pablo, die mit Gerechtigkeit und Frieden weitere Kernbegriffe aus dem interfranziskanischen Diskurs aufgreifen (siehe auch folgenden Abschnitt), greift Alon auf weitere Begriffe jesuitischer Diskurse zurück (Gerechtigkeit, interkultureller Dialog) und verknüpft sie mit dem Ziel. Er verweist mit den Begriffen auf organisationales Wissen zu Generalkongregationen der Vergangenheit.
Erfahrungsraum GFBS-Gruppen und Zivilgesellschaft Als weitere Spielart der Orientierung „Aktivismus“ konnte ich die Zuwendung zum Ziel der Bewahrung der Schöpfung rekonstruieren, welche historisch und mit Rückgriff auf organisationales Wissen insbesondere zur Geschichte und Organisation der interfranziskanischen Arbeitsgruppen zum Thema Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung vollzogen wird. Die entsprechenden Gesprächspartner, Martin und Bill, unterscheiden sich jedoch darüber hinaus in Bezug auf Handlungsorientierung und Handlungspraxis, wie im Folgenden problematisiert wird. Der Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen kann auf Grundlage meines Datenmaterials als spezifisch franziskanischer bezeichnet werden, wobei er sich für deutsche und philippinische Franziskaner gleichermaßen konstatieren lässt. Bewahrung der Schöpfung explizieren franziskanische Ordensleute dieser Gruppe als Teil einer Politisierung religiöser Akteure, die um die 1980er Jahre begann. Das Ziel der Bewahrung der Schöpfung verstehen sie als aus diesem Prozess heraus gewachsene Gesellschaftskritik. Sie nehmen Bezug auf politische Entwicklungen in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu dieser Zeit und auf die damit in Verbindung stehenden sozialen Bewegungen, d. h. in Deutschland z. B. auf die Friedensbewegung (historischer Verweis z. B. „NATO-Doppelbeschluss“), auf den Philippinen auf die Widerstandsbewegung gegen den Diktator Marcos (historischer Verweis z. B. „martial law“). Aufbauend auf der Politisierung in Bezug auf das Thema ‚Frieden‘ nahmen sich die Ordensleute beider Weltregionen anschließend zuerst dem Thema ‚Gerechtigkeit‘ (justice) und später auch dem Thema der Bewahrung mit der Schöpfung an. Dass es sich bei diesem Wissen um ein organisationales handelt, wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn Gesprächspartner über eine Zeit sprechen, in der sie selbst
174
5 Interpretationen
noch gar nicht Mitglied der Gemeinschaft waren wie Martin in diesem Auszug (vgl. mit Erfahrungsraum der Kommunität oben): Martin:
Ja, also, es haben sich ja so in den 80er-Jahren diese Gruppen von Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung in der franziskanischen Familie gebildet, auch bei uns in der Provinz und historisch war es so, die stammen eher noch mal aus dieser ganzen Friedensdebatte. Also, Zeit der NATO-Nachrüstung, Doppelbeschluss usw. Also, das heißt der Fokus der konkreten Arbeit lag zumindest bei uns in der Provinz über lange Jahre auch stärker auf dem Bereich von Frieden und dann eben auch von Gerechtigkeit. Und so Schöpfung, Umwelt, ist erst ein bisschen später stärker ins Bewusstsein gekommen, also, von diesen drei Begriffen sozusagen, oder drei Polen, die ja irgendwie aber alle irgendwo was miteinander zu tun haben und miteinander verquickt sind.
Der Dreiklang GFBS und gesellschaftliche Entwicklungen bilden einen entscheidenden Orientierungsrahmen bis in die Gegenwart. Die Franziskaner dieser Gruppe konstruieren für die Interpretation des Ziels der Bewahrung mit der Schöpfung eine Verbindung zwischen Entwicklungen in Bezug auf diese Themen in ihren Ordensgemeinschaften einerseits und der Gesellschaft andererseits. Auch die Frage nach der Zukunft des Ordens in Bezug auf Bewahrung der Schöpfung erschließen sie sich durch Parallelen zu gesellschaftlichen Entwicklungen wie ‚Entpolitisierung‘ (bei Martin auch: demographischer Wandel, siehe oben). Wie im zuvor zitierten Interviewauszug bereits angedeutet, bringen sie darüber hinaus das Ziel umgehend mit den auf GFBS spezialisierten Gruppen und Personen in Verbindung, die im Orden dafür hauptverantwortlich sind. Sie sehen sich als Teil dieser Personengruppe und versuchen, soweit sie können, etwas zur GFBS-Arbeit des Ordens beizutragen. Interfranziskanische GFBS-Gruppen, in denen GFBS-Spezialisten unterschiedlicher franziskanischer Ordensgemeinschaften sich auch über Provinzgrenzen hinweg regelmäßig austauschen und zusammenarbeiten, sind zentrale Erfahrungsräume. Im Folgenden werde ich Bill genauer darstellen als einen Gesprächspartner, bei dem die Zielinterpretation anhand des Erfahrungsraumes GFBS-Arbeit besonders deutlich rekonstruierbar ist. Bill wurde in den 1960er Jahren geboren. Er ist Mitglied der Provinz von San Pedro Bautista. Seine ersten Gelübde legte er Ende der 1980er Jahre ab. Als einer von wenigen Ordensleuten, die ich
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
175
interviewte, ist Bill Ordensbruder und kein Priester.12 Er erwarb einen Abschluss in Vergleichender Religionswissenschaft. Unter „Versöhnung mit der Schöpfung und Bewahrung der Schöpfung als Auftrag in der internen Ausbildung“ ging ich bereits knapp auf Bills Rolle als Ausbilder ein. Das Ziel der Bewahrung mit der Schöpfung versteht er primär im Orientierungsrahmen von politischem Aktivismus wie z. B. zivilgesellschaftlicher Advocacy-Arbeit. Es dokumentiert sich explizit wie atheoretisch eine stark nach außen gerichtete Handlungsorientierung. Bewahrung der Schöpfung ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen einschließlich der religiösen GFBS-Gruppen. Negativer Gegenhorizont zum Engagement im Bereich GFBS ist die Kontemplation, wie er sie selbst als Ausbilder der Postulanten überwiegend leben muss. Positiver Gegenhorizont ist implizit, sich mit Legitimation der Ordensleitung für das Thema engagieren zu können oder anderweitig durch die zugeteilte Aufgabe (oder Mission, z. B. Leben in Konfliktgebiet) politisch aktiv sein zu können. Bill greift auf mehrere Erfahrungsräume zurück. Wichtiger Erfahrungsraum in Bezug auf seine eigene Politisierung ist der Widerstand gegen Diktator Marcos. Er war außerdem lange Funktionsträger im Orden für GFBS und blieb auch noch nach Ende seines Amtes aktiv. Sein Zugang zu GFBS ist im Schwerpunkt fokussiert auf Rechte, besonders Menschenrechte. Es dokumentiert sich kein aktivistisch-persönlicher Bezug zu dem Thema der Bewahrung der Schöpfung allein, d. h. ohne Bezüge zu Gerechtigkeit oder Frieden. Wie im unten folgenden Zitat illustriert, dokumentiert sich eine atheoretische Überlagerung des Themas Bewahrung der Schöpfung durch soziale Schwerpunkte. Trotzdem wird das Thema als wichtig angenommen und theoretisch ausgeführt. Die Schöpfung müsse geschützt (conservation) und gepflegt werden. Es dokumentiert sich außerdem der Erfahrungsraum einer vernetzten Zivilgesellschaft, die transnational zusammenarbeitet und Instrumente wie Kampagnen und internationale Arenen (z. B. den Universal Periodic Review des UN-Menschenrechtsrates)
12Auch
hierin dokumentiert sich eine politisch linke Orientierung in dem Sinne, dass sie an einem Kampf gegen Ungleichheit von Menschen orientiert ist. Bill führt aus, er habe sich durch die Entscheidung, nicht Priester zu werden, im Kontext der Auseinandersetzung im Orden zwischen Priestern und Brüdern für ein weniger privilegiertes, aber dennoch sehr wichtiges Leben als Bruder entschieden. Er analysiert und bewertet: „It is a structural AND an identity problem. I see=, I see the, the struggle of women (pause), gender equality= (pause) and gender empowerment (short pause), it is also like for the brothers. Instead of gender there, you just change it to brothers. (lacht) Empowerment of the brothers.“
176
5 Interpretationen
nutzt. Damit unterscheidet sich die hier dominierende Orientierung sowohl von der Orientierung als soziale Aufgabe als auch als Auftrag der internen Ausbildung, bei denen der Orientierungsrahmen lokal, anhand von Provinzgrenzen oder national begrenzt wird. Bill kann deshalb transnational wirken, weil er unter anderem durch seinen mehrjährigen Auslandsaufenthalt in einer anderen südost-asiatischen Provinz Kontakte hat und via Internet involviert bleiben kann. Um sich einzubringen, betreibt er eine Facebook-Seite, auf der er über verschiedene GFBS-Themen informiert. Seine Rolle als Multiplikator via Internet erscheint damit als Kompromiss, der ihm erlaubt, trotz der unfreiwilligen Zurückgezogenheit als Ausbilder Teil der Gemeinschaft der GFBS-Aktiven zu bleiben und zur Arbeit etwas beizutragen. JG:
So, if you just think about the last week, in how far has integrity of creation played a role in your life?
Bill:
Oh, yeah, yeah. The climate change, yeah. But I, only through facebook. (laughing)
JG:
Ah, like in which way on facebook?
Bill:
No, because I am not really that involved though because I work in the formation that I am taking care of. It is, it is semi-contemplative in nature, you know? So I cannot really go out […] I can help but help through internet. […] But so I just, I just, so through the climat-, no, through facebook and other internet, I was able to, (short pause) to update myself and also join. Because I, I also formed (short pause) before, I, yeah, before I was here already. Maybe you not heard Ruki Fernando? (JG shaking her head) Ruki Fernando. You have not heard about him. He is human right worker in, in Sri Lanka. I met him, I work with him because also, in Sri Lanka we form Franciscan Solidarity for Peace Forum, FSPR. FSPR, Franciscan Solidarity for Peace and Reconciliation. It is like an FMJP also, a joint project of the different Franciscans in Sri Lanka. But we are also connected with FI, if you have heard of FI?
Wenn auch diskursiv anders organisiert und inhaltlich anders orientiert, lässt sich bei Bill in Bezug auf seine aktivistische Handlungsorientierung ähnlich wie bei der Orientierung „soziale Aufgabe“ zu Beginn des Kapitels eine dominante anthropozentrische Fokussierung rekonstruieren. Im Unterschied zu Ron, dem Gefangenenseelsorger mit der Interpretation „Soziale Aufgabe“, dokumentiert sich im Gespräch mit Bill im Bereich von GFBS jedoch kein anthropozentrisches Schöpfungsverständnis. Anders als Ron macht Bill keine Anstrengungen, den Begriff für die Interviewerin umzudeuten. Ein ökologisches Schöpfungsverständnis ist im Bereich der Ausbildung handlungsleitend.
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
177
Weder bei Martin noch bei Bill steht der Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen und der Zivilgesellschaft allein, sondern er ‚liegt‘13 quasi über einem anderen. Es zeigt sich, dass sich die damit verknüpften Orientierungen unterschiedlich gut vereinbaren lassen. Im Gespräch mit Martin ergänzt er die Erfahrungen mit den GFBS-Gruppen durch solche innerhalb der Kommunität und der franziskanischen Einrichtung, die er leitet. Die sich daraus ergebenden Interpretationen des Ziels lassen sich deshalb vereinen, weil im Zuge der Forderungen nach Lebensstiländerungen auch das Ordensleben in den Blick der Transformationsforderung rückt. In Bills Stehgreiferzählungen zu seinem Alltag dokumentiert sich, dass er in seiner Rolle als Ausbilder stark interne GFBS-Arbeit mit Fokus auf ökologische Aspekte von Bewahrung der Schöpfung verwirklicht, indem er den konjunktiven Erfahrungsraum der Postulanten gestaltet. Daraus ergibt sich ein Orientierungsdilemma: Die Interpretation basierend auf der Orientierung entlang interner Ausbildung steht der externen Handlungsorientierung, die bei ihm aus dem Erfahrungsraum der GFBSGruppen und der Zivilgesellschaft erwächst, entgegen. Vor diesem Hintergrund nutzt er Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, um trotz der Ortsgebundenheit der externen Handlungsorientierung eingeschränkt nachkommen zu können.
5.1.6 Spirituelle Zugänge Ich stelle nun Zugänge zu den Zielen vor, die in verschiedenen Varianten an Spiritualität orientiert sind. Das hier präsentierte Analyseergebnis stellt im Vergleich zu den anderen rekonstruierten Zielinterpretationen in verschiedenen Aspekten eine Besonderheit dar, welche ich in diesem Abschnitt gleichermaßen adressiere und reflektiere. Die erste Besonderheit ist, dass die drei Gesprächspartner, deren Zugänge zu den Zielen ich hier diskutiere, keine formalen Mitglieder der philippinischen oder deutschen Provinzen sind. Leon ist Franziskaner der niederländischen Provinz. Er lebt in den Niederlanden in einer Gemeinschaft aus Männern und Frauen, die sich Franciscan Ecological Project nennt. Er wurde Mitte der 1940er Jahre geboren und trat in den frühen 1960er Jahren in den Orden ein. Er studierte Theologie, Philosophie und Politikwissenschaft, entschied aber, kein geweihter Priester zu werden (vgl. Bill im Abschnitt 5.1.5,
13Individuen vereinen immer verschiedene Erfahrungsräume, die sich – metaphorisch gesprochen – überlagern (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 289).
178
5 Interpretationen
Erfahrungsraum GFBS-Gruppen und Zivilgesellschaft). Er erfüllte in seiner Zeit im Orden diverse Aufgaben in der Ordensadministration und der katholischen Friedensarbeit. Ich traf ihn bei einem interfranziskanischen Grundlagenseminar, was von den Franziskanern der deutschen Provinz organisiert wurde. Das Gespräch führten wir hinterher per Skype. Auch Ruben traf ich bei diesem Seminar, führte aber erst beim Grundlagenseminar im Folgejahr ein leitfadengestütztes Gespräch mit ihm. Ruben lebt als Angestellter der Missionszentrale der Franziskaner in der kleinen franziskanischen Gemeinschaft in Bonn, ist aber Mitglied der indischen Provinz. Er ist studierter Theologe und Priester. Er wurde der Mitte der 1960er Jahre geboren. 18 Jahre später wurde er Ordensmitglied. Der dritte Gesprächspartner, Bodo, lebt in der jesuitischen Gemeinschaft in Quezon City. Er wurde in den 1950er Jahren geboren, trat zu Beginn der 1980er Jahre in die Gesellschaft Jesu ein. Bereits vor seinem Ordenseintritt war er geweihter Priester. Er erreichte außerdem einen akademischen Abschluss in Ethnologie und ist promoviert in Theologie. Er ist Mitglied der jesuitischen Region Malaysia-Singapur, unterrichtet aber zum Zeitpunkt unseres Gesprächs an der jesuitischen Ateneo de Manila Universität in Quezon City. Er leitet unter Anderem spirituelle Kurse an der Hochschule. Als zweite Besonderheit stellte sich für die Rekonstruktion die Herausforderung, dass die Gespräche in Details aufgrund unterschiedlicher Gesprächsführung schwer miteinander und den anderen Gesprächen vergleichbar sind. In einem Gespräch folgte meine Gesprächsführung teilweise unzureichend den Gedanken des Interviewpartners, zwei Gespräche eröffneten aufgrund der vorherigen Interaktion mit den Ordensleuten mit abweichenden Eingangsfragen. Daran anschließend ergibt sich drittens, dass die Gespräche zwar auch Erzählungen enthalten, insgesamt aber durch auffällig starke Theoretisierungen geprägt sind (vgl. auch Abschnitt 5.2.4). Die folgende Darstellung der Analyse erfolgt vor diesem Hintergrund. Nichtsdestotrotz weisen die expliziten wie impliziten Wissensbestände, welche die Ordensleute in den Gesprächen ausführen, starke Gemeinsamkeiten auf, die im Kontrast zu den zuvor dargestellten Orientierungen stehen, sodass sie ich sie als potentielle Orientierungen in der Typik aufnehme. Ich stelle die großmaschig formulierten Gemeinsamkeiten vor, zeige aber auch vereinzelte oder vage angedeutete Facetten der Interpretationen auf. Die drei Gesprächspartner teilen einen ökologischen Schöpfungsbegriff, der wiederholt mit dem Begriff der Natur bezeichnet wird, der aber insofern erweitert ist, als auf eine ganzheitliche Beziehung zwischen Mensch und Umgebung verwiesen wird. Leon spricht beispielsweise von der ‚Vernetzung‘ (englisch: „interconnectedness“) mit der Natur. Ruben sagt: „integrity of creation is dealing with the whole created world“. Als ich ihn danach frage, wann er das erste Mal den Ausdruck der Integrität der Schöpfung gehört habe, verweist er auf die Anfangsjahre seines philosophischen Studiums. In den Schriften von Franziskus von Assisi
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
179
habe er die familiäre Beziehung des Gründers zu Dingen wie Wasser oder Steinen ausgemacht. Er reflektiert in einem Mix zweier Sprachen die Implikationen einer solchen Beziehung zum Universum, alles sei als lebendig zu verstehen. Saint Francis of Assisi, and his relationship to water, to Mother Earth, to sun, moon, the whole of the universe, how he related to that world. And then, he used the […] Geschwister, as brother, or sister, or mother. […] before that was for me […] one stone is [… one] stone, and water is, okay, water. And, but then when he thinks, it is so eine lebendige Erde, […] lively, everything, you know. It has got life. […] and we can relate to it so much, as a brother and sister relationship, to the whole of this material, you know. For it is not only material, then I think it is all with LIFE. […] we think with some material things, we don’t say there is life in it. […] my brothers and sisters are living creatures, are living. So then, the whole universe has got life.
Bodo verweist auf indigene Perspektiven zu ‚mystischen Realitäten‘, welche Gottes Wirken zeigen. Zwar weisen die Ordensleute als Ausgangspunkt auf die Spiritualität der jeweiligen Ordensgründer hin, doch sie wenden sich ihr mit einer interreligiösen Offenheit zu, wie sich beispielsweise in Bodos Versuch ausdrückt, in Form eines akademischen Papiers ein Konzept zu veröffentlichen, welches die Acht-Tage-Exerzitien von Ignatius von Loyola mit einer schamanisch-indigenen Perspektive verbindet. Ruben organisiert innerhalb seines Arbeitsfeldes für die Missionszentrale eine Studienreise, in der er mit den Teilnehmenden im interreligiösen Dialog die gemeinsamen Zugänge zu Fragen der Bewahrung der Schöpfung sucht. Auch Leon beschreibt die Herangehensweise in seiner Gemeinschaft als Mischung verschiedener Einflüsse, wobei er die Gründung der Gemeinschaft unmittelbar mit der spirituellen Suche verschränkt: 1st January of 1991 we started here with this project. And we call it a project because we had to develop it, and to discover what the project is by doing it. There is not so much of philosophy on it […], community life, make the experience, interconnectedness with nature, […] “let us try it”. And so, we built it, and spirituality, it started with Saint Francis but it came, became more and more cosmic. So, also Buddhist influences, […] perhaps you have heard of a, the Buddhist monk in the south of France, but also Celtic spiritualities, also Indian […]. It came all along. As far as it, it helps us to deepen our understanding of how nature is interconnected with big porches of the mystery of life, to use a neutral term.
Direkt im Anschluss verknüpft er Spiritualität weitergehend an gemeinschaftsbildende Prozesse. Die Gemeinschaft meditiere drei Mal täglich in Stille: So, we have also to look for how do we find force to express our common spirituality. And in that sense, […] the silence is very important in our life. Because
180
5 Interpretationen
when we hold our mouth, and there is, no sounds, no words, then it is more connecting than when we use words. So, we have three times a day we have periods of meditation, during the morning, after working time, and then the evening before we go to bed. And we always use the silence as a binding factor.
In ihren gemeinsamen Räumen drückten sich die drei Schwerpunkte des Zusammenlebens im Wohnprojekt – Natur, Spiritualität und Gemeinschaft – aus, wie Leon expliziert: And we have a beautiful, beautiful garden here, and for flowers, and for vegetables, and for herbs. And, well, this is the place where we practice our interconnectedness with nature. Because there nature is also our teacher. We have to learn how nature will be treated, otherwise they will not cooperate with us. Ja, it is a learning process. So, in the house we have the garden for the nature, we have our meditation room for the spirituality, and we have our house, Hauszimmer (short laughing), our room, our common room for the community life.
Es dokumentiert sich, dass Natur etwas Schönes ist, wozu Menschen eine Beziehung pflegen, aber sich auch falsch verhalten können. So beschreibt auch Ruben den negativen Gegenhorizont starker Umweltverschmutzung durch Müll in Indien. Während der Studienreise in Indien leitet er die Gruppe an, die Schönheit der Natur zu erkennen: [S]lowly at that [the] third week, we come to Kerala […]. And then, the group was so astonished to see Landschaft, die Plantage, and the beautiful nature. […] I let them there for a 15 minutes silent walk. I told them, “just be in touch with the nature. See the beauty.” […] I also told them, if you could go […] barefoot, it’s also, that is also Berühren […] it is not like, we don’t go with the […] gloves, and all, to the mother.
Die Gesprächsauszüge zeigen die von den Ordensleuten geteilte Erfahrung, mit anderen oder andere anleitend Spiritualität in Beziehung zur Umgebung zu erfahren und erfahrbar zu machen. Ergänzend zu diesen positiven Gegenhorizonten nutzt Bodo als einziger auch den Begriff der Heiligkeit in organischen, indigenen Ansätzen als Kontrast zum theoretisierten ‚Rationalismus‘. Die Gegenüberstellung zeigt sich beispielsweise in dieser Passage: Basically the whole rationalism, seen as the universe is a machine, which is not working, the indigenous people think off. For them, […] the earth is organic, so, it is neither a machine with parts (.) nor can you understand it mathematically. It is not the way the indigenous people approach it. (.) They approach it as mother, as life, as an organism. […] So, science and technology, rationalism or […] positivistic, you know, rationality, you know, they do not have the final word. […] I am saying […]: “You
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung
181
have not the last word.” You know, you cannot solve, otherwise you replace the whole religion as well. […] one replaces the other. So, if, […] you become totally dominant, hegemonic […] And so, you allow the other epistemology to have their place in, in this world also. (.) So, MY discovery of the indigenous people is that they have their own epistemology with regard to the world.
Während dieser Auszug in emotionaler Sprache, aber theoretisiert einen abstrakten negativen Gegenhorizont des rationalen Denkens beschreibt, lassen sich im Gespräch mit Leon und Ruben ‚alltagsbezogenere‘ negative Gegenhorizonte ausmachen, darunter Fragen des Konsums: Leon:
you are in the family of creations, which gives us a very basic feeling, and also it gives roots for your work, for your thinking, for the way you keep your household, for the way you don’t have a car, for the, you are very selective in the machines, also in computers but we have a couple of them of course. […] about pesticides, about all the chemical things that can hurt the nature, we try to avoid, and we are looking for alternatives.
Ruben beschreibt seine Missbilligung für einen gespritzten Apfel: [W]hen I see a big apple, […] I wanted to take it for my travel, just […] I looked at it, and “my God”, it is […] gespritzt […] I think, it is nicht normal, it’s chemicals. So, […] I really don’t want to take that. That is also a declaring of […] the protection of the creation.
In diesen Zitaten ist ein Unterschied der Zugänge der beiden Franziskaner angedeutet, der sich mit Blick auf das gesamte Material deutlicher zeigt: Während Leon eine unbestimmtere Beziehung zur Natur betont, hebt Ruben eine der schützenden Fürsorge hervor. Insgesamt zeigt sich bei allen drei Ordensleuten eine externe wie interne Handlungsorientierung. Die Gemeinschaften, in denen sie sich den Zielen zuwenden, sind nicht durch Ordenszugehörigkeit definiert. Sie beschreiben ihre eigene Spiritualität in der Gemeinschaft und (außer Bodo) den Weg zu dieser, weisen aber auch darauf, anderen die Möglichkeiten eröffnen zu wollen, ähnliche Zugänge zu entdecken. Leon grenzt sich dabei explizit davon ab, Menschen in Argumentationen anhand religiöser Verweise überzeugen zu wollen: Leon:
I am very reluctant in using spirituality as an argument. I will NEVER, NEVER give a quotation from the writings of Saint Francis to urge the friars to change their life. I will NEVER, NEVER give an, a, a sentence from the bible to, to ask of friars that we have to change their life. It, it is not the way you should use your tradition. You should LIVE out of that tradition and give people the opportunity to discover the meaning of it for nowadays life.
182 […]
5 Interpretationen I don’t think you can use ideological or spiritual arguments to change people’s life. It is, the spirituality is some, is so deep personal that people have to develop their own way of looking at things. And you cannot IMPOSE a certain way of looking at things. It has to be, to grow.
Es lassen sich folglich entscheidende Elemente der Zielinterpretationen identifizieren, die im Kontrast mit den anderen Interpretationen eine abgrenzbare Perspektive ergeben. Trotz vielen theoretisierenden Passagen enthält das Material einige dichte Hinweise darauf, dass die Interpretation auch handlungsleitende Orientierungen geben beispielsweise im Leben in der Gemeinschaft, in der Organisation von Studienreisen oder dem Verfassen wissenschaftlicher Artikel oder auch dem Anbau oder Verzehr von Lebensmitteln.
5.1.7 Kontrastierung und Typisierung der Zielinterpretationen Die zuvor vorgestellten Interpretationen komprimiere ich in diesem Abschnitt zu einer übersichtlichen Typik. Die erste Tabelle fasst die Ergebnisse der Kontrastierung zusammen. Darin werden für die Zielinterpretationen, die auf Grundlage der Gespräche rekonstruiert werden konnten, die entsprechenden ‚Ausprägungen‘ des Schöpfungsbegriffs, der Handlungsorientierung sowie die herausgearbeiteten Aspekte zu Erfahrungsräumen und Zielverfolgung knapp wiedergegeben. Die zweite Darstellung skizziert die entwickelte sinngenetische Typik in einer Abbildung, wobei die Typen entsprechend der wichtigen Unterscheidungsdimensionen ‚Schöpfungsbegriff‘ und ‚Handlungsorientierung‘ angeordnet werden. Wie im Fließtext zuvor ausgeführt, richten sich die hier als extern bezeichneten Handlungsorientierungen auf Entwicklungen und Akteure außerhalb der Ordensgemeinschaft, während Handlungsorientierungen, die als intern beschrieben werden, primär der eigenen Ordensgemeinschaft zugewandt sind. Im Abschnitt 5.1.3 wurde bereits eingeführt, dass es Aspekte gab, die sich in allen Gesprächen gleichermaßen dokumentierten. In dieser Zusammenfassung werden sie als Basistypik knapp dargestellt. Unter 5.3.1 diskutiere ich die übergreifenden Ähnlichkeiten genauer. Wie bereits durch die Darstellung erkennbar wurde, spielen die formalen Unterscheidungen der Gesprächspartner beispielsweise in Bezug auf die Ordens- oder Provinzzugehörigkeit nur dann eine Rolle, wenn sie für die induktiv ermittelte Orientierung, die bei der Zielinterpretation zum Tragen kommt, von Relevanz sind. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf Ordens- oder Provinzzugehörigkeit diskutiere ich darüber hinaus am Ende dieses Kapitels (Tabelle 5.1 und Abbildung 5.1).
Soziale Einrichtung, Gefängnis
Extern
Wissenschaft und Lehre
Soziale Aufgabe Anthropozentrisch
Erfahrungsraum
Jesuitische Hochschule
Handlungsorientierung (dominant)
Extern
Schöpfungsbegriff
Ökologisch
Ziel wird entsprochen durch…
Zielinterpretation
Tabelle 5.1 Zusammenfassung der Kontrastierung
Fürsorge für und Befähigung der sozial Ausgegrenzten
Seelsorger; Unterstützer Egoismus und Utilitarismus; Passivität; Einrichtungen mit schlechter Hygiene; Verantwortung und Fürsorge für Mitmenschen; Inklusion Ausgeschlossener; Einrichtungen mit guter Hygiene
(Fortsetzung)
Forschen, Lehren, Beraten; (Nachwuchs fördern)
Strategien der Zielerreichung
Engagierter Wissenschaftler; Dozent
Eingenommene Rollen
Ignorante Entscheidungen politischer Entscheidungsträger; Interesse an Umweltforschung mit rein ökonomischen (und kurzsichtigen) Kriterien; kleine, illusorische Projekte einzelner Forscher
Negative Gegenhorizonte
‚Genuines‘ Wissenschaftsinteresse orientiert am Gemeinwohl; technischwissenschaftlich informierter Umgang mit Herausforderungen
Positive Gegenhorizonte
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung 183
Interne Ausbildung
Ziel wird entsprochen durch…
Zielinterpretation
Ökologisch
Schöpfungsbegriff
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
Intern
Handlungsorientierung (dominant)
Priesterseminar; ordensinterne Gremien zur Ausbildung
Erfahrungsraum
Bewusstsein, was wissensbasiertes Handeln ermöglicht; Langfristigkeit; Versuch ‚ökologisches Gleichgewicht‘ wiederherzustellen z. B. durch philippinische Bäume pflanzen
Positive Gegenhorizonte
Eingenommene Rollen
Lehrer; AusTeilnahmsbilder losigkeit, Indifferenz, Oberflächlichkeit; Kurzfristigkeit; gedankenlose Nachahmung; rein formale Pflichterfüllung aufgrund des Ausbildungscurriculums
Negative Gegenhorizonte
(Fortsetzung)
Integration von JPIC in Ausbildungscurriculum; Leuchtturmprojekte innerhalb der Ausbildungshäuser
Strategien der Zielerreichung
184 5 Interpretationen
Schöpfungsbegriff
Ökologisch Aktivismus/ Politische Aufgabe
Ziel wird entsprochen durch…
Zielinterpretation
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
Extern und/ oder intern
Handlungsorientierung (dominant)
Lokale Umweltzerstörung/ Kommunität/ Organisationen und Gremien des Ordens, bes. JPIC-Gruppen
Erfahrungsraum
Soziale Bewegungen und Zivilgesellschaft; franziskanische (JPIC-) Spiritualität; nachhaltiger Lebensstil & sapat na; prophetische Rolle der Ordensgemeinschaften; (einflussreiche Vertreter der Orden und der verfassten katholischen Kirche)
Positive Gegenhorizonte
Macht- und kapitalkonzentrierende Akteure, besonders große, transnational agierende Unternehmen und Regierungen; Konsumismus; Trägheit/Mainstream-Verhalten anderer Ordensbrüder; Kontemplation; technisiertes Wirtschaften
Negative Gegenhorizonte
Aktivist; Aufklärer; Ermittler; Lobbyist intern und extern; Provokateur
Eingenommene Rollen
(Fortsetzung)
Politische Einflussnahme/ advocacy; zivilgesellschaftliches Engagement; Bewusstseinsbildung; Lebensstilwandel; lokale Untersuchung von Missständen
Strategien der Zielerreichung
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung 185
Spiritualität
Ziel wird entsprochen durch…
Zielinterpretation
Handlungsorientierung (dominant)
Erfahrungsraum
Positive Gegenhorizonte
Erweitert öko- Intern und/oder Gemeinschaft; Meditation; logisch extern Natur; Geistes- Stille; wissenschaften harmonisches Miteinander; Grenzen zwischen Menschen z. B. wegen religiöser Doktrinen überwinden; ganzheitliche Zugänge zu Natur und Gemeinschaft; Pflege der Natur; Schönheit der Natur; Heiligkeit
Schöpfungsbegriff
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
Rationales, fremdbestimmtes Leben; Fokus nur auf Broterwerb; Disharmonie; Umweltverschmutzung durch Müll und Gift; umweltzerstörerischer Lebensstil
Negative Gegenhorizonte
Gemeinschaftsmitglied; Leiter von spirituellen Erfahrungen; Theologe
Eingenommene Rollen
Meditation; Schweigen; im Orden für Freiräume werben; Kurse und Reisen mit Fokus Schöpfungsspiritualität; von anderen Religionen und Traditionen lernen
Strategien der Zielerreichung
186 5 Interpretationen
Interne und/oder externe Handlungsorienerung
Akvismus (Michael, Marn; Pablo und Camilo; Alon; Bill)
Wissenscha und Lehre (Thomas, Steve (s.u.))
Abbildung 5.1 Sinngenetische Typik der Zielinterpretation
Ausbildung neuer Ordensmitglieder und Priester (Cristoforo)
Spirituelle Aufgabe (Leon, Ruben; Bodo)
Interne Handlungsorienerung
(Kompabilität mit Experteninterpretaon)
Ökologischer Schöpfungsbegriff
b) (Unaufgeforderte) Verhältnisbesmmung der Befragten bezüglich Ziel und Ordensgemeinscha
Externe Handlungsorienerung
(Typen in grauen Feldern)
Basistypik:
a) Herausforderung der Gegenwart verknüp mit normavem Moment des Handeln-Sollens;
Soziale Aufgabe (Ron, Karl)
Interne und/oder externe Handlungsorienerung
(Keine Kompabilität mit Experteninterpretaon)
Anthropozentrischer Schöpfungsbegriff
5.1 Zielinterpretationen und ihre Kontrastierung 187
188
5 Interpretationen
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung In diesem Abschnitt setze ich die erarbeitete Typik mit dem weiteren Datenmaterial in Beziehung. Hierbei nutze Interviews ebenso wie Aufnahmen und Feldnotizen aus teilnehmenden Beobachtungen. Über die Frage hinaus, ob sich die Interpretationen auch bei weiteren Ordensleuten vermuten lassen, qualifiziere ich die Typik auch in Bezug auf mögliche weitere Typen, die in der Auswahl der Gespräche nicht aufgenommen werden konnten, und in Bezug auf Spielarten von bereits dargestellten Typen, die ebenfalls auf Grundlage des Datenmaterials vermutet aber als solche nicht präzise rekonstruiert werden konnten.14
5.2.1 Die jesuitische Hochschule als Konglomerat von Orientierungen Kann in Bezug auf das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung beziehungsweise der Bewahrung der Schöpfung von einem konjunktiven Erfahrungsraum „(jesuitische) Hochschule“ gesprochen werden, der zu Interpretationen des Ziels als Aufgabe für Wissenschaft und Lehre führt? Ich sprach im Rahmen des Forschungsprojektes mit acht Jesuiten, die zum Zeitpunkt des Gesprächs hauptberuflich an Hochschulen arbeiteten (fünf Jesuiten) oder diese leiteten (drei Jesuiten). Darunter waren Naturebenso wie Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler.15 Bei genauer Sichtung des Materials zeichnet sich einerseits die Gemeinsamkeit ab, Wissen zu generieren und dieses nutzen zu wollen. Andererseits unterscheidet sich die beschriebene Art der Nutzung sowie die Fokusse der Gesprächspartner bei der Ausführung des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung. Im Vergleich von dem Naturwissenschaftler Thomas und Alon, der in
14Teile
des Datenmaterials sind aufgrund ihrer Verfasstheit zur Analyse mit der dokumentarischen Methode weniger geeignet als die rekonstruierten Gesprächspassagen. 15Eine Analyse all dieser Interviews anhand der dokumentarischen Methode wäre besonders dadurch erschwert worden, dass viele der Gespräche für eine solche Analyse aufgrund der Gesprächsführung oder -situation nicht gut geeignet sind, da sie unter großem Zeitdruck oder mit einem anderen Leitfaden innerhalb der explorativen Phase geführt wurden oder – in einem Fall – nicht aufgezeichnet werden konnten. Darüber hinaus überstiege eine entsprechende Auswertung den möglichen Umfang des Forschungsvorhabens, der aufgrund der Verfasstheit der Daten in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn gestanden hätte.
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung
189
seiner Rolle als Hochschulleiter eine aktivistische Perspektive in Bezug auf Versöhnung mit der Schöpfung einnimmt, wird bereits deutlich, dass sich die Handlungsorientierung in Bezug auf das Ziel trotz des gemeinsamen Erfahrungsraums unterscheiden kann. Ricardo ist Theologe und promovierter Wirtschaftswissenschaftler und leitend an einer jesuitischen Hochschule tätig. Wie Thomas vermittelt auch Ricardo beratende Wissenschaft als aktuelle Aufgabe der Jesuiten. Beide teilen einen problemorientierten und handlungsorientierten Zugang, der beispielsweise in der Forderung fokussiert ist, lokale Regierungen in Bezug auf mögliche Naturkatastrophen dazu zu befähigen, wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen. Beide Jesuiten teilen nichtsdestotrotz die Einordnung des Ziels als etwas Bestätigendes in Bezug auf ihr umweltbezogenes Engagement als engagierte Wissenschaftler (siehe zweites Zitat unten). Gleichzeitig sind relevante Unterschiede erkennbar. Mögliche Naturkatastrophen spielen im Gespräch mit Thomas eine Rolle, sind aber eingereiht in eine Vielzahl von Umweltproblemen, die Thomas „interessieren“, wie zum Beispiel auch Luftverschmutzung aufgrund von Straßenverkehr und Energieerzeugung. Im Gespräch mit Ricardo hingegen ist der problemorientierte und handlungsorientierte Zugang eingebettet in die Erfahrung jüngster Katastrophen, welche das Handeln in dem Bereich antreiben. The challenge really is to look for practical things. So, things like that. Energy conservation, developing a green campus in actual practice, mitigation of travel, and what is very clear now in the last two, three years where typhoons and really strong typhoons have hit us is that there is another focus on disaster risk reduction management and therefore like all the Jesuit schools would like to be involved in actual training of local governments, village governments and local communities in drawing up disaster risk reduction plans, you know, from early warning systems with how do we track if a typhoon is coming and how do we alert the people? […] And then, on the longer term, when you try to prevent these to really help with city planning to be able to identify key areas where, which are really hazardous and vulnerable […] to be able to say: “Well, we should not [have] been building there. We should not have houses there.”
Im Anschluss an die Frage der Interviewerin, inwiefern das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung Ricardos Arbeit und Alltag beeinflusst hat, korrigiert Ricardo den immanenten Gehalt der Frage, das Ziel selbst hätte zu bestimmten Aktivitäten geführt. Dies veranschaulicht der folgende Auszug aus der Antwort. Er nimmt auf den tropischen Sturm Sendong (internationaler Name: Washi) aus dem Jahr 2011 Bezug:
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5 Interpretationen
Ricardo:
Like, for example, Sendong happened. We were responding to Sendong, right? This is the typhoon […] which flooded the city and with 10 000 people died. We were at the center of it. So, this big typhoon happens. Certainly, we responded to the typhoon because there was a typhoon. We did not respond to it because the decree was there, right?
JG:
I see.
Ricardo:
So, that is what I am saying. But certainly, when you respond, then you really say: “Yes, that is very much part of the mission that the Society of Jesus has given.” Okay, so, in that sense, when we were doing relief work for the, for the, for the victims of Washi and when we did the relocation sight […] Certainly you know that one is very much in line with reconciliation with creation.
Die genannten Aktivitäten – Soforthilfe, Wiederaufbau und (nachhaltig angelegte) Umsiedlungsprogramme – verweisen auf einen starken Bezug zu Katastrophen und Katastrophenschutz. Die inhaltlichen Aspekte der humanitären Hilfe im Sinne von Soforthilfe und Rehabilitation sowie der dezidierten Versuche, das Katastrophenrisiko zu vermindern (siehe erstes Zitat von Ricardo) bei Thomas wie auch bei Alon keine oder eine untergeordnete Rolle. Eine Facette der Interpretation als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre ist darüber hinaus der Fokus eines Umbaus zu einer nachhaltigen Hochschule. Besonders deutlich wurde diese im Gespräch mit dem philippinischen Jesuiten und Leiter einer jesuitischen Hochschule Flavio. Intensiv berichtete der philippinische Jesuit Flavio beispielsweise von seinen Bemühungen, als Hochschulleiter auf dem Campus ein besseres und Fußgänger*innen freundlicheres Verkehrssystem einzurichten, oder von Umweltbelangen, in alltäglichen gestalterischen Verwalten des Campus wie im folgenden Zitat: JG:
So, if you think about maybe just the last week, […] how was your work related to (short pause) the environment and development theme? Can you come up with other examples?
Flavio:
Ohh, ahh, (short pause) I’m always, ja, we’re always, just the campus planning is an environment issue. In fact, today even, just today, I was already asking them about our solar project because we want to energize, we want to bring it solar energy as well and a little hydro. Okay, so, we have a project, you know, to install these things and then last week we were looking at the shuttle system, an electric shuttle system. So yeah, there is always an environmental thing that (short laughing) –
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung
191
Es lassen sich in Bezug auf verschiedene Erzählungen zu Bemühungen, die Bildungseinrichtungen der Jesuiten umweltfreundlicher zu gestalten, diverse Überschneidungen der Zielinterpretationen des Aktivismus, der internen Ausbildung und der Wissenschaft und Lehre ausmachen. Alon:
So, in giving talks on transformative education, and I give quite a few of them, the environment is always a concern which the school seeks to address (short pause) in the ways that it can. First through educating the kids to be environmental conscious, but then also in finding there, there niche in advocacy which allows them to be transformative and prophetic in society. (short pause) No matter the cost. We say that this is the prophetic role of the schools (short pause), you know, that because of their CATHOLIC nature and their commitment to the FULNESS of life that Jesus comes to bring.
Dabei geht mit dem Ziel der Bewusstseinsbildung eine transformative, handlungsorientierte Hoffnung einher. Gegenwärtig wie zukünftig soll das Bewusstsein sich auch auf die Handlungen der Ausgebildeten niederschlagen. Während die meisten Ordensleute, die an Hochschulen oder Schulen tätig sind, einen Bezug zwischen ihrer Position an der Hochschule und der Verwirklichung des Ziels in ihrem Alltag herstellen, gilt dies jedoch nicht für alle. Es zeigt sich, dass es keine notwenige Verbindung von der Angebundenheit an Hochschule und den Orientierungsrahmen der Wissenschaft und Lehre oder einer anderen für den Hochschule-Alltag relevanten Interpretation in Bezug auf das Ordensziel gibt. Der gemeinsame Erfahrungsraum von Ordensleuten muss folglich nicht mit einer ähnlichen Interpretation einhergehen. Vielmehr unterscheiden sich die Ordensmitglieder darin, welche soziale Welt handlungsleitend für das Thema relevant ist und auch darin, welche Rollen und Strategien zur Zielerreichung sie innerhalb einer Gemeinschaft oder eines konjunktiven Erfahrungsraumes einnehmen, auch wenn sie „durch gemeinsame Erlebniszusammenhänge verbunden sind“ (Bohnsack 2014: 61).
5.2.2 Der anthropozentrische Schöpfungsbegriff Das Interview mit dem deutschen Jesuiten Karl führte ich unter Zeitdruck im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung, die ich auch im Kapitel zu Verhandlungen diskutiere. Ich wich in der Befragung deswegen entscheidend vom Leitfaden ab. Unter anderem fragte ich im Schwerpunkt nach ‚Umwelt‘
192
5 Interpretationen
und weniger nach dem Ausdruck der Versöhnung mit der Schöpfung. Karls Antworten fielen teilweise sehr knapp aus. Aus diesen Gründen kann zu entsprechenden Hinweisen keine sinnvolle Überprüfung auf Homologie anhand der dokumentarischen Methode erfolgen (Nohl 2012: 46). Trotzdem sind verschiedene Ähnlichkeiten mit der Zielinterpretation des Typs ‚soziale Aufgabe‘ zu erkennen, wie ich in diesem Abschnitt aufzeige. So ist auch im Gespräch mit Karl eine anthropozentrische Zuspitzung des Schöpfungs- bzw. Umweltbegriffs erkennbar, wie beispielsweise in diesem Auszug: Karl:
[F]rüher hat man gesagt: „Wichtig ist, dass der einzelne Jesuit gut ausgebildet ist, asketisch lebt, gehorsam lebt natürlich und, und durch seine gute Ausbildung und vorbildlichen Lebensstil auch anderen Leuten Vorbild sein kann.“ Das hat sich ein bisschen verschoben. Das gehört auch dazu, aber heute sagt man: „Wichtig ist genauso das Zusammenleben einer Kommunität, wie […] eine Gruppe von Männern miteinander auskommt, wie die sich gegenseitig helfen oder nicht helfen usw.“ Das hat auch eine starke Außenwirkung, auch wenn man das nicht immer sieht. Also, das hat auch was mit Umwelt, also Umwelt sind in dem Fall […] in dem Sinn sind die Menschen, zu denen ich gesandt bin.
Karl expliziert im Gespräch die sozialen Aufgaben der eigenen Hauptbeschäftigung als ‚Umweltarbeit‘. Karl und Ron greifen im Konkreten jedoch auf unterschiedliche Erfahrungsräume zurück. Auch wenn sie beide mit sozialen und seelsorgerischen Aufgaben betraut sind und auf diese verweisen, arbeiten sie in Bezug auf die Forschungsfragen in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Ron arbeitet als Gefangenenseelsorger überwiegend mit Ordensexternen, Karl mit Jesuiten seiner Provinz. Ähnlich wie der Gefangenenseelsorger Ron delegiert Karl an anderer Stelle des Gesprächs Umwelt in seiner ökologischen Dimension an Experten im Orden sowie an spezifische Institutionen des Ordens. Anders als Ron zu Versöhnung mit der Schöpfung expliziert Karl in Bezug auf Umweltfragen keinen Moment der Weisung von Seiten der Provinzleitung.16 Vielmehr vermittelt er Ökologie als Thema mancher Jesuiten und jesuitischen Kommunitäten seiner Provinz. Auf den Ausdruck der Versöhnung mit der Schöpfung und auf die Dekrete der 35. Generalkongregation kommt er von sich aus nicht zu sprechen. Darauf angesprochen ordnet er die Entscheidung ordensgeschichtlich ein, beginnend mit der 32. Generalkongregation, die Glaubens-
16Während
seines Vortrags, den er am nächsten Tag hält, sagt er sogar explizit, es gäbe ihn nicht (vgl. Kapitel zu Verhandlungen, Unterkapitel Verhandlung in einer ökumenischen Umweltgruppe).
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung
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verkündigung und Einsatz für die Gerechtigkeit verschränkte. Ökologie reiht er ein als eins der Themen, die der Orden aufgriff um zu beantworten: „Was heißt Glauben verkünden […] heute?“ Eine dezidierte Erwartungshaltung durch die provinziale Ordensleitung, sich dem Thema anzunehmen, zeigt sich auch implizit nicht. Auf kommunikativer Ebene stellt Karl im Gespräch (und auch bei einem Vortrag im Rahmen der Tagung, an der ich beobachtend teilnehme) im Gegensatz zu Ron mehrfach klare Bezüge zum Lebensstil in jesuitischen Gemeinschaften her. Er nennt verschiedene Lebensstil-Aspekte wie Ernährungs- und Mobilitätsfragen, über die in verschiedenen Kommunitäten unterschiedlich entschieden wird. Die Bedeutung ökologischer Argumente relativiert er allerdings wiederkehrend als nicht allein ausschlaggebend für die jeweilige Entscheidung, beispielsweise in Bezug auf die Entscheidung, oft Zug zu fahren und nicht Auto: Karl:
[I)ch habe auf alle Fälle selbstverständlicher Weise eine Bahncard50, weil ich […] die meisten Strecken mit der Bahn fahre auch aus ökologischen Gründen, auch aus Bequemlichkeit, aber auch aus ökologischen (lacht). Ne, also, das soll man auch nicht alles so hoch idealisieren. Es ist auch einfach manchmal einfacher und bequemer und vernünftiger auch.
Das Gespräch mit Karl ist trotz der Unterschiede ein Hinweis darauf, dass die Interpretation des Ziels als soziale Aufgabe sich auch bei anderen Jesuiten finden lassen könnte. In Bezug auf die Frage, wie Ordensleute Umweltschutzziele interpretieren, zeigt das Material verschiedene Aspekte auf, die mit einer Interpretation als soziale Aufgabe verknüpft sind, darunter eine handlungsbezogene Distanz zu ökologischen Zielinterpretationen im Vergleich mit alternativen Zugängen zum Ziel einhergehend mit dem Verweis auf Experten innerhalb des Ordens. Die konkrete Interpretation von Versöhnung mit der Schöpfung als sozialer Aufgabe, wie sie besonders die Gefangenenseelsorge leistet, ist im Datenmaterial dieses Forschungsvorhabens ein Einzelfall.
5.2.3 Die Aktivierung des organisationalen Gedächtnisses und Gerechtigkeit Im Abschnitt zur Interpretation der Ziele als aktivistische Aufgabe stellte ich die Spielart dar, Bewahrung der Schöpfung vor dem Hintergrund von Gruppen zu interpretieren, die zu den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung arbeiten und die einen Bezug zum politischen Engagement dieser
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5 Interpretationen
Gruppen in den letzten Jahrzehnten herstellen. Darauf aufbauend befasst sich dieser Abschnitt mit der Frage, inwiefern Ordensleute das Ziel mit Rückgriff auf Themen interpretieren, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihren Orden etabliert wurden. Sowohl in der philippinischen wie auch in der deutschen franziskanischen Gemeinschaft stehen die beiden Gesprächspartner Bill und Martin, deren Perspektiven die Grundlage des oben stehenden Abschnittes zum Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen bilden, nicht allein. Auf den Philippinen wie auch in Deutschland stellten weitere Franziskaner verschiedener Generationen den Zusammenhang zwischen den Themen, zu den bestehenden Gruppen und zu deren Aktivitäten in der Vergangenheit her. Sie verwiesen auch auf den politischen Kontext ab den 1970er Jahren. Die folgenden zwei Interviewpassagen mit dem deutschen Franziskaner Klaus verdeutlichen die Ähnlichkeit mit der zuvor rekonstruierten Interpretation: JG: [K]annst Du mir vielleicht erstmal nochmal ganz von vorne beschreiben, inwieweit Dich das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ überhaupt in den letzten Jahren interessiert hat. Da weiß ich ja noch gar nichts über Dich.17 Klaus: Gut. Ich bin eben seit 30 Jahren im Thema ‚Gerechtigkeit und Frieden‘ dran, oder seit, ja, seit 34 Jahren, bin ich an dem Thema dran. Die Ökologie kam da erst spät. Gut, was klar war, war immer Franziskus, Patron, also Franziskus als jemand, der mit der Schöpfung sehr eng zusammenhing. Das war immer schon klar, ne. […] Aber dann als die Grünen kamen, mit dem Thema ‚Atom‘, das war direkt mein Thema, also gegen Atom war ich von Anfang an. […] und auch Mülltrennung, war ich schon von Anfang an mit dabei. Also das war schon immer im Bewusstsein. Dann, Franziskus, Patron der Umwelt, seit 35 Jahren, das ist natürlich auch ein Bewusstsein gewesen, das bei uns da war. Dann sind wir in den letzten Jahren mehr dazu gekommen, zum Thema Ökologie. JG: [N]ehmen wir mal an, ich würde jetzt irgendwie noch nichts darüber wissen, über Ökologie bei den Franziskanern, wie würdest Du mir denn
17Die
Interviewführung passte ich an die sehr spezifische Situation an. (Das Einzelgespräch schloss an ein Gespräch an, was ich mit Klaus und einem weiteren Franziskaner gemeinsam geführt hatte.) Trotzdem lässt sich eine ähnliche Orientierung auf Grundlage von Passagen wie dieser meiner Meinung nach vermuten.
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung
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erklären, wie so das Thema in eurer Arbeit auch im internationalen Kontext so reingekommen ist? Klaus: [Pause] Ich denke, es ist wahrscheinlich parallel zu der Entwicklung, dass es gesellschaftlich so, also das Friedensthema kam bei uns auch wieder stark rein, weil es eine Friedensbewegung gab. Das Ökologie-Thema kam wahrscheinlich auch stark rein, weil es eine Ökologie-Bewegung weltweit gab. Die hat uns inspiriert, unserer Tradition gemäß zu leben. […] JG: […] Was sind denn da die Herausforderungen im Bereich der Bewahrung der Schöpfung, die, wenn man das so in koordinativen Rollen bearbeitet, das Thema. Klaus: Die große Herausforderung finde ich darin dass (..), für die Armen der Welt die Klimaveränderungen einen ganz negativen Einfluss haben. Also, es werden Inseln verschwinden, im südlichen Teil des Landes, es wird Unwetter geben, es wird eine Verwüstung geben, die voran geht, und die wahnsinnige Flüchtlingsbewegungen auslösen, und das alles wegen unserem Lebensstil. Das ist so ein Impuls für mich, würde ich einmal sagen. Dass man weiß, dass die Armen der Welt dafür zahlen müssen, dass wir hier so reich leben, (..), mit der Ökologie. Klaus spricht über politische Themen in Deutschland und besonders über Themen der Umweltbewegung, welche diese als Teil der ‚neuen sozialen Bewegungen‘ seit den 1970er Jahren setzte. Wie alle Franziskaner der deutschen Provinz, die diesen Rahmen spannten, adressiert Klaus in Bezug auf ihren gegenwärtigen Alltag Bewahrung der Schöpfung primär als einen Auftrag an den Lebensstil mit entsprechenden Themen wie Energie, Fleischkonsum oder Lebensmittel allgemein. Dabei zeigt sich wiederholt nicht nur eine organisationsgeschichtliche Verknüpfung der Themen von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, sondern auch der inhaltliche Zusammenhang besonders zwischen ökologischen Problemlagen und weltweiter (Un)Gerechtigkeit beziehungsweise einer ‚Option für die Armen‘ wird betont. Deutsche Franziskaner mit dieser Interpretation berichten darüber hinaus, es hätte früher mehr aktivistisches Engagement vonseiten ihrer Orden gegeben in dem Sinne, dass mehr Mitglieder sich an Aktionen der ‚neuen sozialen Bewegungen‘ und denen der interfranziskanischen Gruppen beteiligt hätten. Als Gründe dafür ziehen sie erstens abnehmendes Interesse an den Themen und zweitens weniger junge Ordensbrüder in der Provinz heran. Während der Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen basierend auf meinen Analysen als spezifisch franziskanischer bezeichnet werden kann, lassen sich Ein-
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5 Interpretationen
bettungen des Ziels durch Rückgriffe auf zuvor im Orden etablierte Themen auch bei Jesuiten rekonstruieren. Überwiegend stellen sie einen Zusammenhang her zwischen Versöhnung und dem Begriff der Gerechtigkeit. Sie unterscheiden sich allerdings dahingehend, wie sie dies tun. Unter Anderem bei der Analyse von Alon, der als Aktivist gegen lokale Umweltzerstörung vorgestellt wurde, zeigte sich bereits ein deutlicher Bezug zu dem Thema der sozialen Gerechtigkeit: „SOCIAL JUSTICE INCLUDES the environment“ (siehe oben). Für ihn stellt Versöhnung mit der Schöpfung eine ‚Dimension ‘ der Mission der Gesellschaft Jesu dar. Dabei steht die Betonung des Ziels durch die 35. Generalkongregation in einer Tradition der jüngsten Generalkongregationen, die jeweils verschiedene Facetten dieser Mission hervorhoben. Dass diese Tradition von Bedeutung für seine Zielinterpretation ist, zeigt sich bereits daran, dass Alon das Gespräch unmittelbar mit diesem Wissen beginnt: JG:
Maybe, in the beginning, I would be interested in what reconciliation with creation really means for you.
Alon:
(pause) Well, the term reconciliation with creation was a term used by General Congregation 35, in the Society of Jesus. It added a dimension to our mission which had not been earlier articulated. Though it had been discussed in the= for a before, °right°? I do not know how far the General Congregation 30, 30, 32 (short pause) had brought about the relationship between the faith and justice. General Congregation 34 brought out the INTER-relationship between faith, justice, sensitivity to cultures and interreligious dialogue. And, General Congregation 35 brought out the, the dimension of the environment, of the ecology. (short pause) General Congregation 35 looked therefore at the mission of the Society of Jesus, FROM the aspect of our relationship with God, with one another, and with, with, with creation, with the environment. And FRAMED therefore our Jesuit mission in these terms.
Für den Schweizer Michael, der ebenfalls im Unterkapitel zu Aktivismus vorgestellt wurde, lässt sich Gerechtigkeit hingegen als eine persönliche ‚Erkenntnis‘ durch seine Mitgliedschaft im Orden rekonstruieren, die er im Rahmen des Ordensdiskurses erlangte, während sein ökologisches Anliegen bereits vor dem Ordenseintritt bestand. Er sieht in dem Zusammenhang zwischen dem jesuitischen ‚Einsatz für Gerechtigkeit‘ mit ökologischen Problemen nicht zuletzt die Chance, Mitbrüder, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, argumentativ davon zu überzeugen, sich ebenso für Ökologie einzusetzen. Einerseits stellt für ihn die in der Gesellschaft Jesu etablierte Perspektive der Gerechtigkeit einen sinnvollen und unterstützenswerten, andererseits einen nützlichen Bezugspunkt in Bezug auf Versöhnung mit der Schöpfung dar.
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung
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Der deutsche Jesuit Konrad hingegen sieht in der Etablierung des Themas der Gerechtigkeit im Orden eine mögliche Vorlage für die Etablierung eines noch nicht verankerten Themas im Orden, wie er dies für das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung wahrnimmt. Er zieht folglich Parallelen, ohne die Ziele thematisch zu verknüpfen. Die Verknüpfung von Glaube und Gerechtigkeit etablierte sich im Orden durch einen konfliktiven Prozess, der in der 32. Generalkongregation seinen Höhepunkt fand. Von der [35.] Generalkongregation in den letzten Dekreten wurde ja auch sehr stark über die Schöpfung und über die Umwelt und sowas geschrieben, ne. […] Aber es ist sicher, bis dann sowas mainstream wird, das dauert noch, ne. Zum Beispiel 1974 bei der Generalkongregation hat ja der Pater Arrupe und die Leute, die haben ja damals dieses ‚der Dienst am Glaube und der Einsatz für die Gerechtigkeit‘, das war so das Motto, ja. Und das hat eine riesen Diskussion im Orden ausgelöst, ja. Wie kann man das beides zusammen denken? Einsatz für die Gerechtigkeit ist alles so marxistisch und links und kommt aus Lateinamerika, Befreiungstheologie; das hat mit uns nichts zu tun, ja. Bis das mainstream wurde, das hat bestimmt zwanzig Jahre gedauert, ja, ne. Also, heute würde kein Jesuit, den ich kenne, sagen, dass Einsatz, Dienst am Glauben, Einsatz für die Gerechtigkeit nicht zusammenhängt. […] Aber damals war das fast ein Grund für die Spaltung des Ordens, ja, ne. Und so glaube ich, ist es mit dem ökologischen Thema vielleicht auch, ne. Das wurde bei der letzten Generalkongregation stark in den Vordergrund gesetzt, aber es wurde jetzt, gut, aber es ist jetzt nicht so ein Thema, wo jetzt alle drüber reden. Damals, das war das Thema. […] wenn eine Generalkongregation, ne, das Thema viel stärker betonen würde, ja, dann könnte es innerhalb des Ordens und auch über den Orden hinaus […]vielleicht einen ganz anderen Wiederhall finden, als es zurzeit ist, ja. Das ist sicher.
Einige weitere meiner Gesprächspartner stellten den Zusammenhang zu der 32. und der 34. Generalkongregation und damit auch zu den Schwerpunkten der Gerechtigkeit und des interkulturellen Dialogs während unseres Gesprächs her. Jeweils konstruierten sie dabei leicht variierende ‚Varianten‘. Der Blick auf das Gesamtmaterial zeigt, dass bei Franziskanern die Verknüpfung des Ziels mit den Zielen der Gerechtigkeit und des Friedens nahezu immer mit Zügen einer aktivistischen Interpretation und mit Verweisen auf die dazu arbeitenden Gruppen einhergeht. Dies lässt sich für Jesuiten, die den Bezug zu Gerechtigkeit herstellen, nicht in ähnlicher Weise beobachten. Die geschichtliche Einbettung erfolgt durch den Verweis auf die Generalkongregationen des 20. Jahrhunderts und die damit verknüpften Schlagworte, damit geht allerdings nicht unbedingt die Interpretation von Versöhnung mit der Schöpfung als politische Aufgabe einher. Ausgehend von der Rekonstruktion der Interpretation, die Schöpfung zu bewahren beziehungsweise sich mit ihr zu versöhnen sei ein aktivistischer Auftrag, konzentrierte sich der Abschnitt auf Verknüpfungen mit organisationalem
198
5 Interpretationen
Wissen zu den GFBS-Gruppen und zu den entsprechenden Themen. Im folgenden Kapitel werde ich weitere Bezüge zur Organisationsgeschichte darstellen, die Ordensleute zur Bewertung des Ziels als Ordensziel nutzen.
5.2.4 Die (Un-)Sichtbarkeit der Spiritualität Durch die Rekonstruktion anhand der dokumentarischen Methode konnte ich einen Typ identifizieren, wonach das Ziel, sich mit der Schöpfung zu versöhnen bzw. sie zu bewahren als spirituelle Aufgabe interpretiert wird. In diesem Abschnitt möchte ich reflektieren, inwiefern ich auf Grund meines umfassenden Materials von den rekonstruierten Gesprächspassagen abstrahieren kann. Dabei stellt sich die Herausforderung bei diesem Typ insofern besonders, da Spiritualität nicht unbedingt im gleichen Maße wie andere soziale Welten (für mich) beobachtbar und (für die Gesprächspartner) beschreibbar ist. Im Gespräch mit den Ordensleuten Ruben, Bodo und Leon explizierten sie die Bedeutung der Spiritualität für mich mit einer hohen Dichte von Theoretisierung. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass Erzählungen und Beschreibungen zu spirituellen Erfahrungen entweder per se schwieriger zu artikulieren sind, weil es sich zumeist nicht um kognitiv-sprachlich ‚ablaufende‘ Ereignisse handelt beispielsweise im Vergleich zu politischen Auseinandersetzungen oder wissenschaftlichen Forschungsprojekten, die mit sprachlich artikulierter Interaktion einhergehen. Den drei Gesprächspartnern Ruben, Bodo und Leon könnte es einfacher gefallen sein, kollektive spirituelle Erfahrungen zu adressieren, da sie im Rahmen des Wohnprojektes oder als Kursleiter ihre besondere Perspektive mit Blick auf das Thema vor unserem Gespräch schon mehrfach expliziert hatten. Davon ließe sich nicht ableiten, inwiefern andere Gesprächspartner einen ähnlich spirituellen Zugang teilen. Darüber hinaus ist möglich, dass meine Fragen oft nicht als solche verstanden wurden, die Spiritualität einschließen, und deshalb dieser Aspekt teilweise nicht erfasst wurde. Das kann insbesondere auf Gespräche in der explorativen Phase gelten, in denen ich weniger erzählstimulierend und mehr nach Bewertungen fragte. Doch auch danach wiesen einige Gesprächspartner am Ende des Gesprächs darauf hin, den Bereich der Spiritualität entgegen seiner Bedeutung für das Thema kaum adressiert zu haben. Auf die Frage am Ende des Gesprächs, ob wir über einen wichtigen Aspekt nicht gesprochen hätten, antwortet beispielsweise der Jesuit Alon:
5.2 Ergänzungen zu Kontrastierung und Typisierung Alon:
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I think the (pause) perhaps an area that we have not spoken about […] trying help people articulate (short pause) some spiritualties that would be more sensitive °to the environment°. Or, it becomes part of the way of conversing with God and nature that […] they appreciate the environment °more°. (short pause) As God’s gift and therefore as something to be protected and cherished.
Für Alon rekonstruierte ich hingegen eine primär extern orientierte aktivistische Zielinterpretation. Ähnlich erging es mir mit dem Franziskaner Bill, der ebenfalls das Ziel im Gespräch als extern aktivistisch interpretierte (vgl. zu seinem Orientierungsdilemma jedoch Abschnitt 5.1.4 und 5.1.5). Am Ende des Gesprächs vermittelt er mir die Bedeutung der Spiritualität für sein Engagement besonders am Beispiel des interreligiösen Dialogs. Die Spiritualität, sagt er, ist das, was ihn in harten Zeiten dazu bringt, weiter zu machen: JG:
So, we have already named a lot of activities and questions with regard to integrity of creation. Do you think we have forgotten any important ones that were important in your life with regard to integrity of creation over the last years? (long pause)
Bill:
No, this, the spiritual part, the spiritual part. (short part) And also the contribution of the indigenous peoples, people. They have a deeper (thinking) sense with the integrity of creation.
JG:
So, the spirituality, what do you mean? How is it important for this topic in ways that we have not addressed?
Bill:
(pause) Also the ecofeminism. There is also ecofeminism. No, it what way we have not discussed?
JG:
I mean, how is it important for you? Just to –
Bill:
Yeah. That is because the spirituality is the one which will keep you on it.
JG:
On it?
Bill:
Because you will be facing hard times. You will be, yeah, I encountered this already, you know, especially with dialogue, you know. You do everything, then someone will throw granate. So Christians, they will be hurt. So you start again. Back to zero, you know? So then, back again.
JG:
So, what do you do? You said you worked on the –
Bill:
The spirituality is, it, it will you, it will give you more (short pause) deeper, deeper sense, deeper commitment, you know. Not on, on the activities only but it is really part of you being °something°.
JG:
So, in concrete terms, I am sure you have been thinking about ‘why am I doing this’. What would you do or what did you do in the past.
Bill:
For?
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5 Interpretationen
JG:
When this happened. When you thought: Okay, start again.
Bill:
(pause) Yeah. You have to start again.
JG:
(laughing) So, are you going on a retreat before or –
Bill:
No. (short pause) No, because, because we have, we have, because Saint Francis (changes voice a little bit): “Brothers, let’s start again.” Where we still know (laughing) we have that thing. You know? That is always, we always mention that one, so, it is, it is natural, you know, to start again, even if you, even if your work is successful. Again, you start again, you know. Because it just take[s] a new ground, you know.
JG:
So you cite this to each other? To other brothers and fathers? You would say: “Saint Francis, let’s start again.”
Bill:
Yeah. Jokingly, jokingly.
JG:
But then, it seems not to be a joke.
Bill:
Yeah. It is really. Yeah, no. Because if you have nothing like that, then it is useless, you know. It is useless to do things like this and there and there, you are wasting your time. Something like that. (pointing to his stomach)
Die Sequenz zeigt eindrücklich, dass Bill etwas beschreibt, was eigentlich nicht beschreibbar scheint. Meine Fragen danach, was er konkret tut, laufen ins Leere. Dass, worum es ihm geht mir zu vermitteln und was er mit „Spiritualität“ beschreibt, ist einfach ‚da‘, aber es ist wichtig für sein Handeln. Aufbauend auf diesen Erfahrungen meinerseits stellt der Typ der Spiritualität als Zielinterpretation ein unvollständiges Desiderat dar, weil ich begründet unsicher bin, inwieweit spirituelle Aspekte ausreichend aufgespürt werden konnten. Einerseits stieß ich auf Grenzen der Sichtbarkeit, andererseits könnte nicht zuletzt die Methode, die analytisch expliziertes und implizites Wissen unterscheidet, dazu geführt haben, die explizierten Wissensbestände zu Orden und katholischer Kirche systematisch in ihrer handlungsleitenden Bedeutung zu unterschätzen. Ich gehe jedoch in den folgenden Kapiteln genauer auf sie ein. Basierend auf meinen Erfahrungen mit den Gesprächspartnern bleibt nichtsdestotrotz das Gefühl, zu diesem ‚tieferen Sinn‘ und dem ‚tieferen Commitment‘ (vgl. Bill oben) nicht nichts, aber auf keinen Fall alles herausgefunden zu haben. Neben der Rekonstruktion von Spiritualität als handlungsleitendem Fokus einer Zielinterpretation ergab die Analyse, dass Religiosität und ordensspezifische spirituelle Überzeugungen auch als persönliche Motivation und Fundament anderer Interpretationen oder als Teil einer umfassenderen, nach außen gerichteten Bewusstseinsbildung mit Blick auf die Ziele verstanden werden (vgl. Absatz zum aktivistischen Auftrag).
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5.2.5 Die mögliche Ablehnung des Ziels als relevantes Ordensziel Mit Leonard sprach ich in der explorativen Phase des Forschungsprozesses. Er beantwortete mir viele Fragen zur Gesellschaft Jesu allgemein, der deutschen Provinz und dem Leben als Jesuit. Im Gespräch fragte ich ihn trotzdem auch nach meinem Forschungsthema: JG: In wie weit spielt denn das Thema der Bewahrung der Schöpfung in Ihrem Leben als Jesuit eine Rolle?18 Leonard: Also, ich hätte jetzt von mir aus spontan gesagt, indem ich Kind meiner Zeit bin und hoffentlich immer versuche, ökologisch irgendwie mitzudenken und das mit einzubringen. Also, die Bewahrung der Schöpfung jetzt, also für mich ist das jetzt so eine Selbstverständlichkeit, das ich es jetzt gar nicht so fest mit meinen religiösen Lebenskonzept, also, das ist so verbunden. Ich kann das jetzt nicht. Ich hab jetzt gerade überlegt: „Wäre ich ökologischer, wenn ich nicht Jesuit wäre? Bin ich ökologischer, weil ich Jesuit bin?“ Das könnte ich Ihnen jetzt gar nicht so trennen. Mir ist es ein Anliegen (lacht). Und könnte jetzt das schlechte Gewissen entpuppen, wo ich sage: „Oh, ja.“ Aber es ist schon eine Abwägung: „Flieg ich dahin oder fahr ich da mit den Zug hin oder wie mach ich das?“ Wir haben kein Auto als Kommunität. […] Wir versuchen Mülltrennung, aber all das finde ich selbstverständlich. Also, das ist jetzt nicht noch mal, weil ich Jesuit bin. Leonard ist Mitte der 1960er Jahre geboren. Anfang der 1990er Jahre trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Er studierte Theologie und Philosophie und erlangte einen theologischen Doktorgrad. Während seiner Ausbildung lebte er ein Jahr in Chile und drei Jahre im europäischen Ausland. Wie in der zuvor zitierten Passage deutlich wird, stellt Leonard keinen besonderen Bezug her zwischen seiner
18In
diesem Gespräch sprach ich über Umwelt und Bewahrung der Schöpfung als mein Thema. Als ein Teilergebnis der explorativen Phase änderte ich den Leitfaden basierend auf den Dokumenten für Jesuiten bezüglich des Themas zu „Versöhnung mit der Schöpfung“. Mit Leonard spreche ich später im Interview auch über diese Dokumente. Dabei wird klar, dass er die entsprechenden Dekrete kaum kennt. Erst nachdem wir die Dekrete gemeinsam herausgesucht hatten, nahm er einen Bezug zum zuvor Gesagten an.
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5 Interpretationen
jesuitischen Identität und seinem Umweltbewusstsein. Vielmehr sieht er letzteres in seiner Sozialisation in Deutschland begründet, wie auch weitere Passagen im Gespräch zeigen. Ich führte einige Gespräche, in denen mir Ordensleute von ihrer persönlichen Besorgnis bezüglich ökologischer Probleme berichteten oder mir ihre alltäglichen umweltbewussten Aktivitäten schilderten, dabei aber keinen Bezug zu den Ordenszielen herstellten oder die Bedeutung der Ordensziele deutlich relativierten. Auch der deutsche Jesuit Konrad beispielsweise geht auf das Ziel ein, gleichzeitig spricht er ihm aber für den Alltag vieler Jesuiten die Relevanz „noch“ ab, es sei „noch nicht so mainstream“. Zuvor hatte ich mit Karl bereits einen weiteren Jesuiten vorgestellt, der umweltbezogene Gründe für Handlungen relativiert als nicht allein ausschlaggebend für Entscheidungen. Der Relativierung des Ordensziels widme ich mich genauer im Kapitel zu Bewertungen im Abschnitt zu Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung. Sowohl Negation als die ‚schwächere‘ Variante dessen, die Relativierung des Ordensziels, sind in der Typik nicht abgebildet, da ihr unterschiedliche Schöpfungsbegriffe und Handlungsorientierungen zugrundeliegen können. Diese Interpretationen haben allerdings gemein, dem Ziel die Bedeutung für die Gemeinschaft (im Datenmaterial überwiegend für die Gesellschaft Jesu) und ihre Entscheidungen und Handlungen abzusprechen. Das Ziel wird jeweils individuell angenommen, als Ordensziel aber negiert. Das nächste Kapitel fokussiert Bewertungspraktiken und –maßstäbe, die mit dem Ziel einhergehen, und widmet sich den hier skizzierten Unterschieden genauer. Ähnlich wie die in den folgenden Kapiteln vorgestellten Reflektionen der aktivistisch orientierten Ordensleute, in ihren Gemeinschaften Gegenwind und einen bestimmten ‚Ruf‘ zu bekommen, erlebte ich selbst Widerstände, Desinteresse und Vorbehalte in Bezug auf das Thema. In meinen Daten findet sich das beispielsweise in Notizen wieder wie: “The ofm brother asks a lot of questions about me and the research, but the two [brothers] do not seem to care much about my topic or at least do not want to talk to me about JPIC.” Mit dieser Notiz dokumentierte ich eine gemeinsame Autofahrt mit zwei Ordensleuten, darunter ein philippinischer Franziskaner, die mir eine Mitfahrgelegenheit gewährten. In der Fokusgruppendiskussion mit mittel- und osteuropäischen Jesuiten in Ausbildung bin ich konfrontiert mit einer Verweigerung einzelner Teilnehmender, Assoziationen aufzuschreiben. Bevor die ersten Teilnehmenden beginnen zu schreiben, befragt mich ein Jesuit hartnäckig nach meinem Verständnis des Ausdrucks der Versöhnung mit der Schöpfung. Als ich ansetze, den Ausdruck auf Englisch zu übersetzen, unterbricht er, er wolle wissen, was ich hören möchte. Als die anderen Teilnehmenden versuchen, ihm zu vermitteln, es ginge
5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen
203
um seine Gedanken, sagt er, ihm falle nichts ein und er lacht. Ich interpretiere die Situation so, dass schon die Aufgabe, sich mit dem Ausdruck zu beschäftigen, ihn zu Widerstand provoziert. Im Verlauf der Fokusgruppendiskussion zeigt sich eine Uneinigkeit in der Gruppe über die Relevanz des Themas, bei der besonders die drei Jesuiten in Ausbildung aus Osteuropa das Thema als weniger oder nicht relevant bewerten und dies auch explizieren.19 Eine fokussierte, aber abstrakte Diskussion ergibt sich beispielsweise dazu, ob Versöhnung mit der Schöpfung, mit sich selbst und mit den Mitmenschen gleichwertig und parallel geschehen, oder ob die Versöhnung mit sich selbst einen deutlich höheren Stellenwert einnimmt. Ein Jesuit in Ausbildung sagt beispielsweise: „[I]ch fühle mich vor allem für mich selbst verantwortlich und nicht für die ganze Schöpfung und nicht für die Umwelt.“
5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen In diesem Kapitel zeigte ich unterschiedliche Interpretationen der Ziele auf, sich mit der Schöpfung zu versöhnen oder sie zu bewahren. Ich kontrastierte Interpretationen mit ökologischem und mit anthropozentrischem Schöpfungsbegriff sowie mit interner oder externer Handlungsorientierung. Durch die Rekonstruktion von relevanten sozialen Welten und entsprechenden Strategien der Zielerreichung basierend auf einzelnen Interviews konnte ich eine differenzierte Typik entwickeln, deren fünf Typen sich mit Qualifizierungen auch im Gesamtmaterial wiederfinden. Trotz großer Diversität gibt es gleichzeitig eine Basistypik, das heißt Orientierungen, die übergreifend geteilt werden. Dieses Kapitel bestätigt basierend auf systematisch ausgewertetem Datenmaterial einerseits die Grundannahme des Projektes, dass in den komplexen Ordensgemeinschaften die vielfältigen Erfahrungen der Mitglieder mit vielfältigen Interpretationen des gemeinsamen Zieles einhergehen. Gleichzeitig ergibt die Analyse, dass die Teilhabe an einer sozialen Welt nicht zwangsläufig zu einem bestimmten Typus der Interpretation führt. Vielmehr zeigt sich, dass Ordensleute Teilnehmer vieler potentiell relevanter Erfahrungsräume sind, die
19Es
wiederholt sich in meinem Datenmaterial damit ein Eindruck, der in der explorativen Phase oft von transnationalen Experten beschrieben wurde, dass die Themen der Gerechtigkeit, des Friedens und des Umweltschutzes in osteuropäischen Provinzen beider Orden keine große Prominenz genießen.
