Zwischen Überhöhung und Kritik: Wie Kulturtheoretiker zeitgenössische Kunst interpretieren [1. Aufl.] 9783839416280

Wie interpretieren Kulturtheoretiker zeitgenössische Kunst? Dagmar Danko geht dieser Frage anhand einer Auseinandersetzu

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German Pages 338 Year 2014

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Inhalt
Danksagung
I. Einleitung
II. Kunst und Theorie
III. Kunst und Kritik Bourdieu, Habermas und die kritische Tradition
III. 1. Pierre Bourdieu [Dominanz]
1.1. Kritik an Kunst
1.2. Kunst als Kritik
1.3. Kunst als Kampf
III. 2. Jürgen Habermas [Aufklärung]
2.1. Kunstkritik
2.2. Kunst und Lebenswelt
2.3. Kunst als Vermittlung
IV. Kunst und Darstellung Lyotard, Deleuze, Derrida und die Kritik der Repräsentation
Exkurs: »Postmoderne« in Kunst und Theorie
IV. 1. Jean-François Lyotard [Das Undarstellbare]
1.1. Die Postmoderne
1.1.1. Kunst als Transformator
1.1.2. Kunst als Experiment
1.2. Das Erhabene – Kunst als Ereignis
1.3. Kunst als Philosophie als Kunst
1.3.1. Der Kunstkommentar
1.3.2. Was malen?
IV. 2. Gilles Deleuze [Das Unsichtbare]
2.1. Kunst wider die Repräsentation
2.2. Kunst für die Sinne
2.2.1. Der Künstler – Francis Bacon
2.2.2. Die Kunst – eine haptische
2.3. Was ist Philosophie? – Was ist Kunst?
IV. 3. Jacques Derrida [Das Unsagbare]
3.1. Gegen den Logozentrismus
3.2. Für die Dekonstruktion
3.3. Kunsterfahrung als Unübersetzbares
V. Kunst und System Luhmann, Baudrillard und die Inflation der Kunst
V. 1. Niklas Luhmann [Kommunikation]
1.1. Kunstsystem
1.2. Weltkunst
1.3. Blinde Flecke
V. 2. Jean Baudrillard [Indifferenz]
2.1. Kunst zirkuliert
2.2. Kunst verschwindet
2.2.1. Transästhetik
2.2.2. Komplott der Kunst
2.3. L'art contemporain est nul
VI. Conclusio Kunst zwischen Überhöhung und Kritik
VII. Ausblick
Verzeichnisse
Anhang
Abbildungen
Namenregister
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Zwischen Überhöhung und Kritik: Wie Kulturtheoretiker zeitgenössische Kunst interpretieren [1. Aufl.]
 9783839416280

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Dagmar Danko Zwischen Überhöhung und Kritik

Dagmar Danko (Dr. phil.) lebt und arbeitet als Soziologin in Freiburg und Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst- und Kultursoziologie, soziologische Theorie sowie französische Theorie und Soziologie.

Dagmar Danko

Zwischen Überhöhung und Kritik Wie Kulturtheoretiker zeitgenössische Kunst interpretieren

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung sowie der

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Mounir Fatmi, Les Monuments, 2008. Courtesy: Mounir Fatmi und Galerie Conrads, Düsseldorf Satz: Dagmar Danko Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1628-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 7 I.

Einleitung | 11

II.

Kunst und Theorie | 15

III.

Kunst und Kritik Bourdieu, Habermas und die kritische Tradition | 29

III. 1. Pierre Bourdieu [Dominanz] | 30 1.1. Kritik an Kunst | 31 1.2. Kunst als Kritik | 39 1.3. Kunst als Kampf | 49 III. 2. Jürgen Habermas [Aufklärung] | 56 2.1. Kunstkritik | 58 2.2. Kunst und Lebenswelt | 65 2.3. Kunst als Vermittlung | 74 IV.

Kunst und Darstellung Lyotard, Deleuze, Derrida und die Kritik der Repräsentation | 79

Exkurs: »Postmoderne« in Kunst und Theorie | 79 IV. 1. Jean-François Lyotard [Das Undarstellbare] | 84 1.1. Die Postmoderne | 87 1.1.1. Kunst als Transformator | 87 1.1.2. Kunst als Experiment | 94 1.2. Das Erhabene – Kunst als Ereignis | 107 1.3. Kunst als Philosophie als Kunst | 113 1.3.1. Der Kunstkommentar | 113 1.3.2. Was malen? | 116 IV. 2. Gilles Deleuze [Das Unsichtbare] | 121 2.1. Kunst wider die Repräsentation | 123 2.2. Kunst für die Sinne | 132 2.2.1. Der Künstler – Francis Bacon | 132 2.2.2. Die Kunst – eine haptische | 138 2.3. Was ist Philosophie? – Was ist Kunst? | 145

IV. 3. Jacques Derrida [Das Unsagbare] | 153 3.1. Gegen den Logozentrismus | 155 3.2. Für die Dekonstruktion | 166 3.3. Kunsterfahrung als Unübersetzbares | 181 V.

Kunst und System Luhmann, Baudrillard und die Inflation der Kunst | 189

V. 1. Niklas Luhmann [Kommunikation] | 190 1.1. Kunstsystem | 192 1.2. Weltkunst | 201 1.3. Blinde Flecke | 212 V. 2. Jean Baudrillard [Indifferenz] | 222 2.1. Kunst zirkuliert | 226 2.2. Kunst verschwindet | 234 2.2.1. Transästhetik | 234 2.2.2. Komplott der Kunst | 241 2.3. L'art contemporain est nul | 251 VI.

Conclusio Kunst zwischen Überhöhung und Kritik | 257

VII. Ausblick | 271 Verzeichnisse | 279 Anhang Abbildungen | 321 Namenregister | 329

Danksagung

Die vorliegende Publikation wurde 2009 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation eingereicht. Eine Doktorarbeit anfangen und zu einem erfolgreichen Ende führen zu können, verpflichtet zu Dank. Dank an meinen Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Eßbach vom Institut für Soziologie an der Universität Freiburg, der die Betreuung in seiner einmaligen Kombination aus hohen Anforderungen und herzlicher Art gestaltete – es war mir eine Freude! Dank an die weiteren Betreuer und Gutachter: ebenfalls vom Institut für Soziologie Herrn Prof. Dr. Hermann Schwengel und vom Institut für Kunstgeschichte Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen, die mit hilfreichen Anmerkungen zur Optimierung dieser Arbeit beigetragen haben. Dank an die Soziologen Michel Maffesoli (Université Paris-Descartes/ Sorbonne), Nathalie Heinich (CNRS, Paris) und David Inglis (University of Aberdeen, UK) für den ergiebigen Austausch. Dank an meine Freunde. Stellvertretend für alle seien genannt: Dr. Max Orlich, für die ideenreichen Gespräche über unsere Dissertationen und die Kunst; Julia Speth, Ana Dujić und Stephanie Beiner. Dank an Mounir Fatmi und seine Assistentin Aline Biasutto für die freundliche Erlaubnis, Les Monuments als Coverbild zu nutzen. Dank auch an die Stipendiengeber: die Landesgraduiertenförderung, den DAAD und die Universität Freiburg (die Vereinigten-StudienstiftungenVerwaltung des Rektorates), eine Unterstützung, die nicht zu unterschätzen ist. Ich danke meinen Eltern, ohne die diese Arbeit so nie möglich gewesen wäre. Meine Liebe zur Kunst und zum Denken sowie das nötige Durchhaltevermögen, das eine Dissertation verlangt, sind ihr Verdienst. Diesen in jeder Hinsicht besten Eltern der Welt widme ich dieses Buch von ganzem Herzen.

Wir müssen Künstler werden. Jean-François Lyotard

Il y a dans tout intellectuel – et le sociologue en est un – sans doute un artiste ou un practicien qui sommeille, il faut surveiller et contrôler ses réveils attentivement! Bruno Péquignot

It is a bit like yoga. You must empty your mind and be receptive. It's about being open to the possibility of what you could know. Mary Kelly über Kunstbetrachtung

I. Einleitung

An einer Wand hängen weiße Baustellenhelme. Sie sind ordentlich aneinandergereiht, in einer Linie, auf Augenhöhe, scheinbar griffbereit. Sie sehen alle gleich aus: Es sind genormte Bauhelme, Industrieschutzhelme, die jedem passen sollen, der sie aufsetzt. Das einzige Detail, das sie voneinander unterscheidet, ist, dass sie mit Namen versehen sind: auf jedem Bauhelm ein Name, gut sichtbar, auf beiden Seiten und vorne auf dem Schild. Von links nach rechts stehen da »G. Deleuze«, »J. Derrida«, »J. Baudrillard«, »M. Foucault«, »F. Guattari«. Sind es ihre Bauhelme? Die Namen verweisen auf berühmte Theoretiker, rufen sie ins Gedächtnis und provozieren eine Kaskade an Fragen, die über den Betrachter gleichsam hereinbricht. Ein Schutzhelm tut not. Vielleicht sind es Schutzhelme, die man aufsetzen soll, wenn man es wagt, sich auf ihre Texte einzulassen. Für dieses Vorhaben sollte man gut gerüstet sein. Sich mit Theoretikern auseinanderzusetzen gleicht dem Betreten einer Baustelle. Die Wege sind unklar: Manche sind ausgetreten, dafür sicherer. Andere sind noch neu, aber gefährlicher: Vorsicht vor herabstürzenden Teilen! Das Konstrukt, das Endprodukt, mag an manchen Stellen weit fortgeschritten sein oder gerade erst angefangen, an anderen Stellen wurde es möglicherweise sogar einfach liegengelassen. Man begibt sich auf das Terrain der Theoretiker, das zuerst so unüberschaubar ist wie eine Baustelle. Es ist auch denkbar, dass andere bereits da sind. Dass dort gearbeitet, konstruiert, auseinandergenommen, das Fundament gesichert oder ins Wanken gebracht wird. Man besichtigt alles und man beteiligt sich – hier und da. Vielleicht sind es aber keine Schutzhelme für Außenstehende, die sich auf diese Theoretiker einlassen. Vielleicht sind es die Helme der Theoretiker selbst, die wie zur Abholung bereit warten. Dann ziehen die Theoretiker diese auf, bevor sie an die Arbeit gehen: bevor sie weiterbauen an ihren Gedankengebäuden, an ihren Thesen. Auch sie können Schutz gebrauchen, vor unerwarteten Einfällen. Oder gar vor unerwarteten Angriffen vonseiten der Kritiker – Vorsicht ist der beste Schutz. Man sollte besser gut gerüstet sein, wenn es soweit ist. Nicht gleich Kopf und Kragen riskieren. Auf jeden Fall scheint es so, als warten die Helme auf einen Einsatz.

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Nicht nur die Helme tragen Namen – auch das Kunstwerk selbst hat einen. Es heißt Les Monuments. Das Gebäude bricht damit scheinbar zusammen: doch keine Baustellen, sondern Monumente? Es sind keine zu sehen – oder doch? Theoretiker als Monumente? Sie selbst ragen zwar nicht ganz in den Himmel (der Helm bietet auch eher Schutz vor irdischen Gefahren), doch ihre Theorien steigen manches Mal in ungeahnte Höhen auf. Sie sind Monumente der Geistesgeschichte, denen hier ein Kunstwerk gewidmet wird. Man kann die Helme also als eine Form von Denkmal verstehen, das an die überlebensgroßen Monumente, die diese Theoretiker waren, erinnern soll. Das Werk als Grabmal der Intellektuellen? Das Kunstwerk ist von 2008 – die Theoretiker gelten immer noch als Monumente, auch wenn sie die Helme selbst nicht mehr zum Einsatz bringen können. Bei so viel Monumentalität drängt sich jedoch die Frage auf, warum auf diese erklärten Monumente mit Baustellenhelmen erinnert wird. Hier schleicht sich der leise Verdacht ein, der Künstler wolle sich auch ein bisschen mokieren. Nur über wen? Über die Theoretiker? Über eine Zeit, die diese hoch schätzt? Über diejenigen, die sich mit ihnen beschäftigen? Über ihre Theorien? Über die Kunst? Über Kunst und Theorie? Über sich selbst? Der offensichtlich ironischen Brechung der Überhöhung als Monumente muss nachgegangen werden. Der Künstler: Mounir Fatmi, geboren 1970 in Tanger in Marokko, lebt und arbeitet dort und in Paris. Es lässt sich in Erfahrung bringen, dass Fatmi die Theorien zu den Namen gelesen hat. Sie haben ihn inspiriert. Les Monuments als Hommage, aber auch als Kritik an den Architekten eines Denkens, das Theorie und Kultur seiner Generation, dieser jetzigen Generation, stark bestimmt hat, determiniert. Man muss sich jedoch auflehnen können. Seine eigene Sprache finden. So macht sich Fatmi auch ein wenig lustig, nicht zuletzt über sich – hat er nicht selbst diese Theorien gelesen, haben sie ihn nicht selbst zu einer schöpferischen Auseinandersetzung veranlasst? Fatmis Les Monuments belegt, wie diese Theoretiker gerade der Kunst und ihren Akteuren Denkanstöße geliefert haben, die nachwirken (wobei Denkanstöße manchmal auch vor den Kopf stoßen, sodass man besser wieder einen Schutzhelm trägt). Les Monuments ist ein work in progress. In dieser Version sind die Helme nicht aus robustem Plastik, sondern aus einer feinen Keramik. Damit kommt schlagartig das Fragile ins Spiel: Das Denken ist fragil, sein Schutz ist fragil, die Kunst ist fragil. Doch es gibt auch andere Versionen, mit anderen Namen (zum Beispiel »P. Bourdieu«), in anderen Zusammenstellungen. In einer Installation türmt Fatmi die Bauhelme zu einer Pyramide auf. Dutzende Bauhelme sind aufeinandergestapelt, sie liegen kreuz und quer, scheinbar achtlos zu einem Haufen versammelt. Die Helme verweisen auf Abwesenheit: Die Arbeiter des Denkens haben das Terrain verlassen. Die Arbeit ist getan und zurück bleibt ein Werk. In diesem Falle Les Monuments – und Theorien. Sich mit diesen zu befassen heißt wieder: Helm auf und an die Arbeit. So haben diese Theorien auch die Kunstproduktion der letzten Jahrzehnte mitgeprägt.

E INLEITUNG

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Sie sind aber auch den umgekehrten Weg gegangen: nicht nur den zur Kunst, sondern auch den zur Kunst und zurück. Die Theoretiker haben sich mit Kunst beschäftigt, haben sie betrachtet, sich der Erfahrung ausgeliefert und sind dann auf ihre eigene Baustelle zurückgegangen und haben diese Erfahrung in ihre Theorien einfließen lassen. Kunst und Theorie sind sich in den vergangenen Jahrzehnten erstaunlich nahe gekommen: Die Theorie wendet sich der Kunst zu, rezipiert sie, sucht Anregungen, aber auch Inseln des Schweigens bei all den Worten (Unsagbares…). Sie lässt sich zum Denken provozieren, und schließlich doch wieder zum Sprechen (Kommunikation…). Die Kunst wiederum rezipiert wissenschaftliche Theorien (gesellschaftswissenschaftliche, kulturwissenschaftliche, philosophische, auch naturwissenschaftliche), integriert die Erkenntnisse oder hinterfragt sie, setzt Denkmäler aus Schutzhelmen. Die Kunst denkt nach und stellt sich selbst permanent infrage. In den letzten Jahrzehnten ist die Kunst sehr selbstreflexiv geworden. Das rüstet sie gegen Angriffe von außen. Künstler wie Fatmi drehen den Spieß um: Ist man gewohnt, dass über Kunst reflektiert wird, reflektiert hier der Künstler die Theorie. Er interpretiert auf künstlerischer Ebene ihre Bedeutung. Das wirft die Frage auf, wie die Theoretiker mit dieser kunsteigenen Reflexion umgehen. Welche Bedeutung messen sie einer Kunst bei, die so selbstreflexiv geworden ist, wie es nunmehr die zeitgenössische Kunst ist? Und was sehen sie außerdem? Wenn es Theoretiker sind, die bekannt dafür sind, die Theorien zu unserer Zeitgeschichte geliefert zu haben, unsere Gegenwartsgesellschaft analysiert und kommentiert zu haben, welche Rolle geben sie der Kunst für diese Zeit? Welchen Stellenwert hat sie in ihren Theorien? Wie integrieren sie sie? Vereinnahmend? Schätzend? Diese aufgeworfenen Fragen sind die Grundlage der vorliegenden Arbeit. Sie sind Denkanstoß und Stein des Anstoßes gleichermaßen. Im Folgenden werden wir uns auf das Terrain der Theoretiker begeben, auf ihre Baustellen, und dort mit denjenigen Teilen ihrer Theorien arbeiten, in denen sie sich mit Kunst beschäftigen. Einige Namen aus Fatmis Kunstwerk werden ein integraler Teil davon sein. Neben »G. Deleuze«, »J. Derrida« und »J. Baudrillard« füge ich weitere Helme hinzu: »J.-F. Lyotard«, »P. Bourdieu«, aber auch »J. Habermas« und »N. Luhmann«. Fatmi interpretiert diese Theoretiker. Den Kern dieser Arbeit macht die Bewegung in die umgekehrte Richtung aus: Wie interpretieren die Theoretiker Kunst? Les Monuments zeugt von einer Abwesenheit und stellt diese doch dar. Auch das wird Thema dieser Arbeit sein. Zur Darstellung des Undarstellbaren werden wir versuchen, die Worte zu finden, die das Unsagbare sagbar machen, um das Gespräch über sie, die Theoretiker, mit ihnen fortzuführen. Bei der Arbeit auf dieser Baustelle sind wir nicht allein: Die Kunstwerke, die von diesen Theoretikern besprochen werden, sind alles andere als schweigsam. So wie auch Fatmis Werk. Es oszilliert offen zwischen einer Überhöhung und Kritik der Theoretiker, die umgekehrt auch die Kunsttexte

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dieser Theoretiker prägen. Das Spannungsverhältnis zwischen Überhöhung und Kritik ist der rote Faden, der alles durchzieht und alles zusammenhält. Ein Leitfaden auf der Baustelle, dem nachzugehen sein wird.

II. Kunst und Theorie

Fragestellungen Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich grundlegend mit den Kunstkommentaren bzw. Kunstwerkbetrachtungen einiger ausgewählter Kulturtheoretiker. Solche Kunstkommentare oder Kunstwerkbetrachtungen, die üblicherweise unter dem Sammelbegriff ›Kunstkritik‹ subsumiert werden, erwartet man im Normalfall vonseiten der Akteure des Kunstbetriebs selbst: den Kunsthistorikern, Kunstwissenschaftlern, sogenannten Kunstexperten, Fachjournalisten oder auch Kunsthändlern, Galeristen, Kuratoren und Sammlern.1 Die Zuordnung von solchen Texten, die von Kulturtheoretikern verfasst werden, ist hingegen alles andere als klar: Es sind hybride Gebilde, die zwischen Kunstkritik, Kunstkommentar und Theorie schwanken und die im Folgenden als »Kunsttexte« bezeichnet werden. Sind sie eine Seh- und Denkübung des Autors an einem vermeintlich uneindeutigen Gegenstand? Soll man sie als ernst zu nehmende Besprechung eines Kunstwerkes in Betracht ziehen? Oder verbirgt sich dahinter doch ›nur‹ die Ausformulierung einer Theorie? Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass diese Texte eine breit gefächerte Publikationsgeschichte erfahren: Sie erscheinen sowohl in Aufsatzsammlungen des jeweiligen Theoretikers wie in Kunstzeitschriften oder auch Ausstellungskatalogen. Es wäre zu klären, wer der Adressat dieser Texte ist und wer sich in der Folge kritisch mit ihnen auseinandersetzt. Denn gerade diese Texte sind nur in seltenen Fällen Thema kritischer Lektüre. Bereits an dieser Stelle müssen zwei Präzisierungen erfolgen. Die erste betrifft die hier vorgenommene Einschränkung auf Texte zu zeitgenössischer Kunst. Diese gründet sich auf der Einschätzung, dass für das Verhältnis von Kunst und Theorie prinzipiell das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts bis heute von hohem Interesse ist. In dieser Zeit kommt es in allen Bereichen zu erheblichen Veränderungen, deren Folgen sich auch in Kunst und Theorie abzeichnen bzw. von diesen aufgegriffen und thematisiert werden. In diesen dreißig bis vierzig Jahren (von den 1970er bis zu den 2000er Jah1

Die standardisierte männliche Form solcher Bezeichnungen wird in dieser Arbeit neutral verwendet. Die weibliche ist stets mitzudenken.

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ren) antwortet die Kunst auf die gesteigerte Kontingenz der Lebenserfahrungen mit einem Ausweiten ihres Aktionsfeldes, indem sie die neu entstandenen – oder entstehenden – Pluralismen und Ambivalenzen integriert, reflektiert, widerspiegelt, befördert oder infrage stellt. Insofern wird hier zeitgenössische Kunst als die Kunst dieser Zeit definiert. Sprach man kunsthistorisch bei zeitgenössischer Kunst von der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen, werden heute die ersten zwei darauffolgenden Dekaden eher als Kunst der Nachkriegszeit bezeichnet. Erst ab ungefähr Mitte der 1960er Jahre kann man auch vom heutigen Standpunkt aus von zeitgenössischer Kunst sprechen. Das wirkt im 21. Jahrhundert bisweilen etwas antiquiert, ist aber immer noch üblich; um sich von dieser Zeit und Kunst bereits abzugrenzen, wird inzwischen oftmals von Kunst der Gegenwart gesprochen, wenn man die aktuelle Kunstproduktion bezeichnen möchte. In der vorliegenden Arbeit wird die Formulierung ›zeitgenössische Kunst‹ allerdings auch dahingehend verwendet, dass sich die analysierten Kunsttexte mit zum Zeitpunkt ihres Erscheinens aktueller Kunst beschäftigen, das heißt mit für die Theoretiker zeitgenössischer Kunst. Eine weitere Definition ist hier von Bedeutung: zeitgenössische Kunst als Bezeichnung eines bestimmten Genres von Kunst. In ihrer Untersuchung zum zeitgenössischen Kunstbetrieb versteht die Kunstsoziologin Nathalie Heinich zeitgenössische Kunst nicht ausschließlich temporal, sondern auch als Ausdruck einer ästhetischen Kategorie. Zeitgenössische Kunst wäre demnach diejenige, der Grenzerfahrungen inhärent sind: Kunst an den Grenzen zu Kunst, an den Grenzen des Museums, der Authentizität, der Moral und des Rechts.2 Das erfordert es, den französischen Künstler Marcel Duchamp (1887-1968) in die Betrachtungen mit einzubeziehen, da er mit seinen Readymades3 die gesamte Kunst des 20. Jahrhunderts revolutionierte und die zeitgenössische Kunst nachhaltig prägte. Viele der hier analysierten Kunsttexte verweisen entweder direkt auf Duchamp, auf die Readymades oder generell auf die von ihm erstmals durchgeführte Geste der Deklarierung von Alltagsgegenständen zu Kunst. Auch der Kunsttheoretiker Arthur C. Danto versteht zeitgenössische Kunst nicht im rein zeitlichen Sinne:

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Vgl. Nathalie Heinich (1998a): Le Triple Jeu de l'Art Contemporain. Sociologie des arts plastiques, Paris: Minuit. Die obige Auflistung folgt der Kapitelunterteilung des ersten Teils zu zeitgenössischer Kunst: »Transgressions. L'expérience des limites«. Die sogenannten Readymades sind Kunstobjekte, die aus Alltagsgegenständen bestehen und kaum verändert zu Kunst deklariert werden. Mit dem Fahrrad-Rad von 1913, dem Flaschenständer von 1914 und der Fontaine von 1917 wird der Schaffensprozess von Kunstwerken und ihre ›Kunstwerdung‹ durch Konsekrationsinstanzen wie Ausstellungen, Museen, Galerien, Akteuren des Kunstbetriebs u.a. thematisiert und radikal hinterfragt.

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»So wie ›modern‹ heute einen Stil und sogar eine Periode bezeichnet und nicht nur Kunst jüngeren Datums, steht ›zeitgenössisch‹ für mehr als nur die Kunst des derzeitigen Augenblicks. Meiner Ansicht nach bezeichnet der Begriff außerdem weniger eine Periode, als vielmehr das, was geschieht, wenn es keine Perioden innerhalb einer Meistererzählung der Kunst mehr gibt, und weniger einen Stil der Herstellung von Kunst als vielmehr einen Stil der Verwendung von Stilarten.«4

Wenn zeitgenössische Kunst in das Blickfeld dieser Arbeit rückt, geht es also auch darum, sie als ein bestimmtes Zeitphänomen zu verstehen. Wie gehen Kulturtheoretiker mit diesem Zeitphänomen um, wie beziehen sie sich darauf? Wie rezipieren sie zeitgenössische Kunstwerke? Sehen sie in den Themen und ihrer künstlerischen Bearbeitung Indikatoren für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge? Betrachten sie sie als Symptom, als Gradmesser für unsere Zeit? Oder dient sie ihnen nur als Beispiel für bestimmte aktuelle Tendenzen? Damit muss die zweite Präzisierung erfolgen, die klärt, was bzw. wer mit dem Begriff der Kulturtheoretiker gemeint ist. Eine mögliche Definition wäre, zu sagen, dass es sich um Theoretiker handelt, die der kulturellen Dimension des Sozialen besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben, darunter Philosophen, Soziologen, Sozialtheoretiker, Kulturwissenschaftler und weitere. Nach dem cultural turn in den Wissenschaften,5 in dem das Interesse an kulturellen Phänomenen rapide zugenommen hat, kann dies als eine sehr weit gefasste Definition verstanden werden, zu der man fast die gesamte geisteswissenschaftliche Theorieproduktion der letzten Jahrzehnte zählen könnte. Eine Einschränkung, die hier vorgenommen wird, ist, mit ›Kulturtheoretiker‹ solche zu bezeichnen, die »[…] wichtige Pionierarbeit für ein transdisziplinäres Verständnis von Kultur und Gesellschaft geleistet und damit die theoretischen Grundlagen der heutigen Kulturwissenschaften gelegt […]«6 haben. Es sind Kulturtheoretiker gemeint, die der sozialen Konstruktion kultureller Artefakte ihrer, unserer, Zeit große Beachtung geschenkt haben, sodass bei ihnen eine Affinität für die Kulturproduktion im Konkreten und für zeitgenössische Phänomene im Allgemeinen gegeben ist.

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Arthur C. Danto ([1997] 2000): Das Fortleben der Kunst, München: Fink, S. 31f. Vgl. Doris Bachmann-Medick (2007): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 2. Aufl., Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt. Die Autorin verortet den Beginn der verschiedenen turns, die den cultural turn konstituieren (interpretive, performative, reflexive/literary, postcolonial, translational, spatial, iconic turn), in die 1970er Jahre (vgl. ebd., S. 7), sodass Deckungsgleichheit besteht zwischen der Zeit des cultural turn und der der zeitgenössischen Kunst, d.h. der Zeit, auf die der Fokus dieser Arbeit gerichtet ist. Martin Ludwig Hofmann/Tobias F. Korta/Sibylle Niekisch (2004): »Vorwort«, in: dies. (Hg.), Culture Club. Klassiker der Kulturtheorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7 (Hervorh. im Orig.).

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Methoden und Stand der Forschung Für die Beschäftigung mit Kunst aus einer soziologischen Perspektive lässt sich wieder das Bild der Baustelle zum Einsatz bringen, das uns eingangs den Weg zu unserem Thema geebnet hat. »Soziologie hat sich grundbegrifflich als Theorie reiner Sozialwelt den Zugang zu technischen und ästhetischen Artefakten als Kulturleistungen des Menschen weitgehend verbaut […]. Soziologen, die sich daran machten, Gedichte, Bilder und Musikstücke als Objekte ästhetischer Gestaltung intensiver in ihre Untersuchungen miteinzubeziehen, liefen Gefahr, von den Wächtern soziologischer Identität als unzuverlässige Grenzgänger stigmatisiert zu werden.«7

An dieser Feststellung muss man auch für die heutige Zeit festhalten – mit einer Einschränkung: Sie gilt vor allem in der deutschen Soziologie. Wie Volker Kirchberg und Ulf Wuggenig 2004 konstatieren, spielt eine Soziologie der Kunst bzw. der Künste in Deutschland eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, wenn man auf die französische oder angloamerikanische ›Soziologieproduktion‹ blickt.8 In der Tat hält sich das Ausmaß gerade auch aktueller kunstsoziologischer Untersuchungen in Deutschland in Grenzen,9 während sie andernorts schier uferlos zu sein scheint.10 In den vergangenen

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Wolfgang Eßbach (2001): »Antitechnische und antiästhetische Haltungen in der soziologischen Theorie«, in: Andreas Lösch/Dominik Schrage/Dierk Spreen/ Markus Stauff (Hg.), Technologien als Diskurse. Konstruktionen von Wissen, Medien und Körpern, Heidelberg: Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, S. 123f. 8 Vgl. Volker Kirchberg/Ulf Wuggenig (2004): »Jumping on the shoulders of giants? Cultural and arts sociology in German speaking countries«, in: Newsletter of the Sociology of Culture Section of the American Sociological Association, vol. 18, Nr. 3, S. 8. 9 Einen Überblick bieten die Einführungen in das Thema bzw. Anthologien jüngeren Datums. Vgl. Barbara Aulinger (1992): Kunstgeschichte und Soziologie. Eine Einführung, Berlin: Dietrich Reimer Verlag; Jürgen Gerhards (Hg.) (1997): Soziologie der Kunst. Produzenten, Vermittler und Rezipienten, Opladen: Westdeutscher Verlag; Hans Peter Thurn (1997): Bildmacht und Sozialanspruch. Studien zur Kunstsoziologie, Opladen: Leske + Budrich; Werner Gephart (1998): Bilder der Moderne. Studien zu einer Soziologie der Kunst- und Kulturinhalte, Opladen: Leske + Budrich. Vgl. auch Dagmar Danko (2011): Kunstsoziologie, Bielefeld: transcript Verlag (im Erscheinen). 10 Siehe für Frankreich und für den angloamerikanischen Raum nur die aktuellste Überblicksliteratur der vergangenen Jahre, hinter der eine rege Forschungslandschaft für diesen Bereich steht, die seit Jahrzehnten Kontinuität aufweist: vgl. Nathalie Heinich (2001): La sociologie de l'art, Paris: La Découverte; Florent Gaudez (Hg.) (2007): Sociologie des arts, sociologie des sciences, 2 Bände, Pa-

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ca. zwanzig bis dreißig Jahren, seit den bis heute wegweisenden Forschungen und Theorien der Kritischen Theorie bzw. Frankfurter Schule (allen voran Walter Benjamin und Theodor W. Adorno)11 oder auch Alphons Silbermanns,12 hat bislang nur Niklas Luhmann 1995 eine ausgearbeitete, soziologische Betrachtung der Kunst vorgelegt.13 Genau zu dieser Zeit hat, so wirkt es, Pierre Bourdieu der Kunstsoziologie in Frankreich einen Schub gegeben, der nicht wieder abreißen sollte.14 So versteht sich diese Arbeit auch als Beitrag zu einer Revitalisierung der Kunstsoziologie im deutschsprachigen Raum. Das zentrale methodologische Anliegen der Arbeit ist folglich innerhalb der Methoden der Kunstsoziologie zu finden. Diese beschäftigt sich mit dem

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ris: L'Harmattan; Sylvia Girel/Serge Proust (Hg.) (2007): Les usages de la sociologie de l'art: constructions théoriques, cas pratiques, Paris: L'Harmattan; sowie Bruno Péquignot (2009): Sociologie des arts, Paris: Armand Colin. In Frankreich erscheint außerdem die einzige Fachzeitschrift (Sociologie de l'Art OPuS) für diesen Forschungsbereich, die dort in den 1990er Jahren gegründet wurde. Vgl. weiter: Victoria D. Alexander (2003): Sociology of the arts. Exploring fine and popular forms, Malden/Oxford/Victoria: Blackwell Publishing; David Inglis/ John Hughson (Hg.) (2005): The sociology of art. Ways of seeing, Houndmills, Basingstoke, Hampshire/New York: Palgrave Macmillan; Ron Eyerman/Lisa McCormick (Hg.) (2006): Myth, meaning, and performance. Toward a new cultural sociology of the arts, Boulder/London: Paradigm Publishers. Diese Einführungen und Anthologien sollen als Gradmesser für die tatsächlich erfolgende Forschung dienen; es sei auch auf die dortigen Bibliografien hingewiesen. Vgl. ihre wichtigsten Schriften: Walter Benjamin (1935/36): »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: ders. (1980), Gesammelte Schriften, Band I/2, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 471-508. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer ([1947] 1981): Dialektik der Aufklärung, Gesammelte Schriften, Band 3, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; Theodor W. Adorno (1967): Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; sowie Theodor W. Adorno ([1970] 2003): Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Vgl. beispielsweise Alphons Silbermann (1973): Empirische Kunstsoziologie. Eine Einführung mit kommentierter Bibliographie, Stuttgart: Enke; Alphons Silbermann/René König (Hg.) (1974): Künstler und Gesellschaft. Sonderheft 17 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen: Westdeutscher Verlag. Vgl. die Einschätzung von Peter Gente: »Nach [Adornos] Tod 1969 ist dieses Band zwischen ästhetischer Erfahrung und theoretischer Arbeit im deutschen Sprachraum mehr und mehr zerrissen.«, Peter Gente (2004): »Vorwort«, in: ders. (Hg.), Foucault und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7. Vgl. die zweibändige Publikation mit dem programmatischen Titel: Pierre Le Quéau (Hg.) (2007): 20 ans de sociologie de l'art: Bilan et perspectives, 2 Bände, Paris: L'Harmattan.

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Bild der Gesellschaft in der Kunst, versteht Kunst und Kunstwerke als Quelle soziologischer Erkenntnis und setzt sich mit der Produktion, der Rezeption und der Distribution bzw. den Vermittlungen von Kunst auseinander.15 Unter einer Beschäftigung mit der Rezeption von Kunst aus soziologischer Perspektive versteht man gemeinhin eine Analyse der Kunstrezeption durch das breite Publikum. So werden zum Beispiel die Museumsbesucher oder eine bestimmte Gruppe von Museumsbesuchern in ihrem Verhalten und ihren Vorlieben erforscht. Eine rezeptionssoziologische Studie kann sich jedoch auch zum Ziel nehmen, spezifische Kunstrezipienten wie Kulturtheoretiker zum Schwerpunkt einer Untersuchung zu machen. Die Texte, Aussagen, Thesen, Theorien dieser Kulturtheoretiker, deren Auswahl im Folgenden begründet wird, werden dabei zueinander in Beziehung gesetzt. Bei diesem Vergleich halten wir uns an die Unterscheidung zwischen comparer à und comparer avec (oder auch to compare to bzw. with), die beide im Deutschen als vergleichen mit wiedergegeben werden, jedoch zwischen einem Vergleich, der gleichsetzt (comparer à) und einem Vergleich, der Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede herausarbeitet (comparer avec) differenziert.16 Es geht daher nicht darum, die Theoretiker im Vergleich einander anzunähern, sondern sie gegenzulesen, sie zu kontrastieren. Wie sich noch zeigen wird, wurden sie so ausgewählt, dass sie bestimmte Eigenschaften teilen, sodass ihre Aussagen zu Kunst umso besser miteinander (und gegeneinander) verglichen werden können. Der Entschluss, Texte zu zeitgenössischer Kunst ins Auge zu fassen, ist auch einer nur ungenügenden kunst- und kultursoziologischen Forschung geschuldet (die konträr geht zur Wucherung populärwissenschaftlicher Publikationen zu diesem Thema). Das hängt einerseits damit zusammen, dass vergangene Epochen und Stilrichtungen in ihrer historischen Abgeschlossenheit greifbarer sind und das ›Terrain‹ der zeitgenössischen Kunst unsicherer, unbekannter. Andererseits hat sich die Soziologie im Vergleich zu anderen Richtungen der Kunst wie der bildenden, zum Beispiel mit der Literatur, intensiver beschäftigt.17 Das ist im Übrigen bei vielen der Theoretiker, die hier ausgewählt werden, ebenso der Fall. Die Rezeption dieser Texte ist in der Folge ungleich höher als die der Texte zu bildender Kunst. Es lässt sich sagen, dass Kunsttexte von Kulturtheoretikern durch ihren hybriden Charakter zwar einerseits für mehrere Fachrichtungen interessant

15 Zum letzten Punkt vgl. Thurn 1997, S. 16; siehe bereits den Untertitel von Gerhards 1997 (Produzenten, Vermittler und Rezipienten). Vgl. auch Heinich 2001, S. 45ff. 16 Vgl. hierzu die methodologischen Ansätze bei Paul Veyne ([1971] 1990): Geschichtsschreibung – Und was sie nicht ist, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, vor allem Kapitel 7: »Theorien, Typen, Begriffe«, S. 85-103. 17 Vgl. grundlegend die Untersuchung von Wolf Lepenies ([1985] 2006): Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag.

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sind (Philosophie, Soziologie, Kulturwissenschaften, Kunstwissenschaften); andererseits kommt es de facto zu dem seltsamen Effekt, dass sie von keiner dieser Fachrichtungen wirklich rezipiert werden. Die Kunsttexte von, in der Reihenfolge, in der sie in dieser Arbeit besprochen werden, Pierre Bourdieu, Jürgen Habermas, Jean-François Lyotard, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Niklas Luhmann und Jean Baudrillard sind bislang nur äußerst ausschnitthaft analysiert (man muss sogar sagen: gelesen) worden. Hinsichtlich dieser bekannten Namen der Kultur- und Gesellschaftstheorie der vergangenen Jahrzehnte, bei denen man davon ausgehen möchte, dass alle ihre Schriften die eine oder andere Form von kritischer Rezeption erfahren haben, ist es erstaunlich festzustellen, dass dies bei den Kunsttexten nicht der Fall ist. So orientiert sich die Auswahl letztlich auch daran, Theoretiker zu wählen, zu denen diese Form von Grundlagenforschung noch zu erfolgen hat – und in dieser Arbeit geleistet wird. Diese sieben Theoretiker gehören, wie ihre Lebensdaten veranschaulichen, einer Generation an: Pierre Bourdieu (1930-2002), Jürgen Habermas (*1929), Jean-François Lyotard (1924-1998), Gilles Deleuze (1925-1995), Jacques Derrida (1930-2004), Niklas Luhmann (1927-1998) und Jean Baudrillard (1929-2007) sind innerhalb eines Zeitabstandes von nur sechs Jahren geboren worden und teilen somit viele Lebenserfahrungen wie die Nachkriegszeit, den Mai 1968, den Kalten Krieg, die Wende und alle Phänomene, Tendenzen und Entwicklungen, die unter dem Schlagwort der Globalisierung zu subsumieren wären. Mit dem Ausmaß dieser Entwicklungen, das erst in den 1990er Jahren deutlich wurde und das andere dazu veranlasste, ein Ende der Geschichte zu proklamieren,18 konnten sie sich ebenfalls noch alle auseinandersetzen. Neben diesen historischen, sozialen, politischen Veränderungen ist es jedoch auch die massive Verbreitung neuer Technologien und ein Erstarken der Populärkultur, die nicht zuletzt für die Kunst dieser Zeit von großer Bedeutung gewesen sind und die sich teilweise auch in ihren Schriften niederschlagen. Es handelt sich bei diesen Theoretikern um eine Generation, die auch deswegen dieselben oder ähnliche Erfahrungen teilt, da es sich entweder um deutsche oder um französische Autoren handelt. Die Tatsache, dass hier diese zwei Nationen vertreten sind, begründet sich unter anderem über die Materiallage und den Stand der Forschung. Doch kann gesagt werden, dass der deutsch-französische Austausch und folglich Vergleich prinzipiell zu fruchtbaren Ergebnissen führt, auch, da sie füreinander ›Referenz-Nationen‹ sind.19 Hier zeigt sich dieser gegenseitige Charakter als Referenz besonders

18 Vgl. Francis Fukuyama (1992): Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München: Verlag Kindler. 19 Vgl. die Arbeiten von Joseph Jurt, unter anderem: Joseph Jurt (2004): Frankreich, Freiburg: Universität Freiburg, URL: http://www.freidok.uni-freiburg.de/ /volltexte/1137, letzter Zugriff: 25.10.2010; sowie Joseph Jurt (2001): »Le

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deutlich, da mit Habermas ein Theoretiker ausgewählt ist, zu dem und von dem viele Verweise und (Quer-)Bezüge ausgehen. Diese fallen größtenteils oppositionell aus, sodass sich die Theorien und Thesen zu Kunst besonders aufschlussreich kontrastieren lassen: Die Konkurrenz beflügelt gleichsam das Schärfen der eigenen Begriffe und Gedanken.20 Dieser Austausch, der offen oder ›verdeckt‹ erfolgen kann, ist typisches Merkmal für eine Gruppe von Intellektuellen, die zeitgleich gearbeitet haben. Dennoch kann hier bei den sieben Theoretikern nicht von einer Intellektuellengruppe gesprochen werden, wie sie in anderen Untersuchungen im Mittelpunkt der Forschungsarbeit steht.21 Diese Behauptung ließe sich allenfalls für die Theoretiker aufstellen, die als postmoderne bzw. poststrukturalistische Theoretiker einer Denkrichtung angehören (auf welche im Kapitel IV, unter anderem im dortigen Exkurs, näher eingegangen wird). Hier trifft Karl Mannheims Diktum zu: »Sehen wir aber von [dem] speziellen Fall ab, wo der Generationszusammenhang zur Veranlassung von konkreter Gruppenbildung werden kann, so können wir zunächst den Generationszusammenhang eben als einen bloßen Zusammenhang in Gegensatz zu den konkreten Gruppenbildungen stellen.«22 Daher muss eher von einer Reihe von Kulturtheoretikern gesprochen werden, deren Auswahl weniger über ihren Status, als den ihrer Texte erfolgt. Ein grundlegendes Auswahlkriterium ist somit, dass sich die Theoretiker nicht nur allgemein zu Kunst geäußert haben müssen, sondern dass neben solchen Aussagen bzw. neben einer ausgearbeiteten Kunsttheorie konkrete Betrachtungen eines zeitgenössischen Kunstwerks oder Besprechungen und Kommentare zu einem bestimmten, zeitgenössischen Künstler stehen. Über die Frage der Materiallage und die Einschränkung auf Kulturtheoretiker nach unserer Definition, gelangt man zu den sieben genannten Theoretikern. In der bestehenden Sekundärliteratur wird größtenteils nur auf die wichtigsten Texte, die Kunsttheorien oder Hauptwerke dieser Theoretiker, eingegangen; die teilweise äußerst zahlreichen Aufsätze und Artikel zu zeitgenössischer Kunst werden ausgelassen – speziell für Lyotard und Derrida, die be-

couple franco-allemand. Naissance et histoire d'une métaphore«, in: Cahiers d'études germaniques. France-Allemagne. Passions croisées, Nr. 41, S. 51-60. 20 Vgl. dazu grundlegend den wissenssoziologischen Ansatz von: Karl Mannheim (1929): »Die Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen«, in: ders. (1964), Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, Berlin: Luchterhand, S. 566613. 21 Vgl. Wolfgang Eßbach (1988): Die Junghegelianer. Soziologie einer Intellektuellengruppe, München: Fink; sowie Ingrid Gilcher-Holtey (2007): Eingreifendes Denken. Die Wirkungschancen von Intellektuellen, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft. 22 Karl Mannheim (1928): »Das Problem der Generationen«, in: ders. (1964), Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, Berlin: Luchterhand, S. 524 (Hervorh. im Orig.).

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sonders viele Texte verfasst haben, gibt es keine vollständige Auflistung der Künstler, die sie besprochen haben. Stets fehlt mal der eine, mal der andere Künstler, sodass hier zum ersten Mal in den entsprechenden Kapiteln eine solche Auflistung vorliegt und diese Forschungslücke geschlossen wird. Die Forschungsabsicht dieser Arbeit ermöglicht es außerdem, die Theoretiker zum ersten Mal in dieser Kombination zu versammeln.23 Es gibt zahlreiche Publikationen, die sich entweder in der einen oder anderen Kombination mit den Kunsttheorien von Bourdieu, Habermas, Lyotard, Deleuze, Derrida, Luhmann und Baudrillard beschäftigen.24 Allerdings beschränken sich diese größtenteils nur auf die bekanntesten Texte.25 Typische Publika-

23 Die von Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler herausgegebene Ästhetik und Kunstphilosophie, die als Standardwerk für Kunsttheorie im deutschsprachigen Raum gelten kann, versammelt von den sieben Theoretikern alle außer Bourdieu, vgl. Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hg.) (1998): Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag. In der ungleich bescheideneren Zusammenstellung Art: Key Contemporary Thinkers, die sich auf Kunsttheorien des späten 20. Jahrhunderts konzentriert, vermisst man wiederum Habermas, vgl. Diarmuid Costello/ Jonathan Vickery (Hg.) (2007): Art: Key Contemporary Thinkers, Oxford/New York: Berg. In zwei weiteren Zusammenstellungen ähnlichen Charakters kommen sogar jeweils nur Lyotard bzw. Derrida vor, vgl. Stefan Majetschak (Hg.) (2005): Klassiker der Kunstphilosophie. Von Platon bis Lyotard, München: C.H.Beck, S. 307-327 (Text verfasst von Georg Christoph Tholen); sowie Norbert Schneider (1996): Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne. Eine paradigmatische Einführung, Stuttgart: Reclam, S. 251-259 zu Derrida. 24 Häufig sind Kombinationen mit den postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretikern. Vgl. beispielsweise David Carroll (1987): Paraesthetics. Foucault, Lyotard, Derrida, New York/London: Methuen. Lyotard-Derrida-Baudrillard in: Antoon A. Van den Braembussche ([1994] 1996): Denken über Kunst. Eine Einführung in die Kunstphilosophie, Essen: Verlag Die Blaue Eule, S. 265-290. Derrida-Deleuze-Lyotard in: Stefan Münker/Alexander Roesler (2000): Poststrukturalismus, Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 116-138. Publikationen, die einen oder mehrere dieser Theoretiker mit Habermas kombinieren, haben demgegenüber Kunst gerade nicht zum Thema, vgl. zum Beispiel Emilia Steuerman (2000): The bounds of reason. Habermas, Lyotard and Melanie Klein on rationality, London/ New York: Routledge. 25 Bei Bourdieu Die Regeln der Kunst, bei Habermas Die Theorie des kommunikativen Handelns, bei Lyotard die Texte zum Erhabenen, bei Deleuze Francis Bacon. Logik der Sensation, bei Derrida Die Wahrheit in der Malerei, bei Luhmann Die Kunst der Gesellschaft, bei Baudrillard die Texte zur Simulation und Hyperrealität. Dies nur zur Orientierung; auf die genauen Quellenangaben wird hier daher verzichtet. In den entsprechenden Kapiteln wird im Einzelnen konkret darauf eingegangen – auch auf die dazu korrespondierende Sekundärliteratur. Es

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tionen sind auch solche, deren Titel auf das Thema Kunst und Theorie deuten, sich tatsächlich aber keinesfalls Texten zu Kunst widmen.26 Ein weiterer Typus von Sekundärliteratur ist der, der sich in diversen Kombinationen mit diesen Theoretikern auseinandersetzt, Kunst aber nicht zum Thema hat.27 Schließlich gibt es noch Weiterführungen, die die Theorien dieser Theoretiker auf Kunst bzw. konkrete Kunstrichtungen und -werke anwenden, die deren Kunstwerkbetrachtungen aber grundsätzlich nicht zum Thema haben.28 An dieser Stelle muss kurz darauf eingegangen werden, weshalb Michel Foucault (1926-1984) in der vorliegenden Arbeit nicht unter den ausgewählten Kulturtheoretikern zu finden ist. Das hat drei Gründe. Der erste bezieht sich auf die hier erfolgte Einschränkung auf zeitgenössische Kunst: Foucault hat sich, im Unterschied zu den anderen Theoretikern, vorrangig mit nichtzeitgenössischer Kunst beschäftigt. Dabei haben seine Texte zu Velázquez'

würde zu weit führen, aufzulisten, welche Publikation sich auf welche Schriften des jeweiligen Autors bezieht bzw. nicht bezieht – als typisches Beispiel neueren Datums sei genannt: Sophia Prinz/Hilmar Schäfer (2008): »Kunst und Architektur. Materielle Strukturen der Sichtbarkeit«, in: Stephan Moebius/Andreas Reckwitz (Hg.) Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 382-400, worin für die Kombination Baudrillard-Derrida-DeleuzeLyotard u.a. nur die zentralen und bekanntesten Schriften Erwähnung finden. Prinzipiell bleibt festzuhalten, dass den Kunsttexten, auf die wir den Fokus richten, wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. 26 Vgl. beispielsweise Karlheinz Barck/Peter Gente/Heidi Paris/Stefan Richter (Hg.) (1990): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam; darin sind u.a. Texte von Deleuze und Baudrillard abgedruckt, aber eben nicht Texte zu bildender Kunst. Ein weiteres Beispiel ist: Gunter Gebauer/Christoph Wulf (Hg.) (1993): Praxis und Ästhetik. Neue Perspektiven im Denken Pierre Bourdieus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, das sich ebenfalls nur ganz am Rande mit Bourdieus Aussagen und Thesen zu Kunst auseinandersetzt. 27 Vgl. beispielsweise Manfred Frank (1988): Die Grenzen der Verständigung. Ein Geistergespräch zwischen Lyotard und Habermas, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; sowie: Petra Gehring (1994): Innen des Außen – Außen des Innen. Foucault, Derrida, Lyotard, München: Fink, die Aspekte zu Kunst lediglich streift. 28 Vgl. zum Beispiel eine Analyse der Künstlergruppe der Young British Artists anhand der Theorien von Bourdieu: Michael Grenfell/Cheryl Hardy (2003): »Field manoeuvres. Bourdieu and the Young British Artists«, in: space & culture, vol. 6, Nr. 1, Februar, S. 19-34 und weiterer zeitgenössischer Künstler in: Michael Grenfell/Cheryl Hardy (2007): Art Rules. Pierre Bourdieu and the Visual Arts, Oxford/New York: Berg. Eine Analyse der Werke der Künstlerin Sophie Calle (die im Kapitel zu Baudrillard zur Sprache kommen wird) anhand von Überlegungen von Derrida: vgl. Heather Höpfl (2006): »Frame«, in: Culture and Organization, vol. 12, Nr. 1, März, S. 11-24.

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Las Meninas, zu Manet, Magritte und einigen weiteren vergleichsweise viel Beachtung gefunden.29 Dem ungeachtet ist festzuhalten: »Foucault hat nur wenig über Malerei geschrieben, doch er hat sich wiederholt zum Sehen und zur Malerei bekannt.«30 Auch die explizit dem Thema Foucault und die Künste gewidmete Publikation von 2004 enthält eher Texte zu Fragen der Lebenskunst und Weiterführungen von Foucaults Überlegungen.31 Als zweiter Grund muss festgehalten werden, dass sich Foucault nicht ganz in die ›Generationenauswahl‹ der Theoretiker fügen würde, die allesamt die vielfältigen Umbrüche der 1980er und 1990er Jahre, gerade auch in und für die Kunst, beobachten konnten. Foucaults Texte zu konkreten Kunstwerken entstanden alle in den 1960er und frühen 1970er Jahren; in Bezug auf zeitgenössische Kunst meint Danto: »Auf jeden Fall wurde die Unterscheidung zwischen modern und zeitgenössisch erst in den siebziger und achtziger Jahren klar.«32 Foucault, doch auch weitere Kulturtheoretiker, die sich mit Kunst auseinandergesetzt haben, so der bereits erwähnte Adorno, aber auch Arnold Gehlen,33 haben diesen Moment, von dem Danto spricht, wahrgenommen und teilweise kommentiert und analysiert. Doch die konkreten Entwicklungen für die und in der Kunst, die besonders seit den 1980er Jahren ersichtlich wurden, also in einer Zeit, in der dieser ›Wendepunkt‹ bereits überschritten war, konnten sie nicht mehr reflektieren.34 Der dritte und wichtigste Grund ist der, dass Foucaults Werk die Schriften fast aller ausgewählten Theoretiker geprägt hat und dieses daher ohnehin mehrfach zur Sprache kommt.35 So sind zum Beispiel Foucaults Überlegungen zum Prinzip der

29 Einen konzisen Überblick bietet: Walter Seitter (1974): »Michel Foucault und die Malerei (Nachwort)«, in: Michel Foucault ([1973] 1974), Dies ist keine Pfeife, München: Hanser Verlag, S. 61-68. 30 Andreas Gelhard (2001): »Foucault und die Malerei«, in: Marcus S. Kleiner (Hg.), Michel Foucault. Eine Einführung in sein Denken, Frankfurt a.M./New York: Campus, S. 239. 31 Vgl. Peter Gente (Hg.) (2004): Foucault und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 32 Danto (1997) 2000, S. 33. 33 Vgl. Arnold Gehlen ([1960] 1986): Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, 3., erw. Aufl., Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann. 34 Wie wir sehen werden, spricht Baudrillard für diesen Zeitpunkt vom CanettiPunkt und fragt, ähnlich wie Dantos Publikation über Das Fortleben der Kunst (vgl. Danto (1997) 2000, auf Englisch: After the End of Art), danach, was nach der Orgie kommt – siehe dazu das Kapitel zu Baudrillard. Da wir Kunst bis heute bzw. bis zu den jüngsten Texten der Kulturtheoretiker in den Blick nehmen, ziehen wir es vor, nicht von der Postmoderne zu sprechen. Dazu mehr in Kapitel IV. 35 Besonders deutlich wird dies in einem Text von Deleuze zu Foucault, vgl. Gilles Deleuze (1984): »Über die wesentlichen Begriffe von Michel Foucault«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 19751995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 231-249.

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Repräsentation als Basis zu verstehen, auf der die Überlegungen der übrigen hier diskutierten postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denker ruhen, die sich im Vergleich zu Foucault jedoch wesentlich ausführlicher mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt haben. Die vorliegende Arbeit setzt sich nicht zum Ziel, die Theorien, die mit den ausgewählten Theoretikern verbunden werden, grundlegend darzustellen. Das wird nur stellenweise dort erfolgen, wo dies für ein Verständnis der Kunsttexte vonnöten ist, auf die der Fokus hier gerichtet ist. Es ist auch wichtig anzumerken, dass im Folgenden Textanalysen im Zentrum stehen; die Kunstwerke, die dabei Teil dieser Untersuchung sind, interessieren insofern, als sie von den Theoretikern gesehen werden. Es bedarf einer Einschränkung der eigenen Interpretationen, da der Soziologe »[…] n'a plus à décider si les acteurs ›ont raison‹ – mais seulement à montrer quelles sont ›leurs raisons‹.«36 Das gilt nicht nur für die betreffenden Kunstwerke. Auf diese raisons für die Kunstwerkbetrachtungen wird in einem wissenssoziologischen Ansatz vor allem in der Ergebnisanalyse in Kapitel VI näher einzugehen sein, in dem Motivationen für die Texte bzw. ihr Hintergrund beleuchtet werden. Die Arbeit gliedert sich in Abschnitte, die jeweils einen der sieben Theoretiker behandeln. Ihre Reihenfolge und Paarung begründet sich inhaltlich, sodass sich besonders stringente Vergleichsmöglichkeiten ergeben: Bourdieu und Habermas werden in Kapitel III unter dem Aspekt einer Auseinandersetzung mit »Kunst und Kritik« betrachtet, die bei ihnen mit der kritischen Tradition verbunden wird. Lyotard, Deleuze und Derrida werden in Kapitel IV besprochen und in dem Themenblock einer Beschäftigung mit »Kunst und Darstellung« vereint, der die Kritik an der Repräsentation in der Kunst gemein ist. Luhmann und Baudrillard stehen sich in Kapitel V gegenüber, das unter die Frage von »Kunst und System« gestellt ist, in dem sie beide eine Inflation der Kunst beobachten. Diese Kapitel bauen aufeinander auf, sodass eine lineare Lektüre empfohlen wird. Halten sich die Querbezüge zu Beginn, bei Bourdieu und Habermas, noch in Grenzen, werden diese immer wichtiger, sobald ein weiterer Theoretiker vorgestellt wird. Kapitel VI stellt eine Conclusio dar, in der die Ergebnisse aus diesen drei Kapiteln analysiert und weiterverfolgt werden, während im Ausblick Schlussbemerkungen angeführt werden. Im Folgenden wird von Zeit zu Zeit auf Abbildungen verwiesen, die sich im Anhang finden. Es handelt sich um Schwarz-Weiß-Abdrucke einiger der Kunstwerke, die ausführlicher besprochen werden. Dem geneigten Leser wird empfohlen, für die oftmals farbigen Originalabdrucke die Quellen aus dem Abbildungsverzeichnis zurate zu ziehen. Im Namenregister am Schluss dieses Buches sind alle erwähnten Künstler, einige Kunstrichtungen sowie zusätzlich zu den sieben Theoretikern weitere wichtige Autoren aufgeführt.

36 Nathalie Heinich (1998b): Ce que l'art fait à la sociologie, Paris: Minuit, S. 63.

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Es bleibt ein Hinweis zur Zitierweise zu machen. Es ist unabdingbar, bei der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst die Chronologie der analysierten Texte deutlich hervorzuheben. Daher wird in Klammern immer auf das Jahr der Erstveröffentlichung hingewiesen. Das Literaturverzeichnis folgt dieser Darstellung aufsteigend und teilt sich, für eine bessere Übersicht, in eine Primärliteratur (mit allen Texten der sieben Kulturtheoretiker in alphabetischer Reihenfolge) und die Sekundär- und weitere Literatur. Zum Abschluss der Vorstellung der vorliegenden Arbeit und zum Auftakt der Darstellung der theoretischen Überlegungen zur Kunst, die die ausgewählten Theoretiker bieten, soll die ›Querelle de l'art contemporain‹ erwähnt werden – eine Streitdebatte im Frankreich der 1990er Jahre bezüglich zeitgenössischer Kunst, ihrer Qualität, ihrem Wert und den Kriterien, mit denen man ihr begegnen und sie bewerten kann. Diese Diskussion wird im Kapitel zu Baudrillard genauer dargestellt. Im Klima dieses lange Jahre andauernden Streits ist Yasmina Rezas Theaterstück »Kunst« entstanden. Darin befindet sich dieser Ausschnitt aus einem Dialog zwischen den Figuren Yvan und Marc, die sich über ein Kunstwerk unterhalten37: Yvan: Du wirst lachen… Marc: Ja… Yvan: Ich habe dieses Bild zwar nicht gemocht…, ich habe es aber auch nicht abgelehnt. Marc: Natürlich nicht. Das Unsichtbare kann man nicht ablehnen, das Nichts lehnt man nicht ab. Yvan: Nein, nein, da ist etwas… Marc: Was ist da? Yvan: Da ist etwas. Es ist keineswegs nichts. Marc: Machst du Witze? Yvan: Ich bin nicht so streng wie du. Es ist ein Kunstwerk, hinter dem ein Gedanke steckt. Marc: Ein Gedanke! Yvan: Ein Gedanke. Marc: Und was für ein Gedanke.

37 Yasmina Reza ([1994] 2000): »Kunst«, Lengwil am Bodensee: Libelle, S. 25.

III. Kunst und Kritik Bourdieu, Habermas und die kritische Tradition

Im vorherigen Abschnitt wurde auf das Verhältnis von Kunst und Theorie bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingegangen. Zu dieser Zeit kommt es in Kunst und Gesellschaft zu einem Wendepunkt, auf den die Theorie – ob philosophisch, soziologisch oder spezifischer: kulturwissenschaftlich – adäquat zu reagieren versucht. So haben beispielsweise Adorno und Horkheimer die Entwicklung, die sie als Industrialisierung von Kultur bezeichneten, kritisch in den Blick genommen. Eine der Ausprägungen der neuen Ansätze in der Theorie, das gesellschaftliche, politische und kulturelle Zeitgeschehen zu analysieren, führt diese kritische Tradition des Marxismus bzw. der Frankfurter Schule weiter. Pierre Bourdieu in Frankreich und Jürgen Habermas in Deutschland entfalten Gedanken nicht nur zur Gesellschaft, sondern auch zur Kunst des späten 20. Jahrhunderts, die gleichzeitig mit positiven Erwartungen wie negativem Bedenken verbunden sind.

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III. 1. P IERRE B OURDIEU [D OMINANZ ] Pierre Bourdieu gilt nicht nur in Frankreich, sondern weltweit nach wie vor als einer der wichtigsten Vertreter der Soziologie, wovon nicht zuletzt der geradezu selbstverständliche Sprachgebrauch des Eigenschaftsworts »Bourdieusien« zeugt, bezogen auf andere oder sich selbst zur Positionierung im Feld der Soziologie. Im Bereich der Kunst und Literatur, die hier besonders interessieren, sind seine kunst- und kultursoziologischen Forschungsarbeiten und -ergebnisse sowie die theoretischen Überlegungen nach wie vor maßgebend – vergleichbar nur mit der Reich- und Tragweite der Texte von Adorno und Benjamin. Tatsächlich entwickelt Bourdieu seine Konzepte und Begriffe in den meisten Fällen anhand von Untersuchungen zu Kunst und Literatur, denen er sich zeit seines Lebens widmet. Mit der konsequenten Zusammenführung von Theorie und Empirie, mit der er die Soziologie erneuert, eröffnet er auch der Kunst- und Literatursoziologie neue Wege. Bourdieu an den Anfang der folgenden Analysen zu stellen ist daher aus mehreren Gründen konsequent: Bourdieu prägt die Kunstsoziologie bis heute; er ist einer derjenigen, die dieser Forschungsrichtung erst richtig zum Durchbruch verhelfen. Zudem setzt er sich in der gesamten hier in Betracht gezogenen Zeitspanne, also über dreißig Jahre lang, mit Kunst auseinander – und bildet somit den Auftakt der folgenden Analysen. Die Kultur- und Gesellschaftstheoretiker der vergangenen Jahrzehnte haben sich vor allem der Literatur zugewandt. Bourdieu bildet da keine Ausnahme. Dennoch bieten seine Untersuchungen Einblick in seine Sicht auf bildende Kunst, da seine theoretischen Überlegungen allgemein genug bleiben, um sich auch auf diesen Bereich zu beziehen. Mehrmals weist er selbst auf diese Analogie hin, so vor allem in seinem kunsttheoretischen Hauptwerk Die Regeln der Kunst von 1992: »Im weiteren Verlauf dieses Textes kann der Leser das Wort Schriftsteller jeweils durch Maler, Philosoph, Wissenschaftler usw. und literarisch durch künstlerisch, philosophisch, wissenschaftlich usw. ersetzen.«1 Dieses Buch trägt zwar den Untertitel Genese und Struktur des literarischen Feldes, doch an zahlreichen Stellen fügt Bourdieu neben Analysen von Romanen Gustave Flauberts und anderer Schriftsteller jener Zeit auch Beispiele aus der bildenden Kunst ein. Vor allem auf Edouard Manet, der als einer der Urväter der Modernen Kunst bzw. als Vorläufer der Impressionisten gilt, nimmt Bourdieu immer wieder Bezug und kündigt sogar an mehreren Stellen eine eigenständige Studie zu Manet an, die er jedoch nie zur Vollendung bringt.2 Einige der

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Pierre Bourdieu ([1992] 1999): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 341 (Hervorh. im Orig.). »An anderer Stelle werde ich […] die Geschichte der Kämpfe analysieren, die die Maler, zumal Manet, führen mußten, um gegenüber der Académie Autonomie zu erlangen […].«, Bourdieu (1992) 1999, S. 215f.; vgl. ebenfalls: »Eine gelungene Revolution im Bereich der Literatur oder der bildenden Kunst (wie wir

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Darstellungen am Beispiel Manet können auch auf zeitgenössische Kunst übertragen werden, da Bourdieus Beobachtungen zur Struktur des Feldes kultureller Produktion darauf angelegt sind, Prinzipien und Bewegungen offen zu legen, die historisch konstant sind. Als weitere Grundlage für die Betrachtung von Kunst bei Bourdieu dienen ein kurzer Kommentar zu einer Ausstellung von Werken des Malers Bernard Rancillac (von 1967) und die Publikation eines Gesprächs zwischen Bourdieu und dem deutschamerikanischen Künstler Hans Haacke, Freier Austausch (von 1994). In Bourdieus Texten sind zwei grundlegende Positionen gegenüber der Kunst auszumachen: eine kritische, die verdeckte (Macht- und Herrschafts-) Strukturen offenlegen will, und eine idealistische, die das Kritikpotenzial der Kunst an eben diesen Strukturen betont. Beide Positionen vereint jedoch ein agonistisches Prinzip, das generell alle Theorien Bourdieus durchzieht.3 1.1. Kritik an Kunst In Bezug auf die erste Position bedeutet agonistisches Prinzip, dass das Kunstfeld als Kräftefeld herausgearbeitet wird, in dem ein »Wettkampf um kulturelle Legitimierung«4 ausgetragen wird. Bereits in zwei der frühesten Studien zu den kulturellen Praktiken des Fotografierens (mit Luc Boltanski, Robert Castel und Jean-Claude Chamboredon: Eine illegitime Kunst, 1965) und des Museumsbesuchs (zusammen mit Alain Darbel und Dominique Schnapper: Die Liebe zur Kunst, zuerst 1966, in der Neuauflage 1969, auf Deutsch erstmals erst 2006) stellt Bourdieu fest, dass die Praxis von der Klassenzugehörigkeit abhängt: Im ersten Fall verzichtet die Oberschicht auf das Fotografieren, da dieses als art moyen (»mittelmäßige« Kunst, so der französische Titel der Studie Un art moyen) über keine hohe Legitimationskraft verfügt. Im Unterschied dazu ist dieselbe Oberschicht beim Museumsbesuch stärker vertreten als die unteren oder mittleren Schichten, und dies umso mehr, je ›moderner‹ die Kunst ist, die im jeweiligen Hause zur Betrachtung zur Verfügung steht. Anhand dieser und weiterer empirischer Fakten5 arbeitet Bourdieu bereits hier seine

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am Beispiel Manet noch sehen werden) ergibt sich aus dem Zusammentreffen zweier relativ unabhängiger Prozesse […].«, ebd., S. 401. Zu der Einschätzung, dass Bourdieu eine große Studie zu Manet im Visier hatte, vgl. Nathalie Heinich (2007b): Pourquoi Bourdieu, Paris: Gallimard, S. 111. Darauf macht unter anderem Nathalie Heinich in ihrer Auseinandersetzung mit Bourdieu besonders aufmerksam, vgl. generell Heinich 2007b. Pierre Bourdieu (1966b): »Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld«, in: ders. ([1970b] 1997), Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 78. Diese Untersuchungen erscheinen vor allem in Actes de la recherche en sciences sociales, eine 1975 von Bourdieu und anderen gegründete Fachzeitschrift, vgl.

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Distinktionstheorie heraus, die er in Aufsätzen weiter abstrahiert (zusammengefasst in Zur Soziologie der symbolischen Formen, 1970) und die schließlich in der Studie Die feinen Unterschiede (1979), seinem weltweit bekanntesten Werk, ihren Höhepunkt erreicht. Unter der hohen Legitimationskraft versteht Bourdieu die Möglichkeit eine kulturelle Praxis oder selbst ein kulturelles Produkt als Mittel einzusetzen, um die Herrschaft über untere und mittlere Schichten zu legitimieren (der Rückgriff auf Marx und seine Terminologie ist offensichtlich). Je komplexer das Verständnis zum Beispiel eines Kunstwerks, umso höher sein Stellenwert für die Oberschicht. Da diese in der Lage ist, das Kunstwerk zu genießen und es sich dadurch anzueignen, führt sie den »populären« Schichten, wie Bourdieu die untere und mittlere Schichten nennt, damit vor, dass sie lediglich über einen »barbarischen Geschmack« (die Formulierung entnimmt er Kants Kritik der Urteilskraft) verfügen. Insofern konstatiert Bourdieu eine »Skala kultureller Legitimität«6: bei höher gestellten Klassen eine Vorliebe für Hochkunst, während die unteren und mittleren Klassen eine Vorliebe für populäre Kulturpraktiken (Fotografie, Unterhaltungsliteratur, Kino usw.) aufweisen. Der Genuss komplexer Werke, die einen »reinen« Geschmack benötigen, über den nur die Oberschicht verfügt, ist allein damit zu erreichen, dass man die Fähigkeit besitzt, das Kunstwerk zu verstehen, das heißt mit Bourdieu gesprochen: zu entschlüsseln. Tatsächlich handelt es sich beim Genuss von Kunst um das Erkennen und Verstehen von sich im Werk befindenden Codes, die es ermöglichen, es anhand von angeeignetem

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Pierre Bourdieu (1975): »L'invention de la vie d'artiste«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 2, März, S. 67-93, worin es um die Werke Flauberts, dessen literarische Darstellung von Künstlern und seine eigene Position im Feld der Kunst geht – auf Deutsch findet man eine gekürzte und überarbeitete Version dieses Artikels in: Joseph Jurt (Hg.) (2003): absolute Pierre Bourdieu, Freiburg: orange press, auf den Seiten 147-158; Pierre Bourdieu mit Monique de Saint-Martin (1976): »Anatomie du goût«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 5, Oktober, S. 2-81, eine erste Studie zum Geschmack und seiner Abhängigkeit vom sozialen und Bildungsstand; Pierre Bourdieu (1977): »La production de la croyance: contribution à une économie des biens symboliques«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 13, Februar, S. 3-43, eine Studie zur Entstehung und Perpetuierung des gesellschaftlichen Glaubens in sogenannte Hochkultur; sowie Pierre Bourdieu (1979b): »Les trois états du capital culturel«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 30, November, S. 3-6, ein Artikel zum Konzept des ›kulturellen Kapitals‹ (dazu weiter unten in diesem Abschnitt). Hinzugerechnet werden muss ein Artikel aus einer anderen Zeitschrift: Pierre Bourdieu (1971b): »Le marché des biens symboliques«, in: L'Année sociologique, vol. 22, S. 49-126, in dem es um zwei Felder der Kulturproduktion geht: dem der Massenproduktion im Vergleich zu dem der »eingeschränkten« Produktion, wie Bourdieu sie nennt, von Avantgardekunst usw. Bourdieu (1966b) 1997, S. 104 (Hervorh. im Orig.).

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Wissen stilistisch wie inhaltlich, zeitlich wie kontextuell einzuordnen. Dieses Wissen wird zwar durch Bildung, in der Familie und der Schule, erlangt, doch Bourdieu zeigt bereits an anderer Stelle (zusammen mit Jean-Claude Passeron in Les Héritiers, 1964, und La Reproduction, 1970, beides auf Deutsch in Teilen in Die Illusion der Chancengleichheit von 1971), inwiefern gerade die Schule soziale Ungleichheiten reproduziert. Den Kindern der unteren und mittleren Schichten wird das Wissen um die Codes und das Verständnis der Codes eben nicht vermittelt, da sie – ganz im Gegenteil – vorausgesetzt werden. Dadurch, dass dieses Wissen als selbstverständlich gilt, gelingt es der Oberschicht, dieses als angeboren, als naturgegeben auszugeben: eine »Natur gewordene Kultur (einer Klasse und Epoche)«7, formuliert Bourdieu bereits in Die Liebe zur Kunst. Es wird verschleiert, wie sehr der »reine« Geschmack und Genuss von Hochkunst einen langwierigen Lernprozess voraussetzt, in den allerdings die Kinder der Oberschicht im Unterschied zu den Kindern der populären Schichten automatisch eingeführt werden. Das Ergebnis ist, dass den unteren und mittleren Klassen der »feine« Geschmack der Oberschicht als dieser gegeben vorgespielt wird und damit vermittelt wird, dass die Oberschicht über besondere Befähigungen verfügt, die legitimieren, dass diese die herrschende Klasse ist. Dieser »reine« bzw. »feine« Geschmack (im Original goût distingué im Gegensatz zum goût populaire oder vulgaire) ist Teil von Bourdieus Konzept des Habitus, den er in Anknüpfung an den Habitusbegriff des Kunsthistorikers und -theoretikers Erwin Panofsky, im Nachwort der von Bourdieu herausgegebenen französischen Ausgabe von dessen Werk Gotische Architektur und Scholastik (1951), erstmals systematisch darstellt.8 Panofsky setzt den Begriff ein, um damit den latenten Einfluss der Gesellschaft und der Epoche auf Künstler zu bezeichnen, eine Form von Bildung durch die Umgebung, die sich in den Kunstwerken niederschlägt und als spezifischer Stil der Zeit erkennbar wird.9 Ähnlich definiert auch Bourdieu den Habitusbegriff, den er allerdings auf alle Mitglieder einer Gesellschaft ausweitet: Der Habitus ist ein Set verinnerlichter Dispositionen, ein System von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, das durch Sozialisierung gewonnen wird und das Bourdieu unter Rückgriff auf die Terminologie des Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky auch als Grammatik bezeichnet,

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Pierre Bourdieu/Alain Darbel mit Dominique Schnapper ([1966a] 2006): Die Liebe zur Kunst. Europäische Kunstmuseen und ihre Besucher, Konstanz: UVK, S. 163. Dieser Text von 1967 erscheint – nur geringfügig geändert – auf Deutsch als: Pierre Bourdieu (1967a): »Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis«, in: ders. ([1970b] 1997), Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 125-158. Vgl. Erwin Panofsky ([1951] 1967): Architecture gothique et pensée scolastique, Paris: Minuit (die Ausgabe mit Bourdieus Nachwort); vgl. Bourdieu (1967a) 1997, S. 132.

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nach der sich – wenngleich unbewusst – auch der Künstler bei der Produktion seines Werkes richtet. Insofern lehnt Bourdieu das Prinzip des individualistischen »sujet créateur« sowie den noch weiterreichenden Genie-Kult als Illusion ab und stellt fest, dass das Kunstwerk stets auch von Determinanten abhängt, die der Künstler inkorporiert hat und unwissentlich in sein Werk einfließen lässt.10 Diese Determinanten zu erkennen bzw. zu durchschauen bedeutet, im Besitz der Codes zu sein, die wie beschrieben den Zugang zum Genuss von Hochkunst ermöglichen. Durch ihre spezifische Sozialisation verfügt die Oberschicht über diese Codes und das Verständnis derselben und richtet ihren Kunstgeschmack danach aus: »Geschmack klassifiziert – nicht zuletzt den, der die Klassifikationen vornimmt.«11 Das Verdeckte, das Unbewusste spielt eine entscheidende Rolle, da sich die Oberschicht nur so den unteren und mittleren Schichten als Denkgemeinschaft darstellen kann, die in Wahrheit eine Bildungsgemeinschaft ist.12 Indem der »feine« Kunstgeschmack dieser Oberschicht als der einzig »wahre« gilt und von den unteren und mittleren Schichten als der »dominierende« (goût dominant) anerkannt und angestrebt wird, können kulturelle Praktiken der Abgrenzung unter den Schichten, also der Distinktion, dienen. Hochkunst zu schätzen bzw. zu schätzen wissen ist Teil des Habitus der Oberschicht, gerade weil sie sich dadurch von den unteren und mittleren Schichten unterscheidet und so ihre hohe soziale Stellung legitimiert. Kunst als Mittel zur Legitimierung von Herrschaft wird definitiv mit den Worten Bourdieus entzaubert: »Dies der Grund, warum Kunst und Kunstkonsum sich – ganz unabhängig vom Willen und Wissen der Beteiligten – so glänzend eignen zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Funktion der Legitimierung sozialer Unterschiede.«13 Die Kontinuität dieser Machtstrukturen wird garantiert, indem die Auffassung vom legitimen Kunstgeschmack der herrschenden Klasse und das damit einhergehende symbolische Kapital von Generation zu Generation durch Erzie-

10 Andererseits präzisiert Bourdieu, dass dabei der soziologistische Reduktionismus zu vermeiden ist, der »[…] in grober Weise kulturelle Produktionen mit der jeweiligen Stellung des Produzenten im sozialen Raum in Beziehung setzt, um dann zu sagen: Das ist Ausdruck einer aufsteigenden Bourgeoisie usw. Hier wird kurzgeschlossen, ein Fehler […].«, Pierre Bourdieu (1984b): »Das objektivierende Subjekt objektivieren«, in: ders. ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 220. Vorab nennt Bourdieu konkret die Arbeiten von György Lukács und Lucien Goldmann, einem ungarischen und einem französischen Literatursoziologen, die beide dem Marxismus nahestanden. 11 Pierre Bourdieu ([1979a] 1999): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 11. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 25. Im französischen Original lautet der Satz: »Le goût classe, et classe celui qui classe [...].«, Pierre Bourdieu ([1979] 2003): La distinction. Critique sociale du jugement, Paris: Minuit, S. VI. 12 Vgl. Bourdieu (1966b) 1997, S. 108. 13 Bourdieu (1979a) 1999, S. 27.

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hung und Bildung weitergegeben werden: in der Oberschicht wie in den populären Schichten.14 Aus dieser Konstellation ergeben sich Konsequenzen für die Kunstproduktion und die Kunstrezeption, die Bourdieu anhand seiner Interpretation des reinen, »interesselosen« Blicks bei Kant verdeutlicht. Der »reine« Geschmack steht in Opposition zum »unreinen« Geschmack, der auf die Sinne ausgerichtet ist, auf Vergnügen abzielt und sich durch »leichte«, »oberflächliche«, »billige« Kunst verführen lässt.15 Der »reine«, »interesselose« Geschmack bzw. Blick dagegen bringt »reinen« Genuss. Dieser »reine« Blick jedoch ist im Zusammenhang mit den von Bourdieu herausgearbeiteten Codes als Illusion zu betrachten: Denn um sich dem »reinen« Genuss von Kunstwerken hingeben zu können, muss der Kunstbetrachter zuvor die Codes erlernt haben, die diesen »reinen« Genuss ermöglichen. In Bezug auf die hier interessierende zeitgenössische Kunst (die, worauf Nathalie Heinich aufmerksam macht, von Bourdieu mal als moderne, mal als zeitgenössische Kunst bezeichnet wird, was für das Verständnis seiner Texte nicht hilfreich ist16) ist das von besonderer Relevanz. Diese Kunst befindet sich auf der Skala kultureller Legitimität – die es nicht nur zwischen den verschiedenen Kunst- und Kulturpraktiken gibt, sondern auch innerhalb der einzelnen Kunstsparten – besonders weit oben (der Anteil an Besuchern aus der Oberschicht ist in Ausstellungen und Museen moderner – in extenso zeitgenössischer – Kunst noch höher als im Falle klassischer Kunst), sodass das Vortäuschen eines »reinen« Genusses unerlässlich ist. Somit bricht Bourdieu mit dem kantischen »interesselosen« Blick, indem er ihn als stark von Interessen geleiteten Blick konzipiert.

14 Auf Bourdieus Konzeption des symbolischen Kapitals kann hier nicht weiter eingegangen werden. Nur so viel: Bourdieu unterscheidet zwischen den drei Kapitalsorten ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Wenn Volumen und Struktur des Kapitals durch deren Wahrnehmung und Anerkennung durch die Gesellschaft die Positionierung des jeweiligen Akteurs im sozialen Raum ändert, er zum Beispiel besser gestellt ist, weil er über hohes soziales Kapital, also viele nützliche Kontakte verfügt, spricht Bourdieu vom symbolischen Kapital; siehe dazu Pierre Bourdieu ([1983] 1992): »Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital«, in: ders., Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik & Kultur 1, Hamburg: VSA-Verlag, S. 49-79, sowie: Pierre Bourdieu ([1997] 2001): Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, dort das Kapitel »Das symbolische Kapital«, S. 309315. 15 Vgl. Bourdieu (1979a) 1999, S. 757. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Bourdieu wie Adorno mit einer Unterscheidung zwischen Hochkunst und populärer Kunst, bzw. in Adornos Worten mit »E«- und »U«-Kunst arbeitet, wobei er sich gleichzeitig kritisch zu Adornos Beschreibungen populärer Musik äußert, vgl. ebd., S. 761. 16 Vgl. Heinich 2007b, S. 166f.

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Auch der Künstler selbst benutzt nach Bourdieu den Anspruch auf »Reinheit« zu seinem Gunsten, um sich mit einer oberflächliche Effekthascherei ablehnenden Haltung von den populären, vulgären Künsten zu distanzieren: »Die beharrliche Insistenz auf der Autonomie künstlerischer Intention führt zu einer besonderen Gesinnungsethik. Sie tendiert dazu, die Werke nach der Reinheit der künstlerischen Intention zu beurteilen, und verkehrt sich damit bisweilen in eine Art Geschmacksterror […]. Indem sich der Künstler vom Publikum distanziert und vulgäre Ansprüche demonstrativ zurückweist, fördert er den Kultus einer sich selbst genügenden Form […].«17

Das Resultat ist die Ideologie des artifex deus, die die Künstler selbst propagieren, um ihre Unbeeinflussbarkeit und Freiheit von allen äußeren Bedingungen oder Zwängen zu postulieren.18 Bourdieu exemplifiziert den interessegeleiteten Blick anhand der Readymades Marcel Duchamps und nicht-figurativer Kunst.19 Nicht-figurative Kunst wird von den Kunstkennern der Oberschicht gerade als die hervorgehoben, die einen »reinen«, »interesselosen« Blick braucht. Dabei ist diese Laien, also einem Publikum aus der unteren und mittleren Schicht, ohne Vorkenntnisse noch weniger zugänglich als zum Beispiel moderne figurative Kunst, bei der der ungeschulte Blick wenigstens Gegenstände, Landschaften, Personen ausmachen kann, wenn er auch nicht den Zusammenhang erkennt (zum Beispiel eine mythologische Geschichte) oder den Stil (zum Beispiel ›expressionistisch‹) zu würdigen weiß. Für diese ungeschulten Kunstbetrachter ist ein Kunstwerk »[…] umso verwirrender, je mehr (wie es in den nicht-figurativen Künsten der Fall ist) die erzählende und de-

17 Bourdieu (1966b) 1997, S. 83f. 18 Vgl. Bourdieu (1979a) 1999, S. 768. 19 Auch Bourdieu ist einer der Theoretiker unter vielen anderen Soziologen, Philosophen wie auch Kunsthistorikern, die Duchamps Readymades als erste zeitgenössische Werke im Sinne eines bestimmten Genres der Kunst definieren (siehe dazu das vorherige Kapitel). Im Gespräch mit Bourdieu sagt der Künstler Hans Haacke dazu: »Was die Arbeit für einen spezifischen Kontext betrifft, so möchte ich noch hinzufügen, daß es wie in vielen anderen Fällen, die für die Kunsttheorie und Soziologie von Belang sind, auch hier in der Praxis von Marcel Duchamp einen Präzedenzfall gibt.«, in: Pierre Bourdieu/Hans Haacke ([1994] 1995): Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens, Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 100. Weiter erwähnt Bourdieu selbst: »[…] die künstlerische Sprache, die Sie benutzen, setzt die gesamte Kunstgeschichte voraus, zumindest die seit Duchamp… […]«, in: ebd., S. 109.

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signative Funktion entfällt.«20 Bourdieu spricht hier auch »von der Distanz zwischen dem Emissionsniveau« des Kunstwerkes, das mit der »Komplexität und Verfeinerung des vom Werk erforderten Codes« steigt, und dem »Rezeptionsniveau« des Kunstbetrachters, das von der Beherrschung der entsprechenden Codes abhängt.21 Duchamps Readymades haben demzufolge ein besonders hohes Emissionsniveau, weil sie einerseits das Wissen um die Geschichte der Kunst voraussetzen (das heißt das Wissen um die Zusammenhänge des einzelnen Werkes zu allen anderen Werken), als auch erfordern, im gleichen Schritt all dieses Wissen, diese Codes, beiseite zu legen: »Kurzum, die Fähigkeit, alle verfügbaren Codes aufzugeben, um sich dem Werk selbst in seiner zunächst unerhörten Befremdlichkeit zu überlassen, setzt die völlige Beherrschung des prinzipiellen Codes aller Codes voraus […].«22 In der Konsequenz muss davon ausgegangen werden, dass zeitgenössische bildende Kunst, die in vielen Fällen Duchamps Geste zitiert oder weiterführt, ein so hohes Emissionsniveau besitzt, dass sie nach Bourdieu als elitär, undemokratisch und in jedem Sinne exklusiv verstanden werden muss, denn gerade in der hier interessierenden Zeitspanne wechseln sich die Stile und Richtungen immer in Rückgriff auf vergangene Stile und Richtungen ab (Neo-Avantgarde, ›Rückkehr‹ der Malerei, Postmoderne u.a., siehe dazu den Exkurs im Kapitel IV).23 Bourdieu erkennt und beschreibt die zeitgenössische Kunst richtig als selbst-reflexive Kunst,24 die es den Kunstbetrachtern zunehmend schwieriger macht, den Kontext, in dem sie entstanden ist und den Kontext, den sie kritisch mit einbezieht, nachzuvollziehen. Die Entfernung zu einem Publikum, das nicht angemessen (aus-) gebildet ist, wird immer größer.25

20 Pierre Bourdieu (1970a): »Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung«, in: ders. ([1970b] 1997), Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 172. 21 Ebd., S. 176f. 22 Ebd., S. 180. 23 Ein weiteres von Bourdieu aufgeführtes Beispiel ist der Art brut: »Desgleichen können die ›Theoretiker‹ des art brut die künstlerischen Hervorbringungen von Kindern oder Schizophrenen nur deswegen völlig widersinnigerweise zum Grenzfall des l'art pour l'art erheben, weil sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß sie als solcher nur einem Auge erscheinen können, das wie das ihre vom künstlerischen Feld produziert, also von der Geschichte dieses Feldes getränkt ist […].«, Bourdieu (1992) 1999, S. 390 (Hervorh. im Orig.). 24 »Die Entwicklung des Feldes der kulturellen Produktion in Richtung auf größere Autonomie geht mit der in Richtung auf erhöhte Reflexivität einher, die jedes der ›Gattungen‹ zu einer kritischen Besinnung auf sich selbst, seine eigene Grundlage, seine eigenen Voraussetzungen führt […]«, Bourdieu (1992) 1999, S. 384 (Hervorh. im Orig.). 25 Die immer größere Distanz zwischen Kunst und Publikum beschreibt Heinich in ihrer Studie Heinich 1998a, hier das zweite Kapitel »Réactions. De l'indifférence

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Aus diesen Studien und Theorien Bourdieus ergibt sich ein desillusionierendes Bild der Kunst: Die Kunstproduktion ist nicht frei, sondern wird von zahlreichen äußeren Faktoren beeinflusst. Die Definition von Kunst fällt der Oberschicht einer Gesellschaft zu, die nur Hochkunst, die soziales Prestige verspricht, zu wahrer, legitimer Kunst erhöht. Die Kunstrezeption richtet sich nach Klassenzugehörigkeit: Hochkunst kann nur genießen, wer durch seine Sozialisation über eine solide Bildung verfügt – gerade auch eine (Aus-)Bildung im Entschlüsseln der Codes eines Kunstwerks. Ungeachtet dessen, dass sich dieses System nach Bourdieu mit der Modernität der Kunstwerke festigt, ist fraglich, inwiefern diese aristokratischen Strukturen in einer modernen, globalisierten Welt noch Gültigkeit haben, in der Klassenzugehörigkeiten nicht mehr so eindeutig definiert werden können wie seinerzeit, und die vertikale Hierarchisierung des Kunst- und Kulturkonsums zumindest punktuell durchbrochen wird (in Die Liebe zur Kunst kritisieren Bourdieu et al. eine Museumslandschaft, die sich seither, also seit den späten 1960er Jahren, stark zugunsten einer Demokratisierung des Zugangs zu Kunst im Sinne einer Öffnung für ein breiteres Publikum geändert hat26;

au rejet«, S. 175-246, in dem sie vor allem auf die steigende Indifferenz des breiten Publikums der Kunst gegenüber hinweist, die zum Resultat hat, dass zeitgenössische Kunst, ganz im Sinne Bourdieus, wenn überhaupt, dann nur von geringen Bevölkerungsschichten rezipiert wird. 26 Vgl. Bourdieu/Darbel/Schnapper (1966a) 2006, S. 165: »Diese heiligen Stätten der Kunst […] weisen in allem darauf hin, daß die Welt der Kunst der Welt des Alltags entgegengesetzt ist wie das Sakrale dem Profanen: Die Unantastbarkeit der Gegenstände, die religiöse Stille, die dem Besucher auferlegt wird, die puritanische Kargheit der Einrichtung, sparsam und wenig bequem, der geradezu systematische Verzicht auf jede Belehrung […].« Demgegenüber gab es in den folgenden Jahrzehnten – nicht zuletzt auch im Zuge ähnlicher sozialwissenschaftlicher Studien – das Bestreben einer Politik der »Kultur für alle«, vgl. Hilmar Hoffmann (1979): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt a.M.: S. Fischer, darin in diesem Kontext v.a. das Kapitel »Das demokratische Museum«, S. 108-119. Letztlich hat dies bekanntermaßen dazu geführt, dass Museen heute mehr denn je bemüht sind, didaktischen und pädagogischen Aufgaben nachzukommen, sei es über spezifische Führungen oder vielfältiges Informationsmaterial sowie die aktive Einbindung des Museumsbesuchers über interaktive oder speziell kindgerechte Elemente. Zur dennoch weiterhin bestehenden Frage, wie ›offen‹ und ›demokratisch‹ das Museum geworden ist, vgl. schon den programmatischen Titel von: Vera L. Zolberg (1992): »Barrier or leveler? The case of the art museum«, in: Michèle Lamont/Marcel Fournier (Hg.), Cultivating differences: Symbolic boundaries and the making of inequality, Chicago: University of Chicago Press, S. 187-209. Aktuellere Besucherstudien vgl. Hans Joachim Klein (1997): »Kunstpublikum und Kunstrezeption«, in: Jürgen Gerhards (Hg.), Soziologie der Kunst. Produzenten, Vermittler und Rezipienten, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 337-359.

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zu den Veränderungen des Kunst- und Kulturkonsums und -betriebs siehe weiter unten mehr). Im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Die feinen Unterschiede räumt Bourdieu selbst ein, »[…] dass dieses Buch dem deutschen Leser als ›sehr französisch‹ erscheinen wird […]«27, unter anderem weil das aristokratische Modell der »höfischen Gesellschaft« (Bourdieu verweist explizit auf die Analysen von Norbert Elias) in Frankreich nach wie vor Geltung habe. Gleichwohl erhebt Bourdieu Anspruch auf Universalität der aus den empirischen Daten gezogenen Theorien, und trotz der zeitlichen Distanz von dreißig Jahren zur Erstpublikation ist diese Universalität – zumindest Bourdieu folgend – wohl auch auf die heutige Zeit zu beziehen, nicht zuletzt, weil Bourdieu in den folgenden Jahrzehnten die Distinktionstheorie weder grundlegend erneuert, noch revidiert hat – er hat sie lediglich auf andere Felder ausgeweitet, so auf das der Intellektuellen und der Wissenschaft.28 Man könnte dies in Bezug auf Kunst als bezeichnende Missachtung der Veränderungen der letzten Jahrzehnte deuten (auch dazu mehr weiter unten); die Eigenart der Bourdieuschen Kunsttheorie besteht allerdings darin, dass an die Distinktionstheorie die Feldtheorie, auf die im Folgenden eingegangen wird, angeschlossen wurde, die sich besser in das Bild fügt, das der zeitgenössische Kunstbetrieb heute bietet. Gleichzeitig beantwortet sie zumindest teilweise die Frage, wie die sich perpetuierenden Strukturen sozialer Ungleichheit und schichtspezifischen Kunstgenusses durchbrochen werden können. 1.2. Kunst als Kritik Bourdieu lehnt rein subjektivistische Analysen ebenso ab wie rein strukturalistische, und ist darum bemüht, den Blick in beide Richtungen offen zu halten. Nachdem der Habitus eher dem ersten Ansatz verpflichtet ist, spielt der Feldbegriff eine zentrale Rolle innerhalb seiner strukturalen Soziologie.29

27 Bourdieu (1979a) 1999, S. 11. 28 Vgl. beispielsweise Pierre Bourdieu ([1984a] 1988): Homo academicus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, sowie seine unterschiedlichen Publikationen zur Soziologie der Soziologie wie Pierre Bourdieu (2001): Science de la science et réflexivité. Cours du collège de France 2000-2001, Paris: Éditions Raisons d'agir und Pierre Bourdieu (2002): Ein soziologischer Selbstversuch, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 29 Bourdieu versucht stets, Gegensätze zu verbinden – sein Feldbegriff ist im Endeffekt ein Konstrukt, mit dem die geläufigen Begriffe des Systems einerseits und der art worlds (Howard S. Becker) andererseits überwunden werden sollen. »Die heutige Soziologie ist in der Tat voller falscher Gegensätze; in meinen Arbeiten, und ohne daß ich mir dies vornehmen würde, werde ich häufig dazu gebracht, sie zu überwinden. […] Nehmen wir einmal die offensichtlichsten – den Gegensatz zwischen Theoretikern und Empirikern oder zwischen Subjektivisten und Objektivisten oder auch zwischen Strukturalisten und Vertretern bestimmter Spielarten der Phänomenologie. Alle diese Gegensätze (es gibt einen Haufen weiterer)

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Das Feld der kulturellen bzw. künstlerischen Produktion analysiert Bourdieu in seiner zweiten Werkphase ausführlich in Die Regeln der Kunst von 1992.30 Alle Felder (seien es das politische, wirtschaftliche, soziale, intellektuelle oder künstlerische Feld) sind geprägt von einem historischen Prozess der Autonomisierung. Sie bedeutet eine zunehmende Professionalisierung (Kunst als Beruf) und Loslösung von den Regeln und Zwängen anderer Felder (die Anerkennung von allein künstlerischen Regeln, im Gegensatz zu religiösen, herrschaftlichen, moralischen oder sonstigen Forderungen). Bourdieu stellt die zunehmende Autonomisierung des literarischen und künstlerischen Feldes (Letzteres ist für Bourdieu das Feld der bildenden Kunst) als sich abwechselnde und bereichernde Vorstöße dar, die im 19. Jahrhundert zur Herausbildung der Theorie des L'art pour l'art geführt haben, »[…] jener besonderen Art, Kunst zu erleben, die in einer Lebensart, einer Lebenskunst wurzelt, die mit dem bürgerlichen Lebensstil gebrochen

kommen mir völlig fiktiv und zur gleichen Zeit auch höchst gefährlich vor, da sie zwangsläufig zu Verstümmelungen und Verzerrungen führen.«, Pierre Bourdieu mit Johan Heilbron/Benjo Maso (1985a): »Bezugspunkte«, in: Pierre Bourdieu ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 50. Zur bisweilen auch widersprüchlichen Verbindung von Gegensätzen siehe weiter unten mehr. Vgl. zu Bourdieus zahlreichen Schnittstellen mit den verschiedensten Theorieansätzen: Gernot Saalmann (2003): »Die Positionierung von Bourdieu im soziologischen Feld«, in: Boike Rehbein/Gernot Saalmann/Hermann Schwengel (Hg.), Pierre Bourdieus Theorie des Sozialen. Probleme und Perspektiven, Konstanz: UVK, S. 41-57. 30 Wie schon zu Die feinen Unterschiede, gibt es auch zu Die Regeln der Kunst vorab Studien. Dazu zählen vor allem: Pierre Bourdieu (1987b): »L'institutionnalisation de l'anomie«, in: Les Cahiers du Musée national d'art moderne, Nr. 9-20, Juni, S. 6-19, worin es um das Feld der Kunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich – also um Manet und seine Zeit – geht. Außerdem erfolgt 1989 eine Reihe von Vorträgen, von denen hier relevant sind: Pierre Bourdieu (1989a): »Die historische Genese einer reinen Ästhetik«, in: Gunter Gebauer/Christoph Wulf (Hg.) (1993), Praxis und Ästhetik. Neue Perspektiven im Denken Pierre Bourdieus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 14-32, worin Bourdieu wieder auf die »Erfindung des reinen Blicks« zu sprechen kommt (wie in Die feinen Unterschiede), einer von Philosophen vorgebrachten formalistischen Ästhetik, gegen die die Soziologie eine Analyse der »historischen Genese« dieser Beobachterposition – unter anderem über den Feldbegriff – zu stellen in der Lage ist. Ebenfalls: Pierre Bourdieu (1989b): »Einführung in eine Soziologie des Kunstwerks«, in: Joseph Jurt (Hg.) (2003), absolute Pierre Bourdieu, Freiburg: orange press, S. 130-146, in dem es wiederum um das Feld der Literatur gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich geht. Noch einmal hinzugezählt werden kann auch hier: Bourdieu 1975, da darin bereits Flaubert und seine Werke Thema sind.

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hat, gründet sie doch in der Verweigerung jeder gesellschaftlichen Rechtfertigung von Kunst und Künstler.«31 Die Bohème jener Zeit befreit die Kunst von allen ihr äußeren Zwängen und Regeln und kehrt die Regeln im Kunstfeld, besonders jene der Ökonomie, um: Kunst als Selbstzweck setzt die (vor allem materielle) Interesselosigkeit ihrer Produzenten voraus.32 Gleichzeitig bildet sich neben der autonomen Kunst eine kommerzielle Kunst heraus, die sich den anspruchslosen Erwartungen des Publikums oder wirtschaftlichen Interessen anpasst und deren Produzenten Bourdieu als unkompetent,33 naiv und gedankenlos34 kritisiert.35 An einem gewissen Punkt des Autonomisierungsprozesses, das heißt mitunter heute, stehen Künstlern nur zwei Möglichkeiten offen: die »[…] der totalen und zynischen Unterordnung unter die Nachfrage und der absoluten Unabhängigkeit vom Markt und seinen Ansprüchen.«36 In Bezug auf die unterschiedlichen künstlerischen Felder sind die Beschreibungen Bourdieus der zunehmenden Abkoppelung von Kirche, Staat und Akademie kein Novum – dies gehört längst zu den Fakten der Geschichte der Kunst (bereits der von Bourdieu rezipierte Kant sprach von der sogenannten Autonomie-Ästhetik; zu der Herausbildung der »Wertsphären« bei Jürgen Habermas oder der »Ausdifferenzierung« des Kunstsystems bei Niklas Luhmann werden wir noch kommen). Doch Bourdieu überträgt das agonistische Prinzip, das, wie gesehen, erstmals im »Wettkampf« um den »reinen«, legitimen Geschmack beschrieben wird, direkt auf das Kunstfeld

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Bourdieu (1992) 1999, S. 218f. Vgl. ebd., S. 342, 345f. Vgl. Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 21. Vgl. ebd., S. 22. An dieser Stelle werden die Grenzen einer Gleichsetzung von bildender Kunst und Literatur deutlich: In der bildenden Kunst gibt es, anders als im literarischen Feld, keine rein kommerzielle Kunst. Unterhaltungsliteratur hat im Feld der bildenden Kunst, mit der stets die »Hochkunst« gemeint ist, keine Entsprechung. Diese Art von Kunst würde als Kitsch, und nicht als Kunst, angesehen. Bourdieu erkennt zwar, dass es Kunst gibt, die sich dem Gesetz von Angebot und Nachfrage anpasst und kündigt eine Vorherrschaft der kommerziellen Logik auch im Bereich der »reinen« Kunstproduktion an (vgl. Bourdieu (1992) 1999, S. 531). Einen Hinweis darauf, dass es jedoch keine Unterhaltungskunst gibt und kommerzielle Kunst per definitionem nicht als Kunst anerkannt wird, findet man bei ihm nicht. Dieser Unterschied ist wichtig, weil kommerzieller Erfolg bei zeitgenössischer Kunst nicht zwangsläufig eine Anpassung an einen ›Massengeschmack‹ oder wirtschaftliche Interessen bedeutet. Der von Bourdieu beschriebene Automatismus, nach dem kommerzieller Erfolg per se verwerflich ist, da er auf eine Form von Korruption hinweist, ist nicht eins zu eins auf das Feld vor allem zeitgenössischer künstlerischer Produktion zu übertragen. 36 Bourdieu (1992) 1999, S. 228.

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und betrachtet es in seinen Analysen als den Motor der Veränderungen innerhalb dieses Feldes. Laut Bourdieu durchzieht das Feld eine graduelle Bewegung hin zu immer größerer Autonomie – umformuliert ist hier der Glaube an einen Fortschritt in der Kunst zu erkennen.37 Veränderung im künstlerischen Feld, sprich kultureller Wandel, entsteht durch einen Bruch mit der vorangehenden Tradition. So stehen sich innerhalb des jeweiligen Feldes »Ordner« und »Aufrührer«38 gegenüber, die einen Kampf um Legitimierung ausfechten, der gleichzusetzen ist mit einem »Turnier um die Etablierung«39: Dabei geht es nicht um eine Entwertung der Tradition (also der etablierten Werke, der Klassiker), sondern gleichzeitig um die Überwindung der Tradition und die Aufnahme des Neuen in diese Tradition.40 Genau wie das soziale Feld, in dem eine Oberschicht über den unteren und mittleren Schichten steht, ist auch das künstlerische Feld bipolar strukturiert. Dem Antagonismus von Herrscher und Beherrschten entspricht hier die Gegenüberstellung von Priestern und Propheten41: Die ersten zählt Bourdieu zu den »Bildungskonservatoren«, also denjenigen, die die Tradition bewahren und fortführen, die zweiten zu den »produktiven Geistern«42, die sich gegen traditionelle Kriterien wenden und an (oder mit) neuen arbeiten. Dieser konstruktivistische Feldbegriff ist allerdings weniger auf Hierarchien ausgerichtet, als die Distinktionstheorie.43 Vielmehr geht es um verschiedene Positionen im jeweiligen Kräftefeld, die in Relation zueinander stehen, eine Denkfigur, die Bourdieu von dem Kulturphilosophen Ernst Cassirer übernimmt (und auf den er im Übrigen bereits im Titel von Zur Soziologie der symbolischen Formen, in Analogie zu dessen Philosophie der symbolischen Formen von 1925 bzw.

37 Kritisch zum, auch in vielen Theorien kolportierten Fortschrittsglauben in der Kunst vgl. den Kunsthistoriker und -theoretiker Ernst H. Gombrich in: Ernst H. Gombrich ([1978] 1996): Kunst und Fortschritt. Wirkung und Wandlung einer Idee, Nachdruck der 2. Aufl. von 1987, Köln: DuMont. 38 Vgl. Bourdieu (1966b) 1997, S. 113. 39 Vgl. ebd., S. 112 (Hervorh. im Orig.). 40 Auch diese Idee findet sich bei Gombrich, der in einer kritischen Betrachtung Georg Friedrich Hegels, der den Fortschrittsgedanken in der Kunst etablierte, von »Reaktionären« und »Vorwärtsstürmenden« spricht in: Ernst H. Gombrich (1977): »Hegel und die Kunstgeschichte«, in: Neue Rundschau, 88. Jg., Heft 2, S. 217. Bourdieu erkennt in dieser Abfolge eine »Abnutzung des Erneuerungseffekts«, Bourdieu (1992) 1999, S. 402 (Hervorh. im Orig.). Zu diesem Phänomen mehr bei Luhmann und Baudrillard. 41 Vgl. den Abschnittstitel »Propheten, Priester, Zauberer« in: Bourdieu (1966b) 1997, S. 102. Bourdieu bezieht sich hier auf Max Weber, der innerhalb seiner Religionssoziologie in Wirtschaft und Gesellschaft (1922) ebenfalls eine Analyse des Verhältnisses von Priester, Prophet und Zauberer vorgelegt hat. 42 Vgl. Bourdieu (1966b) 1997, S. 112. 43 Vgl. diese Einschätzung bei Jurt 2003, S. 113.

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1929, Bezug nimmt). Dieses relationale Denken ermöglicht, anders als ein rein strukturalistisches, das Bourdieu ablehnt,44 eine Beschreibung von sich abwechselnden, wandelnden Kräfteverhältnissen. Historisch gesehen geht die Autonomisierung des Kunstfelds nach Bourdieu mit einer Verschiebung des Primats von der Funktion (»was man sagt«) zur Form (»wie man etwas sagt«) einher. 45 Insofern erklärt sich das hohe Emissionsniveau der nicht-figurativen Kunst, die sich als im Vergleich besonders »autonome« Kunstrichtung gegen die lange Tradition von religiöser bzw. herrschaftlicher, politischer und staatlicher Kunst richtet und nicht mit den Codes dieser klassischen Kunst zu entschlüsseln ist. Bourdieu beobachtet folgerichtig ein »Trägheitsmoment«46 im Kunstverständnis jeweils zeitgenössischer Kunst: Da stets mit den gewohnten Codes an traditionsbrechende Kunstwerke herangetreten wird, werden diese über einen bestimmten Zeitraum hinweg verurteilt oder zumindest missverstanden, und zwar so lange, bis die Codes anhand des entsprechenden Werkes angepasst worden sind. Problematisch wird es laut Bourdieu dann, wenn sich das Kunstfeld wie heute in einer »[Periode] kontinuierlichen Bruches«47 befindet, da die Distanz zwischen Emissions- und Rezeptionsniveau größer ist als in klassischen Perioden und es schwierig wird, zwischen echten Innovationen (»wirklichen symbolischen Revolutionen«) und falschen Innovationen (»häretischen Brüchen«) zu unterscheiden.48 Mit Bourdieu muss hier aber gegen Bourdieu infrage gestellt werden, inwieweit es diese »klassischen Perioden« überhaupt gibt, wenn das Kunstfeld eine kontinuierliche Abfolge von Tradition und Abweichung ist.49 Ebenso offen lässt Bourdieu die Frage, wer zwischen ech-

44 Vgl. Bourdieu (1992) 1999, S. 289. 45 Vgl. Bourdieu (1970a) 1997, S. 162. Darin lässt sich analog eine Verschiebung von der realistisch-repräsentativen Kunst der Akademien hin zur Kunst der frühen Modernen um Manet (doch auch schon Francisco de Goya) und der Impressionisten erkennen, die auf das »Wie« setzen. 46 Vgl. Bourdieu (1970a) 1997, S. 179. 47 Vgl. ebd., S. 178. 48 Vgl. Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 47. Dass es »falsche« Innovationen gibt, wird auch in folgender Partie besonders deutlich: »In der Literatur und in der Kunst hat es immer diese falschen Revolutionäre gegeben, die ihre Karriere mit einem spektakulären Bruch, insbesondere unter politischem Vorzeichen, beginnen, um schließlich beim krudesten Konformismus und Akademismus zu enden, und die den wirklichen Neuerern das Leben in doppelter Hinsicht schwermachen […].«, in: ebd., S. 21. Vgl. ebenfalls Bourdieu 2002, S. 121, wo Bourdieu von seiner Leidenschaft für die »wahren Avantgarden« spricht. An keiner dieser Stellen erläutert Bourdieu, was genau er unter »falschen« bzw. »wahren« Innovationen oder Avantgarden versteht. 49 In Bourdieu 1987b spricht Bourdieu dahingehend von der »institutionnalisation de l'anomie«, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich dem Nomos der

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ten und falschen Innovationen unterscheiden kann und soll. Indem er sich kritisch gegenüber Kunstwerken eines zeitgenössischen Künstlers äußert, der in seinen Arbeiten den Stellenwert von Sammlern hinterfragt, und die Bourdieu als »zynisch« bezeichnet,50 entsteht der Eindruck, dass sich der Kunstsoziologe diese Aufgabe selbst zuspricht. An anderen Stellen jedoch verteidigt Bourdieu zeitgenössische Kunst gegenüber den vehementen Kritikern im Frankreich der 1990er Jahre.51 Diese teilweise widersprüchlichen Positionen Bourdieus durchziehen laut Nathalie Heinich sein gesamtes Œuvre, das von dem mit den Jahren verstärkten Engagement in der Öffent-

Akademien eine a-nomische Kunst entgegenstellt, die fortan die Gültigkeit eines jeden Nomos in Form von absoluten Kunstregeln etc. delegitimiert. Erwähnt wird diese erneut auch in Bourdieu (1992) 1999, S. 216 (»Institutionalisierung von Anomie«) und als »Institutionalisierung der permanenten Revolution« in: ebd., S. 347. Auf dieses für Bourdieu typische Wortspiel (Nomos – a-nomie) geht Heinich nicht ein, wenn sie an Bourdieus Diagnose kritisiert, dass der Vorgang der Institutionalisierung richtig beschrieben, aber falsch interpretiert wird, da diese alles andere als »anomisch« sei und sich durchaus in den Prozess der Autonomisierung, den Bourdieu beschreibt, einfüge, vgl. Heinich 2007b, S. 123. Ebenfalls treibt Heinich hier den Vorwurf, es gehe tatsächlich um zeitgenössische Kunst, viel zu weit. Andererseits gibt es Partien, die man durchaus auf zeitgenössische Kunst übertragen könnte, wenn Bourdieu z.B. beschreibt, wie die Akademien und Jury-Mitglieder an Manet und anderen kritisierten, ihre Werke seien von der malerischen Technik her nur äußerst ungenügend (vgl. Bourdieu 1987b, S. 13) – das Argument, die Kunstwerke lassen vom Handwerklichen her zu wünschen übrig, fällt bekanntlich sehr oft in Bezug auf zeitgenössische Kunst. 50 »Wir haben […] Künstler, die mehr oder weniger zynisch Verfahren und Methoden früherer avantgardistischer Werke für sich in Beschlag nehmen, wie Philippe Thomas, der sich seine Werke von seinen Sammlern signieren lässt und über kurz oder lang von einem anderen nachgeäfft werden wird, der sich seine Werke durch dieselben Sammler signieren lassen wird.«, Pierre Bourdieu (1999): »Die Aktualität von Karl Kraus«, in: ders. ([2002] 2003), Interventionen 1961-2001. Sozialwissenschaft und politisches Handeln, Band 4, Hamburg: VSA-Verlag, S. 171. 51 »Die Diskussion über die Avantgarde [sic!], die (1993) in bestimmten halbintellektuellen Zeitschriften begann, läuft Gefahr […]«, Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 20 (in der Fußnote). Ebenfalls: »Wir befinden uns in einer Epoche der Restauration. Mittelmäßige Kritiker und unbedeutende Schriftsteller denunzieren die moderne Kunst als reine Täuschung […].«, Pierre Bourdieu (1998): »Wir befinden uns in einer Epoche der Restauration«, in: ders. ([2002] 2003), Interventionen 1961-2001. Sozialwissenschaft und politisches Handeln, Band 4, Hamburg: VSA-Verlag, S. 155. Zur Diskussion über zeitgenössische Kunst in Frankreich in den 1990er Jahren siehe ausführlicher das Kapitel zu Baudrillard.

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lichkeit geprägt ist.52 Seine Haltung gegenüber zeitgenössischer Kunst lässt sich nicht eindeutig und abschließend festschreiben53 – was im Folgenden weiter erläutert wird. Bourdieus Feldtheorie räumt der Kunst einerseits die Möglichkeit einer Kritik an Bestehendem ein, ein Umstand, den Bourdieu bereits sehr früh im kurzen Kunstkommentar zu einer Ausstellung des französischen Malers Bernard Rancillac (*1931) beschrieben hat. Rancillac, ein gegenständlicher Maler, der die Figuration Narrative mitbegründet hat (siehe weitere Künstler dieser Richtung in den Kapiteln zu Lyotard und Deleuze) benutzte für die Gemälde, die Bourdieu 1967 in »L'image de l'image« beschäftigen, Fotografien des politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehens als Vorlage, um sie in stark farbigen Bildern wiederzugeben, die stilistisch zwischen Pop-Art und Fotorealismus einzuordnen sind. Bourdieu geht in seinem Text darauf ein, wie erst das Bild des Bildes (l'image de l'image) den Betrachter darauf aufmerksam macht, dass die Foto-Vorlage ihren Ursprung in einer Wirklichkeit hat, die aus dem Blick geraten ist – womit Rancillacs Arbeiten einen gesellschaftskritischen Charakter erhalten: »L'image de l'image fait voir la bévue qui a rendu possible l'image […]. Mais faisant voir cela, elle fait voir à celui qui la regarde qu'il n'a pas vu l'image dont elle est l'image. Il fait voir la bévue inhérente à la vision quotidienne, au regard distrait qui transforme en ›actualité‹ inactuelle tout ce qu'il saisit. En demandant au spectateur d'être présent au présent, elle lui fait voir non seulement ce qu'il ne voit pas, mais qu'il ne le voit pas; elle lui fait voir sa bévue en l'obligeant à regarder et à se regarder regardant.«54

Andererseits erhebt Bourdieu die im Kunstfeld ausgetragenen Konflikte zum eigentlichen Motor ihres stetigen Fortschritts und dem »entscheidenden

52 Die Darstellung des »double discours« ist Heinichs Leitmotiv in: Heinich 2007b, hier zum Beispiel S. 137. Dazu mehr weiter unten. 53 Auch wenn Formulierungen wie »Manet und alle Impressionisten nach ihm weisen jede Verpflichtung zurück, nicht nur die, irgendeiner Sache dienen, sondern auch: irgend etwas aussagen zu müssen.«, in: Bourdieu (1992) 1999, S. 221 bereits darauf hindeuten, dass Bourdieu kein Anhänger der konsequenten Zweckfreiheit autonomer Kunst ist. 54 Pierre Bourdieu ([1967b] 1989): »L'image de l'image«, in: Art Press, Nr. 133, S. 27. Zu diesem Zitat lässt sich die Anmerkung machen, dass hier zwei Motive zur Sprache kommen, die in Kapitel V besprochen werden: Luhmanns Beobachtung der Beobachtung und Baudrillards These der Hyperrealität von Zeichen (und Bildern), die nur noch auf andere Zeichen (und Bilder) verweisen – wobei der entscheidende Unterschied zu Bourdieu ist, dass bei diesem das Bild des Bildes letztlich doch auf eine Wirklichkeit verweist.