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5 Interpretationen
in ihren Biografien zeitlich aufeinander folgen (zum Beispiel durch Berufung zu einer neuen Aufgabe) und sich synchron überlagern (wie Arbeitswelt und Leben in der lokalen Kommunität). Die Typen bilden oft nicht formale Grenzen wie Ordenszugehörigkeit und Wohnort ab, sondern der Blick auf das Thema ist eher informiert durch bestimmte Aufgabenbereiche innerhalb und außerhalb von Ordensgemeinschaften, der mit Distanz zum Material an arbeitsteilige Differenzierung erinnert, die sich unter anderem an den professionellen Grenzen zwischen Naturwissenschaften, sozialer Arbeit und Pädagogik orientiert. Vor dem Hintergrund verschiedenster Brüche mit einer solchen Strukturierung des Materials erscheint eine solche Abstrahierung jedoch irreführend mit Blick auf die Frage, wie Ordensleute die Ziele interpretieren. Es ließen sich darüber hinaus Orientierungsdilemmata rekonstruieren, wobei zugeschriebene Aufgaben und Interpretation in keinem Passverhältnis zueinander stehen, was heißt, dass das Ziel innerhalb der zugeschriebenen Aufgabe nur eingeschränkt entsprechend einer Orientierung verfolgt werden kann. Auf diesen Aspekt gehe ich am Ende des Kapitels zu Verhandlungen mit Blick auf die zugrundeliegenden hierarchischen Sinnstrukturen genauer ein. Die hier dargestellten Wissensbestände bilden darüber hinaus nicht alle Wissensbestände ab, die in den Gesprächen herangezogen wurden. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der Rekonstruktion handlungsleitender Wissensbestände für die Interpretationen der Ziele, wie sie sich in den Gesprächssituationen zeigten. Wie ich in den folgenden Kapiteln zeigen werde, greifen die Interviewpartner jedoch auch andere Aspekte auf, viele dabei Fragen des eigenen Lebensstil: Der wissenschaftlich orientierte Thomas reflektiert beispielsweise seinen Fleischkonsum, der extern aktivistisch orientierte Alon die mangelnde Thematisierung ökologischer Implikationen im Leben in der Kommunität. Darüber hinaus verweisen Ordensleute auch auf explizierte Wissensbestände wie bestimmte Bücher. Teilweise decken sich die Verweise mit den handlungsleitenden Orientierungen – beispielsweise, wenn Thomas auf die ökologischen Prinzipien Barry Commoners eingeht, teilweise stellen sie eine explizierte Ergänzung dar so wie bei Karl, der Umwelt auch anthropozentrisch interpretiert, aber auf Veröffentlichungen von Herbert Gruhl verweist. Einige Interviewpartner erzählten auch von verschiedenen sozialen Welten, in denen sie unterschiedlich interagieren. Die hier abgebildete Typik ist insofern eine auf Kontrastierung beruhende analytische Überspitzung sich empirisch zeigender Unterschiede. Sie ist insofern nicht idealtypisch, als die Ausprägungen unmittelbar aus dem Material hergeleitet wurden und insofern empirisch identifizierbar. Sie zeigen Orientierungen auf, auf die Ordensleute für die Zielinterpretationen potentiell zurückgreifen. Die Grenzen zwischen den Typen sind
5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen
205
jedoch nicht über die Zeit hinweg beständig im Sinne identifizierbarer Gruppen aus benennbaren Einzelpersonen. Im Kapitel zu Verhandlungen werde ich unter anderem zeigen, wie eine Gruppe von Ordensleuten sich situativ auf einen anthropozentrischen Schöpfungsbegriff einigt, auch wenn die Teilnehmenden davor und danach einen ökologischen Schöpfungsbegriff anwenden. Es ist also möglich, dass distinkte Beobachtungen zu einem Gesprächspartner aus unterschiedlichen Situationen (innerhalb oder außerhalb eines Gesprächs) unterschiedlichen Typen zugeordnet werden können. Bevor ich auf Ähnlichkeiten und Differenzen genauer eingehe, lässt sich in Bezug auf die in der Literatur (W. Jenkins 2008; Kearns 1996) üblichen Unterscheidungen zu Perspektiven des religiösen Umweltschutzes („Christian stewardship“, „eco justice“ und „creation spirituality“) bereits ein Zwischenfazit ziehen. Die Kategorien „eco justice“ und „creation spirituality“ weisen große Ähnlichkeit mit den hier herausgestellten Typen „Aktivismus“ und „spirituelle Aufgabe“ auf. Eine handlungsleitend relevante Interpretation entsprechend der Kategorie „Christian stewardship“ fand ich nicht, wohl aber die Verwendungen der Begriffe des Hütens, ebenso wie den der Umweltgerechtigkeit (vgl. Abschnitt zum Forschungsfeld im Kapitel „Empirische Untersuchung“). Die etablierten Kategorien können allerdings wichtige in dieser Arbeit herausgearbeitete Unterscheidungsdimensionen wie interne und externe Handlungsorientierung sowie von einem ökologischen Verständnis abweichende Schöpfungsbegriffe nicht abbilden. Differenzierungen, wie sie in der in dieser Arbeit herausgearbeitet werden, sind jedoch wichtig, um Entwicklungen innerhalb der Gemeinschaften zu verstehen, aber auch in Bezug darauf, welche Rolle religiöse Akteure in zivilgesellschaftlichem Engagement zu umweltpolitischen Fragen einnehmen (können) und in welcher Weise sie versuchen, Gesellschaft mitzugestalten.
5.3.1 Ähnlichkeiten: Normativität, Aktualität, Standortbestimmung der Befragten Ordensleute können Bewahrung der Schöpfung beziehungsweise Versöhnung mit der Schöpfung als wissenschaftliche, soziale, politische, spirituelle oder Ausbildungs-Aufgabe verstehen. Ich habe zuvor konstatiert, dass alle rekonstruierten Typen auch Ähnlichkeiten bei ihren Interpretationen des Ziels aufweisen, die Schöpfung zu bewahren beziehungsweise sich mit ihr zu versöhnen. Unter dem Begriff der ‚Basistypik‘ habe ich zuvor solche Aspekte zusammengefasst, die alle Ordensleute teilen. Auf diese Aspekte gehe ich in diesem Abschnitt genauer ein.
206
5 Interpretationen
Obwohl ich die Gesprächspartner für die Typisierung auch auf Grundlage der größtmöglichen Kontrastierung auswählte, wird von allen Gesprächspartnern eine normative Perspektive auf das Thema geteilt. Alle Ordensleute, mit denen ich sprach und die Mitglied in Provinzen der beiden ausgewählten Regionen Zentraleuropa oder Südostasien waren, verstanden die dem Ziel zugrundeliegenden Probleme als Herausforderung, die handlungspraktisch adressiert werden sollte. Die Orientierungen und Explikationen dazu, wer was genau tun sollte, unterscheiden sich zwar: Für Ron beispielsweise ist die Adressierung der ökologischen Dimension des Ziels im Orden maßgeblich eine Aufgabe der spezialisierten Einrichtungen und nur am Rande Auftrag für seinen eigenen Alltag, der überwiegend anthropozentrischen Problemen gewidmet ist. Im Kontrast sieht Michael Verantwortung bei allen Menschen und besonders denen, die es sich leisten können. Beide teilen allerdings die Einschätzung, dass es sich um ein Themengebiet handelt, bei dem Gründe über die Weisung durch die Generalkongregation hinaus existieren, warum etwas getan werden sollte. Dass mit der Rezeption der Ziele der Versöhnung mit der Schöpfung beziehungsweise der Bewahrung der Schöpfung nicht zwangsläufig eine solche normative Perspektive einhergehen muss, zeigte mir die Fokusgruppendiskussion mit mitteleuropäischen und osteuropäischen Jesuiten in Ausbildung, bei der mehrere osteuropäische mir und den anderen Teilnehmenden vermittelten, sie hielten das Thema des Gesprächs für nicht relevant (vgl. Abschnitt 5.2.5). Wie zuvor ausgeführt, zeigten sie mir auf unterschiedlichen Wegen ihre Ablehnung der Situation der Diskussion und/oder dem Thema gegenüber. Zwei Teilnehmende schrieben beispielsweise keine Assoziationen auf. Einer der beiden ‚verhörte‘ mich stattdessen. Ich interpretierte diese Interaktionen als ablehnende Haltung gegenüber der eigenen Erwartung mir gegenüber, an sie eine bestimmte Erwartungshaltung heranzutragen.20 Da diese Gruppendiskussion sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch bezüglich der identifizierbaren Positionen mit Blick auf das Gesamtmaterial sehr spezifisch ist, entschied ich mich, sie aufgrund meines regionalen Fokus aus dem Großteil der Analyse auszuklammern. Für die schärfende Kontrastierung an dieser Stelle ist der Vergleich jedoch gewinnbringend, um die N icht-Selbstverständlichkeit dessen aufzuzeigen, dass meine
20Hierin
zeigt sich hier vermutlich das Wissen um eine generalisierte normative Erwartungshaltung. Ich war an der Perspektive der osteuropäischen Teilnehmenden sehr interessiert. Vor der Diskussion hatte ich zu dem Thema kaum etwas gesagt, außer auf die Bemerkung der Jesuiten, sie würden durch den Test fallen, zu antworten, dass ich sie nicht testen wollte.
5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen
207
Gesprächspartner einen normativen Moment des Handeln-Sollens nicht nur als Erwartungshaltung der Gegenüber antizipieren, sondern diese auch selbst annehmen. Dieser Normativität liegt auch eine bestimmte Zeitlichkeit zugrunde: Das Ziel adressiert eine Herausforderung, die spezifisch ist für die Gegenwart. Viele Gesprächspartner drücken diesbezüglich die Notwendigkeit aus, das Charisma des Ordens und die Geschichten der Gründer vor dem Hintergrund gegenwärtiger Problemlagen ‚aktualisiert‘ betrachten zu müssen. Aus dieser aktualisierten Auslegung ergibt sich der Auftrag, den es gegenwärtig gilt anzunehmen. Die Aktualität zeigt sich in Aussagen wie „the demand of the time“ (Pablo, siehe Fußnote oben) oder „Kind meiner Zeit“ (Leonard, siehe Abschnitt 5.2.5).21 Im folgenden Kapitel werde ich auf den geteilten Bewertungsmaßstab des Gemeinwohls eingehen, der diese basistypischen Beobachtungen ergänzt. Eine weitere basistypische Orientierung ist die der Positionierung zum Ziel. Mit einer positionierenden Orientierung, die alle Gesprächspartner teilen, ist gemeint, dass als Teil der Explikationen nahezu alle Ordensleute in den Gesprächen eine Art Standort- oder Beziehungsbestimmung vornehmen, in der sie das Thema des Gesprächs (Versöhnung mit/Bewahrung der Schöpfung) zu sich selbst und dem Orden in Beziehung setzen. Der Jesuit Thomas beispielsweise, der im Zuge der Interpretation „Wissenschaft und Lehre“ zu Beginn des Kapitels vorgestellt wurde, rahmt das Thema am Anfang des Gesprächs als nachvollziehbares Ziel des Ordens, dem er vollständig zustimmt. Der deutsche Jesuit Konrad geht zwar davon aus, es habe sich im Orden noch nicht durchgesetzt, stellt aber gleichzeitig seine persönliche Befürwortung für das Anliegen heraus. Für den deutschen Franziskaner Klaus war Ökologie zuerst kein Thema, aber mit der aufkommenden Umweltbewegung habe er wie der Orden die entsprechende
21Im
Rahmen dieser Ähnlichkeit unterscheiden sich die Zeithorizonte für die Gültigkeit und Umsetzung des Ziels im Orden. Wie ich im folgenden Kapitel zu Bewertungen und Rechtfertigungen zeigen werde, lassen sich auf der Grundlage des Materials mindestens drei unterschiedliche Diagnosen in Bezug darauf feststellen, inwieweit das Ziel im Orden verwirklicht wird. Eine Konstruktion lautet: Die Ordensgemeinschaft widmet sich dem Ziel, aber defizitär. Eine weitere Konstruktion lässt sich zusammenfassen mit: Bewahrung der Schöpfung beziehungsweise Versöhnung mit der Schöpfung ist bereits lange ein bestehendes Ziel im Orden, was – im Falle der Gesellschaft Jesu – in der 35. Generalkongregation nur noch deutlicher verschriftlicht wurde. Eine dritte Konstruktion lautet schließlich: Das Ziel könnte sich in der Zukunft zum integralen Bestandteil von organisationalem Wissen und organisationaler Identität entwickeln. Jedem dieser Konstruktionen liegt eine andere Bewertung der Verwirklichung des Ziels in Vergangenheit und Gegenwart zugrunde.
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5 Interpretationen
Tradition des Ordensgründers (neu) entdeckt. Mit Blick auf das Gesamtmaterial bildet die Typik diesbezüglich eine existierende Standortbestimmung nicht ab, nämlich die, dass das Ziel (in seiner inhaltlichen Bedeutung ‚Umweltschutz‘) und der Orden in keiner besonderen Beziehung stehen.22 Beziehungsbestimmungen wie die hier skizzierten werden durch alle Gesprächspartner vollzogen. Diese Orientierung greift der dargestellten Analysen des nächsten Kapitels vor. Dieses Kapitel zeigte im Schwerpunkt die verschiedenen Interpretationen der Ziele auf, die auf implizitem Wissen beruhen. Die von den Ordensleuten angenommene Perspektive, von der aus sie das Ziel verstehen, stand im Vordergrund. Dieser Fokus lässt sich auch durch die Frage ausdrücken: Mit welchen Handlungsorientierungen und vor dem Hintergrund welcher Erfahrungen schauen die Gesprächspartner mit Bezug auf die Ziele auf die Welt? Im folgenden Kapitel wende ich mich besonders den mit dem Ziel in Verbindung stehenden Bewertungen der Gesprächspartner zu. Das folgende Kapitel widmet sich auch dem explizierten Wissen zum Ziel. Im Vergleich zur in diesem Kapitel behandelten ist die im folgenden Kapitel behandelte Perspektive der Gesprächspartner stärker reflektiert und relational.
5.3.2 Unterschiede zwischen Ordensgemeinschaften, Regionen und Provinzen Im Design dieses Forschungsvorhabens sind zwei Unterscheidungen angelegt: erstens die zwischen den Ordensgemeinschaften der Gesellschaft Jesu und der Minderen Brüder und zweitens die zwischen den Regionen Mitteleuropa, besonders den deutschen Provinzen, und Südostasien, besonders den philippinischen Provinzen. Empirisch lassen sich in Bezug auf die Interpretationen in der Tat sowohl Unterschiede zwischen den Ordensgemeinschaften als auch zwischen den Provinzen feststellen. Die vorangegangenen Unterkapitel stellten bereits spezifisch franziskanische, spezifisch jesuitische und regional spezifische Erfahrungsräume vor.
22Diese
Standortbestimmung weist eine Ähnlichkeit auf mit der des aktivistisch orientierten Michael, der auch argumentiert, umweltbewusstes Handeln sollte für alle selbstverständlich sein. Die beiden unterscheiden sich aber insofern, als Michael zwar bei allen Menschen eine Verantwortung sieht, die Umwelt nicht zu zerstören, gleichzeitig den Jesuiten aber eine spezifische Perspektive darauf zuspricht, die seiner Explikation nach nicht zuletzt dazu führte, dass er dem Orden beitrat.
5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen
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Den Typ der Versöhnung mit der Schöpfung als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre rekonstruierte ich nur bei Jesuiten. Zwar sprach ich auch mit Franziskanern, die Bewahrung der Schöpfung als Bereich der Theologie und ihrer Vermittlung in Hochschulen verstanden. Es zeigte sich aber nicht in ähnlicher Weise eine Orientierung zu Forschung und wissenschaftsinformierter Beratung innerhalb eines alltagsrelevanten Erfahrungsraums der Hochschule. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass ich sehr viel mehr philippinische Jesuiten traf, deren Interpretationen sich in diesem Erfahrungsraum entfalteten, als deutsche. Dieser Umstand war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass ich auf den Philippinen auf mehr Jesuiten hingewiesen wurde, mit denen ich zu diesem Thema sprechen sollte (und diesen Hinweisen auch gefolgt bin), die an Hochschulen arbeiteten. Dies ist insofern nicht erstaunlich, da es auf den Philippinen mehr jesuitische Hochschulen gibt und diese auch naturwissenschaftliche Disziplinen umfassen – im Gegensatz beispielsweise zu den beiden jesuitischen Hochschulen in Deutschland, die geisteswissenschaftliche Schwerpunkte haben. Unter den Mitgliedern des Ordens der Minderen Brüder, die das Ziel der Bewahrung der Schöpfung als aktivistischen Auftrag interpretieren, ist hingegen der interfranziskanische Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen spezifisch sowie damit einhergehend die thematische Verknüpfung des Ziels mit Gerechtigkeit und Frieden. Jesuiten beider Provinzen greifen auf Entscheidungen der Generalkongregationen zurück, um das Ordensziel thematisch organisationsgeschichtlich einzuordnen. Die Einordnung erfolgte besonders in Verbindung mit dem Thema der Gerechtigkeit. Unter den Jesuiten, mit denen ich sprach, ist im Unterschied zu den Franziskanern mit dem thematischen Bezug jedoch kein für sich stehender Erfahrungsraum verbunden. Es zeigt sich auch, dass nahezu alle Mitglieder der philippinischen Provinz der Gesellschaft Jesu die Beziehung zur 35. Generalkongregation herstellen, welche den Begriff der Versöhnung mit der Schöpfung als Ordensziel einführte, beziehungsweise auf die Erfahrung von deren Vermittlung durch die provinziale Ordensleitung eingehen. Die philippinischen Jesuiten interpretieren das Ziel nicht zuletzt als hierarchisch kommuniziertes Ordensziel und die Generalkongregation damit als einen ‚steuernden‘ Moment für das Wirken der Gesellschaft Jesu. Für die Jesuiten aus Deutschland und der Schweiz, mit denen ich sprach, traf das in Bezug auf Versöhnung mit der Schöpfung nicht in gleichem Maße zu. Insgesamt weisen die Unterschiede zwischen den beiden Ordensgemeinschaften darauf hin, dass die ihnen eigenen Sinnstrukturen Einfluss auf die Erfahrungsräume der Mitglieder nehmen, anhand welcher diese die Ziele interpretieren. So entspricht es insbesondere dem Charisma der Gesellschaft Jesu,
210
5 Interpretationen
Wissenschaft und Lehre auszuüben (vgl. z. B. Kiechle 2013: 63–69). Der Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen basiert auf einer Sinnstruktur, die über Jahrzehnte im Orden der Franziskaner und anderer Ordensgemeinschaften hergestellt und belebt wurde. Der Unterschied in der Verknüpfung des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung mit der 35. Generalkongregation zwischen den beiden jesuitischen Provinzen verweist hingegen nicht nur auf geteiltes Wissen in der philippinischen jesuitischen Gemeinschaft, sondern auch auf eine unterschiedliche Verbreitung des Ziels durch die provinziale Ordensleitung. Im Kapitel zu Verhandlungen gehe ich auf diesen Aspekt erneut ein. Ordensübergreifend konnte ich drei regionale Differenzen herausarbeiten, die verdeutlichen, dass auch ordensexterne Aspekte die Erfahrungsräume der Ordensleute beeinflussen. Sowohl Franziskaner als auch Jesuiten der philippinischen Provinzen interpretieren das Ziel vor dem Hintergrund der Erfahrung vergangener Naturkatastrophen einschließlich deren humanitären Folgen sowie der Erwartung zukünftiger Katastrophen, darunter besonders Taifune und Überflutungen. Diese Erfahrungen sind nicht mit einer spezifischen Interpretation verknüpft, sondern den Erfahrungen oder Erwartungen werden entsprechend der Interpretationen wie beispielsweise die der Aufgabe für Wissenschaft und Lehre oder als Ausbildungsaufgabe unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben. Ich sprach auf den Philippinen auch mit Ordensleuten beider Orden, die auf erfahrungsbasiertes Wissen zu vergangener oder bevorstehender lokaler Umweltzerstörung im Zuge von Rohstoffabbau und von Abholzungen durch ausländische Unternehmen zurückgriffen. Im Gegensatz zur Erfahrung von Naturkatastrophen geht der Rückgriff auf dieses Wissen mit nur einer – der aktivistischen – Interpretation einher. Die Ordensleute aus Mitteleuropa problematisierten zwar teilweise ebenfalls ungerechte weltwirtschaftliche Strukturen, besonders im Rahmen der Interpretation des Aktivismus, der Erfahrungsraum der Zerstörung selbst erwies sich aber nicht in gleicher Weise als unmittelbar handlungsleitend und alltagsrelevant. Vielmehr leiteten sie mit Blick auf den Alltag über in den Problembereich des Lebensstils und den damit verbundenen Herausforderungen. Im deutschen Kontext lässt sich die Alterung der Gemeinschaften als gemeinsames Thema im Rahmen der Interpretation mancher Jesuiten und Franziskaner identifizieren. Besonders expliziert wird es von Mitgliedern der Minderen Brüder, die in der Alterung ihrer Gemeinschaften ein Ressourcenproblem für das Engagement im Bereich der Bewahrung mit der Schöpfung ausmachen. Die Erfahrung, in alternden Gemeinschaften zu leben, beeinflusst dabei weniger die Interpretation des Ziels, als vielmehr die wahrgenommenen Kapazitäten, die verfügbar sind, um dem Ziel nachzugehen – einerseits, weil es weniger (‚junge‘) Mitstreiter gibt, und andererseits, weil die Brüder auch aus anderen
5.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Interpretationen
211
Bereichen viele Aufgaben übernehmen, die sich in der Vergangenheit in der Gemeinschaft verstetigt haben und gegenwärtig auf weniger Ordensmitglieder verteilt werden (müssen). Über die Orden hinaus, die für dieses Forschungsvorhaben ausgewählt wurden, kann ich anhand der teilnehmenden Beobachtung zeigen, dass die Herausforderungen durch demographischen Wandel in verschiedenen Ordensgemeinschaften in Deutschland – zumindest situativ – zu einer anthropozentrischen Umdeutung von Begriffen wie Schöpfung oder Umwelt führen kann. Die Beobachtung diskutiere ich genauer im Kapitel zu Verhandlungen. In der Tabelle fasse ich die diskutierten Unterschiede zusammen. Die Darstellung stellt insofern keine gesonderte Typik dar, da nicht alle Aspekte von einem oder allen Ordensmitgliedern in ihren Interpretationen aufgegriffen werden. Markierungen deuten einzig darauf hin, dass es ein Aspekt als Teil der Zielinterpretation in dem Orden oder in der Region deutlich stärker zu identifizieren war als in dem anderen Orden oder der anderen Region (Tabelle 5.2). Tabelle 5.2 Aspekte der Interpretationen nach Orden und Region Aspekte der Interpretaon Interpretaon Wissenscha und Lehre Erfahrungsraum der GFBSGruppen Klarer Bezug zu Ordensentscheidung Naturkatastrophen
Gesellscha Jesu Philippinen Deutschland
Orden der Minderen Brüder Philippinen Deutschland
Erfahrungsraum der lokalen Umweltzerstörung Erfahrung der alternden Gemeinscha
Drei zentrale Aspekte von Zielinterpretationen sind sowohl in beiden Orden als auch in beiden Regionen in den Interpretationen mancher, aber nicht aller Gesprächspartner auszumachen: erstens der Aspekt von Lebensstil in den Ordensgemeinschaften sowie angebundenen Einrichtungen (besonders: Konsum, Energie, Mobilität und Abfall); zweitens der Aspekt der Gerechtigkeit, also der Verknüpfung des Ziels mit Fragen sozialer Ungleichheit, und drittens der Aspekt der Spiritualität. Mit Blick auf die induktiv entwickelte Typik zeigt sich, dass Ordensgrenzen und Provinzen eher für die Qualifizierungen der Typen relevant sind als für die Zuordnung zu einem Typ. Als strukturierende Unterscheidungsdimensionen
212
5 Interpretationen
lassen sich in beiden Orden und in beiden Provinzen Interpretationen mit interner wie externer Handlungsorientierung ausmachen wie auch anthropozentrische und ökologische Schöpfungsbegriffe, wobei Interpretationen basierend auf ökologischen Schöpfungsbegriffen im Material überwiegen. Unterschiede lassen sich primär im Hinblick auf Erfahrungsräume ausmachen, die entweder einem Typ mit entsprechenden Rollen und Strategien zur Zielerreichung zugeordnet werden können (z. B. der Erfahrungsraum der GFBS-Gruppen der Franziskaner) oder als Facette unterschiedlicher Typen von Interpretationen identifizierbar sind (wie die Erfahrung von Naturkatastrophen auf den Philippinen). Einzig den Typ der Versöhnung mit der Schöpfung als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre konnte ich überwiegend bei Jesuiten rekonstruierten. Die folgende Abbildung stellt die beiden unterschiedlichen Aspekte, welche das Erfahrungswissen beeinflussen, auf das Ordensleute bei der Interpretation zurückgreifen können, dar, die ich durch den Vergleich herausarbeiten konnte (Abbildung 5.2).
Abbildung 5.2 Perspektiven auf die Ziele I
6
Bewertungen
Während das vorherige Kapitel im Schwerpunkt die implizierten Perspektiven der Ordensleute auf die Ziele fokussierte, rückt in diesem Kapitel der reflektierte Blick der Ordensleute auf das Thema in das Zentrum der Analyse. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Bewertungen mit der Glokalisierung der Ziele einhergehen. Das Ziel der Analyse ist dabei nicht, objektiv gültige oder möglichst ‚realistische‘ Verfahren der Bewertung zu ermitteln. Vielmehr werde ich zeigen, wie in den religiösen Gemeinschaften im Rahmen der Rekontextualisierung der Ziele bewertet wird. Lässt sich ein Zusammenhang ausmachen zwischen den divergierenden impliziten Zielinterpretationen einerseits und den expliziten Bewertungspraktiken andererseits? Werden durch Reflektion über die verschiedenen sozialen Welten der Interpretationen hinaus Sinnbezüge konstruiert, die kreatives, strategisches und/oder koordiniertes Handeln ermöglichen (könnten) und wenn ja, welche? Inwiefern lässt sich in Bezug auf die Ziele von einem gemeinsamen Blick auf die Welt im Sinne gemeinsamer Maßstäbe innerhalb der Ordensgemeinschaften sprechen? Als Praktiken der Bewertung untersuche ich sowohl solche, bei denen sich die Akteure spezifischen institutionalisierten Sinnstrukturen zu dessen Verfahrensablauf bedienen (im Folgenden kurz: formale Verfahren, zum Beispiel Hochschulrankings, Exerzitien oder Prüfungen auf Förderungswürdigkeit) und
Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_6 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_6
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214
6 Bewertungen
solche, bei denen Akteure dies nicht tun (im Folgenden: informelle Verfahren, zum Beispiel Auslachen eines Mitbruders oder selbstkritische Reflektionen im Gespräch).1 Ich zeige im Folgenden auf, welche Bewertungsforderungen dem Ziel der impliziten oder expliziten Wissensbestände der Akteure nach eingeschrieben sind. Bewertungen, die der impliziten Perspektive folgen, ergeben sich dabei überwiegend aus der sinngenetischen Typik der Zielinterpretation. Sie basieren insofern auf impliziten Wissensbeständen der Gesprächspartner besonders dazu, innerhalb welcher sozialer Welten das Ziel mit welchen Handlungsorientierungen adressiert und damit auch bewertet wird. Ich stelle informelle und formalisierte Praktiken der Bewertung der entsprechenden sozialen Welten vor. Daran schließt sich die Frage an, ob die Ordensmitglieder explizit auch Bewertungen vornehmen, die nicht Teil der für die Interpretationen identifizierten sozialen Welten sind, ob sie reflektiert Distanz zu jenen sozialen Welten kreieren (können) und wie sie das tun. Über die zielimmanenten Bewertungen hinaus diskutiere ich, wie das Ordensziel selbst bewertet wird. Hervorzuheben ist, dass auf diese Frage in Gesprächen oft ungefragt eingegangen wurde, wie ich im vorherigen Kapitel bereits bezüglich der basistypischen Positionierung herausgestellt habe. Auch die Entwicklung des Umweltschutzziels im Orden wird dabei bewertet. Informanten nehmen dabei eine reflektierende Haltung zum Ziel und oft auch zu ihrer Gemeinschaft ein.
1Hierzu
ist anzumerken, dass die Analyse von Praktiken innerhalb von impliziten, formalen Verfahren, in diesem Projekt nur eingeschränkt zu verwirklichen ist. Die Kombination einer impliziten, zielbezogenen Bewertung im Rahmen eines formalisierten Verfahrens ist unter anderem dann denkbar, wenn in alte Formen (z. B. Förderungen) das Umweltschutzziel von Akteuren aufgrund ihrer Orientierung unausgesprochen integriert wird oder wenn das Ziel mit der Zeit in einem formalen Verfahren so etabliert ist, dass es eine selbstverständliche Routine ist (als fiktives Beispiel, dass keine Klimawandelskeptiker einen entwicklungspolitischen Förderungszuschlag erhalten). Da ich kaum Situationen formalisierter Bewertung beobachten konnte, und schon gar nicht solche, die nicht einen explizierten Bezug zu meinem Thema aufweisen, waren diese Praktiken empirisch im Projekt schwerer zu erfassen.
6.1 Zielimmanente Bewertungen
215
6.1 Zielimmanente Bewertungen Dem Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung beziehungsweise der Bewahrung mit der Schöpfung sind Forderungen nach Bewertung eingeschrieben. Demnach sollen bestehende ‚Gegenstände‘ beziehungsweise Praktiken daraufhin überprüft werden, ob sie der Zielerfüllung dienen oder schaden. Auf Grundlage der Rekonstruktion der Heterogenität der Interpretationen des Ziels, die ich im vorherigen Kapitel vorgestellt habe, scheint es evident, dass auch die daraus ableitbaren Bewertungsverfahren und -maßstäbe sich unterscheiden. Die Ordensleute bewerten Gegenstände entsprechend der konjunktiv geteilten informellen wie formalisierten Praktiken sowie der dabei angewendeten Maßstäbe in den sozialen Welten, in denen die Zielinterpretationen verortet werden. Diese werde ich im folgenden Abschnitt vorstellen. Darüber hinaus zeige ich die Grenzen der impliziten Orientierungen auf. Ordensleute wenden weitere, typenunabhängige explizite Bewertungsverfahren und –Maßstäbe an oder greifen selbstreflexiv auf Maßstäbe anderer Orientierungen zu.
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6 Bewertungen
6.1.1 Den Typen der Zielinterpretation entsprechende Bewertungen Im vorherigen Kapitel wurden fünf Typen der Interpretationen der Ziele vorgestellt. Basierend auf diesen Orientierungen ergeben sich implizite Varianten der dem Ziel eingeschriebenen Forderung, verschiedenste Gegenstände (darunter Handlungen ebenso wie Einstellungen oder nicht-menschliche Objekte) dahingehend zu ‚überprüfen‘, ob sie der Bewahrung der Schöpfung beziehungsweise der Versöhnung mit ihr zuträglich sind. Mit verschiedenen Interpretationen der Ordensziele werden unterschiedliche Akteure in diesen Prozessen fokussiert: Interpretationen mit interner Handlungsorientierung umfassen Bewertungen der eigenen Ordensgemeinschaft (bei interner Ausbildung, Spiritualität und in entsprechender Spielart Aktivismus oder sozialer Aufgabe). Interpretationen mit externer Handlungsorientierung erlauben hingegen Bewertungen von Akteuren und deren Aktivitäten außerhalb der Ordensgemeinschaft. Das können Regierungen oder transnationale Unternehmen (Aktivismus) sein, alle Mitglieder der Gesellschaft (soziale Aufgabe) oder alle Akteure, die entweder wissenschaftlich arbeiten oder Entscheidungen treffen, die wissenschaftliche Kenntnisse erfordern oder selbst Kern eines wissenschaftlichen Problems sind (Wissenschaft und Lehre). Gleichzeitig führen unterschiedliche Interpretationen auch zu abweichenden Bewertungen des gleichen Gegenstands. So wird die Zuständigkeit für die Ausbildung neuer Ordensmitglieder von Cristoforo im Rahmen der Zielinterpretation der internen Ausbildung als besondere Option, mit einer extern orientierten, aktivistischen Interpretation wie von Bill als Hindernis bei der Verfolgung des Ziels der Bewahrung der Schöpfung verstanden. Auch wenn ein gemeinsames Urteil über die Zuträglichkeit eines Phänomens besteht (z. B.: ‚Müll ist nicht zuträglich‘), können die Maßstäbe und Praktiken der Bewertung sich stark unterscheiden, je nach dem, an welchem Erfahrungswissen sich die Interpretationen der Ziele orientieren. Wie Ordensleute Müll entsorgen, ob sie ihn trennen, ob sie ihn in dafür vorgesehene Behälter werfen oder an Ort und Stelle fallen lassen, kann je nach Perspektive ein Ausdruck politischen Willens, eine gesundheitliche Gefahrenquelle oder ein Signal für die Ausprägung (pädagogisch zu vermittelnden) ökologischen Bewusstseins sein. Aus Perspektive der Interpretation der Ziele als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre erscheint Müllentsorgung nicht zuletzt als ein Problem technisch-naturwissenschaftlicher Art. Die folgende Tabelle fasst die relevanten, ableitbaren Maßstäbe für die Typen der Interpretation zusammen sowie eine Auswahl nicht-formalisierter und formalisierter Situationen der Bewertung auf, die sich im Rahmen der entsprechenden Erfahrungsräume
6.1 Zielimmanente Bewertungen
217
ergeben. Der folgende Fließtext geht auf die verschiedenen Felder knapp ein (Tabelle 6.1). Tabelle 6.1 Übersicht zu informellen und formalisierten Bewertungen, die mit den Typen der Zielinterpretationen einhergehen Zielinterpretation Ziel wird entsprochen durch…
Situationen informeller Bewertung
Situationen formalisierter Bewertung
Maßstäbe der Bewertung, hergeleitet entsprechend der Zielinterpretationen
Wissenschaft und Lehre
Entscheidungen über Aufnahme oder Ablehnung von Forschungsprojekten; Themenwahl im Unterricht und deren Vermittlung; Entscheidungen über Aufnahme oder Ablehnung von ‚öffentlichen Aufgaben‘ und Beraterrollen
Anwendung von Methoden wissenschaftlichen Arbeitens; Beurteilung der ‚Güte‘ von Forschung und Forschungsanträgen entsprechend der Maßstäbe in Gremien; Beurteilung von Studierendenleistungen
Wissen zu Umweltzerstörung (Grad, Wirkungsmechanismen) und dessen sozialen Konsequenzen; Sachverstand; Vermittlung von Wissen; Anwendungs- und Lösungsorientierung der Forschung (d. h. auch einfach und effektiv) und Lehre zum Wohle von Menschen und Natur; Interesse des Forschers; Dringlichkeit
Soziale Aufgabe*
Auswahl der Aktivi- täten und Themen im Gespräch mit den Inhaftierten und deren Familien sowie Angestellten der sozialen Einrichtungen
Fürsorge, (Selbst-) Verantwortung, Lebensbedingung von Marginalisierten (Inklusion, Hygiene)
(Fortsetzung)
218
6 Bewertungen
Tabelle 6.1 (Fortsetzung) Zielinterpretation Ziel wird entsprochen durch…
Situationen informeller Bewertung
Situationen formalisierter Bewertung
Maßstäbe der Bewertung, hergeleitet entsprechend der Zielinterpretationen
Interne Ausbildung
Auswahl und Art der Vermittlung von Aktivitäten im Rahmen der Ausbildung (z. B. Baumpflanzungen, Umsetzung landwirtschaftlicher Aktivitäten durch Ordensleute in Ausbildung)
Gespräche mit den Ordensleuten in Ausbildung über persönliche Entwicklung; Bewertung von Studienleistungen; Anwendung des standardisierten Ausbildungsprogramms
Vermittlung ökologischen Bewusstseins (einschließlich der wissenschaftlichen Grundkenntnisse), Integration des Ziels in interne Ausbildung für Sensibilisierung, Sichtbarkeit des Bewusstseins durch ökologisch durchdachten und gepflegten Campus
Aktivismus/ Politische Aufgabe
Auswahl der aktivistischen ‚Projekte‘ und Partner; Lebensstilentscheidungen und deren Vermittlung an Dritte; Partizipationsverweigerungen; informelle Investigation
Erfahrungsraum Kommunität: einmalige Energiechecks, Umweltmanagement; Erfahrungsraum Umweltzerstörung: Investigation/ Begehungen, wissenschaftliche ImpactStudien
Verhinderung von Umweltzerstörung; Einfluss bes. auf wirtschaftliche Akteure und/oder Regierungen für Gerechtigkeit bzw. gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung; aktiv Sein (versus Trägheit); Genügsamkeit
Spiritualität
Lebensstilentscheidungen und deren Vermittlung an Dritte; Erfahrungen im Garten und beim Reisen
Meditation, Exerzitien, Tagesrituale; angeleitete Übungen; theologische Reflektion und Wissenschaft
Harmonie; Verbundenheit, Schönheit; nicht rationale Authentizität; offenes und umweltgerechtes Bewusstsein; Sauberkeit
6.1 Zielimmanente Bewertungen
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Aus den Gesprächen geht hervor, dass mit unterschiedlichen sozialen Welten unterschiedliche Situationen informeller sowie oft auch formaler Bewertungen einhergehen, in denen unterschiedliche Maßstäbe angewendet werden. Als Situationen informeller Bewertung werden hier solche verstanden, zu denen es in einer sozialen Welt beziehungsweise deren geteilten Sinnstrukturen kein oder nur ein sehr schwach ausgeprägtes Protokoll gibt, wie und von wem die Bewertung eines Gegenstandes vollzogen werden soll oder darf und mit welchen Maßstäben. Basierend auf den Erzählungen lassen sich solche Situationen rekonstruieren: Ron und seine Mitarbeitenden problematisieren in einer Besprechung Müllmengen im Gefängnis als gesundheitsgefährdend (vgl. 5.1.2). Thomas erarbeitet mit den Studierenden seines Kurses, dass es ‚gut‘ wäre, regenerative Energiequellen zu nutzen (vgl. 5.1.1). Auch die Gespräche mit mir sind Situationen der informellen Bewertung. Martin erklärt, vor dem Hintergrund der Alterung der deutschen Franziskanerprovinz sei es zielführend, alltagspraktische Lebensstilentscheidungen zu fokussieren statt große, zusätzliche, politische Projekte (vgl. 5.1.5). Camilo und Pablo vermitteln mir, dass zu viele Rohstoffe in ihrer Region abgebaut werden (vgl. 5.1.5). Diese knappe Aufzählung verdeutlicht, dass informelle Bewertungspraktiken sich in alltäglichen Interaktionen ergeben sowie im Rahmen individuell zu treffender Entscheidungen. Auch wird bereits erkennbar, dass in Bezug auf konkrete Situationen unter Umständen unterschiedliche Maßstäbe gleichzeitig angewendet werden, die sich nicht allein aus der impliziten Interpretation des Ziels ableiten lassen. So bewertet Martin in dem aufgeführten Beispiel nicht zuletzt danach, was er in seiner Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Altersstruktur als finanziell sinnvoll erachtet.2 Wenn Thomas sich für die Einführung eines alternativen Bussystems einsetzt, greift er zielführend auch die Maßstäbe Sauberkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit auf. Da viele solcher Momente bereits im vorherigen Kapitel ausgeführt und mit Zitaten illustriert wurden, stelle ich sie an dieser Stelle nicht erneut dar. 2Die
entsprechende Passage lautet: „Ja, das heißt, da ist auch immer so die Frage: An welchen Orten investieren wir noch? Also, jetzt mal ganz, rein technisch gesehen, ja. Also, wo setzen wir auch meinetwegen unter Umweltgesichtspunkten noch etwas um, wenn eh klar ist, es steht wahrscheinlich an, dass wir da nicht mehr allzu lange sein werden an diesem Ort. Von daher, ja, ist es immer auch so ein Abwägen […] auf dieser Ebene. Die andere Ebene ist eben mehr so wirklich dieses ganz Alltagspraktische, was wir zwischendurch auch hatten. Meinetwegen diese Frage von Ernährung: Was kaufen wir für Nahrungsmittel? Die ist natürlich immer aktuell, ja, weil (lach) wo die Brüder sind, wollen sie auch etwas essen. […] Ja, das denke ich, wird so unser Auftrag sein, weil wir jetzt halt nicht mehr die, die riesen Projekte haben.“
220
6 Bewertungen
Neben Situationen der informellen Bewertung werden in den sozialen Welten auch Bewertungen basierend auf geteilten ‚Protokollen‘ vorgenommen. In den sozialen Welten teilen die Beteiligten Wissen darüber, wie und von wem die Bewertung eines Gegenstandes anhand welcher Maßstäbe vollzogen werden soll. Formalisierung meint hier daher Manifestationen des kommunikativen, expliziten Wissens wie verschriftlichte Standards ebenso wie nicht-verschriftlichte, starke Konventionen zu Verfahren und Maßstäben, auf die Akteure im Bewertungsprozess zurückgreifen. Es zeigt sich eine große Bandbreite von Situationen, die einem solchen formalisierten Verfahren folgen. Bei der Zielinterpretation als Aufgabe in der internen Ausbildung unterliegen die konkreten Praktiken formalisierter Bewertungen den jeweiligen Ausbildungskonventionen der Provinz. In beiden Orden und allen Provinzen ist dem Bereich die grundlegende Idee der Bewertung in der hierarchischen Beziehung zwischen Ausbilder und den Auszubildenden inhärent eingeschrieben. Dazu benannte, erfahrenere Ordensleute begleiten die neuen Mitglieder; sie führen sie in das ordensspezifische Wissen ein und geben ihnen während der unterschiedlichen Stufen ihrer Ausbildung regelmäßig ‚Rückmeldung‘ zu ihrer Entwicklung. Ein deutscher Jesuit beschreibt es wie folgt: Noviziat ist eine offene Prüfungszeit. Man erklärt sich bereit, die Spielregeln zu wahren, die im Noviziatsgebiet gelten. Das heißt jetzt quasi, das Leben nach den Gelübden zu praktizieren, weil darauf hin will man sich ja testen. […] Und am Schluss steht dann die Entscheidung an. Und die trifft sowohl der Novize […] wie auch der Orden. Also, beide müssen dann sagen: „Ja, geht“ oder „Wir wollen das.“
Ein philippinischer Jesuit erklärt mir: JG:
[W]hat does the formation team do?
Jesuit:
Well, they sort of supervise the seminarians, the scholastics, they make sure they are studying, make sure they are behaving.
Wie Cristoforo im folgenden Zitat beschreibt, werden die Auszubildenden der franziskanischen Provinz San Pedro de Bautista in Bezug auf ihr Interesse an GFBS basierend auf einem standardisierten Ausbildungsprogramm „evaluiert“.3
3In
der deutschen Franziskanerprovinz kommen die Novizen in einem einmaligen Seminar mit dem Provinzkoordinator für GFBS zusammen, um über diese Themen zu sprechen. Ich konnte an einem dieser Seminare teilnehmen. Eine formalisierte Evaluation oder eine Einigung auf eine Perspektive findet nach meinem Kenntnisstand nicht statt.
6.1 Zielimmanente Bewertungen Cristoforo:
221
Because our formation program […] is streamlined. We have a clear program in the manual and JPIC is part of that. So, at the end of every semester, for example, every candidate has to be evaluated if he has exhibited some […] INTEREST in this field.
Der Interpretation der Ziele als Aufgabe in der internen Ausbildung folgend orientieren sich Bewertungen an der Frage, inwieweit ein Akteur oder eine Praxis ökologisches Bewusstsein vermittelt und für Fragen des Umweltschutzes sensibilisiert (ist). Hinsichtlich der rekonstruierten Interpretation des Ziels als spirituelle Aufgabe nennen die Gesprächspartner formalisierte Verfahren wie die jesuitischen Exerzitien, gemeinschaftlich entwickelte Meditationsrituale und spezifisch entwickelte Kurse und Übungen. Die Maßstäbe, die sich unmittelbar von der Zielinterpretation ableiten lassen, sind durch die Betonung von Beziehungen mit Natur und Umgebung die Verbundenheit und die Tiefe dieser Beziehungen, Harmonie und Schönheit. Damit verbunden ist auch der Maßstab der Sauberkeit beziehungsweise eines Bewusstseins für Fragen des Umweltschutzes. In Bodos Zugang lässt sich eine Forderung nach authentischen und nicht rationalen Perspektiven erkennen. Implizit verweist die Betonung interreligiöser spiritueller Auseinandersetzung und ‚Reifung‘ auch auf den Anspruch, sich nicht zu verschließen, sondern verschiedenen spirituellen Formen und Lehren gegenüber offen zu sein. Bodo nennt dies ‚andere Epistemologien‘. Im Rahmen der Interpretation des Ziels als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre werden Phänomene mit einer wissenschaftlichen Perspektive, also der Untersuchung zum Zwecke weiterreichender Erkenntnisse, betrachtet.4 Bewertet wird dabei zum Beispiel in Bezug darauf, ob ein bestimmtes Phänomen (wie Klimawandel, Zunahme im Verkehrsaufkommen, usw.) zu beobachten ist, in welchem Ausmaß und aufgrund welcher Mechanismen. Grundlegender Maßstab ist hierbei Wissen beziehungsweise ein auf das Phänomen bezogener Sachverstand. Innerhalb des Erfahrungsraums der Hochschule können Jesuiten, die Mitglieder in jesuitischen Fördergremien sind, mit der Interpretation des Ziels als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre beispielsweise die ‚Güte‘ von Anträgen
4Für
eine exemplarische, kritische Diskussion der Idee einheitlicher Gütekriterien in den Wissenschaften siehe Jasanoff (1996). Vor dem Hintergrund der Differenzen dazu, was wissenschaftliche ‚Güte‘ ist, bleibt meine Analyse diesbezüglich entweder sehr abstrakt oder eng am Material.
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bewerten, wie Thomas im Gespräch mehrfach erzählt.5 Antragsteller sind in diesen Situationen andere Wissenschaftler der eigenen Hochschule, darunter auch viele Nicht-Jesuiten. Dabei dienen wissenschaftliche Kriterien ebenso als Maßstäbe wie das Kriterium, den Zielen der Gesellschaft Jesu zu entsprechen, wie Thomas mit der Frage ausdrückt: Passt das Projekt zur Mission der Gesellschaft Jesu? Auch in ihren Rollen als Berater außerhalb der Hochschulen sind jesuitische Wissenschaftler Teil von Bewertungssituationen. Im Rahmen der Interpretation der Ziele als soziale Aufgabe ist der wichtigste Maßstab Fürsorge. Erreicht werden soll damit ein ‚gutes‘ Zusammenleben zwischen Menschen, die Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen. Bei der Interpretation des Ziels durch den Gefangenenseelsorger ist ein konkreter Maßstab, welche positiven wie negativen Auswirkungen Handlungen auf die Lebensbedingungen von Gefangenen als marginalisierte Gruppe in der Gesellschaft haben, zum Beispiel inwieweit sie und ihre Familien in die Gesellschaft integriert und in welchem hygienischen Zustand Gefängnisse sind. Das Material enthält keine Situationen formalisierter Bewertung. Die Situationen formalisierter Bewertungen im Rahmen der Interpretation des Aktivismus sind hingegen so vielseitig wie die damit verbundenen Strategien der Zielerreichung. Aktivitäten werden in entscheidendem Maße danach bewertet, ob sie ermöglichen, Einfluss zu nehmen einerseits auf wirtschaftliche Akteure und/oder Regierungen, um Gerechtigkeit zu fördern, gegen Ausbeutung vorzugehen und Umweltzerstörung zu verhindern, und andererseits auf Mitbrüder, die aktiv(er) für das Ziel eintreten sollen. Besonders das Prinzip des sapat na (vgl. Abschnitt 5.1.5) beinhaltet den Maßstab der Genügsamkeit im Lebensstil. Auf den Philippinen sind diverse Ordensleute mit einer aktivistischen Orientierung involviert in Bewertungen von lokalen Aktivitäten von Unternehmen, die (potentiell) zu Umweltzerstörung führen. Ich erfuhr beispielsweise von einer Investigation, welche eine Bewertungssituation mit formalisiertem Verfahren innerhalb der sozialen Welt des Aktivismus auf den Philippinen ist. Der Koordinator für GFBS der franziskanischen Provinz San Pedro Bautista war zusammen mit Mitgliedern anderer katholischer Ordensgemeinschaften an
5Als
Wissenschaftler unterliegen auch ihre eigenen Arbeiten den Bewertungskonventionen wissenschaftlichen Arbeitens, beispielsweise bei der Erarbeitung bei Qualifikationsarbeiten wie Dissertationen. Als Lehrende bewerten sie die Studierenden und Schüler*innen. Inwiefern für diese Bewertungen die Ziele der Bewahrung der Schöpfung beziehungsweise der Versöhnung mit ihr relevant sind und welche anderen Maßstäbe dabei angewendet werden, kann jedoch basierend auf dem Material nicht beantwortet werden.
6.1 Zielimmanente Bewertungen
223
der Untersuchung eines geplanten Geothermiekraftwerks beteiligt, was auf der philippinischen Insel Biliran im Osten der Inselgruppe Visayas entstehen sollte. Das Vorhaben, die Region anhand des Großprojekts durch Erdwärme mit Strom zu versorgen, ist – wie als negativer Bezug der Orientierung des Aktivismus ausgeführt – grenzüberschreitenden Charakters durch die anfängliche Beteiligung eines isländischen Unternehmens, später eines Unternehmens aus Singapur.6 Mit einer Gruppe weiterer religiöser Akteure besuchte der Franziskaner das Gelände, sprach mit Menschen der Region sowie Vertreter*innen der lokalen Regierung und des Unternehmens im Sinne einer kritischen, zivilgesellschaftlichen Begleitung des Bauvorhabens. Koordinator:
[T]he environmental investigative mission […] Because there is a geothermal and they are already drilling and then, we were there to visit and then to ask some questions later. Is there a study for this? And then we asked for the permit and then, what is the geothermal all about, you know. The, their social responsibility and then, it affected the local community. And after that, we also visited the people around. How they look at this geothermal. […] we organized with this company and then the local government and then, they presented, the government presented, of course, the regular, what the company is all about and how, of course, you know, they would only say that they are active in the community. […] and with time, we will restate it, you know.
Die Untersuchungskommission sprach auch mit Angestellten, die bei Probebohrungen auf dem Gelände Gasvergiftungen erlitten hatten.7
6Das
Bauvorhaben hat seinen Ursprung in einem Jointventure zwischen der philippinischen Firma Filtech Energy Drilling Corp. und der Firma Envent – dem Guardian zufolge ihrerseits eine Gründung der isländischen Bauunternehmen Reykjavik Energy Invest und Geysir Green Energy zur Durchführung von Geothermie-Projekten auf den Philippinen und in Indonesien nach dem Bankenzusammenbruch in Island 2008. 2012 übernahm die Firma Orka Energy Holding die Anteile von Envent. Medial und im Gespräch wird diese Firma auch als isländisch beschrieben, hat ihren Sitz aber in Singapur. Entgegen ursprünglicher Vorbehalte von Umwelt- und Sozialaktivisten wird das Bauvorhaben vermutlich über die Probebohrungen hinaus verwirklicht, wobei der Prozess nicht abgeschlossen ist und ich keine Einblicke in die aktuellsten Positionen der Untersuchungskommission zu dem Prozess habe (vgl. Olchondra 2015; Remo 2012; Veal 2010). 7Das erfuhr ich im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung bei einem Treffen der Kommission zu GFBS von AMRSP. Eine Ordensschwester, die ebenfalls Teil der Kommission war, berichtete von der Besichtigung.
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Im Unterschied zu den Nachforschungen des Franziskaners Camilo zu illegaler Abholzung, bei der dieser sich auf ‚seine‘ Region entsprechend des Parochialprinzips als Priester konzentrierte, fand diese Überprüfung weit entfernt von dem Wohnort des involvierten Franziskaners statt. Er agierte dabei als Teilnehmer einer sich organisierenden Gruppe verschiedener religiöser Funktionsträger. Teil der Untersuchungskommission wurde er durch eine Weisung des Provinzials, der die Anfrage durch die AMRSP erhalten hatte. Eine weitere Verbindung bestand über die Untergruppe des AMRSP zu GFBS, zu welcher der franziskanische Koordinator für GFBS qua Amt gehört. Der Bischof in Biliran suchte die Unterstützung des Netzwerks des Biliran Environmental Awareness Movement (BEAM), einem Zusammenschluss verschiedener religiöser Akteure. In diesem schließlich ist auch eine führende franziskanische Ordensschwester der Kommission zu GFBS der AMRSP Mitglied, die das Anliegen in die Kommission einbrachte und diesbezüglich Kontakt zu dem franziskanischen Koordinator suchte. Der Schwester zufolge begrüßte der Bischof das Engagement der Ordensleute bzw. BEAM besonders deshalb, weil ihm vorher der Zutritt zu dem Gelände verwehrt worden war. Daraus erwuchs die Forderung und Planung, BEAM bzw. die religiösen Vertreter der AMRSP-GFBS Kommission sollten Teil einer regelmäßigen („regular“), von der Regierung anerkannten Untersuchungskommission zum Bauvorhaben werden. Dass dem Franziskaner die Investigation qua Amtes als Koordinator für GFBS von externen wie internen Akteuren zugetragen wurde, zeigt den hohen Grad der Institutionalisierung von religiösen Akteuren als Teil der Zivilgesellschaft, die im Bereich des Umweltschutzes quasi-staatliche Aufgabe übernimmt. Mit interner Orientierung lassen sich ebenfalls eine Reihe aktivistisch motivierten Bewertungsverfahren identifizieren, also mit Bezug zu Fragen des individuellen Lebensstils der Ordensleute und der gemeinschaftlichen Beschaffung. Dabei haben die drei hier vorgestellten Beispiele ihren Ursprung in drei unterschiedlichen Arenen: dem Provinzkapitel, der Kommunität und der Konferenz. So brachte die Gruppe zu GFBS der deutschen Franziskanerprovinz beispielsweise im Provinzkapitel zielentsprechende Anträge ein. Ein Antrag animierte zu „fairem Einkauf und Konsum“ (Peter) bzw. Beschaffung, die „öko und fair“ (Klaus) ist. Ein zweiter Antrag forderte „Energiechecks“ für die großen Einrichtungen und Kommunitäten der Provinz. In Bezug auf diese beiden Lebensbereiche wurde somit das Ziel der Bewahrung der Schöpfung auf Initiative der GFBS-Gruppe durch die Maßstäbe „ökologisch“, „fair“ und „energieeffizient“ anhand der Beschlüsse im Provinzkapitel operationalisiert. Beide Anträge wurden ohne Widerstände angenommen. Wie die Beschlüsse umgesetzt werden
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(können), sollte jede Kommunität prüfen. In der franziskanischen Einrichtung, die der aktivistisch orientierte Gesprächspartner Martin leitet, initiierte er einen Energiecheck des Gebäudes durch eine professionelle Agentur. In der Diskussion im Provinzkapitel wurde darüber hinaus festgestellt, dass vor dem Beschluss zu Energiechecks bei einigen anderen Einrichtungen und Wohnhäusern bereits Überprüfungen und entsprechende Baumaßnahmen durchgeführt worden waren. Im Rahmen der aktivistischen Interpretation des Lebensstils wird besonders mit Bezug auf den Bereich der Energieversorgung technisches (Ingenieurs-)Wissen zum entscheidenden Maßstab. Dieses Wissen erwarb Martin durch einen externen Anbieter. Externe technische Expertise wird auch von dem Franziskaner Matthias Maier als Teil des Sanierungsprozesses des Klosters in Graz herausgestellt. Die Akteure im Sanierungsprozess, technisch versierte Fachleute und verantwortliche Ordensmitglieder, bedürften darüber hinaus der Kreativität (im Umgang mit dem alten Gebäudebestand): „Für ein altes Kulturgebäude gibt es kein Patentrezept in der thermischen Sanierung. […] Doch durch ein kreatives Herangehen und durch gute Zusammenarbeit mit Architekten, Technikern, Bauphysikern, kreativen Handwerkern und Bauherren kann etwas Visionäres wachsen“ (Maier 2013: 55).8 In der deutschen jesuitischen Provinz ist zum Zeitpunkt meiner Datenerhebung ein systematisches Umweltmanagement in einer großen Kommunität im Aufbau, bei welchem Umweltauswirkungen des Gemeinschaftslebens genau überprüft, formal dokumentiert und kontinuierlich verbessert werden sollen. Anstoß für die Einführung des systematischen Managementsystems war der Wunsch, extern begleitet zu werden: „jemand von extern, der sagt, wie können wir das noch besser machen“ (Jesuit der Kommunität). Mit dem Modell soll über die Kommunität hinaus in der Provinz für solche Verfahren geworben werden. Der Jesuit sieht es auch deshalb als „gute Form“ an, da „man so [etwas] als Inputvorschläge für andere Werke, Häuser“ nutzen kann. Als dritte Illustration aktivistisch und intern orientierter Bewertungsverfahren dient die Flugkompensations-Initiative Flights for Forests der Konferenz Asienpazifik der Gesellschaft Jesu. Teilnehmende jesuitische Kommunitäten, Einrichtungen oder Einzelpersonen kompensieren den durch Flüge verursachten CO2Ausstoß durch Geldzahlungen an die Initiative. Diese fördert mit dem Geld (fünf US-Dollar pro Flug) Aufforstungen in der Region. Die Initiative ist besonders deshalb spezifisch, weil sie für die Teilnehmenden dahingehend eine bewertende 8Während
der Datenerhebung wurde von verschiedenen Mitgliedern der franziskanischen Familie die franziskanische Gemeinschaft in Graz besonders hervorgehoben, welche „ihr Kloster komplett ökologisch […] umgestellt“ (Peter) hat, einschließlich umfassenden energetischen Sanierungsmaßnahmen.
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Position einnimmt, dass sie eine als ökologisch negativ betrachtete Handlung (durch Flug CO2-Ausstoß Verursachen) in einen Geldwert ‚übersetzt‘, der wiederum genutzt wird, um den Schaden ‚auszugleichen‘. Da jeder Flug unabhängig des Umfangs der verursachten Emissionen gleich viel kostet, bewegt sich die Skala des Systems nur zwischen Flug oder Nicht-Flug bzw. Schaden oder Kompensation. Dieser Abschnitt legte die vielfältigen Bewertungssituationen innerhalb der sozialen Welten der erarbeiteten Typik der Zielinterpretationen dar. Der nächste Abschnitt spezifiziert den geteilten Bewertungsmaßstab des Gemeinwohls und das Verfahren ‚Sehen – Urteilen – Handeln‘ hinsichtlich der Ordensziele, die Schöpfung zu bewahren bzw. sich mit ihr zu versöhnen. Im darauf folgenden Abschnitt gehe ich auf die Möglichkeit ein, dass sich Umweltschutzziele von Ordensgemeinschaften auch indirekt und über die Zeit hinweg in Bewertungsverfahren niederschlagen.
6.1.2 Geteilte Bewertungsmaßstäbe und Verfahren Gesprächspartner über verschiedene Interpretationstypen hinweg sorgten sich um das Wohl der Menschen, besonders der Marginalisierten. Diese Orientierung am Gemeinwohl ist ein geteilter Bewertungsmaßstab, der ohne entsprechende Impulse durch die Interviewerin von vielen Ordensmitgliedern aus beiden Orden und aus beiden Weltregionen in den Gesprächen aufgegriffen wird (wenn auch nicht von allen). Innerhalb einzelner Gespräche lässt sich diese Orientierung selten mit vielen Homologien rekonstruieren, sondern sie deutet sich vielmehr in evaluativen Randbemerkungen an. Erst mit vergleichendem Blick auf die bewertenden Aussagen verschiedener Gesprächspartner, die mit der dokumentarischen Methode üblicherweise weniger Gewicht erhalten als erzählerische Passagen, sticht der geteilte Maßstab aus dem Material heraus. In folgendem Zitat äußert der Jesuit Thomas sein Interesse an den potentiellen Auswirkungen eines geplanten Kraftwerkes (beziehungsweise seine Sorge über dieses): I am concerned about the […] environmental issue of the whole, never mind [THE COMPANY], it may or may not affect them […], but it will have potential influence in the city so I am going to start wondering what about the barangays that are near the plant who are also built there.
Thomas bewertet dabei nicht nur den Gegenstand „Kraftwerk“, sondern auch unterschiedliche, mögliche Forschungsfragen in Bezug auf das Kraftwerk. Ihn
6.1 Zielimmanente Bewertungen
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interessieren weniger die wirtschaftlichen negativen Effekte des Kraftwerks als die sozialen, wie durch die Signale „city“ und „barangay“ in seinen Ausführungen deutlich wird (vgl. Abschnitt 5.1.1). Einige philippinische Jesuiten sehen auch solche wissenschaftlichen Arbeiten als positiv an, die anwendungsund lösungsorientiert sind und dabei einfach und effektiv, wie hier von Ricardo expliziert wird: Ricardo:
The vision is clear. […] now, in the Jesuit way, it is really time to see, how, how, what does this really mean in practical terms and how does this work?
Thomas ist in einem Austausch mit der städtischen Verwaltung über öffentliche Verkehrsmittel. Verschiedene Bedingungen wie Sauberkeit und Pünktlichkeit müssen seiner Sicht nach erfüllt sein, damit die neuen Verkehrsmittel wirklich genutzt und so Autokäufe reduziert werden, das heißt Umweltverschmutzung verhindert wird. Thomas:
So, to really put in a good system of rapid transit which would motivate people NOT TO GET A CAR. That is the whole point. So, […] it does not have to be fancy […]. It could be just buses that […] run on rubber tires. They have special lanes or what. But, it runs on time. It is kept clean. It is maintained. It is always there. And the person therefore knows: Okay, why do I buy a car? I just have to get to my office in twenty minutes. I know, if I get the train I am there in twenty minutes. So, that is the motivation NOT to buy a car. That is what we are trying to do. Make it so appealing, that people do not buy that car, [… to avoid] another polluter on the highway.
Damit wird deutlich, dass Ordensleute mit der Interpretation des Ziels als Aufgabe an Wissenschaft und Lehre eine ‚wissenschaftliche Perspektive‘ nicht zum Selbstzweck der Wissenschaft annehmen, sondern dass sie z. B. Katastrophenschutz effektiv gestalten wollen zum Wohle der betroffenen Bevölkerung oder Autokäufe reduzieren wollen zur Verhinderung von Umweltverschmutzung. In Bezug auf den Teilbereich der Lehre fand ich im Rahmen der Zielinterpretation hingegen Unverständnis gegenüber ökonomischen Motiven für ein akademisches Studium, wobei diesbezüglich ein positiver Gegenhorizont ausbleibt:9
9Ein
möglicher positiver Gegenhorizont wäre beispielsweise gewesen, weiter auszuführen, dass Studierende sich für Disziplinen interessieren könnten, die zur Lösung ökologischer oder sozialer Probleme beitragen.
228 Jesuit (PHI):
6 Bewertungen Accounting is a very popular course now there. I never figured out why. […] So, it has a reputation and people, I don’t know why, but I guess people feel that makes money after they graduate but. They go into accounting. They don’t go into natural science. They go into accounting.
Der grundlegende normative Imperativ, dass Handlungen dem ‚Wohl‘ der Menschen dienen sollen, lässt sich darüber hinaus im Rahmen weiterer Interpretationstypen rekonstruieren. Besonders deutlich trifft dies bei den extern orientierten Interpretationen von Aktivismus und sozialer Aufgabe zu, drückt sich beispielsweise aber auch innerhalb der Interpretation als interne Aufgabe in der Ausbildung aus. So sollen die bewusstseinsbildenden Aktivitäten, die der Franziskaner Cristoforo anstrebt, langfristig Todesopfer von Naturkatastrophen verhindern, also ebenso dem ‚Wohl‘ der Mitmenschen dienen, auch wenn der Aspekt weniger deutlich hervorsticht. Dieses Wohl erscheint universell wünschenswert: für alle Menschen unabhängig von Gemeinschaftsgrenzen aufgrund von Glaube, Wohlstand oder kulturellen Unterschieden. Während Thomas kaum zwischen Gruppen differenziert, betont Ricardo als Jesuit mit wissenschaftlicher Orientierung jedoch ebenso wie Ordensleute mit aktivistischer oder sozialer Orientierung, dass ökonomisch und sozial benachteiligte Gruppen besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Ein gemeinsamer Maßstab, der eng mit dem des Wohles in Zusammenhang steht, ist folglich der der Bedürftigkeit. Im Zusammenhang mit Katastrophenschutz lässt sich dies auch mit den Begriffen der Vulnerabilität und der Resilienz konkretisieren. Im Rahmen der aktivistischen Interpretation wird eine Perspektive der Bedürftigkeit als Maßstab durch Ausdrücke wie die Option für die Armen oder Umweltgerechtigkeit deutlich. Die empirische Hinweise auf diesen gemeinsamen Bewertungsmaßstab lassen sich vor dem Hintergrund der katholischen Soziallehre erstens als impliziter Rückgriff auf eine katholische Sinnstruktur und damit auf unter katholischen Akteuren konjunktiv geteiltes Wissen und zweitens als Einordnung des Ziels in den Rahmen sozialer Fragestellungen beziehungsweise Fragen zu „Orientierungsund Handlungsnormen für die Gestaltung von Welt und Gesellschaft“ (Brockhaus 2001; vgl. Abschnitt 4.3.1) verstehen. Dabei lässt sich mit Gemeinwohl besonders eins der vier Prinzipien der katholischen Soziallehre (Menschenwürde, Gemeinwohl, Subsidiarität und Solidarität; vgl. 4.3.1) typen- und regionen-übergreifend wiederfinden. Die Prinzipien der Menschenwürde, der Subsidiarität und der Solidarität lassen sich partiell in Interpretationen wiederfinden, werden jedoch weniger deutlich übergreifend im Rahmen der Zielinterpretationen und als Maßstab ziel-
6.1 Zielimmanente Bewertungen
229
immanenter Bewertungen aufgegriffen. Das grundlegende Prinzip der Menschenwürde und der Subsidiarität korrespondiert zum Beispiel mit der Interpretation des Ziels als soziale Aufgabe in der Spielart des Gefangenenseelsorgers. In Bezug auf die Interpretation der Spiritualität lässt sich dies kaum herleiten. Bei den Gesprächspartnern mit aktivistischer Interpretation und dabei denen mit starkem Bezug zum Problem der Gerechtigkeit zeigte sich ein anthropozentrischer Fokus, der sich sowohl mit den normativen Prämissen der Menschenwürde als auch der Solidarität gut vereinen lässt. Diese Prinzipien können aber nicht in gleicher Weise aus dem Material herausgearbeitet werden wie das Prinzip des Gemeinwohls (s. o.). Gleichzeitig nehmen die Gesprächspartner nur sehr selten Bezug auf die katholische Soziallehre oder Materialisierungen dessen wie päpstliche Positionen, weswegen ich die Orientierung am Gemeinwohl nicht sicher als genuin katholische Prinzipien für die Ordensleute herausstellen kann. Erst in Verhandlungen zwischen Ordensleuten wird erkennbar, dass Differenzen der Interpretationen auf Grundlage dieser gemeinsamen Prinzipien harmonisiert werden (sollen). In der katholischen Soziallehre wird mit ‚Sehen – Urteilen – Handeln‘ auch ein evaluatives Verfahren ausgeführt, was im Rahmen der vorliegenden Feldstudie mehrfach verwendet wird. Das Verfahren wird in Gruppen angewandt beim Austausch zu einem Thema, dient aber auch als relevante Struktur für diverse Veröffentlichungen der Gemeinschaften. Solche Veröffentlichungen wurden in beiden Orden zu den hier untersuchten Zielen von ordensinternen, transnationalen Expertengruppen verfasst. Sie regen sowohl in der Gesellschaft Jesu als auch im Orden der Minderen Brüder nachhaltige Änderungen lokaler Praxis innerhalb der Orden an. Diese Texte sind die Maßstabs- und Verfahrensvorschläge für Bewertungen, werden meinem Eindruck nach aber lokal selten unmittelbar (‚eins zu eins‘) für entsprechend formalisierte Bewertungen genutzt. So ist beispielsweise das jesuitische Dokument Healing a Broken World entlang des Vorgehens Sehen – Urteilen – Handeln gegliedert: it is easy to understand the structure, you know, immediately, you see. You analyze the regions; you give an inside of what is going on. Then, you have you Christian, Ignatian perspective, and then you make proposals for change of commitment […]. This is often, I mean, common for us. We are used to this […], some of the decrees from the Congregation, they are written in a similar way.
Ein Franziskaner, der als GFBS-Koordinator des Ordens in Rom mit Ordensleuten anderer katholischer Orden eine Broschüre zum Thema Wasser verfasst hatte, beschreibt die Anwendung des Verfahrens wie folgt:
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And we, with other religious, […] we decided to [… look] at the reality first. We tried to analyze and understand what is going on around us. […] I think that just, the vision of faith is not just to do a social analysis […], a scientific analysis but to try to look at the world around us and whatever we think off, we are involved in through the lens of our contemplative vision or a contemplative stance which tries to even deeper than what we see this includes. And which really brings us into the whole transcendental, spiritual dimension […] and the judging through the lens of our faiths. What we see we try to interpret through the lens of the gospel, through gospel values, through the division and Jesus Christ, and through the tradition of – in our case – the Catholic Social Teaching […]. And we decided, well, what are we going to do? Individually and collectively. So, that is the way we designed the booklet: to see, to judge, to act.
Das hier vorgestellte Verfahren des Sehen – Urteilen – Handeln wird von einem Gesprächspartner kritisiert, es führe zu unnötigen Plänen. Im Kapitel zu Verhandlungen gehe ich außerdem auf einige der Veröffentlichungen von Expertengruppen erneut ein.
6.1.3 Einfluss auf Bewertungen anderer Nicht zuletzt durch die formalisierten Programme, die Ordensleute in ihren Einrichtungen umsetzen oder unterstützen, und in ihren Rollen wie Priester, Lehrer oder Leiter von Einrichtungen können Ordensleute Einfluss auf Bewertungssituationen nehmen, an denen sie selbst gar nicht beteiligt sind. So versucht Dylan, ein philippinischer Jesuit und Umweltwissenschaftler, in internationalen Organisationen wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (im Folgenden: FAO) Verfahren der Datenerhebung zugunsten kleinbäuerlicher Landwirtschaft zu beeinflussen und damit die Interessen von Akteuren zu vertreten, die in globalen wie nationalen politischen Prozessen häufig marginalisiert werden: I am arguing with FAO […] over ‘they are not doing enough for the small farmer and how crucial the small farmer is in the viability and the sustainability in the world.’ Small fishermen are not counted in any of the statistics of fishing globally, yeah.
Dylan sucht die Auseinandersetzung mit der internationalen Organisation über deren Messverfahren. Er versucht zu verändern, welches Wissen in der Arbeit der FAO als relevant betrachtet wird und in der Folge für andere Akteure zugänglich ist, die mit den erhobenen Daten arbeiten.
6.1 Zielimmanente Bewertungen
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Die systematische Analyse all solcher Situationen, in denen Ordensmitglieder auch Nicht-Ordensmitglieder wie Schüler*innen, Personal der ordensgeführten Einrichtungen oder internationale Organisationen beeinflussen, übersteigt die Möglichkeiten dieses Forschungsprojektes. Anknüpfend an die Diskussion des Erfahrungsraums der jesuitischen Hochschule im vorherigen Kapitel und aufgrund der Anschlussfähigkeit an Debatten zu Rankings im Bildungswesen möchte ich jedoch auf den Bereich der ‚grünen Hochschulen‘ als ordensgeführten Einrichtungen knapp eingehen. Mit Blick auf die Initiativen stechen als formalisierte Verfahren der Bewertung die Rankings und Auszeichnungen für ‚grüne Schulen‘ auf den Philippinen hervor. Zur Zeit meiner Feldforschung existierten zwei nationale Bewertungsverfahren für ‚grüne Schulen‘. Eines wurde erstellt durch das Environmental Education Network of the Philippines (EENP), das durch verschiedene umweltpolitische Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen getragen wurde.10 Ein zweites Bewertungsverfahren ist seit 2009 das von der Regierung beziehungsweise der Abteilung für Umwelt und natürliche Ressourcen (Department of Environment and Natural Resources, DENR): “The National Search for Sustainable and Eco-Friendly Schools is organized to give recognition to the environmental initiatives of schools over the country” (DENR 2015). Eine jesuitische Schule erhielt die Auszeichnung im Jahr 2013. Der jesuitische Leiter der High-School sagte bei der Preisverleihung: Winning the 2013 National Search for Sustainable and Eco-friendly Schools is our contribution to the Church, the Society of Jesus, and the Ateneo de Davao University’s mission of a more vigorous environmental protection […] It is also a sign of hope. The national award shows that we can instruct and form future leaders who will help heal and save the wounded creation (Ecoteneo 2013).
Während meiner Gespräche mit Jesuiten und Angestellten von jesuitischen Einrichtungen wurde auf den Erfolg der High-School mehrfach verwiesen. Auch über die lokale Kommunität der Jesuiten hinaus erschien die Wertschätzung in der Ordensgemeinschaft bekannt.
10So
erhielt beispielsweise das angesehene Miriam College, bis 1977 unter der Leitung des katholischen Ordens der Maryknoll-Schwestern (MM), die Auszeichnung der ‚dunkelgrünen Schule‘ (Interview mit A. P. Galang, August 2014; vgl. zum frühen ökologischen Engagement des Colleges auch Segovia und Galang 2002).
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6 Bewertungen
Steve:
In our houses of course we start with segregation (short pause)
Ron:
Even in schools, in Jesuit schools. The one in Davao won an award.
JG:
Yes.
Steve:
National leadership.
Das Programm wird als wirksam über die Schülerschaft hinaus beschrieben und als Vorbild im Sinne von Benchmarking benutzt: Leitender Jesuit der Universität in Davao:
We have set up a group here at the Ateneo. It is relatively new. But already, say in our high school, the high school has […] in the […] the context of our mission to preserve the environment received a national award for the most (short pause) ecological and environmentally friendly school in the country. That is because THERE, they have tried to, to put into the entire curriculum environmental education of everything. And they are trying to run a zero waste (short pause). […] They do not allow plastics on the campus. […] If you have groups […] that want to have this or that activity on campus, they cannot bring styrofoam on campus. They are told to segregate waste. And (short pause) etcetera, etcetera. So, from […] the instruction (short pause) to practice, we are trying to make them sensitive to the environment. […]
JG:
So, what kind of rules do you have [… at] the university here? We talked about the high school and the no-plastic-policy.
Leitender Jesuit der Universität in Davao:
Well, it is the same. Because what has happened in the last semester, the […] group that was so successful in bringing about the high school situation, we alleviated into a university group. So, basically, we now we are going to try to get the distinction for the university. (short pause) […] As far as the high school is concerned, people have been coming to benchmark, you know, with this high school. And so, we took, we are benchmarking.
Im Rahmen der Initiativen für ‚grüne Hochschulen‘ fanden zur Annäherung an die zugrundeliegende Spiritualität an verschiedenen Hochschulen Fortbildungen für die Laien der Initiativen statt, die von Jesuiten geleitet wurden. Die Universitätsgruppe der Universität in Davao beispielsweise initierte diese Weiterbildung: When […] the Ecoteneo board first met, we had difficulty in, in creating those programs which we would like to implement here at our schools. So, there are several case studies and examples and guidance which we can find, right? Like on the internet or we can look at other schools, […] we want this to be more of an organic or a more intimate program catered towards Ateneo students, towards
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Jesuit education. That is why we decided [… have] this seminar or this (short break) how, what do we call them? (longer break) Let’s call it a seminar (laughing). For THREE days, just to gather all the board members of Ecoteneo plus also non-members [… with] a direct link towards the program of Ecoteneo […]. Also, that is why we also included the Jesuits. Father [NAME], so he can talk to us about how, how the Jesuits are really, (short pause) interconnected, REALLY concerned about reconciliation with nature.
Über die Ordengemeinschaft hinaus wird das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung so zu einem zentralen Sinnbezug zur Definition guter Praxis an jesuitischen Bildungseinrichtungen. Gleichzeitig bedeutet die positive Bewertung und Auszeichnung der Zielverwirklichung durch einen externen (staatlichen) Akteur zu einer Stärkung der Umweltmaßnahmen innerhalb der Einrichtungen und Gemeinschaften der Orden, wie die große Wahrnehmung der Ehrung der jesuitischen Schule durch DENR zeigt.
6.1.4 Selbstkritik und Eigentheorien Wie schon von Anselm Strauss in Mirrors and Masks theoretisch ausbuchstabiert (2008, bes.: 34 f.), machen auch Jesuiten und Franziskaner sich selbst zum Objekt der eigenen Bewertung bezüglich der Ziele. Es zeigt sich dabei, dass die Ordensleute von ihrer handlungsleitenden Zielinterpretation durchaus kritisch Abstand nehmen können. Die drei prominentesten Varianten dieser Selbstreflektionen aus dem gesamten Datenmaterial stelle ich im Folgenden vor.
„I am part of the problem anyway.“ (Dylan) Viele der Ordensmitglieder explizieren, im eigenen Handeln die Ziele, sich mit der Schöpfung zu versöhnen oder sie zu bewahren, nur eingeschränkt oder zu wenig verwirklichen. Die Selbstkritik, wie im vorangestellten Zitat durch den Jesuiten Dylan auf den Punkt gebracht, ist relational, wobei der Bezug sowohl ein Fiktives Ideal sein kann (wie implizit bei Thomas oder bei Pablo, siehe unten) oder auch ein real existierendes positives Gegenüber: Peter:
Aber es, es gibt auch viele so, also, [Martin], der hat das, das ist für ihn schon lange ein persönliches Anliegen Vegetarier zu sein[. … I]ch würde sagen, alle seine Argumente sind richtig. Trotzdem esse ich gerne mal ein Stück Fleisch. […] Eigentlich müsste ich doch jetzt, könnte man doch sagen, das eigentlich genauso machen. Ja, vielleicht müsste ich das, aber da habe ich tatsächlich noch mal die Option „Nee“, ne. Also, soweit geht es dann bei mir doch nicht, obwohl es vielleicht sollte oder müsste, aber ja, ne.
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Die explizierte Perspektive, dass das Selbst in Bezug auf die Ziele nicht perfekt ist, bezieht sich auffällig oft auf Themen des Lebensstils, wie sie sich bei der Interpretation des Aktivismus mit interner Handlungsorientierung rekonstruieren ließen. Sie wird allerdings nicht nur im Rahmen dieser Interpretation formuliert, sondern wird im Zusammenhang verschiedener Orientierungen bei der Zielinterpretation expliziert. Der deutsche Jesuit Leonard beispielsweise, der im Gespräch das Ordensziel überwiegend nicht aktivistisch interpretiert, beschreibt eine Alltagssituation, bei der ein Fenster in der Wohnung der Kommunität gekippt war, während die Heizung noch lief. Er erzählt, dass er in der Gemeinschaft seine Beobachtung angesprochen hat, das Verständnis der Interviewerin voraussetzend, dass es sich dabei um ein nicht dem Ziel entsprechendes Verhalten handelt (vermutlich ein Beispiel für Energieverschwendung). In der Interviewsituation erfährt die Begebenheit eine Re-Evaluation. Sie wird zu einer Veranschaulichung dessen, dass im Alltag der Gemeinschaft – ihn selbst eingeschlossen – gelegentlich unabsichtlich entgegen dem Ziel des Umweltschutzes gehandelt wird: Leonard:
Ich glaube, aber es passiert manchmal, gedankenlos. Dann kommt da keine direkte Rückmeldung [auf seine Problematisierung]. Also, weil sich keiner mehr dran erinnert. Kann mir genauso passieren. War ich das jetzt? Keine Ahnung.
Der Wissenschaftler Thomas problematisiert den Anbau von Futterpflanzen für Fleischkonsum von ‚den Leuten‘, um dann unter Lachen festzustellen, dass er selbst zu diesen Leuten gehört. [B]ecause people want beef […] (laughing) But I should not say that when I have a cheeseburger for lunch, so. (laughing)
Weder Leonard oder Thomas noch Peter drücken in diesen Passagen einen Wunsch der Veränderung aus. Auch Peter erkennt zwar das normative Moment des Handeln-Sollens an, definiert mit der Reflektion jedoch auch seine persönliche Grenze – auf Fleischkonsum zu verzichten, würde diese überschreiten. Bei Pablo (vgl. S. 5.1.5) hingegen wohnt der Reflektion die Hoffnung einer persönlichen Entwicklung inne.
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Pablo:
Or even myself, that JPIC, JPIC spirituality is not yet strong in the community. It is not very strong. I am not yet, it is not yet – my DNA is still, is still blurred (all laughing).
Camilo:
Blurred (laughing).
Pablo:
How am I to my companions, to tell them –
‚Noch nicht‘ und ‚noch‘ verweisen in diesem Beispiel auf eine positivere Zukunft, auf die sich das werdende Selbst zubewegt.12 Pablo vermittelt sich selbst als wandelbar. Dies drückt sich im Material auch dann aus, wenn Ordensleute beschreiben, bei externen Ereignissen wie den Ordensbeschlüssen oder Naturkatastrophen für die Ziele sensibilisiert worden zu sein. Peter und Klaus – beide unter der Gruppe der Franziskaner, die in der Provinzkongregation den Antrag für ökologischen und fairen Einkauf eingebracht haben – reflektieren ihren Lebensstil als geprägt durch den Maßstab des Lebens mit den Armen. Einkaufen im Bioladen, so das gemeinsame Urteil, erscheine vor diesem Hintergrund als teurer Lebensstil von „Juppies“. Die Sequenz ist von einer sprachlich und inhaltlich rekonstruierbaren Distanz gezeichnet, welche die Gesprächspartner ihrer eigenen reflektierten Praxis gegenüber einnehmen. Peter:
Und wenn ich jetzt mal gucke auch so im Freundeskreis, so Leute die sehr bewusst im Bioladen einkaufen und so, was sind das für – ja, kein Wunder. Die, von dem Schlag Mensch mit dem Bewusstsein haben wir wenige im Orden, ganz wenige.
Klaus:
Ja.
Peter:
Und das prägt die Gemeinschaft.
Klaus:
Ja. Deswegen wird man kaum eine Gemeinschaft finden, die im Bioladen bei uns einkauft,a kaum.
Peter:
Obwohl das finanziell bei uns aus den genannten Gründen eigentlich ginge.
[…] Klaus:
Ja, aber man würde eher billig kaufen. Man würde eher bei Aldi kaufen oder beim Handelshof oder so was –
Peter:
Mhm.
11Wie
mir Franziskaner verschiedener Weltregionen in verschiedenen Situationen erzählten, hatte ein Generalminister des Ordens einige Jahre vor meiner Datenerhebung GFBS als bedeutenden Aspekt der ‚franziskanischen DNA‘ bezeichnet. Die Metapher wurde im Material mehrfach von Franziskanern verwendet. Die Erzählungen zu dem Ausspruch des Generalministers hinterließen bei mir gleichzeitig den Eindruck, die Stellungnahme hätte die Aktiven des Ordens überrascht und wäre kein Ausdruck weiterer ‚Bewerbung‘ des Themas vonseiten der globalen Ordensleitung.
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Klaus:
Als im Bioladen.
JG:
Weil man sich damit identifiziert oder weil –
Klaus:
Man sagt, es soll gut und günstig sein aber nicht gut und ökologisch und günstig.
[…] Klaus:
Er [der Bruder, der in ihrer Kommunität meistens einkauft] geht zum Kaufland. Wir kaufen bei Kaufland, wir kaufen bei Rewe und wir kaufen bei Edeka. Das sind unsere Läden, wo wir einkaufen normalerweise, ne.
Peter:
So, und dann haben wir natürlich den fair gehandelten Kaffee –
Klaus:
Ja, das machen wir.
Peter:
Und solche Geschichten und so.
Klaus:
Und Mülltrennung und so, das ist selbstverständlich.
Peter:
Und machen eine ordentliche Mülltrennung und –
Klaus:
Ja.
Peter:
Und reden über unsere Energiegeschichten, aber das ist alles eher noch im normalen Bereich. Das ist jetzt nicht Avantgarde alternativer Lebensstil –
Klaus:
Juppie
a Vermutlich
ist hier gemeint: „man wird bei uns kaum eine Gemeinschaft finden, die im Bioladen einkauft“; diese franziskanische Gemeinschaft betreibt keinen Bioladen.
Im Laufe des Gesprächs wird allerdings klar, dass sie das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung trotzdem als wichtig erachten, es aber etwas ist, was sie sich wie andere Mitbrüder auch rational (bzw. ‚vom Kopf her‘) aneignen müssen. Sie bewerten, ihr eigenes Handeln sei im Sinne des Ziels der Bewahrung der Schöpfung ‚defizitär‘, vor dem Hintergrund ihrer Motivation, Franziskaner zu sein, sei das aber verständlich. Peter:
Und wir merken dann: Das ist aber wichtig. Also, im Kopf haben wir auch klar für die Zukunftsfähigkeit von unserer Gesellschaft und von unserer Welt ist das entscheidend, aber das ist jetzt auch, kommt jetzt auch erst mal von außen. Das ist jetzt nicht der Impetus von Haus aus. Also, als Franziskaner sollte man, so, ja –
Klaus:
Ja.
Peter:
Aber es ist nicht unbedingt intrinsisch.
JG:
Mhm. Also, was heißt von außen?
Peter:
Also, das ist nicht das Anliegen, mit dem wir auch schon Franziskaner geworden sind oder so. Das jetzt, so nach dem Motto, ne.
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Klaus:
Mhm.
JG:
Ja, aber woher kommt denn dann überhaupt – könnte man ja auch sagen, ist okay.
Peter:
Wir beschäftigen uns mit den Fragen und sehen das ein, dass das wichtig ist, und deswegen treiben wir es voran. So.
Insofern weisen die Gesprächspartner auf ein Dilemma hin zwischen dem Ziel der Armut, was auch ihren Eintritt motiviert hat, und des sich in jüngerer Zeit zeigenden Ziels der Bewahrung der Schöpfung, was sie sachlich einsehen, aber weniger verinnerlicht haben. Dieses Dilemma drückt sich auch in Alltagssituationen wie dem Einkauf aus. Tätigkeiten wie Mülltrennung oder Energiesparen dienen als Illustrationen von Handlungen, bei denen die Ziele nicht in Konflikt stehen und die sie auch im täglichen Leben durchführen. In der Selbstreflektion sprechen die beiden wie aus einem Mund; sie verstehen einander und können die Gedanken des anderen fortführen. Sie teilen die ambivalente Perspektive auf das für sie und ihre Mitbrüder zentrale Ziel des Lebens mit den Armen einerseits und das ‚dazukommende Ziel‘ andererseits, was insofern nicht ignoriert werden kann, da es für Zukunft von Gesellschaft und Welt (s. o.) entscheidend ist, was aber im Alltag unter Umständen zu einer Veränderung der am Leben mit den Armen orientierten Routinen führen müsste.12 Die Analyse der zitierten selbstreflexiven Sequenz erhellt durch den Kontrast mit anderen Explikationen zum Zusammenhang von Armut und nachhaltigem Lebensstil. Es zeigt sich erstens, dass die Perspektive durch ein spezifisches Verständnis von ‚nachhaltigem Lebensmittelkonsum‘ geprägt ist. Andere Ordensleute sehen die beiden Ziele als weniger widersprüchlich an, indem sie beispielsweise Versöhnung mit der Schöpfung dem Ziel eines einfachen Lebensstil unterordnen13 oder Genügsamkeit als Weg sehen, das Ziel der Bewahrung mit der Schöpfung zu verwirklichen, wie dies im sapat na der philippinischen Franziskaner (vgl. 5.1.5) ausgedrückt wird. Während Klaus und Peter mit der Erfüllung des Ziels eine andere und sogar kostspieligere Kaufentscheidung verbinden, sehen Camilo und Pablo in der Genügsamkeit nach sapat na gerade eine Möglichkeit, sich einem
12Die
beiden Ziele werden in der Tat vielfältig und im Material oft wiederkehrend in Bewertungssituationen in eine Beziehung gebracht. 13So expliziert Karl in Bezug auf die deutsche jesuitische Gemeinschaft: „bei uns [ist] Umwelt ein Teil […] von einfacher Lebensstil“, also als Ziel dem des einfachen Lebensstils untergeordnet.
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kapitalistischen Konsumismus kritisch entgegenzustellen.14 Im Kontrast mit der Perspektive Michaels wird zweitens deutlich, dass die Armutsinterpretation der beiden deutschen Franziskaner sich in der Sequenz an ihrem unmittelbaren Umfeld (oder auch regional oder nationalstaatlich begrenzten Ausprägungen von Armut) orientiert. Der Schweizer Jesuiten Michael entwickelt eine weitere alternative Verknüpfung: habe dann im Verlauf der Jahre, als ich schon Jesuit war, gesehen […], [dass es] mit der Perspektive der Überwindung sozialer Ungerechtigkeit eine dringliche Aufgabe ist, ökologische Gerechtigkeit zu fördern, […] weil unter ökologischer Zerstörung leiden sehr oft die Armen. [… D]ie sich eben nicht leisten können, irgendwo noch ein Häuschen im Grünen zu haben, die leiden mehr unter zerstörter Atmosphäre in der Stadt zum Beispiel […]. Und im Gespräch mit Leuten, […] die dann sagten: Umweltschutz ist ein Luxus für die Reichen. Da habe ich dann auch zur Antwort gefunden: Umweltschutz ist nicht Luxus für die Reichen, sondern Pflicht für die Reichen. Weil wer wenn nicht die, die es sich leisten können auch anders zu entscheiden?
Die Kontrastierung zeigt auf, dass Klaus und Peter in ihrer Reflektion auf ganz bestimmte Wissensbestände zurückgreifen, während sie Distanz zum eigenen Handeln konstruieren. Sie schreiben dem Anliegen der Bewahrung der Schöpfung große Relevanz zu, weswegen sie entgegen ihrer inneren franziskanischen Haltung das Thema „vorantreiben“. Anders als anderen Ordensleuten verhilft ihnen ihre Reflektion in der Sequenz jedoch nicht, andere Wege der Verknüpfung ihres Ursprungsanliegens als Franziskaner (mit den Armen leben) begleitet durch entsprechende handlungsleitende Wissensbestände (im Discounter einkaufen) mit dem Ziel der Bewahrung der Schöpfung in Einklang zu bringen.
Grenzen der eigenen Perspektive Neben der Reflektion des eigenen Handelns und Bewusstseins reflektierten Ordensleute auch ihre Kompetenzen und Perspektiven. Besonders bei den deutschen Franziskanern, mit denen ich sprach, drückten auch aktivistisch orientierte Gesprächspartner wie Martin eigentheoretisch aus, keine Experten für das Ziel der Bewahrung der Schöpfung zu sein. Dieser Selbstreflektion liegt implizit der Maßstab der Interpretation von Wissenschaft und Lehre zugrunde, die
14Auch
die deutschen Umweltbewegungen hätten hierfür Handlungsangebote: Varianten, die eher dieser Interpretation entgegenkämen, wären im deutschen Umweltdiskurs die wachstumskritische Suffizienz-Bewegung oder Initiativen, die der No-Waste-Bewegung nahestehen wie Foodsharing.
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Verwirklichung des Ziels bedürfe bestimmtem (vermutlich: technischen) Wissen oder Sachverstand. Die eigene Perspektive auf die zu adressierenden Probleme setzt Martin hier zu einer anderen, möglichen Perspektiven in Beziehung, nämlich einer Expertenperspektive im Bereich Ökologie. Martin:
Ich habe mich jetzt halt so in den letzten ein, zwei Jahren eher noch mal so befasst mit, mit diesem Thema Wirtschaft auch. Gestaltung der Wirtschaft, wobei […] der Bereich Ökologie, schon einer ist, für den ich mich […] interessiere, wobei ich sagen würde eben: „Ich bin kein Experte.“ Ja, ich versuche es […] laienhaft ein Stück von der franziskanischen Spiritualität her anzugehen und ja, an geeigneten Stellen […] auch zu vermitteln.
Auch der Koordinator für GFBS der Provinz der Franziskaner in Deutschland merkt im Gespräch mit mir an: [I]ch kann dir jetzt auch nicht mehr bieten als so ein All-around-Dilettant zu sein. […] Habe ich auch jetzt kein großes Problem mit, denn meine erste Rolle ist eben, der Animator zu sein, also, auf Fragen aufmerksam zu machen so nach dem Motto […]: „Da müsste ich jetzt was tun“ […] Expertenwissen müssen wir uns dann ranholen, von außen auch.15
Die Relativierung der eigenen Perspektive wird im Kontrast auch deutlich in folgender Gesprächspassage mit Thomas, also einem Naturwissenschaftler: the frontier for this reconciliation with nature from MY viewpoint is the fact that the earth and therefore us, we live in the atmosphere of a star, the closest star we have which is the sun. And that is how I was trained […,] in astrogeophysics, study the stars. […] And the next question is: Does [space weather] influence the ACTUAL weather on earth? Nobody knows that. And that’s the research area that I am looking at. So, I bring it in from that point of view, okay?
In einer anderen Sequenz des Gesprächs reflektiert Thomas die Grenzen einer naturwissenschaftlichen Perspektive. I set up a course for science and society. […] It would basically say: ‘You can learn a lot from science but science can only teach you to a certain level. You
15Wie mir informell mehrfach vermittelt wurde, gilt ein anderes Mitglied der interfranziskanischen Familie dagegen aufgrund seines naturwissenschaftlichen Studiums als Experte (vgl. auch 5.2.4).
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cannot answer the more basic questions. Science teaches you HOW the world runs. It does not teach you why. You will never get an answer from a science book on what love is. (short pause) Or freedom or democracy for that matter.’ (short pause) And therefore, there needs to be some way to bridge what they are going to hear in philosophy and theology to what they hear here in science.
Darin drückt sich einerseits ein Bruch mit seiner naturwissenschaftlichen Orientierung aus, andererseits ist der Rahmen der Reflektion an dieser Stelle ebenfalls der der höheren Bildung, die Methode die des Unterrichtens. Die Reflektion bleibt insofern in der sozialen Welt der Hochschule verhaftet. Die Überlegungen zu ihren eigenen Perspektiven zeigen auf, welche Alternativen die Befragten antizipieren. Ein Franziskaner spezifiziert die Herangehensweise der Nichtregierungsorganisation Franciscans International: [W]ir versuchen […] eine Brücke herzustellen zwischen diesen Mitgliedern der Franziskanischen Bewegung und der UN, das heißt wir bringen deren Erfahrungen bei der UN zur Sprache. Also […] eine Art Lobbyarbeit. […] Und […] unser Ansatz ist im Grunde immer der der Menschenrechte. […] Wir gehen also nicht etwa als Wissenschaftler heran und behandeln zum Beispiel Klimawandel von der wissenschaftlichen Seite, sondern fragen: „Wie weit wird die Lebenssituation von Menschen dadurch eingeschränkt, beeinträchtigt?“
Die Aussagen sind jeweils auch Vermittlungen an die Interviewerin (das heißt: mich), wie sie denken, wie ich denken könnte, wie sie das Ziel betrachten, aber wie sie es nicht tun. Die Situation der Befragung provoziert nicht zuletzt den ‚komplizierten Spiegel‘ (Strauss 2008), wonach die Bewertung eines Gesprächspartners die Antizipation der Bewertung durch andere einschließt. Einem philippinischen Jesuiten stellte ich per Email die Frage, was Versöhnung (nicht: Versöhnung mit der Schöpfung) für ihn bedeute. Ich informierte ihn auch darüber, in meinem Dissertationsvorhaben interessiert an der Umweltarbeit („environmental efforts“) der Jesuiten auf den Philippinen zu sein.16 Er beginnt seine Antwort wie folgt: If I get you right, then you would want me to give my own personal answers to the three questions you pose. I am not quite certain whether my answers would be 16Die
abweichende Fragestellung war nicht intendiert. Während den Reisen nach Mindanao ergaben sich viele Gesprächsmöglichkeiten erst vor Ort. Entsprechend plante und führte ich im Rahmen der viertägigen Reise, während der ich Kontakt mit diesem Jesuiten aufnahm, innerhalb von kurzer Zeit sehr viele Gespräche. Ich war deshalb vermutlich schlichtweg zu müde, den Fehler vorab zu bemerken.
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of help to your interests in environmental efforts of the Jesuits. For I may not be directly involved in the overt efforts. I hope the Catholic aspect of my answers will not be a problem for you. […]
Er schließt Ausführungen dazu an, dass viele ‚Versöhnung‘ mit dem Sakrament der Versöhnung verbinden und dass es für ihn die Richtigstellung persönlicher zwischenmenschlicher Beziehungen und damit verbunden der Beziehung zu Gott bedeutet. Darüber hinaus verweise Versöhnung auf das Thema der Beziehung zwischen religiös oder kulturell unterschiedlichen Gemeinschaften und Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang. Er endet die Antwort zur Frage nach der Bedeutung von Versöhnung mit: I am quite aware of current discourse on “reconciliation with the environment,” the idea being that of a better way of dealing with our forests, grasslands, rivers, estuaries, mangroves, fishing areas, and so forth. I am very certain you can talk with someone else on this one.
Klarer als mit Blick auf die sinngenetische Typik der Zielinterpretation kommt in diesen Selbstreflektionen das explizite Wissen zu Handlungserwartungen und zu unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema zum Ausdruck. Sowohl Ordensleute der deutschen als auch der philippinischen Ordensprovinzen reflektieren dabei besonders ihr Sollen, Wollen und Können im Bereich des Lebensstils und dessen Wandel. Die Reflektionen beziehen sich folglich auf verschiedene Facetten des besonders im Rahmen der aktivistischen Interpretation ausgeführten Desiderats eines nachhaltigen Lebensstils. Einerseits wird hierbei deutlich, dass die Ordensleute ihre Sichtweise als Variante möglicher Perspektiven wahrnehmen und dass sie ihr Handeln kritisch vor dem Hintergrund ihrer Ziele reflektieren. Andererseits zeigen sich auch in Bezug auf die Reflektionen zu einem Thema (hier besonders des nachhaltigen Lebensstils) verschiedene Spielarten. Ein Maßstab, der im Rahmen vielfältiger Reflektionen wiederholt angesprochen wurde, ist, dass explizierte Desiderate und das eigene Handeln miteinander korrespondieren sollten.
„Practice what I preach“ (Ron) Ordensleute reflektierten auch ihre eigene Integrität anhand des Maßstabes der Kongruenz zwischen explizierter Forderung und Praxis, wie im folgenden Zitat durch Ron vermittelt:
242 JG:
6 Bewertungen So, thinking about your life beyond the prison service, [… in how far has] the topic of reconciliation with creation that came up in the Society of Jesus, as you described it, […] influenced your everyday life?
[…] Ron:
It should, it should. It is part of my life because it is something I am advocating, so I should also (laughing) practice what I preach. I mean, or live what I teach. So, that I also, in terms of garbage, for example, I (laughing) segregate the plastic, you know. I am more mindful about that than before.
Diverse Formulierungen verliehen dieser Selbstreflektion, die einen normativen Anspruch und einen angewendeten Maßstab zusammenfasst, Ausdruck in Gesprächen mit Ordensleuten aus beiden Orden und beiden Provinzen. Der philippinische Jesuit Alon sagt: „Charity begins at home“. Sein Mitbruder Ricardo verknüpft den Maßstab mit dem der Effektivität von Initiativen: And I think the key thing is that we have to be practical, you know. You always ask: “What works? What will really make this work? How do we make this show that these are not just words, but really practices?”
Es wird deutlich, dass die genauen Handlungsimplikationen, die mit den Reflektionen verbunden werden, sich je nach Zielinterpretation unterscheiden. Der philippinische Franziskaner Cristoforo möchte in seiner Verantwortung in der internen Ausbildung ‚die Integrität der Schöpfung als zentralen Teil der franziskanischen Wert durchsetzen‘ („push through with our inspiration“). Sein deutscher Mitbruder Florian knüpft an seine Problematisierung von Fracking an: Dass eben die auch wirklich eine Stimme erheben für die Menschen, die da betroffen sind, und auch da mit uns zusammenarbeiten, auch die Dinge vorbringen, und wo auch klar erkannt wird, das ist Teil unserer Franziskanischen Mission. Also, wir können nicht einfach, sagen wir mal, das Evangelium predigen in der Gemeinde, ohne diese Probleme anzusprechen und auch entsprechend dafür einzutreten.
Der Leiter des Büros für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung reflektiert für den gesamten Orden: So, the idea is that whatever we’re talking about for outside we also need to be living inside. For example, if we’re going to be talking about peace building and reconciliation telling other people they should do that, if we’re not talking to one another in our own community, it’s a problem and we’re giving bad example. You
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know, so, we, we, we tell people that we need to be living what we preach, and preaching what we live. You know, I would say across the board, whether we’re talking about justice, or peace, or integrity of creation, that’s why we have the document, you know, the Ecology in the Daily Life of the Friar Minor.
Am Ende der Aussage stellt er sein eigenes Wirken als Leiter des Büros mit diesem Anspruch in einen Bezug. Sie formulierten eine Broschüre, die zu Änderungen des Lebensstils in franziskanischen Gemeinden anleiten soll. Im Kapitel zu Verhandlungen gehe ich auf die Formulierung des Dokuments genauer ein.
6.1.5 Ein Ziel, viele Bewertungen Dieser Abschnitt fasst entscheidende Aspekte in Bezug auf die mit den Umweltschutzzielen einhergehenden Bewertungsmaßstäbe zusammen und ergänzt die Analyse mit weiteren Ergebnissen. Vor dem Hintergrund divergierender Interpretationen der Ziele, die Schöpfung zu bewahren beziehungsweise sich mit ihr zu versöhnen, erscheint ein gemeinsamer Blick auf die Welt im Sinne eines gemeinsamen Maßstabes innerhalb der Ordensgemeinschaften keinesfalls als evident. Die vorangestellte Diskussion zeigte aus der Typik der Interpretationen hergeleitete Maßstäbe der Bewertungen auf, die sich in dem Datenmaterial wiederfinden und die teilweise in den jeweiligen sozialen Welten auch in spezifizierten, formalisierten Verfahren zur Bewertung verschiedener Gegenstände verwendet werden. Die Analyse der zielimmanenten Bewertungen ergibt ein Bündel von Praktiken quer durch die Literatur der Soziologie der Bewertung: Es finden sich Beispiele für Standards und Managementsysteme, Benchmarking und Rankings; für Monetarisierung in Form von CO2-Kompensationsmärkten (Böhm und Dabhi 2009; Lohmann 2009), aber auch viele informelle Situationen und religiös-spirituelle Verfahren. Angewendet werden diverse Formalisierungen, die spezifisch für die jeweiligen sozialen Welten sind. Je nach sozialer Welt basieren diese auf über die Ordensgemeinschaften hinaus geteilten Wissensbeständen wie beispielsweise bei wissenschaftlichen Methoden oder Schulrankings, oder sie basieren auf intern geteilten Wissensbeständen der Ordensgemeinschaften wie bei den Ignatianischen Exerzitien oder Einführungen in das Ordensziel für Mitarbeitende der Hochschulen (Abbildung 6.1).
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Abbildung 6.1 Schild auf dem Ateneo de Manila Campus der jesuitischen Universität und der jesuitischen Schulen in Quezon City: Mülltrennung als Ausdruck von Reinlichkeit und Verantwortung und als Beitrag für Umweltschutz
Trotz der Vielfalt der Bewertungssituationen und –maßstäbe lässt sich mit der Sorge um das Gemeinwohl auch ein typenübergreifender Maßstab der Bewertung ausmachen, der im Zuge der Rekontextualisierung der Ordensziele angewendet wird. Außer der anthropozentrischen Interpretation liegt allen Interpretationen auch zugrunde in irgendeiner Weise ökologischen Schaden verhindern zu wollen. Als explizierte Selbstkritik verwiesen viele Ordensleute – beider Provinzen und beider Ordensgemeinschaften – auf die Norm, sie sollten das, was sie anderen predigten, auch selbst tun. Werden die abgeleiteten Maßstäbe aus den sozialen Welten der Zielinterpretationen mit dokumentierten Situationen der Bewertung in Beziehung gesetzt, wird darüber hinaus deutlich, dass ganz andere Maßstäbe Teil der Verwirklichung des Ziels werden können, als der Interpretation des Ziels im engeren Sinne eingeschrieben sind – im Falle der Interpretation als interner, aktivistischer Auftrag zum Beispiel Fachexpertise, Kosten beziehungsweise Geld oder Effektivität. Gleichzeitig zeigt die Analyse, dass in konkreten Momenten der Bewertung oft nicht nur ein Maßstab angewendet wird. Einige Maßstäbe finden sich bei Ordensleuten mit unterschiedlichen dominierenden Interpretationen gleichermaßen wieder (als Beispiele die Maßstäbe der Kreativität oder der Effektivität). Dabei ist nicht unbedingt zu differenzieren, ob es sich um Maßstäbe handelt, die ergänzend situativ für die Zielverwirklichung relevant sind, von der Bedeutung aber dem ‚entscheidenden‘ Maßstab der Zielinterpretation untergeordnet sind, oder ob die Zielverwirklichung mit gleichberechtigten Maßstäben einhergeht, die sich nicht unmittelbar aus dem Erfahrungsraum und der Orientierung ableiten lassen.
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Die oben zitierte Selbstreflektion der Franziskaner zu ihren Einkaufsgewohnheiten zeigt, dass in Situationen der Bewertung andere Maßstäbe in Konkurrenz zu den Maßstäben zielimmanenter Bewertungen stehen und zu Handlungsentscheidungen führen können, die den Zielen gegenläufig sind. Die ‚Gültigkeit‘ des Ziels für entsprechende Handlungen wird demnach anerkannt, die Zielverwirklichung steht aber nicht im Vordergrund. Ich habe mit den Gesprächsauszügen von Peter und Klaus eine solche Situation analysiert, in der die Franziskaner das Orientierungsdilemma im Bereich des Einkaufens in der Spannung zwischen den Zielen der Armut und der Bewahrung der Schöpfung ausdrücken. Bewahrung der Schöpfung stellt sich den beiden als ein nötiges Ziel dar; handlungspraktisch hat für sie aber (bisher) das Ziel des einfachen Lebensstils im Sinne ihrer Lesart des Armutsgelübdes Priorität. Über diese Selbstreflektionen hinaus konnte ich weitere konkurrierende Maßstäbe identifizieren. Beispielsweise identifizieren mehrere deutsche Franziskaner Bequemlichkeit als Hindernis für eine Reduzierung des Fuhrparks in Ordensbesitz. Auch der Maßstab der Finanzierbarkeit wird wiederkehrend genannt. Im folgenden Zitat drückt ein deutscher Franziskaner seine Meinung aus, für die die antizipierte Gegenposition ist, umweltschützende Maßnahmen müssten sich rechnen: „Ich würde sagen in bestimmten Bereichen, natürlich, man darf es nicht übertreiben, müssen wir es uns auch etwas kosten lassen, auch wenn es sich nicht rechnet.“ Konkurrierende Maßstäbe bedeuten nicht zuletzt, dass es unter den Ordensleuten Uneinigkeit darüber geben kann, welche Maßstäbe bei Entscheidungen schwerer ins Gewicht fallen sollten. Der knappe Abschnitt zu Selbstreflektionen und Eigentheorien verdeutlichte darüber hinaus, dass implizite, handlungsleitende Orientierungen der Zielinterpretation (und damit verbunden bestimmte Maßstäbe) nicht den explizit angewendeten Maßstäben und Bezügen in reflektierten Bewertungen entsprechen müssen. Auffällig ist dabei, dass einige Ordensleute mit nicht-aktivistischer Interpretation ihr eigenes Handeln trotzdem unter dem Aspekt eines nachhaltigen Lebensstils (z. B. in Bezug auf Mülltrennung oder Heizverhalten) reflektieren. Ordensleute mit unterschiedlichen handlungsleitenden Interpretationen der Ziele können sich nichtsdestotrotz über ein expliziertes Urteil einig sein. Andererseits verweist die große Heterogenität der Bewertungssituationen, Verfahren und situativen Maßstäbe darauf, dass im Alltag der Gemeinschaften die Übersetzung der Ziele in die lokalen und differenzierten Sinnzusammenhänge nicht-linear und potentiell konfliktiv verlaufen kann, wenn Ordensleute sich im Rahmen der Zielverwirklichung unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe bedienen oder diese unterschiedlich priorisieren. Mit der katholischen Soziallehre, besonders dem Anliegen des Gemeinwohls, und dem Verfahren ‚Sehen-Urteilen-Handeln‘ ließ
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sich bereits eine potentielle Sinnstruktur aufzeigen, auf welche Mitglieder der beiden katholischen Ordensgemeinschaften zur Harmonisierung der Divergenzen zurückgreifen (könnten).
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung Aus den Feldnotizen: Ich bin im Loyola House of Studies auf dem Campus der Ateneo de Manila in Quezon City zu Gast, um eine Fokusgruppendiskussion mit Jesuiten in Ausbildung durchzuführen. Meine Kontaktperson aus dieser Gruppe lädt mich vor Beginn der Diskussion zum Mittagessen in der Kommunität ein. Wir sitzen mit einem älteren Jesuiten zusammen am Tisch. Er fragt nach dem Thema meiner Forschung. Als ich sage „I look at the environmental efforts of the Franciscans and the Jesuits“, beginnen beide zu lachen. Ich frage sie, warum sie lachen. Der ältere Jesuit antwortet immer noch amüsiert, gegen die Franziskaner könnten sie nur verlieren. Ich bin im Stillen erstaunt, da ich – ohne diese Bewertung analytisch entwickelt zu haben – die Jesuiten auf den Philippinen als sehr engagiert wahrgenommen hatte. Als ich wieder nachfrage, warum sie nur verlieren könnten, antwortet der ältere Jesuit: „Well, because of their tradition with St Francis and all that.“
Im Folgenden gehe ich auf explizite Bewertungen ein, welche die Ordensleute über sich, das Ziel und seine Entwicklung formulieren. Ich zeige, welche Gemeinsamkeiten und Unterscheidungen sie dabei konstruieren. Im oben zitierten Gespräch nimmt der Gesprächspartner auf Grundlage meiner knappen Themenbeschreibung an, ich als Forscherin würde in meiner Arbeit die Franziskaner vermutlich besser bewerten als die Jesuiten. Neben der spontanen Bewertung der eignen Gemeinschaft in Kombination mit der Interpretation meiner Arbeit als Evaluation ist besonders auffällig, dass der Jesuit sich für einen Vergleich auf den Ordensgründer der Franziskaner bezieht. Sofern er meine Untersuchung nicht als Prüfung der ökologischen Dimension der historisch-theologischen Wurzeln beziehungsweise des ‚Charismas‘ der Orden verstanden hat, wozu ich keinen Anlass gegeben hatte, zieht er vermutlich von der Ordenstradition und der aktualisierten Lesart des Lebens von Franziskus von Assisi als Patron der Umwelt Rückschlüsse auf das gegenwärtige Engagement der franziskanischen Gemeinschaft. Auf konkrete Aktivitäten der Franziskaner verweist er nicht. An diesem Beispiel kann illustriert werden, dass Ordensleute für Evaluationen auf andere Wissensbestände zurückgreifen, darunter das organisationale Wissen der katholischen Kirche zu Franziskus als Patron der Umwelt, dessen Lebensgeschichte als Ausdruck einer ökologisch vorbildlichen Haltung verstanden wird.
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung
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In den Gesprächsleitfäden sah ich am Ende einen Abschnitt zu „Bewertung und Zukunft“ vor, der Fragen enthielt wie: „Was denken Sie, hat das Ziel zu Veränderungen in Ihrem Leben geführt?“, „Wie finden Sie die Entscheidung der Generalkongregation?“ oder „Wo denken Sie, geht es mit dem Thema im Orden hin?“. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass ich Daten zu diesen Fragen sammeln konnte. Vor diesem Hintergrund bedarf dieses Unterkapitel jedoch der Vorbemerkung, dass ich von Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung in sehr vielen Interaktionen wie der oben genannten erfuhr, bevor ich danach fragte. Oft waren auch spontane Begegnungen von solchen Bewertungen geprägt. So wurde mein Interesse an dem Thema oft unmittelbar als Evaluationsstudie verstanden. Jesuiten in Ausbildung in Deutschland wie auch auf den Philippinen machten vor Beginn der Fokusgruppen Scherze dazu, durch ‚den Test‘ zu fallen. Auch wenn ich vor Beginn der Gespräche vermittelte, in meiner Untersuchung nicht an Erfolg oder Misserfolg der Zielumsetzung interessiert zu sein, teilten die Gesprächspartner oft ihre Eindrücke dazu mit mir. In diesen unaufgeforderten Bewertungen zeigt sich meiner Meinung nach eine Verknüpfung des Themas mit einer normativen Handlungserwartung, wie ich sie basistypisch im Kapitel zu Interpretationen der Ordensziele beschrieben habe. Damit einher gingen oft unterschiedlich ausfallende Verhältnisbestimmungen hinsichtlich der Gesprächspartner, des Ziels und der Ordensgemeinschaft, wie ich im nächsten Textabschnitt zeige. Dieses Unterkapitel widmet sich im Schwerpunkt der Untersuchung informeller Situationen der Bewertung. Im letzten Abschnitt dieses Unterkapitels diskutiere ich die Versuche, die Entwicklung des Zieles im Orden systematisch zu ermitteln. Weitere formalisierte Situationen der Bewertung werden im Kapitel zu Verhandlungen diskutiert.
6.2.1 Verhältnisbestimmungen von Gesprächspartner, Ziel und Ordensgemeinschaft In abstrakter Form lassen sich durch Kontrastierung mindestens fünf verschiedene Verhältnisbestimmungen von Gesprächspartner, Ziel und Ordensgemeinschaft ausmachen, die Ordensleute als reflektierte Bewertungen im Rahmen des Gesprächs vermitteln. Diese im Schwerpunkt synchronen Bestimmungen führe ich hier in Form einer Auflistung auf. Das folgende Unterkapitel, in dem die Bewertungen der Entwicklung des Ziels diskutiert werden, geht auf diachrone Bezüge sowie Begründungszusammenhänge und Bewertungsmaßstäbe genauer ein. Aufgrund der Überlappungen der synchronen
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wie diachronen Bewertungen greifen die Zitate teilweise der Diskussion des nächsten Unterkapitels vor. Die Verhältnisbestimmungen beschreiben, wie sich meine Informantinnen zum Ziel in Beziehung setzen und wie sie den Zusammenhang zwischen Ordensgemeinschaft und Ziel konstruieren. Eine von fünf identifizierten Verhältnisbestimmungen ist die folgende: 1. Das Ziel ist ein anerkanntes Ziel des Ordens. Der Gesprächspartner verfolgt das Ziel. Für den philippinischen Jesuiten Thomas, der das Ziel handlungsleitend innerhalb der sozialen Welt um Wissenschaft und Lehre interpretiert, ist Versöhnung ein zentraler Aspekt des Charismas des Ordens. Die 35. Generalkongregation explizierte mit dem Begriff der Versöhnung mit der Schöpfung erstmalig die Natur als Teil dieses Charismas. Das Ziel formuliert ein Bewusstsein im Orden aus, was sich unter Jesuiten parallel zu einem Bewusstsein in der Welt entwickelt hatte. I am in perfect agreement with it because I think what the Jesuits have realized probably along with the world consciousness also, is that there really cannot be a reconciling between an individual and God and an individual with their fellow members in society without an understanding of the bigger context which is the fact that we are all creatures of nature and therefore, reconciliation with nature would also have to be part of this. So, I see it as it was new to me and the fact that it was formulated explicitly, it was not new in the sense that I think the mission to do that has always been there. And secondly, that it is part of the whole understanding of what Jesuits do, trying to understand the full implications of the incarnation, it is not new in that sense. But it IS new with the emphasis of not just dealing with people but dealing with nature.
Thomas unterstützt und verfolgt das Ziel (vgl. auch die Diskussion des vorherigen Abschnitt 5.1.1 und 5.2.1). Ein anderer philippinischer Jesuit, Ricardo, bestätigt in ähnlicher Weise das Ordensziel als Teil katholischer wie ignatianischer Tradition (vgl. auch Unterkapitel 5.2.1 zur Reaktion auf Taifun Sendong/Washi). Die Ausformulierung durch die Generalkongregation ist eine offizielle Anerkennung des bereits bestehenden Engagements: Certainly, […] before the General Congregation, I think the General Congregation really reflected on the experience of the past five, ten years, way back and sort of saw that even before that, maybe even more than that, twenty years or something, where they saw that Jesuits were very involved in environmental issues and like all over the world, there was a great, great awareness and concern for environmental issues, an environmental concern. […] And also that is really very rooted in Catholic faith, stewardship, care for creation. And even in our [Ignatian] spirituality there is
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a great respect and care for the environment. It is very much part of the spirituality. So, what I am trying to say is that we did not do environmental work – we did not BEGIN environmental work because in 2008, the General Congregation said: “We have to reconcile.” The work started long before that and then, I think the General Congregation really just recognized that there is this growing concern, involvement, awareness about the environment, about what is happening and therefore decided really to recognize that […] and if you are Catholic and if – as we are – we say that there is a movement of the spirit there that seems to be God, […] or, what we call signs of the times. There seems to be an invitation there that we have to get involved. So, that was recognized and certainly, after that, with that recognition, it is really more official. There is a lot of, there is a confirmation that we are on the right track, this [it] is important and we should really do it.
Es wird im Gesprächsverlauf erkennbar, dass er sich an dieser Stelle auf die Spiritualität des Ordens bezieht. Er diskutiert unter anderem die durch Ignatius von Loyola begründeten Exerzitien. Damit stellt Ricardo einen direkten Bezug zu einem Kernelement der jesuitischen Identität her, wie er selbst explizit argumentiert: Worldwide there is a growing consciousness for it […]. And then […] you realize that this is not something alien to Jesuit ways of doing things. The spirituality is very much linked to the, like […] when we go on our retreat, our spiritual exercises, the very first meditation, the very first meditation is a meditation on creation. Why is creation there? Why are we created? And then the last, the last prayer is again contemplating creation. So, it is very much part of it. So, it is really saying that the world itself is becoming increasingly concerned about the environment and we have a role to play. This is not something strange to us. This is very much part of our identity and it is the rediscovery of that.
Die Gesprächspartner erkennen eine aktuelle Herausforderung, bei der es der Tradition der Gemeinschaft entspricht, sich ihr anzunehmen. Das explizierte Ziel durch die Generalversammlung sehen sie als Ausdruck dieses Prozesses. Die gegenwartsbezogene Übersetzung des in der Gemeinschaft geteilten Wissens auf die aktuelle Herausforderung ist innerhalb der Gemeinschaft sowohl hinsichtlich der normativen Maßstäbe, als auch der konkreten, handlungsleitenden Implikationen zwar eine ‚Entdeckung‘, aber in den Grundsätzen selbstverständlich. 2. Das Ziel ist ein Ordensziel. Es wird im Orden besonders von Spezialisten realisiert. Der Gesprächspartner ist Ordensmitglied, aber kein Spezialist. Sowohl Karl als auch Ron erkennen das Ordensziel an. Während beide im Gespräch auch ausführen, wie sie das Ziel in ihrem Alltag adressieren, explizieren sie vor dem Hintergrund der Zielinterpretation ‚soziale Aufgabe‘, im Orden seien für ökologische Fragen insbesondere bestimmte Spezialisten zuständig (für eine Gesprächspassage mit Ron vgl. auch 5.1.2).
250 Karl:
6 Bewertungen Alles, was wir tun, ist ausgerichtet und daran orientiert: Wie weit dient es unserer Verkündigung, Sendung zu den Menschen? Und das ist eben dann auch ganz verschieden. [… F]rüher hat man gesagt: „Wichtig ist, dass der einzelne Jesuit gut ausgebildet ist, asketisch lebt, gehorsam lebt natürlich und, und durch seine gute Ausbildung und vorbildlichen Lebensstil auch anderen Leuten Vorbild sein kann. Das hat sich ein bisschen verschoben. Das gehört auch dazu, aber heute sagt man: „Wichtig ist genauso das Zusammenleben einer Kommunität, wie die, wie so eine Gruppe von Männern miteinander auskommt, wie die sich gegenseitig helfen oder nicht helfen usw.“ Das hat auch eine starke Außenwirkung, auch wenn man das nicht immer sieht. Also, das hat auch was mit Umwelt [zu tun], also Umwelt sind in dem Fall […] die Menschen, zu denen ich gesandt bin. Das kann die Pfarrei sein. Das kann die Universität sein. Das kann im Rundfunk der Hörerkreis sein, je nach dem, wohin ich geschickt bin. Und daran orientiert sich auch alles andere. Also, welche Kleidung ich trage, in welchen Lokalen ich verkehre, welches Verkehrsmittel ich benutze usw.
[…] JG:
Kann sich das denn auch auf ökologische Umgebung beziehen?
Karl:
Ja, ja, natürlich. Ja, sicher. Und dann haben wir jetzt natürlich auch, das ist sicher auch ein Aspekt, aber das ist eher strukturell des ganzen Ordens. […] Haben wir ja an der Universität den Lehrstuhl […]
Diese Verhältnisbestimmung ist von solchen Zugängen zu ‚Expertentum‘ zu unterscheiden, bei denen die Gesprächspartner gleichzeitig die Ziele in ökologischer Interpretation maßgeblich als Auftrag an sich selbst sehen. So traf ich auch Ordensleute, die explizierten, zum Thema keine Experten zu sein (vgl. das Unterkapitel 6.1.4), die gleichzeitig aber das Ziel ökologisch verstanden als Aufgabe aller Gemeinschaftsmitglieder interpretierten. Auf den Philippinen zeigten die Fokusgruppendiskussionen mit Jesuiten in Ausbildung, dass diese das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung ebenfalls mit bestimmten Mitbrüdern oder Einrichtungen des Ordens assoziierten. Mit oft starken Orientierungen hin zu interner Bewusstseinsbildung innerhalb der jesuitischen Gemeinschaft delegierten sie hingegen die Zielverwirklichung nicht in ähnlicher Weise an diese. Ein Jesuit in Ausbildung reflektiert den Zusammenhang zwischen allgemeinem Ordensanspruch, Erwartungen und individuellem Umgang mit Zielen des Ordens wie folgt: It is the general disposition of us, of Jesuits […]. We […] just cannot expect everyone to do it but maybe, on the drawback of that is to focus much on our ministry, like for example GC 35, we expect SOME to be focusing on that, but on our, it can be also on a temptation to say: “Oh someone else is doing that and I have my own set of responsibility so I focus on my responsibility and totally ignore
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that document on the environment”, just because I am thinking someone else is doing it. So, maybe just, just a drawback on that particularly.
3. Das Ziel ist ein Ziel des Ordens. Der Gesprächspartner befürwortet das Ziel und verfolgt es nach seinen Möglichkeiten. Es gibt andere Ordensmitglieder, die das Ziel nicht gleichermaßen anerkennen und umsetzen. Für Martin und Friedrich ist klar, dass es zur Identität ihrer Orden gehört, sich dem Ziel der Bewahrung der Schöpfung (Martin, OFM) oder der Versöhnung der Schöpfung (Friedrich, SJ) anzunehmen. Martin bezieht sich zur Begründung auf die franziskanische Tradition. Friedrich betont die jüngsten Aufforderungen des Pater Generals sowie der Generalkongregation, die den Zusammenhang des Umweltschutzzieles zu der bereits zuvor bestehenden Sendung zu Glaube und Gerechtigkeit der Jesuiten expliziert hätten. Die Ziele bedeuten für beide auch, innerhalb der Gemeinschaft Handlungsimplikationen zu reflektieren und umzusetzen. Ihre Mitbrüder bringen nicht das nötige Engagement auf. Martin:
Und ich kann das auch sagen [wenn in Bezug auf Bewahrung der Schöpfung oder anderes etwas schief läuft] sozusagen auf Grund meines franziskanischen Fundaments, zumindest sagen: „Lasst uns doch mal gucken, ohne dass wir gleich eine Lösung haben oder genau wissen, ob das jetzt richtig oder falsch ist.“ Ja, also, das würde ich mir natürlich von anderen auch wünschen […].
Friedrich:
[D]as wurde uns […] mit einem Brief des Pater Generals geschickt, und ich denke halt, wenn der Pater General, unsere Ordensleitung, sagt, wir sollen etwas tun, dann sollten wir darauf auch antworten. Also das war eine andere Ebene, die halt gesagt hat „Ja, das ist ein wichtiges Thema“. […] das ist ja in der letzten Generalkongregation […] noch einmal wichtiger geworden, […] es gibt ja […] eine Sendung zu Glaube und Gerechtigkeit, und die wurde in der letzten Generalkongregation noch einmal ausdekliniert als eine Aufgabe der Versöhnung mit Gott, miteinander und der Schöpfung. Wenn das unser Verständnis von Glaube und Gerechtigkeit ist, ist das eine dreifache, und das dritte, Versöhnung mit der Schöpfung ist natürlich Aufgabe eben der (Pause), ja eben das hängt ganz eng mit der Frage der Ökologie, Frage der Umwelt zusammen. […] Und da habe ich gesagt, das ist mir ein ganz wichtiges Thema. Das ist vor allem ein wichtiges Thema, weil es so die Armen betrifft, wenn man sich für die Armen einsetzen möchte, dann muss man sich auch für eine gesunde, oder halt menschenfreundliche Umwelt einsetzen. Deswegen, das ist noch einmal eine Motivation, aber das ist nicht nur meine, sondern auch der Gesellschaft Jesu als ganze […]. Und deswegen habe ich den Mund aufgemacht [und in der Kommunität (bzw. im Hauskonsul, der Kommunitätsleitung) gesagt, dass wir etwas tun sollten]. Wenn es ein wichtiges Thema für uns ist, dann müssen wir das ja auch irgendwie realisieren, oder umsetzen […].
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Bei dieser Verhältnisbestimmung differenzieren die Gesprächspartner zwischen ihrer Interpretation der Tradition und anderen Perspektiven in der Gemeinschaft, besonders mit Blick auf den Zielen entsprechende Handlungen. In einer Spielart dieser Verhältnisbestimmung wird die defizitäre Bedeutung des Umweltschutzziels mit individuellen Gestaltungsräumen innerhalb der Gemeinschaft erklärend und/oder kritisierend verknüpft. Michael:
[W]enn es mal eine[r] Kommunität gelingt, an einer Versammlung das zum Thema zu machen, dann ist das im besten Fall eine Anregung […] an das persönliche Studium des einzelnen, dass er das sich […] bitte zu Herzen nimmt. Und natürlich nimmt sich dann jeder die Anliegen zu Herzen, die ihm am ehesten gerade selber entsprechen (lacht) und sieht noch viele andere Themen da drin.
Der zitierte Jesuit verknüpft hier die Varianz der Umsetzung zwischen unterschiedlichen Ordensleuten mit dem zumeist empfehlenden Charakter von Beschlüssen. Während Jesuiten gemeinhin ein „Geist“ zugesprochen wird, der „auf den Einzelnen ausgerichtet“ ist (Kiechle 2013: 69) und Verweise auf Individualität in der Umsetzung deshalb weniger überraschen, finden sich ähnliche Argumentationen auch unter Franziskanern. Fred hebt die Bedeutung des Guardians seiner Gemeinschaft für erfolgreiche Mülltrennung hervor. Fred:
[I]f you look at our garbage […], compared with last year, we are not that organized this year. LAST year, we were really more careful with […] how to segregate things. [… T]he guardian last year was a LITTLE bit more careful with that. So, he was instructing our employees here how should we do that and so (short pause) things were more (laughing), more systematic. The guardian here is not THAT (laughing) very, very conscious with those things so=. That would be the cause, the REASON why, when you look right now, the garbage things (really looks into the bin) °there are different things° but not that segregated. °I would say.° This, last year there was one for paper, for bottles, for […] biodegradable, etcetera.
Es lässt sich für diese Verhältnisbestimmung folgende Theoretisierung der Ordensmitglieder zusammenfassen: In wie weit das Ordensziel der Bewahrung der Schöpfung oder der Versöhnung mit der Schöpfung in einem spezifischen Bereich handlungsleitend übersetzt wird, hängt davon ab, welche mit welchem Engagement Individuen eine bestimmte Rolle im Orden einnehmen.
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4. Das Ziel ist Ordensziel. Der Gesprächspartner hat das Ziel noch nicht (ausreichend) verfolgt bzw. kann es bisher nicht (ausreichend) verfolgen. Diese Verhältnisbestimmung deckt sich nahezu mit einem Aspekt der Selbstkritik, den ich in gleichnamigem Abschnitt dieses Kapitels darlegte. Die Gesprächspartner bewerten – oft mit Blick auf Fragen des Lebensstils – ihr eigenes Handeln in Bezug auf das Ziel als defizitär. Folgendes Zitat kann diese Bewertung zusätzlich illustrieren. JG:
You also mentioned cleaning up your own households. […] If you think about [… it] in the Jesuit community here, in how far does the environment play a role […]?
Alon:
In the Jesuit community?
JG:
Mhm.
Alon:
Honestly, not enough. […] °You know, we live here on campus and our, our standard of living in a sense is a, is a function of our being involved in the campus (short pause) and so, we are subject to all the environmental rules that the university imposes on herself. (short pause) AND [… some of us work on the topic as scientists] So, it is not like we are not aware of the environment and […] that we do not understand our (short pause) responsibilities in teaching it and in advocating it that comes with the Jesuit thing. But […] we have not done anything in the sense of like measuring our footprint […] we have not, it is not brought to that level yet.° But […] except for the very old, understanding the importance of the environment, I think that is there.
Ein Unterschied zwischen der hier dargelegten Verhältnisbestimmung und den vorherigen Ausführungen zu Selbstkritik ist, dass nicht alle, die sich in Bezug auf ihr Handeln zu Bewahrung der Schöpfung oder Versöhnung mit der Schöpfung selbstkritisch äußern, auch annehmen, diese Ziele seien Ordensziele. 5. Das Ziel ist nicht anerkanntes Ordensziel,17 der Gesprächspartner befürwortet jedoch den Inhalt. Der deutsche Jesuit Konrad vermittelt mir diese Beziehung zwischen ihm selbst, ökologischen Fragestellungen und der Ordensgemeinschaft. Anders als viele andere Standortbestimmungen fundiert er die Argumentation nicht im Charisma des Ordens beziehungsweise dessen normativer Ordnung wie zum Beispiel
17Diese
Verhältnisbestimmung war im Material selten. Ich nehme diesbezüglich einen Bias in meinen Daten an, in denen vermutlich eine aktivistische Perspektive über- und kritische Perspektiven deutlich unterrepräsentiert sind.
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der bevorzugten Option für die Armen, sondern er fragt: Teilen die meisten Ordensmitglieder das Ziel? Er erzählt von einem Treffen mit unterschiedlichen katholischen Akteuren. Mit diesem Beispiel erläutert er mir, dass es zu „dem ökologischen Thema“ (angrenzende Gesprächspassage) Dissens gibt. Das Zitat ist ein Teil der Erzählung: Und da merke ich schon, wie es bestimmte Reflexmuster gibt, ja. Weil, ich finde das Thema gut, aber andere, ja ja, andere sehen dann gleich ihren Lebensstil […] in Frage gestellt, ne. Sowas wie misereor18 ist eine Organisation, die das sehr stark pusht […]. Nachhaltiger Lebensstil usw., was einigen anderen nicht so gut gefällt, ja. Weiß auch nicht warum […] auch innerhalb der Ordensgemeinschaften, obwohl ich denke, dass gerade Ordensleute dieses Thema eigentlich, dieses prophetische Thema sehr stark aufgreifen könnten und das stärker auch nach vorne bringen könnten, ne. Es gibt ja auch viele Initiativen dabei, ne. […] [… I]im Orden ist das Thema Ökologie […] noch kein Mainstream-Thema, habe ich den Eindruck.
An einer anderen Stelle des Gesprächs reflektiert er: Das wurde bei der letzten Generalkongregation stark in den Vordergrund gesetzt, aber es wurde jetzt, gut, aber es ist jetzt nicht so ein Thema, wo jetzt alle drüber reden.
Zwar nennt er im Gespräch auch die Betonung des Themas durch die Generalkongregation und zieht – wie ich im folgenden Abschnitt dieses Kapitels darstellen werde – Parallelen zu den Themen ‚Glauben und Gerechtigkeit‘ als etablierten geteilten Wissensbeständen der Gemeinschaft, nutzt diese aber weniger für eine inhaltliche Einbettung des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung als zur Illustration dessen, wie ein neues Ziel im Orden etabliert werden kann. Er positioniert sich selbst als Befürworter eines solchen Zieles (in der Zukunft) und argumentiert, warum (prophetisch sein). Er drückt aber keine transformative Orientierung mit Blick auf die kritischen Sichtweisen anderer Gemeinschaftsmitglieder aus. Mit einer starken Parallele zu politischen Auseinandersetzungen beziehungsweise einem Spektrum von Positionen „in der Politik“ wird Ökologie eingereiht in Themen, die in der Gemeinschaft ‚kontrovers‘ sind:
18Misereor
ist ein katholisches Hilfswerk in Deutschland mit dem Schwerpunkt Entwicklungszusammenarbeit.
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JG:
Sie haben gesagt, das sind Sachen, die sind auch kontrovers. Können Sie das vielleicht an einem Beispiel, das kann jetzt fiktiv sein, […] mal umreißen, wie sich das äußern kann?
Konrad:
Ja, ich glaube zum Beispiel […] dass auch unser Lebensstil eine gewisse Auswirkung hat auf die Umwelt und auf die Möglichkeiten, Potentiale anderer Menschen. Ja, da glaube ich schon, dass einige von uns auch im Jesuitenorden – das ist ja jetzt in dem Sinne nicht so ein monolither Block, ja, sondern das ist genau wie in der Politik auch. Da gibt es Leute, die glauben, die Daten zur Klimaerwärmung, das ist alles ein Blödsinn, ja. Und die anderen sagen, nee, es ist wahr, wir müssen unseren Lebensstil ändern. Und predigen, und predigen das, ja, auch auf unseren Provinzkongregationen. Andere sagen: „Nö.“ […] Also, das ökologische Thema ist sicher auch kontrovers, ja. Nicht bei uns, ja.
[…]
Und da finden Sie von den Linken bis zur Rechten alles bei uns. Also, jetzt sicher nicht ins extrem Rechte, das sicher nicht, ja, aber konservative Leute, ja. Also, jetzt zum Beispiel Homosexualität – jetzt mal was ganz anderes – homosexuelle Partnerschaften, das ist komplett umstritten bei uns. […] Also da finden Sie auch, das Gleiche gilt für andere Themen auch. Für politische Themen, für ökologische Themen.
Dissens innerhalb der Gemeinschaft zu ökologischen Fragestellungen wie Klimawandel wird hier im Kontrast zu anderen Verhältnisbestimmungen weniger problematisiert als neben anderen kontroversen Themen normalisiert. Eine andere Variante dieser Verhältnisbestimmung findet sich bei dem deutschen Jesuiten Leonard, für den umweltbewusstes Handeln, beispielsweise Mülltrennung, selbstverständlich, aber unabhängig von seiner jesuitischen Identität ist (vgl. auch 5.2.5). JG:
In wie weit spielt denn das Thema der Bewahrung der Schöpfung in Ihrem Leben als Jesuit eine Rolle?a
Leonard:
Also, ich hätte jetzt von mir aus spontan gesagt, indem ich Kind meiner Zeit bin und hoffentlich immer versuche, ökologisch irgendwie mitzudenken und das mit einzubringen. Also, die Bewahrung der Schöpfung jetzt, also für mich ist das jetzt so eine Selbstverständlichkeit […] Ich hab jetzt gerade überlegt: „Wäre ich ökologischer, wenn ich nicht Jesuit wäre? Bin ich ökologischer, weil ich Jesuit bin?“ Das könnte ich Ihnen jetzt gar nicht so treffend nennen. Mir ist es ein Anliegen (lacht). Und könnte jetzt das schlechte Gewissen entpuppen, wo ich sage: „Oh, ja.“ Aber es ist schon eine Abwägung: „Flieg ich dahin oder fahr ich da mit den Zug hin oder wie mach ich das?“ Wir haben kein Auto als Kommunität. […] Wir versuchen Mülltrennung, aber all das finde ich selbstverständlich. Also, das ist jetzt nicht noch mal, weil ich Jesuit bin.b
a Das
Interview fand in der explorativen Phase statt. Die abweichende Fragestellung unterstellt den Bezug zwischen Bewahrung der Schöpfung und „Jesuit sein“, welchen der Gesprächspartner verneint.
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b Die Zuordnung zur Position „ist kein anerkanntes Ordensziel“ ist allerdings nicht eindeutig. Später expliziert Leonard, ökologische Aspekte seien unter dem zentralen Ziel der Gerechtigkeit in der Gesellschaft Jesu einzuordnen. Es zeigt sich hier die potentielle Möglichkeit, innerhalb des Gesprächs in unterschiedlichen Momenten verschiedene Verhältnisbestimmungen darzulegen, beispielsweise, wenn das Gespräch erst entsprechende Reflektionen anregt.
Übergreifend ist auffällig, dass keiner meiner Gesprächspartner der beiden Schwerpunktregionen das Ziel explizit als nicht wünschenswert ablehnt. Einige osteuropäischen Jesuiten in Ausbildung distanzierten sich hingegen von dem Ziel (vgl. 5.2.5). Ein mitteleuropäischer Franziskaner in Ausbildung bemühte sich in einer Diskussion mit dem Koordinator und seinen Mitbrüdern in Ausbildung, dafür zu werben, das Leben des Heiligen Franziskus nicht durch das Thema Ökologie zu „vereinnahmen“, drückte allerdings keinen Widerspruch gegen das Ziel per se aus. Die Diskussion zeigt jedoch, dass eine Ausformulierung eines Ziels durch die Generalkongregation nicht dafür ausreicht, dass Ordensmitglieder es als tatsächliches Ordensziel annehmen. Dem Wissen um das eigentlich verpflichtende, formale Statut stellen die Ordensmitglieder urteilsbildend die alltägliche Erfahrung in der Gemeinschaft kritisch entgegen. Schließlich können im Laufe eines Gesprächs auch verschiedene Verhältnisbestimmungen von den Gesprächspartnern aufgegriffen und expliziert werden. Besonders die unter 3. und 4. genannten Beziehungen gingen mehrfach miteinander einher, zum Beispiel bei Martin, der in seiner Gemeinschaft gerne mehr Handlungsimplikationen des Ziels der Bewahrung mit der Schöpfung erleben würde, gleichzeitig aber auch die Grenzen seiner eigenen Handlungsmöglichkeiten beschreibt, unter anderem aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben und damit verbunden begrenzten Zeitressourcen. Für die Verhältnisbestimmungen 1. bis 4. stellen viele Gesprächspartner eine Beziehung des Ziels mit expliziten, geteilten Wissensbeständen in den Gemeinschaften her. Während Jesuiten, die mir das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung als Ordensziel vermitteln, in der Tendenz zur Argumentation auf das Charisma ihres Ordens (Wissen zu Ignatius von Loyola ebenso wie ‚jüngere‘ Wissensbestände um die 32. Generalkongregation) sowie auf die 35. Generalkongregation zurückgreifen, beziehen sich Mitglieder des Ordens der Minderen Brüder weniger auf Beschlüsse des Generalkapitels als auf das Charisma des Ordens und ihren Ordensgründer Franziskus von Assisi. Die explizite Integration
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des Ziels als Ordensziel erfolgt somit durch Einspeisung in etablierte Wissensbestände um die „Identität“ der Orden, sodass alte wie neue Wissensbestände als gegenwärtige Realität in der jeweiligen Situation (re-)konstituiert werden. Hierbei wird nicht zuletzt deutlich, dass auch die reflektierte Auseinandersetzung zu dem, was die Gemeinschaft identitätsbildend und verbindend ausmacht, kein Alleinstellungsmerkmal der Ordensleitung oder interessierten Soziologinnen ist, sondern eine bedeutende Frage für Ordensmitglieder in verschiedensten Situationen, Rollen und Positionen in der Ordenshierarchie.
6.2.2 Bewertungen der Entwicklung des Ziels Bewertungen der Entwicklungen des Ziels zeigen die Perspektive der Ordensleute zu zwei Fragen: Wie entwickelt sich das Ziel im Orden über die Zeit und wie sollte es sich entwickeln? Vor diesem Hintergrund lassen sich durch Kontrastierung die verschiedenen Bewertungen in drei unterschiedliche Diagnosen zusammenfassen, denen die zuvor beschriebenen Verhältnisbestimmungen mit einer Ausnahme (Variante 2) zugeordnet werden können. A. Die Tätigkeiten der Ordensgemeinschaft und die explizierten Ziele entsprechen den Anforderungen („Zeichen“) der Zeit. B. Die Umsetzung der Ziele entspricht nicht den Anforderungen der Zeit und nicht den Ansprüchen oder Visionen der Gemeinschaft. Die Entwicklung schreitet nicht ausreichend voran. C. Umweltschutz ist kein etabliertes Ordensziel, könnte es aber werden. In Kongruenz mit der beschriebenen normativen Implikation des Handeln-Sollens geht mit den Diagnosen die grundsätzliche Annahme eines ‚Bedarfs‘ einher, die den Zielen zugrundeliegenden Probleme zu adressieren. A. Die Tätigkeiten der Ordensgemeinschaft und die explizierten Ziele entsprechen den Anforderungen („Zeichen“) der Zeit. Diese Diagnose findet sich gemeinsam mit Verhältnisbestimmungen nach Variante 1, die ich überwiegend bei Jesuiten ausmachte: Das Ziel ist ein Ziel des Ordens und wird von dem Gesprächspartner verfolgt. Es gibt eine zeitlose
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Identität des Ordens, die Ordensleute mit Blick auf die sich in einer spezifischen Gegenwart zeigenden Probleme interpretieren und verfolgen. Für diese Diagnose werden gegenwärtige bestehende Probleme, die in der Welt wahrgenommen werden, ausgehend von Wissen, was als zeitlos gültig verstanden wird (der katholische Glaube oder das Leben und Wirken des heiligen Ignatius), interpretiert und bearbeitet. Das explizite Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung ist insofern eine bestätigende Reaktion auf die Probleme und die damit verbundenen Aktivitäten der Gemeinschaftsmitglieder. Es werden gesellschaftliche Entwicklungen und zielverwandte Probleme anhand von Maßstäben wie Dringlichkeit und Aktualität basierend auf Annahmen zur Identität des Ordens und dessen Vergangenheit überprüft und daraus Handlungen abgeleitet. Dass Mitglieder der Gemeinschaft die Ordensmission zeitspezifisch ‚anpassen‘, erscheint eher als Selbstverständlichkeit denn als Problem. Diese Perspektive scheint von Ordensleuten angenommen zu werden, die das Ziel mit externer Handlungsorientierung interpretieren und in ihrer Kernbeschäftigung zu spezifischen, als gegenwärtig notwendig betrachteten Problemfeldern arbeiten wie beispielsweise in der Katastrophenvorsorge. B. Die Umsetzung der Ziele entspricht nicht den Anforderungen der Zeit und nicht den Ansprüchen oder Visionen der Gemeinschaft. Die Entwicklung schreitet nicht ausreichend voran. Diese Diagnose ist eine Problemanzeige mit dem Horizont, was die Gemeinschaft gegenwärtig sein sollte und sein könnte. Der Anspruch ist geknüpft an das jeweilige Ordenscharisma, an die Erwartung, als Ordensgemeinschaft in der Gesellschaft eine prophetische Rolle einzunehmen und/oder die Wahrnehmung, dass andere Akteure in der Gesellschaft zum gleichen Zeitpunkt eher den Erwartungen entsprechen, die sich aus der organisationalen Identität oder den Zielen ergebend. Zwei Gesprächspassagen mit dem Franziskaner Martin können diese Diagnose veranschaulichen. [I]mmer natürlich die selbstkritische Frage, sage ich mal, als Ordensgemeinschaften haben wir eigentlich eine prophetische Funktion, haben wir vielleicht so ein Stück, sollten wir Leuchtturm sein oder sollten wir vormachen, wie es auch gehen könnte, […] ein anderes Lebensmodell, ein anderer Lebensstil. Da […] sind wir natürlich diesem Ideal immer irgendwie hinterher, ja. Also, AUCH im ökologischen Bereich. Ich glaube, da sind auch andere deutlich weiter als wir, ja, die vielleicht für sich persönlich oder als kleine Gemeinschaft oder wie auch immer noch mal deutlich akzentuierter etwas vorleben, als wir das tun. Da sind wir, glaube ich, in Deutschland oder vielleicht auch überhaupt in Mitteleuropa doch eher so gutbürgerlich vielfach unterwegs, ne.
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Wenig später im Gespräch sagt er zum konkreten Lebensstil-Bereich der Automobilität: [D]ieses Thema Auto ist ein sehr unerquickliches und schwieriges, ja. […] da wird es ja konkret, ja? Und da erlebe ich schon […] teilweise oder bei einzelnen Brüdern sehr massive Widerstände. [… Obwohl] durchaus andere Regelungen möglich wären. […] ich könnte dann eben auch ganz andere Möglichkeiten wie Carsharing [nutzen …] von daher würde ich schon sagen, dass wir auch bei solchen gesellschaftlichen Entwicklungen, wo sich ja auch etwas tut, zum Beispiel […] konkret CarsharingModelle […], und uns da auch gar nicht beteiligen [… Deswegen] sind wir so in diesem ökologischen Feld und Bereich nicht unbedingt Vorbild.
In einer Gruppendiskussion argumentiert Charles, ein philippinischer Jesuit in Ausbildung, der zur dritten Variante der Verhältnisbestimmungen zugeordnet werden kann: I am a bit embarrassed because a lot of outside the world is way ahead of us in terms of buying into more sustainable living. […] Like […] more and more people try to use less air-conditioners but more and more Fathers here have been given air-cons in the past two years.
Beide Ordensleute nutzen hier den Kontrast mit generalisierten Anderen der ‚Außenwelt‘, um zu zeigen, dass sie als Gemeinschaften mit Blick auf das diskutierte Ziel hinter den Möglichkeiten und damit auch ihren Ansprüchen zurückbleiben. In der durch Martin vermittelten Variante ist der ökologische Bereich einer von mehreren, in denen die Ordensgemeinschaft ihrem Ideal nicht gerecht wird neben dem Bereich der Armut. Wie in Begriffen wie ‚Vorbild‘ und ‚prophetisch‘ ausgedrückt, ist der Maßstab, an dem die Zielverwirklichung bewertet wird, kein rein intern orientierter, sondern mit der Verwirklichung des Ziels in der Gemeinschaft soll diese auch von außen bemerkt werden und nach außen transformativ wirken. Insofern ist die Bewertung auch maßgeblich daran orientiert, was gesellschaftlich bereits von anderen Akteuren vorgelebt wird. Einen spezifischen Kontrast wählt der philippinische Franziskaner Fred. Er erlebte die Integration des Ziels in alle Bereiche des Ordenslebens in der Gemeinschaft eines franziskanischen Schwesternordens (Franziskanerinnen der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Mutter, SFIC) und zieht diese Erfahrung als positiven Vergleich heran.19 19Für
zwei seiner philippinischen Ordensbrüder ist der Weg der SFIC Schwestern hingegen außerhalb einer möglichen Orientierung für ihre Gemeinschaft. Sie nennen den integrierten Ansatz der Frauengemeinschaft im Gespräch mit mir unter Lachen „intergalaktisch“ und „New Age“.
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I would like to look at the experience of the SFIC. They are more conscious as a community. (short pause) In terms of vision, […] very very clear. We, we are a GROUP in this planet (laughing) in this area, etcetera. Because I facilitated [… a LARGE MEETING of the congregation] last summer. And […] I was so impressed with their orientation, the direction. […] (laughing) true integrity of creation in terms of [how] they spend money, […] the spirituality, […] formation, […] their activities. So= integrated.
Besonders die mitteleuropäischen, intern aktivistisch orientierten Ordensleute kritisieren hingegen weniger stark das Problembewusstsein im Orden als mangelnde Handlungsimplikationen. Im Gegenteil konstatieren sie mit Blick auf den Vergleichshorizont von Vergangenheit und imaginierter Zukunft in den Ordensgemeinschaften, sowohl ökologische Anliegen als auch deren Fürsprecher hätten sich zunehmend etabliert. Jesuitische und franziskanische Perspektiven sind diesbezüglich sehr ähnlich: Friedrich:
[Damals] war […] das Thema noch […] bei uns umstrittener, […] heute würde ich sagen, es gibt immer noch Leute, die davon nichts wissen wollen. Sagen wir einmal, es ist insgesamt akzeptiert, und die Leute, die sich dafür einsetzen, gelten nicht als bunte Vögel, um es mal so zu sagen, und damals war es aber doch noch eher. […] ich meine, wir schlagen uns ja nicht oder so, aber einfach sozusagen […] das Gefühl war mehr einer gewissen auch Konfrontation, was heute jetzt, würde ich sagen, nicht mehr so ist, für das Thema als Ganzes, Ökologie. Es gibt natürlich die Frage, bezüglich Klimawandel, da gibt bei uns auch Klimaskeptiker, (Pause) das muss man sagen, das gibt es. Und […] wenn ich sage, das Thema ist als Ganzes heute angekommen, dann gilt das sicher nicht für alle. Ich habe nicht das Gefühl, das Thema Umwelt/Ökologie (Pause) bei uns irgendwie ein kontroverses Thema als solches werde. Nein, sozusagen, dass es eine wichtige Aufgabe ist, um die wir uns auch kümmern müssen, das ist Mainstream. Und das war es vielleicht am Anfang nicht so.