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Faktor des kulturellen Wandels«.55 Kunst darf und soll dort Kritik üben, wo ihre Eigengesetzlichkeit infrage gestellt wird. Dort, wo sie Angriffen aus Politik, Wirtschaft und den Medien ausgesetzt ist, zum Beispiel durch eine versuchte Vereinnahmung durch eine bestimmte politisch-ideologische Richtung oder durch Anforderungen und Vorgaben eines Unternehmens, das als Sponsor fungiert oder durch Journalisten, die der Politik oder Wirtschaft dienen, muss sie auf ihrer Autonomie von diesen anderen Feldern bestehen. Diese möglichen Bedrohungen, die von außen auf das Kunstfeld hereinbrechen, diskutiert Bourdieu ausführlich mit dem Konzept- und Installationskünstler Hans Haacke (*1936) in Freier Austausch, das 1994 auf Französisch, 1995 auf Deutsch erscheint. Das Buch, das als Manifest für die Autonomie verteidigende Kunst gelesen werden kann, besteht zu weiten Teilen aus einem 1991 geführten Gespräch und beinhaltet außerdem Bilder und Texte zu den angesprochenen Werken Haackes sowie je einen Text von Bourdieu und Haacke zu dessen Installation Germania - Bodenlos im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 1993 (siehe Abbildung 1). Haackes Werke sind als im weitesten Sinne politisch zu verstehen: Er enthüllt und kritisiert verdeckte Mechanismen und Strukturen im Kunstbetrieb und setzt sich mit den Implikationen ökonomischer und politischer Einflussnahme auf die Kunst auseinander. Viele Arbeiten decken unmoralische, menschenunwürdige oder zumindest obskure Aktivitäten und Geschäfte von großen Unternehmen wie Cartier (in Les must de Rembrandt von 1986), Philip Morris (in Cowboy mit Zigarette und Helmsboro Country, beide von 1990) und Daimler-Benz (in Die Freiheit wird jetzt einfach gesponsert – aus der Portokasse von 1990 und in Die Fahne hoch! von 1991) auf, die allesamt zu den größten privaten Sponsoren von Kunst gehören. Bourdieu und Haacke sind sich darüber einig, dass die Privatisierung des Kunstbetriebs, wie sie zu dieser Zeit vor allem in den USA, aber verstärkt auch in Europa vorzufinden ist, bedeutet, dass unliebsame Werke, also kritische, politische, amoralische, unbequeme Kunst, keine Chance mehr erhalten, da die Geldgeber ihre eigene Vorstellung von Kunst diktieren und durchsetzen.56 Auch die Politik und die Medien stellen eine nicht unerhebliche Bedrohung dar,

55 Vgl. Bourdieu (1966b) 1997, S. 114. 56 Nicht ohne Ironie merkt Nathalie Heinich an, dass Haackes Kunst von ebendiesen Großunternehmen und staatlichen Museen angekauft wird und das breite Publikum, das durch die Installationen aufgeklärt werden soll, wie alle zeitgenössische Kunst kaum erreicht, in: Heinich 2007b, S. 122. Allerdings ist Haackes Polit-Kunst nicht so folgenlos, wie von ihr beschrieben: Ausstellungen wurden de facto gestrichen (1971 durch die New Yorker Guggenheim, 1974 durch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum), dafür sorgten einige Werke bis in den deutschen Bundestag hinein für Diskussion (Der Bevölkerung von 2000), wie das Kunstmagazin art aus Anlass einer großen Retrospektive berichtet, vgl. Till Briegleb (2006): »Denn sie wissen, was sie tun«, in: art - das Kunstmagazin, Nr. 11, November, S. 78-82.

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während allein die staatliche Subventionierung von Werken, Künstlern und Ausstellungen die »Existenzbedingungen für eine kritische Kultur« gewährleisten kann.57 In diesem Zusammenhang stellt Haacke für Bourdieu das Ideal des integren Künstlers dar, der sich weigert, sich Anforderungen aus Politik, Wirtschaft und Medien zu unterwerfen und beweist, dass Kunst auch im heutigen schwierigen Kontext in der Lage ist, ebendiese Konstellationen aufzudecken und zu kritisieren.58 Hier artikuliert sich ein Glaube an Kunst als Möglichkeit zur Subversion, ja sogar Revolution, der Parallelen aufweist zu Bourdieus Interpretation von Manet als um die Autonomie der Kunst kämpfenden Künstler.59 Kunst wird die Aufgabe zuteil, politisch im Sinne einer Kritik an »modernen Formen der symbolischen Dominanz«60 zu sein. Haacke gegenüber meint Bourdieu: »So beweisen Sie, daß es möglich ist, symbolische Aktionsformen zu erfinden, die […] die Kräfte der literarischen und künstlerischen Phantasie in den Dienst der symbolischen Kämpfe gegen die symbolische Gewalt zu stellen vermögen.«61 Kunst hat – wie die Sozialwissenschaft – den Auftrag, Verborgenes freizulegen, das Bourdieu gleichsetzt mit dem,

57 Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 76f. Bourdieu weiter: »Kurz gesagt, wir müssen vom Staat die Mittel fordern, die die Freiheit gegenüber wirtschaftlichen, aber auch politischen Mächten, das heißt gegenüber dem Staat selbst, garantieren.«, ebd., S. 77. 58 Gleich zu Beginn des Gesprächs konstatiert Bourdieu: »Sie beweisen ein bemerkenswertes ›Auge‹ für die besonderen Formen von Herrschaft, die auf die Welt der Kunst einwirken […].«, Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 9. Und weiter: »Deshalb sind Einmischungen, wie Sie sie vorgenommen haben, in der heutigen Zeit so wertvoll – sie haben, um mit Max Weber zu sprechen, den Wert einer ›exemplarischen Prophetie‹.«, ebd., S. 87. Paradoxerweise kehrt hier Bourdieu also selbst zur Ideologie des artifex deus zurück, die er zuvor noch aufdecken und kritisieren wollte. Zu dieser Form von Widersprüchlichkeit siehe mehr weiter unten. 59 Bereits früher konstatiert Bourdieu in Bezug auf Manet ein Einhergehen der »symbolischen Revolution« mit einer »politischen«: Indem Manet die Repräsentation der zeitgenössischen Welt initiiert und durchgesetzt und dabei »tiefgreifend unsere Weltsicht verändert« hat, »mit allen gleichermaßen intellektuellen wie sozialen Hierarchien brechend«, hat er »mentale Strukturen« erschüttert. »[…] – die Revolution par excellence. […] Die Macht der Benennung, zumal der Benennung des Namenlosen, dessen, was noch unbemerkt oder verdrängt ist, ist von erheblicher Tragweite.«, Pierre Bourdieu mit Karl-Otto Maue/Klaus Jarchow/H.G. Winter (1985b): »Das intellektuelle Feld: Eine Welt für sich«, in: Pierre Bourdieu ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 165. 60 Vgl. Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 26. 61 Ebd., S. 27.

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»was die Herrschenden nicht gerne enthüllt sehen.«62 Damit obliegt der Kunst, sich in zumindest politische Geschehnisse einzumischen, womit sie einerseits aus der erkämpften Autonomie selbst heraustritt und in die anderen Felder, von denen sie sich eigentlich emanzipiert haben sollte, eingreift. Andererseits ist erst eine autonome Kunst überhaupt in der Lage, auf andere Felder Einfluss auszuüben. In der Schlussfolgerung rechtfertigt Bourdieu also politische Kunst, sofern sie sich gegen eine bestimmte Form von Politik, gegen bestimmte Formen von Zwängen wehrt. Es ist diese politische Funktion, die Bourdieu an Haackes Kunst schätzt, wenn er konstatiert: »[…] daß die gekräftigte Autonomie der Welt der Kunst […] mit einem Verzicht auf bestimmte, namentlich politische, Funktionen einherging. Und eine der Wirkungen, die Sie hervorrufen, besteht darin, daß ihr diese Funktionen zurückerstattet werden.«63 Einerseits beschreibt Bourdieu gegen »eine naiv hegelianische Sicht der Geistesgeschichte«,64 dass die Autonomie der Kunst immer wieder von Neuem erstritten und verteidigt werden muss, da sich ihr immer wieder neue Herausforderungen stellen (und in Die Regeln der Kunst genauso wie in Freier Austausch sind diese vor allem das Großkapital und die Medien65). Andererseits wird deutlich, dass es spätestens in der zeitgenössischen Kunst keine wirklich autonomen Werke mehr gibt: Entweder sie beziehen eindeutig und kritisch Stellung zu den anderen, sie bedrohenden Feldern (und werden von Bourdieu, wie bei Haacke gesehen, positiv bewertet) oder sie lassen sich von den anderen Feldern vereinnahmen, beeinflussen, korrumpieren und werden dann von Bourdieu scharf angegriffen. Gesetzt den Fall, dass es tatsächlich nur diese beiden Positionen gibt,66 und die Frage der Zuordnungs-Kompetenz beiseite lassend, darf allerdings gefragt werden, ob das Aushalten dieser Spannung, dieses neuen Antagonismus von »reinen« und »unreinen« Werken, zeitgenössische Kunst nicht vielmehr ausmacht, anstatt sie zu bedrohen.

62 Ebd., S. 60. Diese Aussage ist das Echo zu Bourdieus Aussage über Manet, dessen Benennung von dem, was »verdrängt« ist, von »erheblicher Tragweite« ist, siehe das Zitat in der obigen Fußnote 59. 63 Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 89. 64 Bourdieu (1992) 1999, S. 528. 65 Vgl. ebd., S. 530 und Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 26. 66 Eine Kritik am dualen Schema bei Bourdieu findet sich außer bei Heinich 2007b auch bei: Hans Zitko (2000): »Die Kunst und ihre gesellschaftliche Legitimation. Kritische Anmerkungen zur Kunstsoziologie Pierre Bourdieus«, in: ders. (Hg.), Kunst und Gesellschaft. Beiträge zu einem komplexen Verhältnis, Heidelberg: Kehrer Verlag, S. 182.

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1.3. Kunst als Kampf »Wenn es eine Wahrheit gibt, so die, daß um die Wahrheit gekämpft wird […]«.67 Das Leitmotiv in Bourdieus Kunsttheorie sowie den konkreten Aussagen zu Künstlern und Kunstwerken ist dieser Kampf. Er ist das »generierende und vereinheitlichende Prinzip dieses ›Systems‹«,68 das im Kunstfeld herrscht und die eigentliche Triebfeder kulturellen Wandels ist. Nicht die Kunstwerke machen die Kunstgeschichte, sondern der oppositionelle Kampf.69 Der Rückgriff auf ein Vokabular, wie man es aus der marxistischen Tradition kennt (Klassenkampf, dominante und dominierte Kunstsparten, -geschmäcker, -rezipienten, eine durch Oppositionen, also dialektische Verhältnisse geprägte Geschichte), ist unverkennbar, ebenso wie die Interpretation von Kunstwerken, die mit der Tradition brechen, als symbolische Auflehnung gegen bestehende Herrschaftsstrukturen.70 Insofern soll Kunst, so wie die von Hans Haacke, Polit-Kunst sein: »Bleibt zu erwähnen, daß die Kulturproduzenten die Macht, die ihnen ihre Fähigkeit, eine systematische und kritische Vorstellung von der sozialen Welt zu produzieren, vor allem in Krisenzeiten einträgt, dazu nutzen können, die potentielle Kraft der Beherrschten zu mobilisieren und zum Umsturz der im Feld der Macht bestehenden Ordnung beizutragen.«71

Im Kunstfeld geht es laut Bourdieu, wie in allen anderen Feldern, primär um soziale Ungleichheiten, die es aufzudecken und zu kritisieren gilt. Es wird deutlich, dass Bourdieu die Fähigkeit der Kunst bewundert, Analysen in die »Sphäre der Empfindung« zu übertragen, »wo die Sensibilität und die Gefühle hausen«, weswegen sie »eine Art technischer Berater aller subversiven Bewegungen sein« sollte.72 Der Glaube an emanzipatorische, aufklärerische Potenziale der Kunst, wie er zum Beispiel für die Frankfurter Schule prägend ist, bildet auch den Hintergrund für Bourdieus Kunstbetrachtungen. In Bezug auf seine Sicht auf Haackes Kunstwerke konstatiert Heinich: »[…] le sociologue [gemeint ist Bourdieu; D.D.], tout à son désir de voir enfin réali-

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Bourdieu (1992) 1999, S. 466. Ebd., S. 368. Vgl. ebd., S. 253, 329. Was Bourdieu unternimmt, ist eine Ausrichtung der Marxschen Perspektive auf die Klassenstrukturen auf die – im Marxismus selbst nur wenig beachtete – symbolische Dimension von Gesellschaften; vgl. diese Einschätzung durch Axel Honneth im Rahmen eines Gesprächs mit Bourdieu: Pierre Bourdieu mit Axel Honneth/Hermann Kocyba/Bernd Schwibs (1986): »›Fieldwork in Philosophy‹«, in: Pierre Bourdieu ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 15. 71 Bourdieu (1992) 1999, S. 399f. 72 Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 34.

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sée l'avant-garde totale dont rêve depuis des générations le monde intellectuel, ferme les yeux sur ce qui fait le propre de l'art contemporain […]«,73 welche Bourdieu laut Heinich fälschlicherweise aufteilt in Kategorien der Form und Funktion, statt die Betonung auf den Kontext zu legen. Überhaupt kritisiert Heinich Bourdieus Dichotomien von legitimer und illegitimer Kunst, feinem und populärem Geschmack, indem sie darauf hinweist, dass diese nur in einer eindimensional gedachten Welt ihre Gültigkeit haben, wobei gerade Kunst verstehen hilft, dass Ambivalenzen und Widersprüche Phänomene des alltäglichen Lebens sind, die auch in der Forschung mitgedacht werden müssen: »[…] il faut complexifier l'analyse en considérant que certaines positions peuvent être, selon les situations et les points de vue, légitime et illégitimes, de même que ceux qui les occupent peuvent se trouver en situation dominante et dominée.«74 Tatsächlich ist die Absolutheit der Bourdieuschen Oppositionen zu hinterfragen, was nicht zuletzt auch für die jeweiligen kulturellen Präferenzen von Herrschern und Beherrschten gilt, wie sie in Die feinen Unterschiede beschrieben werden, und die in den vergangenen Jahrzehnten eine radikale Vermischung erfahren haben: Im Kunstfeld kann beispielsweise beobachtet werden, dass zu Events stilisierte Ausstellungen gerade auch von den vermeintlichen unteren und mittleren Schichten massenweise besucht werden.75 Umgekehrt schätzt die Ober-

73 Nathalie Heinich (2005): L'Élite artiste. Excellence et singularité en régime démocratique, Paris: Gallimard, S. 313. 74 Heinich 1998b, S. 43 (Hervorh. im Orig.). Ein Beispiel, das Heinich Bourdieu entgegenhält, entnimmt sie aus dem Bereich der Literatur: »[U]n dominant dans un régime de valorisation (par exemple un écrivain d'avant-garde) peut se trouver dominé dans un autre (par exemple, dans le monde de la littérature grand public).«, Nathalie Heinich (2000): »Sociologie de l'art: avec et sans Bourdieu«, in: Sciences Humaines, Nr. 105, Mai, S. 36. Daraus resultiert für die (Sozial-) Wissenschaft eine posture pluraliste, denn: »[…] il faut prendre au sérieux cette réalité empirique qu'est l'ambivalence […]«, Heinich 1998b, S. 51f. 75 Mitte der 1990er Jahre sehen es Christoph Behnke und Ulf Wuggenig auf Grundlage einer Besucherstudie, die auf der von Bourdieu et al. aufbaut, als wahrscheinlich an, dass sich das ästhetische Feld ›dreiteilt‹ in eine: »[…] ›eingeschränkte‹ Produktion, die ein intellektuelles oder politisch interessiertes Publikum findet, ›erweiterte‹ Produktion, die von der neuen entdifferenzierten postmodernistischen Kultur dominiert wird, und in ein gänzlich heteronomes Feld der kulturindustriellen Großproduktion.«, Christoph Behnke/Ulf Wuggenig (1994): »Heteronomisierung des ästhetischen Feldes. Kunst, Ökonomie und Unterhaltung im Urteil eines Avantgardekunst-Publikums«, in: Ingo Mörth/Gerhard Fröhlich (Hg.), Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu, Frankfurt a.M.: Campus, S. 247. Inzwischen lässt sich sagen, dass zwar vor allem Event-Ausstellungen klassischer Kunst Rekord-Besuche verbuchen (zu dieser gehört längst der von Bourdieu als Revolutionär dargestellte Manet, aber auch die noch von Bourdieu als besonders moderne

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schicht die Populärkultur bei Weitem nicht mehr gering, sondern konsumiert als »cultural omnivore« im Gegenteil beides: Hochkunst und ›Trivialkultur‹.76 Die Felder der Hochkunst wie der Populärkultur haben sich außerdem nicht nur gegeneinander, sondern auch in sich weiter ausdifferenziert, sodass es in jedem ein etabliertes Feld und ein Feld der ›Subkultur‹ gibt.77 Nina Tessa Zahner sieht in ihrer Anwendung und Weiterentwicklung der Regeln der Kunst in Bezug auf Andy Warhol und das Feld der Pop-Art die Herausbildung eines dritten Feldes zwischen dem der reinen Produktion und der Massenproduktion, das sie das »Feld der erweiterten Produktion«78 nennt und das Hochkunst mit Massengeschmack und der Verfolgung auch ökonomischer Interessen verbindet. Summa summarum lässt sich somit sagen, dass die Bipolarität der Konzepte bei Bourdieu heutzutage nur mit Einschränkungen aufrecht gehalten werden kann. Allerdings verkennt Bourdieu grundlegende Prinzipien der zeitgenössischen Kunst nicht so vollständig, wie zum Beispiel von Heinich dargestellt. Dem Kontext eines Kunstwerkes gesteht Bourdieu eine erhebliche Rolle zu: In Form der Kunst-Institutionen (v.a. Museen und Galerien) ist es dieser Kontext, der in der Lage ist, ein Kunstwerk zu weihen: »Produzent des Werts des Kunstwerks ist nicht der Künstler, sondern das Produktionsfeld als Glaubensuniversum, das mit dem Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers den Wert des Kunstwerks als Fetisch schafft.«79 Zum Kontext

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Kunstrichtung hervorgehobene nicht-figurative Kunst). Andererseits ist auch zeitgenössische Kunst in der Lage, Massen anzuziehen – wenn das Marketing stimmt (Stichwort Kunstmessen und Kunstbiennalen). Weiterführend: BerndHolger Köpler (2004): Marketing für Kunstausstellungen. Grundlagen, Erfolgsfaktoren, Handlungsempfehlungen, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Vgl. den Begriff – entwickelt unter Bezugnahme auf Bourdieu – bei: Richard A. Peterson/Roger M. Kern (1996): »Changing Highbrow Taste: From Snob to Omnivore«, in: American Sociological Review, vol. 61, Nr. 5, S. 900-907. Vgl. Rudi Laermans (1992): »The relative rightness of Pierre Bourdieu: Some sociological comments on the legitimacy of postmodern art, literature and culture«, in: Cultural Studies: Theorizing politics, politicizing theory, vol. 6, Nr. 2, S. 259. Vgl. Nina Tessa Zahner (2006): Die neuen Regeln der Kunst. Andy Warhol und der Umbau des Kunstbetriebs im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M.: Campus, S. 277ff. Bourdieu (1992) 1999, S. 362 (Hervorh. im Orig.). Hier soll kurz die Analogie zwischen Kunst und Religion erwähnt werden, die Bourdieu immer wieder feststellt und zu großen Teilen in Die Regeln der Kunst erläutert wird. Bourdieu spricht dabei die »[…] zirkuläre Kausalitätsbeziehung, wie sie zwischen Glauben und Sakralem besteht […]« an, ebd., S. 455. Auf Benjamin und Mauss bezugnehmend (vgl. ebd., S. 456ff.) beschreibt Bourdieu die Möglichkeit, »[…] durch das Wunder der Signatur (oder des Namenszugs) bestimmte Produkte zu heiligen.«, ebd., S. 363 (Hervorh. im Orig.). Exemplarisch hierfür ist wieder die Ges-

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eines zeitgenössischen Kunstwerkes gehört auch der Meta-Diskurs, der das jeweilige Werk begleitet bzw. den dieses auslöst: »Der Diskurs über das Kunstwerk ist kein bloß unterstützendes Mittel mehr zum besseren Erfassen und Würdigen, sondern ein Moment der Produktion des Werks, seines Sinns und seines Werts.«80 Im Unterschied zur von ihm analysierten »reinen«, autonomen Kunst herrscht ganz im Gegenteil ein »Netz von Abhängigkeiten«.81 Hans Zitko spricht davon, dass das autonome Kunstwerk bei Bourdieu »ein unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen nicht einzulösendes Postulat« bleibt,82 verkennt dabei aber, dass Bourdieu ebendiese »reine« Kunst nicht postuliert, sondern ganz im Gegenteil ablehnt. Bourdieu formuliert seine Präferenz für eine Kunst, die eine starke politische Funktion erfüllt, sehr genau aus: »Entledigen wir uns der alten Alternative von reiner und engagierter Kunst, die wir alle im Kopf haben […]«.83 Es sind subjektive Stellungnahmen wie diese, die Heinich Bourdieu als Bruch mit der axiologischen Neutralität im Sinne Webers vorwirft.84 Andererseits muss Bourdieu zugestanden werden, seine Vorliebe für Polit-Kunst in Kontexten zu äußern, die nicht Teil seiner wissenschaftlichen Studien sind, genau so, wie es Heinich für Wissenschaftler vorschlägt, die sich öffentlich zu bestimmten Themen äußern wollen.85

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te Duchamps: man müsse »[…] auf den prophetischen Vorgriff des Künstlers – in diesem Fall Marcel Duchamps – eingehen, der als Erster den vom Museum und vom Künstler ausgehenden Institutionalisierungseffekt durch die Ausstellung eines Pissoirs und eines Flaschenhalters jedermann vor Augen führte.«, ebd., S. 455 (in der Fußnote). Bourdieu (1992) 1999, S. 276. Zum Motiv des Meta-Diskurses als konstitutives Element des Kunstwerks siehe auch das Kapitel zu Derrida. Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 18. In Die Regeln der Kunst heißt es: »Indessen ist es nicht einmal im Fall des wissenschaftlichen Feldes möglich, die kulturelle Ordnung (episteme) als von den Akteuren und Institutionen völlig unabhängig zu behandeln, die sie aktualisieren und ihr zur Existenz verhelfen […]«, in: Bourdieu (1992) 1999, S. 317 (Hervorh. im Orig.). Zitko 2000, S. 181. Bourdieu (1992) 1999, S. 525. Vgl. dazu ganz allgemein Heinich 1998b und Heinich 2007b. Heinich: »Mais cela [hier: eine persönliche Meinung; D.D.], je peux le dire oralement, dans une situation de conférence, ou dans un entretien comme celui-ci, qui n'est pas un travail de recherche; je ne l'écrirais pas dans un article ou un livre ›scientifique‹ […] Le sociologue peut donner des outils pour prendre position, mais les gens n'ont pas besoin qu'on prenne position à leur place. Les valeurs sont d'un autre ordre que les faits, et la politique n'est pas la science.«, in: Nathalie Heinich (2007a): La sociologie à l'épreuve de l'art, 2. Band, Paris: Aux lieux d'être, S. 86. Bourdieu beginnt das Postscriptum zu Die Regeln der Kunst, in dem er eindeutig Position bezieht für eine engagierte Kunst und für eine engagierte Haltung als Intellektueller, mit dem Satz: »Im Unterschied zu den vorangegan-

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Die Schwierigkeit, die sich hier ergibt, ist eine grundsätzlich doppelte, zuweilen widersprüchliche Haltung Bourdieus, die ihm nicht nur von Heinich zum Vorwurf gemacht wird.86 Der »double discours«87 ist Folge eines politischen Aktionismus, der Bourdieu in der Praxis immer mehr auf die ›saubere‹ Trennung von Wissenschaft und Politik hat verzichten lassen.88 »Docteur Jekyll, pourfendeur de l'illusion critique de l'art«89 erklärt 1977, dass alle Versuche einer künstlerischen Subversion folgenlos bleiben müssen, indem sie »[…] immédiatement converties en ›actions‹ artistiques, enregistrées commes telles et ainsi consacrées par les instances de célébration […]«90 werden; während »Mr Hyde propagandiste de la critique artistique«91 im Gespräch mit Haacke die revolutionären Möglichkeiten von Kunst gleichsam wiederentdeckt. Die Einschätzung von Heinich, dass sich Bourdieu als viel kritisierter Intellektueller mit der Zeit wohl immer mehr mit der Figur des am Rande der Gesellschaft tätigen Künstlers identifizieren konnte, ist nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen.92 Insofern ist hier die interessante Beobachtung zu machen, dass Bourdieu in der frühen Studie zu Flaubert 1975 zu dem Ergebnis kommt, dass dieser in seinen Werken seine eigene Erfahrungen in der Gesellschaft reproduziert, »[…] cette double relation de double négation qui, en tant qu'artiste, l'oppose au ›bourgeois‹ et au ›peuple‹ et, en tant qu'artiste pur, le dresse contre ›l'art bourgeois‹ et ›l'art social‹.«93 Diese doppelte Gegenüberstellung ist auch in Bourdieus Aussagen zur Kunst nachzuvollziehen, die durch seine eigene Position im neutral-wissenschaftlichen wie politisch-aktiven Feld bedingt sind: Er er-

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genen Kapiteln stellt das Folgende eine normative Stellungnahme dar.«, in: Bourdieu (1992) 1999, S. 523 (Hervorh. im Orig.). Bourdieu schließt die ›wissenschaftliche Klammer‹ also vor diesem Teil des Buches. Seine oftmals eindeutig polemischen Aussagen in Freier Austausch äußert er im Rahmen eines Gesprächs mit Hans Haacke und nicht in einer soziologischen Analyse dessen Werke. Noch polemischer, als es Heinich bedauernswerterweise an manchen Stellen unterläuft, eine weitere Auseinandersetzung einer ehemaligen Mitarbeiterin von Bourdieu: Jeannine Verdès-Leroux (1998): Le savant et la politique. Essai sur le terrorisme sociologique de Pierre Bourdieu, Paris: Bernard Grasset. Eine sachlichere Betrachtung dieser der Bourdieu-Rezeption inhärenten Problematik vgl. bei Markus Schwingel (2005): Pierre Bourdieu zur Einführung, 5. Aufl., Hamburg: Junius, hier beispielsweise S. 146. Zu dieser Formulierung von Heinich siehe die obige Fußnote 52. Vgl. diese Einschätzung bei Schwingel 2005, S. 9. Nathalie Heinich (2002): »Pierre Bourdieu et l'art contemporain«, in: Artension, Nr. 6, Juli-August, S. 10. Bourdieu 1977, S. 8. Heinich 2002, S. 10. Vgl. ebd., S. 10f. Bourdieu 1975, S. 91.

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kennt die Grenzen der aufklärerisch-emanzipatorischen Potenziale von Kunst und möchte dennoch an ihre Wirkkraft glauben. Markus Schwingel sieht in diesem »double discours« einen »[…] Widerstreit zwischen modernistischen (aufklärerischen, emanzipatorischen, universalistischen) Elementen auf der einen und postmodernistischen (vernunftkritischen, pluralistischen, kontingenztheoretischen, agonistischen) Denkelementen auf der anderen Seite […].«94 Trotz der inhaltlichen Berührungspunkte kritisiert Bourdieu mehrfach vehement die Vorgehensweisen und Ideen der postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denker – während er andererseits bei konkreten, politischen Aktivitäten mit ihnen zusammenarbeitet (so mit Derrida).95 Unabhängig von der stets im Blick zu behaltenden Janus-Köpfigkeit Bourdieus ist ihm, was Analysen zeitgenössischer Kunst betrifft, viel zu verdanken: Er gehört zu den Soziologen, die das Feld der kulturellen Produktion empirisch bearbeitet haben und Statistiken und Zahlen geliefert haben, auf deren Grundlage Kunsttheorien aufbauen können. Bourdieu spricht von einer Haltung der »Vermeidung leeren Theoretisierens«, aber auch der »Verhinderung eines blinden Empirismus«.96 Als Handlungstheoretiker hat er das Konzept des Habitus entwickelt, ohne dabei eine rein subjekt-zentrierte Theorie zu liefern, da sie als Komplement zum ansonsten strikt strukturalistischen Ansatz der Feldtheorie gedacht ist.97 Anders als die meisten hier untersuchten Theoretiker hat Bourdieu eine ausformulierte Kunsttheorie inklusive Forschungs- und Methodenfragen vorgelegt (Luhmann legt zwar eine eigenständige Soziologie der Kunst vor, stützt diese empirisch allerdings

94 Schwingel 2005, S. 163. 95 Vgl. exemplarisch die Aussage: »Es war der Zeitpunkt, wo sich nachdrücklich vollzog, was ich den ›-logie Effekt‹ genannt habe, bezogen auf all die Fächer, die wie Archäologie, Grammatologie, Semiologie usw. diese Endung im Titel führen – sie zeugt von den Anstrengungen der Philosophen, die Grenze zwischen Wissenschaft und Philosophie zu vernebeln. Auf derartige halbe und halbherzige ›Umstellungen‹, dank derer sich auf billigste Weise vom Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ebenso wie vom Status des Philosophen profitieren läßt, habe ich schon immer negativ reagiert.«, Bourdieu mit Honneth/Kocyba/Schwibs (1986) 1992, S. 21. An anderer Stelle spricht er auch fünfzehn Jahre später von der »catégorie fourre-tout des ›postmodernes‹«, Bourdieu 2001, S. 205. Siehe hierzu mehr im Kapitel zu Derrida, dem Bourdieu in Die feinen Unterschiede eine ganze Passage im Schlussteil widmet. 96 Bourdieu (1992) 1999, S. 500f. 97 So steht Bourdieu dem interaktionistischen Modell des art world Howard S. Beckers gegenüber, da diesem der Sinn für die objektiven Relationen fehle, die das Feld wesentlich bestimmen, vgl. Bourdieu (1992) 1999, S. 327f. sowie: Howard S. Becker (1982): Art Worlds, Berkeley/Los Angeles, California: University of California Press.

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kaum, siehe dort). Die Aufgabe einer Soziologie der Kunstwerke ist eine Kombination aus einer Sozialgeschichte des Feldes, Analysen der kunstfeldspezifischen Institutionen, der Kunstproduzenten selbst, der Bedingungen der Kunstproduktion und -rezeption, der Produktion von Kunstwerten und des Glaubens an diese sowie einer Geschichte der Codes.98 In einer Soziologie der Künste soll es, laut Bourdieu, nicht darum gehen, die künstlerischen Leistungen und Erfahrungen zu relativieren,99 sondern »[…] schlicht und einfach, den Dingen offen gegenüberzutreten und sie zu sehen, wie sie sind.«100 Dadurch würde die künstlerische Erfahrung sogar intensiviert. Wieder ist das Überwinden aller Gegensätze das zentrale Thema: »Die Feld-Theorie führt tatsächlich zur Ablehnung des Ansatzes, der von einem direkten Zusammenhang zwischen Individualbiographie und Werk (oder sozialer Herkunftsklasse und Werk) ausgeht, als auch der immanenten Werkinterpretation und der ein Ensemble von Werken in Beziehung setzenden intertextuellen Analyse: Denn das alles zusammen ist zu tun!«101

Bourdieus Plädoyer für eine sozial- und politisch kritische Kunst – ähnlich der ›engagierten‹ Kunst als »Antithese« zur Gesellschaft bei Adorno102 – weist prinzipiell Nähe zur Frankfurter Schule auf. Der Unterschied zu Jürgen Habermas jedoch – der als die zweite Generation dieser Frankfurter Schule gilt – ist eklatant. Dessen Konzept einer herrschaftsfreien Kommunikation könnte als Kontrastprogramm zu Bourdieus Konzeption eines Kunstfeldes im permanenten agonistischen Wettstreit gelten:103 Kommunikation statt Konfrontation – das gilt bei Habermas auch für die Kunst.

98 Vgl. Bourdieu (1992) 1999, S. 456, 459f., 362, 490. 99 Wie es ihr häufig vorgeworfen wird, siehe dazu bereits die obige Fußnote 10. 100 Ebd., S. 15. 101 Bourdieu mit Maue/Jarchow/Winter (1985b) 1992, S. 163. 102 Adorno (1970) 2003, S. 365. 103 Das Leitmotiv des Kampfes hat, wie wir noch sehen werden, eher eine gewisse Ähnlichkeit zum Widerstreit bei Lyotard.

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III. 2. J ÜRGEN H ABERMAS [A UFKLÄRUNG ] Jürgen Habermas gilt als einer der bedeutendsten Soziologen und Sozialphilosophen unserer Zeit. Er ist der Ausarbeitung einer Gesellschaftstheorie verpflichtet, die zum Ziel hat, auf die Möglichkeiten von Aufklärung und Emanzipation hinzuweisen. Die damit verbundene Form von Gesellschaftskritik lässt Habermas' Nähe zur Frankfurter Schule erkennen, als deren wichtigster Vertreter in zweiter Generation er bezeichnet wird. Jedoch führt Habermas deren Tradition nicht unverändert fort: Zwar ist eines seiner Anliegen, wie das der Kritischen Theorie, die normative Basis für seine Theorieentwicklung erkennbar auszuformulieren.1 So sind all seine Überlegungen auf das Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft ausgerichtet. Im Unterschied zur Negativen Dialektik der Kritischen Theorie, der ein zukunftspessimistischer Grundton eigen ist, und auch im Unterschied zum Konzept des Klassenkampfs der marxistischen Theorie, soll diese herrschaftsfreie Gesellschaft allerdings durch die Vernunftbezogenheit von kommunikativem Handeln in Verbindung mit radikaler Demokratie tatsächlich erreichbar gemacht werden. Hier handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, der mit dem linguistic turn in den Geistes- und Kulturwissenschaften2 in Zusammenhang zu bringen ist, und sich auch auf Habermas' Kunstverständnis auswirkt. Anders als Bourdieu arbeitet Habermas keine eigenständige Kunsttheorie aus. Frühe Darstellungen der Herausbildung einer literarischen Öffentlichkeit3 führen zu keinen selbstständigen Studien zur Kunst, obwohl Habermas die Sphäre der Kunst in seinen Theorien nicht ignoriert.4 Dies ist

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Damit ist die Interessenabhängigkeit von Erkenntnis gemeint, die in der Methodologie und Theorienbildung offengelegt werden soll, vgl. Jürgen Habermas ([1968] 2001): Erkenntnis und Interesse, 13. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Habermas formulierte diese Haltung in Folge des Positivismusstreits aus, die etwas später als eine der wichtigsten Diskrepanzen zur Luhmannschen Systemtheorie (die ›nur‹ beobachten will, wie Systeme funktionieren) zur berühmten Kontroverse zwischen diesen beiden Theoretikern geführt hat; mehr dazu weiter unten und im Kapitel zu Luhmann. Vgl. Bachmann-Medick 2007, S. 33ff. Vgl. Jürgen Habermas ([1962] 1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuaufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In einer frühen Auseinandersetzung mit Walter Benjamins Kunsttheorie finden sich bereits viele der Elemente, die später verstreut in Habermas' Hauptwerken wiederzufinden sind. So schreibt Habermas, dass der von Benjamin konstatierte Aurazerfall »die Chance der Verallgemeinerung und der Verstetigung der Glückserfahrung« eröffnet. Dieses ›Glücksversprechen‹, das bekanntlich auch bei Adorno eine gewichtige Rolle spielt (vgl. z.B. Adorno (1970) 2003, S. 26 als »promesse du bonheur« oder S. 205), ist in der ästhetischen Erfahrung angelegt

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umso auffälliger, wenn man bedenkt, wie sehr die Theorien der Frankfurter Schule an Fragen der Ästhetik orientiert sind bzw. in Analysen von Kunst und Kultur formuliert werden – und umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Habermas mehrfach aufgefordert worden ist, Fragen zu diesem Themenkomplex zu klären oder sich ihm zumindest ausführlicher zuzuwenden.5 Einige der Kritikpunkte an Habermas' Theorien kreisen um diese »Leerstelle«,6 andere wiederum versuchen, diese Lücke zu schließen.7 Dabei verweist Habermas in zahlreichen Texten immer wieder auf die Kunst und den Kunstbetrieb, was ermöglicht, aus diesen seine Haltung auch gegenüber zeitgenössischer Kunst herauszufiltern. Die wichtigsten Texte stellen neben seinem Hauptwerk, der Theorie des kommunikativen Handelns von 1981, die Aufsatzsammlung Der philosophische Diskurs der Moderne von 1985 dar und einige alleinstehende Aufsätze, die einmal mehr, einmal weniger explizit auf Kunst und Kunstrichtungen Bezug nehmen. Von besonderem Interesse wird seine Besprechung des Œuvres von Sean Scully sein, einem

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und soll von der Kunstkritik ermöglicht werden, vgl. Jürgen Habermas (1972): »Walter Benjamin. Bewußtmachende oder rettende Kritik«, in: ders. (1987), Philosophisch-politische Profile, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 336-376, hier: S. 358. Dazu mehr weiter unten. Kaum ein Autor, der sich der Behandlung von Kunst und Ästhetik bei Habermas widmet, unterlässt es, das Feststellen dieses Defizits mit der Hoffnung oder Forderung zu verbinden, Habermas möge hier weitere Ausarbeitungen vorlegen; nur als Beispiele in chronologischer Reihenfolge: vgl. Martin Jay (1985): »Habermas and Modernism«, in: Richard J. Bernstein (Hg.), Habermas and Modernity, Cambridge: Polity Press und Oxford: Basil Blackwell, S. 139; Willem van Reijen (1987): »Miss Marx, Terminals und Grands Récits oder: Kratzt Habermas, wo es nicht juckt?«, in: Dietmar Kamper/Willem van Reijen (Hg.), Die unvollendete Vernunft: Moderne versus Postmoderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 567; sowie David Ingram (1990): »Completing the Project of Enlightenment. Habermas on Aesthetic Rationality«, in: Ronald Roblin (Hg.), The Aesthetics of the Critical Theorists. Studies on Benjamin, Adorno, Marcuse, and Habermas, Lewiston/ Queenston/Lampeter: The Edwin Mellen Press, S. 404. Der Begriff der »Leerstelle« bildet die Hauptthese in: Ulrich Paetzel (2001): Kunst und Kulturindustrie bei Adorno und Habermas. Perspektiven kritischer Theorie, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Programmatisch auch der Titel von: Pieter Duvenage (2003): Habermas and Aesthetics. The Limits of Communicative Reason, Cambridge/UK: Polity Press. Unter Hinzuziehen der Phänomenologie in: Peter Kiwitz (1986): Lebenswelt und Lebenskunst. Perspektiven einer kritischen Theorie des sozialen Lebens, München: Fink. Der Versuch einer Integration von Kunst- und Kulturindustrie unter Rückgriff auf Adorno findet sich bei Ulrich Paetzel, der deutlich hervorhebt, wie sehr sich Habermas im Vergleich zu Adorno von einem Einbezug von Kunstwerken in seine Theorien distanziert hat, vgl. Paetzel 2001, S. 166f., 173.

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zeitgenössischen, abstrakten Maler – ein Text, den er 2003 für einen Ausstellungskatalog zu Scullys Werken verfasst. Wie zuvor bei Bourdieu spielt auch bei Habermas einerseits die Ausdifferenzierung der Sphäre Kunst und andererseits ihr Kritikpotenzial eine große Rolle. Bevor die Bedeutung von Kritik für die Kunst erläutert werden kann, muss zunächst kurz auf die Habermassche Diskurstheorie eingegangen werden. 2.1. Kunstkritik Der vernunftgeleitete, herrschaftsfreie Diskurs ist für Habermas Ermöglichung und Bedingung einer zwangfreien Gesellschaft gleichermaßen. Durch die Integration der Sprechakttheorie, die Sprechakte als sprachlich vermittelte Interaktion zwischen Subjekten versteht, erhält seine Gesellschaftstheorie eine intersubjektivistische Dimension, die Handlungen zwischen Individuen stärker als in der klassischen Kritischen Theorie in den Vordergrund rückt und darin Möglichkeiten für einen politischen Fortschritt erkennbar werden lässt. Habermas zeichnet sich damit ganz im Unterschied zu Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung (von 1947) durch eine prinzipiell weniger pessimistische Einstellung gegenüber der Realisierbarkeit gesellschaftlichen Wandels aus, die sich in einem stärkeren Vertrauen in die diskutierende Öffentlichkeit äußert. Der öffentliche Vernunftgebrauch, den Habermas in Anlehnung an Kant weiterentwickelt, ist insofern von zentraler Bedeutung, als Vernunft für Habermas eben nicht mit Zweckrationalität gleichzusetzen ist, sondern eng an sprachliche Verständigung geknüpft ist. Grundlegend ist dabei das Streben nach einem für alle zwanglos akzeptierbaren Konsens. In öffentlichen Diskussionen soll alles infrage gestellt bzw. ausgehandelt werden dürfen, womit vor allem rechtliche und moralische Regeln sowie politische Entscheidungen gemeint sind. Es gibt keine endgültige Wahrheit und ewigen Werte, die ein für allemal gelten. Festgelegt sind nur die Bedingungen und Möglichkeiten dieses vernunftgeleiteten Gesprächs zwischen den Bürgern, die Habermas – teilweise zusammen mit dem Philosophen Karl-Otto Apel – unter der Bezeichnung Diskursethik entwickelt hat. Wichtig ist hierbei, so Habermas, dass sich die am sogenannten rationalen Diskurs Beteiligten gegenseitig respektieren, d.h. ernst nehmen, und in keinem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, das heißt sich als gleichwertig anerkennen. Hier wird der größte Unterschied zu Bourdieu besonders deutlich: Kommunikativem Handeln unterliegt gerade kein agonistisches Prinzip, ist kein Kampf um Anerkennung – die gegenseitige Anerkennung setzt Habermas als Rahmen für verständigungsorientierte Sprechakte voraus.8

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Bourdieu kritisiert diesen voraussetzungsvollen Charakter des kommunikativen Handelns bei Habermas mehrfach, unter anderem: »Die Vorstellung vom politischen Leben etwa, die Habermas ausgehend von einer Beschreibung der Heraus-

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Nur in herrschaftsfreier Kommunikation ist zu Ergebnissen zu gelangen, die eine herrschaftsfreie Gesellschaft möglich machen.9 Nicht Kommunikation als solche, sondern kommunikatives Handeln wird definiert als verständigungsorientiertes, soziales Handeln und unterscheidet sich einerseits vom erfolgsorientierten, strategischen oder zweckrationalen Handeln und andererseits vom instrumentellen Handeln im Sinne Webers bzw. Horkheimers, das eine nicht-soziale Handlungsform darstellt (siehe die Gegendefinition und -position bei Luhmann im entsprechenden Kapitel). Sprachlichen Äußerungen liegen laut Habermas drei verschiedene Typen von Geltungsansprüchen zugrunde: Das sind, zusammen mit dem Anspruch auf Verständlichkeit, die Ansprüche auf propositionale Wahrheit, normative Richtigkeit und expressive Wahrhaftigkeit – wobei diese im Anspruch der Vernünftigkeit konvergieren.10 Jeder dieser Geltungsansprüche kann isoliert und problematisiert werden, auch wenn sie stets zugleich erhoben werden. Habermas unterteilt Sprechakte weiter in drei Formen des Diskurses und drei Arten von Rationalität:11 Der Anspruch auf Wahrheit wird in theoretischen Diskursen erhoben und zählt zur kognitiv-instrumentellen Rationalität. Der Anspruch auf Richtigkeit wird in praktischen Diskursen erhoben und zählt zur moralisch-praktischen Rationalität. Dem grundlegenden Anspruch auf Verständlichkeit weist er den explikativen Diskurs zu. Den

bildung der ›Öffentlichkeit‹ vorträgt […], verdunkelt und verdrängt die Frage nach den ökonomischen und sozialen Voraussetzungen, die erfüllt sein müßten, damit die öffentliche Reflexion in Gang käme, die zu einem vernünftigen Konsens führen könnte […]. Unübersehbar […] bewegt die Macht der Argumente wenig gegen die Argumente der Macht […] und ist Herrschaft aus den gesellschaftlichen Kommunikationsbeziehungen niemals herauszuhalten.«, Bourdieu (1997) 2001, S. 84. Auch von anderen Autoren ist die normative Basis des Habermasschen Diskursverfahrens vielfach kritisiert worden: es habe kulturelle und moralische Grundlagen, die nicht zu negieren sind. Eine gute Zusammenfassung dieser Positionen von Charles Taylor, John Rawls und Seyla Benhabib findet sich bei Detlef Horster (2001): Jürgen Habermas zur Einführung, 2. Aufl., Hamburg: Junius, S. 120-133. 9 Am geradezu utopischen Moment des herrschaftsfreien Diskurses bei Habermas ist ebenfalls oft Kritik geübt worden. Allerdings muss bedacht werden, dass es Habermas nicht um die gegenwärtige, sondern die zukünftig mögliche Gesellschaft geht, die nach seinem Verständnis in der »idealen Sprechsituation«, dem zwanglosen Diskurs, zu erreichen ist, vgl. Horster 2001, S. 13 und 56. 10 Vgl. Jürgen Habermas (1984a): Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 104. 11 Ein tabellarischer Aufbau findet sich in: Jürgen Habermas ([1981a] 1995): Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 45.

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Geltungsanspruch auf Wahrhaftigkeit weist er der ästhetisch-expressiven Rationalität zu.12 Es fällt auf, dass es in diesem Schema keinen ästhetischen Diskurs bzw. Geltungsanspruch gibt. Habermas lehnt die Möglichkeit ästhetischer Diskurse ab, weil die eventuellen Geltungsansprüche ästhetischer Äußerungen nicht universalisierbar sind, wie dies bei Wahrheits- und Richtigkeitsansprüchen der Fall ist.13 Ästhetische Äußerungen, so Habermas, leiten die Wahrnehmung an bzw. werben für die Angemessenheit von Wertstandards (Letzteres zählt als Geltungsanspruch): »Kulturelle Werte treten nicht wie Handlungsnormen mit Allgemeinheitsanspruch auf. Werte kandidieren allenfalls für Interpretationen, unter denen ein Kreis von Betroffenen gegebenenfalls ein gemeinsames Interesse beschreiben und normieren kann.«14 Insofern handelt es sich nicht um zwingende Argumente. In Bezug auf Diskussionen über zeitgenössische Kunstwerke, denen ihr Status als Kunst oftmals gerade durch die diskursive Auseinandersetzung mit ihrem Anspruch auf Kunst bzw. mit ihrer Geltung als Kunst zugewiesen wird,15 ist anzumerken, dass Habermas' Ausspruch vom »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« durchaus angemessen wäre. Ästhetische Argumente wären diejenigen, die versuchen, die Frage nach Kunst oder Nicht-Kunst zu klären und würden die drei Geltungsansprüche auf Wahr-

12 Das Ästhetisch-Expressive wird so nicht in der Tabelle aufgeführt, von Habermas im Text aber immer wieder genannt. Paetzel merkt an, wie unsicher und vorsichtig Habermas mit seinen eigenen Begrifflichkeiten umgeht: Mal bezeichnet er den dritten Rationalitätsbereich als ästhetisch-expressiv (vgl. beispielsweise Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 481), mal als ästhetisch-praktisch (vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 17), dann ersetzt er expressiv durch evaluativ oder setzt diese Attribute gleich (vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 40); vgl. Paetzel 2001, S. 171f. 13 Vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 70f. Zum Problem des Geltungsanspruchs und Wahrheitsgehalts von Kunstwerken auch bei Habermas vgl. Albrecht Wellmer (1985b): »Wahrheit, Schein, Versöhnung. Adornos ästhetische Rettung der Modernität«, in: ders., Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 9-47. Wellmer, der Habermas' Thesen weiterentwickelt, versteht dessen sprachpragmatische Deutung der Kunstwahrheit als »Interferenzphänomen der verschiedenen Wahrheitsdimensionen.«, ebd., S. 31 (Hervorh. D.D.). 14 Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 41 (Hervorh. im Orig.). 15 Dass ästhetische Argumentationen durchaus normative Voraussetzungen und Implikationen haben, macht Jörg Zimmermann geltend, vgl. Jörg Zimmermann (1980): Sprachanalytische Ästhetik. Ein Überblick, Stuttgart/Bad Cannstatt: frommann-holzboog, S. 185; eine Publikation, auf die Habermas sogar selbst verweist – wenn auch auf eine andere Stelle, vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 70.

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heit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit erheben. Ästhetische Äußerungen, wie sie Habermas für »Dispute über Geschmacksfragen«16 formuliert, wären dann diejenigen, die über ein Kunstwerk gemacht werden können, das zuvor als Kunst ausgewiesen worden ist.17 Indem Habermas die Existenz ästhetischer Diskurse negiert, bringt er ästhetische Diskussionen um die rationale Dimension, die er ihr eigentlich zuführen wollte.18 Das Defizit ist grundsätzlicher Art: Nicht nur das Ästhetische, sondern alles, was nicht unter den Rationalitätsbegriff zu subsumieren ist, das heißt vor allem Emotionen und sinnliche Erfahrungen, bleibt in Habermas' Theorie des kommunikativen Handelns unterrepräsentiert – Dmitri N. Shalins zugespitzte Kritik lautet: »Rational discourse, correlatively, deals in ideas, concepts and reasons rather than in sentiments. The latter represent an inferior species of intelligence, in that they have limited generalizability, cannot be readily communicated, are inherently uncritical, and need to be edified by intellect.«19

Die Kunst und ihre Eigenständigkeit holt Habermas über die Kunstkritik wieder herein, indem er neben den drei Diskursformen zwei Typen von Kritik postuliert.20 Zum einen eine sogenannte therapeutische Kritik, zum ande-

16 Vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 70. 17 Mit dem Problem der Geltung von Kunst (bevor man sich folglich Geschmacksfragen überhaupt zuwenden kann) beschäftigt sich Martin Seel, der feststellt: »Die Validität der Kunst soll sich eben darin als eigener Modus der Geltung erweisen, daß sie von Haus aus kein eigener Modus der Geltung ist. Diese Paradoxie rührt bei Habermas daher, daß die Grundbegriffe der Theorie so angelegt sind, daß eigentlich nur die Wahl zwischen den beiden Gegenpositionen bleibt, die gerade vermieden werden sollen – Kunst als Ort einer höheren Wahrheit, Kunst als Ort der ekstatischen Entlastung von allen Erfordernissen der Geltung. […] Nicht allein in der älteren, auch in der jüngeren Kritischen Theorie, so ist man versucht zu sagen, verbleibt die Geltung der Kunst in einem strukturellen Exil.«, Martin Seel (1991): »Kunst, Wahrheit, Welterschließung«, in: Franz Koppe (Hg.) (1993), Perspektiven der Kunstphilosophie. Texte und Diskussionen, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 52. 18 Habermas merkt die Ähnlichkeit der ästhetischen Kritik zum praktischen und theoretischen Diskurs selbst an. Aber nur, um den Unterschied dann umso mehr zu betonen, vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 42 und 70 sowie Jürgen Habermas (1985d): »Exkurs zur Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur«, in: ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 243. Zur Kunstkritik weiter unten in diesem Abschnitt. 19 Dmitri N. Shalin (1992): »Critical Theory and the Pragmatist Challenge«, in: American Journal of Sociology, vol. 98, Nr. 2, S. 254. 20 Zimmermann bezweifelt die strikte Trennung von Diskurs und Kritik für alle Formen der Argumentation – auch moralische oder wissenschaftliche, vgl. Jörg

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ren eine ästhetische Kritik, die die vakante Stelle des ästhetischen Diskurses einnimmt.21 Zu dieser gehört die Kunstkritik, auf die er immer wieder zu sprechen kommt (so bereits im erwähnten Aufsatz zu Benjamin, der sich bekanntlich mit der Rolle von Kunstkritik auseinandergesetzt hat). Bei der Kunstkritik handelt es sich laut Habermas um eine »Übersetzungsleistung«.22 Es sind die Inhalte und Intentionen eines Kunstwerks, die von der Kunstkritik in eine »normale« Sprache übersetzt werden sollen, also in eine Sprache, die von allen, und nicht nur den Experten, verstanden wird. Die Kunstkritik vermittelt zwischen den Expertenkulturen und der Alltagswelt und erfüllt somit eine »Brückenfunktion« zwischen Kunst und Leben. Habermas entwickelt hier offensichtlich Überlegungen des amerikanischen Philosophen John Dewey weiter, der diesen Fragen bereits 1934 in Art as Experience nachgegangen ist. Dewey bleibt in der Theorie des kommunikativen Handelns bis auf eine zu vernachlässigende Ausnahme zwar unerwähnt; doch Habermas als Kenner des amerikanischen Pragmatismus hatte sicherlich Kenntnis von Deweys Einwand, dass sich die Kunst und der Erfahrungsalltag des Menschen zu sehr voneinander entfernt haben, eine Entfernung, die von einer Form von Kunstkritik wieder zu überwinden sei. Laut Habermas darf der enge Zusammenhang von Kunst(-produktion) und Kunstkritik nicht aufgehoben werden, da nur die Kunstkritik es ermöglicht, die Kunstrezeption durch eine kognitive Dimension zu erweitern.23 Indem Kunstkritik dem Laienrezipienten die Kunst erklärt, bietet sie ihm einen Zugang zur ästhetischen Erfahrung, die ihm aufgrund des (bereits bei Bourdieu gesehenen) wachsenden Abstands zwischen den Expertenkulturen und dem breiten Publikum zunehmend verschlossen bleibt.24 Das Innovationspotenzial von Kunst kann sich nur entfalten, wenn die Werke als »[…] authentischer Ausdruck einer exemplarischen Erfahrung, überhaupt als die Verkörperung eines Anspruchs auf Authentizität wahrgenommen werden können.«25 Die Kunstvermittlung führt zu dieser ästhetischen Wahrnehmung hin und ermöglicht damit die Rückkoppelung der kognitiven Potenziale von

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Zimmermann (1984): »Zur kritischen Funktion ästhetischer Rationalität«, in: Rudolf Haller (Hg.), Ästhetik. Akten des 8. Internationalen Wittgenstein Symposiums. 15. bis 21. August 1983, Kirchberg am Wechsel (Österreich), Band 1, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, S. 72-78, hier S. 73. Vgl. dazu wieder die Tabelle in Habermas (1981a) 1995, S. 45. Dieser und die nächsten beiden Ausdrücke in: Habermas 1985d, S. 244. Vgl. Jürgen Habermas (1980): »Die Moderne – ein unvollendetes Projekt«, in: ders. (1994), Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze, 3. Aufl., Leipzig: Reclam, S. 47. Vgl. Habermas (1980) 1994, S. 41, sowie Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 482. An dieser Stelle sei angemerkt, dass viele Formulierungen in unterschiedlichen Texten deckungsgleich wiederzufinden sind. Habermas (1981a) 1995, S. 41.

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Kunst an die Alltagspraxis:26 Kunst und Kunstkritik sind in der Lage, die »Renovation von Wertorientierungen«27 in die Wege zu leiten und dem Einzelnen die Welt zu erschließen, indem die Kunst für die Lebensformen und Lebensgeschichten des Einzelnen fruchtbar gemacht werden. Aus der Kunstkritik ergeben sich zwei Resultate: einerseits eine Demokratisierung von Kunst, indem die Kunstkritik die Rolle »des Anwalts für den Interpretationsbedarf des breiten Publikums«28 beansprucht. Andererseits wird die Kunstkritik Teil des Werkes, eine »produktive Ergänzung«, ganz so wie bei Bourdieu, bei dem die Kritik die artistische Konzeption aus dem Werk »herausschält« und damit das künstlerische Projekt konstituiert, »[…] indem er es beim Namen nennt und insofern herausfordert, der kritischen Besprechung zu entsprechen.«29 Diese Form von (auch Benjaminisch zu verstehender) Kunstkritik kann eine laut Habermas objektiv bestehende »innere Logik« des Kunstwerks versprachlichen: »There is an unmistakable indicator for the fact that a certain type of ›knowing‹ is objectified in art works […]: these objectivations of mind are also fallible and hence criticizable. Art criticism arose at the same time as the autonomous work of art; and since then the insight has established itself that the work of art calls for interpretation, evaluation and even ›languistification‹ (Versprachlichung) of its semantic content. […] As distinct from merely subjective preference, the fact that we link judgments of taste to a criticizable claim presupposes non-arbitrary standards for the judgment of art.«30

Kunstkritik arbeitet bei Habermas demzufolge maßgeblich mit Sprache und wird durch Sprache geprägt. Diese konsequente Koppelung von Kunstkritik und Sprache weist allerdings ein erhebliches Problem auf: An keiner Stelle deutet Habermas an, dass die Übersetzungsleistung der Kunstkritik auch scheitern könnte. Gerade im Bereich der bildenden Kunst hat es die Kunstkritik mit Artefakten zu tun, die nicht sprachlicher Natur sind. So entziehen sich Kunstwerke oftmals der sprachlichen Vermittlung, weil sie etwas dar-

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Vgl. Habermas (1980) 1994, S. 51. Vgl. Habermas 1985d, S. 244. Diese und die nächste Formulierung in: Habermas (1980) 1994, S. 49. Bourdieu (1966b) 1997, S. 94. Jürgen Habermas (1985b): »Questions and Counterquestions«, in: Richard J. Bernstein (Hg.), Habermas and Modernity, Cambridge: Polity Press und Oxford: Basil Blackwell, S. 200. Die Tatsache, dass es bei Habermas nicht-beliebige Standards für Kunsturteile gibt, die nicht dem rein subjektiven Geschmack zuzurechnen sind, weist hier doch in Richtung einer ästhetischen Rationalität. Diese Objektivierung von Geschmacksfragen wird von Bourdieu, wie gesehen, kritisiert als typischer Habitus der herrschenden Klasse – dazu mehr weiter unten in der Fußnote 34. Habermas reagiert im zitierten Abschnitt von »Questions and Counterquestions« übrigens auf den bereits erwähnten Text von Martin Jay.

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stellen, das in der präsentierten Form für das Unsagbare, das Unausgesprochene steht (mit diesem Aspekt von Kunstwerken setzen sich die Theoretiker des folgenden Kapitels auseinander). Das Problem einer unmöglichen Vermittlung lässt sich nicht umgehen, aber von der Kunstkritik zumindest thematisieren. Diese Reflexion bezüglich der eigenen Möglichkeiten als versprachlichte Übersetzung von ›sprachlosen‹ Kunstwerken findet bei Habermas nicht statt.31 So geht bei ihm diese spezifische Besonderheit von Kunst verloren, die auch in einer Ausarbeitung des ästhetisch-expressiven Diskurses interessante Möglichkeiten für den herrschaftsfreien Diskurs überhaupt hätte bieten können. Habermas räumt selbst mit einem Hinweis auf Jörg Zimmermann ein, dass Kunstkritik das Vorbild für die Diskussion von Wertstandards abgibt,32 womit die Möglichkeit bestünde, an Kunstdisputen die Entstehung von Werten zu studieren, was letztendlich zu politischen Fragen führen kann (eine Auffassung, die auch Nathalie Heinich vertritt33). Zusätzlich stellt sich die Frage, wer die Kompetenz zur Kunstkritik innehat. Da es sich um Vermittler zwischen den Kunstwerken und dem Laienpublikum handelt, wäre anzunehmen, dass es sich um die Experten handelt, denen einerseits die Kunstwerke zugänglich sind, andererseits die Sprache des Laienpublikums nicht fremd ist.34 Dies würde Bestätigung in der real existierenden Kunstkritik finden, die größtenteils von Kunsthistorikern und Kunsttheoretikern betrieben wird, deren Aufgabe es ist, argumentativ und sachlich an Kunstwerke heranzuführen. Ganz anders jedoch Habermas: Die Experten eignen sich nicht zur Vermittlung zwischen Werk und Betrachter. Diese Fachleute institutionalisieren die Kunstproduktion und Kunstkritik,

31 Im Gegenteil zu Adorno, bei dem der stumme Sprachcharakter aller Kunst ein wichtiges Thema ist. Erst, als Habermas selbst zum Kunstkritiker wird, in seinem Text zu Scully von 2003, deutet er dieses Problem an. Dazu mehr weiter unten, in der Fußnote 76. 32 Vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 70; Zimmermann 1980, S. 145ff. 33 Exemplarisch ausgeführt in den abschließenden Bemerkungen in: Heinich 2005, S. 347-351. 34 Es wird bei Habermas nicht eindeutig ersichtlich, woher diese Fähigkeit zum Verständnis von Kunst kommt und wie sie entsteht. Das Aufstellen von Expertenkulturen und die Definition von Kritikern als fachlich geschulten Rezipienten (vgl. Habermas (1980) 1994, S. 49) legt die Vermutung nahe, dass diese Fähigkeit erlernt werden kann, was sich mit Bourdieus Thesen zur Genese des Kunstverständnisses über den Habitus zumindest teilweise deckt. Gleichzeitig ist jedoch auffällig, wie sehr Habermas auf das Konzept eines ›Laienpublikums‹, dem die Kunstwerke verständlich gemacht werden müssen, insistiert. Es wirkt, als entmündige Habermas hier den Laienbetrachter in seiner Kunsterfahrung, was wieder auf die Bourdieusche Dichotomie von ›distinguierter‹ und ›vulgärer‹ Kunstrezeption hinweist. Zusätzlich scheint Habermas der Kunst abzusprechen, sich möglicherweise selbst verständlich zu machen.

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was ihre Übersetzung für und in die Alltagspraxis nicht ohne Weiteres ermöglicht.35 Kunstkritik soll vielmehr von der Philosophie geleistet werden.36 Dieser vertraut Habermas grundlegend die Aufgabe an, vermittelnd zu wirken und Interpretationsarbeit zu leisten: »[Die Philosophie] könnte mindestens dabei helfen, das stillgestellte Zusammenspiel des Kognitiv-Instrumentellen mit dem Moralisch-Praktischen und dem ÄsthetischExpressiven wie ein Mobile, das sich hartnäckig verhakt hat, wieder in Bewegung zu setzen. Wenigstens läßt sich das Problem bezeichnen, vor dem eine Philosophie stehen wird, wenn sie die Rolle des kulturinspizierenden Richters zugunsten der eines vermittelnden Interpreten aufgibt. Wie können die als Expertenkulturen eingekapselten Sphären der Wissenschaft, der Moral und der Kunst geöffnet und, ohne daß deren eigensinnige Rationalität verletzt würde, so an die verarmten Traditionen der Lebenswelt angeschlossen werden, daß sich die auseinandergetretenen Momente der Vernunft in der kommunikativen Alltagspraxis zu einem neuen Gleichgewicht zusammenfinden?«37

Die Vermutung, dass mit dem Philosophen, der vermittelnd und interpretierend zwischen Wissenschaft, Moral und Kunst agiert, auch der Sozialphilosoph Habermas selbst gemeint sein könnte, liegt nahe, und tatsächlich findet sich ein solcher ›kunstkritischer‹ Text in Habermas' Besprechung des irischamerikanischen Malers Scully. Um auf diesen Text eingehen zu können, muss zuvor der Begriff der Lebenswelt bei Habermas geklärt werden, der eng mit dem Autonomiestatus der Kunst verbunden ist und den Blick auf die Situation zeitgenössischer Kunst bei Habermas freigibt. 2.2. Kunst und Lebenswelt Habermas komplementiert seine Theorie des kommunikativen Handelns durch das (von Edmund Husserl eingeführte) Konzept der Lebenswelt, mit dem er die Frage beantwortet, was mit jenen im Diskursverfahren getroffe-

35 Vgl. Habermas (1980) 1994, S. 41. 36 Vgl. ebd., S. 44. Zum selben Schluss kommt auch Konrad Ott (1998): »Jürgen Habermas«, in: Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hg.), Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 349: »Der Kunstkritiker ist daher weniger der gelehrte Kunsthistoriker, sondern eher der ästhetisch sensible Intellektuelle und Grenzgänger.« 37 Jürgen Habermas (1981b): »Die Philosophie als Platzhalter und Interpret«, in: ders. (1988), Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 3. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 26. Möglicherweise ist hier der Grund dafür zu suchen, dass Dewey bei Habermas lediglich unerwähnt im Hintergrund bleibt, denn Dewey spricht gerade den Kunstphilosophen die Befähigung zu dieser Form von Vermittlung ab.

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nen Konsensen geschieht, auf die in späteren Diskursen oder durch folgende Generationen zurückgegriffen wird, ohne sie neu auszuhandeln. Habermas ist davon überzeugt, dass sich diese Hintergrundüberzeugungen (gesellschaftliche Normen, moralische Überzeugungen, kulturelle Selbstverständlichkeiten) in der Sprache nicht nur, wie gesehen, konstituieren, sondern auch konservieren.38 Kommunikatives Handeln spielt sich innerhalb dieser Lebenswelt ab. »[Es] ist ein implizites Wissen, […] ein holistisch strukturiertes Wissen, dessen Elemente aufeinander verweisen; und es ist ein Wissen, das uns insofern nicht zur Disposition steht, als wir es nicht nach Wunsch bewußt machen und in Zweifel ziehen können.«39 Die Betonung des Impliziten, des Unbewussten des lebensweltlichen Hintergrundwissens, macht es mit Bourdieus Habitus-Konzept vergleichbar. Beide sind strukturierte und strukturierende Prinzipien, die Handlungen anleiten. Der wichtige Unterschied besteht darin, dass die Lebenswelt von allen geteilt wird, der Habitus jedoch je nach eigener Lebensgeschichte und nicht zuletzt nach Klassenzugehörigkeit für jeden ein anderer ist. In der Moderne, so Habermas, heben sich mehrere Wertsphären von der Lebenswelt ab. Es handelt sich dabei um einen Entkoppelungsprozess aufgrund von Komplexitätssteigerung. Wissenschaft, Moral und Kunst erfahren eine fortschreitende Autonomisierung, differenzieren sich aus und folgen einer inneren Eigengesetzlichkeit. Dieser Rationalisierungsprozess, den Habermas von Max Weber übernommen hat, entspricht für den Bereich der Kunst dem Autonomisierungsprozess bei Bourdieu: Der Kunstbetrieb wird institutionalisiert und von einem neuen Kunstverständnis geprägt. »Als modern gilt nun […] das Neue.«40 Wie Bourdieu beschreibt Habermas die Entwicklung des L'art pour l'art, das ermöglicht, den »Eigensinn des Ästhetischen zum Vorsatz werden« zu lassen.41 Damit kommt es auch bei Habermas zu einer Form-Inhalt-Trennung, die die Kunstkritik notwendig macht. Kunstkritik wird daher als Moment der Ausdifferenzierung selbst verstanden.42 Ab einer bestimmten Stufe der Ausdifferenzierung spricht Habermas von Systemen, womit er den Versuch unternimmt, Handlungstheorien und Systemtheorien zusammenzubringen43 – ähnlich der Geste Bourdieus, mit

38 Vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 107f. und Bd. 2, S. 190f. 39 Habermas (1981a) 1995, Bd. 1, S. 451 (Hervorh. im Orig.). 40 Habermas (1980) 1994, S. 34. Dass das Paradigma des »Neuen« in der Kunst wesentlich mit der Autonomisierung der Kunst von Kirche und Staat einhergeht, beschreibt auch Heinich 1998a. Zur Ausdifferenzierung des Systems Kunst siehe mehr bei Luhmann. 41 Habermas (1980) 1994, S. 43. 42 In Bezug auf die Literaturkritik vgl. Habermas 1985d, S. 243. 43 In der Theorie des kommunikativen Handelns widmet er Talcott Parsons ein ganzes Kapitel. Aus der Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann entstand Jürgen Habermas/Niklas Luhmann (1971a): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechno-

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der dieser Handlungs- und strukturalistische Theorien zusammenfügt. Die Dichotomie von Lebenswelt und System, die zusammen die Gesellschaft darstellen, zeigt, dass es in der Theorie des kommunikativen Handelns zwar kein agonistisches, aber doch ein dualistisches Prinzip gibt, das Spannungen verursacht. Habermas spricht von einem Differenzierungsvorgang zweiter Ordnung, in dem sich System und Lebenswelt in sich und voneinander aufgrund des stetigen Zuwachses von Komplexität bzw. Rationalität differenzieren, bis sie sich voneinander entkoppeln.44 Diese historische Entkoppelung erfolgt über Kommunikationsmedien (Schrift, Druckpresse, elektronische Medien) und Steuerungsmedien (Macht und Geld): »Gesellschaftliche Subsysteme, die über solche Medien ausdifferenziert werden, können sich gegenüber einer in die Systemumwelt abgedrängten Lebenswelt selbständig machen.«45 Habermas sieht also die Gefahr einer Eigendynamik: Die Technisierung der Lebenswelt kann soweit führen, dass es zwischen System und Lebenswelt zu Konflikten kommt. Diese bezeichnet er als Kolonialisierung der Lebenswelt.46 Habermas konstatiert – wieder unter Rückgriff auf die Theoretiker der Frankfurter Schule – mit der Ausbreitung von Zweckrationalität eine Verdinglichung der Lebenswelt, die ihre kulturelle Verarmung zur Folge hat: »Die Lebenswelt wird an verrechtlichte, formal organisierte Handlungsbereiche assimiliert und gleichzeitig vom Zufluß einer ungebrochenen kulturellen Überlieferung abgeschnitten. So verbinden sich in den Deformationen der Alltagspraxis die Erstarrungs- mit den Verödungssymptomen.«47

Wie in Webers Bürokratisierungsthese, an die Habermas hier ebenfalls anschließt, lautet das Resultat Sinn- und Freiheitsverlust. Für den Bereich der Kunst hat das zwei eng miteinander zusammenhängende Konsequenzen. Kunst und Lebenswelt finden immer weniger zueinander, es kommt zu einem »Absterben vitaler Überlieferungen«.48 Die ge-

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logie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp – dazu mehr im Kapitel zu Luhmann. Vgl. Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 230. Ebd., S. 273. Mit diesem Konzept wird wieder einer der zentralen Unterschiede zu Luhmann deutlich, dessen Forschungsarbeit keine normative Basis in den Werten der Aufklärung sucht, während Erkenntnis für Habermas kein Selbstzweck ist, sondern orientiert ist am Ideal der herrschaftsfreien Gesellschaft. Das wertende Urteil bezüglich der von Habermas konstatierten Kolonialisierung der Lebenswelt lässt dies klar erkennen und weist Ähnlichkeiten mit der Forschungshaltung von Bourdieu auf – denn beide führen die (marxistisch-)kritische Tradition fort und entwickeln sie weiter. Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 483. Ebd.

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kappte Verbindung zwischen Kunst und Lebenswelt wird am Eindringen ökonomischer und technischer Rationalität in die Sphäre der Kunst deutlich. Anders formuliert beschreibt Habermas, wie die Kunst von wirtschaftlichen und administrativen Systemzwängen vereinnahmt wird – eine Form von Kolonialisierung der Sphäre der Kunst. Es ist davon auszugehen, so Habermas, dass »[…] die kapitalistische Modernisierung einem Muster folgt, demzufolge die kognitiv-instrumentelle Rationalität über die Bereiche von Ökonomie und Staat hinaus in andere, kommunikativ strukturierte Lebensbereiche eindringt und dort auf Kosten moralisch-praktischer und ästhetisch-praktischer Rationalität Vorrang erhält, und daß dadurch in der symbolischen Reproduktion der Lebenswelt Störungen hervorgerufen werden.«49

Diese Störungen, die Habermas an anderer Stelle als Lebenswelt- oder Sozialpathologien bezeichnet,50 entstehen unter anderem durch Profitinteressen, deren Einflussnahme auf kulturelle Sphären sowohl Adorno und Horkheimer als auch Bourdieu beschrieben haben. Habermas konstatiert und kritisiert diese unverhältnismäßige Entkoppelung der Sphäre der Kunst zu Beginn der 1980er Jahre, in denen die Ökonomisierung des Kunstbetriebs gerade erst ins Bewusstsein rückte51 und sich im Laufe der Jahre weiter verstärkte. Das unterscheidet ihn maßgeblich von Adorno, der zusammen mit Horkheimer zwar dieselbe Beobachtung für die Kulturindustrie machte, in den authentischen Werken einer autonomen (Hoch-)Kunst aber noch den Gegenpol sah, der von dieser Entwicklung unberührt blieb. Es mag einigermaßen erstaunen, dass Habermas in seiner Rede aus Anlass zur Verleihung des Adorno-Preises 1980 (»Die Moderne – ein unvollendetes Projekt«), in dem Text aus seiner Feder, der sich am ausführlichsten mit Kunst auseinandersetzt, nicht auf Kunstwerke oder Kunstrichtungen eingeht, in denen diese neue Form von Ökonomisierung ersichtlich wäre. Der Aufsatz ist hingegen als Kritik an den klassischen Avantgardebewegungen des Dadaismus, aber vor allem des Surrealismus zu lesen. Darin erörtert Habermas, inwiefern er das Projekt der Moderne fortgeführt wissen will. Für die Sphäre der Kunst bedeutet das, sie »unbeirrt«52 in ihrer Autonomie, in ihrem »Eigensinn« zu entwickeln. Das heißt einerseits, die Kolonialisierung der Kunst durch Systemmedien zu verhindern suchen

49 Ebd., S. 451. 50 Vgl. beispielsweise ebd., S. 452. 51 Mit der Pop-Art wurde Kunst zum ersten Mal als Ware erkennbar. Andy Warhol formulierte dies so: »Geld zu verdienen ist Kunst und arbeiten ist Kunst und gute Geschäfte zu machen ist die größte Kunst.«, zitiert in: Klaus Honnef (2006): Andy Warhol 1928-1987. Kunst als Kommerz, Köln: Benedikt Taschen Verlag, S. 30. Zu Warhol mehr im Kapitel zu Baudrillard. 52 Dieser und der nächste Ausdruck in: Habermas (1980) 1994, S. 42.

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und andererseits, auch die vollständige Aufhebung von Kunst in Alltagspraxis abzulehnen. Da sich die Kunst der Moderne jedoch immer mehr vom Leben entfernt hat und diese Trennung schmerzlich bewusst wurde,53 provozierte dies, laut Habermas, die surrealistische Revolte, die bestrebt war, die Kunst wieder dem Leben zuzuführen. Für Habermas stellt die surrealistische Bewegung den Versuch dar, »das Programm der Aufklärung in das der Aufhebung umschlagen«54 zu lassen. Habermas bezeichnet dies als falsche Aufhebung von Kultur, die als gescheitert zu betrachten sei.55 In einer vehementen Kritik bezeichnet er die Versuche »[…] den Unterschied zwischen Artefakt und Gebrauchsgegenstand, zwischen Produziertem und Vorgefundenem […] zu beseitigen; die Versuche, alles als Kunst und jeden zum Künstler zu deklarieren […] als Nonsense-Experimente […]«.56 Schon früh merkt Habermas an anderer Stelle an, dass Kunst »[…] nicht den surrealistischen Imperativ vollziehen und entsublimiert ins Leben übertreten [darf]. Nur als Kunst kann sie ihr radikales Potential ausdrücken.«57

53 Vgl. ebd., S. 46. 54 Ebd., S. 48. 55 Diese Interpretation stützt sich auf dieselbe These bei Peter Bürger: »Die Avantgarde intendiert die Aufhebung der autonomen Kunst im Sinne einer Überführung der Kunst in Lebenspraxis. Diese hat nicht stattgefunden und kann wohl auch innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft nicht stattfinden, es sei denn in der Form der falschen Aufhebung der autonomen Kunst.« in: Peter Bürger (1974): Theorie der Avantgarde, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 72f. (Hervorh. D.D.). Habermas verweist explizit auf Bürger, vgl. Habermas (1980) 1994, S. 37. Dabei scheint ihm der Unterschied zwischen ihm und Bürger zu entgehen: Denn Habermas lehnt das Projekt der Surrealisten, so wie er es versteht, nicht vollständig ab: »Ich teile Adornos Vorbehalt gegen die Massenkultur, gegen Benjamins voreilige Hoffnung auf deren ›profane Erleuchtungen‹ nur insoweit, als die Fusion von Hoch- und Trivialkultur bisher ihr programmatisches Ziel verfehlt. Die entsublimierte Massenkunst greift ja nicht etwa verändernd, erhellend und befreiend in die kapitalistisch verdinglichten, konsumistisch-bürokratisch verformten und entstellten Lebensformen ein, sondern befördert ihrerseits diese Tendenzen. Nicht die Hoffnung der Surrealisten war falsch, sondern der Weg, die Aufhebung des ästhetischen Scheins, war kontraproduktiv.«, Jürgen Habermas (1985a): »Ein Interview mit der New Left Review«, in: ders., Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 240. Vgl. auch weiter unten die Fußnote 57. 56 Habermas (1980) 1994, S. 46. 57 Jürgen Habermas (1973): »Über Kunst und Revolution«, in: ders. (1987), Philosophisch-politische Profile, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 261 (Hervorh. im Orig.). In diesem Text setzt sich Habermas mit Herbert Marcuse auseinander. – Vgl. weiter oben die Fußnote 55: ›Entsublimiert‹ ins Leben übertreten zu wollen war demnach der falsche Weg der surrealistischen Kunst.

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Demgegenüber macht Peter Kiwitz jedoch zu Recht geltend, dass Habermas die surrealistische Bewegung fehlinterpretiert hat: Statt einer Aufhebung, so Kiwitz, ging es dem Surrealismus um die Verschränkung von Alltagsleben und Kunst.58 Bei Habermas jedoch stellt der Surrealismus das Existenzrecht von Kunst überhaupt infrage.59 Dieses radikale Verschwinden der Differenzen hält Kiwitz prinzipiell für kaum möglich. Er versteht die surrealistische Bewegung als Versuch, »[…] das kreative Potential der Dinge zu erkunden und jeden einzelnen zur kreativen Tätigkeit anzuregen.«60 Die von Kiwitz angeregte Integration dieser Form von verallgemeinerten Kreativität kann als die von Habermas eingeforderte Rückkoppelung der Kunst und Lebenswelt betrachtet werden – was die von Habermas kritisierte surrealistische Bewegung in ein gänzlich anderes Licht rückt. Nimmt man jedoch an, dass die versuchte Aufhebung von Kunst von den Surrealisten tatsächlich intendiert war, und sie in der Folge auch als falsch und gescheitert zu bewerten ist, muss dennoch gefragt werden, welche Auswirkungen die Readymades von Duchamp (Produkte des vermeintlich beseitigten Unterschiedes ›zwischen Artefakt und Gebrauchsgegenstand‹) und die objets trouvés der Surrealisten (Produkte des vermeintlich beseitigten Unterschiedes ›zwischen Produziertem und Vorgefundenem‹) auf die Kunst hatten. Folgerichtig fragt Peter Bürger in einer Antwort auf Habermas' AdornoRede, welche Bedeutung die avantgardistischen Bewegungen für die Geschichte der Kunst hatten und kommt selbst zu dem Schluss, dass ihre Errungenschaften historisch waren: »Even the failure of the demand for sublation should not be regarded as a mistake without results. On the contrary. If it is possible today to think about free productivity for everyone, then it is certainly due to the fact that the avant-gardists questioned the legitimacy of the term ›great art work‹.«61

Bürger wertet dies letztendlich doch als positiv, da die ›Attacke‹ auf das autonome Kunstwerk zwar auch in seinen Augen gescheitert ist, gleichzeitig aber die Möglichkeit eröffnet hat, die Grenzen einer reinen Ästhetik der Autonomie zu überwinden. Habermas selbst stellt sich weniger die Frage nach der Bedeutung der falschen Aufhebung von Kultur als vielmehr die, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Er nennt zwei Alternativen für das »Kurieren«62 der

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Vgl. Kiwitz 1986, S. 41. Vgl. Habermas (1980) 1994, S. 46. Kiwitz 1986, S. 30. Peter Bürger (1981): »Avant-garde and Contemporary Aesthetics: A Reply to Jürgen Habermas«, in: New German Critique, Nr. 22, S. 22. 62 Vgl. Habermas (1980) 1994, S. 48.

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verdinglichten Alltagspraxis. Einmal die Kunstrezeption63 bzw. die Kunstkritik, die dem Laien ermöglicht, das jeweilige Kunstwerk auf seine Lebensprobleme zu beziehen und dadurch das kognitive Potenzial der Kunst für sich auszuschöpfen. Habermas spricht von einer »explorative[n], lebensorientierende[n] Kraft, die von der Begegnung mit einem großen [sic!] Gemälde […] ausgehen kann […]«.64 Zum zweiten ist aus dem Text die Forderung nach einer Rückkehr »zum Ganzen«, zu einer Einheit herauszulesen, die die moderne Kunst laut Habermas eigentlich auszeichnet.65 An anderer Stelle umschreibt er die als diese Einheit zu deutende »[…] Idee eines freien Zusammenspiels des Kognitiv-Instrumentellen mit dem Moralisch-Praktischen und dem Ästhetisch-Expressiven in einer Alltagspraxis, in der sich kognitive Deutungen, moralische Erwartungen, Expressionen und Wertungen auf eine ungehemmte und ausgeglichene Weise müssen durchdringen können.«66

Die Formulierung erinnert stark an die Bedingungen von kommunikativem Handeln, in dem die gegenseitige Anerkennung, das Streben nach Konsens und der »zwanglose Zwang« (des besseren Arguments) Voraussetzung sind. Da Habermas die historischen Avantgardebewegungen ablehnt, aber eine Fortführung des Projekts der Moderne fordert, stellt sich die Frage, welche Art von Kunst dazu in der Lage ist. Eine Realisierung des Projekts der Moderne sieht Habermas in den Werken des Malers Sean Scully (*1945). Scully malt großformatige, abstrakte Gemälde, deren Leinwände in rechteckige Farbfelder eingeteilt sind, die mal horizontal, mal vertikal ausgerichtet und von unterschiedlicher Größe und Farbe sind. Die vorwiegend satten Farben bleiben gedeckt: dunkles Rot, Schwarz, erdiges Braun und schmutziges Weiß dominieren. Die strenge Geometrie wird nur durch die Unschärfen zwischen den Rechtecken bzw. Streifen unterbrochen, die den Pinselduktus sichtbar werden lassen. Der Abstraktion werden konkrete Titel entgegengesetzt, die bestimmte Menschen oder konkrete Orte und Gegenstände evozie-

63 Wieder sticht die vorsichtige Formulierung von Habermas ins Auge: »Vielleicht läßt sich am Beispiel der Kunstrezeption ein Ausweg aus den Aporien der kulturellen Moderne wenigstens andeuten.« in: Habermas (1980) 1994, S. 49 (1. Hervorh. D.D., 2. Hervorh. im Orig.). 64 Ebd., S. 50. Habermas bezieht sich im Folgenden auf den Schriftsteller und Künstler Peter Weiss. 65 Vgl. ebd., S. 46. 66 Jürgen Habermas (1986): »Entgegnung«, in: Axel Honneth/Hans Joas (Hg.) ([1986] 2002), Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas' ›Theorie des kommunikativen Handelns‹, 3. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 342 (Hervorh. im Orig.). Von einer Vermittlung der Vernunftmomente Wissenschaft, Moral und Kunst im Sinne einer Einheit spricht Habermas auch in: Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 585.

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ren: Catherine heißt eine ganze Serie der 1980er und 1990er Jahre, die er seiner Frau widmet, andere heißen Red Bridge (2002), Sea Wall (2002) oder Mirrors, eine seit den 1980er Jahren fortdauernde Serie (siehe Abbildung 2). Mit dieser Serie beginnt Habermas seinen Text zu Scully. Habermas schreibt: »Scully erteilt dem Experimentieren mit den selbstverzehrenden Zweifeln an der Fortsetzungsfähigkeit der Moderne eine Absage. Er ist ein Traditionalist der Moderne.«67 Wie in seinen früheren Texten bedeutet das einerseits die Ablehnung des Surrealismus und anderer Avantgardebewegungen, andererseits die Ablehnung eines ›falschen‹ Überschreitens der Kunst in das Leben. Zwischen den Zeilen finden sich Absagen an zeitgenössische Kunst: Der »Schuhkarton, der das Serienprodukt eines Schuhkartons noch einmal reproduziert«68 und sich wahrscheinlich auf Andy Warhol bezieht, wird als negatives Beispiel für die falsche Aufhebung von Kunst genannt. Über Habermas' Darstellung von Scully als einem sich »den seit den 60er Jahren einsetzenden Tendenzen zur Auflösung der klassischen Moderne, zur Überschreitung ihrer Grenzen«69 widersetzenden Maler, darf und muss angenommen werden, dass Habermas einer bestimmten Form von zeitgenössischer Kunst gänzlich kritisch gegenübersteht. Die Formulierung »[modische] Gesten der Beliebigkeit«70 und »marktkonform [glitzernde] Medienkunst«71 lassen daran keinen Zweifel. Habermas stellt klar heraus, was nicht zu der von ihm favorisierten, fortzuführenden Moderne gehört; unklar bleibt, wie diese traditionelle Moderne zu definieren ist. An einer Stelle merkt Habermas an: »Traditionell ist die Weigerung, den Bildrand aufzulösen […].«72 Scullys Festhalten am klassischen Tafelbild interpretiert Habermas positiv, da er dadurch erkennbar nicht versuche, die »Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit aufzuheben«.73 Habermas scheint dabei allerdings zu entgehen, dass in der Kunst der Bildrand nicht allein darüber entscheidet, ob das Werk nach einer Entdifferenzierung von Kunst und Leben strebt oder nicht. Gerade der abstrakten Kunst, zu der Scully zu zählen ist, war und ist auch daran gelegen, innerhalb des Bildrands das Bild als Bild zu thematisieren, also als Objekt aus der Alltagspraxis. Die Sicherheit, mit der Habermas Scullys Arbeiten mit der klassischen Moderne in Zusammenhang bringt, mit Matisse, Mondrian und Rothko, begründet sich in den »sachlich aufschlussreichen Kommentaren des Malers

67 Jürgen Habermas (2003): »Eine zur Tradition gewordene Moderne. Glossen und Assoziationen«, in: Riitta Valorinta (Hg.), Sean Scully, Ausstellungskatalog, Tampere: Sara Hildén Kunstmuseum, S. 68. 68 Ebd., S. 69. 69 Ebd., S. 69. 70 Ebd., S. 71. 71 Ebd., S. 69. 72 Ebd., S. 69. 73 Ebd., S. 69.

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zu seinen Werken«,74 die genau dem Habermasschen Vokabular entsprechen.75 Damit muss er zur Übersetzung der Kunst in die Sprache des Laienrezipienten schließlich doch auf ein Wissen zurückgreifen, für dessen Erarbeitung eigentlich die Experten verantwortlich sind, denen Habermas die Eignung zur Kunstkritik abspricht. Denn Scullys Bilder-Serien und Wiederholungen innerhalb der Bildflächen würden auch eine werkimmanente Interpretation der Arbeiten als Ausdruck einer postmodernen Kunst erlauben (siehe dazu den Exkurs im Kapitel IV).76 Habermas hat seine Einstellung gegenüber einer postmodernen Kunst, gegenüber der Postmoderne überhaupt, früh am Beispiel der Architektur erläutert.77 Auch hier wird das Leitmotiv von Habermas, die angebliche Verabschiedung der Moderne erstens kritisch einzuschätzen und zweitens als ein von vornherein zu scheiterndes Unterfangen einzustufen, erkennbar. In Bezug auf eine post- oder nachmoderne Architektur geht Habermas von folgender Annahme aus: »Mit diesem ›nach‹ wollen sich die Protagonisten von einer Vergangenheit absetzen; […] Solche Gesten der eilfertigen Verabschiedung passen zu Perioden des Übergangs.«78 Positiv hingegen bewertet Habermas die moderne Architektur (im entsprechenden Text »Moderne und postmoderne Architektur« ein Synonym für Vertreter des Internationalen Stils): »Allein diese Baukunst ist dem Geist der Avantgarde entsprungen, ist der avantgardistischen Malerei, Musik und Literatur unseres Jahrhunderts

74 Ebd., S. 67. 75 Nachzulesen beispielsweise in: Martin Tschechne (1998): »Sean Scully. Strenge Form, große Gefühle«, in: art - das Kunstmagazin, Nr. 7, Juli, S. 16-27. 76 Wie weiter oben in der Fußnote 31 bereits angedeutet, kommt Habermas in diesem im Vergleich sehr neuen Text nun doch auf die Stummheit und Unübersetzbarkeit von Kunstwerken zu sprechen. Habermas betrachtet diese als provokante Herausforderung, die Übersetzung dennoch zu versuchen. »Man muss doch etwas dazu sagen, auch wenn man weiß, dass es nicht ganz gelingen kann.«, Habermas 2003, S. 71. 77 Auch die Adorno-Rede ist als Angriff auf die Postmoderne zu verstehen, die er dort als Antimoderne bezeichnet und an deren Ende er einige ihrer Vertreter, namentlich zum Beispiel Foucault und Derrida, als »Jungkonservative« kritisiert, vgl. Habermas (1980) 1994, S. 52. 78 Jürgen Habermas (1981/1982): »Moderne und postmoderne Architektur«, in: ders. (1994), Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze, 3. Aufl., Leipzig: Reclam, S. 55. Demgegenüber versteht Wolfgang Welsch die Postmoderne eben nicht als Verabschiedung der Moderne, sondern als Fortführung »unter anderen Vorzeichen«: »Der Überblick über den Begriff zeigt, daß die Postmoderne das gerade nicht ist, was ihr geläufigstes Mißverständnis unterstellt: eine Anti-Moderne und Trans-Moderne.« in: Wolfgang Welsch (2002): Unsere postmoderne Moderne, 6. Aufl., Berlin: Akademie Verlag, S. 43 (siehe hierzu auch den Exkurs im Kapitel IV).

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ebenbürtig.«79 Was hier auffällt, ist die alles andere als negative Konnotation des Begriffs Avantgarde. Sie lässt deutlich erkennen, dass Habermas avantgardistische Bewegungen nur dann als ›falsch‹ bezeichnet, wenn sie, wie seiner Auffassung nach der Dadaismus und Surrealismus, die Entgrenzung der Malerei betreiben – eine Beurteilung, die er zwei Jahrzehnte später im Scully-Text wieder aufnimmt. Der Avantgarde-Begriff muss bei Habermas somit stets mit Vorsicht betrachtet werden.80 Bevor im folgenden Abschnitt Habermas' Gegnerschaft zur Postmoderne näher erläutert wird und damit bereits ein Übergang zu Kapitel IV formuliert wird, soll zunächst seine Position zur (zeitgenössischen) Kunst kurz zusammengefasst werden. 2.3. Kunst als Vermittlung In seiner Untersuchung Habermas and Aesthetics unternimmt Pieter Duvenage eine Einteilung von Habermas' Kunstäußerungen in zwei Phasen: Eine erste, in der Kunst eine wichtige Rolle für die Gesellschaft spielt und vielfache Potenziale innehat, zum Ideal der herrschaftsfreien Gesellschaft beizutragen. Eine zweite Phase, in der Habermas die Sphäre der Kunst vernachlässigt und ihre mögliche Wirkkraft auf die Gesellschaft reduziert.81 Diese Einteilung ist allerdings eine primär chronologische und lässt sich inhaltlich in dieser Form nicht aufrechterhalten. Habermas orientiert sich in allen sei-

79 Habermas (1981/1982) 1994, S. 60. 80 In diesem Zusammenhang ist auch darauf aufmerksam zu machen, dass Habermas die ›Postavantgarde‹ nicht, wie vielleicht anzunehmen wäre, mit der Postmoderne gleichsetzt, was sich in folgender Passage zeigt, in der er die Postavantgarde nicht grundsätzlich kritisch betrachtet – ganz im Gegenteil: »Die postavantgardistische Kunst schließlich ist charakterisiert durch die Gleichzeitigkeit von realistischen und politisch engagierten Richtungen mit authentischen Fortsetzungen jener klassischen Moderne, die den Eigensinn des Ästhetischen herauspräpariert hatte. Mit realistischer und engagierter Kunst kommen auf dem Niveau des Formenreichtums, den die Avantgarde freigesetzt hat, wiederum Momente des Kognitiven und des Moralisch-Praktischen in der Kunst selbst zum Zuge. Es scheint so, als ob in solchen Gegenbewegungen die radikal ausdifferenzierten Vernunftmomente auf eine Einheit verweisen wollten […].«, Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 586. Dieselbe Passage findet sich in Habermas (1981b) 1988, S. 25f., wo er am Anfang allerdings von der »merkwürdigen« Gleichzeitigkeit verschiedener Richtungen innerhalb der Postavantgarde spricht. Mit der Vielfältigkeit von Kunst hat der Theoretiker, der auf Einheit setzt, offensichtlich seine Schwierigkeiten. Ingram resümiert in Bezug auf Habermas' Kunstverständnis: »[I]t obviously resonates more strongly with the reconciliatory positivity of romantic idealism than with the explosive negativity of modern realism.«, Ingram 1990, S. 360. 81 Vgl. den Aufbau der Kapitel in Duvenage 2003.

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nen Untersuchungen, Texten und Aussagen am Ideal einer herrschaftsfreien, gerechten Gesellschaft, die im kommunikativen Handeln möglich wird, dem als Universalpragmatik der Wunsch nach gegenseitiger Verständigung zugrunde liegt.82 Die Sphäre der Kunst wird in diese Theorie genauso eingearbeitet, wie die Sphären des Rechts und der Moral. Kunst hat bei Habermas wie bei Adorno teil an der Emanzipation von Herrschaftszwängen, was von ihm im Laufe der Jahre aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen wird, ohne jedoch die Möglichkeit von Kunst, das Projekt der Moderne fortzuführen, jemals ernsthaft zu hinterfragen. Gleichzeitig fehlt, wie gesehen und diskutiert, eine präzise Ausarbeitung eines rein ästhetischen Diskurses. Damit steht, zumindest für Florian Rötzer, infrage, inwieweit Habermas die Besonderheit der Kunst überhaupt anzuerkennen in der Lage ist: »Für einen ästhetischen Diskurs, der sich vielfach gerade durch Regelverletzung oder durch die systematische Überschreitung von bestehenden Verständnis- und Darstellungsregeln verwirklicht, ist das bislang ausgearbeitete Diskursmodell zumindest unzulänglich, weil in ihm die explorativ-darstellende Verwendung der Sprache nicht eingehen kann, die eine prinzipielle Unbestimmtheit als Grund der Ordnungsbildung voraussetzen und wahren muß.«83

Andererseits übernimmt die Kunst innerhalb von Habermas' zweistufiger Gesellschaftstheorie zumindest ansatzweise die Position der Vermittlerin. Damit meint Habermas trotz seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Kunst vermittelnden Kritik vor allem die Kunstwerke selbst,84 indem diese über eine (in der Adorno-Rede gesehene) »lebensorientierende Kraft« ver-

82 Hier wäre anzumerken, dass das Ideal der herrschaftsfreien, gerechten Gesellschaft von Niklas Luhmann wie auch Jean Baudrillard als ideen- oder emanzipationskonservativ gesehen wird, vgl. dazu Horster 2001, S. 88f. Luhmann spricht an entsprechender Stelle allgemein vom »Moralkonservativismus« der Frankfurter Schule, vgl. Niklas Luhmann mit Rainer Erd/Andrea Maihofer (1985a): »Biographie, Attitüden, Zettelkasten«, in: Niklas Luhmann (1987), Archimedes und wir. Interviews, Berlin: Merve, S. 152. Zu der Auseinandersetzung zwischen Luhmann und Habermas mehr im Kapitel zu Luhmann. Im Kapitel zu Baudrillard siehe vor allem die dortige Fußnote 76. 83 Florian Rötzer (1986): »Einführung«, in: ders. (Hg.), Französische Philosophen im Gespräch, München: Klaus Boer Verlag, S. 22f. Diese »prinzipielle Unbestimmtheit« ist das zentrale Thema der Autoren aus Kapitel IV. 84 In Bezug auf die Beziehungen zwischen System und Lebenswelt räumt Habermas ein: »[…] einfachheitshalber vernachlässige ich die Rollenstruktur des Kunstbetriebs und der künstlerisch-literarischen Öffentlichkeit.«, Habermas (1981a) 1995, Bd. 2, S. 472f. Paetzel merkt hierzu richtig eine »[…] Vernachlässigung der kulturellen Rollen im Austausch zwischen Lebenswelt und System« an, Paetzel 2001, S. 5.

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fügen.85 Kunst als mögliche Vermittlerin zwischen System und Lebenswelt ist in der Lage, die erstrebenswerte Einheit der ausdifferenzierten Sphären wiederherzustellen. In dieser von Habermas mehrfach betonten Rückkoppelung der Kunst an die Lebenswelt ist durchaus ein paradoxales Moment festzumachen: Das, was Habermas »um jeden Preis vermeiden will (die Vermischung des Ausdifferenzierten)« ergibt sich »am Ende (am über den Mechanismus der Rückkoppelung erreichten Anschluß an die Gesellschaftstheorie) doch wieder als sein Resultat […].«86 Es ist zumindest ein sehr schmaler Grat, der die negativ zu bewertende Kolonialisierung von der positiv zu bewertenden Rückkoppelung trennt. Auf diese Problematik bei Habermas machen viele Autoren aufmerksam, so Martin Jay, der festhält, dass Habermas versuche, Lebenswelt und Kunst über Kunstkritik füreinander fruchtbar zu machen, jedoch »[…] without aiming at the complete reversal of the process of differentiation which he [Habermas; D.D.] identifies with the modern. […] What hitherto has been a relationship of colonization must be replaced by one of constructive mediation.«87 Eine doppelte Ausrichtung, die die Rezeption von Habermas' Thesen zur Kunst schwierig mache, erkennt auch David Ingram in Bezug auf sein Verständnis der Funktion von Kunst für die Gesellschaft: »Habermas appears to have two very different views about what that function ought to be: poetic illumination which expresses the ideal unity of experience or profane illumination of its actual fragmentation.«88 In beiden Bewegungen wird allerdings der Grundton von Habermas' Theorien deutlich, insofern als Kunst bei ihm eher eine stille Form der Revolution betreibt, die sich gut in das konsensuelle Prinzip des Diskursverfahrens fügt – während Kunst bei Bourdieu Herrschaftsstrukturen zuerst widerspiegelt und reproduziert, später jedoch in Opposition dazu aufdeckt und kämpferisch durchbrechen kann. Bei Habermas und Bourdieu zeigt sich exemplarisch ein prinzipieller Unterschied zwischen deutschen und französischen Gesellschaftstheoretikern, der sich auch auf ihre Kunstbetrachtungen auswirkt. Haben Erstere tendenziell das ›große Ganze‹ im Blick, setzen sich Letztere intensiver mit

85 Es ist von Interesse, diese Formulierung festzuhalten, aus der eindeutig eine Bewunderung der Kunst gegenüber herauszulesen ist und die einen zumindest spirituellen Grundton hat. Dabei schätzt Habermas an Benjamins Konzeption des Aurazerfalls den Bruch mit der Esoterik (vgl. Habermas (1972) 1987, S. 358f.). Wenn er demgegenüber in der Adorno-Rede von einer »explorativen, lebensorientierenden Kraft«, spricht, die »von der Begegnung mit einem großen Gemälde […] ausgehen kann«, schwingt eine emphatische Ergriffenheit mit, die eine größere Nähe zu Adorno verrät; vgl. das Zitat zur obigen Fußnote 64. 86 Kiwitz 1986, S. 197. 87 Jay 1985, S. 133. 88 Ingram 1990, S. 394. Er stellt es sich zur Aufgabe »to disentangle this knotty problem«, ebd.

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Phänomenen auf der Mikro-Ebene auseinander89 – eine Beobachtung, die sich in den folgenden Kapiteln weiter bestätigen wird. Was die Beschäftigung mit Kunst anbelangt, fällt diese bei den französischen Theoretikern deutlich umfangreicher aus, während die Betrachtung von Kunst und vor allem konkreter Kunstwerke bei den deutschen Theoretikern nur im Ansatz zu finden ist (siehe dazu mehr in der Conclusio). Bei Habermas tritt diese Tendenz besonders deutlich hervor: Es scheint, als ließe der Anhänger des linguistic turn den iconic turn völlig außer Acht.90 Bezüglich einer zeitgenössischen Kunst bewerten beide die Trennung von Form und Funktion negativ.91 Diese Einstellung ist bei beiden als Kritik an der Postmoderne zu verstehen (zu dieser siehe den folgenden Exkurs im Kapitel IV). Habermas erkennt die Situation der Gegenwartsgesellschaft als »Neue Unübersichtlichkeit« an,92 lehnt es jedoch ab, diese als Postmoderne, die er wiederum als Verabschiedung der Moderne versteht, zu bezeichnen. Habermas hat sich umfassend mit den Positionen seiner postmodernen bzw. poststrukturalistischen Kontrahenten beschäftigt und wurde selbst von diesen ausführlich rezipiert. In Der philosophische Diskurs der Moderne beispielsweise widmet Habermas Jacques Derrida einen ganzen Aufsatz und exemplifiziert an dessen Beispiel in dem anhängenden »Exkurs zur Eineb-

89 Genau hier setzt Bourdieus Kritik an der Frankfurter Schule an: »Mein Schreiben etwa ist weitgehend von der Ablehnung des großen totalisierenden Denkens motiviert, das gemeinhin mit Philosophie gleichgesetzt wird. Auch mein Verhältnis zur Frankfurter Schule ist durch diese Ambivalenz gekennzeichnet: Ungeachtet der nicht zu leugnenden Affinitäten zu ihr, hat mich doch der aristokratische Gestus dieser Globalkritik, die alle Merkmale der Großen Theorie bewahrte (wohl aus der Sorge heraus, sich im Umgang mit der empirischen Forschung nicht die Finger schmutzig zu machen), schon immer etwas enerviert.«, Bourdieu mit Honneth/Kocyba/Schwibs (1986) 1992, S. 33 (Hervorh. im Orig.). 90 Ein weiterer als Kunstwerkbetrachtung einzustufender Text beschäftigt sich mit dem Berliner Holocaust-Mahnmal, das erstens eher architektonischer Art ist und das Habermas zweitens im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte als Verarbeitung von allgemeinen Erfahrungen analysiert, vgl. Jürgen Habermas (1999): »Der Zeigefinger. Die Deutschen und ihr Denkmal«, in: Die Zeit, 50. Jg., Nr. 14, 31.03.1999, S. 41-43. 91 Habermas: »[…] im Gegensatz zu der selbstkritischen Fortsetzung der Moderne, […] sprengen sie [gemeint sind die Gegenströmungen in der Architektur; D.D.] den modernen Stil, indem sie die Verklammerung von avantgardistischer Formensprache und unnachgiebigen funktionalistischen Grundsätzen auflösen. Programmatisch treten Form und Funktion wieder auseinander.«, Habermas (1981/1982) 1994, S. 73. 92 Vgl. die inzwischen zu einiger Bekanntheit gelangte Formulierung in: Jürgen Habermas (1984b): »Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien«, in: ders. (1985), Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 141-163.

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nung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur«93 seine Konzeption von Kunstkritik, die der von Derrida diametral gegenübersteht. Dessen Literaturkritik, so Habermas, verwischt die Grenzen zwischen Expertenkultur und Lebenswelt, da sie sich selbst als Literatur versteht. Dies hat zur Folge, dass die vermittelnde Funktion der Kritik aufgegeben wird und die Funktion der Welterschließung verloren geht. An anderer Stelle formuliert er den Vorzug seiner Theorie nicht nur gegenüber der Verfahrensweise von Derrida wie folgt: »Die Diskurstheorie ist ein Versuch, dieses Selbstverständnis [das moralischpraktische der Moderne; D.D.] so zu rekonstruieren, daß es seinen normativen Eigensinn gegenüber szientistischen Reduktionen [hier verweist Habermas auf Luhmann; D.D.] wie gegenüber ästhetischen Assimilationen [hier verweist Habermas auf Derrida; D.D.] behaupten kann.«94

Grundsätzlicher Art ist auch die Opposition zwischen Habermas und JeanFrançois Lyotard, dessen Kunstbetrachtungen im folgenden Kapitel analysiert werden. Mit dem Text »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« reagiert Lyotard explizit auf Habermas' Einschätzung der Postmoderne als Antimoderne und hält dagegen.95 Prinzipiell kritisiert Lyotard an Habermas, dass dieser nur eine Diskursart mit einem Regelsystem zulasse, wohingegen er eine Vielzahl von Diskursarten zu erkennen glaubt, zwischen denen ein Widerstreit besteht. Lyotards emphatisch klingende Antwort auf die (Habermassche) »Sehnsucht nach dem Ganzen und dem Einen, nach der Versöhnung […]« lautet: »Krieg dem Ganzen, zeugen wir für das NichtDarstellbare […]«.96 Dieses Nicht-Darstellbare, Undarstellbare, auch Unsichtbare, Unsagbare in der Kunst, ist das zentrale Thema der Theoretiker des folgenden Kapitels.

93 Vgl. Habermas 1985d, S. 219-247. Auf diese Kritik werden wir bei Derrida wieder zu sprechen kommen. 94 Jürgen Habermas ([1992] 1998): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 11. 95 Welsch und Duvenage fällt auf, dass Habermas ausgerechnet auf Lyotard nie ausdrücklich eingegangen ist: vgl. Welsch 2002, S. 164, Duvenage 2003, S. 89. 96 Und weiter: »[…] aktivieren wir die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens.«, Jean-François Lyotard (1982d): »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?«, in: Wolfgang Welsch (Hg.) (1994), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, 2. Aufl., Berlin: Akademie-Verlag, S. 203.

IV. Kunst und Darstellung Lyotard, Deleuze, Derrida und die Kritik der Repräsentation

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Hinsichtlich des Begriffs der Postmoderne gibt es so viele Positionen, wie es Autoren zu diesem Thema gibt, es gibt keine verlässliche Definition, die Einigung erzielt hätte, und zahlreiche Fragmentierungen in alternative Begriffe wie Postmodernismus, Nach-Moderne, Spätmoderne oder Zweite Moderne. Dabei lässt sich festhalten, dass zumindest eine Aussage bezüglich der Postmoderne konsensbildend sein dürfte: Der Begriff selbst ist postmodern. Damit können erste Kernaussagen gemacht werden. Erstens: Mit Postmoderne ist eine Situation gemeint, in der zahlreiche Ansätze und Theorien im Widerstreit zueinander stehen, wobei am auffälligsten der Widerstreit zwischen Moderne und Postmoderne ist, dicht gefolgt von dem zwischen den unterschiedlichen Postmodern-internen Ansätzen und Theorien. Zweitens lässt sich sagen, dass ebendieser Widerstreit Programm ist: Es gibt im Grunde keine gemeinschaftliche Suche nach einer einheitlichen, allgemeingültigen, alle Bereiche abdeckenden Definition, und analog dazu beschreibt auch der Begriff der Postmoderne eine Situation, in der das Streben nach einer Einheit, nach allgemeingültigen, letzten Wahrheiten, die einen Universalitätsanspruch erheben könnten, aufgegeben wird. Drittens: Die Postmoderne meint eine Situation, die so fragmentiert ist, wie ihr Begriff. Zahlreiche einzelne Mikro-Definitionen haben nebeneinander bestand, und ex aequo bezeichnet die Postmoderne die unendliche Aufspaltung, die geradezu explosionsartige Pluralisierung aller Ideen, Perspektiven, Stile, Lebenskonzepte, Wünsche, Interessen, Systeme und so weiter – ›und so weiter‹ verstanden als Platzhalter für diese Fragmentierung, für den Pluralismus der postmodernen Situation. Der Begriff der Postmoderne ist also postmodern. Das ist eine Tautologie. Streng wissenschaftlich, streng logisch betrachtet, ist es eine Form von Paradoxie. Auch das ist postmodern: Paradoxien, Paralogien, Reversionen einen Platz einzuräumen, das zu denken, das vor der Postmoderne nicht

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ganz so viel Aufmerksamkeit erhalten hat, das einzubeziehen, das sogar als das Ausgeschlossene der nicht-Postmoderne gelten kann. So kann man sagen, dass die Postmoderne weniger das Gegenteil der Moderne ist, weniger ihr Gegensatz, als das Andere der Moderne (weiter oben heißt es ja auch Para-doxien, Para-logien und nicht A- oder Anti-doxien und -logien). Bildhaft umformuliert: Die Postmoderne ist der Spiegel der Moderne, in dem sich diese erst erkennen kann. Die Moderne erkennt sich in ihrem Anderen und die Postmoderne ermöglicht einen neuen, einen anderen Blick auf die Moderne. Einem Filter gleich, ein weiteres Bild (auch Bilder zu wählen ist sehr postmodern), setzt man die Postmoderne vor die eigene Linse und richtet den Fokus auf das, was aus dem Blick geraten ist. Es wird aufgefallen sein, dass die Umschreibung des Begriffs der Postmoderne und der postmodernen Situation bislang im Präsens gefasst ist. Da hier die Postmoderne als das Andere zur Moderne bezeichnet wurde, wird ersichtlich, dass sie durchaus zeitgleich zur Moderne existieren kann (Paradoxie). Es steht nicht fest, ob die Postmoderne jemals nach der Moderne zu verorten wäre, ob die Moderne abgeschlossen ist oder gar auch die Postmoderne schon vorbei. Wenn es jedoch weiter oben hieß, dass die Postmoderne ein Filter vor der eigenen Linse sei, dann meint dies das Post als ›als ob‹Filter: So sehen und so denken, als ob die Moderne abgeschlossen wäre, als ob man sie von außen betrachten könnte, um die realen oder gewünschten oder auch notwendigen Unterschiede zur Postmoderne auszumachen. Insofern ist die Postmoderne ein Werkzeug, eine Methode – und letztlich dann doch auch eine Art Theorie. Virulent wird der Begriff in den 1960er und 1970er Jahren in den Künsten, wo er bis in die 1990er Jahre hinein in den verschiedenen Gattungen eine große Rolle spielt. Hier setzt sich die Postmoderne von den ästhetischen Forderungen dieser Moderne ab – wobei die Grenzen fließend sind. Folge ist der Stilpluralismus, die Aufsplitterung in die unterschiedlichsten »Ismen« und schließlich auch eine Vermischung der einzelnen Gattungen: Es entstehen sogenannte Happenings, Performances, es werden Installationen kreiert und Kunst entwickelt, die die neuen Medien zum Einsatz bringt. Auch technisch wird gemischt: Assemblagen, Bricolagen, Collagen, Rekombinationen werden Programm, und rekombiniert werden auch vergangene Techniken wie Stile. Diese Form von Zitaten, Pastiche, seriellen Wiederholungen (in den Künsten ist vieles »Neo« statt »Post«), oft mit ironischem Unterton, handelt den (vermeintlichen) Vertretern postmoderner Kunst oft den Vorwurf des Eklektizismus, der Beliebigkeit ein; die Abkehr von Originalität und die Verwendung populärkultureller Vorlagen wie Comics, Magazinen, Werbung und Graffiti wird vielfach als Oberflächlichkeit kritisiert. Die Annäherungen an die Populärkultur bzw. gar die Aufhebung der Grenzen zwischen »High« und »Low« ist eines der zentralen Momente in den Künsten der Postmoderne.

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Die Überwindung des elitären Kunstverständnisses (wie bei Bourdieu beschrieben) und der versuchte Anschluss an eine Massenkultur, die nicht länger als Kulturindustrie zu verurteilen ist, wird erstmals von Leslie Fiedler formuliert – symbolischerweise in Adornos Todesjahr, 1969. Damals publiziert er einen Artikel, der auf einem Vortrag von 1968, gehalten an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, beruht: »Cross the border – Close the gap« heißt sein programmatischer Titel. Hohen Bekanntheitsgrad erhält postmoderne Literatur 1980 mit Der Name der Rose des italienischen Romanciers, Semiotikers und Theoretikers der Postmoderne Umberto Eco, welches historischer Kriminalroman und philosophischer Essay in einem ist. Einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird der Begriff Postmoderne allerdings zuerst im Zusammenhang mit der Architektur, als der Architekturtheoretiker Charles Jencks Ende der 1970er Jahre Publikationen zur postmodernen Architektur vorlegt, die bis heute zu den zentralen Texten zu diesem Thema zählen. Als Jencks über die postmoderne Architektur schreibt, die die Formsprache von Gebäuden nicht mehr allein ihrer Funktion unterordnen will, ist diese allerdings schon längst Teil der städtischen Realität.1 Ähnliches geschieht in Theorie, Philosophie und Wissenschaft: Die Diskussion des Begriffs Postmoderne dominiert hier zu einer Zeit, als er in der gesellschaftlichen Wirklichkeit über die Künste bereits angekommen ist, nämlich in den 1980er Jahren. Postmoderne Theorien sind von den gleichen Ansätzen und Bewegungen geprägt wie in den Künsten; tatsächlich ist ein verstärktes Interesse an diesen ein besonders auffälliges Merkmal. Kritiker be-

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Vgl. die Texte der erwähnten Autoren: Leslie A. Fiedler (1969): »Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne«, in: Wolfgang Welsch (Hg.) (1994), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der PostmoderneDiskussion, 2. Aufl., Berlin: Akademie-Verlag, S. 57-74 (die Erstveröffentlichung war, pikanterweise, im Playboy); Umberto Eco ([1980] 1982): Der Name der Rose, 2. Aufl., München: Hanser Verlag, sowie ders. ([1983] 1984): Nachschrift zum »Namen der Rose«, München: Hanser Verlag; Charles Jencks ([1977] 1978): Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt; vgl. grundlegend Welsch 1994, hier auch die extensive »Bibliographie zur Postmoderne-Diskussion«, auf den Seiten 275-315. Weiter seien in Bezug auf die Künste genannt: Heinrich Klotz (1999): Kunst im 20. Jahrhundert. Moderne – Postmoderne – Zweite Moderne, 2. Aufl., München: C.H.Beck; Christa und Peter Bürger (Hg.) ([1987] 1992): Postmoderne: Alltag, Allegorie und Avantgarde, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp (erstmals veröffentlicht zu einer Zeit, als die Postmoderne noch vehement zur Diskussion stand); Peter Bürger (2001): Das Altern der Moderne. Schriften zur bildenden Kunst, Frankfurt a.M.: Suhrkamp (zu diesem Zeitpunkt bereits retrospektiv); äußerst kritisch: Donald Kuspit ([1993] 1995): Der Kult vom Avantgarde-Künstler, Klagenfurt: Ritter. Diese Angaben haben, selbstredend, exemplarischen Charakter.

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anstanden dies teilweise als Ästhetisierung der Wissenschaft dort, wo ihnen die Abkehr von klassischen Argumenten und der Logik zu weit geht und der Mangel an Nachweisbarkeit und Verweisen auf Vorgänger zu groß erscheint. Auch in der Theorie bleibt die Postmoderne ein Paradoxon: Sie kritisiert Kritik, aber kritisiert dennoch eine Moderne, von der sie sich größtenteils abzusetzen sucht. Sie sieht in der Geschichte keine lineare, teleologische Entwicklung mehr in Richtung einer besseren, fortschrittlicheren Welt, resigniert aber nicht dahingehend, dass sie es aufgeben würde, neue Formen von Theorie zu betreiben. Postmoderne Theorie versucht, die Dinge zu nehmen wie sie sind: fragmentiert, plural, paradoxal. Sie setzt auf Analysen auf einer horizontalen Ebene, die die Vielfältigkeit umspannen kann, statt auf vertikale Makrotheorien, die zu sehr über den Dingen zu stehen drohen. Das setzt die postmoderne Theorie dem Grundverdacht aus, den bestehenden Verhältnissen affirmativ gegenüberzustehen und über eine konservative, gar reaktionäre Haltung zu verfügen. Dabei ist das Gegenteil das Movens postmoderner Überlegungen: Die Moderne ist gescheitert, weil sie den Totalitarismus, die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, letztlich nicht verhindern konnte. Das Programm der Aufklärung muss daher revidiert werden. Statt von der Postmoderne spricht man zuweilen auch vom Poststrukturalismus. Die Begriffe sind, selbstverständlich, nicht deckungsgleich; sie sind sich jedoch auch nicht so fremd, dass man Theorien und Theoretiker nicht als ›postmodern bzw. poststrukturalistisch‹ bezeichnen könnte, wie es in den folgenden Kapiteln oftmals der Fall sein wird. Hier findet weniger eine Distanzierung und Abgrenzung von der Moderne statt, als von der Theorierichtung des Strukturalismus. Zuerst in den Sprachwissenschaften – hier um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert vor allem die Linguistik Ferdinand de Saussures –, dann in den 1950er Jahren in der Ethnologie eines Claude Lévi-Strauss von Bedeutung, wird der Strukturalismus in der Folge in den Geistes- und Humanwissenschaften immer relevanter und entwickelt sich dabei im Sinne der oben beschriebenen postmodernen Entwicklungen immer mehr hin zu einem Poststrukturalismus. An dieser Grenze (zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus) operieren vor allem Roland Barthes, Michel Foucault und Jacques Lacan. Diese gehören zu den zentralen Bezugsgrößen von Theoretikern wie Jean-François Lyotard, Gilles Deleuze und Jacques Derrida; die Beschäftigung mit diesen drei Autoren bildet das folgende Kapitel. Zahlreiche Begrifflichkeiten und Ansätze, die dort vorkommen werden, sind in diesem Exkurs bereits zur Sprache gekommen. Die genauen Positionen, die Unterschiede und Parallelen werden im Vergleich ihrer Überlegungen zu und Auffassungen von (zeitgenössischer) Kunst diskutiert werden. Der Begriff postmoderne bzw. poststrukturalistische Theorie wird ab hier als »soziale Tatsache […] als Sammelbezeichnung für verschiedene Thesen

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und Theoreme«2 betrachtet, denn: »Die einschlägige Literatur zu diesem Thema ist nicht mehr zu überblicken (und allein das wäre für ein Kommunikationssystem Grund genug, die Diskussion abzuschließen).«3 – So schließen wir diese Diskussion ab, um eine neue eröffnen zu können.4

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Schwingel 2005, S. 182, dem es – wie er sagt – nicht darum geht »[…] in die Debatten über den möglichen Sinn oder Unsinn dieses Begriffs einzusteigen […].«, ebd. Niklas Luhmann (1995b): Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 483, in der Fußnote 218. Vgl. auch hier Welsch 1994 inkl. der Bibliographie; außerdem grundlegend Welsch 2002. Es gibt überdies ungezählte Anthologien zu diesem Thema, siehe beispielsweise Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe (Hg.) ([1986] 1997): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt; Dietmar Kamper/Willem van Reijen (Hg.) (1987): Die unvollendete Vernunft: Moderne versus Postmoderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; außerdem die Nummer 22 (»Special Issue on Modernism«, 1981) und Nummer 33 (»Modernity and Postmodernity«, 1984) der Zeitschrift New German Critique, mit Aufsätzen einschlägiger Autoren wie Hal Foster, Jürgen Habermas, Andreas Huyssen und vielen weiteren. Hier ist nicht der Ort, diejenigen Publikationen aufzuzählen, die die französischen Autoren dieser Denkrichtung unter einem bestimmten Aspekt behandeln (zum Beispiel dem des Anderen). Erwähnt sei jedoch die berühmteste Polemik gegen sie und in extenso gegen das Denken und die Methode der Postmoderne: Klaus Laermann (1986): »Lacancan und Derridada. Über die Frankolatrie in den Kulturwissenschaften«, in: Kursbuch, Nr. 84, S. 34-43.

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IV. 1. J EAN -F RANÇOIS L YOTARD [D AS U NDARSTELLBARE ] Der Begriff der Postmoderne, wie er im Exkurs eingeführt wurde, ist maßgeblich geprägt vom Denken Jean-François Lyotards. Dieser wendet das Schlagwort, das zunächst vor allem in den Künsten eine große Rolle spielt, in seiner Schrift La condition postmoderne von 1979 (auf Deutsch Das postmoderne Wissen, zuerst 1982) erstmals auf die Gegenwartsgesellschaft an. Damit gibt der französische Philosoph einem Denkansatz seinen (wenngleich umstrittenen) Namen, der jahrelang alle Diskurse beherrschen sollte – und zwar gerade nicht nur die künstlerischen, sondern auch die wissenschaftlichen und sogar politisch motivierten Diskurse. Die Resonanz auf die Lyotardsche Postmoderne ist daraufhin (und immer noch) so groß, dass sie hier unweigerlich von zentraler Bedeutung ist. Somit steht Lyotard am Anfang des Kapitels IV, das sich exemplarisch mit drei Positionen innerhalb dieser Denkrichtung beschäftigt. Dieses Kapitel wird dabei ausdrücklich nicht als eines zu ›Kunst und Postmoderne‹ ausgewiesen, auch wenn Lyotard, Deleuze und Derrida Thesen herausarbeiten, die in einer ›typisch‹ postmodernen Geste solche Ansätze zu überwinden suchen, wie sie mit Bourdieu und Habermas vorgestellt worden sind. Dort war von kritischer Tradition und klassischer Kritik die Rede; hier werden dazu alternative Sichtweisen auf Gesellschaft, Theorie und selbstredend auch die Kunst entwickelt. Die gemeinsame Linie bei Lyotard, Deleuze und Derrida ist in Bezug auf die Kunst eine Kritik des Prinzips der Repräsentation, wie sie auch Foucault thematisiert und dessen Überlegungen von ihnen weiterentwickelt werden. Ist man gewohnt, Denker wie Lyotard, Deleuze, Derrida, aber ebenso den in Kapitel V.2. besprochenen Baudrillard unter dem Schlagwort der Postmoderne bzw. des Poststrukturalismus zu subsumieren, so muss mit diesen Zuweisungen, wie schon im Exkurs deutlich wurde, vorsichtig umgegangen werden. Daher wird hier einer Bezeichnung von Lyotard, Deleuze und Derrida als ›Denkern der Differenz‹ der Vorzug gegeben. Bei allen drei bildet das Denken einer radikalen Differenz den Kern ihrer Überlegungen – einer Differenz, die außerhalb der bekannten Oppositionen steht, die sich auf ein ›Jenseits‹ oder ›Außen‹ des Denkens zu beziehen sucht.1 Bei allen Unterschieden in ihren Ansätzen, die sich letztlich gerade am Bereich der Kunst zeigen werden, ist das Denken der Differenz in Kombination mit einer Abkehr von der Repräsentation ihre zentrale Gemeinsamkeit.2 Dafür werden sie von Bourdieu und Habermas 1

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Vgl. den programmatischen Text von Michel Foucault (1966): »Das Denken des Außen«, in: ders. (1974), Von der Subversion des Wissens, München: Hanser Verlag, S. 54-82. Christian Ruby verzichtet in seiner Publikation über eben diese Denker vollständig auf einen Hinweis auf postmoderne oder poststrukturalistische Ansätze und nennt sie schlicht »les philosophes de la différence«, vgl. Christian Ruby (1989):

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vehement kritisiert: Habermas verurteilt die vermeintliche Verabschiedung von der Moderne in seiner Adorno-Rede; Bourdieu wirft »den Postmodernen« vor, Wissenschaft und Literatur (also eine Kunstform) miteinander zu vermengen und zumindest teilweise einer Form von Nihilismus zu verfallen.3 Dies sind geradezu klassische Kritikpunkte an postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkansätzen, auf die im weiteren Verlauf der Kapitelabschnitte eingegangen wird. Lyotard kommt hier nicht nur als Wortführer der Postmoderne eine besondere Rolle zu, sondern auch, weil er sich in seinen Schriften umfassender als die anderen Theoretiker mit Künstlern und ihrem Werk auseinandersetzt und in zahlreichen Texten grundlegend der Bedeutung moderner und zeitgenössischer Kunst nachgeht. Das ist durchaus erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Lyotards ›Theorien‹ – in Anführungszeichen, da er den Begriff, wie sich noch zeigen wird, ablehnt – stark geprägt sind vom linguistic turn, wie er bereits bei Habermas deutlich wurde. Trotz dieses Interesses an sprachwissenschaftlichen Fragen zieht es Lyotard vor, sich der Analyse bildender Kunst zu widmen, statt, wie die meisten seiner Zeitgenossen, literarischen Texten. Dabei bezieht Lyotard sowohl moderne Künstler, wie Paul Cézanne, Kasimir Malewitsch, Paul Klee oder Robert Delaunay, als auch zeitgenössische Künstler in seine Betrachtungen ein, widmet jedoch nur den letzteren, den zeitgenössischen, eigenständige Texte. Diesen wird hier besondere Aufmerksamkeit zuteil; eine geradezu klassische Ausnahme bildet Marcel Duchamp, dessen Werk wie bereits erwähnt ebenfalls als ›zeitgenössisch‹ einzustufen ist. Besonders wichtig sind hier die Publikationen zu den international bekannten Künstlern Daniel Buren, Barnett Newman und Karel Appel (sowie eben Marcel Duchamp), die den Kern von Lyotards konkreten Kunstbetrachtungen bilden, aber auch diejenigen zu René Guiffrey, Richard Lindner, Jacques Monory, Gianfranco Baruchello, Albert Ayme, Henri Maccheroni, Ruth Francken, Valerio Adami, Shusaku Arakawa, Stig Brøgger, François Lapouge, Joseph Kosuth, Sam Francis, Bracha Lichtenberg Ettinger, Corinne Filippi und Pierre Skira.4 Des Weiteren ist auch Lyo-

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Les Archipels de la Différence. Foucault – Derrida – Deleuze – Lyotard, Paris: Éditions du Félin, S. 5ff. Stefan Münker und Alexander Roesler betiteln ihre Publikation zwar Poststrukturalismus, aber in der Einleitung weisen sie diesen Denkern die Formulierung eines »Plädoyers für die Differenz« zu und behandeln sie unter den Kapiteln: »Differenz und Verschiebung« (Derrida), »Differenz und Wiederholung« (Deleuze) und »Differenz und Widerstreit« (Lyotard), vgl. Münker/Roesler 2000, in der Einleitung die Seite XIIIff. Vgl. Bourdieu 2002, S. 89. Zu dieser Auflistung, die hier erstmals in dieser Form und Ausführlichkeit aufgestellt wird, sind folgende Anmerkungen zu machen: 1. Sie erfolgt in ungefährer chronologischer Reihenfolge – da sich Lyotard mit den meisten Künstlern über Jahre hinweg wiederholt beschäftigt, sind sie nach der jeweils ersten Publikation

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tards Einsatz als Ausstellungsmacher bemerkenswert: 1985 organisiert und zeigt er im Centre Georges Pompidou in Paris »Les Immatériaux« – eine Ausstellung, die große Resonanz erfährt und auf deren Konzept ebenfalls eingegangen wird. Im Unterschied zu Bourdieu (oder auch zu Luhmann) hat Lyotard keine eigenständige, ausführliche und umfassende Theorie zu Kunst formuliert. Gemäß seiner berühmten These vom Ende der »großen Erzählungen«, muss Lyotards Haltung zu zeitgenössischer Kunst aus den zahlreichen einzelnen, vielfältigen Texten zusammengesetzt werden. So werden im Folgenden die verschiedenen Ansätze Lyotards, sich mit Kunst auseinanderzusetzen – auch im Zusammenhang mit seinen Hauptwerken, das erwähnte Das postmoderne Wissen von 1979 und Le Différend von 1983 (Der Widerstreit, 1987) – anhand der wichtigsten Ideen und Begriffe dargestellt. Auf den ersten Blick scheinen diese sehr unterschiedlicher Natur zu sein, unterschiedlichen Motivationen zugrunde zu liegen und auch unterschiedliche Haltungen widerzuspiegeln. Daher spricht man in der Regel von mehreren Werkphasen, die auch hier respektiert werden müssen.5 Allerdings sind diese unterschiedli-

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aufgeführt. 2. Die Liste umfasst Einzeltexte in Zeitschriften und Katalogen sowie eigenständige Publikationen, die zwischen 1973 und 1998 entstanden sind. 3. In ihr fehlt Mark Rothko, den Lyotard mehrfach erwähnt. Als Maler mit fast identischen Lebensdaten wie Barnett Newman gehört er zu dieser Liste dazu; er wird oben allerdings nicht separat aufgeführt, da Lyotard keinen eigenständigen Text zu Rothko verfasst hat. Dasselbe gilt für Pop-Art-Künstler wie Andy Warhol oder Tom Wesselmann und die Künstlergruppe der Transavanguardia, auf die weiter unten kurz eingegangen wird. Die einzige Kunstrichtung, der Lyotard einen eigenständigen Text widmet, ist die des Hyperrealismus. Erwähnt sei hier auch ein Text zu einer Ausstellung französischer Grafiker. 4. Alle Texte, die zu ermitteln waren, sind, auch wenn sie hier nicht besprochen werden, in der Literaturliste zu finden. Dabei wird auf Doppelnennungen, zum Beispiel wenn der Text mehrfach und dabei geringfügig geändert publiziert wurde, weitgehend verzichtet. Beispielsweise heißt es im Vorwort von: Walter Reese-Schäfer/Bernhard H.F. Taureck (Hg.) (1990): Jean-François Lyotard, 2. Aufl., Cuxhaven: JunghansVerlag, o.S., man dürfe »von Lyotard I und von Lyotard II sprechen«, wobei man für die 1990er noch einen »Lyotard III« hinzufügen könnte; Bennington bemerkt in seiner Einleitung, Lyotards Werk sei »more remarkable for its shifts and breaks than for any continuity.«, in: Geoffrey Bennington (1988): Lyotard: Writing the event, Manchester/UK: Manchester University Press, S. 1; Steinmetz geht soweit, von zahlreichen »dérives« (Abschweifungen) im Werk Lyotards zu sprechen, in: Rudy Steinmetz (1997): »Jean-François Lyotard: Le silence en peinture«, in: Thierry Lenain (Hg.), L'Image. Deleuze, Foucault, Lyotard, Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, S. 13. Zur theoretischen Ausarbeitung der dérive durch die Künstlergruppe der Situationistischen Internationale siehe mehr in der Conclusio.

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chen Phasen gerade bezüglich der hier interessierenden zeitgenössischen Kunst eher als verschiedene Schwerpunktsetzungen zu lesen, als verschiedene Aspekte einer Antwort auf die zentrale Frage »Was malen?«,6 die Lyotard über die Jahre hinweg beschäftigt. Dabei muss gerade zum Verständnis der frühen Texte, die mit den Thesen und Begriffen der späteren Texte Lyotards besser zu fassen sind, noch einmal daran erinnert werden, dass die Antworten im Geiste postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkens stets um ein Jenseits, ein Außen, das Andere der klassischen, traditionellen Repräsentation kreisen – in der Kunst und als Kunst. Vor allem, aber nicht nur zeitgenössische Kunst ist bei Lyotard vom Versuch geprägt, das Undarstellbare darzustellen. Dieses Experimentieren sowie die ›Definition‹ dessen, was dieses Undarstellbare ist (in Anführungsstrichen, da es ebenso undarstellbar, wie unhörbar und unsagbar ist), werden im Folgenden unter Hinzuziehen von von Lyotard diskutierten Künstlerbeispielen rekonstruiert und untersucht.7 Dabei muss mit Blick auf die starke Fokussierung Lyotards auf das Undarstellbare und seine diesbezüglich formulierten Thesen infrage gestellt werden, inwieweit Lyotard seiner Ablehnung von ›Theorien‹ selbst gerecht wird. 1.1. Die Postmoderne 1.1.1. Kunst als Transformator Im Anschluss an Bourdieu und Habermas, die in den Kontext der marxistisch-kritischen Theorie gestellt wurden, ist zunächst erwähnenswert, dass auch Lyotard in einer ersten Phase, das heißt in den 1950er und 1960er Jahren, in dieser Denktradition steht. Der Marxismus sowie allgemein linksradikale Ideen prägen dabei nicht nur seine eigene politische Haltung, sondern veranlassen ihn darüber hinaus auch zu konkreten politischen Aktivitäten: So ist Lyotard Mitglied der Gruppe um die Zeitschrift Socialisme ou Barbarie und engagiert sich während des Algerienkriegs sowie während der Ereignisse des Mai 1968. Seine produktive publizistische Phase fängt erst nach dieser Zeit an8 und fällt zusammen mit einer allmählichen Loslösung vom 6

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So der Titel einer seiner Publikationen: Jean-François Lyotard (1987b): Que peindre? Adami, Arakawa, Buren, 2 Bände, Paris: Éditions de la différence – der erste Band umfasst die Texte, der zweite beinhaltet Abbildungen der drei besprochenen Künstler. Die Lyotardschen Kunsttexte werden – und müssen – einer Selektion unterworfen werden, die Redundanzen vermeiden soll, da einerseits immer mehrere Künstler für einen der zentralen Begriffe in Lyotards Denken stehen und andererseits Lyotard an fast jedem Künstler bzw. seinem Werk über die Zeit hinweg mehrere relevante Aspekte hervorgehoben hat. Zuvor publiziert Lyotard das viel beachtete Buch La Phénomenologie (1954), eine Auseinandersetzung mit Edmund Husserl, der als einer der für Lyotards Werk einflussreichsten Denker angesehen werden kann; vgl. Jean-François Lyo-

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kritischen Marxismus und der Veröffentlichung seiner Dissertation Discours, figure (1971). Diese sowie die folgenden Des dispositifs pulsionnels von 1973 (auf Deutsch in Teilen in Intensitäten, 1978 und in Essays zu einer affirmativen Ästhetik, 1982) und Économie libidinale von 1974 (zu Deutsch Ökonomie des Wunsches, 1984) bilden eine Art sich ergänzende Trias, die für das 20. Jahrhundert zentralen Theorien auf den Grund geht und diese hinterfragt. So ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kunst in diesen Schriften noch stark vom Marxismus, der Psychoanalyse Freuds und der Linguistik de Saussures geprägt. Im Unterschied zu den eher kulturpessimistischen Schriften jener Zeit (das heißt auch denen der Frankfurter Schule), strebt Lyotard in diesen Texten an, der Interpretation von zeitgenössischer Kunst eine positive Wendung zu geben. Gegen die »Verlustrhetorik«9 setzt Lyotard das Ja (mehrfache »Ja« sind die Schlusswörter von Ökonomie des Wunsches10), eine affirmative Kunst.11 Am Ende von »Die Malerei als Libido-Dispositiv«, einem der Aufsätze aus Des dispositifs pulsionnels, formuliert Lyotard folgende Zusammenfassung: »Unsere Hypothese (und unsere Überzeugung) […] ist hier gewesen, daß die Kraft des Gemalten nicht in seiner Verweisung, in seiner Verführung, seiner ›Differenz‹, in seinem Status als Signifikant (oder Signifikat), d.h. in seinem Mangel liegt, sondern in seiner kommutierbaren Libidofülle.«12

tard (1954): La Phénomenologie, Paris: Presses Universitaires de France. Großen Einfluss hatte auch die Phänomenologie von Merleau-Ponty. 9 Wie sie auch in den voranstehenden Kapiteln ersichtlich wurde; siehe den Begriff in diesem Zusammenhang bei Georg Christoph Tholen (2005): »JeanFrançois Lyotard (1924-1998)«, in: Stefan Majetschak (Hg.), Klassiker der Kunstphilosophie. Von Platon bis Lyotard, München: C.H.Beck, S. 312. 10 Vgl. Jean-François Lyotard ([1974b] 1984): Ökonomie des Wunsches, Bremen: Impuls Verlag, S. 381. 11 Vgl. unter anderem den Titel von Jean-François Lyotard (1982a): Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin: Merve. Es muss betont werden, dass Affirmation eben nicht Akzeptanz bedeutet: das affirmative »Ja« geht über das akzeptierende »Ja« hinaus; vgl. das Verständnis von »Differenz«. 12 Jean-François Lyotard (1972a): »Die Malerei als Libido-Dispositiv«, in: ders. (1982a), Essays zu einer affirmativen Ästhetik, Berlin: Merve, S. 93; dieser Text ist in Teilen ebenfalls abgedruckt in: Sibylle Omlin/Beat Wismer (Hg.) (2000): Das Gedächtnis der Malerei. Ein Lesebuch zur Malerei im 20. Jahrhundert, Aargau: Aargauer Kunsthaus und Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, dort S. 329-335. Die »Differenz« in Anführungsstrichen meint die simple Differenz als Unterschied, als gewöhnliche Verschiedenheit; sie meint gerade nicht den différend Lyotards oder die différance Derridas, die außerhalb der bekannten Dichotomien und Oppositionen positioniert sind, siehe dazu den einleitenden Abschnitt zu Lyotard weiter oben; zur différance siehe mehr im Kapitel zu Derrida.

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In diesem Text, der als konzentrierte Zusammenfassung der Grundgedanken dieser ersten Phase (bzw. als Vorgriff) betrachtet werden kann, distanziert sich Lyotard ausdrücklich von den vorherrschenden Ideologien bzw. Interpretationsmöglichkeiten von Kunst, die diesseits des Prinzips der Repräsentation verharren – das heißt Kunst als Ausdruck von etwas verstehen: in der Tradition Freuds Kunst als Ausdruck eines Unbewussten; strukturalistisch: Kunst als Ausdruck von Strukturzusammenhängen; semiotisch: Kunst als Zeichen, das für etwas anderes steht.13 Über eine eigene Einführung des Begriffs des Begehrens, »[…] im Sinne von Libido, im Sinne eines Prozesses, das Begehren als Produktivkraft, als eine Energie, die zu Umwandlungen und Verwandlungen fähig ist […]«14, versucht Lyotard, Kunst davon zu befreien, als Kritik oder kritisch gelesen zu werden, das heißt den Kunstdiskurs nicht mit Kunstkritik gleichzusetzen (wie zuvor bei Bourdieu und Habermas gesehen). In dieser frühen, »libidoökonomischen« Phase bewegt sich Lyotard thematisch und begrifflich nah an Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Anti-Ödipus (siehe das folgende Kapitel zu Deleuze), der zwei Jahre zuvor entstand und weitaus stärker und positiver rezipiert wurde als Lyotards Ökonomie des Wunsches, welches doch immerhin sein erstes breit diskutiertes Werk darstellt. In dieser Publikation äußert sich die Krise im Denken Lyotards, die mit der Loslösung von der klassisch-marxistischen bzw. kritischen Tradition einhergeht.15 Die Affirmation, die Lyotard meint, betrifft Gefühle, Begierden, Affekte, kurz Intensitäten, denen er einen Platz einräumen möchte in einer (Theorie-)Welt, die von Entfremdung (von der Arbeit, von sich selbst) und Unterdrückung (der Beherrschten, der Gefühle) geprägt ist. Die Antwort auf die Frage »Was malen?«, das heißt auch: »Wie malen?« und »Warum malen?«, lautet demnach hier: beim Betrachter libidinöse Energie in Gang setzen, Intensitäten hervorrufen. Kunst als »Trans-

13 Eine kurze Zusammenfassung dieser von Lyotard verworfenen Analysemöglichkeiten bietet der Text mit dem geradezu programmatischen Titel »Über die Repräsentation hinaus«: Jean-François Lyotard (1974a): »Par-delà la représentation«, in: Anton Ehrenzweig, L'ordre caché de l'art. Essai sur la psychologie de l'imagination artistique, Paris: Gallimard, S. 9-24. Eine Weiterentwicklung des semiotischen Ansatzes findet sich bei Baudrillard, siehe das entsprechende Kapitel. 14 Lyotard (1972a) 1982a, S. 47. 15 »Die Économie libidinale ist ein verzweifeltes Buch. Man kann es nur verstehen und ertragen auf dem Hintergrund der Krise, die ich damals durchgemacht habe […]. Es war eine Krise, die mit dem Ende aller Versuche, die Politik moralischen Kriterien zu unterwerfen, verknüpft war. Das war das marxistische Programm.«, Jean-François Lyotard mit Willem van Reijen/Dick Veerman (1988c): »Die Aufklärung, das Erhabene, Philosophie, Ästhetik. Gespräch mit Jean-François Lyotard«, in: Walter Reese-Schäfer (1995), Lyotard zur Einführung, 3. Aufl., Hamburg: Junius, S. 155.

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formator«16 hat vielfache Möglichkeiten, dies zu erreichen. Zwei Techniken hebt Lyotard besonders hervor: Einmal kann Farbe, »[…] die da ist, die man angeschaut hat, von neuem Energie bei demjenigen in Gang bring[en], der sie betrachtet, sei es als Affekt oder Tanz oder anderswie. Ein edler Mensch wird zu tanzen beginnen, ein schlechter (abendländischer) Mensch zu reden…«.17 Der Einsatz von Farbe beschäftigt Lyotard bis zuletzt18 und ist eng gekoppelt an die zweite Technik: den Umgang mit dem Träger, der Oberfläche der Leinwand. Verschleierte die Perspektivmalerei der Renaissance diesen Träger, thematisiert die moderne Malerei ihn: Cézanne, Klee und Delaunay lassen die pikturale Einschreibung auf der Oberfläche sichtbar werden, bis »[…] das Gemälde nicht mehr als Darstellung und Repräsentation funktioniert […].«19 Dieser Bruch mit dem Prinzip der Repräsentation stellt die eigentliche Autonomisierung der Kunst dar.20

16 Vgl. den Titel von: Jean-François Lyotard ([1977a] 1987): Die TRANSformatoren DUCHAMP, 2. Aufl., Stuttgart: Edition Patricia Schwarz; in Teilen ebenfalls als: Jean-François Lyotard (1975b): »Wo bestimmte Trennwände als potentielle Junggesellenelemente einfacher Maschinen betrachtet werden«, in: Hans Ulrich Reck/Harald Szeemann (Hg.) (1999), Junggesellenmaschinen, erw. Neuausg., Wien: Springer Verlag, S. 158-171. 17 Lyotard (1972a) 1982a, S. 49. Der »schlechte abendländische Mensch«, der zu reden beginnt, meint natürlich auch Lyotard selbst, wenn er Kunstkommentare produziert. Zur zentralen Frage des Umgangs mit dem Kunstdiskurs bei Lyotard (auch mit seinem eigenen) siehe weiter unten mehr. 18 Lyotards Behandlung der Farbe kann als eine durchgehende Perspektive auf sein Kunstverständnis analysiert werden, vgl. Jean-Louis Déotte (2001): »JeanFrançois Lyotard: Une esthétique du disparaître. La notion de surface d'inscription«, in: Dolorès Lyotard/Jean-Claude Milner/Gérald Sfez (Hg.), Jean-François Lyotard. L'exercice du différend, Paris: Presses Universitaires de France, S. 213222; allerdings: »Il faut penser la couleur comme événement et non comme phénomène.«, ebd., S. 217 – was zu Recht darauf hindeutet, dass das Eigentliche nicht die Farbe selbst ist, sondern die Farbe als Ereignis. Dazu mehr weiter unten. 19 Lyotard (1972a) 1982a, S. 85f. 20 »Autonomisierung meint eben dies: das Objekt ist nicht mehr repräsentativ, es wird also gegenüber einem vorausgesetzten Signifikanten, einem Dargestellten, einem Referenten usw. unabhängig gemacht, und es verselbständigt sich auch gegenüber dem Ort, den das Auge einnimmt; […] der energetische Effekt erreicht seinen Höhepunkt nicht, wenn sich der Betrachter an einem bestimmten Punkt des umgebenden Raums befindet.«, Lyotard (1972a) 1982a, S. 87. Das Thema bleibt bei Lyotard virulent: 1997 verfasst er einen kurzen Brief an die Architekten Arakawa und Madeline Gins, die er nach der Umkehrung von Repräsentationen in Bezug auf ihre Arbeiten fragt, vgl. Jean-François Lyotard/ Madeline Gins/Arakawa (1997a): »Dear Neverending Architectonic Reflective Wherewithal,«, in: Arakawa/Madeline Gins, Reversible Destiny: We have deci-

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In diesem Sinne interessiert sich Lyotard in Die Transformatoren Duchamp21 nicht für die die Institution ›Kunst‹ kritisierenden Readymades des französischen Künstlers (1887-1968), sondern untersucht die hochkomplexen Installationen La Mariée mise à nu par ses Célibataires, même (Die Neuvermählte, von ihren Junggesellen entkleidet, sogar), auch Le grand verre (Das große Glas), von 1915-1923 (siehe Abbildung 3) und Étant donnés: 1. la Chute d'eau 2. le Gaz d'éclairage (Gegeben seien: 1. der Wasserfall, 2. das Leuchtgas) von 1946-1966, das auch im temporalen Sinne ein für Lyotard zeitgenössisches Werk ist. Das große Glas besteht aus zwei großen Glasplatten, auf die mit Ölfarben, Staub und anderen Materialien eine bis heute nicht vollständig dechiffrierte Situation aufgetragen ist. Es sind eine Schokoladenreibe, eine Wassermühle, Schießvorrichtungen und anderes zu erkennen, denen Duchamp klare Positionen und Rollen zugewiesen hat, sodass man (stark!) verkürzt die im Großen Glas festgehaltene Handlung wie folgt beschreiben könnte: Dargestellt ist ein Energiekreislauf, der (womöglich) in der unteren Hälfte, wo sich die Junggesellen befinden, beginnt (manchmal wird Das große Glas auch als »Junggesellenmaschine« bezeichnet22). Diese begehren die sich in der oberen Hälfte befindende Neuvermählte, die Braut, und ›schießen‹ ihre Energie (die als erregte, sexuelle zu verstehen ist) zu ihr hinauf. Die Neuvermählte wiederum ist bzw. wird ebenfalls erregt, wobei ein Teil von ihr in die untere Hälfte reicht und dort wieder die Junggesellen erregt. Das Werk Étant donnés… wiederum präsentiert sich in einem Raum des Philadelphia Museum of Art als Holztür mit einem Guckloch, durch das man einen nackten, weiblichen Körper mit weit gespreizten Beinen, in einem Gebüsch liegend, sehen kann. Zentral ist hier das voyeuristische Moment des durch das Guckloch Hindurchblickens. Lyotard interpretiert diese kryptischen Werke vor allem hinsichtlich der Beziehung zwischen der Einschreibung und dem Träger, das heißt in diesen Installationen: hinsichtlich des Umgangs mit der Perspektive. Die Transformationen, die Metamorphosen, betreffen nicht nur die Auswirkung der vom Kunstwerk ausgelösten Freisetzung von Energieströmen beim Betrachter. Die Umwandlungen betreffen auch das Werk selbst: »Transformation der perspektivischen Transformation.«23 Minutiös nimmt Lyotard eine Aus-

ded not to die, New York: Guggenheim Museum Publications, S. 11. Zu Arakawa siehe mehr weiter unten, in der Fußnote 82. 21 Wie auch in anderen Texten, die nicht explizit als Duchamp-Texte ausgewiesen sind; zum Beispiel dem zentralen Text zum Maler Barnett Newman: JeanFrançois Lyotard (1983b): »Der Augenblick, Newman«, in: ders. (1986a), Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin: Merve, S. 7-23, ebenfalls abgedruckt in der Aufsatzsammlung Jean-François Lyotard ([1988a] 1989): Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit, Wien: Passagen Verlag, dort: S. 141-157. 22 Vgl. auch den Titel von Reck/Szeemann 1999. 23 Lyotard (1977a) 1987, S. 29.

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sage Duchamps auseinander, nach der alles Dreidimensionale im Großen Glas die Projektion einer vierdimensionalen Welt in unsere (dreidimensionale) Welt sei.24 Étant donnés… dagegen wäre eine Projektion der Neuvermählten aus dem ebenen, also zweidimensionalen Großen Glas, ›zurück‹ in den dreidimensionalen Raum. Diese beiden Arbeiten treiben das Spiel mit dem klassischen Blick auf ein Kunstwerk ad absurdum, bis nicht nur die visuelle, sondern auch sprichwörtliche Perspektive auf die Welt verschoben ist. Entscheidend in dieser ersten Phase ist für Lyotard, dass die Kunst»Maschinen« Energieströme freisetzen: »[Ob] es nun im Apparat reguliert wird oder den Apparat entregelt, das Begehren wird als Umwandlungsenergie gesetzt.«25 Das Arbeiten mit der Oberfläche, das Aufbrechen der Perspektiven, die Fragmentierung des Blickwinkels26 kündigen dabei bereits die

24 Einem weiteren Aufsatz Lyotards zu Duchamp nach zu urteilen, übernimmt Lyotard die n-perspektivische Lesart des Großen Glases von einer Publikation von Jean Clair, die er in diesem Artikel rezensiert, vgl. Jean-François Lyotard (1975a): »Marcel Duchamp ou le grand sophiste«, in: Chroniques de l'Art Vivant, Nr. 56, S. 34-35. Lyotard zitiert Duchamp jedoch auch direkt: »Alles, was eine dreidimensionale Form hat, ist die Projektion einer vierdimensionalen Welt in unsere, und meine Braut wäre beispielsweise eine dreidimensionale Projektion einer vierdimensionalen Braut. So weit, so gut. Aber da das ganze auf einem Glas geschieht, auf einer Fläche also, ist meine Braut die zweidimensionale Darstellung einer dreidimensionalen Braut, die ihrerseits die Projektion der vierdimensionalen Braut in die dreidimensionale Welt wäre.«, Marcel Duchamp in: Lyotard (1977a) 1987, S. 65; Lyotard zitiert Duchamp dort aus: Arturo Schwarz (Hg.) (1970): The Complete Works of Marcel Duchamp, New York: H.N. Abrams, S. 23. 25 Lyotard (1972a) 1982a, S. 47. 26 Ebenso die Fragmentierung der Zeit: Lyotard beschäftigt sich mit dem Umgang mit der Zeit in Duchamps Werken genauso intensiv wie mit dem Umgang mit den Perspektiven. Das Leitmotiv ist hier, wie auch in Texten zu anderen Künstlern, wie zum Beispiel zum Werk Jacques Monorys, immer dasselbe: »Es gibt also zwei ›Lösungen‹. Die des Glases, bei der der Blick immer zu früh kommt, da das Ereignis sich ›verzögert‹, denn der corpus ist bis in alle Ewigkeit noch zu entblößen. Und die Lösung von Étant donnés…, bei der der Blick immer zu spät kommt, die Entkleidung ist vollzogen, es bleibt die Nacktheit. Das Jetzt bildet das Scharnier zwischen noch nicht und schon nicht mehr. Das gilt ebenso für jedes erotische, künstlerische oder politische Ereignis.«, in: Lyotard (1977a) 1987, S. 140 (Hervorh. im Orig.). Das Verhältnis zwischen zu früh/zu spät bzw. davor/danach interessiert Lyotard aufgrund der Beziehung zum Augenblick im Jetzt, der in seinen Überlegungen zum Erhabenen eine große Rolle spielt (dazu mehr weiter unten). Das zentrale Prinzip ist hier, wie beim Aufbrechen der Perspektive, die Paradoxie – die auch in der Sprache eine große Rolle spielt, wie in Le Différend deutlich wird (auch dazu siehe weiter unten). Zur Auseinandersetzung mit Zeit in der Kunst vgl. auch Jean-François Lyotard (1980b): »Sur la

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zweite Phase in Lyotards Denken an. In Zusammenhang mit dem Großen Glas stellt er fest: »Ce dont il s'agit, c'est de voir si nous allons continuer à traiter nos affaires, à les régler, comme si elles relevaient d'un centre, d'une dernière instance, d'un dernier mot, d'un Bien, d'un Dieu, d'une vérité exclusive, d'un Prince, d'une Histoire et d'un Sens, […] ou si au contraire, nous allons nous mettre à développer autant que possible, aussi loin et large que possible, inconsidérément, l'idée simple que rien de cela n'existe […].«27

Diese Ablehnung der ›einen‹ Einheit – die zu den »großen Erzählungen« dazugehört –, die in ihrer Konsequenz zu der Auseinandersetzung mit Habermas führt, beschreibt Lyotard in Das postmoderne Wissen. Im Zusammenhang mit den libidoökonomischen Ansätzen der ersten Phase, der »affirmativen« Kunst und dem Fokus auf den Träger des Werks steht neben den Texten zu Duchamp auch der zur Kunstrichtung des Hyperrealismus,28 diejenigen zum französischen Künstler René Guiffrey,29 der zu Ri-

constitution du temps par la couleur dans le Paradigme du Bleu Jaune Rouge«, in: Albert Ayme/École Nationale Supérieure des Beaux-Arts (Hg.) (1992), Albert Ayme. Rétrospective 1960-1992, Paris: Éditions Traversière, S. 61-69 (hierbei handelt es sich um eine Umschreibung eines Textes von 1980). Zu Ayme mehr weiter unten, in Fußnote 45. 27 Lyotard 1975a, S. 34. 28 Der Hyperrealismus, auch Fotorealismus oder Superrealismus genannt, hat sich in den 1960er Jahren herausgebildet. Lyotard versteht die hyperrealistischen Gemälde als affirmativ und analysiert vor allem den Einsatz von Fotografien in Hinblick auf seine Libido-Ökonomie. In seinem Artikel erwähnt er die Künstler Richard Estes, Ralph Goings, Chuck Close, Richard McLean, Malcolm Morley, Don Eddy, Robert Bechtle, Jean-Olivier Hucleux, Audrey Flack, Gerhard Richter, Jacques Monory (vgl. Fußnote 31) und Robert Cottingham, und zieht zum Vergleich Andy Warhol heran, mit dessen berühmter Aussage, eine Maschine sein zu wollen, er sich hier beschäftigt, vgl. Jean-François Lyotard (1973a): »Esquisse d'une économique de l'hyperréalisme«, in: Chroniques de l'Art Vivant, Nr. 36, S. 9-12 – ein Wiederabdruck findet sich in Jean-François Lyotard ([1973d] 1980): Des dispositifs pulsionnels, Paris: Christian Bourgois Éditeur auf den Seiten 99-107 – allerdings ohne Abbildungen. Fast zwanzig Jahre später setzt er sich in einem Text zu einem weiteren, fotorealistisch arbeitenden Maler wieder mit dem Hyperrealismus und vor allem den Arbeiten Richard Estes auseinander, vgl. Jean-François Lyotard (1991d): »Im Hinblick auf das Reale«, in: ders. ([2000] 2004), Das Elend der Philosophie, Wien: Passagen Verlag, S. 193-202; hierzu mehr in Fußnote 53. 29 Lyotard beschäftigt sich mit Guiffreys (*1938) Umgang mit der Leinwand seiner abstrakten Gemälde aus einer frühen Phase (heute ist er allein als Glas-Bildhauer

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chard Lindner30 sowie die zum Maler Jacques Monory.31 Bereits in »Die Malerei als Libido-Dispositiv« verweist Lyotard mehrfach auf das Werk Daniel Burens. Seine Arbeiten werden im Folgenden als Beispiel für eine postmoderne Kunst à la Lyotard behandelt. 1.1.2. Kunst als Experiment 1979 erscheint die Studie Das postmoderne Wissen, eine Auftragsarbeit für die Regierung von Québec. 1983 folgt Le Différend, das Lyotard als sein eigentliches Hauptwerk bezeichnet.32 Wenn auch das erste bis heute das meist rezipierte ist, obgleich Lyotard im zweiten grundlegendere Überlegungen ausführt, kann man beide als sich ergänzende Publikationen betrachten, in denen sich der linguistic turn vollzieht, der sich in Discours, figure angekündigt hat, später jedoch zugunsten der libidoökonomischen Phase in den Hintergrund trat.33 Während Das postmoderne Wissen als Bericht (der

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bekannt), vgl. Jean-François Lyotard (1973b): »En attendant Guiffrey«, in: ders. ([1973d] 1980), Des dispositifs pulsionnels, Paris: Christian Bourgois Éditeur, S. 215-226; in Teilen zuerst 1973 in: Chroniques de l'Art Vivant, Nr. 39, S. 6-7. Lindner ist ein amerikanischer Maler der Neuen Sachlichkeit (1901-1978); vgl. Jean-François Lyotard (1973c): »Les filles machines folles de Lindner«, in: Chroniques de l'Art Vivant, Nr. 41, S. 8-9. Wie schon der Titel verrät, geht es in diesem Text um Lindners Frauendarstellungen, die Lyotard als ›LibidoMaschinen‹ interpretiert. Monory ist ein Vertreter der Nouvelle Figuration (oder Figuration Narrative), der bis heute für seine gegenständliche Malerei bekannt ist. Lyotards Auseinandersetzung mit Monory (*1934) fokussiert stark auf die Momente der Begierde in: Jean-François Lyotard (1972b): »Économie libidinale du dandy«, in: ders. (1984a), L'assassinat de l'expérience par la peinture, Monory, Pantin: Le Castor Astral, S. 11-109. Elemente des libidoökonomischen Ansatzes finden sich auch in: Jean-François Lyotard/Jacques Monory (1977b): Récits tremblants, Paris: Galilée – eine aus der Sicht des Kunstkommentars erstaunliche Publikation, da Lyotards Texte rein fiktionale, fragmentarische Kurzgeschichten sind, die auf den ersten Blick noch nicht einmal von den dort abgedruckten Werken Monorys inspiriert zu sein scheinen. Allerdings finden sich Passagen zum paradoxen Umgang mit der Zeit (siehe weiter oben in Fußnote 26). Hier ist Lyotard kein »schlechter« Mensch, der in Anbetracht von Kunst zu reden beginnt – diese Prosa ist in der Tat ein »Tanz«: Récits tremblants, ›zitternde Erzählungen‹. Lyotard nennt es sein »livre de philosophie«, vgl. den Buchumschlag von JeanFrançois Lyotard (1983a): Le Différend, Paris: Minuit. Bereits in der Dissertation von 1971 beschäftigen Lyotard »Diskursgenres«, allerdings indem er ihnen verschiedene Arten von figures entgegensetzt. (Die figure ist eine Darstellung oder Gestalt – die wörtliche Übersetzung ›Figur‹ ist im deutschen Sprachgebrauch eher irreführend, vgl. das Gespräch Lyotard/van Reijen/Veerman (1988c) 1995, S. 127, wobei das Wort Figur dort in Anführungszei-

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Untertitel lautet im Original Rapport sur le savoir) über die postindustrielle Gesellschaft gelesen werden kann, die Lyotard hier erstmals als postmodern bezeichnet, so ist Le Différend eine Abhandlung über Fragen der Ethik und Gerechtigkeit, wie er sie bis dato nicht behandelt hat. Die zentralen Thesen lauten, dass die »großen Erzählungen«, die métarécits, ihre Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit verloren haben: Die Aufklärung (im Sinne Kants), das »Projekt der Moderne« (im Sinne von Habermas), der Idealismus (im Sinne Hegels), aber auch der Marxismus sind nach den Umbrüchen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als gescheitert anzusehen. Diese sogenannten Legitimationserzählungen34 sind nach Lyotard in der postmodernen Gesellschaft nur noch jeweils eine Erzählung unter vielen, nur noch eine Interpretation unter vielen möglichen. Die einzige (allerdings unausweichliche) Alternative zu den grands récits ist ein Entgegensetzen von vielfältigen petits récits (auch micro-récits), die der Vielfältigkeit und Verschiedenheit aller, im Gegensatz zu einer illusorischen (und alles vereinnahmenden) Einheit, gerecht werden. Diese Pluralität muss verteidigt werden: Überall dort, wo Spielregeln der einen Erzählung, des einen Diskurses, auf eine andere Art von Erzählung, einen anderen Diskurs angewendet werden, wird laut Lyotard gegen die Gerechtigkeit verstoßen. Gerechtes, ethisches, moralisches Handeln und Denken, die auch in der postmodernen Gesellschaft weiterhin von großer Wichtigkeit sind, bedeutet, diese Form von Ungerechtigkeit zu erkennen und anzuzeigen bzw. den »Widerstreit« zwischen den Diskursgenres zu respektieren. Diesen Widerstreit definiert Lyotard als unentscheidbaren Konflikt zwischen zwei argumentativen Positionen – unentscheidbar, weil es keine übergeordnete, universelle Regel gibt, nach der beurteilt werden kann, welche Position die ›richtige‹ ist.35 Sogar die Wissenschaft, die im Mittelpunkt von Das postmo-

chen gesetzt ist. Mit ›Figur‹ assoziiert man eine einigermaßen klar umrissene, menschliche Gestalt; die figure hingegen ist weitaus unklarer, offener.) Lyotard unterscheidet zwischen der figure-image (eine sichtbare, aber fragmentierte, dekonstruierte Gestalt wie in Bildern von Picasso – »transgression de l'objet«), der figure-forme (das Schema bzw. die Komposition, wie Linien und Farben auf einem Bild von Pollock – »transgression de la forme«) und der figure-matrice (eine Art unsichtbarer Ur-Raum, in dem Objekte, Formen und auch Wörter vermengt sind – »transgression de l'espace«), vgl. Jean-François Lyotard (1971): Discours, Figure, Paris: Klincksieck, S. 277-279. Lyotard versteht diese figures als das, was der Diskurs (für die Kunst vor allem der theoretische Diskurs) nicht sagen kann, als das Andere der Sprache – auf die prinzipielle Nähe zu Adorno wird in der Conclusio einzugehen sein. Die direkte Beziehung zwischen theoretischem Diskurs und Kunst bei Lyotard steht weiter unten im Zentrum der Betrachtungen. 34 Siehe die Auflistung im Zitat zu der Fußnote 27. 35 Vgl. Lyotard 1983a. Die Betonung des Konflikts veranlasst Welsch, Lyotards ganze Philosophie als »agonal« zu verstehen, vgl. Wolfgang Welsch (1990):

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derne Wissen steht, ist nach Lyotard lediglich ein Sprachspiel – d.h. ein Sprachspiel, das die Heterogenität der Sprachspiele nicht zu vereinheitlichen suchen darf.36 In einer intensiven Auseinandersetzung mit dem späten Wittgenstein erläutert Lyotard anhand dieses Konzepts von Sprachspielen und verschiedenen Diskursgenres, inwiefern Kommunikation im Rahmen von Regeln abläuft, die immer wieder neu ausgehandelt werden. Der entscheidende Unterschied zu Habermas ist, dass Lyotard diese Aushandlungen nicht quasi automatisch auf einen Konsens hin ausgelegt sieht;37 im Gegenteil interessiert er sich für die Nicht-Übersetzbarkeit von Diskursgenres, für den Dissens. Diese Nicht-Übersetzbarkeit, Nicht-Vergleichbarkeit, Nicht-Subsumierbarkeit kann auch als Moment der Inkommensurabilität bezeichnet werden, ein Begriff, der bei Lyotard von Anfang an eine große Rolle spielt: Die figures sind inkommensurabel zum discours und in Duchamps Werken finden sich »Material, Werkzeuge und Waffen für eine Politik des Inkommensurablen.«38 Sprachlich garantieren Paradoxien und Paralogien diese Inkommensurabilität; Momente des Bruchs in den vermeintlich logischen Verkettungen von Sätzen, Momente des Zögerns, Stockens, der Verwirrung und der Sprachlosigkeit zeugen von dem, was nicht gesagt werden kann. Betont Habermas den Konsens, und spielt daher in seinem Kunstverständnis die Vermittlung, das Sagbare, die zentrale Rolle, ist es bei Lyotard im Gegenzug der différend, und in seinem Kunstverständnis die Frage, »[…] ob der unvorstellbare Raum darzustellen ist oder nicht […]«,39 wie er es schon in Bezug auf Duchamp formuliert. Die Kunstproduktion soll den Versuch unternehmen, das Undarstellbare darzustellen, dem Undarstellbaren, dem Unsagbaren einen Namen zu geben.40

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»Vernunft im Übergang«, in: Walter Reese-Schäfer/Bernhard H.F. Taureck (Hg.), Jean-François Lyotard, 2. Aufl., Cuxhaven: Junghans-Verlag, S. 1. Auch Jurt rückt Bourdieus »agonistisches« Feld in die Nähe von Lyotards Widerstreit (vgl. Jurt 2003, S. 113). Allerdings ist bei Lyotard die (aufrechtzuerhaltende) Spannung das Entscheidende, weniger die Opposition und Konfrontation zwischen zwei vermeintlich gegenteiligen Positionen; vgl. dazu bereits in: Lyotard 1971, S. 135ff. das Kapitel »L'opposition et la différence«. Der direkte Vorwurf Habermas gegenüber lautet: »Er tut der Heterogenität der Sprachspiele Gewalt an.«, in: Jean-François Lyotard ([1979d] 1986): Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Graz/Wien: Böhlau, S. 16. Dieser Konsens bezieht sich auf a priori geltende Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel bei Habermas diejenigen für eine »herrschaftsfreie« Kommunikation. Über diese vorab zu entscheiden (statt sie in der laufenden, widerstreitenden Kommunikation auszuhandeln) ist nach Lyotard unmöglich. Lyotard (1977a) 1987, S. 23. Ebd., S. 67. Ein Versuch, der logischerweise scheitern muss. Dass aus diesem Grunde ein Kunstwerk immer nur den Versuch zum Thema haben kann, und nicht das Un-

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Dass Lyotard diese Position auch emphatisch zu verteidigen vermag, wird wie gesehen in »Réponse à la question: Qu'est-ce que le postmoderne?« (von 1982, im selben Jahr auf Deutsch: »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?«) deutlich, das die Antwort auf Habermas' Adorno-Rede darstellt (siehe dazu bereits das Kapitel zu Habermas). In diesem Text erörtert Lyotard sein Konzept der Postmoderne gerade in Bezug auf die Kunst genau: »Kurz, Habermas verlangt von den Künsten und der Erfahrung, die sie vermitteln, eine Brücke über den Abgrund, der die Diskurse der Erkenntnis, der Ethik und der Politik trennt, zu schlagen und so der Einheit der Erfahrung einen Weg zu bahnen. Meine Frage lautet: Welcher Art ist die Einheit, die Habermas vorschwebt?«41

Lyotards Antwort darauf lautet, dass der Ruf nach Einheit, nach festen Regeln oder zumindest einer Orientierung gebenden Ordnung oder Richtung für die Kunst nichts anderes bedeutet, als das künstlerische Experimentieren, das seit jeher den Wandel in der Kunst prägt und für das vor allem die (historischen) Avantgardebewegungen stehen, »liquidieren« zu wollen.42 Lyotard hingegen plädiert für eine experimentelle Kunst, die sich nicht mehr die Frage stellt, was schön sei, sondern was Kunst zur Kunst mache – eine selbstreflexive Kunst, die die Kunsttheorie sozusagen mit den Werken mitliefert (und die so auch von Arthur Danto für denselben Zeitraum beschrieben wird). Das Experimentieren selbst bedeutet dabei, erlernte Regeln zu hinterfragen. In dieser Hinsicht besteht Lyotard auf geradezu klassische Art und Weise auf Originalität und Innovation in der Kunst: Wer diese ablehnt, ist nach Lyotard entweder reaktionär oder produziert bzw. unterstützt eine eklektische Kunst, die sich dem Markt anpasst.43 Mit ›Eklektizismus‹ in der

darstellbare selbst, erläutert Lyotard in seinen Überlegungen zum Erhabenen (siehe weiter unten). 41 Lyotard (1982d) 1994, S. 194 – der Text »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« ist ebenfalls abgedruckt in: Jean-François Lyotard ([1986b] 1987): Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982-1985, Wien: Passagen Verlag, dort: S. 11-31. 42 Lyotard (1982d) 1994, S. 195. In der Tat kritisiert Habermas, wie gesehen, eben jene Avantgardebewegungen. Auch Bourdieus Kunstverständnis kann mit Lyotard einer Kritik unterzogen werden, wie bei Lyotard einen Satz weiter vorher deutlich wird: »Man fordert Künstler und Schriftsteller auf, in den Schoß des Gemeinwesens zurückzukehren, oder betraut sie zumindest, sofern man der Ansicht ist, dieses sei krank, mit der Verantwortung für dessen Genesung.«, ebd. – eine Absage an »kritische« Kunst, wie sie von Bourdieu unterstützt wird; siehe dazu auch weiter unten mehr. 43 Ebd., S. 196: »Diejenigen, die es ablehnen, die Regeln der Kunst zu hinterfragen, machen Karriere dank des Konformismus der Massen […]«. Diese gängige Kunstmarktkritik, die Lyotard auch in mehreren Kunstwerkbetrachtungen äußert,

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Kunst meint Lyotard Richtungen in der zeitgenössischen Kunst, die von der Kunstgeschichte durchaus als postmodern eingestuft werden. Seine eigene Postmoderne-Konzeption, die jegliche Periodisierung als Postmodern-Ismus ablehnt, erlaubt es ihm dafür, Kunst in den Blick zu nehmen, die nicht in der postindustriellen Zeit entstanden ist,44 welche er selbst noch in Das postmoderne Wissen als postmodern bezeichnet. Damit befreit er sich einerseits vom kunsthistorisch gefassten Postmoderne-Begriff, erschwert andererseits jedoch den Zugang zu seinem Kunstverständnis ungemein. Christa Bürger zum Beispiel kritisiert, dass Lyotard den Maler Albert Ayme als postmodernen Künstler bespricht,45 während dessen Arbeiten aus einer kunsthistorischen Perspektive dem Bauhaus oder der de Stijl-Bewegung, also der klassischen Moderne zuzuordnen sind: »Diese Bestimmung der Moderne/ Postmoderne […] dispensiert Lyotard von der Notwendigkeit, zwischen Avantgarde und ästhetischer Moderne zu unterscheiden […]. Sie erlaubt ihm […] die Verteidigung seiner eigenen ästhetischen Position.«46 Lyotards Unterscheidung zwischen moderner und postmoderner Kunst ist sehr subtil: Die Differenz liegt lediglich in der Abgrenzung von nostalgischer Betonung der Abwesenheit des Nicht-Darstellbaren und der Anspielung auf dieses Nicht-Darstellbare mit einem Gefühl des Jubels hinsichtlich neu gefundener bildnerischer oder künstlerischer Spielregeln (die »Differenz zwischen Trauer und Wagnis«,47 die durchaus, so räumt Lyotard ein, in einem Werk zugleich gegeben sein können). Wenn es auch nahe liegt, dass Lyotard die von ihm besprochenen Künstler als postmodern in seinem Sinne einstuft – ob nun explizit oder mittelbar durch die Art der Kunstwerkbespre-

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verrät seine ursprüngliche Nähe zur marxistischen wie auch Kritischen Theorie, sodass hier eine der wenigen, aber markanten Übereinstimmungen zwischen Lyotards und v.a. Bourdieus Kunstverständnis festzuhalten ist. Allen voran Duchamp, dazu: »Man muß sich darüber klar werden, daß […] die Braut von Duchamp, die gut ihre 50 Jahre alt ist, unverbrauchbar[er] wirkt als der letzte Balthus, zumindest nach meiner Uhr. Ohne hier meine Uhrzeit verbindlich machen zu wollen, halte ich solche Parachronismen doch für möglich, für jeden möglich. Damit muß man annehmen, daß vieles zeitgemäß ist, und es ergeben sich notwendig Paradoxien.«, Jean-François Lyotard (1979c): »Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens«, in: ders. (1986a), Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin: Merve, S. 62 (erste Hervorh. im Orig., zweite D.D.). Vgl. Lyotard (1980b) 1992, S. 62. Der 1920 geborene, französische Künstler Albert Ayme malt abstrakte Gemälde, die Lyotard in diesem Text unter dem Aspekt des postmodernen Experimentierens (mit Farben) bespricht. Christa Bürger (1987): »Moderne als Postmoderne: Jean-François Lyotard«, in: Christa Bürger/Peter Bürger (Hg.) ([1987] 1992), Postmoderne: Alltag, Allegorie und Avantgarde, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 134f. Gleich darauf folgt die Anmerkung zu Albert Ayme. Lyotard (1982d) 1994, S. 201.

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chungen – so fällt es in vielen Fällen doch schwer, zu erkennen, woran genau dieser postmoderne Charakter der Werke festzumachen ist. Beispielsweise zählt Lyotard in »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« ein weißes Quadrat von Malewitsch zu den modernen Kunstwerken, die ähnlich abstrakt-geometrischen, weißen Gemälde von René Guiffrey bezeichnet er jedoch als postmodern. Dabei ist Lyotard postmodernistischer Zitat-Kunst gegenüber grundsätzlich negativ eingestellt, weswegen anzunehmen ist, dass Guiffrey für ihn kein solcher »Zitat-Künstler« ist; wie lässt sich dann jedoch der Unterschied zu einem Maler wie Kasimir Malewitsch erklären (vor allem wenn keine Periodisierung hinzugezogen werden soll)?48 Auch Malewitsch ›experimentierte‹, hinterfragte die damaligen Regeln, thematisierte den Träger, das heißt die Leinwand. Lyotards berühmt gewordene Aussage: »Ein Werk ist nur modern, wenn es zuvor postmodern war«49 beweist nur, dass Lyotard, der Denker der Paralogien und Paradoxien der Postmoderne, selbst paradoxe Aussagen macht,50 wobei gerade sein Umgang mit Zeit oft davon geprägt wird.51 Eine schlüssige Erklärung für die Einstufung ›postmoderner‹ Werke ist es nicht. Dies legt die Überlegung nahe, dass gerade die Ablehnung einer Periodisierung der Postmoderne, will man diese nicht mit der Moderne gleichsetzen, doch wieder auf eine solche Periodisierung zurückführt: Bleibt man bei inhaltlichen oder formalen Aspekten für die ›postmoderne‹ Einstufung, können alle von Lyotard befürworteten Werke entweder als postmodern oder modern bezeichnet werden – oder man sagt ›periodisierend‹, dass diejenigen bis ungefähr Mitte des 20. Jahrhunderts modern und die nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen postmodern zu nennen sind. Dabei bliebe es so oder so dabei, dass diese Einordnungen nichts mit den kunsthistorischen Kategorien gemein haben.

48 Lyotard selbst glaubt den Unterschied darin zu sehen, dass in Malewitschs Gemälden etwas »Tragisches« ist, während Guiffreys Gemälden eine Art »Apathie« zugrunde liegt, vgl. Lyotard (1973b) 1980, S. 221. 49 Ebd., S. 201. 50 Negativ formuliert sind es »fröhliche Begriffsverwirrungen«, vgl. Bürger (1987) 1992, S. 138. 51 Dies zeigt sich in vielen Kunstwerkbetrachtungen, siehe noch einmal oben die Fußnote 26. Aussagen wie »Ich habe bekanntlich selbst den Terminus ›postmodern‹ verwendet. Das war eine etwas provokative Art und Weise, die Debatte über die Erkenntnis ins volle Licht zu rücken.« in: Jean-François Lyotard (1986c): »Die Moderne redigieren«, in: Wolfgang Welsch (Hg.) (1994), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, 2. Aufl., Berlin: Akademie-Verlag, S. 213, verstärken den Zweifel an der Stringenz dieses Begriffs bei Lyotard. Der darauf folgende Satz klingt wie eine versöhnliche Geste in Richtung Habermas: »Die Postmoderne ist keine neue Epoche, sondern das Redigieren einiger Charakterzüge, die die Moderne für sich in Anspruch genommen hat [...]«, ebd. – der Text ist ebenfalls abgedruckt in der Aufsatzsammlung Lyotard (1988a) 1989, dort: S. 51-69.

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Zum Beispiel stuft die Kunstgeschichte die figurative Kunst der 1980er Jahre als postmoderne Kunst ein, zu der in Deutschland die Jungen Wilden gehören und in Italien die sogenannte Transavanguardia. Letztere ist eine stark vom Kunstkritiker und -theoretiker Achille Bonito Oliva geförderte Kunstrichtung, die jedoch zu denen gehört, die Lyotard als eklektisch ablehnt. Es ist eine Fehlinterpretation, die Lyotardsche postmoderne Kunst über eine Lektüre der Passage zu Malewitsch in »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« so zu verstehen, dass prinzipiell abstrakte, nicht-figurative Kunst für postmodern zu halten ist (so äußert sich Christine Pries erstaunt darüber, dass Lyotard in Que peindre? auch von figurativer Kunst spricht52). Denn Lyotard hat von Anfang an ebenso abstrakte wie gegenständliche Kunst besprochen.53 Der Versuch, das Nicht-Darstellbare, das sich – gegen

52 Vgl. Jean-François Lyotard mit Christine Pries (1988b): »Das Undarstellbare – wider das Vergessen«, in: Christine Pries (Hg.) (1989), Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, Weinheim: VCH, Acta humaniora, S. 322. 53 Im weitesten Sinne abstrakt: René Guiffrey, Daniel Buren, Albert Ayme, Barnett Newman, Henri Maccheroni, Stig Brøgger, Sam Francis; im weitesten Sinne gegenständlich: Richard Lindner, Jacques Monory, Gianfranco Baruchello, Ruth Francken, Valerio Adami, Karel Appel, François Lapouge, Bracha L. Ettinger, Corinne Filippi, Pierre Skira. Mindestens Marcel Duchamp, Shusaku Arakawa als auch Joseph Kosuth wären dazwischen zu positionieren – diese groben Zuordnungen können nur zur Orientierung dienen. Josef Früchtl stellt richtig fest: »Insbesondere ist […] eine realistische Kunst für L. nicht mehr möglich, da sie die Repräsentation stabilisiert.«, in: Josef Früchtl (1998): »Jean-François Lyotard«, in: Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hg.), Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 525f. Tatsächlich wendet sich Lyotard in »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« gegen den Realismus und nicht gegen gegenständliche Kunst: »Der Realismus, dessen einzige Definition darin besteht, die Frage nach der Realität, die in der Frage der Kunst impliziert ist, zu umgehen zu suchen, liegt stets auf halbem Wege zwischen Akademismus und Kitsch.«, in: Lyotard (1982d) 1994, S. 197. Allerdings bleibt Früchtl seiner eigenen Einsicht nicht treu: Wenige Absätze später schreibt er in Bezug auf das Erhabene bei Lyotard, dass das entsprechende künstlerische Medium die Malerei der Avantgarde sei, »das heißt die abstrakte Malerei.«, Früchtl 1998, S. 527 (Hervorh. D.D.). Diese Gleichsetzung ist weder kunsthistorisch, noch in Bezug auf Lyotards gesamtes Werk nachvollziehbar, erklärt sich jedoch sicherlich durch einzelne Textpassagen Lyotards, die in diese Richtung weisen, wie zum Beispiel im viel rezipierten Text zu Barnett Newman: »Das ist nur ein Hinweis, aber er kündigt die abstraktionistischen und minimalistischen Auswege an, durch die die Malerei dem figurativen Gefängnis zu entkommen versucht.«, in: Lyotard (1983b) 1986a, S. 18. Siehe außerdem den programmatischen Titel des Aufsatzes: Jean-François Lyotard (1981d): »Die Unsichtbaren zeigen, oder: gegen den Realismus«, in: ders. (1987a), Über Daniel Buren, Stuttgart: Edition Patricia Schwarz, Galerie Kubin-

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Habermas – »der sprachlichen Kommunikation konstitutiv entzieht«,54 darzustellen, ist nicht an nicht-figurative Kunst gebunden (zu diesen Fragen mehr weiter unten). Bevor mit dem Begriff des »Erhabenen« Lyotards Konzeption postmoderner Kunst klarer werden kann, soll zunächst auf einen Künstler eingegangen werden, dessen Werke in jeglicher Hinsicht als eindeutig postmodern zu verstehen sind: Daniel Buren (*1938). Lyotard befasst sich in mehreren Aufsätzen mit dem Werk des französischen Installationskünstlers, der schon dadurch hervorsticht, dass er einer der wenigen von Lyotard besprochenen Künstler ist, der nicht als Maler tätig ist. In seinen ortsabhängigen (›in situ‹) Arbeiten setzt Buren das immer gleiche Medium ein: vertikale Farbstreifen von 8,7 cm Breite, die in unterschiedlichen Tönen (blau, rot etc.) das typische Muster von Jalousien wiedergeben. Die abwechselnd farbigen und weißen Streifen, deren Einsatz spezifisch für den jeweiligen Ort festgelegt wird, gelten als sein Markenzeichen. Der stets identische ›Inhalt‹ der Werke und ihre nie changierende Form (außer in Bezug auf den Ort) bewirken, dass die Aufmerksamkeit des Betrachters auf diesen Ort, diesen jeweiligen Kontext gelenkt wird – daher zählen seine Arbeiten auch zur sogenannten Kontextkunst. Buren selbst bezeichnet seine Streifen als outil visuel (›Sehwerkzeug‹). Beispiele für dieses seit Jahrzehnten durchgeführte Konzept sind Peinture/Sculpture von 1971, eine Installation im Treppenhaus des New Yorker Guggenheim Museums, Le Pavillon français: coupé-découpétaillé-gravé von 1986 auf der Kunst-Biennale von Venedig, eine Arbeit, für die er den »Goldenen Löwen« erhielt, oder Passage de la Couleur, eine ›Streifen-Arbeit‹ auf Rolltreppen zur Art Basel 2007. Sein berühmtestes Werk ist die dauerhafte Installation Les Deux Plateaux im Hof des Palais Royal in Paris (siehe Abbildung 4), die seinerzeit in Frankreich einen Skandal verursachte und als eigentlicher Ausgangspunkt für die ›Querelle de l'art contemporain‹ zu sehen ist, die einleitend bereits kurz zur Sprache kam (mehr dazu auch bei Baudrillard). Diese 1985-86 als Auftragsarbeit für das französische Kulturministerium entstandene Arbeit rief Empörung von In-

ski, S. 29-46. Andererseits bespricht Lyotard den französischen, fotorealistisch arbeitenden Maler François Lapouge (*1957) dahingehend, dass ein ›Zuviel‹ an Realität das in ihr unsichtbar Reale aufzeigen kann, vgl. Lyotard (1991d) 2004, S. 199ff. (Im Übrigen entrealisiert laut Lyotard in diesem Text auch der Hyperrealismus die Realität, eine Interpretation, die nunmehr weit entfernt ist von der ersten, libidoökonomischen und die sich sehr deutlich Baudrillards Konzept der Hyperrealität verdankt, wie es im entsprechenden Kapitel genauer erläutert wird.) – Summa summarum lässt sich festhalten, dass Lyotards Verhältnis zur gegenständlichen Malerei mehr als ambivalent ist. 54 Wolfgang Welsch (1988): »Einleitung«, in: ders. (Hg.) (1994), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, 2. Aufl., Berlin: Akademie-Verlag, S. 31.

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tellektuellen sowie Bürgerinitiativen hervor, da sich Gegner zeitgenössischer Kunst dagegen wehrten, dass Steuergeld für Kunst ausgegeben wurde, die historische Gebäude wie das Palais Royal (ihrer Meinung nach) verunstaltete. Die begehbare Installation besteht aus Säulen unterschiedlicher Höhe im typischen Streifenmuster und einer Wasser- und Lichtinstallation. Da jedoch die allermeisten Arbeiten temporär sind, bestehen ihre ›Spuren‹ nur in Fotografien (die Photo-souvenirs), die die Arbeiten dokumentieren und das einzige Mittel sind, diese ›auszustellen‹. Burens Umgang mit dem Ausstellungsort ist eines der zentralen Themen, die Lyotard behandelt. In »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« schreibt er: »[…] Buren stellt jene andere Voraussetzung in Frage, die seines Erachtens vom Œuvre Duchamps unberührt blieb: den Darstellungsort des Werkes.«55 Einerseits geht es Lyotard hier um Burens Behandlung des Trägers, der in diesem Falle Stoff, Wand, Stufen, Spiegel, Segel und vieles mehr sein kann; und tatsächlich weist Lyotard im entsprechenden Text (»Die Malerei als LibidoDispositiv«) auf Buren hin.56 Das Experimentieren bei Buren ist hier die Erweiterung des Malerei-Dispositivs ›Träger‹. Andererseits erkennt Lyotard in der Entscheidung zu temporären in situ Ausstellungen eine Absage an Kunstinstitutionen wie dem Museum. Auch die klassisch kritische Haltung dem Kunstmarkt gegenüber, dem Buren laut Lyotard seine Werke entzieht, schätzt er im Sinne einer Nicht-Anpassung an die Regeln.57 In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass Lyotard wie Bourdieu ganz im Tenor der Frankfurter Schule die »Kulturindustrie« für kritikwürdig hält58 und eklektischen Werken wie denen der Transavanguardia vorwirft, sich allen Tendenzen anzupassen, »[…] unter der alleinigen Voraussetzung, daß Tendenzen und Bedürfnisse über die nötige Kaufkraft verfügen.«59 Die Fähigkeit, mit der die Kunstinstitutionen und der Kunstmarkt in der Lage sind, Kunst zu integrieren, die sich ihnen zu entziehen sucht, findet bei Lyotard keine Beachtung – wobei gerade Buren seit über

55 Lyotard (1982d) 1994, S. 201. Gleich darauf folgt der Satz mit den modernen Werken, die zuvor postmodern waren (siehe weiter oben). 56 Vgl. vor allem Lyotard (1972a) 1982a, S. 67. 57 Ähnliche Kommentare finden sich in einem Text für den italienischen Zeichner und Collage-Künstler Gianfranco Baruchello (*1924), in dem Lyotard die NichtÜbersetzbarkeit von Collagen anspricht, die Textausschnitte beinhalten, was sie im Gegensatz zu (kommerziellen) Produkten großer Unternehmen zu einzigartigen Objekten macht, vgl. Jean-François Lyotard (1979a): »Pour faire de ton fils un Baruchello«, in: Gianfranco Baruchello, L'altra casa, Paris: Galilée, S. 9-15. Zu Baruchello siehe auch weiter unten die Fußnote 65. 58 Nach Lyotard sind die »Neuen Technologien« dabei, »das, was Kultur genannt wird, in Industrie zu transformieren.« – wie er zugibt eine »banale Beobachtung«, die er dennoch für ausführungswürdig hält, in: Lyotard (1986c) 1994, S. 213. 59 Lyotard (1982d) 1994, S. 198.

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dreißig Jahren zu den am besten etablierten französischen Künstlern gehört.60 Lyotard äußert kein Interesse am Erfolg oder Nicht-Erfolg der von ihm besprochenen Künstler (anders als Bourdieu, der die Schwierigkeiten, die Haacke hatte, die eine oder andere Ausstellung zu realisieren gleich zu Beginn ihres Gesprächs betont); der Schwerpunkt der Lyotardschen Kunstbetrachtung liegt, wie er es für die Funktion der zeitgenössischen Werke formuliert, gerade nicht auf der »[…] Kritik der ideologischen Superstrukturen, [der] Infragestellung der Institutionen […]«, sondern auf der Intention (bzw. Funktion) »[…] ein anderes Sprachspiel, ein anderes Kunstspiel zu erfinden.«61 Dabei ließe sich sagen, dass sich genau dieses »andere Kunst-

60 Auch wenn der berühmt-berüchtigte Kunstkompass des Wirtschaftsmagazins Capital gerade nicht die Verkaufserfolge misst, zeugt die alljährliche Liste der hundert ›größten‹ Künstler der Gegenwart doch von Ausstellungserfolgen, Ansehen und Ruhm. Buren steigt bereits 1974 in das Ranking ein (also Jahre bevor sich Lyotard mit seinen Arbeiten auseinandersetzt) und hält sich bis zuletzt und bis auf einige wenige Jahre konstant auf den oberen Plätzen, vgl. Linde RohrBongard (Hg.) (2001): Kunst = Kapital. Der Capital Kunstkompass von 1970 bis heute, Köln: Salon Verlag, hier: S. 49. 61 Jean-François Lyotard (1978b): »Vorbemerkungen über die Pragmatik der Werke (insbesondere zu den Werken von Daniel Buren)«, in: ders. (1987a), Über Daniel Buren, Stuttgart: Edition Patricia Schwarz, Galerie Kubinski, S. 21f. Dieses Buch bietet eine Zusammenstellung der vier Texte von Lyotard zu Buren, die teilweise auch anderweitig erschienen sind – dieser zum Beispiel in JeanFrançois Lyotard (1986a): Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin: Merve, dort: S. 79-95. Die französischen Originaltexte sind erstmals in verschiedenen Publikationen (Sammelbänden bzw. Zeitschriften) erschienen und dienten auch als Grundlage für einige der Texte, die Lyotards Publikation Que peindre? bilden. Dort sind alle erschienenen Texte umgeschrieben, sodass sie sich in dialogischer Form präsentieren. Dies erschwert zwar die Lektüre, gibt aber bestens wieder, wie erst die Kombination unterschiedlicher Meinungen einem Werk gerecht werden kann (in Que peindre? sprechen ein Vous, Lui, Elle, L'autre, Moi und Toi, außerdem Est, Ouest, M. Sceau und M. Sis, wobei die Letzteren wiederum eine Paralogie bilden: Wie können Est und Ouest sprechen, und sind die Herren Sceau und Sis zusammen nun die saucisse, die Wurst, oder die ciseaux, die Schere? Momente der sprachlichen Verwirrung par excellence.). Lyotard hat viele seiner Kunsttexte mehrfach umgeschrieben publiziert: Ein extremes Beispiel ist »Anamnese des Sichtbaren«, dessen mehrjährige Publikationsgeschichte in Jean-François Lyotard ([2000] 2004): Das Elend der Philosophie, Wien: Passagen Verlag, S. 266 nachgelesen werden kann, wo der Aufsatz in einer seiner zahlreichen Versionen unter dem Titel »Die Malerei, Anamnese des Sichtbaren« (dort S. 85-100) publiziert ist (in einer anderen Version begleitet er die Werke der israelisch-französischen Künstlerin Bracha L. Ettinger, Jahrgang 1948). Diese Texte sind nicht zu verwechseln mit Jean-François Lyotard (1985a): »Anamnèse du visible, ou: la franchise«, in: Alfred Pacquement/Musée

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spiel« per se gegen die etablierten Institutionen im Kunstbetrieb wendet. Buren ist ein solcher Experimentator, der daran arbeitet »[…] nicht die Bedeutungen zu dekonstruieren, sondern die Sensibilitäten zu erweitern: das sichtbar (oder hörbar) zu machen, was unsichtbar (oder unhörbar) ist.«62 Dieser Fokus auf die Darstellung des Nicht-Darstellbaren und das postmoderne Experimentieren ist das Leitmotiv fast aller Kunstwerkbetrachtungen Lyotards: Entsprechende Textpassagen finden sich auch zu Duchamp63 und in den Kommentaren zu Henri Maccheroni,64 Gianfranco Baruchello,65

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National d'Art moderne (Hg.), Adami, Paris: Éditions du Centre Pompidou, S. 50-60; dies ist ein Text zu den Werken Valerio Adamis (siehe Fußnote 67). Dieser wiederum diente als Grundlage für die Kapitel »La franchise« und »L'anamnèse« in Lyotard 1987b, S. 49-57 und S. 59-66, in denen der ursprüngliche Text von Lyotard fragmentiert und in Dialogform gesetzt ist. Allgemein gesagt bezeugt diese Publikationsstrategie, dass sich die oft sehr allgemein gehaltenen Überlegungen Lyotards für unterschiedliche Künstler eignen und er sie tatsächlich auch unterschiedlich zum Einsatz bringt. Lyotard (1978b) 1987a, S. 27. Vgl. zum Beispiel: Jean-François Lyotard mit Alain Pomarède (1978a): »›Was man nicht erfliegen kann, muss man erhinken‹«, in: Jean-François Lyotard (1986a), Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin: Merve, S. 36. Ein französischer Künstler (*1932), der in einer Serie Kreis, Kreuz und X als Zeichen künstlerisch umwandelt und die Lyotard vor allem im Sinne seines Konzepts der Satzverkettungen interpretiert, vgl. Jean-François Lyotard (1980a): »La partie de peinture«, in: ders./Henri Maccheroni (1986), La partie de peinture / Partita di pittura, Firenze: La casa Usher, S. 7-16. Wie im Text zu Baruchello (siehe Fußnote 65) gibt es auch noch Passagen zu früheren Ansätzen, hier zum Einsatz des Trägers. Mitte der 1980er Jahre interpretiert Lyotard kleine, scheinbar willkürlich zusammengestellte Bildchen des Italieners Baruchello (siehe bereits die Fußnote 57) als Monogramme, die viele kleine, unzusammenhängende Geschichten (im Sinne der petits récits) erzählen, vgl. Jean-François Lyotard (1984b): »Malerei des Geheimnisses im Zeitalter der Postmoderne. Gianfranco Baruchello«, in: ders. (1986a), Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin: Merve, S. 108-127. Der Ausspruch »Wie bei allen Postmodernen gibt es wenig zu sehen und viel zu denken.«, der den Buchumschlag dieses Sammelbandes ziert, bezieht sich auf Baruchello und ist diesem Text entnommen (ebd., S. 118). Auch eine Auseinandersetzung mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren sowie dem Konzept der Intensitäten ist enthalten, womit dieser Text wie viele Kunstwerkbetrachtungen bis zur Mitte der 1980er Jahre einen Übergang zwischen der libidoökonomischen und der postmodernen Phase darstellt.

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Ruth Francken,66 Valerio Adami,67 Joseph Kosuth68 und, wie gesehen, Albert Ayme.69

66 Die tschechisch-französische Künstlerin (1924-2006) stellt Porträts berühmter Persönlichkeiten – wie Samuel Beckett, Jean-Paul Sartre, Joseph Beuys oder Lyotard selbst – als Foto-Collagen zusammen. Bei der ersten Publikation zu Francken handelt es sich eher um eine Biographie der Künstlerin, im Sinne eines Nachzeichnens ihres künstlerischen Werdegangs. Lyotard setzt die zentralen Begriffe Experiment, Undarstellbarkeit, Postmoderne u.a. weitaus weniger ein als in Texten zu anderen Künstlern, doch sind Franckens Porträts genau in diesem Sinne zu verstehen. Des Weiteren erwähnt Lyotard in dieser Publikation viele andere von ihm besprochene Künstler und Begriffe, die später eine wichtige Stellung in seinen Texten einnehmen (v.a. das Erhabene), vgl. Jean-François Lyotard mit Bildern von Ruth Francken (1983d): L'histoire de Ruth, Talence: Le Castor Astral. Die zweite Publikation beschäftigt sich weitaus stärker mit der Möglichkeit von Repräsentation, vgl. Jean-François Lyotard (1991c): »La Brûlure du silence«, in: Musée des Beaux Arts Metz (Hg.), Ruth Francken: »Mirrorical Return«, »Hostages«, and »Wittgenstein variations«, Montigny les Metz: Éditions Voix Richard Meier, S. 11-32. 67 Der 1935 geborene, italienische Künstler Adami malt figurative, farblich intensive Landschaften und Menschenbildnisse. In Lyotard 1985a setzt sich Lyotard mit dem Vorstellungs- und Darstellungsvermögen bei Kant auseinander; siehe dazu auch weiter oben die Fußnote 61. Zu Adami mehr bei Derrida. 68 Der anerkannte amerikanische Konzeptkünstler und Kunsttheoretiker Kosuth (*1945) ist bekannt für seine Installationen, die Bild und Text kombinieren und diese gegenseitig hinterfragen, worunter Präsentationen von Wortbeschreibungen aus Wörterbüchern zählen. Lyotard dazu: »The perceptible is not entirely perceived; the visual is more than the visible. In making a visible work out of writing, Kosuth immerses it in the visual field, and by the same token he establishes its opacity, its invisible and therefore unreadable otherness, its oblique remainder, its unseen and unwritten ›context‹.«, Jean-François Lyotard (1991b): »Foreword: After the Words«, in: Joseph Kosuth, Art After Philosophy and After. Collected Writings, 1966-1990, Cambridge/Massachusetts/London: MIT Press, S. xvi. 69 Hinzugefügt werden können zwei weitere Texte: Erstens der, in dem sich Lyotard mit dem Status von Grafiken als Kunst beschäftigt und in dem er darauf eingeht, dass Grafiker wie Künstler Einschränkungen unterliegen, innerhalb derer sie dennoch mit den Möglichkeiten, die sich bieten, experimentieren können, vgl. Jean-François Lyotard (1990b): »Intriguer, ou le paradoxe du graphiste«, in: Syndicat National des Graphistes (Hg.), Vive les graphistes! Petit inventaire du graphisme français, Paris: Centre Georges Pompidou, S. 4-15. Zweitens der kurze Text zur Fotografin Corinne Filippi, die Bildausschnitte so auswählt, dass kaum zu erkennen ist, was genau ihre Fotografien zeigen: Es ist ein Schwanken zwischen Darstellung und Vorstellung, das Lyotard im entsprechenden Text beschreibt, vgl. Jean-François Lyotard (1997b): »Syncopes, paysages«, in: Jean-

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In diese Phase fällt Lyotards Ausstellung »Les Immatériaux« am Centre Georges Pompidou in Paris (1985), die eng mit Das postmoderne Wissen zusammenhängt. Der Bericht ist – unter anderem – eine philosophischwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Einfluss der neuen (Kommunikations-)Technologien auf die postindustrielle Informationsgesellschaft; die Ausstellung nähert sich demselben Thema auf künstlerische Art und Weise. Lyotards Bestreben war es, einem breiten, interessierten, aber nicht unbedingt akademischen Publikum diesen Einfluss zu verdeutlichen und für Fragen und Probleme, die damit zusammenhängen, zu sensibilisieren.70 Die Ausstellung trug den Namen »Les Immatériaux« (Immaterialien) als Andeutung auf die Transformation von Wissen in immaterielle (Computer-)Codes wie die Recheneinheit Bit.71 Viele kritisierten an der Ausstellung und an der Haltung Lyotards eine »geradezu rauschhafte Bejahung der neuen technischen Revolution«72 – dabei ging es Lyotard nicht um eine bejahende Akzeptanz (wie auch die affirmative Kunst nicht als Bejahung zu verstehen ist), sondern um die Erkenntnis, dass die epochal zu nennenden Veränderungen, die er in Das postmoderne Wissen darstellt, eine Tatsache sind und uns lediglich die Frage der Gestaltung bleibt, nicht des ›ob überhaupt‹. Es ist dieselbe Kritik wie sie Verfechter der Moderne an Lyotards Postmoderne äußern, und tatsächlich findet die Gegenüberstellung von Habermas' Projekt der Moderne und Lyotards Definition der Postmoderne Anklang im entsprechenden Jahresbericht des Centre Georges Pompidou: »L'ambition de l'exposition [›Les Immatériaux‹; D.D.] était de rendre manifeste, visuellement et auditivement, l'opposition entre le projet de la modernité (d'émancipation et de progrès) qui se défait et les interrogations de la postmodernité qui émerge.«73

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François Lyotard/Nicole Vitre, Corinne Filippi: photographie…, Reims: Les Éditions du Paysage, o.S. Die Ausstellung stellte fünf Fragen: »[…] woher kommen die Nachrichten, die wir empfangen (welchen Ursprung, welche Maternität haben sie)? Worauf (auf welche Materie) beziehen sie sich? Mit welchem Code (welcher Matrix) sind sie zu entschlüsseln? Auf welchem (materiellen) Träger sind sie eingeschrieben? Wie (mit welchem Apparat) werden sie den Empfängern übermittelt?«, in: JeanFrançois Lyotard et al. (1985c): Immaterialität und Postmoderne, Berlin: Merve, S. 12 (Hervorh. im Orig.). Matrix, Träger, Apparat – Lyotard formuliert die Fragen fast analog zu denen, die er Kunstwerken stellt. Für eine kurze und präzise Zusammenfassung der Exponate (es handelte sich nicht um Kunstwerke im klassischen Sinne, das heißt es gab keine von Künstlern produzierte Objekte zu sehen) vgl. Tholen 2005, S. 316f. Bürger (1987) 1992, S. 134. So der damalige Präsident des Centre Pompidou: Jean Maheu (1985): »Préface«, in: Centre national d'art et de culture Georges Pompidou (Hg.), Rapport d'activité – année 1985, Paris: Centre Georges Pompidou, S. 3.

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1.2. Das Erhabene – Kunst als Ereignis Die Antwort auf die von Lyotard gestellte Frage »Was malen?« erfährt mit der Zeit eine Verschiebung von der Rezeptionsebene zur Produktionsebene: Ausgehend von der Analyse der Wirkung von Kunstwerken auf den Betrachter in Form von gesteigerten Intensitäten, stellt Lyotard Überlegungen darüber an, welche Art von Kunst diesen Effekt haben könnte, und gelangt zu der Überzeugung, dass die Darstellung des Undarstellbaren dazu in der Lage sei (die gleichzeitig mit den Bedingungen von Kunst experimentiert). Dieses Undarstellbare erfährt in der nächsten Phase von Lyotards Schaffen eine neue Wendung hin zum Begriff des Erhabenen. Das Erhabene hat zwar auch zuvor in einigen Texten Lyotards eine zentrale Stellung eingenommen, so zum Beispiel in »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?« oder in vielen Kunstwerkbetrachtungen; doch erst die intensive, jahrelange Auseinandersetzung mit dem Erhabenen bei Kant (aber auch Longinus und Burke) in Form einer Neuinterpretation, die zur Publikation Leçons sur l'Analytique du sublime von 1991 (auf Deutsch: Die Analytik des Erhabenen, 1994) führt, erlaubt Lyotard einen systematischen Zugang zum Thema.74 Es lässt sich sagen, dass im Konzept des Erhabenen die unterschiedlichen Gedankenstränge zu Kunst zusammenlaufen und auch die

74 ›Systematisch‹ zu nennen wären diejenigen Denkstränge Lyotards, die nach einer Fülle von Aufsätzen zu einer ausführlichen Publikation führen, so wie viele kleine Texte (häufig Kunstwerkbetrachtungen) Werke wie Ökonomie des Wunsches, Der Widerstreit und hier Die Analytik des Erhabenen vorbereiten – vgl. die sehr ähnliche Einteilung von Lyotards Texten bei Bennington 1988, S. 2. JeanFrançois Lyotard ([1991a] 1994): Die Analytik des Erhabenen (Kant-Lektionen, Kritik der Urteilskraft, §§ 23-29), München: Fink versteht sich, wie schon der Titel andeutet, als Kommentar zu Kants Kritik der Urteilskraft. Wie bei den übrigen Publikationen auch, eignen sich für die vorliegende Arbeit die zahlreichen Aufsätze zum Erhabenen und die Kunstwerkbetrachtungen, die dieses mit einbeziehen, besser, als die grundlegende Publikation zu dem Thema selbst. Für eine ausführliche Betrachtung von Lyotards Auseinandersetzung mit Kant vgl. Tim Kammasch (2004): Politik der Ausnahme. Die »Politique Philosophique« von Jean-François Lyotard und ihr Widerstreit mit Kant, Mandelbachtal/Cambridge: edition cicero. Für eine grundlegende Erörterung des Erhabenen auch bei Lyotard, im historischen Kontext des Begriffs und unter Berücksichtigung des Erhabenen bei Adorno, der namentlich in den entsprechenden Texten Lyotards nicht erwähnt wird, vgl. María Isabel Peña Aguado (1994): Ästhetik des Erhabenen. Burke, Kant, Adorno, Lyotard, Wien: Passagen Verlag. An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich die Sekundärliteratur zur Rolle und Bedeutung von Kunst und Ästhetik in Lyotards Werk größtenteils, wenn nicht sogar ausschließlich, mit seinem Konzept des Erhabenen beschäftigt. So hat Sekundärliteratur, die seine anderen Ansätze bzw. früheren Publikationen zu Kunst einbezieht, Seltenheitswert – was die Relevanz der Fragestellung der vorliegenden Arbeit nur hervorhebt.

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Beschäftigung mit der Rezeptions- und Produktionsebene gebündelt wird. Ausgehend von der Darstellung des Undarstellbaren setzt sich Lyotard wieder verstärkt mit der Frage auseinander, was dieses Nicht-Darstellbare (das er auch bei Kant in der Abwesenheit von Form findet) beim Betrachter bewirkt: »Wir können uns das absolut Große, das absolut Mächtige vorstellen, aber jegliche Darstellung eines Gegenstands, die darauf abzielte, jene absolute Größe oder Macht ›sehen zu lassen‹, erscheint uns schmerzlich unzureichend. Es sind Ideen, deren Darstellung nicht möglich ist […]. Man kann sie undarstellbar nennen.«75

Von dieser Diskrepanz zwischen Vorstellungs- und Darstellungsvermögen hat Lyotard schon früher, im Zusammenhang mit Buren gesprochen, noch ohne dabei den Begriff des Erhabenen zu nennen.76 Die Übereinstimmung zwischen dem, was vorgestellt werden kann und dem, was dargestellt wird, weckt bei Kant das Gefühl des Schönen, weckt Lust. Das Auseinanderfallen zwischen diesen beiden Vermögen weckt das Gefühl des Erhabenen, ein widersprüchliches Gefühl, das »Lust und Unlust, Freude und Angst, Exaltation und Depression«77 miteinander verbindet. Das Erhabene ist ein Paradox, denn die Lust entsteht aus dem Gefühl der Unlust: Zwar kann man das Absolute nicht darstellen (Unlust, Angst, Depression), »[m]an kann jedoch darstellen, daß es Absolutes gibt«78 (Lust, Freude, Exaltation). Das Gefühl des Erhabenen führt Lyotard zurück auf die wirkungsästhetische Ebene und schließt den Kreis zur libidoökonomischen Phase, wenn er darüber schreibt, dass das Erhabene eine »Frage der Intensivierung«79 (des Gefühls- und Begriffsvermögens des Kunstbetrachters) sei. Gleichzeitig reiht es sich ebenfalls in den Kontext seiner linguistischen Ansätze ein: So wie es einen Widerstreit zwischen Diskursgenres und Sätzen geben kann, kann dies auch bei der Verkettung von Farben, Strichen und Werken (in einer Parallele zur

75 Lyotard (1982d) 1994, S. 199f. 76 Vgl. Lyotard (1981d) 1987a, S. 45. 77 Jean-François Lyotard (1983c): »Das Erhabene und die Avantgarde«, in: ders. ([1988a] 1989), Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit, Wien: Passagen Verlag, S. 163. In diesem Text, der mehrfach veröffentlicht wurde (auf Deutsch erstmals 1984), geht Lyotard auch auf die Geschichte des Begriffs des Erhabenen ein. 78 Jean-François Lyotard (1982c): »Vorstellung, Darstellung, Undarstellbarkeit«, in: ders. ([1988a] 1989), Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit, Wien: Passagen Verlag, S. 218. Neben dem Abdruck in Lyotard et al. 1985c, dort: S. 91-102, ist der Text interessanterweise ebenfalls in einer Publikation zum deutschen Künstler Sigmar Polke erschienen, vgl. Kornelia von Berswordt-Wallrabe (Hg.) (1996): Sigmar Polke – Transit, Ostfildern-Ruit: Cantz Verlag, dort: S. 81-93. 79 Lyotard (1983c) 1989, S. 176. Die folgende Präzisierung in Klammern stammt von S. 178.

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Verkettung von Sätzen) der Fall sein, besonders dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass diese Verkettung wider Erwarten nicht weitergeht (zum Themenkomplex der prozessualen Verkettung siehe mehr bei Luhmann). Diesen möglichen Abbruch formuliert Lyotard mit der Frage Geschieht es?, die danach fragt, ob der nächste Satz, die nächste Farbe, überhaupt geschehen wird oder nicht. Das Gefühl, das mit der Möglichkeit verbunden wird, »[…] daß nichts geschieht, daß es nicht weitergeht, daß die Wörter, die Farben, die Formen oder die Töne fehlen, daß der Satz der letzte sein wird […]«80 ist das Gefühl des Erhabenen: Einerseits besteht die Drohung, dass »nichts geschieht«, andererseits hält Kunst diese Drohung auf Distanz und bringt Erleichterung.81 Daraus ergibt sich die Differenzierung zwischen dem Dass und dem Was, die Lyotard dazu führt, ein Kunstwerk als Ereignis anzusehen: »Bevor man fragt: was ist das?, was bedeutet das?, vor dem quid, ist ›zunächst‹ sozusagen erfordert, daß es geschieht, quod. Daß es geschieht, geht sozusagen immer der Frage nach dem, was geschieht, ›voraus‹. Denn daß es geschieht: das ist die Frage als Ereignis; ›danach‹ erst bezieht sie sich auf das Ereignis, das soeben geschehen ist. Das Ereignis vollzieht sich als Fragezeichen, noch bevor es als Frage erscheint. Es geschieht, Il arrive ist ›zunächst‹ ein Geschieht es? Ist es, ist das möglich? ›Dann‹ erst bestimmt sich das Fragezeichen durch die Frage: geschieht dies oder das, ist dies oder das, ist es möglich, daß dies oder das geschieht?«82

Das Ereignis (ein Begriff, den Lyotard, wie andere Theoretiker seiner Zeit, von Heidegger übernimmt) ist das Es geschieht bei gleichzeitigem Schrecken darüber, dass auch nichts hätte sein können. Dieser Schrecken (terror, dieser Begriff stammt wiederum von Burke) und die zeitgleiche Erleichterung, die mit dem geschehenden Ereignis einhergeht, ist das Gefühl des Erhabenen. Was die bildende Kunst anbelangt bzw. vor allem die Malerei, mit

80 Ebd., S. 162f. 81 Vgl. ebd., S. 175f. Das Konzept der auf Distanz gehaltenen Drohung übernimmt Lyotard von Burke. Die Frage Geschieht es? ist, wie er selbst andeutet, »nicht ausdrücklich Teil der Kantischen Problematik.«, ebd., S. 174. 82 Ebd., S. 161 (Hervorh. im Orig.). Diese Form von Ereignishaftigkeit eines Kunstwerks, doch noch ohne den Begriff des Erhabenen einzusetzen, klingt im Text zum japanischen Künstler Shusaku Arakawa (1936-2010) an (dem späteren Architekten), dem das Kapitel »Le Point« gewidmet ist, ein umgearbeiteter Text von 1984, in: Lyotard 1987b, auf den Seiten 67-88 (dort spielt Lyotard vor allem mit der Bedeutung des Begriffs blank, der oft Teil der Titel von Arakawas filigranen Zeichnungen und Collagen ist). Die Frage nach dem Ereignis spielt auch bei Deleuze, Derrida und Baudrillard eine große Rolle.

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der sich Lyotard primär auseinandersetzt, ist es ein Bild, das dieses Gefühl des Erhabenen hervorruft, weil das Bild das Ereignis ist.83 Inwieweit Bilder ein Ereignis sein können, exemplifiziert Lyotard an den Werken Barnett Baruch Newmans (1905-1970), einem amerikanischen Maler, der sich in einer Distanzierung vom Abstrakten Expressionismus, der nach dem zweiten Weltkrieg die dominierende Kunstrichtung war, dem sogenannten Colour Field Painting (Farbfeldmalerei) zuwendet und ab Ende der 1940er Jahre großformatige, monochrome Gemälde schafft. Newman fertigt Serien an, wie die Onement Serie (ab 1948), die erste im entscheidenden Stil (bei dem Farbfelder von einem dünnen, vertikalen Farbstreifen voneinander getrennt sind, den Newman »zip« nennt; The Wild von 1950 besteht – im entsprechenden Leinwandformat – ausschließlich aus diesem »zip«), oder die schwarz-weißen Gemälde der The Stations of the Cross Serie (1958-1966), die als Höhepunkt seiner Karriere angesehen werden. Einzelne Bilder tragen häufig Titel, die sich auf das Alte Testament bzw. Judentum beziehen (Abraham, 1949, Joshua, 1950), und deren verborgener Bedeutung auch Lyotard nachgeht.84 Im Entstehungsjahr von Onement I, 1948 (siehe Abbildung 5), publiziert Newman den Aufsatz »The Sublime is Now«. Lyotards Rezeption der Werke Newmans ist stark von diesem Aufsatz geprägt – das Erhabene als dominierender Aspekt der Werke Newmans ist gekoppelt an die Zeitempfindung des Jetzt, an den Augenblick, an die Präsenz.85 »Wenn es einen ›Inhalt‹ gibt«, so Lyotard, »ist er das ›Augen-

83 Vgl. Lyotard (1983c) 1989, S. 165. Hier kehrt Lyotard auch zur Hervorhebung der Bedeutung der Farbe und des Trägers (der Leinwand) als Materie zurück: »[…] die Farbe als Vorkommnis, das Wunder, daß es geschieht (daß etwas geschieht: nämlich die Farbe), daß zumindest dem Auge etwas widerfährt.«, ebd., S. 180 (Hervorh. im Orig.). Vgl. eine ähnliche Passage in: Jean-François Lyotard (1987c): »Nach dem Erhabenen, Zustand der Ästhetik«, in: ders. ([1988a] 1989), Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit, Wien: Passagen Verlag, S. 241. Zur Farbe als Ereignis siehe bereits weiter oben die Fußnote 18. 84 Auf den religiösen Aspekt von Newmans Bildern kann hier leider nicht eingegangen werden; auch Lyotard streift das Thema mehr, als dass er sich wirklich damit auseinandersetzt. Er gibt selbst zu: »Über den Makom [der die Newmanschen Werke erklären helfen könnte; D.D.] weiß ich nicht genug, um sagen zu können, er sei das, woran Newman dachte.«, Lyotard (1983c) 1989, S. 160 (Hervorh. im Orig.). Er interessiert sich für die Thematik nur dort, wo sie das Verständnis von Zeit berührt und nimmt sie als Grundlage für seine eigenen Überlegungen. 85 Lyotard präzisiert, dass dieses Jetzt nichts mit dem Hier und Jetzt gemein hat, das von Benjamin bekannt ist (auch wenn er Benjamin nicht namentlich nennt), das deiktisch, also an einen Kontext gebunden zu verstehen sei, vgl. Lyotard (1987c) 1989, S. 240. Im zentralen Text zu Newman erläutert Lyotard: »Die Botschaft ist die Präsentation, aber von nichts, d.h. von der Präsenz.«, Lyotard

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blickliche‹.«86 In einem Vergleich mit dem Großen Glas und Étant donnés… von Duchamp, setzt sich Lyotard mit dem Aspekt der Zeit in den Werken Newmans auseinander. Zeugten die beiden Werke von Duchamp mit ihrem jeweiligen Moment des »zu früh« (oder »noch nicht«) bzw. »zu spät« (oder »bereits nicht mehr«) davon, dass der Augenblick nicht fassbar ist, ist eben dieser das Thema bei Newman (doch bleibt der Augenblick nicht darstellbar, insofern kann das Jetzt immer nur ein angedeutetes Thema sein, auch wenn Lyotard konkret von »Inhalt« spricht).87 Für Lyotard sind Newmans Bilder Ereignisse, die das Gefühl des Erhabenen hervorrufen. In Bezug auf Newmans bekanntestes Werk, Who's afraid of Red, Yellow and Blue? (1966-67), interpretiert Lyotard den Titel hinsichtlich des Erhabenen um: das Fragezeichen als Geschieht es?, das »afraid« als Anspielung auf den Schrecken, »der die Lust am Ereignis umhüllt […]«.88 Mehr als in anderen Kunstwerkbetrachtungen dient die Auseinandersetzung mit den Kunstwerken in »Der Augenblick, Newman« Lyotard dazu, ein eigenes Konzept zu erörtern – hier das des Erhabenen. Mit diesem verabschiedet Lyotard nun nicht nur die repräsentative Malerei, den Realismus (wozu auch in dieser Phase weiterhin die Transavanguardia und ihre Spielarten, wie der Neo-Expressionismus, gehören89), sondern auch Entwürfe einer Ästhetik des Schönen. Das ästhetische Wohlgefallen, von dem Kant sprach und das nur bei Übereinstimmung zwischen Vorstellungs- und Darstellungsvermögen entstehen kann, gründet sich allein auf der schönen Form. Das erhabene Kunstwerk aber thematisiert die Präsenz, also die Materie; die Abwesenheit von Form leitet das Ende einer Ästhetik des Schönen

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(1983b) 1986a, S. 11. So ausgedrückt ließe sich ebenfalls sagen, dass diese Präsenz nichts darstellt (keine Repräsentation mehr ist) bzw. auf nichts verweist (als Auseinanderfallen von Idee und Begriff, eines der zentralen Themen der postmodernen und poststrukturalistischen Denker, das ihr Äquivalent in der weiter oben besprochenen Nicht-Übereinstimmung zwischen Vorstellungs- und Darstellungsvermögen hat); zu Letzterem auch: »Das Werk Newmans hört seit Onement I (1948) auf, über eine Leinwand auf eine Geschichte auf der anderen Seite zu verweisen […]«, ebd., S. 13 (Hervorh. im Orig.). Lyotard (1983b) 1986a, S. 13. Neben der Textstelle im Newman-Text (ebd., S. 13), geht Lyotard in: Lyotard mit Pomarède (1978a) 1986a, S. 36ff. ausführlich auf den Augenblick bei Duchamp ein. Lyotard (1983b) 1986a, S. 22 (Hervorh. im Orig.). Kunsthistorisch wird die Frage vielmehr in Bezug auf die Bedeutung der drei Elementarfarben für die Kunst verstanden. 1982 wurde eine andere Version des Bildes von einem Museumsbesucher in Berlin zerstört (was mit ein Grund dafür ist, warum es als das vielleicht bekannteste von Newman gilt). Ein Umstand, der bei Lyotard trotz seiner geradezu passenden Analyse keine Erwähnung findet. Lyotard (1987c) 1989, S. 231.

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ein.90 Dazu fragt Lyotard wieder: »[W]as heißt malen?«.91 Die bisherigen Antworten, dass Kunstwerke beim Betrachter eine Intensivierung der Gefühle und Begierden auszulösen haben, dass Kunstwerke deshalb zu experimentieren haben und versuchen sollen, das Undarstellbare darzustellen, finden eine Bündelung im Konzept des Gefühls des Erhabenen, das Kunstwerke, Ereignissen gleich, beim Betrachter auslösen sollen. Diese thematische, wie auch sich mit den Jahren zuspitzende Konzentrierung auf das Erhabene, lässt infrage stellen, ob Lyotard nicht falscher Bescheidenheit verfällt, wenn er anmerkt: »Ich stelle mir vor, daß Sie mich nach meinem System für die zeitgenössischen Künste fragen und mich bitten wollen, es ins Verhältnis zu setzen zu den Systemen meiner Kollegen. Ich bin verlegen und fühle mich ertappt, denn ich habe nichts, was den Namen System verdiente […].«92

Auf das möglicherweise doch vorhandene »System« soll im Folgenden eingegangen werden, denn Lyotard stellt in seinen Kunstwerkbetrachtungen viele Arbeiten in einen Zusammenhang zum Erhabenen.93 Dem Gefühl des Erhabenen wird er überall dort gerecht, wo er sich vom klassischen Kunstkommentar – der die Werke beschreibt, in einen Kontext setzt und kritisch reflektiert – entfernt, wie vor allem in Texten zu Werken von Jacques Monory,94 Sam Francis,95 Karel Appel96 oder Pierre Skira.97 Diese Texte, die

90 Vgl. ebd., S. 235f. 91 Ebd., S. 232. 92 Lyotard (1979c) 1986a, S. 51. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass Lyotard einen Satz später auch der freudschen, marxistischen und semiotischen Lesart der Künste die Bezeichnung »System« abspricht. 93 Außer den bereits erwähnten Textpassagen zu den Arbeiten Duchamps, gibt es solche beispielsweise auch im Text zu Baruchello, vgl. Lyotard (1984b) 1986a, S. 112, 121, nebst zahlreichen Stellen zum Ereignis; Jean-François Lyotard (1981b): »Esthétique sublime du tueur à gages«, in: ders. (1984a), L'assassinat de l'expérience par la peinture, Monory, Pantin: Le Castor Astral, S. 113-154, deutet schon im Titel darauf hin, dass sich Lyotard im späteren Verlauf seiner Beschäftigung mit Monory (doch bereits Anfang der 1980er!) dem Konzept des Erhabenen zugewandt hat; im Text zu Maccheroni wird das Erhabene zwar noch nicht erwähnt, dafür das Augenblickliche, vgl. Lyotard (1980a) 1986, S. 15. 94 Vgl. das bereits in der Fußnote 31 kurz vorgestellte Buch Lyotard/Monory 1977b. 95 Ein amerikanischer, abstrakter Maler (1923-1994); vgl. Jean-François Lyotard (1993): Sam Francis. Lesson of Darkness… like the paintings of a blind man…, Venice, California: The Lapis Press. Lyotards Gedanken entfalten sich hier entlang der Farbe (die bei ihm, wie gesehen, immer für Materie in Bezug auf einen Träger steht oder als Ereignis zu verstehen ist).

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eher wie eine freie Assoziationskette zu lesen sind, die die Werke bei Lyotard auslösen, versuchen dem Ereignis, das das Werk darstellt, insofern nahezukommen, als sie sich selbst als Ereignis verstehen. Diese ›Kunstwerdung‹ der Lyotardschen Kunstwerkbetrachtungen hängt zusammen mit Lyotards durchaus systematisch zu nennender Gleichsetzung von Kunst und Philosophie. 1.3. Kunst als Philosophie als Kunst 1.3.1. Der Kunstkommentar »So stellt sich nicht nur die Frage: Was ist Malerei?, sondern: Was heißt es, (Malerei) zu denken?«98 – Lyotard bringt Malerei und Denken in einen engen Zusammenhang. Von Anfang an zeigt er Parallelen auf, formuliert Analogien und stellt immer wieder klar: Kunst ist Philosophie und Philosophie ist Kunst. Der Brückenschlag erfolgt über das Experimentieren mit Regeln, das an den Künstler wie an den Philosophen die gleichen Anforderungen stellt und die gleichen Schwierigkeiten mit sich führt. Die Regel für den Diskurs des Philosophen besteht darin, »[…] die Regel seines eigenen Diskurses zu finden. Ein Philosoph ist also jemand, der spricht, um die Regel dessen zu finden, was er sagen will; insofern spricht er, ›bevor‹ er sie kennt und ohne sie zu kennen. Ich denke, diese Situation läßt sich mit der der Avantgarden in der Kunst und z.T. auch in der Wissenschaft vergleichen. […] Künstler ist, wer in seinem und durch sein Werk einen bisher unhinterfragten Aspekt solcher Regeln ausfindig macht. In diesem Sinne arbeitet er, und zwar seit jeher, wie ein Philosoph.«99

96 Vgl. Jean-François Lyotard (1990a): »Sans Appel«, in: Artstudio, Nr. 18, S. 6095; dieser Text gibt sich wie ein (sehr ›modernes‹) Gedicht. Auf Deutsch in: Jean-François Lyotard (1998): Karel Appel: Ein Farbgestus, Bern: Verlag Gachnang & Springer, S. 99-144. Mehr zu Karel Appel weiter unten. 97 Der französische Maler (*1938) malt geradezu klassisch zu nennende Stillleben in Pastell; vgl. Jean-François Lyotard (1997c): »Weil die Farbe ein Fall von Staub ist«, in: ders. ([2000] 2004), Das Elend der Philosophie, Wien: Passagen Verlag, S. 255-261. Wie bei Sam Francis interessiert Lyotard vor allem die Farbe – hier die Zerbrechlichkeit der Pastelle. 98 Jean-François Lyotard (1982b): »Die Arbeit und das Schreiben bei Daniel Buren. Eine Einführung in die Philosophie der zeitgenössischen Künste«, in: ders. (1987a), Über Daniel Buren, Stuttgart: Edition Patricia Schwarz, Galerie Kubinski, S. 80. 99 Jean-François Lyotard (1981c): »Regeln und Paradoxa«, in: ders. (1986a), Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin: Merve, S. 106f. Ähnliche Passagen vgl. Lyotard (1982c) 1989, S. 210 oder Lyotard (1982d) 1994, S. 202f.

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Künstler wie Philosoph haben nach Regeln zu suchen, zu experimentieren. Lyotards Verständnis von Kunst wie von Philosophie (oder reflexivem Denken im allgemeinen) steht im Gegensatz zu dem von Bourdieu und von Habermas: Bei Bourdieu gibt es keinen reinen Blick auf ein Kunstwerk, da das Erlernen der Codes, die zum Verständnis eines Werkes notwendig sind, diesem Blick immer vorausgeht, ja sogar vorausgehen muss. Demgegenüber behauptet Lyotard, dass zur Beurteilung eines Kunstwerks der Rückgriff auf bekannte Kategorien nicht ausreicht, da es keine festgelegten »Symbole, Gestalten und plastische Formen« gibt, die die Werke verstehen helfen.100 Gleichzeitig lehnt die Aufforderung, die Philosophie habe »sich nicht auf die Einheit eines Seins oder auf die Einheit des Sinns zu [bewegen], nicht auf die Transparenz, sondern auf die Vielfalt und Inkommensurabilität der Werke […]«,101 die Position von Habermas ab, der Kunstkritik (im Sinne des Kunstkommentars) als Vermittlung zwischen dem intellektuellen Kunstexperten und dem Laien versteht. Lyotard sieht im Kunstkommentar, der die Undurchdringlichkeit des Werkes anerkennt und auf diese mit Kunst reagiert, den einzig angemessenen Ansatz, über Werke zu sprechen.102 Entgegen der Übersetzungsleistung bei Habermas sieht er eine Transkriptionsschuld, der nur dadurch zu begegnen ist, dass der Kunstkommentator »[…] eine ähnliche figurale Arbeit leiste[t], wie sie die Maler auf der Leinwand vollbringen.«103 Die Habermassche Kritik an Derrida, dessen Schreibstil sei letztendlich Literatur, kann somit ebenso gut auf Lyotard übertragen werden. Dabei lässt sich wieder die grundlegende Opposition zwischen den Denkern des Projekts der Moderne und denen der Postmoderne erkennen: statt modus logicus modus aestheticus.104 In Bezug auf Sprachspiele und die Vielfältigkeit von Diskursgenres hebt Lyotard die Bedeutung von Paradoxien und Paralogien hervor; auch der Kunstkommentar soll eine solche Paralogie sein, wie in den ›assoziativen‹

100 Vgl. Lyotard (1982c) 1989, S. 217. 101 Lyotard (1979c) 1986a, S. 76. 102 Zur Erinnerung: Der »edle Mensch« beginnt vor einem Kunstwerk zu tanzen, der »schlechte« Mensch beginnt (›nur‹) zu reden, siehe bereits die Fußnote 17. Schon 1979 stellt Lyotard den Kunstkommentar als Sprachspiel dar, das Kunstwerke gerade nicht erklären kann oder soll: »[L]a théorie est un art. […] Le commentaire entre dans le champ des œuvres, qui relève de l'imagination expérimentatrice. Nous, commentateurs, n'avons pas à dire vrai au sujet des œuvres, mais à faire œuvre à leurs propos.«, Jean-François Lyotard (1979b): »Petites ruminations sur le commentaire d'art«, in: Opus International, Nr. 70-71, S. 16. 103 Lyotard (1979c) 1986a, S. 64. Etwas später widerspricht er einer Aussage nicht, die besagt, der notwendige Stil, um über das erhabene Kunstwerk zu handeln, müsse selbst »erhaben« sein, vgl. Lyotard (1983c) 1989, S. 167. 104 Gerade im Hinblick auf Lyotards Kunstverständnis meint Welsch: »Im speziellen könnte man geradezu von einer Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst sprechen.«, Welsch (1988) 1994, S. 31.