JG:
[W]o geht den das Thema Bewahrung der Schöpfung vielleicht hin im Orden, in der Provinz in den nächsten Jahren? (kurze Pause) Ja, was denkst du, wie könnte es weiter gehen?
Martin:
Mhm. Also, positiv wahrgenommen ist glaube ich schon mal, dass das Thema im Orden angekommen ist. […] unser ehemaliger Generalminister hat […] auch mal davon gesprochen, dass mittlerweile dieses Thema, also Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, sowas ist auch wie die DNA der franziskanischen Spiritualität.a
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Also, das heißt ein urfranziskanisches Thema und was eigentlich aus unserer Spiritualität auch nicht wegzudenken ist. […] Und ich glaube, das ist auch nicht immer so gesehen worden. Also, das heißt, das hat sich langsam entwickelt im Laufe der Jahre und am Anfang wurden vielleicht auch die Brüder oder Schwestern, […] die sich da engagiert haben, so ein bisschen als Spinner vielleicht abgetan oder als: „naja gut, lass die mal machen“, ja, aber es ist nicht so richtig in der Mitte angekommen und so ähnlich wie auch […] das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, würde ich auch sagen, ist es doch auch im Orden angekommen und verwurzelt mittlerweile. Das würde ich jetzt erstmal als po=sitiv bewerten a Vergleiche
mit Abschnitt 5.1.2, Fußnote 11.
Während Friedrich reflektiert, das Thema wäre früher in der jesuitischen Gemeinschaft mit einem ‚konfrontativen Gefühl‘ einhergegangen, deutet Martin an, den Aktiven wären trotz überwiegender Skepsis Freiheiten zugesprochen worden. Er rahmt den Prozess als alle Bereiche von GFBS betreffend. Beide Gesprächspartner teilen jedoch die Rekonstruktion früherer Skepsis dem Thema gegenüber und die Bewertung, zumindest in Bezug auf die Wahrnehmung und Anerkennung ökologischer Probleme hätten sich die Gemeinschaften „positiv“ entwickelt. C. Umweltschutz ist kein etabliertes Ordensziel (könnte es aber werden). Wie zuvor als fünfte Verhältnisbestimmung beschrieben, kommen die deutschen Jesuiten Konrad und Leonard basierend auf unterschiedlichen Sichtweisen zu einer ähnlichen Verhältnisbestimmung, nach der Umweltschutz kein dezidiertes Ziel des Ordens ist. Leonard räsoniert mit Blick auf seine Sozialisation (beziehungsweise einer lokalisierten oder gesellschaftlichen Rahmung), es sei unabhängig von seiner jesuitischen Identität für ihn selbstverständlich, sich in einigen Bereichen des Lebensstils umweltbewusst zu verhalten. Konrad bewertet das Ziel und seine Entwicklung über basierend auf seinem Wissen zu anderen Perspektiven innerhalb des Ordens in nicht-europäischen Weltregionen. Davon ausgehend zieht er in Erwägung, Umweltschutz könnte in der Zukunft ein anerkanntes Ordensziel werden. Es fallen hierbei Ambivalenzen in der Darstellung auf, die sich durch unterschiedliche Maßstäbe zur Bewertung der Bedeutung eines Zieles ergeben: einerseits wer es verkündet und andererseits, wie es rezipiert wird.
262 Konrad:
6 Bewertungen Von der Generalkongregation in den letzten Dekreten wurde ja auch sehr stark über die Schöpfung und über die Umwelt und sowas geschrieben, ne. Und das hat für die Jesuiten schon ein starkes Gewicht [… sich damit …] auseinanderzusetzen und […] es gibt bestimmt bei uns Leute, […] die das dann ganz anders sehen oder die das dann auch akzeptieren. Und Leute, die das vorher überhaupt nicht als Problem wahrgenommen haben und dann […] in ihre jesuitische Identität mit reinnehmen dieses Thema, ja, weil die Generalkongregation, ne. Aber es ist sicher, bis dann sowas mainstream wird, das dauert noch, ne. Zum Beispiel 1974 bei der Generalkongregation hat ja der Pater Arrupe [der damalige Generalobere, Kommentar JG] […] dieses ‚der Dienst am Glaube und der Einsatz für die Gerechtigkeit‘ [eingebracht]. […] Und das hat eine riesen Diskussion im Orden ausgelöst, ja. […] Einsatz für die Gerechtigkeit ist alles so marxistisch und links und kommt aus Lateinamerika, Befreiungstheologie; das hat mit uns nichts zu tun, ja. Bis das mainstream wurde, das hat bestimmt zwanzig Jahre gedauert, ja, ne. Also, heute würde kein Jesuit, den ich kenne, sagen, dass Einsatz, Dienst am Glauben, Einsatz für die Gerechtigkeit nicht zusammenhängt. […] Aber damals war das fast ein Grund für die Spaltung des Ordens, ja, ne. Und so glaube ich, ist es mit dem ökologischen Thema vielleicht auch, ne. Das wurde bei der letzten Generalkongregation stark in den Vordergrund gesetzt, […] aber es ist jetzt nicht so ein Thema, wo jetzt alle drüber reden. Damals, das war das Thema. Aber Ökologie ist immer noch so ein bisschen: „Naja, gut, da müssen wir halt auch was zu sagen, ne.“ […] Aber zum Beispiel wenn eine Generalkongregation, ne, das Thema viel stärker betonen würde, ja, dann könnte es innerhalb des Ordens und auch über den Orden hinaus, Leute, die uns nahe stehen oder Leute, die wir auch erreichen mit unserer Botschaft, vielleicht einen ganz anderen Wiederhall finden […] Aber es ist natürlich […] im ganzen Orden, noch nicht so mainstream. Vor allem im Süden, ja, also im Süden ist Ökologie bei meinen Mitbrüdern nicht so ein Thema, ja. Da steht [ein] anderes Thema, Armut, ja, Gerechtigkeit, Bildung, viel stärker im Vordergrund, ja. Konsum, Hunger, ne.
[Ich frage, wie es bei dem Thema der Gerechtigkeit zu der Veränderung gekommen ist.] […] Das ist sicher eine Geschichte, die die anderen Generalkongregationen auch aufrechterhalten haben, ja. […] ein Verständnis dazukam, dass nicht Gerechtigkeit nicht nur Marxismus ist, ja, dass man sich damit auseinandersetzen kann; dass eine zunehmende Globalisierung […] eine zunehmende Diskrepanz zwischen Arm und Reich hervorgerufen hat, ja; dass sich Leute damit beschäftigt haben und gemerkt haben: „Aha, vielleicht ist das wirklich so“ und […] Glauben hat was damit zu tun. […] Und das natürlich auch ein Generationenwandel stattfindet, ne. [… J]üngere Leute, wenn sie in den Orden eintreten, die treten auch deswegen ein oder die wissen, warum sie eintreten, ja. Ich glaube schon, [… dass] verschiedene Aspekte dazu beigetragen haben, dass es auch [… der] gesamte[n] Kirche – ich meine, die Päpste [… auch] – das Gerechtigkeitsthema wichtig geworden ist. Vielleicht passiert sowas auch mit diesem Ökologie-Thema.
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung
263
Von mir im Gespräch nach dem ersten Abschnitt dazu angeregt, konstruiert Konrad eine ausführliche Parallele zur Verankerung des Ziels der Gerechtigkeit in der Gesellschaft Jesu. Er theoretisiert, wie Wandel in der weltweiten Gemeinschaft durch die Generalkongregationen angestoßen werden kann beziehungsweise wie Themen Teil der Identität des Ordens werden (können). Die Generalkongregation erscheint dabei als entscheidendes Organ. Andererseits wechselt Konrad zwischen dem Wissen zur jüngeren Geschichte des Ordens und der Gegenwart und seinen Erfahrungen zur Rezeption des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung vergleichend hin- und her. Es entsteht in der Reflektion eine Explikation von Faktoren, die beim Thema der Gerechtigkeit zu dessen Etablierung im Orden beigetragen haben: die Thematisierung durch die Generalkongregation, heftiger Streit im Orden beziehungsweise intensive Auseinandersetzung mit der Frage weltweit; die Aufrechterhaltung des Themas in weiteren Generalkongregationen; ‚Einsehen‘ des Zusammenhangs mit Glaube und schließlich bei neu eintretenden Ordensleuten Identifikation mit dem Thema. Aus dem organisationalen Wissen heraus wird ein möglicher Weg für das Thema der Ökologie entwickelt. Zusammenfassend zeigt die Diskussion auf, dass mit unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen zwischen den Ordensmitgliedern, dem Ziel und der Gemeinschaft auch unterschiedliche Bewertungen der Entwicklung des Ziels einhergehen, wobei die Entwicklung des Ziels besonders von solchen Ordensleuten als defizitär expliziert wird, die die Ziele mit intern aktivistischer Orientierung interpretieren. Es besteht insofern ein loser Zusammenhang zwischen handlungsleitenden Orientierungen und expliziten Bewertungen, wobei dieser aufgrund von Reflektionen über die handlungsleitende Orientierung hinaus nicht zwingend bestehen muss, wie die Gesprächspassagen mit Fred illustrieren. Er weist handlungsleitend keine intern aktivistische Orientierung auf, sondern interpretiert das Ziel eher als soziale und pädagogische Aufgabe, bewertet das Ziel und seine Entwicklung aber ähnlich wie Aktivisten. Für die Bewertung ziehen die Gesprächspartner diverse Vergleichshorizonte heran, anhand deren sie vermitteln, was mit Blick auf die Ziele und ihre Verwirklichung nötig, richtig, möglich, wünschenswert, problematisch oder normal ist. Dabei bedeutet der gleiche Vergleichshorizont nicht unbedingt eine gleich ausfallende Bewertung: Die deutschen Jesuiten Friedrich und Konrad beziehen sich beide auf das geteilte Wissen der Gemeinschaft zu der Generalkongregation, dass Glaube und Gerechtigkeit beziehungsweise der Einsatz für die Armen zu entscheidenden Zielen des Ordens (geworden) seien (vgl. Verhältnisbestimmung 3 und Diagnose C). Trotzdem bewerten sie das Ziel, sich mit der Schöpfung zu versöhnen, unterschiedlich: Für Friedrich ist die Integration des Ziels in die
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6 Bewertungen
grundlegenden Aufgaben der Gemeinschaft nicht nur inhaltlich nachvollziehbar, sondern vor dem Hintergrund des herangezogenen Wissens auch gültig. Konrad expliziert, da das Umweltschutzziel noch nicht ausreichend anerkannt ist, es sei (noch) nicht Teil der organisationalen Identität. Es zeigt sich darüber hinaus, dass die Bezüge zur organisationalen Identität für die Verhältnisbestimmung und damit der grundlegenden Bewertung des Ziels als Ordensziel relevant sind. Es wird so der normative Ausgangspunkt bestimmt. Hinsichtlich der Bewertung der Entwicklung der Ziele beziehungsweise deren Umsetzung dagegen beziehen sich Ordensleute eher auf ihre Erfahrungen.
6.2.3 Generationenvergleiche und Zeitdiagnosen Als Vergleichsdimensionen dienen den Ordensmitgliedern verschiedene ‚Bereiche‘ und damit verbundene Wissensbestände, auf welche sie relational – als Kontrast oder auch als Parallele – Bezug nehmen, wenn sie die Ziele und die Entwicklungen der Ziele innerhalb der Gemeinschaft bewerten. Sie bringen nicht nur das Wissen zum Ordensziel und seiner Umsetzung im Orden ein, sondern stellen Beziehungen her zu Entwicklungen in der ‚Welt‘ oder in der ‚Gesellschaft‘ oder zu Dynamiken in der ‚Politik`, wie die Zitate der vorherigen Unterkapitel illustrieren. Zur Bewertung der Umsetzung der Ziele vergleichen besonders intern aktivistisch orientierte Ordensleute ihre Gemeinschaft mit säkularen Gruppen oder anderen Ordensgemeinschaften, die sich zu verwandten Themenstellungen engagieren. Die Beobachtung, wie ‚weit‘ säkulare Akteure in transformativen Nachhaltigkeitsanliegen sind, wird zur Messlatte der eigenen Ansprüche. Für Verhältnisbestimmungen und Diagnosen zur Zielentwicklung in der Gemeinschaft werden Erfahrungswissen und theoretisierte organisationale Wissensbeständen in Beziehung gebracht, wobei sich abhängig von unterschiedlichen Erfahrungen, Bezügen zu sozialen Welten und weiteren Vergleichshorizonten unterschiedliche Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung ergeben. Der nun zitierte Gesprächsauszug mit dem Jesuiten Flavio zeigt, dass als eine Spielart der Diagnosa A, dass die Tätigkeiten der Ordensgemeinschaft und die explizierten Ziele den Anforderungen der Zeit entsprechen, Ordensgrenzen aufgeweicht und politische Grenzen eingeführt werden könnten: Flavio:
Practically speaking, also, I see=, that those who used to be, let’s say, working for justice, those in the left, (short pause) they have gone to environmental work °now° because they have seen a lot of things that were operating, let’s say, in economics (short pause) they also see in the environment.
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung
265
[…] JG:
So, when you refer to those that have formerly been engaged in questions of justice now looking at the environment, are you referring to members of the Society of Jesus?
Flavio:
Also, yes. SOME of them who used to be active, let’s say in the social apostolate, and now they say this is a social-environmental issue. Yeah, they put the environment there, so. I can understand. I can see how, how it is related so the environment is not just a physical natural issue. (short pause) That it is a people issue.
Die Antwort, ‚auch‘ Mitglieder der Gesellschaft Jesu seien gemeint, lässt erkennen, dass die beschriebene Gemeinschaft, auf die Flavio im Gespräch über Versöhnung mit der Schöpfung zu sprechen kommt, aber der er sich nicht explizit zuordnet, nicht entlang formal definierter Ordensgrenzen verläuft. Die Entwicklungen im Orden verlaufen zumindest parallel zu solchen in der (Zivil) Gesellschaft oder sind ein Teil davon. Eine Vergleichsdimension, die in unterschiedlicher Weise immer wieder herangezogen wird, ist die der Generationen. Es finden sich im Material zu beiden Weltregionen diverse ‚Diagnosen‘ zu Unterschieden zwischen Generationen. Teilweise werden Bezüge zu Änderungen des ökologischen Bewusstseins in der Gesellschaft hergestellt. Einige der Differenzierungen beziehen sich in Form von Beschreibungen auf gegenwärtige Unterschiede. Karl:
[I]n dieser Generation der heute siebzig bis neunzig Jährigen, da gibt es schon ein paar, die da auch drüber nachdenken, mal einen Zeitungsartikel darüber lesen, aber es ist nicht das Thema, mit dem die sich oder andere strapazieren wollen. Sondern da ist zum Beispiel das Auto noch ein ganz eine wichtige Sache, ne. Oder, was ist das? Vielleicht noch mal zehn Jahre später, […] die jetzt Achtzigjährigen, die sind aufgewachsen in einer Umwelt, da gehörte zum Mann Sein, dass man raucht, dass man Auto fährt, dass man Fleisch ist.
Leonard:
[D]en Jüngeren ist das [Bewahrung der Schöpfung] ein ganz großes Anliegen. Also, das ist für die noch viel mehr Selbstverständlichkeit als das zum Beispiel für meine Generation ist. Also, für die Jungen und für die Jungen mein ich jetzt, […] von deutscher Provinz geprägt von […] 22 bis 35, ist [das] eine Selbstverständlichkeit.
Andere stellen generationalen Wandel als in die Zukunft gerichtete Hoffnung der Veränderung heraus. Als Dylan mir von seinen Strategien erzählt, das Thema zu adressieren, führt er aus:
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Dylan:
On the other hand, for me, it is really going to take a generation of people who will make the difference.
JG:
You think it is a question of generation?
Dylan:
It is not simply a question but it is primarily a generational reality because those are the people who will bring in the changes.
Besonders unter den philippinischen Jesuiten entsteht basierend auf dem Material der Eindruck, die jüngeren Ordensmitglieder wendeten sich dem Thema tatsächlich intern aktivistischer zu (vgl. 7.3.2). Während diese generationalen Differenzierungen ein Erstarken des Themas in der Zukunft unterstellen, kommen nicht alle Informant*innen zu dieser Einschätzung. Im Gespräch mit dem Franziskaner Camilo und dem Mitglied der franziskanischen Familie, Pablo, expliziert dieser, die junge Generation sei ‚müde‘ und ‚taub‘ gegenüber GFBS-Problemen. Die aktivistisch orientierten Franziskaner der deutschen Provinz, die ich befragte, reflektieren das Engagement basierend auf ihren Erfahrungen in und zu einer „aktivistischen Zeit“. Die gegenwärtigen jüngeren Mitbrüder trügen die Aktivitäten des Ordens nicht in gleicher Weise. Martin erzählt von den (interfranziskanischen) GFBS-Gruppen der 1980er- und frühen 1990er Jahre. Er expliziert das gegenwärtige Problem eines ‚Erlahmens‘ des Interesses in Verbindung mit der Alterung des Ordens in der Provinz in Deutschland. Martin:
Die sind halt hauptsächlich von den jüngeren Brüdern […] auch ein Stück getragen worden, ne, ganz klar. Die haben sich natürlich noch mal mehr engagiert jetzt so oder waren eben viele der jüngeren Brüder, die noch so in Ausbildung waren, sage ich mal, die studiert haben oder so, die dann auch in diesen Gruppen mit drin waren.
[…]
Seit 2010 sind wir ja nur noch eine Provinz in Deutschland und [d]ie ist […] ziemlich zusammengeschrumpft, […] weil wir natürlich jetzt nicht mehr so viele jüngere Brüder haben […] zwischendurch ist das Interesse vielleicht auch erlahmt. Da haben sich die Akzente auch […] verschoben […]. Früher war vielleicht mehr so eine aktionistische Zeit, […] oder wo solche Themen dann auch in der Weise angesprochen haben. Mittlerweile ist es […] ein bisschen mühsamer solche Themen zu positionieren und oder […] noch Brüder zu gewinnen, die dranbleiben, ne.
JG:
Jetzt auch vor allem innerhalb des franziskanischen Ordens hier in der Provinz?
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung Martin:
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Ja, genau. Also, das ist, der Kreis der Jüngeren schrumpft halt sehr zusammen, ne. Es kommt […] von unten kaum noch etwas nach. Es gibt immer weniger junge Männer (lachen), oder schon etwas ältere, […] die eintreten. Und von daher ist es […] mittlerweile ein relativ kleiner Kreis, also, […] hier in Deutschland sind wir also sechs Brüder, die das, die sich da treffen und versuchen, so dieses Anliegen hochzuhalten.
Exemplarisch zeigt die Diskussion der Vergleichsdimension der Generationen, dass aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen in verschiedenen sozialen Zusammenhängen auch innerhalb einer Vergleichsdimension Ordensleute zu sehr unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen und Bewertungen zur Entwicklung des Ziels kommen können. Die Ordensleute betten dabei ihr Engagement kontextuell ein und reflektieren es vor dem Hintergrund vergangener oder auch zukünftig erwarteter gesellschaftlicher Entwicklungen. So reflektiert der transnational agierende Jesuit Dylan der philippinischen Provinz die Bedeutung seiner Vorgehensweise ‚in der Welt‘. Dylan:
I found some peace within [ my engagement for reconciliation with creation, JG…]. And then, I think this is what people are looking for most of all at this stage. I think there is an awful lot of uncertainty in the world that was not there ten years ago even.
Die Reflektionen zur Entwicklung des Ordensziels sind so auch Zeitdiagnosen, die nicht zuletzt mit strategischen Überlegungen zur Umsetzung der Ordensziele in Zusammenhang gebracht werden.
6.2.4 Kritik anderer Interpretationsvarianten In den Gesprächen mit mir reflektierten Ordensleute nicht nur die Vielperspektivität im Orden wie unter 5.1.2 gezeigt, sondern sie grenzten sich auch zu anderen Perspektiven ab und markierten damit explizit, wie sie das Ziel nicht interpretieren. Die explizierte Bewertung richtet sich auf diese anderen Interpretationen einschließlich damit verknüpfter Handlungen. Die folgenden Gesprächsauszüge zeigen aber auch, dass die Abgrenzungen oft mit Erfahrungen der Verhandlung der Bedeutung der Ziele einhergehen. Die Gesprächspartner vermitteln mir jeweils ihre Perspektive verknüpft mit Erzählungen und Beschreibungen dazu, welche die Konfliktlinien zwischen unterschiedlichen Interpretationen aufzeigen. Die folgenden drei Gesprächsausschnitte zeigen
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unterschiedliche explizierte Standortbestimmungen zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf, wie ich sie in ausführlicheren Varianten auch in theologischen Debatten erwarten würde. Die zwei folgenden Aussagen wenden sich eher der Frage der zielverwandten konkreten Strategien und Praktiken in den Gemeinschaften zu. Die Frage des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur diskutiert Martin, Franziskaner der deutschen Provinz, basierend auf seinem Wissen zur Lehre um Franziskus von Assisi. Er grenzt sich insbesondere von der Bibelinterpretation ab, der Mensch solle über die Natur herrschen. Martin zufolge solle er stattdessen Hüter sein. Martin:
Das ist ja auch ein von Franziskus her, ja, damals auch eminent theologische Veränderung, also, den Menschen sozusagen nicht übergeordnet über alles andere zu sehen, sondern eingeordnet in das Ganze. Also, die Frage eben: Was heißt biblisch gesehen der Mensch als Krone der Schöpfung? Dass Gott uns eben nicht als Herrscher über alles gesetzt hat, sondern eben als Hüter und das ist dann eben noch ein ganz anderes Verständnis und ich glaube schon, dass sich daran heutzutage eben sehr vieles festmacht, wie wir mit der Natur umgehen, ja, also ob wir sie eben als uns sozusagen untertan ansehen und die Dinge ausgebeutet werden können, oder ob wir sagen, sie sind gleichwertig und, ja, als eingebunden in alles haben wir eben entsprechend auch damit umzugehen.
Unter anderen Ruben, der als Mitglied der indischen Franziskanerprovinz über mehrere Jahre am Leben der deutschen Franziskanergemeinschaft teilnimmt, expliziert eine vergleichbare Kritik: Ruben:
We are not the masters […] of this nature, this creation. It is not correct. Who made you then the masters of this creation? God is the master. […] We are servants of the creation actually, ja? […] that should be the attitude.
Eine im Material ebenfalls mehrfach explizierte Kritik richtet sich auf Interpretationen, die im Englischen mit „tiefer Ökologie“ („deep ecology“) bezeichnet werden und die der Natur einen hohen Eigenwert zuschreiben. Der deutsche Jesuit Friedrich beispielsweise erlebte die Auseinandersetzung zwischen dieser und der Perspektive der bevorzugten Option für die Armen als Hauptkonfliktlinie bei internationalen Treffen:
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung
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Friedrich:
was vielleicht interessant ist so zur Exploration, so ein Konflikt auch schon innerhalb der Gesellschaft Jesu zwischen Anhängern mehr so einer deep ecology, und dann Leuten, wo ich mich dazurechne, ganz eindeutig, die eher […] Ökologie aus der Sorge für die Armen, praktisch sagen „Aha, wir müssen uns um die Umwelt kümmern, weil das sonst auf den Menschen zurückwirft […]. Das ist wichtig, dass wir da mit der Umwelt vorsichtig und sorgsam umgehen“, aber nicht sozusagen, weil Mutter Erde irgendwann eine Größe sei […] in sich. Aber […] das war so bei den Treffen, wo ich dabei war, so die Hauptkonfliktlinie. Wobei man da wieder sagen muss, da das ein Treffen der Sozialapostolats war, war sicher unter uns diese Linie, die ich jetzt so auch vertrete, die stärkere. [… D]a gibt es andere, die ein tieferes Verständnis von Ökologie haben, […] das wird sicher auch weiterhin so ein Diskussionsfeld bleiben.a
[…]
[E]s gibt einige Mitbrüder, die halt dieses Thema Ökologie schon viel tiefer, längerfristiger, auch, sagen wir mal, (Pause) in einer gewissen persönlichen Radikalität angehen, und sagen wir mal, […] indem sie irgendwie auf dem Land wohnen […] In Kanada gibt es […] Mitbrüder, die das machen, und auch sich da sehr, sehr engagieren. Und da ist das mehr so aus der Idee des Zusammenlebens mit der Natur, und das ist so ein Eigenwert
a Für mein Datenmaterial kann ich diese Erwartung nur bedingt teilen. Der Verweis auf Nordamerika unten im Zitat mag eine Erklärung liefern, warum diese Auseinandersetzung in meiner Untersuchung keinen so hohen Stellenwert einnimmt, wie hier vermutet, da ich nur wenige Ordensleute aus Nordamerika und keine*n aus Kanada befragte. Ich fand jedoch – wie an einigen Stellen dieser Arbeit ausgeführt – Vorbehalte gegen (zu) spiritualistische Interpretationen, welche den hier kritisierten Ansätzen unter Umständen ähneln.
Der Jesuit expliziert die tief-ökologische Perspektive von einem Standpunkt der (anthropozentrisch fokussierten) Gerechtigkeit, für den Bemühungen des Umweltschutzes von Nöten sind. Er grenzt sich von Ansätzen ab, die basierend auf einer hohen Wertschätzung der Natur selbst Modelle eines „Zusammenlebens“ mit derselben anstreben. Der philippinische Jesuit Steve hingegen drückt seine Bedenken an ‚konservationistischen‘ Ansätzen aus, die jede Nutzung von Natur ablehnen: Steve:
Personally, as you know I am a chemist so a lot of environmental issues, concerns have been raised in my consciousness. Sometimes I am also overwhelmed with the positions of some environmentalists that you do not develop nature at all. I mean, the deep green concerns [… t]hey would not even develop nature at all so that they just allow nature to, to grow by itself. But for me=, part of the ecological processes is that precisely, we have developed the environments. It can help us in the flourishing of the world […] the earth is really for the development […] and therefore, we use the environment. But utilization of the environment that is sustainable, […] respectful […]. AND for the development of all and not just, not just to one group.
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Friedrich kritisiert zwar unterschiedliche Umgangsweisen mit der Natur und damit verknüpft ein ausgeprägtes, gelebtes Gemeinschaftsverständnis, welches die Natur einschließt, während Steve einen Zugang eines behütenden Verständnisses kritisiert, welches Mensch und Natur streng trennt. Beide grenzen sich jedoch von Perspektiven ab, die der Natur ihrer Auffassung nach im Verhältnis zu den Bedürfnissen der Menschen zu viel Bedeutung zuschreiben. Der philippinische Jesuit Thomas hingegen übt vorsichtige Kritik an der institutionellen Verknüpfung von Umwelt und sozialer Gerechtigkeit. Seine Reflektion kristallisiert sich an dem konkreten Ereignis, als nach der Einführung des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung durch die Generalkongregation das Thema Ökologie dem Sekretariat für soziale Gerechtigkeit zugewiesen wurde. Thomas:
I thought it was interesting […], there used to be a separate group working on social justice. And then, environment after GC 35 was put in there. […] And then, he [probably: the Father General] recently put the two together which is interesting. And I don’t know what I feel about that. I could see his point I guess that ultimately the issues of the environment WILL touch upon people’s lives and therefore social justice. Why is the 24 percent of the world burning seventy percent of the world’s energy? […] But from MY viewpoint, I am trying to get more the science behind it. What really is driving all of this? Do we understand enough of the science to begin to say: “Okay, we definitely can do this.”
Obwohl es im Material Hinweise dazu gibt, dass Thomas und Steve handlungsleitend sehr ähnliche Orientierungen um die soziale Welt der Wissenschaft aufweisen, grenzen sie sich in der Gesprächssituation explizit von unterschiedlichen alternativen Interpretationen ab. Thomas geht darüber hinaus auch anders vor. Er lehnt die alternative Interpretation entlang von Fragen der Gerechtigkeit nicht ab, sondern hebt additiv die Bedeutung seiner Perspektive eines wissenschaftlichen Schwerpunktes hervor. Unter 5.1.2 zu Selbstkritik der Ordensleute legte ich dar, dass besonders einige Franziskaner der deutschen Provinz über sich sagten, keine Experten zu sein. In der Gruppe der zu GFBS Aktiven gilt interfranziskanisch dagegen ein Ordensmann aufgrund seines naturwissenschaftlichen Studiums als Experte. Dieser beschreibt auch von sich aus seine naturwissenschaftliche Perspektive: [I]ch persönlich kann mit Ökologie an der Stelle eine ganze Menge anfangen, weil ich es an sich ein Anliegen finde. Ich muss das nicht noch einmal in den theologischen Mantel der Bewahrung der Schöpfung reinpacken. Also, ich für mich bräuchte [es] das nicht. Aber ich weiß, dass etliche, also unsere Mitbrüder sagen: Ja, Ökologie? Was haben wir mit Ökologie zu tun? Und so, also wenn wir uns damit
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung
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beschäftigen, dann nur weil Schöpfung und Bewahrung und hin und her. (seufzt) Gut, wenn es denn hilft und wenn es denn frommt, wie man so sagt, dann von mir aus gerne, also, ja. Und das hat, also da hat das, glaube ich, mehr damit zu tun, aus welcher Ecke ich komme. Also, mehr aus dem naturwissenschaftlichen Verständnis, da kann ich also auch wirklich mit dem Begriff Ökologie was anfangen. Wenn ich als Ordensmann mich da reinbegebe, ich brauche da diesen, diesen theologischen Rahmen nur bedingt, sage ich jetzt mal so.
Im Datenmaterial stellt diese Perspektive, nach der expliziert eine theologische Fundierung des ökologischen Engagements persönlich für nicht nötig befunden wird, eine absolute Ausnahme dar. Mit Bezug auf das Thema ist das Mitglied der franziskanischen Familie weniger an theologischen als an Anwendungsfragen interessiert. Er berichtet mir über seinen Versuch, ein Umweltaudit für die interfranziskanische Gemeinschaft aufzulegen. Dabei kritisiert er, mit zu viel Scheue zur Wissenschaftlichkeit konfrontiert worden zu sein, die sich unter Anderem einer Furcht vor Berechnungen ausgedrückt habe. Nur, ich habe das [Audit] dann fertig gemacht und auch so gelayoutet und dann hieß es irgendwie: (verstellt Stimme) „Das ist aber zu schwierig.“ […] Dann steht da Volumen, also usage of drinking water, oh, ist schon schwierig, dass man dann also „usage“ und „u“ nimmt und dann „volume“ „v“ und das ganze dividiert durch Personen und Tag, war schon, hm, also, eine riesen Herausforderung. Ja. Habe ich gesagt: „Gut, wenn sie die Herausforderung nicht hinkriegen, dann tut es mir auch leid. Dann können wir einpacken.“ […] Also, ich habe […] mich bemüht, möglichst Dinge, ne (zeigt auf eine Formel). Das sieht wild aus vielleicht für manche Leute, aber im Letzten ist das ja Pippi-Kram. Also, das ist ein Energiewert geteilt durch Personen und Zeit. […], ist also alles kein Hexenwerk, nur bei der Division fängt die hohe Mathematik schon an. Das habe ich an der Stelle gemerkt […] Und ja, das ist also so ein bisschen der Hintergrund, auch hier noch einmal Dinge mit Zahlen zu belegen und ja, auch noch mal vielleicht auf Bereiche aufmerksam zu machen, also, gerade hier so im Materialienbereich, wo vielleicht Leute (seufzt) entweder gar nicht hinschauen oder mit sehr vielen Vorurteilen rangehen. […] Weil, ich bin da an manchen Stellen halt Chemiker, also, wenn mir einer einen Pott Salzsäure hinstellt, also, dann gehe ich nicht laufen, sondern weiß ich, wie ich damit umzugehen habe, sage ich mal so. Das habe ich gelernt, von daher.
Die Auszüge aus den verschiedenen Gesprächen zeigen eine große Bandbreite von Kritikformen an anderen Interpretationen auf. Kritisiert werden Verständnisse des Mensch-Natur-Verhältnisses, aber auch die Priorisierung unterschiedlicher Interpretationen im Orden oder die Kompetenz für Umsetzungsformen wie Audits. Dabei machen die Gesprächspartner mir als Interviewerin unterschiedliche Wissensbestände transparent beziehungsweise ziehen sie zur Argumentation
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heran. Während Martins Aussage, dass „Gott uns eben nicht als Herrscher über alles gesetzt hat“ nicht in eine Erzählung eingebettet wird und die Kritik ohne konkretisierte Opponenten auskommt, weisen Friedrich oder der zuletzt zitierte Naturwissenschaftler auf spezifische konfliktive Interaktionen hin. Thomas kritisiert eine konkrete Ordensentscheidung. Im folgenden Kapitel wende ich mich solchen Interaktionen zu, in denen sich Ordensleute mit unterschiedlichen Perspektiven zu den Zielen der Versöhnung mit der Schöpfung oder der Bewahrung der Schöpfung begegnen und diese verhandeln.
6.2.5 Reflektionen der eigenen Rolle für die Entwicklung Einige Interviewpartner schreiben sich mit Blick auf die Entwicklung des Ziels besonders hinsichtlich dessen Umsetzung bestimmte Rollen und Perspektiven explizit zu. An verschiedenen Stellen in dieser Arbeit wird gezeigt, wie Ordensmitglieder ihre eigene Rolle mit Blick auf die Zielentwicklung definieren, hinterfragen und justieren. Im Kapitel zu Interpretationen stelle ich die Rollen und Strategien dar, die mit den impliziten, handlungsleitenden Orientierungen der Interpretationen einhergehen. Im ersten Teil dieses Kapitels zu Bewertungen diskutiere ich insbesondere drei Aspekte von Selbstreflektionen: Teil des Problems zu sein, eine spezifische und beschränkte Perspektive auf das Thema einzunehmen und dem Anspruch gerecht werden zu wollen oder sollen, ein kongruentes Verhältnis zwischen explizierter Forderung und Handlungspraxis zu erreichen. Im Kapitel zu Verhandlungen werde ich anhand von Passagen, in denen Gesprächspartner mit interner aktivistischer Orientierung von ihren Erfahrungen innerhalb der Gemeinschaft berichten, Strategien in Verhandlungen genauer vorstellen, die auf Selbstreflektionen beruhen. Mehrere Ordensleute reflektieren ihre Rolle als intern orientierte Aktivisten innerhalb ihrer Gemeinschaft. Wie auch in den im letzten Abschnitt zitierten Beschreibungen, Befürworter der Umweltschutzziele seien in der Vergangenheit als „bunte Vögel“ oder „Spinner“ angesehen worden, erzählen Ordensmitglieder von wahrgenommener Stigmatisierung als Aktivisten und damit verbundenen Schwierigkeiten, Wandel anzustoßen. So war ein junger philippinischer Jesuit bei dem Versuch, seine Mitbrüder zu weniger Autofahren anzuregen, auf starken Widerstand gestoßen. In einer der Gruppendiskussionen führt er aus: And they [older members of the local community] rallied against our campaign to stop that. That is partly the history why I had to [stop engaging for it] because I know I am ineffective already. Not only am I tired of the same refrains but I am ineffective that way. I, I antagonize people […] even if that is not […] what I want to do.
6.2 Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung
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Strategien zur internen Vermittlung eines Anliegens werden auch von Nicht-Aktivisten reflektiert und bewertet, beispielsweise von Leonard (der Umweltschutz selbstverständlich findet, sich aber nicht ausgeprägt aktivistisch äußert), der mir erklärt, durch zu ausgeprägten Appell ließen sich Mitbrüder großer Gemeinschaften nicht überzeugen: wenn sie über 40 Leute takten, dann ist das sozusagen, das ist Abwägen zwischen Appell und Klugheit. Wenn Sie zu viel appellieren, steigen die Leute auch aus und sagen: „Oh Gott.“
Aktivisten explizieren aber auch die konkreten Erfolge, die sie gegen Widerstände erreicht haben, wie hier der deutsche Jesuit Friedrich: wie auch immer, bin ich verantwortlich dafür, an der kleinen Stelle, wo wir jetzt kein Fleisch mehr essen. Aber da kommt schon oft dann die Klage „Ja, Du bist schuld, dass wir jetzt, (Pause) am Nachmittag hungrig sind, weil nur Fleisch -“
Der transnational agierende Jesuit Dylan der philippinischen Provinz reflektiert seine Vorgehensweise und die Bedeutung, die diese ‚in der Welt‘ hat: JG:
So if you think about the term reconciliation with creation […] can you give me more insights what this means for you, this term?
[…] Dylan:
For me, it is very important. There is just so much conflict I meet every day and so much negativity that goes around in daily life that I don’t simply want to talk about issues. […] So, it comes from a certain recognition. I have been working with environmental concerns for forty years and I feel I have survived because I have not worked simply with the bone of contention, ya. I found some peace within it, a great deal. And then, I think this is what people are looking for most of all at this stage. I think there is an awful lot of uncertainty in the world that was not there ten years ago even.
Der Abschnitt zu Reflektionen der eigenen Rolle für die Entwicklung mit Blick auf das Ziel zeigt, dass die Ordensmitglieder nicht nur ihre eigene Umsetzung des Ziels und ihre Perspektive darauf reflektieren, sondern auch im zeitlichen Verlauf ‚auswerten‘, wie sie etwas erreichen konnten und wie sie denken, in der Zukunft etwas erreichen zu können (oder auch nicht). Die Reflektion von eigenen Erfahrungen und Perspektiven kann zur Basis für strategisches Handeln in Verhandlungen werden. Im nächsten Kapitel wird dieser Aspekt unter anderen Fragestellungen erneut aufgegriffen und detaillierter dargestellt.
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6.2.6 Versuche der formalen Bewertung der Zielverwirklichung Inwiefern gibt es in den beiden Ordensgemeinschaften oder Provinzen Versuche, die Ordenszielverwirklichung formal zu bewerten? Mich überraschte im Verlauf der Datenerhebung, dass Versuche, die Entwicklungen der Ziele mit Blick auf die Umsetzung zu evaluieren, rar und gegebenenfalls wenig erfolgreich sind. Besonders auf transnationaler Expertenebene vermittelten Interviewpartner beider Orden, auf Grundlage freiwilliger Befragungen nur einen sehr unvollständigen Eindruck dazu gewinnen zu können, was Provinzen und Kommunitäten bezüglich der Ziele tun. Auf Provinzebene ebenso wie auf transnationaler Ebene basieren Einschätzungen hauptsächlich auf spezifischen Erfahrungen in den Provinzen und Kommunitäten durch die in Gremien Beteiligten sowie auf den Wissensbeständen, die in verschiedenen Newsletter-Formaten von den Spezialisten aufgenommen wurden. Das kumulierte Wissen ist insofern anekdotisch und weist vermutlich einen Bias auf, da eher über Engagement als über nicht-Engagement berichtet wird. Ich fragte beispielsweise den franziskanischen Leiter des Büros für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Rom nach Erfolg und Rückmeldung zu einem Dokument, welches Änderungen des Lebensstils der Mitbrüder anregen soll (mit dem Titel „Care for Creation in the Daily Life of the Friars Minor“, JPIC 2011a): Leiter:
It is hard to say. We don’t get a lot of communication from people. I know that it has been used in some places but I have no sort of, you know, more precise evaluation of how, how effective it has been.
Gelegentlich senden die Koordinatoren in Rom oder die der Konferenzen beider Ordensgemeinschaften Fragebögen an ihre Ansprechpartner in den Provinzen. Im Zuge der Formulierung des Textes Healing a Broken World (vgl. Kapitel zu Verhandlungen) beispielsweise befragte die dafür gegründete Arbeitsgruppe Vertreter und Einrichtungen der jesuitischen Provinzen. Auch im Zuge der Gründung des Ignatianischen Advocacy Netzwerkes für Ökologie sollten Befragung und anschließendes Mapping einen Überblick verschaffen. Das Ergebnis bewertet ein Beteiligter der Arbeitsgruppe, der auch Leiter des Netzwerkes ist, als nicht hilfreich.
6.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Bewertungen
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Koordinator:
During the process of Healing a Broken World, we send a questionnaire to all the provinces about their work. We have done several mappings, for example. At least twice, there had been a mapping process so now, you know, people do not want to talk any more about mapping.
[…]
There was this quick mapping with some questionnaires for Healing a Broken World. And we produced, we did a mapping […] in ecology [assumingly the ecology advocacy network], the first two years we took time for this mapping […] but we have never used anymore that thing.
[…]
It was a very voluntaristic exercise, you know. It’s like, everybody who is doing something or is willing to do something, they will answer, you know. But it is not realistic. […] So, it is true, what is there is true that you can say it is true, okay, there is a school doing this, there is another place doing that, but they are not connected.
Den nahezu nicht-existierenden formalen Bewertungsverfahren, um die Umsetzung der Ziele im Orden zu verfolgen, steht reger Wissenstransfer der Experten gegenüber. Durch die regelmäßigen Treffen der provinzialen und Konferenz-Koordinatoren und den jeweiligen globalen Koordinatoren organisieren diese Austauschgelegenheiten zu den Themen sozialer Gerechtigkeit und Ökologie beziehungsweise GFBS. Wie beschrieben findet außerdem regelmäßige Informationsweitergabe über etablierte Veröffentlichungsreihen und Treffen wie zum Beispiel Fortbildungskurse für die franziskanischen GFBS-Provinzkoordinatoren statt. Während jedoch die Formulierung der Ziele in beiden Orden durch Prozesse systematischer Einbeziehung aller Provinzen erfolgte, indem vor den Beschlüssen die Themen in den Provinzen und schließlich in der Generalkongregation oder dem Generalkapitel diskutiert wurden, gibt es ähnlich umfangreiche Bewertungsverfahren für die Phase der Umsetzung nicht beziehungsweise finden diese vermutlich erst mit der Vorbereitung der neuen Generalversammlung statt.
6.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Bewertungen Die Untersuchung der Frage, welche Praktiken und Maßstäbe der Bewertung mit der Glokalisierung der Ziele einhergehen, ergibt auf den ersten Blick ein diffuses Bild aus unterschiedlichsten informellen und formalisierten Momenten der Bewertung, die sich kaum systematischer als in diesem – oft anekdotischen – Stil darstellen lassen. Auf der Grundlage der sinngenetischen Typik lässt sich zuerst keine gemeinsame Skala, also kein geteilter Bewertungsmaßstab wie zum
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Beispiel Geld, Wissen, Einflussnahme oder Wille herausarbeiten und auch die Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung fallen sehr unterschiedlich aus. Es zeigt sich, dass sowohl zielimmanente Selbstreflektionen als auch reflektierte Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung nicht unbedingt in direktem Bezug zu impliziten Handlungsorientierungen stehen. Hierarchisch organisierte Prozesse des Monitorings, die Vergleichbarkeit von verschiedenen Bewertungspraktiken und –Maßstäben generieren könnten, sind kaum zu erkennen. So zeichnen sich bei zielimmanenten, formalen Bewertungen religiös-genuine Maßstäbe oder Verfahren nur teilweise ab. Weniger als religiöse Wissensbestände werden Verfahren und Maßstäbe der jeweiligen (typenspezifischen) sozialen Welt genutzt, im Bildungsbereich beispielsweise Schulrankings. Im Rahmen der spirituellen Interpretation haben hingegen ordenseigene oder gemeinschaftlich entwickelte Verfahren eine große Bedeutung. Zielimmanent existiert eine Vielzahl unterschiedlicher verknüpfter oder konkurrierender Maßstäbe, die in ebenso vielseitigen Verfahren genutzt werden. Darüber hinaus stellte ich allerdings mit Sehen – Urteilen – Handeln auch ein in christlichen Glaubensgemeinschaften übliches und für diese spezifisches Verfahren vor, das ich im folgenden Kapitel im Zuge formalisierter Verhandlungssituationen anhand empirischen Materials genauer diskutiere. Für die Bewertung des Ziels und seiner Entwicklung stellen die Ordensleute Vergleiche entlang diverser Horizonte auf. Manche dieser Konstruktionen markieren Grenzen um die Ordensgemeinschaft herum – besonders dann, wenn Ordensleute die Identität des Ordens, dessen Charisma sowie dessen Geschichte heranziehen, aber auch wenn sie ihr Handeln und das ihrer Mitbrüder mit anderen Gruppen in der Gesellschaft kontrastieren. Andere Bezüge konstruieren aber auch Differenzierungen innerhalb der Gemeinschaft, beispielsweise im Hinblick auf Kategorien um politische Positionen oder Generationen. Schließlich zeigen sich bei Reflektionen zu ökologischem Bewusstsein zeitliche, gesellschaftliche und geographische Grenzmarkierungen einerseits, andererseits aber auch Reflektionen zu Parallelen von Orden und Entwicklungen ‚in der Welt‘. Letzteres weicht die Unterscheidung zwischen den Zielen verfolgenden Ordensmitgliedern und Nichtmitgliedern, zwischen religiöser Gemeinschaft und Gesellschaft auf. Trotz Grenzmarkierungen entlang der formalen Mitgliedschaftsgrenzen reflektieren deren Mitglieder ihr Handeln folglich mit Wissen zu der Welt und als Gemeinschaften in der Welt. Besonders bei den aktivistisch orientierten Ordensmitgliedern sind diese Reflektionen oft Grundlage für strategische Entscheidungen zur Zielerreichung, wie ich im folgenden Kapitel explizieren werde.
6.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Bewertungen
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6.3.1 Relationen zwischen Interpretationen und Bewertungen Zwischen impliziten und expliziten Wissensbeständen bestehen nicht zwangsläufig Zusammenhänge, sondern es gibt diverse Beispiele für Brüche und Unklarheiten zwischen Interpretationen und Bewertungen sowie zwischen verschiedenen Aspekten der Bewertungen. Trotzdem lassen sich auch drei in sich konsistente Perspektiven empirisch beobachten. Diese setzen sich aus den jeweiligen Konglomeraten aus handlungsleitenden Interpretationen, Verhältnisbestimmungen und Diagnosen zum Ziel zusammen. Eine dieser Perspektiven nenne ich gegenwartsorientiert-positiv. Die Verhältnisbestimmung 1, die Ziele seien anerkannte Ziele der Orden, welche die Gesprächspartner verfolgten, geht dabei mit der Diagnose A einher, die Tätigkeiten der Ordensgemeinschaften und die explizierten Ziele entsprächen den Anforderungen der Zeit. Diese Perspektive explizieren Ordensleute, die das Ziel mit externer Handlungsorientierung interpretieren und im Rahmen ihrer Kernbeschäftigung dieser Orientierung nachgehen können. Während dieser Perspektive zufolge Mitglieder der Gemeinschaft die Ordensmission ‚problemlos‘ zeitspezifisch ‚anpassen‘, geht Verhältnisbestimmungen 3 davon aus, die Ziele würden innerhalb der Gemeinschaften nicht entsprechend anerkannt und umgesetzt. Damit einher geht die Diagnose B, die Umsetzung der Ziele entspräche nicht den Anforderungen der Zeit und nicht den Ansprüchen oder Visionen der Gemeinschaft. Die Entwicklung schreite nicht ausreichend voran. Diese Diagnose zeigt sich insbesondere, aber nicht ausschließlich bei intern aktivistisch orientierten Ordensleuten mit einer Fokussierung auf Fragen des Lebensstils in den Ordensgemeinschaften. Die Perspektive ist eine gegenwartsorientiert-negative. Diese Perspektiven weichen beide von Verhältnisbestimmung 5 ab, bei der das Ziel basierend auf Wissen zu kontroversen oder indifferenten Rezeptionen des Ziels innerhalb der Gemeinschaft nicht als Ordensziel betrachtet wird. Diese Positionierung korrespondiert – wenig überraschend – mit der Ergänzung der Interpretationstypik, das Ziel nicht als Ordensziel zu betrachten. Diagnose C kann als eine Spielart davon verstanden werden, wonach dem Thema das Potential zugeschrieben wird, ein Ordensziel zu werden. Es fällt mit Blick auf das Material auf, dass diese Perspektive mir nahezu ausschließlich von Jesuiten aus Europa vermittelt wurde. Diese Beobachtung greife ich im Unterkapitel zu Unterschieden zwischen Ordensgemeinschaften und Regionen auf. Diese Perspektive ist zukunftsgerichtet-neutral.
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Für Verhältnisbestimmung 2, das Ziel sei Aufgabe von Spezialisten, lässt sich ein Zusammenhang mit einer Interpretation des Ziels als soziale Aufgabe vermuten, da beide Gesprächspartner, bei denen sich eine solche Interpretation im Gespräch zeigt (Ron und Karl), explizit aber auch auf Fragen des eigenen Lebensstils eingehen. Im Vergleich zu den zuvor ausgeführten erscheint der Zusammenhang jedoch eher schwach. Die Verhältnisbestimmung 4, dass Ziel sei Ordensziel und der Gesprächspartner verfolge es nicht (ausreichend), zeigt sich als Bewertung bei Ordensleuten mit unterschiedlichsten handlungsleitenden Interpretationen, auch wenn es überwiegend auf die Strategie der intern aktivistisch orientierten Ordensleute des Lebensstilwandels verweist. Mit Blick auf die expliziten Wissensbestände zeigt sich entgegen der populären These, Lebensstilfragen seien ausschließlich ‚Luxusthemen‘ wohlhabender Gesellschaften, dass diese in beiden Regionen und in beiden Orden selbstkritisch von Ordensleuten aufgegriffen werden. Die fünf Verhältnisbestimmungen und die drei Diagnosen zur Entwicklung des Ziels lassen sich nichtsdestotrotz nicht klar konturiert mit den fünf Interpretationstypen in Verbindung bringen. Besonders die selbstkritische Verhältnisbestimmung 4, wonach die Informant*innen das Ziel selbst nicht ausreichend verfolgen, existiert interpretationstypenübergreifend. Entsprechend eröffnet der Teilprozess der Bewertung im Zuge der Rekontextualisierung der Ordensziele zusätzliche potentielle Konfliktlinien, aber auch Möglichkeiten für Kooperation und Allianz über Interpretationsvarianten hinweg, beispielsweise basierend auf der Diagnose, das Ziel werde im Orden noch zu wenig umgesetzt und/oder sei noch kein anerkanntes Ordensziel.
6.3.2 Ähnlichkeiten: Gemeinwohl und Integration in geteilte Sinnstrukturen Trotz divergierenden Interpretationen des Ziels und zielimmanenten Bewertungen basierend auf Maßstäben verschiedener Erfahrungsräume teilen beide Ordensgemeinschaften eine normative Basis sowie Rückgriffe auf Sinnstrukturen ihrer Orden und der katholischen Kirche. Neben dem im vorherigen Kapitel dargestellten Moment des Handeln-Sollens findet sich eine übergreifende Orientierung am Gemeinwohl, oft gekoppelt mit dem Maßstab der Bedürftigkeit. Es zeigt sich folglich eine normative Ordnung, dessen grundlegender Imperativ das ‚Wohl‘ der Menschen darstellt. Mit dem geteilten Maßstab des Gemeinwohls verknüpft steht der Mensch in seiner Beziehung zur Schöpfung im Vordergrund. So wird auch innerhalb der Interpretation der Spiritualität betont, welche Beziehung der Mensch mit der Schöpfung eingehen soll. Zwar nutzen
6.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Bewertungen
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besonders Franziskaner auch Konzepte von Tieren und Pflanzen als Familie, aber es erscheint basierend auf der Analyse schwer vorstellbar, dass Handlungen konjunktiv für wertvoll erachtet werden, die Tiere, Pflanzen oder Ökosysteme schützen, dabei aber den Bedürfnissen der Menschen, und dabei besonders den Marginalisierten, diametral entgegen stehen. Viele der Interpretationen basieren auf der grundlegenden Annahme, dass alle in einer Beziehung stehen (vgl. z. B. Verhältnisbestimmung 1, Thomas, 6.2.1). Während einhergehend mit den sozialen Welten der Zielinterpretationen zielimmanente Bewertungen trotzdem auf vielfältigen Wissensbeständen beruhen und damit multiplen Maßstäben und Verfahren, treten bei der Analyse explizierter Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung gemeinsame Wissensbestände sehr deutlich hervor. Die Kontrastierung von Bewertungsperspektiven zur Bedeutung der Ziele und ihrer Entwicklung zeigt, dass zur Konstruktion des Ziels als Ordensziel die explizite Integration in etablierte Sinnstrukturen zur Identität der Gemeinschaften vonnöten ist. Trotz der unterschiedlichen Diagnosen eint einige (die beiden ersten der oben ausgeführten Perspektiven – auch mit den Verhältnisbestimmungen 2 und 4), die Ziele mit Verweis auf Tradition und Charisma des Ordens als integrale Ordensziele anzusehen. In Bezug auf die Bewertung des Ziels zeigt sich die Gemeinsamkeit von Ordensleuten mit unterschiedlichen handlungsleitenden Orientierungen also gerade in den Bewertungsmaßstäben und den Bezügen zu geteilten Sinnstrukturen mit Blick auf die Bedeutung des Ziels für den Orden, weniger im eigentlichen Ausgang dieser Bewertungen hinsichtlich deren Umsetzung und Entwicklung. Meine Untersuchung von Bewertungen in Ordensgemeinschaften steht schließlich auch vor der Herausforderung, dass einige der in den Orden geteilten Formen der Bewertung (wie Gebete oder in der Ausbildung angeeignete reflektive Verfahren) für Beobachtungen nicht zugänglich und darüber hinaus mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Ich kann sie nur insoweit darstellen und untersuchen, wie sie mit Blick auf das Thema durch die Gesprächspartner expliziert werden. So kommentiert der philippinische Jesuit Dylan die Fragestellung, wie die Jesuiten Versöhnung mit der Schöpfung verstehen und umsetzen: Dylan:
Now, I am not sure how you study an animal like the Jesuits. And I am not sure how you will get a coherence but the level at which you are going at for me is, you really have to understand Jesuit discernment which is what I think the Jesuits spirituality. And that however professional I am or technical, however basic I am in terms of service and pastoral work, I am challenged to reflect as a Jesuit and I am challenged to discern not just about my likes and dislikes, yeah. And therefore I am called.
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Es ist möglich, dass mir aufgrund methodologischer Einschränkungen Gemeinsamkeiten über die herausgestellten von Gemeinwohl und der Integration der Ziele in geteilte Sinnstrukturen der religiösen Gemeinschaften hinaus verborgen geblieben sind und bleiben.
6.3.3 Unterschiede zwischen Ordensgemeinschaften, Regionen und Provinzen Trotz der Ähnlichkeit der Bewertung mit Blick auf den Maßstab des Gemeinwohls und das häufige Verfahren, das Ziel mit Verweis auf etablierte, geteilte Wissensbestände als integrales Ordensziel anzusehen, lassen sich auch Unterschiede zwischen den Ordensgemeinschaften und den Provinzen identifizieren. Basierend auf der zuvor generierten Verknüpfung von Verhältnisbestimmungen und Diagnosen zu Perspektiven auf das Ziel und seine Entwicklung lassen sich deutliche Unterschiede erkennen, da zwei der drei kontrastierten Perspektiven überwiegend von Jesuiten vertreten wurden, wobei diese sich jeweils einer Provinz zuschreiben ließen. Die gegenwartsorientiert-positive Perspektive vermittelten mir Jesuiten der philippinischen Provinz. Ihnen ist, wie zuvor ausgeführt, gemein, das Ziel mit externer Handlungsorientierung zu interpretieren und im Rahmen ihrer Kernbeschäftigung dieser Orientierung nachgehen zu können. Die zukunftsgerichtet-neutrale Perspektive hingegen, das Ziel sei (bisher) kein anerkanntes Ordensziel, vermittelten mir Jesuiten der deutschen Provinz. Auf Grundlage meiner Daten lässt sich vermuten, dass dieser Unterschied in der Rezeption des von der Generalkongregation formulierten Ziels auf die Bedeutung der provinzialen Ordensleitung verweist, Ziele in ihren Provinzen zu kommunizieren. Wie im Kapitel zu Interpretationen ausgeführt, assoziierten Jesuiten auf den Philippinen den Ausdruck der Versöhnung mit der Schöpfung nicht nur (öfter) mit der Entscheidung der Generalkongregation, sondern auch mit der Vermittlung des Ziels durch die Ordensleitung. Diese Hervorhebung durch die Ordensleitung könnte den Unterschied zwischen den beiden Provinzen erklären. Differenz und Ähnlichkeit zwischen den Ordensgemeinschaften liegen auch begründet in den jeweils geteilten Wissensbeständen, auf die sich die Ordensmitglieder zur Bewertung der Ziele beziehen. Während sich Mitglieder der Gesellschaft Jesu häufiger auf das Leben des Ordensgründers Ignatius von Loyola und sein Charisma beziehen sowie auf Entscheidungen der Generalkongregationen, explizieren Mitglieder der franziskanischen Gemeinschaft eher das Leben und die Lehre von Franziskus von Assisi. Jeweils werden die Sinnstrukturen jedoch
6.3 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz der Bewertungen
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in ähnlicher Weise zur Frage nach der Legitimität der Ziele als integrale Bestandteile der Ordensmissionen herangezogen. Dass es einige Verweise auf Wissensbestände des jeweils anderen Ordens gibt, verdeutlicht, dass beide Gemeinschaften nichtsdestotrotz in eine größere katholische Gemeinschaft eingebettet sind, sodass Wissensbestände – beispielsweise zu Franziskus als Heiligem und Patron der Ökologie – wechselseitig zugänglich sind. In diesem Kapitel habe ich bereits die katholische Soziallehre und das Verfahren des Sehen – Urteilen – Handeln eingeführt. Ich zeigte, dass Mitglieder beider Ordensgemeinschaften katholische Wissensbestände für die Bewertung heranziehen, beispielsweise, wenn sie an ihre Gemeinschaften die Erwartung einer prophetischen Wirkung nach außen richten. Die im nächsten Kapitel vorgestellte Analyse zu Verhandlungen zeigt, dass in beiden Orden in der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Interpretationen von und Perspektiven auf die Ziele katholische Wissensbestände bedeutsam sind. Wie ich zeige, sind Ordens- und Provinzgrenzen aber nicht die einzigen relevanten Grenzmarkierungen. Basierend auf den Bewertungen der Ordensleute können Situationen der Verhandlung auch entlang anderer Unterschiede beispielsweise bezüglich der politischen Agenda oder der Generationszugehörigkeit aufgespannt sein.
Abbildung 6.2 Perspektiven auf die Ziele II
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Die Abbildung 6.2 illustriert, welche Wissensbestände in diesem Kapitel in die Analyse einbezogen wurden. Im folgenden Kapitel diskutiere ich, wie verschiedene Wissensbestände in Situationen der Verhandlung unterschiedlicher Interpretationen oder Bewertungen ausgedrückt, genutzt und verändert werden. Dabei wird deutlich, dass das Ringen um die Bedeutung der Ziele mit Reflektionen zu unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der Gemeinschaft einhergeht und eng verzahnt ist mit Verhandlungen der gemeinsamen organisationalen Identität. Ich zeige auch, dass Verhandlungssituationen nicht immer zu einer Einigung führen.
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Verhandlungen
In den vorherigen zwei Kapiteln zu Interpretationen und Bewertungen habe ich verschiedene Differenzen aufgezeigt, welche sich innerhalb von Gemeinschaft zeigen und verhandelt werden könnten: Erstens interpretieren Ordensmitglieder die gemeinsamen Umweltschutzziele handlungsleitend unterschiedlich. Die Interpretationen verweisen auf unterschiedliche soziale Welten. Damit liegen ihnen unterschiedliche Schöpfungsbegriffe, Handlungsorientierungen, Strategien der Zielverwirklichung und zielimmanente Bewertungsmaßstäbe und Verfahren zugrunde. Zweitens wird explizit der Grad der Verwirklichung der Ziele innerhalb der Gemeinschaften unterschiedlich bewertet. Drittens lassen sich Differenzen bezüglich der Bewertungen der Relevanz des Ziels als Ordensziel identifizieren. Während diese Unterschiede in den vorherigen Kapiteln ‚nebeneinander‘ ohne Untersuchung der damit verbundenen Interaktionen betrachtet wurden, widme ich mich in diesem Kapitel den Situationen, in denen Ordensleute zusammenkommen und vor dem Hintergrund vielfältiger Perspektiven etwas „erreichen“ (vgl. Strauss 1978a, S. 234). Da ich wie zuvor dargelegt Verhandlungen als Aspekt von jeder Interaktion betrachte, diskutiere ich scheinbar kleine, informelle Situationen ebenso wie solche, bei denen sich die Beteiligten auch eines formalisierten Verfahrens für einen Perspektivenaustausch zu einem bestimmten Thema bedienen. Ich widme mich Situationen, bei denen basierend auf dem geteilten Wissen Hierarchien zu bestehen scheinen und solchen, in denen das weniger klar zu erkennen ist. Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_7 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_7
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Ich wähle für die Betrachtung in diesem Kapitel sowohl Verhandlungen zwischen Ordensleuten mit geteilten Orientierungsrahmen aus als auch solche Situationen, bei denen die Grenzen einer handlungsleitenden Orientierung verhandelt werden oder bei denen in der Interaktion eine gemeinsame Perspektive in Frage gestellt wird (ob des Interesses an Harmonisierungs- und Koordinierungsprozessen und größerer Varianz der Verläufe letztere im Schwerpunkt). Ich beantworte, wie dies geschieht und durch wen. Welche Unterschiede zeigen sich? (Wie) werden diese harmonisiert? Dieses Kapitel legt folglich sowohl Konflikte basierend auf unterschiedlichen Interpretationen oder Bewertungen dar wie auch die Harmonisierungspraktiken, die eine gemeinsame Identität und teilweise auch ein gemeinsames Vorgehen trotz Heterogenität ermöglichen. Wie die vorherigen Kapitel bereits eröffneten, finden viele Verhandlungen zur Bedeutung der Umweltschutzziele und deren handlungsleitenden Implikationen auch außerhalb der formalen Grenzen der Ordensgemeinschaft statt, besonders dann, wenn Ordensleute das Ziel mit externer Handlungsorientierung interpretieren. In den verschiedenen sozialen Welten können beispielsweise die Kolleg*innen, Mitglieder sozialer Bewegungen oder Schüler*innen Gemeinschaften sein, in denen Interpretationen verhandelt und kollektiv konstituiert werden. In diesem Kapitel behandle ich jedoch im Schwerpunkt interne Verhandlungen, das heißt solche innerhalb der religiösen Gemeinschaften.1 Basierend auf Beobachtungen und Gesprächsmaterial zeige ich, dass Ordensleute in diversen informellen wie formalisierten Situationen verschiedene Aspekte um die Umweltschutzziele verhandeln. Während sich bei leicht unterschiedlichen Perspektiven innerhalb sehr ähnlicher Orientierungsrahmen kein Dissens zeigt, der die Situation der Verhandlung überdauert, enden diverse der im folgenden diskutierten Situationen zwischen Ordensleuten mit unterschiedlichen handlungsleitenden Interpretationen oder Bewertungen des Ziels. Harmonisierung vor dem Hintergrund anfänglicher Differenzen entsteht vorwiegend in formalisierten Situationen, in denen sich Ordensleute mit unterschiedlichen Perspektiven zum Zweck der Entwicklung einer geteilten Perspektive treffen und dabei auf geteilte, organisationale Wissensbestände zurückgreifen.
1Ich
diskutiere beispielsweise nicht ausführlicher, als ich es in den vorherigen Kapiteln getan habe, wie Ordensleute zusammen mit Mitarbeitenden ihrer Einrichtungen das Thema bearbeiten (vgl. hierzu z. B. Favis und Cuyegkeng 2011) oder mit Akteuren wie Regierungen oder Unternehmen verhandeln (aber vgl. für die Frage des politischen Wirkens von religiösen Gemeinschaften zum Beispiel Bush 2005; Kerber 2014; Nepstad 2002; Trigeaud 2012).
7 Verhandlungen
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Ich wende mich erst Situationen zu, in denen Verhandlungen ad-hoc und informell stattfinden. Die Analyse basiert auf Erzählungen zu Alltagssituationen und meinen Beobachtungen als Interviewerin und Leiterin von Gruppendiskussionen. Danach diskutiere ich Situationen, in denen die Verhandlungen im Kontext von im Orden formalisierten Verfahren vollzogen werden, in denen die Begegnung der Ordensleute ausdrücklich zum Austausch verschiedener Positionen zu einem zielnahen Thema organisiert und angeleitet wird. Dabei wird vorausgesetzt, dass in diesen Situationen ebenfalls informelle Verhandlungen stattfinden. Vice versa sind auch informelle Verhandlungen unter Umständen durch Wissen zu formalen Verfahren informiert. Im darauf folgenden Unterkapitel führe ich die Ergebnisse der Untersuchung unterschiedlicher Verhandlungssituationen zu einem Thema, dem Positionspapier des philippinischen Sozialapostolats zu Rohstoffabbau, aus. Das Papier ist sowohl Ergebnis als auch Gegenstand vielfältiger Verhandlungssituationen. Der langwieriger Konflikt entwickelte sich innerhalb der philippinischen, jesuitischen Gemeinschaft, nachdem Vertreter des Sozialapostolats sich auf eine gemeinsame Position zu Rohstoffabbau geeinigt und diese öffentlich gemacht hatten. Die Positionierung führte unter anderem zu finanziellen Einbußen einer jesuitischen Hochschule, da ein langjähriger Förderer aus dem Rohstoffsektor sich zurückzog. Schließlich erläutere ich in diesem Kapitel, dass über die Aufgaben in der internen Ausbildung und in der darauf folgenden Kernbeschäftigung maßgeblich führende Ordensleute entscheiden. Das heißt, sowohl die Gelegenheiten, eine soziale Welt zu erfahren, wie auch die Möglichkeiten, darauf basierende Interpretationen im Alltag zu verfolgen, unterliegen maßgeblich den Entscheidungen der provinzialen Ordensleitung. Im Material finden sich vereinzelte Hinweise, dass die Strategie, Versöhnung mit der Schöpfung durch entsprechende Aufgabendelegation zu forcieren, in der philippinischen Provinz der Jesuiten bereits transformatorische Wirkung entfaltet, auch wenn für die genauere Überprüfung dieser Hinweise vergleichende Längsschnittstudien nötig wären, in denen Generationeneffekte überprüft werden können.
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7 Verhandlungen
7.1 Informelle Verhandlungen In diesem Unterkapitel diskutiere ich meine Untersuchungen von informellen Verhandlungen, die auf Erzählungen zu Alltagssituationen basieren oder unmittelbar in der Gesprächssituation mit mir entstanden. Einführend betrachte ich zwei Situationen, in denen Ordensleute die handlungsleitende Orientierung in Bezug auf das Umweltschutzziel teilen. Neues geteiltes Wissen wird in der Interaktion hergestellt, die Grenzen der geteilten Orientierung werden jedoch nicht zum Gegenstand der Verhandlung. Im Anschluss diskutiere ich Situationen informeller Verhandlungen zwischen Ordensleuten, die sich über die Interpretation des Umweltschutzzieles, dessen Handlungsimplikationen oder damit verknüpften Bewertungen nicht einig sind.
7.1 Informelle Verhandlungen
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7.1.1 Verhandlungen innerhalb eines Orientierungsrahmens In meinem Gespräch mit Camilo und Pablo erzählt Camilo von einer Erfahrung mit illegaler Abholzung. Er beginnt die Erzählung mit dem Fokus auf die Gefahr, welche die Untersuchung illegaler Abholzung in Regionen birgt, die von Rebellengruppen kontrolliert werden. Pablo war selbst nicht in der referierten Situation dabei, trägt aber im Gespräch zur Konstruktion der Rolle der Rebellengruppen bei. Die Rebellen werden schließlich nicht als das eigentliche Problem betrachtet, welches bei den ‚Spielern‘ liegt, den mächtigen Unternehmern im Hintergrund. Der situativ-neue Bezug zwischen inhaltlichen Aspekte befindet sich stets innerhalb des geteilten Orientierungsrahmens. Camilo:
2010, when I was in Basilan. So, of course it is risky, you know, because that place is Abu Sayyaf area, Abu Sayyaf rebel groups, the rebel groups or the bandit groups (laughing).
Pablo:
So, it was band-, it was the rebels who initiated the cutting of the trees?
Camilo:
I don’t know. They were the guards, I think. They are the protectors.
Pablo:
Of course, because, because the big –
Camilo:
The bandits are the protectors, yeah.
Pablo:
They were made protectors.
Camilo:
The players are not them. The capitalists.
Die beiden Mitglieder der franziskanischen Familie beziehen sich hier einerseits auf geteilte Wissensbestände (zum Beispiel zum negativen Gegenhorizont der Abholzung durch ‚Kapitalisten‘), andererseits wird in der Situation eine bestimmte Wirklichkeit erst im Dialog konstruiert (‚Rebellengruppen werden zu Beschützern gemacht‘). Deutlich wird, dass geteilte Lesarten von zuvor bestehenden Wissensbeständen in konkreten Situationen entstehen, wie auch in folgendem Gespräch. Adressiert werden nachhaltige Mobilität und Handlungen des Heiligen Stuhls. Der Franziskaner Peter beanstandet:
288 Peter:
7 Verhandlungen [Es hat] unser [MITBRUDER] – und das fand ich gar nicht schlecht von ihm – […] gesagt: „Also, es ist ja gut, dass er [Papst Franziskus] diese Armutsfrage bringt, nur […] ist das jetzt eigentlich wirklich so schon der Clue, sich vor so einem alten Fiat sowieso fotografieren zu lassen […]? Wäre es nicht viel sinnvoller, wenn er als Papst mit Vorbildfunktion sich vor ein Elektroauto stellt oder irgendwie so, ne?“ Also, noch mal einen Schritt weiter gedacht. Weil Armut alleine, das kann auch ökologisch großer Wahnsinn werden, wenn man mit so einer, hier, CO2-Schleuder da durch die Gegend fährt mit riesen Verbrauch und so, ne. Da muss man dann auch sagen, ist der Papst vielleicht mit aller Bescheidenheit und Armut da vielleicht eben –
[…] Peter:
Noch nicht ganz so up-to-date gewesen oder er braucht jetzt die richtigen Berater. Das würde ich jetzt schon sagen. Also, nur mit einem alten Auto durch die Gegend fahren, um dann das –
Klaus:
Das war aber der richtige Impuls, aber auf die Dauer müssen wir auch ökologisch denken. Und wenn dann ein Wort kommt zur Ökologie –
Peter:
Genau.
Klaus:
Dann ist das eine gute Sache. Das wird vielleicht noch Impulse in die Kirche machen.
Peter:
Denn der hat wirklich Vorbildfunktion.
Klaus:
Ja.
Peter:
Also, gerade das ist natürlich für uns Franziskaner natürlich (thinking) Stachel und Motivation zu gleich, also –
Klaus:
Ja, ja.
Peter:
Ein Papst, der Franziskus heißt, auch wenn er Jesuit ist, und so, aber wirklich franziskanisch denkt und handelt, vor allen Dingen handelt. Er ist ja mehr Tatverkündigung als Wortverkündigung, im Prinzip wie bei Jesus, also wunderbar. Ja.
Klaus:
Da müssen wir ran. Das ist eine Herausforderung für uns.
Peter stellt unterschiedliche, konkrete Handlungsalternativen – ein schlichtes, altes Auto oder ein Elektroauto für öffentliche Auftritte zu nutzen – gegenüber und bewertet sie. Klaus erwidert auf die darauf aufbauende Kritik auf einer allgemeinen, normativen Ebene. Grundsätzlich war es der „richtige Impuls“, wobei dieser kein ökologisch orientierter war. In Bezug auf Ökologie formuliert Klaus die Erwartung ‚eines Wortes‘ des Papstes in der Zukunft, wobei er sich vermutlich auf die dann schon erhärteten Gerüchte zu einer Enzyklika zum Thema Ökologie bezieht. Durch die Einwände von Klaus und den anschließenden Dialog entsteht ein geteilter Orientierungsgehalt hin zu Fragen der Wirkung von
7.1 Informelle Verhandlungen
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„Tatverkündigung“ (durch die Enzyklika aber auch „Wortverkündigung“), in der Kirche und in ihrer Gemeinschaft, in jüngster Vergangenheit und der Zukunft. Der Ausgangspunkt der Passage, eine konkrete Handlung des Papstes mit dem Bewertungsmaßstab der direkten Umweltauswirkungen zu prüfen, wird abgelöst von einer Bewertung basierend auf dem Veränderungspotential für die Kirche in Bezug auf ökologische und andere (vermutlich soziale und sozioökonomische) Fragestellungen. In der von beiden Ordensleuten geteilten Bewertung fällt der Einfluss, den der Papst nimmt und nehmen wird, schließlich stärker ins Gewicht als die konkrete Verhinderung von Umweltzerstörung durch sein Handeln. In der Interaktion wird damit zwischen zwei Maßstäben der Bewertung im Rahmen einer aktivistischen Interpretation des Ziels der Bewahrung mit der Schöpfung situativ priorisiert. Das Gespräch führt zu einer von beiden geteilten Entlastung des Papstes. In den hier diskutierten Situationen wird der Austausch spezifischer Perspektiven und Wissensbestände durch das Gespräch mit mir hervorgerufen. Jeweils gelangen die Brüder durch gegenseitige Qualifizierungen zu einer geteilten Perspektive.
7.1.2 Verhandlungen eines gemeinsamen Orientierungsrahmens Ich erlebte im Rahmen der Datenerhebung verschiedenste Situationen, in denen unterschiedliche Interpretationen oder Facetten von Interpretationen sich begegneten. In diesem Abschnitt gehe ich auf zwei Situationen ein. In einer versucht ein Ordensmann die Interviewsituation als Anstoß für einen Perspektivwechsel seines Mitbruders zu nutzen, in der zweiten wird die Grenze einer geteilten Orientierung durch Lachen markiert. In beiden Situationen werden die unterschiedlichen Interpretationen bis zum Ende meiner Beobachtung nur eingeschränkt harmonisiert. Ich zeige daran exemplarisch, dass auf sehr verschiedene Weise und mit unterschiedlichem Ausgang verhandelt werden kann. Es wird auch deutlich, dass in einzelnen Situationen Differenzen in Bezug auf die Ordensziele nicht zwangsläufig aufgelöst werden (müssen). Ich gehe zuerst auf eine Situation ein, bei der zwei Ordensleute mir zu Beginn des Gesprächs in gegenseitiger Anwesenheit sehr unterschiedliche Verständnisse des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung vermitteln und sich in der Gesprächssituation aber erstaunlich wenig dazu austauschen. Selten während der Datenerhebung begegneten sich so eindeutig Ordensleute mit unterschiedlichen handlungsleitenden Interpretationen des Umweltschutzzieles wie im Gespräch mit Ron und Steve. Im Schwerpunkt führe
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7 Verhandlungen
ich das Gespräch mit Ron, dem Gefängnisseelsorger und philippinischen Jesuiten. In Teilen des Gesprächs ist jedoch auch Steve anwesend, ein jüngerer philippinischer Jesuit, von dem ich nur wenige biografische Details erfahre, da sich am Ende des Gesprächs keine Gelegenheit mehr ergibt, ihn danach zu fragen. Beide Jesuiten sind Seelsorger des Philippine Jesuit Prison Service, wobei Ron diesen leitet. Steve stößt mit der Eingangsfrage zu dem Gespräch hinzu, verlässt dann den Raum, um kurz darauf am Gespräch wieder für wenige Minuten teilzunehmen. Hiernach erscheint er noch gelegentlich kurz im Raum, einem von beiden Jesuiten genutzten Büroraum, ohne sich jedoch verbal oder gestisch am Gespräch zu beteiligen. Wie ich im Kapitel zu Interpretationen darlege, interpretiert Ron Versöhnung mit der Schöpfung als soziale Aufgabe beziehungsweise als eine Aufgabe der Fürsorge, bei der Jesuiten eine (be)hütende Beziehung zur Schöpfung anstreben sollten, wobei Schöpfung überwiegend anthropozentrisch interpretiert wird. Steve hingegen fokussiert die Nutzung von Ressourcen. Wissenschaft, Technik und Infrastruktur sind entscheidende Faktoren in Bezug darauf, die Schöpfung nachhaltig, respektvoll und zum Wohle aller Menschen zu nutzen und ‚zu entwickeln‘. Bereits zu Gesprächsbeginn stehen die beiden Interpretationen nebeneinander. Ron skizziert den negativen Bezugspunkt, Schöpfung ‚bloß‘ zu nutzen. Steve hingegen grenzt sich gegenüber denen ab, die nur auf Schöpfung ‚aufpassen‘ wollen, ohne sie zu nutzen und zu entwickeln. JG:
Maybe in the beginning, can you tell me what reconciliation with creation means for you?