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Kunstkommentaren durchgeführt. Inwiefern der Kunstkommentar dem Werk immer »hinterherhinkt«, ja hinterherhinken muss,105 bringt Lyotard ebenfalls in mehreren Texten zu Künstlern zur Sprache, am ausführlichsten in der Publikation zu Karel Appel. Dieser niederländische Künstler (19212006), der seinerzeit der Künstlergruppe CoBrA angehörte, malte vor allem gegenständliche Figuren (Personen, Tiere, aber auch Landschaften) in intensiven Farben, die durch den expressionistischen Stil teilweise zum Abstrakten hin tendieren. Eines seiner bekanntesten Gemälde ist das frühe, noch nicht expressionistische Fragende Kinder von 1949, ein Wandbild, das in Amsterdam Irritationen auslöste und gut zehn Jahre lang verdeckt blieb. Typische Arbeiten sind beispielsweise das Gemälde Vogel-Frau von 1957, das als abstrakt bezeichnet werden muss, und Das Antlitz der grundlegenden Wahrheit I von 1979 (siehe Abbildung 6), das sich genau auf der Schwelle zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion befindet. In der Publikation Karel Appel: Ein Farbgestus, die 1998 auf Deutsch mit von Lyotard ausgesuchten Gemälden erscheint, finden sich alle Ansätze, Kunst zu denken, wieder vereint: die Darstellung des Undarstellbaren, Farbe als Materie, als Präsenz, das Werk als Ereignis, als das Erhabene; einzelne Kapitel beschäftigen sich mit den Analogien zwischen Kunst und Philosophie sowie dem Denken der Kunst, und das hier noch einmal abgedruckte Gedicht106 ist der Kunst gewordene Kunstkommentar. Wenn Lyotard schreibt: »Als ich Appels Gemälde das erste Mal gesehen habe, war es das, was mich angezogen hat, angezogen und irritiert: dass ich machtlos war. Es gibt wahrscheinlich keine wirkliche Malerei, die den Verstand nicht in dieser Weise der Erfahrung seiner eigenen Hilfslosigkeit aussetzt […]«,107 handelt es sich dabei durchaus um die früher von ihm besprochene Intensivierung, die von Kunstwerken ausgeht – wenn auch in einer neuen Variante, die das libidoökonomische Vokabular aufgegeben hat. Auch in Anbetracht der Werke von Stig Brøgger formuliert Lyotard eine sehr ähnliche Passage.108 Mit dieser Hilflosigkeit begründet Lyotard die Notwendigkeit, mit dem Kommentar das Werk fort- oder weiterzuführen, wenngleich sich der ganze Text, wie auch schon Que peindre?, wie ein klassischer Kunstkommentar geriert: Am

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Vgl. Lyotard mit Pomarède (1978a) 1986a, S. 42. »Sans Appel« von 1990, siehe dazu die obige Fußnote 96. Lyotard 1998, S. 10 (Hervorh. im Orig.). Ein 1941 geborener, dänischer, abstrakter Maler; vgl. Jean-François Lyotard ([1990c] 1997): Flora danica. La sécession du geste dans la peinture de Stig Brøgger, Paris: Galilée. Auch hier beschäftigt sich Lyotard auf den ersten Seiten mit der Frage des angemessenen Kunstkommentars: »Comme d'habitude devant une œuvre peinte ›vraie‹, j'éprouve un sentiment d'impossible. Elle s'offre impénétrable, s'expose absolument silencieuse. C'est presque le signal de sa ›vérité‹. Son feu vert est un feu rouge: Viens, tu n'entreras pas. Parle, tu ne diras rien (de ce que je dis).«, ebd., S. 10f. Im späteren Verlauf des Textes thematisiert Lyotard ebenfalls wieder die Präsenz der Farbe und den Augenblick.

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Rand einzelner Passagen wird auf Abbildungen im Buch hingewiesen, wobei der direkte Zusammenhang zwischen Bild und Text oftmals nicht gegeben zu sein scheint. Lyotard warnt den Leser gleich zu Beginn seiner Gedankenkette zu Appel mit dem Satz: »Karel Appel verdient ein anderes Buch als dieses. Es scheint, als nähme der Philosoph Appels Werk hier nur zum Anlass, um über seinen eigenen Kommentar zur Kunst nachzudenken.«109 Lyotard geht wie erwähnt in vielen Kunstwerkbetrachtungen der Frage nach, welche Verbindungen zwischen dem Werk und dem Kommentar bzw. der Kunst und dem Denken bestehen, auch im Zusammenhang mit den hier vorrangig behandelten Künstlern Duchamp, Buren und Newman.110 Eine Forderung vereint all diese Überlegungen: »Wir müssen Künstler werden.«111 1.3.2. Was malen? Gerade die Beschäftigung mit Appel wirft erneut die Frage auf, inwieweit alle von Lyotard besprochenen Künstler als postmodern zu verstehen sind. Lyotard wiederholt im entsprechenden Text seine Ablehnung einer Periodisierung nicht nur der Postmoderne, sondern der dazugehörigen Kunst überhaupt. Insofern distanziert er sich hier einerseits definitiv von diesem Begriff und betont, dass jedes Kunstwerk für sich betrachtet werden muss.112 Andererseits muss in der Konsequenz aus denselben Gründen seine vehemente Ablehnung der Neoavantgarden (und ›Postmodernismen‹) grundlegend infrage gestellt werden. Wenn Appel als nach dem zweiten Weltkrieg aktiver Künstler dennoch nicht zu den Neoavantgarden zählt (wie es der gängige Gebrauch des Begriffs suggeriert), sondern laut Lyotard ein avantgardistischer Maler ist, können die Neoexpressionisten und Künstler der Transavanguardia nicht durch eine Gleichsetzung mit den Neoavantgarden abgelehnt werden, die nach dieser Logik jeglicher Argumentation entbehrt. Die Kritik an der Neoavantgarde durch Peter Bürger argumentiert gegen die 109 Lyotard 1998, S. 5. 110 Welchen Unterschied es ausmacht, Werke von Duchamp und Newman zu kommentieren, erklärt Lyotard in: Lyotard (1983b) 1986a, S. 9f. An anderer Stelle, in Lyotard (1978b) 1987a, S. 17, definiert er den Kommentar als »Effekt« des Kunstwerkes. Passagen zur Reflexion von Kunstkommentaren finden sich zum Beispiel auch in: Jean-François Lyotard ([1976] 1984): »Über fünf Bilder von René Guiffrey«, in: Konkursbuch. Zeitschrift für Vernunftkritik, Nr. 13, S. 178, vgl. dort den Titel des Unterkapitels »Bemerkungen über das undankbare Geschäft, über die Malerei zu schreiben«; vgl. ebenfalls im Text zu Joseph Kosuth: Lyotard 1991b, S. xviii. 111 Lyotard mit Pomarède (1978a) 1986a, S. 47. 112 Vgl. das Kapitel »Lange Anklageschrift gegen die Kunstgeschichte«, in: Lyotard 1998, S. 72-86.

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Institutionalisierung der Avantgarde als Kunst113 – Lyotard beklagt lediglich, wie gesehen, den Eklektizismus. Dabei wäre es zumindest möglich, dass auch ein sogenanntes neoavantgardistisches Werk in der Lage ist, als für sich stehendes (besser: geschehendes) Ereignis das Gefühl des Erhabenen hervorzurufen. Die angebliche Zitat-Kunst der Postmoderne zu kritisieren scheint wenig haltbar, wenn gleichzeitig von Lyotard geschätzte Maler wie Valerio Adami als Neo-Surrealist und Pierre Skira als neo-barocker Künstler bezeichnet werden können. Lyotards Ablehnung des vermeintlichen neoavantgardistischen bzw. postmodernistischen Eklektizismus ist wenig glaubwürdig, wenn er selbst äußerst willkürlich in echte und falsche, gute und schlechte Avantgarde aufteilt – ein Vorwurf, den auch Jacques Rancière äußert, wenn er die argumentative Ebene von Lyotard mit der von Adorno vergleicht: »Die Argumentationsform ist leicht erkennbar. Sie kommt in gerader Linie von Adorno. Die Polemik von Lyotard gegen den bildnerischen Eklektizismus nimmt genau die von Adorno gegen den musikalischen Eklektizismus auf […].«114 Eine weitere, interessante Beobachtung lässt sich bezüglich Lyotards Verständnis von Kunstproduktion machen. Wie gesehen betrachtet er Kunst oder bestimmte Kunstrichtungen als durch Forderungen von Kunstinstitutionen und vom Kunstmarkt gefährdet, gar korrumpiert, da sich die Künstler bei ihrer Arbeit beeinflussen lassen und ›marktgerechte‹ Kulturgüter (nicht mehr: Kunstwerke) produzieren. Andererseits gibt es viele Textpassagen vor allem im Zusammenhang mit dem Erhabenen, in denen Lyotard davon spricht, dass nicht nur der Kunstwerkbetrachter (der Kommentator), sondern auch der Künstler selbst einen Geisteszustand erfährt, der der Präsenz des Werks »ausgeliefert ist«.115 An mehreren Stellen lässt sich nachvollziehen,116 dass Lyotard der Idee des Künstlergenies an- bzw. nachhängt, nach der der Künstler unbeeinflusst seine Eingebung auf Leinwand wiedergibt – eine Position, die sich nicht mit der Idee von Kunst als Teil der sie bedrohenden Kulturindustrie verträgt (und die, so kann hier eingefügt werden,

113 Vgl. Bürger 1974, S. 78ff. 114 Jacques Rancière ([2004] 2007): Das Unbehagen in der Ästhetik, Wien: Passagen Verlag, S. 112. Zu Lyotards Nähe zu Adorno bzw. aller im Kapitel IV behandelten Theoretiker siehe mehr in der Conclusio. 115 Vgl. Lyotard (1987c) 1989, S. 240. Im Übrigen merkt Reese-Schäfer kritisch an, »[…] daß das aufgeplusterte Erhabene nicht weit entfernt ist vom Komischen.«, Walter Reese-Schäfer (1990): »Vom Erhabenen zum Sublimen ist es nur ein Schritt. Moderne und postmoderne Ästhetik bei Lyotard«, in: ders./ Bernhard H.F. Taureck (Hg.), Jean-François Lyotard, 2. Aufl., Cuxhafen: Junghans-Verlag, S. 175. Reese-Schäfers Aufsatztitel spielt auf den Ausspruch an: »Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas.«; dazu mehr im Kapitel zu Baudrillard in der dortigen Fußnote 90. 116 Vgl. Lyotard (1986c) 1994, S. 212; Lyotard (1983c) 1989, S. 169ff.; Lyotard (1987c) 1989, S. 241.

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Bourdieu stringenter dargestellt hat, indem er das Künstlergenie und dessen reine Eingebung, das heißt die Vorstellung eines artifex deus, als Illusion verabschiedet). Der scheinbaren (künstlerischen) Freiheit von Kunst und Philosophie stehen bei Lyotard wiederum zahlreiche normative Aussagen gegenüber, die wiederholt die »Aufgabe« formulieren, die Kunst und Philosophie verbindet: »Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, daß es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann.«117 Lyotard beschreibt dieses Experimentieren bzw. die Unterscheidung zwischen erfolgreichem und nichterfolgreichem Experimentieren als das einzig mögliche und gültige Kriterium der heutigen Zeit, um Kunst zu beurteilen.118 Diese bei näherer Betrachtung unpassend anmutenden Präskriptionen definieren dieses Experimentieren immerhin nicht als einzige Aufgabe. Lyotard räumt ein: »Die Aufgabe, das Publikum zu ›bilden‹, kommt hinterher […]«,119 womit eine zumindest partielle Übereinstimmung zwischen seiner Position und der von Bourdieu wie Habermas erkennbar wird. Lyotard negiert nicht, dass neben der Frage »Was heißt malen?« auch die folgende im Raum steht: »Wie können wir unsere Malerei den Nicht-Malern begreiflich machen? Trotzdem darf man diese beiden Verantwortlichkeiten nicht verwechseln. Das wäre so, als ob der Philosoph seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Denken verwechselte mit seiner Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit. Die Frage: Wie kann ich den anderen beibringen, was Denken heißt?, ist eine Frage des Intellektuellen. Der Philosoph fragt sich ›lediglich‹: Was heißt Denken?«120

Die Erläuterung dieser Haltung, die den Wissenschaftler vom in der Öffentlichkeit stehenden Intellektuellen trennt, ist der Tenor des Sammelbandes Grabmal des Intellektuellen von 1984. Darin geht es darum, dass zwar beide

117 Lyotard (1982d) 1994, S. 203 (Hervor. im Orig.). Vgl. weitere Textpassagen in diesem Sinne: Lyotard (1983c) 1989, S. 164 und S. 178 (beide Male explizit als »Aufgabe«); sowie Lyotard (1982c) 1989, S. 218 (hier als »wesentlicher Einsatz«). 118 Vgl. Lyotard (1979c) 1986a, S. 72. An anderer Stelle äußert er sogar, dass »die Logik der Avantgarden« in der Ästhetik des Erhabenen »ihre Axiome findet.«, Lyotard (1982d) 1994, S. 199, eine bemerkenswerte Aussage, wenn man bedenkt, dass Axiome per definitionem Lyotards Denkansatz zuwiderlaufen und er zum Beispiel bei Habermas die a priori zu geltenden Bedingungen für den herrschaftsfreien Diskurs kritisiert. Welche Axiome dies genau sein sollen (in Anbetracht dessen, dass Kunst die Suche nach neuen Regeln ist, bevor es diese überhaupt gibt) lässt Lyotard hier offen. 119 Lyotard (1982c) 1989, S. 218. 120 Ebd., S. 222. Eine Textstelle, in der er Philosoph und Künstler einmal mehr als »Brüder im Experimentieren« beschreibt, ebd.

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Positionen von ein- und derselben Person eingenommen werden können, diese aber nicht zu vermengen sind: Der Wissenschaftler und der Intellektuelle beantworten unterschiedliche Fragen auf unterschiedliche Art und Weise.121 Diese Trennung ist im Verhältnis zu den Thesen von Le Différend zu verstehen: Wenn Ungerechtigkeit überall dort entsteht, wo die Regeln des einen Diskursgenres auf ein anderes übertragen werden, muss auch der Widerstreit zwischen dem wissenschaftlichen wie dem intellektuellen Diskursgenre respektiert werden. Hier bietet es sich an, kurz auf den Zusammenhang von Kunst und (gesellschaftlicher) Kritik bei Lyotard einzugehen. Einerseits steht bei ihm die Frage im Vordergrund, was das Kunstwerk im Einzelnen bewirkt und erfahrbar macht (und zwar völlig unabhängig vom sozialen Hintergrund des Betrachters, wie es bei Bourdieu der Fall ist). Insofern spielt bei ihm das Kritikpotenzial von Kunst, das durch ihre Autonomisierung möglich geworden ist und für Bourdieu und Habermas vorrangig ist, keine Rolle mehr. Andererseits versteht Lyotard die Problematisierung der Verkettung von Sätzen und ihren stets in Betracht zu ziehenden Widerstreit als der Ethik zugehörig. So kann in der Analogie zur Verkettung von Bildern sowie der explizit formulierten Aufgabe der Kunst, Undarstellbares darstellbar, Unsichtbares sichtbar und Unhörbares hörbar zu machen, eine ethische Dimension gesehen werden: Bei Lyotard kritisiert Kunst die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht, bietet aber Raum für das, was im wahrsten Sinne des Wortes ›aus der Reihe tanzt‹ – eine Einschätzung, die auch von Petra Gehring geteilt wird: »Das Kunstwerk heute gewinnt demnach Wirksamkeit allein daraus, daß es, statt am Konsens über das Schöne maßzunehmen, sich konsequent auf die Rolle und auf die Schöpfung der Ausnahme verlegt […].«122 Kunst als Ort für dieses Andere ist bei vielen weiteren postmodernen und poststrukturalistischen Denkern das zentrale Thema. Dieser Aspekt, wie auch die eingangs erwähnte Kritik am Prinzip der Repräsentation und die damit im Zusammenhang stehende Thematisierung der Grenzen von Darstellbarkeit, finden sich neben anderen verwandten Ansätzen auch bei Gilles

121 Nathalie Heinich vertritt eine dazu kongruente Meinung, spezifisch auf den Soziologen bezogen, in: Heinich 1998b, S. 23-29. Eine strikte Trennung der Bereiche des Politischen und Wissenschaftlichen findet sich grundsätzlich auch bei Luhmann, siehe im entsprechenden Kapitel. 122 Gehring 1994, S. 244. Hierzu wäre anzumerken, dass das ins-Spiel-Bringen der Ausnahme, des Anderen, dessen, was ›aus der Reihe tanzt‹, doch auch als Aspekt von ›Kritik‹ gesehen werden kann, ergo sozial- und politisch kritische Kunst bedeuten kann. Der Frage der Konsequenzen aus Lyotards Kunstverständnis für Politik widmet sich: Bill Readings (1991): Introducing Lyotard. Art and Politics, London: Routledge. Folgen für die Ethik bespricht Saskia Wendel (1997): Aisthetisches Ethos. Eine Auseinandersetzung mit JeanFrançois Lyotard, München: Fink.

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Deleuze und Jacques Derrida wieder, deren Überlegungen und Thesen zu Kunst in den folgenden beiden Kapiteln ausgeführt werden.

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IV. 2. G ILLES D ELEUZE [D AS U NSICHTBARE ] Gilles Deleuzes Themen sind denen Jean-François Lyotards auffallend verwandt: »Gilles Deleuze, dessen intellektuelle Entwicklung Foucaults Werk viele Impulse verdankt, geht in seinen Kritiken der Moderne von vier zentralen Gedanken aus: der Nichtigkeit der großen metaphysischen Erzählungen, der daraus resultierenden Aufwertung des Besonderen oder Singulären, der Aufwertung des Lebens im Sinne von Nietzsche und der Aufwertung der noetischen und politischen Vielheit.«1

Fast deckungsgleich scheinen hier die zentralen Aspekte beider Denker zu sein, und was Peter V. Zima hier über Deleuze schreibt, gilt ebenfalls für die noch folgenden postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denker Jacques Derrida und Jean Baudrillard. In diesen Kapitelabschnitten wird es daher vor allem darauf ankommen, entlang der auffälligen Parallelen die Differenzen zwischen diesen Theoretikern zu verdeutlichen – was gerade den ›Denkern der Differenz‹ gerecht werden dürfte. Diese Unterschiede und jeweiligen Besonderheiten werden sich dabei vor allem in ihrem Umgang mit Kunst herauskristallisieren. In Bezug auf Deleuze ist es notwendig die Bemerkung voranzustellen, dass er zahlreiche seiner Publikationen gemeinsam mit dem Philosophen und Psychoanalytiker Félix Guattari verfasst. Sie sind das Resultat einer engen, freundschaftlichen Zusammenarbeit, die Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre beginnt, ihre produktivste Phase in den 1970er Jahren selbst hat, jedoch bis zu Guattaris Tod Anfang der 1990er Jahre andauert. Der Anteil Guattaris an diesen Publikationen ist unverkennbar: Die Themen, Begriffe, Schwerpunktsetzungen und Perspektiven rücken näher an die Psychoanalyse, als es bei den von Deleuze vor der Zusammenarbeit mit Guattari verfassten Schriften der Fall ist, und sie stehen der Psychoanalyse prinzipiell viel näher, als in den Schriften der übrigen hier besprochenen Theoretiker. Die in diesen Texten vertretenen Thesen werden dabei, wie in der Sekundärliteratur üblich,2 Deleuze genauso zugeschrieben wie Guattari, zumal

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Peter V. Zima (2001): Moderne / Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur, 2. Aufl., Tübingen/Basel: A. Francke Verlag, S. 146. Vgl. hierzu u.a. Ronald Bogue: »I must add one final methodological comment. Anyone who writes on Deleuze faces a peculiar problem for which there is no simple solution. Four of his most important works were written in collaboration with Félix Guattari […]. Yet determining which idea is Deleuze's and which Guattari's is impossible […]. [E]ach treats the coauthored work as his own, freely expanding on that work's concepts and extending them into new areas of investigation. I see no choice but to treat Deleuze's books and the Deleuze-Guattari volumes as constituents of a single body of work.«, Ronald Bogue (2003): Deleuze on Music, Painting, and the Arts, New York/London: Routledge, S. 9. Aus eben

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diese Schriften – die als ihre jeweiligen Hauptwerke gelten – für eine Analyse von Deleuzes Kunstverständnis (aber auch seinem Denken allgemein) unverzichtbar sind. Gleichzeitig sind anhand der unterschiedlichen Ansatzpunkte in den Einzel- bzw. gemeinschaftlichen Publikationen Entwicklungslinien in Deleuzes Aussagen zu Kunst und seinen Kunstbetrachtungen festzumachen.3 Die Beschäftigung mit Kunst kann prinzipiell als ein möglicher ›roter Faden‹ durch Deleuzes Schriften aufgefasst werden, denn sie widmen sich in großen Teilen der Analyse von Kunst im weitesten Sinne. Darunter fallen Publikationen oder einzelne Texte zur Literatur bzw. zu einzelnen Schriftstellern, zum Kino, aber auch zur Musik und zur Architektur. Hier gilt das Interesse den Publikationen und Texten zur bildenden Kunst, wobei Deleuze ausschließlich Maler und ihre Werke behandelt. Den zentralen Thesen zu Kunst wird im Folgenden der Vorzug gegeben vor einer präzisen, chronologischen Strukturierung von Deleuzes Überlegungen und Ansätzen. Zieht man in Betracht, dass bei Deleuze (und Guattari) das Konzept des »rhizomatischen« bzw. »nomadischen Denkens« die methodische Leitlinie in ihren Schriften ist (siehe weiter unten), wird nachvollziehbar, inwiefern eine Bündelung nach Themen bzw. nach bestimmten Begriffen, die für eine These stehen, am ehesten geeignet ist, Deleuzes Kunstverständnis nachzuspüren. Denn bestimmte Leitmotive kehren – wie wiederkehrende Motive in der Musik – immer wieder zurück,4 sodass es manches Mal nötig wird, vor- und

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diesem Grund wird im Literaturverzeichnis nicht zwischen den Texten von Deleuze und von Deleuze-Guattari unterschieden, sodass die Chronologie der Publikationen für eine bessere Übersicht erhalten bleibt. Vgl. dazu Frédéric Fruteau de Laclos (2004): »Ce que Deleuze doit à l'art (et à Guattari)«, in: Anne Cauquelin (Hg.), Ce que l'art fait à la philosophie. Le cas Deleuze, in: Révue d'esthétique, Nr. 45, S. 67-77. Anne Sauvagnargues nimmt in ihrer Analyse von Deleuzes Kunstverständnis den Einfluss von Guattari zum Anlass, um die kunstspezifischen Themen bei Deleuze zu strukturieren und periodisieren. Der von ihr beschriebene Weg von der Literatur hin zum gemalten, dann bewegten Bild ist deutlich erkennbar; doch wird diese Möglichkeit einer Einteilung nach Genres hier – zugunsten einer eher thematischen Schwerpunktsetzung – nicht berücksichtigt, da der Fokus der vorliegenden Arbeit anders als bei Sauvagnargues allein auf der Behandlung bildender Kunst liegt; vgl. Anne Sauvagnargues (2006): Deleuze et l'art, Paris: Presses Universitaires de France, S. 13. Auf eine ähnliche Schwierigkeit sind wir bereits bei Lyotard gestoßen, wenn auch nicht so ausgeprägt. Das Prinzip der immer wiederkehrenden Themen und Motive findet sich bei allen postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkern. Diese scheinbaren Wiederholungen sind Teil des Vorwurfs, sie würden essayistisch schreiben, ein Vorwurf, der diesen Autoren gegenüber häufig geäußert wird. Diese Wiederholungen sind einerseits Fakt, andererseits trifft der Begriff der Variation besser zu. Dieser Nuancierung widmet Deleuze seine Publikation

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zurückzugreifen auf spätere oder vorherige Publikationen, wenn ein Aspekt von Kunst bei Deleuze beleuchtet wird. Der Fokus liegt einerseits auf den zwei Werkbetrachtungen zu zeitgenössischen, bildenden Künstlern, denen Deleuze separate Publikationen widmet: dem Text zum französischen Maler Gérard Fromanger sowie der umfassenden Veröffentlichung zum britischen Maler Francis Bacon.5 Aussagen zu früheren Epochen oder zu nicht zeitgenössischer Kunst und Künstlern werden immer dann hinzuzuziehen sein, wenn sie Deleuzes Kunstverständnis im Allgemeinen zu erhellen helfen. Andererseits ist die Publikation Was ist Philosophie? von 1991 von zentraler Bedeutung, da in ihr grundlegend auf die Unterscheidung zwischen Philosophie, Kunst und Wissenschaft eingegangen wird. Dabei führen Deleuzes Thesen ihn zu der Entwicklung einer ganz eigenen Geschichte der Kunst. 2.1. Kunst wider die Repräsentation Um Deleuzes Verständnis von Kunst näherzukommen, muss seine Auffassung von Philosophie kurz vorweggenommen werden. Philosophie, so Deleuze, zeichnet sich gegenüber anderen Disziplinen durch die besondere Aufgabe aus, Begriffe zu schaffen.6 Als Philosoph kommt Deleuze dieser von ihm formulierten Aufgabe mehrfach nach, indem er gängigen Begriffen neue Bedeutungen oder andere Konnotationen zukommen lässt. Das macht es erforderlich, in einem ersten Teil mehrere dieser Begriffe zu klären, um seine Kunstwerkbetrachtungen nicht misszuverstehen.

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Differenz und Wiederholung, siehe weiter unten; vgl. Gilles Deleuze ([1968a] 1992): Differenz und Wiederholung, München: Fink. Dazu sei angemerkt, dass sich die Sekundärliteratur zum Themenkomplex ›Deleuze und die Künste‹, die sich ansonsten der Studie zu Francis Bacon ausgiebig widmet, überhaupt nicht mit der früheren Werkbetrachtung von Fromangers Malerei auseinandersetzt. Das ist umso erstaunlicher, als sich die Sekundärliteratur zum Thema ›Deleuze und die Künste‹ vergleichsweise umfangreich darstellt. Eine Veröffentlichung zum italienischen Maler und Theaterregisseur Gian Marco Montesano (*1949) wird ausgeklammert, da Deleuzes Text lediglich aus drei Sätzen besteht und als Grußwort an den Künstler zu verstehen ist, vgl. Gilles Deleuze/Achille Bonito Oliva/Toni Negri (1989): Guardando il cielo. Gian Marco Montesano, Roma: Galleria Pio Monti. In dem kleinen Heft finden sich Abbildungen von figurativen, sehr bunten Bildern Montesanos, die vorwiegend Kinder zeigen und alle 1989 entstanden sind. Hier ist zu erwähnen, dass es auch eine Verbindung zu Jean Baudrillard gibt, der 1980 an einer Veranstaltung der »Compagnia Florian«, einem von Montesano mitbegründeten Theaterensemble, künstlerisch mitgewirkt hat. Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari ([1991] 2000): Was ist Philosophie?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 6.

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Deleuzes Publikationsstrategie ist von Anfang an, sich gleichermaßen Monographien zu einzelnen Philosophen oder Künstlern zu widmen, wie umfassende Studien zu bestimmten Themen (oder eben: Begriffen) zusammenzustellen. In den ersten Dekaden seines Schaffens sind auf der einen Seite die Veröffentlichungen zu Hume, Nietzsche, Kant, Bergson und Spinoza hervorzuheben, die nicht nur Deleuzes Interessen offenlegen, sondern auch seine Beeinflussung durch diese Philosophen; zusätzlich zu diesen großen Namen muss dabei die Bedeutung Foucaults betont werden, dem er später, 1986, ebenfalls eine separate Publikation widmet. Auf Seiten der Künstler behandelt Deleuze zunächst ausschließlich Schriftsteller, wie Marcel Proust, Leopold von Sacher-Masoch, Lewis Carroll (in Logik des Sinns von 1969) und zusammen mit Guattari Franz Kafka – wobei er in seinen Schriften auf viele weitere Autoren, wie zum Beispiel Herman Melville oder Samuel Beckett, zu sprechen kommt. Auf der anderen Seite verfasst Deleuze in dieser Zeit seine Dissertation Différence et répétition (Differenz und Wiederholung von 1968; die Publikation zu Spinoza aus demselben Jahr stellt seine Sekundärdissertation dar) sowie mit Guattari die Hauptwerke Capitalisme et schizophrénie, Band 1: L'Anti-Œdipe (Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie von 1972) und Band 2: Mille Plateaux (Tausend Plateaus von 1980). Allen diesen Texten ist gemein, dass sie entweder im Zuge oder noch im Geiste der Ereignisse um 1968 herum entstehen und von den Enttäuschungen geprägt sind, die damit verbunden werden. Das heißt, dass sie wie Lyotards Ökonomie des Wunsches in eine Phase fallen, in der auf marxistische Theorien in Kombination mit denjenigen von Freud zurückgegriffen wird, während diese Denkrichtungen bereits gleichzeitig einer fundamentalen Kritik unterzogen werden. Kritik bei Deleuze gestaltet sich auf unkonventionelle Art und Weise. Mag es Passagen geben, in denen diese offen und auf ›klassische‹ Art und Weise geäußert wird, ist Deleuzes eigentliche Methode vielmehr, Theorien wie Begriffe zu ›verdrehen‹ und gleichsam neu zu interpretieren (ein Verfahren, das auch andere postmoderne bzw. poststrukturalistische Denker zum Einsatz bringen, siehe auch bei Derrida und vor allem bei Baudrillard). Diese Form von Rückgriff auf bestehende Begriffe ist im Deleuzeschen Sinne von »Wiederholung« zu verstehen: In der Wiederholung, so könnte man vereinfacht sagen, liegt die Differenz. »Die ewige Wiederkunft bejaht die Differenz, sie bejaht die Unähnlichkeit und das Disparse, den Zufall, das Viele und das Werden.«7 Wiederholung ist nicht als identische (auch: oberflächliche oder mechanische) Wiederholung zu verstehen, sondern als eine, in der es zu einer Verschiebung kommt, eine Wiederholung, die eine Variation mit sich führt – und sei es nur eine Veränderung, eine Differenz, im »Geist«.8 Die Betonung der Differenz in der Wiederholung oder gar der Bildung von Differenz durch Wiederholung hängt zusammen mit Deleuzes

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Deleuze (1968a) 1992, S. 372. Vgl. ebd., S. 99. Deleuze greift hier auf Aussagen von Hume zurück.

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Denken des unendlichen »Werdens«. Dieses lehnt ein ›feststehendes‹ und einheitliches Sein zugunsten eines fortwährend andauernden Prozesses des Werdens ab, in dem Subjekt und Realität, Raum und Zeit im ständigen Fluss, in ständiger Veränderung begriffen sind. Zentral sind hier die Begriffe der Virtualität und Aktualität, dank derer die intrinsische Prozesshaftigkeit alles Gegebenen, besser: alles Werdenden, gedacht werden können soll. Virtualität umfasst mitnichten das Schlagwort von der ›virtuellen Realität‹ des Computerzeitalters (und ist daher leicht misszuverstehen), sondern das Vorgängige, Präindividuelle, Unpersönliche, das Ununterscheidbare, das zwar real, aber nicht wahrnehmbar ist. Die Aktualität hingegen ist das für uns real Gegebene und Wahrnehmbare, das dieses Virtuelle aktualisiert und auf dieses zurückwirkt. Das Virtuelle ist dabei nicht als Summe der Möglichkeiten von realen Erfahrungen zu verstehen, sondern als Bedingung dieser Erfahrungen, weswegen Aktualisierung auch nicht simple Realisierung meint: Aktualisierungsprozesse sind tatsächlich eine andere Bezeichnung für die Differenzierungsprozesse.9 So muss selbst das wahrnehmbar Gegebene als Unbestimmtes und Unvorhersehbares gedacht werden, da die Aktualisierung als ständig sich vollziehende zu betrachten ist (sie ist, anders formuliert, beständig in ihrer Unbeständigkeit). Zentral ist außerdem der Gedanke der Mannigfaltigkeit der Differenzen, denn er führt Deleuze zu der knappen Aussage: »Die Philosophie ist die Theorie der Vielheiten.«10 Bereits bei Lyotard wurde die Postulierung eines Denkens der Pluralität deutlich, das sich bei ihm auf die Berücksichtigung der Vielfältigkeit von Diskursgenres bezieht und das Denken einer Einheit oder eines Ganzen wie bei Habermas ablehnt. Auch Deleuzes Position ist konträr zu dieser Art von philosophischer Tradition zu verorten: »Zwar gibt es eine Universalgeschichte, aber sie ist die Geschichte der Kontingenz. […] Die Mannigfaltigkeiten sind die Realität und setzen keine Einheit voraus, gehen in keine Totalität ein,

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Dieses Äquivalenzprinzip findet sich bei Deleuze auch in Bezug auf weitere Begriffe. Michaela Ott beobachtet folgerichtig: »So untersteht die Begriffsbildung selbst fortgesetzter Wiederholung, Verschiebung und Differenzierung und kennt Momente ungezügelter Wucherung […]«, mit dem Resultat, dass »[…] gewisse Problemstellungen sämtliche Begriffsmodulationen durchlaufen, als gäbe es zu testen, welche Formulierung am überzeugendsten klingt.«, Michaela Ott (2005b): Gilles Deleuze zur Einführung, Hamburg: Junius, S. 30; vgl. diese Methode auch im einleitenden Abschnitt zu Baudrillard. 10 Gilles Deleuze (1995b): »Das Aktuelle und das Virtuelle«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hg.) (2007), Deleuze und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 249. Für die Begriffe von Virtualität und Aktualität greift Deleuze auf Henri Bergson zurück, siehe dazu auch seine Bergson-Studie: Gilles Deleuze ([1966] 1989): Henri Bergson. Zur Einführung, Hamburg: Junius. Philosophie als Denken des Pluralismus ist bereits Thema in: Gilles Deleuze ([1962] 1976): Nietzsche und die Philosophie, München: Rogner & Bernhard.

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ebensowenig wie sie auf ein Subjekt verweisen.«11 Es gibt kein Erstes, kein erstes Seiendes, sondern nur reine Differenzen und Singularitäten mit Ereignischarakter.12 Diese Abwendung von den philosophischen Traditionen wird in AntiÖdipus besonders deutlich, in dem sich Deleuze und Guattari radikal (und stellenweise äußerst polemisch) mit dem Konzept der »Schizo-Analyse« gegen die Psychoanalyse im Sinne Freuds und Lacans wenden: »Demnach verhehlt die Schizo-Analyse nicht, eine politische und gesellschaftliche Psychoanalyse, eine militante Analyse zu sein. Nicht, weil sie, den lächerlichen Voraussetzungen folgend, die bislang noch gelten, Ödipus auf die Kultur hin generalisierte, vielmehr, weil sie sich zur Aufgabe setzt, die Existenz einer unbewußten libidinösen Besetzung der historisch-gesellschaftlichen Produktion aufzuzeigen, die von den mit ihr koexistierenden bewußten Besetzungen unterschieden ist.«13

Freud und Lacan darin kritisierend, dass sie trotz Hervorhebung des Unbewussten dieses unter neue Strukturen von Dominanz und Repression unterwerfen (Stichwort Ödipus-Komplex),14 betonen Deleuze und Guattari, wie Lyotard zwei Jahre später, die positive Bejahung von Trieben und Wünschen. Sie konzipieren die »Wunschmaschine« als Gegenmodell zu den herrschenden Formen von Unterdrückung, indem sie natürliche und gesellschaftliche Produktionsprozesse aneinanderkoppeln (ähnlich Lyotards Konzept der Libido-Ökonomie) und ›mechanisieren‹. Alles ist eine solche Produktions- bzw. Wunschmaschine: »Die Regel, immerfort das Produzieren zu produzieren, dem Produkt Produzieren aufzusetzen, definiert den Charakter der Wunschmaschinen oder der primären Produktion: Produktion von Produktion.«15 Hier ist darauf hinzuweisen, dass den Buchumschlag der französischen Ausgabe von Anti-Ödipus ein Gemälde von Richard Lindner ziert (Boy with Machine von 1954), dessen Werke Lyotard in seinem Aufsatz

11 Gilles Deleuze/Félix Guattari (1987a): »Vorwort zur italienischen Ausgabe von Tausend Plateaus«, in: Gilles Deleuze ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 295. Die Mannigfaltigkeit, die Heterogenität zu denken, ist prinzipiell Thema von Tausend Plateaus. 12 Zum Ereignisbegriff bei Deleuze vgl. Joseph Vogl (2007): »Was ist ein Ereignis?«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hg.), Deleuze und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 67-83 sowie Marc Rölli (Hg.) (2004): Ereignis auf Französisch. Von Bergson bis Deleuze, München: Fink, insbesondere Teil III. »Gilles Deleuze oder das Ereignis der Immanenz«, S. 335ff. 13 Gilles Deleuze/Félix Guattari ([1972] 1974): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 127. 14 Dasselbe gilt für die Reduktion der gesellschaftlichen Arbeitsverhältnisse auf den Klassenkampf durch Marx. 15 Deleuze/Guattari (1972) 1974, S. 13.

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»Les filles machines folles de Lindner« bespricht; es ist durchaus anzunehmen, dass Lyotard von diesem Cover des Anti-Ödipus inspiriert wurde, da sein Aufsatz ein Jahr später erscheint. Während sich Lyotards Konzept von Maschinen vor allem auf die Hervorbringung von affirmativen Energien, von »Intensitäten« bezieht, geht es Deleuze und Guattari eher um die Befreiung dieser Energien, Triebe und Wünsche, die von der Psychoanalyse wie dem Kapitalismus am unregulierten Fließen und Strömen gehindert werden. Der Wunschmaschine stellen sie daher bereits in Anti-Ödipus den »organlosen Körper« (corps sans organes, ein Konzept Antonin Artauds) entgegen, der in gewisser Hinsicht das Äquivalent zur Virtualität ist: Präexistent, amorph und selbst unproduktiv, ›aktualisiert‹ er sich im real wahrnehmbaren Körper, der Wünsche und Triebe hat und daher ein MaschinenKörper ist – das »MAN« (das undefinierbare, formlose, vorbewusste, präsubjektive man) aktualisiert sich als Mensch-Maschine.16 Vor allem das Konzept des »organlosen Körpers« bleibt im zweiten Teil zu Anti-Ödipus, in Tausend Plateaus, in seiner ursprünglichen Begrifflichkeit erhalten, während das Äquivalent zu den Wunschmaschinen nun als Gefüge (agencement) bezeichnet wird. Das zentrale Thema dieser Publikation jedoch bleibt das Denken der Mannigfaltigkeit, das formal wie inhaltlich – mit dem Begriff des »Rhizoms« – bearbeitet wird: »Mannigfaltigkeiten sind rhizomatisch […].«17 Das Rhizom, das in der Botanik einen bestimmten Typus von unterirdischen Wurzeln bezeichnet, stellt das Gegenteil zur Linearität von Bäumen dar, es steht für die »Anti-Genealogie«:18 »Das Rhizom läßt sich weder auf das Eine noch auf das Mannigfaltige zurückführen. Es ist nicht das Eine, das zu zwei wird, oder etwa direkt zu drei, vier oder fünf, etc. Es ist kein Mannigfaltiges, das sich aus der Eins herleitet und dem man die Eins hinzuaddieren kann (n+1). Es besteht nicht aus Einheiten, sondern aus Dimensionen, oder vielmehr aus beweglichen Richtungen. Es hat weder Anfang noch Ende, aber immer eine Mitte, von der aus es wächst und sich ausbreitet.«19

16 Das MAN als »Ante-Ego« (Deleuze (1968a) 1992, S. 345) steht wieder für die Pluralität: statt des Einen die Vielzahl minoritärer Akteure. Wie bei Lyotard – und im Übrigen bei den meisten postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretikern – bedeutet die Emphase auf Vielfältigkeit ein Einstehen für minoritäre Positionen und Praktiken; zu Lyotard vgl. dessen Publikation: Jean-François Lyotard (1977c): Das Patchwork der Minderheiten. Für eine herrenlose Politik, Berlin: Merve. Zur (umgekehrten) Bewegung in Richtung des MAN, zum »MAN-Werden«, siehe weiter unten. 17 Gilles Deleuze/Félix Guattari ([1980] 1992): Tausend Plateaus, Berlin: Merve, S. 17f. 18 Deleuze/Guattari (1980) 1992, S. 21. 19 Ebd., S. 36.

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Das Rhizom an sich,20 das als Modell für die Zirkulation (von Energien, von Gedanken) steht, führt weg von vertikalen Hierarchien (also auch weg von hierarchischen Herrschaftsstrukturen) hin zu den horizontalen »Plateaus«, zwischen denen sich der Denker als »Nomade« hin- und herbewegt. Dieses rhizomatische – oder nomadische – Denken vollziehen Deleuze und Guattari in Tausend Plateaus, indem sie eine Strukturierung nach Kapiteln ablehnen. Die Plateaus laden stattdessen zu einem nomadischen Lesen ein.21 Die erfolgten Begriffsklärungen, die mit Blick auf den Schwerpunkt dieser Arbeit kompakt ausfallen mussten, sind der notwendige Auftakt für die Darstellung von Deleuzes Kunstverständnis und die Analyse seiner Kunstwerkbetrachtungen. Denn das zuletzt dargestellte Rhizom lässt sich als neues »Bild des Denkens« verstehen, das die Kritik an den traditionellen, und nach Deleuze überholten, Bildern des Denkens aus Differenz und Wiederholung fortführt. Das »Bild« des Denkens, von dem Deleuze in dieser Publikation spricht, ist das Abbild, die Repräsentation. Anders als bei Lyotard, in dessen Texten und Aussagen zur Kunst die Kritik am Prinzip der Repräsentation eher latent mitschwingt, ist sie bei Deleuze eines der zentralen und explizit behandelten Themen.22 Seit Platon ist der Grad der Ähnlichkeit zum Urbild (oder zur Idee) der Maßstab für das Abbild (als Äquivalent zur identischen Wiederholung). Ganz anders Deleuze: »Wir wollen die Differenz an sich selbst und den Bezug des Differenten zum Differenten denken, unabhängig von den Formen der Repräsentation, durch die sie auf das Selbe zurückführt und durch das Negative getrieben wird.«23 In der klassischen Sicht wird das Abbild (Ebenbild) dem Trugbild (Phantasiegebilde) entgegengestellt, wobei das erste für ›gut‹ und das zweite für ›schlecht‹ befunden wird, was letztendlich in eine moralische Sicht der Welt mündet, die Deleuze als dogmatisch ablehnt. Da es ihm um die Differenz an sich geht und nicht um die quantitative oder

20 Das Prinzip der Irreduzibilität als Thema postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkens wurde bereits bei Lyotard in ähnlicher Form, unter dem Begriff der Inkommensurabilität, ersichtlich. 21 Was die Lektüre gewiss nicht vereinfacht, wie Publikationen zeigen, die »Karten« oder »Wegweiser« anbieten, vgl. Clemens-Carl Härle (Hg.) (1993): Karten zu »Tausend Plateaus«, Berlin: Merve und Stefan Heyer (2001): Deleuzes & Guattaris Kunstkonzept. Ein Wegweiser durch Tausend Plateaus, Wien: Passagen Verlag. 22 Programmatisch daher der Titel von: Dorothea Olkowski (1999): Gilles Deleuze and the Ruin of Representation, Berkeley/Los Angeles: University of California Press. 23 Deleuze (1968a) 1992, S. 11f. Für eine Auseinandersetzung mit Deleuzes Umkehrung (overturning) des Platonismus vgl. Paul Patton (1994): »Anti-Platonism and Art«, in: Constantin V. Boundas/Dorothea Olkowski (Hg.), Gilles Deleuze and the Theater of Philosophy, New York/London: Routledge, S. 141-156.

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qualitative Differenz von oder zu etwas, bevorzugt Deleuze nichtrepräsentative Kunst: »Die Theorie des Denkens ist wie die Malerei, sie bedarf jener Revolution, die die Wendung von der Repräsentation zur abstrakten Kunst bewerkstelligt […].«24 Die Abkehr von der Repräsentation – welche er für gescheitert erklärt25 –, die hier noch eine Bevorzugung rein abstrakter Kunst zur Folge hat, entspricht Lyotards Kritik am Realismus und seiner Interpretation nicht-repräsentativer Kunst als Ausdruck ihrer Autonomie.26 Deleuze geht einen Schritt weiter: Die Abwendung von der Repräsentation bedeutet nicht nur die Autonomisierung der Kunst, sondern ihre vollständige Befreiung (»Revolution«). Diesbezüglich vertreten Stefan Münkler und Alexander Roesler die Auffassung, dass Lyotards Sicht der Dinge nüchterner sei: »Im Gegensatz zum Anti-Ödipus weiß Lyotard aber genau, dass man der Repräsentation nicht entkommt. Es geht ihm deshalb nicht darum, in einen Ort jenseits der Repräsentation vorzustoßen.«27 Allerdings bezieht sich diese Aussage auf die Ökonomie des Wunsches und ist in Bezug auf Lyotards spätere Texte vor allem zum Erhabenen nicht nachvollziehbar. Wie gesehen, steht Lyotard Deleuze in der Kritik der Repräsentation in nichts nach. Auch bei Deleuze muss diese Kritik an der Repräsentation, die (wie fast alle seine Themen) in Differenz und Wiederholung ihren Anfang nimmt, durch alle Publikationen hindurch verfolgt werden. Dabei ist besonders auffällig, dass Deleuze und Lyotard einerseits das Prinzip der Repräsentation und damit an vielen Stellen gegenständliche Kunst ablehnen, andererseits jedoch gerade auch Malerei im figurativen Stil zustimmend besprechen. Im Falle von Deleuze handelt es sich um den Künstler Gérard Fromanger (*1939), der wie Jacques Monory als Vertreter der Nouvelle Figuration (oder Figuration Narrative) gilt. Fromanger war zunächst in verschiedenen künstlerischen Bereichen tätig, wie der Performance- oder Video-Kunst, und ist nach wie vor auch als Bildhauer aktiv. Bekannt wurde er aber in erster Linie mit Gemälden, die auf den ersten Blick wie große, übermalte Fotografien wirken. Bei näherer Betrachtung ist zu entdecken, dass es reine Ölbzw. Acrylgemälde sind, zu deren Entstehungsprozess Fromanger die Fotografie allerdings hinzuzieht: So projiziert er vorab aufgenommene Bilder auf seine Leinwand, malt diese darauf und bearbeitet sie dabei. Mal fügt er vielfarbige Schraffierungen hinzu, mal bedeckt er die Personen, Gegenstände oder Stadtansichten so mit Farbe, dass sie wie ›ausgemalt‹ wirken. Die Gemälde dieses zweiten Typs stehen mit ihren wie im Comic stark kontrastie-

24 Deleuze (1968a) 1992, S. 345. 25 »Das moderne Denken aber entspringt dem Scheitern der Repräsentation wie dem Verlust der Identitäten und der Entdeckung all der Kräfte, die unter der Repräsentation des Identischen wirken.«, Deleuze (1968a) 1992, S. 11. 26 Vgl. dazu noch einmal im Kapitel zu Lyotard die dortige Fußnote 20. 27 Münker/Roesler 2000, S. 85 (Hervorh. im Orig.).

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renden Farben auch der Pop-Art nahe. Die wohl bekannteste Serie Fromangers ist diejenige, die auf Fotos einer China-Reise basiert, darunter En Chine à Hu-Xian von 1974, das eine vor einem Gebäude versammelte Menge zeigt. Eine andere Serie wiederum zeigt immer wieder denselben Kiosk oder seine Auslagen, zum Beispiel Quel est le fond de votre pensée? von 1973. In dieser wie in vielen weiteren Straßenszenen sind die Personen bzw. Passanten oftmals nicht wie ausgemalt, sondern eher wie ›ausradiert‹: Ihre Konturen sind deutlich zu erkennen, die Personen selbst jedoch bleiben weiß oder zumindest einfarbig, manchmal sind sie auch wie von einem Muster überzogen. Personen dieser Art bevölkern auch eine Serie aus den frühen 1970er Jahren, in der die Gemälde ausschließlich nach Farben benannt sind und die Deleuze in seinem Text »Le froid et le chaud« (»Das Kalte und das Warme« von 1973)28 bespricht (siehe Abbildung 7). Das Motiv wiederholt sich, so wie Deleuze Wiederholung versteht: Jede Wiederholung bringt eine Veränderung mit sich. Jedes Gemälde zeigt eine alltägliche Stadtszene, Menschen auf Straßen, vor Geschäften, vor Schaufenstern und nicht zuletzt die Schaufenster mit ihren Waren selbst. In jedem Gemälde gibt es wie auf traditionellen Landschafts- oder Historiengemälden eine Figur, die sich dem Geschehen zuwendet und dadurch zwischen dem Bildbetrachter und diesem

28 Gilles Deleuze (1973a): »Das Kalte und das Warme«, in: Gilles Deleuze ([2002] 2003), Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 359-365. Dieser Wiederabdruck hat den Nachteil, keine Abbildungen zu zeigen, weswegen auch der Hinweis des Herausgebers in der Fußnote: »Doch der Text von Deleuze ist den monochromen [sic!] Kompositionen gewidmet, denen Fromanger sich Anfang der siebziger Jahre zuwendet.«, ebd., S. 359, zwangsweise falsche Vorstellungen weckt. Der folgende Wiederabdruck auf Französisch und Englisch: Gilles Deleuze (1973): »Le froid et le chaud«, in: Gilles Deleuze/Michel Foucault (1999), Gérard Fromanger. La Peinture Photogénique, London: Black Dog Publishing, S. 61-77, hat den Vorteil zahlreicher Abbildungen und weiterer Aufsätze, unter anderem von Foucault. Dessen Interesse liegt vor allem auf der Geschichte der Fotografie und der Bedeutung von Bildern, der er in diesem Text nachgeht. Erst in den letzten Abschnitten kommt er auf die Arbeiten von Fromanger zu sprechen, die er zur Pop-Art bzw. zum Hyperrealismus zählt. Diese Kunstrichtungen liefern, laut Foucault, Abbilder von Bildern und setzen daher die freie Zirkulierung von Bildern wieder in Gang, wie sie zu Beginn der Fotografie zwischen 1860 und 1900 möglich war, als der Gebrauch der Bilder noch nicht durch Politik oder Werbung reguliert war. Foucault richtet sich hier ebenfalls gegen das Prinzip der Repräsentation, wie bereits bei Lyotard und Deleuze gesehen. Des Weiteren versteht er die Werke Fromangers als »Ereignis« – ähnlich wie hier bereits bei Lyotard gesehen; vgl. Michel Foucault (1975): »La peinture photogénique«, in: Gilles Deleuze/Michel Foucault (1999), Gérard Fromanger. La Peinture Photogénique, London: Black Dog Publishing, S. 81-104.

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Geschehen auf dem Gemälde vermittelt: Hier ist es die große schwarze Silhouette eines Mannes, der niemand anderes ist als Fromanger selbst. Deleuze beschreibt, wie diese Kombination aus ›Betrachter‹ im Vordergrund und dem scheinbar ›eigentlichen‹ Gemälde im Hintergrund zustande kommt: Indem Fromanger die Fotos im Dunkeln auf die Leinwand projiziert und dann davor zu arbeiten beginnt, wirft er einen Schatten auf das entstehende Gemälde, der dann als schwarze Silhouette Teil des Werkes wird. Während die Gemälde mit ihren sich ähnelnden Szenerien zusammengenommen einen Stadtspaziergang des Silhouetten-Mannes konstituieren, differenzieren sie sich untereinander in der Farbgebung, auf der das Hauptaugenmerk von Deleuzes Betrachtungen liegt. Fromanger spielt mit Variationen von sich kontrastierenden und doch ergänzenden Tönen: Vert Véronèse und Rouge de Cadmium clair beispielsweise sind beide in Grün und Rot gehalten, in Violet d'Egypte dominiert neben diesen das Violett und eine Figur in Gelb (alle von 1972). So wie schon bei Lyotard die Farbgebung in ihrer Materialität und Präsenz eine zentrale Rolle spielt, konzentriert sich auch Deleuze bei den Farben nicht auf ihre mögliche Bedeutung (nach der zum Beispiel die Farbe Grün für Hoffnung stehen würde – diese Interpretation entspräche dem Prinzip der Repräsentation), sondern ausschließlich auf die warmen und kalten Intensitäten, die sie hervorrufen (kaltes Grün, warmes Violett usw.; dazu weiter unten mehr). Deleuze interessiert jedoch nicht nur die Rezeptionsebene, sondern auch die Produktionsebene, die die zeitliche Nähe des Textes zu Anti-Ödipus verrät: »Fromanger malt, d.h. er läßt ein Gemälde funktionieren. Gemälde-Maschine eines MechanikerKünstlers.«29 Es ist diese Gemälde-Maschine, die die Intensitäten produziert, wodurch sie eine ›fröhliche‹ Revolution betreibt, und es ist dieses Bejahende, Vitale, das Deleuze an Fromanger schätzt, so wie auch seine Philosophie eine bejahende und vitale ist.30 Damit sind Qualitäten beschrieben,

29 Deleuze (1973a) 2003, S. 359. In einem Interview bezeichnet Fromanger wiederum Deleuze als Maschine, die Fragen produziert, die seine Gemälde auseinandernehmen: »[…] je le [Deleuze; D.D.] découvre, lui, comme un mécanicien, et je comprends ce que c'est une machine désirante. C'est une vraie machine: en me demandant pourquoi j'ai mis du vert là, il me fait enlever un boulon. Je dis ›oh parce qu'il y avait un rouge là‹, j'enlève un autre boulon. […] je fais gaffe parce qu'il y a des pièces qui se détachent, je les mets là, à chaque fois qu'il me pose une autre question […] À la fin, tout est là mais c'est pas le tableau. Toutes les pièces détachées du tableau sont là, c'est fascinant, et puis après, il faut tout remonter.«, Gérard Fromanger mit Claude Spielmann/Emmanuel Luc (2005): »Entretien avec Gérard Fromanger«, April/Mai 2005, URL: http://www. artrealite.com/gerardfromanger.htm, letzter Zugriff: 25.10.2010. Das Bild des auseinandergenommenen Gemäldes, das nicht auf seine einzelnen Teile zu reduzieren ist, erinnert stark an Deleuzes Konzept des organlosen Körpers. 30 Diese Haltung teilt Deleuze mit allen postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkern, die in diesem Punkt stark von Nietzsche beeinflusst sind, vgl.: »Kurz,

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die sich auch auf das »Mehr an Realität« des Hyperrealismus bzw. der PopArt allgemein beziehen, wozu ebenfalls das Motiv der Zirkulation gehört: Zirkulation der Bilder (das »Mehr an Realität«; zu diesem Konzept siehe mehr bei Baudrillard), der Farben, der einzelnen Gemälde, aber auch der Waren in den Gemälden. Der ›schwarze Maler‹ bzw. seine wiederkehrende Silhouette ermöglicht hierbei die Konjunktion der Gemälde31 – wobei die Konjunktion das Prinzip des Rhizoms ist (»und… und… und…«32). In der Wiederholung liegt die Differenz: »[…] das heißt die Transformation des Abbilds auf dem Gemälde, die Veränderung, die das Gemälde im Abbild erzeugt.«33 Knapp zehn Jahre nach diesem Text wird in Deleuzes Bacon-Studie deutlich, dass diese Transformation noch weiter geht als das Konzept des »Transformators« bei Lyotard, da weniger das Resultat dieser Transformation eine Rolle spielt (bei Lyotard die im Betrachter hervorgerufenen Intensitäten), als vielmehr der Prozess der Transformation selbst – was Deleuzes Denken des »Werdens« entspricht. 2.2. Kunst für die Sinne 2.2.1. Der Künstler – Francis Bacon Ein Jahr nach Tausend Plateaus legt Deleuze die viel beachtete Studie Francis Bacon. Logique de la sensation (Francis Bacon. Logik der Sensation von 1981) vor. Francis Bacon (1909-1992) gehört zu den angesehensten Malern des 20. Jahrhunderts. In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg, als der abstrakte Expressionismus der US-Amerikaner die dominierende Rolle im Kunstbetrieb spielt, fertigt der Brite Bacon entgegen allen Trends zwar expressionistische, aber gegenständliche Malerei. Seine Gemälde sind Bilder von Menschen, die meistens alleine, manchmal paarweise auftreten; nicht wenige davon sind Porträts von Bekannten und Freunden. Oft wählt er die Form des Triptychons, wie bei den dreiteiligen Studies of the human body von 1970, in denen drei nackte, weibliche Körper in für Bacon typischen Verdrehungen und Verrenkungen zu sehen sind. Sie sind in einem stark expressionistischen Stil und im ebenfalls Bacon-typischen zarten, fleischigen Rosa gehalten, während die übrige Bildfläche zwar dieselbe Farbigkeit aufweist, aber glatt und ohne Tiefe ist. Diese Kombination aus expressionistisch-modellierter Figur und flächigem Hintergrund findet sich in jedem Gemälde von Bacon, so auch in einem seiner bekanntesten Porträts, Portrait of Isabel Rawsthorne in a street in Soho von 1967. Bacons gute Freundin Isabel Rawsthorne, deren Gestalt er mehrfach auf Leinwand bringt, scheint in einer Art Arena in einem Käfig zu stehen, die die erwähnte Flächigkeit es geht darum, ein klein wenig Blut des Dionysos in den organischen Adern Apollons fließen zu lassen.«, Deleuze (1968a) 1992, S. 330. 31 Deleuze (1973a) 2003, S. 362. 32 Deleuze/Guattari (1980) 1992, S. 41. 33 Deleuze (1973a) 2003, S. 365.

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aufweisen, während sie selbst und das Auto (bzw. der Stier) im Hintergrund in Bewegung begriffen und betont plastisch gehalten sind. Von Bacons Werken geht eine markant-düstere Stimmung aus: Seine Bildwelt zeichnet sich durch surrealistisch wirkende Elemente aus, eine undeutliche, aber nicht minder schockierende Gewalttätigkeit und eine klaustrophobische Atmosphäre, die sich in den einsam und hoffnungslos wirkenden Gestalten ausdrückt. Deren Isolation oder Gefangen-Sein in einem Käfig ist charakteristisch für Bacons Gemälde und bildet den Ausgangspunkt für Deleuzes Beobachtungen und Analysen. Die Isolation ist laut Deleuze eine dreifache: Zuerst ist das Gemälde selbst eine isolierte Realität, das er als »Faktum« bezeichnet; als nächstes sind in Triptychen die einzelnen Tafeln voneinander isoliert; und schließlich ist es die Figur im Gemälde selbst. Deleuze versteht den Begriff der Figur im Sinne von Lyotard, auf dessen Publikation Discours, Figure er in seiner ersten Fußnote verweist: Um dem Figurativen zu entkommen, hat ein Künstler zwei Möglichkeiten – entweder er malt abstrakt (»reine Form«) oder wendet sich dem »reinen Figuralen« zu, also einer Figur, die auf dem Gemälde in keinem illustrativen oder narrativen Zusammenhang zu stehen scheint. Die Figur muss vom Figurativen befreit werden, »um mit der Repräsentation zu brechen«.34 Der entscheidende Punkt bei Bacon ist, so Deleuze, dass es diese Befreiung von der Repräsentation, diese Befreiung vom Figurativen ist, die auf seinen Gemälden zu sehen ist. Die Figuren sind in einer Transformation begriffen und das Zentrale ist dieser Zustand, besser: Moment des Übergangs, und nicht die nach diesem Prozess entstandene, neue Form. Bacons Figuren sind von und in einer Bewegung begriffen, die Deleuze als Deformation bezeichnet, eine Deformation, die den gesamten Körper ergreift und vom Tier-Werden (das stets als erstes das Gesicht erfasst, sodass der Kopf Fleisch-Kopf wird35) zum Ununterscheidbar-Werden

34 Gilles Deleuze ([1981b] 1995): Francis Bacon. Logik der Sensation, 1. Band, München: Fink, hier S. 9 und 10. Die Studie ist wie Lyotards Publikation Que peindre? aufgebaut: Der erste Band enthält die Texte von Deleuze, der zweite zeigt die dazugehörigen Werke, wobei auch Deleuze mit Nummern an den Rändern auf die entsprechenden Abbildungen hinweist. Deleuze verweist auf Lyotard ohne weiter auf eine Definition des Figuralen einzugehen. Lyotard jedoch hat bekanntlich drei Arten der figure voneinander unterschieden (siehe im Kapitel zu Lyotard die dortige Fußnote 33). Wenn auch die figure-image und die figure-forme auf die Figuren in Bacons Gemälden zutreffen, so ist es doch die figurematrice, die am ehesten den Deleuzeschen Interpretationen dieser Figuren entspricht – und tatsächlich findet die »Matrix-Figur« in Anti-Ödipus Erwähnung, vgl. Deleuze/Guattari (1972) 1974, S. 314. 35 Zur Bedeutung des Gesichts, das in derselben Beziehung zum Kopf steht wie der Organismus zum Körper (siehe weiter unten in diesem Abschnitt), vgl. bereits Plateau 7: »Das Jahr Null – Die Erschaffung des Gesichts«, in: Deleuze/Guattari (1980) 1992, S. 229-262.

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reicht, welches nicht als Resultat, doch immerhin als Ziel der körperlichen Anstrengungen zu verstehen ist, mit denen die Deformation vonstatten geht.36 Bereits im Text zu Fromanger formuliert Deleuze die Beobachtung: »[…] als wollte das Gemälde selbst in die Tube zurückkehren.«37 Diese Form von Bewegung erkennt Deleuze auch auf vielen Gemälden von Bacon, zum Beispiel in Figure standing at a washbasin von 1976 (siehe Abbildung 8), in dem die Figur des Mannes laut Deleuze dabei ist, durch das Abflussloch des Waschbeckens zu verschwinden, um sich selbst zu entkommen, zu entweichen. In anderen Werken ist dieses Entweichen im Versuch der Figur zu erkennen, sich mit dem flächigen Hintergrund zu vermischen, in ihm aufzugehen und dadurch ununterscheidbar zu werden.38 Dabei »[…] ist die Figur nicht mehr bloß isoliert, sie ist deformiert, bald kontrahiert und angesogen, bald gestreckt und gedehnt.«39 Dieser Deformationsprozess wird mit Blick auf das Konzept des organlosen Körpers verständlich: Deleuze interpretiert die Figuren als sich zwischen dem Zustand als Organismus (das heißt dem organisierten Körper) und dem als organloser Körper befindend, als im Dazwischen des Transformationsprozesses begriffen, in dem sich die Figur auflöst im ununterscheidbaren, präindividuellen, prärepräsentativen »MAN«.40 Wenn auch der Körper in Bacons Gemälden scheinbar dabei ist, sich von seiner momentanen Aktualisierung zu befreien, hin zur vorgängigen Virtualität, ist das Gemälde selbst ein reales, real wahrnehmbares, da materielles Gegebenes und so stellt sich die Frage nach der Maltechnik, die es ermöglicht, das Ununterscheidbar-Werden sichtbar zu machen. Hier bringt Deleuze den Begriff des Diagramms ins Spiel, den er von Bacon über-

36 Diese Stadien erläutern Deleuze und Guattari bereits in Tausend Plateaus in Plateau 10: »1730 – Intensiv-Werden, Tier-Werden, Unwahrnehmbar-Werden…«, in: Deleuze/Guattari (1980) 1992, S. 317-422, in dem sie unter anderem darauf eingehen, dass das Werden nicht-evolutionär zu verstehen ist (und somit dem nicht-genealogischen Rhizom entspricht). 37 Deleuze (1973a) 2003, S. 360. 38 Der Beziehung zwischen den drei pikturalen Elementen bei Bacon widmet Deleuze zahlreiche Passagen in seiner Studie: »[…] die großen gleichmäßigen Farbflächen als verräumlichende, materielle Struktur; die Figur, die Figuren und ihr Faktum; der Ort oder Schauplatz, d.h. das Rund, die Bahn oder die Kontur, die die gemeinsame Grenze zwischen Figur und Farbfläche ist […]«, Deleuze (1981b) 1995, S. 15. 39 Ebd., S. 18. 40 Diese Auflösung ist positiv gewendet zu verstehen: »In der Welt aufgehen. Das ist die Verbindung zwischen unwahrnehmbar, ununterscheidbar und unpersönlich, den drei Tugenden.«, Deleuze/Guattari (1980) 1992, S. 381f.

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nimmt.41 Vor dem Malakt sei zu bedenken, dass die weiße Leinwand keine leere Fläche ist: »Es ist ein Irrtum zu glauben, der Maler stehe vor einer weißen Oberfläche. Der Glaube ans Figurative rührt von diesem Irrtum her: Wenn nämlich der Maler vor einer weißen Fläche stünde, könnte er darauf ein äußeres Objekt reproduzieren, das als Modell fungiert. Dem ist aber nicht so. Der Maler hat viele Dinge im Kopf oder um sich oder im Atelier. Nun ist all das, was er im Kopf oder um sich hat, schon in der Leinwand, mehr oder weniger virtuell, mehr oder weniger aktuell, bevor er seine Arbeit beginnt. All das ist auf der Leinwand gegenwärtig, als aktuelle oder virtuelle Bilder. So daß der Maler keine weiße Fläche zu füllen hat, er müßte sie vielmehr leeren, räumen, reinigen.«42

Diese »Reinigung« erfolgt über den Malakt, indem die Gegebenheiten (wie ein figuratives Gesicht oder ein als Organismus organisierter Körper) »[…] unkenntlich gemacht oder gesäubert, ausgebürstet, verwischt oder überdeckt werden.«43 Das ist die Operation des Diagramms: »Wie eine auf der Leinwand, in die figurativen und probabilitären Gegebenheiten hereingebrochene Katastrophe.«44

41 Überhaupt bezieht sich Deleuze häufig auf Aussagen Bacons, vgl. David Sylvester ([1980] 1982): Gespräche mit Francis Bacon, München: Prestel Verlag. Diese Publikation dient Deleuze als gleichwertige Vorlage neben Bacons Werken. Den Begriff des Diagramms greift Deleuze 1986 in seiner Publikation zu Foucault, der den Begriff ebenfalls verwendet, noch einmal auf. 42 Deleuze (1981b) 1995, S. 55. Auch Fromangers Projektionstechnik bebildert nach Deleuze die Leinwand noch vor dem eigentlichen, künstlerischen Eingriff: »Seine [Fromangers; D.D.] nächtliche Tätigkeit enthüllt eine ewige Wahrheit der Malerei: daß der Maler nie auf die weiße Fläche der Leinwand gemalt hat, um ein als Modell funktionierendes Objekt zu reproduzieren, sondern immer auf ein Abbild, ein Trugbild, einen Schatten des Objekts […].«, Deleuze (1973a) 2003, S. 360. In Was ist Philosophie? wiederum ist Lucio Fontana das Paradebeispiel, der mit ›aufgeschlitzten‹ Leinwänden bekannt geworden ist, vgl. Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 242. 43 Deleuze (1981b) 1995, S. 62. 44 Ebd., S. 63 (Hervorh. im Orig.). Das Diagramm ist kein »Transformator«, der auf den Betrachter einwirkt (Lyotard), sondern ein »Modulator«, der auf das Faktum des Gemäldes selbst einwirkt. Modulation bezeichnet in der Malerei die Erzeugung von Struktur und Tiefe durch bestimmte Farbverhältnisse, statt durch Lichtund Schattenverhältnisse, eine Technik, für die insbesondere Cézanne berühmt geworden ist, auf den Deleuze an zahlreichen Stellen verweist. In diesem Zusammenhang ist die Modellierung durch warme und kalte Farben zu verstehen, wie sie Deleuze bei Bacon festmacht, vgl. ebd., S. 84 – und die bereits im Text zu Fromanger Thema ist (dazu weiter unten mehr).

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Diese »Katastrophe« wirkt in den drei Etappen Isolation, Deformation und Auflösung (dissolution) auf das Gemälde ein; sie sind die drei Kräfte, die die Figur der Form, dem Figurativen zu entreißen suchen (daher sind sie auch als die Kräfte der Defiguration zu bezeichnen). Das Einfangen dieser Kräfte wiederum ist Aufgabe der Malerei. In Anlehnung an eine Aussage Paul Klees stellt Deleuze fest: »Die Aufgabe der Malerei ist als Versuch definiert, Kräfte sichtbar zu machen, die nicht sichtbar sind.«45 Hier ist eine wichtige Analogie zu Lyotard zu erkennen: Kunst hatte bei ihm die Aufgabe, das Undarstellbare darzustellen; bei Deleuze, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Beide weisen der Malerei die Aufgabe zu, etwas, das außerhalb unserer Wahrnehmung steht, ein Außen, ein Jenseits unserer Wahrnehmung, auf die Leinwand zu bannen. War bei Lyotard das, was nicht dargestellt werden kann, das Gefühl des Erhabenen, spricht auch Deleuze von den Sinnen, wenn er, nach einem Diktum Cézannes, meint, es gehe in der Malerei darum, die Sensation zu malen. Die Sensation ist im ursprünglichen Sinne des Wortes als Empfindung zu verstehen und meint gerade nicht das Sensationelle, also Aufsehenerregende, Spektakuläre. Das Sensationelle darzustellen, es zu malen, heißt in der Repräsentation zu verbleiben – es reicht nicht, einen schreienden Papst zu malen, man muss den Schrei an sich malen.46 Deleuze lehnt den Begriff des Gefühls mit der Begründung ab, dass man Gefühle im Verhältnis zu dargestellten Dingen, im Verhältnis zu einer erzählten Geschichte verspürt. Stattdessen zieht er es vor, von reinen »Affekten« zu sprechen, heftigen Empfindungen oder Erregungen an und für sich, ohne Bezug auf eine Geschichte, ein Geschehen, wie zum Beispiel im Schauspiel.47 Anders ausgedrückt ist die Sensation, sind die Affekte (und Perzepte) Teil des Virtuellen; Gefühle, Affektion (und Perzeption) sind Teil des Aktuellen. Indem Kunstwerke der Versuch sind, das Unsichtbare, das Virtuelle, sichtbar zu machen,

45 Ebd., S. 39. 46 Siehe dazu die von Deleuze zitierten Aussagen Bacons zu dessen Serie Study after Velázquez, in der in verschiedenen Varianten ein sich offenbar in Auflösung befindender, schreiender Papst zu sehen ist, der das berühmte Gemälde Papst Innozenz X. von Diego Velázquez von 1650 aufgreift, vgl. ebd., S. 29. 47 Sich für die Gewalt der Sensation oder des Schauspiels zu entscheiden, ist ein »Glaubensakt«, vgl. ebd., S. 42. Zu den »Affekten« vgl. ebd., S. 30. Trotz des Ausdrucks ›Gefühl‹ des Erhabenen ist dieses durchaus mit der Sensation verwandt, da beide im Zusammenhang mit dem Schrecken (terror) gedacht werden. Zwar stellt Deleuze mit Bacon den Schrei gegen den Schrecken, denn der (›normale‹) Schrecken ist nach Deleuze einer, in den sich eine »erzählbare Geschichte einschleicht«, vgl. ebd., S. 29. Doch auch Lyotards Schrecken ist keiner, der eine Geschichte erzählt, der etwas darstellt, sondern einer, der das Gefühl des »Geschieht es?« – »Es geschieht« begleitet. »Es geschieht, es wird« könnte man für Deleuze hinzufügen.

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sind sie als reine Diesheiten, Haecceitates, zu verstehen, was mit dem Kunstwerk als Präsenz und Ereignis bei Lyotard korrespondiert.48 Es ist offensichtlich, dass Bacons Œuvre für Deleuze der Inbegriff einer Kunst ist, die Kräfte einfängt und Unsichtbares sichtbar macht, kurz: eine Malerei der Sensation ist.49 Analog dazu gründet sich Deleuzes Beschäftigung mit Bacon nicht auf einem rein verstandesmäßigen, d.h. intelligiblen Zugang, sondern auf einem, der die unmittelbare, immanente Wahrnehmung zumindest integriert; eine Herangehensweise, die Elemente der Phänomenologie Merleau-Pontys aufnimmt und weiterführt. Deleuzes Entscheidung für Bacon spiegelt in diesem Zusammenhang seine Philosophie wider, da sich Bacons à plat Malerei und Deleuzes Konzept des rhizomatischen Denkens entsprechen. Doch auch wenn Deleuze mit Lyotard ausführlich den Unterschied zwischen Figurativem und Figuralem elaboriert, stellt sich die Frage, inwiefern sich Bacons Malerei, die sich zwischen Abstraktion und Figuration bewegt, tatsächlich dazu eignet, eine Kritik am Prinzip der Repräsentation zu formulieren, was ebenfalls für die Malerei von Fromanger gilt. Es gibt zu denken, wenn Deleuze die Isolierung der Figuren auf Bacons Gemälden nicht auch als Teil einer Narration verstanden wissen will und er die mögliche Interpretation ablehnt, nach der die Käfige ein Gefangen-Sein der Figuren darstellen und damit ihre Einsamkeit und generell menschliches Leid ausdrücken.50 Stellenweise scheint Bacon für Deleuze nicht nur ein pa-

48 »DIESHEIT = EREIGNIS.«, Gilles Deleuze mit Claire Parnet ([1977] 1980): Dialoge, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 100 (Majuskel im Orig.). 49 Vgl. den berechtigten Hinweis »[O]ne can almost have the sense that if Bacon didn't exist, Deleuze would have had to invent him for his argument.«, Dana Polan (1994): »Francis Bacon: The Logic of Sensation«, in: Constantin V. Boundas/Dorothea Olkowski (Hg.), Gilles Deleuze and the Theater of Philosophy, New York/London: Routledge, S. 231. 50 Ganz zu schweigen von der Bedeutung der Entscheidung für Triptychen, die ursprünglich Altarbilder so organisierten, dass in der Reihenfolge der Narrationsstrang einer biblischen Geschichte erkennbar, ja geradezu lesbar wurde. Was die Isolation der Figuren betrifft, die nicht ihre Einsamkeit ausdrücken soll, sondern die Isolation selbst, so übernimmt Deleuze diese Interpretation von Michel Leiris, der mehrere Texte zu Bacons Œuvre verfasst hat, vgl. Michel Leiris (1971): »Francis Bacon heute«, in: ders. (1982), Bacon, Picasso, Masson, Frankfurt a.M.: Qumran, S. 14-34, hier S. 25. Hartwig Bischof merkt an, dass der vermeintliche Käfig auch als zweiter Rahmen für die Konstruktion eines Bilds im Bild angesehen werden kann, so wie bereits die Stuhllehne in Velázquez' Innozenz X, vgl. Hartwig Bischof (2003): »Die Farben des Specks. Verlorenes Diesseits, verloren im Diesseits, etc. zwischen Bacon und Deleuze« (Vortrag an der Akademie der Bildenden Künste in Wien im Rahmen des Symposiums »Becoming-Art. Towards a Deleuzian Aesthetics« vom 24. bis 25. Januar 2003), URL:

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radigmatisches Beispiel innerhalb der Kunstgeschichte zu sein, sondern als zeitgenössischer Künstler geradezu ihr Kulminationspunkt – bzw. der Kulminationspunkt der von Deleuze favorisierten haptischen Malerei. Ihre (Kunst-)Geschichte lässt sich aus Logik der Sensation herausfiltern und chronologisch nachvollziehen. 2.2.2. Die Kunst – eine haptische Das Konzept einer haptischen Kunst steht in enger Beziehung zur Malerei der Sensation. Beide stehen für eine »sensualistisch inspirierte Ästhetik«,51 das heißt eine Ästhetik, die per definitionem die Sinne berührt. Die Haptik betrifft zwar den Tastsinn, Deleuze meint mit ihr allerdings ein Berühren bzw. ein Malen mit den Augen, weshalb er auch vom haptischen Blick spricht, der sich vor allem auf die Farbe bezieht. Es geht ihm darum, eine Kunst zu bezeichnen, in der weder die Hand unter das Auge untergeordnet ist, noch das Auge unter die Hand, eine Kunst, in der die Farbe KonturFarbe wird.52 Dies zieht die Formulierung von drei Wegen oder Möglichkeiten in der modernen Malerei (aus der die Figuration per se ausgeschlossen wird) nach sich. Der erste Weg wäre das, was Deleuze als Abstraktion im engeren Sinne bezeichnet, als rein optische Kunst, die »[…] den Abgrund oder das Chaos und auch das Manuelle auf ein Minimum reduziert: Sie bietet uns eine Askese, ein spirituelles Heil.«53 Diese Form von Malerei, unter die er beispielsweise Mondrian subsumiert, »überspringt das Chaos« und entwickelt, unbeeinflusst vom Einwirken des Diagramms, einen symbolischen, pikturalen Code: Bei Kandinsky heißt das zum Beispiel »vertikal-weißAktivität, horizontal-schwarz-Trägheit«. Diese Kunst kann, ohne dass Deleuze das Wort benutzen würde, als im übertragenen Sinne aseptisch verstanden werden. Der zweite Weg ist der abstrakte Expressionismus bzw. das Informel. Hierzu rechnet Deleuze Jackson Pollock oder Morris Louis. Diese Kunst ist die Kehrseite der ersten: das reine Chaos. »Das Diagramm verschmilzt […] mit der Totalität des Gemäldes, und das ganze Gemälde ist

http://homepage.univie.ac.at/Hartwig.Bischof/Wissenschaft/Farben%20des%20S pecks.htm, letzter Zugriff: 25.10.2010. 51 Vgl. Joseph Vogl (1998): »Gilles Deleuze«, in: Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hg.), Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 198. 52 Ohne sich explizit darauf zu beziehen, skizziert Deleuze hier einen jahrhundertealten Streit nach, der in der Renaissance seinen Anfang nahm und in dem die Frage der Vorherrschaft des disegno (Zeichnung, Entwurf, Idee), das heißt der Linie über die Farbe diskutiert wurde; in Frankreich spielte sich dieser Streit im 17. Jahrhundert zwischen den Poussinisten und Rubenisten ab. 53 Deleuze (1981b) 1995, S. 64. Die folgenden zwei zitierten Ausdrücke ebd.

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Diagramm.«54 Diese Form von Malerei kennt keinerlei Begrenzung, keinerlei Kontur. Als »Katastrophen-« oder »Diagramm-Malerei« ordnet sie die Optik ganz dem Manuellen unter. Beide Wege lehnt Deleuze ab. Mireille Buydens fasst zusammen: »Après avoir stigmatisé la dimension carcérale de toute forme donnée (visage, organisme, État, famille, moi…) et en avoir préconisé de ce fait la destruction libératrice, Deleuze semble pris de ce qui apparaît à première vue comme une sorte de ›remords‹: une telle destruction des structures ne risque-t-elle pas d'aboutir au chaos indifférencié? […] Deleuze n'ignore pas cet obstacle: supprimer toute forme dans l'exaltation d'un devenir-imperceptible, c'est aussi bien déboucher sur l'indifférencié […].«55

Daher postuliert Deleuze mit Bacon einen dritten Weg, »[…] der weder optisch ist wie die abstrakte Malerei noch manuell wie das Action Painting.«56 Die Kontur muss aufrechterhalten werden, die Katastrophe »darf nicht alles überschwemmen«. Das Diagramm wirkt auf das Gemälde ein, darf aber nicht zum Gemälde selbst werden. »La forme est un mal nécessaire«, resümiert Buydens.57 Kunst soll sich nach Deleuze in einer »[…] Ununterscheidbarkeitszone zwischen Gestalt und Gestaltlosem, die die Materialität der Malerei, Farben und Konturen, unmittelbar hervortreten läßt […]«58, bewegen. Was haptische Malerei insbesondere auszeichnet, ist das Moment der Proximität (so gibt es zum Beispiel keinen Vorder- und Hintergrund mehr; bei Bacon beobachtet Deleuze das Nebeneinander der drei Grundelemente Struktur, Figur und Kontur), des A-Formellen (keine festen Formen, sondern amorph anmutende Kräfte und Strömungen) und die Bedeutung der Linie als abstrakte Linie an sich, die keine Punkte miteinander verbindet. Optische Kunst hingegen zeichnet sich durch (repräsentative) Distanznahme aus (zum Beispiel in der Perspektive), durch feste Formen und konkrete Linien.59 Dieses Verständnis von Kunst begründet Deleuze auch historisch und geht dabei in sechs Schritten bis auf die Kunst des alten Ägyptens zurück. 1. Das altägyptische Flachrelief zählt Deleuze zur haptischen Kunst, da es keine Tiefenstrukturen kennt und auch die Figuren nebeneinander und iso-

54 Ebd., S. 65. Die folgenden zitierten Ausdrücke ebd. 55 Mireille Buydens ([1990] 2005): Sahara. L'esthétique de Gilles Deleuze, Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, S. 73. 56 Deleuze (1981b) 1995, S. 68. Die folgende Formulierung ebd. 57 Buydens (1990) 2005, S. 151. Dieses Zugeständnis an die Form bei Deleuze entgeht Michaela Ott, wenn sie schreibt, dass die Differenzierungsprozesse in einen Entdifferenzierungsprozess umschlagen können und fragt, »[…] ob sich das Denken der Mannigfaltigkeit nicht ad absurdum führt.«, Ott 2005b, S. 96. 58 Vogl 1998, S. 202. 59 Vgl. hierzu Buydens (1990) 2005, S. 124-130.

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liert voneinander aufgereiht sind. Nur die a-formelle Dimension ist in diesen Kunstwerken nicht gegeben. 2. Mit der altgriechischen Kunst, so Deleuze, entsteht das Prinzip der Repräsentation: Die Körper werden organischer, die Figuren befinden sich nicht mehr in einem Zustand der Isolation, die Narration erhält verstärkt Einzug in die Werke, die außerdem optische Tiefe bekommen. 3. Darauf folgt die byzantinische Kunst, die den optischen Charakter der altgriechischen Kunst auf die Spitze treibt, da die taktile Sinnlichkeit der Körper der altgriechischen Kunst aufgehoben wird: reine Farben, ohne Konturen, Formen, Tiefe. 4. Als nächstes folgt die gotische Kunst (bei Deleuze auch »barbarische Kunst«), die sich im Gegensatz zur byzantinischen gerade durch einen rein taktilen Raum auszeichnet. Die Linie der gotischen Kunst ist »anorganische Vitalität«,60 das heißt, sie bewegt sich in alle Richtungen (sie ist im Deleuzeschen Sinne nomadisch), definiert keine Form, begrenzt keine Kontur: »Sie widersetzt sich also dem organischen Leben der klassischen Repräsentation [griechische Kunst; D.D.], aber auch der geometrischen Linie des ägyptischen Wesens [der einzige ›Vorwurf‹ an die ägyptische Kunst; D.D.], und ebenso dem optischen Raum der Lichterscheinung [das byzantinische Mosaik; D.D.].«61 Die gotische Linie ist haptisch, da sie laut Deleuze nichts zu erzählen sucht, nichts repräsentiert, sondern reines Strömen von Energie ist. 5. Nun erfolgt ein beträchtlicher Zeitsprung, da Deleuze direkt zur Malerei des 17. Jahrhunderts übergeht62 und erklärt, inwiefern diese Kunst die optische Tradition der byzantinischen Kunst wieder aufgreift, indem die Form den Licht- und Schattenverhältnissen untergeordnet wird. 6. Danach kommt Deleuze auf die moderne Kunst zu sprechen, die von der Optik zur Haptik gelangt, indem der Kolorismus die Form nun auch unter die Farbe unterordnet. Im Luminismus wird die Farbe in ihren Valeurverhältnissen (hell-dunkel) eingesetzt, im Kolorismus aber vor allem in ihren Tonalitätsverhältnissen, in Bezug auf das Farbspektrum und die Definition der Farbtöne nach warm-kalt. Sobald

60 Deleuze (1981b) 1995, S. 79. In den Textpassagen zur Geschichte der Kunst bezieht sich Deleuze auf viele Kunsthistoriker und -wissenschaftler; in Bezug auf die verschiedenen Arten des Sehens bzw. des Raums vor allem auf Heinrich Wölfflin, zur gotischen Kunst auf Wilhelm Worringer und zum haptischen Raum auf Alois Riegl, wobei er ihren Thesen zur Kunst häufig widerspricht. 61 Ebd., S. 79. 62 Nur kurz erwähnt er Michelangelo, dessen Körper den Organismus übersteigen, »[a]ls ob die Organismen in einer Wirbel- oder Schlangenbewegung gefangen wären, die […] sie in einem einzigen ›Faktum‹ vereint, unabhängig von jedem figurativen oder narrativen Bezug.«, ebd., S. 80. Die Entdeckung der Zentralperspektive in der Kunst der Renaissance, die gerade zur verstärkten Ausbildung von Vorder- und Hintergrund, und damit auch zu einer gesteigerten Narration beiträgt, lässt er unbeachtet.

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»[…] die Tonalitätsverhältnisse wie bei Turner, Monet oder Cézanne zum Ausschluß der Valeurverhältnisse tendieren, so wird man von einem haptischen Raum und einer haptischen Funktion des Auges sprechen, in der der ebene Charakter der Oberfläche die Volumina nur durch die verschiedenen, auf ihr verteilten Farben erzeugt.«63

Was sich hier abzeichnet, ist eine Geschichte der haptischen Kunst, die einer Art ansteigender Sinuskurve folgt: Ihr haptischer Charakter ist mal mehr, mal weniger ausgeprägt, um zuletzt über die Koloristen bei Bacon (sozusagen als siebtem und letztem Schritt) zu kulminieren. Es ist Deleuzes Absicht, sich allein auf den Blick zu konzentrieren, der den ›Raum‹ im Kunstwerk wahrnimmt: Mal ist er optisch, mal haptisch, mal optisch-taktil, mal ausschließlich taktil.64 Es ist eine Perspektive auf die Geschichte der Kunst, die sich dergestalt neu ordnen lässt. Allerdings ist auffällig, dass Deleuze nicht in Erwägung zieht, dass auch haptische Kunst Geschichten erzählen, etwas darstellen, etwas abbilden kann. Doch nur indem er die narrativen, illustrativen und vor allem religiösen Aspekte aller erwähnten Kunstwerke außer Acht lässt, kann er zu dem Schluss kommen, »[…] daß Bacon zunächst Ägypter ist […]«65 – weil sich alle Elemente (Struktur, Figur, Kontur) auf derselben haptischen und nahen Blickebene befinden. Gleichzeitig steht Bacon für ihn in der Tradition von Koloristen wie Cézanne oder Klee, oder mit Deleuzes Worten: »Bacon ist einer der größten Koloristen seit Van Gogh und Gauguin […]«66 – weil bei ihm die Modulation über die Farbe erfolgt. Die Apotheose Bacons als Kulminationspunkt der Kunstgeschichte irritiert innerhalb einer Philosophie, die sich doch als Philosophie der Vielfalt verstanden wissen will, als nicht-lineares, rhizomatisches Netz, das in alle Richtungen geht. Welche anderen Positionen zeitgenössischer Kunst lässt Deleuze neben Bacon gelten? Hierzu muss auf eine weitere Publikation von Deleuze zurückgegriffen werden: Le pli. Leibniz et le baroque (Die Falte. Leibniz und der Barock von 1988), in der nicht nur die Bedeutung des Barocks eine tiefgreifende Veränderung im Vergleich zu früheren Aussagen von Deleuze erfährt, sondern auch viele zeitgenössische Künstler Erwähnung finden. Die Falte, worin sich Deleuze vorrangig mit der barocken Architektur und der Philosophie von Leibniz beschäftigt,67 räumt dem Barock

63 Ebd., S. 81. 64 Eine ausführlichere Rekonstruktion dieser Geschichte, auch unter Bezugnahme auf Tausend Plateaus, liefert Buydens (1990) 2005, S. 130-152. Unklar bleibt, inwiefern Deleuze zwischen dem ursprünglich griechischen Ausdruck haptisch und dem ursprünglich lateinischen Ausdruck taktil unterscheidet. 65 Deleuze (1981b) 1995, S. 83. 66 Ebd., S. 87. 67 Leibniz ist ein wichtiger Bezugspunkt in Deleuzes Denken, dessen Konzept der Virtualität und Aktualität viel den Leibnizschen »Monaden« verdankt. Die »Fal-

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im Gegensatz zu Logik der Sensation eine eminente Stellung ein, sodass die moderne bzw. zeitgenössische Kunst in direktem Zusammenhang mit der Kunst dieser Zeit gesehen wird. Die Künstler des Barocks, so Deleuze hier, streben nicht danach, Formen wiederzugeben, sondern die Falte zum eigentlichen Objekt ihrer künstlerischen Arbeit zu machen (die Formen entstehen sozusagen als Nebenwirkungen von Einfaltungen). Falten zu malen, heißt die Kräfte einzufangen, die die Materie berühren, heißt die Strömungen sichtbar zu machen, die durch die Materie fließen. Der Barock wird hier also wie die Werke Bacons zu einer Kunst der Sensation. Nicht nur der Barock, sondern auch das Informel erfährt eine Bedeutungsverschiebung, indem Deleuze jetzt den Schwerpunkt seiner Betrachtungen auf die Materie und damit auf die Textur verlagert, was ihn dazu führt, Maler des Informel nun als moderne barocke Maler zu bezeichnen (deren Diagramm-Malerei nun als Malerei der reinen Textur gesehen wird), und umgekehrt vom Barock (dessen Falte die reine Textur ist, da sie ihren Träger, wie Gewebe, Granit oder Wolke, ›verlässt‹) zu behaupten: »Der Barock ist die informelle Kunst par excellence […]«.68 Zeitgenössische Künstler, die Deleuze in diesem Zusammenhang erwähnt, sind wieder Jackson Pollock, aber auch Jean Fautrier. In Logik der Sensation zählt Deleuze erstaunlicherweise auch Künstler der Minimal Art zur Diagramm- oder Katastrophenmalerei, zum Beispiel Carl Andre oder Robert Ryman,69 die man eher in der von ihm definierten »Abstraktion« vermuten würde (Deleuzes enger Begriff von Abstraktion bezeichnete rein optische Kunst und bezog sich eben nicht auf den abstrakten Expressionismus oder das Informel). Diese Zuordnung wird in Die Falte verständlicher: »Die flachen Skulpturen von Carl Andre […] geben […] ein gutes Beispiel für […] die extensive Einheit der sogenannten minimal art, bei der die Form nicht mehr ein Volumen begrenzt, sondern einen in allen seinen Richtungen unbegrenzten Raum umfaßt.«70 Am Informel bzw. abstrakten Expressionismus hatte Deleuze be-

te« (und damit auch Einfaltungen und umgekehrt Entfaltungen) wird hier als anderer Begriff für Aktualisierung gedacht. 68 Gilles Deleuze ([1988] 1995): Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 62. Der Unterschied zwischen Barock und Neobarock liegt, wie es an anderer Stelle heißt, darin, dass die Divergenzen des Barocks (die die Einheit der Welt aufbrechen, die damit zum »Chaosmos« wird) »auf ebenso viele mögliche Welten« aufgeteilt werden und dadurch in Harmonien aufgehen, während sich die Divergenzen des Neobarocks in derselben Welt »entfesseln«; vgl. ebd., S. 135f. 69 Deleuze (1981b) 1995, S. 66. 70 Deleuze (1988) 1995, S. 201f., Fußnote 4 (Hervorh. im Orig.). Weiter unten: »Man müßte die explizit barocken Themen in der minimal art und bereits im Konstruktivismus einmal genau untersuchen […]«, worauf Deleuze beispielhaft Tony Smith, Donald Judd, Sol LeWitt, Robert Morris u.a. nennt. »Auch eine spezielle Untersuchung der ›Performances‹ von Christo müßte unternommen

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kanntlich die Grenzenlosigkeit (und im übertragenen Sinne auch die Maßlosigkeit) moniert. Diese fehlenden Begrenzungen sieht Deleuze auch in der Minimal Art. Doch die Kritik an diesem Umstand ist kaum noch erkennbar, die Ausdehnung in alle Richtungen, wie bei der Linie der gotischen Kunst, verkörpert nun wieder positiv gewendet das Rhizom – allerdings ohne, dass Deleuze dies offen einräumen würde. Diese Bedeutungsverschiebungen in Die Falte erleichtern das Verständnis von Deleuzes ganz eigener Geschichte der Kunst nicht, und vor allem seine Haltung zeitgenössischer Kunst gegenüber ist alles andere als eindeutig. Auch bei Lyotard wird man vor die Schwierigkeit gestellt, thesenhafte Aussagen gegen Kunst nach dem Prinzip der klassischen Repräsentation (dabei vor allem gegen den Realismus) und Kunstwerkbetrachtungen von abstrakten wie figurativen Arbeiten miteinander zu vereinbaren. Doch widmet sich Lyotard abstrakt-expressionistischer wie abstrakt-geometrischer Malerei, realistisch-figurativer wie hyperrealistisch-figurativer Malerei, zumal er auch Installationskunst in seine Analysen integriert. Somit entspricht Lyotards verschiedenartiges Interesse einem Denken der Pluralität wie es den postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretikern gemein ist (von der strikten Ablehnung der Transavanguardia abgesehen, die in dieser Proliferation von Kunstwerkbetrachtungen äußerst willkürlich – man kann auch sagen: subjektiv – erscheint). Deleuze hingegen betrachtet Kunst in ihrer historischen wie stilistischen Totalität, ordnet jedoch nur sehr wenige Künstler unter die von ihm favorisierte Malerei der Sensation ein. Auf der Grundlage seiner Kriterien (nicht repräsentative, haptische Malerei, die Kräfte einfängt) äußert er zahlreiche Kritikpunkte an den verschiedenen Epochen, woraus sich schließen lässt, dass die von Lyotard kritisierte Transavanguardia auch bei Deleuze keinen Anklang finden würde: Das ›Problem‹ der Transavanguardia (oder ähnlicher Kunstrichtungen) ist nicht so sehr das Figurative (im Hyper- oder Fotorealismus eines Jacques Monory oder Gérard Fromanger stellt sie kein Hindernis für eine positive Bewertung dar), als das vermeintlich Narrative der oftmals mythisch-phantastischen Bildwelten. Umgekehrt ist es sicherlich auch das Moment des Nicht-Narrativen, NichtRepräsentativen, das Deleuzes Interesse an der Minimal Art erklärt. »Doch wie paßt ein rhizomatisches Denken mit einer Bevorzugung zusammen?«,71 fragt auch Stefan Heyer und stellt fest: »Für Aktions-Kunst ist da kein Platz.«72 Was Heyer damit meint, ist, dass in Deleuzes Philosophie, die das Werden in den Vordergrund stellt und alles Werden als Minoritär-

werden: die gigantischen Einhüllungen und die Falten dieser Hüllen.« Auch am ›Falten-Künstler‹ Simon Hantaï, den er mehrfach erwähnt, zeigt Deleuze Interesse, vgl. ebd., S. 63f.: Fußnote 21, S. 141; sowie in: Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 231. Zu Hantaï, der Falten, Einfaltungen und Entfaltungen zum Thema seiner Kunst macht, siehe mehr bei Derrida. 71 Heyer 2001, S. 116f. 72 Ebd., S. 115.

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Werden versteht, doch kein Platz ist für ein Minoritär-Werden der Kunst:73 Ein Minoritär-Werden ist zum Beispiel das Frau-Werden – es gibt kein Mann-Werden, da der Mann für die Majorität steht. Analog dazu ließe sich daher sagen, dass die Malerei in der Geschichte der Kunst die Majorität darstellt und ein Minoritär-Werden der Kunst andere Formen und Medien einschließen müsste, die gerade bei Deleuze keine Erwähnung finden. Umgekehrt muss gefragt werden, ob es erforderlich ist, die Malerei der Sensation mit einem figuralen, also weder figurativen noch abstrakten Stil gleichzusetzen und ob nicht auch andere Formen von Malerei imstande sind, Kräfte einzufangen und sichtbar zu machen und den Betrachter zu affizieren, so wie das Diagramm das Gemälde, das Faktum, affiziert bzw. gleichsam als Transversale durchläuft. Letztlich betrifft die Konzeption einer Kunst der Sensation nicht nur die Produktionsebene, sondern auch die Rezeptionsebene, weswegen zumindest angenommen werden darf, dass auch Deleuze nicht frei ist von einer subjektiven Sichtweise und individuellen Empfindung in Bezug auf die von ihm präferierte Kunst. In diesem Zusammenhang ist die Aussage einer Malerin, die im figurativen Stil arbeitet, interessant: »I offer a critique of Deleuze's narrow interpretation of the figural, arguing that Deleuze's distinction between figuration, abstraction and the figural makes no/sense to me as a painter. I will argue that it is the pulse itself which is figural and it is this im/pulse which constitutes sensation.«74

Zuletzt fällt auf, dass Deleuze historisch zurückliegende Epochen innerhalb seiner Geschichte der haptischen Kunst negativ beurteilt, jedoch keine zeitgenössische Stilrichtung explizit kritisiert, so wie Lyotard die Transavanguardia oder Bourdieu und Habermas das L'art pour l'art, dem ohne Weiteres zeitgenössische Tendenzen in der Kunst zugewiesen werden könnten. Eine der wenigen, offen formulierten Kunstkritiken von Deleuze findet sich in dieser emphatischen Aussage: »Was ist revolutionär an dieser [Fromangers; D.D.] Malerei? Vielleicht die radikale Abwesenheit von Bitterkeit und Tragik, von Angst, von all diesem Scheißdreck der falschen großen Maler, die man für Zeugen ihrer Zeit hält. All diesen faschistischen und sadistischen Phantasmen, die einen Maler angeblich als scharfen Kritiker der modernen Welt auszeichnen, während er doch nur mit seinen eigenen Ressentiments,

73 Vgl.: »Alles Werden ist ein Minoritär-Werden.«, Deleuze/Guattari (1980) 1992, S. 396. 74 Barbara Bolt (1997): »Im/Pulsive Practices: The Logic of Sensation and Painting«, in: Social Semiotics, vol. 7, Nr. 3, Dezember, S. 261. Gegen Ende ihrer Argumentation merkt Bolt in Bezug auf Deleuzes Bevorzugung eines bestimmten Stils richtig an: »In this assumption he falls prey to the binary logic or either/or, not and.«, ebd., S. 267; wobei gerade das »und« das Prinzip des Rhizoms ist (siehe weiter oben).

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seiner eigenen Willfährigkeit und der seiner Käufer spielt. Manchmal ist es abstrakt, aber darum nicht weniger schmutzig und trist, ekelerregend.«75

Es ist auffallend, dass die »falschen großen Maler« ungenannt bleiben; doch ist in dieser Aussage die Kritik am Kunstbetrieb als Kunstmarkt festzuhalten, womit sich Deleuze unter die Kritiker einer Ökonomisierung des Kunstbetriebs einreiht (in diesem einen Fall unisono: Bourdieu, Habermas und Lyotard).76 2.3. Was ist Philosophie? – Was ist Kunst? So wie Deleuze neben den einzelnen Monographien zu Philosophen auch eigenständige Studien verfasst hat,77 werden die bislang erwähnten Kunstwerkanalysen durch Qu'est-ce que la philosophie? (Was ist Philosophie? von 1991) ergänzt, der letzten, gemeinsamen Publikation von Deleuze und Guattari. Darin postulieren sie: »Die Philosophie ist die Kunst der Bildung, Erfindung, Herstellung von Begriffen.«78 Philosophie ist also Konstruktivismus – Konstruktion der sogenannten Immanenzebene: »Die philosophischen Begriffe sind fragmentarische Ganzheiten, die nicht ineinander passen, da sich ihre Ränder nicht decken […] und die Philosophie, die sie erschafft, bietet stets ein mächtiges, nicht-fragmentiertes Ganzes, selbst wenn

75 Deleuze (1973a) 2003, S. 364. 76 Nicht zuletzt sind die beiden Bände von Kapitalismus und Schizophrenie auch eine Kapitalismuskritik: »Erst mit der Sache, dem Kapitalismus, beginnt die Epoche des Uneingestehbaren: keine einzige ökonomische oder finanzielle Operation, die […] nicht ihren uneingestehbaren Charakter offenkundig werden ließe, das heißt ihre innerliche Perversion oder ihren wesentlichen Zynismus […].«, Deleuze/Guattari (1972) 1974, S. 318. 77 Wenigstens erwähnt seien folgende zwei wichtige Publikationen: Gilles Deleuze ([1983a] 1989): Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, sowie Gilles Deleuze ([1985a] 1991): Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In diesen beiden ›Kino-Studien‹ widmet sich Deleuze einerseits, ganz im Sinne einer Ablehnung der Repräsentation, der Konstruktion der Welt durch den Schnitt anstelle der Abbildung der Welt durch bloß narrative Wiedergabe; andererseits interessiert er sich hier, Bergson wiederaufgreifend, für das Verhältnis des Films zur Zeit, die Deleuze genau wie Lyotard als paradoxe Gleichzeitigkeit von noch nicht und nicht mehr, als vergangen und zukünftig zugleich denkt. 78 Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 6. Philosophie als Begriffsproduktion findet schon 1973 Erwähnung in einem Gespräch zwischen Deleuze und dem Künstler Stefan Czerkinsky, vgl. Gilles Deleuze mit Stefan Czerkinsky (1973b): »Flächen und Oberflächen«, in: Gilles Deleuze ([2002] 2003), Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 409. In diesem kurzen Gespräch kommt vor allem Czerkinsky zu Wort, weswegen es kaum als Kunstwerkanalyse von Deleuze hinzugezogen werden kann.

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es offen bleibt: unbegrenztes All-Eines, Omnitudo, die sie alle auf ein und derselben Ebene enthält.«79 Diese Immanenzebene zu denken bzw. analog zu Deleuzes Kunstverständnis zu »zeigen, daß sie da ist«,80 ist »die höchste Geste der Philosophie«. Philosophie ist entgegen der Tradition also nicht mehr Reflexion, Kontemplation oder Kommunikation, sondern ein Schöpfungsakt, wort-wörtlich eine Kunst. Deleuze und Guattari formulieren auch für die Kunst und Wissenschaft konkrete Aufgaben und eine Definition: Philosophie, Kunst und Wissenschaft sind die »drei großen Formen des Denkens«,81 die »[…] dem Chaos trotzen, eine Ebene entwerfen, eine Ebene aus dem Chaos ziehen.« Jede dieser Disziplinen hat ihren spezifischen Weg: Die Philosophie schafft Begriffe, die Wissenschaft definiert Funktionen oder Sachverhalte, und die Kunst fängt die Kräfte (das Chaos) ein, stellt Empfindungen (die Sensation) dar. »Kurzum, das Chaos besitzt drei Töchter je nach Ebene, die es schneidet: dies sind die Chaoiden, Kunst, Wissenschaft und Philosophie, als Formen des Denkens oder der Schöpfung.«82 Ist Philosophie also eine schöpferische Kunst, so ist umgekehrt Kunst auch ein Akt des philosophischen Denkens. Diese Definition ermöglicht Deleuze und Guattari eine positive Einschätzung der Konzeptkunst, die Ideen und Konzepte zum Thema der Werke macht, Kunst als solche hinterfragt und die Reflexion darüber in die Arbeiten integriert oder zu ihrem eigentlichen Bestandteil macht (siehe äquivalent dazu die Kunsttheorien von Nelson Goodman und Arthur C. Danto, die eine verstandesmäßige Interpreta-

79 Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 42. Die Immanenzebene ist dabei nicht als das (transzendente) Ganze und Eine misszuverstehen, auf die die Fragmente sozusagen zulaufen würden. Man kann eine Erläuterung von Daniel W. Smith, in der es um Kunstwerke geht, hier in Analogie setzen: »The elements brought together by the work of art cannot be said to be fragments of a lost unity or shattered totality […]. The work of art produces a unity, but this product is simply a new part that is added alongside the other parts. […] [I]t has an effect on them because it establishes syntheses between elements that in themselves do not communicate […]. Art establishes ›transversals‹ between the elements of multiplicities, but without ever reducing their difference to a form of identity or gathering up the multiplicity into a totality.«, Daniel W. Smith (1996): »Deleuze's Theory of Sensation: Overcoming the Kantian Duality«, in: Paul Patton (Hg.), Deleuze: A Critical Reader, London: Blackwell Publishers, S. 48; siehe auch weiter unten in diesem Abschnitt. 80 Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 69. Die folgende Formulierung ebd. In diesem Kontext siehe noch einmal die Parallele zu Lyotards »Darstellung des Undarstellbaren«: »Man möchte sagen, DIE Immanenzebene sei zugleich das, was gedacht werden muß, und das, was nicht gedacht werden kann.«, ebd., S. 68f. (Majuskel im Orig.). 81 Ebd., S. 234. Die folgende Formulierung ebd. 82 Ebd., S. 247.

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tion von Kunst betreiben). Diese Form von Kunst ist eigentlich das genaue Gegenteil einer sensualistischen Ästhetik und doch: »Die beiden jüngsten Versuche zur Annäherung von Kunst und Philosophie sind die abstrakte Kunst und die ›Konzeptkunst‹; aber sie setzen an die Stelle der Empfindung nicht den Begriff, sie kreieren Empfindungen und nicht Begriffe, Konzepte. Die abstrakte Kunst sucht nur die Empfindung zu verfeinern, sie zu entmaterialisieren […]. Die Konzeptkunst sucht durch Verallgemeinerung eine entgegengesetzte Entmaterialisierung, indem sie eine ausreichend neutralisierte Kompositionsebene begründet […].«83

Statt klaren Grenzen zwischen den Disziplinen sind eher »Überlappungen«, »Nachbarschaftszonen«84 auszumachen, in denen sie gegenseitig aufeinander wirken. »Die Malerei entflammt das Schreiben« heißt ein Gespräch mit Deleuze von 1981 anlässlich des Erscheinens von Logik der Sensation – oder anders ausgedrückt: »In der Philosophie geht es um ein unmögliches Denken, das heißt darum, mit Hilfe eines sehr komplexen Denkmaterials [z.B. einem Kunstwerk; D.D.] Kräfte, die nicht denkbar sind, denkbar zu machen.«85 Da Kunst Neues schafft bzw. hervorbringt, animiert die Begegnung mit ihr die Philosophie zu eigenen Begriffskreationen; es ist dieses Neue, das den Betrachter unerwartet trifft, ihn affiziert und Sensation hervorruft. Das Neue wird bei Deleuze sogar zu dem Kriterium eines Kunst-

83 Ebd., S. 235f. Tendenziell wird hier auch eine (positive) Umwertung der Abstraktion im engeren Sinne erkennbar. Trotz dieser Textstelle hat Heyer nicht ganz unrecht, wenn er annimmt, »Denk-Kunst« wie die Konzeptkunst würde von Deleuze abgelehnt (vgl. Heyer 2001, S. 106), denn Deleuze und Guattari zweifeln selbst an ihrer Behauptung: »Es ist dennoch so sicher nicht, daß man in letzterem Fall [der Konzeptkunst; D.D.] auf diese Weise zur Empfindung oder zum Begriff vordringt, da die Kompositionsebene die Tendenz aufweist, ›informativ‹ zu werden, und die Empfindung von der bloßen ›Meinung‹ eines Betrachters abhängt, dem es eventuell zukommt, […] darüber zu entscheiden, ob dies Kunst ist oder nicht. So viel Mühe, um im Unendlichen die Perzeptionen und Affektionen des Alltags wiederzufinden […].«, Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 236. 84 Vgl. Henning Schmidgen (2007): »Begriffszeichnungen. Über die philosophische Konzeptkunst von Gilles Deleuze«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hg.), Deleuze und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 42. Schmidgen seziert in seinem Text den zentralen Satz aus der Einleitung von Was ist Philosophie?, vgl. das Zitat zur obigen Fußnote 78. 85 Gilles Deleuze (1978): »Kräfte hörbar machen, die durch sich selbst nicht hörbar sind«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 152; sowie: Gilles Deleuze (1981c): »Die Malerei entflammt das Schreiben«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 173-178.

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werks.86 Das zeigt sich bereits 1973, als Deleuze in Bezug auf Fromangers Gemälde fragt, was an ihnen revolutionär sei,87 denn so formuliert wird deutlich, dass das Revolutionäre, also radikal Neue, per se ein Gut ist. Ähnlich wie bei Lyotard, für den die Kunst stets Regeln hinterfragt bzw. neue Regeln findet und damit immer Avantgardekunst ist, ist auch bei Deleuze die Kunst – aber auch die Philosophie – Avantgarde, da sie als die schöpferischen Disziplinen Neues schaffen: die Kunst neue, unerwartete Wege, Kräfte einzufangen, die Sensation zu malen, und die Philosophie neue Begriffe. Tatsächlich wird die damit verbundene politische Dimension bei Deleuze noch deutlicher als bei Lyotard: Kunstwerke sind Widerstandsakte. Kommunikation, so Deleuze, ist die Übermittlung und Verbreitung einer Information, wobei er diese als Instrumente der Kontrolle ansieht: »Zu Recht werden die polizeilichen Erklärungen Kommuniqués genannt. Man kommuniziert uns Informationen, man sagt uns, was zu glauben wir imstande oder verpflichtet oder gehalten sind.«88 Das Kunstwerk allerdings hat nichts mit Kommunikation zu tun89 (sondern mit Sensation) und ist daher immer Gegeninformation. Wirksam wird diese dann, wenn sie zum Widerstandsakt wird. Das heißt, dass Kunstwerke einerseits immer auch politisch sind (bei Bourdieu hatten sie es zu sein), andererseits, dass damit keine ›Polit-Kunst‹ im engeren Sinne gemeint ist, da diese stets bestimmte Informationen transportiert (im Deleuzeschen Sinne kommuniziert ein Künstler wie Hans Haacke und befindet sich damit nicht im Widerstand zum von ihm kritisierten kapitalistischen System). Der Widerstand ist bei Deleuze (und Guattari) grundsätzlicher Art:

86 Vgl. Gilles Deleuze (1983b): »Porträt des Philosophen als Zuschauer«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 19751995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 205. Schon in Differenz und Wiederholung spricht Deleuze vom Kunstwerk als »Experiment«, allerdings ist die Bedeutung anders als bei Lyotard eine doppelte: Lyotard benutzt ausdrücklich das Wort expérimentation, Deleuze hingegen expérience, was nicht nur Experiment, sondern auch Erfahrung bedeutet, vgl. Deleuze (1968a) 1992, S. 84, die Anmerkung des Übersetzers in der Fußnote 21. Das Kunstwerk als Experiment vgl. noch einmal ebd. S. 97. 87 Vgl. noch einmal das Zitat zur obigen Fußnote 75. 88 Gilles Deleuze (1987b): »Was ist der Schöpfungsakt?«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 305. (Die dort zu findende Jahresangabe 1997, als Deleuze den Vortrag gehalten haben soll, ist selbstverständlich ein Druckfehler, vgl. dazu die französische Originalausgabe.) 89 »Das Kunstwerk enthält nicht die geringste Information.«, Deleuze (1987b) 2005, S. 307; siehe die konträre Position bei Luhmann im entsprechenden Kapitel.

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»Uns fehlt nicht Kommunikation, im Gegenteil: wir haben zuviel davon, uns fehlt Schöpferisches. Uns fehlt es an Widerstand gegenüber der Gegenwart. Die Schöpfung von Begriffen verweist in sich selbst auf eine zukünftige Form, sie verweist auf eine neue Erde und auf ein Volk, das es noch nicht gibt. […] Kunst und Philosophie treffen sich an diesem Punkt: der Konstitution einer Erde und eines Volkes, die noch fehlen, als Korrelat des Schöpferischen.«90

Kunst soll, wie bei Habermas, der Emanzipation dienen, doch bleibt sie bei Deleuze und Guattari wirkungslos, wenn sie wie bei jenem Vermittlung praktiziert, das heißt der Kommunikation dient. Kunst und Philosophie sind das Gegenteil von Kommunikation. Der Widerstand, von dem hier die Rede ist, wird radikal, wird unversöhnlich und irreduzibel gedacht, sodass wie auch bei Lyotard eine prinzipielle Ablehnung der konsensuellen Grundhaltung von Habermas festzustellen ist. In der Konsequenz lehnt Deleuze Kritik, also auch Kunstkritik, im Sinne von Bourdieu und Habermas (bzw. überhaupt einer marxistisch-kritischen Tradition) ebenfalls ab. Vielmehr müssten Kritik und Klinik (das heißt die Praxis am Kranken, dessen Untersuchung) miteinander verbunden werden, eine Forderung, der Deleuze erstmals mit Nietzsche in der entsprechenden Publikation nachgeht und die er in seiner letzten Publikation Critique et clinique (Kritik und Klinik von 1993) systematisch verfolgt.91 Symptomatologie statt Kritik bedeutet auch, dem Experiment (expérience), das das Kunstwerk vollzieht und der Erfahrung (expérience), die es bietet, gerecht zu werden: »[I]st es nicht vielmehr das Urteilen, das vorgängige Kriterien (höhere Werte) voraussetzt, die zudem der Zeit überhaupt (bis ins Unendliche der Zeit) vorausgehen, so dass es das Neue an einem Existierenden nicht fassen und die Erschaffung eines Existenzmodus nicht erahnen kann? […] Das Urteil verhindert die Ankunft eines

90 Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 126. »Was ist der Schöpfungsakt?« schließt mit dem Satz: »Es gibt kein Kunstwerk, das sich nicht an ein Volk wendet, das noch nicht existiert.«, Deleuze (1987b) 2005, S. 308. 91 Doch auch zwischen diesen beiden Publikationen, die jeweils am Anfang und am Ende von Deleuzes Schaffen stehen, äußert er sich in dieser Richtung: »Kritik und Klinik müßten, strenggenommen, ineinander aufgehen; […] Nietzsches Vorstellung: der Schriftsteller, der Künstler als Arzt und Kranker einer Kultur zugleich.«, Deleuze mit Parnet (1977) 1980, S. 128f. (Hervorh. im Orig.). Die Verbindung von Kritik und Klinik ist der Leitgedanke, dem Sauvagnargues in ihrer Publikation folgt, wobei sie der Forderung nach dieser Verbindung und ihrer Realisation durch Deleuze vor allem in dessen Publikationen zur Literatur nachgeht, vgl. Sauvagnargues 2006, v.a. die Kapitel 2 (»Critique et clinique«) und 5 (»La critique de l'interprétation et la machine«).

150 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK jeden neuen Existenzmodus. […] Das ist vielleicht das Geheimnis: existieren machen und nicht richten.«92

An kaum einer Stelle wird der Gegensatz zwischen einer sensualistischen Ästhetik einerseits, die auf das Kunstwerk als Erfahrung, als Ereignis setzt und es genau aufgrund dieser sinnlichen Dimension als Widerstandsakt gegen bestehende (Herrschafts-)Strukturen versteht, und andererseits einer geradezu an-ästhetischen Kunst deutlich, die in Form von kritischer oder politischer Kunst weniger die Sinne als vielmehr den Verstand berühren will.93 In beiden Fällen wird der Kunst eine gewichtige Aufgabe für die Gesellschaft übertragen, weswegen es kaum verwundert, dass Deleuze wie schon Lyotard der Idee des Künstlergenies nachhängt, die auch Bourdieu – trotz seiner Kritik an der Ideologie des sujet créateur – vertritt, wenn er den Künstler in der Lage sieht, »Verborgenes freizulegen« (und Habermas in Kunstwerken nicht weniger als eine »lebensorientierende Kraft« am Werke sieht). Deleuze übernimmt die Vorstellung des artifex deus von Bergson, der den Künstler imstande sah, sichtbar zu machen, was unsichtbar war und ihn daher als »Offenbarer« bezeichnete.94 Bei Deleuze (und Guattari) kommen noch Elemente des artiste maudit, des Künstlers als Märtyrer hinzu: »Dafür, daß sie zum Perzept als der ›geheiligten Quelle‹ vorgedrungen, […] kommen der Romancier oder der Künstler mit geröteten Augen und außer Atem zurück.«95 Die Künstler haben eine fragile Gesundheit »[…] weil sie im Le-

92 Gilles Deleuze ([1993] 2000): Kritik und Klinik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 183 (das Kapitel heißt passenderweise »Schluss mit dem Gericht«). 93 Fast scheint es, als schreibe Deleuze gegen Habermas an: »Welches Expertenurteil könnte sich etwa in der Kunst auf ein künftiges Werk beziehen? Wir brauchen die anderen Existierenden nicht richten, sondern bloß spüren, ob sie zu uns passen oder nicht, d.h. ob sie uns Kräfte herbeibringen oder uns in das Elend des Kriegs, in die Armseligkeiten des Traums, in die Unerbittlichkeit der Organisation stürzen.«, Deleuze (1993) 2000, S. 183. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass Habermas eben diese Erfahrung gemacht hat, wenn er zu Beginn seines Textes zu Scully bemerkt, dass dessen Werke eine »sinnliche Kraft« haben – trotz der Tatsache, dass der Kunst »nach der Erschöpfung der Avantgarden […] eben jene Energie zur nachhaltigen Affektion der Sinne und zur aufrührenden Stimulierung der Einbildungskraft – zur nicht kommodifizierten Erregung von Gefühlen – zu schwinden« drohe, Habermas 2003, S. 67. Mit Habermas stellt sich gegen Deleuze die Frage, ob gerade gewisse zeitgenössische Kunstrichtungen nicht der Vermittlung durch Experten bedürfen, um die Sensation überhaupt erfahrbar machen zu lassen. In diese Richtung gehen wie gesehen auch die Zweifel von Deleuze und Guattari selbst, siehe die obige Fußnote 83. 94 Vgl. Henri Bergson ([1946] 1985): Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge, Frankfurt a.M.: Syndikat, S. 155. 95 Deleuze/Guattari (1991) 2000, S. 203. Die nächste zitierte Passage ebd., S. 203f. Für eine fast gleichlautende Textstelle vgl. Deleuze (1993) 2000, S. 14, wo De-

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ben etwas für jeden von uns viel zu Großes gesehen haben, etwas zu Großes für sie, das ihnen das diskrete Zeichen des Todes auferlegt hat.« Diese Überhöhung des Künstlers wirft die Frage auf, ob die drei Disziplinen Kunst, Philosophie und Wissenschaft tatsächlich gleichberechtigt nebeneinander stehen. Raymond Bellour, der dieser Frage nachgeht, kommt zu dem Schluss, dass Kunst und Philosophie mit jeder Publikation von Deleuze (und Guattari) weiter verschmelzen; Alain Badiou kritisiert, dass Deleuze letztlich doch eine Hierarchie aufstelle, in der die Kunst über der Philosophie steht.96 Doch betreibt Deleuze kein ›Kunstwerden der Philosophie‹, wie es in manchen Kunstwerkbetrachtungen von Lyotard der Fall ist, der sie poetisiert, um mit und in ihnen selbst das Gefühl des Erhabenen hervorzurufen. Deleuzes Kunstkommentare bleiben trotz aller Nähe zwischen Kunst und Philosophie ›klassisch‹, indem er beispielsweise die besprochenen Werke tatsächlich beschreibt (was bei Lyotard, wie gesehen, nicht immer der Fall ist). Lyotard fragte Was malen? und kam zu dem Schluss: Dass etwas geschieht. Deleuze hingegen fragt nur vordergründig nach diesem »Was« – tatsächlich liegt sein Interesse auf dem »Wie«: »Es ist schwierig, einen Maler zu fragen: Warum malst du? Die Frage hat hier keinen Sinn. Aber wie malst du, wie funktioniert das Bild, und was willst du, wenn du malst?«97 Indem er das »Wie« des schöpferischen Akts nachzeichnet, bleibt er im Rahmen der klassischen Kunstwerkbetrachtung. Deleuze wird dafür an anderer Stelle zum Künstler, nämlich überall dort, wo er gewohnten Begriffen neue Bedeutungen verleiht oder andere Philosophen ›uminterpretiert‹, ihre Aussagen gleichsam ›verdreht‹, um sie für sich nutzbar zu machen. Diese Methode kann als détournement (Zweckentfremdung, Verdre-

leuze die Behauptung, der Künstler sei Arzt und Kranker zugleich (siehe die Aussage von 1977, Fußnote 91) allerdings auch revidiert: Er sei »[…] kein Kranker, sondern Arzt, Arzt seiner selbst und der Welt.«, ebd. 96 Vgl. Raymond Bellour (2007): »Das Bild des Denkens: Kunst oder Philosophie, oder darüber hinaus?«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hg.), Deleuze und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 13-25. Badiou: »Genau an diesem Punkt kommt die Überlegenheit der Kunst ins Spiel. Dein eigentümlicher Ästhetizismus. Warum? […] Du zerstörst die Gleichheit der Gedanken, die Gleichheit der Gattungsprozeduren. Du bist dem Heterogenen dieser Prozeduren untreu, weil du meinst, daß die Kunst das, was doch alle tun, souveräner vollbringt: ein schöpferisches ›Durchqueren‹ des Chaos.«, Alain Badiou (1994): »Zwei Briefe an Gilles Deleuze«, in: Friedrich Balke/Joseph Vogl (Hg.) (1996), Gilles Deleuze. Fluchtlinien der Philosophie, München: Fink, S. 244f. (Hervorh. im Orig.). Vgl. grundlegend Alain Badiou ([1997] 2003): Deleuze. »Das Geschrei des Seins«, Zürich/Berlin: diaphanes. 97 Deleuze (1973a) 2003, S. 363. Zur Einschätzung, dass sich hinter den Fragen Was ist Philosophie? oder auch Was ist ein Begriff? und Was ist ein Ereignis? eher »Wo?, Wann?, Wieviele?«-Fragen verbergen, vgl. Schmidgen 2007, S. 43 und Vogl 2007, S. 67f.

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hung) bezeichnet werden – eine Praxis, die die Künstlergruppe der Situationistischen Internationale zu Kunst erhoben hat.98 Deleuze entwickelt das Konzept einer Kunst der Sensation, mit dessen Hilfe er die Geschichte der Kunst gleichsam neu schreibt als Geschichte der haptischen Kunst. Dabei strebt er an, die Dominanz bzw. das Dogma der klassischen Repräsentation in der Kunst zu durchbrechen und setzt wie Lyotard Malerei im figuralen Stil dagegen. Damit korrespondiert seine Ablehnung des Einen als Ursprung in der Philosophie,99 und analog zur Sensation in der Kunst setzt er die Immanenz gegen die Vorherrschaft der Transzendenz.100 Mit der Gleichsetzung von Philosophie und dem Denken der Vielheiten konnte eine Befürwortung mannigfaltiger Stile in der Kunst erwartet werden (und die Fragmentierung der Stile in der Kunst ist denn auch eine Tatsache), doch Deleuze setzt dem genaue Aufgaben für Kunst entgegen, die auch nur sehr spezifische Stilrichtungen erfüllen können. Trotz eines direkten Bezugs zur zeitgenössischen Kunst, die vielfältige neue Medien und Stile für sich entdeckt, fällt bei Deleuze wie schon bei Lyotard die Vorherrschaft der Malerei in seiner Besprechung von Kunst auf. Auch Derrida, von dem im folgenden Kapitelabschnitt die Rede ist, interessiert sich vorrangig für klassisch-bildliche Darstellungen, doch sein Interesse ist weiter gestreut und er integriert auch Künstler aus anderen Bereichen als der Malerei. Einige der von Deleuze und Lyotard besprochenen Künstler finden sich auch in den Texten von Derrida wieder. Dabei widmet sich Derrida, wie Deleuze, einer grundlegenden différance, die Bedeutung und Sinn stets verschiebt – auch innerhalb der Kunst.

98 Zur Situationistischen Internationale mehr im Kapitel zu Baudrillard. Ebenfalls mehr in der Conclusio. 99 Der »[…] langen platonischen, neoplatonischen und mittelalterlichen Tradition entspricht […] ein Universum, das am Einen als transzendentem Prinzip hängt […]«, Gilles Deleuze (1985b): »Die Zonen der Immanenz«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 250. 100 »Das Ein ist nicht das Transzendente, das sogar die Immanenz enthalten kann, sondern das Immanente, das in einem transzendentalen Feld enthalten ist.«, Gilles Deleuze (1995a): »Die Immanenz: ein Leben«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 369 (Hervorh. im Orig.). Deleuze verlagert die Transzendenz auf die Ebene der Immanenz und bezeichnet seine Philosophie in der Folge als transzendentalen Empirismus. Das Konzept der haptischen Kunst folgt diesem Prinzip.

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IV. 3. J ACQUES D ERRIDA [D AS U NSAGBARE ] Jacques Derrida ist, wie Jean-François Lyotard und Gilles Deleuze, ein Philosoph der Differenz – ja sogar der »Differänz«, wie der deutsche Übersetzungsversuch des Neologismus différance zuweilen lautet.1 Mit dem Konzept der différance, wie auch denen, die hinter weiteren Wortschöpfungen Derridas stehen, verabschiedet dieser nicht nur die grands récits, sondern ist bestrebt, die ganze abendländische Metaphysik grundsätzlich zu hinterfragen, wobei eine Überwindung oder gar ihre Verabschiedung laut Derrida jedoch prinzipiell nicht möglich ist. Diese Infragestellung der abendländischen Metaphysik hat weitreichende Konsequenzen nicht nur für seine Art der Theorie, sondern gerade auch für ihre zusammenfassende Wiedergabe dort, wo es in den folgenden Abschnitten für die Betrachtung von Derridas Aussagen zu zeitgenössischer Kunst nötig sein wird. Es wird zu erläutern sein, inwiefern sich seine Texte gleichsam absichtlich einer logischen Zusammenfassung und argumentativen Rekonstruktion widersetzen. Diese Form von Resümierung muss hier trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten erfolgen, ähnlich der Darstellung von Deleuzes »rhizomatischem Denken«, das sich ebenfalls gegen verkürzte Darstellungen sperrt. So unterstellen die folgenden Abschnitte Derridas Werk eine binäre Aufteilung in Theorie und Praxis, die von Derrida kategorisch abgelehnt würde – und die wir dennoch für eine hilfreiche Strukturierung seiner Texte halten. In einem ersten Teil stehen grundlegende Schriften zu den von ihm geschaffenen Neologismen und den sich dahinter verbergenden Konzepten im Vordergrund; in einem zweiten die konkreten Texte zu Kunstwerken und der sogenannten »Dekonstruktion«, der mit der Interpretation (besser: Lektüre) dieser Werke verbundenen Verfahrensweise. Dabei ist vorab festzuhalten, dass Derrida die für postmoderne bzw. poststrukturalistische Denker typische Kritik an der Repräsentation teilt, mit der das mimetische Modell einer Abbildung, die etwas repräsentiert, also für etwas steht, abgelehnt wird. Die Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex steht am Anfang von Derridas Œuvre, und so wie Lyotards Discours, figure und Deleuzes Differenz und Wiederholung, ist Derridas Grammatologie von 1967 der Auftakt zu einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit den dort erstmals vorgestellten Ideen. Dabei ist die Beschäftigung mit Kunst in mehrfacher Hinsicht konstanter Bestandteil seines Schaffens: Einerseits befasst sich Derrida ausgiebig und durchgängig mit Werken vor allem der Literatur, der bildenden Kunst sowie der Architektur, andererseits hat sein Denken – mit dem von Baudrillard – vergleichsweise großen Einfluss auf die Kunst, d.h. die Arbeit von Künstlern selbst. Doch auch in der Wissenschaft hat die von ihm entwickelte Dekonstruktion ein erfolgreiches, wenngleich äußerst umstrittenes Eigenleben innerhalb der amerikanischen

1

Vgl. beispielsweise Heinz Kimmerle (2004): Jacques Derrida zur Einführung, 6. Aufl., Hamburg: Junius; zu dieser Frage ebd., S. 77.

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Literaturwissenschaft entwickelt,2 das es notwendig macht, Derridas eigenen Texten zur Dekonstruktion umso größere Aufmerksamkeit zu schenken. Als solche ›Texte zur Dekonstruktion‹, die immer auch ›dekonstruktivistische Texte‹ sind,3 können all diejenigen zu Künstlern und ihren Arbeiten gelten. Hier interessieren vor allem die zu zeitgenössischen, im weitesten Sinne bildenden Künstlern: Derrida verfasst im Laufe der Jahre eigenständige Kommentare zu Werken von (in chronologischer Reihenfolge) Valerio Adami, Gérard Titus-Carmel, François Loubrieu, Marie-Françoise Plissart, Gary Hill, Micaëla Henich, Colette Deblé, Salvatore Puglia, Simon Hantaï und Jean-Michel Atlan.4 Ebenfalls hinzugezogen werden muss eine Auseinandersetzung mit Zeichnungen Antonin Artauds aus den 1940er Jahren, in der der Begriff des subjectile eingeführt wird, das ein wiederkehrendes Motiv der Derridaschen Kunsttexte darstellt. Zentral ist zudem Die Wahrheit in der Malerei (La vérité en peinture von 1978), das als Derridas kunsttheoretisches Hauptwerk gilt und in dem sich – neben dem Wiederabdruck der Aufsätze zu Valerio Adami und Gérard Titus-Carmel – zwei weitere Texte finden, die für eine Analyse seines Verständnisses von Kunst grundlegend sind und in der Rezeption von Derridas Schriften zu Kunst eine dominierende Rolle spielen. Bemerkenswert ist außerdem, dass Derrida ebenfalls als Ausstellungsmacher aktiv geworden ist: 1985 beteiligt er sich an der Ausstellung »Les Immatériaux« von Lyotard im Centre Pompidou und kuratiert selbst 1990 die Ausstellung »Mémoires d'aveugle« (auf Deutsch Aufzeichnungen eines Blinden) für den Louvre. Im zeitgleich erscheinenden Katalog zu dieser Ausstellung setzt sich Derrida intensiv mit der Frage nach der Sichtbarkeit (in) der Malerei auseinander: Er formuliert einen Text, in dem die Nähe seiner Fragestellungen zum Grenz-Charakter der Kunst, das heißt den Grenzen des Darstellbaren, des Sichtbaren, des Sagbaren, besonders deutlich wird – und daher, bei allen Unterschieden im Detail, auch die Nähe zu Lyotard und Deleuze.

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Die Literaturtheorie der sogenannten Yale School, der der belgisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Paul de Man zum Durchbruch verhilft (und mit dem sich Derrida intensiv auseinandergesetzt hat: vgl. Jacques Derrida ([1986b] 1988): Mémoires. Für Paul de Man, Wien: Passagen Verlag sowie ders. (1988): Wie Meeresrauschen auf dem Grund einer Muschel… Paul de Mans Krieg. Mémoires II, Wien: Passagen Verlag), entwickelt die Dekonstruktion zu einer ›Methode‹, eine Weiterentwicklung, die von Derridas Begriff der Dekonstruktion strikt getrennt werden muss. Zu diesem ›doppelten‹ Charakter der Texte, das heißt der Äquivalenz von Form und Inhalt, siehe weiter unten mehr. Wie bereits die Auflistung zu Lyotard wird auch diese hier – soweit die Sekundärliteratur zu überblicken ist – zum ersten Mal in dieser Vollständigkeit vorgelegt.

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3.1. Gegen den Logozentrismus Wie Lyotard und Deleuze, übt auch Derrida von Beginn seines Schaffens an, das heißt seit den 1960er Jahren, wesentliche Kritik an den seit Jahrhunderten vorherrschenden philosophischen Traditionen. Greifen Lyotard und Deleuze vor allem am Anfang gesellschaftspolitische Themen auf und wenden sich dabei der (Freudschen) Psychoanalyse in Kombination mit dem Denken Marx' zu, lässt sich sagen, dass Derridas Schaffen einer umgekehrten Bewegung unterliegt: Erst in späteren Jahren veröffentlicht er zu explizit (gesellschafts-)politischen Themen – wobei er auch davor nie nicht politisch war.5 Den Auftakt seiner vierzig Jahre andauernden Publikationsphase bildet die Beschäftigung mit sprachwissenschaftlichen Problemen, die noch viel weiter reicht als jene von Lyotard oder auch Habermas, deren linguistic turn zwar ebenfalls eine entscheidende Rolle für ihre Konzeption von Politik, Ethik und Kunst spielt, nicht jedoch in dem Ausmaß, wie es bei Derrida der Fall ist. Erst mit der grundsätzlichen Infragestellung des Logozentrismus der abendländischen Metaphysik, die Derrida zeit seines Lebens praktiziert, gelangt er zu den genannten Themenkomplexen. Dieser Logozentrismus bzw. auch Phonozentrismus ist nach Derrida so allumfassend, dass eine Kritik an ihm eine Kritik an jedweder (abendländischen) Tradition des Denkens bedeutet. Dieses Denken, so Derrida, wird von binären Oppositionen beherrscht: Subjekt/Objekt, Innen/Außen, Anwesenheit/Abwesenheit, Wirklichkeit/Abbild, Identität/Differenz, sinnlich wahrnehmbar/intelligibel sind nur einige der prominentesten Beispiele. Nun gelte es, anzuerkennen, »[…] daß man es bei einem klassischen philosophischen Gegensatz nicht mit der friedlichen Koexistenz eines Vis-à-Vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun hat. Einer der beiden Aus-

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Vgl. zum Beispiel Jacques Derrida ([1993a] 1996): Marx' Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Derrida schreibt zwar immer wieder Aufsätze bzw. Artikel zu aktuellen, politischen Fragen und bezieht zu vielen Ereignissen öffentlich Position – vergleichsweise früh: Jacques Derrida (1986e): »Admiration de Nelson Mandela ou Les lois de la réflexion«, in: ders. (1987), Psyché. Inventions de l'autre, Paris: Galilée, S. 453-475; vergleichsweise spät: Jacques Derrida/Jürgen Habermas (2003): »Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.05.2003, S. 33-34 (bemerkenswerterweise illustriert diesen Artikel keine Fotografie o.ä., sondern ein Kunstwerk von Salvador Dalí: España 1938). Doch den Frühwerken von Lyotard und Deleuze liegt eine politisch-revolutionäre Motivation und Haltung zugrunde, die von Derrida nicht geteilt wird. Andererseits hat Derridas Infragestellung der abendländischen Metaphysik einen nicht minder revolutionären Anspruch. Vgl. die Einschätzung seiner späteren expliziten Hinwendung zur Politik auch bei Stephan Moebius/Dietmar J. Wetzel (Hg.) (2005): absolute Jacques Derrida, Freiburg: orange press, S. 177.

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drücke beherrscht (axiologisch, logisch usw.) den anderen, steht über ihm.«6 Der erste Begriff wird stets als der positive und der zweite stets als der negative, der vom ersten ausgeschlossene, der kontingente gedacht. Diese Hierarchisierung ist jedoch nicht natürlichen Ursprungs, sondern eine Konstruktion der Metaphysik, die es zu de-konstruieren gilt. 7 Der erste Begriff braucht den zweiten, da er ohne diesen überhaupt nicht sein könnte. Der ausgeschlossene zweite Begriff wird so zur Möglichkeitsbedingung des ersten, womit die Hierarchie zwischen ihnen jeglicher Grundlage entbehrt.8 Der Logozentrismus steht für die Opposition zwischen Sprache und Schrift, in der die Schrift konsequent und von allen abendländischen Denkern zugunsten der Sprache diskriminiert wird. In Grammatologie versucht Derrida, anhand einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den Werken von de Saussure, Lévi-Strauss und Jean-Jacques Rousseau nachzuweisen, dass die Vorherrschaft der Sprache (des gesprochenen Wortes) über die Schrift (das geschriebene Wort) nicht aufrechtzuerhalten ist. Er beschreibt, inwiefern die Sprache mit einem Denken der Präsenz in Zusammenhang gebracht wird, indem bereits Aristoteles davon ausging, dass »[…] die Stimme als Erzeuger der ersten Zeichen wesentlich und unmittelbar mit der Seele verwandt ist.«9 Insofern verschmelze »[…] der Phonozentrismus mit der historischen Sinn-Bestimmung des Seins überhaupt als Präsenz […] (Präsenz des betrachteten Dinges als eidos, Präsenz als Substanz/Essenz/Existenz [ousia], Präsenz als Punkt [stigme] des Jetzt oder des Augen-

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Jacques Derrida (1971): »Positionen. Gespräch mit Jean-Louis Houdebine und Guy Scarpetta«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 87f. (Hervorh. im Orig.). Hier sei angemerkt, dass dieses Motiv, das sich bei vielen postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkern findet, wiederum stark von Foucault beeinflusst ist, der bereits 1961 in Wahnsinn und Gesellschaft (Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique) auf eben dieses Verhältnis zwischen den Begriffen »Vernunft« und »Wahnsinn« hingedeutet hat, vgl. grundlegend Michel Foucault ([1961] 1999): Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Mit dieser Dekonstruktion führt Derrida Heideggers Versuch einer Destruktion der westlichen Metaphysik weiter: sie ist Destruktion, aber auch Konstruktion (dazu mehr unten). Insofern interessiert sich Derrida besonders für unentscheidbare Begriffe, die der Oppositionslogik entgehen, zum Beispiel: Pharmakon (v.a. bei Platon Heilmittel und Gift), Hymen (v.a. bei Mallarmé Vereinigung und Trennung), gramma (Signifikant und Signifikat); vgl. dazu grundsätzlich Jacques Derrida (1968a): »Platons Pharmazie«, in: ders. ([1972] 1995), Dissemination, Wien: Passagen Verlag, S. 69-190. Jacques Derrida ([1967a] 1974): Grammatologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 24.

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blicks [nun], Selbstpräsenz des cogito, Bewußtsein, Subjektivität, gemeinsame Präsenz von und mit dem anderen, Intersubjektivität als intentionales Phänomen des Ego usw.). Der Logozentrismus ginge also mit der Bestimmung des Seins des Seienden als Präsenz einher.«10

In dieser Logik wird die Schrift lediglich als Derivat oder Nebenprodukt zur Sprache verstanden, da davon ausgegangen wird, dass darin die Entfernung bzw. der Aufschub zum ursprünglichen Sinn größer ist als im gesprochenen Wort (zum Beispiel ist ein Text verschiedentlich interpretierbar, auch gegen die vermeintlich ursprüngliche Intention des Autors). Diese geradezu für selbstverständlich gehaltene Annahme hält Derrida für eine Illusion – ganz gleich, ob es ein geschriebenes oder gesprochenes Wort (Signifikant) ist, das auf einen Sinn (Signifikat) verweist: beide sind von diesem durch einen Aufschub (espacement) entfernt. Da der Sinn also immer ein aufgeschobener und daher abwesender ist, verweisen die Zeichen immer nur auf andere Zeichen: »Das Zeichen […] setzt sich an die Stelle der Sache selbst, der gegenwärtigen Sache […]. Das Zeichen stellt das Gegenwärtige in seiner Abwesenheit dar. Es nimmt dessen Stelle ein. Wenn wir die Sache, sagen wir das Gegenwärtige, das gegenwärtig Seiende, nicht fassen oder zeigen können, wenn das Gegenwärtige nicht anwesend ist, bezeichnen wir, gehen wir über den Umweg des Zeichens. […] Das Zeichen wäre also die aufgeschobene (différée) Gegenwart. Ob es sich um mündliche oder schriftliche Zeichen, um Währungszeichen, um Wahldelegation oder politische Repräsentation handelt, schiebt die Zirkulation der Zeichen den Moment auf (diffère), in dem wir der Sache selbst begegnen könnten, uns ihrer bemächtigen, sie verbrauchen oder sie verausgaben, sie berühren, sie sehen, eine gegenwärtige Anschauung von ihr haben könnten.«11

So konstituieren die Zeichen ein Netz oder Gewebe, innerhalb dessen sie sich austauschen und gegenseitig bestimmen, mit anderen Worten bilden sie eine Abfolge unendlicher Verknüpfungen, das heißt – mit Rousseau gegen Rousseau – eine Kette von »Supplementen«, die Derrida auch das »Spiel der Substitutionen« nennt.12 Damit ist die Annahme eines einzigen, wahren, ursprünglichen und vor allem präsenten Sinns, aus dem sich weitere Bedeutungen ableiten ließen, schlichtweg falsch: Sinn bzw. Sinnzuweisungen sind lediglich ein Effekt der Differenzierung von Signifikanten untereinander, Sinnbildungen werden prinzipiell erst durch diese Differenzierungen mög-

10 Ebd., S. 26 (die Ergänzungen in eckigen Klammern und Hervorh. im Orig.). 11 Jacques Derrida (1968b): »Die différance«, in: ders. ([1972] 1999), Randgänge der Philosophie, 2., überarbeitete Aufl., Wien: Passagen Verlag, S. 37f. Mehr zur Zirkulation der Zeichen siehe im Kapitel zu Baudrillard. 12 Vgl. Derrida (1967a) 1974, S. 271.

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lich.13 Dabei wird diese Differenz bei Derrida zur différance, in der einerseits das Verb différer anklingt (aufschieben, verschieben, aber auch nicht identisch sein, anders sein), andererseits das Wort différant (das Partizip Präsens, das die Aktivität des différer hervorhebt), die im Zusammenschluss différance ein Substantiv bilden, dessen Endung -ance im Französischen wiederum eine Unentschiedenheit zwischen dem Passiv und Aktiv zum Ausdruck bringt.14 Weniger statisch als die différence wird die différance unter einem dynamischen Aspekt verstanden – mit Deleuzes Worten könnte man sie als différance ›im unendlichen Werden‹ bezeichnen. Die différance tritt einerseits an die Stelle des Sinns, des Ursprungs, des Zentrums, von dem alles ausgeht, da gerade der Sinn erst durch die différance möglich wird und daher dieser nicht vorangehen kann. Andererseits betont Derrida, dass die différance nicht der ›neue‹ Ursprung, das ›neue‹ Zentrum ist, da solch ein fehlerhafter Umkehrschluss bedeuten würde, wieder das Vorhandensein eines solchen Ursprungs bzw. Zentrums zu postulieren. Die différance ist ein polysemantischer, paradoxer Begriff, der unentscheidbar zwischen den Bedeutungen schwebt und damit den binären Oppositionen philosophischer Texte Widerstand leisten kann – ohne sie jedoch überwinden zu können. Derrida macht in seinen Texten immer wieder deutlich, dass ein Denken außerhalb der philosophischen Traditionen kaum und außerhalb der binären

13 »Durch diese Abfolge von Supplementen hindurch wird die Notwendigkeit einer unendlichen Verknüpfung sichtbar, die unaufhaltsam die supplementären Vermittlungen vervielfältigt, die gerade den Sinn dessen stiften, was sie verschieben: die Vorspiegelung der Sache selbst, der unmittelbaren Präsenz, der ursprünglichen Wahrnehmung. Die Unmittelbarkeit ist abgeleitet. Alles beginnt durch das Vermittelnde […].«, Derrida (1967a) 1974, S. 272. Das logozentrische Denken sieht in diesem Spiel der Substitution eine Situation des Mangels und ist bestrebt, diesen zu beheben, das Abwesende zu ersetzen, die entstandene Lücke zu füllen. Doch der Ersatz kann wieder nur durch ein Supplement erfolgen, das einen weiteren Aufschub bedeutet, sodass die Logik der Supplementarität diese Bewegung ad infinitum führt, vgl. ebd., S. 257 sowie 521. Zu diesem Themenkomplex vgl. grundsätzlich auch: Jacques Derrida (1966): »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, in: ders. ([1967] 1989), Die Schrift und die Differenz, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 422-442, hier: S. 424 und 437. 14 Die différence und die différance werden außerdem gleich gesprochen und vernommen. Zu diesen und weiteren Details der Bedeutungsverschiebung, wie zum Beispiel dem Anklang des Wortes différend, vgl. Derrida (1968b) 1999, S. 36f. Diese Form der Polysemie unentscheidbarer Begriffe ist Derridas ›Version‹ eines Denkens des Pluralismus, wie schon bei Lyotard und Deleuze gesehen, wobei Derrida den Begriff der dissémination, in etwa: Verstreuung, bevorzugt, vgl. Jacques Derrida (1970): »Die zweifache Séance«, in: ders. ([1972] 1995), Dissemination, Wien: Passagen Verlag, S. 294.

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Oppositionen überhaupt nicht möglich ist, weswegen sein Denken auch keine Überwindung der abendländischen Metaphysik bedeuten kann: »Indeed, I have attempted more and more systematically to find a non-site, or a nonphilosophical site, from which to question philosophy. But the search for a nonphilosophical site does not bespeak an anti-philosophical attitude. […] [O]ne must remember that even though these sites are non-philosophical they still belong to our Western culture and so are never totally free from the marks of philosophical language.«15

Insofern ist auch seine »Grammatologie« als Wissenschaft von der Schrift keine »[…] Rehabilitierung dessen, was man immer Schrift genannt hat. Es geht nicht darum, der Schrift, von der Platon sagte, sie sei ein Waisenkind oder ein Bastard im Vergleich zum Sprechen, […] ihre Rechte, ihre Sonderstellung oder ihre Würde zurückzuerstatten.«16 In der Grammatologie geht es um nicht mehr – aber auch um nicht weniger – als die gleichrangige Behandlung von Sprache und Schrift, Phonem und Graphem (Laut und Buchstabe), Signifikant und Signifikat (was eine Transformation der klassischen Semiologie bedeutet17) und damit um das Hinterfragen der Grenzen des abendländischen Denkens. Bereits in Grammatologie formuliert Derrida die Konsequenzen seiner Überlegungen für die Kunst. Genauso wenig, wie Signifikanten auf vermeintlich ursprüngliche, sinngebende Signifikate verweisen, verweisen Abbildungen auf eine tatsächliche Wirklichkeit: Das klassische und traditionelle Prinzip der Kunst als Repräsentation heißt, sie in den »Dienst der Metaphysik«18 zu stellen. Dazu gehört vor allem Husserls Phänomenologie, mit der sich Derrida schon früh auseinandersetzt19 und die in seinem Verständnis das Denken der Präsenz idealisiert. Wenn Lyotard, wie bereits gesehen, sagt: »Die Botschaft ist die Präsentation, aber von nichts, d.h. von der Prä-

15 Jacques Derrida mit Richard Kearney (1981): »Deconstruction and the other«, in: Richard Kearney (Hg.) (1984), Dialogues with contemporary Continental thinkers. The phenomenological heritage, Manchester: Manchester University Press, S. 108f. Zum Vorwurf, ›anti-philosophisch‹ zu sein, den Derrida häufig erfährt, siehe mehr weiter unten. 16 Jacques Derrida (1967b): »Implikationen. Gespräch mit Henri Ronse«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, JeanLouis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 47f. Tatsächlich ist hier bereits die kleine Verschiebung in der Übersetzung des Titels von De la grammatologie zu Grammatologie etwas irreführend. 17 Vgl. Derrida (1968b) 1999, S. 45. 18 Derrida (1967a) 1974, S. 356. 19 Vgl. Jacques Derrida ([1962] 1987): Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie, München: Fink.

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senz […]«20, würde Derrida hingegen sagen: ›die Präsentation von nichts, d.h. von der Abwesenheit‹. Hier scheint es also einerseits eine Divergenz zwischen Lyotard und Derrida in Bezug auf das Denken der Präsenz hinsichtlich von Kunst zu geben. Andererseits verbirgt sich dahinter derselbe Grundgedanke: Derridas Interesse an der Nicht-Präsenz, an der Abwesenheit, gilt wie bei Lyotard den Grenzen der Darstellbarkeit bzw. des Sichtbaren und Sagbaren.21 Das Mimesismodell, nach dem ein Kunstwerk etwas nachahmt, es nachahmend wiederholt, lehnt Derrida insofern ab, als diese Wiederholung immer nur eine Wiederhervorholung sein kann, statt Repräsentation also Re-Präsentation, welcher notwendigerweise eine Verschiebung innewohnt (die der nicht-identischen Wiederholung bei Deleuze verwandt ist). In einer Auseinandersetzung mit Texten Mallarmés und Platons erklärt er: »Mallarmé behält somit die differentielle Struktur […] der mimēsis bei, doch ohne die platonische oder metaphysische Interpretation mit ihrer Implikation, es werde irgendwo das Sein eines Seienden nachgeahmt. Mallarmé behält sogar die Struktur des Phantasmas bei […], so wie Platon sie definiert: das Trugbild als Kopie einer Kopie. Bis auf das eine, daß es kein Urbild mehr gibt, und damit auch keine Kopie […].«22

Das Kunstwerk bezeichnet also nichts mehr (wie der Signifikant), sondern ersetzt Abwesendes (wie das Supplement). Dies hat zur Folge, dass Kunst nach Derrida mit zentralen Begriffen der Kunsttheorie wie ›Originalität‹, ›Authentizität‹ oder ›Bedeutung‹ nicht erklärt und verstanden werden kann. Die Suche nach einer im Kunstwerk repräsentierten Wahrheit muss aufgegeben werden, da die Präsenz dieses Repräsentierten eine Fiktion ist: Derrida expliziert dies in Die Wahrheit in der Malerei im Text »Restitutionen« (»Restitutions de la vérité en pointure«), in dem er mehrere Gesprächspartner einen Polylog über Ansichten Martin Heideggers und des amerikanischen Kunsthistorikers Meyer Schapiro hinsichtlich eines Gemäldes von Vincent van Gogh führen lässt. Dieser Interpretationsstreit um ein Paar Schuhe, die auf diesem Gemälde zu sehen sind, hat tatsächlich stattgefunden: Heidegger ging in Der Ursprung des Kunstwerkes von 1935 davon aus, dass es sich um ein Paar Bauernschuhe handelt, die allerdings symbolhaft die gesamte bäuerliche Welt zu verkörpern in der Lage sind (eine Eigenschaft, über die ›echte‹ Bauern-Schuhe nicht verfügen). Schapiro kritisiert diese Vorstellung in seinem Aufsatz »The Still Life as a Personal Object«

20 Vgl. im Kapitel zu Lyotard die dortige Fußnote 85. 21 »Ich fühle mich Lyotard in vieler Hinsicht verbunden, insbesondere bei Themen wie das Undarstellbare, das Unvorstellbare […].«, Jacques Derrida mit Florian Rötzer (1986c): »Jacques Derrida«, in: Florian Rötzer (Hg.), Französische Philosophen im Gespräch, München: Klaus Boer Verlag, S. 73. 22 Derrida (1970) 1995, S. 230f. (Hervorh. im Orig.).

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von 1968 und gelangt seinerseits zu der Überzeugung, die Schuhe auf dem Gemälde Alte Schuhe mit Schnürbändern von 1886 stellen die eines Städters dar, womöglich die des Künstlers selbst (um welches Gemälde es sich handelt, stellt sich erst auf Initiative von Schapiro heraus, da Heidegger in seiner Schrift nicht erwähnt, welches ›Schuh-Bild‹ von van Gogh er meint). Damit besteht zwischen Heidegger und Schapiro, trotz aller Unterschiede, die im Laufe ihres Interpretationsstreits zutage treten, eine »heimliche Korrespondenz«23, da sich beide zum Verständnis des Gemäldes auf (wenngleich verschiedene) außerbildliche Kontexte berufen: »Hier haben alle beide Interesse daran zu identifizieren, das Sujet (Träger oder Getragener) dieser Schuhe zu identifizieren, diese Objekte, die nichts dafür können […] zu identifizieren und (sich) anzueignen, um davon ihrerseits Gebrauch zu machen. Man muß um jeden Preis dessen Maß (pointure) wiederfinden, selbst wenn dieses ›Sujet‹ für den einen nicht dasselbe ist wie für den anderen. Sie sind sich einig, das ist der Kontrakt dieser stillschweigenden Institution […].«24

Demgegenüber thematisiert Derrida die Frage nach der Existenz und Präsenz einer solchen außerbildlichen Wirklichkeit, die im klassischen Verständnis von Kunst durch das gemalte Bild wiedergegeben wird (hier restitution als Wiedergabe). Bereits in Grammatologie stellt er fest: »Es gibt niemals eine Malerei der Sache selbst, vor allem weil es keine Sache selbst gibt.«25 Ungleich berühmter ist sein Ausspruch: »Ein Text-Äußeres gibt es nicht.«26 Damit will Derrida klarstellen, dass es keinen wirklichen Ursprung gibt, auf den ein Gemälde oder ein Text (dies kann auch ein philosophischer Text sein) verweisen. Über die Identität der in der Malerei nachgeahmten Schuhe nachzudenken, ist weitestgehend sinnlos, da das mimetische Modell Wirklichkeit/Abbild, als vorausgesetzte binäre Opposition, infrage gestellt werden muss: Wenn es in Derridas Denken nur Ketten von Supplementen gibt, die keine Wirklichkeit bezeichnen, kann bei der Interpretation des Bildes nicht auf die Existenz realer Schuhe rekurriert werden. Das Bild muss, wie auch Texte allgemein, intertextuell angegangen werden27 – das heißt,

23 Jacques Derrida (1978d): »Restitutionen von der Wahrheit nach Maß«, in: ders. ([1978f] 1992), Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag, S. 318. 24 Ebd., S. 332 (Hervorh. im Orig.). Die pointure ist im Übrigen die Schuhgröße. 25 Derrida (1967a) 1974, S. 501. 26 Ebd., S. 274 (Hervorh. im Orig.). 27 Die Intertextualität ist v.a. in der Semiotik und generell in poststrukturalistischen (Literatur-)Theorien geläufig, wie sie insbesondere Julia Kristeva geprägt hat. Der sogenannte »Palimpsestcharakter« eines Textes, das heißt seine netzartige Verbundenheit mit anderen Texten (statt des Anzeigens einer Wirklichkeit), ist auch auf (bildende) Kunstwerke zu übertragen, wie Derrida sie versteht.

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dass eine »ästhetische Spurensicherung«28 betrieben werden muss, wobei die »Spur« ein weiterer Begriff Derridas aus Grammatologie ist, der ähnlich wie das Supplement auf den abwesenden Sinn hinweisen soll.29 Die NichtExistenz bzw. -Präsenz eines ursprünglichen Sinns in der außerbildlichen Realität bedeutet prinzipiell, dass es keine eine Interpretation eines Kunstwerkes gibt, die eindeutig und ausschließlich dessen Botschaft oder Wahrheit aufzeigen würde. Kunstwerke und Texte sind wie polysemantische Begriffe auf verschiedene Art und Weise auszulegen, wobei auch diejenigen Bedeutungen Gültigkeit haben, die sich gegen die vermeintliche Intention des Autors richten. Ein Kunstwerk zu ›besprechen‹ kann also nur dahingehend erfolgen, dass die Dissemination der Bedeutungen hervorgehoben wird. Diese Nicht-Präsenz ist laut Derrida die Grundvoraussetzung von Malerei überhaupt. Im Katalog Aufzeichnungen eines Blinden zur gleichnamigen Ausstellung von 1990 für die Abteilung der Graphischen Sammlungen des Louvre – aus deren Depot Derrida die gezeigten Werke für die Ausstellung auswählt und zusammenstellt – hebt er die Bedeutung von Blindheit, das heißt Unsichtbarkeit, für die Malerei bzw. das Zeichnen generell hervor. Anhand der zahlreichen Zeichnungen und Drucke, die die Ausstellung konstituieren (aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, beispielsweise von Jean Siméon Chardin, Gustave Courbet, Jacques-Louis David und Rembrandt, um nur die Bekanntesten zu nennen) und in einem dialogischen Aufbau wie schon in »Restitutionen«, rekonstruiert Derrida die Geschichte des Motivs der Blindheit, um zu zeigen, dass nicht (nur) Sichtbarkeit Thema und Voraussetzung bildender Kunst ist, sondern gerade auch Unsichtbarkeit, das Nicht-Präsente. Beispielhaft steht hierfür die Geschichte der Dibutades, einer jungen Korintherin, die die Umrisse des Schattens ihres Geliebten auf einer Wand oder einem Schleier nachzeichnet und damit vom Geliebten selbst absehen muss.30 Der Ursprung der Zeichnung wäre also das Absehen vom Gegenstand, der im Grunde aus dem Gedächtnis gezeichnet bzw. gemalt wird:

28 Michael Wetzel (1997a): »›Ein Auge zuviel‹. Derridas Urszenen des Ästhetischen«, in: Jacques Derrida ([1990c] 1997), Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, München: Fink, S. 134. 29 Treffend formulieren Münker und Roesler: »Der Ursprung ist, wie das Tier, das eine Spur hinterlassen hat, immer schon nicht mehr da, wenn wir die Spur wahrnehmen.«, Münker/Roesler 2000, S. 45. 30 Vgl. Jacques Derrida ([1990c] 1997): Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, München: Fink, S. 53f. Weiterhin greift Derrida auch auf biblische Geschichten zurück, wie die des jungen Tobias, der mithilfe des Engels Raphael seinen blinden Vater heilt. Des Weiteren bezieht er sich an zahlreichen Stellen auf literarische (z.B. Oscar Wilde) und philosophische Werke (z.B. Platons Höhlengleichnis und Merleau-Pontys Arbeit zur Differenz von Sichtbarem und Unsichtbarem).

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»[Die] Heterogenität des Unsichtbaren gegenüber dem Sichtbaren kann das Sichtbare sogar als dessen eigentliche Möglichkeit heimsuchen. […] Meine Hypothese […] ist die, daß sich der Zeichner stets einem – jedesmal sowohl universellen wie singulären – Geschehen ausgesetzt sieht, das man das Ungesehene nennen könnte […]. Dieses Geschehene, aber nicht Gesehene, dieses Ungesehene ruft er sich ins Gedächtnis zurück […]. Einerseits also Anamnese: Anamnese des Gedächtnisses selbst. […] Andererseits, und inmitten der Anamnese, gibt es die Amnesie […].«31

Das Absehen vom ursprünglichen Gegenstand bewirkt einen Aufschub, sodass diese Differenz zwischen dem Gesehenen und dem auf dem Bild Sichtbaren die Zeichnung bzw. das Gemälde zu einem Ersatz, einem Supplement des Abwesenden werden lässt. Michael Wetzel fasst zusammen: »Was unter dem unaussprechlichen und unerhörten Begriff der différance zusammengefaßt wurde, all die Phänomene der Spur, des Supplements, des Aufschubs und der Doppelmarkierung von Gabe und Entzug, Offenbarung und Verhüllung, demonstriert die Unmöglichkeit einer eindeutigen Sichtbarmachung, absolut und ohne Bindung an die zeigende Kraft des Gesetzes, der Ausstellung, der Rahmenbedingungen (sozialer, ökonomischer oder militärischer Art).«32

So, wie Derrida dem Unsichtbaren den Vorzug gibt vor dem Sichtbaren als Voraussetzung dieser Sichtbarkeit, gilt sein Interesse in Bezug auf Kunstwerke vor allem den von Wetzel erwähnten Rahmenbedingungen bzw. Marginalien, statt dem ›eigentlichen‹ Werk. Indem Derrida diese scheinbar unwichtigen Rahmenphänomene auch hier zur Möglichkeitsbedingung der Werke macht, ist es – wie bei seiner Umkehrung der binären Oppositionen – das Ausgeschlossene, das dem vermeintlich Eigentlichen bzw. Ersten seine Bedeutung verleiht. In einer Auseinandersetzung mit Kant stellt Derrida in seinem Text »Parergon« von 1978 (in Die Wahrheit in der Malerei; nur die ersten Teile daraus sind in einer anderen Version bereits 1974 erschienen) dar, inwiefern diese Bei-Werke (Parerga) das Werk (Ergon) erst definieren und inwiefern Kant in seiner Kritik der Urteilskraft Mühe hat, diese Parerga in seine Theorie zu integrieren, ohne Widersprüche hervorzurufen. Denn die »neue Logik des Parergon«33 unterminiert die sekundäre, untergeordnete

31 Ebd., S. 51 und S. 54 (Hervorh. im Orig.). 32 Wetzel 1997a, S. 148. 33 Die Unterscheidung zwischen ›alter‹ und ›neuer‹ Logik des Parergon unternimmt Anna Maria Krewani, um darauf hinzuweisen, dass es das Parergon als Nebensache, als Unwesentliches, bereits bei Aristoteles gibt; dort folgt es allerdings, als in Opposition zum Ergon stehend, als Außen zu einem Innen, einer ›alten‹ Logik, die von Derrida nun anders, ›neu‹ aufgestellt wird, vgl. Anna Maria Krewani (2003): Philosophie der Malerei bei Jacques Derrida, Dissertation, S. 131f., URL: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=973507624&dok_var=d1&dok_ ext=pdf&filename=973507624.pdf, letzter Zugriff: 25.10.2010.

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Bedeutung des Parergon für das Ergon, sodass es verstanden werden muss als »[…] Mischung aus Außen und Innen, […] ein Außen, das ins Innere hineingerufen wird, um es (von) innen zu konstituieren; […].«34 Die Parergonalität des Rahmens bewirkt, dass er einerseits zwar als Teil des Kunstwerkes gilt und als solcher erfahren wird, andererseits nicht als das Kunstwerk selbst angesehen wird. Er umrahmt das Werk, das heißt er ›schirmt‹ es vom Außen ab und definiert durch diese ihm auferlegte Funktion, was zum Innen des Werkes gehört.35 Trennung – Konstitution – Atopie, resümiert Krewani die drei Momente der parergonalen Struktur,36 wobei der Rahmen deshalb als atopisch verstanden werden muss, da er weder zum Außen noch zum Innen bzw. sowohl zum Außen als auch zum Innen gehört und sich damit unentscheidbar im Dazwischen befindet, an einem »des Ortes beraubte[n] Ort«37. Derrida setzt sich im gesamten Text wesentlich mit der Frage »Was ist Kunst?« auseinander, um deutlich zu machen, dass bereits die Form der Frage die Kunst vorherbestimmt, da »Was ist Kunst?« eine definierbare Grenze zu Nicht-Kunst impliziert. »Um die Kunst im allgemeinen zu denken, schenkt man so einer Serie von Gegensätzen (Sinn/Form, Innen/Außen, Inhalt/Beinhaltendes, Signifikat/Signifikant, Repräsentiertes/Repräsentant, und so weiter) Glauben, die exakt die traditionelle Interpretation der Kunstwerke strukturiert.«38

So werde Kunst in der Tradition der abendländischen Metaphysik der gesprochenen Sprache, die von diesen Binäroppositionen geprägt ist, untergeordnet (was im Übrigen auch dazu führt, die diskursiven Künste, z.B. Dichtung, über die nicht-diskursiven, z.B. plastische und musikalische Werke, zu stellen). Dabei zeigt Derrida, wie in seiner Studie zum Motiv der Blindheit in der Kunst, in der er das Unsichtbare als die Bedingung für Sichtbarkeit in der Kunst definiert, dass gerade das Parergon, als das vom Kunstdiskurs

34 Jacques Derrida (1978c): »Parergon«, in: ders. ([1978f] 1992), Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag, S. 84. 35 Zu diesem Aspekt ist anzumerken, dass gleichsam zwischen Kant und Derrida auch noch Simmels Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Rahmens für das Kunstwerk liegt; Derrida ist sie sicherlich bekannt gewesen, vgl. Georg Simmel (1902): »Der Bildrahmen. Ein ästhetischer Versuch«, in: ders. (1995), Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908, Gesamtausgabe, Band 7, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 101-108. 36 Vgl. Krewani 2003, S. 130. 37 Derrida (1978c) 1992, S. 57, auf Französisch: »lieu privé de lieu«. Der Ort des unentscheidbaren Dazwischen erinnert an Deleuzes Konzeption des Dazwischen des Transformationsprozesses, des Ununterscheidbar-Werdens. 38 Ebd., S. 38.

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Ausgeschlossene, das heißt Ungesagte und Ungedachte dieses Diskurses, dasjenige ist, das das Werk erst zu dem macht, was es ist. Dieses Verständnis von Parerga ist für eine Kunsttheorie, die sich nicht ausschließlich mit den intrinsischen Momenten des Kunstwerkes beschäftigen will, sondern auch mit den extrinsischen, von großer Bedeutung. Anders als Lyotard und Deleuze, die sich in ihren Kunsttexten auf eine Art für die Produktion und Rezeption von Werken interessieren, die man als werkimmanent bezeichnen könnte, spielt für Derrida auch das eine große Rolle, was die ›Umgebung‹ des Kunstwerkes ausmacht: das heißt neben dem Rahmen, dem Titel und der Signatur auch das Museum, das Archiv, der Diskurs und der Markt.39 Gerade weil er die Innen/Außen Dichotomie ablehnt, die Kunsttheorien in der Regel strukturiert,40 kann mit Derrida trotz seiner philosophisch-semiotischen Ausrichtung auch ein geradezu klassisch-soziologischer Zugang zu Kunstwerken verfolgt werden, der nach den institutionellen, sozialen und ökonomischen Kontexten von Kunstwerken fragt.41 Wenn das Parergon dasjenige ›Bei-Werk‹ ist, das dem Werk seine eigentliche Bedeutung verleiht, lässt sich die definitorische und legitimierende Macht des Museums oder des Marktes als notwendige Bedingung für Kunst verstehen, sodass kritische Einstellungen dem Museum oder Markt gegenüber zumindest überdacht werden müssten. Dann wirken sich das Museum und der Markt nicht etwa positiv oder negativ auf das Kunstwerk aus – wie es zum Beispiel im Rahmen der Ökonomisierung von Kunst und Kultur von allen bisher besprochenen Theoretikern kritisch zur Sprache gebracht wird – sondern sind als externe Faktoren dennoch inhärenter Bestandteil der Werke selbst.42 Dies ist insbesondere in Bezug auf zeitgenössische Kunst, die eben

39 So Derrida in »Passe-Partout«, dem einleitenden Text zu Die Wahrheit in der Malerei, vgl. Jacques Derrida (1978b): »Passe-Partout«, in: ders. ([1978f] 1992), Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag, S. 26. 40 So können wir bislang festhalten, dass sich die Hauptwerke von Bourdieu und Habermas eher mit diesen sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen beschäftigen (wobei gerade Habermas in seiner Kunstwerkanalyse von Scully wiederum eher werkimmanent vorgeht) und diejenigen von Lyotard und Deleuze eher mit den Inhalten der Kunstwerke (das Erhabene und die Sensationen). 41 Vgl. bereits den Neologismus »Economimesis«, den Titel von: Jacques Derrida (1975c): »Economimesis«, in: Julian Wolfreys (Hg.) (1998), The Derrida Reader. Writing Performances, Edinburgh: Edinburgh University Press, S. 263293. 42 Zum Museum als Rahmen im Derridaschen Sinne vgl. Donald Preziosi (1994): »Modernity Again: The Museum as Trompe l'œil«, in: Peter Brunette/David Wills (Hg.), Deconstruction and the Visual Arts. Art, Media, Architecture, Cambridge u.a.: Cambridge University Press, S. 141-150. Im Übrigen gehen in dieser Anthologie alle Autoren kunst- und medientheoretischen Fragen unter Rückgriff auf Derridas Theorien nach. Mit dem Museum als eigentlichem Definitions- und Legitimierungsinstrument von Kunst haben sich viele Autoren und Theoretiker

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diese institutionellen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen zum Thema der Werke macht, interessant, da hier folglich in Derridas Worten von einer Auseinandersetzung mit den Parerga im Ergon gesprochen werden kann. In diesem Sinne ist infrage zu stellen, ob die Interpretation, bei Derridas Kunsttheorie handle es sich um eine »[…] kritische Lesart neuzeitlicher Ästhetik als Verdrängung der Rand- und Rahmenbedingungen des Kunstwerkes […]«,43 aufrechterhalten werden kann. Eine Aussage, die zweifach fragwürdig erscheint, wenn man bedenkt, dass Derrida seine dekonstruktivistische Lesart gerade nicht als Kritik verstanden wissen will. Wie diese Lesart genau aussieht und welche Konsequenzen sich aus Derridas allgemeinen Kunsttheorien für die direkte Auseinandersetzung mit Kunstwerken ergeben, wird im Folgenden betrachtet. 3.2. Für die Dekonstruktion Nachdem die zentralen Gedanken und Begriffe von Derridas Überlegungen zur Kunst vorgestellt worden sind (Re-Präsentation statt Repräsentation, Nicht-Präsenz und Supplement statt einer ›Wahrheit‹ in der Kunst, Parergon statt Ergon) kann im Weiteren auf seine Kunsttexte eingegangen werden. Obwohl diese eine Zeitspanne von 25 Jahren umfassen, werden sie hier nicht chronologisch, sondern gesammelt nach wiederkehrenden Themen und Motiven analysiert, da ihnen allen dieselbe Bewegung zugrunde liegt: die der Dekonstruktion. Selbst vonseiten Derridas gibt es keine eindeutige Definition von »Dekonstruktion«, und Aussagen wie: »Toute phrase du type ›la déconstruction est X‹ ou ›la déconstruction n'est pas X‹ manque a priori de pertinence, disons qu'elle est au moins fausse […]«44 machen eine klärende Darstellung

ohne direkte Bezugnahme auf Derrida auseinandergesetzt; hier wäre Boris Groys hervorzuheben, der in einer Auseinandersetzung mit Benjamin das Museum als »Ort der Aura« identifiziert: »Was die Moderne von den alten Zeiten unterscheidet, ist allein die Tatsache, daß die Originalität eines Werks in der Moderne nicht anhand der materiellen Beschaffenheit dieses Werks festgestellt wird, sondern durch seine Aura, durch seinen Kontext, durch seinen geschichtlichen Ort.«, Boris Groys (2000): »Die Topologie der Aura«, in: ders. (2003), Topologie der Kunst, München/Wien: Hanser Verlag, S. 40. Der Unterschied zu Derrida besteht lediglich in der Einschränkung der Bedeutung dieser Funktion von Parerga auf die Moderne. 43 Michael Wetzel (1998): »Jacques Derrida«, in: Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hg.), Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 207. 44 Jacques Derrida (1985b): »Lettre à un ami japonais«, in: ders. (1987), Psyché. Inventions de l'autre, Paris: Galilée, S. 392. In diesem Text diskutiert Derrida die (Un-)Möglichkeit einer Übersetzung des Wortes »Dekonstruktion« – hier ins Japanische.

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des Begriffs im Grunde unmöglich. Fest steht, dass es sich bei der Dekonstruktion weder um eine Form der Kritik (Philosophiekritik, Kunstkritik usw.) handelt, noch um eine Methode, die auf jeden Text oder jedes Werk gleich angewendet werden könnte. Sie ist auch keine hermeneutische Verfahrensweise, nach der man »[…] zwangsläufig zum Sinn (i.O.dt.), zum Inhalt (i.O.dt.) und zur Bedeutung (i.O.dt.) des Textes […]«45 oder des Werks gelangen und daraus einen Erkenntnisgewinn ziehen könnte – was nur konsequent ist, wenn man bedenkt, dass einem Text (und in extenso einem Kunstwerk) laut Derrida kein ursprünglicher Sinn, keine eine Bedeutung zugrunde liegt. Sein Infragestellen der den philosophischen Diskurs strukturierenden binären Oppositionen ist Teil der Bewegung (oder Praxis) der Dekonstruktion: »So, each time I approach a literary work, or a pictorial or architectural work, what interests me is this same deconstructive force with regard to philosophical hegemony. It's as if that is what carries my analysis along. As a result, one can always find the same gesture on my part, even though each time I try to respect the singularity of the work. That gesture consists of finding, or in any case looking for, whatever in the work represents its force of resistance to philosophical authority, and to philosophical discourse on it.«46

Dies versucht Derrida zu erreichen, indem sein Interesse, wie beim Parergon, auf das gerichtet ist, was sich am Rand und wort-wörtlich ›zwischen den Zeilen‹ befindet. Er sucht Inhalte freizulegen, die nicht offensichtlich aus dem Text hervorgehen, und verknüpft ihn mit anderen Texten, sodass er auch gegen die Intention des Autors gelesen wird. Er stellt Begriffe soweit infrage, dass sich Widersprüche abzeichnen, eine Dissemination an möglichen Bedeutungen, die unabschließbar bleibt. Insofern ist Dekonstruktion affirmativ (im Sinne von Lyotard und Deleuze, das heißt nicht im Sinne von reiner Positivität, die wieder einer Negativität entgegengestellt werden könnte): Sie destruiert nicht nur, sondern konstruiert auch.47

45 Vgl. Derrida mit Rötzer 1986c, S. 71. 46 Jacques Derrida mit Peter Brunette/David Wills (1990a): »The Spatial Arts: An Interview with Jacques Derrida«, in: Peter Brunette/David Wills (Hg.) (1994), Deconstruction and the Visual Arts. Art, Media, Architecture, Cambridge u.a.: Cambridge University Press, S. 10. Die Aussage, dass seine Texte stets »the same gesture« erkennen lassen, unterstreicht die prinzipielle Möglichkeit, Derridas Texte zur Kunst gesammelt zu besprechen. 47 Derrida erklärt dies besonders einleuchtend anhand von Architektur: »If the foundations are assured, there is no construction; neither is there any invention. […] We found on the basis of nonfoundation. Thus deconstruction is the condition of construction, of true invention, of a real affirmation that holds something together, that constructs.«, Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 27. Derrida setzt sich intensiv mit der dekonstruktivistischen Architektur von Bernard

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Die Dekonstruktion spielt sich in Derridas Texten zu bildender Kunst auf drei Ebenen ab. Erstens dekonstruiert der jeweilige Text das je besprochene Werk. Zweitens handelt es sich laut Derrida dabei immer um Werke, denen selbst eine dekonstruktivistische Geste oder gar Absicht zugrunde liegt – inwiefern das zutrifft, wird zu prüfen sein. Drittens dekonstruiert sich der jeweilige Text selbst, indem die Dekonstruktion auch performativ im Text eingebunden ist. Das heißt, dass Derrida den Versuch unternimmt, zum Beispiel mithilfe paradoxer Formulierungen »[…] dem Logozentrismus zu entkommen und in der Sprache der Metaphysik etwas auszudrücken, das sich gegen diese Sprache wendet.«48 Ebenso versucht er nicht, den notwendigerweise entstehenden Aufschub (espacement) zwischen dem Werk und dem Text zu diesem Werk zu negieren, sondern zu forcieren: Seine Texte selbst sind »[…] einer dauernden Verschiebung oder einem Displacement unterworfen […]. Anscheinend geht jede feste Bedeutung verloren, wird der

Tschumi, Peter Eisenman und Daniel Libeskind, mit denen er teilweise zusammenarbeitet, auseinander. Der wohl bekannteste Text ist hier: Jacques Derrida (1986f): »Am Nullpunkt der Verrücktheit – Jetzt die Architektur«, in: Wolfgang Welsch (Hg.) (1994), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der PostmoderneDiskussion, 2. Aufl., Berlin: Akademie-Verlag, S. 215-232. In diesem Text, der sich der Gestaltung des Parc de la Villette in Paris durch Tschumi widmet, erläutert Derrida seine Ablehnung historisierender Ismen wie dem Poststrukturalismus oder Postmodernismus: »Als wenn man einmal mehr in einer linearen Abfolge Ordnung schaffen wollte, periodisieren, zwischen vorher und nachher unterscheiden wollte und die Risiken der Umkehrbarkeit oder der Wiederholung, der Transformation oder Permutation begrenzen wollte: Fortschrittsideologie.«, ebd., S. 216; vgl. grundsätzlich zu diesem Thema: Jacques Derrida ([1986g] 1997): Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, PostIsmen, Parasitismen und andere kleine Seismen, Berlin: Merve. Insofern ist auch seine Beschäftigung mit Kunst nicht als Auseinandersetzung mit einer spezifisch postmodernen Kunst zu verstehen, wie bei Lyotard, der versucht, der periodisierenden Bedeutung des Begriffs Postmoderne eine inhaltliche Definition entgegenzusetzen – wie bereits gesehen mit mäßigem Erfolg. Die dekonstruktivistische Lesart Derridas ist gänzlich unabhängig von Epochen oder Stilrichtungen und kann und soll auf alle Texte, alle Kunstwerke und alle Genres angewendet werden. Auf Derridas zahlreiche Texte zur Architektur wird im Folgenden jedoch nicht weiter eingegangen, da der Schwerpunkt hier ein anderer ist. Einerseits haben diese Texte v.a. in einem architekturtheoretischen Kontext eine – im Unterschied zu den Texten zur bildenden Kunst – ausgiebige Rezeptionsgeschichte erfahren, so z.B. bei: Mark Wigley ([1993] 1994): Architektur und Dekonstruktion. Derridas Phantom, Basel/Berlin/Boston: Birkhäuser; andererseits lassen sich die kunsttheoretischen Konsequenzen aus Derridas Denken ebenso gut aus den vernachlässigten Texten zur bildenden Kunst herausfiltern. 48 Münker/Roesler 2000, S. 46.

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Aufschub gleichsam ins Unendliche kultiviert.«49 Derrida entzieht seine Texte der Tradition des abendländischen Denkens also dadurch, dass er nicht die Absicht verfolgt, den Text oder das Werk zu erklären, zu interpretieren oder zu kommentieren, sondern einen ganz eigenen Zugang entwickelt; damit steht er denjenigen Texten von Lyotard nahe, die dem Ereignis des Erhabenen im Kunstwerk auf eine durchaus poetisch zu nennende Weise antworten. Im Grunde geht Derrida sogar noch einen Schritt weiter, da seine Texte auch in ihrer visuellen Aufbereitung unkonventionell sind: Oftmals beginnen sie inmitten eines scheinbar bereits laufenden Dialogs oder mitten im Satz, am Anfang unter Umständen markiert durch Auslassungszeichen in eckigen Klammern (»[…]«),50 er lässt Texte nebeneinander drucken und verschränkt sie optisch so, dass dem Leser auch inhaltliche Verschränkungen nahelegt werden.51 Oder er setzt in »Parergon« Eckrahmen um die Leerflächen zwischen den Textabschnitten, wie um zu zeigen, dass der Begriff der Parergonalität am ehesten klar wird, wenn man diesen Leerflächen erhöhte Aufmerksamkeit schenkt, die üblicherweise bestenfalls als Absatzmarkierungen zur inhaltlichen Strukturierung des Textes wahrgenommen werden.52 Gerade die Beschäftigung mit Parerga ist ein wiederkehrendes Element all seiner Texte zu bildenden Künstlern. Neben dem bislang hauptsächlich zur Sprache gekommenen Rahmen ist es vor allem der Bildträger, der Derrida, ähnlich wie Lyotard, beschäftigt. Lyotards Fokus liegt vor allem auf der Oberfläche des Trägers, z.B. auf der Leinwand in ihrer Eigenschaft als ›Trägerin‹ des Farbmaterials. Derrida interessiert sich vor allem für den Bildträger als Parergon, das heißt als notwendige Voraussetzung des Werkes, die doch nicht als Teil des Werkes wahrgenommen wird. In seiner Auseinandersetzung mit Zeichnungen von Antonin Artaud, »Das Subjektil ent-

49 Van den Braembussche (1994) 1996, S. 283. Das Forcieren, das Weitertreiben von Begriffen und Ideen ist auch die ›Methode‹ Baudrillards – bei ihm allerdings, wie zu sehen sein wird, bis in den Exzess. 50 Bei den Texten zu bildender Kunst siehe insbesondere die zu Hill und Hantaï (siehe weiter unten). 51 Vgl. die Publikation: Jacques Derrida ([1974] 2006): Glas, München: Fink, in der sich auf jeder Seite in der linken Spalte ein Text zu Hegel und in der rechten Spalte ein Text zu Jean Genet fortsetzt, mit zusätzlichen, wort-wörtlich eingeschobenen Bemerkungen anstelle von Fußnoten. Siehe ebenfalls Jacques Derrida (1972): »Tympanon«, in: ders. ([1972] 1999), Randgänge der Philosophie, 2., überarbeitete Aufl., Wien: Passagen Verlag, S. 13-29. 52 Irene E. Harvey verfolgt in ihrer Auseinandersetzung mit Derridas »Parergon«, inwiefern Derrida »[…] perhaps above all performs the parergonality which his text ostensibly offers at the same time as its theme […]«, Irene E. Harvey (1989): »Derrida, Kant, and the performance of Parergonality«, in: Hugh J. Silverman (Hg.), Derrida and Deconstruction, New York/London: Routledge, S. 59-76, hier: S. 59.

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sinnen« (»Forcener le subjectile« von 1986), erläutert Derrida den Begriff subjectile, den Artaud im Zusammenhang mit seinen Zeichnungen erwähnt und auf den Derrida fortan in den drauffolgenden Texten zu Kunst immer wieder zurückgreift. »Der Begriff ist ein terminus technicus aus der Malerei und bezeichnet das, was als Substanz, Subjekt oder Succubus in gewisser Weise daruntergelegt ist (sub-jectum). Zwischen dem Oben und dem Unten handelt es sich um einen Träger und um eine Oberfläche zugleich, manchmal auch um den Stoff eines Gemäldes oder einer Skulptur, um alles, was sich an ihnen von der Form wie auch von der Bedeutung und der Repräsentation unterscheidet.«53

Woraufhin Derrida einige mögliche subjectiles aufzählt: Gips, Mörtel, Holz, Karton, Stoffe, Papier, Metalle. Von besonderem Interesse ist hier die Betonung der Materialität des Trägers (bei Lyotard und Deleuze war es die Materialität der Farbe), da es die traditionelle Hierarchie zwischen sinnlich Wahrnehmbarem und intelligibel zu Fassendem unterläuft: Wird Letzteres in der gesamten Geschichte der abendländischen Metaphysik höher geschätzt, betont die Schwerpunktsetzung auf das subjectile das Erstere – parallel zur Betonung der Schrift gegen ihre Diskriminierung durch die Sprache. Insofern ergibt sich hier eine Gemeinsamkeit zwischen Derrida und Lyotard sowie Deleuze, da alle drei der sinnlichen Wahrnehmung und Erfahrung von Kunstwerken den Vorzug geben vor einer Wahrnehmung und Erfahrung ›mit dem Verstand‹. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Ablehnung bzw. Kritik an der Repräsentation. Diesem Themenkomplex widmet sich Derrida ebenfalls in allen Texten zur bildenden Kunst, am weitesten ausgearbeitet ist es in »Kartuschen« (»Cartouches« von 1978), einem Text zu einer Werkserie von Gérard Titus-Carmel. Erstmals erscheint der Text im Begleitkatalog zu einer Ausstellung von Arbeiten von Titus-Carmel im Centre Pompidou, die beide (Ausstellung und Katalog) als The Pocket Size Tlingit Coffin bezeichnet werden (siehe Abbildung 9).54 Der französische Zeichner, Maler, Installationskünstler und Schriftsteller (*1942) legt mit dieser Arbeit eine Serie von Zeichnungen vor, auf denen in verschiedenen Stilen und in unterschiedlichen Techniken dasselbe Mahagoni-Holzkästchen abgebildet ist. Mal mit

53 Jacques Derrida (1986a): »Das Subjektil ent-sinnen«, in: Paule Thévenin/Jacques Derrida, Antonin Artaud. Zeichnungen und Portraits, München: Schirmer/Mosel, S. 52f. 54 In diesem Originalabdruck sind im Unterschied zum Wiederabdruck in Die Wahrheit in der Malerei alle Arbeiten der zentralen Werkserie Titus-Carmels abgebildet: Jacques Derrida (1978): »Cartouches«, in: Gérard Titus-Carmel, The Pocket Size Tlingit Coffin, Paris: Centre national d'art et de culture Georges Pompidou/Musée national d'art moderne, S. 7-71 (Text und Abbildungen setzen sich durchweg ineinander verschränkt fort).

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Bleistift, mal als Aquarell, mal mit Kreide oder Tusche, mal als Gravur wiedergegeben, erscheint das Kästchen aus unterschiedlichen Perspektiven, teils detailgetreu (4 octobre 1975), teils nur skizziert (21 juillet 1975), dann wieder fast abstrakt (21 août 1975), mit starken Schattierungen (29 janvier 1976) oder nur schemenhaft (2 juillet 1975) und so fort. Jede Zeichnung ist mit einem Datum versehen, sodass der Eindruck entsteht, jede sei an diesem Tag entstanden, und Derrida antwortet mit seinem Text auf diese an ein Tagebuch erinnernde Einordnung, indem auch seine Textabschnitte datiert sind von Ende 1977 bis Anfang 1978, sodass der Leser auch hier meint, den Entstehungsprozess des Textes chronologisch nachvollziehen zu können. Der Eindruck einer linearen Chronologie ist deshalb von Bedeutung, weil sich die Annahme der Vorgängigkeit des ursprünglichen Modells vor den Zeichnungen analog dazu verhält – und es ist diese Ursprünglichkeit des Modells (in beiden Publikationen fotografisch abgebildet), die Derrida in seinem Text hinterfragt: »Warum hat sich mir gestern die Familien- oder Genealogie-Metapher aufgedrängt? Ich weiß doch, daß es ihr an Relevanz mangelt, – und auch das Wort Reproduktion. Aber ich bin mir sicher, daß die Grenze dieser Relevanz – der Ort, wo das nicht mehr zutrifft – genau dasjenige ist, was hier stattfindet, was passiert, was er [Titus-Carmel; D.D.] angerichtet hat.«55

Im Folgenden geht Derrida auf die Möglichkeit ein, das ursprüngliche Modell als produziertes Artefakt anzusehen, das zeitlich nicht unbedingt vor den Zeichnungen hergestellt wurde (dass es sich prinzipiell um ein für die Zeichnungen hergestelltes Modell handeln soll, ist einem Begleittext TitusCarmels zu entnehmen, auf den Derrida sich bezieht), sodass sich die repräsentative Abfolge von Modell und Kopie auch umgekehrt interpretieren ließe.56 Indem er die Privilegierung des Mahagonisargs (coffin) gegenüber dessen Reproduktionen aufgibt, spricht Derrida – seiner Negierung eines ursprünglichen Signifikats vor dem Signifikanten entsprechend – von der »Tötung des Transzendentalen«.57 Das ursprüngliche Holzkästchen ist dann nicht mehr das Erste, sondern wie die Zeichnungen ein Supplement, was eine De-Hierarchisierung der Teile der Werkserie nach sich zieht. Diese be-

55 Jacques Derrida (1978a): »Kartuschen«, in: ders. ([1978f] 1992), Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag, S. 223 (Hervorh. im Orig.). 56 Dabei ist es wichtig, anzumerken, dass Derrida, anders als Benjamin in »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, die Hinterfragung des Verhältnisses von Original und Kopie nicht erst ab dem Zeitalter der Moderne (bzw. seit dem Aufkommen der Fotografie) für eine relevante Fragestellung hält, sondern diese Reproduzierbarkeit an den Anfang aller Kunst setzt, so wie erst die différance Sinngebungen ermöglicht, vgl. Derrida (1978a) 1992, S. 232. 57 Vgl. ebd., S. 248.

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trifft auch Derridas Text selbst, da die Reversibilität von Modell und Kopie auch für die Kunstwerke und den begleitenden Text gelten kann; entgegen üblicher Formulierungen illustrieren die Abbildungen auch nicht Derridas Text, sondern The Pocket Size Tlingit Coffin ist »illustré de Cartouches par Jacques Derrida«, wie es auf der Titelseite des Ausstellungskatalogs im Untertitel heißt. Nicht mehr die Repräsentation des Holzkästchens, das auf der Fotografie zu sehen ist, ist nach Derrida das Thema der Arbeit, sondern dessen Re-Präsentation, dessen wiederholte Hervorbringung in Form einer Serie. Auf das Prinzip der Serialität geht Derrida ebenfalls in allen seinen Texten zur bildenden Kunst ein. Mit dem Begriff der Iterabilität verbindet Derrida – wie bei seinen anderen, unentscheidbaren Neologismen auch – zwei sich eigentlich widersprechende Konzepte: In diesem Fall das Prinzip der Wiederholung bei gleichzeitiger Nicht-Identität, die das Zeichen bzw. das Supplement oder die Spur von den anderen zu differenzieren erlaubt (wie bereits gesehen der nicht-identischen Wiederholung bei Deleuze verwandt). In Bezug auf Kunstwerke, die sich aus einer Serie von Arbeiten konstituieren, heißt das einerseits, die anti-hierarchische, serielle Struktur als Subversion des Prinzips der klassischen Repräsentation zu verstehen und andererseits, die Einzigartigkeit jeder Arbeit zu unterstreichen, die es ermöglicht, das serielle Kunstwerk und seine Teile in ihrem Ereignischarakter wahrzunehmen. Neben dem Text zu Titus-Carmel58 wird dies vor allem im Text zu einer Arbeit der Foto- und Filmkünstlerin Marie-Françoise Plissart deutlich. Recht auf Einsicht (Droit de regards von 1985) heißt die gemeinsame Publikation von Derrida und der 1954 geborenen Belgierin, deren Arbeit aus einer Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien besteht. Diese zeigt zu Beginn und gegen Ende zwei Frauen beim Sexualakt, während die Fotos dazwischen auf die Geschichte eines Streits oder gar einer Trennung hindeuten, die eine der Frauen veranlasst, wegzulaufen, bevor sie dann wieder zueinanderfinden (siehe Abbildung 10). Zusätzlich sind viele Fotografien von weiteren Personen und Paaren zu sehen, die beim Betrachter einen Eindruck von Einsamkeit und gescheiterter Kommunikation hinterlassen; manche wirken mysteriös, andere beunruhigend und makaber wie die als erwachsene Frauen geschminkten und rauchenden kleinen Mädchen. Es bleibt dem Be-

58 Gerade in diesem Text zeigt sich, wie die Serialität von Derrida nicht nur thematisiert, sondern auch performativ eingebunden wird. Der Text ist in seiner dekonstruktivistischen Verfahrensweise kein Meta-Kommentar, sondern eine serielle Verdoppelung der Werkserie, vgl. Derrida (1978a) 1992, S. 261, sowie Thomas Rösch (1997): Kunst und Dekonstruktion. Serielle Ästhetik im Werk von Jacques Derrida, Dissertation, Stuttgart: Kunstgeschichtliches Institut der Universität Stuttgart, S. 223f. Rösch widmet sich in seiner Arbeit vorrangig dem Motiv der Serie bei Derrida und bespricht hierzu – wie im Übrigen auch Krewani 2003 – alle Texte aus Die Wahrheit in der Malerei, mit denen sich die Sekundärliteratur vergleichsweise intensiv auseinandergesetzt hat.

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trachter überlassen, sich aus dieser Foto-Serie eine Geschichte zusammenzusetzen, und ganz im Sinne Derridas müssen dabei so viele Geschichten entstehen, wie es Betrachter gibt: eine Dissemination an möglichen Bedeutungen. Markanterweise lehnt es Derrida in seinem begleitenden Text (diesmal am Ende der Abbildungen abgedruckt) ab, eine Geschichte zu erzählen: »Diese Geschichten sind natürlich nicht zahlenmäßig unendlich, sondern bleiben gleichsam unzählig. Und die Disposition der ›Bilder‹ macht daraus vor allem eine endlose Erzählung […], weshalb die Regel, auf die ich mich festgelegt habe, lautet: keine Geschichte.«59 So geht es Derrida in seinem Text darum, den Bezug zu einer vermeintlichen Wirklichkeit – also auch hier das Verhältnis von Modell und Kopie – zu hinterfragen und darzustellen, dass die Fotografien vielmehr gegenseitig aufeinander verweisen (was in denjenigen Bildern Plissarts offensichtlich wird, in denen andere Bilder der Werkserie zum Beispiel an der Wand hängend zu sehen sind). Gleichzeitig schenkt Derrida den einzelnen Fotografien hohe Aufmerksamkeit und zieht den Blick auf die unterschiedlichen Parerga, die darin zu sehen sind.60 Die Singularität jedes Bildes ermöglicht erst den Charakter einer Bildserie: »Darin liegt das besondere Moment von ›Neuheit‹ und ›Singularität‹ des Ereignisses, das gerade nicht der Ausschluss von Wiederholung ist: Das Ereignis stiftet originär einen […] Wiederholungszusammenhang.«61 Dieser Ereignishaftigkeit wird Derrida vor allem in seinem Text »Lignées« von 1991 zu Zeichnungen von Micaëla Henich performativ gerecht. Hierbei handelt es sich um zweihundert Kurztexte (selten länger als ein paar Zeilen) zu den Tuschezeichnungen Nummer 801 bis 1000 von eintausendunddrei Zeichnungen, eine Serie, die den Titel Mille e tre trägt. Henich hatte Derrida und vier weitere Autoren (Dominique Fourcade, Michael Palmer, Tom Raworth und Jacques Roubaud) gebeten, je zweihundert der Zeichnungen zu kommentieren, wobei die letzten drei ohne begleitenden

59 Jacques Derrida (1985a): »(Lektüre von) Recht auf Einsicht«, in: Benoît Peeters/Marie-Françoise Plissart/Jacques Derrida, Recht auf Einsicht, Graz/Wien: Böhlau, S. I. Ein anderer Gesprächspartner im den Text strukturierenden Polylog wirft diesem Sprecher allerdings vor, im Folgenden genau das zu tun. In der Tat gibt Derrida, bzw. einer der Sprecher, den Personen Namen und versucht doch, einen möglichen Erzählstrang zu konstruieren. Die Form des Polylogs zeigt dabei performativ auf, dass es – wie anhand von »Restitutionen« gesehen – keine allein gültige Interpretation eines Kunstwerkes geben kann. Wie gesehen verfasst auch Lyotard viele seiner Kunsttexte in Dialogform. 60 Vgl. ebd., S. VI. 61 Thomas Khurana (2004): »›…besser, daß etwas geschieht‹. Zum Ereignis bei Derrida«, in: Marc Rölli (Hg.), Ereignis auf Französisch. Von Bergson bis Deleuze, München: Fink, S. 242. Khurana erläutert den Begriff des Ereignisses bei Derrida, in dem sich »[…] etwas Ungedachtes, etwas Nicht-Mögliches artikuliert. Das Ereignis hat […] die Schlichtheit einer Unterbrechung.«, ebd., S. 244, was stark an den Augenblick der Erfahrung des Erhabenen bei Lyotard erinnert.

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Text blieben (und bis auf die letzte, sehr große Zeichnung, haben alle das Format 16 x 6 cm). Jede Zeichnung zeigt horizontal, vertikal oder diagonal schraffierte Strukturen in Schwarz-Weiß, die man am ehesten als Landschaften, Felsformationen oder Gebäude bezeichnen könnte, die allerdings stark ins Abstrakte tendieren (siehe Abbildung 11). In Derridas Kurztexten finden alle seine Themen Erwähnung: die Ablehnung einer repräsentativen Geschichte, die in die Zeichnungen hineinzuinterpretieren wäre (siehe die Texte zu den Zeichnungen Nr. 802, 829, 831 und 945), die Frage nach der Beziehung von Serialität und Ereignis (Nr. 906, 913, 935), die Analyse der Parerga (Nr. 856: allein die Nummerierung auf der Rückseite der Blätter – also der notwendige Einsatz des Parergons ›Rückseite‹ – erlaube es Derrida, oben und unten zuordnen zu können), vor allem aber wieder die Auseinandersetzung mit der Unmöglichkeit, eine abschließbare Interpretation zu liefern: »Il suffit de voir tout ce qu'on peut faire avec des traits, des lignes, des angles, il suffit de combiner un peu. La combinaison ou la combine vous enseignent alors que la structure des arbres généalogiques est d'une pauvreté affligeante. Le nombre de trajets, des plis et replis possibles y reste si limité. On y occupe à peine plus d'une place à la fois. Le moindre bloc de dessin livre au désir un potentiel de passages incomparablement plus riche. Libérant de la généalogie, donc de la dramaturgie, de la thaumaturgie, voire de la traumaturgie, il passe l'homme.«62

Derridas Betonung der »traurigen Armut« der Struktur genealogischer Bäume ist äquivalent zur Bevorzugung rhizomatischer Strukturen bei Deleuze. Derrida meint hier allerdings nicht nur Henichs Zeichnungen, sondern auch seine eigenen Texte, die nicht linear gelesen werden müssen, was ihrem dekonstruktivistischen Charakter entspricht.63 Durch die Knappheit der zu jeder Zeichnung skizzierten Ideen wirkt dieser Kunstkommentar außerordentlich poetisch: jeder Kurztext ein Ereignis für sich. Die inhaltliche und optische Verschränkung seiner Texte mit den Kunstwerken ist Teil einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Bild und Schrift, wie sie in jedem Kunstkommentar zu lesen ist. Entweder durchzieht Derridas Schreiben eine Beschäftigung mit Wörtern und Wortspielen, die beispielsweise beim Parergon ›Titel‹ ihren Ausgangspunkt haben, oder er sieht in den Kunstwerken selbst Wörter, Buchstaben,

62 Jacques Derrida (1991): »Lignées«, in: Micaëla Henich/Jacques Derrida (1996), Mille e tre, cinq. Lignées, Bordeaux: William Blake & Co., o.S., Text zur Zeichnung Nr. 984 (die auf Abbildung 11 zu sehen ist). 63 Zeichnung Nr. 903: »Il faudrait avancer en sautant, d'une station à l'autre, comme dans un jeu […]: après un coup de dés, vous pouvez ou bien sauter par-dessus plusieurs lieux, les ignorer dans votre survol et relier d'un seul trait deux dessins très éloignés l'un de l'autre […] ou bien rester immobilisé, captif, captivé, ›coffré‹ pour un temps indéterminable dans une seule case […].«, ebd.

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Grapheme integriert und setzt sich mit diesen auseinander. Besonders ersichtlich werden beide Fälle im Text zum 1935 geborenen, italienischen Künstler Valerio Adami, dessen figurative Gemälde wie bereits gesehen auch von Lyotard besprochen werden.64 In »+R« von 197565 spielt Derrida mit den möglichen Aussprachen und Bedeutungen des Texttitels, zum Beispiel »plus air«, was »kein Klang mehr«, aber auch »mehr Klang« bedeuten kann.66 Gleichzeitig analysiert er die Verwendung von Schrift bzw. Buchstaben in Adamis Arbeiten, insbesondere in den Skizzen und Zeichnungen für seine Publikation Glas, in denen Adami selbst das Thema der Parergonalität der Schrift ins Visuelle überträgt und in denen unter anderem das Wort Chiasmus geschrieben steht – ein Begriff für die rhetorische Form der

64 Vgl. im Kapitel zu Lyotard die dortige Fußnote 67. 65 Der Erstabdruck ist Teil eines Ausstellungskatalogs, in dem sich mehrere Arbeiten Adamis als herausnehmbare Sonderdrucke befinden. Derridas Text ist dazwischen sortiert und ohne Rand (das heißt ohne diese Form von Parergon) auf die Bögen gedruckt, sodass der Eindruck entsteht, der Anfang des Textes (der ja mitten im Satz beginnt) fehlt. Die Verschränkung von Text und Bildern ist hier also besonders weit geführt, vgl. Jacques Derrida (1975): »+R (par-dessus le marché)«, in: Valerio Adami/Jacques Derrida, Le voyage du dessin, Paris: Maeght, o.S. 66 Zu den Details der Titelinterpretation, zum Beispiel in einer anderen Version als »croire« (»+« als Kreuz, croix), vgl. Rösch 1997, S. 247. Solche Wortspiele, mit denen sich Derrida in den Texten ausführlich beschäftigt, sind z.B. im Text zu Titus-Carmel der Titel Cartouches, der für le cartouche (Zierleiste, -rahmen, -titel) und la cartouche (Patrone, Kartusche) stehen kann, im Text zu Plissart das Wort parties (parties für Teile, parties de dames für Dame-Partien, das heißt das Brettspiel, das auf einigen Fotografien von den kleinen Mädchen gespielt wird, und parties für fortgegangen, vgl. Derrida 1985a, S. X), im Text zu Henich die immer gleiche Aussprache von toi (du) und toit (Dach): »Toit au fond de la vallée, tu attends, arrivée déjà sans le savoir.«, Derrida (1991) 1996: Text zur Zeichnung Nr. 842. Außerdem im Text zu Deblé zum Beispiel die semantische Nähe von lavis (Tuschezeichnung) und laver (waschen – durchaus auch Thema einiger Arbeiten Deblés), vgl. Jacques Derrida ([1993b] 2004): Prégnances. Lavis de Colette Deblé. Peintures, Mont-de-Marsan: L'Atelier des Brisants, S. 7-24. Sowie im Text zum 1953 geborenen, italienischen Künstler Puglia das Spiel mit dessen Vornamen Salvatore und dem Verb salvare bzw. mit dessen Initialen S.P., die bei Derrida an einer Stelle ebenso für Sokrates und Platon stehen, vgl. Jacques Derrida (1995): »Sauver les phénomènes«, in: Contretemps, Nr. 1, S. 1424. In einer zweiten Publikation zu Artaud spielt Derrida mit dessen Spitznamen Artaud le Mômo (môme bedeutet Knirps) und dem Ort der Ausstellung von 1996 im Museum of Modern Art (MoMA; der Text heißt auf Französisch Artaud le Moma), vgl. Jacques Derrida ([1996] 2003): Artaud Moma. Ausrufe, Zwischenrufe und Berufungen, Wien: Passagen Verlag. Zum Text zu Gary Hill siehe weiter unten.

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Kreuzstellung von Satzgliedern, auf den sowohl das »+« im Titel »+R« hinweist, da der griechische Buchstabe Chi, »χ«, ähnlich aussieht, als auch die Kreuzstellung (in anderen Worten: Verschränkung) von Schrift und Bild in den Zeichnungen und schließlich in Glas selbst, da in dieser Publikation neben der visuellen Verschränkung zweier Texte der eine Text zu Genet eine Auseinandersetzung Genets mit Rembrandt behandelt.67 Auch in Bezug auf Adamis Ritratto di Walter Benjamin von 1973 (siehe Abbildung 12) beschäftigt sich Derrida mit den Verschränkungen von Text und Bild: In dieser Zeichnung ist in wenigen Linien bzw. Umrissen das Porträt Walter Benjamins erkennbar, wobei über seiner Stirn »Benjamin« geschrieben steht, was Derrida zu vielfältigen Interpretationen veranlasst. Darunter ein Ansatz, der das Thema der Nicht-Präsenz in der Kunst aufgreift: »Ritratto di Walter Benjamin ist ebenso wie der Name ›Benjamin‹ von einem beschriftenden (légendaire) Typus. Ungefähr im Zentrum des Bildes, auf der Stirn des Sujets, befindet sich der Name zugleich unterhalb eines Rahmens, ist er Titel eines Abwesenden (Bildes): eines Verschwundenen. Verschwunden ist das Sujet. Das Verschwundene erscheint – als Abwesendes am Ort selbst der Gedenkstätte, am leeren Ort wiederkehrend (revenant), der durch seinen Namen gekennzeichnet ist.«68

Derridas auffällige, geradezu obsessive Auseinandersetzung mit Wörtern und Buchstaben in seinen Texten zu bildender Kunst,69 reicht bis in den Text zu einer Videoarbeit des Amerikaners Gary Hill, einem der Pioniere der Video-Kunst (*1951), dessen zentrales Thema gerade das Verhältnis von (bewegtem) Bild, Text und Sprache ist. Disturbance (Among the Jars) ist eine Arbeit von 1988, an der Derrida selbst teilgenommen hat (siehe Abbildung 13). Es handelt sich um eine Installation mit sieben Fernsehbildschirmen in einem weißen Raum, auf denen sich Bilder von Landschaften, Wasser, Steinen, einer Schlange, gehenden oder laut vorlesenden Personen von links nach rechts bewegen, also einen Bilderfluss von Monitor zu Moni-

67 Hugh Silverman setzt sich ausschließlich mit diesem Teil des Derridaschen Textes auseinander und beschäftigt sich sowohl mit den Glas-Zeichnungen, als auch mit der Form des χ und Derridas Wendung des Chi als Anagramm (zum deutschen ›Ich‹) sowie in der Folge mit der Form des Chiasmus bei Heidegger und Merleau-Ponty, vgl. Hugh Silverman (1994): »Textualität und Visibilität … ein nahezu vollkommener Chiasmus…«, in: Michael Wetzel/Herta Wolf (Hg.), Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten, München: Fink, S. 37-46. 68 Jacques Derrida (1975a): »+R (zu allem Überfluß des Marktes)«, in: ders. ([1978f] 1992), Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag, S. 213f. (Hervorh. im Orig.). 69 »It is true that only words interest me.«, gibt Derrida auf die Frage hin zu, wie die Beschäftigung mit der Fotografie, der Malerei und Architektur, also nondiskursiven Künsten, mit dem häufigen Rückgriff auf Wörter zusammengeht, vgl. Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 19.

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tor bilden. Dabei sind die von verschiedenen Personen (darunter Derrida) vorgelesenen Texte gleichzeitig als Ton über die Bilder gelegt. Es handelt sich dabei um gnostische Texte, die 1945 in Ägypten in einem Gefäß (jar) gefunden wurden (die sogenannten Nag-Hammadi-Schriften) und deren Inhalte einige kanonische Texte des Christentums ›stören‹ (disturb). Aus dem inszenierten Chaos von gesprochenen Wörtern, bewegten Bildern und abgebildeten Texten soll sich der Betrachter seine Wahrheit konstruieren. In einem gewissen Sinne dekonstruiert Hill also diese Texte auf künstlerische Art und Weise: Er nimmt sie audio-visuell auseinander und setzt sie neu zusammen.70 Statt sich jedoch mit diesen Inhalten von Disturbance auseinanderzusetzen, beschäftigt sich Derrida vielmehr mit der Frage der Einordnung von Video-Kunst als neuer Kunstform, wobei sich im dialogisch aufgebauten Text Passagen finden, die die Neuheit der Video-Kunst bejahen und andere, die sie in Zweifel ziehen. Programmatisch hierfür ist das Wortspiel zwischen Video und videor (so auch der Titel des Textes), das im Lateinischen »mir scheint« bedeutet und auf Latein und auf Französisch (il me semble) mehrfach im Text vorkommt, sodass eine abschließende Interpretation einmal mehr nicht auszumachen ist. Die Verschränkung dieses möglicherweise neuen Mediums der Kunst mit Texten weckt Derridas Interesse: »Mais c'est aussi l'un des rares, je ne dis pas le seul ›artiste-vidéo‹, à travailler maintenant, […] non seulement avec du discours, beaucoup de discours (voilà un ›nouvel‹ art visuel qui paraît des plus discursifs, première énigme) mais avec des formes textuelles hétérogènes entre elles, littéraires ou non (Blanchot, les Evangiles par exemple) […].«71

70 Diese dekonstruktivistische Geste sieht Derrida auch in den Arbeiten der anderen Künstler am Werk, v.a. in den Zeichnungen des französischen Grafikers François Loubrieu zur Publikation Jacques Derrida (1978e): Éperons. Les Styles de Nietzsche, Paris: Flammarion, die er einerseits als Dekonstruktion seines Textes und andererseits als Dekonstruktion dessen, was ›Illustration‹ bedeutet, betrachtet, vgl. Jacques Derrida (1979): »Illustrer, dit-il…«, in: ders. (1987), Psyché. Inventions de l'autre, Paris: Galilée, S. 105-108. Außerdem in der Foto-Serie von Plissart, die Derrida zufolge eine Dekonstruktion des Genres ›Photo-Roman‹ ist, vgl. Derrida 1985a, S. VII. Derrida legt nahe, dass jedem Kunstwerk eine dekonstruktivistische Geste zugrunde liegt (vgl. Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 14f.), und so wäre es möglich, in Bezug auf die übrigen von Derrida besprochenen Kunstwerke bzw. Künstler ihre Infragestellung des Prinzips der Repräsentation als Dekonstruktion zu verstehen. Allerdings stellt sich hier die Frage der Überstrapazierung des Begriffs, denn gerade die Infragestellung des mimetischen Prinzips (aber zum Beispiel auch die Auseinandersetzung mit den Parerga) ist prinzipiell ein typisches Merkmal zeitgenössischer Kunst. 71 Jacques Derrida (1990b): »Videor«, in: Raymond Bellour/Catherine David/ Christine van Assche (Hg.), Passages de l'image, Paris: Éditions du Centre Pompidou, S. 161. Die Formulierung qui paraît spielt wieder auf videor an.

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Das Prinzip des Verweises auf andere Texte ist in diesem Werk von Hill offensichtlich, da diese das Thema der Arbeit selbst sind. Aber auch in vielen der übrigen Kunstwerke, die Derrida kommentiert bzw. textlich begleitet, ist diese Form von Verweisen evident – zum Beispiel beziehen sich wie erwähnt Zeichnungen von Adami und Loubrieu auf Publikationen Derridas. Auch die Arbeiten von Colette Deblé bzw. Jean Atlan verweisen explizit auf andere künstlerische bzw. literarische Werke, was Derrida zum Anlass nimmt, diese in ihrer Intertextualität zu analysieren.72 Die Arbeiten der französischen Künstlerin Deblé (*1944) thematisieren die Frau bzw. das Bild der Frau in der Geschichte der Kunst. Deblé nimmt die Silhouetten von Frauen aus berühmten Frauendarstellungen und transponiert diese auf Tuschezeichnungen (lavis), Gemälde oder große Holzschablonen. Deblés meistens durchgängig in Rot gehaltene Frauensilhouetten sind eine Rekombination vergangener Repräsentationen von Frauen (der geschulte Blick wird einige der Posen und damit den Verweis auf etliche ›große Meister‹ erkennen, z.B. auf Tintorettos Susanna im Bade, Tizians Danae – siehe Abbildung 14 –, Bouchers Bad der Diana, Velázquez' Venus mit Spiegel oder Rubens' Die drei Grazien, um nur einige zu nennen, auf die auch Derrida hinweist), die etwas Neues entstehen lässt, eine neue Frauen-Serie, die die Eigenständigkeit dieser Frauen betont, indem sie aus ihrem bildlichen Kontext herausgenommen sind: Das biblische, mythologische, landschaftliche Umfeld der Darstellung fällt weg, allein die Silhouette der Frau verweist – in Derridas Worten formuliert – als »Spur« auf all das Abwesende. Deblé thematisiert mit ihren Frauendarstellungen diejenigen der – ausschließlich männlichen – Künstler vor ihr; Derrida würde sagen, sie dekonstruiert die ihren Arbeiten vorgängigen Repräsentationen:

72 Das ›Paradebeispiel‹ für Intertextualität ist eigentlich Derridas Text (ohne Titel, 2001b) in: Simon Hantaï mit Jacques Derrida/Jean-Luc Nancy, La connaissance des textes. Lecture d'un manuscrit illisible (Correspondances), Paris: Galilée, S. 143-156. Im Grunde ist dieser ›Brief‹ an Jean-Luc Nancy und den 1922 in Ungarn geborenen und 2008 in Paris gestorbenen, französischen Künstler Simon Hantaï kein Text zu dessen ›Falten-Kunst‹, die schon bei Deleuze Erwähnung findet. Vielmehr reagiert Derrida hier auf die Korrespondenz zwischen Nancy und Hantaï, indem er aus zahlreichen Perspektiven die Frage des ausgeschlossenen Dritten diskutiert. Dabei kehrt er die Annahme, ohne die vorgängige Korrespondenz sei sein Text dazu nie zustande gekommen, um und behauptet, erst das Wissen, dass es einen Dritten, einen Eindringling geben würde, habe diese Korrespondenz zu dem gemacht, was sie ist (vgl. ebd., S. 155). Insofern positioniert Derrida seinen Text als Parergon zu der Korrespondenz zwischen Nancy und Hantaï, das ebendiese erst ermöglicht hat. (Im Übrigen thematisiert Derridas Brief auch den Träger von Hantaïs Kunst als subjectile, als »tissupport«, ein Zusammenschluss von tissu, Stoff, und support, Träger, vgl. ebd., S. 147.)

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»En ce sens, on peut entendre, à travers le murmure de ces dessins, une douce et désarmée critique des autorités sentencieuses qui président aux grandes histoires historienne de la femme, voire de la représentation de la femme, aux grandes narrations sûres de ce que sont ces choses, et l'histoire et la représentation, et l'homme et la femme, et leur apparition stabilisée en un tableau […].«73

Insofern besteht eine Parallele zwischen Deblés Arbeiten und denen von Derrida: Während Letzterer die Hegemonie der Sprache und des philosophischen Diskurses im abendländischen Denken hinterfragt, hinterfragt Deblé die Geschichte der Frau in der abendländischen Malerei, die durch die Hegemonie vor allem männlicher Künstler geprägt ist.74 Bei den späten Arbeiten Jean Atlans, einem französischen Maler, der zwischen 1913 und 1960 lebte und der CoBrA Gruppe (siehe bereits bei Lyotard zum Künstler Karel Appel) nahestand, sind es die Titel der Arbeiten, die Derrida einen intertextuellen Zugang ermöglichen. Die abstrakten Ölgemälde, in dunklen bzw. erdigen Tönen gehalten, auf denen markante schwarze Linien Formen umrunden, die unter Umständen auch figurativ interpretiert werden könnten, tragen Titel wie Livre des Rois II von 1959 oder Pentateuque von 1958 (siehe Abbildung 15). Der Pentateuch sind die fünf Bücher Mose im Alten Testament, und Derrida lässt erneut mehrere Sprecher über das Verhältnis zwischen diesen Texten und den Bildern Atlans diskutieren. Dabei hinterfragt er selbst bzw. einer der Sprecher die Legitimität des Unterfangens, solche Bezüge herstellen zu wollen: »Le rêveur [einer der anderen Sprecher; D.D.] n'est-il pas en train de convertir cette peinture, d'autres diraient de la pervertir en peinture religieuse, en sacrement de quelque mémoire juive, d'ailleurs librement interprétée? N'est-il pas en train de la faire parler, de lui donner une voix, de lui forcer la voix, arbitrairement, là où la peinture se tait? Et même là où il s'agirait de faire taire Iahwé?«75

73 Derrida (1993b) 2004, S. 13 (Hervorh. im Orig.). 74 In diesem Sinne ist hier der Begriff des subjectile von besonderer Bedeutung, denn er wird von Derrida doppelt eingesetzt: Einerseits meint er damit den Träger vor allem von Deblés Tuschezeichnungen, in die sich die Frauen imprägnieren (wodurch ein weiteres Wortspiel zwischen imprégner und prégnances möglich ist); andererseits schreiben sich die Frauen nicht nur auf den Träger ein – sie sind selbst subjectiles der »patrons de peintres«: »[…] le corps de la femme. Qui a tout supporté. Toujours la femme support et subjectile, la femme-sujet, la femme aura été leur sujet […]«, ebd. S. 10 (Hervorh. im Orig.). 75 Jacques Derrida (2001a): Atlan Grand Format. De la couleur à la lettre, Paris: Gallimard, S. 15 (Kursivierung im Orig.). Die vermeintliche Sprachlosigkeit bzw. Stummheit von Kunstwerken wird von Derrida häufig angesprochen (u.a. vgl. Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 13). Im Text zu Atlan ist sie doppelt Thema, da im Pentateuch Moses an Gottes statt spricht, womit der Pentateuch selbst als Supplement einer Abwesenheit (der Gottes) verstanden werden

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Die Frage der forcierten Um-Interpretation von Werken stellt sich allerdings besonders dort, wo weder Inhalt noch Parerga wie der Titel Bezüge zu literarischen, religiösen oder philosophischen Texten nahelegen. Diese Form des assoziativen, intertextuellen Vorgehens ist besonders im Text zu Deblé auffällig, in dem Derrida ohne konkreten Anhaltspunkt die mythologische Geschichte der in Narziss verliebten Echo über die Arbeiten Deblés legt. Was hier im Rahmen einer Dekonstruktion der Kunstwerke geschieht, ist die Demonstration dessen, dass Kunstwerke Anstoß zum Denken geben – und sei es rein assoziativ: »[…] there is a provocation to think on the part of the work, and this provocation to think is irreducible.«76 Insofern zeigt sich hier die dritte, markante Gemeinsamkeit zwischen Lyotard, Deleuze und Derrida: Neben der Kritik an der Repräsentation und der Betonung der sinnlichen Erfahrung von Kunstwerken, thematisieren alle drei auch das Verhältnis von Kunst und Denken bzw. der Philosophie – und zwar im Sinne der Unmöglichkeit, Kunst vollständig mit der Vernunft erfassen zu können, was die Betonung der sinnlichen Wahrnehmung von Kunst erklärt: »I believe that it is always necessary to take the analysis of the historical, political, economic, and ideological conditions, to take that analysis as far as possible, including the history of the specific art form. But if the analysis of all those conditions is exhaustive, to the point where the work is ultimately only there to fill a hole, then there is no work. If there is a work, it is because, even when all the conditions that could become the object of analysis have been met, something still happens, something we call […] the work, if you wish.«77

kann. In diesem Text, der Derridas letzten zu einem Kunstwerk bzw. Künstler darstellt, tauchen alle bisherigen interpretatorischen Ansätze wieder auf: neben der Intertextualität die Frage der Repräsentation, der Schwerpunkt auf Wortspiele, Wörter und Buchstaben, die Bedeutung von Parerga wie der Unterschrift, den Titeln und den Bildträgern, die Verschränkung von Bild und Text (Atlan Grand Format heißt die Publikation, wobei nicht nur Atlans Gemälde sehr groß sind, sondern auch Derridas Text in einer außergewöhnlich großen Schriftgröße gedruckt ist) sowie das Verhältnis von Einzigartigkeit, Ereignis und Serialität. 76 Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 25. Eine ähnliche Formulierung aus dem Text zu Puglia: »Voilà ce qui donne à penser en donnant à voir, à penser le voir et à voir le penser […].«, Derrida 1995, S. 21. Dieser Akt des ›zu-denkenGebens‹ ist ebenfalls gemeint, wenn Derrida seine Vorgehensweise hinsichtlich der Zeichnungen von Henich erläutert: Statt darüber zu schreiben, was im Werk gezeigt wird, beschreibt er vielmehr das, was die Künstlerin macht (»[…] ce que d'elle-même elle fait plutôt que ce qu'elle montre.«, Derrida (1991) 1996, Text zur Zeichnung Nr. 866, Hervorh. im Orig.). Diese Aussage kann auf alle Texte zu bildender Kunst von Derrida übertragen werden. 77 Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 28. Zuvor erklärt er, dass »[…] nonknowledge […] the necessary condition for something to happen, […] for an event to take place […]« ist, ebd., S. 27f.

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Dieser nicht zu analysierende Rest, der angesichts eines Kunstwerks übrig bleibt oder bleiben muss, ist das Unsagbare, das Derrida in vielen seiner Texte zu Kunst anspricht, da die dekonstruktivistische Geste nur selbstreflexiv vorgehen kann, wenn sie nicht im Stile der abendländischen Metaphysik von außen und gleichsam hegemonial auf das Kunstwerk zu- und übergreifen will. Diese Selbstreflexionen zum eigenen Kunstkommentar werden im Folgenden dargestellt – auch, um die Frage der Möglichkeit von Kritik an der Dekonstruktion zu diskutieren, die Derrida zwar leugnet,78 aber dennoch gerade von Habermas und Bourdieu vehement geäußert wurde. 3.3. Kunsterfahrung als Unübersetzbares Ähnlich wie Lyotards Verständnis des Begriffs Postmoderne (und generell jede Theorie, die unter diesen Begriff oder den des Poststrukturalismus subsumiert wird) einigen Widerspruch erfahren hat, hat auch Derridas Dekonstruktion und seine Kritik an den jeden Diskurs strukturierenden binären Oppositionen heftige Reaktionen ausgelöst. Von besonderem Interesse sind hier die äußerst kritischen Auseinandersetzungen mit Derridas Ansätzen durch Bourdieu und Habermas, die geradezu exemplarischen Charakter haben, insofern ihm beide Theoretiker je konträre Vorwürfe machen. Bourdieu widmet sich im Schlussteil von Die feinen Unterschiede, im Abschnitt »Parerga und Paralipomena«, der Derridaschen Auseinandersetzung mit Kant im Text »Parergon«. Darin kritisiert Bourdieu Derrida dahingehend, dass er sich (als Philosoph) dem philosophischen Diskurs gerade nicht entziehen kann und daher nicht imstande ist, die (nicht-philosophische) Wahrheit über Kants Kritik der Urteilskraft und das damit einhergehende Verständnis von Kunst auszuformulieren. Eine philosophische Objektivation sei Derrida nicht möglich: »Wie dank eines an Wunder grenzenden dialektischen Umschlags die von der modernen Kunst verstärkt ausgehenden Akte der Verächtlichmachung und Entweihung gegenüber der Kunst stets aufs neue, als künstlerische Akte, zum Ruhme der Kunst und der Künstler ausgeschlagen sind, so stellt auch – sind einmal die Hoffnungen in einen radikalen Wiederaufbau verflogen – die philosophische ›Dekonstruktion‹ der Philosophie die einzige philosophische Antwort auf die Destruktion der Philosophie dar.«79

78 »Es ist in der Tat keine Kritik an dem, was ich mache möglich. […] Es ist keine Kritik als Kritik möglich. Was man kritisieren kann – und da akzeptiere ich die Kritik und die Argumentation –, das ist die Art und Weise, wie die Dekonstruktion in einem gegebenen Kompetenzgebiet interveniert.«, Derrida mit Rötzer 1986c, S. 86f. 79 Bourdieu (1979a) 1999, S. 777. Der Derrida betreffende Abschnitt findet sich auf den Seiten 773-780. Derrida äußert sich zu diesen Vorwürfen nicht. Erst 1988 kommt es in einem anderen Kontext zu einem offenen Streit, in dem Derrida auf

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Dieser Kritik von Bourdieu liegen zwei zu hinterfragende Voraussetzungen zugrunde: Erstens handelt es sich um eine Fehlinterpretation dessen, was die dekonstruktivistische Geste ist, denn weder sucht diese, Texte o.ä. von außen zu betrachten (denn das würde die Innen/Außen Opposition wiederherstellen),80 noch postuliert Derrida, außerhalb des philosophischen Diskurses zu stehen: »Man springt nicht eines schönen Tages aus der Metaphysik heraus, um zu etwas anderem überzugehen.«81 Vor allem aber versucht er nicht, die ›Wahrheit‹ des kantischen Textes zu formulieren, da Derrida die Existenz eines einzigen, feststehenden Sinns, einer einzigen Bedeutung jedweden Textes ablehnt. Zweitens deutet Bourdieus Aussage an, dass philosophische Texte von der Philosophie und ihren Vertretern nicht objektiv betrachtet werden könnten, sondern, so lässt sich vermuten, nur durch die außen stehende, soziologische Betrachtungsweise eines Bourdieu selbst. Der Vorwurf, Derrida verharre letztendlich doch zu sehr in der Philosophie, kommt auch von Michael Kelly, der in einer Auseinandersetzung mit dem Text und der Ausstellung Aufzeichnungen eines Blinden Derrida als Ikonoklasten sieht, der die Philosophie und ästhetische Theorie der Kunstpraxis und dem tatsächlichen Sehen von Kunst vorziehe.82 Auch hier wird Derrida also eine erneute, hierarchisierende Opposition (dieses Mal zwischen Philosophie und Kunst) unterstellt. Umso erstaunlicher erscheint es, dass andere wiederum Derridas Schriften als eine Form von Kunst verstehen oder zumindest enge Parallelen zu zeitgenössischen künstlerischen Praktiken sehen.83 In diese Reihe, jedoch

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»so viele Irrtümer der Distinction« hinweist, vgl. den Brief von Derrida an Bourdieu abgedruckt in: Jürgen Altwegg (Hg.) (1988): Die Heidegger-Kontroverse, Frankfurt a.M.: Athenäum, S. 164. »Das besagt, und das ist ebenfalls immer eindeutig und eindringlich gewesen, daß die Dekonstruktion keine Anti-Philosophie oder Philosophiekritik ist.«, Jacques Derrida (1977): »Ja, oder der faux-bond«, in: ders. ([1992] 1998), Auslassungspunkte. Gespräche, Wien: Passagen Verlag, S. 82. Offensichtlich geht Bourdieu in seiner Kritik genau von dieser von Derrida angesprochenen Fehlinterpretation der Dekonstruktion aus. Derrida mit Rötzer 1986c, S. 76. Vgl. Michael Kelly (1991): »Shades of Derrida«, in: Artforum, vol. 29, Nr. 6, S. 102-104, sowie grundlegend: Michael Kelly (2003): Iconoclasm in Aesthetics, Cambridge: Cambridge University Press. Rösch interpretiert Derridas Texte, die er vor allem in ihrer Performativität analysiert, als künstlerische Praktik: »Derridas Aufsätze vermitteln nicht zwischen Künstler und Rezipienten, sie nehmen die traditionsgemässe Instanz der Vermittlung zum Ausgangspunkt, um die Gültigkeit und Institutionalisierung von Bedeutung und Sinn durch einen meta-sprachlichen Kommentar an sich zu hinterfragen. Jeder der beiden Texte ›participe sans appartenir‹ an den Werken bzw. an den Werkserien von Adami und Titus-Carmel […]. Derrida betrachtet seine Texte nicht als Metakommentare sondern als Bestandteile von beiden Werkkomple-

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negativ gewendet, gehört auch Habermas' Kritik an Derrida in Der philosophische Diskurs der Moderne, worin er Derrida unter anderem vorwirft, sich von dem Konzept einer Ursprungsphilosophie doch nicht befreien zu können und (jüdischen) Mystizismus zu betreiben sowie für eine Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur einzustehen bzw. die Rhetorik über die Logik stellen zu wollen.84 Habermas entgeht jedoch wie Bourdieu, dass es Derrida weder um das Aufstellen neuer Hierarchien geht, noch um eine Verabschiedung von Metaphysik und Rationalität. Derrida hat sich an zahlreichen Stellen gegen diese Vorwürfe geäußert: »Kurzum, es ist klar, daß es keineswegs darum geht, einen Diskurs gegen die Wahrheit oder gegen die Wissenschaft zu führen (das wäre unmöglich und absurd wie jede diesbezügliche heftige Anschuldigung).«85 Es wirft im Übrigen kein gutes Licht auf Habermas' Kritik, dass er Derrida über Jonathan Cullers On Deconstruction von 1982 liest, mit dem seltsamen Hinweis:

xen. […] Bei den Texten handelt es sich in gewisser Weise um eigenständige Kunstwerke […].«, Rösch 1997, S. 220 (Hervorh. D.D.). Derrida widerspricht solchen Analysen: »Meine Texte, die nicht philosophisch und nicht metalinguistisch sind, sind […] auch nicht künstlerisch oder ästhetisch.«, Derrida mit Rötzer 1986c, S. 81. Udo Kultermann sieht »[…] eine Parallele zu den vielfältigen Ausprägungen der zeitgenössischen Kultur, die man behelfsweise als ›Appropriation‹ zu bezeichnen versucht hat und deren Manifestationen, wie bei den Schriften Derridas, auf der Vorhandenheit und kritischen Neukonstitution früherer Werke beruhen. […] das Gemeinsame der diesen Ausprägungen zugrundeliegenden Ausgangssituation ist das einer schöpferischen kommentierenden Aneignung, wie sie als symptomatisch für unsere gegenwärtige Zeitsituation verstanden werden kann.« Udo Kultermann (1991): Kunst und Wirklichkeit. Von Fiedler bis Derrida. Zehn Annäherungen, München: scaneg Verlag, S. 192f. 84 Vgl. Jürgen Habermas (1985c): »Überbietung der temporalisierten Ursprungsphilosophie: Derridas Kritik am Phonozentrismus«, in: ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 191-218, sowie Habermas 1985d, S. 219-247. 85 Derrida mit Houdebine/Scarpetta (1971) 1986, S. 117 (Hervorh. im Orig.). Außerdem: »Man möchte jegliche Frage hinsichtlich der Vernunft unter dem Vorwand verbieten, anzweifeln oder zensieren, daß sie eine Irrationalismusgefahr verbreite […]«, Derrida mit Rötzer 1986c, S. 68. Zum Vorwurf der Umkehrung bzw. Gleichschaltung von Philosophie und Literatur: ebd., S. 79, sowie: »[…] zu den Bezügen zwischen Philosophie und Literatur, Philosophie, Rhetorik und Politik ist zu sagen, daß ich niemals – man lese doch bitte den Text – die Philosophie der Rhetorik gleichgesetzt habe. […] Was mich […] interessiert, das sind die Grenzen, die Probleme der Grenzen zwischen Philosophie und Literatur. Aber dieses Problem aufwerfen heißt nicht, die Philosophie auf eine Art Literatur zu reduzieren.«, Jacques Derrida mit Peter Engelmann (1986d): »Positionen. 14 Jahre später«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 29.