Ron:
(short pause) Oh, it is one of the three focuses we have for the province, actually. […] For me, reconciliation with creation is really being […] a responsible steward of creation. Being not just using creation, not really taking care of creation […] (short pause) Reconciliation basically for me is that appreciation of the environment, everything around us. Everything that is created by God (laughing shortly). So, taking care of. Basically stewardship.
[Steve enters the office] JG:
[to XY:] I was just asking what reconciliation with creation means in your own words.
Steve:
I see. (long pause)
Ron:
Basically, I would say, that is environment, stewardship, taking care of, responsibility for creation.
7.1 Informelle Verhandlungen Steve:
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Perhaps in addition I suspect reconciliation with creation means sustainable development of the resources. Personally, as you know I am a chemist so a lot of environmental issues, concerns have been raised in my consciousness. Sometimes I am also overwhelmed with the positions of some environmentalists that you do not develop nature at all. I mean, the deep green concerns maybe can see that there are very very much conservativity. They would not even develop nature at all so that they just allow nature to, to grow by itself. But for me=, part of the ecological processes is that precisely, we have developed the environments. It can help us in the flourishing of the world as a. So, I subscribe to believing that the environment, that the earth is really for the development of fair right the human persons so they can actualize our, our being human and therefore, we use the environment. But utilization of the environment that is sustainable, that is very very much respectful of, of, of the processes.
Für diese (und für weitere) Gesprächspassagen lässt sich zusammengefasst rekonstruieren: Steve geht auf ökologische und technische Fragen und Lösungsansätze ein, zum Beispiel zum Thema der Energiegewinnung und seiner eigenen Forschung in der Disziplin Chemie. Er problematisiert die Umsetzung eines alternativen Lebensstils in Bezug auf Mülltrennung, spricht von seinen Erfahrungen im asiatischen Ausland und dann in seiner Kommunität auf den Philippinen. Es dokumentiert sich eine Nutzenorientierung, die ich als Orientierung an Wissenschaft und Technik (im Kontrast zu Wissenschaft und Lehre (vgl. Thomas)) bezeichnen würde.2 Er vermittelt mir das Selbstbild, ein Experte zu sein mit eigenen Erfahrungen und Expertise im Bereich der Versöhnung mit der Schöpfung beziehungsweise dem Thema guter Verwaltung von Ressourcen. Steve positioniert seine Interpretation als Ergänzung („in addition“) zu Rons. Ron hält sich in den Gesprächspassagen mit Steve zurück und widerspricht Steve nicht. Zwischen den Sequenzen zu Interpretationen sprechen beide Gesprächspartner kurz ‚mit einer Stimme‘. Unmittelbar nach der oben zitierten Passage folgt eine kurze Passage zu der Einführung der Prioritäten in der Provinz. Da Ron in seinem ersten Ansatz zur Beantwortung der Frage den ‚Fokus‘ der Provinz nennt, frage ich nach.3 Obwohl ich erzähl-stimulierend nach den Ereignissen frage, in denen die Prioritäten in der Provinz eingeführt wurden, wird das geteilte Wissen dazu
2Aufgrund
der schmalen Materialbasis ist das eher eine Tendenz angebende Hypothese. Wortlaut war der entsprechende Impuls: „So, you just mentioned that it is one of the priorities […] in the province. […] So, do you remember when those priorities came about?“ und kurz darauf: „This new priority. Do you remember how it was introduced, how YOU got in contact with this theme of reconciliation with creation for the first time?”
3Im
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durch beide Gesprächspartner nur sehr knapp ausgeführt: Es umfasst, dass das Ziel Teil der Schwerpunkte der Provinz ist, wer diese Schwerpunkte betont hat und welches Programm und welcher Ordensbruder dazu in der Provinz viel tun, welche Initiativen des Ordens also von besonderem Interesse sind, wenn es um Versöhnung mit der Schöpfung geht. Ron kommt auf diese Wissensbestände zurück, als Steve auf Erfahrungen in Forschung und Kommunitäten (mit Mülltrennung) beginnt einzugehen. Ron expliziert Wissen zu Initiativen in der Provinz, hier dem Erfolg der preisgekrönten Schule. Steve schließt daran an. Steve:
[…] In our houses of course we start with segregation (short pause)
Ron:
Even in schools, in Jesuit schools. The one in [CITY] won an award.
JG:
Yes.
Steve:
National leadership.
Ron:
It is, because not the current provincial but our previous [… provincial] really stressed that in one of the superiors and representatives meetings.
Steve:
It is one of their five priorities.
Ron:
Yeah. Their five priorities. (short pause)
In Bezug auf diese Wissensbestände können die beiden Gesprächspartner Gedanken gegenseitig fortführen, auch wenn ihre Ausführungen knapp und wenig illustrativ sind. Sie teilen eine Distanz zur Ordensleitung (besonders: „their priorities“). Ohne dass der Erfahrungsraum um die Vermittlung der Prioritäten in der philippinischen Jesuitengemeinschaft implizit (sinngenetisch) bedeutsam erscheint, wird mir so der Eindruck eines gemeinsamen Wissens zum Orden vermittelt. In Bezug auf die handlungsleitenden Interpretationen des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung hingegen dokumentiert sich ein unkommentiertes Nebeneinander der unterschiedlichen Perspektiven. Unterschiedliches wird für die Interviewerin zu zuvor Gesagtem ‚hinzugefügt‘. Darüber hinaus stellen Ron und Steve keinen Bezug zur Definition des jeweils anderen her. Sie handeln folglich nicht explizit konfrontativ. Später im Gespräch, als Steve nicht mehr daran teilnimmt, kommt Ron jedoch auf die Perspektiven der beiden zurück. Ron vermittelt mir den Wunsch, Steve solle Versöhnung mit der Schöpfung auch mit den Erfahrungen im Gefängnis verknüpfen. They [the inmates and their children] are families so, and really, (laughing) all creation. So, that is another thing. So that is when Frank asked me: “Are you open to do the interview?” I said: “Okay.” It leveled. It kind of made me think about what
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we are doing also in terms of reconciliation. And that was why I was talking to Steve also the other day asking if he is, if he was free to also talk about his experiences, not just as a chemist (laughing). It is inside the prisons as well, so. That is why both of us are also teaching in schools inside. This was, for US, it is also taking part in the reconciliation […], we can still do something about their own way of thinking, as we believe education is important in, in a formation or even reconciliation with themselves, their family and society in general.
Steve hatte zuvor aus der Perspektive des Chemikers heraus und auf Grundlage seiner Erfahrungen als Scholastiker das Thema betrachtet. Ron benennt dies explizit („as a chemist“), begleitet von Lachen. Es dokumentiert sich, dass Ron reflektierend von unterschiedlichen Aufgaben oder Berufen auch abweichende Perspektiven auf das Ziel erwartet. Von Steve wünscht er sich die Perspektive aus der sozialen Welt der Gefängnisseelsorge heraus. Die Aussage kann insofern als Kritik an Steve verstanden werden, weil Ron und ich wissen, dass Steve im Gespräch nicht die gewünschte Perspektive angenommen hat. Im Anschluss beschreibt mir Ron, was beide – Ron und Steve – im Gefängnis tun, zum Beispiel unterrichten. Als er mir vermittelt, dass das Thema („it“ beziehungsweise „Versöhnung“) auch im Gefängnis relevant ist, spricht er überwiegend im Plural, Steve einschließend. Insofern konstruiert Ron eine gemeinsame Perspektive der Ordensbrüder, die sich in Anwesenheit beider mit Blick auf die Zielinterpretationen diskursiv nicht zeigte. Rons Kommentar ist ein Hinweis, dass in der Gesprächssituation mit beiden Ordensleuten Rons Nicht-Kommentieren von Steves Perspektive entscheidungsbasiert geschah. Durch die Erwartungshaltung des älteren und in der Organisation höhergestellten Jesuiten Ron, das Ziel mit Blick auf die Gefangenenseelsorge zu interpretieren, erhält Steve indirekt die Rolle eines Auszubildenden. Durch seine geringe Bemühung, auf die Interpretation der sozialen Aufgabe einzugehen, sowie durch die nur sporadische Teilnahme am Gespräch selbst entzieht er sich dieser Rolle entweder, ohne sich darüber bewusst zu sein, oder widersetzt sich bewusst. Zwischen beiden Varianten kann basierend auf dem Material nicht unterschieden werden. In Bezug auf Rons Vorgehen lässt sich jedoch gleichzeitig konstatieren, dass er in der Situation nicht explizit als Lehrer oder Vorgesetzter agiert. Er bringt sich weder konfrontativ noch explizit vermittelnd ein, sondern schweigt in Bezug auf die Widersprüche. Im Unterschied zu anderen Situationen liegt dieser Situation allerdings – aufgrund der Gelegenheit für Ron, später darauf einzugehen – erkennbar das Interesse Rons zugrunde, Steve anzuregen, über seine Erfahrungen als Gefangenenseelsorger und den Bezug zum Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung zu sprechen, sich damit zu beschäftigen. Basierend auf dem Material lässt sich vermuten, dass er vorab mein Interesse an einem Gespräch als
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Gelegenheit sah, indirekt Einfluss auf Steves Sichtweise zur Zielinterpretation zu nehmen. Im Gespräch realisiert sich diese Hoffnung jedoch nicht. Die Vielperspektivität in Bezug auf das Umweltschutzziel wird in der Begegnung der Ordensbrüder von den beiden Jesuiten nicht aufgelöst, sondern eher ausgehalten. Auch die Fokusgruppendiskussionen mit den Ordensleuten in Ausbildung eröffneten oft Einblicke in die verschiedenen Zugänge und Erfahrungen zum Thema und die Verhandlung der Grenzen einer gemeinsamen Interpretation in den Gruppen. So wird in einer Gruppendiskussion mit Jesuiten in Ausbildung auf den Philippinen einer der jüngeren Teilnehmenden (jung in Bezug auf das Geburtsjahr und die Jahre im Orden) durch kurzes auffälliges Lachen von anderen Gruppenteilnehmenden sanktioniert, als er seine Assoziation ‚im Wald Beten‘ („praying in the woods“) vorstellt. Ich habe in der Diskussion den Eindruck, die Aussage erscheine einigen als sonderbar. Bis zu meinem späteren Auftrag, die Assoziationen zu ordnen, bleibt die Assoziation darüber hinaus unkommentiert. Beim Ordnen der Karten sagt ein anderer, älterer Teilnehmer, er ‚möge‘ die Assoziation. Ich frage ihn, warum und sage, dass Teilnehmende darüber gelacht haben. Er antwortet, er habe nicht gelacht. Er leite selbst in seinen Spiritualitätsseminaren dazu an, im Wald zu sein und dort zu beten. Ein weiterer Teilnehmender, der mit dem Sortieren anderer Karten beschäftigt ist, führt die Diskussion in eine andere Richtung fort: „We suppose ‚stewardship‘ goes with ‚waste management‘ and stuff.“ Bei der Sortierungen der Assoziationen wird ‚Beten im Wald‘ zu den Karten „Gott“, „Glaube“, „1heit“ („un1ty“) und „Gott in allen Dingen Sehen“ zugeordnet. Der Ausdruck wird im Verlauf der Diskussion nicht mehr aufgegriffen. Mikrosoziologische Prozesse der Verhandlung in der Gruppe werden deutlich. Die Assoziation explizit naturverbundener spiritueller Praktik des, ‚Betens im Wald‘, wird durch das Lachen von Gruppenmitgliedern erst als merkwürdig und außerhalb des geteilten Rahmens markiert, durch die positive Kommentierung durch einen anderen, älteren Scholastiker und seine anschließende Verteidigung der Assoziation, die durch meine Nachfrage provoziert wird, aber integriert insoweit, als keine Kritik daran geäußert wird und die Aussage zu anderen Karten zugeordnet wird. Die Teilnehmenden streiten nicht explizit darüber, ob die Assoziation Teil eines geteilten Blickes auf das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung sein soll. In einem anderen Moment agiert die Gruppe ähnlich. Auch beim Vorlesen einer anderen Karte des gleichen Verfassers, „future oriented (for my great grandchildren)“, wird gelacht. Ich frage auch hier nach. Die Antwort von einem Teilnehmenden ist, dass die Vorstellung von Ordensleuten mit Urgroßenkeln
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lustig ist – meiner Vermutung nach, weil Jesuiten ein Keuschheitsgelübde ablegen. Der Verfasser der Karte verteidigt sich, es sei nicht biologisch gemeint. Um die Karte entsteht keine weitere Diskussion. Durch das Lachen zeigte die Gruppe trotzdem spontan an, dass die Assoziation vorerst außerhalb geteilter Wissensbestände liegt, was durch die spätere Anordnung der Karten gestützt wird.
7.1.3 Verhandlungen der Implikationen der Ziele Ich diskutiere nun Verhandlungen dazu, welche praktischen Implikationen mit einer Zielerfüllung einhergehen sollen. Im Kapitel zu Interpretationen und Bewertungen bezog ich mich bereits auf Reflektionen von Ordensleuten mit aktivistischer Orientierung, im Orden als Erreger von ‚Problemen‘ und als zielbezogene Außenseiter wahrgenommen zu werden. Die hier diskutierten Verhandlungen stehen mit diesen Reflektionen in direktem Bezug, weil viele Daten zu Verhandlungen zu den Implikationen der Ziele auf den Erzählungen von aktivistisch orientierten Ordensleuten beruhen. Das kann daran liegen, dass Auseinandersetzungen eher einhergehen mit dem Versuch, Einfluss auf das Handeln in der Ordensgemeinschaft und auf das Bewusstsein der Mitbrüder zu nehmen, als mit Interpretationen, bei denen die Handlungen externer Akteure beeinflusst werden sollen. Wie hier durch Martin in Bezug auf eine potentielle Verschmälerung des Fuhrparks der deutschen franziskanischen Gemeinschaft ausgeführt, scheinen aktivistisch Orientierte dabei innerhalb der Ordensgemeinschaft im Alltag auf „Widerstände“ zu stoßen: dieses Thema Auto ist ein sehr unerquickliches und schwieriges, ja. Also, das habe ich schon gemerkt, wenn das mal thematisiert worden ist. Und das sind ja wirklich so die Punkte, da wird es ja konkret, ja? Und da erlebe ich schon, wie gesagt, teilweise oder bei einzelnen Brüdern sehr massive Widerstände.
Dabei lassen sich unter den Ordensleuten unterschiedliche Strategien ausmachen, mit dieser konfliktiven Differenz umzugehen, bei der die Einen stärkere Veränderungen der Routinen und des Lebensstils in Bezug auf eine Bewahrung oder Versöhnung mit der Schöpfung wünschen als die Anderen. Eine Strategie ist die Konfrontation mit einer individuell verfolgten Handlungsalternative – wie im Kapitel zu Interpretationen am Beispiel des Schweizer Jesuiten Michaels ausgeführt, der Menschen damit konfrontiert, keinen Nespresso zu trinken und keinen Führerschein zu besitzen. Ähnlich beschreibt mir Leon seine
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erangehensweise. Ausgangspunkt dafür ist meine Frage nach der Gründung der H Gemeinschaft des Franciscan Ecology Project: JG:
[W]hen you started the project, or also the discussions in the group, did you feel like you were, let’s say mainstream in your order, or were you forerunners, or?
Leon:
No, certainly not. [… W]e were very happy to have the […] Franciscans, the definitoria, in which the majority was in faith of the project because they LOVED me. (JG short laughing) No, really, that’s the reason, well, let me do this thing. For otherwise also within the order it was a bit strange. “We go to the poor. We take care of the people. What is the fuzz about nature?” [… T]here was not the consciousness among the friars about our interconnectedness, and the way we treat the exist[ing] nature. […] Only a few exceptions […] but the big majority, oh, no. I talked recently on a meeting, I said: “We have been professed on four vows. Poverty, chastity, obedience and everyday a piece of meat.”
JG:
Everyday a piece of meat? (shortly laughing)
Leon:
A piece of meat. Franciscans, we have the RIGHT for a piece of meat every day. So, and if you are trying to explain a bit that there are better alternatives, and that it would be better for the people on the earth and for the earth itself to reduce our consumption of meat. [… Y]ou are a little bit declared to be, (.) well, (.) leftist, and (.) insane. […] Oh, I am CERTAINLY, CERTAINLY not going to say how you have to live. But I gladly tell you how I live, and why. And also that is very threatening for quite a lot of friars.
Das folgende Zitat zeigt, wie der deutsche Franziskaner Peter explizites Wissen zu Umweltverschmutzung mit anderen Bewertungsmaßstäben verknüpft und darauf aufbauend den Konflikt mit dem Anliegen der ‚Aktivisten-Gruppe‘, beziehungsweise der „Gerechtigkeit-Friedensgruppe“ beschreibt. In unpersönlicher Form antizipiert er Positionen zum Thema Autobesitz mit Blick auf seine Mitbrüder. Der Franziskaner nimmt sprachlich analytische Distanz zur eigenen Rolle (Mitglied der ‚Aktivisten-Gruppe‘) ein. Weitergehend versetzt er sich – dokumentiert in der Verwendung der Pronomen – in die Perspektive der Mitbrüder, die mit dem Engagement der Aktivisten konfrontiert sind. Vor diesem Hintergrund entwickelt er die Lesart des Konfliktes als ein „schlechtes Gewissen […] machen“, wobei impliziert ist, dass damit die erwünschten Veränderungen im Lebensstil nicht zu erreichen sind: Wir wissen um die negativen Auswirkungen eines Autos auf die Umwelt. Wir wissen um den moralischen Anspruch, für unsere Umwelt und die Schöpfung zu sorgen und der Konflikt entsteht dann mit meinem persönlichen Wohlbefinden, dass es bequemer ist, mit dem Auto zu fahren, dass es mir ein gutes Gefühl gibt, auch als Franziskaner, mein eigenes Auto zu haben, jederzeit mobil zu sein. Eben auch nicht Rücksicht nehmen müssen, wann ist das Auto frei. Da würde ich sagen, das ist dann
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eben der Konflikt und der dann, sagen wir mal, innerhalb des Ordens, wenn es eben dann eine Gruppe gibt, wie eben die Gerechtigkeit-Friedensgruppe, die dann auch versucht die Provinz oder die Brüder der Provinz versucht zu ermahnen oder zu sagen: „Hört mal zu, es wäre gut, das mal zu überprüfen und eventuell auch zu reduzieren.“ Dann ist das halt so, wie das schlechte Gewissen machen, ne.
Der moralische Appell ist auch, aber nicht nur von aktivistisch orientierten Ordensleuten negativ konnotiert.4 So theoretisiert der deutsche Jesuit Leonard über Auseinandersetzungen zu ökologischen Fragestellungen in der Kommunität: „[D]as ist Abwägen zwischen Appell und Klugheit. Wenn Sie zu viel appellieren, steigen die Leute auch aus.“ In den Ausführungen der Aktivisten zeigt sich auch, dass nicht nur Aktivisten alltägliche Routinen in Frage stellen, sondern dass andere Mitglieder der Ordensgemeinschaften aktiv darauf reagieren und ihrerseits Strategien entwickeln, Änderungen zu verhindern. Ein Auszug aus einer Fokusgruppendiskussion mit philippinischen Jesuiten in Ausbildung ist dafür ein eindrucksvoller Beleg. Im Folgenden zitiere ich einen Teilnehmenden, welcher von der Gruppe und selbst zugeschrieben als Advokat für das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung innerhalb der Ordensgemeinschaft hervorgehoben wird. In der Gruppe wird diskutiert, inwiefern das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung eine Aufgabe für alle Ordensmitglieder ist. But in response to what [… two other participants] said that you cannot expect everyone to get into this. And I agree, you cannot expect everyone to get into environment work, but I don’t think that is what we are hoping for. Because I think what we need to expect from everyone is to pitch in terms of sustainable lifestyle. […] I am a bit embarrassed because a lot of outside the world is way ahead of us in terms of buying into more sustainable living. […] When we tried to discourage the guys from using the van going, on campus just doing their badminton exercise at […] the on-campus gym, I got a lot of laugh for that. […] A lot of people stopped talking to me, Fathers included. And they rallied against our campaign to stop that. That is partly the history why I had to [stop …] because I know I am ineffective already. Not only am I tired of the same refrains but I am ineffective that way. I, I antagonize people […] even if that is not (short laughing in the voice) what I want to do. […] Like even the van to the gym, I was just saying: “You are going there to exercise anyway. So in the end it could be a nice warm-up to just walk the five, ten minutes going there, you know.”
4Ein
Experte für GFBS sagte beispielsweise: „Usually, if you tell people they have to do something, they do the opposite.”
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Die Implikationen des Ordensziels sind Gegenstand mikropolitischer Auseinandersetzungen. Der zitierte Jesuit in Ausbildung betont dabei besonders, auch von Priestern im Orden – also höhergestellten, geweihten Ordensmitgliedern – für seinen Vorschlag abgestraft worden zu sein. Auffällig ist, dass er erst von einer kollektiven Vision („we hope“) spricht und sich folglich als Teil einer Gruppe versteht, dann jedoch die Erzählung um das Scheitern einer individuellen Initiative anschließt. Während er die Interpretation mit anderen teilt, bestreitet er die skizzierte Verhandlung allein. Darüber hinaus reflektiert der Jesuit seine Rolle, seine Anregungen zu Veränderungen in der Gemeinschaft seien auf diese Weise ineffektiv, da er unbeabsichtigt Feindseligkeiten zwischen Menschen hervorrufe. Der deutsche Jesuit Friedrich – im Unterschied zum zuvor zitierten Jesuiten in Ausbildung schon lange Ordensmitglied – beschreibt seine Bemühungen für fleischlose Mahlzeiten. Auch er führt aus, dass er dafür kritisiert wird. Er kann aber in dem Konflikt gestaltender agieren. Seine Mitbrüder sanktionieren den Versuch eines fleischlosen Mittagessens unter Anderem, indem sie ihm sagen, er sei „Schuld“ an der fleischlosen Mahlzeit. An den entsprechenden Tagen essen sie auswärts. Friedrich beziehungsweise die Gruppe der Verantwortlichen (eventuell auch nicht-jesuitische Angestellte) reagieren ihrerseits darauf, indem sie den Speiseplan so variieren, dass nicht mehr eindeutig erkennbar ist, an welchem Tag ein fleischloses Hauptgericht serviert wird. Nicht alle aktivistisch orientierten Ordensleute beschreiben diese Art der Sanktionen durch Mitbrüder. Ein Jesuit einer mitteleuropäischen Provinz generalisiert den Austausch mit seinen Mitbrüdern zu Versöhnung mit der Schöpfung und Lebensstil so: Jesuit:
Also, ich merke auch im Gespräch mit meinen Mitbrüdern gibt es nicht solche, die gegen meine Anliegen sind. (kurze Pause) Viele sagen mir: „Toll, dass du das so machst. Du bist konsequent und wir sind froh um dich.“ Oder was auch immer, oder. „Aber wir können das halt nicht.“ Das ist dann meistens so die Reaktion.
Er erfährt von seinen Mitbrüdern Zuspruch, erreicht aber keine Veränderung von Handlungen beziehungsweise handlungsleitenden Orientierungen. Implizit ist der Perspektive der hier skizzierten ‚Anderen‘, dass jedes Ordensmitglied über die Handlungsimplikationen von Zielen in Bezug auf Fragen des Lebensstils zu einem gewissen Maß eigenständig entscheiden kann. Die Aussage dieser hier generalisiert-abstrahierten Anderen, das Umweltschutzziel nicht konsequent ver-
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folgen zu können, basiert vermutlich auf der Annahme, dass nicht alle Anliegen des Ordens gleichermaßen im Alltag erfüllt werden können. In den zitierten Aussagen abstrahieren besonders Martin, Peter sowie der anonymisierte Jesuit Konflikte zwischen Ordensbrüdern zu ‚typischen‘ Verläufen. Dieser Stil vermittelt den Eindruck, dass wiederkehrend zwischen Ordensmitgliedern mit unterschiedlichen Handlungsorientierungen oder unterschiedlichen Bewertungen der Relevanz des Zieles ähnliche Auseinandersetzungen erlebt wurden. Die Aktivisten generalisieren die Erfahrungen zu üblichen Mustern, auf die sie für das Gespräch mit mir zurückgreifen. Insgesamt zeigt die Analyse, dass auf vielfältige Weise Interpretationen und deren Implikationen im Leben der Ordensleute verhandelt werden. Dabei verlaufen Verhandlungen innerhalb eines Orientierungsrahmens eher unbemerkt. Auch die Verhandlungen eines gemeinsamen Orientierungsrahmens lassen nur dezente Markierungen von Differenzen erkennen. Offener Konflikt wird nicht gesucht. Im Gegensatz dazu erscheinen die informellen Verhandlungen zu den Implikationen der Ziele, die von intern aktivistisch orientierten Ordensleuten durch Vorschläge angestoßen werden, Routinen und Konsummuster zu verändern, größere Widerstände und Gegenstrategien von Mitbrüdern auszulösen. Daraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass Differenzen in den Gemeinschaften solange ohne offene Konflikte bewältigt werden (können), wie sie die Handlungsspielräume von Mitbrüdern nicht einschränken.
7.2 Formalisierte Verhandlungen In diesem Abschnitt wende ich mich Situationen zu, in denen sich Teilnehmende treffen, um sich zu einem mit den Umweltschutzzielen verwandten Thema auszutauschen – anders als in Fokusgruppen und Interviews, in welchen ich starke Erwartungen zum Ablauf einbringe. In verschiedenen Gremien der Orden, in Versammlungen und in Workshops stellen die Mitglieder ihr geteiltes Wissen zu Ablauf und Verfahren der Treffen neu her. Gleichzeitig bringen sie ihr divergierendes Wissen ein, in welchem die Notwendigkeit von Erfahrungs- und Perspektivenaustausch überhaupt begründet liegt. Dass verschiedene Wissensbestände – das geteilte wie das spezifische und das explizite wie das implizite – in solchen Situationen von Bedeutung sein können, zeigt beispielsweise einer der seltenen Hinweise, die ich zu den zentralen Verhandlungssituationen der provinzialen Vollversammlungen erhalten konnte.
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7 Verhandlungen
7.2.1 Verhandlungen im Provinzkapitel Im Gespräch mit mir reflektieren die deutschen Franziskaner Peter und Klaus, wie Anträge zu ökologischen Themen früher und gegenwärtig in ihrem Provinzkapitel behandelt wurden. Ausgangspunkt ist die Proposition, dass ökonomische und soziale Belange in der Provinz nach wie vor stärkere Bedeutung haben als ökologische. Peter:
[U]nsere gesetzgebende Geschichte ist eigentlich das Provinzkapitel alle drei Jahre. Da fassen wir Beschlüsse. In welche Richtung wir marschieren, so Grundsatzentscheidungen.
Klaus:
Ja.
Peter:
So, wenn wir da jetzt, und das haben wir öfter gemacht, so ökologische Anträge einbringen. Die heben alle den Arm. Das finden die gut. Aber wenn das dann zur Sache geht, ne, was heißt das dann konkret
Klaus:
Ja, ja.
Peter:
Dann sieht das schon wieder ganz anders aus, ne, weil das ja oft auch, Stichwort Betrieb und Familie, auch so läuft: „Ja, das ist jetzt ein Antrag vom Klaus und vom Peter und vom Martin. Das sind ja fitte Brüder. Die sind ja auch lieb. (JG lacht) Denen wollen wir ja gut. Also, da sind wir jetzt dafür.“ So, das kommt da dazu. Das ist jetzt anders als in einem Parlament, wo man sagt: „Das ist ja grundsätzlich die Opposition. Also müssen wir auch dagegen sein.“ […] Da gibt es höchstens so, naja, genau das andere Extrem, so, also: „Ein Antrag von dem ist sowieso schon spinnert.“ […] (JG lacht) Oder so Geschichten können vielleicht mal passieren.
Klaus:
Das wäre aber in der Vergangenheit vielleicht mal existent gewesen.
[…] Peter:
Dadurch, dass wir ja ein bisschen jetzt durch die Vereinigung
[… Klaus und Peter drücken aus, dass seit der Vereinigung der Provinzen zu einer deutschen Provinz im Jahr 2010 eine Veränderung stattgefunden hat.] Peter:
Ja, wir können jetzt mehr sachlicher an Dinge rangehen, weil […] die Lager nicht so klar sind. Also, die „Klaus muss ja für Gerechtigkeit und Frieden sein, weil er schon seit zwanzig, dreißig Jahren dafür kämpft, ne.“
Klaus:
Ja.
Peter:
Und der muss ja ein bisschen mehr links sein oder was weiß ich. Und dann kann – und das ist so ein bisschen neues Spiel, neues Glück ein bisschen mehr.
7.2 Formalisierte Verhandlungen
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Während die Ausgangsproposition, Ökologie sei weniger wichtig als Ökonomie und Soziales, sich auf die inhaltliche Ausrichtung der Gemeinschaft bezieht, reflektieren die Franziskaner im Anschluss mehr eine generalisierte Haltung der Mitbrüder im Verfahren. Wenn auch ökologische Anträge zumeist für gut befunden und angenommen werden, nehmen sie über ihre Mitbrüder an, Anträgen zuzustimmen sei oft nicht abhängig vom entsprechenden Inhalt, sondern basiere auf Wissen über die Personen, welche die Anträge stellen. Sie werden nach Sympathie bewertet,5 und danach, ob sie (nicht) „spinnert“ sind. Den zweiten Bewertungsmaßstab entwickeln die beiden Gesprächspartner mit Rückgriff auf weiter zurückliegende Erfahrungen im Orden, als diese Art der Bewertung öfter vorkam. Mit der Annahme von Anträgen aus Nettigkeit einher geht eine Entkopplung von ‚gut finden‘ und – hier nur angedeutet – der konkreten Umsetzung der Beschlüsse. Später im Gespräch wiederholen sie die Generalisierung der Entscheidungskriterien. Die Passagen weisen einen hohen Theoretisierungsgrad dazu auf, wie Entscheidungen im Orden getroffen werden. In der formalisierten Verhandlungssituation nutzen die Beteiligten – zumindest in dieser generalisierten Erzählung – geteilte, implizite Wissensbestände der Gemeinschaft über einzelne Mitbrüder als Entscheidungsgrundlage bei Anträgen. Im Gespräch bewerten sie die mit der Zusammenlegung der Provinzen einhergehende sachlichere Diskussion als positiv in Bezug auf Antragsentscheidungen, während Entscheidungen basierend auf Sympathie und Wissen zu den Antragstellern implizit als problematisch vermittelt werden. Während das ausgewiesene Ziel mancher formalisierter Zusammenkünfte ist, Entscheidungen für die sich treffende Gruppe oder die Gemeinschaft zu treffen wie bei Provinzkapiteln, sind andere ausschließlich darauf ausgerichtet, fortzubilden und etwas über die gegenseitigen Perspektiven zu erfahren. In den folgenden Abschnitten zeige ich, wie transnationale Experten untereinander den Austausch zum Ziel suchen. In beiden Ordensgemeinschaften erreichen sie in Form von Texten gemeinsame Materialisierungen von situativen Einigungen, die sie im Rahmen ihrer Animationsarbeit nutzen können. Anschließend wende ich mich einem Treffen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Ordensgemeinschaften zu.
5Vergleiche
hierzu auch Leons Aussage, die Ordensgemeinschaft hätte das Wohnprojekt, in dem er lebt, befürwortet, weil die Mitbrüder ihn liebten (Unterkapitel 7.1.3).
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7 Verhandlungen
7.2.2 Verhandlungen in transnationalen Expertenrunden Im Folgenden diskutiere ich mit Blick auf die Umweltschutzziele besondere Situationen der Verhandlung in den Ordensgemeinschaften. Um die globale Zielumsetzung zu unterstützen, haben beide Ordensgemeinschaften ordensinterne Spezialisten für die Ziele. In globalen Expertengruppen treffen sich diese Vertreter unterschiedlicher Konferenzen zum Austausch untereinander und zur Beratung mit den global Zuständigen. Als Gruppen geben sie Veröffentlichungen für den Gesamtorden heraus. Diese sind Kristallisationspunkte für transnationale Verhandlungen. Von jenen Veröffentlichungen zu zielverwandten Themen existiert in beiden Orden ein vielfältiges Spektrum. In diesem Unterkapitel liegt der Schwerpunkt auf der Verhandlung von Texten, welche in direkter Verbindung mit den für diese Analyse relevanten Zielformulierungen der obersten globalen Ordensversammlungen stehen. Art der Entstehung und Stellenwert der Papiere unterscheiden sich zwischen beiden Ordensgemeinschaften. Die franziskanischen Texte werden vom Sekretariat für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und einer längerfristig existierenden Kommission von Koordinatoren aus unterschiedlichen Weltregionen formuliert. In der Gemeinschaft ist das Wissen etabliert, dass es die Kommission für GFBS gibt und welche Aufgaben sie erfüllt. Das Dokument der Jesuiten wird von einer eigens dafür einberufenen Arbeitsgruppe („task force“) erstellt, die einem administrativ festgelegten Ablauf und formalisiert-moderierten Einzelschritten folgt. Die erarbeiteten Dokumente zum Thema unterscheiden sich entsprechend mit Blick auf die angenommene Bedeutung im Orden. Während die Dokumente der Franziskaner eher als ‚gewöhnliche‘ Veröffentlichungen des zuständigen Sekretariats erscheinen und insofern nicht höher bewertet werden als die Dokumente der Vor- oder der Folgejahre, wird dem jesuitischen Dokument (Healing a Broken World) ein Sonderstatus zugeschrieben, der insbesondere durch den Begleitbrief des Provinzials zementiert und für alle Ordensmitglieder erkennbar wird. Ein Mitautor reflektiert im Gespräch mit mir dessen Stellung: Ramon:
what is the rank of the document? It is official in the sense that the document was approved by the Father General although he did not sign the document himself but he wrote a letter of endorsement. So when the document was sent to the […] Jesuit communities, there was a letter […] saying: “I want you to read this document. I want you to take care of it and I support the document.” So, it is not a document signed by the Father General, it would have given [it a] hundred percent, but […] has given ninety-five percent. […]
7.2 Formalisierte Verhandlungen
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There are letters from Father General for every year maybe four or five and a document like this maybe one every five to ten years. So it is a bit of [an] exception. The people can read [it or not] […]. But people know that this is there.
In den folgenden Passagen erhält der Formulierungsprozess des jesuitischen Dokuments mehr Aufmerksamkeit als der der zwei franziskanischen. Neben der angenommenen Bedeutung des Dokuments ist dies begründet durch die Dichte der Daten: Meine jesuitischen Gesprächspartner haben trotz ähnlicher Erzählimpulse ausführlicher geantwortet – unter Umständen, weil es sich um einen eher außergewöhnlichen und für die Gesprächspartner bedeutenden Prozess handelte, während die Franziskaner die für selbstverständlicher gehaltenen Abläufe trotz stimulierender Impulse knapper ‚abhandelten‘.6
Healing a Broken World Der Leiter des zuständigen Sekretariats der jesuitischen Kurie sagt über die Veröffentlichung: You may have seen also this [document] on ecology, nine people [wrote this …] I think there were something like 170 that were contacted, so some of the contributions were coming from them also. […] And I would say that one of the fruits that we have in ecology after that is that we have come to know that many people are involved in this […] area. And I think that this has given some identity card to the ecology involvement of the Jesuits.
Ich konnte mit drei Jesuiten sprechen, die in den Entstehungsprozess direkt involviert waren, und drei Personen (zwei Jesuiten und ein Laie), die im Prozess schriftlich Rückmeldung gegeben hatten. Die Generalkongregation hatte nach den Beschlüssen zu den Ordenszielen den Auftrag an den neu gewählten leitenden Jesuiten der Ordensgemeinschaft, den Generaloberen (oder: „Pater General“)
6Dies
JG:
äußerte sich beispielsweise in Antworten wie dieser: Could you tell me a little bit more about the last document that you were talking about? The daily life document?
Franziskaner: Well, actually, if you want to, you can just go to our webpage. Ich war bemüht, genauer nach dem Prozess der Formulierung zu fragen, erreichte aber keine so genauen Schilderungen wie bei den Jesuiten. Oft antworteten die Experten, sie erinnerten sich nicht genau.
304
7 Verhandlungen
Adolfo Nicolás, ausgesprochen, die Umsetzung der Ziele zu organisieren und zu verwalten, wie es in verschiedenen katholischen Ordensgemeinschaften üblich ist. Ein deutscher Jesuit beschreibt den Weg von der Generalkongregation zur Bildung der Arbeitsgruppe so: Friedrich:
[E]s ging darum, dass die Generalkongregation sich nicht imstande gesehen hat, […] also eine vernünftige Selbstbeschränkung, dieses Thema in einer adäquaten Weise zu bearbeiten. Also zu sehen, das ist ein ganz wichtiges Thema […]. Aber wir selber, da fehlt uns die Expertise und die Zeit das in einer angemessenen Weise zu machen. […] Es war ein Auftrag an Pater General […], das ist so die normale Form, und der Pater General überlegt dann, was ist die beste Weise, und das überlegt er dann auch wieder nicht alleine […] sondern mit seinen Beratern, was ist die beste Weise damit umzugehen, und da […] kam eben diese Idee, […] eine Task Force zu finden.
Der Ordensobere traf auch die Entscheidung, die Verantwortung für das für alle Apostolate geltende Ziel dem dann neu benannten Sekretariat für soziale Gerechtigkeit und Ökologie (vorher: Sekretariat für soziale Gerechtigkeit) zuzuschreiben.7 Dessen Leiter bekam den Auftrag von der Ordensleitung, einen Text zu formulieren. Er bildete und koordinierte daraufhin die heterogen zusammengesetzte Arbeitsgruppe.
7Der
philippinische Teilnehmer der Arbeitsgruppe reflektiert in einem Vortrag im Februar 2012 im Rahmen der Faculty Conversations of the Association of Jesuit Colleges and Universities der Loyola University Chicago den Prozess, den er später auch als Text veröffentlicht: The announcement of the newly named Social Justice and Ecology Secretariat in 2010 showed the first indication of change. The SJES under Fr. Fernando Franco and Jesuit Higher Education Secretariat, initially with Fr. Paul Locatelli and then Fr. Ron Anton, were tasked with animating the programs on the environment with the intention of engaging people in various fields. I believe discussion on the proposal for the creation of a task force on Jesuit Mission and Ecology began by January. The intention was to implement Decree 3 of GC 35: “to appreciate more deeply our covenant with creation” (36) and the care of the environment “touches the core of our faith in and love for God” (32). This was reinforced by the Benedict XVI in his message on Peace entitled “If you want to cultivate peace protect Creation”[..] and also a chapter in Caritas in Veritate. (Walpole 2012, S. 67)
7.2 Formalisierte Verhandlungen Ramon:
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[t]he objective was, we need something to make more concrete […] what [the decision of the General Congregation] means for us Jesuits. […] The Father General asked [THE SECRETARY FOR SOCIAL JUSTICE AND PEACE] to produce the document. He said: “We need something in our hands because this is the declaration, the formal declaration in the General Congregation, but it is not operational at all. We cannot operate with this.” […] it was [THE SECRETARY’s] decision to promote this task force. He got a request from the General and councilors. […] They said: “Okay, you, do something on ecology. Please not only Jesuits, try to have some lay people with you, and try to have some people come in from science. So it is not only a theological reflection.” […] He chose a person from each conference. One from Europe […]. One from Asia, […] who is very much involved in ecology […] A Jesuit from India, he is coming from the social apostolate. A professor […] from the States. She is teaching at [the Jesuit] Loyola University in Chicago, ecology and science, and another one from Latin America that is very much involved in sustainable development and global communities, for many years working with communities in indigenous areas and global communities.
Zusätzlich zu der Arbeitsgruppe werden im Dokument als Involvierte angegeben: der damals amtierende sowie der nachfolgende Leiter des Sekretariats für soziale Gerechtigkeit und Ökologie sowie der Leiter des Sekretariats für höhere Bildung (alle Mitglieder der Gesellschaft Jesu) und als technische Assistenz (darunter auch die Organisation der Kommunikation zwischen den Treffen) eine Angestellte des Sekretariats für soziale Gerechtigkeit und Ökologie.8 Die zitierte Beschreibung der Arbeitsgruppe ist einer von mehreren Hinweisen darauf, dass die Unterschiede der Wissensbestände der Mitglieder innerhalb der Gruppe in der Zusammensetzung forciert und während dem Prozess auch thematisiert wurden. Die Teilnehmenden reflektieren den Prozess als anstrengende und gleichzeitig außergewöhnliche und wertvolle Erfahrung. Die intensive Auseinandersetzung zwischen Akteuren mit heterogenen Perspektiven wird wiederkehrend hervorgehoben. Eight people from around the world gathered to deliberate on the matter. We were very diverse in our commitments yet clear that the environmental degradation we were seeing needed to be reversed. Others were involved in the process, and we received responses from 159 people. I am still shaken that we could have had such a global reflection and recommendations; even with all the prayers and intercessions, I am still surprised that the Holy Spirit could pull this off. (Walpole 2012, S. 63)
8Technische
Assistenz bedeutet hier nicht, dass sie keine Entscheidungen beeinflusste: Sie traf beispielsweise die Entscheidung, keine Skype-Gespräche durchzuführen, sondern die Kommunikation zwischen den Treffen vor allem über Email zu führen und gestaltete die finale Version bedeutend mit.
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7 Verhandlungen
Aus Perspektive eines Mitglieds der Task Force sollte der Text Healing a Broken World auch Unterschiede überwinden beziehungsweise einen in der Gemeinschaft geteilten Wissensbestand ermöglichen, da es vor der Formulierung keine ordensgemeinschaftliche ‚Struktur‘ für das ökologische Bewusstsein gab. Ramon:
For us, ecology has been an issue that was there, but we never managed, we never managed or in a sense, we never looked to give a structure to ecology […] certainly […] our way of thinking moves in the societies we live in.
Die Arbeitsgruppe traf sich zwei Mal, jeweils eine Woche lang. Dazwischen pflegte sie Emailkommunikation und involvierte weitere Mitglieder der Gemeinschaft sowie dem Orden nahestehende Laien. Der Erweiterte Rat (Consiglio Allargato) des Generaloberen traf sich im Mai 2010 für einen halben Tag, um Empfehlungen für die Arbeitsgruppe zu entwickeln. In der ersten Woche, vom 5. bis zum 9. Juli 2010, diskutierte sie grundsätzliche Fragen und Konzepte und entwickelte ein erstes Textschema sowie einen Arbeitsplan. Im Anschluss verfasste jedes Gruppenmitglied bestimmte Textpassagen. Über die Entwürfe berieten sie mit weiteren Personen besonders aus der eigenen Herkunftsregion. Dabei wurden unter anderem die Präsidenten der Konferenzen einbezogen und ein Fragebogen an jesuitische Einrichtungen ausgegeben, die in Forschungs- oder lokalen Basisinitiativen engagiert waren (Walpole 2012). Die Textentwürfe wurden in der Arbeitsgruppe ausgetauscht und kommentiert. Weitere Personen wurden um Rückmeldung gebeten. In der zweiten Woche, vom 15. bis 20. November 2010, in der sich die Gruppe wiedertraf, diskutierten sie den Text. Die finale Version wurde von dem Sekretariat für soziale Gerechtigkeit und Ökologie für die Veröffentlichung fertiggestellt. Das erste Zusammentreffen war geprägt durch Diskussionen über grundsätzliche Richtungsentscheidungen und Konzepte; die zweite durch Detaildiskussionen, beispielsweise über genaue Formulierungen. Ramon:
One week discussion, talking. […] the first week was very important because we were coming from very different backgrounds and we had to […] reach agreement on basic concepts, what we understand for environment, what we understand for this, what we understand for environmental justice. All these discussions. Probably the first week was a bit more difficult in terms of concept, to reach an agreement on the concept, on what we want, or what is our focus, […] and the final week was more difficult in terms of concrete, producing a text, you know, because there are many nuances in the language. [… T]he discussion was very long because when you start reading the paragraphs, somebody wants to add something, somebody wants to remove this.
7.2 Formalisierte Verhandlungen
307
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe verhandelten neben inhaltlichen auch verschiedene strategische Fragen. Wer sollte beispielsweise mit dem Text angesprochen werden und wie? Ramon:
One of the questions we asked ourselves is: To whom is the document addressed? [… O]nly for Father General so he will be with his advice and some day, he will decide? Or [do] we want to do something that can be read by any Jesuit and from Jesuit to any people around us? To any friend? This is kind of difficult because if you know I want to address the people that come to my parish to Jesuits, it is a totally different style. […] If you want to do to Father General, then you have to be kind of very precise, you know. You want to suggest Father General to take these decisions […]. Finally, we decided to write a document that was addressed to any Jesuit. So, in principle, to somebody who can read no science but kind of well documented text, you know. So, I said, capable to understand some basics of science, some basics of environmental science and certainly social issues and theoretical questions.
Die Gruppe entschied auch, einen Zugang des Danks, der Anerkennung und der Gerechtigkeit zu wählen, um zu ermöglichen, dass viele Jesuiten den Text annehmen konnten. Wie die folgenden beiden Zitate zeigen, wurde das ‚wie‘ des Textes strategisch reflektiert. Ramon:
If you […] call for responsibility, we explain the world, […] you provoked fear, anguish, and people do not like to listen to the message. But if you take an approach about thanksgiving and you acknowledge the value of life and how people struggle for life, even in the present world […], and this is a strong message for us […] we did not look for the more extreme positions. […] we tried to find places where a Christian can feel call for engagement, but at the same time with a strong appreciation. […] Appreciation for nature so that what moves you to act is for one side justice, because you see people suffering and on the other side you appreciate a gift that God has given to us and we want to take care of it. So kind of this mix of tender and engagement. I think, this can be the driving forces.
Dabei versuchten sie systematisch, kontroverse Aspekte mit Potential, Mitbrüder zu provozieren, in allen Passagen des Textes auszuklammern.9 Der Schreibprozess beinhaltete folglich die Auseinandersetzung mit der antizipativen 9Dieser Zugang wurde mir gleichzeitig in anderen Gesprächen als durchaus üblich vermittelt: „wenn man solche Texte formuliert, versucht man sie ja so zu formulieren, dass sie nicht polarisieren, sondern dass sie zusammenführen, dass sie sozusagen von allen angenommen werden können“ (Friedrich).
308
7 Verhandlungen
Frage, wie Mitbrüder mit anderen Perspektiven den Text rezipieren und handlungsleitend interpretieren werden, einschließlich der gesellschaftlichen Unterschiede. In der Folge erhielten große ökologische Themen, besonders der menschengemachte Klimawandel, wenig explizite Aufmerksamkeit im Text. Ramon:
when we wrote the text, it was very much discussed at once, we are producing recommendations. Kind of practical, to make it concrete, you know. […] Many people engaged in ecology, they can be really disappointed with the text, because we tried to produce a text supported by wide research and agreement and trying to avoid these critical points that can promote a lot of discussions. So, we went for a description of regions, but we went for […] shared information that not many people can say: “Oh, it is not true, you know. The rise of the sea is either 0.27 or 0.25.” And you get into this. No, we just went for big, big things that is difficult to deny. The approach of climate change, again, I think it is good but, you know. And then, some theoretical reflection and some Jesuit approach, you know, how you can look at this from a spiritual tradition. So, we looked for a document that could be accepted in a wide range of people. […] For the top skeptical people it is impossible to produce any document (laughs), so […] we don’t fight for those. But just a range of people and people who are involved and they like these topics and people who are doubting: “I don’t know too much.” […] And then, the recommendations. […] For us, a very important place is the community. We think that many […] of the critical issues can be discussed and can be dealt for us at the community level. […] It is not easy because our communities, there is inertia. “We have always been living like this.” So it is difficult to make a change in our way of living, but we think this is a very good place for discussion. […] and then, we take some concrete suggestions but these are examples that any environmental NGO, they will produce much better than this, but we just produced them, just to show the people that this is possible […]. I mean, in this final discussion, for example, we suggest: “Don’t use water in bottles”, you see the contradiction?, “and try to use water from the tap.” And then, we have this Jesuit from India saying: “My committee, there is no water from the tap because we have to walk ten kilometers to get water, so what?” (laughs) […] [I]t is very difficult to say a word that can be understood in the same way for everybody because it is a very international body […] we try to show all these differences that people can be aware also that this is a wide spectrum of situations and we cannot say clearly: “This is the way of living.” You have to find out in your own place.
In den Abwägungsprozessen brachten Personen innerhalb der Arbeitsgruppe sich unterscheidende Positionen hervor. So stand das Konzept der Nachhaltigkeit für Vertreter aus Asien und Lateinamerika für den fragwürdigen Status Quo in ihren Herkunftsländern; andere sahen die Vorteile des Begriffs. Genmanipuliertes Saatgut erschien manchen Teilnehmenden problematisch, aus nordamerikanischer Perspektive aber nicht. Einige der exemplarisch aufgeführten Differenzen betrafen auch theologische Standpunkte zur Beziehung zwischen Mensch und Natur:
7.2 Formalisierte Verhandlungen Ramon:
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[I]t was a difficult perspective, also took some discussions, […] for some is very clear, this image of stewardship and the role of humans over nature. […] we are responsible, we take care. […] For some other people, […] the stewardship [concept] is so bad (laughs), that maybe we have to accept that nature has its own role and deserves respect […], there is some kind of dialogue between humans and nature.
Ein deutscher Jesuit, der um schriftliche Rückmeldung zu einer Entwurfsversion gebeten wurde, erinnert sich, die folgende Korrektur vorgeschlagen zu haben: Friedrich:
[D]a war zum Beispiel […] die Formulierung, wir sollten ecocentric exercises geben, und ich meinte „Nein, wir sollten keine ökozentrischen Exerzitien geben; unsere Exerzitien sollten gottes-, christuszentrisch sein.“ Natürlich, wir leben […] eingebettet in eine Welt, die vielmehr als uns Menschen erfasst […]. Und wenn wir Exerzitien [geben], dann müssen wir diese Welt sehen, die […] vielmehr ist, als nur wir, das ist klar. […W]ir sollen Menschen helfen, Gott in dieser Schöpfung zu entdecken und nicht [… die] Ökologie […] als Zentrum […] nehmen.
Einen Grund für theologische Unsicherheit sieht Ramon darin, dass die Disziplin sich bisher wenig mit der Schöpfung und ökologischen Fragestellungen auseinandergesetzt habe und konkrete, verwandte Fragen beispielsweise zu Bevölkerung in der katholischen Kirche schwierige Themen seien. Eine inhaltlich orientierende Sinnstruktur, wie Ramon sie von der Lehre der verfassten Kirche erwarten würde, existierte für die Teilnehmenden nur eingeschränkt.10 Ramon:
[C]osmocentric, anthropocentric approach, this was a discussion, you know. […] In opposition to anthropocentric approach – humans at the center of everything, is to this. […] [T]heology of creation. At least in the Catholic Church, Pope Benedict’s teaching helped a lot but still, theology of creation is very poor to address environmental issues. So this is a difficulty we have. When you try to develop a discourse, the theological background is kind of limited because our understanding of creation is of a nature that this nature is kind of fix […] it is kind of mechanical, you know. And nature is neither mechanical nor fix. So it is very difficult for us to give [… a response]. This is sensitive. The population issue has not been adequately dealt with […]. So finally, there is only one single paragraph [about] population […].
Der Text folgt der allgemeineren, rahmenden Struktur des Sehens – Urteilens – Handelns. In der Zusammenfassung, die dem Text vorangestellt ist, wird diese Struktur visuell prominent vermittelt, in dem Haupttext allerdings nicht explizit
10Auch
andere Gesprächspartner bezeichneten die Theologie in Bezug auf ökologische Fragen vor der Enzyklika Laudato Si‘ als defizitär.
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7 Verhandlungen
aufgegriffen. Von mir danach gefragt, bezieht Ramon das strukturierende Verfahren auf eine jesuitische Vorgehensweise, die schon den Exerzitien, wie vom Ordensgründer formuliert, eingeschrieben ist und die alle Jesuiten verinnerlichen und regelmäßig durchleben: Ramon:
So in a sense, we have done this without realizing it. So it is kind of […] an instinctive way of analyzing reality. So, when we first defined the first scheme of the work, we had this. […] the Jesuits were founded by St. Ignatius, so he had a deep spiritual experience that he kept in the spiritual exercises […], this experience, the founding experience of him, and also the founding experience of our spirituality, so, we grow up as Jesuits in this tradition of the these preparatory exercises. [i]t was not a Jesuit who suggested this See – Judge – Act […]. But when we produced the first scheme of the work, the draft, this was kind of an intuition […] to start looking to reality, looking to the regions. Then we have a look at our background, theoretical background. Or, this is judgment. We do a judgment of this writing, what we have just seen, and then, we make some suggestion for the future. […] [The see judge act structure makes] it easier […] to introduce the text. [… F]or Jesuits, [… i]t is easy to understand the structure […] We are used to this […] some of the decrees from the Congregation, they are written in a similar way.
Nach Zusammenfassung, Einleitung und Vision folgt ein Abschnitt, der in der Zusammenfassung mit ‚Sehen‘ überschrieben ist, und im Fließtext mit „Kontext unserer apostolischen Antwort“ betitelt ist. Er stellt globale und regionale Problemlagen basierend auf Debatten in für relevant befundenen Forschungsfeldern dar, wie beispielsweise extreme Unterschiede im Einkommen zwischen Arm und Reich, schnelle Urbanisierung oder zunehmendes Konsumverhalten innerhalb eines ökologisch (teuer) ‚bezahlten‘ Wirtschaftsparadigmas (Álvarez und Ramanathan 2011, S. 10, 18 ff.). Es folgt ein Absatz zum „Verstehen unserer jesuitischen Mission im Kontext der ökologischen Krise“. Die Dokumente der 34. und 35. Generalkongregationen (1993 und 2008) sowie das Dokument We live in a Broken World (Czerny 1999) werden knapp diskutiert, sowie Bibelstellen, die Katholische Soziallehre und die Ignatianische Spritualität mit Blick auf die ‚Sorge‘ für die Schöpfung. Im Anschluss bietet der Text eine Reflektion zu dem Zusammenhang von Versöhnung mit der Schöpfung und Gerechtigkeit sowie interkulturellem Dialog als Teile der jesuitischen Mission sowie – wie auch oben durch einen Informanten skizziert – eine Passage zu Empfehlungen und eine zu konkreten Handlungsvorschlägen. Nach der Formulierung des Textes stellte sich die Gruppe die Aufgabe, um größtmögliche Unterstützung für das Dokument durch den Provinzial zu werben. Gleichzeitig gaben die Experten die Verantwortung für den Text ab und konnten
7.2 Formalisierte Verhandlungen
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nun nur noch eingeschränkt Einfluss nehmen. Die Entscheidung über die Form der Veröffentlichung oblag der Ordensleitung. Ein Teilnehmer der Arbeitsgruppe berichtet: [W]hen we did this Healing a Broken World, […] this is useless unless Nico [the Father General] signs off on it. So we know people don’t read it. The previous one [assumably: We live in a broken world, comment JG] was just put on the shelf […] changed color over time. So, […] we sat down with him and said: “Look, unless this has a letter from you, […] it’s another academic exercise.” […] we gave him the document. This is the Jesuit proceeding. […] We did not know whether we would hear anything from him or not and some people were a little disillusioned by that but I think it was eight months later. It went to the system, whatever that was. And that was wonderfully redeeming.
Die Arbeitsgruppe, die mehr als ein Jahr an dem Text gearbeitet hatte, übergab das Dokument (vgl. auch Walpole 2012, S. 68). Es wurde schließlich mit einem Brief des Generaloberen an alle Provinzen verbreitet, in einige Sprachen übersetzt (die offizielle Sprache war Englisch) und teilweise durch die Provinzen mit einem eigenen ‚Auftritt‘ und Printveröffentlichungen versehen, wie der Sekretariatsleiter für soziale Gerechtigkeit und Ökologie schildert: [I]n the provinces, the approach has been very diverse […]. In some of them, they have translated the text. It is already in four languages but it was already produced in twelve […] languages, from basic French to […] some other people translating into Portuguese or to Korean or to some other languages and it was a way of raising awareness inside our body, inside our apostolic body.
Ein Teilnehmer der Arbeitsgruppe versteht es nicht zuletzt als Anerkennung langjährigen Engagements vieler Jesuiten: [T]he document was published in full with a letter from Fr. General asking all to consider and plan accordingly. It was a great relief, and in a way unexpected. On the one hand, a lifetime of desire and engagement of so many Jesuit people at the edge was critically acknowledged at the centre, and on the other hand, the mission was proclaimed and clearly embarked upon by the institutional Society. (Walpole 2012, S. 68)
Von einem Teilnehmer der Arbeitsgruppe wird der Status im Orden wie folgt beschrieben:
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7 Verhandlungen
[…] another Jesuit, has he read it? He might have flicked through it. He might have picked a few things out of it. But [when] you talk about reconciliation, everybody knows: That’s the document that the General send off on. So, there is a great deal of respect with that, yeah. […] But it takes no authority.
Wie ein anderer ausdrückt, waren mit der Veröffentlichung auch Hoffnungen der Arbeitsgruppe verbunden, die sich nicht unmittelbar erfüllten, auch wenn er, wie er sagt, ‚zufrieden‘ mit dem Dokument ist: I would say today, (laughs) we were a bit naïve at that moment. [… We] expected an immediate impact. [… A]fter a perspective of maybe three years […] we can say that this is starting to move. So it is a lesson […] I understood, […] speed is very slow but at the same time the whole thing is when things reach, they reach. So they come to people, people read, people get involved, so this machinery will start moving. […] I have had very good experiences of people that I did not expect and suddenly, you get a request from them and say: “We are discussing the document. Jesuit universities and the board of the university will have read the document and we want to present something.” Or you have a parish or school in place and say: “Somebody brought the document to us and we are very much surprised. […]” […] People who are doing ordinary things and they say: “Thank you very much because now we feel kind of recognition for our efforts, you know. For many years promoting ecological awareness and today, we can see that the Jesuits, you are taking this seriously and it is not me being a (laughs) funny person doing funny things.” [… T] oday acting, we can say that the document has been well-received, appreciated in many places, giving, I would say, light and support to the efforts. So today, we are much more happy with the document, yes. We had this kind of disappointment. You know, after six months almost nothing happened. We started wondering: Has this been useful or not? But today, I think yes. […] And […] regional differences again […]. So probably Europe is much slower […] than Asia, for example.
Es folgen auch über die Arbeitsgruppe hinaus informelle Verhandlungen beispielsweise dazu, ob eine andere Form der Umsetzung des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung der 35. Generalkongregation durch die Ordensleitung besser gewesen wäre: Friedrich:
Ich weiß, […] in der Diskussion [war …] wir entwickeln ein Programm, Greening the Society, so etwas war eine Idee. […] ich zum Beispiel hatte gehofft, dass es kein solches Dokument gibt, […] wie es das jetzt gibt. Ich hätte mir mehr gewünscht, dass es etwas mehr down to the earth, Praktisches, mehr im Sinne, weniger ein Dokument, eher ein Prozess angestoßen, das wäre mir viel lieber gewesen. [… D]a hatte ich wenig Hoffnung, dass das kommt, aber das hätte ich besser gefunden, als ein Dokument zu schreiben, weil Papier ist geduldig.
7.2 Formalisierte Verhandlungen
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JG:
Also Ihre Hoffnung war ein, ein nach unten übersetzter praktischer Prozess?
Friedrich:
Genau, ja. Dass […] dass sie gesagt hätten, wir beauftragen den Pater General, sozusagen dieses Thema aufzugreifen, und zwar in der Form, dass er versucht eben weltweit ein Reflexionsprozess anzustoßen, und zwar strukturiert, mit Evaluation. Also wie man das alles schreibt, ist egal, die Idee war ein Prozess, der die gesamte Gesellschaft Jesu umfasst, mit verschiedenen Etappen und gut überlegt, was die einzelnen Schritte sind, und mit einer Evaluation dazwischen und nicht ein Büchlein, […] Healing a Broken World, wie viele Leute haben das von uns gelesen, in der Gesellschaft Jesu? Wie viele haben es, nachdem sie es […] gelesen haben, dann später noch einmal ausgepackt? Also, während natürlich so ein Prozess angeregt, und der läuft über acht Jahre, zehn Jahre […]. Das wäre mir eben lieber gewesen.
Der deutsche Jesuit Friedrich bezieht sich auf die Möglichkeiten, die vor der Generalkongregation für die Zeit danach imaginiert wurden. Sowohl die Arbeitsgruppe als auch der formulierte Text sind folglich eine bestimmte, materialisierte, verhandelte Variante der Zukunftsvorstellungen, die vor und mit der Generalkongregation bei einem Teil der Gemeinschaft bestanden. Dieses Wissen zu vergangenen Verhandlungen – aber auch nicht realisierten Vorstellungen der Zukunft – fließt in die Bewertung des von dem Umweltschutzziel angestoßenen Dokuments Healing a Broken World auch über die Arbeitsgruppe hinaus ein. Die Verhandlungen des Ordensziels im Zuge der Formulierung und Verbreitung des Dokuments Healing a Broken World sind explizierte Auseinandersetzungen zu verschiedenen strategischen und inhaltlichen Fragen um das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung. Im Prozess werden Unterschiede der Perspektiven vorausgesetzt und explizit verhandelt. Im Dokument materialisieren sich sowohl umfassend geteilte wie spezifische Wissensbestände. In der Vision werden beide adressiert. Die regionalen Diskussionsteile gehen auf entsprechende Spezifika ein. Im Bereich „Urteilen“ werden geteilte Wissensbestände der Gemeinschaft (Ordensdokumente, katholische Soziallehre, u. a.) herangezogen. Im handlungsbezogenen Abschnitt hingegen sind die Empfehlungen und die konkreten Vorschläge als freiwillige Optionen formuliert. Dies entspricht der zugeschriebenen Funktion, denn der Arbeitsgruppe fällt diesbezüglich keine Autorität zu, etwas von ihren Mitbrüdern einzufordern. Zwischen den beiden Teilen bestehen jedoch Unterschiede: Unter „Empfehlungen“ werden abstrahierte Handlungsfelder vorgeschlagen, von denen angenommen werden kann, dass sie an verschiedensten Orten umgesetzt werden könnten (wie zum Beispiel: das Management ihrer Einrichtungen reformieren, in der Öffentlichkeitsarbeit Bewusstseinsbildung vorantreiben). Jeweils werden organisationale Ebenen
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7 Verhandlungen
für die Umsetzung expliziert. Unter „konkrete Vorschläge“ sind spezifischere Maßnahmen aufgeführt (vgl. Álvarez und Ramanathan 2011, S. 10). Während Ramon beklagt, die Theologie böte wenig Hilfe in Bezug darauf, wie über das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung konsensual geschrieben werden kann, weist die Gruppe gleichzeitig geteiltes Wissen zur Vorgehensweise für die Verhandlungen auf. Die Sinnstruktur des Sehen-Urteil-Handeln – beziehungsweise einer ähnlichen Variante im Fließtext und ‚intuitiv‘ in dessen Organisation – erscheint als ein geteilter Wissensbestand, der dem argumentativen Aufbau des Textes zugrunde liegt. Auch wenn es als üblich für diese Art der Veröffentlichungen gilt, die Form des Dokuments als für die meisten Mitglieder ‚annehmbar‘ zu gestalten, und dies insofern Teil implizit geteilter Wissensbestände ist, wird die Form trotzdem zum Gegenstand der Diskussion. Die Arbeitsgruppe entscheidet vor dem Hintergrund verschiedener Handlungsalternativen, ein Dokument in diesem Format zu erstellen. Damit verbunden sind antizipative Handlungen zur Rezeption des Dokuments sowie Hoffnungen, was durch oder mit dem Dokument in der Ordensgemeinschaft passieren könnte.
Care for Creation in the Daily Life of the Friars Minor und Franciscans and Environmental Justice Im Orden der Minderen Brüder sind auf Grundlage der Entscheidung des Generalkapitels (Mandat 43.2) zwei Veröffentlichungen entstanden, die beide 2011 vom Büro für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung herausgegeben wurden.11 Die Broschüre Care for the Creation in the Daily Life of the Friars Minor leitet zu einem nachhaltigeren Lebensstil an. Das Dokument Franciscans And Environmental Justice: Confronting Environmental Crisis and Social Injustice ist eine Einleitung in franziskanisches Engagement zu Umweltgerechtigkeit. Ich sprach mit zwei Franziskanern, die unmittelbar in den Schreibprozess involviert waren und mit einem, der entfernt involviert war. Darüber hinaus sprach ich mit einem weiteren Franziskaner, der zuvor Leiter des Büros für GFBS war und in dieser Rolle ähnliche Dokumente verfasst hatte. Verfasser sind die Vertreter des Büros für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung mit Unterstützung eines Mitbruders aus der Verwaltung in Rom, der vorher bereits für GFBS auf internationaler Ebene aktiv war. Die Verfasser wurden im Schreibprozess beraten durch die vier Mitglieder
11Das Dokument zu Lebensstiländerungen scheint auch durch ein Treffen des internationalen Rates der GFBS-Koordinatoren der verschiedenen Provinzen angeregt worden zu sein.
7.2 Formalisierte Verhandlungen
315
des Animationskomittees, die jeweils unterschiedliche Weltregionen vertreten. Der Leiter des Büros vermittelt mir im Gespräch, das Dokument sei Ausdruck der Bedeutung, die sie Lebensstilfragen zuwiesen. Es solle als Hilfe für die Ordensbrüder dienen: [W]e think that it is important, the area of our lifestyle, the way that we use resources. And because of that, we worked, we worked to prepare some sort of document that would help the friars in the way that they think about and that they actively pursue a concern for creation.
Gleichzeitig reflektiert er die Schwierigkeit, ein solches Dokument für alle Brüder des Ordens zu verfassen. Von seiner und der nationalen Herkunft seines Kollegen leitet er ab, dass beide mit einer bestimmten Perspektive auf das Thema schauen und es für sie unmöglich ist, universell anwendbaren Rat zu geben. Das folgende Zitat ist ein Teil der Argumentation: [A]t the beginning of every document […] we tell people […] that we have a perspective that we work from, and that they need to understand that, too. That would be impossible for us [the two people working in the office] to be able to write a document that would address everybody’s particular approaches, cultures, et cetera [… W]e tell them, “[…] whatever we send you, it’s free to be able to use. Adapt it, use it however you think it might be most helpful but […] make it appropriate to your own country, to your own region […] to your own culture.”
Im Text zu Lebensstilen lautet diese Einschränkung unter anderem: „[B]e aware that this study could have different applications in different parts of the world“ (JPIC 2011a, S. 7). In diesem Dokument sind vorherige Texte und Beschlüsse der Franziskaner sehr präsent: Noch vor einem Inhaltsverzeichnis werden Passagen der Verfassung des Ordens, eines entscheidenden Dokuments für die Ausbildung der Franziskaner von 2003 sowie die Entscheidung des Generalkapitels zitiert. Auch in der Einleitung wird auf die Entscheidungen des Generalkapitels verwiesen. Die Handlungsoptionen, die im Dokument vorgestellt werden, werden als eine ‚Möglichkeit‘ vorgestellt, die festgelegten Ordensziele zu verfolgen (JPIC 2011a, S. 6). Im Anschluss wird ein Verfahren vorgeschlagen, nach dem erst die ‚fundamentalen Werte franziskanischer Spiritualität‘ reflektiert – hierzu verweist der Text auf andere Veröffentlichungen –, dann die Auswirkungen des Lebensstils in den entsprechenden Feldern untersucht werden sollen, um schließlich ein ‚realistisches‘ und ‚nachhaltiges‘ Programm für Verbesserungen aufzulegen (JPIC 2011a, S. 7). Es folgen neun Themen (Wasser, Energie, Müll, Verpackungen, Papier – Batterien – Gifte, Transport, Essen, fairer Handel und
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Liturgie – Gebet)12, jeweils mit Ausführungen zu denen ökologische Problemen, Handlungsoptionen und Reflektionsfragen für die Gemeinschaft. Am Ende des Dokuments wird auf einige Links zu Umweltmanagement in religiösen Gemeinschaften und Schöpfungsspiritualität in der Liturgie verwiesen. Im April 2010 erscheint die Broschüre in deutscher Übersetzung in der franziskanischen Publikationsreihe Tauwetter unter dem Titel „Die Bewahrung der Schöpfung im täglichen Leben der Minderbrüder“. Das zweite Dokument, welches das Thema Umweltgerechtigkeit behandelt, beginnt mit einem Verweis auf das Generalkapitel: The OFM General Chapters of 2003 and 2009 encouraged friars to be aware of and involved in environmental issues. This document is intended to help friars throughout the world reflect on the environmental crisis we are all facing, and to invite them to become active in addressing the problems that afflict all of us, especially the poor. (JPIC 2011b)
Als „Motivation“ für das Thema wird die Nachricht John Pauls II des Weltfriedenstags von 1990 herangezogen, der Sonnengesang des Heiligen Franziskus sowie das Generalkapitel. Es folgt die Diskussion einer ‚neuen Ethik für eine globalisierte Welt‘, in der Menschen zunehmend voneinander abhängig sind, und ein Abschnitt zum Konzept der Umweltgerechtigkeit. In beiden Textpassagen wird auf säkulare und auf religiöse Texte verwiesen, im Abschnitt zu Umweltgerechtigkeit mit einigen Bezügen zu päpstlichen Positionen. Es folgen vier Erfahrungsberichte aus unterschiedlichen Regionen der Welt. Sie werden als Einladung zur Reflektion der eigenen Situation und Aufgaben eingeführt: They will hopefully invite all of us to reflect on the concrete reality of our own lives and ministries, and on the need to address the problems that affect our brothers and sisters and the environment. (JPIC 2011b, S. 8)
Die Berichte fokussieren Rohstoffabbau in Indonesien, Armut und Umweltzerstörung in Afrika, ökologische und soziale Probleme im Amazonas-Gebiet
12Laut
des Leiter des Büros für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ist das Thema des Gebets allerdings qualitativ zu unterscheiden als kein direkter Anwendungsbereich: „Prayer is not a concrete application of the […] of the issues involved with […]. We pray for them and that’s fine. And we’re proposing that to everybody but it’s not a practical application of ecological principles. Prayer should be involved in all the different elements of what we talk about.”
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und die Folgen des Hurrikan Katrina in New Orleans. Sie sind von unterschiedlichen Autor*innen verfasst, außer dem letztgenannten alle Mitglieder des Ordens der Minderen Brüder. Der Text endet mit dem erneuten Hinweis auf regionale Differenzen sowie einer Einladung, sich lokal einzubringen und zu vernetzen: These experiences are an invitation to all of us. In our own corner of the planet we too must take the time to study the reality of the world around us, to know the people involved and their problems, to feel the suffering of the earth and how it is related to the suffering of the people. […]. And once we uncover these problems, we also need to discover those individuals and organizations that struggle to address these situations, and join with them to promote a better world. We can begin by discussing in our friaries and in our ministries the following questions: • What are the principal environmental problems of our region? Who benefits from them? • How do these problems affect the lives of the people of the region? • What groups work to address these problems? • How might we become involved in addressing problems of environmental justice in our region?
Ein deutscher Franziskaner, der in verschiedenen Funktionen auch international zu GFBS engagiert ist und für den ich eine aktivistische Interpretation mit starkem Bezug zu sozialen Fragestellungen rekonstruieren konnte, abstrahiert, viele Texte, die im Animationskomittee oder durch das Büro für GFBS verfasst würden, hätten über die Themen hinweg meist eine ähnliche Struktur und seien mit ähnlichen Schwierigkeiten verbunden: Okay, also das sind die Beschlüsse. So, und ein Beispiel war jetzt zu dem Ressourcenverbrauch, war dann zum Beispiel diese zwei Dokumente, die dann erstellt wurden […]. Nämlich Care [for] Creation, um es mal ganz praktisch zu machen, und Umweltgerechtigkeit, um eben auch mal das Soziale mit reinzunehmen. Die zu erstellen, unter die Brüder zu bringen und zu eigenen Projekten vor Ort zu animieren. […] es hat immer dieselbe Struktur […] und das kann man dann weltweit benutzen, wobei [… man da auch] gucken muss: Was passt kulturell […]? Man kann nicht alle Übungen überall machen. Das geht nicht. Also, in Asien sieht manches ganz anders aus als hier […]. Das ist dann ein bisschen schwierig.
Ähnlich dem jesuitischen Dokument werden die franziskanischen Dokumente nicht nur positiv betrachtet, sondern der zitierte Franziskaner problematisiert sie hinsichtlich verschiedener Aspekte, zum Beispiel zu wenig differenzierter Darstellungen:
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7 Verhandlungen
Das ist das Problem von solchen römischen (hervorhebende Betonung) Dokumenten. Also, da war mal vom Generalkapitel die Auflage: „Da müssen Materialien mal zu diesem Thema erstellt werden. Macht das doch mal.“ Dann macht das Büro für Gerechtigkeit und Frieden, Bewahrung der Schöpfung in Rom [das mit dem Animationskomitee … W]ir treffen uns auch zwei, drei, zwei Mal im Jahr und sonst läuft das über Mail. Dann wird da so was zusammen erstellt. Ich finde es immer sehr mühsam, weil genau das das Problem ist. Das ist ganz schwierig, da etwas für die ganze, weite Welt zu machen, zumal, wenn die meisten von uns ja keine Fachleute für solche Fragen sind, ne. Gut, dann hat man […] Schwestern und Brüder, die da so ein bisschen was zu sagen können und die erstellen dann [was und man muss …] gucken, dass es einigermaßen konkret ist und einigermaßen verständlich für alle. Ganz viel bricht sich dann noch mal in den Übersetzungen. […] [D]ann ist es in dem Dokument nicht auch, wo […] über Kunststoffflaschen allgemein gesagt wird, also, ‚ist ja immer böse‘, was wir […] in Deutschland noch mal ein bisschen differenzierter sehen würden, weil wir andere Recycling-Möglichkeiten […] haben. [… W]enn man über ökologischen Fußabdruck nachdenkt und Ökobilanz so und Energieaufwand pro Flasche, dann wird das alles schwierig. So, das ist eine lange Diskussion. [… Der] wird so ein Dokument nicht gerecht und da müsste man ein bisschen differenzieren.