184 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK »Da Derrida nicht zu den argumentationsfreudigen Philosophen gehört, ist es ratsam, seinen im angelsächsischen Argumentationsklima aufgewachsenen literaturkritischen Schülern zu folgen, um zu sehen, ob sich diese These [dass »other discourses can be seen as cases of a generalized literature« – Habermas zitiert schon hier Culler; D.D.] wirklich halten läßt.«86

Habermas' Kritik basiert also auf mehreren Fehlinterpretationen und Missverständnissen, die an den Ideen und Ansätzen Derridas vorbeigehen.87 Weitaus interessanter in diesem Kontext ist Derridas Kritik an den Theorien von Habermas, die überall dort herauszulesen ist, wo Derrida die Übersetzbarkeit von Kunsterfahrung in Sprache bezweifelt: »Qu'on me permette de faire ici l'économie d'une longue dissertation théorique, mais ironique, sur la description d'un tableau. Quand je pense que certains osent ou prétendent faire ça, décrire, esquisser la moindre description d'un tableau! Il est toujours impossible, il devrait être interdit de décrire un tableau, de le ›constater‹, autrement qu'en ordonnant: allez écouter ce tableau […].«88

86 Habermas 1985d, S. 228. Unabhängig davon, dass es verwundert, dass Habermas Derrida nicht direkt zitiert (worauf Derrida später auch hinweist: vgl. Jacques Derrida (1990d): Limited Inc., Paris: Galilée, S. 243), ist zusätzlich der Rückgriff auf die angelsächsische bzw. angloamerikanische, dekonstruktivistische Literaturkritik, aufgrund der inhaltlichen Verschiebung zu Derrida, ein Fehler, siehe die obige Fußnote 2. 87 Dass Habermas mit dieser Kritik Derrida größtenteils unrecht getan hat, ist mittlerweile Konsens in der Sekundärliteratur, vgl. Münker/Roesler 2000, S. 164f.; Kimmerle 2004, S. 42; sowie Marc Goldschmit (2003): Jacques Derrida. Une introduction, Paris: Pocket, S. 186-195: »Derrida interroge tous les genres et toutes les frontières qu'Habermas considère comme établis et factuels, le philosophe de la rationalité communicationnelle ne devrait donc pas s'accorder le droit d'affirmer que les analyses de Derrida confondent tout et qu'elles noient les différences dans l'indifférenciation générale; c'est rigoureusement l'inverse qui a lieu […].«, ebd., S. 192. 88 Derrida 2001a, S. 18f. In vielen seiner Texte zu Kunst finden sich Aussagen, die in eine ähnliche Richtung weisen und mit dieser Form von Unübersetzbarkeit eng zusammenhängen, beispielsweise im Text zu den Arbeiten von Plissart: »Wir, die wir sprechen, sind die überflüssige Illustration des Werks.«, Derrida 1985a, S. X; am Ende des Textes zur Korrespondenz zwischen Nancy und Hantaï erzählt Derrida von einem Kunstwerk der Bildhauerin Elisabeth Presa, die aus dem ausgedruckten Manuskript eines Derrida-Buches (das zu Nancy: Jacques Derrida ([2000] 2007): Berühren, Jean-Luc Nancy, Berlin: Brinkmann & Bose) ein Kunstwerk geschaffen hat. Dazu Derrida: »À couper le souffle […]. Je n'ai ni ne veux avoir de mots pour elle.«, Derrida 2001b, S. 155.

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Bildende Kunst, die sinnlich erfahren wird und sich gerade durch ihre NonDiskursivität dem Logo- und Phonozentrismus der abendländischen Metaphysik zu widersetzen sucht, kann nicht in Sprache übersetzt werden, ohne dass ein nicht-übersetzbarer Rest übrig bleibt.89 Schon in Die Wahrheit in der Malerei, das in gewisser Weise das Programm der drauffolgenden Kunstwerkanalysen und -kommentare bildet, spricht Derrida von dieser Unübersetzbarkeit in Auseinandersetzung mit einem Diktum Cézannes.90 Doch Derrida hinterfragt auch prinzipiell, das heißt unabhängig vom sprachlichen Umgang mit Kunstwerken, die Möglichkeit bzw. den Erfolg von Übersetzungen: »Innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeit oder ihrer scheinbaren Möglichkeit praktiziert die Übersetzung die Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat. Aber wenn diese Unterscheidung niemals klar ist, dann ist es die Übersetzung genausowenig […].«91 Die Vermittlerrolle, die Kunstexperten nach Habermas übernehmen sollen, um Laienrezipienten Kunst zugänglich zu machen, ist aus Derridas Perspektive zum Scheitern verurteilt, da die sprachliche Vermittlung der Erfahrung von Kunst scheitern muss. Seine eigenen Kunstkommentare sind folglich keine Vermittlungsversuche – und dennoch besprechen sie die jeweiligen Kunstwerke, indem sie sie ansprechen und bestrebt sind, den Leser anzusprechen (im doppelten Wortsinn). Darin zeigt sich eine Parallele zu Lyotards Darstellung des

89 Siehe dazu noch einmal das Zitat zur obigen Fußnote 77. 90 Cézanne schrieb in einem Brief: »Ich schulde Ihnen die Wahrheit in der Malerei, und ich werde sie Ihnen sagen.«, zitiert in: Derrida (1978b) 1992, S. 17. Derrida spekuliert in der Folge darüber, wie die »Wahrheit in der Malerei« – der für die Publikation titelgebende Ausdruck – mit dem Verb »sagen« zusammenpasst. 91 Weiter: »[…] und man wird daher den Begriff der Übersetzung durch den Begriff der Transformation ersetzen müssen: geregelte Transformation einer Sprache mittels einer anderen, eines Textes mittels eines anderen. Wir haben und hatten es in Wirklichkeit nie mit einer ›Übertragung‹ reiner Signifikate von einer Sprache in die andere oder innerhalb ein und derselben Sprache zu tun, welche durch das Mittel oder die ›Vermittlung‹ (›véhicule‹) der Signifikanten unberührt und unangetastet bliebe.«, Jacques Derrida (1968c): »Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristeva«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 57f. (Hervorh. im Orig.). In Derrida (1985b) 1987 (siehe Fußnote 44) diskutiert Derrida die Unmöglichkeit, den Begriff Dekonstruktion aufgrund der schon im Französischen vorhandenen disseminativen Bedeutung zu übersetzen. In Jacques Derrida (1980): »Envoi«, in: ders. (1987), Psyché. Inventions de l'autre, Paris: Galilée, S. 109-143 unterwirft er den Begriff der Repräsentation einer Analyse seiner möglichen Übersetzung und diskutiert die Konsequenzen für internationale Kongresse, auf denen es üblich sei, Inhalte zu diskutieren und nicht die Begriffe und ihre Übersetzbarkeit in andere Sprachen infragezustellen.

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Nicht-Darstellbaren und Deleuzes Sichtbarmachen des Nicht-Sichtbaren.92 Derrida interessiert das Unsagbare, das heißt der in einer Übersetzung übrig bleibende Rest, das Andere der Sprache wie der Philosophie: »My central question is: from what site or non-site (non-lieu) can philosophy as such appear to itself as other than itself, so that it can interrogate and reflect upon itself in an original manner? Such a non-site or alterity would be radically irreducible to philosophy. But the problem is that such a non-site cannot be defined or situated by means of philosophical language.«93

Wenn es also bei der Dekonstruktion darum geht, sich vom hegemonialen Diskurs der (westlichen) Philosophie zu emanzipieren, so exemplifiziert Derrida dies nicht zufällig immer wieder an Kunstwerken, sondern weil er dort das Andere der Sprache und Philosophie vermutet. Das Unsagbare ist in den Kunstwerken erfahrbar, gibt zu denken und konfrontiert nicht zuletzt das abendländische Denken mit seinen Grenzen. Darin geht die politische wie gesellschaftskritische Sprengkraft von Kunst viel weiter, als bei Bourdieu und Habermas: Diese sehen, in Derridas Worten formuliert, in und an den künstlerischen Arbeiten oppositionelle Strukturen am Werke, was sie letztlich auf eine bestimmte Bedeutung, eine bestimmte Aussage und Funktion, reduziert – und im Übrigen die Widersprüchlichkeiten in ihren Theorien dort erklären hilft, wo sie die Bedeutung und Rolle von Kunst mal positiv, mal negativ auffassen. Was schließlich Derridas Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst anbelangt, hat sich gezeigt, dass er im Gegensatz zu allen bisherigen Theoretikern keine besondere Stilrichtung und kein besonderes Genre bevorzugt, was eng mit dem Verfahrensprinzip der Dekonstruktion zusammenhängt, für die solche Einordnungen des Gegenstandes, mit dem sie sich beschäftigt, irrelevant sind. So bespricht Derrida auch Foto- und Videokünstler und widmet sich Zeichnungen von alten Meistern (in Aufzeichnungen eines Blinden) wie jungen Künstlern der Gegenwart. Da die Dekonstruktion selbst keine verallgemeinerbare Methode ist, stuft er auch die von ihm besproche-

92 Dazu auch folgende Aussage Derridas: Was »[…] zu denken bleibt –, ist, was sich in der Präsenz der Gegenwart nicht darstellt.« (ce qui dans la présence du présent ne se présente pas), Jacques Derrida mit Christian Descamps (1982): »›Das Beinahe-Nichts des Undarstellbaren‹«, in: ders. ([1992] 1998), Auslassungspunkte. Gespräche, Wien: Passagen Verlag, S. 92. 93 Derrida mit Kearney (1981) 1984, S. 108 (Hervorh. im Orig.). Diesen non-lieu nennt Derrida, mit Platon, Chora. Chora entgeht den binären Oppositionen, ist unentschieden, unabschließbar und unbeschreibbar, vgl. Jacques Derrida (1987): »Chōra«, in: ders. ([1993] 2000), Über den Namen. Drei Essays, Wien: Passagen Verlag, S. 123-170.

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nen Künstler nicht in modern, postmodern, avantgardistisch etc. ein.94 Im Vordergrund steht stets die jeweilige Erfahrung mit einem besonderen Kunstwerk und die Auseinandersetzung mit seinen Möglichkeitsbedingungen (wie den Parerga) und seiner Ereignishaftigkeit für den Betrachter wie für die Philosophie. Derridas Vorgehen lässt sich daher nur schwer anhand dessen kritisieren, was er macht. Ansätze hierfür bietet eher das, was er unterlässt. So ist gerade die Betonung der Emanzipierung vom philosophischen Diskurs, die im weitesten Sinne Thema vieler postmoderner und poststrukturalistischer Theoretiker ist und die vor allem Arthur Danto kunsttheoretisch herausgearbeitet hat, eine der zentralen Problematisierungen, die von zeitgenössischer Kunst aufgegriffen wurde und wird. Dazu gehören letztendlich auch die Arbeiten von Duchamp, der als Vorläufer dieser Art von Kunst das Verhältnis von (Kunst-)Objekten zu den Parerga (Kunst-)Diskurs und Museum anschaulich machte. Inwiefern Readymades und ihre zeitgenössischen Nachfolger auf diese Parerga hindeuten – und sie daher umso mehr brauchen – bleibt bei Derrida unberücksichtigt. Doch bleibt letztendlich nicht nur die Transformation des Diskurses vom Parergon hin zu einem Teil des Ergons bei Derrida unterbeleuchtet (wobei er dieser Formulierung natürlich schon hier die Aufstellung einer Innen/Außen Dichotomie vorwerfen würde), sondern ebenfalls die Konsequenzen aus seinem eigenen Verständnis des Diskurses als Parergon. Kritisiert er in »Restitutionen« an Heidegger und Schapiro ihr Festhalten am Prinzip der Repräsentation und ihren Versuch, dem Kunstwerk von van Gogh letztlich eine Bedeutung zuzuschreiben, einen Inhalt, einen Sinn, so versäumt er es, gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass es genau Diskurse wie diese sind, die das Kunstwerk überhaupt erst zum Kunstwerk machen. Diese Weiterführung rückt den Interpretationsstreit zwischen Heidegger und Schapiro, aber damit auch alle anderen Aussagen, Schriften und Kritiken zu Kunst, in ein neues Licht: Als Parergon sind sie die Möglichkeitsbedingung von Kunst. Die behauptete Unterordnung der Kunst unter den Diskurs wird durch Derridas ParergonKonzeption paradoxerweise verdoppelt: Nicht nur glauben Vertreter der abendländischen Philosophie (Heidegger, Schapiro, Bourdieu, Habermas…), Kunst sei sprachlich vermittelbar – letztendlich braucht die Kunst diese Diskurse zur Selbst-Bestimmung als Kunst. Wenn Derrida an kunsttheoretischen Diskursen also kritisiert, dass sie Parerga generell ausschließen würden, dann ist an Derrida zu kritisieren, dass er die Parergonali-

94 Derrida auf die Frage, was für ihn der Begriff der Avantgarde bedeute: »L'effet d'avant-garde est toujours déchiffrable après coup. L'avant-garde est donc, s'il y en a, l'imprésentable.«, Jacques Derrida (1975b): o.T. (»Réponse sur l'avantgarde«), in: Digraphe, Nr. 6, S. 152. Insofern kann man laut Derrida in einem gegebenen Moment nicht von Avantgarde sprechen und daher auch keine Kunst als avantgardistisch beurteilen. Das Avantgardistische ist das Unsagbare.

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tät des Interpretationsstreits von Heidegger und Schapiro nicht genügend einbezieht.95 Derrida sowie Lyotard und Deleuze werden – wie einleitend dargestellt – als ›Theoretiker der Differenz‹ bezeichnet, da sie sich mit ihren Ideen und Konzepten von einem ihrer Auffassung nach überholten Denken abwenden wollen, das auf Identität und Einheit setzt. Gleichzeitig thematisieren sie die Ausdifferenzierung der Kunst nicht so, wie Bourdieu und Habermas dies unternehmen, da dieses Verständnis von Kunst einem linearen Fortschrittsdenken angehört, das alle drei aufzugeben versuchen. Der Begriff der Differenz spielt wiederum auch in den Theorien von Niklas Luhmann eine zentrale Rolle. Dessen Systemtheorie und die damit zusammenhängenden Analysen von Kunst werden im Folgenden dargestellt, wobei sich gerade zu Derrida einige Parallelen herausstellen werden. Danach werden Luhmanns Analysen mit denen von Jean Baudrillard kontrastiert.

95 Weitergehend könnte man sagen, dass Derridas Text »Restitutionen« im Grunde ein Parergon zu den Texten von Heidegger und Schapiro ist und er dadurch ihren Status als philosophische bzw. kunsttheoretische Texte erst ermöglicht.

V. Kunst und System Luhmann, Baudrillard und die Inflation der Kunst

In den vorherigen Kapiteln finden sich Zusammenstellungen von Theoretikern, die durch inhaltliche Nähe begründet werden können: Bourdieu und Habermas einerseits und Lyotard, Deleuze und Derrida andererseits sind ähnlichen Traditionen bzw. Denkansätzen verpflichtet. Wie deutlich geworden ist, lässt sie diese Nähe trotz aller aufgezeigten Unterschiede untereinander mehr Parallelen aufweisen, als dies im Quervergleich mit den Theoretikern aus dem jeweils anderen Kapitel der Fall ist. Im Folgenden wird diese Struktur durchbrochen: Luhmann und Baudrillard stehen sich diametral gegenüber, sodass ihre Zusammenführung in diesem dritten Analysekapitel erkennbar geprägt ist durch ihre grundlegende Verschiedenheit. Auf der anderen Seite ist diese Auswahl alles andere als die Aufstellung eines beliebigen Oppositionspaares: So sehr der Systemtheoretiker Luhmann und der pataphysische1 Semiologe Baudrillard bezüglich ihrer grundlegenden theoretischen Ansätze voneinander entfernt sind, so sehr weisen ihre Analysen zu zeitgenössischer Kunst in eine ähnliche Richtung.

1

Die Pataphysik, die sogenannte Wissenschaft der imaginären Lösungen, geht auf den französischen Schriftsteller Alfred Jarry und seine Theaterstücke zu König Ubu, erstmals 1896 aufgeführt, sowie seinen Roman Heldentaten und Ansichten des Dr. Faustroll, Pataphysiker von 1911 (posthum) zurück. Die Auseinandersetzung mit Jarry gehört zu den frühesten Texten Baudrillards, vgl. Jean Baudrillard ([1948] 2002): Pataphysique, Paris: Sens & Tonka. Zu den genauen Verbindungspunkten vgl. Gary A. Genosko (1992): »Fellow Doctors of Pataphysics: Ubu, Faustroll, and Baudrillard«, in: William Stearns/William Chaloupka (Hg.), Jean Baudrillard. The Disappearance of Art and Politics, New York: St. Martin's Press, S. 146-159.

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V. 1. N IKLAS L UHMANN [K OMMUNIKATION ] Niklas Luhmann hat sich als einer der wichtigsten Systemtheoretiker unserer Zeit einen Namen gemacht, der in der Folge von Talcott Parsons und unter Anleihen bei verschiedenen nicht-geisteswissenschaftlichen Denkern, zum Beispiel aus der Biologie und Kybernetik, ein Theoriegebäude errichtet hat, das den Anspruch erhebt, alle Bereiche des gesellschaftlichen Miteinander abzudecken. Zeit seines Lebens hat er es sich zur Aufgabe gemacht, seine Systemtheorie in allen relevanten Bereichen gleichsam ›durchzuexerzieren‹, sodass mit den Jahren die berühmten Publikationen Die Wirtschaft der Gesellschaft (1988), Die Wissenschaft der Gesellschaft (1990), Das Recht der Gesellschaft (1993) sowie bereits posthum: Die Politik der Gesellschaft (2000), Die Religion der Gesellschaft (2000), Das Erziehungssystem der Gesellschaft (2002) und viele mehr entstanden. Trotz dieses solchermaßen ganzheitlichen Ansatzes, steht Luhmann inhaltlich den ›Theoretikern der Differenz‹ aus dem vorangegangenen Kapitel näher, als zum Beispiel dem für Einheit plädierenden Jürgen Habermas, wovon nicht nur die sehr bekannt gewordene Kontroverse mit diesem zeugt,1 sondern auch konzise Aussagen wie: »Am Anfang steht also nicht Identität, sondern Differenz.«2 Das erinnert stark an im vorigen Abschnitt behandelten Jacques Derrida, und in der Tat rekurriert Luhmann an zahlreichen Stellen auf dessen Theorie der différance und das Prinzip der Dekonstruktion. Doch auch wenn Luhmann Derrida immer wieder zustimmt bzw. sich bei ihm Bestätigung für einige Annahmen holt, sind die Unterschiede zu den ›Theoretikern der Differenz‹ auffallend – was ebenso für den Vergleich mit Bourdieu und Habermas gilt. Luhmann nimmt mit seiner Systemtheorie eine ganz eigene Position ein, was sich auch auf seine Beschäftigung mit Kunst auswirkt. Inwiefern der systemtheoretische Ansatz im Resultat der Kunst andere Aufgaben zuweist bzw. ihre Bedeutung für die Gesellschaft und den Einzelnen anders bewertet, wird im Folgenden zu prüfen sein. Genauso wie die anderen hier vorgestellten Theoretiker hat sich Luhmann über eine Zeitspanne von etwa dreißig Jahren, von den 1970er bis zu

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Vgl. die daraus resultierende Publikation: Habermas/Luhmann 1971a; dazu mehr weiter unten. Niklas Luhmann (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 112. Vgl. ebenfalls grundsätzlich: »Man begreift die Funktionsweise von Sinn nicht zureichend, wenn man sie auf eine Sinnvolles legitimierende Identität bezieht – sei es den an sich perfekten Kosmos, sei es das Subjekt, sei es den sinngebenden Kontext. Dieser Identität wird dann die Unterscheidung von Sinnvollem und Sinnlosem abgenötigt, die sie als Identität nicht leisten kann. Die Herkunft der Unterscheidung bleibt dunkel, bleibt ein Problem der Theodizee. Wir gehen statt dessen davon aus, daß in aller Sinnerfahrung zunächst eine Differenz vorliegt, nämlich die Differenz von aktual Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Möglichem.«, ebd., S. 111 (Hervorh. im Orig.).

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den 1990er Jahren, mit Kunst bzw. dem Kunstsystem auseinandergesetzt. Entstanden ist eine Vielzahl von Aufsätzen, die größtenteils in der Monographie Die Kunst der Gesellschaft (von 1995) münden. Bereits die konsequente Titelgebung seiner Publikationen deutet damit darauf hin, dass Luhmann ähnlich wie die vorangegangenen Autoren den Bereich der Kunst nach ihrer Ausdifferenzierung (oder Autonomisierung) als gleichberechtigt neben der Wissenschaft, der Wirtschaft, dem Recht, der Politik, der Religion, dem Erziehungssystem oder auch der Liebe (Liebe als Passion von 1982) versteht. Luhmann ist einer der wenigen deutschen Soziologen, der eine systematisch angelegte Soziologie der Kunst vorlegt, mit deren Hilfe der Kunstbetrieb als Ganzes verstanden werden kann. Dabei ist entscheidend, dass Luhmann eine Analyse des Kunstsystems und nicht der Kunst als solcher bieten möchte – die ontologische Frage nach dem Wesen der Kunst ist für ihn nicht von Belang. An die Stelle von Wesenhaftigkeit, eindeutigen Erkenntnismöglichkeiten und letzten Wahrheiten tritt bei ihm – durchaus parallel zum Pluralismus postmoderner und poststrukturalistischer Denker – die Kontingenz. Kunst ist kontingent und: »Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist.«3 Luhmann fragt daher vielmehr, wie bei aller Kontingenz überhaupt etwas möglich wird, d.h. in seinen Worten auf die Kunst bezogen, wie das »Kunstwer[k] als unwahrscheinliche Formenkombination«4 überhaupt wahrscheinlich wird. Dabei bedingt der hohe Abstraktionsgrad der Systemtheorie, von Kunst im Allgemeinen zu sprechen; die Analysen – besser: Beobachtungen – beziehen sich auf bildende Kunst genauso wie auf Literatur, Theater oder Musik.5 Wie alle hier vertretenen Theoretiker mit einem Interesse an Kunst bezieht sich Luhmann dabei am häufigsten auf die bildende Kunst und die Literatur, wobei sein Hauptaugenmerk gerade auf den Entwicklungen liegt, die letztlich zur zeit-

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Luhmann 1984, S. 152. Weiter: »Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen. Er setzt die gegebene Welt voraus, bezeichnet also nicht das Mögliche überhaupt, sondern das, was von der Realität aus gesehen anders möglich ist.«, ebd. Zur Ablehnung von Wesensfragen vgl. Luhmann 1995b, S. 393; vgl. ebenfalls die Einschätzung bei Niels Werber (2008): »Niklas Luhmanns Kunst der Gesellschaft – Ein einführender Überblick (Nachwort)«, in: Niklas Luhmann, Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 440f. Niklas Luhmann (1992): »Wahrnehmung und Kommunikation an Hand von Kunstwerken«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 254. Vgl. Niklas Luhmann (1986b): »Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 139.

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genössischen Kunst geführt haben, wie sie hier verstanden wird. Allerdings warnt Luhmann: »Außerdem werden Sie erwarten, daß ich etwas über Kunst sage, und da beginnt die Verlegenheit. Ich bin nicht fachlich spezialisiert, weder in Richtung Kunstgeschichte, noch in Richtung philosophische Ästhetik, noch in Richtung auf die modernen Diskussionen, die immer stärker innerhalb der Kunstszene laufen. Ich bin auch kein Kunstsoziologe, mein Interesse ist eigentlich Gesellschaftstheorie […]. Wenn man an einer Theorie der modernen Gesellschaft interessiert ist, und das ist eigentlich mein Schwerpunkt, dann kann man so wichtige Bereiche wie Kunst schwer außer Acht lassen.«6

Was als Konzession gedacht ist, kann auch als Koketterie verstanden werden: Luhmann äußert sich hier 1995 im Rahmen einer Tagung, die die Veranstalter Art & Language & Luhmann nennen, die also Luhmanns Namen mit einer Künstlergruppe verbinden.7 Art & Language sind eine seit den späten 1960er Jahren aktive britische Künstlergruppe, auf die Luhmann seit Mitte der 1990er Bezug nimmt, jedoch in der Tat ohne auf konkrete Werke zu verweisen. Das ist nur beim amerikanischen Künstler Frederick D. Bunsen der Fall, über den Luhmann mehrfach schreibt und mit dem 1990 die gemeinsame Publikation Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur entsteht. Doch bevor auf diese Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Künstlern eingegangen werden kann, muss die Luhmannsche Systemtheorie vorgestellt werden – wobei es möglich ist, diese direkt aus der Perspektive des Kunstsystems anzugehen. 1.1. Kunstsystem Den Kern der Systemtheorie nach Luhmann machen folgende Beobachtungen aus:8 Die moderne Gesellschaft gliedert sich in verschiedene Subsysteme; diese sozialen Systeme haben die Funktion der Reduktion von Komplexität – sie machen sie behandelbar, indem sie Selektionen vornehmen und dadurch die Anschlussfähigkeit steigern. Das heißt, es wird eine SystemUmwelt-Grenze erstellt, an der diese selektiven Operationen (was gehört

6 7

8

Niklas Luhmann (1995/1997a): »Ausdifferenzierung der Kunst«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 401. Siehe dazu die daraus entstandene Publikation: Institut für soziale Gegenwartsfragen, Freiburg i. Br./Kunstraum Wien (Hg.) (1997): Art & Language & Luhmann, Wien: Passagen Verlag. Bezugnahmen auf Luhmanns Vorträge verweisen wie in der obigen Fußnote 6 auch im Folgenden auf den Wiederabdruck in: Luhmann 2008. Vgl. ganz allgemein die als seine Hauptwerke zu bezeichnenden Veröffentlichungen: Luhmann 1984 sowie Niklas Luhmann (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bände, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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nach innen zum System? Was bleibt außen in der Umwelt?) durchgeführt werden. Da die Komplexität der (Um-)Welt so hoch ist, reagieren Systeme mit operativer Geschlossenheit, die wiederum Voraussetzung ist für (selektive) Öffnung – und damit für Komplexitätssteigerung innerhalb des Systems.9 Die Subsysteme sind keine historischen Konstanten. Sie haben sich mit der Zeit in einem evolutionären Prozess herausgebildet, den Luhmann als funktionale Differenzierung bezeichnet. Differenzierungen, d.h. bei Luhmann Systembildungen, können verschiedene Formen annehmen: Segmentäre Differenzierung bedeutet Differenzierung in gleiche Einheiten (z.B. in Familien oder Siedlungen), die Zentrum/Peripherie-Differenzierung (z.B. in Folge der Stadtbildung) sieht Luhmann als Entwicklungsbedingung für die hierarchische Differenzierung, in der sich ein Herrschaftszentrum ausgebildet hat (z.B. Kastenordnungen), und schließlich gibt es die funktionale Differenzierung, die die Differenzierungsform der heutigen, modernen Gesellschaft darstellt. In einer funktional differenzierten Gesellschaft haben sich Subsysteme herausgebildet, denen bestimmte Funktionen zukommen (Recht, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft usw.) und die ebenso gleichberechtigt nebeneinander stehen (also nicht hierarchisch einzuordnen sind) wie sie ›für sich‹ stehen: d.h. keines ist durch ein anderes ersetzbar. Sie sind zwar strukturell gekoppelt, jedoch bleiben sie operativ geschlossen und selbstreferentiell, d.h. bei Luhmann: autopoietisch. Diesen Begriff übernimmt Luhmann von den Biologen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela, und auch weitere Begrifflichkeiten zeugen von seinem wiederholten Rückgriff auf naturwissenschaftliche Disziplinen, zum Beispiel die Begriffe Selektion (-szwang) und Variation, anhand derer erkennbar wird, dass die Systemtheorie auch mit Aspekten der Evolutionstheorie von Darwin verbunden wird (wobei hier auch Anleihen bei Donald T. Campbell, einem amerikanischen Wissenschaftler, der sich mit Fragen der Evolution auseinandergesetzt hat und auf den Luhmann mindestens genauso häufig verweist, zu erkennen sind). In der Tat sind die Differenzierungsformen evolutionär zu verstehen, wobei die letzte Etappe diejenige der funktionalen Differenzierung ist: »Der Vergleich von segmentären, stratifizierten und funktional differenzierten Gesellschaften […] zeigt eine Entwicklungsdimension zu höherer Komplexität, und er deutet eine Epocheneinteilung an.«10 Diese letzte, große Etappe

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Treffend und amüsant formuliert aus der Ich-Perspektive des Systems ist der Ablauf der wechselseitigen Verursachung von Komplexitätsreduktion und -steigerung nachzulesen in: Wolfgang Eßbach (1996): Studium Soziologie, München: Fink, S. 147f. 10 Niklas Luhmann (1985c): »Das Problem der Epochenbildung und die Evolutionstheorie«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 118.

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hat laut Luhmann schließlich zu unserer heutigen, modernen Gesellschaft geführt: »Für den Übergang zu funktionaler Differenzierung […] gibt es nur einen einzigen Fall: Europa in der beginnenden Neuzeit. […] Wenn man darauf abstellt, von wann ab die europäische Gesellschaft ihrer neuen Form bewußt wird und darauf zu reagieren beginnt, wird man die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als Epochenschwelle ansehen müssen.«11

Luhmann selbst erläutert im Vorwort zu Die Kunst der Gesellschaft, dass der Leser die strukturalistische Beschreibung des Systems moderner Kunst sowie eine evolutionäre, in Phasen gegliederte Geschichte der Ausdifferenzierung des Kunstsystems »ineinander verschränkt« vorfinden wird.12 Hinzu kommen immer dann Aspekte aus der Kybernetik, wenn Luhmann von Codierungen und Programmen spricht; Verweise auf die britischen Wissenschaftler George Spencer Brown (einem Logiker) und Gregory Bateson (einem von der Kybernetik beeinflussten Anthropologen und Sozialwissenschaftler) sind zahlreich, ebenso solche auf den österreichisch-amerikanischen Kybernetiker und Philosophen Heinz von Foerster. Es ist nicht zuletzt diese Übernahme der Sprache der sogenannten harten Wissenschaften, die Luhmann den Vorwurf einhandeln, unverständlich oder gar technokratisch zu sein.13 In diesem Zusammenhang ist der zentrale Aspekt seiner Auseinandersetzung mit Habermas der, dass er Kommunikation und nicht Handlungen, Interaktionen und/oder Subjekte in das Zentrum der Systemtheorie stellt. Kommunikation definiert Luhmann als kleinste Einheit sozialer Systeme; Subjekte hingegen, Personen, sind psychische Systeme; Handlungen wiederum sind nur ein Teil von Kommunikation. Luhmann geht davon aus, dass Kommunikation aus den Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen besteht. Mit Gregory Bateson versteht Luhmann Information als Differenz, die eine Differenz macht, d.h. erst die grundsätzliche Orientierung an Differenzen ermöglicht es, eine entstandene Differenz als solche zu erkennen und in der Folge als neue Information anzusehen, die – wie auch im deutschen Sprachgebrauch üblich – einen Unterschied macht. Die Mitteilung bzw. Mitteilungsabsicht dieser Information ist der Handlungsanteil der Kommunikation; das Verstehen schließt den Kommunikationsakt ab. Verstehen bedeutet hier, dass Ego versteht, was Alter meint, bzw. dass Ego versteht, dass es überhaupt etwas zu verstehen gibt (Luhmann nutzt hier die phänomenologische Terminologie). Daran knüpft sich die sogenannte Anschlusskommunikation, die annehmend oder auch ableh-

11 Ebd. 12 Vgl. Luhmann 1995b, S. 10. 13 Vgl. die tabellarische Übersicht der »Schlagworte contra Luhmann« in: Detlef Krause (2005): Luhmann-Lexikon. Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann, 4. Aufl., Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 114.

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nend sein kann – Verstehen schließt auch Missverstehen ein. Hier kommt die Problematik der doppelten Kontingenz ins Spiel, die schon von Parsons bekannt ist: Keine der beiden Seiten weiß, was die andere zu tun beabsichtigt, wodurch das eigene Handeln, die eigene Reaktion, ebenfalls unbestimmt bleibt. Doppelte Kontingenz bleibt jedoch Voraussetzung für Kommunikation, da die Prozessualität von Kommunikation zwei Systeme benötigt. Bevor erörtert werden kann, wie Luhmann diese Leitideen auf das Kunstsystem anwendet, und in der Folge weitere Details der Systemtheorie anhand dieses Beispiels ausgearbeitet werden, soll bereits hier auf drei der zentralen Unterschiede zwischen Habermas und Luhmann eingegangen werden, die zu ihrer berühmten Kontroverse geführt haben und die ein besseres Verständnis der Implikationen von Luhmanns Thesen ermöglichen. Wir haben gesehen, dass Kommunikation bei Luhmann nicht auf Annahme bzw. Akzeptanz, Zustimmung oder Konsens ausgerichtet ist, sondern lediglich auf die Fortführung von Kommunikation. Solange die Kommunikation nicht abbricht, geht sie weiter, d.h. es ist »[…] prinzipiell verfehlt, Konflikte auf ein Versagen von Kommunikation zurückzuführen (so als ob Kommunikation etwas ›Gutes‹ sei, das scheitern könne). […] Konflikte dienen also gerade der Fortsetzung der Kommunikation durch Benutzung einer der Möglichkeiten, die sie offen hält: durch Benutzung des Nein.«14 An anderer Stelle äußert sich Luhmann noch direkter gegen Habermas' auf Konsens ausgerichteten herrschaftsfreien Diskurs, wenn er sagt, dass jede Kommunikation zwischen ja und nein oszilliert und »[…] das Oszillieren nicht ausgeschaltet werden kann. Sonst würde sie sich sofort festlegen auf eine bestimmte Bejahungstendenz, eine Vernunft, einen Konsens oder dergleichen.«15 Luhmann zeigt hier eine gewisse Nähe zu Lyotard, der Kommunikation ebenfalls gegen Habermas' Ansicht nicht auf Konsens angelegt verstanden wissen wollte. Habermas seinerseits kritisiert die Vorstellung einer Systemtheorie, die Kommunikation, und nicht kommunizierende Subjekte, in den Mittelpunkt von Gesellschaft rückt (siehe Habermas' Definition von Kommunikation im entsprechenden Kapitel). In der 1971 erschienenen Auseinandersetzung mit Luhmann ist es bezeichnend, dass Habermas immer wieder von Intersubjektivität spricht und von »ich« und »wir« ausgeht,16 um

14 Luhmann 1984, S. 530. 15 Luhmann (1995/1997a) 2008, S. 413. Vgl. ebenfalls: »Mein Konsens ist Konsens nur in Bezug auf Deinen Konsens, aber mein Konsens ist nicht Dein Konsens, und es gibt auch keinerlei Sachargumente oder Vernunftgründe, die dieses Zusammenfallen (wiederum: aus der Sachdimension heraus) letztlich sicherstellen könnten.«, Luhmann 1984, S. 113. 16 Vgl. Jürgen Habermas (1971b): »Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie? Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann«, in: Jürgen Habermas/ Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 142-290; beispielsweise:

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sich schon sprachlich Luhmanns Theorie, die für ihn »[…] die Hochform eines technokratischen Bewußtseins [darstellt]«,17 entgegenzustellen. Vor dem Hintergrund seines Wunsches, das Projekt der Moderne fortzuführen und die Tradition der Aufklärung fortzuschreiben, sieht er in Luhmanns Systemtheorie eine »[…] uneingestandene Verpflichtung der Theorie auf herrschaftskonforme Fragestellungen, auf die Apologie des Bestehenden um seiner Bestandserhaltung willen.«18 Auch nach Erscheinen von Luhmanns Soziale Systeme 1984, bleibt er bei der Einschätzung, dass »[…] die subjektzentrierte Vernunft durch Systemrationalität abgelöst [wird]. Damit entgleitet der als Metaphysik- und Machtkritik durchgeführten Vernunftkritik, auf die wir in diesen Vorlesungen zurückgeblickt haben, der Gegenstand.«19 Luhmann entgegnet ihm, dass dessen Politisierung von Gesellschaftstheorie Schwächen verdecken soll: »Den nicht unberechtigten Vorwurf, die begrifflichen und methodischen Unzulänglichkeiten einer Theorie der Gesellschaft zu überspielen, gebe ich Habermas zurück; nur daß er die wissenschaftliche Not nicht in die Tugend eines pragmatischen Vorgehens, sondern in die Tugend politischer Diskussion übersetzt.«20

Zu den Schwächen zählt für Luhmann beispielsweise der Umgang mit dem Begriff Herrschaft, der zur Analyse oder auch Kritik der heutigen Gesellschaft ungeeignet geworden sei. Er verweist den Begriff in eine alteuropäische Tradition, in der Dichotomien wie Ganzes/Teil oder Oben/Unten galten, innerhalb derer das eine dem anderen prinzipiell vorgezogen wurde oder für besser erachtet wurde.21 Die heutige Realität sei demgegenüber weitaus differenzierter. Nicht nur hier erweist sich Luhmann als Anhänger von Ideen, wie sie ein Jacques Derrida vertritt, der ebenfalls die Hierarchien bi-

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»Denn kommunikative Erfahrungen mit Personen und Äußerungen machen wir nur auf der Ebene der Intersubjektivität sprachlicher Verständigung.«, ebd., S. 213. Ebd., S. 145. Ebd., S. 170. Jürgen Habermas (1985e): »Exkurs zu Luhmanns systemtheoretischer Aneignung der subjektphilosophischen Erbmasse«, in: ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 444. Niklas Luhmann (1971): »Systemtheoretische Argumentationen. Eine Entgegnung auf Jürgen Habermas«, in: Jürgen Habermas/Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 404. Weitergehend zu erklären ist dies mit der strikten Autonomie der Systeme Politik und Wissenschaft, die wie alle anderen Subsysteme auch nicht ineinander übersetzbar sind; das erinnert an Lyotards Forderung, verschiedene Diskursgenres einander nicht aufzuzwingen. Zu dieser Frage mehr weiter unten. Vgl. ebd., S. 399f.

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närer Oppositionen ablehnt. Luhmanns Betonung der Kontingenz spricht letztlich auch von den Erfahrungen, die Lyotard in Das postmoderne Wissen erörtert – allem voran das Ende der großen Erzählungen, die nach Luhmanns Thesen ebenfalls als kontingente zu bezeichnen wären.22 Die eingangs erwähnte Insistenz auf Differenz führt Luhmann so weit, dass er behauptet, dass Vollständigkeit prinzipiell ausgeschlossen ist,23 was wieder eine Parallele aufweist zu Lyotards Ablehnung des Ganzen und Einen bei Habermas (siehe am Ende des Kapitels zu Habermas). Dennoch sind dies nicht mehr als Parallelen, als Übereinstimmungen in einigen Punkten; spätestens bei der genaueren Betrachtung von Luhmanns Verständnis von Kunst bzw. des Kunstsystems zeigt sich, dass die von den postmodernen Theoretikern zumindest postulierte Präferenz für Pluralität und für die Akzentverschiebung von der intelligiblen Wahrnehmung von Kunstwerken zu einer sensualistischen bei Luhmann kein Äquivalent findet. Denn auch in Bezug auf Kunst steht nicht ihre Wahrnehmung im Mittelpunkt, sondern Kommunikation.24 Damit meint Luhmann gerade nicht Kommunikation über Kunst (in Form von Kunstkritik usw.) – das wäre »wirklich banal«.25 Kommunikation legt er nicht erst auf dieser Metaebene an, sondern direkt auf der des Kunstwerkes: Das Kunstwerk selbst, so Luhmann, ist Kommunikation, und zwar Kompaktkommunikation. »[D]ie Frage ist eben, ob die Kunst nur deshalb gesellschaftlich ist, weil darüber geredet werden kann oder ob die Produktion des Kunstwerkes selbst eine gesellschaftliche Operation ist. […] die Herstellung des Kunstwerkes selbst ist

22 Vgl. eine ähnliche Einschätzung bei Walter Reese-Schäfer (2005): Niklas Luhmann zur Einführung, 5. ergänzte Aufl., Hamburg: Junius, S. 36. Luhmann selbst sieht in Lyotards These vom Ende der Großen Erzählungen wieder einen métarécit, d.h. letztlich ein Paradox. Dazu Luhmann weiter: »Die Letztfundierung in einem Paradox gilt als eines der zentralen Merkmale postmodernen Denkens. Die Paradoxie ist die Orthodoxie unserer Zeit.«, Luhmann 1997, 2. Band, S. 1144. Zu Luhmanns Unterscheidung von Moderne und Postmoderne siehe weiter unten in diesem Abschnitt. 23 Vgl. Luhmann 1997, 2. Band, S. 1118. In diesem Kontext auch: »Die Bestimmung eines Anfangs, eines Ursprungs, einer ›Quelle‹ und eines (oder keines) ›Davor‹ ist ein im System selbst gefertigter Mythos – oder die Erzählung eines anderen Beobachters.«, ebd., 1. Band, S. 441. 24 Vgl., auch für das Folgende, ganz allgemein Luhmann 1995b. Zitiert bzw. verwiesen wird hier zumeist auf die Aufsätze aus der posthum erschienenen Anthologie Luhmann 2008, um die Chronologie der Entwicklung von Luhmanns Gedanken zu Kunst deutlich werden zu lassen; oftmals sind diese Aufsätze in Teilen Wort für Wort in Luhmann 1995b übernommen worden. 25 Niklas Luhmann mit Hans-Dieter Huber ([1990e] 1991): »Interview mit Niklas Luhmann«, in: Texte zur Kunst, vol. I, Nr. 4, Herbst, S. 124.

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eine Kommunikation.«26 Das Kunstwerk ist mitgeteilte Information, die verstanden werden will, d.h. in extenso Kommunikation, die wiederum Kommunikation provozieren will. Kommunikation muss somit nicht ausschließlich über Sprache erfolgen; es gibt eine Alternative, ein »funktionales Äquivalent für Sprache«27, und das sind Kunstobjekte. Um die Chancen auf erfolgreiche, d.h. anschlussfähige Kommunikation zu erhöhen, ist das Kunstsystem, wie jedes andere System auch, binär codiert. Der spezifische Code ermöglicht von vornherein, die laufende Kommunikation unter den zwei Ausprägungen des Codes zu betrachten, bei gleichzeitigem Ausschluss der Codes anderer Subsysteme, sodass die Wahrscheinlichkeit der Annahme der Kommunikation trotz doppelter Kontingenz steigt: »Kommunikationsmedien setzen Kommunikationspartner voraus, die unter dem gleichen Code selegieren. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Selektionsweise des einen zur Annahmemotivation des anderen werden […].«28 Beispiele für Codes sind wahr/unwahr im Wissenschaftssystem, zahlen/nicht-zahlen in der Wirtschaft, rechtmäßig/nicht rechtmäßig im Recht oder persönlich/ unpersönlich in Intimbeziehungen. Im Kunstsystem lautet die binäre Codierung schön/hässlich bzw. stimmig/unstimmig. Hier offenbart sich eine grundlegende Differenz zwischen Luhmann und Derrida, der binäre Oppositionen dieser Art zu überwinden sucht. Doch muss präzisiert werden, dass auch Luhmann die Hierarchisierung, die solcherlei Oppositionen zugrunde liegt, ebenfalls ablehnt. Das gilt auch für den binären Code schön/hässlich bzw. stimmig/unstimmig. Es handelt sich zwar um eine Positiv/NegativCodierung; doch für die Prozessualität von Kommunikation spielt die Ausprägung keine Rolle, solange die Kommunikation fortgesetzt wird – in anderen Worten zählt nicht »[…] der reine Wert der Schönheit, sondern die Disjunktion schön/häßlich […]«.29 Das hat für Luhmanns Verständnis von Kunst weitreichende Konsequenzen, denn Qualität und Qualitätskriterien spielen in seiner Soziologie der Kunst somit keine Rolle; Erfolg und Misserfolg eines Kunstwerks hängen davon ab, ob es als Kunst angenommen worden ist oder nicht: »Nicht die Qualitäten der Kunstwerke wirken demnach auf den Betrachter, sondern ihre Selektivität; nicht die Besonderheit der Qualität, ihre Höhenlage auf einer Skala der Perfektion macht die Schönheit aus, sondern die Steuerung der Selektion im Hinblick auf einen eigenen Se-

26 Niklas Luhmann (1995/1997b): »Die Autonomie der Kunst«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 420. 27 Luhmann (1992) 2008, S. 256. 28 Niklas Luhmann (1976): »Ist Kunst codierbar?«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 36. 29 Ebd., S. 17 (Hervorh. im Orig.). Es ließe sich auch sagen, dass die Ausprägung ›schön‹ ohne das Miteinbeziehen der Ausprägung ›hässlich‹ nicht denkbar ist, dass also – wiederum mit Derridas Worten – der erste Begriff den zweiten, negativ konnotierten braucht.

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lektionsraum […].«30 Die a priori geltenden Codes fungieren als Orientierungshilfe oder auch Filter für die Kommunikation; sie haben demnach nichts mit der Bourdieuschen Definition von Codes gemein, deren Kenntnis dem Rezipienten hilft, ein Kunstwerk entschlüsseln, also verstehen zu können. Die Problematik eines gesteigerten Emissionsniveaus, das ein hohes Rezeptionsniveau verlangt, blendet Luhmann jedoch nicht aus: An mehreren Stellen geht er auf die Bedeutung des guten Geschmacks für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ein und verweist dabei nicht selten direkt auf Bourdieu. Zum Publikum, das über ein hohes Rezeptionsniveau verfügt, merkt er an: »Die Urteilsfähigkeit dieses [kunstspezifischen; D.D.] Publikums, formuliert mit dem Begriff des Geschmacks, wird als natürliche Fähigkeit vorausgesetzt, aber doch schon gesehen als etwas, das man sich in Lektüre oder Salonkonversation oder einfach durch Übung im kritischen Urteilen aneignen muß.«31 Diese Anforderungen werden mit der voranschreitenden Ausdifferenzierung des Kunstsystems immer weiter verschärft.32 Luhmann erläutert dies anhand der Bedeutung von Stil für das Kunstsystem, da auch »[…] der Kunstkenner zunächst einmal Stilkenner sein […]« muss.33 Dem Code stellt Luhmann die Programme gegenüber: Mit den Codes entstehe »[…] ein Bedarf für Entscheidungsregeln, die festlegen, unter welchen Bedingungen der Wert bzw. der Gegenwert richtig bzw. falsch zugeordnet ist. Wir nennen solche Regeln Programme.«34 Diese, und nicht der Code selbst, geben vor, was als schön bzw. hässlich gilt. Im Kunstsystem sind Stilprinzipien, die sich zu Stilepochen verdichten können, dieses Programm (so wie im Recht das Gesetz ›programmiert‹, was als rechtmäßig bzw. unrechtmäßig zu gelten hat). Der Stil als Entscheidungs- und Zuordnungsprogramm verbindet die Kunstwerke untereinander, da er vergangene und zukünftige Kunstwerke in Bezug setzt. »Der Stil eines Kunstwerkes ermöglicht es, zu erkennen, was es anderen Kunstwerken verdankt und was es für weitere, neue Kunstwerke bedeutet.«35 Dazu allerdings muss man wiederum Stile erkennen können, was zur Folge hat, dass sich im Kunstsystem das kunstspezifische, fachkundige Publikum ausdifferenziert.

30 Ebd., S. 20f. 31 Luhmann (1986b) 2008, S. 174. Weitere markante Stellen vgl. ebd., S. 160 und Niklas Luhmann (1996b): »Sinn der Kunst und Sinn des Marktes – zwei autonome Systeme«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 392. 32 »Im Ergebnis wirkt dann die Steigerung der Inklusionsanforderungen als Exklusion.«, Luhmann (1986b) 2008, S. 175. Eine Formulierung, die so oder ähnlich auch von Bourdieu stammen könnte. 33 Ebd. 34 Luhmann 1997, 2. Band, S. 750. Vgl. ebenfalls Luhmann 1995b, S. 328f. 35 Luhmann (1986b) 2008, S. 153.

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Die Ausdifferenzierung solcher Experten ist letztlich ein Merkmal der Autonomie des Systems, denn die Entstehung solcher »Komplementärrollen«36 ist notwendig für die Autopoiesis des Kunstsystems, also seine selbstreferentielle Geschlossenheit, die bedingt (und ermöglicht), dass nur kunstimmanent über Kunst entschieden werden kann. Diese Annahme einer Autonomie der Kunst kritisiert jedoch Hans Zitko: »Die Idee der Autonomie der Kunst gehört in jene Reihe der großen Erzählungen über Gesellschaft und Geschichte, welche die kulturelle Moderne in ihrer Entwicklung begleiteten. Luhmann partizipiert mit seiner Soziologie der Kunst an einem klassischen Mythos, der zu verabschieden ist.«37 Diese Ablehnung begründet sich bei Zitko mit der Radikalität, mit der Luhmann die einzelnen Subsysteme voneinander getrennt sieht, zum Beispiel auch in Bezug auf die Kunst und den Markt im ausgehenden 20. Jahrhundert. Diese Position Luhmanns wird genauer darzustellen und kritisch zu hinterfragen sein, denn sie berührt direkt die hier behandelte zeitgenössische Kunst. Dazu muss zuvor gefragt werden, welche Definition zeitgenössischer Kunst Luhmann bietet: Ist sie zeitlich zu verorten, stilistisch auszumachen oder stellt sie die vorerst letzte Etappe der Ausdifferenzierung des Systems Kunst dar?  Die Antwort hierauf kann nur zweideutig ausfallen, denn einerseits spricht Luhmann an keiner Stelle von zeitgenössischer Kunst. In seinem Vokabular findet sich einzig sogenannte moderne Kunst wieder, die in die Zeit der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft fällt, sprich in die Moderne, deren Beginn Luhmann – wie bereits gesehen – in die zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt. Andererseits bedeutet dies auch, dass überall dort, wo Luhmann von moderner Kunst spricht, dies als Hinweis auf zeitgenössische Kunst zu verstehen ist: Tatsächlich müssen die Thesen ebenso auf zeitgenössische Kunst angewendet werden, da sich nach Luhmann seit der Moderne das Kunstsystem (wie die anderen Systeme auch) nicht mehr grundlegend geändert hat. Darauf deutet beispielsweise der Einschub im Vorwort zu Die Kunst der Gesellschaft hin, in dem Luhmann von der »modernen (manche sagen bereits: postmodernen) Gesellschaft«38 redet, und

36 Vgl. ebd., S. 162 sowie Luhmann 1995b, S. 385f. und 419. Die Ausdifferenzierung dieser Komplementärrollen in Organisationen bzw. Institutionen innerhalb des Kunstsystems bleibt bei Luhmann außer Acht – eine »schreiende Leerstelle in Luhmanns Kunstsoziologie«, vgl. Markus Koller (2007): Die Grenzen der Kunst. Luhmanns gelehrte Poesie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 135. 37 Hans Zitko (1996): »Codierungen der Kunst. Zur Kunstsoziologie Niklas Luhmanns«, in: Gerhard Preyer/Georg Peter/Alexander Ulfig (Hg.) ([1996] 2000), Protosoziologie im Kontext. »Lebenswelt« und »System« in Philosophie und Soziologie, Frankfurt a.M.: Humanities Online, S. 367f. 38 Luhmann 1995b, S. 8. Ebenso: »Selbst im Kunstsystem (Architektur vielleicht ausgenommen) gibt es keine scharfen Epochengrenzen zwischen moderner und postmoderner Kunst.«, Luhmann 1997, 2. Band, S. 1143.

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auch die Tatsache, dass sich Luhmanns Einschätzung moderner Kunst in den zwanzig Jahren, in denen er dazu publiziert (von Mitte der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre) nicht ändert: Die eigentliche Zäsur, auf die er immer wieder zurückkommt, ist die der Romantik. Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems war bereits vollzogen, doch die Romantik ist die Zeit und die Kunst, die die eigene Autonomie erstmals wahrnahm.39 In ihr vollzieht sich der Übergang von der Objektkunst zur Weltkunst; den Unterschied markiert die Position des Beobachtens: Sie verschiebt sich von der Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung, eine Denkfigur, die Luhmann unter anderem wieder aus der Kybernetik übernimmt.40 Moderne wie zeitgenössische Kunst ist Weltkunst, also Beobachtung zweiter Ordnung – dies wird im Folgenden ausgeführt. 1.2. Weltkunst Der Unterschied zwischen Objektkunst und Weltkunst ist der, dass Weltkunst – also Kunst seit der Romantik – immer eine Beobachtung zweiter Ordnung ist. Beobachten ist die zentrale Operation der Luhmannschen Systemtheorie: Sie kommt immer an erster Stelle. Beobachten heißt, einen Unterschied festzustellen; wie bereits oben gesehen ist zum Beispiel auch eine Information immer eine Unterscheidung – diese wahrzunehmen, zu erkennen, heißt, sie zu beobachten. Beobachten heißt gleichzeitig aber auch, einen Unterschied machen: Indem man etwas beobachtet, gerät alles, das nicht beobachtet wird, aus dem Blick. Was man beobachtet, unterscheidet sich sozusagen automatisch von dem nicht Beobachteten. »Beobachtung ist hier ein ganz abstrakter Begriff, der einfach das Treffen einer Unterscheidung meint und die Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite.«41 Die erste Operation lautet – in den Worten George Spencer Browns – draw a distinction! Und damit wird bereits beobachtet. Mit dieser Beschreibung bewegt sich die Beobachtung noch auf der Ebene der ersten Ordnung und unterscheidet, also beobachtet, Objekte. Auf einer darüber liegenden Ebene kann man diese Beobachtung erster Ordnung beobachten und vollzieht damit die Beobachtung zweiter Ordnung. Die Beobachtung zweiter Ordnung beobachtet also Beobachter erster Ordnung. Niklas Luhmann selbst hat das in einer Zeichnung anschaulich dargestellt,

39 Diese Ansicht findet sich ohne Ausnahme in jedem Aufsatz Luhmanns zu Kunst wieder; vgl. grundsätzlich Niklas Luhmann (1996a): »Eine Redeskription ›romantischer Kunst‹«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 353-371. 40 Wenn Luhmann auf die Beobachtung zweiter Ordnung zu sprechen kommt, verweist er stets auf die von Heinz von Foerster vorgestellte Kybernetik zweiter Ordnung sowie George Spencer Brown, aber auch auf die ähnliche, biologisch angelegte Theorie Humberto R. Maturanas. 41 Luhmann (1995/1997b) 2008, S. 425.

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in der sich Kaulquappen, kleine Raketen, Quallen oder Mikroorganismen – auch Niels Werber vermag es nicht zu entscheiden – hinterher schwimmen, fliegen oder jagen und somit beobachten (siehe Abbildung 16).42 »Draw a distinction, beobachte Beobachter« hat Luhmann dazugeschrieben. Indem Beobachter das Beobachten beobachten, wird Beobachtung reflexiv und indem der Beobachter zweiter Ordnung bei der Beobachtung eines Beobachters erster Ordnung in der Lage ist, mitzudenken, dass auch er für einen weiteren Beobachter eine Beobachtung erster Ordnung vollzieht, ist Beobachtung zweiter Ordnung immer auch selbstreflexiv, also Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung. Dies wird für Luhmann zum entscheidenden Merkmal der Moderne. Von zentraler Bedeutung ist allerdings die Bezeichnung von allem, das nicht beobachtet wird, als »blindem Fleck« (Heinz von Foerster) der Beobachtung. Der Beobachter zweiter Ordnung kann sehen, was der Beobachter erster Ordnung nicht beobachtet, was er nicht sieht. Er sieht dessen »blinden Fleck«. Auch das lässt sich immer weiterführen: Der Beobachter dritter Ordnung sieht den blinden Fleck des Beobachters zweiter Ordnung, also was dieser außer Acht lässt, und so weiter. In Luhmanns Zeichnung stehen dafür die Striche um die sich beobachtenden Gestalten – wahrscheinlich die System-Umwelt-Grenze. Was sich jenseits dieser Grenze befindet, also die Umwelt, wird von den Gestalten nicht gesehen. Der zentrale Unterschied zwischen dem Beobachter erster Ordnung und dem zweiter Ordnung ist daher das Wissen um den blinden Fleck. Auch der Beobachter zweiter Ordnung hat blinde Flecke, aber da er die Beobachtung des Beobachters erster Ordnung selbstreflexiv auf sich beziehen kann, kann er aus dem Erkennen der blinden Flecke des ersten Beobachters Rückschlüsse ziehen auf seine eigenen: Keine Beobachtung kann alles beobachten – auch die der zweiten Ordnung nicht. Der Fokus ist auf das Unterschiedene gerichtet. Das, von dem man unterschieden hat – also das Nicht-Unterschiedene, der Raum vor der Unterscheidung (mit Spencer Browns Worten der unmarked state) – bleibt außerhalb des eigenen Sichtfeldes, bleibt nicht sichtbar. Der Referenzcode jedes Subsystems beispielsweise ist dessen blinder Fleck: Der unmarked state (zuweilen auch unmarked space), in dem der Code schön/ hässlich noch nicht gesetzt ist, bleibt im Kunstsystem außer Acht. Das Prinzip der Beobachtung zweiter Ordnung und ihrer blinden Flecke hat weitreichende Konsequenzen – für die Subsysteme, die Gesellschaft, für Luhmanns Systemtheorie (aber auch jede andere Theorie) und für die Kunst. Seit der Romantik, so Luhmann, beobachtet ein Künstler bei seiner Arbeit, was ein weiterer Beobachter an seiner fertigen Arbeit beobachten wird, d.h. der Künstler bezieht die zukünftige Beobachtung des Betrachters mit ein

42 Die Zeichnung, die im November 1990 in der brasilianischen Zeitschrift Então. Jornal de Porte Alegre, Anno I., No. 4 erschienen ist, ist wiederabgedruckt in Luhmann 2008, S. 7. Dazu Niels Werber in: Luhmann 2008, S. 478 in der »Editorischen Notiz«.

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und richtet das Werk danach aus, dass die darin vollzogenen Formentscheidungen vom Betrachter nachvollzogen werden können. Der Kunstrezipient soll verstehen können, wie der Künstler das Werk beobachtet hat, also in und mit ihm Unterscheidungen getroffen hat. Denn künstlerisch arbeiten heißt Unterscheidungen produzieren, und als Betrachter beobachtet man somit »[…] das Einsetzen von Markierungen in einen zunächst leeren Raum oder in eine zunächst leere Zeit. Nichts anderes soll gemeint sein, wenn wir sagen: man beobachtet das Gewinnen von Form.«43 Gemeint ist der Eingriff in den unmarked state: In das Unbestimmte wird eine Unterscheidung eingeführt, womit Form entsteht.44 Von zentraler Bedeutung ist hier die Erkenntnis, dass das Kunstwerk als sichtbarer Vollzug von Formentscheidungen die Aufmerksamkeit auf sich zieht und somit das, wovon unterschieden wird, also die Welt vor der ersten vollzogenen Unterscheidung aus dem Blick gerät bzw. im Nicht-Sichtbaren bleibt: »Nichts anderes ist gemeint, wenn wir festhalten, daß jeder Unterscheidungsgebrauch, jede Form, die Welt als die Einheit des vorausliegenden ›unmarked state‹ (Spencer Brown) sichtbar und unsichtbar macht. Die Welt – das ist der blinde Fleck ihrer Selbstbeobachtung.«45 Die Welt als der blinde Fleck ihrer Selbstbeobachtung heißt jedoch auch, dass Kunst, die eine Beobachtung zweiter Ordnung vollzieht – und daher das Wissen mitbringt, dass keine Beobachtung vollkommen sein kann und

43 Niklas Luhmann (1990c): »Weltkunst«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 194. 44 Form versteht Luhmann mit Spencer Brown als sogenannte Zwei-Seiten-Form: jede Unterscheidung trennt zwei Seiten voneinander, d.h. es entsteht eine Innenund eine Außenseite. Die Form ist diese Unterscheidung. Luhmann argumentiert hier nah an Derridas Verständnis des Ausgeschlossenen als Möglichkeitsbedingung des Ersten bzw. ›Eigentlichen‹: »Form ist immer ›Zwei-Seiten-Form‹, immer Differenz. Nur so wird verständlich, daß Form die Fähigkeit besitzt, das durch sie Unterschiedene lebendig zu machen, und zwar nach beiden Seiten. Selbst wenn man an den Sonderfall der Körperformen denkt, macht Form nicht nur das in sie Eingeschlossene, sondern auch das durch sie Ausgeschlossene lebendig, was nichts anderes heißen soll als: selektiv anschlußfähig.«, Luhmann (1990c) 2008, S. 196. Das erinnert sowohl an die von Derrida formulierte parergonale Struktur des Rahmens, der zum Werk gehört und auch nicht, als auch an die unentscheidbaren, polysemantischen Begriffe (siehe im Kapitel zu Derrida die dortige Fußnote 8). Zu den Parallelen zwischen Dekonstruktion und Luhmanns Verständnis der Beobachtung zweiter Ordnung generell vgl. Niklas Luhmann (1993b): »Deconstruction as Second Order Observing«, in: New Literary History, vol. 24, Nr. 4, S. 763-782. 45 Luhmann (1990c) 2008, S. 202. Anders formuliert heißt es zuvor: »Die Markierung einer Form macht gerade das unsichtbar, was als Einheit einer Unterscheidung vorausgesetzt sein muß. Denn Beobachten ist nur als Bezeichnung der einen (und nicht der anderen) Seite der Form möglich.«, ebd., S. 198.

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automatisch blinde Flecke mit sich bringt – mit dem Sichtbaren bzw. dem Sichtbar-Werdenden auch das Wissen um das Nicht-Sichtbare bzw. das Unsichtbar-Werdende mit sich führt. Anders gesagt: Moderne Kunst ist sich der Unsichtbarkeit, der Unbeobachtbarkeit der Welt vor der ersten Formentscheidung, der Welt, in die noch keine Differenz eingeführt ist, bewusst und kann dieses Wissen in die Formentscheidungen mit einfließen lassen. Diese Form von Weltkunst thematisiert die sich per se entziehende Welt46 und öffnet damit den Blick für ›andere Welten‹, also dafür, dass unsere ›Welt‹, unsere Realität, so wie sie sich uns darstellt, nur eine mögliche unter anderen Möglichkeiten ist, dass sie kontingent ist. Kunst lässt, so Luhmann: »[…] Realität doppelsinnig werden. Sie spaltet die Realität durch ihre Form, so daß im Effekt zwischen zwei Seiten unterschieden werden kann: zwischen der realen Realität und der fiktionalen Realität. […] Die reale Realität wird zum normalen Alltag, zum Bereich der vertrauten Erwartungen. Die fiktionale Realität wird zum Bereich der Reflexion anderer (unvertrauter, überraschender, nur artifiziell zu gewinnender) Ordnungsmöglichkeiten.«47

Genau das ist die Funktion der Kunst für die Gesellschaft: Sie ermöglicht einen freien, abstrahierenden Blick auf die »reale Realität« und zeigt andere, mögliche Realitäten auf. Damit stellt sie die Notwendigkeit der realen Realität infrage und weist diese als kontingente aus – dabei ist sie gleichzeitig der sichtbare Beweis dafür, dass trotz der vielen Möglichkeiten, trotz Kontingenz, Ordnung möglich ist. Bis zu diesem Punkt sind viele Parallelen zu poststrukturalistischen, auch postmodernen Theorien deutlich, und dabei nicht nur zu Derrida. Beschäftigen sich alle drei vorab diskutierten Autoren mit dem sich dem Menschen und seiner Wahrnehmung Entziehenden, das in der Kunst zwar nie ganz, aber besser als irgend sonst zur Darstellung kommen kann (sei es das Undarstellbare, das Unsichtbare oder das Unsagbare), so ist – worauf bereits mehrfach hingewiesen wurde – die gedankliche Nähe zu Derrida am deutlichsten; die sprachliche Nähe hingegen ist am offensichtlichsten zu Deleuze: Luhmann spricht von »Kunst als Sichtbarmachen des Unsichtbaren«48, so wie Deleuze das Sichtbarmachen unsichtbarer Kräfte in und durch die Kunst zum Thema hat. Und wenn Luhmann erklärt: »Wenn die Unterscheidung einmal gemacht und die Autonomie des Systems damit konstituiert ist,

46 Der Luhmann-Schüler Peter Fuchs beschreibt dies treffend als ein Zulaufen auf einen Horizont, der sich mit jedem Schritt verschiebt, vgl. Peter Fuchs (1990): Die Welt, die Kunst und soziale Systeme. Die Kulturtheorie von Niklas Luhmann, Köln: FernUniversität Hagen: Polyphonia, S. 43. Dieses Bild verdeutlicht einmal mehr die Nähe zu Derridas Dekonstruktion, welcher – wie gesehen – eine fortwährende (Bedeutungs-, Sinn-)Verschiebung bzw. ein Aufschub zugrunde liegt. 47 Luhmann (1990c) 2008, S. 199. 48 Ebd., S. 201.

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kann man nicht mehr zurück in den ›unmarked state‹ […]«49, erinnert das auch an das Virtuelle bei Deleuze, an das Vorgängige, das Ununterscheidbare, das MAN (siehe das Kapitel zu Deleuze).50 Den Denkfiguren von Lyotard, Deleuze und Derrida lässt sich Luhmanns Unbeobachtbarkeit der Welt hinzufügen. Das Prinzip der Beobachtung zweiter Ordnung bedeutet, wie Rudolf Stichweh zusammenfasst: »[…] daß es nicht mehr darum gehen kann, sich einen unmittelbaren Zugang zur Realität zu verschaffen, daß vielmehr Beobachter andere Beobachter beobachten und alle Beobachtung sich daran orientiert, was andere beobachtet haben und ob man sich daran anschließen oder davon absetzen will.«51 Die logische Parallele zur Kunst lautet, dass auch in der Kunst Realität nicht unmittelbar zugänglich gemacht werden kann: »Wir verstehen unter ›Weltkunst‹ nicht eine Kunst, die die Welt auf überlegene Weise repräsentiert, sondern eine Kunst, die die Welt beim Beobachtetwerden beobachtet […].«52 In der Konsequenz funktioniert moderne Kunst (hier Weltkunst), wie schon zuvor bei Lyotard, Derrida und Deleuze gesehen, nicht mehr als Mimesis, sie entspricht und folgt nicht mehr dem klassischen Prinzip der traditionellen Repräsentation. Demgegenüber muss hier wiederholt werden, dass für Luhmann – und nun im Unterschied zu den drei genannten Autoren – Kunst Kommunikation ist.53 Kunst mag die nur mittelbare Beobachtung einer Beobachtung sein, die letztlich mehr verschleiert, als enthüllt – dennoch ist Kunst insofern kommunizierbar, als sie selbst als Kompaktkommunikation zu verstehen ist. Bei Deleuze war zu erfahren, dass Kunst als Kommunikation zum Scheitern verurteilt ist (siehe das entsprechende Kapitel) und auch Derridas Konzeption von Kunst bezeichnete Kunst als Unübersetzbares, d.h. letztlich nicht Kommunizierbares. Wenn auch »Kommunikation über Inkommunikables«54, zeigt sich bei Luhmann aber doch eine größere Nähe zu Habermas, mit dem er das insZentrum-Rücken von Kommunikation teilt – wenngleich von verschiedenen Ansätzen aus.

49 Ebd., S. 242. 50 Was Lyotard betrifft, wurde die eindeutigste Parallele in Bezug auf dessen und Luhmanns Ablehnung von Konsens als Kommunikationsvoraussetzung bereits behandelt. 51 Rudolf Stichweh (1999): »Niklas Luhmann (1927-1998)«, in: Dirk Kaesler (Hg.) (2002), Klassiker der Soziologie, 2. Band, 3. Aufl., München: C.H.Beck, S. 217f. 52 Luhmann (1990c) 2008, S. 239. Vgl. auch ebd., S. 213. 53 Luhmann bejaht Dirk Baeckers Frage, ob er sich vorstellen könne, den Grundbegriff Mimesis gegen einen Grundbegriff Kommunikation in der ästhetischen Theorie auszuwechseln, vgl. Niklas Luhmann/Frederick D. Bunsen/Dirk Baecker (1990d): »Das Kabelkalb. Ein Gespräch über Kunst«, in: dies. (1990b): Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur, Bielefeld: Haux, S. 61. 54 Luhmann (1986b) 2008, S. 187.

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Besonders deutlich werden die Unterschiede zu allen anderen, hier vertretenen Theoretikern, wenn man Luhmanns Texte bzw. Aussagen zu konkreten Kunstwerken oder Künstlern betrachtet. Eigenständige Texte hat Luhmann nur zum 1952 in den USA geborenen Frederick D. Bunsen verfasst, der als abstrakter Maler und Installationskünstler arbeitet. Bunsen kommt früh nach Europa, wo er lange Jahre in Deutschland arbeitet; 1986 freundet er sich mit Niklas Luhmann an55 und publiziert mit ihm und Dirk Baecker 1990 Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur, worin sich der Aufsatz »Weltkunst« von Luhmann befindet, aus dem hier bereits mehrfach zitiert worden ist (aus dem Wiederabdruck von 2008), außerdem Bilder von Arbeiten Bunsens, ein Gespräch zwischen Luhmann, Bunsen und Baecker sowie ein Aufsatz von Baecker. In »Weltkunst« bezieht sich Luhmann mehrfach auf Bunsen, ohne jedoch konkret auf dessen Werke einzugehen und meistens in Fußnoten.56 Etwas genauer wird Luhmann im Gespräch, in dem er auf die Installation Kabelkalb von 1989 von Bunsen eingeht, eine Form zusammengesetzt aus Teilen einer Dachantenne und Draht, die sich wie zu einem Skelett ineinanderfügen (siehe Abbildung 17).57 Hieran verdeutlicht Luhmann die Funktion von moderner Kunst, die für ihn darin besteht aufzuzeigen, »[…] wie aus Kontingenz Ordnung entsteht.«58 Denn mit dem Kabelkalb selbst wird nicht »[…] irgendeine Aura, irgendeine besondere Bedeutung [verbunden], sondern nur die Kombinatorik selbst als etwas, was auch anders sein könnte, [nachvollziehbar].«59

55 Laut eigener Aussage im Lebenslauf, einzusehen als PDF-Datei über die offizielle Homepage, vgl. Frederick D. Bunsen (o.J.): »Lebenslauf und künstlerischer Werdegang«, S. 2, URL: http://www.spacetime-publishing.de/person/2010-Ger man.pdf, letzter Zugriff: 25.10.2010. 56 Luhmann (1990c) 2008, S. 193, 206, 233. 57 Abbildung in Luhmann (1990c) 2008, S. 207. Im Originalabdruck auf Seite 19. Luhmann erwähnt die Arbeit in »Weltkunst« zwar, doch der Zusammenhang erschließt sich – nicht zuletzt aufgrund der paradoxalen Logik des Satzbaus – kaum: »Superposition erzeugt Trennung und Konfusion zugleich. Superposition kann, wie Abbildung I zeigt, auch zur Zentrierung eines Kunstwerks benutzt werden, wenn die gemeinsame Seite einer Vielzahl von Unterscheidungen dadurch sich mit Bedeutung auflädt.«, ebd., S. 206. 58 Luhmann (1992) 2008, S. 257. 59 Luhmann/Bunsen/Baecker 1990d, S. 59. (Im Übrigen ist dieses Gespräch nicht in Luhmann 2008 aufgenommen worden.) Das Zitat verrät eine Ablehnung der Aura-Idee von Benjamin, wobei auch schon der Aufsatztitel »Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst« von 1986 die Gedanken Benjamins zur technischen Reproduzierbarkeit von Kunst dahingehend kritisiert bzw. präzisiert, dass Kunst im radikalsten Sinne selbstgenügsam ist – und sie die technische Reproduzierbarkeit weder braucht, noch von dieser gleichsam von außen bedroht wird. Im Gespräch selbst diskutieren die Teilnehmer allerdings den Begriff des Erhabenen von Lyotard, den Luhmann weitgehend infrage stellt: »Kann man denn in

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In den Texten, die Luhmann ausschließlich Bunsen widmet und die beide nach »Weltkunst« erscheinen (1993 und 1995), führt Luhmann einen wichtigen Aspekt seiner Überlegungen zu Kunst aus: die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Die notwendige Selbstreferenz (notwendig, da Selbstreferentialität Merkmal und Garantie der Autonomie des Systems ist) ist angewiesen auf Fremdreferenz, denn »[…] das ›Selbst‹ kann nur bezeichnet werden, wenn man es von etwas anderem unterscheidet.«60 Im späteren Text »Schwarze Löcher schwarze Kleckse. …Die Farbe Schwarz allein kann das wohl nicht entscheiden« (1995) behandelt Luhmann abstrakte Malereien Bunsens, auf denen in expressionistischem Stil und schwarz auf weiß breite und dünne Pinselstriche, Klecksen ähnlich, zu sehen sind. Luhmanns Aussage nach experimentiert Bunsen hier mit schwarzen Löchern, sodass die schwarzen Kleckse folglich nicht abstrakt zu verstehen sind. Unabhängig davon, ob es sich um Kleckse oder schwarze Löcher handelt, beide, so Luhmann: »[…] verweisen auf etwas außerhalb des Bildes, auf etwas, was im Bild selbst nicht zu sehen ist.«61 Ganz nach dem Prinzip von Weltkunst, die eine Beobachtung zweiter Ordnung ist, verweist die künstlerische Form immer auch auf das, wovon sie unterschieden wird. Als Zwei-Seiten-Form muss das Bild beides, die Innen- und die Außenseite, in sich vereinen, in anderen Worten: die Selbstreferenz und die Fremdreferenz. Was diese Fremdreferenz sein könnte, zeigt sich deutlicher im Text von 1993, »›Ohne Titel‹ – wie so? ›…die andere Seite der Selbstreferenz, die Fremdreferenz‹«, in dem sich Luhmann mit der Bezeichnung »ohne Titel« auseinandersetzt, die viele Bilder Bunsens tragen bzw. auch auf eine von Bunsen herausgebrachte Zusammenstellung von Texten zu Kunst verweist.62 Hier äußert Luhmann die These, dass sich Selbstreferenz

einer Galerie herumgehen und sagen: dieses Bild ist erhaben und dieses ist nicht erhaben? […] Es sind Abwehrbegriffe für Beliebigkeit, aber wenn man Kunstwerke anschaut, sind sie alles andere als beliebig.«, ebd., S. 66. Die Grundidee, dass in der Kontingenz Ordnung (also Nicht-Beliebigkeit) möglich ist, überträgt Luhmann hier auch auf das Action Painting. Anders als für Deleuze also, für den Action Painting »Katastrophen-Malerei« ohne Begrenzung und Kontur war (siehe dazu das Kapitel zu Deleuze), ordnet diese Malerei für Luhmann Kontingenz und lässt Formentscheidungen für den Betrachter nachvollziehbar werden. 60 Luhmann (1996b) 2008, S. 394. 61 Niklas Luhmann (1995a): »Schwarze Löcher schwarze Kleckse. …Die Farbe Schwarz allein kann das wohl nicht entscheiden«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 294. 62 Niklas Luhmann (1993a): »›Ohne Titel‹ – wie so? ›…die andere Seite der Selbstreferenz, die Fremdreferenz‹«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 296-298. Die von Bunsen herausgegebene Publikation, die in diesem Text allerdings nicht erwähnt wird, ist: Frederick D. Bunsen (Hg.) (1988): »ohne Titel«. Neue Orientierungen der Kunst, Würzburg: Echter

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und Fremdreferenz im modernen Kunstsystem, das exemplarisch für die moderne Gesellschaft steht, in die Zeitdimension verschoben haben: »Jede Selbstreferenz erfordert aber auch, anders könnte sie sich selbst nicht unterscheiden, eine dazu passende Fremdreferenz, also einen Hinweis auf etwas Unverfügbares. Das Unverfügbare par excellence aber ist das Vergangene. […] Der Vergangenheitsindex markiert die Anwesenheit des Abwesenden [siehe denselben Gedanken bei Derrida; D.D.]; ja die Neuheit selbst könnte ohne diesen Hinweis gar nicht als neu erscheinen.«63

Das gilt, wie Luhmann expliziert, nicht nur für die Romantik, sondern gerade auch für die Avantgarde und die Postmoderne. Da moderne Kunst ihre Fremdreferenz in Richtung Vergangenheit und ihre Selbstreferenz in Richtung Zukunft verlagert und dem Künstler nur die Gegenwart als Zäsur zwischen beidem bleibt, ist ein Interesse an zeitlosen Kunstwerken nur konsequent. Mit einem generellen Verweis auf die Arbeitsweise Bunsens erläutert Luhmann, dass damit nicht zeitlose Kunstwerke im Sinne der Alltagssprache gemeint sind, sondern solche, die tatsächlich im Entstehen bereits verschwinden, zum Beispiel Performances, die – wieder ganz im Sinne Derridas – »[…] aber trotzdem photographiert werden, um in dieser Spur ihrer Abwesenheit noch anwesend bleiben zu können.«64 Luhmann variiert diese Gedanken mit dem Begriff des »redescription«, den er von der Künstlergruppe Art & Language übernimmt. Wie in der Einleitung zu Luhmann erwähnt, handelt es sich bei Art & Language um eine britische Künstlergruppe mit wechselnden Mitgliedern, die zur Konzeptkunst gezählt wird, da sie den Diskurs über Kunst ins Zentrum ihrer Kunst rückt – oftmals ohne dabei ein Kunstwerk entstehen zu lassen. Auch Luhmann rekurriert nicht auf ein bestimmtes Werk, sondern auf einen theoreti-

Verlag. (Darin findet sich auch Luhmanns »Das Medium der Kunst« von 1986 wiederabgedruckt auf den Seiten 61-71.) 63 Luhmann (1993a) 2008, S. 296f. Man müsste Luhmanns Hervorhebung der Bedeutung von Zeit, auf die er immer wieder in den verschiedenen Aufsätzen zurückkommt, mehr Zeit widmen, vor allem im Vergleich zur Bedeutung von Zeit bei Lyotard und Deleuze. Das würde allerdings im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen. 64 Ebd., S. 298. Luhmann nennt auch hier keine konkreten Beispiele, aber in Luhmann/Bunsen/Baecker 1990b, S. 46f. sind ebensolche Fotografien zu sehen: Leonberger Performance von 1988, in der Bunsen auf eine durchsichtige Glasscheibe malt und von der anderen Seite aus dabei beobachtet – und fotografiert – werden kann. Wenn das Vergangene – also auch vergangene Kunstwerke – die Fremdreferenz des jeweiligen Kunstwerkes ist, von dem es sich unterscheidet und damit erst selbst bezeichnen kann, ist hier von Interesse anzumerken, dass vor Bunsen 1951 bereits Jackson Pollock durch eine Glasscheibe beim Malen gefilmt worden ist.

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schen Aufsatz, durch den er das »redescription«-Konzept kennenlernt.65 Es passt zu den Konsequenzen aus Luhmanns Konzept der Verlagerung der Fremdreferenz in die Vergangenheit: »Die vergangene Kunst ist nicht mehr Vorbild, Muster, nicht mehr ein Reservoir von paradigmata, von exempla. Sie bietet statt dessen die Möglichkeit einer externen Referenz, die mit der Autonomie des Systems nicht interferiert. Die vergangene Kunst ist Geschichte geworden. Das verbietet die simple Wiederholung der Werke oder ihrer Machart.«66

Redescription bedeutet bei Art & Language genau das: Wiederbeschreibungen von Kunstwerken, die es immer wieder verändern, d.h. auch Neubeschreibungen sind. Anders formuliert wird hier erneut eine Parallele zu Deleuze und Derrida erkennbar, die jede Wiederholung als Differenz bzw. Verschiebung verstehen. An dieser Stelle lassen sich Luhmanns Thesen zu moderner Kunst ausweiten hin zu seinen Überlegungen zu dem, was als zeitgenössische Kunst bezeichnet werden kann. In der Kunst des 20. Jahrhunderts wird nämlich eine zunehmende »Disbalancierung«67 in Richtung Selbstreferenz sichtbar, also eine Bevorzugung von Selbstreferenz gegenüber Fremdreferenz. Als Fremdreferenz, also als Zusammenhang zu vergangenen Kunstwerken, fungiert der Stil, d.h. die Geschichte der Kunst, die Tradition, der Formenkanon oder auch Kunstdogmatiken. Wenn die Bedeutung der Fremdreferenz immer weiter zurückgedrängt wird, bedeutet das eine verstärkte Beschäftigung der

65 Der Aufsatz, auf den Luhmann in verschiedenen Texten und in Die Kunst der Gesellschaft verweist, ist: Michael Baldwin/Charles Harrison/Mel Ramsden (1994): »On Conceptual Art and Painting, and Speaking and Seeing: Three Corrected Transcripts«, in: Art-Language New Series, Nr. 1, Juni, S. 30-69. Im Übrigen geht der direkte Austausch zwischen Luhmann und Art & Language trotz der Tagung und Publikation Art & Language & Luhmann nicht viel weiter. Die Tagung bezeichnet der Veranstalter als »Theorie-Installation« in dem Sinne, dass sich sowohl Luhmann als auch Art & Language mit dem »totalen Reflexivwerden« der Kunst beschäftigen. Die Tagung führt performativ die »Implosion der Kunst in den Diskurs« vor, doch zumindest die Publikation bietet nicht mehr als die Zusammenstellung relativ unabhängiger Texte (die Vermutung liegt nahe, dass die Diskussionen gerade diesen Austausch geboten haben, von dem allerdings keine Spur geblieben ist); vgl. Christian Matthiessen (1997): »Einleitung«, in: Institut für soziale Gegenwartsfragen, Freiburg i.Br./Kunstraum Wien (Hg.), Art & Language & Luhmann, Wien: Passagen Verlag, S. 15-20. Die Vorträge von Luhmann: »Ausdifferenzierung der Kunst« und »Die Autonomie der Kunst« sind in Luhmann 2008 wiederabgedruckt auf den Seiten 401-415 bzw. 416-427. 66 Luhmann 1995b, S. 489 (Hervorh. im Orig.). 67 Vgl. ebd., S. 467. Weiter vgl. ebd., S. 471.

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Kunst mit sich selbst – Kunstwerke werden zu angewandter Kunsttheorie. Eine Entwicklung, in der es mehr und mehr nicht auf die Art der Information ankommt, sondern auf die Form der Mitteilung: »Wenn keine Formtradition mehr bindet, aber jede als (noch erkennbares) Zitat verfügbar bleibt, kommt alles darauf an, wie es zusammengebastelt wird. Der zunehmend radikale Bruch mit der Tradition heißt für die Kunst zunächst einmal: Irritation, Formensuche, Entscheidungszwang und mit all dem: Primat der Selbstreferenz. Kunst zitiert sich dann selbst, sie optiert für Stilelemente, nur um die Option in der Option wieder aufzunehmen und andere Stile mitzuberücksichtigen, so daß das Kunstwerk selbst dokumentiert, daß die Stilwahl eine Wahl ist.«68

Dieses paradoxe um-sich-selbst-Kreisen der Kunst interpretiert Luhmann allerdings nicht in Richtung eines Endes der Kunst. Das Ende der Kunst wird zwar als Möglichkeit reflektiert – aber gerade weil es innerhalb des Kunstsystems und in Kunstwerken als Selbstnegation reflektiert wird, handelt es sich laut Luhmann um eine Fortführung der Prozessualität von Kunstkommunikationen. Der im oben stehenden Zitat erwähnte »Bruch mit der Tradition« ist tatsächlich inhärenter Bestandteil der Fortführung von Kunst, insofern Kommunikation nur entlang neuer Kunstwerke geführt werden kann. Ein Kunstwerk muss neu sein, originell, es muss überraschen, ansonsten provoziert es keine Kommunikation. Würde Kommunikation nur entlang von Bekanntem stattfinden, würde sie mit der Zeit auslaufen, sterben (vor Langeweile!) und in der letzten Konsequenz wäre denkbar, dass dann das Kunstsystem zusammenbräche. Über diesen systeminternen Druck, Neues produzieren zu müssen, hat sich Luhmann bereits sehr früh Gedanken gemacht und dazu Thesen entwickelt, die zeitgenössische Kunst unter diesem Gesichtspunkt tatsächlich viel präziser beschreiben, als es bei den übrigen Autoren hier bislang zu finden war – und das obwohl Luhmann stets von sogenannter moderner Kunst spricht und immer wieder Kunst der Romantik, Avantgarde und Postmoderne gleichsetzt.69 Schon 1976 spricht Luhmann vom »immer höheren Umschlagstempo«70 und 1986 erreicht seine Analyse den Stand, den sie auch in allen weiteren Texten zu Kunst beibehalten wird: Der »Neuheitsanspruch«71 führt zu einer Eigendynamik im Kunstsystem, denn Neues – d.h. seit dem 17. Jahrhundert Abweichendes – wird

68 Ebd., S. 484f. 69 Vgl. ebd., S. 489. Ebenfalls grundsätzlich: »Unsere Analysen haben keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, daß irgendwann in diesem Jahrhundert, vermutlich in dessen zweiter Hälfte, eine Epochenzäsur zu beobachten wäre, die das Gesellschaftssystem selbst betrifft und es rechtfertigen könnte, einen Übergang von der modernen zu einer postmodernen Gesellschaft zu behaupten.«, Luhmann 1997, 2. Band, S. 1143. 70 Luhmann (1976) 2008, S. 28. Vgl. auch S. 30. 71 Luhmann (1985c) 2008, S. 120.

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normal und muss immer weiter getrieben und übertrieben werden, um noch zu überraschen. Dem »Originalitätspostulat«72 folgt eine die Kunstproduktion generell beherrschende »Abweichungstendenz«.73 Stile lösen sich in immer kürzeren Abständen ab – so droht eine Inflation der Produktion des Neuen: »Das Tempo des Stilwechsels führt vor die Frage, ob sich die Kunst auf diese Weise zu Ende verändern könnte.«74 1986 möchte sich Luhmann noch auf keine genaue Antwort festlegen. Es sei allerdings Voraussetzung, »[…] daß die Differenz von ›in‹ und ›out‹ [die Codierung der Mode; D.D.] die Differenz von ›schön‹ und ›häßlich‹ nicht völlig verdrängt.«75 In Die Kunst der Gesellschaft (also 1995) scheint ihm hingegen gesichert, dass trotz des Formverbrauchseffekts, dem sich die Kunst aussetzt, Tag für Tag die These widerlegt werde, dass die Kunst »[…] im ›posthistoire‹ überhaupt keine Zukunft habe.«76 Luhmann sieht in der Forderung nach immer Neuem zwar durchaus eine Gefahr für die Kunst, doch seiner Beobachtung nach dreht sich das »Kunstkarussell«77, das einem permanenten Beschleunigungsdruck unterliegt, immer weiter. Diese Einschätzung lässt sich auch dadurch erklären, dass Luhmann die Autonomie des Systems abhängig macht von der alleinigen Gültigkeit seiner Codierung: Das Kunstsystem mag sich Orientierung holen bei anderen Codierungen wie neu/alt (Mode, Massenmedien) oder zahlen/nichtzahlen (Wirtschaft), doch letztendlich entscheiden doch Kunstsystem-interne Faktoren wie die eigene Codierung und die Programme über die Kunst – also über sich selbst. An der Autonomie des Kunstsystems lässt Luhmann keine Zweifel: »Ich sehe Autonomie […] nicht als etwas, das mehr oder weniger da sein kann, sondern als etwas, das entweder ist oder nicht ist. Wenn man Kunst im Hinblick auf andere Kunst als Kunst erkennt, also Werke als Kunst erkennt, weil sie anders sind als andere Werke oder weil sie ein geschichtliches Gespräch führen mit vorhandenen Stilen und mit anderen Stilen, innovativ sein sollen, müssen oder wollen, dann ist die Autonomie der Kunst gegeben.«78

Genau an diesem Punkt stellt sich allerdings die Frage nach den blinden Flecken der Luhmannschen Systemtheorie. Ist die Trennung des Kunstsystems beispielsweise vom Wirtschaftssystem so konsequent, wie es Luhmann vorschlägt? Und wo bleibt – auch wenn Luhmann selbst betont, dass Kommunikationen und nicht Subjekte Gesellschaft konstituieren – der Künstler

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Luhmann (1986b) 2008, S. 157. Ebd., S. 177f. Ebd., S. 183. Ebd. Luhmann 1995b, S. 77. Fuchs 1990, S. 16. Luhmann mit Huber (1990e) 1991, S. 130.

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in all diesen Fragestellungen? Das Beobachten von Luhmanns Thesen zu Kunst ermöglicht einerseits, diese blinden Flecke zu sehen und aufzuzeigen. Andererseits verweist die Beobachtung der Beobachtung des Kunstsystems auf die Beobachtung dritter Ordnung und erlaubt eine Auseinandersetzung mit dem Stellenwert von Kunsttheorien bei Luhmann. Auf diese Aspekte wird im folgenden Abschnitt eingegangen. 1.3. Blinde Flecke »Die Abstraktheit dieser Überlegungen zeigt an, daß wir uns bereits auf der Ebene des Beobachtens bzw. Beschreibens dritter Ordnung befinden, nämlich mit der Formulierung einer Theorie befaßt sind, deren Gegenstand das Beobachten von Beobachtungen ist.«79

Luhmann beschreibt, inwiefern erst Theorien (hier: ästhetische), die sich auf der Ebene der Beobachtung dritter Ordnung bewegen, in der Lage sind, die Codes, mit denen die Beobachter erster und zweiter Ordnung operieren, zu erkennen. Ob schön/hässlich, stimmig/unstimmig oder auch passend/ unpassend – die Einsicht, dass die Arbeit am Kunstwerk »unbestritten«80 binär codiert ist, kann nur die Beobachtung dritter Ordnung bieten. Auf einer Ebene der Beobachtung vierter Ordnung (doch wie schon die von Luhmann gezeichneten Kaulquappen verdeutlicht haben: da auch Beobachtungen zweiter Ordnung für einen neuen Beobachter eine Beobachtung erster Ordnung darstellen, würde es im Grunde reichen, auch hier von einer Beobachtung zweiter Ordnung zu sprechen) ist ein Beobachter der Luhmannschen Systemtheorie, die hier unter dem Aspekt der kunsttheoretischen Ansätze betrachtet wird, in der Lage, eben diese »unbestrittene« binäre Codierung zu hinterfragen. Gerade in Bezug auf Kunst ist zweifelhaft, ob diese Form von 1/0-Codierung nicht zu reduktionistisch ausfällt in einem Bereich, der von Ambivalenzen und Unbestimmtheiten (und zwar nicht nur des unmarked space, sondern eben auf der Seite des marked space) geprägt ist. Luhmann verweist selbst auf das von der Systemtheorie ausgeschlossene Dritte, indem er sich auf Michel Serres' Konzept des »Parasiten« bezieht.81 Trotzdem hält er an der binären Codierung aller Systeme fest. So bleibt of-

79 Niklas Luhmann (1986a): »Das Medium der Kunst«, in: ders. (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 136f. Das Zitat wird weiter unten direkt weitergeführt, siehe Fußnote 110. 80 Vgl. Luhmann (1990c) 2008, S. 222. 81 Vgl. Luhmann 1995b, S. 493. Vgl. auch Michel Serres ([1980] 1987): Der Parasit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Was eine mögliche Sonderstellung von Kunst in der Gesellschaft anbelangt, sieht Luhmann »[gegen] Adorno gewendet« keine »Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber«, keine »Gegenposition zur Gesellschaft«, sondern eine »Verselbständigung in der Gesellschaft«, als »Vollzug von Gesellschaft«, vgl. Luhmann (1986b) 2008, S. 142 (Hervorh. im Orig.).

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fen, wie es zum Beispiel noch vor der Kunstsystem-internen Unterscheidung von schön/hässlich zur Unterscheidung von Kunst/nicht-Kunst kommt.82 Und wenn er ein Kunstwerk als gelungen betrachtet, wenn es sich als anschlussfähig erwiesen hat (d.h. als Kunst erkennbar ist), bleibt die Frage nach der Qualität eines Kunstwerks weiter ungeklärt. Luhmann spricht vom »Anschlußzwang«83, unter dem die Kunst steht, damit sie als Kunst erkannt wird (d.h. als Kunst von nicht-Kunst bzw. Sonstigem unterschieden wird) und er steht der Entwicklung in der jüngsten modernen Kunst kritisch gegenüber, in der »mit vollständigem Verzicht auf kunstwerkinterne Signale«84 experimentiert wird, weil es dann manche Betrachter ablehnen werden, »[…] der Anweisung, es für Kunst zu halten, zu folgen […]«.85 Das kann problematisch sein – doch so, wie Kommunikation nicht zwangsweise auf Konsens ausgerichtet ist, kann ein Kunstwerk gelingende Kommunikation zu unterlaufen suchen, indem es den Betrachter nicht nur über die Ausprägung der Codierung (stimmig/unstimmig) im Unklaren lässt, sondern auch generell über die anzuwendende Codierung (Kunst/nicht-Kunst? Information/nicht-Information? Funktionsfähiger Gebrauchsgegenstand/nicht-funktionsfähiger Gebrauchsgegenstand?). Die Tatsache, dass Luhmann diese »Experimente« in Zweifel zieht und dass er Kunst als Weltkunst postuliert, zeigt eine Präferenz für bestimmte Tendenzen in der Kunst (und die Ablehnung von anderen), die nicht ganz in das neutral gemeinte ja/nein-Schema der Systemtheorie passen will. Die binäre Codierung ist nicht der einzige blinde Fleck Luhmanns. Im Mittelpunkt seiner Systemtheorie steht Kommunikation. Wir haben weiter oben bereits gesehen, inwiefern dieser Ausgangspunkt, der vom Subjekt absieht, zu Kontroversen, zum Beispiel mit Habermas, geführt hat. In Luhmanns Ausführungen zum Kunstsystem ist die logische Parallele ein Absehen vom Künstler. Das mag konsequent sein, ist aber auffällig im Vergleich zu den übrigen hier besprochenen Autoren, die Künstler größtenteils als Schöpfer verstehen oder die zumindest ihre künstlerische Arbeit, wenn diese ihrer Meinung nach gelungen ist, äußerst hoch schätzen. In diesem Kontext fällt erneut ins Auge, dass sich Luhmann mit nur sehr wenigen Künstlern auseinandersetzt und kaum auf konkrete Werke oder Stilelemente bestimmter Epochen eingeht. Wir haben ebenfalls gesehen, dass Luhmann künstlerische Arbeit mit dem Produzieren von Unterscheidungen gleichsetzt. Unterscheidungen treffen heißt beobachten, und so ist der Künstler genauso ein Beobachter des Kunstwerks wie der spätere Betrachter. Die Unterscheidung von

82 Die grundlegende Ausgangsunterscheidung rückt Luhmann, wie Paetzel anmerkt, in die Nähe von Adorno, vgl. Paetzel 2001, S. 175 in der Fußnote 197. 83 Vgl. Luhmann (1976) 2008, S. 39. 84 Vgl. Luhmann 1995b, S. 478. 85 Vgl. ebd., S. 479.

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Produktion und Rezeption, die für eine Soziologie der Kunst üblicherweise wesenhaft ist, fällt bei Luhmann weg: »Der Künstler ist daran [an der Herstellung des Kunstwerks; D.D.] als Beobachter beteiligt. Daß er auch Handgriffe beisteuern muß und Handgriffe bis zu einer unbewußten Automatik des Könnens beherrschen muß, widerspricht dem nicht. […] Deshalb sind Künstler und andere Betrachter auch nicht so unterschiedlich disponiert, wie man annehmen könnte, wenn man die Produktion/Konsum-Unterscheidung zugrunde legen würde oder im Stile des 19. Jahrhunderts das künstlerische Genie mit Verachtung für alle anderen am Werke sieht.«86

Künstler sind keine »genialen Individuen«87, sondern, ganz im Gegenteil, »[Maschinen] zur Erzeugung von Zufällen.«88 Damit meint Luhmann, dass nach der ersten Markierung, die zufällig ist, jede weitere Markierung von der bereits erfolgten abhängt und somit Formentscheidungszwänge die Arbeit am Kunstwerk lenken, die dem Künstler letztlich immer weniger Freiheiten zugestehen. Den automatisierten Arbeitsablauf kann man unter Umständen nachvollziehen, doch wenn Luhmann davon spricht, dass »[…] das Kunstwerk unter Assistenz derjenigen, die die Handgriffe kennen, sich selber komponiert […]«89, wirkt diese Personalisierung des Kunstwerks paradox – das Kunstwerk zu personalisieren ist in einer Theorie, die Subjekte bewusst nicht in den Mittelpunkt rückt, inkonsequent und löst dabei nicht die Frage nach dem Anfang. Denn die Behauptung, die erste Unterscheidung sei das Produkt eines Zufalls, verschleiert mehr als sie erklärt: Ist der Künstler nicht doch immanent wichtig für das Kunstwerk, indem er die erste Unterscheidung macht, und sei sie zufällig? Und wie kann die erste Unterscheidung zufällig sein? Ist es nicht präziser, davon zu sprechen, dass die erste Unterscheidung eine von vielen möglichen ist, eine kontingente Entscheidung, aber eben keine beliebige, keine zufällige? Luhmann erkennt zwar an, dass keine Galerie »Werke unbekannter Meister« (weshalb entscheidet sich Luhmann für die Bezeichnung »Meister«?) ausstellen würde,90 führt Gedanken in diese Richtung aber nicht weiter. So vollzieht hier Luhmann letztlich eine soziologistische Degradierung des Künstlers, die typisch ist für Gesellschaftstheorien, die nach der ›Funktion‹ von Kunst für die Gesellschaft fragen.91 Der Künstler – und dessen erste Formentscheidung – ist ein weiterer blinder Fleck dieser Systemtheorie.

86 Luhmann (1990c) 2008, S. 210. »Dies Zugeständnis fällt sicher schwer.« fügt hier Luhmann in einer Fußnote hinzu. 87 Luhmann (1995/1997b) 2008, S. 420. 88 Luhmann (1990c) 2008, S. 196. 89 Ebd., S. 212. 90 Vgl. ebd., S. 212. 91 Vgl. Heinich 1998b, S. 17f. Diese Form von Soziologismus zeigt sich im Übrigen auch in Luhmanns wiederholt formulierter Ablehnung der Funktionslosigkeit

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Luhmann hat eine elaborierte Theorie des Systems Kunst entwickelt, mit der alles, was dieses betrifft, beobachtet werden kann. Das heißt zugleich, dass sie die Beobachtung lenkt – entscheidet man sich dafür, das Kunstsystem mit der Systemtheorie zu beobachten, hat man bereits eine Unterscheidung getroffen und verliert den Blick für andere, mögliche Beobachtungssysteme. Ein anderer ›Filter‹ wäre zum Beispiel der, durch den man die Dynamik oder Statik von Herrschaftsstrukturen betrachtet (wie bei Bourdieu) oder der, durch den man Hochkunst von trivialer, populärer Kunst zu unterscheiden sucht, um Kunst und Industrie (wie in der Kritischen Theorie Adornos und Horkheimers) voneinander zu trennen. Gerade letzterer Aspekt erfährt im systemtheoretischen Ansatz Luhmanns eine für heutige Analysen ungewöhnliche Wendung, da Luhmann prinzipiell davon ausgeht, dass die einzelnen Subsysteme aufgrund ihrer Autonomie voneinander getrennt sind. Er räumt zwar vielfältige Formen von struktureller Kopplung ein, doch letztlich bleibt Kunst voll und ganz selbstbestimmt. Das betrifft ebenfalls die Unabhängigkeit von Kunst und Politik sowie Kunst und Religion, und ist Resultat der Annahme, dass die moderne Gesellschaft funktional differenziert ist. Rudolf Stichweh merkt richtig an, dass die »[…] funktionale Differenzierung vermutlich die zentrale empirische Hypothese des Luhmannschen Werks ist […]«92, weshalb es nahe liege, den weiteren Erfolg der Theorie davon abhängig zu machen, ob diesem Konzept zugestimmt werden kann. Nun ist die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche Felder oder Sphären, wie gesehen, geradezu ein common sense.93 Doch die Autonomie der Subsysteme ist nach Luhmann so strikt, dass Zweifel an der Alltagstauglichkeit dieser Behauptung aufkommen, wenn er in Bezug auf Kunst und Wirtschaft sagt (und dies 1996): »[…] daß Kunstwerke gekauft, verkauft, verpfändet, bezahlt werden, […] das ist dann keine Operation, die zur Herstellung oder Betrachtung des Kunstwerks beiträgt – so wenig wie Entscheidungen über passende oder nichtpassende Formen durch

oder auch Interesselosigkeit von Kunst, die diese selbst postuliert, um ihre Autonomie in einer »Geste der Abwehr gegen Vereinnahmungsansprüche« (Luhmann (1986b) 2008, S. 143) zu behaupten. Damit geht auch Luhmanns Kritik am L'art pour l'art einher, das er als »Missverständnis« der Autonomie des autopoietischen Systems ansieht, ebd., S. 146. 92 Stichweh (1999) 2002, S. 224f. 93 Vgl. in Bezug auf Bourdieu die folgende Aufzählung: »Soziale Felder sind von der Theoriestelle her vergleichbar mit Alfred Schütz' ›Sinnprovinzen‹, Max Webers ›Wertsphären‹, Erving Goffmans ›Rahmen‹ oder Niklas Luhmanns ›Subsystemen‹.«, Cornelia Bohn/Alois Hahn (1999): »Pierre Bourdieu«, in: Dirk Kaesler (Hg.) (2002), Klassiker der Soziologie, 2. Band, 3. Aufl., München: C.H.Beck, S. 261.

216 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK Zahlungen motiviert sein können. In diesem Sinne operativer Geschlossenheit sind beide Systeme autonom.«94

Luhmann sieht also im Unterschied vor allem zu Bourdieu keine Gefahr in einer möglicherweise drohenden oder bereits bestehenden Ökonomisierung bzw. Monetarisierung der Kunst, ebenso wie er die Popularisierung von Kunst nicht einmal thematisiert, wie Boris Groys in einer Auseinandersetzung mit Die Kunst der Gesellschaft anmerkt: »Die oft thematisierte Spaltung der modernen Kunst in hohe Kunst und Massenunterhaltung bleibt bei Luhmann auf eine sehr signifikante Weise beinahe unerwähnt, womit er das Kunstsystem völlig homogen erscheinen läßt.«95 Die strikte Trennung der Systeme erfährt von unterschiedlichen Seiten deutliche Kritik – so auch bei Richard Münch, der das Konzept der Autopoiesis (also die operative Geschlossenheit autonomer Systeme) prinzipiell infrage stellt, da seiner Ansicht nach zum Beispiel zahlen oder nicht-zahlen auch aus politischen oder kulturellen Gründen motiviert sein kann: »In Luhmanns Begriffen handelt es sich hier um strukturelle Kopplungen […]. Der Begriff der strukturellen Kopplung ist eine Antwort von Luhmann, die ihm durch eine zunehmende Kritik aufgezwungen wurde. […] Tatsächlich ist die Einführung der ›strukturellen Kopplungen‹ in das Theoriegebäude nichts geringeres als der Zusammenbruch der Theorie des autopoietischen Systems selbst.«96

94 Luhmann (1996b) 2008, S. 395. Vgl. beispielsweise auch: »[…] ich denke doch, daß die Einschätzung von Kunst auch gerade im Publikum selber jetzt unabhängig wird von der Einschätzung durch Patrone oder von der Bestellung wie vom Markterfolg. Sodaß jetzt die Frage auftaucht, was ist eigentlich die Legitimationsinstanz der Kunst? Wer sagt, daß die Kunst etwas wert ist, und die Antwort kann dann natürlich nur lauten: sie selbst.«, Luhmann (1995/1997a) 2008, S. 406. »Natürlich spielt Geld eine Rolle.«, räumt Luhmann weiter unten ein. »Selbstverständlich gibt es immer noch religiöse oder auch politische Versuche, auf Kunst Einfluß zu nehmen […].«, ebd., S. 409. Dennoch bleibt er dabei, dass jedes Subsystem für ein weiteres zur systemexternen Umwelt gehört und die Codierung des einen im anderen letztlich keine Gültigkeit haben. 95 Boris Groys (1996): »Die dunkle Seite der Kunst«, in: ders. (1997), KunstKommentare, Wien: Passagen Verlag, S. 63. 96 Richard Münch (1996): »Autopoiesis per Definitionem«, in: Gerhard Preyer/ Georg Peter/Alexander Ulfig (Hg.) ([1996] 2000), Protosoziologie im Kontext. »Lebenswelt« und »System« in Philosophie und Soziologie, Frankfurt a.M.: Humanities Online, S. 352 (Hervorh. im Orig.). Vgl. ebenfalls Richard Münch (1992): Dialektik der Kommunikationsgesellschaft, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 284ff.

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Auch Hans Zitko spricht von einem »immanenten Konstruktionsproblem«97 und sucht den Ansatz Luhmanns durch denjenigen von Bourdieu zu ergänzen: »Kunst ist nicht zuletzt auch ein Schauplatz von Konkurrenzkämpfen unterschiedlicher sozialer Gruppen, die unter dem Einsatz der differierenden Codierungen ausgetragen werden.«98 Auf den Punkt gebracht ließe sich der größte Unterschied zwischen Bourdieu und Luhmann in diesem Kontext so formulieren, dass Bourdieu ein ›mehr oder weniger‹ an Autonomie zugesteht – Luhmann hingegen nicht.99 Wenn der Autonomiegrad nicht nur zu unterschiedlichen Zeiten, sondern auch in den unterschiedlichen Feldern (gar innerhalb der einzelnen Felder) differiert, lässt sich die bei Luhmann letztlich offen gelassene Frage nach der genauen Grenze zwischen Autopoiesis und Kopplung so beantworten, dass diese Grenze immer wieder neu ausgehandelt wird (oder, wie bei Bourdieu, erkämpft). Andere Autoren wiederum verteidigen Luhmanns Autopoiesis-Konzept, wie Niels Werber, der es so versteht, dass Luhmann Kunst als eigenständiges Subsystem eben nicht als nachrangiges Phänomen beschreibt, das weniger wichtig wäre als zum Beispiel Politik, Wirtschaft oder Recht, sondern es ganz im Gegenteil ernst nimmt.100 Dirk Baecker übernimmt gar Luhmanns Konzept und stellt fest, dass wenn Kunst und Wirtschaft »kompatibel« wären, beide Systeme damit infrage stünden101 – ohne einzuräumen, dass sich heutzutage genau diese Frage stellt. Wir wollen es vorziehen, den Ansatz von Andreas Reckwitz, nach dem sich die »[…] operative Trennung zwischen den Sphären des Sozial-Kommunikativen, des Psychischen und des Körperlichen […] als eine von ihm [Luhmann; D.D.] selbst gewünschte, darin normative Trennung [darstellt]«102 (um die Individualität des Innerpsychischen vor den Zumutungen des Sozialen zu schützen), auch auf den autopoietischen Charakter des Kunstsystems zu übertragen: Die Autonomie

97 Vgl. Zitko (1996) 2000, S. 361. 98 Ebd., S. 367. 99 Zur Gradualität von Autonomie bei Bourdieu siehe das entsprechende Kapitel; zu Luhmann siehe das Zitat zur obigen Fußnote 78. Vgl. Georg Kneer (2004): »Differenzierung bei Luhmann und Bourdieu. Ein Theorienvergleich«, in: Armin Nassehi/Gerd Nollmann (Hg.), Bourdieu und Luhmann. Ein Theorienvergleich, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 47f. Bourdieu selbst kritisiert in Die Regeln der Kunst das Konzept der Systemtheorie, nach der das System bzw. Feld (hier der Literatur) eine selbstreferentielle Eigendynamik unabhängig von äußeren Faktoren (also anderen Feldern) hat, vgl. Bourdieu (1992) 1999, S. 321f. 100 Vgl. Werber 2008, S. 443 und 446. 101 Vgl. Dirk Baecker (2001): »Etwas Theorie«, in: ders. (2004), Wozu Soziologie?, Berlin: Kulturverlag Kadmos, S. 43. 102 Andreas Reckwitz (2004): »Die Logik der Grenzerhaltung und die Logik der Grenzüberschreitungen: Niklas Luhmann und die Kulturtheorien«, in: Günter Burkart/Gunter Runkel (Hg.), Luhmann und die Kulturtheorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 221f.

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der Kunst bleibt ein Desiderat, zwar gewünscht, gar gefordert, aber – mit Bourdieu – doch nur zu einem gewissen Grad Fakt. Im Hinblick auf eine mögliche gesellschaftspolitische Funktion von Kunst, wie sie Bourdieu und Habermas zum Thema haben, negiert Luhmann auch diese konsequent. »Kein System kann […] durch ein anderes ersetzt werden.«103 Das heißt, dass Probleme oder Fragen aus einem System nicht im anderen gelöst werden können: Kunst kann klassenspezifische Herrschaftsordnungen nicht durchbrechen oder zur herrschaftsfreien Gesellschaft beitragen.104 Dieser Haltung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass jede Forderung, jede Entscheidung, jede Unterscheidung, also jede Beobachtung abhängig ist von dem Code, mit dem man argumentiert – Objektivität gibt es nicht, und damit auch keine letzte Instanz, Moral oder Wahrheit, die im Subsystem der Kunst über richtig und falsch entscheiden könnte. Luhmann kritisiert hiermit nicht nur die Vermengung von Kunst und Politik und Kunst und Wissenschaft, sondern zum Beispiel auch die von Politik und Wissenschaft (wie es zum Beispiel Nathalie Heinich Bourdieu vorwirft, siehe im Kapitel zu Bourdieu). Wer Politik mit den Systemreferenzen der Wissenschaft oder Kunst mit den Systemreferenzen von Wirtschaft und umgekehrt kritisiert, verkennt die Beobachtungsabhängigkeit seiner Position. Im Endeffekt bleibt lediglich die äußerst nüchterne Feststellung, dass nur beobachtet werden kann; dieses Beobachten »[…] versagt aber in allen Situationen, in denen selbst gehandelt oder entschieden werden muß.«105 Christian Schuldt nennt diese Haltung bei Luhmann »Praxispessimismus«106 – jede

103 Luhmann (1996b) 2008, S. 396. 104 Schon 1974 formuliert Luhmann in einer Diskussion: »Die Eigenständigkeit der Kriterien ist überhaupt das, was der Kunst eine selbständigere politische Wirkung verschaffen könnte, als sie es wünscht.«, Niklas Luhmann et al. (1974/1976): »Ist Kunst codierbar? – Ausschnitte aus der Diskussion«, in: Niklas Luhmann (2008), Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 90. An der Diskussion beteiligt waren außerdem: Heinz Gappmayr, Gunter Gebauer, Jochen Gerz, Peter Hartmann, Hans Hörmann, Max Imdahl, Raimer Jochims, Ernst Oldemeyer, Hans Rumpf, Siegfried J. Schmidt und Timm Ulrichs – die Aufzählung im Nachwort von Niels Werber in Luhmann 2008 auf Seite 438 ist nicht vollständig. Die Diskussion trug 1974 auch nicht den Titel »Ist Kunst codierbar?«; der Aufsatz mit dem gleichlautenden Titel von Luhmann ist 1976 in der Publikation erschienen, in der die Diskussion erstmals abgedruckt war (und hatte neben anderen Texten als Beitrag als Grundlage zu eben dieser Diskussion gedient, d.h. er muss in einer ersten Version bereits 1974 verfasst gewesen sein), vgl. die Veröffentlichung: Siegfried J. Schmidt (Hg.) (1976): »schön«. Zur Diskussion eines umstrittenen Begriffs, München: Fink. 105 Reese-Schäfer 2005, S. 145. 106 Vgl. Christian Schuldt (2006): Systemtheorie, 2. Aufl., Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, S. 72.

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Theorie, auch die Systemtheorie, operiert im Wissenschaftssystem, kann also weder der Kunst, noch der Politik vorschreiben, was ihre Programme sein sollen.107 Hier kommen wir auf die Kritik von Habermas zurück, Luhmanns Systemtheorie sei eine »Apologie des Bestehenden«.108 Im Unterschied dazu meint Luhmann, es gehe »[…] nicht um Ablehnung oder Zustimmung zu dieser Gesellschaft, sondern um ein besseres Verständnis ihrer strukturellen Risiken, ihrer Selbstgefährdungen, ihrer evolutionären Unwahrscheinlichkeit.«109 »Da diese Theorie nicht selbst als Kunstwerk in die Kunst eintritt, muß sie die Autopoiesis der Kunst voraussetzen können. Sie gibt auch keine ›Denkanstöße‹, geschweige denn Rezepte für die Produktion von Kunstwerken. Sie bleibt, was Kunst angeht, steril.«110

Die Rolle von Kunsttheorie, Kunstphilosophie und Kunstkritik wird bei Luhmann nicht erst über dieses Zitat ersichtlich – als nicht dem Subsystem der Kunst immanent zugehörig, haben Kunsttheoretiker, Kunstphilosophen, aber auch Kunstkritik nicht über Kunst zu entscheiden, da ihre Systemreferenzen andere sind als die der Kunst selbst. Luhmann schließt sich an dieser Stelle Arthur C. Danto an und erklärt, dass »[…] der alte Versuch der Philosophie, die Kunst als Konkurrentin zu degradieren, ans Ende gelangt […]«

107 Vgl. zu diesem Thema grundlegend: Niklas Luhmann (1991a): »Am Ende der kritischen Soziologie«, in: Zeitschrift für Soziologie, 20. Jg., Heft 2, April, S. 147-152. Konsequent, wenn auch polemisch: »Die Gesellschaftskritik ist Teil des kritisierten Systems, sie läßt sich inspirieren und subventionieren, sie läßt sich beobachten und beschreiben. Und es kann unter heutigen Bedingungen schlicht peinlich wirken, wenn sie bessere Moral und bessere Einsicht für sich reklamiert.«, Luhmann 1997, 2. Band, S. 1118. 108 Siehe noch einmal das Zitat zur obigen Fußnote 18. 109 Luhmann mit Erd/Maihofer (1985a) 1987, S. 155. In Bezug auf Kunst: »Das Kunstsystem vollzieht Gesellschaft an sich selbst als exemplarischem Fall. Es zeigt wie es ist.«, Luhmann 1995b, S. 499. »Es verzichtet damit auch auf eine ›politische‹ Funktion, die es ohnehin niemals mit Aussichten auf Erfolg und niemals ›demokratisch‹ hatte usurpieren können.«, ebd., S. 498. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob dieses »Zeigen wie es ist« in der Kunst nicht schon hochpolitisch sein kann, wenn man zum Beispiel an die Arbeiten Hans Haackes denkt, die zweifelhafte Strukturen in Großkonzernen aufzeigen. Zu diesem »kritischen Potential der Systemtheorie« vgl. auch Georg Kneer/Armin Nassehi (1994): Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung, 2. Aufl., München: Fink, S. 186ff. 110 Luhmann (1986a) 2008, S. 136f. Diese Sätze folgen direkt auf diejenigen des Zitats zur Fußnote 79 weiter oben.

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sei.111 Kunstkritiker und -philosophen profitieren nun lediglich von der Fragwürdigkeit der Kunstkriterien und des Geschmacks, und auch der Soziologe solle nicht als Kunstexperte auftreten.112 Andererseits sieht Luhmann die stets postulierte Autonomie aller Subsysteme in diesem Falle vonseiten der Kunst gefährdet, wenn sie ihre Selbstreflexivität so weit treibt, dass die Grenze zwischen dieser Selbstreflexion (also der Theorie des Systems) und den produktiven Operationen zusammenbricht: Das L'art pour l'art wird durch ein »L'art sur l'art« überboten.113 Vorsichtig fragt er gegen Ende von Die Kunst der Gesellschaft: »Wenn aber das Kunstwerk selbst zur eigentlichen Philosophie der Kunst geworden ist und Intellektuelle dies nur noch kommentieren – wie kann es dann weitergehen?«114 Dass es weitergeht steht für Luhmann außer Frage. Zwar räumt Luhmann selbst zahlreiche Parallelen zu postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theorien ein, ja, er geht sogar so weit, zu konstatieren, dass »[…] das Konzept der Autopoiesis eine eindeutig poststrukturalistische Theorie […]« ist.115 Doch was typisch für diese Theorien ist, nämlich ihr performativer Charakter als Paradoxie, als Paralogie, als Dekonstruktion (statt ›nur‹ eine Analyse dieser Phänomene und Tendenzen in der Gesellschaft oder Kunst zu bieten), liegt Luhmann größtenteils fern.116 Im Vergleich zu Derrida bringt Schuldt den fundamentalen Unterschied auf den Punkt: »Während die Systemtheorie fragt: ›Wie ist soziale Ordnung möglich?‹, zielt die Dekonstruktion auf eine Subversion dieser Ordnung.«117 Genau dies ist auch der grundlegende Unterschied zu Jean Baudrillard. Das Kunstkarussell, das sich bei Luhmann immer schneller dreht, aber immerhin immer weiterdreht, kommt bei Baudrillard zum Erliegen. Die Beschleunigung geht so weit, dass sie einen Nullpunkt erreicht und das Kunstsystem letztlich implodiert. Die Grenzen zwischen Kunst, Po-

111 Luhmann 1995b, S. 468. Auf Danto rekurriert Luhmann mehrfach, z.B. ebd., S. 475 und dann 495ff. 112 Vgl. ebd., S. 450, sowie Luhmann (1992) 2008, S. 246; dort geradezu direkt gegen Habermas' Konzept der Vermittlungsfunktion von Kunst und Kunstkritik: »Somit hat auch Kunstkritik nicht mehr den Sinn, ein zutreffendes Verständnis des Kunstwerks zu insinuieren.«, ebd., S. 253. 113 Vgl. Luhmann 1995b, S. 482, sowie 494. 114 Ebd., S. 497. 115 Niklas Luhmann (1985b): »Die Autopoiesis des Bewußtseins«, in: Soziale Welt, 36. Jg., Heft 4, S. 407 (Hervorh. im Orig.). 116 Größtenteils, da Luhmann selbst mit dem Paradox der »re-entry«-Figur operiert, vgl. dazu Wolfgang Hagen (2004): »Niklas Luhmann (1927-1998). Luhmanns Medien – Luhmanns Matrix«, in: Martin Ludwig Hofmann/Tobias F. Korta/ Sibylle Niekisch (Hg.), Culture Club. Klassiker der Kulturtheorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 187-203, hier v.a. S. 193f. 117 Schuldt 2006, S. 60.

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litik, Wirtschaft und Wissenschaft, die Luhmann aufrechtzuerhalten sucht, fallen bei Baudrillard in sich zusammen.

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V. 2. J EAN B AUDRILLARD [I NDIFFERENZ ] Jean Baudrillard durchläuft in seinem Leben viele Stationen: Zuerst als Deutschlehrer und Übersetzer von Peter Weiss und Bertolt Brecht ins Französische, beginnt er erst 1966 seine akademische Laufbahn als Assistent von Henri Lefebvre, wobei er schon im selben Jahr seine Dissertation einreicht: Le système des objets (veröffentlicht 1968). Hat er als Soziologe angefangen, wendet er sich bald der Philosophie zu, lehnt aber zeit seines Lebens die Bezeichnungen Soziologe, Philosoph oder Theoretiker ab, sodass man bei ihm am ehesten von einem Sozialanalytiker oder Diagnostiker der Gegenwartsgesellschaft sprechen muss. All diese Etappen zeichnen sich in seinen Schriften ab: Kritisiert er zunächst unter Weiterentwicklung von Marx, de Saussure und Roland Barthes die aufkeimende Konsumgesellschaft in La société de consommation (von 1970), deutet sich mit L'Échange symbolique et la mort (von 1976), worin als theoretischer Hintergrund das Prinzip des Gabentauschs unter Rückgriff auf Marcel Mauss und Georges Bataille hinzukommt, bereits eine Wende ab, hin zu einem Denken, das den Marxismus sowie überhaupt kritische Potenziale von Theorien für überholt ansieht und zu überwinden sucht. Von diesem Buch werden einmal viele Leser, auch Anhänger der ersten Stunde, sagen, dass sie seither aufgehört haben, Baudrillard zu lesen.1 Dabei fängt mit diesem Baudrillards Denken, wie man es kennt und wie es in den folgenden Jahren zur vor allem vom Feuilleton favorisierten Referenz wurde, erst richtig an: Baudrillard wird böse. Das Prinzip des Bösen interessiert und fasziniert ihn jahrelang: Es geht dabei darum, dass und wie sich alles Positive in sein Gegenteil wandeln, wie es umschlagen kann. Die Reversibilität wird nicht nur sein bevorzugtes Analyseverfahren und der bevorzugte Umgang mit anderen Theorien; auch sprachlich arbeitet er sich an der Reversibilität von Begriffen ab, scheinbar immer auf der Suche nach dem gerade passenden Ausdruck, nach der gerade passenden Formulierung, die seine Thesen zur Gesellschaft immer wieder abwandeln, neu präsentieren, weitertreiben. Die Dinge weitertreiben – diesem Credo bleibt Baudrillard bei allen anderen Verwerfungen seit Ende der 1970er Jahre stets treu. Diese – wie man durchaus sagen kann – ›Methode‹ ist genuin künstlerischen Ursprungs. So ist der Blick auf Baudrillard, dem siebten und letzten der näher betrachteten Kulturtheoretiker, ein doppelter: Er setzt sich in vielen Texten und Gesprächen mit Kunst auseinander; Baudrillard interessiert hier aber auch als Künstler. In frühen Jahren steht er der Künstlergruppe der Situationistischen Internationale nahe, die von 1957 bis 1972 um Guy Debord und den Maler Asger Jorn agiert. Die Methode des détournement, der Zweckentfremdung von Begriffen (siehe schon im Kapitel zu Deleuze) und

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Vgl. Henri-Pierre Jeudy (2004): »Das Miesmachen der Soziologie«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.) (2005), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 254f.

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der assoziativen Schreibweise in Form einer dérive (Abschweifung, Umherschweifen; siehe bereits das Kapitel zu Lyotard) ist ohne Zweifel auch Resultat der kurzzeitigen Nähe zur S.I.2 Sein von der wissenschaftlichen Welt oft kritisierter Schreib- und Argumentationsstil wird mit den Jahren immer essayistischer, metaphorischer, vieldeutiger, sodass sich seine Texte einfachen Interpretationen – aber auch einem einfachen Verständnis – entziehen. Nachdem sich Baudrillard von der S.I. wieder distanziert,3 bricht sein Bezug zu Künstlern allerdings nicht ab: So widmet er der Künstlerin Sophie Calle einen eigenständigen Text, führt Gespräche mit dem Maler Enrico Baj und der Fotografin Louise Merzeau und kommt in mehreren Aufsätzen und Interviews immer wieder auf Andy Warhol zu sprechen. Seinem heftig diskutierten Artikel »Le complot de l'art« von 1996 wird hier besondere Aufmerksamkeit zuteil – die Diskussionen um die umstrittenen Thesen zu zeitgenössischer Kunst, die Baudrillard darin zusammenfasst, sind exemplarisch für die Form von Kritik, der er sich fortdauernd ausgesetzt sieht: Einerseits wird der »Überbringer der bösen Botschaft mit der Botschaft selbst verwechselt«4, andererseits übertreibt Baudrillard seine Pointen maßlos (er

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Vgl. Max Orlich (2011): Situationistische Internationale. Eintritt, Austritt, Ausschluss. Zur Dialektik interpersoneller Beziehungen und Theorieproduktion einer ästhetisch-politischen Avantgarde (1957-1972), Bielefeld: transcript Verlag (im Erscheinen). Orlich beschäftigt das Wechselverhältnis von Theorieproduktion und (Gruppen-)Praxis der S.I. als Künstler- bzw. Intellektuellengruppe in Zusammenhang mit der von ihren Mitgliedern entwickelten Gesellschaftstheorie und nimmt dabei die Bewegungen des Eintritts, des Austritts und des Ausschlusses sowohl als Praxis als auch in ihrer theoretischen Fundierung genauer unter die Lupe. Baudrillard war kein festes Mitglied der S.I. – er bewegte sich nur in ihrem Umfeld, wie dies auch bei weiteren französischen Sozialanalytikern (wie Michel Maffesoli) der Fall ist. Zur Anwendung der von der S.I. entwickelten Methoden bzw. Konzepte dérive, détournement und récupération in theoretischen Texten siehe mehr in der Conclusio. »[S]o habe ich mich denn von Debord und all den situationistischen Kniffen abgewandt. Vor allem als diese Kritik im System selbst nur noch von jenen ausgesprochen wurde, die das System bildeten oder nach verschiedenen Formen von Macht strebten.«, Jean Baudrillard (2001c): »Resonanzkörper der Radikalität«, in: Stefan Zweifel/Juri Steiner/Heinz Stahlhut (Hg.) (2006), In Girum Imus Nocte Et Consumimur Igni – Die Situationistische Internationale (1957-1972), Zürich: JRP | Ringier und Basel: Museum Tinguely, S. 40. Bei diesem Text handelt es sich um einen Wiederabdruck in Auszügen eines Interviews von Frédéric Martel mit Baudrillard für eine Debord gewidmete Spezialausgabe von Magazine littéraire (Nr. 399 von 2001). Christa Steinle (1999): »Vorwort«, in: Peter Weibel (Hg.), Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 9. Hier ist anzumerken, dass der berühmte Ausspruch »the medium is the message« von

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treibt sie, mit anderen – mit seinen – Worten, in den Exzess) bis an einen Punkt, an dem die Trennung von Botschaft und Botschafter zumindest unklar wird. Diese Intransparenz allerdings ist gleichzeitig Programm. Baudrillard beschäftigt sich selbstredend nicht nur mit bildender Kunst; neben Analysen des gesellschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Zeitgeschehens legt er Auseinandersetzungen mit Architektur (L'effet Beaubourg von 1977, eine Kritik des damals neu entstandenen Centre Pompidou, sowie Les objets singuliers von 2000, ein Gespräch mit Jean Nouvel) oder populärkulturellen Phänomenen wie dem Fernsehen (zum Beispiel in Télémorphose von 2001, einer Analyse von Loft Story, dem französischen Pendant zur Sendung Big Brother) und dem Kino (zum Beispiel im Aufsatz »Aesthetic Illusion and Disillusion« von 1995) vor. So ist es eine inzwischen berühmte Anekdote, dass Baudrillards Publikation Simulacres et simulation von 1981 (auf Englisch als Simulacra and Simulation) in einer Szene des Films The Matrix (von 1999) vorkommt, wobei Baudrillard in der Folge erklärt, dass seine Thesen wie so oft falsch verstanden worden sind (im Interview »The Matrix Revisited« von 2003). Ähnliches gilt für seinen äußerst umstrittenen Artikel zu den Terroranschlägen des 11. September 2001 (»L'esprit du terrorisme« von 2001) oder auch für »Le complot de l'art«. Tatsache jedoch ist, dass Baudrillard wie kaum ein anderer Theoretiker aus dem Umfeld der postmodernen bzw. poststrukturalistischen Autoren nach wie vor großen Einfluss auf Kunst und Populärkultur hat. Dabei lehnt er, wie alle postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretiker mit Ausnahme von Lyotard, den Begriff der Postmoderne ab,5 während er gleichzeitig stets in diesem Zusammenhang gelesen wird – auch von solchen Auto-

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Marshall McLuhan formuliert wurde, der als einer der für Baudrillards Denken einflussreichsten Theoretiker gelten kann. Baudrillard äußert sich mehrfach in dieser Richtung, zum Beispiel: »Im Grunde weiß ich nicht, was es heißt, von der Postmoderne zu reden. Ob die Dinge einen anderen Lauf, einen radikalen oder fatalen Lauf, nehmen, ist interessanter als so ein Patchwork mit den alten Werten zu machen, worunter man das Kennzeichen der Postmoderne versteht. Aber ich habe darüber keine sichere Meinung. Postmodern ist einfach so ein Wort, vielleicht ist das Wort postmodern etwas Postmodernes, und sonst nichts.«, Jean Baudrillard mit Florian Rötzer/Sara Rogenhofer (1985): »Jean Baudrillard«, in: Florian Rötzer (Hg.) (1986), Französische Philosophen im Gespräch, München: Klaus Boer Verlag, S. 38. Andererseits setzt er den Begriff doch ein: »Je constate, j'accepte, j'assume, j'analyse la deuxième révolution, celle du XXe siècle, celle de la post-modernité, qui est l'immense processus de destruction du sens, égale à la destruction antérieure des apparences.«, Jean Baudrillard (1981): Simulacres et simulation, Paris: Galilée, S. 231f.

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ren, die mit eben dieser ›Etikettierung‹ bei Baudrillard vorsichtiger umgehen.6 Baudrillards direkter Einfluss auf Kunst und Kultur erhält seit Mitte der 1980er Jahre eine bemerkenswerte Wendung, die ihm auch in der vorliegenden Arbeit eine Sonderstellung zuweist: Baudrillard fotografiert – und was hieran noch interessanter ist: er stellt diese Fotografien auch aus. Ist das Wechselverhältnis von Kunst und Theorie Thema dieser Untersuchung, schließt die Reihe der behandelten Autoren mit Baudrillard ab, der selbst als Künstler aktiv wird. Der Kreis schließt sich auch inhaltlich: Auf der einen Seite verbindet Baudrillard, wie kurz angeschnitten, sehr viel mit den Denkern aus Kapitel IV, mit Lyotard, Deleuze und Derrida. Gleichzeitig teilt er, wie eingangs zu diesem Kapitel V angedeutet, Luhmanns Diagnosen zu zeitgenössischer Kunst zumindest im Ansatz. Auf der anderen Seite verbindet ihn mit den Theoretikern aus Kapitel III die Beschäftigung mit dem Kritikpotenzial (an) der Kunst, und vor allem – darin Bourdieu ähnlich7 – an der ›Glaubensgemeinschaft‹ des Kunstbetriebs.

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Vgl. die Ablehnung des ›Labels‹ Poststrukturalismus für Baudrillard bei: Michael T. Schetsche/Christian Vähling (2006): »Jean Baudrillard: Wider die soziologische Ordnung«, in: Stephan Moebius/Dirk Quadflieg (Hg.), Kultur. Theorien der Gegenwart, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 67; die Zuordnung zur Postmoderne bejahend, aber vorsichtig abwägend bei: Falko Blask (2002): Jean Baudrillard zur Einführung, 2. Aufl., Hamburg: Junius, S. 130, sowie bei: Matthias Junge (2004): »Soziologie der Simulation: Jean Baudrillard«, in: Stephan Moebius/Lothar Peter (Hg.), Französische Soziologie der Gegenwart, Konstanz: UVK, S. 326f.; eine alternative Einordnung als zur ›Posthistoire‹ zugehörig bei: Welsch 2002, S. 152; diesem zustimmend: Georg Kneer (2005): »Jean Baudrillard«, in: Dirk Kaesler (Hg.), Aktuelle Theorien der Soziologie, München: C.H.Beck, S. 164f. in der Anmerkung 9. Eine interessante Anmerkung von Heinich spiegelt die Bedeutung gerade dieser beiden Theoretiker und die Faszination, die sie Ende der 1970er Jahre ausübten, wider: »À mon arrivée à Paris, je déclarais avec une conviction de provinciale mon admiration pour ›les trois B: Barthes, Baudrillard, Bourdieu‹.«, Heinich 2007b, S. 131. Heinich beschreibt, wie Baudrillard, neben vielen weiteren Theoretikern wie Barthes und anderen, für Bourdieu und in extenso für seine Anhänger, zur Persona non grata wurde, vgl. ebd., S. 32f. sowie noch einmal S. 131. Im Gespräch zwischen Bourdieu und Haacke ist es Letzterer, der auf Baudrillard zu sprechen kommt und sich mit Bourdieu auf eine umfassende Kritik von Baudrillards Thesen und Konzepten einigt (siehe weiter unten mehr). Haacke schuf 1988 die Installation Baudrichard's Ecstasy, ein aufgeklapptes Bügelbrett, auf dem ein vergoldetes Urinal positioniert ist, das in Anspielung auf Marcel Duchamps Fontaine von 1917 tatsächlich Wasser sprüht, welches sich aus einem Eimer speist, der am Bügelbrett hängt und worin das Wasser auch wieder abfließt. Das Wasser zirkuliert in der Installation – eine Allegorie auf Baudrillards Konzept der Zirkulation des immer Gleichen (dazu weiter unten). Der Name

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Bevor Baudrillards Kommentare und Aussagen zu zeitgenössischer Kunst genauer betrachtet werden können, wird im Folgenden zunächst auf seine Zeichentheorie und die Ausarbeitung seiner wichtigsten Konzepte – der Simulation und der Hyperrealität, mit denen er Debords Gesellschaft des Spektakels weiterführt – eingegangen. 2.1. Kunst zirkuliert Baudrillards Dissertation Le système des objets markiert den Beginn einer Auseinandersetzung mit dem Objekt, die von Anfang an die bis dato gängigen Schwerpunktsetzungen umkehrt: »Baudrillard ist der entscheidende Philosoph des Paradigmenwechsels vom Subjekt zum Objekt.«8 Er entfernt sich von der Subjekt-Zentriertheit der traditionellen Philosophie und stellt das Objekt auf Augenhöhe mit dem Subjekt: Er beschäftigt sich nicht länger mit dem Objekt als Objekt eines Subjekts (das wäre, mit Derrida, nur ein Wechsel von der einen Seite des binären Oppositionspaares zur anderen), sondern mit dem Objekt als Ding an sich in seiner radikalen Differenz zum Subjekt: »Das, was im Objekt nicht auf das Subjekt zurückführbar ist.«9 – eine radikale Differenz des Objektes als das Andere des Subjekts, als dessen Alterität, ganz im Sinne der Autoren aus Kapitel IV. Das System der Dinge (wie Le système des objets auf Deutsch heißt) entwickelt Baudrillard auch in La société de consommation und in Pour une critique de l'économie politique du signe (von 1972, eine Anspielung auf Marx' Kritik der politischen Ökonomie von 1859) weiter, indem er Marx' Aufteilung der Ware in einen Gebrauchswert und einen Tauschwert und de Saussures Aufteilung des Zeichens in Signifikant und Signifikat verknüpft zu einer eigenständigen Zeichentheorie, in der Signifikanten – dem Tauschwert von Waren entspre-

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setzt sich höchstwahrscheinlich zusammen aus Baudrillard und Richard, wobei Richard auf Duchamps Signatur seiner Fontaine als R. (Richard) Mutt verweist. Nicht nur das Wasser zirkuliert also, sondern auch die theorie- und kunstgeschichtlichen Verweise von Haackes Arbeit. Trotz dessen Kritik an Baudrillards Thesen ist dieses Kunstwerk zweifelsohne auch als eine Form von Hommage zu verstehen. (Eine Abbildung findet sich in Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 44.) Vgl. die Einschätzung von Françoise Gaillard, Haacke habe Baudrillard und seine Thesen nicht verstanden, da er mit diesem Werk postmodernes Recycling betreibe, Françoise Gaillard (1996): »D'un malentendu«, in: Jean-Olivier Majastre (Hg.), Sans Oublier Baudrillard. Troisièmes rencontres internationales de sociologie de l'art de Grenoble, Brüssel: La Lettre Volée, S. 56. Peter Weibel (2005): »Votum für eine transästhetische Vision«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 27. Jean Baudrillard (1997e): »Ein unverbaubarer Ausblick oder die definitive Unschärfe des Denkens«, in: ders. ([1997] 2002), Paroxysmus, Wien: Passagen Verlag, S. 165.

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chend – austauschbar sind. Da das Signifikat dem Gebrauchswert entspricht, doch in der Ökonomie der Waren und der Zeichen nur noch der Tauschwert und der Signifikant von Bedeutung sind, bedeutet das in der letzten Konsequenz, dass alle Zeichen austauschbar sind. Es entsteht eine Zirkulation frei flottierender, austauschbarer, daher indifferenter Zeichen. »Das ist dann die semiotische Katastrophe.«10 Der Referenzwert, der Bezug auf den tatsächlichen Gebrauchswert der Ware bzw. das ursprüngliche Signifikat geht verloren. Der Zeichenwert jeder Ware, jedes Gegenstandes, wird prädominant: Der Wert eines bestimmten Autos bemisst sich nicht mehr nach dessen Leistungsfähigkeit als Auto (Gebrauchswert) oder nach dessen finanziellem Tauschwert, sondern nach dem Zeichenwert, d.h. zum Beispiel nach dessen symbolischem Wert als Wagen einer Oberschicht (wobei wichtig ist, zu präzisieren, dass dieser Zeichenwert losgelöst ist von den anderen Werten: heutzutage sagt man, man ›bezahlt für die Marke‹). Baudrillard analysiert dies in La société de consommation anhand des Phänomens Werbung und beschäftigt sich bereits dort auch mit zeitgenössischer Kunst. Er beschreibt, inwiefern die Pop-Art dieser Logik der Zeichen entspricht: »[L]a logique de la consommation élimine le statut sublime traditionnel de la représentation artistique. En toute rigueur, il n'y a plus de privilège d'essence ou de signification de l'objet sur l'image. L'un n'est pas la vérité de l'autre […]. Alors que tout l'art jusqu'au Pop se fonde sur une vision du monde ›en profondeur‹, le Pop, lui, se veut homogène à cet ordre immanent de signes […]. [L]e Pop signifie la fin de la perspective, la fin de l'évocation, la fin du témoignage, la fin du gestuel créateur, et, ce qui n'est pas le moindre, la fin de la subversion du monde et de la malédiction de l'art.«11

Baudrillard spricht hier von einer Überwindung des klassischen Prinzips der Repräsentation, ähnlich wie die Theoretiker aus Kapitel IV: »In fact, there are two ways to escape the trap of representation: by never-ending deconstruction […]. Or by simply leaving representation behind, forgetting any concern for reading, interpretation, decoding […].«12 Wenn die Zeichen

10 Weibel 2005, S. 31. Zur Zirkulation der Zeichen siehe bereits das Kapitel zu Derrida. Demgegenüber Luhmann: »Die These vom Referenzverlust ist unhaltbar, denn sie widerspricht dem Begriff und dem Phänomen der Beobachtung.«, Luhmann (1990c) 2008, S. 240. Vgl. grundlegend für seine Ablehnung dieser ›These‹: Niklas Luhmann (1991b): »Zeichen als Form«, in: Dirk Baecker (Hg.) (1993), Probleme der Form, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 45-69. 11 Jean Baudrillard (1970): La société de consommation. Ses mythes, ses structures, Paris: Denoël, S. 175f. (Hervorh. im Orig.). Im Verlauf des Abschnitts zur PopArt nennt oder zitiert Baudrillard namentlich die Künstler: Robert Indiana, Claes Oldenburg, James Rosenquist, Jasper Johns, John Cage, Tom Wesselmann, Roy Lichtenstein und Andy Warhol (zu Letzterem mehr weiter unten). 12 Jean Baudrillard (1995b): »Aesthetic Illusion and Disillusion«, in: ders. (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotrin-

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auf nichts mehr verweisen, können auch Kunstwerke auf keine Wirklichkeit mehr verweisen, nichts mehr darstellen. Was allerdings bei der Pop-Art geschieht, ist eine Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb (eine récupération, wie es in der Situationistischen Internationale heißt, siehe auch die Conclusio): »[L]e Pop se connote doublement: d'abord comme idéologie d'une société intégrée […]; d'autre part il réinstaure tout le processus sacré de l'art, ce qui anéantit son objectif fondamental.«13 Kunstwerke werden zu Zeichen für Kunst (ähnlich dem Supplement bei Derrida) – und bedeuten folglich nichts mehr. Das Weitertreiben dieser These, die Radikalisierung dieser Idee, vollzieht Baudrillard jedoch erst später. Zunächst radikalisiert er in L'Échange symbolique et la mort und Simulacres et simulation das Konzept der Zirkulation selbstreferentieller Zeichen dahingehend, dass das Reale durch Zeichen des Realen substituiert wird: Das Reale verschwindet zugunsten einer Hyperrealität. Damit bezeichnet Baudrillard die Simulation von Realität: eine Kopie der Realität, in der alles verdoppelt bzw. vervielfältigt ist und dabei gerade nicht der (auch hier positiv zu bewertenden) Deleuzeschen Differenz in der Wiederholung oder der Derridaschen Verschiebung der différance unterliegt: Es ist der »Xerox«Zustand der Gegenwartsgesellschaft.14 Die Zeichen des Realen, die dieses

ger, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 127f. An dieser Stelle die Anmerkung, dass die Artikel und Gespräche aus der von Sylvère Lotringer herausgegebenen Zusammenstellung zum Thema ›Baudrillard und Kunst‹ – die einzige ihrer Art – aus den verschiedensten Zeitungen (z.B. Libération, Le Monde) und Magazinen (wie Art Press, Magazine littéraire) entnommen sind. 13 Baudrillard 1970, S. 180 (Hervorh. im Orig.). Hier eine weitere interessante Bemerkung zum Kunstbetrieb: »Dans la Jérusalem céleste de la culture et de l'art, un grand vent démocratique a soufflé. ›L'Art Contemporain‹, de Rauschenberg à Picasso, de Vasarely à Chagall et aux plus jeunes, fait son vernissage aux magasins du Printemps […]. Les musées, c'est bien connu, étaient encore des sanctuaires. Mais désormais la masse a pris le relais du possesseur solitaire ou de l'amateur éclairé.«, ebd., S. 158. Baudrillard merkt dies fast zeitgleich zur Studie Die Liebe zur Kunst von Bourdieu et al. an, die das genaue Gegenteil behauptet, und fast zehn Jahre vor Bourdieus Die feinen Unterschiede, in dem Bourdieu an der gegenteiligen Einschätzung festhält, die Museen und Hochkunst einer Oberschicht zuordnet. Objektive Zahlen versus subjektive Einschätzung? Zumindest beweist diese Diskrepanz, dass sich die Kunstwelt zu dieser Zeit in einem Umbruch befand. 14 Vgl. den Kapitel-Titel: »Xerox und das Unendliche«, in: Jean Baudrillard ([1990a] 1992): Transparenz des Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene, Berlin: Merve, S. 60 sowie S. 16. Der dortige Kapitel-Titel »Die Hölle des Gleichen«, ebd., S. 131ff., ironisiert Sartres berühmten Ausspruch: »Die Hölle, das sind die anderen.« – bei Baudrillard ist das Selbe (le même), ist das immer Gleiche die Hölle; der Andere hingegen ist der »Spiegel, als reflektierende Oberfläche«, ebd., S. 141. Bezogen auf Kunst greift er hier Benjamins technische Re-

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verdoppeln, zirkulieren referenzlos, also ohne Bezug zur Realität. Somit haben sie keinen eigenen Wert an sich; dennoch sind sie realer als die Realität selbst: hyperreal. Als Simulakra, als Trugbilder, haben die Zeichen des Realen Bestand und pflegen systematisch das ›als ob‹ (zum Beispiel Politik, als ob es Politik noch gäbe oder Reality-TV wie das oben erwähnte Loft Story). In L'Échange symbolique et la mort entwickelt Baudrillard einen historisch nachzuvollziehenden Ablauf von drei Ordnungen oder Stadien der Zeichen bzw. der Simulakra: Das erste Stadium umfasst die Zeit von der Renaissance bis zum Beginn der industriellen Revolution. Hier herrscht Imitation vor: Originale sind Gegenstand naturgetreuer Nachahmung (Duplikate); in Bezug auf ihren Wert zählt allein der Gebrauchswert. Die Zeichen stehen in unmittelbarem Bezug zur Natur, zur Wirklichkeit. Im zweiten Stadium, während des Industriezeitalters, steht die Produktion im Mittelpunkt: Es werden identische Objekte hergestellt (Serien, Äquivalenzprinzip); zu dieser Zeit wird der Tauschwert dieser Gegenstände dominierend. Die Zeichen entfernen sich von der Realität: Nun drücken sie etwas aus. Im dritten Stadium, dem der Simulation, interessiert nunmehr allein der Zeichenwert; die Zeichen sind referenzlos und werden unendlich vervielfältigt (Proliferation von Zeichen); der Bezug zu einem ursprünglichen Original, zur Wirklichkeit, ist aufgehoben – die Zeichen werden über Modelle reproduziert, die keinen eigenen Wert mehr haben.15 Die Frage, wann die Gesellschaft, wann das Reale in das Stadium der Simulation eingetreten ist, bleibt unbeantwortbar. Baudrillard rekurriert hier stets auf den sogenannten Canetti-Punkt, einen von Elias Canetti beschriebenen, bestimmten Punkt, an dem die Wirklichkeit verlassen wurde. An diesem sind wir in die Hyperrealität übergegangen, wann jedoch genau, ist offen. Baudrillard versteht auch diesen als etwas, das es zu überwinden gilt, etwas, das weitergetrieben werden muss, statt es wiederherzustellen bzw. wieder dorthin zurückzukehren – wie es seiner Ansicht nach traditionelle, klassische Theorie und Kritik versuchen: »[W]ir können vielleicht, wie Canetti sagte, uns danach sehnen, diesen vanishing point des Endes, eine normale Zeit, einen Ursprung, ein Ende, eine Vergangenheit, eine Zukunft wiederzufinden. Davon können wir träumen. Canetti träumte davon. Er

produzierbarkeit des Kunstwerkes auf: »Das seriell reproduzierte Werk verliert seine Aura […]. Das Original ist verloren […]«, ebd., S. 137 (Hervorh. im Orig.). Baudrillard sieht hier eine Analogie zum Menschen der Gegenwart: die besondere Qualität des Hier und Jetzt, das Original geht in der Hyperrealität verloren. 15 Später teilt Baudrillard dieses Stadium in zwei auf: ein strukturales Stadium des Zeichenwerts und ein fraktales (oder virales) Stadium, in dem es kein Wertgesetz mehr gibt, »[…] nurmehr eine Art Epidemie des Werts, eine allgemeine Metastase des Werts, Wucherung und zufällige Ausbreitung.«, Baudrillard (1990a) 1992, S. 11 (Hervorh. im Orig.). Die Tatsache, dass Baudrillard sein Konzept hier weitertreibt, ist symptomatisch – Hypertelie der Konzepte bis zum Exzess.

230 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK sagte: Wenn wir diesen Punkt nicht wiederfinden, dann sind wir der endlosen Zerstörung unserer selbst ausgeliefert. Ich für meinen Teil bin nicht so optimistisch. Ich meine, wir können nicht – und wir müssen auch nicht – davon träumen. Wir müssen uns also nicht nur jenseits der Kategorien ›Gut‹ und ›Böse‹, oder ›Wahr‹ und ›Falsch‹ stellen, sondern auch jenseits von Ursprung und Ende. Das ist eine andere, radikale Situation, die wir noch nicht gut kennen. Aber wir müssen der Situation Rechnung tragen.«16

In Bezug auf Kunst stellt Baudrillard eine parallele Folge von Ordnungen fest, die er in Simulacres et simulation über das Bild aufstellt: In der ersten Ordnung reflektiert das Bild die Wirklichkeit, in der zweiten verschleiert es diese und in der dritten bzw. vierten Ordnung kaschiert das Bild die Absenz der Wirklichkeit und wird ohne Realitätsbezug zu seinem eigenen Simulakrum: »Telle est la simulation en ce qu'elle s'oppose à la représentation. […] Alors que la représentation tente d'absorber la simulation en l'interprétant comme fausse représentation, la simulation enveloppe tout l'édifice de la représentation lui-même comme simulacre.«17 Kunst bzw. die Kunstwerke zirkulieren in der Hyperrealität der Zeichen ohne Bezug zur Wirklichkeit: die illusio, der Schein (in Opposition zum Trugbild, zum Simulakrum), ist verloren. Trotz einer Ablehnung von traditioneller Kritik bzw. kritischer Reflexion, bleibt Baudrillard nicht bei der reinen Diagnose dieser Phänomene stehen: Immer wieder lotet er mit unterschiedlichen Konzepten Möglichkeiten einer Subversion der Hyperrealität der zirkulierenden Zeichen aus (zu welchen er die Informationen zählt, die Medien-Ereignisse, das fiktive Geld der

16 Jean Baudrillard mit Boris Groys ([1995a] 1997): »Die Illusion des Endes – Das Ende der Illusion«, Digitalaufnahme vom 14. Mai 1995 im Café Schlossmuseum in Karlsruhe, Köln: Supposé; im beiliegenden Booklet, in dem das Gespräch – für die Leserlichkeit angepasst – transkribiert ist, vgl. den Themenblock 01: »Ende«. In diesem Kontext stehen auch die einleitenden Sätze zu Transparenz des Bösen von 1990: »Wollte man den gegenwärtigen Stand der Dinge benennen, so würde ich sagen, wir befinden uns nach der Orgie. Die Orgie ist der explosive Augenblick der Moderne, der Augenblick der Befreiung in allen Bereichen. Politische Befreiung, sexuelle Befreiung, Entfesselung der Produktivkräfte, Entfesselung der destruktiven Kräfte, Befreiung der Frau, des Kindes, der unbewußten Triebkräfte, Befreiung der Kunst. Hochjubeln aller Repräsentations- und Antirepräsentationsmodelle. Es war eine totale Orgie des Realen, des Rationalen, des Sexuellen, des Kritischen und Antikritischen, des Wachstums und der Wachstumskrise. Wir sind alle Wege der Produktion und virtuellen Überproduktion der Objekte, der Zeichen, Botschaften, Ideologien und Vergnügungen gegangen. Heute ist alles befreit, das Spiel ist gespielt, und wir stehen gemeinsam vor der entscheidenden Frage: WAS TUN NACH DER ORGIE?«, Baudrillard (1990a) 1992, S. 9 (Majuskel im Orig.). 17 Baudrillard 1981, S. 16.

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Börse, TV- und Computerbilder usw.). In L'Échange symbolique et la mort ist es das Durchbrechen der sich ständig beschleunigenden Spirale von Gabe und Gegengabe durch den unmöglichen Tausch: durch den Tod, auf den keine Gegengabe mehr folgen kann (Baudrillard greift hier Motive des Potlatch von Georges Bataille auf). In Transparenz des Bösen ist es das Böse, der sogenannte »verfemte Teil« (la part maudite, auch der ›verbannte‹ Teil), der die Grenzen zwischen ›Gut‹ und ›Böse‹ verwischen lässt und das ›Gute‹ von sich, dem ›Bösen‹, abhängig macht in seiner Definition (ganz im Sinne Derridas braucht das Eine, das Erste das Ausgeschlossene, Zweite). Es sind solche singulären Formen (in Analogie zu den Singularitäten oder auch ›Ereignissen‹ der Autoren aus Kapitel IV), die in der Lage sind, aus der Hyperrealität auszubrechen, indem sie sie über den Exzess zur Implosion bringen (wie die Ekstase, die aus der Verbundenheit von Stase und Metastase führt, die die Phänomene unserer Hyperrealität gleichzeitig stocken und wuchern lässt). Baudrillard nennt sie auch Die fatalen Strategien (so ein Buchtitel von 1983). Eine andere dieser Strategien ist die der Verführung, die Baudrillard 1979 in De la séduction beschreibt und die als Perspektive dient, aus der er sich 1983 mit den Arbeiten der französischen Konzeptkünstlerin Sophie Calle (*1953) beschäftigt. Sophie Calle ist eine der bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen weltweit und stellt vorrangig Installationen her, in denen sie Fotografien mit Texten kombiniert. Diese scheinen stets Auskunft über persönliche Erlebnisse, Erfahrungen und Geschehnisse aus ihrer eigenen Biographie zu geben, werden jedoch oftmals in seltsamen, nicht selten verwirrenden Kombinationen ausgestellt, die den Betrachter immer im Unklaren lassen, was Fiktion ist und was Realität. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählen die Bild-Text-Zyklen Suite vénitienne von 1980 (tatsächlich jedoch 1979) und Les dormeurs von 1979, über die Baudrillard 1983 in seinem Aufsatz »Please follow me« 18 schreibt. Bekannt ist jedoch auch ihr Bei-

18 Eine gekürzte und abgeänderte Version von »Please follow me« bildet das Kapitel »Venezianische Folge« in: Baudrillard (1990a) 1992, S. 180-185. Interessanterweise ist Sophie Calle in der deutschen Übersetzung namentlich genannt, während sie in der französischen Originalversion in La Transparence du Mal nur mit »S.« betitelt wird. Es ist umso bemerkenswerter, dass dieser Kunstkommentar von Baudrillard auch in solcher Sekundärliteratur, die explizit ›Baudrillard und Kunst‹ zum Thema hat, lediglich enumerativ genannt wird, vgl. Weibel 2005, S. 34, sowie Sylvère Lotringer (2005): »Die Piraterie der Kunst«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 162. Für eine Auseinandersetzung mit Sophie Calles Arbeiten und Baudrillards Text unter dem Aspekt des ›Fremden‹ vgl. Dagmar Danko (2006): »Die Fremdheit des Alltäglichen in der Kunst«, in: ART-Dok. Publikationsplattform Kunstgeschichte, URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2006/216/, November, letzter Zugriff: 25.10.2010; es ist dies einer der ganz wenigen Texte, die auf »Please fol-

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trag für den französischen Pavillon auf der Biennale in Venedig von 2007, die Foto-Installation Prenez soin de vous, in der Calle den (vermeintlichen) an sie gerichteten Trennungsbrief eines Partners (der mit den Worten Prenez soin de vous, ›Passen Sie auf sich auf‹, schließt) 107 Frauen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Berufen zur Begutachtung und zum Kommentar vorlegt, welche dann die Installation bildeten. Die Suite vénitienne (siehe Abbildung 18) ist eine Form von Detektivgeschichte, in der Calle einem willkürlich ausgewählten, fremden Mann von Paris nach Venedig folgt und ihn dort über zwei Wochen beschattet (bis zu seiner Rückkehr nach Paris). Die daraus entstandenen Fotografien kombiniert sie mit Texten, die wie Tagebucheinträge ihr Vorgehen dokumentieren und kommentieren. Baudrillard sieht in dieser Arbeit eine Form von subversiver Verführung am Werk, eine Verführung in Form eines Spiels, in dem es darum geht, ein Anderer zu werden, indem man zum Anderen des Anderen (hier also des Verfolgten) wird. Tatsächlich gibt es in der Suite vénitienne feste Spielregeln, wie zum Beispiel, dass ein Aufeinandertreffen möglichst vermieden werden soll – als es wenige Tage vor ›Spielende‹ dazu kommt, sich der Mann plötzlich umdreht und Calle, der er in Paris flüchtig auf einer Ausstellung begegnet ist, wiedererkennt, bleibt Calle in den übrig gebliebenen Tagen nur die mittelbare Beschattung über ihr inzwischen aufgebautes Informationsnetzwerk aus Hoteliers, Restaurant- und Ladenbesitzern.19 Das Geheimnis zu bewahren (eine andere Form von Illusion) scheint Baudrillard der entscheidende Punkt zu sein: »La rencontre est toujours trop vraie, trop exorbitante,

low me« eingehen. – Im Kontext von Baudrillards Schriften zur Fotografie: vgl. Rex Butler (2004): »L'écriture de la lumière chez Baudrillard, ou la pensée photographique«, in: François L'Yvonnet (Hg.), Jean Baudrillard, Paris: Éditions de l'Herne, S. 215-223 (mehr zur Fotografie bei Baudrillard siehe weiter unten); Jean-Olivier Majastre nutzt den Text nur, um zu beschreiben, dass er Baudrillards Spuren verfolgt, so wie Baudrillard die von Calle, die wiederum diejenigen des Fremden verfolgt, vgl. Jean-Olivier Majastre (1996b): »Baudrillard mis à nu par l'autre lui, même«, in: ders. (Hg.), Sans Oublier Baudrillard. Troisièmes rencontres internationales de sociologie de l'art de Grenoble, Brüssel: La Lettre Volée, S. 11. 19 Auch Les dormeurs lebt von den festen Spielregeln: 1979 lud Calle 28 ihr bekannte und unbekannte Personen ein, in ihrem Bett zu schlafen, während sie sie dabei beobachtete, ab und zu fotografierte und Notizen machte. Eine Woche lang wechselten sich die Personen ab; in keinem Fall ging es darum, das Bett mit Calle zu teilen. Vom Bruch mit den Spielregeln gibt es in der Suite vénitienne ein Foto von dem Tag, als der Verfolgte (»Henri B.«) Calle erkennt und anspricht: Er wünscht nicht, fotografiert zu werden und hält sich die Hand vor das Gesicht. Es ist ein für das Thema der vorliegenden Arbeit treffender Zufall, dass es das gleiche Foto von Baudrillard gibt, abgebildet auf der Innenseite des Rückumschlags von Gente/Könches/Weibel 2005.

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indiscrète.«20 Dieser Transparenz des frontalen Aufeinandertreffens (dazu mehr weiter unten) ist mit einer geheimnisvollen, verführerischen und damit intransparenten Dualität zwischen sich und dem Anderen zu begegnen: »Vous vous séduisez d'être absent, de n'être plus que le miroir de l'autre qui ne le sait pas […].«21 Dieses Bild des Spiegels setzt Baudrillard immer wieder ein, um zu verdeutlichen, dass der Andere der Spiegel ist, der es mir ermöglicht, mich nicht ständig selbst zu wiederholen, sondern zu reflektieren: »›Das Subjekt kann nur begehren, allein das Objekt kann verführen.‹ [...] [Alles] kehrt sich um, wenn man zum Denken der Verführung übergeht. Hier handelt es sich nicht mehr um das Subjekt, das begehrt, sondern um das Objekt, das verführt. Alles geht vom Objekt aus und kehrt dorthin zurück, so wie alles von der Verführung ausgeht und nicht vom Begehren. [...] [Das Objekt] IST der Spiegel.«22

Demgegenüber erklärt Baudrillard, dass in der Hyperrealität der Andere, der Spiegel, abhanden gekommen ist und ersetzt wurde durch den Bildschirm, der das Ich lediglich absorbiert und das Gleiche in die Zirkulation treibt (statt in eine Dualität mit dem Anderen).23 Die Verführung, über die Baudrillard in Zusammenhang mit Calles Arbeit schreibt, ist auch ein zentraler Aspekt seines Verständnisses seiner eigenen Theorie: Er verführt den Leser, statt (klassisch-kritisch-analytisch) aufzudecken, zu erläutern und zu erklären. »Wenn Baudrillard das Konzept der Verführung anwendet, will er immer auch herausfordern. Wenn der Leser sich verführen lässt, muss er Teile seiner eigenen Wahrheit aufgeben und sich auf Spielregeln einlassen, die seinen eigenen Realitätsprinzipien völlig widersprechen. Baudrillard will uns also verführen zu einer Weltsicht, in der Ritual und Zeremonie an die Stelle der Sinn produzierenden Simulationen getreten sind.«24

20 Jean Baudrillard (1983a): »Please follow me«, in: Sophie Calle/Jean Baudrillard, Sophie Calle. Suite vénitienne. Jean Baudrillard. Please follow me, Paris: Éditions de l'Étoile, S. 91. 21 Ebd., S. 82. 22 Jean Baudrillard ([1983b] 1991): Die fatalen Strategien, München: Matthes & Seitz, S. 138 und S. 141 (Majuskel im Orig.). Siehe auch noch einmal die obige Fußnote 14. 23 Vgl. Baudrillards Aussage in Baudrillard (1990a) 1992, S. 63: »Einst lebten wir im Imaginären des Spiegels, der Entzweiung und der Ich-Szene, der Andersheit und der Entfremdung. Heute leben wir im Imaginären des Bildschirms, des Interface und der Vervielfältigung, der Kommutation und Vernetzung. […] [D]ie Interaktivität der Menschen ist zu der von Bildschirmen untereinander geworden.« 24 Blask 2002, S. 63. Negativ gewendet sprechen Kritiker vom ›terroristischen‹ Denken Baudrillards, vgl. Michaela Ott (2005a): »Jean Baudrillard – Böses Denken«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.), Philosophie und

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Der Tod, das Böse, die Verführung – fatale Strategien, zu denen letztlich Baudrillards subversive Form von Theorie hinzukommt. Mit dieser bringt er nicht nur die Realität zum Verschwinden, sondern auch die Geschichte, die Politik, die Kritik und schließlich – die Kunst. 2.2. Kunst verschwindet 2.2.1. Transästhetik »Ce carré blanc sur fond blanc c'est de la métaphysique. Qu'est-ce qu'on cherche par là? Une sorte de métaphysique du vide, de compulsion de disparition. Il y a différentes façons de disparaître. On peut disparaître par l'exténuation des formes, la conceptualisation, la géométrie transparente. Ou bien on peut disparaître par l'excès, la prolifération, la redondance. L'art a suivi les deux voies, à mon avis. Il y a une voie raréfiée, où les formes se raréfient; et une voie d'expansion, du genre polyuréthane expansé.«25

Die Aussage stammt aus einem Gespräch mit dem italienischen Maler Enrico Baj (1924-2003), der in frühen Jahren die Künstlergruppe Movimento Nucleare gründete, die als italienisches Pendant zur CoBrA-Gruppe betrachtet werden kann (tatsächlich ähneln die Gemälde dieser Zeit jenen expressiven Gemälden von Karel Appel, siehe dazu das Kapitel zu Lyotard). Baj stand zunächst Asger Jorn sehr nahe, doch er distanzierte sich von diesem noch vor der Gründung der Situationistischen Internationale. Baj ist bekannt dafür, sich immer gegen die üblichen und vor allem gegen die gerade in der Kunstwelt populären Stile gewendet zu haben26 – eine Position, die auch im Gespräch mit Baudrillard offenkundig wird, in dem sich Baudrillard und Baj vielmehr über den aktuellen Stand der Kunstwelt unterhalten (und über ihre beidseitige, ehemalige Verbundenheit zur S.I.), als auf Bajs monumentales Werk Sept milliards pour l'an 2000 von 1989 einzugehen, das Anlass des Gesprächs und der Publikation ist (eine über 5 x 2 m große Zusammenstellung von 33 Gemälden, die größtenteils Köpfe unzähliger Figuren und einiger Tiere oder Fabelwesen zeigen, stilistisch zwischen Picassos Guernica und dem figurativen Deutschen Expressionismus bzw. wieder dem Stil von CoBrA und Appel; thematisch geht es um die sich beschleunigende demografische Entwicklung). Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 91-104. 25 Jean Baudrillard mit Enrico Baj (1990c): »Die Mythologie des Kitsches«, in: Jean Baudrillard/Enrico Baj, Transparence du kitsch, Paris: Éditions de la Différence/Galerie Beaubourg, S. 18. (Das Gespräch trägt tatsächlich den deutschen Titel, den Enrico Baj gewählt hat.) 26 Vgl. einige dieser Stilbrüche im Artikel: Kristina Piwecki (1994): »Kein Respekt vor Obrigkeit, Militär und Bildern von Kollegen«, in: art - das Kunstmagazin, Nr. 1, Januar, S. 66-69.

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Baudrillards in diesem Gespräch formulierte Diagnose der zeitgenössischen Kunst als einer doppelten Bewegung unterliegend, einerseits der des Verschwindens und andererseits der des Wucherns, ist typisch für seine Analysen: Politik ist im Verschwinden begriffen und um dies zu kaschieren, ist nunmehr alles politisch, Sexualität ist überall präsent und verschwindet tatsächlich immer mehr aus dem wirklichen, alltäglichen Leben. Wir befinden uns in keiner geschichtlichen Kontinuität mehr, also wird (vergangene) Geschichte so hochgehalten, wie noch nie, die Ästhetisierung des Alltagslebens führt dazu, dass Kunst überall ist – und nirgends. Baudrillard spricht für die Politik von Transpolitik, für die Sexualität von Transsexualität und für die Kunst von Transästhetik. »Die Kunst hat sich nicht in einer transzendenten Idealität, sondern in einer allgemeinen Ästhetisierung des Alltagslebens abgeschafft, sie ist zugunsten einer reinen Zirkulation der Bilder in einer Transästhetik der Banalität verschwunden.«27 Dieses Konzept, wie auch das Gespräch mit Baj, ist zeitlich in einen Abschnitt von Baudrillards Œuvre einzuordnen, in dem er sich vermehrt mit dem Verschwinden der Kunst anhand des Werkes von Andy Warhol beschäftigt, zwischen dem Ende der 1980er Jahre und dem Anfang der 1990er Jahre. Warhol ist, wie bereits weiter oben im Zusammenhang von La société de consommation gesehen, kein Unbekannter in Baudrillards Schriften, und auch in Transparenz des Bösen nennt er mehrfach Dada, Duchamp und Warhol als Wegbereiter bzw. Vollzieher der Überführung von Kunst in die »Ära der Banalität«28. Doch in dieser Zeit entstehen einige Aufsätze und auch Gespräche, in denen Baudrillard seine Analysen von Warhols Kunst immer weiter zuspitzt, sodass an ihnen die Entwicklung von Baudrillards Gedanken zu Kunst nachvollzogen werden kann. Der amerikanische Künstler Andy Warhol (1928-1987) arbeitete als Maler und Grafiker und gilt als einer der Pioniere, gar als Ikone der Pop-Art. Seit den 1960er Jahren fertigte er – bzw. seine berühmte Factory – Gemälde und Siebdrucke an, für die vor allem Fotografien aus Magazinen als Vorlage dienten: Marilyn Monroe, Elvis Presley, Jackie Kennedy, Liz Taylor, doch auch Warhol selbst sowie Blumen oder Fotografien von Unfällen gehören neben Motiven aus der Werbung, wie die Coca-Cola-Flasche, die Campbell's Suppendosen (siehe Abbildung 19), die Brillo Boxes, aber auch die allgegenwärtigen Dollarscheine zu den bekanntesten Bildserien. Diese Ko-

27 Baudrillard (1990a) 1992, S. 18. Weil die aktuellen Tendenzen in der Kunst »nichts Eigenes mehr haben«, existieren sie »aufs Prächtigste nebeneinander in totaler Indifferenz«, vgl. ebd., S. 22. Konkret nennt Baudrillard hier z.B. die Richtungen Neo-Geo, den Neuen Expressionismus, die Neue Abstraktion und die Neue Figuration. Konsequenterweise zweifelt er an der Möglichkeit von Baj, sich mit seiner selbst ernannten Außenseiterposition im Kunstbetrieb tatsächlich außerhalb des Kunstbetriebs zu bewegen, geschweige denn diesen zu subvertieren, vgl. Baudrillard mit Baj 1990c, S. 12. 28 Vgl. Baudrillard (1990a) 1992, S. 18, 23ff., 29.

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pien von Bildern aus dem Alltag irritieren in ihrer umstrittenen Qualität als Kunst, während Warhol selbst fast von Anfang an als Künstlerstar zum Liebling der Medien wurde. Der zentrale und erste eigenständige Text, den Baudrillard Warhol widmet, ist »Von der absoluten Ware« von 1988. Darin verbindet er Walter Benjamins Ausspruch von der ›technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks‹, durch die dessen Aura, dessen Originalität verloren geht,29 mit einem Diktum Baudelaires, das genau in die Richtung von Baudrillards Überlegungen geht: »[E]s ist Baudelaire, der in diesem gewaltigen Gegensatz zwischen dem Begriff des Kunstwerks und der modernen Industriegesellschaft auf Anhieb die radikale Lösung findet. […] [Man darf] sich nicht gegen die Entfremdung zur Wehr setzen, sondern man muß die Entfremdung vorantreiben und sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Man muß den unerbittlichen Wegen der Indifferenz und Aequivalenz des Marktes folgen und das Kunstwerk zur absoluten Ware machen.«30

Absolute Waren bzw. absolute Objekte sind solche, die den Tauschwert überschreiten, dafür den Zeichenwert in die Ekstase treiben und so zu Fetischobjekten werden, die einerseits keinen Wert an sich mehr haben und andererseits doch einen so großen Wert, dass sie nicht mehr getauscht werden können (hier spricht er von der Aura des Simulakrums, der Aura der Simulation). Das erinnert an Baudrillards Zeichenlehre – ohne Zweifel kannte er jedoch auch Michel Foucaults Text »Ceci n'est pas une pipe«, veröffentlicht 1973, über das gleichnamige Gemälde des surrealistischen Malers René Magritte (von 1928). Foucault legt eine kleine historische Entwicklung der modernen Kunst vor, in der Klee/Kandinsky, Magritte und schließlich Warhol der Abfolge von Zeichen entsprechen, wie bereits bei Baudrillard gesehen: Ähnlichkeit-Gleichartigkeit-Trugbild.31 Allerdings

29 Baudrillard spielt schon in La société de consommation auf Benjamin an, wenn er von den »Multiples« spricht, der Kunstedition einer bekannten französischen Ladenkette, die aus dem Kunstwerk als Rarität eine vervielfältigte Ware der Konsumgesellschaft macht, vgl. Baudrillard 1970, S. 159. 30 Jean Baudrillard (1988): »Von der absoluten Ware«, in: Martin Schwander (Hg.) (1995), Andy Warhol. Paintings 1960-1986, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart: Verlag Gerd Hatje, S. 15. 31 »Die Ähnlichkeit hat einen ›Patron‹: ein Original, das von sich aus sämtliche Kopien beherrscht und hierarchisiert, welche man von ihm herstellen kann und welche sich immer weiter von ihm entfernen. Ähnlichsein setzt eine erste Referenz voraus, die vorschreibt und klassifiziert. Das Gleichartige entfaltet sich in Serien, die weder Anfang noch Ende haben, die man in dieser oder jener Richtung durchlaufen kann, die keiner Hierarchie gehorchen, sondern sich von winzigem Unterschied zu winzigem Unterschied ausbreiten. Die Ähnlichkeit dient der Repräsentation, welche über sie herrscht; die Gleichartigkeit dient der Wiederholung, welche durch sie hindurchläuft. Die Ähnlichkeit ordnet sich dem Vorbild

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exerziert Foucault diese Folge über den ganzen Text an Magrittes Arbeiten durch und verweist erst in den letzten Zeilen auf Warhol: »Eines Tages wird auch das Bild selbst, mitsamt dem Namen, den es trägt, durch die in einer Serie endlos übertragene Gleichartigkeit desidentifiziert werden. Campbell, Campbell, Campbell, Campbell.«32 Baudrillard treibt Foucaults Ansatz weiter, indem er bei Warhol zwischen einer wahren und einer falschen Simulation unterscheidet. Die wahre Simulation sind die Campbell's Soup Cans der 1960er Jahre; wenn Warhol jedoch die Soup Cans 1986 noch einmal malt, handelt es sich um eine falsche Simulation, da er das Nicht-Originelle auf nicht-originelle Weise reproduziert.33 Indem Baudrillard außerdem Baudelaire und Hegels Formulierung von der »Furie des Verschwindens« kombiniert, skizziert er an Warhol das Verschwinden der Kunst, ein Gedanke, der weit über Foucaults Überlegungen zu Kunst hinausgeht. Mit dieser These vom Verschwinden der Kunst lässt sich im Übrigen der genaue Unterschied zwischen Foucault und Baudrillard fassen, den Letzterer in seinem viel diskutierten Pamphlet Oublier Foucault von 1977 genau definiert hat: Foucault nehme nach wie vor eine Wirklichkeit in den Blick, die nunmehr eine simulierte sei. »Daß man so viel von der Macht spricht, heißt doch wohl, daß sie nirgendwo mehr ist. Mit Gott war es so: allgegenwärtig wurde er erst kurz vor seinem Tode. […] Mit der Macht ist es genauso: weil sie tot ist, nur noch ein Schreckgespenst und Hirngespinst, ist sie in aller Munde.«34

unter, das sie vergegenwärtigen und wiedererkennen lassen soll; die Gleichartigkeit läßt das Trugbild (simulacrum) als unbestimmten und umkehrbaren Bezug des Gleichartigen zum Gleichartigen zirkulieren.«, Michel Foucault ([1973] 1974): Dies ist keine Pfeife, München: Hanser Verlag, S. 40 (Hervorh. im Orig.). 32 Foucault (1973) 1974, S. 52. 33 Vgl. Baudrillard (1988) 1995, S. 16f. Analog dazu könnte man auch die Repliken bzw. die Multiples der Duchampschen Readymades nennen. Sophie Calle wiederholt ihre Detektivgeschichte 1981 in der Arbeit La Filature zwar auch. Doch handelt es sich dabei eben nicht um eine identische Wiederholung, da eine Verschiebung stattfindet: Calle bittet ihre Mutter, einen Detektiv auf sie (Calle) anzusetzen, den sie dabei beobachtet, wie er sie beobachtet – eine Luhmannsche Beobachtung zweiter Ordnung par excellence. 34 Jean Baudrillard ([1977c] 1983): Oublier Foucault, München: Raben Verlag, S. 74. Baudrillard kritisiert aus ähnlichen Gründen das Konzept des Wunsches bzw. der Intensität des frühen Deleuze und Lyotard – als Beispiel für seinen oft polemischen Ton vgl.: »Ihre Bahnen [gemeint sind hier Foucault und Deleuze; D.D.] sind die gleichen, weshalb sie sich so gut verstehen […] und weshalb sie künftig ihren Begriffsmüll seriell herstellen können […].«, ebd., S. 21. In einem späteren Gespräch mit Sylvère Lotringer wird deutlich, dass die vehemente Ablehnung auch als Reverenz gelesen werden muss an einen Autor, dem nur mit einem unmöglichen Tausch, dem (vermeintlichen) Vergessen zu begegnen ist, vgl. Jean Baudrillard mit Sylvère Lotringer ([1996e] 2005): Oublier Artaud, Paris: Sens &

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In der Hyperrealität ist die (reale) Macht, Politik, Sexualität wie auch Kunst verschwunden. »Towards the vanishing point of art« heißt ein Aufsatz, der auf einem Vortrag von 1987 am Whitney Museum of American Art in New York beruht (und der viele Passagen enthält, die Baudrillard in »Von der absoluten Ware« und in das »Transästhetik«-Kapitel in Transparenz des Bösen integriert). Dieser Vortrag erfährt seinerzeit einen enormen Zuspruch – Andy Warhol verstarb Anfang des Jahres, doch auch die Tatsache, dass Baudrillard bereits seit einigen Jahren geradezu euphorisch von der Kunstszene rezipiert wurde, wird hier eine Rolle gespielt haben.35 Baudrillard bezieht hier den Canetti-Punkt (siehe den vanishing point bereits weiter oben) auf die Kunst und beschreibt, dass zeitgenössische Kunst selbst zum Ikonoklasmus übergegangen ist: »Ich habe gesagt, daß ich Ikonoklast bin und daß die Kunst selbst ikonoklastisch geworden ist. Ich verstehe darunter eine neue moderne Bilderstürmerei, die nicht darin besteht, die Bilder zu zerstören, sondern Bilder zu produzieren, einen Überfluß an Bildern, auf denen es nichts zu sehen gibt. Auf den meisten Bildern, die ich hier in New York sehe, ist nichts zu sehen. Das sind wortwörtlich Bilder, die keine Spuren hinterlassen.«36

Bilder, die keine Spuren hinterlassen – diese Aussage kann man auch im Zusammenhang mit den Überlegungen sehen, die Baudrillard zuerst 1991 in La guerre du Golfe n'a pas eu lieu aufstellt und 1992 in L'Illusion de la Fin ou la grève des événements zusammenfasst. Darin äußert er die provokante These, dass der Golfkrieg nicht stattgefunden habe und die Ereignisse in einen ›Streik‹ getreten seien – womit die Beobachtung zur Sprache kommen sollte, dass die Zeichen des Krieges (oder anderer Ereignisse), wie wir sie

Tonka, S. 9f. (Der Titel von Majastre 1996a, Sans Oublier Baudrillard, spielt auf diese Publikationen an.) 35 Vgl. Lotringer 2005, S. 156. Baudrillard war zuvor schon seit einigen Jahren am Kunstmagazin Artforum beteiligt; nach dem Vortrag bildet sich in der amerikanischen Kunstszene die Künstlergruppe der Neo-Simulationisten (Peter Halley, Haim Steinbach, Meyer Vaisman, Ashley Bickerton u.a.): »Sie hielten Simulacres et Simulation für ein ästhetisches Statement (es war eine anthropologische Diagnose) und beeilten sich, es zur Schablone für ihre noch formlose Kunst zu machen. Baudrillard protestierte, verblüfft über ihre plötzliche Vergötterung. ›Simulation‹ ist für ihn kein Ding. Sie ist nichts in sich selber. Sie meint nur, dass es in der gegenwärtigen Kultur nichts Originales mehr gibt, nur Repliken von Repliken. ›Simulation‹, erwiderte er, ›kann nicht dargestellt werden oder als Modell für ein Kunstwerk dienen.‹ Wenn irgendetwas, dann ist sie eine Herausforderung der Kunst.«, ebd., S. 161. Vgl. ebenso Baudrillard (1995b) 2005, S. 115. 36 Jean Baudrillard (1987): »Towards the vanishing point of art«, in: Florian Rötzer/Sara Rogenhofer (Hg.) (1990), Kunst machen? Gespräche und Essays, München: Klaus Boer Verlag, S. 209 (Hervorh. im Orig.).

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über die Medien wahrnehmen, folgenlos bleiben, ›keine Spuren hinterlassen‹.37 In diesem Sinne ist Warhol für Baudrillard der letzte Künstler, der es geschafft hatte, Spuren zu hinterlassen. Im Jahre 1990, aus Anlass großer Retrospektiven Warhols im Centre Pompidou wie auch auf der Biennale in Venedig, erklärt er Warhol zu einem »[…] Höhepunkt des 20. Jahrhunderts, weil er der einzige war, der wirklich dramatisieren konnte. Er bringt die Simulation dahin, ein weiteres Drama zu sein, eine weitere Dramaturgie: etwas Dramatisches zwischen zwei Phasen, der Übergang in das Bild und die absolute Äquivalenz aller Bilder.«38 Warhol trieb die Kunst konsequent in die Indifferenz und Banalität, der Akt selbst jedoch war singulär. Nach Warhol gibt es für Baudrillard nur noch Repliken von Warhol, parallel zu Warhols eigener Wiederholung der Soup Cans: »Andere haben das später simuliert, aber er war der große Simulator, der dazu noch Klasse hatte!«39 In Anbetracht der künstlerischen Gesten Duchamps, die Warhol weitergetrieben hat, stellt sich allerdings die Frage, ob mit Baudrillard gegen Baudrillard nicht denkbar ist, dass es nach Warhol eine weitere Zuspitzung geben kann.40 Baudrillard selbst erkennt fortan keine mehr. Die Pop-ArtKünstler um Warhol (Rauschenberg, Lichtenstein und andere) reästhetisierten lediglich41 und nicht nur die Simulationisten schätzt Baudrillard als Nachahmer (unter anderem von Warhol) ein:42 Auch Jeff Koons betreibe ein

37 In den Terroranschlägen des 11. September 2001 sieht er dann zum ersten Mal wieder ein reales, singuläres Ereignis geschehen. Dennoch fällt die Kritik an Baudrillard vehementer aus denn je, da er – seiner Präferenz für die Reversibilität der Dinge treu bleibend – die These wagt, dass die Anschläge Auswuchs des verfemten Bösen der westlichen Gesellschaften seien, kein destruktiver, sondern ein auto-destruktiver Akt, vgl. Jean Baudrillard ([2001e] 2002): L'esprit du terrorisme, Paris: Galilée. 38 Jean Baudrillard mit Françoise Gaillard (1990b): »Von Andy Warhol ausgehen«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.) (2005), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 10. 39 Ebd. Diese Bewunderung Warhol gegenüber ist auch im zweiten, eigenständigen Text über ihn zu spüren, vgl. Jean Baudrillard (2001a): »Andy Warhol: Snobbish machine«, in: Terry Smith (Hg.), Impossible Presence. Surface and Screen in the Photogenic Era, Chicago: The University of Chicago Press, S. 183-192. Darin konzentriert sich Baudrillard wieder auf den Waren- bzw. Fetischcharakter von Kunst und greift das »Transästhetik«-Konzept ebenfalls noch einmal auf. 40 Vgl. Wolfgang Welschs Skepsis gegenüber Baudrillards »rien ne va plus« (jedoch auch gegenüber Feyerabends »anything goes«), Wolfgang Welsch (2003): Ästhetisches Denken, 6. Aufl., Stuttgart: Reclam, S. 162. 41 Vgl. Baudrillard mit Gaillard (1990b) 2005, S. 13. 42 Vgl. ebd. , S. 14.

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solches rewriting.43 Ausdrücklich Gefallen findet Baudrillard, wie er in späteren Interviews einräumt, am amerikanischen Maler Edward Hopper (18821967) und an Francis Bacon – wobei er gerade deshalb nicht über sie schreiben möchte, um ihre Singularität zu bewahren (ähnlich der Geste, die er in Oublier Artaud beschreibt, siehe weiter oben): »[T]here is nothing to be said for singularity. I am now looking over the bulk of writing on Bacon. For me, it all adds up to zero. All of these commentaries are a form of dilution for the use of the aesthetic milieu. What can be the function of this type of object in a culture in the strongest sense of the word? We are not going to return to primitive societies, but in anthropological cultures, there is no object that escapes a global circuit of either use or interpretation…«44

Ohne Zweifel ist dies auch als Kritik an der Studie von Deleuze, wie auch von Michel Leiris (siehe im Kapitel zu Deleuze) zu verstehen. So fällt hier auch auf, dass die von Baudrillard ehedem kommentierte Sophie Calle nach dem gekürzten Wiederabdruck des ihr gewidmeten Textes in Transparenz des Bösen keine Erwähnung mehr findet. Bewahrung ihrer Singularität oder Abwendung, wie folgender Ausspruch vermuten lässt? »Von all dem, was

43 Vgl. ebd., S. 16, dort: »Die Stars von Warhol haben, wenn auch banalisiert durch den Siebdruck, intensiv etwas vom Tod, vom Schicksal zum Ausdruck gebracht… Koons, das ist nicht mal Regression; das ist schlapp, völlig kraftlos! Du siehst es, und du vergisst es. Vielleicht ist es dafür gemacht…« Baudrillard bezieht sich hier auf eine Arbeit des amerikanischen Künstlers Jeff Koons (*1955), die auf der Biennale von Venedig 1990 zu sehen war und für eine Provokation sorgte: Made in Heaven, bestehend aus Fotografien, Gemälden, Holz- und Glasskulpturen, zeigt Koons zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Ilona Staller – unter dem Pseudonym Cicciolina als Pornostar bekannt – detailgetreu beim Sexualakt. Auch im Gespräch mit Enrico Baj widmen beide dieser speziellen Biennale viele Aussagen. Neben Koons kommen die Künstler Jenny Holzer, Ellsworth Kelly sowie Dan Flavin zur Sprache, vgl. Baudrillard mit Baj 1990c, S. 17. In allen diesen Fällen ist es Baj, der die Kritik dieser von ihm ins Spiel gebrachten Künstler forciert. 44 Jean Baudrillard mit Catherine Francblin (1996d): »La Commedia dell'Arte«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 70. Wiedererkennbar ist hier erneut das Motiv des détournement, siehe die Conclusio. Für eine Stelle, an der er Bacon, Warhol als auch Hopper nennt vgl. Jean Baudrillard mit Ruth Scheps (1996a): »Art between Utopia and Anticipation«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 57.

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ich über die Kunst gesagt habe, fand ich nur spannend, was sich auf Warhol, Pop-Art und den Hyperrealismus bezog.«45 2.2.2. Komplott der Kunst In Baudrillards Aussagen zu Kunst ist eine Kontinuität zu erkennen, eine Kontinuität des Weitertreibens von Überlegungen zu zeitgenössischen, transästhetischen, banalen, indifferenten Kunstwerken, die Kunst simulieren und dadurch zu kaschieren suchen, dass diese bereits verschwunden ist. Bis zum Vortrag »Towards the vanishing point of art« und den Aufsätzen und Buchpassagen, die daraufhin entstehen, ist Baudrillard zwar ein streitbarer, aber im Kunstbetrieb auch viel zitierter Diagnostiker der betroffenen Szene. Als er Ende der 1980er Jahre seine These vom Verschwinden der Kunst über ein Zuviel an Kunst ohne eigenen Wert immer weitertreibt, wenden sich die ersten, wie Haacke Anfang der 1990er Jahre im Gespräch mit Bourdieu berichtet, ab: »Im Kunstbetrieb, den ich am besten kenne, hat Baudrillard seit Ende der 80er Jahre Anhänger verloren. […] Doch er und seine Jünger haben seither [seit den Arbeiten der 1970er Jahre zur Konsumgesellschaft; D.D.] immer mehr den Sinn für Geschichte und gesellschaftliche Konflikte verloren, die ja trotz allen modischen Geredes sich nicht im Virtuellen auflösen.«46

Mitte der 1990er Jahre nimmt die Baudrillard-Rezeption eine unerwartete Wendung, die jedoch mit Baudrillards eigenen Konzepten im Ansatz erklärt werden kann. Baudrillard beschreibt fortwährend Phänomene, die an einem bestimmten Punkt ›kippen‹ und sich in ihr Gegenteil kehren: »Jede Masse produziert den Effekt einer kritischen Masse […]. Auf diese Weise kann jedes Phänomen seinen Ablauf durch einfache Beschleunigung oder Proliferation umkehren. […] Jede Beschleunigung produziert eine gleiche oder sogar größere Trägheit. […] Jede Differenzierung produziert eine gleiche oder sogar größere Indifferenz. Jede Transparenz produziert eine gleiche oder sogar größere Opazität. […] Jede Kommunikation produziert eine gleiche oder sogar größere Unkommunizierbar-

45 Baudrillard mit Gaillard (1990b) 2005, S. 10. Hier sei hinzugefügt, dass Baudrillard bereits 1977 einen Text über das Trompe-l'Œil verfasst hatte, in dem er diese Maltechnik als in Opposition zur Malerei der Repräsentation der Renaissance interpretiert – mit einer Betonung auf die Flächigkeit und Banalität des Gezeigten, die stark an die Aussagen zu Warhol erinnern, vgl. Jean Baudrillard (1977a): Le Trompe-l'Œil, Urbino: Centro Internazionale di Semiotica e di Linguistica/ Università di Urbino. 46 Hans Haacke in: Bourdieu/Haacke (1994) 1995, S. 43 und 45.

242 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK keit. Jedes Wissen, jede Gewißheit produziert eine gleiche oder sogar größere Ungewißheit. Et cetera. […] Zuviel, es ist zuviel.«47

Jeder weitere Kommentar Baudrillards zu zeitgenössischer Kunst produziert Ablehnung. Baudrillards zumindest negativ konnotierte Diagnosen, wenn nicht offen polemische Kritiken, lassen die Stimmung kippen. Zuviel, es ist zuviel. Im Mai 1996 erscheint in der linksgerichteten, französischen Zeitung Libération (der Baudrillard zeit seines Lebens verbunden ist) der Artikel »Le complot de l'art« und erzeugt einen Skandal. Die Aussagen sind nicht neu: Die Illusion ist aus der Kunst gewichen, zeitgenössische Kunst ist banal und transästhetisch zugleich, die Kunstwerke simulieren eine verschwundene Kunst. Auch den Kunstmarkt mit seinen horrenden, spekulativen Preisen hatte er als Parodie des deregulierten Finanzmarkts bereits früher ins Visier genommen. 48 Neu, aber vonseiten Baudrillards durchaus erwartbar, war der verschärfte Ton: Der gesamte Kunstbetrieb sei in ein Komplott verstrickt. Diesen als geschlossenen Kreis von Eingeweihten darstellend, beschreibt Baudrillard die Beziehung zwischen den Akteuren des Kunstbetriebs und dem (Laien-)Publikum als stark hierarchisiert: »L'autre versant de cette duplicité, c'est, par le bluff à la nullité, de forcer les gens, a contrario, à donner de l'importance et du crédit à tout cela, sous le prétexte qu'il n'est pas possible que ce soit aussi nul, et que ça doit cacher quelque chose. L'art contemporain joue de cette incertitude, de l'impossibilité d'un jugement de valeur esthétique fondé, et spécule sur la culpabilité de ceux qui n'y comprennent rien, ou qui n'ont pas compris qu'il n'y avait rien à comprendre. Là aussi, délit d'initié.«49

47 Jean Baudrillard ([2004b] 2006): Die Intelligenz des Bösen, Wien: Passagen Verlag, S. 167ff. An dieser Stelle wäre anzumerken, dass Baudrillard seine Gedanken und Aufsätze immer wieder neu formuliert und neu publiziert (wie die gekürzte Neufassung von »Please follow me« in Transparenz des Bösen, siehe oben); das heißt, dass beispielsweise auch diese Passagen aus Die Intelligenz des Bösen natürlich schon in früheren Publikationen zu finden sind – nur nicht so pointiert. 48 So zum Beispiel in Transparenz des Bösen: »Es gibt eine Parallele zu dieser Eskalation [der Transästhetik; D.D.], nämlich auf dem Kunstmarkt. Auch dort wird alles, aufgrund der Beendigung jedes Warengesetzes des Werts, ›teurer als teuer‹, teuer in der zweiten Potenz: die Preise werden exorbitant, die Überbietung wahnwitzig. Wenn es keine Regel des ästhetischen Spiels mehr gibt, bewegt sich diese[s] in alle Richtungen; wenn jeder Bezug zum Tauschgesetz verloren gegangen ist, schlingert der Markt in zügelloser Spekulation dahin.«, Baudrillard (1990a) 1992, S. 26. 49 Jean Baudrillard ([1996b] 1997): Le complot de l'art, Paris: Sens & Tonka, S. 25 und 27 (Hervorh. im Orig.). Bezogen auf die Künstler spricht Baudrillard von der »[…] complicité occulte et honteuse qui lie l'artiste jouant de son aura de dérision avec les masses stupéfiées et incrédules.«, ebd., S. 17. Auch der Kunstdis-

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Es ist auffallend, dass Baudrillard hier Mitte der 1990er Jahre letztendlich zu derselben Einschätzung kommt, wie sie Bourdieu vor allem Ende der 1960er und in den 1970er Jahren anhand seiner Untersuchungen entwickelt hatte. Die Tatsache, dass Baudrillards Beschreibungen der zeitgenössischen Kunst (und Kunstszene) demgegenüber so heftigen Widerspruch erfahren, lässt sich unter anderem damit verständlich machen, dass das französische Adjektiv nul mehrere Bedeutungsebenen hat, die gerade in Übersetzungen kaum wiederzugeben sind. Nul bedeutet einerseits ›bedeutungslos‹, ›nichtig‹ und ›wertlos‹. Andererseits ist es in der Alltagssprache ein Äquivalent für ›schlecht‹. Das muss bei Passagen wie der folgenden in Betracht gezogen werden: »Bien sûr, toute cette médiocrité prétend se sublimer en passant au niveau second et ironique de l'art. Mais c'est tout aussi nul et insignifiant au niveau second qu'au premier. Le passage au niveau esthétique ne sauve rien, bien au contraire: c'est une médiocrité à la puissance deux. Ça prétend être nul: ›Je suis nul! Je suis nul!‹ – et c'est vraiment nul.«50

Es ist kaum verwunderlich, dass solche Aussagen als wertende Urteile gelesen wurden.51 In der Folge gab Baudrillard mehrere Interviews, die seine

kurs ist Teil des Komplotts: »Ils [die Künstler; D.D.] se cachent derrière leur propre nullité et derrière les métastases du discours de l'art, qui s'emploie généreusement à faire valoir cette nullité comme valeur (y compris sur le marché de l'art, évidemment). Dans un sens, c'est pire que rien, puisque ça ne signifie rien et que ça existe quand même […].«, ebd., S. 23. 50 Ebd., S. 19 (Hervorh. im Orig.). Diese Problematik macht die Übersetzungen interessant: In der englischen Übersetzung, abgedruckt in Jean Baudrillard (2005): The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 25-29, heißt es: »›I am null! I am null!‹ – and it truly is null.«, dort S. 27 (Hervorh. im Orig.). In seinem Aufsatz »Introduction: The Piracy of Art«, ebd. auf den Seiten 9-21, zitiert Lotringer diese Stelle jedoch wie folgt: »›I am bad! I am bad!‹ – and it truly is bad.«, dort auf S. 13. In der deutschen Übersetzung dieses Aufsatzes wiederum, »Die Piraterie der Kunst«, auf die hier bislang verwiesen wurde (in Gente/Könches/Weibel 2005), steht: »›I am bad! I am bad!‹ – und sie ist wirklich schlecht.«, Lotringer 2005, S. 160. Eine andere deutsche Übersetzung in derselben Publikation lautet: »Ich bin nichtig! Ich bin nichtig! – Und es ist wirklich nichtig.«, vgl. den Aufsatz von Régis Michel (2005): »NULLITAS NULLITATUM ET OMNIA NULLITAS. Kunst als Komplott: eine paranoide Ästhetik?«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 130. In jedem Fall geht der Eigensinn der Baudrillardschen Formulierung verloren. 51 Baudrillard erklärt den Einsatz des Begriffs nul wie folgt: »[P]utting together reality and image adds up to a sum zero equation. That is what I meant. Artists

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Position erklären sollten, obwohl es bereits in »Le complot de l'art« viele Anhaltspunkte gibt, die der Auffassung, Baudrillard prangere die zeitgenössische Kunst an, zuwiderlaufen – erst recht, wenn man den Artikel im Kontext seiner übrigen Arbeiten liest. In dem Artikel schreibt Baudrillard denn auch, dass zeitgenössische Kunst gerade von der Unmöglichkeit von Werturteilen geprägt ist, und er erinnert daran, dass neben der Kunst auch die Politik und die Wirtschaft von denselben Entwicklungen betroffen sind. Außerdem fragt er danach, was Kunst in der Hyperrealität überhaupt bedeuten kann. So bietet Sylvère Lotringer eine andere mögliche Lesart des Skandals von »Le complot de l'art«, indem er den scharfen Ton Baudrillards als eine Form von Umkehrung gegen den Kunstbetrieb beschreibt, der ihm das ›Geschenk‹ gemacht hatte, ihn nicht nur als Kunsttheoretiker, sondern auch als Fotografen in seine Mitte aufzunehmen (dazu mehr weiter unten): »Schon früh hatte er von dem französischen Anthropologen Marcel Mauss gelernt, dass ›Geschenke‹ sich immer rächen. Er wusste, dass er sich irgendwann revanchieren und das Unmögliche tun musste. Und er tat es: er schrieb Das Komplott der Kunst.«52 In genau diese Richtung geht auch eine Aussage Baudrillards aus dem Gespräch mit Baj 1990, in der er sich selbst mit Warhol vergleicht: »C'est un peu la même chose que je fais, pousser les choses, les concepts à la limite, afin de provoquer une abréaction violente. Je ne cherche plus l'action progressive, positive, mais l'abréaction négative ou paradoxale, dans le phénomène extrême. Stratégie de la provocation, et non plus de l'invocation qui est celle de l'utopie et de l'imaginaire.«53

Diese Anmerkungen deuten darauf hin, dass Baudrillard wusste, worauf er sich einlässt und womöglich mit Absicht das Komplott der Kunst ankreidete. Dem widersprechen allerdings die rechtfertigenden und erklärenden Interviews und Texte aus den folgenden Jahren. Um nachvollziehen zu können, was der genaue Hintergrund dieser Kehrtwende in der BaudrillardRezeption ist, muss man die Situation des französischen Kunstbetriebs in den 1990er Jahren in den Blick nehmen – ein eminent wichtiger Punkt, des-

always believe that I am casting judgment on their work and that I am telling them: ›This is not good.‹ So there is a real misunderstanding there.«, Jean Baudrillard mit Sylvère Lotringer (2001b): »Too Much is Too Much«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 78 (Hervorh. im Orig.). 52 Lotringer 2005, S. 165. 53 Baudrillard mit Baj 1990c, S. 15.

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sen Erwähnung die Autoren der Baudrillardschen Sekundärliteratur zu seinen Kunstthesen versäumen.54 Baudrillard publizierte seinen Artikel 1996 nicht nur an prominenter Stelle in der Tageszeitung Libération, sondern in einer Zeit, die nur wenig später als die »Querelle de l'art contemporain« bezeichnet wird (in Anlehnung an die ›Querelle des anciens et des modernes‹ gegen Ende des 17. Jahrhunderts). Angestoßen wurde die Debatte 1991 mit einem Dossier der Zeitschrift Esprit, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob es für die zeitgenössische Kunst überhaupt noch gültige und nachvollziehbare Kriterien der Beurteilung gebe. Bereits wenige Monate später wird aus den darauf folgenden Reaktionen die »crise de l'art contemporain«: Kunstkritiker, -theoretiker, -historiker, Journalisten, Kuratoren, Museumsdirektoren und viele weitere Akteure tauschen in äußerst vehementem Ton über diverse Artikel, Aufsätze und Interviews in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften (Esprit, Art Press, Le Monde, Libération und viele weitere mehr) ihre Meinung aus. Schnell bilden sich der Block ›pro-zeitgenössischeKunst‹ und der ›anti-zeitgenössische-Kunst‹: Die Gegner zeitgenössischer Kunst werfen ihr vor, bedeutungslos zu sein (n'importe quoi, einfach nichts, im Kontrast zum die Kunst immer schon dominierenden, berühmten je ne sais quoi). Die Verteidiger zeitgenössischer Kunst werfen den Gegnern vor, reaktionär zu sein, nichts von Kunst zu verstehen und ein Faible für traditionelle, ergo überholte Kunst zu haben im Vergleich zur progressiven Kunst der Gegenwart. Die ursprüngliche Frage nach den möglichen Bewertungskriterien wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt zugunsten eines Streits, der mit jeder neuen Aussage weiter polarisiert. Mitte der 1990er Jahre hatte die Kontroverse bereits an Schwung verloren, als Baudrillard seinen

54 Vgl. die vier ausdrücklich dem Themenkomplex ›Baudrillard und Kunst‹ gewidmeten Anthologien: Nicholas Zurbrugg (Hg.) (1997a): Jean Baudrillard, Art and Artefact, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage – diese Publikation umfasst Texte von und Gespräche mit Baudrillard sowie Aufsätze zu Baudrillard, jedoch mit einem grundlegenden Interesse vor allem an der Zeichenlehre und seiner Arbeit als Fotograf (die Texte entstammen einem 1994 stattgefundenen Symposium, das eine Ausstellung von Baudrillards Fotografien in Brisbane begleitete; das erklärt das vollständige Fehlen von »Le complot de l'art« in den Texten). Majastre 1996a stellt Texte zusammen, die als Vorträge im November 1995 präsentiert worden waren, sodass auch hier »Le complot de l'art« komplett fehlt. In Gente/Könches/Weibel 2005 setzen sich mehrere Texte mit den Thesen von »Le complot de l'art« und dem damit entfachten Skandal auseinander, beschreiben jedoch nicht den genauen Kontext der damaligen französischen Kunstszene. Dasselbe gilt für Baudrillard 2005, in welchem zwar die Interviews und Texte aus diesen Jahren zusammengetragen sind und in dem Lotringer in einem Gespräch mit Baudrillard auch en détail die heftigen Reaktionen anspricht (vgl. Baudrillard mit Lotringer (2001b) 2005), jedoch wieder ohne auf die Gesamtsituation einzugehen.

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Artikel veröffentlicht und somit erneut Öl ins Feuer gießt. Der »effet Baudrillard« facht die Diskussion wieder an.55 Baudrillards Aussagen werden von der Öffentlichkeit im Kontext dieser ›Querelle‹ gelesen, sodass auch er sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, alten ästhetischen Werten ›nachzuhängen‹, was er in einem Interview im selben Jahr (»No Nostalgia for Old Aesthetic Values«, im französischen Original erschienen in Le Monde) bestreitet (wenig später folgt, immer noch 1996, das Interview »La Commedia dell'Arte«, ursprünglich in Art Press). Die Zweifel an dieser Ausführung wird er nie vollends ausräumen können, da sich die ›Querelle‹ Ende des Jahres 1996 noch einmal zuspitzt: Baudrillard ist, neben vielen weiteren Teilnehmern an der Debatte, Teil eines zeitgenössische-Kunst-kritischen Dossiers in Krisis – einer Zeitschrift, die dem rechtsextremen Lager zugerechnet wird.56 Auf die erneute Empörung reagiert Baudrillard wiederum mit dem Artikel »A Conjuration of Imbeciles« (auf Französisch ursprünglich in Libération erschienen). Darin kritisiert er die reflexartige Zuordnung von Infragestellungen wie den seinigen als reaktionär oder gar als faschistisch. Über die politische Ideologisierung der gesamten, jahrelang währenden Diskussion, wundert sich nicht zuletzt Arthur Danto, der 1997 in Paris an einer Konferenz teilnimmt, die die Wogen glätten sollte.57 Deutlich wird zumindest, wie sehr manches Mal Kunst und

55 Vgl. Marc Jimenez (2005): La querelle de l'art contemporain, Paris: Gallimard, S. 159; diese Publikation ist eine Rekonstruktion der ›Querelle‹ mit gebührendem zeitlichen Abstand. Eine der wichtigsten Veröffentlichungen zu diesem Thema ist: Yves Michaud ([1997] 2006): La crise de l'art contemporain. Utopie, démocratie et comédie, Paris: Presses Universitaires de France; diese erscheint zum ersten Mal zu einem Zeitpunkt, als die ›Querelle‹ tatsächlich zu einem Ende zu kommen schien – wenn auch ohne Ergebnis. Eine sehr gute Anthologie, mit Anspielung auf Baudrillards Text im Titel, ist: Patrick Barrer (Hg.) (2000): (Tout) l'art contemporain est-il nul?, Lausanne: Éditions Favre; darin finden sich die meisten Artikel und Texte dieser Jahre in chronologischer Reihenfolge versammelt. 56 Hierbei handelt es sich um die Nummer 19 vom November 1996 mit dem Titelthema Art/Non-art?; Baudrillard publiziert darin den Text »Illusion, désillusion esthétique«, aufgenommen auf Englisch als: Jean Baudrillard (1995b): »Aesthetic Illusion and Disillusion«, in: ders. (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 111-129. Es ist äußerst bemerkenswert, dass es alle betroffenen Publikationen meiden, den Artikel aus Krisis zu benennen; selbst in Baudrillard 2005 wird nur der Wiederabdruck in Frankreich von 1997 vermerkt. 57 Vgl. Jimenez 2005, S. 355. Nathalie Heinich veröffentlicht 1999 einen Artikel in Le Débat, in dem sie ihre These aus Le Triple Jeu de l'Art Contemporain wiederholt, dass zeitgenössische Kunst als ein bestimmtes Genre zu deuten ist und nicht als zeitlich einzuordnend, was helfen würde, die ›Querelle‹ besser zu verstehen,

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Kunstdiskurse bestimmten Ideologien unterworfen werden. Beim ersten, hier näher betrachteten Theoretiker Bourdieu wurde schon einmal ersichtlich, dass das Vertreten einer bestimmten politischen Richtung das Verständnis von Kunst stark prägen kann; bei Baudrillard, dem nunmehr letzten diskutierten Analytiker, zeigt sich dies wieder, ähnlich und doch ganz anders: Hier sind es Baudrillards Thesen zu Kunst, die mit einer politischen Richtung in Zusammenhang gebracht werden – die Baudrillard noch nicht einmal vertritt. Peter Weibel, der die politische Färbung der Gesamtsituation genauso wenig in Betracht zieht, wie die übrigen Autoren, auf die hier rekurriert wird, sieht den eigentlichen Skandal von »Le complot de l'art« darin, dass die Kunstszene von der Annahme ausgegangen war, sie werde von Baudrillards Thesen ›verschont‹ bleiben: »Solange Baudrillard mit seiner Methode die Welt kritisierte, hat die Kunstwelt ihn hymnisch verehrt. Als er aber angefangen hat, die gleiche Methode auf die Kunst anzuwenden, da hat ihm die Kunstwelt plötzlich nicht mehr applaudiert. […] Die Kunst hat sich hingestellt, als wäre sie der einzige Ort, das einzige System der Ordnung, das nicht affiziert wäre von all den Vorgängen, die Baudrillard in allen anderen Systemen aufgezeigt hat. Das ist der eigentliche Skandal. Nicht dass Baudrillard vom ›Komplott der Kunst‹ spricht, ist der Skandal. Das eigentliche Komplott ist, dass die Kunst meint, sie kann sich herausnehmen aus einer kulturkritischen Methode, die im Grunde nichts anderes ist, als eine schwärzere Version der negativen Dialektik von Adorno.«58

Auch Régis Michel (Chefkurator am Musée du Louvre in Paris) bedauert, dass Baudrillards Anklage nichts geändert hat, selbst wenn er Baudrillard für diesen Artikel ansonsten kritisiert: Die Tatsache, dass Baudrillard keine

vgl. Nathalie Heinich (1999): Pour en finir avec la querelle de l'art contemporain, Paris: L'Échoppe. 58 Weibel 2005, S. 34f. Dieser Ansicht ist zuzustimmen – mit einigen Einschränkungen: Baudrillard hatte das Kunstsystem von Anfang an in seine Kulturkritik integriert, sodass die Ablehnung von »Le complot de l'art«, wie gezeigt, nicht allein von dessen Inhalt abhängt. Es muss hier auch angemerkt werden, dass Baudrillard trotz des vehementen Widerspruchs auch positive Reaktionen aus der Kunstwelt erfahren hat: »Es spielt keine Rolle, was über die Kunst gesagt wird, Hauptsache man schenkt ihr Aufmerksamkeit. Kaum war Baudrillards Artikel […] erschienen, wurde [Baudrillard] mit Einladungen für Kunst-Events, Vorträge und Katalogbeiträge überhäuft. Es war auffällig, dass Sichtbarkeit und Ruhm und nicht Inhalte der wirkliche Antrieb der neuen Kunstordnung waren.«, Lotringer 2005, S. 157, wobei dieser folgerichtig hinzufügt: »Genau dies war die Frage, mit der Baudrillard sich im Komplott der Kunst beschäftigt hat […]: Kritik ist zu einem Trugbild der Kritik geworden […].«, ebd., S. 158. Zu Weibels Vergleich mit Adorno siehe mehr weiter unten.

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konkreten Namen angebe, den ›Feind‹ nicht benenne, hat seiner Meinung nach mit dazu beigetragen, dass sich die Welt der französischen Kunst gegen ihn wendete.59 Für ungenügend erachtet er Baudrillards Einbezug des Kunstbetrachters. Mike Gane wiederum sieht – auch wenn Baudrillard von der Unmöglichkeit ästhetischer Kriterien spricht – doch eine ›MetaÄsthetik‹ am Werk, von der aus Baudrillard bestimmte Kunstrichtungen kritisiert; allerdings ohne zu erkennen, dass es Baudrillard um die Kunst der Gegenwart en bloc geht.60 Letzteres ist sicherlich ein Grund dafür, warum Baudrillard seine eigene Arbeit als ›Künstler‹, als Fotograf, im Gespräch mit Louise Merzeau herunterspielt. Dieses 2004 veröffentlichte Gespräch ist die letzte Zusammenarbeit von Baudrillard mit einem Künstler, hier mit der Fotografin Louise Merzeau. Die Französin Merzeau (*1963) nahm zwischen September 2000 und September 2001 jeden Tag eine Fotografie auf, die sie im Anschluss im Internet veröffentlichte (siehe Abbildung 20). Das Projekt mit dem Titel Au jour le jour ist Anlass des Gesprächs zwischen Merzeau und Baudrillard, in dem sie ihre Vorgehensweisen vergleichen. Baudrillard, der die Arbeiten von Merzeau offen schätzt, kommentiert sein eigenes Fotografieren wie folgt: »Ce n'est pas pour moi une occupation à part entière et je n'ai pas envie d'investir là-dedans. Je n'ai pas envie d'investir en vérité dans la photographie. […] Pour un travail technique, il faut une maîtrise c'est sûr, mais je n'ai aucun jugement de valeur.«61 Fotografie zu betreiben mag ihn lediglich im Sinne einer Kaprice interessieren, die ihm weltweit Ausstellungen beschert hat – den Theoretiker Baudrillard interessiert die Fotografie in ihrer Eigenschaft Objekte ins Visier zu nehmen.62 So fällt spätestens hier auf, dass sich

59 Vgl. Michel 2005, S. 129. Jimenez kritisiert ebenfalls den »discours anonyme« von Baudrillard, der symptomatisch für die gesamte ›Querelle‹ gewesen sei, vgl. Jimenez 2005, S. 350. Allerdings verkennt dieser Einwand, dass die Benennung konkreter Namen Baudrillard mit Sicherheit den Vorwurf eingehandelt hätte, er kenne sich in der Kunst der Gegenwart nicht aus; die Situation war eine solche, dass es für jede Meinung eine Gegenmeinung gegeben hätte. 60 Vgl. Mike Gane (2007): »Jean Baudrillard«, in: Diarmuid Costello/Jonathan Vickery (Hg.), Art: Key Contemporary Thinkers, Oxford/New York: Berg, S. 158. 61 Jean Baudrillard/Louise Merzeau mit Marc Guillaume (2004a): »Un air de famille«, in: Louise Merzeau/Jean Baudrillard, Au jour le jour, Paris: Descartes & Cie, S. 9. 62 Insofern lehnt er die ›Ästhetisierung‹ der Fotografie, die Vereinnahmung der Fotografie durch den Kunstbetrieb ab, vgl. Jean Baudrillard mit Philippe Petit (1997d): »›Die Fotografie ist etwas sehr Schönes, aber man sollte das nicht sagen…‹«, in: Jean Baudrillard ([1997] 2002), Paroxysmus, Wien: Passagen Verlag, S. 133; es sei hinzugefügt, dass in diesem Gespräch Francis Bacon mehrmals zur Sprache kommt.

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Baudrillard auch bei Calle mit einer Künstlerin beschäftigt hat, deren Fotografien inhärenter Bestandteil ihrer Kunst sind, wohingegen Warhol Fotografien als Vorlage nutzte.63 Nur die Auseinandersetzung mit dem Œuvre von Baj wirft in diesem Kontext Fragen auf und lässt sich vielleicht mit der beidseitigen, ursprünglichen Nähe zur Situationistischen Internationale erklären.64 Bereits in »Please follow me« beschreibt Baudrillard die Fotografie als »art de la disparition«65, die den Anderen verschwinden lässt; im Gespräch mit Merzeau hebt er die Frage hervor, wie weit die Initiative des Fotografen, wie weit die Interaktion zwischen dem Subjekt des Fotografen und der Welt der Objekte, der Dinge, gehen muss: »Je n'aime pas cette interaction: j'aime être acteur ou n'être rien du tout, à la limite disparaître.«66 Auffällig ist hier die Ähnlichkeit zwischen den Fotografien von Merzeau und Baudrillard (siehe Abbildung 21): In beiden kommen keine – oder zumindest kaum – Subjekte, Menschen, vor, sie fotografieren beide Straßen, Gebäude, Interieurs, Details von Gegenständen. Aus diesem Grund wählt Marc Guillaume als Titel des Gesprächs zwischen Baudrillard und Merzeau Un air de famille.

63 Hinzugezählt werden können außerdem die folgenden Texte zu Fotografen: Jean Baudrillard/René Burri (1963): Les Allemands, Paris: Éditions Delpire; Jean Baudrillard (1991b): »Unter den Linden par Richard Avedon«, in: François L'Yvonnet (Hg.) (2004), Jean Baudrillard, Paris: Éditions de l'Herne, S. 233234; sowie Jean Baudrillard/Luc Delahaye (1999): L'Autre, London: The Phaidon Press. Von diesen sind Passagen in den zwei Texten zur Fotografie aus dem ihm gewidmeten Ausstellungskatalog wiederzufinden (und vice versa), vgl. Jean Baudrillard (1998): »Denn die Illusion steht nicht im Widerspruch zur Realität…«, in: Peter Weibel (Hg.) (1999a), Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 19851998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 20-35, sowie Jean Baudrillard (1998/1999): »Es ist das Objekt, das uns denkt…«, in: Peter Weibel (Hg.) (1999a), Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 36-45. 64 Im Übrigen werden sie wohl auch ein Leben lang befreundet gewesen sein, vgl. die Zehn-Jahres-Schritte von: Jean Baudrillard (1980): »Baj ou la monstruosité mise à nu par la peinture même«, in: Enrico Baj, Enrico Baj, Paris: Éditions Filipacchi, S. 10-13; Baudrillard mit Baj 1990c; und schließlich das Foto von 2000, auf dem beide zu sehen sind, in: François L'Yvonnet (Hg.) (2004): Jean Baudrillard, Paris: Éditions de l'Herne (Fotografie Nr. 17, o.S.). Zur Frage bzw. Problematik der persönlichen Verbundenheit der Theoretiker zu den von ihnen kommentierten Künstlern siehe mehr in der Conclusio. 65 Baudrillard 1983a, S. 93. Vgl. ebenfalls Jean Baudrillard (1997b): »The Art of Disappearance«, in: Nicholas Zurbrugg (Hg.), Jean Baudrillard, Art and Artefact, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 28-31. 66 Baudrillard/Merzeau mit Guillaume 2004a, S. 13.

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Baudrillard interessiert die Fotografie unter Weiterentwicklung der Überlegungen einerseits Jacques Lacans, nach dem nicht wir die Dinge, sondern die Dinge uns anschauen, und Roland Barthes', der bezüglich der Fotografie vom punctum sprach, der Absenz, dem Nichts, dem Tod in der Fotografie: »Diese Geschichte mit dem Toten soll einfach nur bedeuten, daß inmitten des fotografischen Bildes eine Figur des Nichts, der Abwesenheit und der Irrealität steht. Dieses Nichts inmitten des Bildes macht gerade seinen Zauber aus. […] In der Fülle unserer Bilder finden sich überall Tod und Gewalt, freilich ein pathetischer, ideologischer, spektakulärer Tod – dafür existiert das, was Barthes das ›punctum‹ nennt, dieser abwesende Ort, dieses Nichts inmitten des Bildes, dessen Stärke es ausmacht, nicht mehr.«67

Auch die Fotografie, so wird deutlich, ist in dem, was sie zu leisten vermag (die Beziehungen zwischen Objekt und Subjekt umzukehren, eine Form von spielerischer Reversibilität), bereits verschwunden. Baudrillards Texte zur Fotografie erzählen folglich von den Möglichkeiten von Fotografie bevor diese zu einer ›zeitgenössischen Kunst‹ wurde. Daher wird verständlich, weshalb Baudrillard seine eigene Arbeit als Fotograf immer wieder zu relativieren sucht: Es ist lediglich ein spielerisches, gar verspieltes Experiment: »Die Bilder dienen dazu, das Verschwinden eines einzigartigen Augenblicks, einer einzigartigen Begegnung […] zu verhindern.«68 Die Reversibilität der Dinge, die Baudrillard bei jedem Phänomen, das er sich zur Analyse vornimmt, ins Extrem treibt, betrifft auch seine eigenen Aussagen – gerade in denen zur Kunst kann die These von einem Satz auf den nächsten in ihr Gegenteil umschlagen. Auch Nicholas Zurbrugg konstatiert: »There are therefore two Baudrillards. On the one hand, we have the angel of extermination: the evil genie of cultural termination, announcing the death or disappearance of every imaginable aesthetic or ethical value. On the other hand, we confront the angel of cultural annunciation […]«69, auf der Suche nach singulären Ereignissen, während der Baudrillard, so

67 Baudrillard mit Petit (1997d) 2002, S. 138 (Hervorh. im Orig.). 68 Peter Weibel (1999b): »Kairos und Kontingenz in der Fotografie am Beispiel Jean Baudrillard«, in: ders. (Hg.), Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 190. Ein Experiment, das Weibel für gelungen erachtet: »Die Fotografie wird zum Zerrspiegel des Objekts. Indem Baudrillard sowohl der Kunstfalle wie der Technikfalle entgeht, wird er zum Fotografen der Dingwelt par excellence.«, ebd., S. 195. 69 Nicholas Zurbrugg (1997b): »Introduction: ›Just what is it that makes Baudrillard's ideas so different, so appealing?‹«, in: ders. (Hg.), Jean Baudrillard, Art and Artefact, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 2.

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kann man sagen, selbst zum singulären Ereignis wird. Demzufolge ist Zurbruggs ansonsten charmante Aufspaltung Baudrillards in zwei Engel infragezustellen – eine Fehleinschätzung, die auch Régis Michel unterläuft: »In ästhetischer Hinsicht gibt es zwei Baudrillard: Einen wahren Devoten der Form auf der Suche nach der Transzendenz (Dr. Jekyll) und einen falschen Paranoiden als Bauer der Donau (Mr. Hyde). Und diese beiden Kreaturen ertragen sich nicht.«70 Beide Autoren verkennen jedoch die Kontinuität in Baudrillards Aussagen; die vermeintlichen zwei Positionen sind die zwei Seiten einer Medaille: Es ist Baudrillards Beschreibung der Gegenwartsgesellschaft und von Phänomenen wie der Kunst vor und nach dem von ihm so oft zitierten Canetti-Punkt. 2.3. L'art contemporain est nul Baudrillard versteht sich nicht als Kunstkritiker: »Als in die Kunstgeschichte nicht Eingeweihter übe ich nicht Kunstkritik, ich rede nicht über individuelle Leistungen oder kollektive Bewegungen. Ich frage mich nicht, wie man Kunst oder ästhetische Werte produziert […].«71 Diese Haltung nimmt Baudrillard als Konsequenz aus seinem grundlegenden Verständnis von Theorie ein, die er zu vertreten sucht: »Das paroxysmale Denken steht an vorletzter Stelle, vor dem Ende, an dem es nichts mehr zu sagen geben wird. Es ist nicht wissenschaftlich, weil die Wissenschaft als System des Austausches, der Information und der Speicherung vorgibt, einen letztgültigen und objektiven Sinn zu stiften.«72 Insofern lehnt Baudrillard klassische Kritik im Stile eines Bourdieu oder Habermas ab: Die Kommerzialisierung von Kunst zu beklagen oder die Vermarktung ästhetischer Werte, wie bei Bourdieu vor allem im Gespräch mit Haacke gesehen, hält Baudrillard für eine »alte bürgerliche und nostalgische Leier«.73 Die Möglichkeit von Vermittlung hinge-

70 Michel 2005, S. 123. Der Kreis schließt sich ein weiteres Mal: Den Vorwurf, Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu sein, ereilte, wie gesehen, auch Bourdieu – vonseiten Nathalie Heinichs. 71 Baudrillard (1987) 1990, S. 202 (Hervorh. im Orig.). Dort heißt es weiter: »[…] das Spiel der Differenzen, von Angebot und Nachfrage im Künstlerischen, das Schwanken der Werturteile, die soziale Differenzierung des ästhetischen Vergnügens usw. gehören zum Mechanismus der Kultur, den man mithilfe soziologischer und semiologischer Methoden sehr gut studieren kann. Die aber erhellen nur die Logik der Produktion ästhetischer Werte. Mich interessiert vielmehr die Tatsache, daß diese Logik der Wert(und Mehrwert-)produktion mit dem umgekehrten Prozeß zusammengeht, demjenigen des Verschwindens der Kunst, daß, je mehr ästhetische Werte auf dem Markt umlaufen, die Möglichkeit zu ästhetischem Urteil (und zur Lust) immer mehr abnimmt […].«, ebd. 72 Jean Baudrillard mit Philippe Petit (1997c): »Eine Welt zuviel«, in: Jean Baudrillard ([1997] 2002), Paroxysmus, Wien: Passagen Verlag, S. 59. 73 Vgl. Baudrillard (1987) 1990, S. 206.

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gen, wie sie vor allem Habermas für die Kunstkritik fordert, werde durch die Radikalisierung aller Fragen durch das Prinzip des Bösen aufgehoben74 – kurzum ist für ihn »die Zeit des kritischen Denkens« vorüber,75 weil auch die Ziele und Werte der Aufklärung in der generalisierten Zirkulation verloren sind.76 Auch ein Konzept wie das des Erhabenen von Lyotard findet bei Baudrillard aus denselben Gründen keine Zustimmung.77 Demgegenüber unterstützt er das Denken von Kunst als singulärem Ereignis, wie bei Lyotard, Deleuze und Derrida gesehen, insofern in Erwägung zu ziehen ist, dass in der Hyperrealität Kunst zum Nicht-Ereignis geworden ist: »Die Idee der Kunst verdünnt und minimalisiert sich bis hin zur Konzeptkunst, wo sie in der Nicht-Ausstellung von Nicht-Kunstwerken in Nicht-Galerien endet – Apotheose der Kunst als Nicht-Ereignis. In Entsprechung dazu zirkuliert der Konsument in alldem, um seinen Nicht-Genuß der Werke zu erproben.«78

Dementsprechend kehrt sich auch die Beschäftigung mit dem Undarstellbaren, Unsichtbaren und Unsagbaren der Autoren aus Kapitel IV bei Baudrillard in ihr Gegenteil: In der Kunst ist nunmehr die Transparenz, das allzu Sichtbare, prädominant. Diese Überlegungen und Formulierungen haben ihre Wirkung bei denen, die ihn stets beim Wort genommen haben, nicht verfehlt – es gibt ein ganzes Pamphlet, das Baudrillard aus dem Kontext gerissen zitiert und in dem seine Metaphern, Assoziationen und Extremisierungen als Ausdruck buchstäblich zu verstehender Aussagen gelesen werden.79 Baudrillard war auch Ziel der sogenannten affaire Sokal, in der ihm und weiteren, dem postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denken zuzuordnenden Autoren (neben Deleuze zum Beispiel Virilio, Lacan und Kristeva) vorgeworfen wird, unsinnige Theorien zu produzieren, die sich ein vor allem naturwissenschaftliches Vo-

74 Vgl. Baudrillard (2004b) 2006, S. 118. 75 Jean Baudrillard mit Wilfried Dickhoff/Heinz Peter Schwerfel (2002): »Kunst und Singularität. Ein Gespräch mit Jean Baudrillard«, in: Heinz Peter Schwerfel (Hg.), Kunst nach Ground Zero, Köln: DuMont, S. 212. 76 Baudrillard (2004b) 2006, S. 109. Im Gespräch mit Florian Rötzer und Sara Rogenhofer antwortet Baudrillard auf die Frage, ob er Habermas' Projekt der Moderne verteidigen würde: »Nein, das sind veraltete Ansichten. […] Jede Rhetorik oder Dialektik […] scheint mir vorüber zu sein.«, Baudrillard mit Rötzer/Rogenhofer (1985) 1986, S. 44. 77 Vgl. Baudrillard (1987) 1990, S. 205: »Der moderne Held ist nicht mehr der des Erhabenen in der Kunst, sondern der der objektiven Ironie der Warenwelt […].« 78 Baudrillard (2004b) 2006, S. 93 (im Übrigen eine Passage aus dem Kapitel »Die zeitgenössische Kunst… zeitgenössisch zu sich selbst«). 79 So wird Baudrillard bei Thomas Florian zu einem sexistischen, homophoben, rassistischen Reaktionär, vgl. Thomas Florian (2004): Bonjour… Jean Baudrillard. Baudrillard sans simulacres, Paris: Éditions Cavatines.

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kabular zunutze machen, das völlig falsch eingesetzt wird.80 Schon ein Jahrzehnt vor dieser Affäre hält Baudrillard jedoch fest: »Das Prinzip des Bösen kann man nur paradoxal in die Moderne bringen, denn ernst gemeint ist es doch nur Unsinn. Es hat nichts mit einem Prinzip zu tun, sondern es ist eine Metapher für eine Verdrehung der Dinge, für eine Perversion der Dinge.«81 Die Bildhaftigkeit von Baudrillards Schriften wirft sicherlich die Schwierigkeit auf, ihn überhaupt kritisch ins Auge zu fassen – doch statt dem Einwand, er sei im Grunde ein ›Anti-Theoretiker‹ zu folgen, ist dem Vorschlag von Falko Blask zuzustimmen, Baudrillard gemäß seiner eigenen Terminologie als »Transtheoretiker« zu bezeichnen.82 Baudrillard beschreibt, darin Luhmann ähnlich, ein selbstreferentielles System der Kunst, das in der Gegenwart eine Inflation erfährt. In einem ersten Schritt mag man konstatieren, dass der Begriff der Selbstreferentialität kaum in unterschiedlichere Richtungen gehen könnte: Meint die Bezeichnung »selbstreferentielles System« bei Luhmann ein sich selbst erhaltendes System der Kunst, das nach der abgeschlossenen funktionalen Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft autonom neben anderen Subsystemen besteht, beschreibt Baudrillard ein System selbstreferentieller Zeichen für Kunst, die die Stelle der realen Kunst eingenommen haben und im Unterschied zur Autonomie und Geschlossenheit der Systeme bei Luhmann ganz im Gegenteil ubiquitär zirkulieren – Autopoiesis versus Transästhetik. In einem zweiten Schritt ist jedoch auch festzuhalten, dass das Wuchern in sich bedeutungsloser, wertloser Zeichen von Kunst bei Baudrillard an einen Punkt von Inflation gelangt, der Luhmanns Thesen zu zeitgenössischer Kunst nicht fremd ist: Die stetige Beschleunigung des Luhmannschen Kunstkarussells, die verstärkte Disbalancierung der Kunst in Richtung Selbstreferenz, kommt bei Baudrillard zum Erliegen, sie kollabiert. Schon in Simulacres et simulation beschreibt er dieses Phänomen: »Croissance infinie de la masse en fonction de l'accélération du système. Impasse énergétique. Point d'inertie.«83 Baudrillard und Luhmann sind nicht die einzigen Theoretiker, die die Bedeutung dieser Beschleunigung hervorgehoben haben: Der Kunstkritiker Lawrence Alloway beobachtet 1972 anhand der Entwicklungen in der amerikanischen Kunstszene eine beschleunigte Aufnahme aktueller Kunst durch

80 Vgl. Alan Sokal/Jean Bricmont ([1997] 1999): Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen, München: C.H.Beck. 81 Baudrillard mit Rötzer/Rogenhofer (1985) 1986, S. 43. 82 Vgl. Blask 2002, S. 134. 83 Baudrillard 1981, S. 232. Hier sei angemerkt, dass auch Paul Virilio die Bedeutung von Geschwindigkeit kulturtheoretisch hervorgehoben hat mit der Entwicklung der Dromologie, der Lehre von der Geschwindigkeit. Baudrillard und Virilio stehen sich in vielen Punkten nahe und standen in regem, freundschaftlichem Austausch.