Besonders fokussiert am Beispiel der Kritik an Plastikflaschen problematisiert der in Formulierungsprozessen beteiligte Franziskaner die mangelnde Differenzierung von Dokumenten, die vom Büro für GFBS und dem Animationskomitee erstellt werden. Dies liege einerseits an den zugrundeliegenden Themen, die in verschiedenen Kontexten unterschiedlich behandelt werden müssten. Darüber hinaus wiesen die Zuständigen des Ordens aber auch nicht die nötige Fachexpertise auf (vgl. 6.1.4), wobei gleichzeitig Verständlichkeit und Präzision beziehungsweise ‚Konkretheit‘ (vermutlich gemeint: der Handlungsvorschläge) beachtet werden müssen. In Übersetzungen geht oft weitere Qualität der Texte verloren. Implizit ergibt sich aus der Gesamtpassage ein Infrage-Stellen der Sinnhaftigkeit des Verfahrens, durch die Generalkapitel angestoßene Materialien zu erstellen. In einer anderen Gesprächspassage hinterfragt der Franziskaner die Effektivität der Dokumente: [I]ch glaube auch da gilt letztlich, […] je konkreter je besser. [… U]nd (kurze Pause) ja, das ist ja ganz schön, Dinge abstrakt zu beschreiben […] aber wenn […] der Umsetzungsschritt fehlt, versandet es einfach, ja. Von daher gibt es natürlich […] Papiere oder Beschlüsse. Die Frage ist immer, wie sie tatsächlich durchsickern bis, bis zur Basis, ne. Ich meine, jetzt gerade aktuell ist […], im November vor 35 Jahren hat […] Johannes Paul II [Franziskus als Patron des Umweltschutzes] ernannt […], eine Gelegenheit, darauf hinzuweisen: Wir haben eigentlich […] an oberster Stelle Franziskus da stehen. Und (kurze Pause) da gibt es auch einige
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Materialien ja und extra Homepage […]. Aber […] die Schwierigkeit ist tatsächlich immer, dass so zu transportieren, dass es auch als Anregung dient, aktiv zu werden und so ist es uns […] wichtig geworden, dass wir zum Beispiel bei den Grundlagenseminaren immer so als vorletzten oder letzten Schritt [… zu integrieren] was kann ich denn wirklich effektiv tun und was ist denn mein erster oder vielleicht auch mein zweiter Schritt, damit es nicht folgenlos bleibt, sondern tatsächlich auch eine Umsetzung findet.
Der Analyse der Schwierigkeit von Glokalisierung anhand der Dokumente des Büros für GFBS schließt sich folglich eine lokal angepasste Handlungsimplikation an:13 Die Problemdiagnose, die Papiere erreichten oft keine lokale Umsetzung und die Nutzung in der lokalisierten Animationsarbeit sei schwierig, regte ‚sie‘ (vermutlich: die Provinzgruppe zu GFBS als Organisatoren der Grundlagenseminare) dazu an, in die Grundlagenseminare als wichtigen Tagesordnungspunkt aufzunehmen, konkrete Schritte der Umsetzung zu besprechen. Beide hier diskutierten franziskanischen Texte schlagen ein spezifisches Reflektionsverfahren vor, wobei diese sich von dem oben diskutierten Sehen – Urteilen – Handeln unterscheiden.14 Das Verfahren Sehen – Urteilen – Handeln ist nichtsdestotrotz relevant. Der deutsche Franziskaner beschreibt es als Grundlage von Plänen, wobei diese in der deutschen Provinz (vermutlich in Bezug auf GFBS) oft nicht eingehalten würden. [I]nternational nehme ich das auch so wahr […], dass relativ schnell die Empfehlung [… erfolgt]: „Und lasst uns jetzt miteinander, eben meistens erst mal dieser Dreischritt ‚sehen, urteilen, handeln‘, so, ne. Lasst uns erst mal genau gucken, wie ist das Verhalten in dem und dem und dem Bereich, so.“ Dann: „Jetzt lasst uns mal Ziele formulieren, also, uns schlau machen und dann Ziele formulieren. Was […] ist machbar und was wollen wir auch und was müssen wir dabei bedenken?“ So, und dann […] Handeln und dann muss ein Plan gemacht werden. […] wir […] in der Provinz […], das kriegen wir gar nicht immer so hin mit jetzt noch Plan […]. Wir haben auch Provinzkapitelsbeschlüsse, die in diese Richtung gehen, und dann fällt einem manchmal […] eine [ganz andere] Frage vor die Füße und dann muss man [dieser nachgehen].
13Im
Vokabular der dokumentarischen Methode würde dies wie folgt ausgedrückt: Es zeigen sich in der Passage handlungsleitende Orientierungsgehalte. Die Textpassage wurde allerdings nicht mit der dokumentarischen Methode analysiert, da das Gespräch als exploratives Experteninterview dafür weniger gut geeignet ist als andere Gespräche. 14Andere Texte, die durch Franziskaner als Hauptautoren verfasst wurden, weisen allerdings diese Struktur auf.
320
7 Verhandlungen
Diese Passage illustriert eine Kritik des Verfahrens Sehen – Urteilen – Handeln als Teil der franziskanischen Praxis im Zuge des Schrittes ‚Handeln‘, Pläne beziehungsweise Texte zu generieren, die später kaum umgesetzt werden (können).
Diskussion: Handreichungen zur Zielverwirklichung In diesem Abschnitt diskutiere ich vergleichend die Verhandlungen der Dokumente in beiden Ordensgemeinschaften. Die diskutierten Dokumente ‚globaler Dimension‘ der Gesellschaft Jesu und des Ordens der Minderen Brüder unterscheiden sich in vielen Aspekten, darunter die zugeschriebene Bedeutung von Seiten der Verfasser, der besondere beziehungsweise übliche Charakter ihrer Entstehung und Veröffentlichung sowie die Dichte und Ausführlichkeit der wissenschaftlichen und theologischen Diskussion, die im jesuitischen Dokument umfassender ausfällt, während im franziskanischen Dokument Care for Creation die handlungspraktischen Anweisungen zu einer Veränderung des Lebensstils überwiegen. Gleichzeitig lassen sich Ähnlichkeiten im Vorgehen und in der reflektierenden Problematisierung durch die beteiligten Akteure erkennen: Ausgehend von den globalen Beschlüssen in den höchsten Ordensversammlungen wird die Aufgabe, die Umsetzung zu forcieren, an die Leitung des Gesamtordens delegiert beziehungsweise an die angegliederten Einrichtungen, die im Schwerpunkt für Fragen sozialer Gerechtigkeit zuständig sind. Im Orden der Minderen Brüder heißt diese Stelle bereits Büro für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, in der Gesellschaft Jesu wird dem Sekretariat für soziale Gerechtigkeit der Zusatz und Ökologie verliehen. In der Gesellschaft Jesu wird darüber hinaus das Sekretariat für Höhere Bildung einbezogen, welches in den Erzählungen jedoch bezüglich des Dokuments weniger aktiv erscheint. Die Koordinationsstellen beider Orden sitzen in Rom und sind mit wenigen (2–3) Personen besetzt. Sie konsultieren zur Formulierung der diskutierten Dokumente Experten unterschiedlicher Weltregionen. Diese Experten sind überwiegend Ordensmitglieder, mit Ausnahme einer Professorin aus den USA, die Teil der jesuitischen Arbeitsgruppe ist. Im erweiterten Konsultationskreis zu Healing a Broken World sind einige Laien vertreten. Weder den involvierten Personen in ihrer Funktion in den Koordinationsstellen noch den Texten wird Weisungsbefugnis zugeschrieben; es geht mit ihnen keinerlei handlungsweisende Autorität einher. Diese wird im jesuitischen Fall in begrenzter Form durch das begleitende Schreiben des Provinzials hergestellt.
7.2 Formalisierte Verhandlungen
321
Während die Mitglieder des Ordens das Dokument wahrnehmen sollen, werden jedoch keine Aktivitäten angeordnet oder Umsetzung überprüft. Alle Texte sind Kombinationen ordensspezifischer, katholischer und säkular-öffentlicher Wissensbestände. In allen drei Dokumenten dienen die geteilten Wissensbestände, katholisch wie ordensspezifisch, der fundamentalen Begründung des Engagements zu identifizierten Missständen – die wiederum unter Verwendung gemeinschafts-externer (säkularer) Wissensbestände diskutiert und dargestellt werden. Gleichzeitig werden katholische wie ordensspezifische Maßstäbe als Bewertungsgrundlage zum Ziel transformatorischen Handelns vorgeschlagen, diesbezüglich in Kombination mit anderen Bewertungsmaßstäben wie der Verhinderung konkreter Umweltschäden. In den Dokumenten materialisieren sich Vorstellungen der Verfasser dazu, wie zur Verwirklichung der Ziele angeregt und die Ziele in der Gemeinschaft angewendet werden können. Vermittelt wird, dass die Umsetzung der Ziele lokaler beziehungsweise regionaler Übersetzungsarbeit durch die Mitglieder der Gemeinschaft bedarf. Besonders die Dokumente Healing a Broken World und Environmental Justice greifen regional differenzierte Wissensbestände in der Darstellung auf. Lesende erhalten den Eindruck unterschiedlicher ökologischer und sozialer Herausforderungen in verschiedenen Regionen der Welt. Alle drei Dokumente präsentieren den Lesenden Anregungen und Verfahrensvorschläge dazu, wie Reflektion und zielbezogene Umsetzung forciert und durchgeführt werden können, um die jeweiligen lokalen Herausforderungen in der Rahmung des globalen Problems ‚kranke, gebrochene Welt‘ (SJ) oder ‚ungerechte‘ beziehungsweise ‚nicht behütete Welt‘ (OFM) zu erkennen und ihnen zu begegnen. Damit geht die Anerkennung eingeschränkter Anwendbarkeit der konkreten Empfehlungen in den Texten einher. Insofern finden sich in allen drei Dokumenten Kompetenzübertragung an die Lesenden, wobei die imaginierten Akteurskategorien variieren: Adressiert werden Einzelpersonen und lokale Gemeinschaften ebenso wie Konferenzen und Provinzen (die zwei letztgenannten im jesuitischen Dokument). Mit unterschiedlichen Funktionen wird sich auf das Verfahren Sehen – Urteilen – Handeln bezogen: Im jesuitischen Dokument strukturiert das Verfahren die Argumentation der Veröffentlichung explizit, wird als ein Mittel der verständlichen Darstellung verwendet, und mir darüber hinaus als ‚verinnerlichtes‘ Verfahren vermittelt. In den hier diskutierten franziskanischen Texten wird es nicht explizit aufgegriffen. Von einem Franziskaner wird es aber als übliches Verfahren
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7 Verhandlungen
internationaler Arbeitsgruppen beschrieben. Im Zuge des Schrittes ‚Handeln‘ generiert das Verfahren Texte.15 Mitglieder beider Orden thematisieren die Schwierigkeit konkreter Handlungsimplikationen für unterschiedliche Weltregionen. Die Exemplifizierungen entlang der Frage, ob von Plastikflaschen abgeraten werden soll oder nicht, zeigt, dass auch die ‚globalen‘ Ordensdokumente in Kontexten spezifischer lokaler Wissensbestände erstellt werden. Im Folgenden wird das Problem um Plastikflaschen als italienisches Thema von einem Mitglied der franziskanischen Familie kritisiert, welches mehrere Jahre in Rom lebte: Wenn es zum Beispiel um die elende Frage von Wasser in Plastikflaschen geht, das ist in Italien ein riesen Thema, weil da jede Menge Wasser, Mineralwasser für den tagtäglichen Gebrauch also wirklich in Plastikflaschen angeliefert wird und die dann weggeschmissen werden. […] Also, ich finde auch, dass diese ganze Mineralwassergeschichte auch in Deutschland problematisch ist, aber […] wegen der Transportgeschichte, ja. Also, ich kriege mein Wasser aus dem Wasserhahn und da muss kein LKW durch die Gegend fahren. (Hervorhebung in fett durch JG)
Die Dokumente in beiden Ordensgemeinschaften sind nicht zuletzt dadurch mit-geprägt, dass sie in Rom entstehen und unter Beteiligung von Ordens leuten, die in Rom leben. Vertreter unterschiedlicher Weltregionen, die an den Formulierungen dieser Dokumente mitwirken, teilen die Erfahrung, ihre lokalisierten Wissensbestände zu den italienischen beziehungsweise römischen in Bezug zu setzen. Schließlich werden die Dokumente beider Orden aus dem Kreis der konsultierten Ordensleute kritisiert, nicht die angemessene Form zu sein, um
15In
Dokumenten zu verwandten Themen, deren Zielsetzung den hier diskutierten ähnlich sind und an denen Franziskaner maßgeblich mitgearbeitet haben, konnte ich die Struktur ebenfalls explizit finden. Ein Zitat aus einer Fokusgruppendiskussion mit philippinischen Jesuiten in Ausbildung verweist außerdem darauf, dass die theologische Ausbildung verschiedene Verfahren der Bewertung vermittelt, die in dieser Arbeit nicht eingehender untersucht werden, sofern sie nicht im Material im Zusammenhang mit den Umweltschutzzielen identifiziert werden. So stellt der Teilnehmende zu den vor ihm liegenden Stapeln von Assoziationskarten zum Thema Versöhnung mit der Schöpfung fest, die die Gruppe zuvor entsprechend angeordnet hatte: “[Like] the one that we are always taught in B1 [course], like in B1 the praxis cycle, the reality, social reflection, scripture of passage and then discerned action.” Er konstatiert, die Ordnung entspräche dem Praxiszyklus als einem theologischen Reflektionsverfahren, das ihnen innerhalb der jesuitischen Ausbildung vermittelt wurde. Dieses spezifische Verfahren, welches in den Grundzügen dem des Sehen-Urteilen-Handelns ähnelt, findet sich im Material ansonsten nicht wieder.
7.2 Formalisierte Verhandlungen
323
Wandel in der Gemeinschaft weltweit zielführend anzustoßen. Es gibt darüber hinaus für beide Ordensgemeinschaften mehrere Hinweise darauf, dass Vertreter der globalen Koordinierungsstellen Übersetzungen der Texte so interpretieren, dass im Orden ‚etwas mit den Dokumenten passiert‘ beziehungsweise darauf, dass Übersetzungen eine übliche Anerkennungspraxis auf Provinzebene oder durch Einzelpersonen sind.16 Mit den Übersetzungen geht jedoch noch nicht ihre Übersetzung auf lokale Praxis in den Gemeinschaften im intendierten Sinne einher. Darüber haben die Koordinierungsstellen sehr wenig Wissen (vgl. 6.2.5).
7.2.3 Verhandlung in einer regionalen Umweltgruppe Bei einem regionalen Treffen von Mitgliedern verschiedenster Ordensgemeinschaften konnte ich beobachten, wie sich die Gruppe während des Treffens ad-hoc auf eine Interpretation verständigte. Ich nahm an der Jahrestagung des Ökumenischen Umweltforums für OrdenschristInnen 2014 beobachtend teil. Während des regulären Programms des Forums entwickelte der Kreis der Teilnehmenden bei einem Tagesordnungspunkt eine anthropozentrische Interpretation des Begriffes „Umwelt“ und beschäftigten sich mit Fragen des sozialen Zusammenlebens. Das Ökumenische Umweltforum für OrdenschristInnen ist ein loser Zusammenschluss umweltinteressierter Ordensleute aus den Regionen Bayern und Franken. 2014 lud das Forum zu einer Tagung zu dem Thema „Umwelt“ als Chance für alternde Konvente? ein. Die Organisation wurde überwiegend übernommen durch den Bischöflichen Beauftragten für Fragen der Kirche und Umwelt der Erzdiözese München und Freising und damit einem Vertreter der verfassten Kirche. Teilnehmer*innen waren Ordensleute (darunter mehrheitlich Ordensschwestern einschließlich einiger Vertreterinnen franziskanischer Schwesterngemeinschaften) und Mitarbeitende aus Einrichtungen, die von Ordensgemeinschaften betrieben wurden. Hintergrund für das Thema des jährlich stattfindenden Treffens war den Veranstaltern zufolge das im Vorjahr bekundete Interesse der Akteur*innen des Umweltforums, sich über alternde Konvente
16Vom
Leiter des franziskanischen Büros für GFBS werden Übersetzungen beispielsweise auf die Frage hin angesprochen, welche Gemeinschaften mit dem Dokument Care for Creation arbeiten: „I know of people using it. It was translated into some other languages, you know, so, because we do it in three official languages, and then we try to encourage others to, you know, translate it into their own language.”
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7 Verhandlungen
auszutauschen, da „Veränderungs- und Umbruchprozesse, die viele Konvente, Klöster und Gemeinschaften beschäftigen, auch am Umweltforum nicht spurlos vorüber gehen“ (Zitat Einladungsflyer zur Tagung). Ich wurde von einem Benediktiner aus der Region auf den Zusammenschluss und die Tagung aufmerksam gemacht, mit dem ich in der explorativen Phase des Forschungsprojektes ein Gespräch geführt hatte. Neben Programmpunkten wie Führungen vor Ort und Berichten der Teilnehmenden aus ihren Einrichtungen hielt der Jesuit Karl als Studienteil einen Impulsvortrag. Karl hatte viele Jahre ein Exertitienhaus geleitet. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war er innerhalb der deutschen Provinz der Gesellschaft Jesu von der Provinzleitung bestellt, die Angelegenheiten der Senioren im Orden der Provinzleitung gegenüber zu vertreten und sich ihnen in besonderem Maße anzunehmen. Seiner Darstellung während der Veranstaltung und im Einzelgespräch folgend ist Karl kein Experte für Umweltfragen im ökologisch-naturbezogenen Sinne. In der Konzeption der Veranstaltung mit Karl als Experte des entsprechenden Tagesordnungspunktes manifestierte sich bereits eine Verknüpfung von Karls Kompetenz in sozialen Fragen einerseits und Umwelt andererseits, da letzteres Kernthema des Umweltforums ist. Im Folgenden werde ich den Verlauf des Tagesordnungspunktes kurz schildern, bevor ich auf die Sequenz genauer eingehe, in der sich die Teilnehmenden auf einen anthropozentrischen Schöpfungsbegriff verständigen. Zu Beginn stellt der Bischöfliche Beauftragte für Fragen der Kirche und Umwelt der Erzdiözese München und Freising, der die Rolle des Moderators übernimmt, den Jesuiten Karl als jemanden vor, der kompetent in Bezug auf alternde Ordensgemeinschaften ist, in der eigenen Ordensprovinz viel herumreist und der der erste Jesuit ist, der an einem Umweltforum teilnimmt. Über diese Vorstellung hinaus spricht er über Planungen des jesuitischen Bergmannskollegs, ein Umweltmanagementsystem einzuführen. Karl beginnt seinen Vortrag mit einer kurzen Vorstellung seines Lebenswegs, bevor er in wenigen Minuten seinen Eindruck zum Thema Umwelt innerhalb der Gesellschaft Jesu in der deutschen Provinz skizziert. Es werde innerhalb jesuitischer, akademischer Einrichtungen verknüpft mit dem Thema der Gerechtigkeit behandelt. In den Kommunitäten sei das Engagement überwiegend „nicht so Ordenslinie auf Ökologie“, sondern es gäbe individualisierte Bemühungen, wobei eine Ausnahme die übergreifende Einführung von Kommunitätsautos darstelle. Die Beispiele von Bemühungen beziehen sich auf Fragen von Konsum und Lebensstil innerhalb der Kommunitäten und in jesuitischen Einrichtungen einschließlich gebäudetechnischen Aspekten wie Energie- und Wasserverbrauch. Es zeigt sich in dieser Passage eine tendenziell
7.2 Formalisierte Verhandlungen
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interne Handlungsorientierung innerhalb des Erfahrungsraumes der Kommunität und jesuitischen Einrichtungen, ohne dass Karl jedoch Veränderungswillen im Sinne der aktivistischen Interpretation ausdrückt. Ebenso wie der Moderator zuvor nutzt Karl zu diesem Zeitpunkt einen ökologischen Umweltbegriff. Nach der Skizze des jesuitischen Engagements zum Thema Umwelt wendet Karl sich in rund 45 Minuten entlang verschiedener Phasen, die Senioren innerhalb und außerhalb von Ordensgemeinschaften durchleben, dem Thema des Alterns im Orden zu. Er spricht beispielsweise über die Herausforderung, Verantwortung abzugeben, sich selbst vor diesem Hintergrund neu zu definieren, die verbleibende Zeit als Geschenk zu betrachten und über Bedürfnisse im höheren Alter wie Geborgenheit und Rituale. Dabei adressiert er auch die Aufgaben der Gemeinschaft, beispielsweise die Einrichtung spezifischer Orte für Senioren oder die Entscheidung über lebenserhaltende Maßnahmen. Er beschreibt die Altersund Wohnstruktur der deutschen Provinz der Gesellschaft Jesu. Im Anschluss an den Vortrag leitet der Moderator die Diskussion ein. Er habe sich Stichpunkte aufgeschrieben, bei denen vielleicht auch dieses Umweltthema ganz gut andockbar wäre ohne dass das jetzt zwanghaft geschehen soll, aber in diesem Problem neue Ausrichtung, also, wenn es in die Altersphase geht, dann die Stationen des Rückzugs aus der bisherigen Verantwortung, was ja vielleicht auch bedeutet: neue Verantwortlichkeiten, jetzt nicht im formalen Sinn, aber inhaltlich.
Darüber hinaus spricht er „diese Spannung des Älter Werdens [an] als individuelle Erfahrung aber eben auch als Aufgabe für eine Gemeinschaft, Rahmenbedingungen zu definieren“. Es folgen fünfzehn Minuten, innerhalb derer die Teilnehmenden verschiedene Fragen zum Umgang mit dementen Ordensleuten stellen oder zu anderen sozialen Herausforderungen mit alten Ordensleuten innerhalb der Gemeinschaft. Danach setze ich den Impuls, sich dem Thema Umwelt zuzuwenden. Anknüpfend an die Einleitung der Diskussion durch den Moderator (siehe Zitat oben) frage ich danach, inwieweit und für welche Menschen umweltbezogene Aufgaben Teil der Phase des aktiven Alterns sind. Karl weist die Frage ab. Er sei dafür „schlichtweg nicht Ansprechpartner“. Er verweist auf seine Ausführungen zu Beginn seines Vortrages und stellt eine Antithese auf – nämlich, dass die Frage von ihm nicht beantwortet werden könne, da es keine „Sendung der Kommunitäten“ zu Umweltthemen gebe, wobei die entsprechende Proposition (es gibt eine Sendung) von mir nicht formuliert wurde. Daraufhin öffnet der Moderator die Frage für weitere Teilnehmende. Es entsteht erstmalig nach dem Vortrag eine Diskussion zwischen Mehreren; die Frage-Antwort-Struktur wird aufgehoben.
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7 Verhandlungen
Ein Benediktiner, der in der Runde zu den Jüngeren gehört und innerhalb seiner Ordensgemeinschaft ein leitendes Amt ausfüllt, geht zuerst nicht auf die bestehende Proposition eines Zusammenhangs des Themas Altern und des Themas Umwelt ein, sondern stellt eine neue Proposition auf: Es müsste auch in den Blick genommen werden, dass jüngere Mitbrüder […] Bedürfnisse haben, die im Kontext alternder Konvente ebenso berücksichtigt werden müssen. Karl stimmt dieser Proposition zu. Es folgt ein Rückgriff auf die offene Frage von Senioren und auf Umwelt bezogenen Aufgaben. Im Sinne einer Transposition löst der Benediktiner die Divergenz des Diskussionsverlaufs zugunsten einer harmonisierenden Konklusion auf: […V]ielleicht noch einen Absatz zu den Kommunitäten. Da finde ich es ganz spannend, dass wir [… über diesen] Umweltaspekt […] sprechen, weil, das BETRIFFT ja die Umwelt ganz, ganz massiv. Wie LEBEN wir denn miteinander? Wenn […] wir nicht gut in der Gemeinschaft miteinander umgehen, wie sollen wir dann gut mit der Umwelt umgehen? Das geht schlecht [… am Ende], ne? (zustimmendes Summen mindestens eines Mannes im Saal) Also, meine nächste Umwelt, meine nächste Mitwelt sind ja meine Mitbrüder. Und nicht, (.) der, die Nachkommen, die Bäume.
Nach einem kurzen antithetischen Einschub einer weiteren Teilnehmerin zu den Bedürfnissen Jüngerer differenziert der Moderator die Verknüpfung der Themen. Ein solcher „Perspektivwechsel“ sei „ja tatsächlich“ in der Umweltarbeit üblich: Ich finde diesen Perspektivwechsel gerade sehr spannend, weil das ist ja tatsächlich etwas, was wir in der Umweltarbeit immer wieder erleben, dass wir die Vielfalt der Perspektiven in den Blick nehmen müssen und eben nicht nur zum Beispiel unsere menschliche Perspektive auf das haben dürfen, was uns umgibt, sondern auch schauen müssen, was macht das mit dem Ökosystem als Ganzes zum Beispiel? Das Ökosystem als Ganzes übertrage ich jetzt einfach mal auf das Ökosystem Kloster. Das ist ja ganz wichtig, dass es auch den jüngeren Brüdern […] gut geht, damit eben dann da das gemeinschaftliche Leben °gelingt°. (..) Also, von daher ist es schon wieder eine sehr ökologische Fragestellung. (lange Pause)
Mit dem Begriff des „Ökosystem Kloster“ wird die Verbindung zwischen Umwelt und (alternden) Ordensgemeinschaften auch metaphorisch vollständig vollzogen. Der Moderator validiert damit die zuvor entwickelte Transposition durch den Benediktiner. In den folgenden zehn Minuten wird das Thema Altern erneut ausführlich diskutiert, ohne dass ein Umweltbezug – ökologisch oder sozial-anthropozentrisch – expliziert wird. Vor Ende des Tagesordnungspunktes greift eine Schwester die
7.2 Formalisierte Verhandlungen
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Frage auf, „inwieweit das [Altern im Orden] zum Thema Umwelt eigentlich einen Bezug hat“. Sie schlägt erweiternd zur bestehenden Konklusion vor, die Wahrnehmung, „dass Gott mich trägt“, welche zuvor als Herausforderung im Alter bezeichnet wurde, müsse sich auf die Umwelt auswirken. Ihre Proposition bleibt ungenau, und wird in Gruppe nicht weiter elaboriert oder differenziert. Karl geht in seiner Reaktion […] nur auf den Aspekt des in Gott geborgen Fühlens, nicht auf den Zusammenhangs mit Umwelt ein. Der Moderator beendet im Anschluss den Diskussionsteil, da es keine weiteren Wortmeldungen gibt. Abschließend die Diskussion reflektierend greift er auf die entwickelte Transposition zurück. Moderator:
Was wir jetzt erlebt haben, (..) war eine Ausweitung oder eine Neubestimmung unseres bisherigen Verständnisses des Begriffs von Umwelt. (…) (zustimmendes Summen im Saal) Die durchaus auf der erftlichen [sic?] Linie liegt, wenn ich das jetzt bemerken darf (Lachen). NEIN, Papst Benedikt war das EXTREM wichtig. Der hat […] in Bezug auf Umwelt auch diese sogenannte authentische Humanökologie verstanden. (.) Ja? Also die Frage: Wie gehen wir als Mitmenschen mit unseren Mitmenschen um. (…) [I]nsofern […] hat es durchaus seinen Platz, dass wir uns
Teilnehmende:
L Genau. Mhm. (darüber hinaus etwas Unruhe, aber eher zustimmend)
Moderator:
mal darüber ausgetauscht haben, wie wir in unseren Konventen und Kommunitäten zusammenleben, (.) vielleicht auch in Zukunft zusammenleben (.) WOLLEN, KÖNNEN. Und dieses Thema verhandeln auf einem ökumenischen Umweltforum. (.) Ich danke Ihnen allen herzlich für die offene Diskussion, vielen Dank Ihnen (zu Karl) für’s Kommen, für Ihren Impuls.
Der Moderator stellt damit erneut den Bezug zur geschilderten Situation her, wobei er eine Spannung bei dem Thema des Programmpunktes als Thema des Umweltforums hier deutlicher ausdrückt als zuvor. Dabei verallgemeinert er den Fokus der ‚alternden Konvente‘ zu der umfassenderen Thematik des Zusammenlebens in Gemeinschaften. Unsicher ist er darüber, ob die neue Interpretation des Umweltbegriffes als eine „Ausweitung oder eine Neubestimmung“ zu bezeichnen ist. Den Versuch, die Auslegung auch in die katholische Soziallehre einzubetten, unterbricht das Plenum durch abruptes Lachen. Er erhält letztlich aber eine geteilte Zustimmung für seine Reflektion. Gleichzeitig deutet die Verwendung von „mal“ (vgl. auch Zitat oben „einfach mal“) durch den Moderator darauf hin, dass der anthropozentrische Schwerpunkt bei einem Treffen des Umweltforums als situative Anpassung verstanden wird, die in anderen Situationen und den Treffen in den kommenden Jahren nicht zwangsläufig fortgeführt wird.
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7 Verhandlungen
Während des Tagesordnungspunktes teilen die Ordensleute den Wunsch, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die im Zuge alternder Konvente entstehen. Besonders durch meinen Eingriff, nämlich der Frage nach einem Umweltbezug, und durch die Antwort des Jesuiten wurde situativ eine problematische Spannung hervorgerufen: Ein Zusammenhang des Themas Altern mit dem dem Forum genuin eingeschriebenen Thema Umwelt wurde erst negiert und dann durch den Moderator transferiert zu einer Frage, die vorerst unbeantwortet blieb. Durch das Angebot des Benediktiners, den Umweltbegriff auf soziales Zusammenleben auszuweiten, wurde die Spannung aufgelöst. Er erhielt von Moderator und Teilnehmenden ‚dankbare‘ Zustimmung. Die Diskussion konnte sich wieder dem Thema des Alterns widmen. Es lässt sich konstatieren, dass der Umweltbegriff den empfundenen Problemlagen, die die Teilnehmenden besprechen wollten, funktional angepasst wurde. Während der Diskussion nimmt der Jesuit Karl nicht explizit eine anthropozentrische Interpretation an. Inwiefern ‚gilt‘ die situative Auslegung auch für den Jesuiten Karl? Karl widerspricht der kollektiv entwickelten Verbindung der Themen nicht. In dieser Situation hält er aber an einem ökologischen Umweltbegriff insofern fest, als er auf die Frage der Interviewerin wie auch der Ordensschwester gegen Ende der Diskussion keine der anthropozentrischen Auslegung entsprechende Antwort gibt und selbst nicht an der Ausgestaltung der Begriffsbestimmung teilnimmt. Im Einzelgespräch entwirft er hingegen selbst eben diese ausgeweitete Begriffsbestimmung wie im Kapitel zu Interpretationen beschrieben. Ordensziele, aber auch die damit verknüpften säkularen Begriffe wie ‚Umwelt‘ sind potentiell deutungsoffen. Wie die Analyse der teilnehmenden Beobachtung der Jahrestagung des Umweltforums zeigt, können Begriffe wie Schöpfung oder Umwelt auch in Kontexten flexibel ausgelegt werden, in denen Ordensleute zusammenkommen, die in ihrem Alltag und in ihren Gremien wohl überwiegend einen ökologisch-naturbezogenen Umweltbegriff nutzen.17 Das Thema des Lebens in alternden Konventen hatte für die Teilnehmenden des Umweltforums eine große Relevanz, die das Umweltinteresse im ökologischnaturbezogenen Sinne situativ überlagerte. Der soziale Schwerpunkt ‚ersetzt‘ hier den ‚klassisch‘ ökologischen, auf den im entsprechenden Tagesordnungspunkt in Diskussion und Vortrag kaum oder gar nicht eingegangen wird.
17Gesprochen
wurde außerhalb dieses Tagesordnungspunktes beispielsweise über ökologische Beschaffung und Ernährung, über biologischen Anbau von Wein und das Naturerleben in Friedwäldern.
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
329
Basierend auf den Ergebnissen aus der Beobachtung kann angenommen werden, dass die situative, anthropozentrische Interpretation von Umweltschutzzielen aus diversen konjunktiven Erfahrungsräumen heraus kollektiv konstruiert werden kann. Als eine nur beiläufig ausgeführte Interpretation begegnete sie mir auch in einer Fokusgruppe mit Jesuiten in Ausbildung aus mittel- und osteuropäischen Ländern.18 Es kann sich um eine Harmonisierungsoption ähnlich der von Gond und Boxenbaum (2013) herausgearbeiteten Praktiken der Kopplung oder des neuen Zweck Zuschreibens handeln, die in solchen Kontexten angewendet wird, in denen eine normative Erwartungshaltung besteht, sich dem Thema Umwelt oder Versöhnung mit der Schöpfung zuzuwenden, entgegen dem üblichen, ökologischen Verständnis aber soziale Fragen im Vordergrund stehen. Denkbar ist diese Option sowohl als situative wie auch als implizite und längerfristige Deutung. Dass die Gesprächspartner und Forumsteilnehmenden die Deutung spezifisch benennen, verweist auf ein Bewusstsein der Akteure in Bezug darauf, dass sie sich mit der Interpretation jenseits des dominierenden Verständnisses in den Gemeinschaften und/oder des gesellschaftlichen Diskurses bewegen.
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen Ich wende mich nun verschiedenen, auch konfliktiven Verhandlungssituationen um ein Thema zu. Das Positionspapier des philippinischen Sozialapostolats zu Rohstoffabbau wurde 2012 veröffentlicht und damit zwei Jahre vor meiner Datenerhebung auf den Philippinen. Das Papier sowie die damit verbundenen Auseinandersetzungen wurden von verschiedenen Interviewpartnern und in einer Fokusgruppe ohne gezielte Nachfragen meinerseits angesprochen. Die Analyse des Gesamtmaterials ergab einige weitere indirekte Hinweise auf das Thema. Auf Grundlage meiner Daten lässt sich deshalb das Positionspapier zu Rohstoffabbau
18Mit
Blick auf die Frage, ob Versöhnung mit der Schöpfung der Versöhnung mit sich selbst und mit Gott nachgelagert ist oder ob die drei gleichwertig und parallel verlaufen, argumentierten mehrere Teilnehmer für ein gegenseitiges Bedingen der Versöhnungsakte. Dabei führte einer aus: [I]ch kann nicht ALLEINE bestimmen, wie ich leben will, sondern ihr als Kommunität, ihr unterstützt mich. Und damit meine ich, klar kann bei mir beginnen, aber dann steht etwas an, dann brauche ich die Kommunität. Und wenn die Kommunität sich querstellt, muss ich wieder zurück zu mir. Also, das ist immer ein Beziehungsgeschehen. Und mit Kommunität meine ich jetzt Umwelt und Schöpfung.
330
7 Verhandlungen
des philippinischen Sozialapostolats als Gegenstand verschiedener Verhandlungssituationen untersuchen. Ich ergänzte die teils bruchstückhaften Kommentierungen von Interviewpartnern durch gezielte, nachgelagerte Nachfragen und Internetrecherchen, um sie im Kontext interpretieren zu können. Die Diskussion wendet sich unterschiedlichen Arenen zu, in denen die Bedeutung von Rohstoffabbau als ein mit dem Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung assoziiertes Thema in der philippinischen Provinz der Jesuiten verhandelt wird. Dabei wird nicht nur Variation von Jesuit zu Jesuit beziehungsweise sozialer Welt zu sozialer Welt erkennbar, sondern auch Veränderungen der Auseinandersetzung über die Zeit hinweg – auch in Bezug darauf, was mit Blick auf das Thema verhandelt wird. Während das Positionspapier eine Diskussionsgrundlage zu Rohstoffabbau anhand expliziten, geteilten Wissens liefern soll, findet sich diese Diskussion in meinem Material mit Blick auf das Papier kaum. Vielmehr wird vor dem Hintergrund des Konfliktpotentials – und dessen Realisierung – erstens das Verfahren kontrovers verhandelt, ein solches Papier zu veröffentlichen. Zweitens setzen sich schließlich Ordensleuten in Ausbildung mit dieser nachgelagerten internen und informellen Verhandlung auseinander und einigen sich darauf aufbauend auf Handlungsimplikationen zur Zielverwirklichung. Die Prominenz des Themas im Material weist darauf hin, dass dieses in der jesuitischen Gemeinschaft der philippinischen Provinz im Vergleich zu anderen hier diskutierten verhandelten Differenzen zur Zeit meiner Datenerhebung besonders präsent und relevant ist. Es lässt sich eine in meinem Material einzigartige konfliktive Eskalationsstufe ausmachen. Das Thema erregte große Aufmerksamkeit in der philippinischen Öffentlichkeit über Umweltinteressierte hinaus. Zur Positionierung zu Rohstoffabbau gab es öffentlich ausgetragene Konflikte zwischen Jesuiten. Die Konflikte um das Positionspapier führten auch zu materiellen (und je nach Perspektive auch ideellen) negativen Konsequenzen für den Orden, die ihrerseits Jesuiten über den Kreis der ursprünglich involvierten vermutlich maßgeblich beeinflussten. Ähnliches ist für die anderen Beispiele von internen Verhandlungen im Material nicht erkennbar. Vor den Analysen des Inhalts des Papieres, seiner Entstehung und seiner Verhandlung in der jesuitischen Gemeinschaft stelle ich knapp den Kontext vor, in dem das Papier verfasst wurde. Rohstoffabbau gehört für einige meiner philippinischen Gesprächspartner im Rahmen der Ziele des Bewahrens oder der Versöhnung mit der Schöpfung zu den größten Problemfeldern. Über die Ordensgemeinschaften hinaus sind in der philippinischen Umweltbewegung die sozialen und ökologischen Probleme durch Rohstoffabbau in ländlichen Regionen des Landes eines weniger, großer Kernthemen. Diskutiert werden Konsequenzen bestehender wie auch geplanter Minen. In bestehenden Minen werden beispielsweise die Metalle Nickel, Gold und Kupfer gefördert.
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
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Meine Internetrecherche ergab, dass bereits Ende 2011 das Thema Rohstoffabbau von Jesuiten kontrovers verhandelt wurde. Auf die Forderung in einem Bericht der Ateneo School of Government der jesuitischen Hochschule in Metro Manila, Rohstoffabbau auf den Philippinen zu verbieten, schrieb der Jesuit Emeterio Barcelon eine Reaktion. Barcelon kritisiert darin den Bericht der Ateneo School of Government, eine akademische Elfenbeinturm-Perspektive einzunehmen, inkompetent und unlogisch zu sein und Maßnahmen einzufordern, die der gegenwärtigen hungernden Bevölkerung, denen die Industrien und ausländischen Firmen Arbeitsplätze bieten, schaden, während sie nur reichen und zukünftigen Generationen nützten. Die Kolumne Barcelons wird, u. a. in Form einer Zeitungsanzeige, von der philippinischen Chamber of Mines, des Verbandes der Rohstoffindustrie, verbreitet (Barcelon 2011). Kurz darauf organisiert die jesuitische Universität Ateneo de Davao gemeinsam mit der Catholic Educational Association of the Philippines eine Konferenz zu Rohstoffabbau in Mindanao. Während der Konferenz wird eine Mindanao Declaration beschlossen, die den Rohstoffabbau-Sektor für Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen anklagt und das Vorantreiben von zu dieser Zeit geplanten Gesetzesreformen fordert (vgl. z. B. Arguillas 2012). Daraufhin gibt der Verband der Rohstoffindustrie die kritische Stellungnahme heraus, es sei fragwürdig, eine entsprechende Konferenz abzuhalten, ohne Teilnehmende aus der Industrie zuzulassen. Unterstützend wird auf die Kolumne Barcelons verwiesen (Chamber of Mines 2012). Mit der Kritik adressiert wird explizit der jesuitische Leiter der Hochschule Ateneo de Davao, der mir während meiner Datenerhebung wiederholt als Beispiel eines Jesuiten mit entschieden kritischer Haltung gegenüber Rohstoffabbau auf den Philippinen genannt wird und der sich mir gegenüber auch im Gespräch entsprechend positioniert. Vor dem Hintergrund dieser öffentlichen Auseinandersetzung eines Jesuiten in (argumentativer) Allianz mit dem Rohstoffabbau-Verband auf der einen Seite und verschiedenen jesuitischen akademischen Einrichtungen sowie einem Jesuiten als Leiter einer jesuitischen Hochschule auf der anderen Seite ist es erstaunlich, dass keiner meiner Interviewpartner – auch nicht der involvierte Hochschulleiter – diese Auseinandersetzungen mir gegenüber benennt.19 Ich halte es nichtsdesto-
19Der
Grund dafür lässt sich aus meinen Daten heraus nicht ermitteln. Möglich wäre, dass die Gesprächspartner ein unangenehmes Thema vermeiden wollten oder auch, dass der Konflikt in einer Internetrecherche größer erscheint, als er in der Gemeinschaft wahrgenommen wurde oder vor dem Hintergrund der jüngeren Auseinandersetzungen zum Positionspapier weniger präsent ist.
332
7 Verhandlungen
trotz für naheliegend, dass diese und vielleicht weitere Ereignisse zu dem Versuch einer gemeinsamen Position des jesuitischen Sozialapostolats auf den Philippinen Anstoß gaben.
7.3.1 Das Positionspapier Die Formulierung des Positionspapiers durch Vertreter des Sozialapostolats der jesuitischen Provinz der Philippinen wird im Material nicht als kontrovers dargestellt, auch wenn es mehrere Etappen der Formulierung durchlief. Die entsprechende Analyse beruht jedoch primär auf der Erzählung des damaligen Koordinators des philippinischen Sozialapostolats. In diesem Abschnitt wird folglich die Frage beantwortet, wie dieses strukturierte und argumentativ in katholischen Sinnstrukturen verwurzelte Papier dem damaligen Koordinator zufolge entstanden ist. Grundsätzlich beschreibt er die Rolle des Koordinators im Sozialapostolat erstens als Assistenz des Provinzials in Bezug auf Fragen des Sozialapostolats und zweitens als Leiter einer Gruppe, die versucht, die Einrichtungen des Sozialapostolats in der philippinischen Provinz zu koordinieren. Rohstoffabbau ist ein Thema, auf das er im Gespräch mit mir mehrfach zu sprechen kommt, auch wenn ich nicht explizit danach frage. Als Ausgangspunkt für die Problemanzeige nennt er das zunehmende Agieren ausländischer Unternehmen auf den Philippinen: What are the things that have to be addressed given what is happening like, several years ago, mining suddenly became very prominent as an issue with some big mines, mining companies coming in from other countries.
Er kommt bereits zu Anfang des Gesprächs auf die Formulierung des Positionspapiers in der durch ihn geleiteten Gruppe zu sprechen als Beispiel dafür, wie das Ziel des Umweltschutzes der Generalkongregation sich handlungspraktisch in der Provinz auswirkt: And there we gathered for meetings and tried to reflect on “How can we address the mining issue which is very complicated? Is there anything we can do in common because some individual institutions are really doing things with regard to mining.“ So, that’s one example of how we move from the congregation to the concrete mission of the Jesuits here in the Philippines.
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
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Während das (‚ideale‘) Ziel eine gemeinsame Position und koordiniertes Handeln ist, verweist er auch darauf, dass jede Einrichtung ihren eigenen Vorgängen und Standpunkten folgt (Subsidiarität). Es gebe ein Spektrum unterschiedlicher Standpunkte innerhalb der Jesuiten, welches er markiert anhand einer jesuitischen Einrichtung mit anti-Rohstoffabbau-Position, der Universität Ateneo de Davao, und einer, die verantwortungsvollen Rohstoffabbau forciert wie der Einrichtung Environmental Science for Social Change. Das Positionspapier beschreibt er als Ausdruck des Versuchs, gemeinsam zu reflektieren und geteilte Prinzipien zu formulieren. [A]n attempt to be more proacting, to see how can we reflect in common on these things. Like one of the things we worked on, for instance, was “Okay, all of us are doing certain things with mining, can we come up with some principles that we want to follow with regard to mining?” […] That is where the ‘The Golden Mean in Mining’, the talking points came up, so we decided to draft that. And consulted all the institutions involved and said, “Ok this is a good template which we can follow, when we try to more explicitly state catholic social teaching, and then give concrete instances of mining, of how to apply to certain situations within the problematic of mining.“
Die katholische Soziallehre wird im Gespräch als gutes Vorgehen und als kleinster gemeinsamer Nenner vermittelt. Der Koordinator expliziert rückblickend: what we are really trying to communicate is how the faith, the Catholic faith, the Catholic Social Teaching really applies to these issue brought out into open, being part of the discussion.
Die Aktivität zu Rohstoffabbau wird als ein Bereich betrachtet, auf den die katholische Soziallehre als spezifisches, aber weit verbreitetes und geteiltes Wissen angewendet werden kann (und implizit: sollte) und anhand dessen sich gut erkennen lässt, wie Jesuiten des Sozialapostolats sich einem gemeinsamen Problem annehmen. Die zugrundeliegenden Entscheidungen, beispielsweise die Auswahl der Prinzipien, werden in der Erzählung nicht als Gegenstand von möglichem Dissens expliziert, über die Auswahl der Prinzipien fand aber Austausch mit ‚Experten‘ zum Entwurf statt. Der Koordinator formulierte in Absprache mit Theologen und Vertretern der Ateneo School of Government einem Entwurf, der anschließend mit den Vertretern der verschiedenen Einrichtungen des Sozialapostolats diskutiert wurde.
334
7 Verhandlungen
Über den Inhalt des Papiers wurde insofern bereits vor der Diskussion zwischen Vertretern des Sozialapostolats mit ‚Experten‘ verschiedener Professionen innerhalb der jesuitischen Hochschule verhandelt. Entschieden wurde dabei unter anderem, welche Prinzipien der katholischen Soziallehre einbezogen werden sollten. [W]e […] started first identifying the principles for Catholic social teaching. (short pause) I [… wrote] an initial draft, I got the help of some of our theologians here. Then other fellow from the Ateneo School of Government, sort of suppl[ied] the mining side. How did these [principles] apply to mining, [we] smoothed out the draft and came out and it created a bit of controversy as you probably heard. (Hervorhebung durch JG)
Meine Internetrecherche ergab, dass das Papier Anfang September 2012 veröffentlicht wurde, wohl mit einem Schreiben des Koordinators mit dem Inhalt, die Diskussionsvorlage solle eine Hilfe für jesuitische Einrichtungen sein und öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema befördern. Das Dokument wurde vom damaligen Provinzial unterstützt, vermutlich ebenfalls mit einem Schreiben (vgl. Miclat 2012). In der hervorgehobenen Aussage im obigen Zitat verbindet der Koordinator die Veröffentlichung des Papiers direkt mit der Kontroverse, die mit dieser einherging, und erwartet, dass ich von dieser schon gehört habe. Im nächsten Unterkapitel gehe ich darauf ein. Das Papier ist in fünf Abschnitte unterteilt. Der Einleitung folgt der längste der Abschnitte, in dem verschiedene Prinzipien der katholischen Soziallehre mit Blick auf Rohstoffabbau auf den Philippinen diskutiert werden. Die zwei anschließenden Abschnitte beziehen sich auf bestehende beziehungsweise geplante Gesetzgebung auf den Philippinen. Der Dialog mit Akteuren des Rohstoffsektors ist Inhalt des letzten Abschnitts. Bereits der Titel des Papiers „The Golden Mean in Mining: Talking Points“ führt Rohstoffabbau als Thema ein, welches der Verhandlung unterschiedlicher Standpunkte zu einer über die Zeit hinweg wandelbaren gemeinsamen Bewertung bedarf. Angezeigt wird eine bewertende Haltung, die sich an einer ‚goldenen Mitte‘ orientiert (JJCICSI SJSA 2012; für Seitenangaben siehe Ecoteneo 2012). Ein entsprechender Kompromiss wird durch das Attribut „golden“ positiv besetzt. Wenn zuerst der Eindruck einer Definition dieses Kompromisses durch das Papier entsteht, bricht damit der Zusatz darauf, es handle sich um Diskussionspunkte. Die „goldene Mitte“ erscheint somit sowohl rückblickend als auch zukunftsgerichtet nicht als fixiert, sondern als durch Kommunikation veränderbar.
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
335
Der Text beginnt mit der Gegenüberstellung der Perspektiven, die auch den Kern der zuvor skizzierten öffentlichen Kontroverse bilden: In the Philippines, mining has become a contentious and controversial activity. On one hand, there are those who believe sincerely that mining offers a solution to poverty and that it can be done responsibly. On the other hand, many are of the opinion that mining, at least in the way we have experienced it in our country, has been destructive of the environment and has had principally negative impacts on rural communities. In the last ten years, the Catholic Church, through its Bishops, has consistently allied itself with the latter group. (JJCICSI 2012)
Darauf aufbauend fasst das Positionspapier die Stellungnahmen der Katholischen Bischofskonferenz der Philippinen zu Rohstoffabbau von 1998 und 2006 zusammen, worin diese den Sektor als Verursacher sozialer und ökonomischer Missstände von betroffenen Gemeinden anklagen. Mit den Stellungnahmen wird die jeweilige Regierung aufgefordert, bestehende Gesetzgebung (besonders den „Philippine Mining Act“ von 1995) aufzuheben. Eine inhaltliche Diskussion der Stellungnahmen erfolgt nicht. Stattdessen erweckt die Überleitung, die politische Situation hätte sich seit 2006 geändert, den Eindruck einer Zustimmung zur Anklage der Bischofskonferenz zum Zeitpunkt von dessen Veröffentlichung. Der Aufbau zeigt, dass das Papier bereits zu Beginn einen Rohstoffabbau-kritischen Ausgangspunkt aufweist und diesen mit Verweis auf die Bischofskonferenz als „katholisch“ konstituiert. Ziel des Papieres sei es, eine ‚rote Linie‘ nicht verhandelbarer Standpunkte zu formulieren. Im Papier wird so einerseits die Verhandlung unterschiedlicher Standpunkte angeregt, andererseits soll das Papier der Gemeinschaft um die jesuitischen Sozialapostolate eine normative Orientierung bieten, die unabhängig von Zeit und Ort gilt. Die Adressierten des Diskussionspapiers sind, so der Text, Mitglieder des Netzwerkes um das Sozialapostolat und andere ‚ähnlich Gesinnte‘ (vgl. Ecoteneo 2012, S. 1). Der Text vollzieht im Anschluss eine Analyse des Rohstoffsektor anhand der katholischen Soziallehre nach. Die ‚Anwendung‘ der katholischen Soziallehre wird darüber hinaus nicht problematisiert oder begründet.20 Der Text setzt voraus, dass das Wissen um die katholische Sozial-
20Sprachlich
wird das Vorgehen jener Überprüfung als Instrument beziehungsweise Methode vermittelt, so beispielsweise durch die Verwendung des Verbs anwenden („apply“) und der Bewertung als nützlich („useful“). Der Satz „it is useful to bear in mind the following ethical principles from Catholic social teaching“ (Ecoteneo 2012, S. 2) lässt sich meiner Meinung nach eher als eine Überleitung denn als eine Erklärung lesen.
336
7 Verhandlungen
lehre von Lesenden zumindest vage geteilt wird. Lesende erhalten in der folgenden Abhandlung einzig eine knappe Unterstützung zum Verständnis der spezifischen Prinzipien: Jedes Prinzip wird knapp elaboriert und so gleichzeitig eine Lesart vorgeschlagen. Die Prinzipien strukturieren den dominierenden Textkorpus. Alle Absätze des Textes und alle herangezogenen Prinzipien der katholischen Soziallehre widmen sich unterschiedlichen Problemfacetten um das Thema des Rohstoffabbaus, wie beispielsweise der Naturzerstörung, der Verteilung des Gewinns aus dem Abbau oder des Umgangs mit Vertreter*innen der Rohstoffindustrie. Die Facetten gehen einher mit Darstellungen unterschiedlicher positiver und negativer Praxis und mit unterschiedlichen Vorschlägen für Bewertungsverfahren und –maßstäbe. In der unten stehenden Tabelle stelle ich meine Analyse in einer detaillierteren Übersicht dar. Insgesamt weist der Inhalt des Positionspapieres starke Parallelen mit der Interpretation des Umweltschutzziels als aktivistischer Auftrag auf, wie mit Blick auf die genannten Akteure und die ihnen zugewiesenen Rollen deutlich wird. Demnach bedürfen sowohl im Rohstoffabbau involvierte Unternehmen einschließlich ihrer Vertretungen als auch die philippinische Regierung der Kontrolle durch Zivilgesellschaft und Wissenschaft, um negative Effekte zu verhindern. Vom Abbau betroffen sind neben der nicht-aktiven Natur die lokalen Gemeinschaften. Besondere Aufmerksamkeit zollt der Text hierbei den indigenen und armen Bevölkerungsgruppen sowie den Arbeitende in den Minen. Auch Kleinschürfern wird eine besondere Bedarfslage zugeschrieben. Sie bauen zwar selbst Rohstoffe ab, dass ihre Interessen im Sektor berücksichtigt werden, bedarf aber der Fürsprache durch zivilgesellschaftliche Akteure. Während sowohl für Unternehmen als auch für die philippinische Regierung Handlungserwartungen formuliert werden, wird der Regierung in besonderem Maße eine gestaltende und kontrollierende Rolle als Gesetzgeber (und implizit vermutlich: als Steuerung der Exekutive) zugeschrieben. Um die verschiedenen Probleme zu adressieren, bedarf es dem Text zufolge eines entsprechenden legislativen Regimes, was sich aus nationaler Gesetzgebung und internationalen Rechten (Menschen- und Arbeitsrechte) zusammensetzt. Gefordert werden Maßnahmen wie eine Umgestaltung des Steuersystems oder Vorschriften an Unternehmen. Da mit diesen Forderungen wahrscheinlich solche nach deren Anwendung und Ahndungen von Verstößen impliziert sind, nehme ich sie in der Übersicht als Bewertungsverfahren auf. Wie bewertet werden soll, ist ein zentraler Bestandteil der politischen Forderung des Papiers. Es integriert konkrete Forderungen zu Bewertungsverfahren, wie sie
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
337
auch in anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen aufgestellt werden könnten, über die legislativen hinaus: wissenschaftliche Untersuchungen, Risikoabwägungen, für Unternehmen Orientierungen an besserer Praxis (benchmarks, best practices) sowie Dialoge und andere Beteiligungs- und Mitspracheforen für Zivilgesellschaft und betroffene, marginalisierte Gruppen. Darüber hinaus richtet sich der Text auch fordernd an die eigene Gemeinschaft. Thus we have to ask hard questions about our financial and other relationships with mining companies, environmental organizations and others who have a strong stake in mining issues. (Ecoteneo 2012, S. 9)
Im Textfluss lässt sich darauf schließen, dass in diesem Auszug die Prüfung der eigenen Objektivität und Unabhängigkeit gemeint ist. Durch Zitieren einer Passage aus der Enzyklika Mater et Magistra von 1961 wird auf mögliche Konflikte ‚selbst zwischen ernsthaften Katholiken‘ hingewiesen, denen laut Enzyklika mit gegenseitigem Respekt und Ansehen und mit der Suche nach gemeinsamen Aspekten für ‚effektive und passende Handlungen‘ begegnet werden soll.21 Die letzten beiden Sätze des Textes sprechen schließlich die Lesenden als Gemeinschaft an. Der Text wird an den Titel zurückgebunden, indem das Dokument als Diskussionsgrundlage beschrieben wird. Der Text schließt mit einem normativen Verweis durch beziehungsweise auf den jesuitischen Ordensgründer Ignatius von Loyola: It is in this spirit of active engagement tempered by sincere self-examination that we offer these talking points for our communal consideration and discernment. May these serve as an aid for us to better understand the mining situation, to make appropriate judgments, and to carry out meaningful action. St. Ignatius of Loyola exhorts us “to love and serve the Lord in all things.” May we accomplish the same in our care for God’s creation. (Ecoteneo 2012, S. 9).
Neben dem erneuten Bezug auf die katholische Soziallehre wird abschließend, und im Dokument einmalig, spezifisch jesuitisches Wissen hinzugezogen (Tabelle 7.1).
21Der
Forderung wird im Text insofern entsprochen, als der Absatz zu Dialogen mit privatwirtschaftlichen Akteuren keinen negativen Gegenhorizont enthält. Im Text findet sich auch ein Verweis auf die Notwendigkeit, in Gesetzgebungsprozessen auf die Interessen der Industrie ebenfalls eingehen zu müssen (Ecoteneo 2012, S. 8).
Problem
Rohstoffabbau als Mittel der Armutsbekämpfung oder als Ursache für Umweltverschmutzung und für Schädigung ländlicher Gemeinschaften
Prinzip (bzw. Passage)
(Einleitung)
Möglichkeit von Dialog und Engagement mit Regierung und Industrie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (2012)
Positive Praxis Philippine Mining Act 1995; Gesetze und Rahmenbedingungen 2006, als CBCP die letzte Stellungnahme zu Rohstoffabbau herausgab; Menschenrechtsverletzungen und Verarmung von (bes. indigenen) Gemeinden in Rohstoffabbaugebieten
Negative Praxis
Tabelle 7.1 Darstellung der Analyse von „The Golden Mean in Mining: Talking Points“
(Fortsetzung)
Bewertungsmaßstäbe
Definition einer nicht verhandelbaren, roten Linie für die Arbeit zum Thema der erweiterten Gemeinschaft um die jesuitischen Sozialapostolate
Bewertungsverfahren
338 7 Verhandlungen
Problem
Rohstoffabbau zerstört Natur und schadet Menschen
Prinzip (bzw. Passage)
Hüter sein/Verwaltung
Tabelle 7.1 (Fortsetzung)
Verantwortungsbewusste Fürsorge für Natur und Menschen bei Rohstoffabbau; gegebenenfalls Verbote von Rohstoffabbau aussprechen und ihnen folgen; Klimawandel berücksichtigen; Auflage, sich an global ‚besten Praktiken‘ zu orientieren
Positive Praxis Missachtung von natürlicher und menschlicher „Ökologie“ in Planung und Durchführung von Rohstoffabbau; ernste und irreversible Umweltschäden durch Rohstoffabbau; Bedrohung der Sicherheit betroffener Gemeinden
Negative Praxis Schutz von Natur und Menschen
Auswirkungen auf Umwelt (einschließlich Biodiversität) messen; Orientierung an global ‚besten Praktiken‘; durch Regulierung forcieren
(Fortsetzung)
Bewertungsmaßstäbe
Bewertungsverfahren
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen 339
Verteilung des durch Gemeinsame Nutzung Rohstoffabbau aller Güter; ‚adäquate‘ erreichten Gewinns und ‚vernünftige‘ Ertragsverteilung zwischen Unternehmen, lokalen Gemeinschaften und Staat; Einbeziehung von ‚authentischen‘ Kleinschürfern; Schutz kulturellen Erbes lokaler Gemeinschaften
Gemeinwohl
Risiken verhindern; Abwägung von Kosten und Nutzen, bei unsicherer Folgeabschätzung eher restriktive Politiken; Transparenz; Entscheidungen basierend auf dem besten Informationsstand; sich als Akteur gut informieren und Informationen sammeln
Prävention und Zukunftsorientierung von Entscheidungen bei Schwierigkeit, schnell wissenschaftlich Risiken abzuschätzen
Vorsorge
Positive Praxis
Problem
Prinzip (bzw. Passage)
Tabelle 7.1 (Fortsetzung)
Abwägen basierend auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen und anderen relevanten Informationen
(implizit:) Trade-offs zugunsten anderer Interessen als der des Schutzes von Natur und Menschen
Verteilung der Regulierung durch Erträge zugunsten Steuersystem der Rohstoffunternehmen; Steuerfreiheit oder ungebührende Steuerbegünstigungen von Abbauunternehmen
Bewertungsverfahren
Negative Praxis
(Fortsetzung)
Möglichkeit der ‚vollen Entwicklung‘; ‚adäquate‘ und ‚vernünftige‘ Ertragsverteilung; Wahren der Authentizität von Kleinschürfern
Prävention, das heißt Risiko des Schadens von Natur und Menschen Vermeiden
Bewertungsmaßstäbe
340 7 Verhandlungen
Problem
Angemessene Regulierung von Rohstoffabbau, besonders bei Kompetenzverteilung; Balance zwischen Regulierung für verantwortungsvollen Rohstoffabbau und Engagement zum Schutz des Gemeinwohls
Prinzip (bzw. Passage)
Subsidiarität
Tabelle 7.1 (Fortsetzung)
Korruption und Regulierung durch Kriminalität durch Gesetze und andere Akteure, die am Regelwerke Sektor des Rohstoffabbaus beteiligt sind
Angemessene Kompetenzverteilung so, dass tiefst-mögliche Einheit entscheidet; respektvolle Zusammenarbeit zwischen nationaler und lokaler Regierungsebene; Inklusion lokaler Gemeinschaften zum Schutz ihrer Interessen; Freiheit zu wirtschaften begrenzt durch Gemeinwohlanspruch
Bewertungsverfahren
Negative Praxis
Positive Praxis
(Fortsetzung)
Mitsprache; Rechte lokaler (besonders indigener) Gemeinschaften zu Landnutzung; Konsistenz von Politiken; subsidiäre Entscheidungs- und Beteiligungsbefugnisse; Einbindung aller Stakeholder
Bewertungsmaßstäbe
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen 341
Problem
Wohlstandsentwicklung im Zuge von Rohstoffabbau
Prinzip (bzw. Passage)
Bevorzugte Option für die Armen
Tabelle 7.1 (Fortsetzung)
Verteilung der Erträge zugunsten der betroffenen Gemeinschaften; Entscheidungsfreiheiten der Gemeinschaften; Einbeziehung und Überwachung des Abbaus zur Sicherung des Wohlstands der Gemeinde; bei Unfällen offene Kommunikation; angemessene Rolle von Kleinschürfern im Sektor; Kleinschürfer zu verantwortungsvollem Verfahren schulen; Sanierungsmaßnahmen nach Ende des Abbaus
Positive Praxis
Bewertungsverfahren Benchmarking durch Beispiele, in denen Gemeinden durch Rohstoffanbau mehr Wohlstand erreichten; wissenschaftliche Prüfungen möglicher Benchmarks
Negative Praxis Bestehende Ertragsverteilung zugunsten der Rohstoffe abbauenden Unternehmen; Marginalisierung von Kleinschürfern
(Fortsetzung)
Vergrößerung des Wohlstands von armen Bevölkerungsgruppen; Inklusion und Transparenz; Wahren der kulturellen Integrität der indigenen Gemeinschaften; langfristiger Effekte auf lokale Bevölkerung
Bewertungsmaßstäbe
342 7 Verhandlungen
Möglichkeit zivilgesellschaftlichen Organisierens; Unterschiede der Perspektiven (Zivilgesellschaft, Regierung, Industrie)
Einhaltung der Menschenrechte basierend auf Imago Dei
Verbände
Respekt für das menschliche Leben
Verantwortungsvoller Rohstoffabbau orientiert an besten Praktiken, Minen als Orte des Friedens
Bewertungsverfahren
Rohstoffabbau als Orte von Menschenrechtsverletzungen und sozialen Konflikte unter Angst und Zwietracht
Menschenrechte; Orientierung an besten bestehenden Praktiken
„Checks and balances“ durch Beteiligung von Zivilgesellschaft; institutionalisierte Mechanismen zur Konsensfindung zwischen Stakeholdern
Rohstoffabbau, bei Regulierung durch dem Erwachsene Arbeitsrechte wie Kinder unter gefährlichen und unwürdigen Arbeitsbedingungen arbeiten
Negative Praxis
Kontrolle durch Zivilgesellschaft wird von Regierung und Industrie aufgenommen; konsensualen Verfahren; Zivilgesellschaft sucht wohlwollend den Dialog
Rechte der Faire und sichere Arbeitenden; Arbeits- Arbeitsweisen; schutz Anerkennung der Rechte der Arbeitenden, sich zu organisieren, Gewerkschaften zu bilden und zu streiken
Würde der Arbeit
Positive Praxis
Problem
Prinzip (bzw. Passage)
Tabelle 7.1 (Fortsetzung)
(Fortsetzung)
Menschenwürde und Einhaltung der Menschenrechte im Rohstoffsektor
Austausch und Einigung; gegenseitiges Wohlwollen, Lösungen zu finden
Schutz und Erfüllung grundlegender Rechte von Arbeitenden; flächendeckende Einhaltung
Bewertungsmaßstäbe
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen 343
Problem
Beurteilung der Exekutiven Weisung Nr. 79 (EO 79) der Regierung unter Präsident Benigno Aquino und eines Gesetzesentwurfs zum Management von Mineralien
Prinzip (bzw. Passage)
(Gesetzeslage)
Tabelle 7.1 (Fortsetzung)
Begründungskategorien in Gesetzgebung zu nicht für Rohstoffabbau zugänglichen Gebieten eingeschlossen (landwirtschaftliche Nutzung, Fischgründe, Tourismus, ökologische Bedeutung); Neuregelung von Ertragsverteilung; Beteiligung in Transparenzinitiative; Förderung nachgelagerter Industrien zur (nationalen) Wertsteigerung; Verträge basierend auf vorherigem verantwortungsvollen Wirtschaften der Unternehmen; transparente und partizipative Gesetzgebung
Positive Praxis
Bewertungsverfahren (implizit:) Regulierung durch Gesetze; Positionspapier als Bewertung von konkreter Gesetzgebung
Negative Praxis Fehlende Explikation von Ertragsverteilung in bestehenden Vereinbarungen; bestehende Vormachtstellung nationaler über lokale Entscheidungsbefugnisse; Gesetze und Regelungen, die dem Paradigma der Ressourcenausbeutung folgen, nach dem präferiert große Unternehmen Abbau betreiben und durch Anreize zu Investitionen bewegt werden sollen, während Umweltund soziale Belange vernachlässigt werden
(Fortsetzung)
Verantwortungsvoller Rohstoffabbau; katholische Soziallehre wie zuvor zu Rohstoffabbau dargelegt; Förderung nationaler Wertschöpfung; transparente und partizipative Gesetzgebung; ‚Vorankommen‘ mit neuen Gesetzesinitiativen
Bewertungsmaßstäbe
344 7 Verhandlungen
Problem
(Dialog mit Industrie- Umgang mit Ververtretern) tretern aus der Rohstoffindustrie
Prinzip (bzw. Passage)
Tabelle 7.1 (Fortsetzung) Negative Praxis
Suche nach Gemeinsam- keiten; in Einrichtungen der eigenen Gemeinschaft kritisches Denken, akademische Freiheit und intellektuelle Führerschaft zu Rohstoffabbau
Positive Praxis ‚Ernsthafte Selbstprüfungen‘
Bewertungsverfahren Respekt; Objektivität; Unabhängigkeit; Transparenz
Bewertungsmaßstäbe
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen 345
346
7 Verhandlungen
Das Positionspapier zu Rohstoffabbau des philippinischen Sozialapostolats expliziert Forderungen an die philippinische Regierung, Unternehmen des Sektors und – weniger ausgeprägt – die eigene Gemeinschaft. Mit Rohstoffabbau-Aktivitäten werden Umweltzerstörung und Menschenrechts verletzungen verknüpft. Rohstoffabbau wird aber nicht grundsätzlich ablehnt, sondern die Möglichkeit verantwortungsbewussten Abbaus einbezogen. In Bezug auf den internen Konflikt werden die beiden Standpunkte über die Einleitung hinaus nicht im Kontrast diskutiert, sondern das Ziel der Armutsreduktion wird integriert, besonders unter dem Prinzip der Option für die Armen. Bis zum Ende des Textes bleiben die konträren Ansprüche, eine Diskussionsgrundlage zu bieten und eine rote Linie zu formulieren, bestehen. Die katholische Soziallehre strukturiert die Argumentation und wird wie selbstverständlich für die Bewertung herangezogen. Insofern spricht der Text Lesende an, die aufgrund ihrer katholischen Identität die normative Ordnung der Lehre annehmen. Für den Sektor selbst werden andere Bewertungsverfahren gefordert, wie Gesetze und weiche Governance-Formen wie Benchmarking. Sie sollen die negativen Effekte von Rohstoffabbau verhindern und benachteiligte Stakeholder einbeziehen. Der oben zitierte Verweis auf die eigenen Finanzabhängigkeiten und anderer Beziehungen lässt sich auch als Antizipation möglicher Interessenkonflikte interpretieren. Dieser zweite Bereich nicht-katholischer Bewertungsverfahren erscheint eher offen für Diskussion beispielsweise, wenn auf die Notwendigkeit verwiesen wird, Unternehmerinteressen in Gesetzgebung einzubeziehen.
7.3.2 Bewertungen und Verhandlungen des Papiers nach seiner Veröffentlichung Dass der Koordinator des jesuitischen Sozialapostolats der Philippinen im Gespräch davon ausgeht, ich habe schon von der Kontroverse um das Positionspapier gehört, liegt vermutlich in der Diskussion begründet, die sich um die Reaktion eines Nicht-Jesuiten auf das Papier entfachte. Wie ein Jesuit in Ausbildung mir in einer Fokusgruppendiskussion erklärt: Thus […] we lost the chairman of the board [at Ateneo de Manila]. I mean, this was a second [blow]22 to the chairman of the board, Manuel Pangilinan, because he also owns [the mining firm] Philex so this was a problem. 22Als
zweiter ‚Schlag‘ ist vermutlich die Stellungnahme der Ateneo School of Government gemeint (siehe erster Abschnitt dieses Unterkapitels).
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
347
Folgende Ereignisse folgten der Veröffentlichung im Detail: Das Positionspapier wurde auch außerhalb der jesuitischen Gemeinschaft rezipiert. Der damalige Provinzial der Gemeinschaft schickte das Dokument an den größten Förderer der jesuitischen Hochschule Ateneo de Manila. Manuel V. Pangilinan, reicher philippinischer Unternehmer und einer der größten Minenbetreiber der Philippinen, teilte daraufhin dem Jesuiten, der 2012 Leiter der Hochschule ist, mit, sich durch das Positionspapier genötigt zu sehen, seine Förderungen der Hochschule einzustellen. Pangilinan hatte zuvor unter anderem den Bau eines großen Hochschulgebäudes und verschiedene Sportaktivitäten finanziert. Der Hochschulleiter bat um Respekt für die Entscheidung Pangilinans und dankte für sein Engagement. Noch im gleichen Monat trat ein Jesuit von seiner Position als unabhängiger Präsident eines großen Telekommunikationsunternehmens (PLDT) ab, in dem Pangilinan der Vorsitzende war. Der renommierte Basketballtrainer, der von PLDT angestellt war, um das Hochschulteam der Ateneo de Manila zu führen, erklärte öffentlich, mit Pangilinans Einwilligung die Mannschaft noch bis zum Ende der Saison zu unterstützen (Montecillo 2012). Letztgenanntes ist nennenswert, da auf den Philippinen Basketball einschließlich der Teams und Spiele der Hochschulen eine sehr große Popularität genießt. Die faktische Kündigung zu Saisonende wurde entsprechen breit rezipiert. Die Reihe der Ereignisse wurde begleitet durch Medienberichte (einschließlich der Veröffentlichung der verschiedenen Briefe) und öffentliche Diskussionen sowie verschiedene nicht-zutreffenden Gerüchte, wie mir Interviewpartner berichten. Das Positionspapier erhielt den Titel des ‚jesuitischen Papiers‘ (englisch: „the Jesuit paper“). Sprachlich dokumentiert sich hierbei ein distanzierter Blick; das Dokument des Sozialapostolats wird ‚von außen‘ der gesamten jesuitischen Gemeinschaft zugeschrieben (ein Anspruch, der in dem Papier nicht ausdrücklich formuliert ist). Einer der involvierten Jesuiten, der für seine ablehnende Haltung dem Rohstoffabbau-Sektor gegenüber bekannt ist, veröffentlicht deshalb auf seinem Blog: MVP [Pangilinan] has referred to a “Jesuit Paper” on Mining. This was not a paper defining an advocacy position but a set of talking points seeking to bring people to discussion and discernment on the contentious issues of mining.” (Tabora 2012)
Der Konflikt zwischen Pangilinan und der jesuitischen Hochschule Ateneo de Manila ist nicht im Fokus meiner Fragestellung, aber er ist zentraler Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Jesuiten. Deutlicher als in anderen Zusammenhängen verhandeln jesuitische Akteure mit unterschiedlichen Interessen, wie der Koordinator im Gespräch auf Nachfrage ausführt:
348
7 Verhandlungen
JG:
So, has there been debate or disagreement about this in the Jesuit community also?
Koordinator:
Well, yes, as you can imagine some groups, say like the people in Ateneo de [CITY] would say the paper does not go far enough in terms of condemning mining. Others would say, I’ve heard, I would not name the universities, but some of the university people told me “You’re a bit naïve, that you can make announcements like that and not offend the people in the mining community.” Of course they’re coming from their own interests in terms of funding, et cetera.
Der Konflikt wird zum Referenzpunkt für die Frage, wie die Ordensziele ordensextern verfolgt werden sollten. Während für einen aktivistisch orientierten, beteiligten Jesuiten der hervorgerufene Bruch mit dem Förderer eine unabdingbare Entwicklung im politischen Prozess ist, ist er für einen anderen involvierten Advokaten, der für verantwortungsbewussten Rohstoffabbau plädiert, eine nicht zielführende Auseinandersetzung. So antwortet Alon auf die Frage, wie die katholischen Ausbildungseinrichtungen zu Versöhnung mit der Schöpfung agieren: First through educating the kids to be environmental conscious, but then also in finding there, there niche in advocacy which allows them to be transformative and prophetic in society. (short pause) No matter the cost. We say that this is the prophetic role of the schools (short pause), you know, that because of their CATHOLIC nature and their commitment to the FULNESS of life that Jesus comes to bring. They MUST advocate for the environment. (short pause) Even if it costs them their benefactors. That happened here, in this school. We lost our chairman, of the board. That happened in Ateneo de Manila. They lost their biggest, one of their biggest benefactors because these people were owners of mines and mining interest and the school had taken, taken positions against the mines.
Politische Fürsprache für Umweltbelange sei eine Pflicht, die aus dem katholisch Sein unmittelbar abgeleitet werden müsse., Alon argumentiert, dass finanzielle Interessen von der Pflicht nicht entlasten, ohne das Positionspapier direkt zu nennen. Das Positionspapier des Sozialapostolats wird zu einer Stellungnahme der Hochschule, möglicherweise assoziativ verknüpft mit der Stellungnahme der Ateneo School of Government, die ich oben erwähne. Durch die Aufzählung entsteht der Eindruck, diese Art der Kosten seien zu erwartende Konsequenzen basierend auf bestehenden, statisch betrachteten Interessenunterschieden katholischer Ausbildungseinrichtungen einerseits und Rohstoffunternehmern andererseits. Der Konflikt mit Förderern ist nicht negativ zu verstehen, sondern er
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
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resultiert unweigerlich aus der notwenigen Advocacy-Tätigkeit der katholischen Einrichtungen. Ein anderer Jesuit, Dylan, der ebenfalls im Bereich des Rohstoffabbaus engagiert ist, verweist hingegen auf das Beispiel als ineffizientes Verfahren, was weder die eigentlichen Probleme (darunter internationale Politik und Kapazitäten) adressiert, noch durch die erfahrensten Akteure vorangetrieben wird. Veränderungspotential wird dem Prozess indirekt abgesprochen. [I]nstead of firing off, we actually have to understand where the problem is and […] not just dismiss it in generalities. [… W]e are not getting anywhere with that. I know, we are exhausted with the abuses that have been there but we also have to recognize that, okay, policies are inadequate but mainly global policies as I see it, and our own capacity. We cannot tell if there is a fish-kill in the Philippines because we cannot get a dead fish to a laboratory in twenty-four hours. […] There are all sorts of things we would have to hop on. And that [mining] has gotten a lot of publicity because a certain board-member, and, yeah, there are wonderful fallacious stories about all of that. But actually none of the universities have been greatly involved in the environment. They are now putting up portfolios […] but actually, they don’t have a long history in it.
Der Jesuit nutzt im Folgenden das Beispiel, um seine Vorgehensweise vorzustellen, bei der er die betroffenen Individuen fokussiere. Beide Jesuiten vermitteln im Gespräch anhand des Konflikts mit dem Förderer ihren eigenen Zugang zum Thema. Während für den Jesuiten Alon das Positionspapier ein Beispiel notwendiger Verkündigung durch katholische Akteure ist, dient es für Dylan der Zielerfüllung im Sinne seiner Interpretation einer pragmatischen Problemanalyse nicht. In den Zitaten wird deutlich, dass der Konflikt für die Jesuiten zu den relevanten Erfahrungen in Bezug auf das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung gehört. Sie werben darauf aufbauend für abweichende Strategien. Selbst Ordensleuten mit vergleichsweise ähnlicher Handlungsorientierung wie Dylan und Alon (beide aktivistisch, im Schwerpunkt extern) kommen zu abweichenden Bewertungen der Ereignisse. Die Gesprächspassagen zeigen, wie die Ordensleute das Wissen um die Auseinandersetzung unterschiedlich in ihre Interpretation von Versöhnung mit der Schöpfung integrieren. Sie nutzen die Kontroverse, um im Gespräch ihren eigenen Standpunkt theoretisiert, aber in Bezug auf die Kontroverse erfahrungsnah, argumentativ zu schärfen und zu stärken. Dieser Handlung ist zwangsläufig eine meinungsbildende Reflektion vorgelagert. Sie evaluieren den Konflikt beide jeweils innerhalb ihrer Rahmungen der Zielinterpretation.
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Die mit der Veröffentlichung des Positionspapiers einhergehenden Verhandlungen werden in der jesuitischen Gemeinschaft auf den Philippinen ihrerseits verhandelt und führen so weitergehend zu Veränderungen geteilter Sinnstrukturen. In einer Fokusgruppendiskussion zwischen philippinischen Jesuiten in Ausbildung diskutieren diese die internen Konflikte um das Papier im Hinblick auf die Fragen, wie weit das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung in der Gemeinschaft der Provinz verwirklicht wird und was ihre eigene Rolle bei der Zielverwirklichung sein sollte. Die Konflikte um das Papier werden in der Auseinandersetzung mit der Proposition eines Scholastikers herangezogen. James sagt, er sei nach der Veröffentlichung der 35. Generalkongregation enttäuscht gewesen aufgrund des Eindrucks, die jesuitische Gemeinschaft ‚tue bisher nicht viel‘ bezüglich des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung. Aus der Bewertung leitet er eine Handlungsimplikation für die Gruppe ab. I feel that the emphasis on healing a broken world or reconciliation is not given much focus and attention and that is why, I think, as an individual Jesuit I think the challenge is to do your part, not to wait for, sometimes we wait for the higher office to tell us what to do.
Später im Gespräch melden sich andere Teilnehmende dazu zu Wort. Phil reflektiert: This [reconciliation with creation] is a global, very big issue […] and I think even the province itself is having a hard time grabbling with how they can actually make GC 35 more concrete in terms of reconciliation with creation […] it is slow. […] […] I don’t know exactly what WE should be doing. […] I mean, even in terms of mining, people do not agree (short laughter). (still laughing while saying:) Jesuits do not agree on certain issues. Like, on the one hand, there is always an advocate for this and one is an advocate for a total ban on mining, the other one sees mining as the answer to our economic (laughing harder) problems. So, it is just very disparate, very diverse. It is very hard. (end of laughing) So, yes, I agree that it is, like, I agree with James, but […] I also understand why the province is taking forever. And I wish […] we would start – I always thought that we should start from the very beginning of formation on the way up because we cannot change the older guys and the old ways but we have what they call ways of proceeding and attitudes that are developed right from the very entry into your, your, your first step of formation. THAT is where it should begin […] whatever structures we implement, should begin from that stage, from that way going up […]. And should be implemented in our houses, in our communities, and its institutions. So that slowly, little things.
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Ausgehend davon, dass Versöhnung mit der Schöpfung ein ‚großes‘ Thema ist, führt er Gedanken dazu aus, selbst die Provinz (implizit vermutlich die Provinzleitung) wisse nicht, wie sie damit umgehen solle. Fortschritt erfolge nur langsam. Das Thema des Rohstoffabbaus zieht Phil als Beleg dafür heran, dass zwischen Jesuiten Uneinigkeit besteht. Er qualifiziert James Urteil insofern. Daraus leitet er die Strategie ab, in der jesuitischen Ausbildung mit Implementierung und Überzeugungsarbeit zu beginnen. Die Älteren, so seine These, ließen sich nicht verändern. Nach anderen Diskussionssträngen bezieht sich ein weiterer Jesuit, Jo, auf die Proposition. Oh, I am still stuck with what James said. (short pause) Which, to follow the two of you. Because I am […] asking myself: Is the province […] doing anything? Because I remember the province wrote, specifically [SOCIAL COORDINATOR], I think he wrote a letter on mining. It was, I think it was adjured that it was a very expensive letter because that letter damaged many relationships of Ateneo. I’ve, I don’t know if I got the information correctly because I was in the novitiate then, but I heard that piece of paper there, it hurt many relationships and Ateneo lost a lot of […] donors just because of that letter. And to say that the Society is not doing anything on this document, maybe that is a bit too much to say because I think the effort is there. What I think I hear […] everyone is saying, at some point at least, […] there is a certain growth or a progress. […] like a few years ago, there was nothing involved with segregation and little by little, we are putting this in place. […] And although everyone is agreeing, it is not perfect yet. It is not really well-structured yet as a whole now but at least, […] there is a certain direction which I think is towards a better, well, more responsible way of dealing with it.
Jo reflektiert das Problem der Zielumsetzung in der Gemeinschaft: Gerade weil das Papier mit Kosten einherging, belegt es, dass die Gemeinschaft das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung verfolgt. Dabei rezitiert er die Kosten vorsichtig als etwas, wovon er von anderen gehört hat. Ohne selbst Stellung zu beziehen, reproduziert er so einen starken Kritikpunkt am Vorgehen der Veröffentlichung, indem er sagt, das Papier habe ‚Beziehungen verletzt‘. Damit widerspräche es dem zweiten der drei Ziele, die in der 35. Generalkongregation formuliert wurden, nämlich der Versöhnung mit Mitmenschen. Durch Jo wird diese Verletzung diskursiv jedoch eher als identifizierbarer Preis betrachtet, den die Gemeinschaft gezahlt hat und der dafür spricht, dass sich in Bezug auf Versöhnung mit der Schöpfung Dinge fortentwickeln. Anders als die beiden zuvor zitierten Teilnehmenden der Diskussion wird die interne Uneinigkeit von Jo – trotz der argumentativ-sprachlichen Nähe zur starken Kritik des Papiers – nicht explizit thematisiert. In Bezug auf Mülltrennung als das nächste Beispiel, was Jo heranzieht, hebt er stattdessen eine grundsätzliche Einigkeit hervor, die allein
352
7 Verhandlungen
aber die Probleme bei der Umsetzung nicht verhindern kann. Insofern bestätigt er implizit Phils Ausführung, es sei kompliziert, das Ziel zu verwirklichen. Die Diskussion bleibt bei Jos harmonisierender Perspektive nicht stehen. Nach dem Austausch zu anderen Themen reformuliert James seine Proposition. Wenn James im Folgenden die wenige Unterstützung thematisiert, die der Koordinator des sozialen Apostolats bei der Veröffentlichung des Positionspapieres erfuhr, erfüllt das die Funktion als eines von drei Beispielen, die für ihn zeigen, dass die Gemeinschaft bisher nicht viel in Bezug auf das Ziel tut. Dem gegenüber sieht er das Engagement von Einzelnen und die Erfahrung, dass jene negative Sanktionen durch die Gemeinschaft erfahren. So begründet er seine Handlungsimplikation, er möge sich nicht für das Thema im Orden einsetzen: [T]here are only a small number of older Jesuits […] who we see as somehow pushing for this environment thing but when you talk about other Jesuits, I am pretty sure they are not very. Even during meetings, […] environmental issue will be the last thing […] in the list. Somehow, people are tired talking about this and then they just sort of smile […] we don’t talk a lot about it. It is like […] an add-on (humorous voice) rather than really a focus. And that’s what I was talking about […], we are not doing the much with the GC 35 because somehow, we are lacking in that push. Or even for example like Father [SOCIAL APOSTOLATE COORDINATOR] wrote about that but there are, in terms of the support from the community, I don’t think the community was very supportive. The Jesuits in general in the Philippines. We are […] supportive for that particular statement regarding mining and some Jesuits are quarreling with each other regarding the style, so, even for us as younger Jesuits, how do we send the signal to say (short pause). Well, I don’t want to deal […] or to talk about these things because […], like what Charles experienced, people just don’t agree with you to the point that they would not talk to you at all after these days. So, perhaps, even the issue of the environment is not something that the individual Jesuits are, […] open to or have […] seen as something […] to be talked about or addressed in terms of consciousness and awareness […]. We hope, perhaps, to challenge the Jesuits who (suddenly laughing) to somehow look at this as a serious thing. We have the problems in the Philippines, the disasters […], they are caused by this problem in the environment and yes, we address. We provide homes, we help build homes. But have we done something other than those things?
Eine auch in weiteren Passagen erkennbare Facette der Diskussion ist die Abgrenzung gegenüber älteren Jesuiten, die das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung nicht zu verfolgen scheinen. Disput um das Positionspapier wird als Erfahrung des geringen Engagements älterer Jesuiten für das Ziel eingeordnet. Wer sich engagiert, wird von ihnen allein gelassen, belächelt oder ignoriert. Ein Versuch, die Differenz zwischen älteren und jüngeren in Bezug auf das Ziel zu relativieren, führt zu Opposition innerhalb der Gruppe. Kye argumentiert, die 35.
7.3 Exkurs: Ein Positionspapier zu Rohstoffabbau, viele Verhandlungen
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Generalkongregation sei weniger bedeutend als andere Generalkongregationen wie beispielsweise die 32., weil sie in erster Linie einberufen wurde, um einen neuen Generaloberen zu wählen und nicht, um inhaltliche Fragen der Ausrichtung zu klären. Die anderen Teilnehmenden widersprechen jedoch, sie hätten sich dieses Wissen, über das Kye als Spezialist für Ordensgeschichte verfüge, nicht angeeignet, sondern für sie sei die 35. Generalkongregation, bei der das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung formuliert wurde, sehr entscheidend. Hier zeigt sich ein unterschiedlicher theoretisierter Wissensstand zwischen den Jesuiten in Ausbildung. Gleichzeitig nimmt die Gruppe Kyes ‚Fachwissen‘ nicht an, sondern sie nimmt eine Korrektur der Gewichtung der Generalkongregationen vor, wobei aufgrund ihrer Sozialisation im Orden die jüngste Kongregation das größte Gewicht erhält. Entsprechend ist das dort formulierte Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung von großer Bedeutung. Sie erwidern Kye23 einstimmig: Dave:
Ah, Kye knows all about the General Congregations but for us, the younger generation, we are most familiar with GC 35 because […], ever since it started, that’s what they have been echoing (humorous voice) all the time, so that is what we are
James:
L and it is the only GC since we entered.
Dave:
Since we entered and in that sense and because we are not reading up on the other ones and that is what sticks to us, but Kye has a wider knowledge of well, the history of the Society. So, he could see it in a different perspective. But for us, that was why I said it was relative because I had more, GC 35 is still more
Phil:
L More memorable.
Dave:
memorable for the rest of us.
Auch wenn sich in den verschiedenen Passagen vor dem Hintergrund der Erfahrung interner Auseinandersetzungen bei den Ordensleuten in Ausbildung auch eine Orientierungslosigkeit dahingehend ausdrückt, welche Position in der Gemeinschaft der Provinz vertreten wird oder werden kann, entwickeln 23Die
Gruppe setzte sich aus sechs Teilnehmenden zusammen. Während Kye der zweitälteste in Bezug auf das Eintrittsalter ist, liegt sein Eintritt nur ein bzw. zwei Jahre vor dem von Dave, James und Phil. Kye ist zum Zeitpunkt des Gesprächs neun Jahre in Ausbildung als Jesuit, die drei ‚Opponenten‘ sieben oder acht Jahre. Nur einer der Teilnehmer ist mit drei Jahren in Ausbildung deutlich ‚jünger‘ als die anderen; er ergriff aber in dieser Passage nicht das Wort ebenso wie der ‚älteste‘, der zum Zeitpunkt des Gesprächs zehn Jahre in Ausbildung ist. Die Unterscheidung zwischen jüngeren und älteren Brüdern in Ausbildung mag weniger Erklärung für die unterschiedliche Perspektive auf die Generalkongregationen sein als eventuell als Identitätsmarker der Abgrenzung von James, Dave und Phil zum ‚älteren‘ Kye.
354
7 Verhandlungen
sie im Laufe des Gesprächs als Gruppe junger Jesuiten eine geteilte Strategie. Ausgehend von der Re-Formulierung der Proposition durch James und einer Zuspitzung durch mich präzisieren sie zunehmend gemeinsam eine zukunftsgerichtete Perspektive im Umgang mit der Uneinigkeit der älteren Jesuiten. Diese Strategie betont das gemeinsame Vorgehen, an sich selbst zu arbeiten und so zu Helden des Themas zu werden, die zusammenhalten. Im Verlauf der Diskussion kommen verschiedene Teilnehmende wiederholt auf diese Strategie zu sprechen. Es lassen sich Gehalte Lebensstil-orientierter Handlungsimplikationen des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung rekonstruieren. Phil:
We could start with that. […N]ot everything that we do has something to do with the bigger issues. We may start with the smaller issues. […Y]ou don’t think about mining and coral reefs and forests on a daily basis but this is what is more practical.
[…] Charles
If we are waiting for something top-down, that has not happened yet or it is coming very slowly. They are doing the documents now. […W]hat has been more effective in the change is for us formants to voice our concerns and to do something about it already because even this as simple as garbage segregation used to be that it would be dependent on there being at least one guy in the community who is into it.
[…] Charles
That was what I was trying to say […] when I said I don’t think we should be expecting top-down. Us, hopefully, we make the engine within. And […] if there is anything we can think off that we present to the superiors that might help. We do it and not wait for them […].
Oliver:
L and if you are changing attitudes you should start with the younger ones because you cannot change the attitudes of the older ones.
Charles
L Yeah, not the old ones. You cannot expect a great shift of them.
Oliver:
It has to start from, both the initiative and the implementation.
Dave:
But I think personally, among us, we have to start among us, like only, I think only a few of us are into this clearly. So, before we go up or go down, among us we need to convince ourselves.
Die Diskussion zeigt, dass die jungen Ordensleute die Erfahrung internen Disputs bezüglich des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung teilen. Wiederholt ziehen sie zur Reflektion der Verwirklichung des Ziels und der eigenen Hand-
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lungsmöglichkeiten die Erfahrung der internen Verhandlungen des Positionspapiers heran. Es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass das Positionspapier ein Beispiel für Engagement für Versöhnung mit der Schöpfung ist. Die von einigen Teilnehmenden geteilte Vorstellung, das Ziel in der Ordensgemeinschaft ‚intergenerational‘ und mit allen gemeinsam zu verwirklichen, dokumentiert sich wiederkehrend in Form einer Kritik des Status Quo. Die interne Auseinandersetzung zum Papier des Rohstoffabbaus ist ein spezifisches Beispiel, anhand dessen sie die Entwicklung des Ziels in der Gemeinschaft der Jesuiten der Provinz bewerten und eine in der Fokusgruppe geteilte Strategie zur Verfolgung des Ziels im Kontext bestehender Uneinigkeiten entwickeln. Aus der Erfahrung des internen Disputs leiten sie ab, dass die Zielverwirklichung kompliziert ist, weil es viele Perspektiven zum Thema innerhalb der Gemeinschaft gibt. Zur Entwicklung des Ziels im Orden werden zwei Bewertungen entwickelt, die nebeneinander bestehen bleiben. Basierend auf dem Maßstab, wie viel Widerspruch Aktivitäten im Orden erzeugen, wird die Verwirklichung mit Verweis auf die Auseinandersetzung um das Papier als defizitär bewertet. Basierend auf dem Maßstab, welche Kosten für die Zielverwirklichung in Kauf genommen werden, wird ein Fortschritt diagnostiziert. Schließlich wird aus dem Wissen zu dem Konflikt auch die Differenz zu älteren Ordensmitgliedern (mit-)konstruiert. Besonders in Bezug auf diesen letzten Aspekt dient die Verhandlung des Positionspapiers dazu, die Grenzen der Handlungsspielräume der Gruppe zu markieren. Es wird im Gespräch eine Einigkeit darüber erreicht, dass Positionspapiere (vgl. oben ‚Dokumente‘) für sie keine erfolgreiche Strategie zur Zielverfolgung sind. Die geteilten Erfahrungen schärfen die gemeinsame Strategieentwicklung und bringen diese in der Situation als geteiltes Wissen hervor. Schließlich wenden sich die Teilnehmenden vollends einer produktiver erscheinenden Strategie zu, die auf sie selbst gewandt ist. Die Vorstellung intergenerationalen Engagements zum Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung bleibt ein vorerst unerreichbares Ideal. Die internen Konflikte könnten rekursiv auch die Bedeutung der ausformulierten Ordensziele für Ordensmitglieder verändert haben. Im Gespräch reflektiert der ehemalige Koordinator des Sozialapostolats die Bedeutung des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung. JG:
So, from your perspective, you already said people have become more conscious over the last five years, would you also say it has led to changes in your life? In your decisions?
356 Social coordinator:
7 Verhandlungen To be honest, […] I think the pronouncements of the congregation, reconciliation with creation especially, (short pause) […] it empowered me, it helped me, […] it gave me encouragement, but I would not say I have been transformed completely. And I think that the credit of the Philippine Jesuits who have always been […] trying […] to LIVE (short pause) in order of the previous congregations […] pronouncements […], GC32, that Jesuit community should try to live like an ordinary family of slender means. Let the lord be the last family. I think here in the Philippines we try to keep up to that, so we try to live up to that ideal, so= there is not really a dramatic change from what we have been doing before. You know the recycling bins have always been around, the computer rooms, et cetera. But it does give us more encouragement that we are on the right path.
Es lässt sich nur vermuten, dass die Stärkung und die zusätzliche Ermutigung, die er hier beschreibt, gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung ernsthafter interner Kritik im Zuge der Veröffentlichung des Positionspapiers bedeutsam sind. Zusammenfassend zeigt die Analyse der verschiedenen Verhandlungssituationen zum Positionspapier zu Rohstoffabbau des Sozialapostolats der jesuitischen Provinz, dass Differenzen nicht allein durch den Verweis auf geteilte Wissensbestände wie die katholische Soziallehre harmonisiert oder verhindert werden können. Es ist nicht erkennbar, dass Ordensleute auf Grundlage des Papiers den Orientierungsrahmen ihrer Zielinterpretation verlassen oder das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung im Vergleich zu anderen Zielen anders gewichten. Die von mir identifizierte Kritik innerhalb des Ordens bezieht sich jedoch kaum auf die Analyse im Papier, sondern fokussiert das Vorgehen. Meinen Daten nach führte das Papier nicht zu erkennbaren Diskussionen des konkretisierten Inhalts – Bewertungen des Rohstoffsektors und seiner Regulierung anhand ausgewählter normativer Prinzipien. Aus aktivistischer Zielinterpretation heraus konnte ich Unterstützung identifizieren, aber auch Kritik am Verfahren als nicht hilfreich. Im Material enthalten sind Hinweise auf Kritik von weiteren Mitgliedern der Provinz, die das Verfahren als naiv kritisieren oder aus anderen Gründen dessen Verfasser sozial negativ sanktionieren. Mir ist kein formalisierter Aushandlungsprozess zur Reflektion der Strategie beziehungsweise des Verfahrens bekannt. Auch die Jesuiten in Ausbildung verhandeln nicht den Inhalt des Papiers. Sie wenden sich vielmehr der Rezeption des Papiers und der Erfahrung des nachgelagerten Disputs in der Gemeinschaft zu. Das explizite Wissen um das Ordensziel der Versöhnung mit der Schöpfung, welches für sie große Bedeutung hat, dient hier als Bewertungsgrundlage für die interne Auseinandersetzung als Beispiel, an dem sich ihre Unzufriedenheit mit zu wenig Engagement zum Thema in der Gemein-
7.4 Indirekte Verhandlungen
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schaft und besonders bei älteren Mitbrüdern, einerseits kristallisiert und in der Situation als gemeinsame Erfahrung konstituiert. Basierend darauf entwerfen sie in der Interaktion eine geteilte handlungsleitende Strategie. Die Erfahrung der Verhandlung des Papiers in der Gemeinschaft markiert eine geteilte Grenze für ihre eigenen Strategien. Es ist naheliegend, dass dieses deshalb zum Problem wird, weil es ausgeprägte materielle Konsequenzen hat, die viele Jesuiten auf unterschiedliche Weise betreffen. Konflikte, die Zerwürfnisse in der Gemeinschaft provozieren und damit die imaginierte ‚Einheit‘ des Ordens gefährden, müssen sich demnach nicht auf Interpretationen des Ziels beziehen, das heißt auf die Frage, welche Interpretation die gültige ist, sondern vielleicht eher darauf, wie ist das Ziel im Verhältnis zu anderen Zielen – wie der Förderung guter Ausbildung oder der Pflege ‚gesunder‘ Beziehungen – zu gewichten ist. Es scheinen zentral in Bezug auf mögliche Konflikte die Fragen, inwiefern die Zielverwirklichung den Status Quo für Ordensmitglieder (positiv oder negativ) verändert und wie das Ziel bewertet wird im Verhältnis zur Ordensidentität und damit verknüpft zu anderen Zielen des Ordens. Vor der abschließenden Diskussion gehe ich auf die indirekten Verhandlungen ein, durch welche besonders die provinziale Ordensleitung Einfluss auf die Erfahrungen der Mitglieder nimmt und so Möglichkeiten gestaltet, soziale Welten kennenzulernen und basierend auf Erfahrungen bestimmte Zielinterpretationen anzunehmen und diese zu verfolgen.
7.4 Indirekte Verhandlungen24 In diesem Kapitel stellte ich verschiedene Verhandlungssituationen vor, wobei oft nicht die Position der involvierten Ordensleute in der hierarchischen Sinnstruktur der Gemeinschaft den Verlauf der Verhandlung dominierend zu bestimmen schien. Weder nutzte Ron in der Verhandlungssituation mit seinem Mitbruder und Angestellten seine leitende Rolle, um Steve zu einer bestimmten Lesart des Ziels zur Beantwortung meiner Fragen aufzufordern, noch thematisierten die Jesuiten in Ausbildung in ihrer Fokusgruppendiskussion eine besondere schlichtende oder eskalierende Rolle des Provinzials und der Ordensleitung im Konflikt zu
24Da
mir einiges zu diesem Unterpunkt mit der Bitte um Vertraulichkeit erzählt wurde, bleiben manche empirischen Details vage. Es bleiben jedoch keine Aspekte gänzlich unadressiert.
358
7 Verhandlungen
Rohstoffabbau (erlebten die Verhandlung zwischen unterschiedlich starken Fraktionen horizontal, aber auch vertikal basierend auf – durchaus hierarchischen – Generationenunterschieden). Ordensleute gaben in den analysierten Situationen bezüglich des Ziels kaum Anweisungen an ihre Mitbrüder. Im Folgenden zeige ich auf, in welchem Sinne die hierarischen Sinnstrukturen der Ordensgemeinschaften bestimmten Mitgliedern indirekten Einfluss auf die handlungsleitenden Zielinterpretationen der Mitglieder gewähren. Auch wenn eine ausführliche Diskussion die Möglichkeiten dieses Forschungsvorhabens überschreiten würde, wende ich mich in diesem Abschnitt explorativ der Besonderheit von Ordensgemeinschaften zu, dass die Entscheidungen darüber, welche Erfahrungen Individuen machen, in entscheidendem Maße Entscheidungen der Ordensleitung sind. Dies betrifft die Erfahrungen in der Ausbildung zu Ordensleuten (im Englisch aussagekräftig als „Formation“ bezeichnet) sowie die über ihre alltäglichen Kernaufgaben. In meinem Material treten diese Entscheidungsbereiche in verschiedenen Facetten als mit dem Ziel zusammenhängend auf. Hervorzuheben ist hierbei erstens die strategische Überlegung, durch die Organisation bestimmter Erfahrungsmomente in der Ausbildung Interpretationen des Ziels und dessen Bewertung zu beeinflussen und zweitens die Verhandlung zwischen Ordensleuten und ihrer Leitung, Tätigkeitsbereiche zugewiesen zu bekommen, die ihrer Zielinterpretation dienlich sind. An verschiedenen Stellen der Analyse habe ich bereits die Zusammenhänge zwischen gemachten Erfahrungen und der Perspektive auf das Ziel aufgezeigt, sich mit der Schöpfung zu versöhnen oder sie zu bewahren. Entsprechend sind die Erfahrungen, auf die Ordensmitglieder bei der Zielinterpretation zurückgreifen können, von entscheidender Bedeutung. Während der Zeit der Ausbildung wird in vielseitigen Situationen von anderen über die Erfahrungen entschieden, die die Auszubildenden machen. Trotz Formalisierung der Ausbildung betonen Franziskaner und Jesuiten die besondere Abhängigkeit der Ausbildungsgestaltung von den jeweiligen Verantwortlichen sowohl bezüglich der Gewichtung des Themas als auch der Form der Vermittlung, wie in folgender Aussage eines philippinischen Jesuiten: Now, [ANOTHER JESUIT] was assigned for many years to work with the younger Jesuits over in Loyola House. So, he would have brought them [to the Manila Observatory] for sure. In MY time, I would give talks to the different people in formation at various times, about climate change and so forth. […] Did I bring them [to the Manila Observatory] physically? Not really. [THE OTHER JESUIT] would have probably done that. […] He likes to do that, bring them over physically. MY contact with them would have been more on the, the (short pause) lecture level.
7.4 Indirekte Verhandlungen
359
Gegenübergestellt wird hier Vermittlung durch Vorlesungen einerseits und durch Exkursionen zu einer Forschungseinrichtung andererseits. Unter dem Abschnitt 5.1.4 diskutierte ich knapp die Perspektive, Bewahrung der Schöpfung sei keine Kernaufgabe in der Ausbildung. In diesem Kapitel gehe ich unten auf die Perspektiven der Auszubildenden genauer ein. Franziskaner:
The implementation of the program depends on the directors interests. Sometimes the director is not interested, you know. So= (short pause) but it is in the program. It is gradated in the program.
JG:
[… What would happen if the formator is not interested in the topic?]
Franziskaner:
Nothing. […] There is no moni-, hm, because in formation, […] the monitoring is, there is more of the preparedness to be religious. Integrity of creation, justice and peace is like, it is not that. […]
JG:
[… When is the first time for new members to see a JPIC animator?]
Franziskaner:
[The seminary OLAS. T]hey have already this […] reforestation. […] Even […] when we were seminarians, one friar will plant trees here and there. And another friar will come and cut trees (laughing).
Entscheidung über die konkreten Orte und Aufgaben im Rahmen von standardisiert stattfindenden Exkursionen und Praktika beziehungsweise ‚Experimenten‘ in den ersten Jahren im Orden treffen nicht nur die unmittelbar Zuständigen für die Ausbildung, sondern die Verhandlungen finden mit und zwischen verschiedenen Ordensleuten in leitenden Positionen statt. So richtete ein Jesuit auf den Philippinen beispielsweise bewusst Möglichkeiten innerhalb seines Engagements in ländlichen Gemeinden ein, junge Jesuiten aufzunehmen und sie für spezifische Sichtweisen und Themen zu sensibilisieren, die er mit dem Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung verbindet. Er möchte ihnen eine „Realität“ zeigen, die sie nicht vergessen, während ihre Ausbildungszeit zu einem großen Teil über mehrere Jahre durch akademische und ordensspezifische Studienzeiten geprägt ist. In einem mit dieser Idee verwandten Kurs werden die Scholastiker angehalten, sich mit der sehr ländlich lebenden Jugend vor Ort auszutauschen. Teilnehmende aus unterschiedlichen Provinzen begegnen sich. Jesuit:
I have nine Jesuit scholastics with me at the moment who I am struggling with to [teach them to] really engage with what they are hearing now in the villages, not with what is on their mind from where they come from.
JG:
So, they come and visit you for some time?
360 Jesuit:
7 Verhandlungen I am […] running a course with them on human development and natural resources. So I am going through some of the basic thematics and […] I am bringing them to the [local] youths and asking them to engage with the youths across languages. So, we have someone from Pakistan, […] Uganda, Vietnam, Timor, Philippines […]. And trying to get them to do a level of socio-environmental analysis or accounting about how all of this goes together and how they might meet with another group of youths if they are assigned to teach in a school, if they are assigned in a pastoral program, they are assigned – because for me, the whole reconciliation runs through every dimension, yeah, of work that was delegated to us.
Der Jesuit verbindet mit dem Kursangebot für Scholastiker die konkrete Vorstellung, ihnen anhaltende Erfahrungen zu ermöglichen, die ihren Zugang zu Versöhnung längerfristig beeinflussen. Diese Erfahrungen sind aber nicht einfach „da“, sondern sie werden von ihm angeleitet und er setzt sich mit ihrem Engagement auseinander (vgl. „struggle with“). In den Fokusgruppen, die ich auf den Philippinen mit Jesuiten in Ausbildung führte, kamen diese auf ihre Erfahrungen im Rahmen solcher gesteuerten ‚Formate‘ zu sprechen und setzten sie mit dem Ziel in Bezug. In beiden Gruppen stellten die Teilnehmenden fest, dass eine große Anzahl von ihnen im Kontext von ‚Experimenten‘, also mehrwöchigen nicht-akademischen Ausgaben in einer anderen Umgebung, zielverwandte Erfahrungen gemacht hatte. Im Folgenden zitiere ich zur Illustration zwei Beispiele. Im ersten diskutieren die Teilnehmenden die Erfahrung eines spezifischen Trainings zum Thema Müll mit einem älteren Jesuiten. Jeffrey:
That’s it. (laughing) No, oh, we had one day with [NAME OF JESUIT] where he was talking about sustainability and about, ah, no, it was about waste (laughing) in the house and I think, we failed. (laughing)
Someone:
L (laughing)
Someone:
(laughing)
Marvin:
Yeah.
Rodel:
Because in a sense, we were looking at, there is a system in, implemented for both communities, […] he made us tour the, the cycle of where then, after it’s taken out from here where does it go? It goes to somewhere in [AREA OF METRO MANILA] and then, we visited the garbage collector, how it affects, for example, flooding a, locally, in Katipunan, in just this area.
7.4 Indirekte Verhandlungen
361
Jeffrey:
And seeing that he was quite disappointed in how, for example, we recycle or we segregate even waste. But there is a system, I guess. It is just being more conscious (slight laugh) about it, I guess.
Marvin:
Mhm.
Jeffrey:
Like just having to sort paper upstairs or the trash here and also for time before, what was it again? Yeah, I think this typhoon struck, we had for the luck of [NAME OF JESUIT] working (short laugh) compost pit, but then again, with the typhoon, we have not started rehabilitating it yet.
In einer anderen Gruppe erzählen die Teilnehmenden ausführlich von ihren Sommerexperimenten und reflektieren diese vor dem Hintergrund der geteilten Erfahrung, dass die lokale Bevölkerung Umweltprobleme nicht entsprechend ihrer Vorstellung richtig oder angemessen einordnet und entsprechend handelt: James:
One summer, we were asked to give disaster risk management seminars to different regions in the Philippines. […] most of them were landslide if not landslide flashflood prone areas and what was so striking for me was when we visited a particular area, where they have not experienced flashflood yet so […] when we gave the seminar to them it was as if they were not really interested. And {…[ it is telling me that this is how generally the people face, if they have not experienced a disaster or a problem, they do not think about it and they are not very open to {…] to prepare themselves […] for whatever disaster. And I think it is also how, how perhaps all of us, we Filipinos think. We have to wait for something to happen before we start thinking what we can (short laughter), what we can do. And one observation also is, we keep on hearing complaints for example for the people who have, who already experienced disasters like the area in Laguza del Sol. They always complain like: “The government is not doing this and that.” But when you raise: “Now, what have you done in the community? Have you moved-?” […]
Someone:
L Mhm.
James:
[…] They said: “No.” So, there is also a tendency to always blame someone else […]. So, that was my experience. One particular summer exposure.
Dave:
[…W]hen I was sent to Rapu-Rapu, in a mining area, the people (short pause) would find anything wrong. For example […] after the spillage or the mercury spillage in the area, [… the people from Ateneo de Naga, the nearby Jesuit school] said that the government said: “See, no more, no more fish killing after few months.” But Ateneo de Naga said: “Of course, because biodiversity lies at 0,27 percent so [no fish …] would survive in that area.” And then, we told the people and
Several:
L (laughing)
362
7 Verhandlungen
Dave:
they said: No, no, don’t worry, the fish will come. They just got hurt because of the
Several:
L (laughing) L (laughing)
Dave:
mercury and they will be back […]. And then, we asked them: “Why don’t you complain?” “No, the company is very good. Every Christmas, they give us […] a roasted pig. And during June, at the beginning of class, they give us a full package of new notebooks,
X:
L (laughing)
Dave:
bags, for our children.” And since it is an island and they are detached whenever they are sick, the […] ships will bring them to the mainland. So, I said: “But that is beside the point. They, they are
Someone:
L They destroy.
Dave:
destroying your island. They are getting cadmium, zinc and gold from your island.
Die Diskussionsauszüge zeigen, dass die Erfahrungen ihnen bestimmte Perspektiven auf das Thema erlauben. Die Gruppe des ersten Zitats tauscht sich über die Bearbeitung von Müll und den Umgang mit Müll in ihrer Gemeinschaft aus, nicht zuletzt aber auch über die Bewertung, die sie dem Kursleiter und Mitbruder mit Blick auf sich selbst zuschreiben. (Später im Gespräch führen sie auch aus, er sei sauer (englisch: „angry“) gewesen.) In der zweiten Gesprächspassage reflektieren die Teilnehmenden ihre Erfahrung mit von Umweltproblemen betroffenen Bevölkerungsgruppen. Diese Textpassagen weisen darauf hin, wie in der Zeit der Ausbildung Erfahrungen und Zielinterpretationen beeinflusst werden können. Auch Erfahrungen durch bestimmte Karrieren und Beschäftigungen nach der Ausbildung sind Gegenstand hierarchischer Entscheidungsfindung. Im Kapitel zu Interpretationen stellte ich den Franziskaner Bill vor, der seiner externen aktivistischen Perspektive kaum nachgehen konnte aufgrund seiner Aufgabe, junge Franziskaner während einer kontemplativen Zeit der Ausbildung anzuleiten.25 Schon früh im Gespräch erzählt er von dem Ruf zum Ausbilder: Während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts entschied Bill, sich auf den Aufruf aus einer anderen Weltregion zu melden: „I was volunteering for South Sudan but our Provincial requested me to come and help in the formation. So, I am in the formation.“ Später im Gespräch frage ich danach:
25Auch
hier zeigte sich handlungsleitend, dass Bill verschiedene Möglichkeiten fand und wahrnahm, die jungen Franziskaner dem Thema der Bewahrung der Schöpfung durch konkrete Erfahrungen näherzubringen.
7.4 Indirekte Verhandlungen
363
JG:
[H]ow did you learn about the shortage or the need in Sudan?
Bill:
No, […] first of all, I have to search countries that are already English speaking because if not, then at my age, it is is really hard to learn new language. So, I found out Sudan, they are already speaking English. And also brother, I am a brother. Because in some […] missions, they need priests, °you know°. […] I have to see those two categories. Then, we have one Filipino priest in, in Sudan. […] So from him, I got the mail, message that they are starting a community in South Sudan so I volunteered there, you know. (pause)
JG:
I see. But then the provincial said –
Bill:
Yeah. (laughing) °Obedience.°
JG:
Hm?
Bill:
Yeah, we have obediences. (very long pause)
Wie zuvor diskutiert, geht die Befolgung des Rufs bei Bill mit einem Orientierungsdilemma in Bezug auf sein Engagement für GFBS beziehungsweise einer Unzufriedenheit mit den Handlungsmöglichkeiten bei der ihm zugeschriebenen Aufgabe einher. Während das Verfahren, zu der jeweiligen ausgeführten Kernaufgabe berufen worden zu sein, wiederkehrend in Gesprächen thematisiert wird, dokumentiert sich explizierte Kritik an den Entscheidungen jedoch insgesamt sehr selten. Nur ein befragter Ordensmann aus der franziskanischen Familie (kein Franziskaner) drückt seine Unzufriedenheit mit einer Aufgabe explizit aus. Dass die Entscheidung der Ordensleitung obliegt, heißt darüber hinaus nicht, dass die Anliegen der einzelnen Mitglieder nicht in der Entscheidung berücksichtigt werden. Ein Jesuit beschreibt seinen Austausch mit dem Provinzial zu seinen Aufgaben wie folgt: Jesuit:
Ich bin zu fünfzig Prozent angestellt von [der lokalen Kirche …] (pause) und die andere Hälfte meiner Arbeit setze ich ein [… in einem sozialen Apostolat ] (kurze Pause) Was mir so zugestanden wird, °sagen wir mal so°. (kurze Pause) […] es kommt nämlich noch die Hauptverantwortung für [… eine andere Einrichtung] dazu. […]
JG:
Und wer gesteht dann zu? (kurze Pause) Wenn Sie sagen „wird mir zugestanden“?
Jesuit:
Der Provinzial. (kurze Pause) Denn sein erstes Anliegen ist, dass ich dafür sorge, dass hier die beiden Betriebe (kurze Pause) sich gut entwickeln können.
JG:
Verstehe. (kurze Pause)
364 Jesuit:
7 Verhandlungen Ich hatte, bevor ich hier die Hauptverantwortung hatte vor knapp zwei Jahren, auch in der Destination offiziell Hälfte Mitarbeit hier und die Hälfte Zeit für den Aufbau einer, eines Projektes [… im sozialen Apostolat]. Und dann habe ich vor zwei Jahren gesagt: „Ja, ich kann das nicht einfach so stehen lassen. Das muss hier irgendwie weitergehen.“ In dem Sinne als Zugeständnis.
Der Wissenschaftler Thomas, der zuvor an Entscheidungen zu Karrieren beteiligt war, berichtet mir davon, einen Mitbruder nach dessen Ausbildung gemeinsam mit dem Provinzial zu einer naturwissenschaftlichen Karriere ermutigt und dabei unterstützt zu haben. Er sagt: „we were trying to decide for the scholastics where they should go and what they were good in“. Ich nutze die Chance, ihn zu fragen, wie die Entscheidungen getroffen werden, ‚Menschen auf einen bestimmten Pfad zu schicken‘. Er beschreibt einen Konsultationsprozess mit einer Kommission oder anderen Mitbrüdern, mit einziger Entscheidungsbefugnis beim Provinzial. Thomas: […U]ltimately, the authority is with the provincial. Usually – is it always been true? (kurze Pause) I guess almost always been true, the provincial will ask the committee or some subordinate, because he hasn’t the time to sort out all those things, to come up with suggestions who should go where and the usual criteria are: […] What are the needs of the province? What are the interests of the person? Does he have talents for the needs? And then, how are we going to finance it? And that usually means trying to get them a scholarship.
Die explizierten Kriterien sind die Bedarfslage der Provinz, die Interessen und Talente der Betroffenen sowie die mögliche Finanzierung, wobei er bezüglich des letzten Maßstabes im Gespräch vor allem auf Stipendien für akademische Laufbahnen verweist. Es bedarf wenig Kreativität, sich vorzustellen, dass es innerhalb dieses Katalogs zu widersprüchlichen oder unklaren Urteilen kommen kann, die die dezidierte Entscheidung der Leitung und Priorisieren der Kriterien erfordern. Die Bedeutung der Entscheidungen der Provinzleitung zeigt sich nicht zuletzt mit Blick auf die Besetzung der internen zielbezogenen Posten. JG:
So how is the decision taken who is going to be the next animator [for JPIC]?
Bill:
It […] is the council. It is their decision […]. They are the one[s] who [… make] that decision. […] The definitors. (long pause)
Auf internationaler Ebene lässt sich dies auf die Leitung des Gesamtordens übertragen. In der folgenden Antwort durch den Leiter des jesuitischen Büros für soziale Gerechtigkeit und Ökologie wird besonders deutlich, dass dieses Verfahren zumeist von Ordensleuten als selbstverständlich erachtet wird.
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen JG:
So how did that happen [that you became the secretary]?
Jesuit:
[…] Those are the Jesuit procedures […I]n my case, with all of us, I guess it happens with the Franciscans and with the Benedictines. We are called by superiors to have one position in this case, to have one mission, we call it. And then, in my case, […] our Father General [called me].
365
Der deutsche Franziskaner Peter diskutiert im Folgenden die Praxis in einigen Provinzen, für die Aufgabe scheinbar wenig geeignete Personen zu Koordinatoren für GFBS zu ernennen: Peter:
[A]ndere Provinzen so weltweit. Da gibt es gar keine Arbeitsgruppe […] sondern nur einen Beauftragten [für GFBS …]. Und das ist dann einer […], den belohnt man dann mit so einem Pöstchen, aber der soll bloß ruhig sein. Das gibt es auch, ne. Das merkt man dann, wenn man so internationale Versammlungen hat und da kommt so einer an. Der mag ja ganz lieb sein, aber erstens macht der gar nichts in der Provinz. Wenn er etwas machen würde, würde auch keiner auf ihn hören. […] Das gibt es in jedem Verein […]. Es muss ja auch den ‚Beauftragten-Für‘ geben, ne, den Gleichstellungs- oder was weiß ich was-Beauftragten, aber der wird nicht richtig ernst genommen. […] Und das ist dann schade. […D]as ist, Gott sei Dank, bei uns nicht so.
Sowohl die Erfahrungen, die Ordensleute machen können, wie auch die Möglichkeiten für Handlungen werden folglich durch die Mitglieder der Ordensleitung gestaltet. Diese Gestaltung ist sowohl Gegenstand wie Ergebnis von internen Verhandlungen, beruhend auf den etablierten und beständig rekonstituierten Hierarchien.
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen Zur Frage, wie Ordensleute die handlungsleitenden Bedeutungen ihrer Umweltschutzziele verhandeln, lassen sich aufbauend auf den analysierten Situationen diverse situationsübergreifende Beobachtungen formulieren. Diese ergeben kein klar definiertes Stilleben eines einheitlichen Verfahrens, sondern sie dienen eher der Vorstellung einer dynamisch sich verändernden Landschaft in der Menschen auf bereits befestigten Wegen gehen oder daneben, Zäune befestigen oder umgehen und Brücken bauen und überqueren. Situativ nehmen unterschiedliche Personen an diesen Verhandlungen teil. Diese müssen nicht zwangsläufig Ordensmitglieder sein, wie sich unter anderem im Formulierungsprozess des jesuitischen Dokuments Healing
366
7 Verhandlungen
a Broken World, bei dem Laien zu den Mitautor*innen und Kommentator*innen gehörten, und bei der Interviewsituation mit Ron und Steve, bei der ich selbst Teil einer internen Verhandlung zwischen Ordensleuten mit verschiedenen Zielinterpretationen wurde, zeigt. Während besonders bei der Formulierung von Healing a Broken World und etwas weniger ausgeprägt auch bei der Formulierung des Positionspapiers des philippinischen Sozialapostolats zu Rohstoffabbau mühsam um etwas Geteiltes gerungen wird, äußern sich manche Differenzen nur durch kurzes Lachen – und verlieren unmittelbar danach scheinbar wieder an Bedeutung. Im folgenden Textabschnitt diskutiere ich im Querschnitt, welche der analysierten Verhandlungssituationen zu Harmonisierung im Sinne einer gemeinsamen Perspektive führten und welche nicht. Im Anschluss zeige ich Beziehungen zwischen Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen sowie Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den beiden Ordensgemeinschaften und den Provinzen auf.
7.5.1 Dissens und Harmonisierung in und durch Verhandlungen Welche Beobachtungen zu Dissens und Harmonisierung lassen sich von den Situationen, die in der obigen Tabelle zusammengefasst sind, ableiten? Besonders bei den diskutierten informellen Verhandlungssituationen sticht heraus, dass viele Situationen entgegen der theoretisch formulierten Erwartung eines harmonisierten, gemeinsamen Blickes in Ordensgemeinschaften in Dissens enden.26 Von den hier behandelten informellen Situationen, die mit Dissens um unterschiedliche Interpretationen des Ziels oder unterschiedliche Priorisierungen des Ziels begannen, endeten solche mit Uneinigkeit, bei denen
26Dass
es möglich ist, dass auch Verhandlungssituationen in formalisierten Zusammenhängen in Dissens enden, zeigt eine formalisierte Situation innerhalb meines Datenmaterials. Da keiner der beiden Beteiligten Mitglied einer der beiden hier untersuchten Orden ist, habe ich mich gegen eine prominente Diskussion dieser Verhandlung entschieden. Sie ist jedoch ein Hinweis auf möglichen Dissens in formalisierten Situationen auch innerhalb der franziskanischen Gemeinschaft. Beim INFAG-Grundlagenseminar der franziskanischen Familie nehmen sich Ordensleute mit unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben bezüglich der Frage, ob demeter-Produkte gekauft werden sollten (obwohl demeter einer anthroposophischen Lehre folgt). Dabei steht dem Bewertungsmaßstab des Tierschutzes ein spirituelltheologischer gegenüber. Anders als in einigen anderen formalisierten Situationen besteht in der Situation keine Notwendigkeit der Einigung im Sinne eines formalisierten harmonisierten Ergebnisses. Die Protagonisten gehören unterschiedlichen Ordensgemeinschaften an, wodurch Dissens womöglich noch weniger problematisch ist.
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen
367
– Ordensleute sich begegnen, ohne dass sie den Dissens in der Situation thematisieren; – Ordensleute ihren Dissens nicht explizit, aber in Form negativer sozialer Strafen ausdrücken; – Intern orientierte Aktivisten mit Ordensmitgliedern mit anderen Zielinterpretationen oder einer schwächeren Priorisierung des Ziels direkt über diese betreffende Veränderungen verhandeln, wobei die Umsetzung einer Veränderung bestehender Routinen von den Strategien und Entscheidungskompetenzen der Aktivisten abhängt; – Ordensleute bezogen auf Gegenwart oder Vergangenheit öffentlich oder in direkten Begegnungen Kritik an anderen Mitgliedern der Gemeinschaft üben. Eingeschränkte Harmonisierung wird hergestellt, wenn Ordensleute normative theoretisierte Erwartungen und handlungsleitende Orientierungen entkoppeln. Dabei stimmen sie der normativen Handlungsorientierung ihrer Mitbrüder (oft der intern aktivistisch orientierten) in Abstimmungen von Anträgen oder im persönlichen Gespräch theoretisiert zu, erfüllen diese Orientierung selbst aber nicht. In Situationen, die zur Harmonisierung unterschiedlicher Perspektiven führen, hingegen – interpretieren die Teilnehmenden einer Situation das Ziel im gleichen handlungsleitenden Orientierungsrahmen; – oder sie können situativ Bezug auf geteiltes explizites oder implizites Wissen nehmen. Diese Wissensbestände können sich auf Erfahrungen in der Gemeinschaft beziehen wie die Vermittlung des Ziels im Orden durch die Ordensleitung, das Leben in alternden Konventen oder das Verhalten älterer Ordensleute gegenüber aktivistischen Mitbrüdern. Gemeinsame Wissensbestände können aber auch katholische oder ordensspezifische Bewertungsverfahren und –maßstäbe sein, die genutzt werden, um ein gemeinsames Ergebnis zu forcieren. Zur Frage, ob Verhandlungen zur Harmonisierung von unterschiedlichen Perspektiven führen oder nicht, lassen sich folglich zwei Unterscheidungsmerkmale als bedeutsam identifizieren: erstens, ob die Beteiligten ähnliche oder abweichende handlungsleitende Zielinterpretationen verfolgen (können) und zweitens, ob die Situationen formalisiert zum Ziel einer gemeinsamen Positionsentwicklung anhand geteilter Wissensbestände organisiert sind oder nicht. In Situationen, in denen sich Mitglieder mit ähnlicher Zielinterpretation austauschten, generierten sie schnell – und nahezu unbemerkt – eine geteilte
368
7 Verhandlungen
Perspektive. Die Analyse einer Diskussion des Ökumenischen Umweltforums ergab, dass Ordensleute auch situativ geteilte Interpretationen entwickeln können, wenn sie sich auf eine soziale Welt und somit implizit geteilte Wissensbestände beziehen wie beispielsweise dem Leben in Gemeinschaften mit sehr alten Menschen. Trafen sich Mitglieder mit unterschiedlichen handlungsleitenden Interpretationen, variierten die Verläufe stark, führten aber selten zu einer Harmonisierung. Situative Harmonisierung entstand in formalisierten Situationen, in denen die Beteiligten sich explizit zum Zweck des Austausches und der Einigung trafen. In diesen Verhandlungen ist das organisationale Wissen zentral, welches nicht nur Legitimität durch Verfahren ermöglicht, sondern mit normativen Bewertungsmaßstäben oder Verfahren der Reflektion eine gemeinsame Grundlage für Auseinandersetzungen schafft. Diese Grundlage ist unter Umständen umso gefestigter, da von ihr erwartet wird, diese zusammenführende Funktion zu erfüllen. Als Ausgangspunkt werden lokale wie anders begründete spezifische Perspektiven dabei von vornherein angenommen, was sich sowohl in der Organisation des Zusammentreffens transnationaler Experten oder den Vertretern des philippinischen Sozialapostolats widerspiegelt als auch in Dokumenten, die über die Verhandlungssituation hinaus andere Gemeinschaftsmitglieder ansprechen sollen. Geteilte Wissensbestände wie die katholische Soziallehre oder das Verfahren des Sehen – Urteilen – Handeln wurden in Situationen jedoch unterschiedlich genutzt: Als Diskussionsgrundlage, Bewertungsmaßstab und Diskussionsstruktur, als Darstellungsinstrument oder auch – im Kontext eines situativ hergestellten, geteilten Orientierungsrahmens – als Bestätigung des Ergebnisses nach einer Verhandlung. Auffällig ist, dass die mir zugänglichen Verhandlungssituationen dieses Charakters insofern von Seiten der Beteiligten einen Bias aufwiesen, als sich primär ‚Experten‘ trafen, denen entweder in Bezug auf das Umweltschutzziel oder Fragen des sozialen Apostolats oder der sozialen Gerechtigkeit besondere Rollen oder Kompetenzen zugewiesen worden waren. Verbunden mit ihren Prozessen der Konsensfindung sind diese Gruppen bemüht, ihre als gemeinsam konstituierte Perspektive in der Gemeinschaft zu verbreiten und andere Mitbrüder einzubeziehen, wobei sie antizipieren, nicht alle Mitbrüder zu überzeugen. Wie gezeigt entsteht die Einigung im Zuge reflektierter Verhandlungssituationen nur im Moment, auch wenn sie sich in Texten materialisiert. Das Ergebnis wird erneut Gegenstand alltäglicher Bewertungs- und Verhandlungssituationen. Der größte im Material über mehrere Situationen dokumentierte ‚Konflikt‘ um die Interpretation und Handlungsimplikationen der Umweltschutzziele entwickelte sich aus einer situativen Einigung zwischen Ordensleuten mit
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen
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unterschiedlichen Positionen heraus. Diese Einigung führte zur öffentlichen Auseinandersetzung mit einem Ordensexternen, die auch für zuvor nicht beteiligte Mitglieder der Gemeinschaft mit hohen materiellen Kosten einherging. Das Vorgehen der Verfasser wurde daraufhin in der internen Gemeinschaft Gegenstand diverser Verhandlungen. Entgegen den Beobachtungen zu formalisierten Situationen lässt sich kein einheitliches Verfahren der internen, alltäglichen Verhandlung und auch nicht eine herausstechende Strategie der Beteiligten identifizieren. So kann beispielweise Auslachen oder Lachen über einen bestimmten Handlungsvorschlag wie andere Formen direkter, aber nicht unbedingt sprachlich explizierter Interaktion konjunktiv die Grenzen potentieller Handlungsmöglichkeiten markieren. Zuvor schilderte ich eine solche Situation im Zusammenhang der Fokusgruppendiskussion mit Jesuiten in Ausbildung. Während ich sowohl Jesuiten als auch Franziskanern begegnete, die Aspekte wie Gartenarbeit oder spirituelle Praktiken als Teil ihres Engagements zu den Umweltschutzzielen verstanden, fiel auf, dass es sich primär um solche handelte, die durch Lachen als außerhalb des geteilten Wissens markiert wurden. Es lässt sich die Hypothese für weitere Forschung aufstellen, dass überraschenderweise besonders spiritualistische Handlungsalternativen und Zugänge in den Ordensgemeinschaften eher auf Skepsis im Sinne eines ‚Nicht ernst Nehmens‘ stoßen als die anderen identifizierten durch Wissenschaft und Lehre, soziale Aufgaben, interne pädagogische Aufgaben oder auch durch Aktivismus.
7.5.2 Relationen zwischen Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen Wie zuvor gezeigt, ist ein gemeinsamer Orientierungsrahmen mit Blick auf die Ziele ein bedeutender Anzeiger dafür, ob die Beteiligten in einer Verhandlung ihre abweichenden Wissensbestände harmonisierten. Verhandlungen sind besonders dann konfliktiv, wenn die aus dem Ziel abgeleiteten Handlungsimplikationen von Ordensmitgliedern (mit intern aktivistischer Interpretationen oder extern aktivistischer mit Kosten für die Gemeinschaft) andere Ordensmitglieder unmittelbar betreffen. Die intern aktivistische, handlungsleitende Interpretation ließ sich im Schwerpunkt bei Ordensmitgliedern der mitteleuropäischen Provinzen ausmachen, deutliche Hinweise auf eine solche Interpretation fand ich aber auch in den Diskussionen mit jungen philippinischen Jesuiten. Als Fragen des Lebensstils und der Beschaffung werden beispielsweise Mobilität, Ernährung, Müllverwertung und Energie fokussiert.
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7 Verhandlungen
Mit Blick auf konfliktive, informelle Verhandlungen fallen die wiederholten Erzählungen und Generalisierungen zu Auseinandersetzungen zu Fragen des Lebensstils in beiden Regionen und beiden Ordensgemeinschaften auf. Ordensleute reflektieren entsprechend der Erwartung des amerikanischen Pragmatismus auch Verhandlungen betreffende eigene und andere Perspektiven und antizipieren Widerspruch und der eigenen Interpretation gegenläufige Strategien. Ambivalenzen und Differenzen überraschen sie nicht. Die Diskussion zu dem Positionspapier zu Rohstoffabbau in diesem Kapitel zeigte, wie über die Zeit hinweg Rohstoffabbau in unterschiedlichen Situationen zwischen unterschiedlichen Ordensmitgliedern zum Thema von Reflektionen und interner Verhandlungen des Ziels wird. Wissen zu den vorherigen Verhandlungen fließt in die folgenden Verhandlungen ein. Über dieses Beispiel hinaus markieren die Homologien in diversen Aussagen, dass die Gemeinschaften jeweils theoretisiertes, generalisiertes Wissen dazu teilen, wer die Fürsprecher bestimmter Interpretationen sind, mit welchen Strategien sie keinen Erfolg haben und wie ihnen oft durch andere Ordensleute begegnet wird oder wurde. Dieser reflektierte Blick zeigt sich in beiden Regionen und in beiden Ordensgemeinschaften. Ordensleute können folglich in Verhandlungen auf Erfahrungswissen ebenso wie auf geteiltes expliziertes Wissen dazu zugreifen, wie das Thema in der Gemeinschaft verhandelt wird. Im Kapitel zu Bewertungen arbeite ich als eine Perspektive heraus, dass die Ziele integraler Bestandteil des Ordens sind, aber von der Gemeinschaft nicht ausreichend umgesetzt werden. Diese Perspektive deckt sich mit den in diesem Kapitel behandelten Berichten, dass informelle Verhandlungen, bei denen Ordensleute mit interner aktivistischer Handlungsorientierung an die Gemeinschaft mit Forderungen der Veränderung herantragen, die von der Gemeinschaft nicht geteilt werden, zumeist nicht zu Harmonisierungen der Perspektiven führen. Einher gehen mit dieser Bewertung zumeist Handlungsimplikationen ähnlich der Zielinterpretation des Aktivismus mit interner Handlungsorientierung. Nichtsdestotrotz problematisieren auch Ordensleute, die keine ausgeprägte intern-aktivistische Interpretation aufweisen, ihr eigenes Handeln besonders mit Blick auf ihren Lebensstil. Manche drücken dabei ein transformatorisches Desiderat aus, andere nicht.27
27Leider lässt sich auf Grundlage der Daten nicht beantworten, welche Rolle sie in Verhandlungen zu Lebensstilen einnehmen. Denkbar wäre, dass sie in Verhandlungen aktivistisch orientierte Mitbrüder unterstützen, aber auch, dass sie ihnen aufgrund anderer Priorisierung von Zielen entgegenstehen.
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen
371
Reflektionen zu den Erfahrungen führen nicht zuletzt zu neuen Strategien, wie die Fokusgruppendiskussion mit Jesuiten in Ausbildung zur Rezeption des Positionspapiers in der jesuitischen Gemeinschaft illustrierte. Es zeigt sich damit ein Zusammenhang, wie er auch theoretisch von einer ‚pragmatistischen Wissenssoziologie‘ angenommen würde und der sich wie folgt abstrahierten lässt: Unterschiedliche Zielinterpretationen und damit verbundene Handlungen führen zu Verhandlungen des Ziels und seiner Bedeutung. Die Erfahrung der Verhandlung wird bewertet. Auf Grundlage der einzelnen Verhandlungserfahrung und dessen Reflektion können Ordensleute die Strategien der Zielverwirklichung anpassen, es ändern sich aber kaum ihr Orientierungsrahmen der Zielinterpretation. Vor diesem Hintergrund lassen sich verschiedene reflektierte Strategien von Ordensleuten ausmachen, um die Umsetzung des Ziels entsprechend ihrer Interpretation innerhalb der Ordensgemeinschaft zu forcieren: Sie versuchen, die Handlungsimplikationen selbst vorzuleben (allein oder als Gruppe). Sie nutzen ihre jeweiligen Entscheidungsbefugnisse innerhalb der ihnen zugeschriebenen Aufgaben, um Veränderungen umzusetzen, auch wenn diese andere Ordensmitglieder betreffen. Besondere Kompetenzbereiche sind die Ausbildung neuer Ordensmitglieder und die Entscheidung über Karrieren und Kernaufgaben von Mitbrüdern, wie ich unten ausführe. In Gremien explizieren sie Handlungsimplikationen, indem sie auf bestehende Dokumente und Beschlüsse verweisen und neue Dokumenten und Beschlussvorlagen formulieren. Welche Rolle spielen dabei die geteilten, expliziten Wissensbestände der Gemeinschaften? Während diese bei Bewertungen zur Explikation und Rechtfertigung von Erwartungen herangezogen wurden, weist die Analyse von Verhandlungen genauer darauf, wie geteilte Wissensbestände Interaktion strukturieren und gleichzeitig selbst zum Gegenstand von Verhandlungen werden. So fokussieren die Ordensleute, die das Ziel als Ordensziel verstehen und sich für dessen Verfolgung einsetzen, zumeist die Aufgaben und Kompetenzen, die ihnen durch die Ordensleitung zugeschrieben werden, darunter häufig solche, die schon vor der Entscheidung der Leitung zum von der Gemeinschaft zu erfüllenden ‚Aufgabenkatalog‘ gehörten, wie beispielsweise Priesterämter, Leitungen ordensgeführter Einrichtungen oder Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft wie der internen Ausbildung. Dies geschieht zum Teil entscheidungsbasiert (vgl. Michael, 5.1.5), aber auch implizit: In der Tendenz interpretierten Ordensleute auch handlungsleitend die Ziele entlang der Orientierungen ihrer Kernaufgaben.
372
7 Verhandlungen
Im Kontrast unterschiedlicher Interpretationen offenbart sich vor dem Hintergrund der hier diskutierten Strategien ein Unterschied zwischen Interpretationen, bei denen die Kernaufgabe die Interpretation des Ziels beeinflusst (wie Thomas mit Interpretation Wissenschaft und Lehre) und solchen, bei denen das Ziel Maßstab der Bewertung und der Gestaltung der Kernaufgabe ist (wie Cristoforo mit Interpretation interne Ausbildung oder Leon mit Interpretation Spiritualität). Besonders bei erster Tendenz strukturieren folglich die sich in konkreten Aufgaben materialisierenden Wissensbestände dazu, was Mitglieder der Gemeinschaft (üblicherweise) tun, die Interpretationen. Entsprechend lässt sich beispielsweise verstehen, dass primär Jesuiten die Interpretation der Wissenschaft aufweisen. Bei zweiter Tendenz werden hingegen die etablierten Wissensbestände vor dem Hintergrund des neuen Ziels geprüft, wie sich besonders deutlich in Verhandlungen zum Lebensstil zeigt. In diesem Kapitel diskutierte ich darüber hinaus auch die Bedeutung der hierarchischen Sinnstruktur der Gemeinschaften für Zielinterpretationen und Verhandlungen, also den geteilten Wissensbeständen dazu, wie sich die Gemeinschaften organisieren. Im Zuge derer sind führende Ordensleute der Provinzen mit umfassenden Entscheidungsbefugnissen bezüglich Ausbildungsund Karrieregestaltung ausgestattet. Das heißt, sie beeinflussen stark, welche Erfahrungen Ordensleute machen (können). Es bietet sich darin für Leitende der Orden eine Chance, auf die Wissensbestände Einfluss zu nehmen, auf welche die Ordensleute der Gemeinschaften bei Interpretation und Verhandlung von Ordenszielen zurückgreifen können. Wie für den Interpretationstyp „interne Ausbildung“ rekonstruiert, sehen manche Ordensleute eine Möglichkeit der Zielerfüllung darin, Ordensleuten in Ausbildung durch bestimmte Praktika und Experimente für die Bedeutung der Ziele der Versöhnung mit der Schöpfung oder der Bewahrung der Schöpfung zu sensibilisieren. Sie forcieren so gezielt die Gestaltung handlungsleitenden Erfahrungswissens. Die Abbildung veranschaulicht diese Strategie, das Erfahrungswissen indirekt zu beeinflussen. Anders als andere Strategien ist diese insofern reflektiert transformativ, als sie darauf abzielt, die Sinnstrukturen und Entscheidungen zu verändern, die das Erfahrungswissen, auf dem die handlungsleitenden Orientierungen beruhen, gemeinsam mit ordensexternen Einflüssen strukturieren (Abbildung 7.1).
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen
373
Abbildung 7.1 Strategie, Erfahrungswissen indirekt zu beeinflussen
Wie ich im Kapitel zu Interpretationen anhand der Diskussion des Franziskaners Bill illustrierte, kann es für Ordensleute mit Blick auf das Umweltschutzziel auch zu Orientierungsdilemmata führen, zu Aufgaben berufen zu sein, die ihnen die Verwirklichung ihrer handlungsleitenden Zielinterpretation nicht ermöglichen. Vor dem Hintergrund der variierend starken Priorität, die Ordensleute den Umweltschutzzielen im Vergleich zu anderen Zielen zuschreiben, stellt sich darauf aufbauend für jede Provinz die Frage: Dürfen und können die, die das Ziel als Teil ihrer Ordensidentität sehen, ihre Interpretation im Alltag verwirklichen, das heißt ihrer Handlungsorientierung folgen? Einerseits scheint diese Frage eine politische, da die Möglichkeiten durch Entscheidungen der Ordensleitung limitiert werden. Andererseits ist die Antwort aber auch durch den jeweiligen, nicht unmittelbar zu beeinflussenden Kontext geprägt. Veränderungen wie die Alterung der Gemeinschaften oder externe Herausforderungen wie Katastrophen können Ressourcen binden und der Ordensleitung erschweren, diese Möglichkeiten zu schaffen – beispielsweise weil Ordensleute mittleren Alters in alternden Gemeinschaften mehr Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft
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7 Verhandlungen
übernehmen (müssen) oder weil Notsituationen in der Gesellschaft die zum Thema Engagierten in Soforthilfe und Wiederaufbaumaßnahmen binden, statt beispielsweise politischer Arbeit oder der Instandhaltung der Infrastruktur für Mülltrennung nachgehen zu können. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Strategien und analysierten Situationen, die nicht zu Harmonisierung führen, zeigt sich schließlich, dass die Ordensmitglieder über die einzelnen Verhandlungssituationen hinaus im Wechselspiel unterschiedlichster Wissensbestände erstaunlich tolerant gegenüber der Vielperspektivität innerhalb der Gemeinschaften sind – vermutlich zumindest so lange, wie die grundlegendsten normativen Prinzipien nicht verletzt werden und dadurch keine unmittelbaren Konsequenzen resultieren, die eigene Handlungsoptionen direkt beeinflussen.
7.5.3 Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Ordensgemeinschaften, Regionen und Provinzen Auf Grundlage der vielfältigen Verhandlungssituationen lassen sich viele Unterschiede und Differenzen identifizieren, deren Zusammenhang mit Grenzen zwischen Gemeinschaften ungewiss ist. Ich möchte deshalb drei Beobachtungen hervorheben, die mit Blick auf die Fragestellung besonders relevant sind, deren differenzierender Bezug zu Ordensgemeinschaften oder Provinzen plausibel ist und sich wiederholt zeigt und die für weitere Forschung spannende Fragen aufwerfen. Es gibt mehrere Hinweise auf einen Unterschied zwischen den Ordensgemeinschaften dahingehend, wie mit unterschiedlichen Zielinterpretationen in Verhandlungen umgegangen wird. Während Jesuiten häufiger argumentative Konfrontation beschreiben, erzählen aktivistisch orientierte Franziskaner wiederholt von symbolischer Zustimmung aufgrund von Zuneigung, die einher geht mit entsprechenden Entkopplungen von Zustimmung und Handlungen der Mitbrüder. Diese Beobachtung führt zur Hypothese, dass grenzüberschreitend Charisma oder Kultur der Ordensgemeinschaften beeinflussen, wie Ordensmitglieder informell miteinander verhandeln, mit entsprechendem Einfluss auf das Ergebnis. Bereits im Kapitel zu Interpretationen stellte ich dar, dass im Vergleich zwischen der jesuitischen Gemeinschaft auf den Philippinen der Beschlusses der Generalkongregation, Versöhnung mit der Schöpfung in die Mission des Ordens zu integrieren, auf den Philippinen ausgeprägter aufgegriffen wurde als in Deutschland. Schon im Hinblick auf die Interpretationen der Ziele zeigte sich, dass nicht nur das Thema sondern auch dessen Kommunikation durch die Ordensleitung den Jesuiten auf den Philippinen sehr präsent war, während in
7.5 Diskussion: Ähnlichkeit und Differenz von Verhandlungen
375
Deutschland Bezüge nicht in gleicher Intensität hergestellt wurden. Im Orden der Minderen Brüder zeigt sich dieser Unterschied zwischen den Regionen nicht. Diese Beobachtung legt einen großen Einfluss der Provinzleitung darauf nahe, von der Generalkongregation ausgehende Themen in der Gemeinschaft prominent zu platzieren (oder nicht). Um auch von Ordensmitgliedern als relevant wahrgenommen zu werden, für die das Themenfeld zuvor keine große Bedeutung hatte, müssen die Ordensziele von der provinzialen Ordensleitung entsprechend aufgegriffen und als handlungsweisend kommuniziert werden. Die philippinische Ordensleitung der Jesuiten konnte dabei in zweierlei Hinsicht an bestehendes Wissen der Gemeinschaftsmitglieder anknüpfen: Erstens sammelten die meisten philippinischen Ordensmitglieder bereits eindrückliche Erfahrungen zur Bedeutung von Umweltaspekten für die philippinische Gesellschaft und den eigenen Alltag und dabei besonders spürbaren Auswirkungen des anthropozän verursachten Klimawandels (wie Taifune oder starke Regenfälle, als externe Einflüsse). Zweitens kann sie auch auf lange provinziale Traditionen beispielsweise in der Meteorologie und Institutionen wie das Manila Observatory der jesuitischen Gemeinschaft auf den Philippinen verweisen. Die Bedeutung solcher Anknüpfungspunkte an spezifisches Erfahrungs- und geteiltes explizites Wissen für die Kommunikation und Verwirklichung globaler Ordensziele durch Provinzleitungen müsste in neuen komparativen Studien ermittelt werden, die diesen Aspekt stärker fokussieren. Für die Glokalisierung von Umweltschutzpolitiken weist die Beobachtung auf die Bedeutung regionaler bzw. nationaler Autoritäten hin, die als Intermediäre die Ziele als dringlich kommunizieren und stützen, aber auch ihrerseits handlungsleitend in spezifischer Weise interpretieren. Die Dringlichkeit scheint dabei auf den Philippinen in der jesuitischen Gemeinschaft mit weiter Verbreitung angenommen worden zu sein, während die handlungsleitenden Interpretationen von Gemeinschaftsmitgliedern nichtsdestotrotz stark divergieren. Schließlich lassen sich auch übergreifende Ähnlichkeiten erkennen. So existieren in beiden Orden Empfehlungstexte zu den Zielen, die unter anderem insofern ähnlich sind, als sie von transnationalen Experten formuliert wurden und ohne entsprechende Autorität, Weisungen zu erteilen, Anregungen und Verfahrensvorschläge zu lokal durchzuführenden Reflektionen und zielbezogenen Umsetzungsmöglichkeiten enthalten. Entgegen populärer Thesen, Lebensstilfragen seien ausschließlich ‚Luxusthemen‘ sehr wohlhabender Gesellschaften, werden in Provinzen beider Regionen und in beiden Ordensgemeinschaften solche Fragen von Ordensleuten in Verhandlungen gestellt. Versuche, Veränderungen in den Gemeinschaften anzustoßen, führen jedoch überall auch zu Widerstand.
8
Fazit
Dieser Arbeit lag die empirisch zu beantwortende Frage zugrunde, wie Ordensleute vor dem Hintergrund unterschiedlichster Erfahrungen der Mitglieder die Vorstellung einer geteilten Perspektive bezüglich ihrer Umweltschutzziele konstruieren. (Wie) Einigen sie sich auf gemeinsame Bedeutungen und deren Handlungsimplikationen? Damit untersuchte die Arbeit den Zusammenhang zwischen global formulierten Zielen der Religionsgemeinschaften, den verschiedenen Kontexten und der jeweiligen Handlungspraxis religiöser Akteure. Ich analysierte, wie die Mitglieder der Gesellschaft Jesu und des Ordens der Minderen Brüder auf Grundlage unterschiedlichster expliziter wie impliziter Wissensbestände ihre Umweltschutzziele interpretieren, bewerten und verhandeln. Die Gemeinschaften der Provinzen auf den Philippinen und in Deutschland standen im Fokus. Kästen zu Beginn der Kapitel fassten die wichtigsten Ergebnisse aus den Teiluntersuchungen zusammen. Die Analyse der zielbezogenen Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen ermöglichte eine differenzierte Diskussion unterschiedlicher Wissensbestände und der Ähnlichkeiten und Differenzen, die sich dabei im Vergleich zwischen Ordensleuten, Provinzen, Regionen und Ordensgemeinschaften identifizieren ließen. In diesem Kapitel beleuchte ich die Beiträge, die diese Analyse zu Forschung zu religiösen Gemeinschaften und Umweltschutz, zu bestehender Literatur zu Glokalisierung von Institutionen und zu methodologischen Zugängen zu Wissen und Handeln in transnationalen Gemeinschaften leisten kann. Welche allgemeineren Erkenntnisse Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_8 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2_8
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8 Fazit
lassen sich aus der detaillierten Analyse einzelner Perspektiven und Situationen in diesen spezifischen Ordensgemeinschaften ableiten?
8.1 Beitrag zum Forschungsfeld Dieser Untersuchung liegt weder eine besonders positive Sichtweise auf Glokalisierung und die Verbreitung religiöser Umweltschutzziele zugrunde noch eine besonders kritische, die den Beitrag religiöser Gemeinschaften zur Lösung von Umweltproblemen anzweifelt (z. B. Taylor, 2005; Taylor, Van Wieren and Zaleha, 2016). Ohne eine der beiden prominenten, bewertenden Seiten in der Forschungsliteratur einzunehmen, zeigt die vorliegende Arbeit, dass Gemeinschaftsmitglieder sehr wohl basierend auf den Zielen handeln, dass die Ziele aber auf sehr unterschiedliche Weise rekontextualisiert werden. Als Beitrag zu religionssoziologischer Forschung besonders zu hierarchisch organisierten, globalen Ordensgemeinschaften schließlich zeigt sich, dass Pluralität durch Glokalisierungsprozesse nicht zwangsläufig mit Desintegration innerhalb von religiösen Gemeinschaften einhergeht, auch wenn es interne Konflikte gibt. Neben dem deskriptiven Beitrag, den diese Arbeit hinsichtlich des Themas religiösen Umweltschutzes leistet, lassen sich einige Erkenntnisse detaillierter hervorheben, die für das Forschungsfeld um religiöse Gemeinschaften und Umweltschutz besonders relevant sind. Grundsätzlich kann die vorliegende Arbeit mit Blick auf die beiden untersuchten katholischen Ordensgemeinschaften die Beobachtungen anderer Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftlicher Akteure bestätigen, dass sich religiöse Gemeinschaften gegenwärtig ökologischen Fragestellungen annehmen,1 zeigte aber auch interne Widerstände und Konfliktlinien auf. In beiden Ordensgemeinschaften und beiden Regionen identifizierte ich Auseinandersetzungen zwischen Ordensleuten, besonders zu den Handlungsimplikationen der Ziele für die Gestaltung der individuellen Lebensstile und Entscheidungen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens, die Fragen des Lebensstils betreffen. Dabei wird durch die Differenzierung der Wissensbestände erkennbar, dass zumeist nicht verhandelt wird, ob grundsätzlich das Ziel adressiert werden sollte (wie in der Basistypik ausgedrückt). Kontrovers sind hingegen die Implikationen der Zielinterpretation der internen Aktivisten, die Fragen
1Diese
Erkenntnis ist natürlich keinerlei Überraschung, da ich die Gemeinschaften auch auf Grundlage von Vorinformationen zu diesem Kriterium auswählte.