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Kunstinstitutionen wie Museen, Galerien und Kunstmagazine84; in den 1990er Jahren stellt Zygmunt Bauman dieselbe, nunmehr verschärfte Situation fest, in der neue Kunstwerke, kaum dass sie hervorgebracht werden, auch schon eine Form von Abnutzung erleiden.85 Trotz der Bedenken gegenüber dieser Beschleunigung, unterstützt keiner der Autoren das viel heraufbeschworene Ende der Kunst – auch Baudrillard nicht. Nach seiner Auffassung befinden wir uns bereits nach dem Ende der Kunst86 bzw. jenseits einer historischen Kontinuität, in der ein Ende der Kunst überhaupt bestimmbar wäre. Dennoch wird er von vielen Autoren in diesen Zusammenhang gestellt: Der Kunstphilosoph Mario Perniola meint, Baudrillard sage nichts anderes, als viele andere auch, »[…] von Heidegger bis Adorno, die auf den unvermeidlich nihilistischen Abgrund hingewiesen haben, in den das Abendland unaufhaltsam stürzt.«87 Auch Eva Geulen übersieht Baudrillards Ablehnung eines realen und wörtlich zu nehmenden Endes der Kunst: Der französische Philosoph habe sich Äußerungen entlocken lassen, die das Ende der Kunst im Zeitalter digitaler Vernetzung beschwören (sie zitiert dann allerdings eine Stelle, in der dies nicht nachzuweisen ist) und er bemühe diesen Topos »[…] hier noch einmal ohne Rücksicht darauf […], daß dem Novum des Medienzeitalters […] der vergreiste Topos des Endes der Kunst kaum gerecht werden dürfte.«88 Ein ähnliches Missverständnis ist bei Welsch auszumachen, der im Zusammenhang mit Baudrillard von einem »Posthistoire-Lamento« spricht, das er der Positivdiagnose der Gegenwart durch seine Definition von Postmoderne gegenüberstellt.89

84 Vgl. Lawrence Alloway (1972): »Network: The Art World Described as a System«, in: ders. (1984), Network. Art and the Complex Present, Ann Arbour, Michigan: UMI Research Press, S. 3-15. 85 Vgl. Zygmunt Bauman (1998): »On Art, Death and Postmodernity – and what they do to each other«, in: Mika Hannula (Hg.), Stopping the Process? Contemporary Views on Art and Exhibitions, Helsinki: NIFCA Publication, S. 21-34. 86 Vgl. dieselbe Position bei Arthur C. Danto: »Und das meine ich mit dem Ende der Kunst: das Ende einer bestimmten Erzählung, die sich über Jahrhunderte in der Kunstgeschichte entfaltet und die ihr Ende in einer gewissen Freiheit von Konflikten erreicht hat, denen man im Zeitalter der Manifeste noch unentrinnbar ausgeliefert war.«, Danto (1997) 2000, S. 64. 87 Mario Perniola (2005): »Die Zukunft einer Illusion: künstlerisches Handeln, Kommunikation, Pataphysik«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 114. 88 Eva Geulen (2002): Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 13. Die ganze Passage wie auch der Blick auf die von Geulen analysierten Autoren (Hegel, Nietzsche, Benjamin, Adorno und Heidegger) wecken den Eindruck, dass Geulen ausgerechnet Baudrillard nur unzureichend gelesen hat. 89 Welsch 2002, S. 153.

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Die Möglichkeit, Baudrillard auch genau andersherum zu verstehen, eröffnet Martina Dobbes ausführlicher Vergleich seiner Kunstthesen mit denen von Lyotard: Dobbe versteht beide Interventionen, Baudrillards Transästhetik des Banalen und Lyotards Konzept des Erhabenen, als Ansätze zur Erarbeitung einer nicht-negativen Ästhetik, als Weiterentwicklung von und gegen Adorno.90 Andererseits bemängelt sie gerade an Baudrillards Aussagen, dass diese nicht nach der Bildhaftigkeit einzelner Bilder fragt und nicht erkennt, dass auch vermeintliche Nicht-Bilder etwas zu sehen geben. Die Kritik eines fehlenden oder ungenügenden Blicks für konkrete Kunstwerke äußern auch Régis Michel, der Baudrillard eine Form von Blindheit vorwirft,91 und Dieter Fuder, der einen »Mangel an detaillierter Kunstreflexion« ausmacht,92 ein Ignorieren der spezifischen Eigenleistung künstlerischer Medien und ihres historischen Stellenwerts. Zusätzlich zu den Einwänden, die bislang zugunsten Baudrillards geltend gemacht worden sind, könnte man hierzu weiter anmerken, dass Baudrillard in einer Geste der Reversion die Kunst, die er benennt, für seine Thesen gleichsam nutzbar macht: Er kehrt das gängige Schema des Kunstkommentars um, worin man wieder die frühe Nähe zum Situationismus und dessen Konzept des détournement erkennen kann (siehe mehr in der folgenden Conclusio, wo auch eine gegenteilige Interpretation derselben Bewegung diskutiert wird, als Ausnutzen der Kunst im Sinne einer Instrumentalisierung). Gerade in diesem Zusammenhang muss zuletzt darauf eingegangen werden, wie wichtig Baudrillard über die Jahre das Motiv des Spiels ist. Immer wieder geht Baudrillard auf die Möglichkeit ein, eigene Spielregeln aufzustellen, mit deren Hilfe man den Spielregeln der Hyperrealität entkommen

90 Insofern teilt Dobbe die Ansicht von Weibel nicht, nach der es sich bei Baudrillards Thesen um eine negativere Ästhetik handelt, siehe noch einmal das Zitat zur Fußnote 58; vgl. Martina Dobbe (1994): »Und wenn ich ein Bild sehe? Anmerkungen zur (Trans-) Ästhetikdebatte bei Baudrillard und Lyotard«, in: Ralf Bohn/Dieter Fuder (Hg.), Baudrillard. Simulation und Verführung, München: Fink, S. 133. Dobbe erlaubt sich, das Bonmot Napoleons zu zitieren: »Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas«, um daraufhin zu postulieren: »[M]it dem ›sublime‹ und dem ›ridicule‹, dem Erhabenen und dem Lächerlichen, dem Banalen, sind zwei, man könnte auch sagen: sind die zwei ästhetischen Kategorien angesprochen, auf die sich in jüngster Zeit kunst- und kulturphilosophische Debatten konzentrieren. […] zumindest dann, wenn man den beiden Protagonisten der neueren Ästhetikdebatte im französischen Sprachraum, Jean-François Lyotard auf der einen und Jean Baudrillard auf der anderen Seite, folgt.«, ebd., S. 115 (Hervorh. im Orig.). 91 Vgl. Michel 2005, S. 123. 92 Vgl. Dieter Fuder (1998): »Jean Baudrillard«, in: Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hg.), Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 71.

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kann.93 Hierzu rekurriert er immer wieder auf die Klassifikation der Spiele nach Roger Caillois und fasst damit die Grundelemente seines Denkens in einer Forderung zusammen: »Jedes geschaffene Objekt, sei es visuell oder analytisch, konzeptuell oder fotografisch, muß alle Dimensionen des Spiels in einer einzigen wiederfinden: das Allegorische, das Darstellende (mimicry), das Agonale (agôn), das Aleatorische (aléa) und das Rauschhafte (ilinx). Das Spektrum wieder zusammensetzen. Ein Werk, ein Objekt, eine Architektur, ein Foto, doch ebenso ein Verbrechen, ein Ereignis muß folgendes: Es muß Allegorie von etwas sein, Herausforderung von jemandem sein, den Zufall ins Spiel bringen und den Rausch herbeiführen.«94

Erst wenn all diese Faktoren zusammenkommen, ist ein Kunstwerk, ein singuläres Ereignis oder auch die Theorie in der Lage, der Vereinnahmung durch die Hyperrealität, der Transparenz, der Indifferenz zu entkommen. Stellte sich bislang vor allem heraus, dass Baudrillard alle Bestrebungen und Forderungen der vorherigen Autoren abwehrt, indem er auf die Indifferenz, Banalität und Nichtigkeit aller Werke, Ereignisse und Theorien hinweist, zeigt sich hier die entgegengesetzte Bewegung: Ganz im Sinne der Baudrillardschen Reversibilität kehrt sich dessen eigenes Insistieren auf die ubiquitäre Sinn- und Zwecklosigkeit um in ein Mehr an Sinn, Mehr an Zweck, Mehr an Nutzen und ein Mehr an Forderung. Werke, Ereignisse, Theorien müssen nicht mehr und nicht weniger als mimicry, agôn, aléa und ilinx in sich vereinen.

93 Vgl. die Hervorhebung der Dualität des Spiels, der Herausforderung, die ein Spiel bedeutet in allen Texten zu und mit Künstlern: Baudrillard 1980, S. 10 und 12 (auf den Seiten 11 und 13 findet sich derselbe Text auf Englisch); Baudrillard 1983a, S. 86f.; Baudrillard mit Baj 1990c, S. 19; Baudrillard/Merzeau mit Guillaume 2004a, S. 11 und 14. 94 Baudrillard (2004b) 2006, S. 187 (Hervorh. im Orig.).

VI. Conclusio Kunst zwischen Überhöhung und Kritik Interpréter est futile. Jean-François Lyotard

Kunst wird von den hier besprochenen Theoretikern unter drei Aspekten betrachtet: unter dem der Kritik, dem der Darstellung und dem des ›Systems‹ Kunst. Davon abstrahierend lässt sich sagen, dass es erstens um eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Kunst für die Gesellschaft und Wirkung auf die Gesellschaft geht (was ist ihre Rezeption?); zweitens um eine Auseinandersetzung mit der künstlerischen Arbeit selbst, mit der Vorgehensweise der Künstler (wie wird Kunst produziert? was entsteht?); und drittens um die Selbsterhaltung und die Funktionsweise des Systems bzw. des Feldes der Kunst (welche Institutionen gibt es, welche Akteure, wie garantieren sie die Existenz, die Prozessualität, der Kunst?). Diese drei Aspekte ziehen sich quer durch die Theorien und Kapitel. Rezeption von Kunst, Produktion von Kunst und Vermittlungen von Kunst – das sind die großen Themen einer Kunstsoziologie, die hier in unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen auch bei diesen Kulturtheoretikern zur Sprache kommen. Es hat sich gezeigt, dass die Kunsttheorien und Texte zu Kunstwerken klassische, lang tradierte Auffassungen zumindest wieder aufgreifen, wenn nicht sogar bestätigend integrieren. Anlass für diese Stellungnahme, die gerade auch in Bezug auf die postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denker als ungewöhnlich gelten kann, sind die zahlreichen konkreten Werkbetrachtungen bzw. Kunstkommentare. Zu diesen klassischen Themen und Begrifflichkeiten zählt die Beschäftigung mit der Ausdifferenzierung der Kunst in der Neuzeit. Dieser Punkt wird immer wieder aufgegriffen, um darüber die Autonomie der Kunst zu diskutieren. Diese wird prinzipiell positiv bewertet, während andererseits eine Abschottung der Kunst von den anderen Sphären (Systemen, Feldern) im Sinne eines L'art pour l'art abgelehnt wird. Kunst soll eigenständig, auch eigensinnig sein, sie soll jedoch gleichzeitig die Rückkoppelung an oder Rückwirkung auf die Gesellschaft nicht außen vor lassen – ansonsten läuft sie Gefahr, unbedeutend, ja belanglos zu werden. Als Beispiel einer Überschreitung dieses schmalen Grates dient für alle Theoretiker die Kommerzialisierung von Kunst, sofern das In-

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einandergreifen von Kunst und Wirtschaft in eine Abhängigkeit führt, die die Autonomie der Kunst, also ihre Freiheit, bedroht. Ein weiterer, gemeinsamer, klassischer Punkt der Kunsttheorien ist der Wert, der a priori den Eigenschaften Originalität bzw. Authentizität beigemessen wird. Auch dort, wo diese Konzepte als nicht selbstverständlich behandelt oder gar kritisch betrachtet wurden, bleibt die Forderung nach originellen, authentischen Kunstwerken drängend. Sie ist verbunden mit der Frage nach dem Neuen: als Infragestellung des Etablierten (gar des Establishments), womit kultureller Wandel ermöglicht wird (Bourdieu), als Möglichkeit zur Revitalisierung der Lebenswelt (Habermas), als Aufstellen neuer Regeln, die für mannigfaltige Offenheit stehen sollen (Lyotard), als Schöpfung, die Widerstand leistet (Deleuze), als differentes Wiederaufgreifen in neuer Zusammensetzung (Derrida), als Ermöglichung der Fortführung von Kommunikation (Luhmann) und zuletzt das wirklich Neue als Ereignis, das sich unserer hyperreellen Welt entziehen kann (Baudrillard). Hier ist nicht der Ort, die Kategorie des Neuen zu diskutieren,1 es soll aber darauf aufmerksam gemacht werden, wie stark die traditionellen Begriffe der Ästhetik die Überlegungen zu Kunst der hier besprochenen Theoretiker prägen. So verwundert es nicht, dass sie sich alle mit der Bedeutung der Avantgarden für die Kunst auseinandergesetzt haben. Hier schwankt die Meinung darüber, ob sie die Autonomie der Kunst gestärkt oder aber die vermeintliche Entkoppelung der Kunst von der Lebenswirklichkeit der Menschen zu weit getrieben haben.2 Es kommt auch zu einer Neudefinition des Begriffs der Avantgarde, die dann unabhängig von den historischen Avantgardebewegungen verstanden wird als die je aktuelle (singuläre, sich ihre Regeln schaffende, widerständige) Kunst. Bis auf eine Ausnahme thematisieren alle die Avantgardebewegungen als wichtigen Moment in der Geschichte der Kunst, der die zeitgenössische Kunstproduktion entscheidend geprägt und beeinflusst hat (Luhmann braucht zur Erhaltung des Systems eine Kontinuität in der Kunst mindestens seit der Romantik). Nicht nur der Blick auf die Vergangenheit, auch der Blick in die Zukunft hinsichtlich eines Fortschrittsgedankens in der Kunst3 bleibt in den Theorien soweit vorhanden, wie er generell für die Gesellschaft und Entwicklung der Menschheit zugelassen

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Es gibt äußerst umfangreiche Untersuchungen und Entwicklungen interessanter Konzepte, vgl. nur Heinich 1998a sowie Boris Groys ([1992] 2002): Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Die Untersuchung der Kategorie des Neuen auch bei den besprochenen Theoretikern wäre noch zu leisten. Diese Diskussion, zu der nicht zuletzt Peter Bürger seinen entscheidenden Beitrag geleistet hat (vgl. Bürger 1974), ist kondensiert nachzulesen bei Karlheinz Barck (2000): »Avantgarde«, in: ders. et al. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Band 1, Stuttgart/Weimar: Metzler, S. 544-577. Hier sei noch einmal auf Gombrich (1978) 1996 verwiesen.

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und für möglich gehalten wird. Das Ende der Kunst thematisieren die Theoretiker hingegen nur, um es zu verneinen oder bereits für passé zu erklären. In allen Kunstbetrachtungen wird schließlich ersichtlich, dass der Umgang mit rein darstellender Kunst, bildender Kunst im Sinne von Ab-bild, prekär geworden ist. Kunst, die dem Prinzip der Repräsentation sozusagen die Treue hält, die durchaus mimetische Momente hat, wird entweder ganz abgelehnt oder uminterpretiert (was eine nicht unbedeutende Beobachtung ist), hin zu einer Kunst, die trotz Dargestelltem diese Repräsentation negiert. Das hängt zusammen mit einer Zeit, in der Eindeutigkeiten in der Kunst genauso wenig haltbar geworden sind, wie in jedem anderen Bereich auch (folglich ebenso in der Theorie, wobei das Postulieren ›neuer Eindeutigkeiten‹ als Versuch gewertet werden muss, der Neuen Unübersichtlichkeit, der Kontingenz der aktuellen Erfahrungen, etwas entgegenzusetzen). Diesen Überlegungen ließen sich viele weitere anschließen.4 Der Komplexität der Theorien werden Abkürzungen nicht gerecht. Daher ziehen wir es vor, nach dieser Zusammenfassung der wichtigsten Leitlinien, Motive und Grundgedanken auf solche Aspekte einzugehen, die bislang nur wenig zur Sprache gekommen sind. Die folgenden Abschnitte dienen dabei gleichzeitig als die thesenhafte Formulierung von Problemstellungen, die im Rahmen weiterer Forschungen genauer zu untersuchen wären. Theoriegeschichtliche Kontextualisierung Das Verständnis von Kunst in den vorgestellten Theorien ist stark geprägt von der Auseinandersetzung mit bestehenden Gedanken, Thesen und Interpretationen. Auf einige Bezüge ist bereits aufmerksam gemacht worden; die wichtigsten Referenzpunkte sollen hier summarisch noch einmal genannt werden. Kant liefert mit seiner Kritik der Urteilskraft und der Ausarbeitung des interesselosen Blicks wie des Erhabenen für alle Theoretiker die grundlegenden Konzepte und Begriffe für ihre Beschäftigung mit Kunst – woran auch die Tatsache nichts ändert, dass sie ihre eigenen Thesen zu Kunst oftmals in kritischer Auseinandersetzung gleichsam mit Kant gegen Kant ent-

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Weiterentwicklungen dieser Kunsttheorien müsste gesonderte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Auch sie verbleiben dabei in den Dreiecksbeziehungen zwischen Kritik, Darstellung und System. Beispielhaft seien genannt, in Bezug auf Kritik: Luc Boltanski/Ève Chiapello ([1999] 2003): Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz: UVK. In Bezug auf Darstellung: Michael Wetzel (1997b): Die Wahrheit nach der Malerei, München: Fink. In Bezug auf das ›System‹ Kunst ist die vor allem französisch- und englischsprachige Literatur zu den Vermittlerrollen schier uferlos, daher hier eine Weiterentwicklung im Sinne der Systemtheorie Luhmanns: Dietrich Schwanitz (1990): Systemtheorie und Literatur. Ein neues Paradigma, Opladen: Westdeutscher Verlag.

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wickeln.5 Walter Benjamins Text zur ›technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks‹, in dem er die Formulierung des Hier und Jetzt einführt und den Begriff der Aura entwickelt, dient vielen Theoretikern als Vorlage zur Ausarbeitung eigener Konzepte zur Präsenz des Kunstwerks und seiner Wirkung im Augenblick.6 Maurice Merleau-Ponty eröffnet vor allem den postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretikern einen Blick auf die Kunst, die dem Sichtbaren nicht das Unsichtbare entgegenstellt, sondern die Präsenz und Wahrnehmbarkeit des Unsichtbaren im Sichtbaren thematisiert.7 Merleau-Ponty ist dabei für die zeitgenössische Kunsttheorie, zumindest in Frankreich, von so großer Bedeutung, dass sich Jacques Rancière veranlasst sieht, seine zentrale Position kritisch zu hinterfragen: »Le plus souvent, les esthéticiens, les philosophes de l'art… parlent de Cézanne, de Cézanne, de Cézanne, et ils reprennent un discours ›Merleau-Pontien‹ où ils trouvent quelques Cézanne contemporains.«8 Die erfolgte Kritik an den Kunsttexten einiger Theoretiker soll hier nicht wiederholt werden, es sei aber zumindest daran erinnert, dass sich dieses Problem genau so bei Deleuze gestellt hat, der ausgehend von Cézanne in Bacon einen »Cézanne contemporain« gefunden hat. Zwei weitere, gewichtige Referenzen sind Adorno und Foucault. Inwiefern Foucaults Überlegungen hier eine entscheidende Rolle spielen, sei es als Vorlage zur Weiterführung seiner Thesen, sei es zur Abgrenzung, konnte an einzelnen Punkten bereits aufgezeigt werden.9 Gerade Foucaults 1966

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Vgl. Immanuel Kant ([1790] 1963): Kritik der Urteilskraft, hg. von Gerhard Lehmann, Stuttgart: Reclam. Vgl. Benjamin (1935/36) 1980. Zur Rezeption von Benjamins Auseinandersetzung mit der Kunstkritik kommen wir weiter unten. Vgl. Maurice Merleau-Ponty ([1964] 1986): Das Sichtbare und das Unsichtbare, München: Fink. Jacques Rancière in: Bruno Latour/Jacques Rancière (2002): »Comment l'art est perçu (aujourd'hui)? Regards de philosophes«, in: Beaux Arts Magazine (Hg.), Qu'est-ce que l'art aujourd'hui?, Paris: Beaux Arts Magazine, S. 43. Michael Wetzel spricht von einem »Cézanne-Komplex«, vgl. Wetzel 1997b, S. 136ff. Für eine Vermittlung zwischen dem Sagbaren und dem Unsagbaren, die ebenfalls als in diesem Kontext stehend zu verstehen wäre, plädiert nicht nur Habermas, sondern auch Manfred Frank, der sich ausführlich mit den postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkern auseinandergesetzt hat, vgl. einerseits: Manfred Frank (1984): Was ist Neostrukturalismus?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; vgl. andererseits: Manfred Frank (1993): Das Sagbare und das Unsagbare. Studien zur deutsch-französischen Hermeneutik und Texttheorie, 3. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Inwiefern die Texte zu Kunst der französischen Theoretiker in einem gemeinsamen, intellektuellen Milieu entstanden sind, wurde über die Auseinandersetzung mit der ›Postmoderne‹ und den Rückgriff auf Foucault deutlich (siehe aber gerade auch den auf Merleau-Ponty). Dies weiter auszuführen, ist nicht Zielsetzung

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erschienene Publikation Les mots et les choses (auf Deutsch Die Ordnung der Dinge), die die bekannte Beschreibung von Las Meninas von Velázquez beinhaltet, weist vielen Theoretikern den Weg für ihre Kunstkommentare.10 Im Zusammenhang mit Foucault wäre auch auf Platon zu verweisen, da die Auseinandersetzung mit Kunst im Sinne des Prinzips der Repräsentation bzw. Mimesis immer auch Platon mit einbezieht – hier allerdings meistens mit einer anti-platonistischen Haltung.11 Den genauen Verknüpfungen zu Adorno wäre grundlegender nachzugehen; das ist für einzelne Aspekte von anderen geleistet worden,12 vor allem für die Bezüge zu Lyotard13 und Derrida.14 Adornos Konzeptionen des Nicht-Identischen und der Kommunika-

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dieser Arbeit, daher seien hier lediglich zwei Verweise hinzugefügt, in denen einmal aus französischer, einmal aus deutscher Perspektive, die zentralen Themen dieses ›Milieus‹ dargestellt werden: Vincent Descombes ([1979] 1981): Das Selbe und das Andere. Fünfundvierzig Jahre Philosophie in Frankreich. 19331978, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; sowie: Bernhard Taureck (1988): Französische Philosophie im 20. Jahrhundert. Analysen, Texte, Kommentare, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. In diesem Zusammenhang auch der Verweis auf zwei kritische Auseinandersetzungen, von französischer Seite: Luc Ferry/Alain Renaut ([1985] 1987): Antihumanistisches Denken. Gegen die französischen Meisterphilosophen, München/Wien: Hanser Verlag; sowie von deutscher Seite noch einmal Frank 1984 (siehe Fußnote oben). Vgl. Michel Foucault ([1966] 1994): Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, 12. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp; das entsprechende Kapitel mit dem Titel »Die Hoffräulein« findet sich auf den Seiten 31-45. Eine sehr gute Übersicht über die Rolle Foucaults und der Kunst in den Theorien der französischen Theoretiker bietet die Einführung in Rötzer 1986, S. 15-27. Für die Folgen von Mimesis für Kunst und Gesellschaft, bei Platon und anderen, sowie die Abkehr von der Mimesis als Repräsentation vgl. Gunter Gebauer/ Christoph Wulf (1992): Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Dabei vor allem von Wolfgang Welsch, der Adorno als Vorläufer der Postmoderne ansieht, vgl. Welsch 2003, sowie zuvor: Albrecht Wellmer (1985a): Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; außerdem beispielhaft eine Anthologie wie: Max Pensky (Hg.) (1997): The Actuality of Adorno. Critical Essays on Adorno and the Postmodern, Albany, N.Y.: State University of New York Press. Vgl. Pierre V. Zima (2002): La Négation esthétique. Le Sujet, le beau et le sublime de Mallarmé et Valéry à Adorno et Lyotard, Paris: L'Harmattan; sowie: Alexandra Stäheli (2004): Materie und Melancholie. Die Postmoderne zwischen Adorno, Lyotard und dem pictural turn, Wien: Passagen Verlag. Vgl. Sabine Wilke (1988): Zur Dialektik von Exposition und Darstellung. Ansätze zu einer Kritik der Arbeiten Martin Heideggers, Theodor W. Adornos und Jacques Derridas, New York: Peter Lang; Christoph Menke (1991): Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida, Frankfurt

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tion des Unkommunizierbaren bieten zahlreiche Punkte, die in Bezug auf die Kunst einer genaueren Untersuchung der Texte aller Theoretiker bedürften – nicht zuletzt weil der Rekurs auf Adorno nicht immer offen erfolgt. Schon die Begrifflichkeiten deuten darauf hin, dass in Überlegungen zu Kunst viel mit Negationen gearbeitet wird: das Undarstellbare, das Unsichtbare, das Unsagbare, die Indifferenz (gar Nullität), und auch bei Luhmann ist das Konzept des Unbeobachtbaren zentral. Die Negativität scheint nur bei Bourdieu und Habermas in Theorien gemildert, deren Impetus zwar die Kritik ist, die die Kunst jedoch auch mit Positivität verbinden, mit der Aussicht, zur Aufklärung beizutragen. Prinzipiell ist der Interpretation von Martina Dobbe zuzustimmen, die im Kapitel zu Baudrillard kurz zur Sprache kam: Diese besagt, Lyotard und Baudrillard suchten gerade nach einer nicht-negativen Ästhetik.15 Ein genauerer Blick auf die Theorien und Kunstwerkbetrachtungen aller Theoretiker veranlasst dazu, bei ihnen von einer Suche nach positiv formulierten Möglichkeiten und Aufgaben zu sprechen. Auch hier kommt wieder der schmale Grat zwischen Autonomie der Kunst und ihrer aktiven Teilnahme an der Lebenswelt ins Spiel: Die Formulierung eigenständiger, eigensinniger Kunst, die sich nicht vom Gesellschaftlichen abkoppeln soll, lässt die Theorien zwischen Überhöhung und Kritik schwanken.16

a.M.: Suhrkamp (dies stellt auch eine Weiterentwicklung beider Positionen dar); sowie: J.M. Bernstein (1992): The Fate of Art. Aesthetic Alienation from Kant to Derrida and Adorno, Cambridge/UK: Polity Press (dieses integriert – typischerweise – ausschließlich Die Wahrheit in der Malerei); außerdem: Holger Mathias Briel (1993): Adorno und Derrida. Oder wo liegt das Ende der Moderne?, New York: Peter Lang (hier steht jedoch die Literaturkritik im Mittelpunkt); siehe auch das Kapitel »Derrida und die Ästhetik der Negativität« in Münker/Roesler 2000, S. 118ff. Zur Nähe der Dekonstruktion zur Negativen Dialektik vgl. auch Habermas 1985a, S. 222. 15 Vgl. Dobbe 1994 (im Kapitel zu Baudrillard in der dortigen Fußnote 90). Von einer Umkehrung der Negativität spricht auch Zima 2002 (siehe weiter oben in den Fußnoten), doch schlägt seiner Meinung nach die Positivität in (konformistische) Affirmation um – ein, wie gesehen, typischer Vorwurf gegenüber den postmodernen bzw. poststrukturalistischen Denkern. 16 Eine Tendenz, die als typisch für jede Auseinandersetzung mit Kunst gelten kann: »Bona fide (lat. guten Glaubens) fällt das Urteil nach bestem Wissen, aber lieber ›in dubio pro arte‹. Die Haltung Obvigilo Convisos (lat. wachsam durchforschend) ist die des prinzipiellen Mißtrauens gegenüber allem zur Ansicht Gebotenen [...].«, Martina Sitt/Philip Ursprung (unter Mitarbeit von Dieter Ronte) (1993): Kunstkritik. Die Sehnsucht nach der Norm, München: Deutscher Kunstverlag, S. 31. Die Kunstphilosophie schwankt laut Dieter Henrich ebenfalls zwischen nur zwei alternativen Deutungsmöglichkeiten, nach denen die jüngsten Entwicklungen der Kunst in »verdächtigen Schemata von fortschreitendem Verfall [im Sinne unserer Kritik; D.D.] und Antizipation des Fortschritts [im Sinne

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Künstlerische Kontextualisierung Sieben Theoretiker haben 38 zeitgenössische Künstler (plus Duchamp) besprochen. Davon fallen 2 auf die zwei deutschen Kulturtheoretiker (der Rekurs auf Art & Language bei Luhmann wird nicht mitgezählt) und folglich 37 auf die fünf französischen (ab hier inkl. Duchamp). Den meisten Künstlern widmete sich Lyotard (20) vor Derrida (10; zu Valerio Adami verfassten beide Texte). Nicht mit einberechnet sind Erwähnungen en passant; aus dieser kleinen Statistik fallen auch die Texte zu Kunstrichtungen heraus (zum Hyperrealismus, den Avantgardebewegungen etc.). Dominierend sind die ›eindeutig‹ bildenden Künstler, das heißt die Maler, Zeichner, Grafiker: es sind 27 (darunter fallen auch dann diejenigen, die in verschiedenen künstlerischen Bereichen tätig waren, wenn der jeweilige Theoretiker von diesen ein Gemälde, Bild o.ä. in den Blick genommen hat). Installationskunst, Fotografie, Media Art sind demgegenüber weit abgeschlagen (mit 12 Künstlern). Von den ›bildenden‹ Künstlern im engsten Sinne arbeitet jeweils ca. die Hälfte im gegenständlichen bzw. abstrakten Stil. Marcel Duchamp ausgenommen, sind die Künstler – soweit dies zu ermitteln war – zwischen 1901 und 1963 geboren. Den meisten ›Jungen‹ (nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen) widmete sich Derrida (ca. die Hälfte ›seiner‹ Künstler, während es unter Lyotards Künstlern nur ungefähr ein Fünftel ist). Derrida gebührt auch das Verdienst, sich im Schnitt mit den meisten Künstlerinnen beschäftigt zu haben – von den 39 Künstlern sind nur 8 weiblich, Lyotard bespricht 3 von 20, Derrida 3 von 10, und Baudrillard immerhin 2 von 4; die anderen (Bourdieu, Habermas, Deleuze, Luhmann) keine. Mindestens 18, also gut die Hälfte, sind als Franzosen zu bezeichnen (wir beziehen uns absichtlich nicht auf die Nationalität; viele lebten und arbeiteten jahrelang nicht in ihrer Heimat, sodass die nationale Zugehörigkeit alles andere als klar ist; doch geht es hier nur um Richtwerte); die andere Hälfte verteilt sich, in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit, auf Amerikaner, Italiener (die größtenteils in Frankreich arbeiteten), Briten, Deutsche und Sonstige (überhaupt der einzige Deutsche wäre im Grunde nur Hans Haacke, der oft als Deutsch-Amerikaner gilt; demgegenüber ist Bunsen Amerikaner, doch verbrachte er sehr früh viele Jahre in Deutschland, sodass er ebenfalls als Deutsch-Amerikaner zu bezeichnen wäre). An sich besagen diese Zahlen noch nicht viel: Man kann nicht von einer repräsentativen Statistik sprechen, da unsere Auswahl der Theoretiker in eine bestimmte Richtung geht und zum Beispiel Lyotard in diesen Zahlen stark dominiert; jede Entscheidung für einen anderen Theoretiker würde sie verschieben. Es geht um Tendenzen, die sich bereits in der Textanalyse ge-

unserer Überhöhung; D.D.]« gesehen werden, vgl. Dieter Henrich (1966): »Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart (Überlegungen mit Rücksicht auf Hegel)«, in: Wolfgang Iser (Hg.), Immanente Ästhetik – Ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moderne, München: Fink, S. 13.

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zeigt haben, und damit bestätigt und untermauert werden sollen. Die Punkte, die wir hier aufgreifen möchten sind folgende: Die französischen Theoretiker besprechen viel mehr Künstler, als die deutschen und dabei die postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretiker die meisten – was mit der Bedeutung von Kunst und Ästhetik für diese Denkrichtung in Zusammenhang steht. Die Tatsache, dass so viele französische oder in Frankreich arbeitende Künstler behandelt werden ist in Anbetracht dessen, dass wir fünf französische Theoretiker ausgewählt haben, nachvollziehbar. Andererseits muss erwogen werden, dass sich die Kunst aus einer kunsthistorischen Perspektive in der hier relevanten Zeit nicht nur in unzählige Ismen und Stilrichtungen fragmentiert hat: Sie internationalisierte sich auch. Nach der Dominanz Frankreichs für die Kunst der Moderne kann man eine verstärkte Dominanz der USA für die zeitgenössische Kunst beobachten, aber auch Deutschlands und Groß Britanniens (so gehört es inzwischen zum common sense, New York als Nachfolger von Paris als ›Hauptstadt der Kunst‹ zu betrachten, und spätestens seit der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts wurden auch London und Berlin immer wichtiger). Auf Frankreich und Deutschland bezogen kann man sagen, dass Kunst aus Frankreich in diesen Jahrzehnten international weit weniger präsent war als die aus Deutschland, die diese ›Epoche‹ zuerst mit Beuys und dann den Jungen Wilden stark geprägt hat (in jüngster Zeit kam die Neue Leipziger Schule hinzu). Die Kunstproduktion in Frankreich erhielt weltweit, bis auf die obligatorischen Ausnahmen zur Regel, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit.17 Das stellt sich geradezu konträr dar zur Dominanz der französi-

17 Dieses Problem, wenn man es denn als solches sehen möchte, wurde von der Politik erkannt, die 2006 die Ausstellung »La Force de l'art« ins Leben rief, die im Pariser Grand Palais 200 Künstler aus Frankreich zusammenführte, um die Kunstproduktion in und aus Frankreich vorzustellen. Ebenfalls 2006 gab es in Berlin die Veranstaltung »Art France Berlin«, die an mehreren Orten (z.B. in der Französischen Botschaft) dasselbe Ziel verfolgte. In den Unterlagen zur Ausstellung »Peintures – Malerei« im Martin-Gropius-Bau schreibt der französische Botschafter Claude Martin: »Les grands peintres allemands d'aujourd'hui sont bien connus en France: Baselitz, Kiefer, Polke… sont largement présents dans les collections françaises et les artistes de l'École de Leipzig ont récemment attiré la curiosité des critiques. À l'inverse, outre Rhin, les artistes français ne sont, à part quelques exceptions notables, pas assez connus ou appréciés à leur juste valeur.« (aus den Unterlagen zur Ausstellung »Peintures – Malerei«, MartinGropius-Bau vom 22.09.–12.11.2006; diese Unterlagen liegen uns vor). Diese Aussage ist symptomatisch: Ebenfalls 2006 kann man im Vorwort zu einem damals gerade erscheinenden Buch zu 100 Künstlern in Frankreich nachlesen: »L'art contemporain en France foisonne d'œuvres et d'artistes passionnants. Pourtant, il revient de loin et n'est pas encore vraiment arrivé. Car la scène française émerge aujourd'hui lentement du profond malaise qui l'a déprimée longtemps: son absence de reconnaissance à l'international.«, Fabrice Bousteau (2006): »Édi-

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schen Theorieproduktion dieser Zeit, deren Diskussion nicht nur die geistesund kulturwissenschaftliche Welt bestimmte, sondern gerade auch die Kunst.18 Erinnern wir uns daran, dass außerdem gerade in Frankreich in den 1990er Jahren die Debatte über zeitgenössische Kunst den gesamten Kulturbetrieb beschäftigte. Das ergibt in der Summe das eigentümliche Bild eines starken, präsenten, auch öffentlichen Diskurses über zeitgenössische Kunst bei gleichzeitig wenig präsenter Kunstproduktion in Frankreich, und in Deutschland einen vergleichsweise wenig ausgeprägten (kultur- und sozialwissenschaftlichen) Diskurs über Kunst bei gleichzeitig stark präsenter und international anerkannter Kunstproduktion. Ein Grund dafür ist sicherlich der französische Zentralismus, der in Frankreich fest verankert ist in der Mentalität und Kultur und einen starken Eigenbezug befördert. Doch es hängt auch mit Stilfragen zusammen, sodass die französischen Theoretiker, die ›postmoderner‹ Kunst (wie der der Transavanguardia) kritisch gegenüberstehen, in der Folge auch die deutsche Kunst jener Zeit ignorieren: Die präsenten Jungen Wilden, auf die sie sich in ihrer Zeit am ehesten hätten beziehen können, werden oft in einem Atemzug mit ihren italienischen Kollegen genannt, da auch sie die Rückkehr zur Malerei und zur narrativen Darstellung pflegten – welche wie gesehen von den postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretikern überwiegend abgelehnt wird. Prinzipiell ist auffallend, dass postmoderne Kunst, wie wir sie im Exkurs beschrieben haben, kaum oder nur sehr wenig zur Sprache kommt. Das gilt auch für zeitgenössische Kunst, die nicht gleich mit der Postmoderne in Verbindung zu bringen ist, sondern sich unabhängig davon durch ein Experimentieren mit neuen Medien, neuen Darstellungsformen und nicht zuletzt neuen Themen auszeichnet. Zeitweise wirkt es fast so, als würden die Theoretiker der aktuellen Kunstproduktion etwas ›hinterherhinken‹ (ein Hinterherhinken, das Lyotard allerdings positiv interpretierte). Es ist denkbar, dass aktuelle Umbrüche im Zeitgeschehen (die hier unter dem Schlagwort der Globalisierung zusammenzufassen wären) von den Theoretikern gleichsam zuerst hinsichtlich der Folgen auf die Gesellschaft analysiert werden müssen, bevor sie sich der Kunst zuwenden. Ein letzter, ungleich wichtiger Punkt, auf den wir hier aufmerksam machen möchten, ist der schwierige Umgang mit dem Künstler. Auch hier schwanken die Theorien zwischen einer Überhöhung (als schöpferischem Genie, als Revolutionär, Widerständler usw.) und Kritik (als von Wirtschaft

to«, in: Beaux Arts magazine (Hg.), 100 artistes. Qu'est-ce que l'art contemporain en France?, Paris: Beaux Arts SAS, S. 3. 18 Als zusätzliche Belegstelle soll der Katalog zur documenta X von 1997 dienen, in dem viele Ausschnitte und Zitate aus den Texten dieser und weiterer französischer Kulturtheoretiker jener Zeit vorkommen, vgl. documenta/Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH mit Catherine David/Jean-François Chevrier (Hg.) (1997): Das Buch zur documenta X. Politics-Poetics, Ostfildern-Ruit: Cantz Verlag.

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und Politik vereinnahmtem Individuum, das seinen besonderen Status nur den Konsekrationsinstanzen des Kunstbetriebs verdankt). Gerade was die Kritik an den Künstlern betrifft, ist auffällig, wie oft diese als Maschinen verstanden werden (seien es Wunschmaschinen, die Intensitäten freisetzen, oder Automaten, die bei der Kunstproduktion Formentscheidungen nur durchführen, oder die wiederholte Betonung dessen, dass Warhol eine Maschine sein wollte). Das Subjekt des Künstlers wird entweder zum artifex deus stilisiert oder auf einen Automaten reduziert. Demgegenüber stehen Kunstwerkbesprechungen, die völlig unkritisch bleiben. Kritik an Künstlern oder bestimmten Kunstrichtungen erfolgt stets im Rahmen der allgemeinen Kunsttheorien oder innerhalb einer (positiven) Besprechung eines anderen Künstlers. So gibt Derrida zu: »Now, it is also necessary to say – maybe as a sort of general precaution for everything that will follow – that I have never personally taken the initiative to speak about anything in these domains [visual / spatial arts; D.D.]. Each time I do, it is because I have been invited to do so; because of my incompetence, I would never have taken the initiative to write about architecture or drawing unless the occasion or invitation had originated elsewhere.«19

Aussagen, die in diese Richtung weisen, gibt es mehrfach. Es muss festgehalten werden: Die Künstlerauswahl der Theoretiker erfolgte in den allermeisten Fällen über persönliche Verbundenheit. Dem Großteil der Werkbesprechungen geht eine langjährige Freundschaft voraus: Zeitgenössische Künstler sind selbstredend auch Zeitgenossen, man gehört oft derselben Generation an, teilt ähnliche Erfahrungen, lebt in derselben Umgebung (hier ist es meistens Paris). So wird ersichtlich, dass es sich bei den Texten kaum um Kunstkritiken im klassischen Sinne handeln kann: Man kennt sich, man mag sich, man tut sich einen Gefallen.20 Das stellt die Qualität der Texte nicht in Abrede, erklärt aber teilweise, wie es zu der jeweiligen Auswahl kam – vor allem in den Fällen, in denen die Künstler bis heute relativ unbekannt geblieben sind. Ein anderer Faktor ist die gegenseitige Einflussnahme. Beispiele: Lyotard bespricht Richard Lindner nachdem eines seiner Gemälde den Buchumschlag von Deleuzes (und Guattaris) Anti-Ödipus ziert. Deleuze bespricht Bacon nach Michel Leiris. Lyotard und Derrida besprechen beide Valerio Adami. Und unter Einbezug weiterer Theoretiker: Foucault bespricht Fromanger nach Deleuze. Enrico Baj führt Gespräche nicht nur mit Baudrillard, sondern auch mit Paul Virilio usw. Das beweist jedoch auch, dass viele der Künstler zum intellektuellen Milieu, in dem sich vor allem die französischen

19 Derrida mit Brunette/Wills (1990a) 1994, S. 10. 20 Nicht selten sind die Theoretiker umgekehrt auch Thema der Kunst: so porträtiert Fromanger Deleuze und Foucault, Ruth Francken porträtiert Lyotard, Gary Hill setzt Derrida in seiner Video-Arbeit ein.

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Theoretiker bewegt haben, dazugehörten. In der Tat ist erstaunlich, wie viele der Künstler ein philosophisches oder ähnliches Studium absolviert haben und in ihren Biografien angeben, sich mit Kulturtheorien wie den hier besprochenen intensiv auseinandergesetzt zu haben. Sie sind ›Künstler-Intellektuelle‹, die in der Lage sind, den Theoretikern in deren Sprache zu begegnen und zu antworten (Haacke teilt das Vokabular von Bourdieu, Scully das von Habermas, Bunsen das von Luhmann; Newman liefert Lyotard mit dem Aufsatz »The Sublime is Now« den Schlüssel zur Interpretation seiner Werke, Deleuze lässt Aussagen von Bacon in seinen Text einfließen usw.).21 Zur künstlerischen Kontextualisierung gehört schließlich auch die Nähe der postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretiker zur Künstlergruppe der Situationistischen Internationale. Deren Konzepte dérive, détournement und récupération ziehen sich durch diese Texte in Form eines freien, künstlerisch zu nennenden Umgangs mit Begriffen, bei dem die Bedeutungen verschoben oder umgedreht werden (détournement), wobei mitgedacht wird, dass diese (non-konformen) Verschiebungen wiederum eingeholt, vereinnahmt werden können (récupération).22 Im Kapitel zu Baudrillard wurde bereits kurz angesprochen, dass diese zwischen 1957 und 1972 um Guy Debord agierende Künstlergruppe Theoretiker wie Baudrillard beeinflusst hat. Die Situationistische Internationale ist als Teil des Milieus zu verstehen, das die französischen Intellektuellen generell prägte. Doch auch Luhmanns redescription-Konzept, das er von Art & Language übernimmt, ist mit dem détournement vergleichbar. So besprechen die Kunsttexte der Theoretiker Kunstwerke, setzen jedoch teilweise auch Techniken bzw. Verfahrensweisen ein, die als künstlerisch zu bezeichnen wären. Mit dem Status dieser Texte, ihrem Charakter, wollen wir uns im letzten Teil dieser Ergebnisanalyse beschäftigen.

21 Die Darstellung der Lebensläufe, akademischen Grade und theoretischen Interessen der fast vierzig Künstler würde hier viel zu weit führen, es muss aber betont werden, dass in der Tat der Großteil ein geisteswissenschaftliches Studium vorzuweisen hat und/oder weitgehende Beschäftigungen mit den unterschiedlichsten Kultur- und Gesellschaftstheorien. – Womit wir wieder bei Bourdieu und den erlernten Codes wären. 22 Vgl. Situationistische Internationale (1958): »Definitionen«, in: dies. (Hg.) (1976), Situationistische Internationale 1958-1969. Gesammelte Ausgaben des Organs der Situationistischen Internationale, Band 1, Hamburg: MaD Verlag, S. 18-19, sowie: Situationistische Internationale (1959): »Die Zweckentfremdung als Negation und Vorspiel«, in: dies. (Hg.) (1976), Situationistische Internationale 1958-1969. Gesammelte Ausgaben des Organs der Situationistischen Internationale, Band 1, Hamburg: MaD Verlag, S. 85-86.

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Kunst con Text Am Anfang der Untersuchung bezeichneten wir die Kunsttexte der Theoretiker als hybride Gebilde, die zwischen Kunstwerkbesprechung, Kunstkommentar, Kunstkritik, Kunsttheorie und Kulturtheorie zu positionieren sind. Auch nach den erfolgten Analysen löst sich dieser hybride Charakter der Texte nicht auf: Sie sind weder als ›reine‹ Kunstkommentare oder gar -kritiken zu verstehen, noch als ›reine‹ Theorietexte. Auch eine eigene ›künstlerische‹ Qualität ist nur in manchen von ihnen gegeben. Tatsächlich wirkt es in den allermeisten Fällen so, dass zwar einerseits versucht wird, auf die Singularität des Kunstwerks einzugehen, es anzusehen, zu erfahren und ihm gerecht zu werden. Andererseits nutzen alle Theoretiker ihre bereits ausgearbeiteten Überlegungen und Thesen, um sie über das Werk zu legen und mit dieser Hilfe zu interpretieren. Es ließe sich teilweise sogar behaupten, dass die Kunstwerke nur zum Anlass dienen, um die eigene Theorie ›durchzuexerzieren‹ oder weiterzuentwickeln. Man könnte zu einem gewissen Grad von einer Instrumentalisierung der Kunstwerke für die eigene Theorie sprechen.23 Dass diese Form von Kunsttexten mehr über die Kunstwerke aussagen, als über die Theorie, für die sie stehen, wird in der Tat von vielen bezweifelt.24

23 In Bezug auf Lyotard fragt Timothy Murray: »More than once, readers trained on the finer lines of philosophy and art history find themselves pausing midstream in Arakawa/Lyotard, Francken/Lyotard, and Adami/Lyotard to echo the demande of Lyotard's texts. ›What's happening?‹, we ask, when Lyotard tells anecdotes about his own texts instead of analyzing paintings.«, Timothy Murray (1984): »What's Happening?«, in: Diacritics. A review of contemporary criticism – Special Issue on the work of Jean-François Lyotard, vol. 14, Nr. 3, S. 107. In Bezug auf Deleuze: »Deleuze&Guattari benutzen Künstler und Werke als Paradigma für ihr Konzept […].«, Heyer 2001, S. 112. Ebenfalls zu Deleuze: »[…] Auch wenn Leiris Bacon zur ›bête d'atelier‹ werden lässt, scheint mir Deleuze dabei abermals den philosophischen Malerstandpunkt verlassen zu haben und mehr seine Probleme als jene von Bacon lösen zu wollen.«, Bischof 2003, o.S. 24 Martin Jay zum Beispiel wirft prinzipiell allen französischen Denkern des 20. Jahrhunderts vor, eine ›anti-okulare‹ Phase in der zeitgenössischen Theorie befördert zu haben, in der mehr gelesen statt gesehen wird, vgl. Martin Jay (1993): Downcast Eyes. The Denigration of Vision in Twentieth-Century French Thought, Berkeley: University of California Press. In eine ähnliche Richtung zielt Gottfried Boehms Auffassung (bei ihm in Bezug auf Merleau-Ponty), dass dem Unterfangen, Bilder letztlich sprachtheoretisch zu begründen, Grenzen gesetzt sind, vgl. Gottfried Boehm (1995): »Die Wiederkehr der Bilder«, in: ders. (Hg.), Was ist ein Bild?, München: Fink, S. 11-38. Dagegen argumentiert Gary Shapiro, dass solche Ansichten (vor allem die von Jay 1993) als Fehlinterpretation zu gelten haben, da Derrida, Lyotard u.a. gerade keine »linguistic reductionists« seien, vgl. Gary Shapiro (2007): »The Absent Image: Ekphrasis and the

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Es ist davon auszugehen, dass den meisten hier besprochenen Theoretikern von Walter Benjamin nicht nur der Text zur ›technischen Reproduzierbarkeit der Kunst‹ bekannt war, sondern auch seine Dissertation zur Kunstkritik in der deutschen Romantik. Darin beschreibt Benjamin inwiefern in der Romantik Kritik als »Experiment am Kunstwerk« verstanden wurde: »Es ist klar: für die Romantiker ist Kritik viel weniger die Beurteilung eines Werkes als die Methode seiner Vollendung.«25 Man könnte auch mit Derrida sagen, dass die Kunsttexte einen parergonalen Charakter haben, der eine doppelte Zuordnung ermöglicht als sowohl auf der Seite der Kunst, als auch außerhalb der Kunst zu verortender Text. Für eine Zuordnung als Theorie spricht sich zum Beispiel Jacques Rancière aus: »Le nom d'esthétique, pour moi, ne désigne pas une discipline. Il ne désigne pas une division de la philosophie mais une idée de la pensée. L'esthétique n'est pas un savoir des œuvres mais un mode de pensée qui se déploie à leur propos […].«26 Auch Simon Ruf schlägt nach seiner Untersuchung von Deleuzes Bacon-Analyse vor, Kunst bei ihm als Problem zu verstehen, »das zum Denken zwingt«27 – eine Einschätzung, die auf alle hier besprochenen Kulturtheoretiker angewendet werden kann. Es muss allerdings auch mit einbezogen werden, dass die Theoretiker ihre Nutzbarmachung der Werke für ihre Theorien selbst problematisieren. Insofern kann nicht von einer Rückkehr in die »philosophische Entmündigung der Kunst« gesprochen werden, die Danto für das Verhältnis zwischen Kunst und Theorie konstatiert und nach der die Philosophie stets bestrebt sei, sich als der Kunst überlegen auszuweisen.28 Ganz im Gegenteil findet man bei den ausgewählten Theoretikern zahlreiche Textstellen, an denen ersichtlich wird, dass sie selbst an ihrem Kunstkommentar zweifeln.29 Lyotard erklärt das Verhältnis zwischen Kunst und Theorie wie folgt:

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›Infinite Relation‹ of Translation«, in: Journal of Visual Culture, vol. 6, Nr. 1, S. 13-24. Walter Benjamin ([1919/20] 1978): Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 63. Die oben im Text stehende, vorherige Formulierung stammt von der Seite 60. Habermas und Luhmann beziehen sich explizit auf die Konzeption der Kunstkritik bei Benjamin, vgl. Habermas (1972) 1987 und Luhmann 1995b, dort zum Beispiel S. 464. Jacques Rancière (1998): »Existe-t-il une esthétique deuleuzienne?«, in: Éric Alliez (Hg.), Gilles Deleuze. Une vie philosophique. Rencontres Internationales, Rio de Janeiro – São Paulo, 10-14 juin 1996, Le Plessis-Robinson: Institut Synthélabo pour le progrès de la connaissance, S. 525. Simon Ruf (2003): Fluchtlinien der Kunst. Ästhetik, Macht, Leben bei Gilles Deleuze, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 150. Vgl. Arthur C. Danto ([1986] 1993): Die philosophische Entmündigung der Kunst, München: Fink. Es sei noch einmal an Aussagen erinnert, wie die von Lyotard, nach der »der Philosoph« Karel Appels Werk nur zum Anlass nehme, um über seinen eigenen

270 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK »Si le commentaire est un ›effet‹ de l'œuvre, et si comme on l'a dit le commentaire est lui-même une œuvre, il faut considérer la ›théorie‹ qui guide le commentaire comme un filtre ou comme un opérateur, parfois complexe, entre l'œuvre et son effet, c'est-à-dire entre l'œuvre commentée et l'œuvre qu'est le commentaire. Cet opérateur a par exemple pour effet évident de transformer le destinataire de l'œuvre d'art en destinateur de commentaire de cette œuvre.«30

Insofern kann festgehalten werden, dass nicht nur zeitgenössische Kunst selbstreflexiv agiert, sondern auch die Kulturtheoretiker in ihren Texten selbstanalytisch vorgehen. Bourdieu und Luhmann formulieren eine Soziologie, die per definitionem auf Selbstreflexion bedacht ist (als Soziologie der Soziologie bzw. als Beobachtung zweiter Ordnung), während Habermas dafür plädiert, stets die Interessen und normative Basis, die Theorien zugrunde liegen, offenzulegen. Die postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theoretiker deuten ihre Art des Denkens als Reflexion der Moderne. So lässt sich bestätigen, dass »[…] die reflektierende Betrachtung der Kunst zu allen Zeiten mit der Produktion der Kunst zusammen[hängt], unabhängig davon, wie weit wir über den jeweiligen Stand der die Kunst begleitenden Gedanken und Reflexionen informiert sind.«31 Das lässt sich als eine gewisse Verbundenheit von Kunst und Theorie verstehen, die letztlich gerade der Soziologie Chancen eröffnet, sich über die Beschäftigung mit Kunst immer wieder zu erneuern: »[L]'art permet, plus que tout autre objet, de repenser, et parfois d'abandonner ou de renverser, un certain nombre de postures, de routines, d'habitudes mentales ancrées dans la tradition sociologique – ou du moins dans une certaine façon de pratiquer cette discipline.«32

Kommentar zur Kunst nachzudenken, vgl. Lyotard 1998, S. 5, siehe auch im Kapitel zu Lyotard das Zitat zur dortigen Fußnote 109; bei Deleuze hilft die Kunst der Philosophie, Begriffe zu kreieren (und nicht die Philosophie der Kunst, sich selbst zu erkennen); und bei Derrida hieß es beispielsweise, dass der Kunstkommentator eine »überflüssige Illustration des Werks« sei, vgl. Derrida 1985a, S. X und im Kapitel zu Derrida die dortige Fußnote 88. 30 Lyotard 1979b, S. 17. 31 Kultermann 1991, S. 7. 32 Heinich 1998b, S. 8.

VII. Ausblick Dem betrieblichen Kontext drumherum kann keiner entgehen. Wie bereits gesagt, muss man mit zweierlei Moral leben, oder auf zwei Handlungsebenen. Man ist gezwungen, auf den Kontext der Kommunikation, des Diskurses, des Sinns einzugehen. Und dann heißt es, sich innerhalb dieses Sinnzusammenhangs Zonen des Nicht-Sinns zu bewahren. Nicht weil man den NichtSinn als solchen wählt, sondern weil man Ausnahmen machen will. Jean Baudrillard über Kunst

Kunsterfahrung ist ein problematischer Aspekt von Theorie. Zu theoretisieren ist eine äußerst abstrakte Angelegenheit, Kunst zu erfahren hingegen ist ein sehr konkretes Erlebnis, möglicherweise sinnlich, möglicherweise anregend, ansprechend, bisweilen irritierend und provozierend. Beides zu vereinen ist kein leichtes Unterfangen. Wie integriert man Kunsterfahrungen, die individuell und subjektiv erfolgen, in eine Theorie, die den Anspruch hat, Aussagen zu bieten, die über das Individuelle und Subjektive hinausgehen? Kann der theoretische – hier der kulturtheoretische – Blick auf Kunst dieser gerecht werden und dabei gleichzeitig den eigenen Anforderungen genügen? Die Komplexität dieses Problems verrät nur im Ansatz, was alles im Spiel ist. Wendet man sich theoretischen Texten zu, erwartet man für gewöhnlich Überlegungen und Erklärungen dazu, warum die Welt, die Gesellschaft und auch die Kunst ist, wie sie ist. Man erwartet Deutungen, Thesen, Diagnosen, die verstehen helfen. Gerade Theorien, die sich mit Phänomenen des Zeitgeschehens beschäftigen, wie die der hier besprochenen Theoretiker, werden konfrontiert mit dieser Erwartungshaltung, die zudem nicht unbegründet ist. Wendet man sich Kunst zu, erwartet man für gewöhnlich ebenfalls einiges: die Konfrontation mit Schönem oder Erhabenem, man erwartet Neues, erhofft bisweilen Politisches oder einen Ausdruck für das, was man nicht sagen, sondern nur zeigen kann. Im Unterschied zur Rezeption von Theorie rechnet man bei der Kunstbetrachtung auch damit, dass die eigene Erwar-

272 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

tungshaltung enttäuscht wird. Man weiß, wenn man sich auf Kunst einlässt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür sehr hoch ist, weil Kunstwerke gerade mit Erwartungshaltungen spielen. Die Kunst ist vielschichtig, sie kann vieles bieten: Mal zeigt sie das, was man nicht gesucht hat und dann wieder kondensiert sie das, von dem man nicht ahnte, dass es einen beschäftigt. Dieser Vielschichtigkeit kann nur eine Form von vielschichtig angelegter Theorie antworten. Keinem Kunstwerk reicht eine Interpretation, keinem Kunstwerk reicht eine Theorie – so wie keiner Theorie ein Kunstwerk reichen sollte. Dabei ist der kulturtheoretische Blick kein kunsttheoretischer. Kulturtheoretiker interpretieren Kunst anders und formulieren für diese andere Anforderungen. Wir haben gesehen, dass diese Anforderungen, diese Erwartungen, zeitweise zu weit gehen, zu hoch greifen und oft Widersprüchlichkeiten in der Theorie offenlegen. Es gibt Aspekte in den Theorien, die merkwürdig ›kleinkariert‹ sind, wenn es um Kunst geht, bezüglich ihrer Auswahl, der Aussagen, die sie vertreten soll, des Stils, in dem sie sich ausdrücken soll, ihrer zeitlichen Zuordnung oder auch ihres (größtenteils vergeblichen) Widerstands gegen Vereinnahmungen durch Politik und Wirtschaft. Das ist erstaunlich für einen Bereich, der gemeinhin mit einer prinzipiellen Freiheit in Verbindung gebracht wird. Künstlern wird nachgesagt, sie seien frei, sie könnten machen, was sie wollten, solange sie am Ende nur sagen, es sei Kunst, dann hat alles einen Sinn, alles hat seine Ordnung, alles ist möglich. Das ist natürlich ein gern kolportierter Mythos, der nur die halbe Wahrheit preisgibt.1 Nichtsdestoweniger ist er ein fait social, von dem auch die Theoretiker nicht unberührt bleiben. Die Vorstellung, die man sich von Kunst macht, von der Kunst selbst zu trennen, gelingt nicht immer. Wenn Lyotard sagt Wir müssen Künstler werden! spricht er einen Gedanken aus, den viele teilen, die gerne die Freiheit der Künstler genießen würden – bzw. das, was sie damit verbinden. Theorien sind nicht frei. Sie stehen in einem Dialog mit vergangenen sowie anderen, zeitgenössischen Theorien und wenn man gelegentlich auf Querverweise oder nachvollziehbare Argumente verzichtet, wie die postmodern genannten Theoretiker, steht man sogleich im Zentrum einer Kritik, die daran erinnert, an welche Regeln man sich zu halten habe. Kunst hält sich nicht an Regeln, Kunst erfindet sie, wie bei Lyotard gesehen. Kunst bricht mit Regeln – per definitionem.2 Man könnte die These aufstellen, dass der ambivalente Umgang der Theorie mit

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Ungeachtet der Einschränkungen, die zwangsweise auch Künstler erfahren, führt der paradoxe permissif zu Orientierungslosigkeit und einer Form von Narrenfreiheit, die letztlich verhindert, dass Künstler tatsächlich noch Grenzen ausloten können – so Nathalie Heinichs These als Resultat ihrer kunstsoziologischen Untersuchung zu den Kräfteverhältnissen im zeitgenössischen Kunstbetrieb, vgl. Heinich 1998a, hier: S. 338ff. Wir postulieren das, ohne weiter darauf einzugehen. Man müsste den Aspekt des Regelbruchs in allen Theorien genauer verfolgen. Dies bedarf allerdings einer eigenständigen Forschungsarbeit.

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der Kunst genau damit zusammenhängt: Im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Einschränkungen, Neuerungen und Konventionen, sucht die Theorie nach Belegen für die Freiheit der Kunst, um nostalgisch und auch ein wenig neidvoll in ihre Richtung zu blicken, wenn die eigenen Einschränkungen, die eigenen Konventionen zu viel werden.3 Für einen theoretischen Umgang mit Kunst, für einen soziologischen zumal, formuliert Bourdieu in einem Gespräch nicht mehr und nicht weniger als ein komplettes Forschungsprogramm: »Mit anderen Worten: Um ein Werk in der Singularität seiner Textualität angemessen lesen bzw. interpretieren zu können, muß es bewußt oder unbewußt in seiner Intertextualität gelesen werden, das heißt vermittels des Systems der Unterschiede, durch das es im Raum der mit ihm zeitgenössischen Werke lokalisiert wird; diese diakritische Lektüre ist nun aber nicht zu trennen von einer strukturellen Erfassung des entsprechenden Autors, der in seinen Dispositionen und Stellungnahmen definiert ist durch die objektiven Beziehungen, die seine Stellung im Produktionsraum definieren und bestimmen und die sowohl seine Konkurrenzbeziehungen zu den anderen Autoren bestimmen oder festlegen als auch das Gesamt der – vor allem formalen – Strategien, die aus ihm einen wirklichen Künstler oder Schriftsteller machen […].«4

Die Anforderungen an einen kunstsoziologischen Ansatz sind hoch – und sie müssen es sein. Wenn auch gemeinhin das Prestige, das in der Beschäftigung mit Fragen der Politik, Wirtschaft oder Moral erreicht werden kann, ungleich größer ist, als in der Beschäftigung mit der Kunst, liegt das nicht am Forschungsgegenstand, sondern daran, dass immer noch verkannt wird, wie all diese Fragen auch im Bereich der Kunst zu ergründen sind. Und dies aus einer Perspektive, die dem Denken unbetretene Wege öffnet. Die Kunst selbst hält wach, weil sie sich stets erneuert und der Blick auf die Welt immer wieder ein anderer ist. Dass dem nur über die Kreuzung der verschiedensten Forschungsansätze zu begegnen ist, formulierte nicht erst Bourdieu. Der frühe Prager Strukturalist Jan Mukařovský zum Beispiel hält schon 1936 fest:

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Wieder Adorno: »Denn Kunst ist, oder war bis zur jüngsten Schwelle, unter der Generalklausel ihres Scheinens, was Metaphysik, scheinlos, immer nur sein wollte.«, Adorno (1970) 2003, S. 511. Der erklärt postmoderne Soziologe Michel Maffesoli geht mit den Anleihen bei der Kunst im Rahmen seines Theoretisierens ganz offen um: man solle über die Gesellschaft ästhetisieren, so Maffesoli; vgl. Michel Maffesoli (1987): »Das ästhetische Paradigma. Soziologie als Kunst«, in: Christoph Wulf/Dietmar Kamper (Hg.) (2002), Logik und Leidenschaft. Erträge Historischer Anthropologie, Berlin: Dietrich Reimer Verlag, S. 771-781. Bourdieu mit Maue/Jarchow/Winter (1985b) 1992, S. 163f.

274 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK »Jedes Kunstwerk ist ein autonomes Zeichen, das sich zusammensetzt aus 1. dem ›materiellen Werk‹, das die Bedeutung eines sinnlichen Symbols hat; 2. aus dem ›ästhetischen Objekt‹, das im Kollektivbewußtsein wurzelt und die Stelle der ›Bedeutung‹ innehat; 3. aus dem Verhältnis zur bezeichneten Sache, das nicht auf eine besondere unterschiedliche Existenz hindeutet – soweit es sich um ein autonomes Zeichen handelt –, sondern auf den Gesamtkontext der sozialen Phänomene (Wissenschaft, Philosophie, Religion, Politik, Wirtschaft usw.) einer bestimmten Umwelt.«5

Mukařovský stellt zentrale Aspekte der Kunst zusammen, die die verschiedenen Ansätze ihrer soziologischen Betrachtung definieren und von denen viele auch Thema dieser Arbeit gewesen sind. Dabei lässt sich festhalten, dass Mukařovský im Unterschied zu Bourdieu nicht das Kunstfeld oder den Künstler ins Zentrum rückt, sondern das Kunstwerk selbst. Der kunstgeschichtliche Bezug des Kunstwerks ist wichtig, seine Bedeutung für die Gesellschaft, der Kontext, in dem es entstanden ist und betrachtet wird; aber genauso wichtig ist es, den Blick für das Kunstwerk selbst nicht zu verlieren. Wenn man die Fülle an Texten zur Kenntnis nimmt, die die Theoretiker über Kunstwerke verfasst haben, kann man ihnen nicht vorwerfen, sich der Kunst zu verschließen, oder ihnen Blindheit gegenüber Kunst nachsagen. Kritikwürdig ist vielmehr, dass ihre Kunstkommentare von einer Suche geprägt sind, die jahrhundertealt ist: die Suche nach dem je ne sais quoi.6 Das ist nicht wirklich neu, Kunst gegenüber aber verständlich. Erinnern wir uns an Baudrillards letztlich spieltheoretische Auffassung singulärer Ereignisse, radikal differenter Objekte, der Kunst: Sie sollen, so Baudrillard, alle vier Kategorien des Spiels gleichzeitig abdecken, mimicry, agôn, aléa und ilinx. Es ließe sich argumentieren, dass bei Baudrillard alle Stränge der Theorien, die hier zur Sprache kamen, zusammenlaufen und am Ende zusammengenommen eine mögliche Definition dessen bieten, was Kunst ist oder bestenfalls zu sein hat. Noch einmal sein Resumé: »Ein Werk, ein Objekt, eine Architektur, ein Foto, doch ebenso ein Verbrechen, ein Ereignis muß folgendes: Es muß Allegorie von etwas sein [mimicry: bei Jürgen Habermas muss Kunst das Projekt der Moderne fortführen, also dieses darstellen; D.D.], Herausforderung von jemandem sein [agôn: bei Pierre Bourdieu ist das agonale Moment an der Kunst der Motor des kulturellen Wandels; D.D.], den Zufall ins Spiel bringen [aléa: das Aleatorische, das so ist, aber auch anders hätte kommen können,

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Jan Mukařovský (1936): »Die Kunst als semiologisches Faktum«, in: ders. (1974), Kapitel aus der Ästhetik, 2. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 146 (Hervorh. im Orig.). Eine gute Übersicht über die Geschichte des je ne sais quoi, auf die Luhmann in Die Kunst der Gesellschaft aufmerksam macht, bietet: Erich Köhler (1953/54): »›Je ne sais quoi‹. Ein Kapitel aus der Begriffsgeschichte des Unbegreiflichen«, in: ders. (1984), Esprit und arkadische Freiheit. Aufsätze aus der Welt der Romania, München: Fink, S. 230-286.

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die Kontingenz, die Niklas Luhmanns Überlegungen auch zur Kunst prägen; D.D.] und den Rausch herbeiführen [ilinx, das Rauschhafte, das – über den Rückgriff auf Nietzsche und Dionysos – mit der Postmoderne verbunden wird; D.D.].«7

Erst die Pluralität der Ansätze bietet ein umfassendes Verständnis eines Kunstwerks, fordert die Kunst jedoch in jedem Sinne: Die Pluralität der Theorien fordert heraus und überfordert vielleicht auch; insgesamt scheint es allerdings so, als würde gerade zeitgenössische Kunst in ihrer Pluralität mit diesen (An-)Forderungen ganz gut umgehen können. Die Pluralität der Theorien, die Pluralität der Kunst – alles ist möglich. Auch das, dass die Thematisierung einer positiven Rückwirkung der Kunst auf die Gesellschaft am Ende vom Kunsttheoretiker Arthur C. Danto formuliert wird und nicht von einem der Kulturtheoretiker, die doch die Gesellschaft zum Thema haben. Sehr emphatisch, etwas utopisch – aber warum nicht? »Natürlich läßt sich eine solche Konfliktfreiheit auf zweierlei Weise erreichen. Eine Möglichkeit ist, alles auszuschalten, was einem bestimmten Manifest nicht folgt. Die politische Entsprechung ist die ethnische Säuberung. […] Die andere Möglichkeit ist, ohne das Erfordernis der Säuberung miteinander zu leben, zu sagen: Ist doch egal, was du bist […]. Worauf es ankommt, ist, was für ein Mensch du bist. Die moralische Kritik überlebt so im Zeitalter des Multikulturalismus, wie die Kunstkritik im Zeitalter des Pluralismus fortlebt. Inwieweit gibt die gegenwärtige Praxis der Kunst meiner Vorhersage recht? Schauen Sie sich doch um. Wie herrlich, wenn wir glauben dürften, daß die pluralistische Kunstwelt der historischen Gegenwart Vorbote einer politischen Zukunft ist!«8

Die Schutzhelme, die eingangs beschrieben worden sind, haben auf ihren Einsatz gewartet und in dieser Arbeit bekommen. Die Baustelle wird nun verlassen. Vieles ist getan worden. Wir entfernen uns in der Zuversicht, einem bislang kaum bearbeiteten, ja kaum beachteten Abschnitt der Baustelle Aufmerksamkeit gewidmet zu haben und Mühe darauf verwendet zu haben, ihn deutlicher abzustecken, abzusichern, begehbar zu machen. Der Helm kann wieder an die Wand – und wartet dort auf seinen nächsten Einsatz.

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Baudrillard (2004b) 2006, S. 187 (Hervorh. im Orig.). Nota bene zeitlich die jüngste Aussage zu Kunst. Danto (1997) 2000, S. 64.

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Postskriptum Ich bin Les Monuments von Mounir Fatmi im November 2008 begegnet, zu einer Zeit also, als die Arbeit am vorliegenden Buch bereits weit fortgeschritten war. Die typischen Unsicherheiten und offenen Fragen von Forschungsarbeiten waren größtenteils verflogen und beantwortet – dennoch hatte ich den Eindruck, erst im Anblick von Les Monuments die Quintessenz meiner Arbeit zu sehen. Zuerst schien sie mir die Augen zu öffnen. Dann ließ sie mich alles wieder hinterfragen. Schließlich schärfte sie meinen Blick für das Thema und meine Bearbeitung. Das ist nicht als Anekdote zu werten – es ist womöglich der Kern der Sache. Denn bislang wurde der Einsatz von Kunst in Theorien in der vorliegenden Arbeit kritisch betrachtet. Es ließe sich aber auch positiv gewendet sagen, dass die Auseinandersetzung mit der Kunst es den Theoretikern ermöglicht, sich aus einer anderen Perspektive bewusst zu machen, worin ihre Arbeit besteht; Kunst schärft den Blick, bestätigt und gibt Sicherheit oder wirft um und lässt revidieren. Es gibt eine schöne Passage bei Hannes Böhringer, der sich mit dem Verhältnis von Kunst und Philosophie beschäftigt und sich dem Thema über die Beschreibung von Kunstwerken nähert. Er schreibt: »Die philosophischen Zugänge zur Kunst sind vielleicht alle abwegig oder zugesperrt, Aporien und Holzwege. Vielleicht schaut die Philosophie immer genau an der Kunst vorbei. Vielleicht steht sie sogar ganz dicht vor ihr, nur durch einen doppelseitigen Spiegel getrennt, der die Sicht nach vorn auf den anderen versperrt, indem er den Blick zurückwirft […].«9 Genau diese Reflexion durch den Spiegel jedoch sieht Jean Baudrillard positiv als die Ermöglichung, sich im Anderen erst richtig zu erkennen. Kunst kann vieles sein: Vexierspiegel, der ver- (oder ent-)zerrt, Kaleidoskop, das Ansichten aufbricht. Das gilt natürlich nicht nur für die Philosophie, das gilt für alle Formen von Wissenschaft: Ce que l'art fait à la sociologie beschreibt Nathalie Heinich in einer ihrer Publikationen. Und letztendlich gilt es nicht nur für die Theorie und die Wissenschaften, sondern betrifft auch alle anderen Bereiche des Lebens, des gesellschaftlichen, politischen Miteinander. Kunst betrifft, berührt, lädt zur Auseinandersetzung, zur Reflexion, zur Kommunikation ein. Der Kunst ist es nicht wichtig, dass man sie erkennt. Es genügt, wenn man etwas erkennt. Das ließe sich als Wirkung auf die Gesellschaft bezeichnen, als Rückkoppelung an die Lebenswelt. Als Aufgabe, als Funktion der Kunst für die Gesellschaft, wie oft von der Soziologie formuliert. Das ist aber eine Zuordnung a posteriori. Man könnte auch einfach festhalten, dass es das ist, was die Kunst tut (ce que l'art fait). Sollte sie sich entschließen, etwas anderes zu tun, wäre das ebenfalls in Ordnung. Das ist ihre Autonomie.

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Hannes Böhringer (1983): »›Durch das Nachtmeer‹. Von der Philosophie zur Kunst«, in: Merkur, 37. Jg., Heft 7, Oktober, S. 770.

Verzeichnisse

L ITERATURVERZEICHNIS Das Literaturverzeichnis umfasst nicht nur die im Text zitierten Werke, sondern auch die Titel, die als Hintergrundliteratur Verwendung fanden. Unter Primärliteratur finden sich die Texte der im Hauptteil besprochenen Theoretiker. Alle anderen Texte finden sich unter Sekundär- und weitere Literatur. Die Auflistung erfolgt chronologisch nach dem Jahr der Erstveröffentlichung, wobei zur schnelleren Orientierung und besseren Übersicht darauf verzichtet wurde, Publikationen mit Zweit- oder Drittautoren oder -herausgebern separat aufzuführen, sodass sich diese unter den übrigen Publikationen eingereiht finden. Primärliteratur BAUDRILLARD Baudrillard, Jean ([1948] 2002): Pataphysique, Paris: Sens & Tonka. Baudrillard, Jean/Burri, René (1963): Les Allemands, Paris: Éditions Delpire. Baudrillard, Jean (1968): Le système des objets, Paris: Gallimard. Baudrillard, Jean (1970): La société de consommation. Ses mythes, ses structures, Paris: Denoël. Baudrillard, Jean (1972): Pour une critique de l'économie politique du signe, Paris: Gallimard. Baudrillard, Jean (1976): L'Échange symbolique et la mort, Paris: Gallimard. Baudrillard, Jean (1977a): Le Trompe-l'Œil, Urbino: Centro Internazionale di Semiotica e di Linguistica/Università di Urbino. Baudrillard, Jean (1977b): L'effet Beaubourg, Paris: Galilée. Baudrillard, Jean ([1977c] 1983): Oublier Foucault, München: Raben Verlag. Baudrillard, Jean (1979): De la séduction, Paris: Galilée. Baudrillard, Jean (1980): »Baj ou la monstruosité mise à nu par la peinture même«, in: Enrico Baj, Enrico Baj, Paris: Éditions Filipacchi, S. 10-13. Baudrillard, Jean (1981): Simulacres et simulation, Paris: Galilée. Baudrillard, Jean (1983a): »Please follow me«, in: Sophie Calle/Jean Baudrillard, Sophie Calle. Suite vénitienne. Jean Baudrillard. Please follow me, Paris: Éditions de l'Étoile, S. 81-93. Baudrillard, Jean ([1983b] 1991): Die fatalen Strategien, München: Matthes & Seitz.

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Baudrillard, Jean mit Rötzer, Florian/Rogenhofer, Sara (1985): »Jean Baudrillard«, in: Florian Rötzer (Hg.) (1986), Französische Philosophen im Gespräch, München: Klaus Boer Verlag, S. 29-46. Baudrillard, Jean (1987): »Towards the vanishing point of art«, in: Florian Rötzer/Sara Rogenhofer (Hg.) (1990), Kunst machen? Gespräche und Essays, München: Klaus Boer Verlag, S. 201-210. Baudrillard, Jean (1988): »Von der absoluten Ware«, in: Martin Schwander (Hg.) (1995), Andy Warhol. Paintings 1960-1986, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart: Verlag Gerd Hatje, S. 15-18. Baudrillard, Jean ([1990a] 1992): Transparenz des Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene, Berlin: Merve. Baudrillard, Jean mit Gaillard, Françoise (1990b): »Von Andy Warhol ausgehen«, in: Peter Gente/Barbara Könches/Peter Weibel (Hg.) (2005), Philosophie und Kunst. Jean Baudrillard. Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag, Berlin: Merve, S. 10-17. Baudrillard, Jean mit Baj, Enrico (1990c): »Die Mythologie des Kitsches«, in: Jean Baudrillard/Enrico Baj, Transparence du kitsch, Paris: Éditions de la Différence/Galerie Beaubourg, S. 7-23. Baudrillard, Jean (1991a): La guerre du Golfe n'a pas eu lieu, Paris: Galilée. Baudrillard, Jean (1991b): »Unter den Linden par Richard Avedon«, in: François L'Yvonnet (Hg.) (2004), Jean Baudrillard, Paris: Éditions de l'Herne, S. 233-234. Baudrillard, Jean (1992): L'Illusion de la Fin ou la grève des événements, Paris: Galilée. Baudrillard, Jean mit Groys, Boris ([1995a] 1997): »Die Illusion des Endes – Das Ende der Illusion«, Digitalaufnahme vom 14. Mai 1995 im Café Schlossmuseum in Karlsruhe, Köln: Supposé. Baudrillard, Jean (1995b): »Aesthetic Illusion and Disillusion«, in: ders. (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 111-129. Baudrillard, Jean mit Scheps, Ruth (1996a): »Art between Utopia and Anticipation«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 50-60. Baudrillard, Jean ([1996b] 1997): Le complot de l'art, Paris: Sens & Tonka. Baudrillard, Jean mit Breerette, Geneviève (1996c): »No Nostalgia for Old Aesthetic Values«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 61-64. Baudrillard, Jean mit Francblin, Catherine (1996d): »La Commedia dell'Arte«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 65-74. Baudrillard, Jean mit Lotringer, Sylvère ([1996e] 2005): Oublier Artaud, Paris: Sens & Tonka.

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Baudrillard, Jean (1997a): »A Conjuration of Imbeciles«, in: ders. (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 30-35. Baudrillard, Jean (1997b): »The Art of Disappearance«, in: Nicholas Zurbrugg (Hg.), Jean Baudrillard, Art and Artefact, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 28-31. Baudrillard, Jean mit Petit, Philippe (1997c): »Eine Welt zuviel«, in: Jean Baudrillard ([1997] 2002), Paroxysmus, Wien: Passagen Verlag, S. 4564. Baudrillard, Jean mit Petit, Philippe (1997d): »›Die Fotografie ist etwas sehr Schönes, aber man sollte das nicht sagen…‹«, in: Jean Baudrillard ([1997] 2002), Paroxysmus, Wien: Passagen Verlag, S. 133-149. Baudrillard, Jean (1997e): »Ein unverbaubarer Ausblick oder die definitive Unschärfe des Denkens«, in: ders. ([1997] 2002), Paroxysmus, Wien: Passagen Verlag, S. 165-169. Baudrillard, Jean (1998): »Denn die Illusion steht nicht im Widerspruch zur Realität…«, in: Peter Weibel (Hg.) (1999a), Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 20-35. Baudrillard, Jean (1998/1999): »Es ist das Objekt, das uns denkt…«, in: Peter Weibel (Hg.) (1999a), Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 36-45. Baudrillard, Jean/Delahaye, Luc (1999): L'Autre, London: The Phaidon Press. Baudrillard, Jean/Nouvel, Jean (2000): Les objets singuliers. Architecture et philosophie, Paris: Calmann-Lévy. Baudrillard, Jean (2001a): »Andy Warhol: Snobbish machine«, in: Terry Smith (Hg.), Impossible Presence. Surface and Screen in the Photogenic Era, Chicago: The University of Chicago Press, S. 183-192. Baudrillard, Jean mit Lotringer, Sylvère (2001b): »Too Much is Too Much«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 75-85. Baudrillard, Jean (2001c): »Resonanzkörper der Radikalität«, in: Stefan Zweifel/Juri Steiner/Heinz Stahlhut (Hg.) (2006), In Girum Imus Nocte Et Consumimur Igni – Die Situationistische Internationale (1957-1972), Zürich: JRP | Ringier und Basel: Museum Tinguely, S. 40. Baudrillard, Jean (2001d): Télémorphose, Paris: Sens & Tonka. Baudrillard, Jean ([2001e] 2002): L'esprit du terrorisme, Paris: Galilée. Baudrillard, Jean mit Dickhoff, Wilfried/Schwerfel, Heinz Peter (2002): »Kunst und Singularität. Ein Gespräch mit Jean Baudrillard«, in: Heinz Peter Schwerfel (Hg.), Kunst nach Ground Zero, Köln: DuMont, S. 201214.

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Baudrillard, Jean mit Lancelin, Aude (2003): »The Matrix Revisited«, in: Jean Baudrillard (2005), The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e), S. 201-204. Baudrillard, Jean/Merzeau, Louise mit Guillaume, Marc (2004a): »Un air de famille«, in: Louise Merzeau/Jean Baudrillard, Au jour le jour, Paris: Descartes & Cie, S. 7-18. Baudrillard, Jean ([2004b] 2006): Die Intelligenz des Bösen, Wien: Passagen Verlag. Baudrillard, Jean (2005): The Conspiracy of Art. Manifestos, Interviews, Essays, hg. von Sylvère Lotringer, New York/Los Angeles: Semiotext(e). BOURDIEU Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1964): Les Héritiers. Les étudiants et la culture, Paris: Minuit. Bourdieu, Pierre/Boltanski, Luc/Castel, Robert/Chamboredon, Jean-Claude ([1965] 1981): Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt. Bourdieu, Pierre/Darbel, Alain mit Schnapper, Dominique ([1966a] 2006): Die Liebe zur Kunst. Europäische Kunstmuseen und ihre Besucher, Konstanz: UVK. Bourdieu, Pierre (1966b): »Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld«, in: ders. ([1970b] 1997), Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 75-124. Bourdieu, Pierre (1967a): »Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis«, in: ders. ([1970b] 1997), Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 125-158. Bourdieu, Pierre ([1967b] 1989): »L'image de l'image«, in: Art Press, Nr. 133, S. 27. Bourdieu, Pierre (1970a): »Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung«, in: ders. ([1970b] 1997), Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 159-201. Bourdieu, Pierre ([1970b] 1997): Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1970c): La Reproduction. Éléments pour une théorie du système d'enseignement, Paris: Minuit. Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1971a): Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs, Stuttgart: Klett. Bourdieu, Pierre (1971b): »Le marché des biens symboliques«, in: L'Année sociologique, vol. 22, S. 49-126. Bourdieu, Pierre (1975): »L'invention de la vie d'artiste«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 2, März, S. 67-93.

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Bourdieu, Pierre mit de Saint-Martin, Monique (1976): »Anatomie du goût«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 5, Oktober, S. 2-81. Bourdieu, Pierre (1977): »La production de la croyance: contribution à une économie des biens symboliques«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 13, Februar, S. 3-43. Bourdieu, Pierre ([1979a] 1999): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 11. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Auf Französisch: Bourdieu, Pierre ([1979] 2003): La distinction. Critique sociale du jugement, Paris: Minuit. Bourdieu, Pierre (1979b): »Les trois états du capital culturel«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 30, November, S. 3-6. Bourdieu, Pierre ([1983] 1992): »Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital«, in: ders., Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik & Kultur 1, Hamburg: VSA-Verlag, S. 4979. Bourdieu, Pierre ([1984a] 1988): Homo academicus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bourdieu, Pierre (1984b): »Das objektivierende Subjekt objektivieren«, in: ders. ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 219-223. Bourdieu, Pierre mit Heilbron, Johan/Maso, Benjo (1985a): »Bezugspunkte«, in: Pierre Bourdieu ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 50-75. Bourdieu, Pierre mit Maue, Karl-Otto/Jarchow, Klaus/Winter, H.G. (1985b): »Das intellektuelle Feld: Eine Welt für sich«, in: Pierre Bourdieu ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 155-166. Bourdieu, Pierre mit Honneth, Axel/Kocyba, Hermann/Schwibs, Bernd (1986): »›Fieldwork in Philosophy‹«, in: Pierre Bourdieu ([1987a] 1992), Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 15-49. Bourdieu, Pierre ([1987a] 1992): Rede und Antwort, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bourdieu, Pierre (1987b): »L'institutionnalisation de l'anomie«, in: Les Cahiers du Musée national d'art moderne, Nr. 9-20, Juni, S. 6-19. Bourdieu, Pierre (1989a): »Die historische Genese einer reinen Ästhetik«, in: Gunter Gebauer/Christoph Wulf (Hg.) (1993), Praxis und Ästhetik. Neue Perspektiven im Denken Pierre Bourdieus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 14-32. Bourdieu, Pierre (1989b): »Einführung in eine Soziologie des Kunstwerks«, in: Joseph Jurt (Hg.) (2003), absolute Pierre Bourdieu, Freiburg: orange press, S. 130-146. Bourdieu, Pierre ([1992] 1999): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

284 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

Bourdieu, Pierre/Haacke, Hans ([1994] 1995): Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens, Frankfurt a.M.: S. Fischer. Bourdieu, Pierre ([1997] 2001): Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bourdieu, Pierre (1998): »Wir befinden uns in einer Epoche der Restauration«, in: ders. ([2002] 2003), Interventionen 1961-2001. Sozialwissenschaft und politisches Handeln, Band 4, Hamburg: VSA-Verlag, S. 155156. Bourdieu, Pierre (1999): »Die Aktualität von Karl Kraus«, in: ders. ([2002] 2003), Interventionen 1961-2001. Sozialwissenschaft und politisches Handeln, Band 4, Hamburg: VSA-Verlag, S. 166-174. Bourdieu, Pierre (2001): Science de la science et réflexivité. Cours du collège de France 2000-2001, Paris: Éditions Raisons d'agir. Bourdieu, Pierre (2002): Ein soziologischer Selbstversuch, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. DELEUZE Deleuze, Gilles ([1953] 1997): David Hume, Frankfurt a.M./New York: Campus. Deleuze, Gilles ([1962] 1976): Nietzsche und die Philosophie, München: Rogner & Bernhard. Deleuze, Gilles ([1963/1986] 1990): Kants kritische Philosophie. Die Lehre von den Vermögen, Berlin: Merve. Deleuze, Gilles ([1964] 1978): Proust und die Zeichen, Frankfurt a.M./ Berlin/Wien: Ullstein. Deleuze, Gilles ([1966] 1989): Henri Bergson. Zur Einführung, Hamburg: Junius. Deleuze, Gilles (1967): »Sacher-Masoch und der Masochismus«, in: Leopold von Sacher-Masoch ([1870] 1996), Venus im Pelz, Frankfurt a.M.: Insel-Verlag, S. 163-281. Deleuze, Gilles ([1968a] 1992): Differenz und Wiederholung, München: Fink. Deleuze, Gilles ([1968b] 1993): Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie, München: Fink. Deleuze, Gilles ([1969] 1993): Logik des Sinns, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix ([1972] 1974): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles (1973a): »Das Kalte und das Warme«, in: Gilles Deleuze ([2002] 2003), Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 359-365. Auf Französisch: Deleuze, Gilles (1973): »Le froid et le chaud«, in: Gilles Deleuze/Michel Foucault (1999), Gérard Fromanger. La Peinture Photogénique, London: Black Dog Publishing, S. 61-77.

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Deleuze, Gilles mit Czerkinsky, Stefan (1973b): »Flächen und Oberflächen«, in: Gilles Deleuze ([2002] 2003), Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 408-411. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix ([1975] 1976): Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles mit Parnet, Claire ([1977] 1980): Dialoge, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles (1978): »Kräfte hörbar machen, die durch sich selbst nicht hörbar sind«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 148152. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix ([1980] 1992): Tausend Plateaus, Berlin: Merve. Deleuze, Gilles ([1981a] 1988): Spinoza. Praktische Philosophie, Berlin: Merve. Deleuze, Gilles ([1981b] 1995): Francis Bacon. Logik der Sensation, 2 Bände, München: Fink. Deleuze, Gilles (1981c): »Die Malerei entflammt das Schreiben«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 173-178. Deleuze, Gilles ([1983a] 1989): Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles (1983b): »Porträt des Philosophen als Zuschauer«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 202-208. Deleuze, Gilles (1984): »Über die wesentlichen Begriffe von Michel Foucault«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 231-249. Deleuze, Gilles ([1985a] 1991): Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles (1985b): »Die Zonen der Immanenz«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 19751995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 250-252. Deleuze, Gilles ([1986] 1987): Foucault, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix (1987a): »Vorwort zur italienischen Ausgabe von Tausend Plateaus«, in: Gilles Deleuze ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 294-297. Deleuze, Gilles (1987b): »Was ist der Schöpfungsakt?«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 19751995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 298-308. Deleuze, Gilles ([1988] 1995): Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles/Bonito Oliva, Achille/Negri, Toni (1989): Guardando il cielo. Gian Marco Montesano, Roma: Galleria Pio Monti.

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Deleuze, Gilles/Guattari, Félix ([1991] 2000): Was ist Philosophie?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles ([1993] 2000): Kritik und Klinik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles (1995a): »Die Immanenz: ein Leben«, in: ders. ([2003] 2005), Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 19751995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 365-370. Deleuze, Gilles (1995b): »Das Aktuelle und das Virtuelle«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hg.) (2007), Deleuze und die Künste, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 249-253. Deleuze, Gilles ([2002] 2003): Die einsame Insel. Texte und Gespräche von 1953 bis 1974, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deleuze, Gilles ([2003] 2005): Schizophrenie und Gesellschaft. Texte und Gespräche von 1975-1995, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. DERRIDA Derrida, Jacques ([1962] 1987): Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie, München: Fink. Derrida, Jacques (1966): »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, in: ders. ([1967] 1989), Die Schrift und die Differenz, 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 422442. Derrida, Jacques ([1967a] 1974): Grammatologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Derrida, Jacques (1967b): »Implikationen. Gespräch mit Henri Ronse«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 3351. Derrida, Jacques (1968a): »Platons Pharmazie«, in: ders. ([1972] 1995), Dissemination, Wien: Passagen Verlag, S. 69-190. Derrida, Jacques (1968b): »Die différance«, in: ders. ([1972] 1999), Randgänge der Philosophie, 2., überarbeitete Aufl., Wien: Passagen Verlag, S. 31-56. Derrida, Jacques (1968c): »Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristeva«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 52-82. Derrida, Jacques (1970): »Die zweifache Séance«, in: ders. ([1972] 1995), Dissemination, Wien: Passagen Verlag, S. 193-320. Derrida, Jacques (1971): »Positionen. Gespräch mit Jean-Louis Houdebine und Guy Scarpetta«, in: ders. ([1972] 1986), Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, Graz/Wien: Böhlau, S. 83-184.

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314 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

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V ERZEICHNISSE

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316 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

Baudrillard, Art and Artefact, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 1-6. Zweite, Armin (Hg.) (1997): Barnett Newman. Bilder – Skulpturen – Graphik, Ausstellungskatalog, Düsseldorf: Kunstsammlung NordrheinWestfalen und Ostfildern-Ruit: Verlag Gerd Hatje.

V ERZEICHNISSE

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Buchumschlag: Mounir Fatmi, Les Monuments (2008), 5 Keramik-Helme, Keramik-Farbe, Ed. 5 Quelle: Courtesy Mounir Fatmi und Galerie Conrads, Düsseldorf; Fotografie: Dagmar Danko. Abbildung 1: Hans Haacke, Germania (1993), Installation im Pavillon der Bundesrepublik, Biennale Venedig 1993, Holzwand, 8 Buchstaben, Faksimile eines D-Mark-Stückes von 1990, Foto von Hitler beim Besuch der Biennale in Venedig 1934, 1000-Watt-Scheinwerfer Quelle: Pierre Bourdieu/Hans Haacke ([1994] 1995): Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens, Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 127. Abbildung 2: Sean Scully, Four Large Mirrors (1999), Öl auf Leinen, 4 Teile à 274 x 244 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Quelle: Riitta Valorinta (Hg.) (2003): Sean Scully, Ausstellungskatalog, Tampere: Sara Hildén Kunstmuseum, S. 55. Abbildung 3: Marcel Duchamp, La Mariée mise à nue par ses célibataires, même (1915-1923), Replik des Originals von Ulf Linde von 1991/92, Moderna Museet, Stockholm, 208 x 189 cm Quelle: Museum Jean Tinguely Basel (Hg.) (2002): Marcel Duchamp, Ausstellungskatalog, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag, S. 77. Abbildung 4: Daniel Buren, Les Deux Plateaux (1985-1986), Cour d'honneur du Palais-Royal, Paris Quelle: Jean-François Lyotard (1987): Que peindre? Adami, Arakawa, Buren, 2. Band, Paris: Éditions de la différence, Abbildung Nummer 125, o.S. Abbildung 5: Barnett Newman, Onement I (1948), Öl auf Leinwand, 69,2 x 41,2 cm, The Museum of Modern Art Quelle: Armin Zweite (Hg.) (1997): Barnett Newman. Bilder – Skulpturen – Graphik, Ausstellungskatalog, Düsseldorf: Kunstsammlung NordrheinWestfalen und Ostfildern-Ruit: Verlag Gerd Hatje, S. 80. Abbildung 6: Karel Appel, Das Antlitz der grundlegenden Wahrheit I (1979), Öl auf Leinwand, 172,7 x 198,1 cm Quelle: Jean-François Lyotard (1998): Karel Appel: Ein Farbgestus, Bern: Verlag Gachnang & Springer, S. 67.

318 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

Abbildung 7: Gérard Fromanger, Vert Véronèse (1972) Quelle: Gilles Deleuze/Michel Foucault (1999), Gérard Fromanger. La Peinture Photogénique, London: Black Dog Publishing, S. 64. Abbildung 8: Francis Bacon, Figure standing at a washbasin (1976) Quelle: Gilles Deleuze ([1981] 1995): Francis Bacon. Logik der Sensation, 2. Band, München: Fink, Abbildung Nr. 26, o.S. Abbildung 9: Gérard Titus-Carmel, 20 novembre 1975 aus The Pocket Size Tlingit Coffin (1975), Pastellmalerei auf Aquatinta-Druck auf geripptem Papier, 0,280 x 0,372 Quelle: Gérard Titus-Carmel (1978): The Pocket Size Tlingit Coffin, Paris: Centre national d'art et de culture Georges Pompidou / Musée national d'art moderne, S. 32. Abbildung 10: Marie-Françoise Plissart, Droit de regards (Ausschnitt) (1985) Quelle: Benoît Peeters/Marie-Françoise Plissart/Jacques Derrida (1985): Recht auf Einsicht, Graz/Wien: Böhlau, S. 10. Abbildung 11: Micaëla Henich, Nr. 984 aus Mille e tre (o.J.), Tuschezeichnung, 16 x 6 cm Quelle: Micaëla Henich/Jacques Derrida (1996): Mille e tre, cinq. Lignées, Bordeaux: William Blake & Co., Abbildung Nummer 984, o.S. Abbildung 12: Valerio Adami, (Disegno per un) Ritratto di Walter Benjamin (1973), Bleistift Quelle: Jacques Derrida ([1978] 1992): Die Wahrheit in der Malerei, Wien: Passagen Verlag, S. 210. Abbildung 13: Gary Hill, Disturbance (Among the Jars) (1988), Installation (Farbe, Ton), sieben modifizierte 27"-Farbmonitore, 8-KanalSynchronisationsmodul, zwei Lautsprecher, Verstärker, PCM-Decoder, sieben U-matic-Videokassetten-Player, zwei Plattformen; Fotografie: Richard-Max Tremblay Quelle: Kunstmuseum Wolfsburg/Gary Hill (2002): Gary Hill – Selected Works. Catalogue raisonné, Ausstellungskatalog, Köln: DuMont, S. 133. Abbildung 14: Colette Deblé, o.T. (nach Tizians Danae) (o.J.) Quelle: Jacques Derrida ([1993] 2004): Prégnances. Lavis de Colette Deblé. Peintures, Mont-de-Marsan: L'Atelier des Brisants, o.S. bzw. Buchumschlag.

V ERZEICHNISSE

| 319

Abbildung 15: Jean Atlan, Pentateuque (1958) Quelle: Jacques Derrida (2001): Atlan Grand Format. De la couleur à la lettre, Paris: Gallimard, S. 9. Abbildung 16: Niklas Luhmann, o.T. (1990) Quelle: Niklas Luhmann (2008): Schriften zu Kunst und Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7. Abbildung 17: Frederick D. Bunsen, Das Kabelkalb (1989) Quelle: Niklas Luhmann/Frederick D. Bunsen/Dirk Baecker (1990): Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur, Bielefeld: Haux, S. 19. Abbildung 18: Sophie Calle, …Café Florian… Calle seconda de l'ascension… aus Suite vénitienne (1980) Quelle: Sophie Calle/Jean Baudrillard (1983): Sophie Calle. Suite vénitienne. Jean Baudrillard. Please follow me, Paris: Éditions de l'Étoile, S. 41. Abbildung 19: Andy Warhol, Campbell's Soup Can I (1968), Acryl und Liquitex, Siebdruck auf Leinwand, 91,5 x 61 cm, Aachen, Neue Galerie – Sammlung Ludwig Quelle: Klaus Honnef (2006): Andy Warhol 1928-1987. Kunst als Kommerz, Köln: Benedikt Taschen Verlag, S. 20. Abbildung 20: Louise Merzeau, Au jour le jour (17. Juni 2001) (20002001) Quelle: Louise Merzeau/Jean Baudrillard (2004): Au jour le jour, Paris: Descartes & Cie, o.S. bzw. Buchumschlag. Abbildung 21: Jean Baudrillard, Paris 1986 (1986), 30 x 45 cm Quelle: Peter Weibel (Hg.) (1999): Jean Baudrillard. Im Horizont des Objekts. Objekte in diesem Spiegel sind näher als sie erscheinen. Fotografien 1985-1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Publishers, S. 155.

Anhang Abbildungen

Abbildung 1: Hans Haacke, Germania (1993)

Abbildung 2: Sean Scully, Four Large Mirrors (1999)

Abbildung 3: Marcel Duchamp, La Mariée mise à nue par ses célibataires, même (1915-1923)

322 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

Abbildung 4: Daniel Buren, Les Deux Plateaux (1985-1986)

Abbildung 5: Barnett Newman, Onement I (1948)

Abbildung 6: Karel Appel, Das Antlitz der grundlegenden Wahrheit I (1979)

A NHANG

| 323

Abbildung 7: Gérard Fromanger, Vert Véronèse (1972)

Abbildung 8: Francis Bacon, Figure standing at a washbasin (1976)

Abbildung 9: Gérard Titus-Carmel, 20 novembre 1975 aus The Pocket Size Tlingit Coffin (1975)

324 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

Abbildung 10: Marie-Françoise Plissart, Droit de regards (Ausschnitt) (1985)

Abbildung 11: Micaëla Henich, Nr. 984 (aus Mille e tre) (o.J.)

Abbildung 12: Valerio Adami, (Disegno per un) Ritratto di Walter Benjamin (1973)

A NHANG

Abbildung 13: Gary Hill, Disturbance (Among the Jars) (1988)

Abbildung 14: Colette Deblé, o.T. (nach Tizians Danae) (o.J.)

Abbildung 15: Jean Atlan, Pentateuque (1958)

| 325

326 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK

Abbildung 16: Niklas Luhmann, o.T. (1990)

Abbildung 17: Frederick D. Bunsen, Das Kabelkalb (1989)

Abbildung 18: Sophie Calle, Suite vénitienne (Ausschnitt) (1980)

A NHANG

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Abbildung 19: Andy Warhol, Campbell's Soup Can I (1968)

Abbildung 20: Louise Merzeau, Au jour le jour (17. Juni 2001) (2000-2001)

Abbildung 21: Jean Baudrillard, Paris 1986 (1986)

Namenregister

Action Painting 139, 207

117, 121, 123ff., 132, 151, 153,

Adami, Valerio 85, 87, 100, 104f.,

157, 169, 188f., 220f., 222-256,

117, 154, 175f., 178, 182, 263, 266, 268 Adorno, Theodor W. 19, 25, 29f.,

258, 262f., 266f., 271, 274ff. Bauman, Zygmunt 254 Bechtle, Robert 93

35, 55-58, 64, 68f., 75f., 81, 95,

Becker, Howard S. 39, 54

107, 117, 212f., 215, 247, 254f.,

Beckett, Samuel 105, 124

260ff., 273

Benjamin, Walter 19, 30, 51, 56f.,

Alloway, Lawrence 253f. Andre, Carl 142 Appel, Karel 85, 100, 112f., 115f., 179, 234, 269 Arakawa, Shusaku 85, 87, 90f., 100, 109, 268

62f., 69, 76, 110, 166, 171, 176, 206, 228, 236, 254, 260, 269 Bergson, Henri 124f., 145, 150 Beuys, Joseph 105, 264 Bickerton, Ashley 238 Blanchot, Maurice 177

Aristoteles 156, 163

Boltanski, Luc 31, 259

Art & Language 192, 208f., 263,

Bonito Oliva, Achille 100, 123

267 Art brut 37 Artaud, Antonin 127, 154, 169f., 175, 237, 240

Boucher, François 178 Bourdieu, Pierre 12f., 19, 21, 23f., 26, 29, 30-55, 56, 58f., 62ff., 66ff., 76f., 81, 84-87, 89, 96ff.,

Atlan, Jean-Michel 154, 178ff.

102f., 114, 118f., 144f., 148ff.,

Ayme, Albert 85, 93, 98, 100, 105

165, 181ff., 186-190, 199, 215218, 225f., 228, 241, 243, 247,

Bacon, Francis 23, 123, 132-137, 139, 141f., 240, 248, 260, 266-269

251, 258, 262f., 267, 270, 273f. Brecht, Bertolt 222

Badiou, Alain 151

Brøgger, Stig 85, 100, 115

Baecker, Dirk 205f., 217

Bunsen, Frederick D. 192, 205-208,

Baj, Enrico 223, 234f., 240, 244, 249, 256, 266 Balthus 98

263, 267 Buren, Daniel 85, 87, 94, 100-104, 108, 113, 116

Barthes, Roland 82, 222, 225, 250

Bürger, Christa 98f., 106

Baruchello, Gianfranco 85, 100,

Bürger, Peter 69f., 81, 116f., 258

102, 104, 112

Burke, Edmund 107, 109

Bataille, Georges 222, 231 Bateson, Gregory 194

Cage, John 227

Baudelaire, Charles 236f.

Caillois, Roger 256

Baudrillard, Jean 11, 13, 21, 23-27,

Calle, Sophie 24, 223, 231ff., 237,

42, 44f., 68, 75, 84, 89, 101, 109,

240, 249

330 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK Campbell, Donald T. 193

111f., 116, 187, 225f., 235, 239,

Canetti, Elias 25, 229, 238, 251

263

Carroll, Lewis 124 Cassirer, Ernst 42

Eco, Umberto 81

Cézanne, Paul 85, 90, 135f., 141,

Eddy, Don 93

185, 260

Eisenman, Peter 168

Chagall, Marc 228

Elias, Norbert 39

Chardin, Jean Siméon 162

Eßbach, Wolfgang 7, 18, 22, 193

Chomsky, Noam 33

Estes, Richard 93

Christo und Jeanne-Claude 142

Ettinger, Bracha L. 85, 100, 103

Close, Chuck 93 CoBrA 115, 179, 234

Fatmi, Mounir 7, 12f., 276

Cottingham, Robert 93

Fautrier, Jean 142

Courbet, Gustave 162

Feyerabend, Paul 239

Czerkinsky, Stefan 145

Fiedler, Leslie 81 Figuration Narrative 45, 94, 129

Dada 68, 74, 235

Filippi, Corinne 85, 100, 105f.

Dalí, Salvador 155

Flack, Audrey 93

Danto, Arthur C. 16f., 25, 97, 146,

Flaubert, Gustave 30, 32, 40, 53

187, 219f., 246, 254, 269, 275

Flavin, Dan 240

Darwin, Charles 193

Fontana, Lucio 135

David, Jacques-Louis 162

Foucault, Michel 11, 23-26, 73, 82,

de Man, Paul 154 Deblé, Colette 154, 175, 178ff.

84, 121, 124, 130, 135, 156, 236f., 260f., 266

Debord, Guy 222f., 226, 267

Francis, Sam 85, 100, 112f.

Delaunay, Robert 85, 90

Francken, Ruth 85, 100, 105, 266,

Deleuze, Gilles 11, 13, 21, 23-26, 45, 79, 82, 84f., 89, 109, 120, 121152, 153ff., 158, 160, 164f., 167, 170, 172, 174, 178, 180, 186, 188f., 204f., 207ff., 222, 225, 237, 240, 252, 258, 260, 263, 266-270

268 Freud, Sigmund 88f., 112, 124, 126, 155 Fromanger, Gérard 123, 129ff., 134f., 137, 143f., 147, 266 Fukuyama, Francis 21

Derrida, Jacques 11, 13, 21-24, 26, 52, 54, 73, 77f., 82, 84f., 88, 105,

Gauguin, Paul 141

109, 114, 120f., 124, 143, 152,

Gehlen, Arnold 25

153-188, 189f., 196, 198, 203ff.,

Genet, Jean 169, 176

208f., 220, 225-228, 231, 252,

Gerz, Jochen 218

258, 261ff., 266, 268ff.

Gins, Madeline 90

Dewey, John 62, 65

Goings, Ralph 93

Duchamp, Marcel 16, 36f., 52, 70,

Goldmann, Lucien 34

85, 90-93, 96, 98, 100, 102, 104,

Gombrich, Ernst H. 42, 258 Goodman, Nelson 146

R EGISTER

Groys, Boris 166, 216, 230, 258

Jarry, Alfred 189

Guattari, Félix 11, 89, 121-124,

Jencks, Charles 81

126ff., 132-135, 143-151, 266,

Jochims, Raimer 218

268

Johns, Jasper 227

Guiffrey, René 85, 93f., 99f., 116

| 331

Jorn, Asger 222, 234 Judd, Donald 142

Haacke, Hans 31, 36, 41, 43f., 46-

Junge Wilde 100, 264f.

49, 52f., 103, 148, 219, 225f., 241, 251, 263, 267 Habermas, Jürgen 13, 21-24, 26, 29,

Kafka, Franz 124 Kandinsky, Wassily 138, 236

41, 55, 56-78, 83ff., 87, 89, 93,

Kant, Immanuel 32, 35, 41, 58, 95,

95ff., 99, 101, 106, 114, 118f.,

105, 107ff., 111, 124, 163f., 169,

125, 144f., 149f., 155, 165, 181,

181f., 259f.

183-190, 194-197, 205, 213,

Kelly, Ellsworth 240

218ff., 251f., 258, 260, 262f., 267,

Klee, Paul 85, 90, 136, 141, 236

269f., 274

Konzeptkunst 146f., 208, 252

Halley, Peter 238

Koons, Jeff 239f.

Hantaï, Simon 143, 154, 169, 178,

Kosuth, Joseph 85, 100, 105, 116

184

Kristeva, Julia 161, 252

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 42, 48, 95, 169, 237, 254 Heidegger, Martin 109, 156, 160f., 176, 182, 187f., 254 Heinich, Nathalie 7, 16, 18, 20, 26,

Lacan, Jacques 82, 126, 250, 252 Lapouge, François 85, 100f. Lefebvre, Henri 222 Leibniz, Gottfried Wilhelm 141

31, 35, 37, 44ff., 48-53, 64, 66,

Leiris, Michel 137, 240, 266, 268

119, 214, 218, 225, 246f., 251,

Lévi-Strauss, Claude 82, 156

258, 270, 272, 276

LeWitt, Sol 142

Henich, Micaëla 154, 173ff., 180

Libeskind, Daniel 168

Hill, Gary 154, 169, 175-178, 266

Lichtenstein, Roy 227, 239

Holzer, Jenny 240

Lindner, Richard 85, 94, 100, 126f.,

Honneth, Axel 49

266

Hopper, Edward 240

Loubrieu, François 154, 177f.

Horkheimer, Max 19, 29, 58f., 68,

Louis, Morris 138

215

Luhmann, Niklas 13, 19, 21, 23, 26,

Hucleux, Jean-Olivier 93

41f., 45, 54, 56, 59, 66f., 75, 78,

Hume, David 124

83, 86, 109, 119, 148, 188f., 190-

Husserl, Edmund 65, 87, 159

221, 225, 227, 237, 253, 258f.,

Hyperrealismus 86, 93, 101, 130,

262f., 267, 269f., 274f.

132, 143, 241, 263

Lukács, György 34 Lyotard, Jean-François 9, 13, 21-24,

Indiana, Robert 227

26, 45, 55, 78, 82, 84-119, 121f.,

Informel 138, 142

124-133, 135ff., 143-146, 148-

332 | ZWISCHEN Ü BERHÖHUNG UND KRITIK 155, 158ff., 165, 167-170, 173,

Nouvel, Jean 224

175, 179ff., 185, 188f., 195ff., 205f., 208, 223ff., 234, 237, 252,

Oldenburg, Claes 227

255, 257f., 261ff., 265-270, 272 Panofsky, Erwin 33 Maccheroni, Henri 85, 100, 104, 112

Parsons, Talcott 66, 190, 195

Maffesoli, Michel 7, 223, 273

Picasso, Pablo 95, 228, 234

Magritte, René 25, 236f.

Platon 128, 156, 159f., 162, 175,

Malewitsch, Kasimir 85, 99f. Mallarmé, Stéphane 156, 160 Manet, Édouard 25, 30f., 40, 43ff., 47f., 50

186, 261 Plissart, Marie-Françoise 154, 172f., 175, 177, 184 Polke, Sigmar 108, 264

Mannheim, Karl 22

Pollock, Jackson 95, 138, 142, 208

Marcuse, Herbert 69

Pop-Art 45, 51, 68, 86, 130, 132,

Marx, Karl 32, 49, 126, 155, 222, 226

227f., 235, 239, 241 Presa, Elisabeth 184

Matisse, Henri 72

Proust, Marcel 124

Maturana, Humberto R. 193, 201

Puglia, Salvatore 154, 175, 180

Mauss, Marcel 51, 222, 244 McLean, Richard 93

Rancière, Jacques 117, 260, 269

McLuhan, Marshall 224

Rancillac, Bernard 31, 45

Melville, Herman 124

Rauschenberg, Robert 228, 239

Merleau-Ponty, Maurice 88, 137,

Rembrandt 162, 176

162, 176, 260, 268

Reza, Yasmina 27

Merzeau, Louise 223, 248f., 256

Richter, Gerhard 93

Michelangelo 140

Riegl, Alois 140

Minimal Art 142f.

Rosenquist, James 227

Mondrian, Piet 72, 138

Rothko, Mark 72, 86

Monet, Claude 141

Rousseau, Jean-Jacques 156f.

Monory, Jacques 85, 92ff., 100, 112,

Rubens, Peter Paul 178

129, 143

Ryman, Robert 142

Montesano, Gian Marco 123 Morley, Malcolm 93

Sacher-Masoch, Leopold von 124

Morris, Robert 142

Sartre, Jean-Paul 105, 228

Mukařovský, Jan 273f.

Saussure, Ferdinand de 82, 88, 156,

Münch, Richard 216

222, 226 Schapiro, Meyer 160f., 187f.

Nancy, Jean-Luc 178, 184 Newman, Barnett 85f., 91, 100, 110f., 116, 267 Nietzsche, Friedrich 121, 124f., 131, 149, 177, 254, 275

Scully, Sean 57f., 64f., 71-74, 150, 165, 267 Serres, Michel 212 Silbermann, Alphons 19 Simmel, Georg 164

R EGISTER

Situationistische Internationale 86,

van Gogh, Vincent 141, 160f., 187

151, 222f., 228, 234, 249, 255,

Varela, Francisco J. 193

267

Vasarely, Victor 228

Skira, Pierre 85, 100, 112f., 117 Smith, Tony 142

| 333

Velázquez, Diego 24, 136f., 178, 261

Spencer Brown, George 194, 201ff.

Veyne, Paul 20

Spinoza, Baruch 124

Virilio, Paul 252f., 266

Steinbach, Haim 238

von Foerster, Heinz 194, 201f.

Stichweh, Rudolf 205, 215 Surrealismus 68ff., 72, 74

Warhol, Andy 51, 68, 72, 86, 93,

Thomas, Philippe 44

Weber, Max 42, 47, 52, 59, 66f.,

223, 227, 235-241, 244, 249, 266 Tintoretto 178 Titus-Carmel, Gérard 154, 170ff., 175, 182

215 Weibel, Peter 226f., 231, 247, 250, 255

Tizian 178

Weiss, Peter 71, 222

Transavanguardia 86, 100, 102, 111,

Welsch, Wolfgang 73, 78, 95, 101,

116, 143f., 265

114, 225, 239, 254, 261

Tschumi, Bernard 168

Wesselmann, Tom 86, 227

Turner, J.M.W. 141

Wilde, Oscar 162 Wittgenstein, Ludwig 96

Ulrichs, Timm 218

Wölfflin, Heinrich 140 Worringer, Wilhelm 140

Vaisman, Meyer 238

Faire de la sociologie ne rend pas plus juste, plus grand, plus humain; au mieux, cela rend un peu moins bête. Ce n'est déjà pas si mal. Nathalie Heinich

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