8.1 Beitrag zum Forschungsfeld
379
des Lebensstils in die Gemeinschaften einbringen. Zu spirituellen Zugängen hingegen konnte ich wiederholt grundsätzliche abgrenzende Markierungen in informellen Verhandlungssituationen ausmachen, die – trotz weitverbreiteten reflexiven Wissens zur Vielperspektivität im Orden – schon die Interpretation als solche infrage stellen. Die Arbeit schließt an die wenigen ähnlichen Versuche in der Forschung an, welche die internen Verhandlungen religiöser Gemeinschaften in den Blick nehmen (z. B. Ellingson 2016). Dabei zeichnet die Arbeit insbesondere aus, den Blick auch auf die impliziten und alltäglichen Prozesse der Sinnzuschreibung und der alltäglichen und/oder nicht-konfliktiven Verhandlung zu lenken. Diese Arbeit beantwortet genauer (vgl. für eine ähnlich ausgerichtete, aber methodisch anders verwirklichte Studie Baugh 2019), inwiefern die geteilten Sinnstrukturen in den Ordensgemeinschaften beeinflussen, wie die Ordensleute die entsprechenden, von ihren höchsten Entscheidungsgremien formulierten Ziele handlungsleitend interpretieren und bewerten und verhandeln. Während ein großer Teil der Forschung zu Umwelt und Religion entsprechende Leuchtturmprojekte, aktivistische Initiativen und religiöse Akteure innerhalb von Zivilgesellschaften untersucht (vgl. Kapitel 2; für die gleiche Kritik Baugh 2019), wendete sich diese Untersuchung der alltäglichen Praxis in religiösen Gemeinschaften zu. Dabei wurde deutlich, dass Umweltschutzziele in Ordensgemeinschaften basierend auf den Interpretationen der Mitglieder auch in ganz anderen Bereichen wie Wissenschaft und Lehre oder der internen Ausbildung bedeutsam sein können. Inwiefern beeinflusst die Identität der Gemeinschaften, wie sie sich dem Thema annehmen? Die Analyse ergab drei Bereiche, in denen die spezifischen Sinnstrukturen als katholische Ordensgemeinschaften als besonders relevant für diese Prozesse hervortreten. Damit bereichert sie das Forschungsfeld mit qualifizierten Erkenntnissen zu Ähnlichkeit und Differenz von sich global verbreitenden Umweltschutzinitiativen. Erstens beeinflussen die geteilten Sinnstrukturen, welche Erfahrungen Ordensleute sammeln beziehungsweise an welchen sozialen Welten sie teilnehmen. Das Charisma beinhaltet Tendenzen dazu, in welchen Bereichen Mitglieder der Gemeinschaften aktiv sein sollten. Führende Ordensmitglieder treffen in diesem Rahmen – entsprechend der geteilten Wissensbestände dazu, wie sich die Gemeinschaften organisieren – maßgebliche Entscheidungen darüber, wer welche Aufgaben erfüllt. Innerhalb der Ausbildung wählen die für diese Entscheidung Zuständigen im Orden aus, welche zusätzlichen Erfahrungen ‚in der Welt‘ die Auszubildenden neben Kontemplation und Ordensleben und, in der Regel, theologischen (und in der Gesellschaft Jesu philosophischen) Studien in Form von Praktika machen. Es wurde gezeigt, dass ein Zusammenhang besteht zwischen den Erfahrungsräumen, die sich durch
380
8 Fazit
Karrieren und Ausbildung ergeben, und den handlungsleitenden Interpretation und expliziten Perspektiven, die Ordensleute hinsichtlich der Umweltschutzziele einnehmen. Es zeigte sich aber auch, wie diese hierarchischen Sinnstrukturen je nach Position im Orden außergewöhnliche Handlungsfähigkeit für die Verwirklichung der Ziele oder auch das Gegenteil bedeuten können: Während einige Ordensleute die Strategie formulierten, durch die Gestaltung der Ausbildung die Auszubildenden zu bestimmten Sichtweisen zu ‚befähigen‘, waren andere in einem Dilemma zwischen ihrer handlungsleitenden Zielinterpretation und den Möglichkeiten, diese innerhalb der ihnen zugewiesenen Aufgabe zu verwirklichen. Diese Diskussion weist darauf hin, dass Erfahrungen in Ordensgemeinschaften aufgrund der Form des Organisierens im Vergleich zu anderen Gemeinschaften erstaunlich steuerbar, gleichzeitig aber auch im Rahmen der über Jahrhunderte gelebten Traditionen alles andere als willkürlich sind, weil bestimmte etablierte Aufgaben, Rollen und Funktionen er- und ausgefüllt werden müssen. Besonders in alternden Gemeinschaften sind diese dadurch herausgefordert, mit weniger Mitbrüdern die etablierten Rollen zu besetzen und gleichzeitig zusätzlich für die Versorgung der alten Mitbrüder zu sorgen. Auch wenn Teile etablierter Aufgabenbereiche aufgegeben werden – wie es in diversen Ordensgemeinschaften gegenwärtig geschieht – erschwert dies die Aufnahme vergleichsweise ‚neuer‘ Missionen wie der des Umweltschutzes. Kontextuelle Einflüsse können so auf vielfältige Weise in Kombination mit den geteilten Sinnstrukturen die Entscheidungen der Ordensleitung beeinflussen. Ein zweiter Bereich, in dem die geteilten Sinnstrukturen der Gemeinschaft relevant erscheinen, ist der der expliziten Bewertungen. Ob Ordensleute die Umweltschutzziele in die geteilten Wissensbestände zur Identität des Ordens einbetteten, konnte als maßgebliche Frage dazu identifiziert werden, ob sie sie überhaupt als Ordensziele ansahen. Als Einbettung stellten sie Bezüge zu Leben und Wirken der Ordensgründer, zu bestimmten Aspekten des abstrahierten Charismas oder zu jüngeren Ordensentscheidungen her. Auch Verlautbarungen der katholischen Kirche und besonders der Päpste wurden zur Integration in bestehende Sinnstrukturen der Gemeinschaften herangezogen. Die Bewertung dessen, inwiefern die Ziele (hinreichend) verwirklicht werden, erfolgte hingegen basierend auf der individuellen Handlungsorientierung und den Erfahrungen dazu, wie diese in der Gemeinschaft verfolgt werden. Schließlich wurde das gemeinsame Wissen auch dann herangezogen, wenn Ordensleute sich für einen Austausch und eine Einigung zu zielbezogenen Fragestellungen in formalisierten Situationen trafen. Hierbei erschienen insbesondere die katholische Soziallehre sowie das darin aufgegriffene Bewertungsverfahren des Sehen – Urteilen – Handelns als entscheidende Sinnstruktur im Organisieren
8.1 Beitrag zum Forschungsfeld
381
zu harmonisierender Perspektiven zu Themen wie Rohstoffabbau aber auch dem Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung an sich. Bemerkenswert ist in Bezug auf die expliziten Verweise auf geteilte Sinnstrukturen in beiden Gemeinschaften, dass anhand des Gesamtvolumens des geteilten Wissens sehr unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden können – beispielsweise Gerechtigkeit, Wasser als Familienangehörige oder eine anthropozentrisch orientierte Humanökologie. Diese Heterogenität, die meiner Meinung nach offensichtlich aus der Fülle der möglichen Bezugspunkte resultiert, wird allerdings innerhalb meines Materials sehr selten problematisiert. Möglich wäre beispielsweise, dass einem Zitat aus einer Enzyklika eine Aussage aus einer anderen Enzyklika entgegen gestellt würde, was allerdings kaum geschieht. Ich konstatiere darauf aufbauend, dass es innerhalb der Gemeinschaften geteilte Wissensbestände dazu gibt, dass auf Basis der ‚religiös-theologischen‘ Wissensbestände Einigungen hervorgerufen werden können und dass die Wissensbestände nicht genutzt werden (sollen), sich gegenseitig zu entkräften. Ich wende mich nun der Frage des Zusammenhangs zwischen Umweltschutz und (Ver)Handlungen in den untersuchten religiösen Gemeinschaften zu. Dazu lassen sich anfangs zwei ‚Merksätze‘ formulieren: Auch wenn diese religiösen Gemeinschaften Umweltschutzziele formulieren, ist nicht alles, was die Gemeinschaften tun, Umweltschutz. Zweitens ist nicht alles, was sie tun, um Umweltschutz zu verwirklichen, genuin religiös. Zu dem ersten Merksatz führen verschiedene Beobachtungen: Wie gezeigt beziehen sich nicht alle Interpretationen der als Umweltschutzziel identifizierten Ziele auf Ökologie im umgangssprachlichen Verständnis von ‚Natur‘, sondern möglich sind auch anthropozentrische Schöpfungs- und Umweltbegriffe. Dieser Befund hat weitreichende Implikationen: Mit dieser Möglichkeit kann ein begründeter Einwand gegen Hoffnungen formuliert werden, religiöse Gemeinschaften könnten und würden einen substantiellen Beitrag zur Lösung der diversen globalen Umweltkrisen leisten. Zweitens wiesen besonders die vielfältigen Ausführungen zu Widerstand bei Versuchen, alltagsbezogene Routinen der Gemeinschaften zu ändern, sowie die beschriebenen Konflikte um das Positionspapier zu Rohstoffabbau auf den Philippinen darauf hin, dass innerhalb der Gemeinschaften Prioritäten zwischen unterschiedlichen Zielen und Interessen zwischen Gemeinschaftsmitgliedern variieren und Auseinandersetzungen nicht immer zugunsten der Umweltschutzziele entschieden werden. Sowohl die Harmonisierung von unterschiedlichen Perspektiven als auch die Umsetzung von Zielen zu beobachtbaren Änderungen von etablierten Routinen sind in den Ordensgemeinschaften keine Selbstläufer. Verfechter*innen hoffnungsvoller Thesen zum positiven Umweltwirken von religiösen Gemeinschaften (z. B. Bergmann und Gerten 2010; Hall et al. 2009; Tucker und
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8 Fazit
Grim, 2017; vgl. Kapitel 2 zum Forschungsstand) können diesem Einwand nur begegnen, wenn sie sich über die Auseinandersetzung mit globalen Verlautbarungen hinaus empirisch und argumentativ mit diesen Ambivalenzen und Unterschieden im Feld auseinandersetzen. Den zweiten Merksatz begründen vor allem die Rekonstruktionen der handlungsleitenden Orientierungen für die Zielinterpretationen. Unter dem ausgeführten Vorbehalt, dass manche religiösen Komponenten des Alltags (hier: Spiritualität) schwer sind, empirisch zu erfassen, beinhaltet die Typik der Interpretationen einige Typen, die keinesfalls durch religiöse Akteure verwirklicht werden müssten, sondern die auf soziale Welten verweisen, die sie mit säkularen Gruppen und Einzelpersonen teilen. Dies betrifft alle extern orientierten Interpretationstypen außer Spiritualität. Die Interpretation der Spiritualität erfüllt vielleicht spontane Erwartungen an einen religiösen Umweltschutz deshalb am ehesten, da Spiritualität als besonderer Aspekt von religiösen Gemeinschaften verstanden wird, den andere Gemeinschaften nicht unbedingt aufweisen. Genau diese Interpretation wurde jedoch innerhalb der Gemeinschaften mehrfach lachend als außerhalb der geteilten und als üblich kommunizierten Interpretationen der Umweltschutzziele markiert. Das mag überraschen. Mir fiel jedoch auf, dass es auch mir selbst nach einiger Zeit der Datenerhebung vor dem Hintergrund von teilnehmenden Beobachtungen und Gesprächen über Gebäudesanierungen, Mülltrennung, einfache Lebensstile und politische Protestformen (et cetera) und angewendeten Maßstäbe wie Effizienz, Kosten oder Fachexpertise außergewöhnlich vorkam, im Rahmen der Gespräche von Meditationen oder anderen spirituellen Praktiken zu hören – was ich als Zeichen dafür las, zunehmend ins Forschungsfeld einzutauchen und Abstand von meinen Vorannahmen zu nehmen, was religiösen Umweltschutz ausmachen könnte. Ich lernte, dass viele mit Zielinterpretationen verknüpfte Handlungen ähnlich von nicht-religiösen Akteuren ausgeführt werden könnten. Ich zeige damit in dieser Studie nicht zuletzt, dass religiöse Akteure sehr viel mehr ökonomische Bewertungskriterien und Spannungen zwischen Bewertungsmaßstäben ‚aushalten‘ können, als Bourdieu (1998) es beispielsweise in seiner Diskussion der lachenden Bischöfe annimmt. Dass in den Gemeinschaften gerade die spirituellen Zielinterpretationen als außerhalb der geteilten Wissensbestände markiert wurden, könnte ein Zeichen dafür sein, dass es doch rationalisierende Tendenzen innerhalb der Gemeinschaften gibt, oder aber auch, dass die Gemeinschaften noch nicht die Grenzen ihrer gemeinsamen Version von Umweltschutz bestimmt haben und in Situationen der Unsicherheit unter Umständen auf Wissen anderer sozialer Welten zurückgreifen. Die Hinweise sind jedoch zu selten, um darauf aufbauend weitreichende Annahmen zu formulieren.
8.1 Beitrag zum Forschungsfeld
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Wenn Umweltschutzziele auch nicht-ökologisch interpretiert werden können und sich darüber hinaus die Handlungsimplikationen vieler Interpretationstypen innerhalb der Ordensgemeinschaften gar nicht so stark von denen säkularer Gruppen unterscheiden, stellt sich die Frage, inwiefern basierend auf dieser Studie davon ausgegangen werden kann, dass religiöse Gemeinschaften einen besonderen Beitrag zur Verminderung und Bewältigung der multiplen ökologischen wie sozialen globalen Probleme leisten können. Rettet uns nun die zunehmende Integration des Themas in die Identitäten religiöser Gemeinschaften? Basierend auf dieser Untersuchung fällt die Antwort ambivalent aus. Geht die Imagination des Gemeinsamen einher mit der Imagination von heterogenen Perspektiven innerhalb der Gemeinschaft, bleibt zu fragen, wie dies bezüglich der Adressierung von Umweltschutzproblemen zu verstehen ist. Bedeutet die weiche Regulierung in den Ordensgemeinschaften eine Relativierung jeglicher Positionierung der Gemeinschaft? Die Frage deutet auf das Problem, was einige Gesprächspartner explizieren, dass Empfehlungen von Bewertungskriterien und Bitten zu Einbeziehung dergleichen bei persönlichen Entscheidungen von Individuen in situativen Abwägungsprozessen vernachlässigt werden können – und dies allem Anschein nach auch in allen Ordensgemeinschaften und Regionen passiert. Gleichzeitig weist die Analyse jedoch darauf hin, dass mit der Relativierung der eigenen Perspektive nicht impliziert ist, aufzuhören sie zu verfolgen oder mit anderen darüber in Verhandlungen zu treten. Dass Ordensleute sich den reflektierten Differenzen immer wieder annehmen und Konflikte ‚aufnehmen‘, könnte insbesondere dadurch begründet sein, dass mit mittel- und längerfristigen Konsequenzen für ihr Leben einhergeht, welche Perspektiven in welchen Situationen kollektiv als geteilt konstruiert werden oder in Dissens verweilen. Darüber hinaus zeigte auch diese Studie wie andere zur Rolle religiöser Akteure in Zivilgesellschaften (z. B. Nepstad 2002; Steiner 2018; Stamatov 2010, 2013; vgl. Forschungsstand 2.1.2) auf, dass die Ordensleute besonders auf den Philippinen gemeinsam mit Vertreter*innen anderer Ordensgemeinschaften und der verfassten Kirche eine wichtige Rolle einnehmen, lokale Missstände zu adressieren und dass sie dabei transnationale Netzwerke und lokale Machtstrukturen besser nutzen können, als es den betroffenen Gruppen ohne diese Unterstützung möglich wäre. Es fällt ihnen auf den Philippinen unter anderem eine Rolle zivilgesellschaftlicher Beobachtung und ‚Kontrolle‘ von Unternehmens- und Regierungshandeln zu. Auch übernehmen und unterstützen sie Katastrophenhilfe und –prävention und Infrastrukturmaßnahmen. Dabei treten sie unabhängig von Religionszugehörigkeit insbesondere für die Personengruppen ein, die ansonsten nur schwer Gehör finden würden – wobei nicht immer Einigkeit darüber herrscht, was im Sinne dieser Gruppen ist und wie sich dieses Interesse zu Fragen des Umweltschutzes verhält,
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8 Fazit
wie besonders im Rahmen der Verhandlungen zu Rohstoffabbau deutlich wurde. Dieses Engagement ist jedoch keinesfalls neu, sondern wurde in katholischen Gemeinschaften eingeleitet spätestens durch das Zweite Vatikanische Konzil und die Reflektions- und Mobilisierungsprozesse der folgenden Jahrzehnte beispielsweise im Zuge der befreiungstheologischen und ökumenischen Bewegungen, aber nicht ausschließlich. Des Weiteren belegt die Studie in der Tat, dass viele Kommunitäten und Einzelpersonen Themen des Umweltschutzes aufgreifen, sie verbreiten und sie innerhalb ihrer Gemeinschaften und Einrichtungen zu gestaltenden Kriterien werden lassen. Dabei ist das Engagement für Umweltschutz verbunden mit dem impliziten Maßstab des Gemeinwohls, der die Relevanz des Wohls der Menschen und besonders der Marginalisierten von und in Umweltschutzmaßnahmen bezeichnet. Der hier identifizierte religiöse Umweltschutz in seinen verschiedenen Facetten legt die Vermutung nahe, dass Umweltschutz durch katholische Akteure immer eine Variante dessen ist, nämlich eine, die die Beziehung der Umwelt zum Menschen maßgeblich einbezieht. Konservationistische Ansätze, die eine strikte Trennung von ‚Natur‘ und Mensch zum Schutz der ersten anstreben, sind folglich von katholischen Akteuren nicht zu erwarten. Diese normative Ordnung bringen sie ihrerseits in die sozialen Welten ein, in denen sie aktiv sind. So greifen sie Wissensbestände unterschiedlichster sozialer Welten auf, führen sie in diesen sozialen Welten aber auch entsprechend ihrer geteilten Wissensbestände fort und interagieren anders als Ordensleute strikt kontemplativer Tradition auf diverse Arten mit Laien dieser sozialen Welten. Schließlich zeigte die Untersuchung eine weitere Beziehung der untersuchten Ordensgemeinschaften mit ‚der Welt‘. Ordensleute bewerten sich selbst vor dem Hintergrund ihres Wissens dazu, was außerhalb der Gemeinschaft in verschiedenen sozialen Welten geschieht. Mit der Vision, prophetisch zu wirken, vergleichen besonders Ordensleute mit intern aktivistischer Zielinterpretation die eigene Gemeinschaft mit außerhalb der Gemeinschaften verfolgten säkularen und religiösen Lebensentwürfen und Aktivitäten. Entsprechend bedeutsam erscheinen gerade die Initiativen, die den religiösen Aktivisten zufolge prophetischer sind als sie selbst und an denen die Bewertung des eigenen Handelns auch festgemacht wird. Weil die Ordensleute sich in ihrer über Jahrhunderte etablierten, aber gleichzeitig fiktiv-visionären Selbstbeschreibung als Vorbilder und Vorreiter verstehen, ist es bedeutsam, wenn sie in der Gesellschaft Möglichkeiten ausmachen, ihre Ziele in einer Art zu verwirklichen, die durch ihre Gemeinschaft bisher nicht ausgeschöpft wird. In diesem Wechselspiel von Wissen und normativen Ordnungen zwischen religiösen und anderen Gemeinschaften liegen meiner Meinung begründete Hoffnungen, dass religiöse Gemeinschaften wie Ordens-
8.2 Theoretischer Beitrag
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gemeinschaften einen entscheidender Beitrag zur Adressierung ökologischer und mit Ökologie verknüpfter Probleme leisten. In diesem Sinne kann es auch sinnvoll sein, die besondere Bedeutung von Normen in religiösen Gemeinschaften hervorzuheben (vgl. Kapitel 2). Wie ich darlegte, ist in den Ordensgemeinschaften dafür jedoch die Unterstützung der Ziele durch die Ordensleute in Entscheidungsverantwortung sehr bedeutsam, besonders bezüglich der Möglichkeiten, zielbezogene Erfahrungen zu machen und entsprechende Handlungsimplikationen verwirklichen zu können. Impulse dazu wurden innerhalb der katholischen Kirche in jüngster Zeit von Papst Franziskus als oberster Autorität durch Laudato Si und andere Verlautbarungen gesetzt. Externe Einflüsse wie die große Klimabewegung Fridays for Future könnten als positive Gegenbilder in reflektierten Bewertungen zusätzlich treibend in die Gemeinschaften hineinwirken. Konsumkritik und Fragen des Lebensstils sind entgegen Tomalins Befunden (2016) in den von mir untersuchten Kontexten nicht als primär westlicher, romantischer Problembereich einzuordnen, sondern sind gerade hinsichtlich der Zusammenhänge mit Vulnerabilität der ärmsten Bevölkerungsgruppen und den Erfahrungen von klimawandelbedingten Umweltkatastrophen wichtiger Teil der handlungsleitenden Interpretationen von einigen jungen und älteren Ordensleuten auf den Philippinen. Impulse und Interpretationen müssen jedoch von den Provinzleitungen der Orden aufgegriffen und unterstützt werden, um von der breiten Mitgliederbasis als dringlich wahrgenommen zu werden und Mitglieder mit Interpretationen, welche aktuelle ökologische Probleme adressieren, mit relevanten Handlungsspielräumen auszustatten. So erleben aktivistisch orientierte Ordensleute in den Gemeinschaften nach wie vor relevante Widerstände. Während Beteiligungen einzelner Ordensmitglieder im Kontext auch nicht-religiöser Zivilgesellschaften mit Sicherheit erwartet werden können, erscheint ein Ausstrahlen in die Breite innerhalb der Gemeinschaften ohne die Unterstützung der Leitungen bisher als eher unwahrscheinlich.
8.2 Theoretischer Beitrag Die hier eingenommene Perspektive adressiert die Lücke mangelnder Forschung zu mikrosoziologischen Prozessen der Zuschreibung und Aushandlung von Bedeutung in der bestehenden Literatur zu Glokalisierungsprozessen. In der Diskussion des Forschungsstandes legte ich dar, dass vor dem Hintergrund der Beobachtung von globalen Ähnlichkeiten bei gleichzeitigen Unterschieden bei übersetzten Formen wie Menschenrechten, Standards oder CSR-Praktiken bisher wenig erforscht ist, wie verschiedene globale wie lokale Kontextfaktoren Teil
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8 Fazit
von lokalisierten, alltäglichen Entscheidungsprozessen werden (vgl. Forschungsstand 2.2). Während alle Forschungsprobleme um Fragen der Glokalisierung sich in ständiger Spannung zwischen institutioneller und kontextueller Rahmung und Handlungsfähigkeit bewegen, machen auch die mikrosoziologischen Studien dazu die Beziehung der beiden Aspekte mikrosoziologisch nicht präzise greifbar. Sie heben im Schwerpunkt die bewusste, teilweise die politische Dimension von Entscheidungen in Übersetzungsprozessen hervor. Beispielsweise wird gefragt, wie Entrepreneure in spezifischen Positionen und mit spezifischen Fähigkeiten lokale, innovative Spielarten von globalen Modellen generieren oder wie bestimmte Akteure in politischen Prozessen gezielt global genutzte Konzepte basierend auf ihren lokalisierten Interessen umschreiben. Alltagsprozesse der Bedeutungszuschreibung und –verhandlung von glokalen Ideen werden kaum untersucht. Die für diese Arbeit vollzogene Integration der Handlungstheorien der deutschen Wissenssoziologie und des amerikanischen Pragmatismus ermöglichte, Wechselspiele zwischen unterschiedlichen Wissensbeständen zu untersuchen. Explizite und implizite, reflektierte und selbstverständliche Wissensbestände können so unterschieden und analytisch differenzierbaren Teilprozessen der Glokalisierung zugeordnet werden. Es wurde durch die Integration handlungstheoretischer Prämissen im Sinne einer pragmatistischen Wissenssoziologie folglich versucht, zu untersuchen und genauer zu differenzieren, ob und wie in einer Gemeinschaft geteilte Wissensbestände einerseits und spezifische Wissensbestände der Akteure andererseits zu lokalen Sinnzuschreibungen und –Verhandlungen in Bezug auf ein global formuliertes Ziel beitragen. So lässt sich die Beobachtung von Ähnlichkeit und Differenz, die dem Begriff der Glokalisierung eingeschrieben ist, dahingehend präzisieren, wie global verbreitete Institutionen – wie beispielsweise die ‚rationale‘ wissenschaftliche Herangehensweise oder politische Aktionsformen wie Einkaufsboykotte – durch Erlebnisschichtungen der Mitglieder als ‚Selbstverständlichkeiten‘ Eingang in Übersetzungsprozesse finden. Die Mitglieder verfolgen die geteilten Projekte der Gemeinschaften entsprechend ihren Erfahrungen in sozialen Welten, welche gleichermaßen transnational oder lokal gerahmt sein können. Ähnlichkeit in der Übersetzung entsteht nicht allein aufgrund der Einigung, die in der Situation der schriftlichen Ausgestaltung einer Institution – einem Standard, einer international beschlossenen Konvention oder auch einem globalen Ziel – erreicht wurde, sondern Ziele werden nur ähnlich interpretiert, weil Menschen an unterschiedlichen Orten der Welt ähnliche Wissensbestände aus transnational konstituierten sozialen Welten wie der Wissenschaft, transnationalen Expertengruppen oder politischem Aktivismus teilen. Diese Arbeit knüpft damit an die Erkenntnisse der institutionellen Organisationsforschung und insbesondere
8.2 Theoretischer Beitrag
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des skandinavischen Institutionalismus an, konkretisiert aber, wie welche Wissensbestände als rahmende Selbstverständlichkeiten der Akteure in Übersetzungsprozesse einfließen. Darüber hinaus qualifiziere ich dieses Selbstverständliche in Gemeinschaften, in denen die Erfahrungsräume der Mitgliederschaft vielfältig sind, als reflektierbar. Im Folgenden stelle ich den Beitrag genauer dar, der durch die theoretische Integration erbracht werden kann. Im Rahmen dessen diskutiere ich die durch die Interpretation von Modellen als selbstverständlich einfließenden Wissensbestände und die Erkenntnisse, die sich für die Teilprozesse der Bewertung und der Verhandlung aus der Analyse ergeben. Schließlich reflektiere ich die Forschungsfrage vor dem Hintergrund der Ergebnisse. Sowohl die Wissenssoziologie als auch der Pragmatismus gehen davon aus, dass Handlungen in sozial geteilten, nicht explizierten und bewussten Wissensbeständen begründet liegen, heben aber die Bedeutung entweder der einen oder der anderen Wissensbestände für Handeln hervor. Die folgenden Abbildungen stellen schemenhaft dar, inwiefern die Integration der Handlungstheorien ein differenzierteres Bild auf Glokalisierung werfen kann, als es mit Untersuchungen auf Grundlage nur einer der beiden Perspektiven entsteht, die jeweils nur einen Teil der Wissensbestände in den Vordergrund rücken. Zu illustrativen Zwecken überzeichnen die Skizzen den Unterschied und missachten die Ähnlichkeiten, die ich in der handlungstheoretischen Konzeptionalisierung in Kapitel 3 aufzeige und welche eine Integration der Theorien überhaupt ermöglichen (Abbildung 8.1 und 8.2).
Abbildung 8.1 Glokalisierung mit Perspektive der Wissenssoziologie nach Bohnsack
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8 Fazit
Abbildung 8.2 Glokalisierung mit pragmatistischer Perspektive
Wie dargelegt hebt die Wissenssoziologie die impliziten Wissensbestände als handlungsleitend hervor, während pragmatistische Ansätze die Bedeutung von Reflektionen und kreativen Problemlösungen für Handlungen betonen. Mit der Wissenssoziologie lässt sich folglich der handlungsleitende Orientierungsrahmen beziehungsweise die Interpretation der globalen Ziele untersuchen sowie implizite Verhandlungen innerhalb eines Orientierungsrahmens (siehe unten), während explizite Bewertungen und Verhandlungen eher aus pragmatistischer Perspektive erfasst werden. Durch die Analyse der Teilprozesse kann ich in die Untersuchung von Glokalisierung Reflektion sowie sowohl explizites wie Erfahrungswissen einbeziehen und so verschiedene Verhandlungssituationen differenzieren, wie ich später in diesem Abschnitt darstelle. Diese Untersuchung bereichert Forschung zu Glokalisierung insbesondere, indem auch implizites, für selbstverständlich gehaltenes Wissen und unterschiedliche
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Erfahrungen von Beteiligten im global-lokalen Übersetzungsprozess analysiert werden, was durch die Anwendung der dokumentarischen Methode ermöglicht wird. Wissensbestände, die implizit die Interpretation der Ziele informieren, werden berücksichtigt, auch wenn sie nicht strategisch expliziert und nutzbar gemacht werden. Ich nehme stärker als in der Forschung üblich die implizite Perspektive der beteiligten Akteure in den Blick, um darauf aufbauend Sinnzuschreibungsprozesse unmittelbar mit den Erfahrungen der Mitglieder der Gemeinschaft in Verbindung zu bringen. Im Vergleich verschiedener Interpretationen lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Perspektiven systematisieren und theoretische Annahmen überprüfen. So bestätigte sich die theoretisch hergeleitete Annahme, dass aufgrund der Erlebnisschichtungen der Mitglieder der Ordensgemeinschaften – also der Teilhabe an verschiedenen sozialen Welten – auch Wissensbestände unterschiedlicher sozialer Welten Teil der Glokalisierung der Ziele werden, indem die Mitglieder die Ziele entsprechend rahmen (Abbildung 8.3).
Abbildung 8.3 Glokalisierung mit pragmatistisch-wissenssoziologischer Perspektive
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8 Fazit
Vor dem Hintergrund diachroner und synchroner Erlebnisschichtung können Akteure potentiell auf vielseitige soziale Welten zurückgreifen, um den Zielen handlungsleitende Bedeutung zuzuschreiben. Die Rekonstruktion von für die Zielinterpretation relevanten sozialen Welten konnte so aufzeigen, dass Ordensmitglieder den globalen Zielen in ihrem Alltag handlungsleitend Sinn zuschreiben basierend auf lokalen oder regionalen Wissensbeständen (zum Beispiel die Spielart der Interpretation Aktivismus auf den Philippinen, das Ziel mit Rohstoffabbau zu verbinden), oder solchen, die über Provinzgrenzen hinaus spezifisch für die Gemeinschaft sind (die Arbeit der GFBS-Gruppen der Franziskaner), aber auch solchen, die global beobachtet und Entwicklungen im Sinne einer ‚Weltgesellschaft‘ zugeordnet werden können (wie der Bezug zu rationalen Wissenschaften) oder weltweit mit religiösen Gemeinschaften assoziiert werden (wie Spiritualität). Jeweils werden die Interpretationen mit spezifischen Erfahrungsräumen verbunden, in denen die Interpreten spezifische Rollen und Strategien annehmen. Nur eine der Interpretationsvarianten – nämlich die intern aktivistische – konzentrierte sich dabei auf Mitglieder der formal definierten Gemeinschaften der Gesellschaft Jesu beziehungsweise der Minderen Brüder. Alle anderen Interpretationstypen implizieren Interaktion mit Laien. Entsprechend ist das Erfahrungswissen, welches die Zielinterpretationen rahmt, keinesfalls auf die Grenzen der Ordensgemeinschaften festgelegt. Gleichzeitig sind die Erlebnisse vielseitig sowohl in die geteilten Sinnstrukturen der Ordensgemeinschaften als auch in die Sinnstrukturen weiterer Gemeinschaften eingebettet. So ergab die Untersuchung, dass die Variante der Glokalisierung der Ziele oft mit der aktuellen Aufgabe der Ordensleute korrespondierte. Zu diesen Aufgaben entschieden sich die betreffenden Ordensleute nicht selbst, sondern sie wurden ihnen durch die Ordensleitung zugewiesen. Jene Entscheidungen, wer im Alltag welche Aufgaben erfüllen soll, erfolgen wiederum nicht willkürlich, sondern sind gerahmt durch das implizite wie explizite geteilte Wissen in den Ordensgemeinschaften hinsichtlich der Entscheidungskriterien und der durch die Gemeinschaft zu erfüllenden Kernaufgaben, die wesentlich geknüpft sind an die ständigen Aktualisierungen des über Jahrhunderte reproduzierten ‚Charismas‘ der jeweiligen Orden. Dass Thomas als Mitglied der Gesellschaft Jesu Wissenschaftler und Ron als Mitglied der Gesellschaft Jesu Gefangenenseelsorger ist, ist insofern nicht willkürlich, als die Gemeinschaft als Teil ihrer Sinnstruktur ein intellektuelles Apostolat und ein soziales Apostolat umfasst mit jeweiligen Aufgabenbereichen, die von Jesuiten in spezifischen Rollen (wie Wissenschaftler oder Seelsorger für Marginalisierte) erfüllt werden sollen. Sie werden zu Beteiligten in sozialen Welten, in denen sie ordensexterne Wissensbestände (er)leben. Die Unterschiede zwischen den
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Provinzen eines Ordens – beispielsweise die starke Kommunikation des Ziels der Versöhnung mit der Schöpfung auf den Philippinen im Vergleich zu Deutschland – macht jedoch auch die Bedeutung von individuellen Entscheidungen und von regionalen Kontext deutlich. Durch den Ansatz der pragmatistischen Wissenssoziologie wird so auch erkennbar, welche kulturellen Wissensbestände als Selbstverständlichkeiten in zielbezogene Entscheidungen der Ordensleute einfließen und wie sie das tun. Es zeigte sich beispielsweise, dass der Jesuit Thomas, der das Ziel der Versöhnung mit der Schöpfung mit Rahmung einer sozialen Welt der Wissenschaft und Lehre interpretiert, handlungsleitend Wissensbestände dazu, wie Naturwissenschaft ‚funktioniert‘ und was gute Forschung ausmacht, implizit fortführt, während er die starke Zuordnung des Themas zu dem Bereich „soziale Gerechtigkeit“ hinterfragt. Ron, mit der Interpretation des Ziels als soziale Aufgabe, geht selbstverständlich davon aus, dass aus der Gesellschaft ausgeschlossene Menschen in diese integriert und dabei gefördert werden müssen. Da ihre Interpretation der ihnen innerhalb der Ordenshierarchie zugewiesenen Kernaufgabe entspricht, entnehmen sie auch Bewertungsmaßstäbe und –verfahren bezüglich der Frage, welche Handlungen einer Zielerfüllung dienlich sind, den sozialen Welten der Kernaufgaben und glokalisieren in dieser Weise, was es heißt, sich mit der Schöpfung zu versöhnen. Wie selbstverständlich integrieren sie die globalen Normen dazu, was angemessene und wünschenswerte Wissenschaft oder auch was angemessene und wünschenswerte katholische Seelsorge ausmacht, und wenden sich damit lokalen Problemlagen wie drohender Luftverschmutzung in einer Region oder schlechten Hygienebedingungen in einem Gefängnis zu. Hinsichtlich der Frage nach den zielimmanenten Bewertungsmaßstäben und Verfahren zeigte sich, dass Verfahren und Maßstäbe der jeweiligen sozialen Welten angewendet wurden. Gleichzeitig wurde aber der allen Ordensleuten gemeine Maßstab des Gemeinwohls additiv zugefügt, ohne besondere Problematisierung dieses Prozesses. Es bestätigte sich empirisch, dass in Situationen multiple implizite wie explizite Bewertungsmaßstäbe herangezogen werden können beziehungsweise, dass Situationen keinesfalls mono-normativ eindeutig sind. Es lässt sich jedoch vermuten, dass der geteilte Maßstab des Gemeinwohls als grundlegende normative Basis innerhalb der Gemeinschaften insofern einen Sonderstatus einnimmt, als dieser von Mitgliedern der Gemeinschaft nicht offensichtlich missachtet werden darf. In diesem Sinne ist diese Untersuchung gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass die Prämisse der Soziologie der Bewertung, dass sich soziale Ordnungen entlang von Bewertungsprinzipien analysieren und differenzieren lassen, bestätigt (vgl. Forschungsstand 2.2.3). Im Vergleich
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mit anderen in der Literatur untersuchten Gruppen lässt sich vermuten, dass zumindest teilweise möglich ist, bestimmten Gruppen bestimmte normative Ordnungen zuzuordnen. So stellte ich beispielsweise heraus, dass in den von Stark untersuchten heterach organisierten Unternehmen eine geteilte normative Ordnung zu Innovation und Produktion geteilt wird, die in den von mir untersuchten Gemeinschaften keinesfalls als geteilter Wissensbestand zu identifizieren wäre. ‚Selbstverständlich‘ meint hier, dass sie innerhalb dieser Welten die geteilten Wissensbestände als solche anerkennen und nicht als veränderungsbedürftig problematisieren. Wie ich zeigte, heißt dies jedoch nicht, dass sie nicht reflexiv Distanz zu ihrer jeweiligen Sichtweise aufbauen und diese mit anderen in Beziehung setzen können. Ordensleute reflektieren beispielsweise auch Erwartungen einer anderen Zielinterpretation, wenn sie ihren Lebensstil mit Blick auf Fleischkonsum oder Mülltrennung hinterfragen (vgl. Kapitel 6). Sie weisen folglich auch explizites Wissen zu andere Zielinterpretationen auf, verfolgen diese aber nicht in gleicher Weise wie die selbst angenommenen. Mit meinem Ansatz, sowohl implizites Wissen wie auch Reflektionen der Beteiligten zu untersuchen, kann die Vielschichtigkeit von Wissensbeständen und Perspektiven zu einem Thema in der Untersuchung berücksichtigt werden. Nur so lässt sich beispielsweise zeigen, welche global verbreiteten Wissensbestände – wie Normen der Wissenschaften – mit welchen lokal spezifischen Wissensbeständen – wie Problemen zu Rohstoffabbau oder Luftverschmutzung – und/oder mit welchen in einer transnationalen Gemeinschaft geteilten Wissensbeständen – wie den Lehren des Ignatius von Loyola – verknüpft werden und welche Bedeutung ihnen im Prozess der Interpretation, aber auch deren Verhandlung zukommt. Eine Integration der beiden theoretischen Ansätze ermöglicht mit Blick auf Verhandlungen der Interpretation und Bewertung der Ziele zu unterscheiden, auf Grundlage welcher Wissensbestände für die Akteure in Verhandlungen bewältigende Probleme bestehen und wie und auf Grundlage welcher Wissensbestände es ihnen möglich ist, diese Probleme zu ‚lösen‘. Es können so Situationen unterschieden werden, in denen sich Akteure mit gleichem Orientierungsrahmen austauschen – wie gezeigt sind Harmonisierungen in diesen Situationen weniger problematisch – und solche, in denen Differenzen in handlungsleitenden Orientierungen adressiert werden (siehe die Abbildungen 8.4 und 8.5). Daraus, dass Grenzen zwischen zielbezogenen Orientierungen nur teilweise entlang regionaler oder formal definierter Dimensionen von Identitäten verlaufen, lassen sich entsprechende Erwartungen bezüglich Verhandlungssituationen in lokalen wie transnationalen Kontexten ableiten. Zu erwarten wäre beispielsweise, dass der philippinische Jesuit in Ausbildung Charles in einer Gemeinschaft
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mit dem Schweizer Jesuiten Michael oder – dem niederländischen Franziskaner Leon nicht über den Verzicht auf technische Geräte wie Klimaanlagen streiten müsste, so wie Jesuit Alon zusammen mit den Franziskanern Pablo und Camilo gegen Rohstoffabbau eintreten und die beiden Jesuiten Karl und Ron, unabhängig von unterschiedlichen Provinzzugehörigkeiten, basierend auf einem anthropozentrischen Schöpfungsbegriff miteinander ins Gespräch kommen könnten.
Abbildung 8.4 Verhandlungssituation mit gleichem Orientierungsrahmen
Abbildung 8.5 Verhandlungssituation mit abweichendem Orientierungsrahmen
Bei den Verhandlungen der Umweltschutzziele können Ordensleute situativ verschiedene Perspektiven harmonisieren. Eine Möglichkeit der Harmonisierung, die ich sich mehrfach im Rahmen meiner Datenanalyse zeigte, ist, dass Ordensleute in spezifischen Verfahren basierend auf geteilten
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expliziten Wissensbeständen wie der katholischen Soziallehre eine gemeinsame Perspektive oder Position zu einem Thema entwickeln. Unter Umständen geht der Verhandlungssituation dessen Vorbereitung durch einzelne Beteiligte oder andere Maßnahmen (wie Umfragen) zur Unterstützung der Entscheidungsfindung voraus. Ergebnisse werden in Schriftform materialisiert. Als weitere Möglichkeit der Harmonisierung unterschiedlicher Orientierungen wurde die geteilte Perspektive ad hoc basierend auf geteilten Erfahrungen wie alternden Gemeinschaften konstruiert. Die Ordensleute verhandeln dabei keine Lesart, die über die Situation hinaus als gemeinsame Perspektive Bestand haben soll, sondern sie nehmen situativ eine andere als die alltägliche Interpretation an. Aufgrund der Erlebnisschichtung teilen sie Erfahrungen mit anderen Ordensleuten, die ihnen ermöglichen, situativ Harmonisierung unterschiedlicher Perspektiven zu erreichen, wenn sie sich in Interaktion mit Ordensleuten dem Ziel zuwenden. Glokalisierung kann folglich mikrosoziologisch als situative Harmonisierungsarbeit verstanden werden. Auch ist erkennbar, dass Akteure, die einer Handlungsorientierung folgen, mit zunehmender Erfahrung Theorien zu Erfolg und Misserfolg ihrer Handlungen generieren und darauf aufbauend Handlungsalternativen ver- und entwerfen. Erfahrungswissen wird reflektiert und ist als explizites Wissen kommunizierbar. So können dazu auch in der Gemeinschaft geteilte Generalisierungen konstruiert werden. Im Rahmen dessen ermöglichen Reflektionen von Erfahrungen und explizierten Sinnstrukturen in den Ordensgemeinschaften spezifische Strategien, die über die jeweils als selbstverständlich betrachteten Wissensbestände hinausreichen (vgl. Unterkapitel 7.5.2). Dass einige Ordensleute mit intern orientierter Interpretation Strategien zu den Inhalten der Ordensausbildung forcieren, lässt sich vermutlich nicht zuletzt vor dem Hintergrund ‚gefestigten‘ Wissens im Sinne von wiederkehrenden Erfahrungen und Generalisierungen innerhalb der Gemeinschaft verstehen, wie Wandel innerhalb der Gemeinschaft möglich ist oder nicht. Wie dargestellt wird in den Ordensgemeinschaften einzelnen Ordensmitgliedern der Provinzen die besondere Kompetenz zugeschrieben, über Karrieren und Kernaufgaben der Mitbrüder zu entscheiden. Insofern zeigt sich, wie auch die im Alltag zumeist nicht hinterfragten Sinnstrukturen entscheidungsbasiert-strategisch genutzt werden können, um indirekt Einfluss auf implizites Wissen in der Gemeinschaft zu nehmen. Längerfristig ließen sich durch diese Prozesse auch Veränderungen der geteilten Sinnstrukturen vermuten, beispielsweise wenn zunehmend mehr Jesuiten dem sozialen Apostolat und nicht dem intellektuellen zugewiesen werden würden. Inwiefern durch die hierarchische Struktur umfassendere transformatorische Prozesse erreicht werden können, die über die Zeit der Ausbildung und die betreffenden Personen hinausreichen, ist eine
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offene Frage, die eine Längsschnittuntersuchung erfordern würde. Im Material deutete sich im Gespräch mit den philippinischen Jesuiten in Ausbildung an, dass Strategien der indirekten Verhandlung, spezifische zielbezogene Erfahrungen in die Ausbildung zu integrieren, insofern erfolgreich waren, als die jungen Ordensleute darauf in der Diskussion wiederkehrend und nachdrücklich Bezug nahmen. In Glokalisierungsprozessen lässt sich auf dieser Diskussion aufbauend erwarten, dass sich bei Übersetzungen globaler Modelle Grenzen zwischen Selbstverständlichem und Reflektion ständig verschieben durch die Fähigkeit der Akteure, Abstand zur eigenen Position zu nehmen und Erfolg und Misserfolg in möglicherweise (aber nicht zwangsläufig) sich ergebenden Verhandlungen erkennbarer Differenzen zu reflektieren. Nicht erkennbar beziehungsweise expliziert sind besonders solche Verhandlungen, in denen die Beteiligten sich innerhalb eines handlungsleitenden Orientierungsrahmens bewegen, auch wenn diesem unterschiedliche konkrete Erfahrungen zugrunde liegen (vgl. Kapitel 6). Ich stellte diverse Situationen dar, in denen Akteure mit unterschiedlichen handlungsleitenden Orientierungen die Bedeutung und Handlungsimplikationen der Ziele verhandeln. Diese ‚endeten‘ überraschend häufig in Dissens. Mitglieder der transnationalen Gemeinschaften scheinen nur bedingt der Imagination eines gemeinsamen Blickes hinsichtlich der Umweltschutzziele zu bedürfen. Einen möglichen Grund für die Beobachtung kann ich basierend auf der Empirie entkräften; zwei Überlegungen dazu lege ich als begründete Hypothesen dafür dar. Es wäre möglich, dass das Ziel des Umweltschutzes in den Gemeinschaften insgesamt symbolisch formuliert, von alltagsrelevanten Handlungsentscheidungen aber umfassend entkoppelt und entsprechend innerhalb der Gemeinschaften für nicht ausreichend relevant befunden wird, um eine gemeinsame Identität infrage zu stellen. Diese Möglichkeit ist allerdings basierend auf meinen Erkenntnissen nicht plausibel, da sich im Material wiederholt zeigt, dass die Ziele handlungsleitende Relevanz haben und einige Gesprächspartner (darunter nicht nur isolierbare ‚Spinner‘, sondern solche mit Weisungsbefugnissen innerhalb der Gemeinschaft (vgl. 6.2.2, 6.2.5 und 7.2.1)) sie innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft verfolgen. Zwei Aspekte könnten dazu beitragen, dass für die Ordensgemeinschaften Erfahrungen des Dissenses zu den Zielen nicht gleichzeitig Krisen der gemeinsamen Identität sind. Erstens zeigten sich die Differenzen vor dem Hintergrund einer geteilten, impliziten, normativen Basis (hier erkennbar hinsichtlich des Bewertungsmaßstabs des Gemeinwohls) in der Gemeinschaft. Diese allgemeinere Basis könnte der Gemeinschaft zu ausreichend Widerstandsfähigkeit verhelfen, Differenzen bezüglich der Zielinterpretation bei einem der Ordensziele zu tolerieren. Zweitens könnte die implizite Gewissheit, einer
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gemeinsamen normativen Ordnung zu folgen, unterstützt werden durch die ausgeprägten Reflektionen und generalisierten Wissensbestände zur Heterogenität der Perspektiven zum Thema im Orden. Akteure antizipieren die Möglichkeit von Dissens und die Notwendigkeit, innerhalb der Gemeinschaft die Bedeutungen dessen, was es alltagsbezogen heißt, ein Mitglied der Gemeinschaft zu sein, zu verhandeln. Wie sich im Material darstellt, imaginieren Ordensleute nicht nur das Geteilte, sondern auch das Unterschiedliche innerhalb ihrer Gemeinschaft. Mögliche differente Perspektiven erscheinen als Teil expliziter wie impliziter Wissensbestände. Nicht nur Umweltschutzziele, sondern vermutlich auch andere Ziele und Themen werden im Alltag der Ordensleute zum Gegenstand interner Auseinandersetzungen. Die Konflikte zu Interpretationen und ihren Handlungsimplikationen sind vor diesem Hintergrund vielleicht weniger ein Infrage Stellen, als ein impliziter, selbstverständlicher Teil der gemeinsamen Identität und der geteilten Erfahrungen. Die entsprechenden Implikationen dessen für die Adressierung von Problemen des Umweltschutzes diskutierte ich zuvor als Beitrag zum Forschungsfeld.
8.3 Methodologischer Beitrag Die empirische Analyse, die dieser Arbeit zugrunde liegt, folgt mit einem explorativ begründeten Interesse an der Vielfalt der empirischen Phänomene der Bedeutungszuschreibung und –verhandlung einer ungewöhnlichen methodologischen Strategie insbesondere hinsichtlich der Datenauswertung. Durch die flexible Strategie in der Datenerhebung, innerhalb des im Forschungsinteresse und Forschungsdesign festgelegten Rahmens so umfassendes Material zu sammeln wie möglich, stellte sich für die Datenauswertung das Problem, eine Auswertungsstrategie zu wählen, die dem Forschungsanliegen entspricht. In Anbetracht der Fülle des Materials war die Herausforderung, eine systematische Form der Auswertung zu identifizieren, die dem explorativen Anspruch gerecht wird, Vielfalt zu untersuchen, die aber gleichzeitig nicht die qualitativen Nuancen unterschlägt, die für das mikrosoziologische Interesse des Forschungsanliegen nötig sind – die in diesem Sinne eine induktive, offene Analyse ermöglicht, welche die emische Qualität des Materials für die Beantwortung der Fragen bestmöglich ausschöpft. Innerhalb eines umfangreichen, aber zeitlich nichtsdestotrotz begrenzten Forschungsprojektes untersuchte ich Komplexität durch die Perspektive der Akteure auf diese Komplexität anhand einer Kombination aus zwei Methoden. Hierfür differenzierte ich angelehnt an die theoretische Integration von
8.3 Methodologischer Beitrag
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Pragmatismus und Wissenssoziologie drei relevante Teilprozesse (Interpretation, Bewertung und Verhandlung), für deren Analyse ich unterschiedlich vorging. Die verschiedenen Vorgehensweisen einen jedoch die Prinzipien der Selektion und der Kontrastierung, wie ich im Kapitel zur empirischen Untersuchung ausführe. Anhand der dokumentarischen Methode wurden spezifische dafür geeignete Leitfadengespräche zum Ziel der sinngenetischen Typik von unterschiedlichen Interpretationen der Umweltschutzziele ausgewählt und ausgewertet. Diese Typik wurde basierend auf dem gesamten Material ergänzt, um Tendenzen aufzugreifen, die sich mir über die rekonstruierten Gespräche hinaus basierend auf der Datengrundlage darstellten. Auf der Typik aufbauend wurden unterstützt durch Hinweise im gesamten Material zielimmanente Verfahren der Bewertung innerhalb der jeweiligen sozialen Welten identifiziert und der Typik folgend kontrastiert. So konnten die zielbezogenen impliziten Wissensbestände systematisch ausgewertet werden. Relevante Unterscheidungsdimensionen und Ausprägungen von Zielinterpretationen legten die Grundlage für die weitere Analyse des Materials. Die sich mir als expliziertes Wissen darstellenden Daten wertete ich hinsichtlich der Bewertungen des Ziels und seiner Entwicklung aus. Im Vergleich unterschiedlicher Bewertungen konnte ich verschiedene Verhältnisbestimmungen und Diagnosen identifizieren, die sich teilweise, aber nicht umfassend mit impliziten Interpretationen in Beziehung setzen ließen. Im Anschluss identifizierte ich im Material verschiedene Verhandlungssituationen, die ich einer ausführlichen qualitativen Analyse unterzog und basierend auf den Unterscheidungsdimensionen formalisiert/informell strukturierte. Im Kontrast der Analyseergebnisse zu Inhalten, Verläufen und Strategien der heterogenen Verhandlungssituationen konnte ich herausarbeiten, wie und in welchen Situationen Harmonisierung von Differenzen angestrebt und erreicht wird. Neben den handlungsleitenden, impliziten Orientierungen konnten so explizite Wissensbestände systematisch untersucht werden, bei denen Akteure entscheidungsbasierte Strategien, argumentative Begründung von spezifischen Interessen, explizites Wissen zu ‚generalisierten Anderen‘ in der Gemeinschaft und Reflektionen von Erfahrungen vermittelten oder ich diese beobachtete. Das Forschungsdesign ermöglichte, sowohl zwischen Regionen, Provinzen, Ordensgemeinschaften als auch zwischen Ordensleuten und Erfahrungsräumen zu differenzieren. Durch entsprechendes Vergleichen ließen sich Hypothesen zu im Material nicht unmittelbar sichtbaren Prozessen herleiten insbesondere dazu, welche Erfahrungen potentiell in das zielbezogen relevante Erfahrungswissen der Akteure einfließen und damit verbunden welche Erwartungen bezüglich Grenzen der handlungsleitenden Orientierungen und deren Verhandlung sich davon
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8 Fazit
ableiten lassen und welche Rolle durch die Vermittlung der Ziele der Provinzleitung zukommt. Schwierigkeiten ergaben sich durch das Verfahren insbesondere hinsichtlich der Analyse der Beziehungen zwischen Interpretationen, Bewertungen und Verhandlungen, da das Material nur eingeschränkt ermöglichte, die handlungsleitenden Interpretationen der in den Verhandlungen beteiligten Akteure zu rekonstruieren, weil das nötige Material dafür nicht gesammelt und analysiert wurde. Die Gründe dafür sind, dass erstens die Phase der Datenerhebung nicht vorsah, es systematisch zu erheben, zweitens es in dieser Phase auch nicht möglich gewesen wäre vollständig zu antizipieren, wann Situationen der Verhandlung entstehen, die für die Untersuchung relevant sind und wer die darin beteiligten Akteure sind und es schließlich drittens nicht möglich gewesen wäre, im Rahmen des Projektes einen solchen Umfang an Daten rekonstruktiv anhand der dokumentarischen Methode zu analysieren. Entsprechend orientiert sich die Diskussion der Beziehungen bezüglich einiger Beobachtungen zu Bewertungen und Verhandlungen an Orientierungsgehalten als deutlichen Hinweisen zu bestimmten zuvor rekonstruierten Interpretationen. Es entsteht so teilweise das Problem, von den Situationen der Bewertung und der Verhandlungen auf die zugrundeliegenden Unterschiede der Interpretationen zu schließen, wobei nicht möglich ist zu ermitteln, ob diese Interpretationen wirklich handlungsleitend sind und ob sie Verhandlungen begründen oder aus ihnen situativ hervorgehen. Soweit innerhalb der Methodologie und des Datenmaterials möglich, begegnete ich diesem Problem über die Suche nach wiederkehrenden Bezügen durch Kontrastierung, durch eine transparente und vorsichtige Präsentation der Zusammenhänge, durch größtmögliche Einbeziehung des anhand der dokumentarischen Methode analysierten Materials und, wenn sinnvoll, durch die Triangulationen unterschiedlicher Quellen. Die Analyse ermöglicht darüber hinaus nicht zuletzt aufgrund der Vorgehensweise, die Untersuchungsgegenstände basierend auf sich zeigender Varianz auszuwählen, keine Aussagen zu Häufigkeiten und Verbreitung bestimmter beobachteter Phänomene – beispielsweise spezifischer Interpretationstypen oder Gegenstände von Verhandlungen – zu treffen, die über die Beschreibung des erhobenen Datenmaterials hinausgehen. Im Material besonders auffällige Tendenzen wie beispielsweise das besonders oft aufgegriffene Thema ‚Lebensstil‘ in informellen, konfliktiven Verhandlungen zwischen Ordensleuten, stelle ich als Beobachtungen dar, deren Gültigkeit über das von mir erhobene Datenmaterial hinaus in einem anderen Forschungsdesign überprüft werden müsste.
8.4 Zur Generalisierbarkeit der Beiträge
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Insgesamt konnte durch das Vorgehen im Rahmen eines dem Forschungsinteresse entsprechenden breit angelegten Forschungsdesigns eine systematische Analyse mit mikrosoziologisch größtmöglicher Präzision vollzogen werden, bei der diese den Unterschieden gleichermaßen gerecht werden konnte wie den Ähnlichkeiten im Prozess der Glokalisierung in zwei Regionen und in zwei Ordensgemeinschaften.
8.4 Zur Generalisierbarkeit der Beiträge Über die geteilten Wissensbestände der Orden hinaus diskutierte diese Arbeit diverse soziale Welten und Wissensbestände, die Ordensleute zur Interpretation der Ziele heranziehen. Gleichzeitig argumentierte ich, dass sie eine geteilte normative Basis um das Prinzip des Gemeinwohls in die jeweiligen ordensexternen Gemeinschaften ‚einbringen‘. Die Soziologie der Bewertung ist dahingehen uneinig, ob bestimmte Bewertungsmaßstäbe bestimmten gesellschaftlichen Bereichen zugeordnet werden oder ob sie als Konventionen potentiell in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen herangezogen werden können. Die vorliegende Arbeit schlägt eine Methodologie vor, wie auch die implizite Basis anderer Gemeinschaften empirisch untersucht werden kann. Darauf aufbauend können Prozesse der Glokalisierung und der Gemeinschaftsbildung differenzierter verglichen und die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten von den Zusammenhängen zwischen selbstverständlichen impliziten Wissensbeständen und kreativem Handeln in Übersetzungsprozessen als gemeinschaftsspezifisch oder übergreifend identifiziert werden. Abschließend treffe ich zu solchen empirischen Vergleichen einige Vorüberlegungen. Ordensgemeinschaften sind besondere Gemeinschaften (vgl. Forschungsstand 2.3). Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Ordensleute ihre interne Diversität stärker reflektieren und lernen zu bewältigen als andere Gemeinschaften, weil die Notwendigkeit dazu groß und die Handlungsalternativen gering sind. Anders als in anderen Gemeinschaften, denen sich Sozialwissenschaftler*innen zugewendet haben (vgl. unter 2.2.3 die Ausführungen zu Heterarchie), ist in Ordensgemeinschaften diese Vielfalt eher keine Norm an sich, sondern sie ist zumeist eine mit dem Ordensleben angenommene Gegebenheit, mit der Ordensleute mit dem Eintritt in die Gemeinschaft konfrontiert sind und mit der sie ihren Umgang finden müssen. Schließlich verbringen sie den Gelübden folgend ihr gesamtes Leben miteinander. Ein Leben lang setzen sie sich folglich mit unterschiedlichen Mitbrüdern an unterschiedlichen Orten zu
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alltäglichen Fragen auseinander, zu denen sich jede Wohngemeinschaft einigen muss. Viele ihr Leben betreffenden Entscheidungen treffen und verantworten sie nicht selbst, die Details, wie Gemeinschaften alltäglich zusammenleben, sind aber in beiden Ordensgemeinschaften nur sehr eingeschränkt geregelt. Dabei ist die Option, aus der Gemeinschaft auszutreten, mit sehr viel mehr Kosten verbunden als in den meisten anderen Gemeinschaften und in den geteilten Sinnstrukturen nicht vorgesehen. Die Mitglieder investierten Jahre ihres Lebens, Teil der Gemeinschaft zu werden und verlören mit einem Austritt soziale Beziehungen und ihren Wohnsitz, unter Umständen auch ökonomische Sicherheit und einen entscheidenden Teil ihrer Identität. Daraus ergibt sich, dass für Ordensleute zusätzliche soziale Zwänge bestehen, Dissens mit Auseinandersetzungen und Reflektionen zu begegnen statt mit Austreten. Darüber hinaus sind sie besonders ausgebildet und geübt in ‚Reflektion‘: Sie erlernen und praktizieren durch Beten oder andere ordenseigene Verfahren, mit denen der Alltag aus einem dessen entrückten Blickwinkel betrachtet wird, viele darüber hinaus auch in ihrer Rolle als Priester, regelmäßig eine reflektierende Perspektive. Gleichwohl gibt es auch gute Gründe anzunehmen, dass Teilergebnisse dieser Arbeit auch bei anderen normativen Gemeinschaften auffindbar wären, da auch Mitglieder anderer Gemeinschaften ein großes soziales wie normatives Commitment einbringen, Teil dieser Gemeinschaften über Differenzen hinweg zu bleiben. Wenn es möglich ist, dass die Ordensgemeinschaften Dissens zu Zielinterpretationen und –Bewertungen verwinden können, weil sie auf Grundlage einer gefestigten normativen Basis als Gemeinschaft agieren, sodass ihre Mitglieder sogar vielfältige Perspektiven zu einzelnen Ordenszielen imaginieren können, ist es denkbar, dass es auch anderen normativen Gemeinschaften möglich ist, imaginierte, auf Teilaspekte bezogen reflektiert heterogene Gemeinschaften zu sein. So zeichnet die meisten religiösen Gemeinschaften die Spannung zwischen ‚alten‘ Überlieferungen und gegenwärtigen Herausforderungen aus. Insofern gehört es zur ständigen Aufgabe ihrer Mitglieder, scheinbar starre, weit in der Vergangenheit zurückliegende Ereignisse hinsichtlich ihrer Bedeutung in der Gegenwart auszulegen. Neben religiösen Gemeinschaften könnte weitere Gemeinschaften eine ähnlich gefestigte normative Basis auszeichnen, wie es für die Ordensgemeinschaften rekonstruiert wurde: verschiedene soziale Bewegungen, transnationale Expertengemeinschaften, unter Umständen sogar Sportler*innen außergewöhnlicher Sportarten, Olympioniken oder Professionsgruppen. Mit der geteilten normativen ‚Grundordnung‘ können damit ähnliche Handlungsspielräume und Dynamiken einhergehen, Ziele handlungsleitend abweichend zu interpretieren und auszuhandeln.
8.4 Zur Generalisierbarkeit der Beiträge
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Wenige Gemeinschaften würden jedoch ähnlich breit formulierte Ziele für ihre Mitglieder aufstellen, die auch deshalb sehr variabel interpretiert werden können, weil sie für die Mitglieder der Ordensgemeinschaften potentiell alle Lebensbereiche umfassen sollten. Diese Qualität eines Ziels kann primär in Gemeinschaften gelten, denen die Mitglieder eine Lebensbereiche umspannende Relevanz zuschreiben. Dies ist insbesondere in religiösen Gemeinschaften zu erwarten, aber auch andere normative Gemeinschaften mit umfassendem Projekt und mit großem Commitment der Mitglieder zu der gemeinsamen Identität könnten diese Merkmale aufweisen, beispielsweise der Menschenrechtsbewegung der 1960er Jahre sowie Arbeiter*innen-, Frauen- oder LGBTI-Bewegungen. Rigide formal definierte Gemeinschaftsgrenzen, wie sie die Sinnstruktur der Ordensgemeinschaften vorsieht, sind dafür nicht vonnöten. Darüber hinaus ließe sich fragen, inwieweit Ergebnisse dieser Untersuchung sich auch auf ähnlich hierarchisch organisierte Gemeinschaften übertragen ließen. Auch Berufssoldat*innen oder Mitarbeiter*innen mancher Unternehmen oder internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen, im nationalen Kontext auch Beamt*innen werden ‚gesendet‘ und haben nur eingeschränkt die Möglichkeit, innerhalb der Gemeinschaft und der eingenommenen Rolle ihre Kernaufgaben auszuwählen. Diverse Unterschiede verhindern, ohne weitere Forschung Annahmen für diese Gemeinschaften basierend auf der Untersuchung auszuformulieren. Während auch deren Mitglieder selbstverständliche Wissensbestände in die Gemeinschaften einbringen und vermutlich Strategien und implizite Formen entwickeln, wie sie Diversität innerhalb der Gemeinschaften bewältigen, erscheinen in diesen Zusammenhängen sowohl die Aufträge, als auch die Kontrolle von deren Erfüllung sehr viel konkreter und auf spezifische berufsbezogene Aspekte begrenzt. Austritte sind zumindest in den meisten Situationen in diesen Gemeinschaften leichter möglich. Aufbauend auf Etzioni (1975) ließe sich erwarten, dass eine ausgeprägte geteilte normative Basis von Gemeinschaften nicht nur erlaubt, darüber hinaus reichende Differenzen zu bewältigen, sondern auch weiche Regulierung zu Kernanliegen der Gemeinschaft überhaupt erst ermöglicht, weil aufgrund der geteilten Normen (beziehungsweise den damit verbundenen sozialen Zwängen) angenommen wird – wie sich zeigte mit entsprechenden reflektierenden Qualifizierungen –, dass Mitglieder diese auch verwirklichen. Diese Verknüpfung von normativer Basis und abgeleiteten Formen der Koordination und Weisung sowie der Handlungserwartungen müsste allerdings weitergehend untersucht werden.
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8.5 Grenzen der Untersuchung und Ausblick Trotz des breit aufgestellten Forschungsdesigns gibt es einige Aspekte, die diese Untersuchung nicht aufgreifen konnte, obwohl sie zum mikrosoziologischen Verständnis von Glokalisierungsprozessen der Umweltschutzziele in Ordensgemeinschaften beitragen würden. Eine durch das Design angelegte Grenze dieser Arbeit ist der positive Bias, der durch die Auswahl der Ordensgemeinschaften und der Regionen gesetzt wurde. Diese Arbeit konzentrierte sich auf die Frage, wie die Ziele interpretiert, bewertet und verhandelt werden und weniger ob sie angenommen werden und welche Faktoren diese Frage bestimmen. Während das Forschungsdesign für die Exploration von möglichen Glokalisierungsprozessen sehr dienlich war, kann es kaum Aussagen dazu generieren, welche Aspekte zu Ablehnungen des Ziels innerhalb der untersuchten Gemeinschaften oder zu nicht-Aufnahme des Ziels in anderen Gemeinschaften führen. Vielmehr stellte ich basistypisch eine grundsätzlich annehmende Haltung dem Ziel gegenüber fest, die sich vermutlich mit einer osteuropäischen – unter Umständen auch einer afrikanischen – Schwerpunktregion nicht in gleicher Weise hätte auffinden lassen. Dass den Zielen (den Informationen meiner Gesprächspartner sowie meinen eigenen eingeschränkten Erfahrungen nach) besonders in Osteuropa skeptisch begegnet wird, weist jedoch darauf hin, dass auch dort gesellschaftliche Ereignisse und Entwicklungen wie politische Prozesse, soziale Bewegungen und Initiativen in der Gesellschaft als externe Einflüsse auf Erfahrungswissen die handlungsleitenden Orientierungen mit beeinflussen. Während ich vermute, dass ich nichtsdestotrotz keine Ablehnung der Orientierung am Gemeinwohl hätte finden können, bleiben die Verhandlungen um die grundsätzliche Relevanz der Ziele in den Ordensgemeinschaften bei Andeutungen stehen. Die Diagnose einer geteilten normativen Ordnung wurde diesem ‚Test‘ nur in sehr begrenztem Maße ausgesetzt. Ein weiteres Forschungsdesiderat lässt sich mit Blick auf den Einfluss von Spiritualität und Commitment formulieren. Als weibliches n icht-Ordensmitglied und ohne Bestrebungen und Grundvoraussetzungen für eine Mitgliedschaft in einer katholischen und männlichen Ordensgemeinschaft blieben mir die Erfahrungen diverser Rituale der Reflektion der Gemeinschaften vorenthalten. Ich bin sicher, diverse Aspekte dieser komplizierten ‚Tiere‘ (vgl. 6.3.2) der Ordensgemeinschaften bis zum Ende der Datenauswertung nicht letztgültig durchdrungen zu haben – ich bezweifle allerdings auch, dass dies überhaupt möglich ist. Es ist allerdings besonders der Aspekt der Spiritualität, der mir nicht nur als schwer zu fassen, sondern wie zuvor ausgeführt auch als relevant erscheint, um
8.5 Grenzen der Untersuchung und Ausblick
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zu verstehen, wie die Ordensleute sich dem Ziel annehmen. Innerhalb dieser Arbeit habe ich versucht, diesem Eindruck soweit möglich Ausdruck zu verleihen, und stieß dabei möglicherweise auf die gleichen Schwierigkeiten wie die Ordensleute selbst. So bleibt mir und den Lesenden nur, dem Franziskaner Bill zu glauben, wenn er sagt, der Bezug zu Franziskus helfe ihm und seinen Mitbrüdern, auch nach schwerwiegenden Rückschlägen Ziele weiter zu verfolgen. Jedem Forschungsanliegen zu einem ähnlichen Thema möchte ich die Berücksichtigung dieses Themas ans Herz legen und entsprechende Ergebnisse gleichermaßen fasziniert und wissbegierig aufnehmen. Gleiches gilt für Forschungsprojekte, die leisten können zwischen verschiedenen religiösen Traditionen ähnliche vergleichende Analysen durchzuführen. Dabei ließe sich spezifischer erkennen, ob beispielsweise die normative Ordnung um das Gemeinwohl und das Wohl des Menschen als Konstante in religiösen Gemeinschaften der Gegenwart verstanden werden kann, oder ob die hier identifizierten Gemeinsamkeiten Aktualisierungen geteilter christlicher oder katholischer Sinnstrukturen darstellen. So sind beispielsweise Orientierungen denkbar, bei denen ‚Natur‘ noch stärker als Akteur konstruiert wird, so wie es die Priesterweihe von Bäumen durch buddhistische Mönche in Kambodia andeutet (vgl. z. B. Darlington 2012). Auch die Bedeutung unterschiedlicher Zeitverständnisse in religiöser Lehre – wie beispielsweise zyklische Zeit in Hinduismus, Daoismus oder Sikhismus oder linearer Zeit in Christentum, Judentum oder Islam – ließen sich empirisch hinsichtlich ihrer Bedeutung für Umweltschutz-Interpretationen und Verhandlungen untersuchen. Ein Bereich für weitere Forschung, der sich unmittelbar aus dem Ergebnis dieses Projektes ergibt, dass viele der handlungsleitenden Interpretationen der Umweltschutzziele durch soziale Welten gerahmt sind, die über die formalisierten Ordensgrenzen hinausreichen, ist der der Interaktion zwischen Laien und formal definierten Ordensleuten in diesen sozialen Welten. Fragen, die sich diesbezüglich ergeben, sind: Wie fließen die Wissensbestände aus den Ordensgemeinschaften in diese sozialen Welten ein? Welche Rolle spielen Laien für die Glokalisierung der Ziele in unterschiedlichen sozialen Welten und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Bewertungen der Ziele in der Ordensgemeinschaft? Lassen sich präzisere abweichende Gemeinschaftsgrenzen bezüglich der Umweltschutzziele erkennen und wenn ja, wie werden diese konstruiert? So organisieren Jesuiten beispielsweise spirituelle Fortbildungen und Einführungen in die Ignatianische Spiritualität für die Mitarbeitenden ihrer Einrichtungen. Besonders auf den Philippinen nutzten manche Laien die Ordensdokumente wie Healing a Broken World oder die Beschlüsse der Generalkongregation, um sich jesuitische Perspektiven anzueignen und zu verstehen, was von ihnen
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beispielsweise als Lehrkraft an einer jesuitischen Schule erwartet wird, und dies in ihr Handeln einfließen zu lassen. Darüber hinaus fiel im Rahmen meiner Datenerhebung auf, dass Laien dort involvierter in die Verwirklichung der Ziele waren, wo auch ordensintern die personellen Ressourcen zur Behandlung des Themas besser waren (besonders in der Gesellschaft Jesu der philippinischen Provinz). Insofern substituieren Laien nicht Aufgaben, die Ordensleute beispielsweise aufgrund anderer Verpflichtungen nicht erfüllen können, sondern sie engagieren sich mit den Ordensleuten. Eine weitere Bearbeitung dieses Themas besonders hinsichtlich der Verhandlung zwischen Mitgliedern der handlungsleitenden sozialen Welten könnte entscheidend dazu beitragen, weitergehend die Dynamiken um über die Ordensgemeinschaften hinaus geteilte und für die Ordensgemeinschaft explizite wie implizite Wissensbestände zu verstehen. An diese Arbeit können sich schließlich systematische Vergleiche des Wechselspiels impliziter und expliziter Wissensbestände in unterschiedlichen Gemeinschaften anschließen. Eine entsprechende mikrosoziologische Fundierung der Beobachtungen makrosoziologischer Trends kann meine Beobachtungen qualifizieren hinsichtlich der Fragen, wann welche normativen Ordnungen basierend auf welchen sozialen Welten reisen und ob sie als Selbstverständlichkeiten verbreitet oder in reflektierten (Gegen-)Bewegungen adressiert werden. Sowohl die Soziologien der Bewertung als auch die Annahme der Entwicklung einer Weltgesellschaft liefern diverse Anhaltspunkte für mögliche weitere normative Ordnungen, deren Fundierung in impliziten Wissensbeständen von spezifischen Gemeinschaften überprüft werden kann. Ich hoffe, vor dem Hintergrund gegenwärtiger öffentlicher Debatten um religiöse Radikalisierung und aufstrebender rechtsnationalistischer Bewegungen weltweit für die interne Vielfalt und die Verhandlungen innerhalb von religiösen Gemeinschaften und für die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen religiösen Gemeinschaften und gesellschaftlichen Entwicklungen sensibilisiert zu haben. Diese Arbeit liefert einige Anhaltspunkte dafür, dass und wie Gemeinschaften Differenzen gleichermaßen verhandeln und ertragen können, ohne eine gemeinsame Identität aufzugeben. Wer will, kann das schon als Grund zur Hoffnung lesen.
Glossar
Apostolat Aufgabenbereiche der Gemeinschaften, Ausdruck gebräuchlich in der Gesellschaft Jesu (z. B.: ‚soziales Apostolat‘, ‚intellektuelles Apostolat‘, ‚spirituelles Apostolat‘, ‚Bildungsapostolat‘ usw.) Ateneo de [Stadt] Jesuitische Hochschule mit angegliederten weiterführenden Schulen auf den Philippinen Bruder Ordensmitglied ohne Priesterausbildung und –weihe Charisma Die traditionellen Spezifika eines Ordens bezüglich der Art, wie die Mitglieder (für Gott) leben sollen, zumeist zurückgeführt auf die Gründungszeit Exerzitien Spirituelle Übungen, in der Gesellschaft Jesu nach ausführlichen Anweisungen des Ordensgründers Ignatius von Loyola Formation Englisch für: Interne Ausbildung der neuen Ordensmitglieder Gelübde Öffentliches Versprechen nach den evangelischen Räten (Armut, Keuschheit, Gehorsam; für SJ auch: Papstgehorsam) und nach den im Orden geteilten Regeln zu leben; teilweise auf Zeit, dann abgeschlossen mit ‚finaler/ewiger Profess‘ Generalkongregation Höchstes gesetzgebendes Entscheidungsgremium der Gesellschaft Jesu, tagt nach Bedarf, spätestens bei Tod des Generaloberen Generalkapitel Höchstes gesetzgebendes Minderen Brüder, tagt alle sechs Jahre
Entscheidungsgremium
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Gojowczyk, Umweltschutz in katholischen Orden, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31314-2
der
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Glossar
Generaloberer Leiter der Kurie des Jesuitenordens, höchste Verwaltungsposition im Orden; auch Pater General genannt; von der Generalkongregation gewählt auf Lebenszeit Guardian ‚Hausleiter‘ von Kommunitäten Ignatianisch (englisch: Ignatian) Ignatius von Loyola (Gründer des Jesuitenordens) folgend Kommunität Wohngemeinschaft von Ordensleuten Konferenz Koordinationsebene der Ordensgemeinschaften (Weltregionen) Laien Menschen, die keine formalen Mitglieder von Ordensgemeinschaften sind Mission Je nach Kontext; häufig: zugeschriebene oder als Gemeinschaft definierte Aufgabenbereiche beziehungsweise ‚Sendung‘ Novizen Neu eingetretene Mitglieder der Gemeinschaft zu Beginn der Ausbildung; befinden sich in der Zeit im ‚Noviziat‘ Pater General Siehe Generaloberer Profess Siehe Gelübde Provinz Verwaltungsebene der Ordensgemeinschaften etwa äquivalent Nationalstaaten Provinzial Leiter der Provinz Sendung Auftrag durch die Generalkongregation/das Generalkapitel, durch den Provinzial oder durch den Ordensoberen, siehe auch Mission
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